Gernot Brähler, Christian Lösel (Hrsg.) Deutsches und internationales Steuerrecht
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
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Gernot Brähler, Christian Lösel (Hrsg.) Deutsches und internationales Steuerrecht
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Gernot Brähler, Christian Lösel (Hrsg.)
Deutsches und internationales Steuerrecht Gegenwart und Zukunft
Festschrift für Christiana Djanani zum 60. Geburtstag
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Claudia Jeske / Britta Göhrisch-Radmacher Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1322-7
Über Christiana Djanani
Am 2. September 2008 feierte Christiana Djanani ihren 60. Geburtstag. Kolleginnen und Kollegen, Schüler, Freunde und Weggefährten widmen der Jubilarin zu diesem feierlichen Anlass vorliegende Festschrift. Christiana Djanani zeichnete sich während ihres gesamten bisherigen Schaffens durch eine außerordentlich breite fachliche Orientierung aus. Sie hat stets bewusst vermieden, ihren Blick auf einzelne Problembereiche der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre zu verengen, sondern bewahrte sich stets den Blick für das wesentliche Ganze. Ihre vielseitigen Interessen, ihre fachliche Offenheit, die Dinge von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten, sowie ihr stetes Bemühen, das Steuerrecht unbeeinflusst von aktuellen Strömungen zu betrachten, sind Wesensmerkmale der wissenschaftlichen Ausrichtung von Christiana Djanani. Dabei hat sie auch die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung für praktische Anwendungen nicht aus den Augen verloren und war der Unternehmenspraxis stets verbunden. Trotz dieser umfassenden wissenschaftlichen Ausrichtung hat Christiana Djanani aber durch zahlreiche Veröffentlichungen einen bedeutsamen Forschungsschwerpunkt im Internationalen Steuerrecht und der Internationalen Steuerplanung gewählt. Für ihre Schüler war nicht nur ihre fundierte fachliche Betreuung von großer Bedeutung. Auch ihr mütterlich-liberales Verhalten und ihr fürsorglicher Umgang mit Mitarbeitern waren und sind eine unentbehrliche Basis für die unter ihrer Leitung erzielten Leistungen. Christiana Djanani zeichnete sich stets durch ihre offene, aufgeschlossene und tolerante Denkweise aus. Ihre Schüler wissen die Zusammenarbeit mit ihr sehr zu schätzen. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschung und Lehre und ihren publizistischen Aktivitäten übte Christiana Djanani eine Vielzahl von Funktionen in der universitären Selbstverwaltung und in außeruniversitären Ehrenämtern aus. Besonders hervorgehoben sei ihre erfolgreiche Tätigkeit als Dekan der noch jungen Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Der interdisziplinäre und internationale Ansatz von Christiana Djanani sowie der Bezug zu den für die Berufspraxis relevanten Problemstellungen finden sich im Spektrum der Beiträge dieser Festschrift wieder. Die behandelten Themenbereiche wurden dem
VIII
Über Christiana Djanani
Forschungsschwerpunkt von Christiana Djanani entsprechend gewählt. So ist das erste Kapitel allgemein dem deutschen Internationalen Steuerrecht gewidmet. Im zweiten Kapitel stehen das Internationale Steuerrecht und die Internationale Steuerplanung im Vordergrund der Betrachtung. Im dritten Kapitel werden Problembereiche der Nationalen und Internationalen Erbschaftsbesteuerung diskutiert. Anschließend erfolgt eine Untersuchung der internationalen Aspekte der Betrieblichen Altersversorgung. Die Festschrift schließt mit Beiträgen zur Internationalen Rechnungslegung. Das Gelingen der Festschrift wäre ohne die Unterstützung Vieler nicht möglich gewesen. Der besondere Dank der Herausgeber gilt zunächst den Autoren, die sich trotz vielfältiger beruflicher Belastungen und dem eng gestrickten Zeitplan bereit erklärt haben, an der Festschrift mitzuwirken. Darüber hinaus gebührt auch Herrn Oswald Rohrer von der Ernst & Young AG, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, München, sowie Herrn Dr. Christian Rödl von Rödl & Partner, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Nürnberg, besonderer Dank, die dem Lehrstuhl durch jahrelange freundschaftliche und fachliche Verbundenheit immer wieder neue Anregungen gegeben haben. Daneben sei auch dem Gabler Verlag, namentlich Frau Claudia Jeske und Frau Britta Göhrisch-Radmacher, für die kooperative Zusammenarbeit gedankt. Für die vorzügliche Betreuung und die akribische technische Umsetzung der Festschrift möchten wir uns ebenso sehr herzlich bei Herrn Dr. Martin Lösel bedanken. Im Namen aller Beteiligten wünschen wir Christiana Djanani alles erdenklich Gute zum 60. Geburtstag und hoffen, dass sie auch weiterhin der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre die notwendigen Impulse gibt. Wir freuen uns auf noch möglichst viele weitere Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit. Ad multos annos! Gernot Brähler / Christian Lösel
Grußwort
Am 2. September 2008 vollendete Frau Prof. Dr. Dr. Christiana Djanani ihr 60. Lebensjahr. Ihr Lebensweg ist von intensiver und überaus erfolgreicher wissenschaftlicher Tätigkeit gekennzeichnet. Wie kaum ein anderer hat sich die geborene Österreicherin schon sehr frühzeitig die rechtsvergleichende Darstellung des deutschen, österreichischen und italienischen Steuerrechts zur Aufgabe gemacht. Beeindruckende Abhandlungen zum Steuerrecht der USA ergänzen ihre Liste von weit mehr als 100 Publikationen. Das Prädikat der besonderen Sach- und Fachkunde im „internationalen“ Steuerrecht gebührt ihr daher uneingeschränkt. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit hat Frau Professor Djanani auch immer eine intensive Zusammenarbeit mit der fachlichen Praxis gesucht und gepflegt. Ohne Zweifel kann sie das besondere Verdienst der Förderung von „Internationalisierung und Praxisbezug“ im Steuerrecht für sich beanspruchen. Ihr internationales Engagement und ihre wertvollen Beiträge für eine fruchtvolle Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis zeigen sich bereits eindrucksvoll in den Jahren 1993 - 1996 während ihrer Tätigkeit als Koordinator im Rahmen des Tempus-Projektes „Bridge between University and Industry“ gemeinsam mit der Universität Budapest und der Hoogeschool Holland. Zahlreiche Engagements im internationalen Bereich schließen sich an. Beispielhaft hierfür seien genannt ihre Tätigkeit als Mitglied des Gründungsausschusses für die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der neu gegründeten Freien Universität Bozen, Italien, ihre Funktion als Länderberichterstatter Deutschlands für das Jahr 2003 beim Jahreskongress der International Fiscal Association (IFA), ihre aktive Mitgliedschaft im Vorstand der Bayerischen Sektion der IFA sowie zahlreiche weitere Tätigkeiten im internationalen Bereich. Mit dieser Festschrift zur Vollendung ihres 60. Lebensjahres wollen die Autoren Frau Professor Djanani für die Erfolge ihrer Arbeit ehren und ihr für das Geleistete herzlichen Dank aussprechen. Aus meiner ganz persönlichen Sicht habe ich Frau Professor Djanani besonders zu danken für die langjährige Zusammenarbeit ihres Lehrstuhls mit der Beraterschaft, ergeben sich doch daraus unschätzbare Möglichkeiten zur gegenseitigen fachlichen Befruchtung und beruflichem Weiterkommen. Oswald Rohrer, RA, WP, StB Ernst & Young AG, München
Grußwort
Feierliche Anlässe geben nicht selten die Gelegenheit, lobende Worte auszusprechen. Als die Herausgeber der vorliegenden Festschrift mich baten, ein Grußwort für Christiana Djanani zu schreiben, bin ich dieser Bitte sehr gerne nachgekommen. Habe ich doch Christiana Djanani im Rahmen von etlichen Fachveranstaltungen kennengelernt und kenne sie über meine Tätigkeit als Dozent an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mittlerweile seit vielen Jahren. Meine Begegnungen mit ihr waren stets gekennzeichnet von ihrer offenen und freundschaftlichen Art, die auch zu einer guten Zusammenarbeit zwischen Rödl & Partner, Rechtsanwalts-, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, und dem Ordinariat von Frau Djanani geführt haben. Christiana Djanani zeichnet sich durch einen hintergründigen, witzigen Charme aus; dabei ist Frau Djanani nie einer Diskussion ausgewichen und hat sie jederzeit kritisch begleitet. Diese Charaktereigenschaften beseelen auch ihre Schüler, die ich im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität EichstättIngolstadt mit einem kritischen Geist und bestens ausgebildet empfunden habe; einige von ihnen durfte ich als Mitarbeiter in unsere Kanzlei aufnehmen. Die enge Beziehung zu Christiana Djanani wurde auch durch das „Ingolstädter Steuerforum“ weiter vertieft. Bei dieser als offene Gesprächsplattform ausgestalteten Institution können Steuerwissenschaftler und Steuerpraktiker in ungezwungener Atmosphäre einen regen Gedankenaustausch pflegen. Gerade bezüglich dieser Treffen beim Ingolstädter Steuerform erinnere ich mich gerne an die zahlreichen und geistig wertvollen Diskussion mit befruchtenden Anregungen. Christiana Djanani stellte sich im Rahmen dieser Treffen als eine vehemente Verfechterin klarer, verständlicher und für die Steuerpflichtigen handhabbarer Steuergesetzgebungen dar. Dabei vergaß sie nicht, die kritische Diskussion bei Zeiten durch launige Beispiele oder tiefgründig fundierte geschichtliche Kenntnisse aus ihrem Heimatland Österreich zu beleben. Nicht selten wies sie das Auditorium dabei auch auf die Vorteile des österreichischen Steuerstaates für deutsche Investoren hin und pries dessen bessere Strukturiertheit. Ich freue mich auf noch viele dieser Treffen. Ich wünsche Frau Professor Christiana Djanani zu ihrem 60. Geburtstag alles Gute, Glück und Gesundheit und freue mich auch weiterhin auf eine gute, geistig anregende Zusammenarbeit. Dr. Christian Rödl, LL.M., RA, StB Rödl & Partner, Nürnberg
Inhaltsverzeichnis
Über Christiana Djanani................................................................................... Grußwort Oswald Rohrer................................................................................. Grußwort Christian Rödl.................................................................................. Inhaltsverzeichnis ..............................................................................................
VII IX XI XIII
Teil I Das deutsche internationale Steuerrecht Die Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip im Gemeinschaftsrecht und die Folgen für Zinsschranken und Funktionsverlagerungen ....................................
3
Reinhold Beiser
Die Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich als Vorbild für Deutschland?.............................................................................................................
33
Gernot Brähler / Christian Lösel
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung? – Verbleibende Anwendungsfälle und Zweifelsfragen der Hinzurechnungsbesteuerung bei Umwandlungen nach SEStEG, Cadbury Schweppes und JStG 2008 ......................
55
Guido Förster / Dirk Schmidtmann
Besteuerung von Funktionsverlagerungen in Deutschland ......................................
83
Mathias Graf
Die Zinsschranke als Maßnahme zur Sicherung des inländischen Steuersubstrats aus europa- und verfassungsrechtlicher Sicht ................................. 109 Johanna Hey
XIV
Inhaltsverzeichnis
Aktuelle Entwicklungen bei internationalen Einkunftskorrekturmaßstäben – Anmerkungen zur Systematik und Rechtsstellung von § 1 AStG......................... 129 Bert Kaminski̜
Steuerwettbewerb und Zinsabzug: Eine Bestandsaufnahme .................................... 161 Wolfgang Kessler / Daniel Knörzer
Die Organschaft im Spannungsfeld der EG-Grundfreiheiten – Eine Analyse der organschaftlichen Tatbestandsvoraussetzungen ................................................. 177 Heinz Kußmaul / Christoph Niehren̜
Ökonomische und juristische Anmerkungen zu Johann Peter Hebels „Merkwürdiges Rechnungsexempel aus der Regula Societatis“.............................. 205 Franz Jürgen Marx / Erika Simon
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen wegen Funktionsverlagerung ins Ausland?.......................................................................... 225 Dirk Meyer-Scharenberg
Teil II Das internationale Steuerrecht und internationale Steuerplanung Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im Wandel der Zeit .............................. 263 Siegfried Grotherr
Inhaltsverzeichnis
XV
„Treaty Shopping“ bei Einschaltung von Finanzholding-Gesellschaften durch ausländische Investoren im europäischen Ausland im Hinblick auf Investitionen in Deutschland .................................................................................... 281 Wilhelm Haarmann
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen in Bulgarien und in Estland .................................................................................................................. 297 Klaus Dittmar Haase
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen ................................................................................................. 313 Rainer Heurung̜ / Philipp Seidel̜̜
Die Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens – Ein Vergleich unter Bezugnahme auf die aktuelle Standortdiskussion in Europa.......... 363 Peter Hilpold / Walter Steinmair
Internationale Steuerarbitrage................................................................................... 381 Georg Kofler / Herbert Kofler
Der Einfluss der Unternehmensteuerreform 2008 auf die Belastung gewerblicher von Österreich nach Deutschland transferierter Gewinne .................. 405 Norbert Krawitz / Carolin Karthaus
Die TwinCom als internationale Steuerlastgestaltung.............................................. 427 Stephan Kudert / Ivonne Klipstein
XVI
Inhaltsverzeichnis
Zur Problematik der Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten bei Transfer von Wirtschaftsgütern...................................................................................................... 455 Peter Kupsch / Kathrin Schulte-Krumpen
Schweizer Bundesgericht zur DBA-Auslegung ....................................................... 495 Michael Lang̜
Wirkungen der Zinsschranke auf österreichisch-deutsche Konzernstrukturen ........ 505 Erich Pummerer
Outbound-Investitionen und die asymmetrische Berücksichtigung von Gewinnen und Verlusten in europäischen Konzernen.............................................. 533 Corinna Treisch
Teil III Nationale und internationale Erbschaftsbesteuerung Die Folgen des Wegfalls der Erbschaftsteuer in Österreich für grenzüberschreitende Erbfälle nach der Kündigung des Erbschaftsteuer-DBA Deutschland – Österreich.......................................................................................... 567 Katharina Brähler / Carolin Lösel
Vermögensübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nach der Reform durch das Jahressteuergesetz 2008 .............................................................. 597 Martin Lösel
Inhaltsverzeichnis
XVII
Erbschaft- und Schenkungsbesteuerung der ausländischen Familienstiftung .......... 631 Carola Seifried
Erbschaftsteuer – Grundsätzliche Überlegungen und Folgerungen ......................... 655 Jochen Sigloch
Teil IV Internationale Aspekte der betrieblichen Altersversorgung Grenzüberschreitende Mitarbeiterentsendung – Neuerungen bei der Besteuerung der betrieblichen Altersvorsorge.......................................................... 683 Jan Marc Fischer
Deutsch-amerikanisches Doppelbesteuerungsabkommen vom 29. August 1989 – Änderungsprotokoll vom 01. Juni 2006 Hier: Art. 18A – Altersvorsorgepläne .................................................................................................. 713 Rosemarie Portner
Teil V Internationale Rechnungslegung Maßgeblichkeit in Deutschland und Österreich: Historische Entwicklung – Aktuelle Entwicklung – Zukünftige Entwicklung .................................................... 739 Romuald Bertl / Eva Eberhartinger/ Klaus Hirschler
XVIII
Inhaltsverzeichnis
Eine Beurteilung des Regierungsentwurfs zum BilMoG für deutsche Unternehmen anhand einer Analyse der latenten Steuern ........................................ 765 Philipp Brune
Die Prüfung von latenten Steuern im Einzel- und Konzernabschluss in Österreich.............................................................................................................. 783 Rudolf Steckel
Lebenslauf Christiana Djanani......................................................................... Publikationsverzeichnis Christiana Djanani................................................... Autorenverzeichnis ............................................................................................
811 813 825
Teil I: Das deutsche internationale Steuerrecht
Die Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip im Gemeinschaftsrecht und die Folgen für Zinsschranken und Funktionsverlagerungen
Reinhold Beiser
1
Die Einmalerfassung als Gebot der Grundfreiheiten des EG-Vertrages ....... 4
2
Das arm’s length-Prinzip als gemeinschaftsrechtskonformes Instrument der zwischenstaatlichen Gewinnaufteilung ................................. 12
3
Einmalerfassung, arm’s length-Prinzip und Grundfreiheiten des EGVertrages............................................................................................................. 19
4
Zinsschranken .................................................................................................... 25
5
Funktionsverlagerungen.................................................................................... 28
6
Zusammenfassung.............................................................................................. 30
4
Reinhold Beiser
Die Jubilarin ist eine ausgezeichnete Kennerin und Lehrerin des deutschen und des internationalen Steuerrechts (z.B. Djanani, Ch./Brähler, G./Lösel, Ch., German Income Tax/Frankfurt am Main 2007; Djanani, Ch./Hartmann T., Klassische Arbeitsgemeinschaften und virtuelle Unternehmen im internationalen Steuerrecht, in: Grotherr (Hrsg), Handbuch der internationalen Steuerplanung, Berlin 2000, 1207 ff). „Rechtssicherheit ist Prinzipien- oder Regelsicherheit“. (Tipke, K., Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, 141 f; StuW 1981, 189, 194 f). Das Prinzip der Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip lösen viele Fragen des internationalen Steuerrechts regel- und rechtssicher.
1 Die Einmalerfassung als Gebot der Grundfreiheiten des EGVertrages 1.1 Die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten Einkommen- und Körperschaftsteuer fallen als direkte Steuern nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft.1 Die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten ist umfassend angelegt; sie beinhaltet x die Freiheit in der Gestaltung nationaler Ertragsteuern (Gestaltungsautonomie) x die Freiheit in der Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Mitgliedstaaten (Aufteilungsautonomie) und x die Freiheit in der wechselseitigen Koordination nationaler Ertragsteuern im Sinn einer die Grundfreiheiten wahrenden Einmalerfassung (Koordinationsautonomie).
1.2 Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) garantiert x einen „freien Warenverkehr“ (Art 23 ff) x die „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ (Art 39 ff) x das Recht der „freien Niederlassung“ („Niederlassungsfreiheit“) nach Art 43 ff x einen freien Dienstleistungsverkehr (Art 49 ff) und
1
Beiser, R./Zorn, N. in: Mayer (Hrsg), EUV/EGV, Art 94 EGV Rz 25 f; Kahl in: Calliess/Ruffert3, Art 94 EGV Rz 4 und 17; EuGH 11.3.2004, Rs C-9/02 Hughes de Lasteyrie du Saillant, Rz 44; EuGH 18.7.2007, Rs C-231/05 Oy AA, Rz 18 mwH auf die ständige Rechtsprechung.
Die Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip im Gemeinschaftsrecht
5
x die „Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs“ (Art 56 ff). Der Kapital- und Zahlungsverkehr soll nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten (also im Gemeinsamen Markt) frei sein, sondern auch gegenüber Drittstaaten. Zölle, mengenmäßige Beschränkungen von Importen und Exporten sowie nach der Herkunft der Waren diskriminierende Abgaben sind im Gemeinsamen Markt nicht zulässig (Art 3 Abs 1 lit a, 25 ff und 90 EGV). Die Schaffung eines „Binnenmarktes, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist“ (Art 3 Abs 1 lit c EGV) und „ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt“ (Art 3 Abs 1 lit g EGV) sind erklärte Ziele des EG-Vertrages.
1.3 Das Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten des EGV beinhalten neben dem Schutz vor Diskriminierung auch ein allgemeines Beschränkungsverbot, also das Gebot, auch nicht diskriminierende Maßnahmen zu unterlassen, soweit sie die Ausübung der Grundfreiheiten unverhältnismäßig behindern (erschweren).2 Der EuGH führt in seinem Urteil De Coster zu Abgaben, welche die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit berühren, aus: Die Dienstleistungsfreiheit „verlangt nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten -, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeit eines Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern.“3
2
3
Beiser, R./Zorn, N. aaO (FN 1), EUV/EGV, Art 94 EGV Rz 14 f; Cordewener, A., Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht (Köln 2002), 976; Kofler, G., Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht (Wien 2007), 51 bis 55; Schweitzer, M./Hummer, W./Obwexer, W., Europarecht (Wien 2007), 379 ff, Rz 1329 bis 1354. EuGH 29.11.2001, Rs C-17/00 De Coster, Rz 29.
6
Reinhold Beiser
1.4 Die Begrenzung der Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten Die direkten Steuern (Ertragsteuern) fallen nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (= Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten). Die Mitgliedstaaten dürfen ihre Befugnisse im Rahmen dieser Ertragsteuerautonomie jedoch nur „unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben“.4
1.5 Die Einmalerfassung als Ausfluss des Sachlichkeitsgebotes und des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes Wird ein national erwirtschafteter Gewinn von 100 einmal besteuert, so muss dieser Grundsatz der Einmalerfassung ebenso für international erwirtschaftete Gewinne gelten. Das ist ein Ausfluss des Sachlichkeitsgebotes und des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes der Grundfreiheiten des EG-Vertrages: Eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung international erwirtschafteter Gewinne im Vergleich zu einer Einmalerfassung national erwirtschafteter Gewinne ist eine schwerwiegende Schlechterstellung der grenzüberschreitenden Wirtschaft im Vergleich zur Wirtschaft innerhalb nationaler Grenzen. Eine solche Diskriminierung behindert die Ausübung der Grundfreiheiten schwerwiegend und ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Dass ein Gewinn von 100 im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr auf zwei oder mehrere Staaten zur Besteuerung aufzuteilen ist und der Gesamtgewinn anteilig in diesen Staaten nach ihrem Ertragsteuerrecht (und somit in der Regel unterschiedlich) besteuert wird, ist eine Folge der Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten und somit nicht zu beanstanden. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages lassen jedoch eine Diskriminierung grenzüberschreitend erzielter Gewinne durch eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung nicht zu. Eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung verzerrt den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt (Art 3 Abs 1 lit g EGV) und behindert die grenzüberschreitende Wirtschaft schwerwiegend. Über das Sachlichkeitsgebot und das daraus fließende Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot erwächst das ertragsteuerrechtliche Prinzip der Einmalerfassung in den Rang eines von den Grundfreiheiten geschützten Ertragsteuerprinzips: Wird ein Gewinn von 100 grenzüberschreitend erzielt,
4
EuGH aaO (FN 1), Rz 25; nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die Mitgliedstaaten dürfen ihre Befugnisse jedoch nur unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben – siehe z.B. EuGH 18.7.2007, Rs C231/05 Oy AA, Rz 18 (mwN) oder EuGH 11.3.2004, Rs C-9/02 Hughes de Lasteyrie du Saillant, Rz 44 (mwN).
Die Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip im Gemeinschaftsrecht
7
so darf dieser insgesamt nur einmal erfasst (besteuert) werden. Die Grundfreiheiten gewähren Schutz vor x Diskriminierung, x Beschränkung und x Doppel- oder Mehrfachbesteuerung. Die Grundfreiheiten garantieren also positiv x Gleichbehandlung, x Beschränkungsfreiheit und x eine konsistente Einmalerfassung. Die Grundfreiheiten verpflichten jedoch nicht zur Vereinheitlichung der Ertragsteuern; sie anerkennen die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten. Das bedeutet: Ein grenzüberschreitend erwirtschafteter Gewinn von 100 darf ebenso wie ein innerstaatlich erwirtschafteter Gewinn von 100 exakt nur einmal besteuert werden. Der Steuerzugriff zweier oder mehrerer Staaten muss also zwischen diesen Staaten exakt so abgestimmt werden, dass insgesamt nur ein Gewinn von 100 besteuert wird und so die sachlich gebotene Einmalerfassung gewahrt wird. Dass Staat A z.B. seinen Gewinnanteil von 70 nach seinen Ertragsteuerregeln anders besteuert als Staat B seinen Gewinnanteil von 30, ist eine Folge der Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten. Diese Disparitäten in der Ertragsbesteuerung sind somit mit den Grundfreiheiten zu vereinbaren. Eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung grenzüberschreitend erwirtschafteter Gewinne im Vergleich zu einer Einmalerfassung innerstaatlich erwirtschafteter Gewinne ist dagegen eine mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags nicht zu vereinbarende Diskriminierung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs. Das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten des EG-Vertrags verbietet also eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung grenzüberschreitend erwirtschafteter Gewinne und garantiert so die sachlich gebotene Einmalerfassung.5
5
Loukota, H./Jirousek, H., Doppelbesteuerung und Gemeinschaftsrecht, SWI 2007, 295 ff, 301 führen in diesem Sinn treffend aus: „Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt das den Grundfreiheiten des EGV innewohnende Diskriminierungsverbot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerecht-
8
Reinhold Beiser
Art 3 Abs 1 lit c EG-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten zur „Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten“ und Art 3 Abs 1 lit g EG-Vertrag verpflichtet alle Mitgliedstaaten zu einem „System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt“. Doppel- und Mehrfachbesteuerungen grenzüberschreitender Wirtschaftsaktivitäten sind in der Regel nicht zu verkraften und belasten so eine grenzüberschreitende Markteinkommenserzielung schwerwiegend und unverhältnismäßig. Art 293 EGV verpflichtet die Mitgliedstaaten zu Verhandlungen, „um die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen“. Der Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten entspricht es, ihre Besteuerungshoheiten durch wechselseitige Vereinbarungen im Sinn einer freiheitsschonenden und wettbewerbsneutralen Einmalerfassung abzugrenzen und abzustimmen. Der Schutz der Grundfreiheiten ist freilich nicht bis zu einer solchen Feinabstimmung der Mitgliedstaaten ausgesetzt. Die Grundfreiheiten sichern die Marktteilnehmer vor erdrosselnden Doppel- und Mehrfachbesteuerungen sofort und unbedingt: Unsachliche und unverhältnismäßige Belastungen einer grenzüberschreitenden Markteinkommenserzielung sind mit den Freiheitsgarantien des Gemeinsamen Marktes nicht zu vereinbaren. Doppel- und Mehrfachbesteuerungen auf Grund einer mangelnden Feinabstimmung der Ertragsbesteuerung durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten sind jedenfalls unsachlich und unverhältnismäßig und somit mit den Grundfreiheiten im Gemeinsamen Markt nicht zu vereinbaren. Eine wettbewerbsneutrale Einmalerfassung entspricht der Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten ebenso wie dem Schutz des Gemeinsamen Marktes vor Behinderungen des freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und
fertigt ist. Vergleicht man die Situation von Arbeitnehmern, Unternehmern, Dienstleistern und Kapitalanlegern, die grenzüberschreitend im Binnenmarkt der Europäischen Union eine Tätigkeit ausüben, mit der Situation von vergleichbaren Arbeitnehmern, Unternehmern, Dienstleistern und Kapitalanlegern, die einer solchen Tätigkeit ausschließlich im heimatlichen Binnenmarkt ihres Ansässigkeitsstaates nachgehen, dann wird ein Angehöriger der ersten Vergleichsgruppe einer internationalen Doppelbesteuerung unterworfen, von der ein Angehöriger der zweiten Vergleichsgruppe verschont ist. Eine allgemein gültige Rechtfertigung hierfür zu finden wäre absurd. Die Grundfreiheiten des EGV können daher nur so verstanden werden, dass sie ein Verbot der internationalen Doppelbesteuerung beinhalten, wobei dieses Verbot nicht nur die echte (juristische) Doppelbesteuerung, sondern auch die verdeckte (wirtschaftliche) Doppelbesteuerung trifft, falls diese nur international, nicht aber in rein nationalen Besteuerungsfällen eintritt.“
Die Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip im Gemeinschaftsrecht
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Kapitalverkehrs und vor Verfälschungen des Wettbewerbes durch Doppel- und Mehrfachbesteuerungen der grenzüberschreitenden Wirtschaft. Der EuGH fordert auf Basis der Grundfreiheiten des EG-Vertrages die Aufhebung aller Beschränkungen, die geeignet sind, die Ausübung einer grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu unterbinden oder zu behindern: Der EuGH hat eine Abgabe auf Parabolantennen als gemeinschaftsrechtswidrig qualifiziert, weil sie die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Rundfunk- und Fernsehübertragungen unverhältnismäßig erschwert, indem sie die Ausstrahlung von kabelgebundenen Sendungen begünstigt (keine Abgabenbelastung auf Kabelrundfunk und Kabelfernsehen) und die Ausstrahlung per Satelliten durch die Abgabenbelastung des Empfanges mit Parabolantennen benachteiligt.6 Eine ertragsteuerrechtliche Doppel- oder Mehrfachbesteuerung der grenzüberschreitenden Wirtschaft (in Ausübung der Waren-, Personen-, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit) im Vergleich zur Einmalbesteuerung national erwirtschafteter Gewinne (Einkünfte) belastet die internationale Wirtschaft ebenso unverhältnismäßig und führt zu schwerwiegenden Verzerrungen im Wettbewerb zwischen national und international entfalteten Wirtschaftstätigkeiten. Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalbesteuerung (Einmalerfassung) ist ein Gebot einer ungehinderten Ausübung der Grundfreiheiten und eines diskriminierungsfreien Wettbewerbs (Art 3 Abs 1 lit c und g EG-Vertrag).
1.6 Freiheit und Verantwortung der Mitgliedstaaten Die Freiheit der Mitgliedstaaten umfasst die x Gestaltungs-, x Aufteilungs- und x Koordinationsautonomie. Diese Freiheiten der Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten legen die Verantwortung für eine mit den Grundfreiheiten vereinbare Ertragsbesteuerung in die Hand der Mitgliedstaaten. Das wird z.B. durch Art 293 EGV bestätigt, wonach die Mitgliedstaa-
6
EuGH 29.11.2001, Rs C-17/00 De Coster.
10
Reinhold Beiser
ten erforderlichenfalls durch Verhandlungen untereinander ... „– die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft“ sicherstellen. Die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten ist also nicht als Freibrief für Doppeloder Mehrfachbesteuerungen zu verstehen. Der Schutz der Grundfreiheiten gilt auch für die nationalen Ertragsteuern.7 Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen der grenzüberschreitenden Wirtschaft sind jedenfalls eine schwerwiegende Diskriminierung, die den Gemeinsamen Markt in seinem Kern trifft. Wettbewerbsverzerrungen durch Doppeloder Mehrfachbesteuerungen sind in der Regel nicht zu verkraften und somit schwerwiegend. Das Gebot einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung der grenzüberschreitenden Wirtschaft ist ein Gebot der Grundfreiheiten, das die Freiheiten der nationalen Ertragsteuerautonomie begrenzt: Überschreiten die Mitgliedstaaten die Grenze einer konsistenten Einmalerfassung durch Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen, so diskriminieren sie dadurch die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer. Die nationale Besteuerung ist insoweit gemeinschaftsrechtswidrig.
1.7 Die Kompetenz des EuGH Der EuGH schützt die Grundfreiheiten über seine Kompetenz zur Auslegung des EGVertrages (Art 234 EGV). Verletzen Mitgliedstaaten die Grundfreiheiten durch diskriminierende Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen, so hat der EuGH die Kompetenz, solche Besteuerungen als gemeinschaftsrechtswidrig zu qualifizieren. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes schützt die Steuerpflichtigen vor diskriminierenden Steuerzugriffen. Der EuGH hat nicht die Kompetenz, Streitigkeiten über Doppelbesteuerungsabkommen zu entscheiden.8 Das ist zum Schutz der Grundfreiheiten und einer konsistenten Einmalerfassung nicht erforderlich: Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen verstoßen jedenfalls gegen die Grundfreiheiten. Jede Besteuerung, die über eine konsistente Einmalerfassung hinausgeht, ist somit gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig. Der EuGH muss nicht die Frage lösen, welche Mitgliedstaaten ihre Besteuerung im Sinn einer konsistenten Einmalerfassung zurücknehmen müssen. Diese Frage zu lösen, fällt in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Das Diskriminierungsverbot der Grund7 8
EuGH aaO (FN 1). EuGH 6.12.2007, Rs C-298/05 Columbus Container Services BVBA & Co, Rz 46 und 47.
Die Einmalerfassung und das arm’s length-Prinzip im Gemeinschaftsrecht
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freiheiten und das daraus fließende Gebot einer konsistenten Einmalerfassung gilt dagegen ab Inkrafttreten des EG-Vertrages unbedingt. Art 293 EGV setzt den Schutz der Grundfreiheiten nicht aus, bis die Mitgliedstaaten Wege einer konsistenten Einmalerfassung gefunden und vereinbart haben. Die Grundfreiheiten verbieten diskriminierende und wettbewerbsverzerrende Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen seit Inkrafttreten des EG-Vertrages ausnahmslos und unbedingt. Der EuGH hat die Kompetenz, über die Einhaltung des EG-Vertrages zu wachen (Art 234 EGV).
1.8 Die Angemessenheit/Verhältnismäßigkeit der Einmalerfassung Die Einmalerfassung begrenzt die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten angemessen und ausgewogen: Ist eine Einmalerfassung national erwirtschafteter Gewinne sachlich geboten, so ist die Schranke einer Einmalerfassung auch für international erwirtschaftete Gewinne ein Gebot der Sachlichkeit. Eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung ist ertragsteuerrechtlich weder für national noch für international erwirtschaftete Gewinne sachlich zu rechtfertigen. Die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten reicht weit in ihren Formen der x Gestaltungs-, x Aufteilungs- und x Koordinationsautonomie. Eine schrankenlose Ertragsteuerautonomie ist weder notwendig noch angemessen: Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, der den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt (Art 3 Abs 1 lit g EGV), ist nur möglich, wenn alle im Gemeinsamen Markt erwirtschafteten Gewinne konsistent einmal ertragsteuerrechtlich erfasst werden. Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen international erwirtschafteter Gewinne erschweren die Ausübung der Grundfreiheiten jedenfalls unverhältnismäßig.
1.9 Die Einmalerfassung als Garant größtmöglicher Freiheit Die Unterschiedlichkeit der nationalen Ertragsteuern lässt sich mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages nur vereinbaren, soweit eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung gewährleistet ist. Eine konsistente Einmalerfassung ist eine notwendige Bedingung der Grundfreiheiten (deren Sachlichkeitsgebot und Diskriminierungs-
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und Beschränkungsverbot) und ein Garant größtmöglicher Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten: Die Unterschiedlichkeit der Ertragsteuern in den einzelnen Mitgliedstaaten ist für einen gemeinsamen Markt nur erträglich, soweit eine konsistente Einmalerfassung sichergestellt ist. Wettbewerbsverzerrungen durch ertragsteuerrechtliche Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen sind jedenfalls schwerwiegend und unverhältnismäßig. Die Mitgliedstaaten sollten ihre Verantwortung für eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung wahrnehmen.
2 Das arm’s length-Prinzip als gemeinschaftsrechtskonformes Instrument der zwischenstaatlichen Gewinnaufteilung 2.1 Fremdvergleichspreise im Sinn des arm’s length-Prinzips entsprechen den Grundfreiheiten des EG-Vertrages Fremdvergleichspreise i.S.d. arm’s length-Prinzips und i.S.d. Funktionsnutzentheorie9 sichern eine systemkonsistente Ertragsbesteuerung im Verhältnis zwischen verschiedenen Staaten, in denen das Markteinkommen geschaffen wird. Gewinne und Verluste werden folgerichtig auf Stammhaus- und Betriebsstättenstaat oder auf Produktionsund Absatzstaaten aufgeteilt. (Simulierte) Fremdvergleichspreise zielen auf maximale Annäherung an die tatsächlichen Marktverhältnisse. Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage wirkt so auf die Ertragsteuerbemessungsgrundlagen. Der freie Wettbewerb im Gemeinsamen Markt wird nicht behindert, sondern ertragsteuerrechtlich nachvollzogen.10 Die grenzüberschreitende Konsistenz der Besteuerung wird gewahrt und mit den Erfordernissen eines freien Marktes synchronisiert.
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Zur Funktionsnutzentheorie siehe z.B. Becker, H., Die Besteuerung von Betriebsstätten, DB 1989, 10 ff und Funktionsnutzen oder Erwirtschaftungsgrundsatz – Wege zur Ermittlung des zutreffenden Betriebsstättenergebnisses, DB 1990, 392 ff; Beiser, R., Die grenzüberschreitende Finanzierung von Betriebsstätten aus der Sicht des arm’s length-Prinzips, IStR 1992, 7 ff; vgl auch Klapdor, R., Grundsätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83 ff. Ebenso Kofler, G., Doppelbesteuerungsabkommen, 897: „Fremdvergleichspreise zielen nämlich gerade auf eine maximale Annäherung an die tatsächlichen Marktverhältnisse ab, wodurch der freie Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht behindert, sondern lediglich ertragsteuerrechtlich nachvollzogen wird.“
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2.2 Preisbandbreiten sind marktkonform Die Autonomie der Marktteilnehmer (das freie Spiel von Angebot und Nachfrage) führt in der Regel zu einer Bandbreite von marktkonformen Preisen. Innerhalb dieser Preisbandbreiten festgesetzte Preise sind von den Finanzverwaltungen in der Regel zu akzeptieren. Dies entspricht der Überlegung, dass innerhalb der letztlich maßgebenden Bandbreite jeder Preis dem Fremdvergleich entspricht und eine Rechtsgrundlage für eine Gewinnkorrektur nur insoweit besteht, als eine Abweichung vom Fremdvergleichspreis festgestellt werden kann. Da die Ermittlung der Fremdvergleichspreise (Bandbreiten) regelmäßig nicht Sache des Steuerpflichtigen ist, können Unsicherheiten bei seiner Ermittlung weder zu seinen Lasten gehen noch eine Reduzierung des Beweismaßes auslösen.11 Die Grundfreiheiten/Marktfreiheiten des EG-Vertrages (freier Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit) begrenzen die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten und münden in ein umfassendes Verbot einer steuerlichen Benachteiligung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs: Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages beinhalten neben dem Schutz vor Diskriminierung auch ein allgemeines Beschränkungsverbot, also das Gebot auch nicht diskriminierende Maßnahmen zu unterlassen, wenn sie eine Behinderung der Marktfreiheiten darstellen.12 Verbindet man die Grundfreiheiten des EGVertrages und die dadurch garantierte Privatautonomie mit der Angemessenheit von Verrechnungspreisen innerhalb gewisser Bandbreiten, so bedeutet das in der praktischen Anwendung: Die Marktteilnehmer dürfen die Verrechnungspreise innerhalb der Bandbreiten angemessener Preise frei bestimmen. Dem territorialen Steuerzugriff sind insoweit Grenzen gesetzt. Die Bandbreiten angemessener Preise erhöhen den Gestaltungsspielraum der Marktteilnehmer und begrenzen staatliche Steuerzugriffe.
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BFH 17.10.2001, I R 103/00, BStBl 2004 II 171 = BB 2001, 2451 ff (2456): Das Finanzgericht (als Tatsachenfeststellungsinstanz) „muss bei der Ermittlung des ‚fremdüblichen’ Preises allerdings beachten, dass es häufig für die betreffende Leistung nicht ‚den’ Fremdvergleichspreis, sondern eine Bandbreite von Preisen geben wird. In einem solchen Fall ist bei der Berechnung der verdeckten Gewinnausschüttung von dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Vergleichspreis auszugehen“. Ebenso BFH 6.4.2005, I R 22/04, BB 2005, 1721 f (1722). EuGH aaO (FN 6).
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2.3 Beispiele für die Harmonie der Fremdvergleichskonzeption nach dem arm’s length-Prinzip mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages Das arm’s length-Prinzip und der damit verbundene Fremdvergleich/Drittvergleich fügen sich harmonisch in die Grundfreiheiten des EG-Vertrages und die dadurch garantierte Privatautonomie der Marktteilnehmer.
2.3.1 Beispiel 1: Realisierung stiller Reserven im Anlagevermögen Eine Maschine wird um 100.000 € für das Stammhaus angeschafft. Nach drei Jahren hat sie einen Restbuchwert von 40.000 €. Der Fremdvergleichspreis liegt jedoch bei 50.000 €. Im Stammhausstaat sind also durch Abschreibungen 10.000 € stille Reserven geschaffen worden. Wird die Maschine nun in eine ausländische Betriebsstätte verbracht, so sichert der Ansatz des Fremdvergleichspreises die Erfassung der stillen Reserven exakt in jenem Staat, dessen Ertragsteuern durch Abschreibungen gemindert worden sind: Der Abschreibungsvorteil wird zu Gunsten des Staates gewinnwirksam korrigiert, der den Abschreibungsvorteil gewährt hat. Im Betriebsstättenstaat wird die Maschine mit den (fiktiven) Anschaffungskosten in Höhe von 50.000 € auf die Restnutzungsdauer abgeschrieben. Dadurch wird sichergestellt, dass die Ertragsteuerbemessung im Restnutzungsstaat um den tatsächlichen Wertverzehr gemindert wird. Das Realisationsprinzip kann gegen den Ansatz von Fremdvergleichspreisen nicht stichhaltig eingewendet werden: Das Realisationsprinzip fordert Abschreibungen entsprechend dem tatsächlichen Wertverzehr. Werden überhöhte Abschreibungen anlässlich eines Grenzübertrittes auf den tatsächlich eingetretenen Wertverzehr zurückgeführt, so widerspricht dies dem Realisationsprinzip nicht.13
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Anderer Auffassung Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht2 (Köln 1998), 1181 f, Rz 18.43 ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Loukota, W., § 6 Z 6 EStG und Niederlassungsfreiheit, SWI 2001, 67 ff; Aigner, H., Gemeinschaftsrechtliche Fragen der Überführung von Wirtschaftsgütern und der Wegzugsbesteuerung, ÖStZ 2002/696, 398 ff, 401 ff; das deutsche BMF lässt dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen Fremdvergleichspreisrealisierung im Zeitpunkt des Grenzübertrittes oder Steueraufschub bis zum Ausscheiden des Anlagegutes (BStBl 1990 I 72). Vgl auch Mayr, G., in: Doralt, W., EStG-Kommentar, § 6 EStG Rz 378 ff (Stand 1.9.2001) und weiters die umfassende
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2.3.2 Beispiel 2: Realisierung von Verlusten im Anlagevermögen Liegt der Fremdvergleichspreis der Maschine im Zeitpunkt des Grenzübertrittes unter ihrem Restbuchwert (z.B. Restbuchwert 40.000 €; Fremdvergleichspreis 30.000 €), so ist die Verlustrealisierung ebenfalls konsequent: Der Nachholbedarf an Abschreibungen trifft den Staat, der durch zu geringe Abschreibungen bis zum Grenzübertritt überhöhte Ertragsteuern vorgeschrieben hat. Im Restnutzungsstaat wird nur der tatsächliche Wertverzehr von 30.000 € abgeschrieben.
2.3.3 Beispiel 3: Gewinne und Verluste aus Umlaufvermögen und sonstigen Leistungen Wird im Produktionsstaat zu überhöhten Kosten produziert, so ist es nach der Funktionsnutzentheorie14 konsequent, den Produktionsstaat mit diesen Produktionsverlusten zu belasten. Werden z.B. Autos um 50.000 € Stückkosten produziert, im Ausland jedoch nur um 43.000 € Stückerlös abzüglich 3.000 € Vertriebskosten abgesetzt, so ist der Stückverlust von 10.000 € dem Produktionsstaat zu belasten. Im Vertriebsstaat kann dennoch ein Vertriebserlös von 3.000 € erfasst werden.15 Wird dagegen mit Gewinn produziert, so ist der Produktionsgewinn ebenso konsequent im Produktionsstaat zu erfassen (z.B. 10.000 € Roh-Stückgewinn aus der Produktion; 3.000 € Roh-Vertriebsgewinn).
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Untersuchung von Kessler, W./Huck, F., Grenzüberschreitender Transfer von Betriebsvermögen, StuW 2005, 193 ff. Zur Funktionsnutzentheorie siehe z.B. Becker, H., Die Besteuerung von Betriebsstätten, DB 1989, 10 ff und Funktionsnutzen oder Erwirtschaftungsgrundsatz – Wege zur Ermittlung des zutreffenden Betriebsstättenergebnisses, DB 1990, 392 ff; Beiser, R., Die grenzüberschreitende Finanzierung von Betriebsstätten aus Sicht des arm’s length-Prinzips, IStR 1992, 7 ff. Siehe ebenso Mössner, J., Wegzugsbesteuerung, in: Steuerberater-Jahrbuch 2004/2005, Köln 2005, 109 ff, 148.
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2.3.4 Zwischenergebnis: Die Konsistenz des arm’s length-Prinzips Fremdvergleichspreise im Sinn des arm’s length-Prinzips und im Sinn der Funktionsnutzentheorie sichern eine systemkonsistente Ertragsbesteuerung im Verhältnis zwischen verschiedenen Staaten, in denen das Markteinkommen geschaffen wird. Gewinne und Verluste werden folgerichtig aufgeteilt. (Simulierte) Fremdvergleichspreise zielen auf eine maximale Annäherung an die tatsächlichen Marktverhältnisse.16 Das freie Spiel von Angebot und Nachfrage wirkt so auf die Ertragsteuerbemessungsgrundlagen. Der freie Wettbewerb im Gemeinsamen Markt wird so nicht behindert, sondern ertragsteuerrechtlich nachvollzogen. Die Systemkonsistenz der Besteuerung wird so gewahrt und mit den Erfordernissen eines freien Marktes synchronisiert.
2.4 Der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung 2.4.1 Kommissionär, Kommissionsagent und Vertragshändler „Kommissionär ist, wer es gewerbsmäßig übernimmt, Waren oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) in eigenem Namen zu kaufen oder zu verkaufen.“ (§ 383 HGB) „Der Kommissionsagent ist als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut, Waren zu kaufen oder zu verkaufen. Der Kommissionsagent verbindet also Züge des Kommissionärs (er kauft bzw verkauft im eigenen Namen als mittelbarer Stellvertreter) mit Zügen des Handelsvertreters (er ist ständig mit der Aufgabe betraut, Geschäfte für fremde Rechnung abzuschließen).“17 „Vom Vertragshändler unterscheidet sich der Kommissionsagent durch das geringere Risiko.“18 Ein Vertragshändler ist Eigenhändler: Er verkauft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Er trägt somit das Risiko, nicht/nicht so rasch oder nicht zum erhofften Preis absetzen zu können. Im Gegensatz zu anderen Eigenhändlern sind Vertragshändler (ebenso wie Kommissionsagenten) „fest in ein Vertriebssystem eingebunden“.19 16
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Zur Bandbreite von Preisen, innerhalb derer sich angemessene Fremdvergleichspreise bewegen und den daraus entstehenden Gestaltungsspielräumen der Marktteilnehmer siehe BFH 6.4.2005, I R 22/04, BB 2005, 1721 ff, 1722; 17.10.2001, I R 103/00, BStBl 2004 II 171, BB 2001, 2451 und hier oben in Abschnitt 2.2.2. Schmidt, K., Handelsrecht5, (Köln 1999), 757. Schmidt, K., aaO (FN 17), 757. Isensee, T., Die Ermittlung des Verrechnungspreises bei Konzernvertriebsunternehmen, IStR 2001, 693.
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2.4.2 Der Besteuerungsaufschub bis zum Realisationsakt mit Dritten Schiebt der Produktionsstaat seine Ertragsbesteuerung bis zum Absatz an Fremde/Dritte auf, so wird die Vertriebsbetriebsstätte in ihrer Funktion auf einen Kommissionsagenten reduziert: Der Kommittent trägt das Risiko, ob, wann und zu welchem Preis sein Produkt an Dritte abgesetzt werden kann. Der Kommissionär hat nur einen Anspruch auf Provision (§ 396 HGB). Schiebt das Produktionsunternehmen die Gewinnrealisierung bis zum Absatzakt im Vertriebsstaat hinaus, so nimmt das Produktionsunternehmen die Funktion eines Kommittenten im Verhältnis zu seiner Vertriebsbetriebsstätte ein. Dieser Funktion entspricht im Fremdvergleich die Abgeltung der Vertriebsleistung mit einer fremdüblichen Kommissionärsprovision.20 Es wäre inkonsistent, nach Art eines Kommittenten mit der Erlösrealisierung bis zum Absatz an Dritte zu warten und der Vertriebsbetriebsstätte dennoch einen Erlösanspruch in der Höhe eines Vertragshändlers einzuräumen. Damit würde der Vertriebsbetriebsstätte ein Risiko entgolten, welches das Stammhaus getragen hat. Das entspricht nicht einem Fremdvergleich im Sinn der Funktionsnutzentheorie.21
2.4.3 Die Privatautonomie Es steht dem Unternehmer frei, seinem Stammhaus die Funktion eines Kommittenten und seinen Vertriebsstätten die Funktion eines Kommissionärs oder Kommissionsagenten im unternehmensinternen Leistungsaustausch (über nationale Grenzen) einzuräumen. Ebenso liegt es in der freien Entscheidung des Unternehmers, seine Vertriebsstätten in ihrer Funktion als Vertragshändler auszugestalten. Diese Gestaltungsfreiheit hat der Unternehmer auch im Verhältnis zu Fremden/Dritten: Er kann sich seine Vertragspartner aussuchen und deren Funktion als z.B. Handelsvertreter, Kommissionär, Kommissionsagent oder Vertragshändler frei vereinbaren. Dieselbe Gestaltungsfreiheit kann der Unternehmer auch im Verhältnis zu eigenen Vertriebsstätten nutzen. Der Fremdvergleich im Sinn des arm’s length-Prinzips fordert nur eine konsistente/funktionsnutzengerechte Umsetzung.
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Siehe dazu auch Faix, F./Wangler, C., Steuerliche Risiken anlässlich eines Wechsels einer deutschen Tochterkapitalgesellschaft vom Vertragshändler zum Kommissionär, IStR 2001, 65 ff; Isensee, T., Die Ermittlung der Verrechnungspreise bei Konzernvertriebsunternehmen, IStR 2001, 693 ff sowie Scheffler, W./Eickhorst, D., Funktionsverlagerung in das Ausland: Einschränkung der steuerlichen Vorteile durch Auflösung von stillen Reserven?, BB 2004, 818 ff. Becker, H., Die Besteuerung von Betriebsstätten, DB 1989, 10.
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2.5 Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages münden in die Privatautonomie der Marktteilnehmer 2.5.1 Das arm’s length-Prinzip und eine funktionsnutzengerechte Gewinnaufteilung und Gewinnrealisierung sind gemeinschaftsrechtskonform Die Grundfreiheiten des EGV garantieren die Privatautonomie/Gestaltungsfreiheit der Marktteilnehmer (Unternehmer, Arbeitnehmer, Konsumenten). Das arm’s lengthPrinzip korrespondiert mit dieser grundlegend verankerten Privatautonomie: Weder die nationalen Finanzverwaltungen noch der EuGH oder sonstige Gemeinschaftsorgane haben dem Unternehmer vorzuschreiben, wie er Stammhaus und Betriebsstätten oder Mutter- und Tochtergesellschaften in ihren Marktfunktionen auszugestalten hat. Darüber entscheidet der Unternehmer; die funktionale Ausgestaltung seiner (auf mehrere Staaten verteilten) Unternehmensteile (Stammhaus und Betriebsstätten) oder Mutter- und Tochtergesellschaften liegt in seiner freien Gestaltung. Das arm’s lengthPrinzip knüpft an die (vom Unternehmer frei gewählte und tatsächlich umgesetzte) Funktionsgestaltung an und richtet die Ertragsbesteuerung an einer funktionsgerechten Aufwands- und Erlösaufteilung aus.
2.5.2 Der Fremdvergleich sichert maximale Privatautonomie Das arm’s length-Prinzip und eine funktionsnutzengerechte Gewinnaufteilung zur Abgrenzung der Ertragsteueransprüche verschiedener Staaten entsprechen der Privatautonomie der Marktteilnehmer und den Grundfreiheiten des EGV. Eine funktionsnutzengerechte Gewinnrealisierung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften, zwischen Stammhaus und Betriebsstätten und zwischen Aktivitäten (Lieferungen und sonstigen Leistungen) auf zwei, drei oder mehreren Märkten ist gemeinschaftsrechtskonform: Die Notwendigkeit einer Abgrenzung der Ertragsteuerzugriffe mehrerer Staaten wird mit der Garantie maximaler Privatautonomie der Marktteilnehmer verbunden.
2.5.3 Bandbreiten angemessener Verrechnungspreise erhöhen die Privatautonomie der Marktteilnehmer „Vorbehaltlich einer anderen Beweisrisikoverteilung muss sich eine Schätzung an dem für den Steuerpflichtigen günstigeren Ober- oder Unterwert der Bandbreite von Fremdvergleichspreisen orientieren. Dies entspricht der Überlegung, dass innerhalb der letztlich maßgebenden Bandbreite jeder Preis dem Fremdvergleich entspricht und
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eine Rechtsgrundlage für eine Gewinnkorrektur nur insoweit besteht, als eine Abweichung vom Fremdvergleichspreis festgestellt werden kann. Da die Ermittlung des Fremdvergleichspreises (Bandbreiten) regelmäßig nicht Sache des Steuerpflichtigen ist, können Unsicherheiten bei seiner Ermittlung weder zu seinen Lasten gehen noch eine Reduzierung des Beweismaßes auslösen.“22 Die Grundfreiheiten/Marktfreiheiten des EG-Vertrages (freier Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit) begrenzen die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten und münden in ein umfassendes Verbot einer steuerlichen Benachteiligung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs.23 Die Marktfreiheiten des EG-Vertrages beinhalten neben dem Schutz vor Diskriminierung auch ein allgemeines Beschränkungsverbot24, also das Gebot, auch nicht diskriminierende Maßnahmen zu unterlassen, wenn sie eine Behinderung der Marktfreiheiten darstellen.25 Verbindet man die Grundfreiheiten des EG-Vertrages und die dadurch garantierte Privatautonomie mit der Angemessenheit von Verrechnungspreisen innerhalb gewisser Bandbreiten, so bedeutet das in der praktischen Anwendung: Die Marktteilnehmer dürfen die Verrechnungspreise innerhalb der Bandbreiten angemessener Preise frei bestimmen. Dem territorialen Steuerzugriff sind insoweit Grenzen gesetzt. Die Bandbreiten angemessener Preise erhöhen den Gestaltungsspielraum der Marktteilnehmer und begrenzen staatliche Steuerzugriffe.
3 Einmalerfassung, arm’s length-Prinzip und Grundfreiheiten des EG-Vertrages 3.1 Die Rangordnung der Prinzipien Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages liegen in der Werteordnung der Besteuerungsprinzipien an oberster Stelle: Das aus den Grundfreiheiten fließende Sachlichkeitsge22
23 24
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BFH 17.10.2001, I R 103/00, BB 2001, 2451 ff, 2456; BStBl 2004 II 171, 176 f; ebenso BFH 6.4.2005, I R 22/04, BB 2005, 1721 ff, 1722: Das Finanzgericht (als Tatsachenfeststellungsinstanz) „muss bei der Ermittlung des ‚fremdüblichen’ Preises allerdings beachten, dass es häufig für die betreffende Leistung nicht ‚den’ Fremdvergleichspreis, sondern eine Bandbreite von Preisen geben wird. In einem solchen Fall ist bei der Berechnung der verdeckten Gewinnausschüttung von dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Vergleichspreis auszugehen“ (BFH 17.10.2001, I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl 2004 II 171). Beiser, R./Zorn, N. in: Mayer (Hrsg), Kommentar EUV/EGV, Art 90 EGV, Rz 13. Siehe dazu ausführlich Beiser, R./Zorn, N., aaO (FN 23), Art 90 EGV, Rz 11 ff – „Vom Diskriminierungsverbot zum Beschränkungsverbot“. Beiser, R./Zorn, N., aaO (FN 23), Art 90 EGV, Rz 14; Cordewener, A., aaO (FN 2), 976.
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bot und die Verbote der Diskriminierung und Beschränkung begrenzen die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten. Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung der grenzüberschreitenden Wirtschaft ist eine notwendige Folge des grundfreiheitlichen Sachlichkeitsgebotes26, Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes27. Das arm’s length-Prinzip harmoniert mit den Grundfreiheiten und kann eine konsistente Einmalerfassung sichern, soweit die beteiligten Mitgliedstaaten ihre Ertragsbesteuerung auf abgestimmte arm’s length-Preise koordinieren. Das arm’s length-Prinzip setzt also eine Koordination der Mitgliedstaaten voraus. Setzt jeder Mitgliedstaat vom anderen abweichende Verrechnungspreise fest, so wird eine konsistente Einmalerfassung verfehlt. Das Instrument des arm’s length-Prinzips setzt auf einander abgestimmte Verrechnungspreise voraus, soll eine konsistente Einmalerfassung erreicht werden.
3.2 Die Pflicht zur Koordination Die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten beinhaltet auch die Koordinationsautonomie: Es steht den Mitgliedstaaten frei, wie (auf welchem Weg) sie ihre Ertragsteuern in Gesetzgebung und Vollziehung auf einander abstimmen (koordinieren), um eine konsistente Einmalerfassung zu erreichen. Doppelbesteuerungsabkommen, Rechtshilfe und Informationsaustausch sowie Verständigungs- und Schiedsverfahren sind dazu beispielsweise ebenso geeignet wie verbindliche gemeinsame Festlegungen von Verrechnungspreisen.28 Die Mitgliedstaaten sind in der Art und Weise der Umsetzung einer konsistenten Einmalerfassung frei (Koordinationsautonomie). Die Grundfreiheiten zwingen zu einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung: Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen der grenzüberschreitenden Wirtschaft sind sachlich nicht gerechtfertigt, diskriminieren die internationale Wirtschaft und behindern die Ausübung der Grundfreiheiten unverhältnismäßig. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages verpflichten die Mitgliedstaaten zur konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung. Diskriminierungen über Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen sind mit den
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Zum Gleichheitssatz als Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts siehe z.B. Beiser, R./Zorn, N. in: Mayer (Hrsg), EUV/EGV, Art 90 EGV Rz 16 (mit Nachweisen in der Rechtsprechung des EuGH); VwGH 24.9.2007, EU 2007/2008, IStR 2007, 781. Vgl auch Schröder, W., Das Gemeinschaftsrechtssystem, (Tübingen 2002), 283 ff, zu den drei Stufen der Konkretisierung des Gemeinschaftsrechts in - Zielen, - Prinzipien und - Regeln. Zu Advance Pricing Agreements (APA) siehe z.B. Kramer, J., APA-Vorabverständigungsverfahren und Vorabzusagen über Verrechnungspreise, IStR 2007, 174 ff.
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Grundfreiheiten nicht zu vereinbaren. Das aus den Grundfreiheiten fließende Gebot einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Koordination ihrer Ertragsbesteuerung, um eine konsistente Einmalerfassung zu sichern.
3.3 Die Kompetenz des EuGH Der EG-Vertrag lässt den Mitgliedstaaten die Art und Weise der zur Einmalerfassung notwendigen Ertragsteuerkoordination frei (Koordinationsautonomie). Der EuGH hat deshalb nicht die Kompetenz, den Mitgliedstaaten einen bestimmten Weg der Koordination vorzuschreiben. Der EuGH hat jedoch die Kompetenz, eine Verletzung der Grundfreiheiten als gemeinschaftsrechtswidrig zu erkennen (Art 234 EGV).
3.4 Die Überschneidung einer Verletzung der Grundfreiheiten mit andern Völkerrechtsverletzungen Setzt sich ein Mitgliedstaat über ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) hinweg, so liegt in einem solchen Vertragsbruch eine Völkerrechtsverletzung. Der EuGH hat nicht die Kompetenz, über die Einhaltung von DBA zu entscheiden.29 Setzt sich also ein Mitgliedstaat über arm’s length-Verrechnungspreise hinweg, obwohl ein DBA das arm’s length-Prinzip zur grenzüberschreitenden Koordination der Ertragsteuern verankert, so hat der EuGH nicht die Kompetenz, über das DBA zu entscheiden oder arm’s length-Verrechnungspreise verbindlich festzusetzen. Der EuGH hat jedoch die Kompetenz, eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung auf Grund ihres Verstoßes gegen die Grundfreiheiten als gemeinschaftsrechtswidrig zu erkennen. Der EuGH muss also nicht die Frage angemessener Verrechnungspreise lösen (dazu fehlt die Kompetenz). Der EuGH hat lediglich eine festgestellte Doppelbesteuerung als gemeinschaftsrechtswidrig zu erklären. Beispiel: Für eine grenzüberschreitende Lieferung oder sonstige Leistung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder zwischen Mutter und Tochter ist ein Preis von X abgerechnet worden. Der eine Staat, aus dem die Leistung erbracht wird, möchte X + 20 besteuern, der andere dagegen X – 50. Die daraus resultierende Doppelbesteuerung ist offenkundig. 29
EuGH 6.12.2007, Rs C-298/05 Columbus Container Services BVBA & CO, Rz 46 und 47.
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Der EuGH muss nicht feststellen, ob ein gültiges DBA vorliegt und welche Preisbandbreiten im Anlassfall dem arm’s length-Prinzip entsprechen. Der EuGH hat die Verletzung der Grundfreiheiten durch eine EG-vertragswidrige Doppelbesteuerung aufzugreifen und als gemeinschaftsrechtswidrig zu erklären. Es ist dann Sache der Mitgliedstaaten, ihrer Koordinationspflicht zur Einmalbesteuerung nachzukommen und so eine konsistente Einmalerfassung zu sichern. Solange die Mitgliedstaaten dieser Koordinationspflicht nicht entsprechen, steht der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts30 der nationalen Ertragsbesteuerung entgegen. Nur eine konsistente grenzüberschreitende Einmalerfassung entspricht den Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Die Grundfreiheiten zwingen so zu einer faktisch effizienten31 Einmalerfassung: Soweit die Mitgliedstaaten eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung nicht lückenlos ausräumen, hindert der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes die Ertragsbesteuerung auf Ebene der Mitgliedstaaten.
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EuGH 15.7.1964, Rs C-6/64 Costa/E.N.E.L, Slg 1964, 1251, 1269; 9.3.1978, Rs C-106/77 Simmenthal (II), Slg 1978, 629, Rz 17 und 18; 19.6.1990, Rs C-213/89 Factortame, Slg 1990, I-2433, Rz 18; Schweitzer, M./Hummer, W./Obwexer, W., Europarecht (Wien 2007), Rz 180 ff; Kofler, G., Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht (Wien 2007), 265 ff, 268. VfGH 11.12.1986, G 119/86, VfSlg 11.196: Nach der Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes „gipfelt der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, dass nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden. Der Gerichtshof bleibt auch bei der im Einleitungsbeschluß an diese Umschreibung geknüpften Annahme, dass die hier unabdingbar geforderten Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. Zunächst ist hiezu die Klarstellung geboten, dass von faktischer Effizienz deshalb die Rede ist, weil unter Effizienz allein unter Umständen bloß das letzten Endes bewirkte Erreichen einer Entscheidung rechtsrichtigen Inhalts durch das Ergreifen von Rechtsbehelfen verstanden werden könnte, nicht aber auch die mitgemeinte Umsetzung einer solchen Entscheidung in den Tatsachenbereich. ‚Schutz’ als Teilaspekt des Ausdrucks ‚Rechtsschutz’ ist auf den Rechtsunterworfenen bezogen und meint nicht zuletzt die – rechtzeitige – Wahrung und Gewährleistung einer faktischen Position, weshalb Rechtsschutzeinrichtungen diesen Zweck notwendig in sich schließen. Der VfGH hält im Hinblick auf diesen Inhalt des Begriffes Rechtsschutzeinrichtung, mithin insbesondere des Begriffes Rechtsbehelf, auch an der Ansicht fest, dass es nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang allerdings nicht nur seine Position, sondern auch – Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie schließlich das öffentliche Interesse. Der Gesetzgeber hat unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist. Auf welche Weise dieser Ausgleich vom Gesetzgeber vorgenommen wird, lässt sich – wie aus den vorstehenden Ausführungen folgt – nicht allgemein sagen.“. Zum Gebot effektiven Rechtsschutzes als Ausfluss der Rechtsstaatlichkeit siehe auch Sachs, M., in: Sachs, Grundgesetz3, (München 2002), Art 20 Rz 162 und 164.
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Die Ertragsbesteuerung der Mitgliedstaaten wird durch den grundfreiheitlichen Zwang zur Einmalbesteuerung nicht unverhältnismäßig begrenzt. Im angeführten Beispiel ist eine Besteuerung durch beide beteiligten Mitgliedstaaten auf Basis des erklärten Verrechnungspreises X nicht zu beanstanden: Dieser erklärte Preis entspricht der Markteinschätzung des (der) Steuerpflichtigen und somit einer Abgabenerklärung unter Wahrheitszwang. Dass beide Finanzverwaltungen diesen Verrechnungspreis zu ihren Gunsten ändern wollen, spricht nicht gegen die Richtigkeit einer Selbsteinschätzung erklärungspflichtiger Marktteilnehmer. Besteuerungswillkür durch Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen ist in einem Rechtsstaat nicht hinzunehmen. Wollen nationale Finanzverwaltungen von wahrheitsgemäß (nach bestem Wissen) erklärten Verrechnungspreisen abweichen, so entspricht es einer grundfreiheitenkonformen Einmalerfassung, dass sich die beteiligten nationalen Finanzverwaltungen zunächst einmal selbst über angemessene Verrechnungspreise ins Einvernehmen setzen und erst nach der Herstellung dieses Einvernehmens über zur Einmalerfassung abgestimmte Verrechnungspreise ihre Ertragsteuern korrigieren. Andernfalls wären die grenzüberschreitend tätigen Steuerpflichtigen nationaler Steuerwillkür ausgesetzt.
3.5 Die Grundfreiheiten garantieren einen effizienten Rechtsschutz der Einmalerfassung Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen verletzen die Grundfreiheiten. Der EuGH hat die Kompetenz, Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen auf Grund ihrer Verletzung des Sachlichkeitsgebotes und des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes als gemeinschaftsrechtswidrig zu erkennen (Art 234 EGV). Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes schließt insoweit nationale Ertragsteuern aus. Der Grundsatz einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung wird so durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrages effizient32 geschützt.
3.6 Der Koordinationsdruck der Grundfreiheiten Wollen Mitgliedstaaten wahrheitsgemäß (nach bestem Wissen) erklärte Verrechnungspreise ändern, müssen sie sich zunächst auf zur konsistenten Einmalerfassung abgestimmte Verrechnungspreise einigen, ehe sie ihre Ertragsteuern abweichend von den Erklärungen (unter Wahrheitszwang) ändern dürfen. Die Grundfreiheiten schützen 32
Siehe dazu (FN 31).
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so effizient vor Doppel- oder Mehrfachbesteuerung. Das Änderungsrisiko liegt insoweit bei den Mitgliedstaaten. Der Zwang der Grundfreiheiten zur konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung erzeugt so einen Druck zur Koordination der Ertragsteuern und insbesondere zur Abstimmung von Verrechnungspreisen. Dieser Druck ist nicht unverhältnismäßig: Wer behauptet, angemessene Verrechnungspreise besser einschätzen zu können als der unter Wahrheitszwang erklärende Steuerpflichtige, der darf sich nicht ohne triftigen Grund über diese Erklärungen hinwegsetzen. Kann nicht einmal die Finanzverwaltung der Gegenkorrekturseite überzeugt werden, so darf in der Regel nicht korrigiert werden. Schiedsverfahren zwischen den Finanzverwaltungen sind möglich, um Meinungsverschiedenheiten zwischen den Finanzverwaltungen zu klären (z.B. Schiedsübereinkommen 90/436/EWG). Die Steuerpflichtigen dürfen jedoch bis zur Klärung nicht durch Doppel- oder Mehrfachbesteuerung diskriminiert (unverhältnismäßig belastet) werden.
3.7 Der EuGH als Hüter der Einmalerfassung Der EuGH wacht über die Einhaltung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Das Sachlichkeitsgebot und die Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten verbieten eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung der grenzüberschreitenden Wirtschaft und zwingen so zu einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung. Der EuGH hat eine grundfreiheitenwidrige Doppel- oder Mehrfachbesteuerung als gemeinschaftsrechtswidrig zu erkennen. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechtes schließt über eine konsistente Einmalerfassung hinausgehende Ertragsteuern der Mitgliedstaaten aus. Der EuGH hat die Kompetenz (Art 234 EGV), über die Einhaltung der Grundfreiheiten zu wachen und so eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung von den Mitgliedstaaten einzufordern. „Die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft“ (Art 293 EGV) schafft „einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist“ (Art 3 Abs 1 lit c EGV), und „ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt“ (Art 3 Abs 1 lit g EGV). Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung wird über den Schutz der Grundfreiheiten des EG-Vertrages beim EuGH „klagbar“ (Art 234 EGV). Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung wird so
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in der Europäischen Gemeinschaft aus der Sicht der Steuerpflichtigen vom verheißungsvollen Ziel und Prinzip33 zum klagbaren Anspruch.
4 Zinsschranken 4.1 Das Diskriminierungsverbot Der Betriebsausgabenabzug von Zinsaufwendungen darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine darlehensgewährende Mutter im selben Mitgliedstaat wie die darlehensnehmende Tochter ansässig ist. Das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten lässt insoweit eine Schlechterstellung von im Ausland (in einem anderen Mitgliedstaat) ansässigen Muttergesellschaften nicht zu.34
4.2 Die Zinsschranken in Deutschland § 4h EStG und § 8a KStG in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetzes 200835 verankern Zinsschranken, die nicht auf die Ansässigkeit der Darlehensgeber abstellen.36 Finanziert eine Mutter ihre Tochter mit Fremdkapital und greift die Zinsschranke nach § 8a KStG, so stellt sich die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung bei In- und Auslandssachverhalten.
4.3 Das Nettoprinzip Nach dem objektiven Nettoprinzip37 sind Betriebsausgaben abzugsfähig. Eine sachliche Rechtfertigung für ein Zinsabzugsverbot beim Schuldner trotz Steuerpflicht der 33 34
35 36
37
Siehe Schröder, W. aaO (FN 27). EuGH 12.12.2002, Rs C-324/00 Lankhorst-Hohorst und EuGH 13.3.2007, Rs C-524/04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation. BGBl 2007 I S 1912; BStBl 2007 I 630. Schaden, M./Käshammer, D., Die Neuregelung des § 8a KStG im Rahmen der Zinsschranke, BB 2007, 2259 ff; Kollruss, T., Leerlaufen des § 50d Abs 3 EStG durch die Zinsschranke, IStR 2007, 780 f; Ganssauge, K./Mattern, O., Der Eigenkapitaltest im Rahmen der Zinsschranke, DStR 2008, 213 ff und 267 ff; Schwarz, P., Zur Notwendigkeit einer Zinsschranke: Empirische Befunde und Probleme, IStR 2008, 11 ff; Prinz, U., Zinsschranke und Organisationsstruktur: Rechtsformübergreifend, aber nicht rechtsformneutral anwendbar, DB 2008, 368 ff; Becker, H./Kempf, A./Schwarz, M., Neue Steuerfallen im Internationalen Steuerrecht, DB 2008, 370 ff; Seer, R. in: Grundmann/Drüen (Hrsg), Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2007/2008, 9 ff, 12 ff; Bauer, A., Die Einführung der Zinsschranke in Deutschland, SWI 2008, 170 ff. Siehe Tipke, K., Verteidigung des Nettoprinzips, DB 2008, 263 ff und BFH 10.1.2008, VI R 17/07, DB 2007, 220; Lang, J., StuW 2008, 1 f; Drüen, K., Die Bruttobesteuerung von Einkommen als
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Zinserträge beim Gläubiger ist nicht ersichtlich. Diese Verletzung des Folgerichtigkeitsgebotes bei Inlandssachverhalten aufzugreifen, ist Sache des Bundesverfassungsgerichts.
4.4 Das arm’s length-Prinzip Werden Darlehen zwischen verbundenen Unternehmen (Art 9 OECDMusterabkommen 2003/2000) grenzüberschreitend gewährt, so entspricht es dem arm’s length-Prinzip angemessene Zinsen zu verrechnen. Eine Qualifikation von Zinsen als (verdeckte) Gewinnausschüttung ist nach Auffassung des EuGH zur „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ nur insoweit gerechtfertigt, als die Zinsen „den Betrag übersteigen, den diese Gesellschaften unter Bedingungen des freien Wettbewerbs vereinbart hätten, dh wirtschaftlichen Bedingungen, über die sich solche Gesellschaften hätten einigen können, wenn sie nicht derselben Unternehmensgruppe angehört hätten.“38 „Der Umstand, dass einer gebietsansässigen Gesellschaft von einer gebietsfremden Gesellschaft ein Darlehen zu Bedingungen gewährt worden ist, die die betreffenden Gesellschaften unter Bedingungen des freien Wettbewerbs nicht vereinbart hätten, ist nämlich für den Mitgliedstaat des Sitzes der Darlehensnehmerin ein objektives, für Dritte nachprüfbares Kriterium, um feststellen zu können, ob der fragliche geschäftliche Vorgang ganz oder teilweise eine rein künstliche Konstruktion darstellt, die im Wesentlichen darauf ausgerichtet ist, der Anwendung des Steuerrechts dieses Mitgliedstaats zu entgehen. Dabei geht es um die Frage, ob das Darlehen ohne eine besondere Beziehung zwischen den betreffenden Gesellschaften nicht oder aber in anderer Höhe oder zu einem anderen Zinssatz gewährt worden wäre.“39 Zinsen, die im Sinn eines solchen Fremdvergleiches dem arm’s length-Prinzip entsprechen, sind dagegen als Zinsen anzuerkennen. Dieser Qualifikation als Zinsen entspricht es in der Regel nach der in den Doppelbesteuerungsabkommen vereinbarten Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Mitgliedstaaten, dass diese Zinsen als Erträge im Gläubigerstaat erfasst und als Zinsaufwand im Schuldnerstaat abgezo-
38 39
verfassungsrechtliches Vabanquespiel, StuW 2008, 3 ff; Söffing, G., Einschränkung der Abziehbarkeit betrieblich veranlasster Schuldzinsen – zur Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 4a EStG, BB 2008, 417 ff. EuGH 13.3.2007, Rs C-524/04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Rz 80. EuGH aaO (FN 38).
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gen werden, soweit die Fremdfinanzierung der Erzielung steuerpflichtiger Einkünfte dient.
4.5 Der Verstoß gegen das Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten auf Grund einer drohenden Doppelbesteuerung Das deutsche Abzugsverbot behindert die Ausübung der Grundfreiheiten schwerwiegend durch eine Doppelbesteuerung trotz marktkonformer/angemessener/ fremdüblicher Zinsen. Dass eine solche Zinsschranke Investoren anderer Mitgliedstaaten von Investitionen in Deutschland abhalten kann, ist offensichtlich. Eine sachliche Rechtfertigung für diese schwerwiegende Beschränkung in der Ausübung der Grundfreiheiten ist nicht ersichtlich. Durch die Besteuerung der Zinserträge im Gläubigerstaat und das Abzugsverbot in Deutschland kommt es zu einer Doppelbesteuerung, die die Ausübung der Grundfreiheiten in der Europäischen Gemeinschaft schwerwiegend behindert. Das Streben nach Abgabenerträgen kann Besteuerungswillkür nicht rechtfertigen.40 Die Grundfreiheiten verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung.
4.6 Das Nettoprinzip als Sachlichkeitsgebot auf nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Ebene Das Nettoprinzip verpflichtet zum Abzug von Betriebsausgaben. Das Nettoprinzip ist eine notwendige Bedingung der Sachlichkeit der Ertragsbesteuerung national erwirtschafteter Gewinne und der Einmalerfassung international erwirtschafteter Gewinne. Das Sachlichkeitsgebot auf nationaler Ebene und das Gebot der Einmalerfassung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene fordern den Abzug von Betriebsausgaben, weil eine Ertragsbesteuerung fiktiver Gewinne die Steuerpflichtigen in ihrer Leistungsfähigkeit überfordert und unverhältnismäßig belastet: Wer z.B. 1 Mio. Euro versteuern muss, obwohl er tatsächlich keinen Gewinn erzielt, wird ohne sachliche Rechtfertigung im Übermaß belastet. Warum Schuldzinsen nicht abzugsfähig sein sollen und insoweit fiktive Gewinne besteuert werden sollen, ist sachlich nicht zu rechtfertigen.
40
Zum Nettoprinzip siehe Tipke, K. und BFH aaO (FN 37).
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4.7 Das arm’s length-Prinzip in seiner Koordinationsfunktion zur gemeinschaftsrechtlich gebotenen Einmalerfassung Sind verrechnete Schuldzinsen angemessen im Sinn des arm’s length-Prinzips, so sind sie im Sinn einer konsistenten Einmalerfassung ertragsteuerrechtlich anzuerkennen.41 Eine willkürliche Kürzung ist nichts anderes als eine willkürliche einseitige Veränderung von Verrechnungspreisen. Die Grundfreiheiten zwingen zu einer konsistenten Einmalerfassung grenzüberschreitend erzielter Gewinne. Dass im Sinn des arm’s length-Prinzips angemessene Zinsen im einen Staat als Zinsertrag erfasst werden, in Deutschland jedoch nicht zum Abzug zugelassen werden, ist ein willkürlicher Verstoß gegen das arm’s length-Prinzip und gegen die den Mitgliedstaaten aufgetragene Pflicht zur Koordination ihrer Ertragsteuern im Sinn einer konsistenten Einmalerfassung. Dass Deutschland auf nationaler Ebene dieselbe Besteuerungswillkür übt, kann einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sachlich nicht rechtfertigen: Das Zinsabzugsverbot der deutschen Zinsschranken verstößt gegen das Sachlichkeitsgebot des Art 3 GG ebenso wie gegen das Sachlichkeitsgebot der Grundfreiheiten. Das Nettoprinzip ist eine notwendige Bedingung der Sachlichkeit auf nationaler42 und gemeinschaftsrechtlicher Ebene.43 Besteuerungswillkür auf nationaler Ebene kann eine Besteuerungswillkür auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene nicht rechtfertigen.
5 Funktionsverlagerungen 5.1 Funktionsverlagerungen und das arm’s length-Prinzip Das deutsche Außensteuergesetz will Funktionsverlagerungen besteuern.44 Die Realisierung stiller Reserven anlässlich der Verlagerung von Wirtschaftsgütern über die Grenze zwischen Stammhaus und Betriebsstätten oder zwischen verbundenen Unternehmen entspricht dem arm’s length-Prinzip. Das arm’s length-Prinzip erfasst nicht 41 42 43 44
EuGH aaO (FN 38), Rz 80 f. Siehe Tipke, K. und BFH aaO (FN 37). Siehe Abschnitte 1 und 3. § 1 Abs 3 AStG i.d.F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008, BGBl 2007 I S 1912, BStBl 2007 I 630; siehe dazu z.B. Frotscher, G., Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49 ff; Jahndorf, Ch., Besteuerung der Funktionsverlagerung, FR 2008, 101 ff; Bernhardt, L./van der Ham, S./Kluge, S., IStR 2008, 1 ff; Klapdor, R., Grundsätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83 ff, 88 f; Piltz, D., Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung, in: Grundmann/Drüen (Hrsg), Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht (JbFSt) 2007/2008, 148 (mit zahlreichen Hinweisen auf das Schrifttum); Welling, B./Schwenke, M./Haas, W./Ditz, X. in DB/Status: Recht 03/2008, 105 ff.
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nur Wirtschaftsgüter, sondern ebenso sonstige Leistungen: Alles, was von einander unabhängige Unternehmen im Sinn des gebotenen Fremdvergleiches in Geld abgelten, kann erfasst und bewertet werden, um international erwirtschaftete Gewinne im Sinn des arm’s length-Prinzips und im Sinn einer gemeinschaftsrechtskonformen Einmalerfassung zwischen verschiedenen Staaten konsistent aufzuteilen. Nicht die Wirtschaftsgutqualität ist insofern entscheidend, sondern die Frage, ob ein in Geld bewertbarer Vorteil über die Grenzen transferiert wird und somit ein marktkonformer Verrechnungspreis anzusetzen ist. Soweit das deutsche Außensteuergesetz und die dazu ergehenden Rechtsverordnungen das arm’s length-Prinzip konkretisieren, ist an die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Koordination der Ertragsteuern innerhalb der Gemeinschaft zu erinnern: Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung ist zur ungehinderten Ausübung der Grundfreiheiten notwendig. Die Mitgliedstaaten sind somit zur Abstimmung der Verrechnungspreise im Sinn einer konsistenten Einmalerfassung verpflichtet. Verrechnungspreise, die auf den beiden verschiedenen Seiten einer nationalen Grenze anerkannt werden, entsprechen diesem Koordinationsgebot. Das gemeinschaftsrechtliche Gebot der Einmalerfassung schützt vor Besteuerungswillkür durch nationale Alleingänge.
5.2 Kein Verrechnungszwang über den Markt hinaus Was am Markt unter einander fremden Dritten (zwischen von einander unabhängigen Unternehmen) nicht in Geld abgegolten wird, ist auch nach dem arm’s length-Prinzip nicht zu entgelten: Wird ein Betrieb aufgegeben/eingestellt, so zahlen die Mitbewerber dafür in der Regel nichts. Das arm’s length-Prinzip unterstellt von einander unabhängige Unternehmen. Was von einander unabhängige Unternehmen nicht entgelten, ist auch zwischen Stammhaus und Betriebsstätten oder zwischen verbundenen Unternehmen nicht zu entgelten.
5.3 Die Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten verbriefen das Recht, im einen Staat seine Erwerbstätigkeit aufzugeben und in einem anderen Mitgliedstaat neu zu beginnen. Zieht ein Schriftsteller von Österreich nach Irland, so kann ihn Österreich nur bis zum Wegzug besteuern.
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5.4 Die Fusions-Richtlinie (90/434/EWG) Die Fusions-RL unterdrückt eine Gewinnrealisierung und ermöglicht so ertragsteuerneutrale grenzüberschreitende x Fusionen, x Spaltungen, x Einbringungen und einen x Austausch von Anteilen. Durch eine Verknüpfung der Buchwerte/Anschaffungskosten auf Gesellschafts- und Gesellschafterebene soll nach Art 4 und 8 der Fusions-RL eine Einmalerfassung gesichert werden. Das Besteuerungsrecht des „Wegzugsstaates“ wird jedoch unterdrückt.
5.5 Ergebnis 1. Deutschland kann Funktionsverlagerungen (ebenso wie alle anderen Mitgliedstaaten) im Rahmen des arm’s length-Prinzips gemeinschaftsrechtskonform besteuern. Dabei ist auf eine internationale Abstimmung der Verrechnungspreise zu achten. 2. Nur was am Markt zwischen von einander unabhängigen Unternehmen entgolten wird, ist nach dem arm’s length-Prinzip durch Verrechnungspreise zu entgelten. 3. Was am Markt nicht entgolten wird, ist auch nach dem arm’s length-Prinzip nicht zu entgelten. 4. Die Fusions-RL unterdrückt eine Gewinnrealisierung nach dem arm’s lengthPrinzip für grenzüberschreitende x Fusionen, x Spaltungen, x Einbringungen und einen x Austausch von Anteilen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
6 Zusammenfassung 1. Die Ertragsteuerautonomie der Mitgliedstaaten umfasst x die freie Gestaltung der Ertragsteuern (Gestaltungsautonomie), x die freie Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Mitgliedstaaten (Aufteilungsautonomie) und
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x die Freiheit der wechselseitigen Abstimmung der Besteuerung (Koordinationsautonomie). 2. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages schützen vor Diskriminierungen und Behinderungen. Eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung diskriminiert und behindert die Wirtschaft schwerwiegend. Die Grundfreiheiten können nur dann ungehindert im Gemeinsamen Markt ausgeübt werden, wenn und soweit eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung über nationale Grenzen hinaus sicher gestellt wird. 3. Positiv formuliert: Die Grundfreiheiten sichern ertragsteuerrechtlich x Gleichbehandlung, x Freiheit von unverhältnismäßigen Behinderungen und x eine konsistente Einmalerfassung. 4. Die Grundfreiheiten verpflichten die Mitgliedstaaten, in Ausübung ihrer Ertragsteuerautonomie (Gestaltungs-, Aufteilungs- und Koordinationsautonomie) auf eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung zu achten. Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung sichert eine grundfreiheitenkonforme Ausübung der Ertragsteuerautonomie. 5. Streitigkeiten über Doppelbesteuerungsabkommen sind nicht vom EuGH zu entscheiden. 6. Der EuGH hat über die Einhaltung des EG-Vertrages und seiner Grundfreiheiten zu wachen (Art 234 EGV). Ertragsteuerrechtliche Doppel- oder Mehrfachbesteuerungen der grenzüberschreitenden Wirtschaft verstoßen gegen die Grundfreiheiten. Eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung wird über den Schutz der Grundfreiheiten beim EuGH klagbar. Der EuGH hat über den Schutz der Grundfreiheiten des EG-Vertrages die Kompetenz, eine konsistente ertragsteuerrechtliche Einmalerfassung von den Mitgliedstaaten einzufordern. 7. Das arm’s length-Prinzip zielt auf eine systemkonsistente Einmalerfassung in Harmonie mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages: Simulierte Fremdvergleichspreise zielen auf maximale Annäherung an die tatsächlichen Marktverhältnisse. Der freie Wettbewerb im Gemeinsamen Markt wird nicht behindert, sondern ertragsteuerrechtlich nachvollzogen. Die grenzüberschreitende Konsistenz der Besteuerung wird gewahrt und mit den Erfordernissen eines freien Marktes synchronisiert. 8. Arm’s length-Verrechnungspreise sichern eine konsistente Einmalerfassung, soweit sie von den beteiligten Finanzverwaltungen der Besteuerung zu Grunde gelegt werden. Wollen nationale Finanzverwaltungen von wahrheitsgemäß (nach bestem
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Wissen; bona fide) erklärten Verrechnungspreisen abweichen, so entspricht es einer grundfreiheitenkonformen Einmalerfassung, dass sich die beteiligten nationalen Finanzverwaltungen zunächst einmal selbst über angemessene Verrechnungspreise ins Einvernehmen setzen und erst nach der Herstellung dieses Einvernehmens über zur Einmalerfassung abgestimmte Verrechnungspreise ihre Ertragsteuern korrigieren. Doppel- und Mehrfachbesteuerungen durch einseitige Korrekturen werden so vermieden. 9. Im Sinn des arm’s length-Prinzips angemessene (marktkonforme) Zinsen sind im Schuldnerstaat als Betriebsausgaben abzuziehen, soweit sie der Einkunftserzielung dienen. Das Nettoprinzip ist eine notwendige Bedingung einer durch die Grundfreiheiten gebotenen Einmalerfassung. Die deutschen Zinsschranken (§ 4h EStG und § 8a KStG) verstoßen gegen das Nettoprinzip und somit gegen das Sachlichkeitsgebot des Art 3 GG und ebenso gegen das Sachlichkeitsgebot und Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten. 10. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen ist im Rahmen des arm’s lengthPrinzips gemeinschaftsrechtskonform: x Was am Markt zwischen von einander unabhängigen Unternehmen entgolten wird, ist ebenso nach dem arm’s length-Prinzip zu entgelten. x Was am Markt nicht entgolten wird, ist auch nach dem arm’s length-Prinzip nicht zu entgelten. Auch im Rahmen einer Besteuerung von Funktionsverlagerungen gilt: Eine einseitige Korrektur von Verrechnungspreisen (ohne die zur konsistenten Einmalerfassung notwendige Abstimmung mit der Gegenseite) verursacht eine Doppelbesteuerung und behindert so die Ausübung der Grundfreiheiten unverhältnismäßig. Die Grundfreiheiten verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer konsistenten ertragsteuerrechtlichen Einmalerfassung und zur wechselseitigen Koordination von Verrechnungspreisen. Die Schranken der Fusions-RL (90/434/EWG) sind darüber hinaus zu beachten.
Die Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich als Vorbild für Deutschland?
Gernot Brähler und Christian Lösel
1
Problemstellung und Zielsetzung ..................................................................... 34
2
Änderungen der Gewerbebesteuerung durch die Unternehmenssteuerreform 2008 ..................................................................... 35
3
Kritik an der Gewerbesteuer nach der Unternehmenssteuerreform 2008...................................................................................................................... 38
4
Fazit ..................................................................................................................... 49
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Gernot Brähler, Christian Lösel
1 Problemstellung und Zielsetzung Die Gewerbesteuer ist in Deutschland von Seiten der Politik, der gewerblichen Wirtschaft und der Wissenschaft seit Jahrzehnten einer erheblichen Kritik ausgesetzt. In den letzten Jahren hat diese Kritik sogar noch an Intensität und Schärfe zugenommen. Insbesondere die Vorschrift des § 35 EStG verschärfte die Kritik am deutschen Gewerbesteuerkonstrukt. Durch § 35 EStG können Personenunternehmer die Gewerbesteuer größtenteils wieder auf ihre persönliche Einkommensteuer anrechnen lassen. Sie erhalten somit die Gewerbesteuer vom Staat im Ergebnis wieder zurück. Der Gesetzgeber gesteht durch diese Regelung indirekt ein, dass er mit der Gewerbesteuererhebung bei Personenunternehmen keinen wirklichen Sinn mehr verfolgt. Das von Personenunternehmen erzielte Gewerbesteueraufkommen wird durch die Anrechenbarkeit auf Ebene der Einkommensteuer (zu großen Teilen) wieder neutralisiert. Die steuerpflichtigen Personenunternehmen werden aber gleichzeitig durch die Ermittlungs- und Erklärungspflichten im Rahmen der Gewerbesteuer mit nicht unbeachtlichen Steuerberatungskosten belastet. Frau Professor Dr. Dr. Christiana Djanani hat in Ihrer Forschungstätigkeit auf die Friktionen hingewiesen, die die Beibehaltung und Ausgestaltung der deutschen Gewerbesteuer mit sich bringen. In zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen, Lehrveranstaltungen und Vorträgen plädierte sie stets dafür, dass Deutschland es ihrem Heimatstaat Österreich gleich tun und ebenfalls die Gewerbesteuer abschaffen sollte.1 In einem unter ihrer Leitung entstandenen Beitrag von Djanani/Brähler/Lösel wurde diesbezüglich bereits im Jahr 2003 festgestellt, dass der Versuch, die Gewerbesteuer durch Substitution mit dem sonstigen Ertragsteueraufkommen in ihrer Belastungswirkung für die gewerblichen Unternehmen zu neutralisieren, gegen die im Jahr 1776 von Adam Smith postulierte Grundregel der Besteuerung verstößt, dass die Besteuerung der sog. Wohlfeilheit (economy) entsprechen muss.2 Dieses Prinzip besagt, dass die Kosten der Steuererhebung für die Steuerpflichtigen möglichst gering sein müssen. Durch die seit 01.01.2001 geltende Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer nach § 35 EStG wird dieser Grundsatz jedoch in eklatanter Weise verletzt. Die Kosten der
1
2
Vgl. zur Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich Djanani, C., Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Wien 1998, S. 145; s. auch Märkle, R., Gestaltungen zur Vermeidung und Minderung der Gewerbesteuer, DStR 1995, S. 1001. Vgl. Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Die Anrechnung der Gewerbeertragsteuer auf die Einkommensteuer – Verstoß gegen das grundlegende Prinzip der Ökonomie der Besteuerung, BB 2003, S. 1254 ff.
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Gewerbesteuererhebung stehen nämlich seitdem insbesondere bei mittelständischen und kleinen Personenunternehmen in einem erheblichen Missverhältnis zu den Steuereinnahmen des Staates. Dieses Missverhältnis wurde im Rahmen des zuvor genannten Beitrags durch einen Vergleich der dem Steuerpflichtigen durch die Erstellung der Gewerbesteuererklärung durch einen Steuerberater entstehenden Kosten mit der tatsächlichen Belastung durch die Gewerbesteuer unter Berücksichtigung der Abzugsfähigkeit von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage und der Anrechnung auf die Einkommensteuerschuld nachgewiesen. Obwohl diese Anrechnung im Rahmen des § 35 EStG vielfach kritisiert wurde, hat sich der Gesetzgeber im Zuge der Unternehmenssteuerreform 2008 nicht dazu entschlossen, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Vielmehr hat er durch abermalige Änderungen versucht, die Belastungswirkung der Gewerbebesteuerung weiter zu neutralisieren. Es ist daher fraglich, ob diese Änderungen dazu geführt haben, dass der Grundsatz der Wohlfeilheit der Besteuerung nunmehr (stärker) beachtet wird. Ziel dieses Beitrags ist es daher, in Anknüpfung an die Forderungen von Djanani und in Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen diese Änderungen der Unternehmenssteuerreform 2008 daraufhin zu untersuchen, ob der geäußerten Kritik entsprochen wurde und die Neuregelung zu einer tatsächlichen Verbesserung für die Steuerpflichtigen geführt hat oder ob die von Djanani geforderte Abschaffung der Gewerbesteuer entsprechend dem österreichischen Vorbild auch weiterhin gefordert werden muss. Zu diesem Zweck werden zunächst die relevanten Änderungen der Gewerbebesteuerung durch die Unternehmenssteuerreform 2008 dargestellt und erläutert. Darauf aufbauend findet eine kritische Analyse dieser Änderungen statt.
2 Änderungen der Gewerbebesteuerung durch die Unternehmenssteuerreform 2008 Die Belastung der gewerblichen Personenunternehmen mit Gewerbesteuer wurde bis zur Einführung der Unternehmenssteuerreform 2008 durch zwei Mechanismen kompensiert:
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Zum einen war die Gewerbesteuer sowohl von ihrer eigenen Bemessungsgrundlage als auch insbesondere von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer als Betriebsausgabe abzugsfähig. Zum anderen konnte die Gewerbesteuer gem. § 35 EStG in Höhe des 1,8-fachen des Gewerbesteuermessbetrags auf die persönliche Einkommensteuerschuld des Unternehmers angerechnet werden. Beide Maßnahmen führten zu einer deutlichen Belastungssenkung der Personenunternehmer, aber auch zu einer deutlich höheren Komplexität der Besteuerung. Im Zuge der Unternehmenssteuerreform wurde mit der Vorschrift des § 4 Abs. 5b EStG eine Regelung eingeführt, nach der für Erhebungszeiträume, die nach dem 31.12.2007 enden, die Gewerbesteuer weder bei der gewerbesteuerlichen noch bei der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage als Betriebsausgabe abgezogen werden darf. Für Unternehmen mit abweichendem Wirtschaftsjahr gilt dieses Betriebsausgabenabzugsverbot bereits mit Ablauf desjenigen Wirtschaftsjahres, das im Jahr 2008 endet. Durch dieses Verbot, die Gewerbesteuer von ihrer eigenen, aber auch von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abzuziehen, entfällt einer der beiden oben genannten Mechanismen zum Ausgleich der Gewerbesteuerbelastung. Darüber hinaus wurde jedoch die Vorschrift des § 35 EStG in zweierlei Hinsicht geändert, die seit dem Jahr 2001 die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die tarifliche Einkommensteuer regelt und somit gewissermaßen eine Substitution der einen Ertragsteuer durch die andere Ertragsteuer herbeigeführt hat: Die erste Änderung konzentrierte sich darauf, dass nach altem Recht eine Begrenzung der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer nur insofern erfolgt ist, als die Einkommensteuer um den prozentualen Anteil der gewerblichen Einkünfte am zu versteuernden Einkommen gemindert werden durfte. Vor allem in Gemeinden mit einem niedrigen Hebesatz konnte sich auf diese Weise eine Überkompensation der Gewerbesteuer ergeben. Diese Überkompensation wurde erst ab einem Gewerbesteuerhebesatz von ca. 341 % aufgehoben;3 bei höheren Hebesätzen ergab sich eine Teilbelastung, d.h. eine
3
Dies ergab sich aus der folgenden Berechnung: Aus der Gleichstellung von Gewerbesteuerbelastung mit der Einkommensteuerentlastung, d.h. Hebesatz / (20 + Hebesatz) = (42 % • Hebesatz / (20
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verbleibende effektive Gewerbesteuerbelastung. Um diese Möglichkeit zu unterbinden, wurde im Rahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 durch § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG eine Begrenzung auf die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer eingeführt. Seit 2008 kann also nur mehr maximal die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer auf die tarifliche Einkommensteuer angerechnet werden. Eine Überkompensation sollte damit nicht mehr möglich sein. Die zweite Änderung des § 35 EStG bestand in der Erhöhung des Anrechnungsfaktors des Gewerbesteuermessbetrags auf die tarifliche Einkommensteuer vom 1,8-fachen auf das 3,8-fache.4 Diese Erhöhung ist die Konsequenz aus der nicht mehr bestehenden Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe. Durch die nicht mehr erlaubte Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer auf die verschiedenen Bemessungsgrundlagen ging ein Teil der Belastungsneutralisierung verloren, der durch die Erhöhung des Anrechnungsfaktors wieder aufgefangen werden musste. Auf diese Weise stellt die Anrechnung der Gewerbesteuer nach der Unternehmenssteuerreform nunmehr die einzige Kompensationsmöglichkeit für die Gewerbesteuerlast dar. Da zum einen eine Überkompensation nicht mehr möglich sein soll, zum anderen aber kein Mechanismus gefunden wurde, eine Unterkompensation zu vermeiden, stellt sich die Frage, bei welchem Hebesatz die Gewerbesteuer vollständig kompensiert werden kann. Bei der Suche nach dem neutralen Hebesatz mit Vollentlastungswirkung muss berücksichtigt werden, dass sich die Minderung der Einkommensteuer durch Multiplikation des Gewerbesteuermessbetrags mit dem Anrechnungsfaktor ergibt. Da aber erst die nach Anrechnung zu ermittelnde festgesetzte Einkommensteuer Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag ist, verringert die Anrechnung auch den Solidaritätszuschlag.5 Die Entlastungswirkung, die der Solidaritätszuschlag durch die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die festzusetzende Einkommensteuer erfährt, muss daher in die Neutralitätsüberlegungen einbezogen werden.
4 5
+ Hebesatz) + (1 ./. Hebesatz / (20 + Hebesatz)) • 5 % • 1,8) • 1,055, folgt Hebesatz = 1,8 / (1/1,055 ./. 0,42) = 341 %; vgl. Herzig, N./ Lochmann, U., Unternehmensteuerreform 2008, DB 2007, S. 1037. Vgl. Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Ertragsteuern, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 2008, S. 300. Vgl. BMF-Schreiben vom 19.09.2007, IV B 2 – S 2296-a/0, BStBl. I 2007, S. 701, Rz. 2.
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Gernot Brähler, Christian Lösel
Der Hebesatz, bei dem die Gewerbesteuer vollständig kompensiert wird, lässt sich somit unter Berücksichtigung des Freibetrags von 24.500 € sowie der nunmehr fixen Steuermesszahl von 3,5 % wie folgt berechnen: (1)
(Gewinn6 ./. 24.500) x 0,035 x Hebesatz = (Gewinn ./. 24.500) x 0,035 x 3,8 x 1,055
Auflösen von (1) nach dem Hebesatz ergibt: (2) Hebesatz =
(Gewinn ./. 24.500) x 0,035 x 3,8 x 1,055 (Gewinn ./. 24.500) x 0,035
= 3,8 x 1,055 = 4,009
Der Hebesatz, bei dem die Gewerbesteuer vollständig kompensiert werden kann, beträgt somit unter Berücksichtigung der Änderungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 exakt 400,9 %.7 Wendet eine Gemeinde einen niedrigeren Hebesatz an, so erhöht sich tendenziell die Überkompensation. Dies geschieht jedoch in Abhängigkeit vom unternehmerischen Gewinn und vom Hebesatz in unterschiedlichem Maße. Wendet eine Gemeinde einen höheren Hebesatz an, so kommt es zu Aufkommensgewinnen seitens des Staates, da die Anrechnung der Gewerbesteuer gedeckelt ist und das durch den übersteigenden Hebesatz ausgelöste gewerbesteuerliche Mehraufkommen durch die Anrechnung auf die Einkommensteuer nicht mehr neutralisiert werden kann.
3 Kritik an der Gewerbesteuer nach der Unternehmenssteuerreform 2008 3.1 Ermittlung der tatsächlichen Belastungswirkungen durch die Gewerbesteuer Durch die Unternehmenssteuerreform wurde der Anrechnungsfaktor, der mit dem Gewerbesteuermessbetrag multipliziert wird, vom 1,8-fachen auf das 3,8-fache des
6
7
Die Hinzurechnungen und Kürzungen bei der Ermittlung des Gewerbeertrages sollen außer Betracht bleiben, da sie insbesondere bei kleinen Personenunternehmen i.d.R. seltener bzw. weniger ins Gewicht fallen. Als Gewerbeertrag wird daher der einkommensteuerliche Gewinn angenommen. Annahme: Die tarifliche Einkommensteuer ist ausreichend hoch, damit das anrechenbare Gewerbesteueräquivalent i.S.d. § 35 EStG (Absetzbetrag) erstattet werden kann.
Die Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich als Vorbild für Deutschland?
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Gewerbesteuermessbetrages erhöht. Zudem wurde die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer begrenzt. Durch diese Einschränkung wollte der Gesetzgeber vor allem dem fundamentalen Grundsatz der Steuergerechtigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 GG entsprechen. Allerdings ist es auch nach der Unternehmenssteuerreform immer noch möglich, Überkompensationen zu erzielen, d.h. einen höheren Betrag anzurechnen als tatsächlich Gewerbesteuer geleistet wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Absetzbetrag trotz der Begrenzung der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die tatsächlich gezahlte Höhe nach wie vor nicht nur die tarifliche Einkommensteuer, sondern auch die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags mindert. Die prozentuale Höhe der Überkompensation ist jedoch in erster Linie nicht vom Gewinn des Steuerpflichtigen abhängig, sondern nur vom jeweiligen Hebesatz der Gemeinde. Um diesen Zusammenhang aufzuzeigen, soll zunächst der Hebesatz ermittelt werden, bei dem die höchstmögliche Überkompensation erreicht wird. Gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 EStG ist die Höhe der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Höhe der tatsächlich gezahlten Gewerbesteuer begrenzt. Diese mindert gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 EStG die tarifliche Einkommensteuer. Da gem. § 3 Abs. 2 SolzG i.V.m. § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG die festzusetzende Einkommensteuer die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag ist, verringert die Anrechnung der Gewerbesteuer auch den Solidaritätszuschlag. Somit ist eine Überkompensation auch nach der Unternehmenssteuerreform 2008 erzielbar, jedoch nur in Höhe des Solidaritätszuschlages. Es gilt somit, denjenigen Hebesatz zu ermitteln, bei dem der höchstmögliche zulässige Betrag entsteht, der auf die Einkommensteuer angerechnet werden kann. Ist dieser Hebesatz festgestellt, so hat man gleichzeitig auch das Maximum der Steuerersparnis gefunden. Denn bei demjenigen Hebesatz, bei dem die einkommensteuerliche Steuerminderung maximal ist, liegt gleichzeitig auch das Minimum des Solidaritätszuschlags und damit die höchstmögliche Überkompensation. Bei diesem Hebesatz werden die beiden Ertragsteueraufkommen betragsmäßig identisch substituiert. Zu dieser Substitution erhält der gewerbesteuerpflichtige Personenunternehmer jedoch auch noch eine Verringerung des Solidaritätszuschlags, die ein Nichtgewerbesteuerpflichtiger mit gleich hohem Gewinn nicht bekommen hätte. Der Hebesatz, aus dem sich die maximale Überkompensation ergibt, lässt sich im Vergleich zu den Formeln (1) und (2) durch Ausblendung des Terms des Solidaritätszuschlages auf einfache Weise wie folgt ermitteln:
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Gernot Brähler, Christian Lösel
(3)
(Gewinn ./. 24.500) x 0,035 x Hebesatz = (Gewinn ./. 24.500) x 0,035 x 3,8
Auflösen von (3) nach dem Hebesatz ergibt:
(4) Hebesatz =
(Gewinn ./. 24.500) x 0,035 x 3,8 = 3,8 (Gewinn ./. 24.500) x 0,035
Der Term des Solidaritätszuschlages wurde außer Acht gelassen, da der Solidaritätszuschlag im Grunde genommen sowohl bei gewerbesteuerpflichtigen als auch bei nicht gewerbesteuerpflichtigen Personenunternehmern gleichermaßen anfällt und seine Höhe bei gewerblichen Personenunternehmern nur mittelbar durch die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf seine Bemessungsgrundlage verzerrt wird. Der Solidaritätszuschlag ist daher nur eine abhängige Variable, die für die Berechnung der Substitution jedoch irrelevant ist. Blendet man den Term des Solidaritätszuschlages daher aus, muss nur noch nach der identischen Substitution der Einkommensteuer durch die Gewerbesteuer gesucht werden. Wie sich zeigt, ist bei einem Hebesatz von 380 % eine höchstmögliche Überkompensation erreichbar.8 Bis zu einem Hebesatz von 380 % entspricht die Überkompensation exakt der Höhe des Solidaritätszuschlags. Bei sinkenden Hebesätzen nimmt die Überkompensation daher nur noch im Volumen des sich reduzierenden Solidaritätszuschlags ab. Steigt der Hebesatz jedoch über die optimalen 380 % hinaus, kommt es zu gegenläufigen Effekten. Zum einen wirkt noch die Ersparnis an Solidaritätszuschlag, die durch den anrechenbaren Teil der Gewerbesteuer erzeugt wird. Zum anderen kann jedoch über einem Hebesatz von 380 % nicht mehr der gesamte Betrag an Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet werden. Die Ersparnis des Solidaritätszuschlages ist daher bei steigendem Hebesatz schnell aufgebraucht. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich bei Hebesätzen, die über 380 % liegen daher zwar zunächst noch eine Überkompensation. Ab einem Hebesatz von 400,9 % ist die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer jedoch dann höher als die anrechenbare Gewerbesteuer inklusive der Entlastungswirkung auf den Solidaritätszuschlag, so dass sich keine Überkompensati-
8
Vgl. auch Förster, U., Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer nach der Unternehmensteuerreform 2008, DB 2007, S. 760.
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on mehr, sondern eine tatsächliche Belastungswirkung durch die Gewerbesteuer ergibt.9 Diese Zusammenhänge sollen in der folgenden Tabelle verdeutlicht werden: GewSt-Hebesatz Tatsächliche GewSt-Zahlung Auf die ESt anrechenbare GewSt Auf den SolZ anrechenbare GewSt Überkompensation Tabelle 1:
200 %
250 %
300 %
380 %
400 %
450 %
7,00 % 8,75 % 10,50 %
13,30 %
14,00 %
15,75 %
7,00 % 8,75 % 10,50 %
13,30 %
13,30 %
13,30 %
0,39 % 0,48 %
0,58 %
0,73 %
0,73 %
0,73 %
0,39 % 0,48 %
0,58 %
0,73 %
0,03 %
-1,72 %
Berechnung der Überkompensation in Abhängigkeit verschiedener Hebesätze
Somit kann es sich zum einen als sinnvoll erweisen, in Gemeinden mit Überkompensationsmöglichkeit bewusst Einkünfte der Gewerbesteuer zu unterwerfen, um so den Solidaritätszuschlagseffekt zu nutzen. Zum anderen wird dies bei gewerblichen Personenunternehmern jedoch zukünftig dazu führen, dass bei der Frage der Standortwahl Gemeinden mit einem Hebesatz von 380 % eher bevorzugt werden, als – wie bisher – Gemeinden mit den niedrigsten Hebesätzen. Grund hierfür ist, dass Unternehmen – ceteris paribus – an derartigen Standorten ihre Nachsteuerrendite optimieren können. Dieser Zusammenhang zwischen der Gewerbesteuerbelastung und der Entlastungswirkung durch die Anrechnung auf die Einkommensteuer soll wie folgt grafisch veranschaulicht werden:
9
Vgl. auch Herzig, N., Die Gewerbesteuer als dominierende Unternehmensteuer, DB 2007, S. 1543; s. auch Derlien, U./Wittkowski, A., Neuerungen bei der Gewerbesteuer – Auswirkungen in der Praxis, DB 2008, S. 840.
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35
25 15 Steueraufkommen in T € 5 -5 -15
440%
25 €
360% 100 €
G ew
inn in
280%
775 € T€
200%
sa be He
tz
Abbildung 1: Gewerbesteuerbelastung und Überkompensationen
In der obigen Abbildung wird der Verlauf der maximalen Gewerbesteuer in Abhängigkeit des Hebesatzes einer Gemeinde sowie des Gewinns des Personenunternehmens dargestellt. Es wird deutlich, dass bei einem Hebesatz von 380 % die höchste Überkompensation erzielt werden kann. Die Überkompensation ist umso höher, je höher der erwirtschaftete Gewinn ist. Da diese Überkompensation mit zunehmendem Gewinn steigt, genießen Personenunternehmer mit hohen Gewinnen auch entsprechende Vorteile gegenüber Personenunternehmern mit geringen Gewinnen. Nach dem Grundsatz der steuerlichen Leistungsfähigkeit sollte es allerdings genau umgekehrt sein: Personenunternehmer, die höhere Gewinne ausweisen, sollten nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip auch steuerlich stärker belastet werden und nicht von höheren Entlastungen profitieren. Durch die Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer wird das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbrochen, ohne dass Rechtfertigungsgründe ersichtlich wären. Erst bei einem Hebesatz von über 400,9 % werden Personenunternehmer tatsächlich durch die Gewerbesteuer belastet. Diesbezüglich ist fraglich, wie hoch die maximale Belastung durch die Gewerbesteuer für Personenunternehmer in Abhängigkeit des Hebesatzes überhaupt ausfallen kann. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die gesamte ertragsteuerliche Last für Personenunternehmer zu ermitteln, die sich aus vier Komponenten zusammensetzt: x Gewerbesteuer,
Die Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich als Vorbild für Deutschland?
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x tarifliche Einkommensteuer, x Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer gem. § 35 EStG, x Solidaritätszuschlag. Die Gesamtsteuerbelastung lässt sich dementsprechend wie folgt darstellen: (5) Gewinn x 0,035 x Hebesatz
= Gewerbesteuer
+ 1,055 x SESt x Gewinn
= ESt inkl. SolZ
./. 1,055 x Gewinn x {min(0,035 x Hebesatz; 0,035 x 3,8)} = Anrechnung GewSt Aus dieser Darstellung wird ersichtlich, dass die Gewerbesteuerbelastung vom Einkommensteuersatz grundsätzlich unabhängig ist. Sowohl die Gewerbesteuer als auch die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer haben nämlich in ihrer Formel keinen Term, der den Einkommensteuertarif tangiert. Die Einkommensteuer kann daher für die Darstellung der gegenläufigen Effekte vollständig ausgeblendet werden. Die tatsächliche Gewerbesteuerbelastung errechnet sich demnach aus: (6) Gewinn x 0,035 x Hebesatz
= Gewerbesteuer
./. 1,055 x Gewinn x {min(0,035 x Hebesatz; 0,035 x 3,8)} = Anrechnung GewSt Da die höchstmögliche Belastung durch die Gewerbesteuer errechnet werden soll, muss die Beschränkung der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer auf das 3,8-fache des Gewerbesteuermessbetrags zur Anwendung gelangen. Die obenstehende Berechnung (6) kann somit wie folgt vereinfacht werden: (7) Gewinn x 0,035 x Hebesatz ./. 1,055 x Gewinn x 0,035 x 3,8
= Gewerbesteuer = Anrechnung GewSt
Die maximale Gewerbesteuerbelastung ergibt sich damit durch Umformen: (8) Gewinn x 0,035 x (Hebesatz ./. 1,055 x 3,8) Bei einem exemplarischen Hebesatz von 500 % liegt die tatsächliche Belastung durch die Gewerbesteuer z.B. bei 3,47 %.
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Gernot Brähler, Christian Lösel
In der nachfolgenden Tabelle sollen verschiedene Szenarien zur Verdeutlichung der Belastungswirkungen der Gewerbesteuer zusammenfassend dargestellt werden. Hebesatz 200 % 250 % 300 % 350 % 380 % 400 % 400,9 % 450 % 500 % Tabelle 2:
ESt 45 % 45 % 45 % 45 % 45 % 45 % 45 % 45 % 45 %
SolZ auf ESt 2,48 % 2,48 % 2,48 % 2,48 % 2,48 % 2,48 % 2,48 % 2,48 % 2,48 %
GewSt 7,00 % 8,75 % 10,50 % 12,25 % 13,30 % 14,00 % 14,03 % 15,75 % 17,50 %
AnrechenSolZGesamtBelastungsbare GewSt Entlastung steuer wirkung GewSt 7,00 % 0,39 % 47,09 % -0,39 % 8,75 % 0,48 % 47,00 % -0,48 % 10,50 % 0,58 % 46,90 % -0,58 % 12,25 % 0,67 % 46,81 % -0,67 % 13,30 % 0,73 % 46,75 % -0,73 % 13,30 % 0,73 % 47,45 % -0,03 % 13,30 % 0,73 % 47,48 % 0,00 % 13,30 % 0,73 % 49,20 % 1,72 % 13,30 % 0,73 % 50,95 % 3,47 %
Gesamtsteuerbelastung in Abhängigkeit vom Hebesatz
3.2 Vergleich der Gewerbesteuerbelastung mit den Kosten für die Steuerpflichtigen Wie in der Einleitung angesprochen, ist es für die Beurteilung der Wohlfeilheit der Besteuerung relevant, mit welchem Aufwand die Erhebung einer Steuer verbunden ist. Hierzu gehören alle Kosten, die auf Seiten der Steuerbürger aber auch der Finanzverwaltung in Kauf zu nehmen sind, um ein bestimmtes Steueraufkommen zu generieren. Ein gewerbliches Unternehmen ist gem. § 14a Satz 1 GewStG dazu verpflichtet, eine Gewerbesteuererklärung abzugeben. Aufgrund der Komplexität bei der Ermittlung des Gewerbeertrags werden hierfür im Regelfall die Dienste eines Steuerberaters in Anspruch genommen. Für die Erstellung der Gewerbesteuererklärung darf der Steuerberater dem Mandanten gem. § 24 Abs. 1 Nr. 5 Hs. 1 StBGebV zwischen 1/10 und 6/10 einer vollen Gebühr nach Tabelle A, die in der Anlage 1 der StBGebV abgedruckt ist, in Rechnung stellen. Der Gewerbeertrag10 vor Berücksichtigung des Freibetrags stellt diesbezüglich gem.
10
Die Modifikation des einkommensteuerlichen Gewinns durch die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen und Kürzungen sollen außer Acht gelassen werden, so dass der Gewinn und der Gewerbeertrag gleichzusetzen sind.
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§ 24 Abs. 1 Nr. 5 Hs. 2 StBGebV den Gegenstandswert dar. Im weiteren Verlauf der Berechnungen wird von einer durchschnittlichen Gebühr ausgegangen, d.h. es wird eine Gebühr von 3/10 angenommen. Diese Steuerberatungskosten erhöhen die vom Steuerpflichtigen zu tragende Gesamtbelastung. Um die Belastung des Mandanten mit Steuerberatungskosten darzustellen, soll im Folgenden die durch die Gewerbesteuer verursachte Gesamtbelastung für den Steuerpflichtigen für verschiedene Hebesätze dargestellt werden. Entsprechend dem BMF-Schreiben vom Februar 2004 erwirtschaften 95 % aller Personenunternehmen Einkünfte unter 128.000 €.11 Ausgehend von diesen Ertragssituationen lässt sich die Gesamtbelastung für den Steuerpflichtigen folgendermaßen darstellen: Hebesatz
Gewinn
GewSt
200 % 250 % 300 % 350 % 380 % 400 % 400,9 % 420 % 450 % 500 %
128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 € 128.000 €
7.245 € 9.056 € 10.867 € 12.678 € 13.765 € 14.490 € 14.522 € 15.214 € 16.301 € 18.112 €
Tabelle 3:
Anrechenbare GewSt und SolZ-Entlastung 7.643,48 € 9.554,34 € 11.465,21 € 13.376,08 € 14.522,60 € 14.522,60 € 14.522,60 € 14.522,60 € 14.522,60 € 14.522,60 €
Maximale GewSt -398,47 € -498,09 € -597,71 € -697,33 € -757,10 € -32,60 € 0,00 € 691,90 € 1.778,65 € 3.589,90 €
Steuerberatungskosten 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 € 452,40 €
Verhältnis Belastung durch Gewerbesteuer zu den Kosten
Die obige Tabelle zeigt, dass die Gewerbesteuer bis zu einem Hebesatz von 400,9 % überkompensiert wird. Folglich entstehen dem Staat negative Steuereinnahmen. Gleichzeitig sind die Steuerpflichtigen aber mit den Kosten der Erstellung der Gewerbesteuererklärung belastet. Aufgrund des angenommenen konstanten Gewinns von 128.000 € bleiben die Steuerberatungskosten zwar gleich. Bereits hieraus wird jedoch ersichtlich, dass die Steuerberatergebühren im Vergleich zum erzielten Aufkommen des Staates eine unverhältnismäßig hohe Belastung für den Steuerpflichtigen darstellen.
11
Vgl. BMF-Schreiben v. Februar 2004, Die Steuerpolitik ist gezielte Mittelstandsförderung, www.businesslocationcenter.de/imperia/md/content/blc/steuern-recht/steuer_mittelstand_2004.pdf, S. 8.
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Folgende Grafik veranschaulicht diesen Effekt noch deutlicher: 4.000
StB-Kosten, GewSt-Belastung
3.500
StBKosten 500%
3.000 2.500
460% 2.000 440%
1.500 1.000
420%
500
400%
0 -500
380% 0
20.000
40.000
60.000
80.000
100.000
120.000
-1.000 Gewinn
Abbildung 2: Verhältnis der StB-Kosten zu der tatsächlichen Gewerbesteuerbelastung
Die Abbildung stellt die Gewerbesteuerbelastung eines gewerblichen Personenunternehmens für verschiedene kommunale gewerbesteuerliche Hebesätze dar. Hieraus ist zu erkennen, dass das Verhältnis der Staatseinnahmen zu den Steuerberatungskosten vom Hebesatz der Gemeinde abhängig ist. Bei gewerbesteuerlichen Hebesätzen bis 400,9 % erzielt der Staat bei Personenunternehmen, wie zuvor dargestellt, keinerlei zusätzliches Steueraufkommen. Dennoch sind Personenunternehmen, die diesem oder einem geringeren Hebesatz unterliegen, mit den Kosten für die Erstellung ihrer Gewerbesteuererklärung belastet. Wie die obige Abbildung zeigt, steigt das Missverhältnis mit zunehmendem Gewinn an. Deutlich ist auch, wenn auch nur am Rande zu bemerken, dass die Gewerbesteuererklärung auch im Bereich der Freibeträge bereits zu Kosten führt, denen kein Steueraufkommen entgegenstehen kann. Die Relation des Steueraufkommens nach Anrechnung zu den Steuerberatungskosten soll im Folgenden genauer analysiert werden. Zu diesem Zweck wird in der folgenden Abbildung das Verhältnis der Steuerberatungskosten zu der tatsächlichen Gewerbesteuerbelastung bei einem Hebesatz von 380 % dargestellt:
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47
StB-Kosten, GewSt-Belastung
600 400 200
StBKosten
0 -200
0
20.000
40.000
60.000
80.000
100.000
120.000
380%
-400 -600 -800 Gewinn
Abbildung 3: Verhältnis der StB-Kosten zu der tatsächlichen Gewerbesteuerbelastung bei einem Hebesatz von 380 %
Wie oben bereits beschrieben, ist bei einem Hebesatz von 380 % die höchstmögliche Überkompensation erzielbar. Im Fall der Überkompensation wird die Unverhältnismäßigkeit der Steuerberatungskosten im Verhältnis zu den Einnahmen des Staates, die auch schon der Vorschrift des § 35 EStG a.F. vorgeworfen wurde, auf nahezu groteske Weise noch verschärft, indem nicht nur die Einnahmen des Staates geringer werden, sondern sogar eine Überzahlung der Gewerbesteuer erfolgt. Überspitzt lässt sich formulieren, dass der Steuerpflichtige vom Staat Geldbeträge erhält, um die Steuererklärungspflichten hinsichtlich der Gewerbesteuer zu erfüllen. Der eigentliche Sinn einer Steuerart, die Erzielung von Einnahmen für den Staat, wird auf diese Weise offensichtlich konterkariert. Eine mehr oder weniger große Überkompensation ergibt sich dabei – wie bereits festgestellt – für sämtliche Hebesätze bis 400,9 %. Aber auch bei Hebesätzen über 400,9 % ist festzustellen, dass die Belastung der Steuerpflichtigen mit Steuerberatungskosten für die Erstellung der Gewerbesteuererklärung als unverhältnismäßig zu bezeichnen sind. Dies soll durch die folgende Abbildung verdeutlicht werden, die das Verhältnis einer durchschnittlichen Steuerberatungsgebühr zur tatsächlichen Gewerbesteuerbelastung bei einem Hebesatz von 420 % wiedergibt:
Gernot Brähler, Christian Lösel
StB-Kosten, GewSt-Belastung
48
800 700
StBKosten
600 500 400
420%
300 200 100 0 0
20.000
40.000
60.000
80.000
100.000
120.000
Gewinn
Abbildung 4: Verhältnis der StB-Kosten zu der tatsächlichen Gewerbesteuerbelastung bei einem Hebesatz von 420 %
Aus der Abbildung geht hervor, dass bei einem Hebesatz von 420 % und einem Gewinn von ca. 79.000 € die Steuerberatungskosten den Einnahmen des Staates entsprechen.12 Dies bedeutet, dass unter den gegebenen Bedingungen der Steuerpflichtige 100 % der Einnahmen des Staats noch einmal in Form von Steuerberatungskosten zu tragen hat. Diese Relation verändert sich nicht wesentlich bei höheren hier betrachteten realistischen Gewinnszenarien für Personenunternehmen. Offensichtlich besteht somit auch bei Hebesätzen über 400,9 % ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Einnahmen, die der Staat aus der Gewerbesteuer einnimmt, und den Kosten, die dem Steuerpflichtigen für die Zahlung dieser Gewerbesteuer auferlegt werden.
12
Zu beachten ist, dass die Steuerberatungskosten, die für die Erstellung der Gewerbesteuererklärung anfallen, selbst wieder als Betriebsausgaben abziehbar sind. Hieraus ergibt sich der Effekt, dass der Staat bei der Erhebung der Gewerbesteuer nicht nur bis zu bestimmten Hebesätzen ein negatives Steueraufkommen hat, sondern auch bis zu bestimmten Gewinnhöhen. Letzteres trifft auch Situationen, in denen der Hebesatz grundsätzlich aufkommenssteigernd ausgestaltet ist. Erst wenn ein bestimmtes Gewerbesteueraufkommen erzielt wird, werden die Aufkommenseinbußen, die durch die Abziehbarkeit der Steuerberatungskosten erzeugt werden, kompensiert. Damit liegt durch die Erhebung der Gewerbesteuer bei zugrunde gelegter Notwendigkeit der Zuhilfenahme eines Steuerberaters sogar (für bestimmt Gewinn- und Hebesatzkonstellationen) ein doppelter Verstoß gegen die Wohlfeilheit der Besteuerung vor! Dies ist insbesondere deswegen bedeutend, da 51 % aller Personenunternehmen einen Gewinn unter 26.000 € und 78 % aller Personenunternehmen einen Gewinn unter 52.000 € erzielt. Vgl. BMF-Schreiben v. Februar 2004, Die Steuerpolitik ist gezielte Mittelstandsförderung, www.businesslocationcenter.de/imperia/md/content/blc/steuern-recht/steuer_ mittelstand_2004.pdf, S. 8.
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4 Fazit Gem. Art. 106 Abs. 6 GG steht das Aufkommen der Gewerbesteuer allein den Gemeinden zu. Die Anrechenbarkeit derselben Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer wird von ihnen im Gegenzug dazu jedoch nur zu einem Bruchteil getragen. Die Anrechnung belastet vielmehr überwiegend den Bund und die Länder, da die Einkommensteuer eine Gemeinschaftssteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 5 GG ist und Bund und Länder den größeren Aufkommensanteil an dieser Gemeinschaftsteuer haben. Die Gemeinden werden nur zu 15 % am Aufkommen der Einkommensteuer beteiligt. Für die kommunalen Gebietskörperschaften ist es also unter Aufkommengesichtspunkten günstig, dass die oftmals geforderte Abschaffung der Gewerbesteuer auch bei der letzten Unternehmenssteuerreform nicht durchgesetzt werden konnte. Sie profitieren trotz Gewerbesteuerumlage vom Gewerbesteueraufkommen nämlich in höherem Maße, als sie durch die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer wieder verlieren. Dieser Vorteil stabilisierte auch das Interesse der Gemeinden an der Beibehaltung der Gewerbesteuer, obwohl ihre Konjunkturreagibilität für die Gemeinden – auch aus Sicht der Gemeinden – ein nicht zu vernachlässigendes Problem darstellt. Für die Kommunen ist die Anrechnung daher weiterhin als Verteilungsmechanismus interessant. Diese Vorteile des Verteilungsmechanismus’ für die Gebietskörperschaften sind dagegen für die gewerbesteuerpflichtigen Personenunternehmen aus betriebswirtschaftlicher Sicht ohne Relevanz. Für die Personenunternehmen steht betriebswirtschaftlich und steuerlich gesehen nur die Frage im Vordergrund, wie sich ihre Nachsteuerrendite unter verschiedenen Kombinationen von Hebesatz und Gewinn optimieren lässt. Wie in diesem Beitrag gezeigt werden konnte, ergeben sich bei Hebesätzen unter 400,9 % negative Steuereinnahmen für den Staat, die aus Sicht der Personenunternehmer zum einen eine willkommene Steuerminderungen darstellen. Jedoch verursacht das Erhebungsverfahren der Gewerbesteuer zum anderen für den Steuerpflichtigen auch Kosten für die steuerliche Beratung. Ein Unternehmer muss also Steuerberatungskosten zahlen, obwohl der Staat aufgrund der getroffenen Regelung kein zusätzliches Steueraufkommen generieren kann. Die dem Unternehmer entstehenden Steuerberatungskosten stehen daher in einem groben Missverhältnis zu den erzielbaren Einnahmen des Staates. Es ist daher zu überlegen, ob diese Art und Weise der Steuerverteilung gerechtfertig ist. Bei Hebesätzen über 400,9 % ist es zwar bei höheren Gewinnen möglich, dass die Gewerbesteuerbelastung die Beratungskosten übersteigt, nichtsdestotrotz sind die Kosten auch hier als unverhältnismäßig zu bezeichnen. Der Grundsatz der Wohlfeilheit, der eine möglichst effiziente Gestaltung der Aufkommenserhe-
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bung, mit möglichst wenigen Streuverlusten und Kosten für den Steuerpflichtigen fordert, ist daher in eklatanter Weise verletzt. Die Verletzung dieses Grundsatzes nahm durch die Unternehmenssteuerreform 2008 sogar noch zu. Dies zeigt sich bereits, wenn man die Zahl der Gewerbesteuerpflichtigen betrachtet, denen zwar Steuerberatungskosten aufgebürdet sind, die jedoch zur Aufkommenssteigerung nicht beitragen, sondern sogar Überkompensationen erhalten. Während nach altem Recht Überkompensationen bereits bei einem Hebesatz von 341 % nicht mehr möglich waren, ist dies nach aktuellem Gesetzesstand erst ab einem Hebesatz von 400,9 % der Fall. Die Erhöhung des neutralen Hebesatzes führt dazu, dass die Häufigkeit (mehr Gemeinden mit mehr Gewerbetreibenden) und das Volumen (höhere Gewerbesteuersätze führen zu höheren Anrechnungsbeträgen und damit zu höheren Solidaritätszuschlagsminderungen) von Überkompensationen zunehmen werden. Dies hat zur Folge, dass sich durch die Neuregelung das Verhältnis zwischen den tatsächlichen Gewerbesteuereinnahmen des Staates und den Kosten, die die Gewerbesteuerpflichtigen durch die Gewerbesteuererklärung aufwenden müssen, weiter zuungunsten des Steuerpflichtigen verschlechtert hat. Der Gesetzgeber verstößt daher mit der Neufassung der gewerbesteuerlichen Vorschriften und insbesondere der Änderung des § 35 EStG nicht nur weiterhin gegen den Grundsatz der Wohlfeilheit der Besteuerung, sondern verschärft dieses Problem durch die Erhöhung des Anrechnungsfaktors auf 3,8 und die dadurch ausgelöste Möglichkeit, Überkompensationen zu erreichen, zusätzlich. Im Ergebnis werden den Steuerpflichtigen durch die momentan bestehende Ausgestaltung der Gewerbebesteuerung die Umverteilungsprobleme des Staats aufgebürdet. Da gewerbliche Personenunternehmen von einer doppelten Ertragsteuerbelastung verschont werden sollten, die einzelnen Gebietskörperschaften sich jedoch erneut nicht zu einer Abschaffung der Gewerbesteuer durchringen konnten, verblieb nur diese Substitution der einen Ertragsteuer durch die andere. U.E. hätte jedoch ein besseres Ergebnis erzielt werden können, wenn die Gewerbesteuer abgeschafft worden wäre und sich die Gebietskörperschaften auf einen anderen Verteilungsmodus – evtl. sogar unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der kommunalansässigen Gewerbebetriebe – geeinigt hätten. Betrachtet man den Umfang der staatlichen Aufkommensverteilung zwischen dem Bund, den einzelnen Bundesländern und den Kommunen sowie die Vielfältigkeit und die Komplexität der Verteilungsströme, wäre dies u.E. ohne weiteres möglich gewesen. Vorteil einer solchen Regelung wäre gewesen, dass die Vertei-
Die Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich als Vorbild für Deutschland?
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lungslasten zum einen deutlich geringer ausgefallen und zum anderen dann allgemein vom Gemeinwesen getragen worden wären. Bei der herrschenden Regelung werden die Kosten der Umverteilung jedoch den gewerblichen Unternehmen zusätzlich aufgelastet. Diese Art und Weise der Erhebung, bei der die Gewerbesteuer dem Steuerpflichtigen teilweise vollständig, teilweise fast vollständig und teilweise überschießend wieder zurückgezahlt wird, aber erhebliche Kosten verursacht, kann also nicht gerechtfertigt sein. Bedenklich muss das Ergebnis auch stimmen, wenn man betrachtet, dass es insbesondere in Gemeinden mit einem Hebesatz von 380 % für viele Personenunternehmer aus betriebswirtschaftlichen Gründen vorteilhafter ist, sich in Zweifelsfällen – solange der Solidaritätszuschlag noch existiert – nicht als (nicht gewerbesteuerpflichtige) Selbständige einzustufen, sondern sich als Gewerbebetrieb besteuern zu lassen, da die Überkompensation der Gewerbesteuer durch die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag entsprechende Anreize schafft. Denn Personenunternehmer mit Gewerbebetrieb können in Gemeinden mit einem Hebesatz von 380 % ihre Nachsteuerrendite aus der unternehmerischen Tätigkeit durch die Überkompensation verbessern.
Bedenklich
ist
diese
„Belohnung
gewerblicher
Einstufungen“
insbesondere deswegen, weil durch die Qualifikation eines Unternehmens als Gewerbebetrieb nicht nur steuerlich größere bürokratische Aufgaben zu bewältigen sind, sondern weil auch der nichtsteuerliche Verwaltungsaufwand (z.B. Funktionen des Gewerbeordnungsamt etc.) anwächst. Geradezu kurios mutet dieses Ergebnis an, wenn man berücksichtigt, dass in der Vergangenheit vielfach Urteile der Finanzgerichtsbarkeit gefällt wurden, bei denen sich die Unternehmer gewünscht hätten, nicht als Gewerbebetrieb eingestuft zu werden. Hier könnten die Interessen in Zukunft genau umgekehrt liegen. Zu kritisieren ist die Beibehaltung der Gewerbesteuer und ihre Anrechnung auf die Einkommensteuer umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass 95 % aller in Deutschland steuerpflichtigen gewerblichen Personenunternehmen Gewinne unter 128.000 € erzielen und gleichzeitig ein großer Teil der kommunalen gewerbesteuerlichen Hebe-
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Gernot Brähler, Christian Lösel
sätze unter 400,9 % liegt.13 Dieses Zusammenspiel zwischen „typischem“ Hebesatz und „üblicher“ Gewinnhöhe ergibt nämlich, dass die Mehrzahl der gewerblichen Personenunternehmen im Bereich der Vollerstattung angesiedelt ist. Auf diese Weise erfüllt die Gewerbesteuerpflicht bei der überwiegenden Zahl der Gewerbebetriebe keinen Aufkommenssinn mehr. Der Rest des Gewerbesteueraufkommens, welches durch Kapitalgesellschaften, große Personenunternehmen oder Unternehmen erzielt wird, die in Gemeinden mit hohem Hebesatz liegen, muss angesichts dieser überbordenden teuren Bürokratie, die den „aufkommensneutralen (kleinen) Gewerbebetrieben“ aufgebürdet wird, unverhältnismäßig teuer erkauft werden. Wie bereits in dem unter Leitung von Djanani erarbeiteten Beitrag kann also abermals konstatiert werden, dass trotz der Tatsache, dass die Gewerbesteuer sich durch die Anrechnung auf die Einkommensteuer bei den allermeisten Personenunternehmen in ihrer Belastungswirkung neutralisiert, die Konstruktion der Anrechnung auf die Einkommensteuer aus betriebswirtschaftlichen und steuersystematischen Gründen abzulehnen ist. Der Staat hat sich dadurch der Verpflichtung entzogen, für eine angemessene Umverteilung zu sorgen. Die Umverteilung wurde vielmehr indirekt dem Steuerpflichtigen aufgebürdet. Die dabei entstehende Zunahme an Komplexität aber auch der in praxi auftretende Verstoß gegen das Grundprinzip der Wohlfeilheit sind nicht zu tolerieren. U.E. ist die Anrechnung der Gewerbeertragsteuer auf die Einkommensteuer ein Musterbeispiel für den diesbezüglichen Bedarf einer Überarbeitung und konzeptionellen Neuausrichtung des deutschen Steuerrechts. Djanani hat stets gefordert, dass der deutsche Gesetzgeber vom übertriebenen Formalismus, der häufig Ausdruck eines zu strikten Gerechtigkeitsempfindens ist, Abstand nehmen sollte. Stattdessen sollte der Pragmatismus des österreichischen Gesetzgebers Vorbild für eine deutsche Regelung sein. Djanani sprach sich daher stets für die Lösung aus, die Gewerbeertragsteuer in Deutschland entsprechend der österreichischen Vorgehensweise abzuschaffen. Dieser Forderung von Djanani ist – wie im vorliegenden Beitrag aufgezeigt – nach Einführung der Unternehmenssteuerreform 2008 mehr denn je zuzustimmen.
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Vgl. BMF-Schreiben v. Februar 2004, Die Steuerpolitik ist gezielte Mittelstandsförderung, www.businesslocationcenter.de/imperia/md/content/blc/steuern-recht/steuer_mittelstand2004. pdf, S. 8.
Die Abschaffung der Gewerbesteuer in Österreich als Vorbild für Deutschland?
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Als Aufkommensausgleich für die Gewerbesteuer sollte u.E. eine GemeindeEinkommensteuer eingeführt werden, wie sie bereits in Belgien und den skandinavischen Ländern ausgeübt wird. Diese räumt den Gemeinden das Recht ein, Hebesätze auf die staatliche Einkommensteuer anzuwenden. Diesbezügliche Konzepte, beispielsweise von der Stiftung Marktwirtschaft,14 liegen bereits vor. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Mut aufbringen kann, diese Konzepte auch entsprechend umzusetzen.
14
Vgl. Stiftung Marktwirtschaft, Kommission „Steuergesetzbuch“, Steuerpolitisches Programm, Berlin 2006, S. 3.
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung? – Verbleibende Anwendungsfälle und Zweifelsfragen der Hinzurechnungsbesteuerung bei Umwandlungen nach SEStEG, Cadbury Schweppes und JStG 2008
Guido Förster und Dirk Schmidtmann
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Hintergrund ........................................................................................................ 56
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Prüfungssystematik............................................................................................ 58
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Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 8 Abs. 2 AStG n.F.............................................................................................................. 60
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Umwandlungsgewinne als aktive Einkünfte.................................................... 64
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Anwendung des UmwStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags..................................................................................... 78
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Fazit ..................................................................................................................... 79
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann
1 Hintergrund Vor Änderung der §§ 7-14 AStG durch das SEStEG1 bestand infolge der fehlenden Abstimmung zwischen der Hinzurechnungsbesteuerung und dem Umwandlungssteuergesetz die erhebliche Gefahr einer Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen und grenzüberschreitenden Umwandlungen, sofern diese nach allgemeinen Grundsätzen zu einer Gewinnrealisierung führten.2 Zum einen war das UmwStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags grundsätzlich nicht anzuwenden, so dass die Gewinnrealisierung für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung nicht neutralisiert werden konnte. Zum anderen begründete ein nach ausländischem Steuerrecht gewährter Besteuerungsaufschub für die Umwandlung regelmäßig eine Niedrigbesteuerung i.S.v. § 8 Abs. 3 AStG3, obwohl der Steueraufschub 1
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Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BGBl. I 2006, S. 2782. Vgl. grundlegend Wassermeyer, F., Besteuerung ausländischer Umwandlungen im Inland, Umwandlungen im Zivil- und Steuerrecht – Festschrift für Siegfried Widmann zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Wassermeyer, F./Mayer, D./Rieger, N., Bonn 2000, S. 634-637; sowie Herzig, N., Umwandlungen, in: Fortentwicklung der internationalen Unternehmensbesteuerung, hrsg. v. Lüdicke, J., Köln 2002, S. 145; Kneip, C./Rieke, I., Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen Holdinggesellschaften nach dem Entwurf eines Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes (UntStFG), IStR 2001, S. 665 ff.; Lorenz, C., Veräußerungen und Reorganisationen im Außensteuerrecht, IStR 2001, S. 393 ff.; Schmidt, L./Hageböke, J., Auslandsverschmelzungen im Außensteuerrecht, IStR 2001, S. 697; Becker, J. D., Besteuerung von Ausgliederungen aus ausländischen Kapitalgesellschaften mit inländischen Gesellschaftern, IStR 2001, S. 773-776; Klingberg, D., Veräußerung und Umwandlung ausländischer Holdinggesellschaften, Holdinggesellschaften im Internationalen Steuerrecht, hrsg. v. Schaumburg/Piltz, Köln 2002, S. 195-232; Sieker, K., Steuervergünstigungsabbaugesetz: Vorgesehene Verschärfungen der Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung, IStR 2003, S. 81 ff.; Griemla, S., Grenzüberschreitende Verschmelzung von doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften im Ertragsteuerrecht, Lohmar/Köln 2003; Uckermann, R. von, Besteuerung von Basisgesellschaften in den USA und in Deutschland, Köln, 2003; Hill, T., Die Besteuerung ausländischer Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften mit Inlandsbezug, Hamburg 2004, S. 48-52; Wassermeyer, W., Die Anwendung der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung auf Umwandlungen von ausländischen Tochter- und Enkelgesellschaften, Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Gocke, R./Gosch, D./Lang, M., München 2005, S. 571-580; Sedemund, J./Sterner, I., Auswirkungen von Sitzverlegungen, Satzungsänderungen und Umwandlungen von ausländischen Zwischengesellschaften auf die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, BB 2005, S. 2777-2783; Rödel, S., Ausländische Umwandlungen und Hinzurechnungsbesteuerung, Wiesbaden, 2006; Grotherr, S., Verzicht auf eine Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen Umwandlungen nach dem SEStEG, IWB Nr. 4 v. 28.2.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 2175 ff.; Schmidtmann, D., Hinzurechnungsbesteuerung bei internationalen Umstrukturierungen, Berlin 2007; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, Köln, 61. Ergänzungslieferung, § 8 AStG Tz. 314 ff. (Juni 2007); Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Köln 2008, Anh. 7. Vgl. Wassermeyer, F., (FN 2), S. 634; Schmidt, L./Hageböke, J., (FN 2), S. 698; Hill, T., (FN 2), S. 49; Wassermeyer, W., (FN 2), S. 573; Köhler, S., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Bonn u.a., 12. Ergänzungslieferung, Vor §§ 714 AStG Tz. 17 (Dez. 2006). Kritisch Förster, G., Besteuerung der Europäischen Aktiengesell-
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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gerade nicht zu einer endgültigen Steuerersparnis führte und auch nicht der typische Fall der Niedrigbesteuerung war4. Hierdurch rückten nicht nur „Steueroasen”5 oder Länder mit Vorzugssteuersystemen in den regionalen Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung, sondern auch „hochbesteuernde”6 Staaten, die Umwandlungen steuerneutral zuließen.7 In der Konsequenz wurden damit Umwandlungen, die nach ausländischem und inländischem Recht steuerneutral vollziehbar gewesen wären, mittels der Hinzurechnungsbesteuerung doch einer inländischen Besteuerung unterworfen.8 Dies lief dem Regelungszweck der Hinzurechnungsbesteuerung zuwider, Missbräuche zu verhindern, und führte zu einem Umwandlungshindernis für international tätige, deutsche Konzernunternehmungen.9 In jüngster Zeit ist jedoch die Hinzurechnungsbesteuerung erheblich verändert worden: Zum einen wurden mit dem SEStEG Einkünfte aus Umwandlungen grundsätzlich den aktiven Einkünften zugeordnet und zusätzlich festgelegt, dass das UmwStG auch bei der Ermittlung der dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte anzuwenden ist. Ausnahmen gelten, sofern von der Umwandlung Beteiligungen an Ge-
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schaft – Diskussionspunkte, in: Besteuerung der europäischen Aktiengesellschaft, hrsg. v. Herzig, N., Köln 2004, S. 34. Vgl. auch BFH v. 17.10.2007, I R 96/96, Datev-Lexinform-Nr. 0587948, unter II. 1. der Gründe, zur Rückfallklausel bei Nichtausübung des ausschließlichen Besteuerungsrechts für einen Umwandlungsgewinn nach dem DBA-Italien. Vgl. Köhler, S., Erste Anmerkungen zu den Reformvorschlägen im Bereich des Außensteuerrechts, Hamburg, 2001, 28; Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 AStG Tz. 194 (Mai 2007); Rödder, T./Schumacher, A., Das kommende SEStEG – Teil 1: Die geplanten Änderungen des EStG, KStG und AStG - Der Regierungsentwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften, DStR 2006, S. 1494; kritisch insb. in Fällen eines Hochsteuerlandes Grotherr, S., (FN 2), S. 2178. Vgl. zum Begriff Ellis, M. J., Steuervermeidung durch Einschaltung von Steueroasen in der internationalen Praxis, Steueroasen und Außensteuergesetze – Die Bedeutung der Steueroasen heute und die gesetzlichen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung, hrsg. v. Vogel, K., München 1981, S. 7. Entsprechend des Verständnisses einer Steueroase qualifiziert das AStG alle Staaten als hochbesteuernd, deren Ertragsteuerbelastung mindestens 25 % beträgt. Vgl. Schmidtmann, D., (FN 2), S. 5; Grotherr, S., (FN 2), S. 2175. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2177; Schmidtmann, D., (FN 2), S. 5. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2175; zum fehlenden Liquiditätszufluss und zur Vermeidung von Gewinnrealisierungen als zentralem steuerplanerischem Ziel bei Umwandlungen vgl. Förster, G., Umstrukturierung deutscher Tochtergesellschaften im Ertragsteuerrecht, Düsseldorf 1991, S. 2; Herzig, N./Dautzenberg, N./Heyeres, R., System und Schwächen der Fusionsrichtlinie, DB 1991, Beilage Nr. 12, S. 3 f.; Herzig, N., Verbesserung der steuerlichen Flexibilität durch Neuordnung des steuerlichen Reorganisationsrechts?, Unternehmenstheorie und Besteuerung, Festschrift für Dieter Schneider zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Elschen, R./Siegel, T./Wagner, F. W., Wiesbaden 1995, S. 317 f.; Jacobs, O. H. (Hrsg.), Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Aufl., München 2007, S. 1149 f.
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann
sellschaften betroffen sind, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen. Ziel der Neuregelung ist es, eine Hinzurechnungsbesteuerung in den Fällen zu vermeiden, in denen eine Umwandlung nach dem UmwStG zu Buchwerten vollzogen werden könnte.10 Zum anderen hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2008 und als Reaktion auf die EuGH-Entscheidung „Cadbury Schweppes“ auf europarechtliche Zweifel an der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung reagiert und eine neue Ausnahmeregelung in § 8 Abs. 2 AStG eingeführt.11 Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob und in welchen Fällen die Hinzurechnungsbesteuerung nach diesen Änderungen noch als Hindernis für die Umwandlung von deutschen internationalen Konzernunternehmungen anzusehen ist.
2 Prüfungssystematik Bei der Bestimmung, welche Umwandlungsfälle in den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung gelangen, ist u.E. wie folgt vorzugehen: In einem ersten Prüfungsschritt ist zu untersuchen, ob eine potenzielle Zwischengesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, welche von einer Umwandlungsmaßnahme betroffen ist, gem. § 8 Abs. 2 AStG i.d.F. des JStG 2008 von der Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen ist. Liegt keine Ausnahme von der Hinzurechnungsbesteuerung vor, so ist in einem zweiten Prüfungsschritt zu klären, ob die Umwandlungsgewinne gem. § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG als aktive oder passive Einkünfte zu qualifizieren sind. Dabei ist zwischen EU/EWR-Gesellschaften und Drittstaatengesellschaften zu unterscheiden. Bei Umwandlungen, welche die Anteile an Beteiligungsgesellschaften erfassen, muss hilfsweise auch geprüft werden, ob der Gewinn nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG zu den aktiven Einkünften zählt.
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Vgl. BT-Drs. 16/3369, 15; gl. A. Grotherr, S., (FN 2), S. 2178; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 12. Vgl. EuGH v. 12.9.2006, Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995. Zur britischen Hinzurechnungsbesteuerung sind derzeit die Rs. C-201/05, Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, AblEG Nr. C 182 vom 23.07.2005, 27 und Rs. C-203/05, Vodafone 2, ABlEG Nr. C 182 vom 23.07.2005, 29, beim EuGH anhängig.
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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Liegen passive Umwandlungsgewinne vor, sind die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte unter entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln, § 10 Abs. 3 AStG. Im Vordergrund steht hierbei die Frage, ob eine Anwendung des UmwStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags möglich ist, § 10 Abs. 3 S. 4 AStG. Für aktive Umwandlungsgewinne kommt unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufstockung passiver Wirtschaftsgüter als Gestaltungsoption in Betracht. Folgende Abbildung veranschaulicht die Prüfungssystematik. 1. Prüfungsebene
tatsächl. wirtschaftl. Tätigkeit, Ansässigkeit innerhalb der EU/des EWR Deutschbeherrschung (§ 7 Abs. 2 AStG) § 8 Abs. 2 AStG
erfüllt keine HZB
nicht erfüllt
2. Prüfungsebene
Umwandlungsgewinne
Einkünfte
EU/EWR
Drittstaaten keine oder keine HZB
Passivität
aktive Einkünfte
§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG
bei anteilserfassenden Umwandlungen hilfsweise Prüfung des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG
passive Umwandl ungsgewinne
Rechtsfolgenebene
aktive Umwandlungsgewinne
Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags, Anwendung des UmwStG § 10 Abs. 3 S. 4 AStG
HZB
Aufstockung passiver Wirtschaftsgüter (EU/EWR)
Abbildung 1: Prüfungssystematik der Hinzurechnungsbesteuerung in Umwandlungsfällen
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann
3 Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 8 Abs. 2 AStG n.F. Durch Urteil vom 12.09.2006 in der Rs. „Cadbury Schweppes“ hat der EuGH die britische Hinzurechnungsbesteuerung als eine Beschränkung der durch Art. 43 und 48 EGV garantierten Niederlassungsfreiheit angesehen.12 Diese Beschränkung sei nur dann gerechtfertigt, wenn die in Frage stehenden Rechtsvorschriften speziell auf die Erfassung rein künstlicher Konstruktionen ausgerichtet seien.13 Auch eine typisierende Missbrauchsvorschrift wie die Hinzurechnungsbesteuerung sei in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung14 zulässig, sofern sie die Möglichkeit einräume, die Missbrauchsvermutung zu widerlegen und sowohl die Typisierung als auch die Rechtsfolgen der Typisierung verhältnismäßig ausgestaltet seien.15 Die Entscheidung des EuGH hat die schon bestehenden Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) und der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV) verstärkt.16 Das JStG 2008 hat deshalb die Hinzurechnungsbesteuerung durch Einführung eines neuen § 8 Abs. 2 AStG an die Vorgaben des EuGH-Urteils in der Rs. „Cadbury Schweppes“ angepasst.17
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Vgl. EuGH v. 12.09.2006, C-196/04, Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995, Tz. 46. Vgl. EuGH v. 12.09.2006, C-196/04, Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995, Tz. 51, 55. In diesem Sinne bereits EuGH v. 16.07.1998, Rs. C-264/96, ICI, EuGHE 1998, I-4695 Tz. 26; EuGH v. 12.12.2002, Rs. C-324/00, Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11790 Tz. 37. Vgl. EuGH v. 16.07.1998, Rs. C-264/96, ICI, EuGHE 1998, I-4695 Tz. 26; v. 21.11.2002, Rs. C436/00, X und Y, EuGHE 2002, I-10829 Tz. 61; v. 12.12.2002, Rs. C-324/00, Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11790 Tz. 37. EuGH v. 12.09.2006, C-196/04, Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995, Tz. 72 f., 74; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache „Cadbury Schweppes” und deren Auswirkungen auf die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, GmbHR 2006, S. 1066; Rödder, T./Schönfeld, J., Mündliche Verhandlung vor dem EuGH in der Rechtssache “Cadbury Schweppes”: Wird sich der Missbrauchsbegriff des EuGH verändern?, IStR 2006, S. 51 f. Vgl. a. EuGH v. 17.07.1997, Rs. C-28/95, Leur-Bloem, EuGHE 1997, I-4161 Tz. 43 f. sowie Bille, S., Hinzurechnungsbesteuerung in Europa, Aachen 2004, S. 151 f. Vgl. Wassermeyer, F., Die Fortentwicklung der Besteuerung von Auslandsbeziehungen – Anmerkungen zu den derzeitigen Überlegungen zur Reform des Außensteuergesetzes, IStR 2001, S. 114; Baumgärtel, M., Zum Reformbedarf der Hinzurechnungsbesteuerung, Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung, hrsg. v. Lüdicke, J., Köln 2002, S. 86-89; Rättig, H./Protzen, P. D. G., Zur Europarechtswidrigkeit der §§ 7-14 AStG und zu den Folgen für die internationale Steuerplanung, IStR 2003, S. 196; Kessler, W./Spengel, C., Checkliste potenziell EGrechtswidriger Normen des deutschen direkten Steuerrechts - Update 2008, DB 2008, Beilage Nr. 2, S. 35 f. m.w.N. Vgl. auch das vorangegangene BMF-Schreiben v. 08.01.2007, IV B 4 – S 1351 – 1/07, BStBl. I 2007, S. 99. Kritisch hierzu Köhler, S., Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung im EU-Kontext, Steuerbelastung – Steuerwirkung – Steuergestaltung, Festschrift zum 65. Geburtstag von Winfried
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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Die Neuregelung sieht vor, dass von einer Hinzurechnungsbesteuerung für deutschbeherrschte Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens abgesehen wird, wenn die Gesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht und der Steuerpflichtige dies nachweist. Zusätzlich müssen aufgrund der EGAmtshilfe-Richtlinie v. 19.12.1977 oder aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens (Art. 26 OECD-MA) oder multilateralen Abkommens (tatsächlich) Auskünfte erteilt werden, was nur zwischen Deutschland und Liechtenstein nicht erfüllt ist.18 Die Öffnung der Hinzurechnungsbesteuerung für einen einzelfallbezogenen Gegenbeweis gilt nur, wenn das Ansässigkeitserfordernis erfüllt ist. Danach muss die Zwischengesellschaft in einem Mitgliedstaat der EU bzw. einem Vertragsstaat des EWR ansässig sein. Somit ist die Ausnahmeregelung nicht einschlägig für in Drittstaaten ansässige Zwischengesellschaften. Ausgenommen sind auch Zwischeneinkünfte, die einer außerhalb der EU oder des EWR belegenen Betriebsstätte der EU-/EWRGesellschaft zuzurechnen sind. Nachgeschaltete Zwischengesellschaften, die weder Sitz noch Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR haben, sind ebenfalls von der Ausnahmeregelung nicht erfasst.19 Ursächlich hierfür ist, dass die in der Rs. Cadbury Schweppes ausschließlich untersuchte Niederlassungsfreiheit nur für Staatsangehörige und Gesellschaften aus Mitgliedstaaten der EU und des EWR garan-
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Mellwig, hrsg. v. Wehrheim, M./Heurung, R., Wiesbaden, 2007, S. 216-221. Eine entsprechende Reaktion der Finanzverwaltung gab es auch in Norwegen, vgl. Wikborg, M., Controlled foreign companies (CFCs), EC Tax Review 2008, S. 46. Innerhalb der Mitgliedstaaten der EU ist diese Bedingung aufgrund der EG-Amtshilfe-Richtlinie v. 19.12.1977, Richtlinie 77/799/EWG des Rates v. 19.12.1977, Abl. EG 1977 Nr. L 336, S. 15, zuletzt geändert durch Richtlinie 2004/56/EG des Rates v. 21.4.2004, ABl. EG 2004 Nr. L 127, S. 70, erfüllt. Zwischen Deutschland und den EWR-Vertragsstaaten Norwegen und Island ist die große Auskunftsklausel vereinbart, Art. 26 DBA-Norwegen bzw. Art. DBA-Island. Mit Liechtenstein besteht kein DBA, so dass hier die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 AStG nicht einschlägig ist. Vgl. a. Grotherr, S., International relevante Änderungen 2008 im Außensteuergesetz und in der AO, IWB Nr. 2 v. 23.1.2008, Fach 3, Gruppe 1, S. 2264; Schnitger, A., Änderungen der grenzüberschreitenden Unternehmensbesteuerung sowie des § 42 AO durch das geplante Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008), IStR 2007, S. 733. Zu einer Gestaltungsvariante für nachgeschaltete Zwischengesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in der EU/im EWR vgl. Schnitger, A., (FN 19), S. 732.
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tiert ist20. Offen ist allerdings, ob sich möglicherweise ein Schutz aus der Kapitalverkehrsfreiheit ergeben könnte, die auch für in Drittstaaten Ansässige gilt.21 Darüber hinaus muss das Beteiligungserfordernis erfüllt sein. § 8 Abs. 2 AStG n.F. stellt ausdrücklich auf eine Mehrheitsbeteiligung von unbeschränkt und erweitert beschränkt Steuerpflichtigen gem. § 7 Abs. 2 AStG an der ausländischen Gesellschaft ab, so dass Fälle der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Abs. 6 AStG nicht von der Ausnahmeregelung erfasst sind.22 § 7 Abs. 6 S. 1 und 3 AStG fordern für ein Eingreifen der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung lediglich, dass ein unbeschränkt Steuerpflichtiger an der ausländischen Gesellschaft in Höhe von mindestens 1% bzw. von weniger als 1% unmittelbar beteiligt ist. Das BMF-Schreiben vom 8. Januar 2007 sah diese Rückausnahme ebenso bereits vor. Sofern eine Zwischengesellschaft Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt und gleichzeitig eine Beteiligung iSv. § 7 Abs. 2 AStG vor-
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Vgl. EuGH v. 10.5.2007, C-492/04, Lasertec, IStR 2007, S. 439, Tz. 27; Kiemel, W., in: Groeben, H. von der/Schwarze, J. (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Kommentar, 6. Aufl., Baden-Baden 2003, Art. 56 EG Tz. 20; Gesetzesbegründung zum JStG 2008, BT-Drs. 16/6290, S. 93; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., (FN 15), S. 1069 m.w.N. Nach den Entscheidungen/Beschlüssen des EuGH v. 12.9.2006, Rs. C-196/04, Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995, Tz. 33, v. 3.10.2006, Rs. C-452/04, Fidium Finanz AG, DB 2006, S. 2456, Tz. 50 f.; v. 12.12.2006, Rs. C-446/04, Test Claimants in the F II Group Litigation, HRF 2007, S. 294, Tz. 37 f.; v. 13.3.2007, Rs. C-524/04, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, S. 249, Tz. 34 sowie v. 10.5.2007, Rs. C-492/04, Lasertec, IStR 2007, S. 439, Tz. 19 f., 24-26, v. 10.5.2007, C-102/05, A+B, http://eur-lex.europa.eu, Tz. 27-29, und v. 24.5.2007, Rs. C-157/05, Holböck, EWS 2007, S. 276, Tz. 22-24, scheint sich eine normspezifische Auslegung abzuzeichnen. Geht die in Frage stehende nationale Norm von einem sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesellschaft aus, so ist ausschließlich die Niederlassungsfreiheit anwendbar, die in ihrem Anwendungsbereich auf die Mitgliedstaaten der EU/des EWR begrenzt ist. Die Kapitalverkehrsfreiheit tritt in diesen Fällen hinter die Niederlassungsfreiheit zurück. Nach Ansicht des EuGH ist eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit in diesen Fällen unvermeidbare Konsequenz der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Weiterhin offen bleibt, ob an die Rechtfertigungsebene bei der Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatenfällen andere, weniger strenge Maßstäbe anzulegen sind als bei der Niederlassungsfreiheit. Vgl. Dölker, A./Ribbrock, M., Die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten – nunmehr gefestigte EuGH-Rechtsprechung?!, BB 2007, S. 1930 f., 1932. Damit käme der Kapitalverkehrsfreiheit insb. bei Portfoliobeteiligungen ohne sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesellschaft Bedeutung zu. Bezogen auf die Hinzurechnungsbesteuerung betrifft dies insb. die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 6 AStG. Kritisch aus europarechtlicher Sicht Hammerschmitt, S./Rehfeld, L., Gemeinschaftsrechtliche Bezüge der Änderungen des AStG durch das UntStRefG 2008 und das JStG 2008, IWB Nr. 5 v. 12.3.2008, Fach 3, Gruppe 1, S. 2301.
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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liegt, ist die Ausnahmeregelung anwendbar. Dies war im BMF-Schreiben vom 8. Januar 2007 noch unklar formuliert.23 Das in § 8 Abs. 2 AStG n.F. formulierte Nachweis- und Substanzerfordernis verlangt, dass der Hinzurechnungsempfänger den Nachweis führt, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit24 in diesem Staat nachgeht. Innerhalb des Aktivitätskatalogs nehmen § 8 Abs. 1 Nr. 8-10 AStG eine besondere Stellung ein, weil sie keine Tätigkeiten, sondern Einkünfte (Gewinnausschüttungen, Veräußerungsgewinne, Umwandlungsgewinne) beschreiben.25 Bezogen auf Umwandlungsvorgänge dürfte dieser Nachweis deshalb schwer zu führen sein. Sofern die Zwischengesellschaft vor dem Umwandlungszeitpunkt einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in ihrem Ansässigkeitsstaat nachging, sollte auch für den Umwandlungsvorgang der Nachweis als erbracht gelten, da das wirtschaftliche Engagement nur in eine neue Rechtsform bzw. Beteiligungsstruktur gekleidet wird. Damit wird es dem Steuerpflichtigen zukünftig ermöglicht, die Missbrauchsvermutung der Hinzurechnungsbesteuerung zu widerlegen.26 Da § 8 Abs. 2 AStG n.F. auf § 8 Abs. 1 AStG n.F. insgesamt verweist, gilt die Ausnahmeregelung nicht nur für die im Aktivitätskatalog enumerierten laufenden Tätigkeiten, sondern auch für die aperiodischen Vorgänge Veräußerung von Beteiligungen und Umwandlungen (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 und 10 AStG). Die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 AStG ermöglicht es, eine Hinzurechnungsbesteuerung auch dann zu vermeiden, wenn ein Umwandlungsvorgang nicht zu Buchwerten erfolgen könnte und damit keine aktiven Umwandlungsgewinne gem. § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG vorliegen. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass § 8 Abs. 2 AStG n.F. eine Hinzurechnungsbesteuerung bei der x Umwandlung von Zwischengesellschaften in Drittstaaten 23
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Vgl. BMF v. 8.1.2007, (FN 17), S. 99, 100, Nr. 3 lit. a; Schmidtmann, D., Hinzurechnungsbesteuerung bei internationalen Umwandlungen – Neuregelungen durch das SEStEG, IStR 2007, S. 234, Fn. 51. Vgl. hierzu insb. die Gesetzesbegründung zum JStG 2008, BT-Drs. 16/6290, S. 92; sowie Hammerschmitt, S./Rehfeld, L., (FN 22), S. 2299; Sedemund, J., Europarechtliche Bedenken gegen den neuen § 8 Abs. 2 AStG, BB 2008, S. 698; Köhler, S./Haun, J., Kritische Analyse der Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung durch das JStG 2008, Ubg 2008, S. 78-82. Vgl. Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 AStG Tz. 3 (Mai 2007). Unabhängig von der Einschlägigkeit der Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 AStG n.F. bleiben die Erklärungspflichten des Steuerpflichtigen zur gesonderten Feststellung nach § 18 Abs. 3 S. 1 AStG bestehen.
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann x Umwandlung von Zwischengesellschaften in beliebigen Staaten, bei denen lediglich eine Beteiligung iSv. § 7 Abs. 6 AStG vorliegt, und x Umwandlung von Briefkastengesellschaften in beliebigen Staaten nicht verhindern kann.
In diesen Fällen bleibt in einem zweiten Prüfungsschritt zu untersuchen, ob die möglichen Umwandlungsgewinne als aktive Einkünfte qualifiziert werden können.
4 Umwandlungsgewinne als aktive Einkünfte 4.1 Grundtatbestand 4.1.1 Allgemeines Nach der Erweiterung des Aktivitätskatalogs um einen neuen § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG zählen zu den aktiven Einkünften nunmehr auch Einkünfte aus „… Umwandlungen, die ungeachtet des § 1 Absätze 2 und 4 des Umwandlungssteuergesetzes zu Buchwerten erfolgen könnten; das gilt nicht, soweit eine Umwandlung den Anteil an einer Kapitalgesellschaft erfasst, dessen Veräußerung nicht die Voraussetzungen der Nummer 9 erfüllen würde.“ Mit Ausnahme von Beteiligungen an Zwischengesellschaften, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erwirtschaften (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG), ist es dabei ohne Bedeutung, ob durch den Umwandlungsvorgang stille Reserven in Wirtschaftsgütern aufgedeckt werden, die der Erzielung regulärer Einkünfte aus passivem Erwerb oder der Erzielung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter dienten.27 Deshalb können durch einen Umwandlungsvorgang Wirtschaftsgüter mit stillen Reserven auch dann „hinzurechnungssteuerneutral“ auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden, wenn sie der Erzielung von Einkünften aus passivem Erwerb inklusive der Subkategorie Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter dienen.28 Sollte der übernehmende Rechtsträger nicht die Voraussetzungen einer Zwischengesellschaft erfüllen, wären die stillen Reserven endgültig der Hinzurechnungsbesteuerung entzogen.29 Die-
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Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2177. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2190 f.; Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 AStG Tz. 182.2 (Mai 2007). Die Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben v. 8.1.2007, (FN 17), S. 99, Nr. 3 ändert hieran nichts. Vgl. Luckey, J., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 10 Tz. 105 (Feb. 2007).
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se Konsequenz ist aus Sicht der Hinzurechnungsbesteuerung systemgerecht, weil es innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung keinen Entstrickungsgrundsatz gibt.
4.1.2 Begünstigte Umwandlungen Trotz fehlender Definition des Begriffs Umwandlungen in § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG sind alle unter das UmwStG fallenden Umwandlungsvorgänge (§ 1 Abs. 1 und 3 UmwStG) und vergleichbare ausländische Vorgänge begünstigt. Danach sind sowohl Verschmelzungen, Spaltungen, Vermögensübertragungen, Formwechsel als auch Einbringungen von Betrieben, Teilbetrieben, Mitunternehmeranteilen sowie der Anteilstausch erfasst.30 Nicht begünstigt sind ausländische Umwandlungen, die sich beispielsweise im Wege der Einbringung von Einzelwirtschaftsgütern oder der grenzüberschreitenden Sitzverlegung vollziehen.31 Im Fall der grenzüberschreitenden Sitzverlegung ist dies unproblematisch, weil eine Hinzurechnungsbesteuerung aus der Sitzverlegung einer (nachgeschalteten) Zwischengesellschaft wegen der Identität des Körperschaftsteuersubjekts regelmäßig unterbleibt. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass eine sitzverlegende (nachgeschaltete) Zwischengesellschaft nach ausländischem Recht tatsächlich aufgelöst und abgewickelt wird. Für diesen Fall greifen die Grundsätze über die Liquidation einer (nachgeschalteten) Zwischengesellschaft.32
4.1.3 Abstrakte versus konkrete Einkünfte Nach dem Einleitungssatz des Aktivitätskatalogs in § 8 Abs. 1 AStG müssen Einkünfte vorliegen. Für Zwecke des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG ist fraglich, ob abstrakte oder konkrete Einkünfte vorliegen müssen.33 Sofern keine Einkünfte vorliegen, erübrigt sich die Subsumtion unter § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG. Für die Rechtsfolgenseite legt § 10 Abs. 3 AStG eindeutig fest, dass die Einkünfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln sind. Für die Tatbestandsseite fehlt eine entsprechende Erläuterung. Dennoch ist nach überwiegender Auffassung für den Begriff der Einkünfte nach § 8 Abs. 1 AStG sowie für die Bestimmung der Niedrigbesteuerung i.S.d. § 8 Abs. 3 AStG und für die Freigrenzen des § 9 AStG das Verständ30
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Vgl. § 1 Abs. 1, 3, § 27 Abs. 1, 2 UmwStG; Grotherr, S., (FN 2), S. 2180 f.; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 17. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2181. Vgl. Schmidtmann, D., (FN 2), S. 367 ff. Vgl. Schmidtmann, D., (FN 23), S. 232 f.; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 316.2 (Juni 2007).
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nis des deutschen Steuerrechts maßgebend, und die Ermittlung der Einkünfte (aus passivem Erwerb) hat unter entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu erfolgen.34 Hieraus folgt, dass auch die Vorschriften des UmwStG grundsätzlich bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 8 Abs. 1 AStG anzuwenden sind, nachdem § 10 Abs. 3 S. 4 AStG nicht mehr wie vor dem SEStEG die Anwendung des UmwStG ausschließt.35 Die Ausnahmen des § 10 Abs. 3 S. 4 AStG, die insbesondere bei Beteiligung von Zwischengesellschaften mit Kapitalanlagecharakter am Umwandlungsvorgang einschlägig sind, sind jedoch bereits bei der Prüfung des § 8 Abs. 1 AStG zu berücksichtigen.36 Aus der grundsätzlichen Anwendung des UmwStG bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 8 Abs. 1 AStG folgt, dass für die Frage, ob Einkünfte iSv. § 8 Abs. 1 AStG vorliegen, zwischen EU-/EWR-Fällen und Drittstaaten-Fällen unterschieden werden muss. In EU-/EWR-Fällen kann das UmwStG angewendet werden, da der räumliche Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 2, 4 UmwStG eröffnet ist. Bei einem Buchwertansatz (in der Hinzurechnungsbilanz) entstehen keine Einkünfte, so dass auch keine Niedrigbesteuerung gem. § 8 Abs. 3 AStG vorliegt. Nur bei einem Ansatz zu Zwischenwerten bzw. zum Gemeinen Wert und in den Ausnahmefällen des § 10 Abs. 3 S. 4 AStG liegen Einkünfte i.S.v. § 8 Abs. 1 AStG vor, für die sich die Frage nach ihrem aktiven oder passiven Charakter stellt.37 In Drittstaaten-Fällen, in denen die Anwendung des UmwStG wegen § 1 Abs. 2, 4 UmwStG ausgeschlossen ist, kann eine umwandlungsbedingte Gewinnrealisierung dagegen nicht durch direkten Rückgriff auf das UmwStG neutralisiert werden. Die entstehenden Einkünfte müssen daher nach dem Maßstab des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG als aktiv oder passiv qualifiziert werden.38 34
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Vgl. BFH v. 15.03.1995, I R 14/95, BStBl. II 1995, S. 502, 504; v. 21.01.1998, I R 3/96, BStBl. II 1998, S. 468, 470; v. 09.07.2003, I R 82/01, BStBl. II 2004, S. 4, 6; BMF v. 14.05.2004, IV B 4 – S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sonder-Nr. 1/2004, S. 3, Tz. 8.3.2.1, mit Verweis auf Tz. 10.1.1.1 (jeweils zu § 8 Abs. 3 AStG); Mössner, J. M., in: Brezing, K., u.a., Außensteuerrecht, Kommentar, Herne/Berlin, 1991, § 8 AStG, Tz. 114 (zu § 8 Abs. 3 AStG); Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 395 (Nov. 2002); a.A. bzgl. § 8 Abs. 3 AStG Wurster, H.-J., Der Einkunftsbegriff bei der Hinzurechnungsbesteuerung – Ein Beitrag zur Maßgeblichkeit deutschen Steuerrechts bei der Ermittlung schädlicher Einkünfte, FR 1984, S. 332 f. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2190; Schmidtmann, D., (FN 23), S. 232; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 56. Vgl. Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 316.4 (Juni 2007). Zur Vorteilhaftigkeit eines Buchwertansatzes vgl. Gliederungspunkt 4.1.4 und 5. Vgl. Schmidtmann, D., (FN 23), S. 233.
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Allerdings ist zu beachten, dass nicht jede Umwandlung zwingend zu einer Gewinnrealisierung führt. Eine Ausnahme gilt etwa für den Formwechsel, sofern das ausländische Zivilrecht von einer Rechtsträgerkontinuität ausgeht39. Eine ausländische Kapitalgesellschaft, die einen Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform oder eine Personengesellschaft vollzieht, verwirklicht in diesem Fall keinen Realisationstatbestand.40 Gleiches gilt für die Gesellschafterebene.41 Zwar fingiert § 9 UmwStG beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft einen Rechtsträgerwechsel und erklärt die Vorschriften über die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft (§§ 3 bis 8, 10 UmwStG) für entsprechend anwendbar.42 Jedoch findet § 9 UmwStG wegen § 1 Abs. 4 UmwStG keine Anwendung, sofern die formwechselnde Kapitalgesellschaft ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Drittlandsgebiet hat. Mangels Einkünften iSv. § 8 Abs. 1 AStG unterbleibt daher auch in diesen Fällen eine Hinzurechnungsbesteuerung.
4.1.4 Fiktive Prüfung des UmwStG Zu den aktiven Einkünften zählen nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 Hs. 1 AStG Einkünfte aus Umwandlungen, die ungeachtet des § 1 Abs. 2 und 4 des Umwandlungssteuergesetzes zu Buchwerten erfolgen könnten. Da es auf die in § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG genannten Voraussetzungen nicht ankommt, fallen hierunter sowohl Umwandlungen in EU-/EWR-Mitgliedstaaten als auch in Drittstaaten.43
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Vgl. BFH v. 19.08.1958, I 78/58 U, BStBl. III 1958, S. 468, 469; Regierungsbegründung zum UmwStG, BT-Drs. 12/6885, S. 22. Vgl. BFH v. 19.08.1958, I 78/58 U, BStBl. III 1958, S. 468, 470 (zum Formwechsel ohne Strukturwandel); Wassermeyer, F., (FN 2), S. 635; Klingberg, D., (FN 2), S. 226-228 (anders zum Formwechsel mit Strukturwandel noch Klingberg, D./Lishaut, I. van, Ausländische Umwandlungen im deutschen Steuerrecht, FR 1999, S. 1219); Herzig, N., (FN 2), S. 136; Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 AStG Tz. 23 (Mai 2007); a.A. zum Formwechsel mit Strukturwandel wohl Schnitger, A./Rometzki, S., Ausländische Umwandlungen und ihre Folgen bei inländischen Anteilseignern - Problemfelder vor und nach dem Entwurf des SEStEG, FR 2006, 851, 855. Vgl. Klingberg, D., (FN 2), S. 229. Vgl. Regierungsbegründung zum UmwStG, BT-Drs. 12/6885, S. 22; Stratz, R.-C. in: Schmitt, J./Hörtnagl, R./Stratz, R.-C., Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., München 2006, § 190 UmwG A Tz. 10; Schmitt, J. in: Schmitt, J./Hörtnagl, R./Stratz, R.-C., Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., München 2006, § 14 UmwStG D Tz. 8. Vgl. auch FG München v. 05.10.2000, 7 V 3797/00, EFG 2001, S. 32, rkr. (zu Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, § 25 UmwStG). Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2182; Schmidtmann, D., (FN 23), S. 230; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 22.
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Allerdings müssen die übrigen Voraussetzungen des UmwStG für einen Buchwertansatz vorliegen.44 Dabei sind die Besonderheiten der jeweiligen Umwandlungsart zu beachten.45 Die Prüfung eines Buchwertansatzes nach deutschem UmwStG für den ausländischen Umwandlungsvorgang ist rein fiktiver Natur.46 Daher ist ein konkreter, fristgebundener Antrag auf Buchwertführung nicht erforderlich.47 Voraussetzungen für einen Buchwertansatz ist, dass die übertragenen bzw. eingebrachten Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen des übernehmenden Rechtsträgers werden und sichergestellt ist, dass sie später der Einkommen- und Körperschaftsteuer unterliegen, das Recht Deutschlands hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen bzw. eingebrachten Wirtschaftsgüter beim übernehmenden Rechtsträger nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird und eine Gegenleistung nicht gewährt wird oder diese in Gesellschaftsrechten besteht (§§ 3 Abs. 2, 11 Abs. 2, 15 Abs. 1 iVm. 11 Abs. 2, 20 Abs. 2, 21 Abs. 2 UmwStG). Unklar ist, wie im Rahmen der Prüfung dieser Voraussetzungen die Außerachtlassung der Bestimmungen des § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG zu erfolgen hat. Zum einen könnte nach einer etwa als Ansässigkeitsthese zu bezeichnenden Auffassung allein die übertragende/einbringende Zwischengesellschaft oder eine als Gesellschafter am Umwandlungsvorgang beteiligte Zwischengesellschaft fiktiv als im Inland ansässig angesehen werden.48 Eine fiktive Verlagerung der übrigen am Umwandlungsvorgang beteiligten Rechtsträger bzw. des übertragenen Vermögens ins Inland würde hiernach nicht erfolgen. Zum anderen könnte nach der Inlandsthese fiktiv unterstellt werden, dass der Umwandlungsvorgang insgesamt im Inland stattfindet.49 Danach werden nicht nur die
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Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2182; Rödder, T./Schumacher, A., Das SEStEG - Überblick über die endgültige Fassung und die Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, DStR 2007, S. 377; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 23. Vgl. Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 29. Vgl. Schmidtmann, D., (FN 23), S. 233; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 23. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2187; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 27. So Grotherr, S., (FN 2), S. 2184; Rödder, T./Schumacher, A., (FN 44), S. 377; Schmidtmann, D., (FN 23), S. 230; Vogt, G. in: Blümich, EStG, KStG, GewStG - Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, ertragsteuerliche Nebengesetze, Kommentar, hrsg. v. Ebling, K., 16. Aufl., München, 97. Ergänzungslieferung, § 8 AStG Tz. 128 (April 2007); nicht eindeutig Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 25 f. So Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.1 (Juni 2007).
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beteiligten Rechtsträger, sondern auch das übertragene Vermögen fiktiv ins Inland verlagert. Unterschiedliche Auswirkungen beider Auffassungen zeigen sich nur bei grenzüberschreitenden ausländischen Umwandlungen, während bei rein innerstaatlichen ausländischen Umwandlungen dasselbe Ergebnis eintritt.50 Wird der Inlandsthese gefolgt, käme der für eine Umwandlung zu Buchwerten zentralen Frage, ob das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Veräußerungsgewinns der übertragenen Wirtschaftsgüter nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (z.B. § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwStG), keine Bedeutung zu. Die Steuerverhaftungsbedingung wäre immer erfüllt. Nur nach der Ansässigkeitsthese könnten die Steuerverhaftungsbedingungen des UmwStG verletzt sein, weil nur die übertragende/einbringende bzw. am Anteilstausch teilnehmende Zwischengesellschaft als im Inland ansässig fingiert wird.51 Gegen die Inlandsthese spricht zunächst der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG. Folge der ausdrücklichen Unbeachtlichkeit des § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG ist nur die Ausdehnung des regionalen Anwendungsbereichs des UmwStG im Rahmen der fiktiven Prüfung eines Buchwertansatzes nach dem UmwStG. Die übrigen Voraussetzungen für einen Buchwertansatz nach dem UmwStG sind uneingeschränkt zu beachten und damit insb. auch die Steuerverhaftungsbedingung.52 Aus dem Wortlaut ergibt sich insbesondere auch keine Verlagerung von Betriebsvermögen ins Inland.53 Zweifelhaft ist, ob der Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG für oder gegen die Inlandsthese spricht.54 Die Schwierigkeit der Beurteilung liegt darin, dass auf Ebene der Hinzurechnungsbesteuerung nur sehr eingeschränkt mit der Sachlogik des UmwStG argumentiert werden kann. Im Gegensatz zum Umwandlungssteuergesetz, in dessen Systematik der Wahrung deutscher Besteuerungsrechte besonderes Gewicht zukommt, ist es auf Ebene der Hinzurechnungsbesteuerung unerheblich, ob deutsche Besteuerungsrechte aus der Hinzurechnungsbesteuerung ausgeschlossen oder beschränkt werden. Im Bereich der §§ 7-14 AStG existiert keine außensteuerrechtliche
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Vgl. Rödder, T./Schumacher, A., (FN 44), S. 377; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 24. Vgl. Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 24. Vgl. Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 25. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2184. Nach Ansicht von Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 26, spricht der Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG für die Inlandsthese.
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Verstrickung bzw. Entstrickung stiller Reserven.55 Deshalb ist es unschädlich, wenn sich aus einem Umwandlungsvorgang ein Ausschluss deutscher Besteuerungsrechte aus der Hinzurechnungsbesteuerung (etwa bei der Verschmelzung einer Zwischengesellschaft auf eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft oder bei der „upstream“-Verschmelzung einer nachgeschalteten Zwischengesellschaft auf eine Obergesellschaft, die nicht zugleich die Voraussetzungen einer Zwischengesellschaft zB. wegen fehlender Niedrigbesteuerung erfüllt) ergibt.56 Folglich erscheint es bei der fiktiven Prüfung des UmwStG nicht sachgerecht, auf eine Verneinung der Steuerverhaftungsbedingung mit einer Nicht-Erfüllung des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG und einer Hinzurechnungsbesteuerung zu antworten. Aus dieser Sicht spricht einiges für die Inlandsthese. Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG ist es, Umwandlungen nicht mittelbar im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung als gewinnrealisierenden Vorgang zu erfassen, wenn diese nach den Vorschriften des UmwStG zu Buchwerten durchgeführt werden können.57 Dieses Ziel wird durch die Neuregelung erreicht und damit das „Paradoxon der Hinzurechnungsbesteuerung bei ausländischen Umwandlungsvorgängen“58 beseitigt. Ein vergleichbarer Widerspruch wird in Fällen, in denen eine steuerneutrale Umwandlung nach dem UmwStG wegen Verletzung der Steuerverhaftungsbedingung nicht möglich ist, nicht erzeugt. Bei der fiktiven Prüfung des UmwStG nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG geht es nur darum, festzustellen, ob eine Umwandlung nach dem UmwStG zu Buchwerten möglich wäre. Ist dies der Fall, unterbleibt eine Hinzurechnungsbesteuerung. Die fiktive Behandlung nach dem UmwStG dient als Referenzfall. Ist die Steuerverhaftungsbedingung nicht erfüllt, so liegen passive Einkünfte vor, die zur Hinzurechnungsbesteuerung führen. Es geht bei dieser Prüfung nicht um eine Prüfung der Entstrickung aus der Hinzurechnungsbesteuerung und nicht um die Ableitung eines indirekten Besteuerungsrechts an den stillen Reserven über die §§ 7-14 AStG59, sondern nur um eine Überprüfung der Widerspruchsfreiheit mit der direkten Besteuerung nach dem UmwStG im Fall der
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Vgl. § 21 Abs. 3 AStG; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 10 Tz. 253 (Sept. 2006); § 8 Tz. 319.4 (Juni 2007); Grotherr, S., (FN 2), S. 2185 f. m.w.N. Vgl. auch Grotherr, S., (FN 2), S. 2186 f. Vgl. BT-Drs. 16/3369, 15. Grotherr, S., (FN 2), S. 2177. So aber Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 Tz. 182.7 (Mai 2007).
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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Buchwertfortführung. Diese Sichtweise spricht gegen die Inlands- und für die Ansässigkeitsthese. Gegen die Inlandsthese spricht auch die Direkterzielungsfiktion60, nach der das Ergebnis mit der Situation zu vergleichen ist, die eingetreten wäre, wenn der bei der Zwischengesellschaft durch die Realisierung der stillen Reserven entstandene Gewinn direkt von der inländischen Spitzeneinheit erzielt worden wäre. Sofern die Steuerverhaftungsbedingungen des UmwStG nicht erfüllt sind, wäre auf die Besteuerung eines Übertragungs-/Einbringungsgewinns im Zeitpunkt der Umwandlung nicht verzichtet bzw. die Besteuerung nicht aufgeschoben worden. Ob eine Hinzurechnungsbesteuerung bei Nicht-Erfüllung der Steuerverhaftungsbedingung sachgerecht ist, ist eine gesondert zu beurteilende Frage. Sie ist zu verneinen, weil eine Besteuerung des Umwandlungsgewinns gegen die Missbrauchszielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung verstößt und zu einer Strafbesteuerung führt, weil in diesen Fällen keine ungerechtfertigten Steuervorteile in Anspruch genommen werden. Wie sich bei den Anwendungsfällen zeigen wird, ist es für die meisten Anwendungsfälle der Hinzurechnungsbesteuerung bei Umwandlungen nur von geringer Bedeutung, welcher Auffassung gefolgt wird. Bei der Hinzurechnungsbesteuerung geht es um im Ausland ansässige Kapitalgesellschaften, die über ausländisches Betriebsvermögen verfügen, an dem kein deutsches Besteuerungsrecht besteht. Atypische Basisgesellschaften mit inländischem Betriebsvermögen, das aufgrund einer Umwandlung aus dem deutschen Besteuerungszugriff entgleitet, sind vergleichsweise selten. Neben der Steuerverhaftungsbedingung ist für einen Buchwertansatz nach dem UmwStG erforderlich, dass die übertragenen bzw. eingebrachten Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen des übernehmenden Rechtsträgers werden und bei diesem der Körperschaft- oder Einkommensteuer unterliegen (§ 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1, 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwStG). Auch dieses Merkmal muss entsprechend
60
Vgl. Regierungsbegründung zum AStG, BT-Drs. VI/2883, 18 f., Tz. 27; 19 f., Tz. 33; 26 f. Tz. 83; BFH v. 12.07.1989, I R 46/85, BStBl. II 1990, S. 113, 117; vgl. a. den Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 6 lit. b AStG; vgl. a. Debatin, H., Außensteuerreformgesetz, DStZ/A 1972, S. 274; Kuhlmann, J.-H., Die Systematik der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7-14 AStG und ihre Einfügung in das Nationale und Internationale Steuerrecht, Berlin, 1983; S. 25, 257; Wettlaufer, H., Hinzurechnungsbilanz als außensteuerrechtliches Gewinnermittlungsinstrument, Göttingen, 1984, S. 151; Burkert, M., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 12 AStG Tz. 16 (Juni 2005).
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann
der Ansässigkeitsthese fiktiv erfüllt sein.61 Erforderlich ist nur eine grundsätzliche Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerpflicht mit inländischer oder ausländischer Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer.62 Ferner darf für einen Buchwertansatz keine Gegenleistung gewährt werden oder muss in Gesellschaftsrechten bestehen.63 Nach der im Konjunktiv formulierten Aussage des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG kommt es nur auf die Möglichkeit eines Buchwertansatzes an, so dass ein tatsächlicher Buchwertansatz in der Hinzurechnungsbilanz nicht erforderlich ist.64 Für diese Auslegung spricht neben der Verwendung des Konjunktivs („könnte“), dass § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG davon ausgeht, dass positive Einkünfte entstehen können, die sodann als aktive Einkünfte qualifiziert werden. Dafür spricht auch die Regelung in § 10 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 AStG, aus dessen Formulierung sich schließen lässt, dass im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage die Vorschriften des UmwStG grundsätzlich bei der Ermittlung der dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte Anwendung finden. Positive Einkünfte können sich nach den Vorschriften des UmwStG nur bei einem Ansatz zu Zwischenwerten bzw. zu Gemeinen Werten ergeben oder wenn die Voraussetzungen für einen Buchwertansatz nicht vorliegen, z.B. weil eine nicht in Gesellschaftsrechten bestehende Gegenleistung gewährt wird. Der Steuerpflichtige wird regelmäßig den Gemeinen Wert in der Hinzurechnungsbilanz ansetzen, um die (hinzurechnungssteuerfreie) Buchwertaufstockung passiver Wirtschaftsgüter für höhere Abschreibungen in den Folgejahren bzw. geringere Veräußerungsgewinne zu nutzen.65 Beim übernehmenden Rechtsträger können die erhöhten Abschreibungen in den Folgejahren Auswirkungen auf das Kriterium der Niedrigbesteuerung haben und zu geringeren Hinzurechnungsbeträgen führen, sofern dieser die Voraussetzungen für eine Zwischengesellschaft erfüllt.
61 62
63 64
65
Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2183 f. Vgl. Birkemeier, K. in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Köln, 2008, § 3 Tz. 95 f.; Rödder, T. in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Köln, 2008, § 11 Tz. 105, 107; Grotherr, S., (FN 2), S. 2183 f. stellt insoweit auf die deutsche Einkommen- oder Körperschaftsteuer ab. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2187. Vgl. Rödder, T./Schumacher, A., (FN 44), S. 377; Schmidtmann, D., (FN 23), S. 231; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 27; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.3 (Juni 2007). Vgl. Rödder, T./Schumacher, A., (FN 44), S. 377; Schmidtmann, D., (FN 23), S. 231; Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.3 f. (Juni 2007), die auf § 42 AO hinweisen.
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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Neben dem Buchwertansatz nach dem UmwStG könnte sich möglicherweise auch aus anderen Umwandlungen begünstigenden Vorschriften ein Buchwertansatz ergeben.66
4.2 Ausnahme für anteilserfassende Umwandlungsvorgänge Soweit eine Umwandlung den Anteil an einer Kapitalgesellschaft erfasst, dessen fiktive Veräußerung nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG erfüllen würde, zählen Umwandlungsgewinne zu den Einkünften aus passivem Erwerb, § 8 Abs. 1 Nr. 10 Hs. 2 AStG. Diese Ausnahme soll gewährleisten, dass passive Veräußerungsgewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften mit Kapitalanlageeinkünften nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG auch aufgrund eines wirtschaftlich vergleichbaren Umwandlungsvorgangs als passive Einkünfte erfasst werden.67 Nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG zählen Gewinne, die eine Obergesellschaft aus der Veräußerung von Anteilen an einer nachgeschalteten Gesellschaft sowie aus deren Auflösung oder der Herabsetzung ihres Kapitals erzielt, zu den aktiven Einkünften. Dies gilt jedoch nur, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Veräußerungsgewinn nicht auf Wirtschaftsgüter der nachgeschalteten Gesellschaft entfällt, die Kapitalanlagetätigkeiten i.S.d. § 7 Abs. 6a AStG dienen. Kann dieser Nachweis durch den Steuerpflichtigen nicht geführt werden, ist der Veräußerungsgewinn den Einkünften aus passivem Erwerb zuzuordnen.68 Entsprechendes gilt, wenn der Untergesellschaft eine weitere Gesellschaft nachgeschaltet ist, § 8 Abs. 1 Nr. 9 Hs. 2 AStG. Zweck der Regelung ist es, stille Reserven in den Wirtschaftsgütern zu erfassen, die der Erzielung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter dienen, die normalerweise über die übertragende Zurechnung nach § 14 AStG erfasst werden und wirtschaftlich im Veräußerungsgewinn enthalten sind.69
66 67
68
69
Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2182. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2188; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 37. A. A. Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.9 (Juni 2007). Bei nicht erbrachtem Nachweis ordnet die Finanzverwaltung den Veräußerungsgewinn insgesamt den Einkünften aus passivem Erwerb zu, vgl. BMF v. 14.05.2004, (FN 34), S. 3, Tz. 8.1.9. Vgl. Lieber, B., Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz, FR 2002, S. 145; Schmidt, C. in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 11 AStG Tz. 3 (Sept. 2004); Grotherr, S., (FN 2), S. 2179 f.
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann
Von der Regelung können im übertragenen Vermögen befindliche Anteile an Kapitalgesellschaften (Gesellschaftsebene) und auf Gesellschafterebene im Zuge eines Anteilstausches substituierte Anteile betroffen sein.70 Bei einem Vergleich des Grundsatzes und der Ausnahme des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG zeigt sich jedoch eine Widersprüchlichkeit für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter. Die direkte Aufdeckung stiller Reserven in Wirtschaftsgütern, die der Erzielung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter dienen, führt unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 10 Hs. 1 AStG zu aktiven Einkünften, während die indirekte Realisierung stiller Reserven in Wirtschaftsgütern, die der Erzielung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter dienen, über einen anteilserfassenden Umwandlungsvorgang zu Einkünften aus passivem Erwerb führt (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 Hs. 2 AStG).71 Wegen der Inbezugnahme des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG muss der Steuerpflichtige auch in Umwandlungsfällen den Nachweis erbringen, dass der Umwandlungsgewinn nicht auf Wirtschaftsgüter entfällt, die der Erzielung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter dienen.72
4.3 Zwischenergebnis 4.3.1 Keine Umwandlung zu Buchwerten nach dem UmwStG Umwandlungsgewinne führen immer dann zu passiven Einkünften, wenn der in Frage stehende Umwandlungsvorgang nicht zu Buchwerten nach dem UmwStG durchgeführt werden könnte (z.B. übergehende Wirtschaftsgüter werden nicht Betriebsvermögen und unterliegen nicht weiterhin der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer oder Gewährung einer nicht in Gesellschaftsrechten bestehenden Gegenleistung oder kein begünstigter Umwandlungsvorgang), sofern im Einzelfall nicht § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG einschlägig ist.
70
71 72
Gl.A. Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 47, 49. a.A. Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 Tz. 182.11 (Mai 2007). Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2179 f.; Rödder, T./Schumacher, A., (FN 45), S. 377. Vgl. Grotherr, S., (FN 2), S. 2189 f.; Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 38 f.; a.A. Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.13 (Juni 2007).
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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Wird der Ansässigkeitsthese gefolgt, ist es für die Möglichkeit einer Umwandlung zu Buchwerten von zentraler Bedeutung, ob das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Veräußerungsgewinns der übertragenen Wirtschaftsgüter bzw. Beteiligungen nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Bei der Prüfung, ob die Steuerverhaftungsbedingung erfüllt ist, sind vier Fälle denkbar.73 Fall
Tab. 1:
vor Umwandlung
nach Umwandlung
Steuerverhaftungsbedingung
1
kein Besteuerungsrecht
kein Besteuerungsrecht
erfüllt
2
Besteuerungsrecht
kein/eingeschränktes Besteuerungsrecht
nicht erfüllt
3
Besteuerungsrecht
Besteuerungsrecht
erfüllt
4
kein Besteuerungsrecht
Besteuerungsrecht
erfüllt
Denkbare Fallgruppen für die Prüfung der Steuerverhaftungsbedingung
Besteht sowohl vor als auch nach der Umwandlung kein deutsches Besteuerungsrecht an den übertragenen Wirtschaftsgütern, ist die Steuerverhaftungsbedingung erfüllt, so dass aus der Umwandlung entstehende Einkünfte den aktiven Einkünften zuzuordnen wären (Fallgruppe 1).74 Zu dieser Fallgruppe dürften die meisten Umwandlungen im Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung gehören, weil Zwischengesellschaften regelmäßig nur über ausländisches Betriebsvermögen verfügen, an dem kein deutsches Besteuerungsrecht besteht. Atypische Basisgesellschaften mit inländischem Betriebsvermögen, für das die Gefahr einer Beschränkung oder eines Ausschlusses deutscher Besteuerungsrechte bestünde, sind eher die Ausnahme. Die zweite Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar vor der Umwandlung ein deutsches Besteuerungsrecht bestand, dieses aber durch die Umwandlung ausgeschlossen oder beschränkt wird.75 Da in diesen Fällen wegen Verletzung der Steuerverhaftungsbedingung eine Umwandlung zu Buchwerten nicht möglich ist, wären Umwandlungsgewinne insoweit passiv, soweit die Einkünfte nicht im Einzelfall unter § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG subsumiert werden können. 73
74 75
Vgl. Schmidtmann, D., (FN 23), S. 230; so auch Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.5, 319.6 (Juni 2007); vgl. a. Grotherr, S., (FN 2), S. 2184. Vgl. a. Grotherr, S., (FN 2), S. 2184 f. Vgl. a. Grotherr, S., (FN 2), S. 2185, mit einem Beispiel zu § 20 Abs. 2 AStG.
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Guido Förster, Dirk Schmidtmann
Beispiel: Eine inländische Mutterkapitalgesellschaft (MG) ist Alleingesellschafterin einer in den Niederlanden ansässigen Zwischengesellschaft (ZG 1), die an einer in Tschechien ansässigen Zwischengesellschaft (ZG 2) beteiligt ist. ZG 2, die über eine inländische Tochterkapitalgesellschaft (UG) verfügt, wird auf eine nicht konzernzugehörige Kapitalgesellschaft (NG) verschmolzen, die in Frankreich domiziliert.
MG
Deutschland
UG
100%
Niederlande
ZG 1 100%
ZG 2
Verschmelzung
Tschechien
Frankreich
100%
NG
Abbildung 2: Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts durch die Verschmelzung
Nach Art. 13 Abs. 3 DBA-Tschechien besteht vor der Verschmelzung von ZG 2 ein deutsches Besteuerungsrecht für den Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der UG. Durch die Verschmelzung von ZG 2 auf NG wird das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerung der von ZG 2 gehaltenen Beteiligung ausgeschlossen, da nach Art. 7 Abs. 1 DBA-Frankreich der Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an UG ausschließlich in Frankreich besteuert werden darf. Daher müsste die übertragende ZG 2 in ihrer steuerlichen Schlussbilanz die übergehende Beteiligung an UG zwingend mit dem gemeinen Wert ansetzen, § 11 Abs. 1, 2 UmwStG. Der Übertragungsgewinn zählt insoweit nicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG zu den aktiven Einkünften. Allerdings ist der auf die Beteiligung an UG entfallende Übertragungsgewinn den Einkünften aus aktivem Erwerb nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG zuzuordnen. Es ge-
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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nügt, wenn sich die Einkünfte einer der im Aktivitätskatalog aufgeführten Tätigkeiten bzw. Beteiligungsverhältnisse zuordnen lassen.76 Auf Ebene der ZG 1 ist ein Buchwertansatz der erhalten Anteile möglich, § 13 Abs. 2 UmwStG, so dass die aus einem Anteilstausch resultierenden Einkünfte nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG aktiv wären. Nach der dritten Fallgruppe besteht sowohl vor als auch nach der Umwandlung ein deutsches Besteuerungsrecht (z.B. Übertragung inländischen Betriebsstättenvermögens), so dass die Steuerverhaftungsbedingung erfüllt ist und der Umwandlungsgewinn nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG aktiv ist.77 Zur vierten Fallgruppe gehören Fälle, in denen ein deutsches Besteuerungsrecht durch die Umwandlung erstmalig begründet wird. Hieraus folgt die Aktivität der Umwandlungsgewinne. Bei einer umwandlungsbedingten Verstrickung stiller Reserven überlagern allerdings die Einlagevorschriften die Vorschriften des UmwStG, so dass ein Ansatz der in die deutsche Besteuerung hineinwachsenden Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert erfolgt, §§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. 4 Abs. 1 S. 7, 6 Abs. 5a EStG. Die Überlagerung durch die Einlagevorschriften kann allerdings für die Zuordnung zu den aktiven Einkünften nicht schädlich sein. Zum einen beziehen sich die Einlagevorschriften auf den übernehmenden Rechtsträger. Zum anderen stellt der Wortlaut von § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG n.F. nur darauf ab, ob die Umwandlung nach dem UmwStG zu Buchwerten erfolgen könnte.78
4.3.2 Schädliche anteilserfassende Umwandlungsvorgänge Neben Umwandlungsvorgängen, die die Voraussetzungen einer Buchwertumwandlung nach dem UmwStG nicht erfüllen, führen alle Umwandlungsvorgänge zu passiven Einkünften, die einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft erfassen, dessen Veräußerung nicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG zu aktiven Einkünften führen würde.
76 77 78
Vgl. Lehfeldt, C., in: Strunk/Kaminski/Köhler, (FN 3), § 8 AStG Tz. 25 (Mai 2007) m.w.N. Vgl. a. Grotherr, S., (FN 2), S. 2185. Gl. A. Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 319.6 (Juni 2007).
78
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Beispiel: Die Zwischengesellschaft ZG 1 bringt ihre 100%-ige Beteiligung an der nachgeschalteten Zwischengesellschaft ZG 2 gegen Gewährung von neuen Gesellschaftsrechten in die ausländische Gesellschaft X ein. Die Tätigkeiten von ZG 2 beschränken sich auf das Halten von Forderungen aus Darlehen und Schuldverschreibungen gegenüber konzernzugehörigen Gesellschaften. Zwar sind die Einkünfte aus der Einbringung auf Ebene der ZG 1 im Grundsatz aktive Einkünfte, weil die Einbringung der mehrheitsvermittelnden Anteile nach § 21 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 UmwStG zu Buchwerten erfolgen könnte. Hier greift jedoch die Ausnahme des § 8 Abs. 1 Nr. 10 Hs. 2 AStG n.F. Bei einer Veräußerung der Anteile an der ZG 2 entfiele der Veräußerungsgewinn auf Wirtschaftsgüter von ZG 2, die schädlichen Tätigkeiten i.S.v. § 7 Abs. 6a AStG dienen. Der Veräußerungsgewinn wäre nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG den Einkünften aus passivem Erwerb zuzuordnen. Somit sind auch die auf Ebene der ZG 1 entstehenden Einkünfte aus dem Anteilstausch nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 Hs. 2 AStG n.F. solche aus passivem Erwerb.
5 Anwendung des UmwStG bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags Die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte sind in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln, § 10 Abs. 3 S. 1 AStG, wozu nunmehr auch die Vorschriften des UmwStG zählen. Nach der Neufassung lautet § 10 Abs. 3 S. 4 AStG wie folgt: „Steuerliche Vergünstigungen, die an die unbeschränkte Steuerpflicht oder an das Bestehen eines inländischen Betriebs oder einer inländischen Betriebsstätte anknüpfen und die Vorschriften des § 8b Abs. 1 und 2 des Körperschaftsteuergesetzes bleiben unberücksichtigt; dies gilt auch für die Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes, soweit Einkünfte aus einer Umwandlung nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 hinzuzurechnen sind.” Nach § 10 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 AStG bleibt das UmwStG bei der Einkünfteermittlung jedoch unberücksichtigt, soweit Einkünfte aus einer Umwandlung nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG hinzuzurechnen sind. Auch wenn die Formulierung des § 10 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 UmwStG eine andere Auslegung zuließe, liegt der Sinn und Zweck der Vorschrift darin, auf der Rechtsfolgenseite der Hinzurechnungsbesteuerung eine Anwen-
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
79
dung des UmwStG auszuschließen, wenn passive Umwandlungsgewinne vorliegen.79 Passive Umwandlungsgewinne liegen vor, wenn entweder eine Umwandlung nach dem UmwStG nicht zu Buchwerten möglich wäre oder vom Umwandlungsvorgang Anteile erfasst sind, deren Veräußerung nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG nicht zu aktiven Einkünften führen würden. Bei aktiven Umwandlungsgewinnen ist eine Anwendung des UmwStG möglich. Als Wertansatz in der Hinzurechnungsbilanz würde der Steuerpflichtige den Gemeinen Wert wählen, um eine Aufstockung der Buchwerte passiver Wirtschaftsgüter zu erreichen. Hierbei ist zu beachten, dass auf der Rechtsfolgenseite der Hinzurechnungsbesteuerung sämtliche Voraussetzungen des UmwStG und damit auch die in § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG umschriebenen Voraussetzungen hinsichtlich Gesellschaftsform und Ansässigkeit vorliegen müssen. Die Ansässigkeits- und Gesellschaftsformerfordernisse sind nicht wie in § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG ausgenommen. Damit ist prinzipiell eine Anwendung des UmwStG nur innerhalb der EU-/EWR-Mitgliedstaaten möglich.80 Eine hinzurechnungssteuerfreie Aufstockung der Buchwerte passiver Wirtschaftsgüter ist somit auf EU-/EWR-Gesellschaften beschränkt. Ist eine Anwendung des UmwStG ausgeschlossen, erfolgt die Einkünfteermittlung nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Steuerrechts.
6 Fazit Die Neuregelung zur Behandlung von Umwandlungen innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung und die Anpassung der §§ 7-14 AStG an die Vorgaben der Cadbury Schweppes-Entscheidung führen zu einer deutlich sinkenden Zahl von Anwendungsfällen. Ausländische Umwandlungsvorgänge, die nach den Vorschriften des UmwStG fiktiv zu Buchwerten erfolgen könnten, führen mit Ausnahme von schädlichen anteilserfassenden Umwandlungsvorgängen nicht mehr zu einer Hinzurechnungsbesteuerung. Innerhalb der EU-/EWR-Mitgliedstaaten und bei Vorliegen einer Beherrschungsbeteiligung iSv. § 7 Abs. 2 AStG gilt dies sogar, wenn die Voraussetzungen für aktive Um79 80
Vgl. Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 58. Vgl. Wassermeyer, F./Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, (FN 2), § 8 Tz. 315 (Juni 2007); Ritzer, C., in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, (FN 2), Anh. 7, Tz. 57.
80
Guido Förster, Dirk Schmidtmann
wandlungsgewinne nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 UmwStG nicht vorliegen. In diesem Fall unterbleibt eine Hinzurechnungsbesteuerung auch, wenn die Umwandlung Anteile an Kapitalgesellschaften erfasst, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt. Zu den verbleibenden Anwendungsfällen zählen somit Umwandlungen, die nicht die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 AStG erfüllen und nicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG zu aktiven Umwandlungsgewinnen führen. Im Einzelnen sind dies die folgenden Umwandlungsfälle, die in der nachfolgenden Abbildung noch einmal graphisch veranschaulicht werden: x Umwandlungen von Zwischengesellschaften in Drittstaaten, bei denen kein fiktiver Buchwertansatz nach dem UmwStG möglich ist oder schädliche Anteile an Kapitalgesellschaften an der Umwandlung teilnehmen, x Umwandlungen von Zwischengesellschaften unabhängig von deren Ansässigkeit, sofern lediglich eine Beteiligung iSv. § 7 Abs. 6 AStG vorliegt und kein fiktiver Buchwertansatz nach dem UmwStG möglich ist oder schädliche Anteile an Kapitalgesellschaften an der Umwandlung teilnehmen, x Umwandlungen von Briefkastengesellschaften unabhängig von deren Ansässigkeit, sofern kein fiktiver Buchwertansatz nach dem UmwStG möglich ist oder schädliche Anteile an Kapitalgesellschaften an der Umwandlung teilnehmen.
Umwandlungshindernis Hinzurechnungsbesteuerung?
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tatsächl. wirtschaftl. Tätigkeit, Ansässigkeit innerhalb der EU/des EWR Deutschbeherrschung (§ 7 Abs. 2 AStG) § 8 Abs. 2 AStG
1. Prüfungsebene
erfüllt keine HZB
nicht erfüllt
2. Prüfungsebene
Ansässigkeit in Drittstaaten oder Beteiligung iSv. § 7 Abs. 6 AStG oder Briefkastengesellschaft
Umwandlungsgewinne
Einkünfte
EU/EWR
Drittstaaten keine oder keine HZB
Passivität
kein fiktiver Buchwertansatz oder anteilserfassende Umwandlung
§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG
bei anteilserfassenden Umwandlungen hilfsweise Prüfung des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG
passive Umwandl ungsgewinne
Rechtsfolgenebene
aktive Einkünfte
aktive Umwandlungsgewinne
Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags, Anwendung des UmwStG § 10 Abs. 3 S. 4 AStG
HZB
Aufstockung passiver Wirtschaftsgüter (EU/EWR)
Abbildung 3: Prüfungssystematik und verbleibende Anwendungsfälle
Besteuerung von Funktionsverlagerungen in Deutschland
Mathias Graf
1
Einführung.......................................................................................................... 84
2
Begriffsbestimmungen ....................................................................................... 85
3
Formen der Funktionsverlagerung .................................................................. 88
4
Bewertung einer Funktionsverlagerung .......................................................... 90
5
Gesamtbewertung vs. Einzelbewertung........................................................... 97
6
Preisanpassungsklausel.................................................................................... 100
7
Konformität mit EU-Recht und Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD ................................................................................................................ 104
8
Ermächtigung zur Rechtsverordnung ........................................................... 106
9
Zusammenfassung............................................................................................ 107
84
Mathias Graf
1 Einführung Im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 wurde § 1 AStG um einige wesentliche Punkte ergänzt bzw. überarbeitet. So wurde die deutsche Sichtweise des international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatzes gesetzlich kodifiziert, was ausweislich der Gesetzesbegründung1 lediglich klarstellenden Charakter hat. Nunmehr hat eine in Deutschland vorzunehmende Verrechnungspreiskorrektur auf den Medianwert innerhalb der Bandbreite zu erfolgen, was im Schrifttum bereits vielfältig kritisiert wurde.2 Vollständig neu in § 1 AStG sind die Regelungen zur Funktionsverlagerung. Hauptmotivation für die Einführung dieser faktischen Neuregelung, welcher es aufgrund existierender und funktionierender Entstrickungsregelungen in Form § 8 Abs. 3 S. 2 KStG nicht bedurft hätte3, waren wohl überwiegend Überlegungen zur Gegenfinanzierung der Unternehmenssteuerreform 2008.4 So bestimmt § 1 Abs. 3 S. 9 AStG für den Fall, in dem eine von einem deutschen Unternehmen ausgeübte Funktion ins Ausland übertragen, verdoppelt, oder verlagert wird, dass hierfür ein fremdvergleichsgerechtes Entgelt zu leisten ist. § 1 Abs. 3 S. 13 AStG ermächtigt zum Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung, um Einzelheiten zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu regeln. Ziel der Rechtsverordnung, der sog. Funktionsverlagerungsverordnung5, soll es sein, zur einheitlichen Rechtsanwendung durch Steuerpflichtige und Finanzbehörden beizutragen. Sie trat zum 1. Januar 2008 in Kraft6 und ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2008 anzuwenden7. Die Wirkungsweise und die Konsequenzen dieser Neuregelungen zur Funktionsverlagerung sollen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein.
1 2
3
4
5
6 7
Vgl. Drs. 16/4841, S. 85, zu Nummer 1 (§ 1), zu Buchstabe a (Absatz 1) zu Satz 1. Vgl. stellvertretend Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 326. Vgl. Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, S. 1308. Vgl. Endres, D./ Spengel, C./ Reister, T., Neu Maß nehmen: Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform, WPg 2007, S. 487. Die Funktionsverlagerungsverordnung wird im Folgenden abgekürzt mit FVerlV. Zum Zeitpunkt der Erarbeitung dieses Beitrages lag die Entwurfsfassung vom April 2008 vor, im Folgenden abgekürzt mit FVerlV-E. Vgl. § 13 FVerlV-E. Vgl. § 12 FVerlV-E.
Besteuerung von Funktionsverlagerungen in Deutschland
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2 Begriffsbestimmungen Was unter Funktionsverlagerung zu verstehen ist definiert der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 S. 9 AStG. Demnach handelt es sich um eine Funktionsverlagerung, wenn „eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert“ wird. Was genau jedoch unter dem Begriff „Funktion“ zu verstehen sein soll bleibt nebulös.8 Der Gesetzgeber operiert mit unbestimmten Rechtsbegriffen, auch die Gesetzesbegründung hilft kaum weiter. Diese offene Definition einer Funktionsverlagerung ist als ausufernd9 zu bezeichnen und entspricht nicht der für einen Gesetzesbefehl notwendigen Klarheit10. Anstatt des gesetzlichen Imperativs wird umständlich der gesetzliche Regelungswille umschrieben.11 Erst die Rechtsverordnung beschreibt in § 1 Abs. 1 S. 1 FVerlV-E die Funktion als eine Geschäftstätigkeit, die aus der Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden. Entsprechend dieser grundsätzlich betriebswirtschaftlichen Definition kann eine Funktion damit wohl „ein Bündel aus mehreren Aufgaben darstellen und umfasst nur einen Teilbereich der unternehmerischen Gesamtaufgabe. Einzelne Funktionen sind infolgedessen das Ergebnis der Aufgabenteilung innerhalb eines (Gesamt-) Unternehmens.“12 Demnach stellt eine Funktionsverlagerung die Übertragung eines wirtschaftlich mit gewisser Eigenständigkeit versehenen Unternehmensbereiches dar. Ein Teilbetrieb im
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Vgl. die Kritik bei Baumhoff, H./ Ditz, X./ Greinert, M., Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung, DStR 2007, S. 1650f; Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1757; Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 310; Waldens, S., Fallstricke bei Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, PIStB 2007, S. 211; Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 538; Wulf, M., Änderungen im Außensteuerrecht und Sonderregelungen zu Funktionsverlagerungen nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, DB 2007, S. 2283. Zu detaillierten Interpretationsmöglichkeiten vgl. Borstell, T./ Schäperclaus, J., Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, S. 275ff. Vgl. Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 308. Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2008, S. 539. Vgl. Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1757. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 559; Ditz, X., in: Betriebsstätten-Handbuch, hrsg. von Wassermeyer, F./ Andresen, U./ Ditz, X., Köln 2006, Tz. 4.2.
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steuerlichen Sinne muss ausweislich der Rechtsverordnung nicht vorliegen.13 § 1 Abs. 2 S. 1 FVerlV-E umschreibt eine Funktionsverlagerung dergestalt, dass ein Unternehmen (das verlagernde Unternehmen) einem anderen, nahe stehenden Unternehmen (das übernehmende Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird. Auch eine nur zeitweise Funktionsübernahme sei bereits ausreichend. Wohl um missbräuchliche Gestaltungen zu vermeiden sollen im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 3 FVerlV-E innerhalb von fünf Wirtschaftsjahren verwirklichte Geschäftsvorfälle als einheitliche Funktionsverlagerung aggregiert betrachtet werden. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Interpretation des Begriffs „Transferpaket“. Dieses ist nach § 1 Abs. 3 S. 9 AStG die „Funktion als Ganzes“. Durch einen hypothetischen Fremdvergleich soll das Entgelt für die Funktionsverlagerung auf der Grundlage des Transferpaketes ermittelt werden. Da allerdings schon der Begriff „Funktion“ nicht eindeutig gesetzlich definiert ist, mangelt es auch dem „Transferpaket“ bzw. der „Funktion als Ganzes“ an Klarheit. Eine Begriffsklärung aus dem Wortlaut des Gesetzes ist nicht möglich.14 Aus dem Gesamtkontext der Regelung könnte geschlossen werden, dass mit dem Begriff „Transferpaket“ auf eine Gesamtbetrachtung abgestellt werden soll. § 1 Abs. 5 FVerlV-E umschreibt ein Transferpaket als Funktion und den mit dieser Funktion zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie den Wirtschaftsgütern und Vorteilen, die das verlagernde Unternehmen dem übernehmenden Unternehmen zusammen mit der Funktion überträgt oder zur Nutzung überlässt, und den in diesem Zusammenhang erbrachten Dienstleistungen. Das Transferpaket entspricht damit wohl regelmäßig nicht dem Wert der einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen. Hieraus wird deutlich, dass im Extremfall nicht ein einziges Wirtschaftsgut übertragen werden muss, sondern allein die reine Funktionsübertragung im Sinne einer künftig vom übernehmenden Unternehmen auszuübenden betrieblichen Aufgabe bereits als Funktionsverlagerung qualifiziert. Damit intendiert der Gesetzgeber offenbar konzeptionell, dass bei einer Funktionsverlagerung mehr als
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Vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 FVerlV-E. So auch Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 559.
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die Summe der transferierten Wirtschaftsgüter übertragen wird.15 Die Formulierungen der Rechtsverordnung deuten auf einen organisationstheoretischen Definitionsansatz hin.16 Die Unschärfe des Funktionsbegriffs droht jedoch zu einer Ausweitung der unter die Vorschriften der Funktionsverlagerung fallenden Sachverhalte zu führen, da er keine sachgerechte Abgrenzung erlaubt.17 Jedenfalls geht der Gesetzgeber davon aus, dass unter fremden Dritten stets ein Entgelt für eine Funktionsverlagerung vereinbart würde. Ob dies tatsächlich so ist darf jedoch bezweifelt werden, da eben nicht immer nur Funktionen mit Gewinnpotenzial übergehen, sondern oftmals im bestehenden Umfeld unrentable oder grundsätzlich stark risikobehaftete Funktionen transferiert werden. Jedes Risiko wirkt sich negativ auf die Bewertung eines möglichen Gewinnpotenzials einer Funktion aus und damit auch mindernd auf eine hypothetische Bepreisung. Insoweit ist es auch denkbar und in der unternehmerischen Praxis nicht unüblich, dass bei der Berücksichtigung dieser Risiken und/oder eventueller Schließungs- und Stilllegungskosten effektiv ein negativer „Funktionswert“ ermittelt wird. Dies wird nun auch von der Finanzverwaltung in der Rechtsverordnung anerkannt.18 Mithin ist festzustellen, dass die vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe „Funktionsverlagerung“, „Transferpaket“ und „Funktion als Ganzes“ unbestimmt sind und daher in der Praxis kaum sachgerecht anwendbar.19 Die Operation mit unbestimmten Rechtsbegriffen führt zu unzumutbarer Rechtsunsicherheit.20 Zudem ist aufgrund dieser ungenauen gesetzlichen Begriffsklärung zu befürchten, dass die Finanzverwaltung den Begriff eher ausufernd anwenden wird und so für erheblichen Diskussionsbedarf im Rahmen von Betriebsprüfungen, vor allem aber nachgelagert auch in Verständigungsund Schiedsverfahren sorgt. 15
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Es ist fraglich, ob der den Wert der übergehenden Wirtschaftsgüter übersteigende „Mehrwert“ im Rahmen einer Funktionsverlagerung als Geschäfts- oder Firmenwert zu qualifizieren ist. Gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 EStG in Verbindung mit § 255 Abs. 4 HGB ist der Geschäfts- oder Firmenwert der Unterschiedsbetrag, um den die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens abzüglich der Schulden zum Zeitpunkt der Übernahme übersteigt. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 559. Vgl. für eine umfassende Darstellung der in der Organisationstheorie entwickelten Kriterien Eisele, F., Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne 2003, S. 12ff. Vgl. Borstell, T./ Schäperclaus, J., Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, S. 277. Vgl. § 7 FVerlV-E. Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 538, der auf die möglicherweise bewusst unpräzise und unsichere Formulierung hinweist. Vgl. Borstell, T./ Schäperclaus, J., Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, S. 275.
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3 Formen der Funktionsverlagerung Es werden in der Literatur grundlegend mehrere Formen von Funktionsverlagerungen unterschieden.21 Als Funktionsausgliederung wird die vollständige Übertragung einer Funktion mit den dazugehörigen Chancen und Risiken sowie einschließlich der Wirtschaftsgüter bezeichnet. Die Übertragung eines Teils einer Funktion mit den dazugehörigen Chancen und Risiken einschließlich der Wirtschaftsgüter wird als Funktionsabschmelzung charakterisiert. Mit Funktionsabspaltung ist die Übertragung (eines Teils) einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken gemeint. Eine Funktionsverdoppelung oder Funktionsvervielfältigung bezeichnet die Verdoppelung oder Vervielfältigung einer im Inland weiterhin ausgeübten Funktion mit den dazugehörigen Chancen und Risiken einschließlich der Wirtschaftsgüter. Unstrittig dürfte sein, dass die Funktionsausgliederung und die Funktionsabschmelzung der Definition einer Funktionsverlagerung im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 9 AStG entsprechen. Dagegen dürfte mangels echter Übertragung von Gewinnpotenzialen eine Funktionsabspaltung nicht unter § 1 Abs. 3 S. 9 AStG zu subsumieren sein, da Chancen und Risiken beim abgebenden Unternehmen verbleiben. Es kommt hier zu keiner Gewinnverlagerung ins Ausland.22 Ob eine Funktionsverdoppelung oder Funktionsvervielfältigung als Funktionsverlagerung im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 9 AStG zu qualifizieren ist war lange umstritten. Da bei einer Funktionsverdoppelung die Funktionen und die zugehörigen Chancen und Risiken weiterhin im Inland verbleiben und im Ausland lediglich zusätzlich entstehen, liegt wohl keine echte Verlagerung vor. Für eine Verlagerung im Sinne § 1 Abs. 3 S. 9
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Vgl. Frischmuth, M., Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, S. 387; Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 560f ; Kaminski, B., Änderungen im Bereich der internationalen Einkünfteabgrenzung durch die Unternehmensteuerreform 2008, RIW 2007, S. 599; Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 308. So auch Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 560.
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AStG wäre vielmehr erforderlich, dass die ursprüngliche Tätigkeit im Inland eingestellt wird und nach der Verlagerung vollständig an einem neuen Ort ausgeübt wird.23 § 1 Abs. 3 S. 1 FVerlV-E verneint bei Funktionsverdoppelung eine Funktionsverlagerung, soweit es innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch das nahe stehende Unternehmen zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion des abgebenden Unternehmens kommt. Soweit eine solche Einschränkung aber eintritt würde insgesamt eine einheitliche Funktionsverlagerung vorliegen, außer der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass die Einschränkung nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht.24 Allerdings soll nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 2 FVerlV-E bereits jede Einschränkung der Funktion im Inland dazu führen, dass sämtliche verdoppelte Funktionen im Ausland als einheitliche Funktionsverlagerung zu betrachten sind. Diese Einschränkung ist zu weitläufig und schränkt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, insbesondere die Anpassung und Weiterentwicklung der Funktion an sich ändernde wirtschaftliche Gegebenheiten, stark ein. Die nur in § 1 Abs. 3 FVerlV-E ausgeführte Möglichkeit, eine Funktionsverdoppelung innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraums nachträglich in eine Funktionsverlagerung umzudeuten, sowie die pauschale Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen, die innerhalb von fünf Jahren verwirklicht werden, zu einer einheitlichen Funktionsverlagerung25, ist nicht von der Gesetzesgrundlage gedeckt. Sie sollte daher ersatzlos gestrichen werden. Hauptgrund für die von der Finanzverwaltung geforderte Qualifikation der Verdoppelung als Verlagerung war sicherlich die Befürchtung, dass durch eine Verdoppelung und nur allmählichen Abbau der Funktion im Inland die gesetzliche Regelung verhältnismäßig einfach umgangen werden könnte. Da eine Funktionsverlagerung wohl aber nur in den seltensten Fällen ausschließlich steuerlich motiviert ist, kann normalerweise zur Verhinderung eventueller missbräuchlicher Gestaltungen auch die bekannte Gesamtplanrechtsprechung herangezogen werden könnte. In diesem Kontext soll eine auf 23
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Vgl. Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1757f; Ditz, X., in: Betriebsstätten-Handbuch, hrsg. von Wassermeyer, F./ Andresen, U./ Ditz, X., Köln 2006, Tz. 4.3. In der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion erklärte die Bundesregierung, dass die Funktionsverdoppelung etwas anderes als die Funktionsverlagerung ist. Für beide Vorgänge sei jedoch der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden. Vgl. Antwort 10, Drucksache 16/8027, Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode. Vgl. § 1 Abs. 3 S. 2 FVerlV-E. Vgl. § 1 Abs. 2 FVerlV-E.
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einheitlicher Planung beruhende und in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehende Mehrzahl von Rechtsgeschäften für die steuerliche Beurteilung zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang zusammengefasst werden. In der Folge wird dann geprüft, ob bei einer solchen Betrachtung der jeweilige steuerliche Tatbestand erfüllt ist.26 Dieses Instrument wäre auch bei rein missbräuchlich als Funktionsverdoppelung dargestellten eigentlichen Funktionsverlagerungen anwendbar.27
4 Bewertung einer Funktionsverlagerung 4.1 Bewertungsmethode – Einigungsbereich Zu bewerten ist nach § 1 Abs. 3 S. 9 AStG das Transferpaket. Dies gilt in Verbindung mit § 1 Abs. 3 S. 5 AStG allerdings nur in Fällen des hypothetischen Fremdvergleichs. Damit kommt eine Bewertung des Transferpaketes basierend auf dem hypothetischen Fremdvergleich nur dann zur Anwendung, wenn im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs keine uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbaren Werte festgestellt werden können. Insoweit ist auch in Fällen der Funktionsverlagerung, ebenso wie bei der sonstigen Verrechnungspreisermittlung für „normale“ Transaktionen gemäß diesem Stufenverhältnis28 zunächst zu prüfen, ob die Bewertung im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleiches erfolgen kann. Funktionsverlagerungen in der Definition der Finanzverwaltung kommen auch zwischen unverbundenen Unternehmen vor. Insbesondere gilt dies für Hilfsfunktionen wie z.B. EDV, Transport und Logistik, Buchhaltung, Cash-Management usw.29 Aber auch Kernfunktionen können betroffen sein, z.B. Entwicklungsbereiche in der Automobiloder Pharmaindustrie, Produktion von Komponenten(gruppen) in der Automobilzulieferer- und Maschinenbauindustrie. Diese Verlagerungen können aus dem verlagernden Unternehmen heraus erfolgen (Outsourcing), ebenso können Funktionen ins Unternehmen hineingeholt werden (Insourcing). Bekannte Beispiele für Outsourcing sind die Konzentrationen von Großunternehmen auf ihre Kernkompetenzen, wobei die Nicht-Kernkompetenzen (z.B. Entwicklung und Produktion bestimmter Fahrwerks26 27
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Vgl. etwa BFH-Urt. v. 27.10.2005, IX R 76/03, DB 2006, S. 429 m.w.N. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 561f. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 563. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 563.
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komponenten) an unverbundene Unternehmen abgegeben werden. Umgekehrt können ebendiese Entwicklungsfunktionen von Fahrwerkskomponenten bei einer neuen strategischen Positionierung des Unternehmens als Kernkompetenz qualifizieren (z.B. wegen der energieeffizienten Senkung des Kraftstoffverbrauchs oder der spezifischen Bedeutsamkeit von Sicherheits- oder Fahraktivitätsmerkmalen), so dass eine Aufnahme dieser Funktion(en) im Sinne eines Insourcings ins Unternehmen erfolgt. Solche Transaktionen sind marktgängig und üblich und finden auch und gerade zwischen unabhängigen Unternehmen statt, so dass für derlei Funktionsverlagerungen grundsätzlich Marktpreise beobachtbar sein können. Eine Bandbreitenbetrachtung wäre demnach auch möglich. Soweit die herangezogenen Marktpreise uneingeschränkt oder zumindest eingeschränkt vergleichbar sind, müssen sie bei der Bewertung einer Funktionsverlagerung vorrangig vor dem hypothetischen Fremdvergleich herangezogen werden.30 Nur bei Unmöglichkeit eines echten Fremdvergleichs ist der hypothetische Fremdvergleich einschlägig für die Bewertung des Transferpakets. Die Besonderheit bei der Ermittlung des maßgeblichen Einigungsbereiches ist der im Vergleich zur üblichen Verrechnungspreisermittlung mehrperiodige Planungshorizont. Der Einigungsbereich im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 6 AStG soll ermittelt werden durch Bestimmung des Mindestpreises des abgebenden Unternehmens und Bestimmung des Höchstpreises des aufnehmenden Unternehmens. Der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers sind ausweislich des Gesetzes auf Basis einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen zu ermitteln. Durchaus denkbar sind in der Praxis Fälle, in denen es keinen Einigungsbereich gibt, weil der Höchstpreis des aufnehmenden Unternehmens unterhalb des Mindestpreises des abgebenden Unternehmens liegt. Nach § 1 Abs. 3 S. 5, 2. HS AStG ist der Einigungsbereich ausgehend von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenzialen) zu bestimmen. Aus diesen Formulierungen wird ersichtlich, dass das Transferpaket basierend auf der Ertragswertmethode aus Sicht des verlagernden und des übernehmenden Unternehmens zu bewerten ist.31 Gewinnpotenziale im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 6 AStG sind die aus der verlagerten Funktion jeweils zu erwartenden Reingewinne nach Steuern (Barwert), auf die ein or30
Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 563.
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dentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 AStG aus der Sicht des verlagernden Unternehmens nicht unentgeltlich verzichten würde und für die ein solcher Geschäftsleiter aus der Sicht des übernehmenden Unternehmens bereit wäre, ein Entgelt zu zahlen.32 Nach § 7 Abs. 4 FVerlV-E wird der Höchstpreis des Einigungsbereiches als das Gewinnpotenzial des übernehmenden Unternehmens aus der übernommenen Funktion definiert. Damit würde das aufnehmende Unternehmen einen Preis für die Funktion zahlen, der zukünftig erst mit eigenen Ressourcen und unter alleiniger Übernahme des unternehmerischen Risikos erarbeitet wird. Da eine Funktion stets sowohl Chancen als auch Risiken beinhaltet, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nur einen prozentualen Anteil des Gewinnpotenzials als Höchstpreis akzeptieren, aber nicht das volle Gewinnpotenzial über die ggf. zeitlich unbegrenzte Gesamtperiode. Die Ertragswertbetrachtung wird seitens der Finanzverwaltung als fremdüblicher Ansatz akzeptiert und gefordert, weil etwa im Zuge von M & A-Aktivitäten vielfach Ertragswerte bei der Bewertung von bestimmten Unternehmenseinheiten eine entscheidende Rolle spielen. Im Schrifttum wird dagegen die Ertragswertbetrachtung für Zwecke der Funktionsverlagerung als kritisch beurteilt, da es bei einer solchen Regelung „nicht allein um die Realisierung unter deutscher Steuerjurisdiktion entstandener stiller Reserven (geht), besteuert werden sollen zukünftige, im Ausland erst entstehende Gewinne (Gewinnpotenzial).“33 Der deutsche Gesetzgeber versucht, die in Deutschland getätigten Investitionen und die daraus resultierenden Immaterialpositionen in Deutschland festzuhalten.34 Da es sich bei dieser Vorgehensweise um eine international unübliche und einseitig zugunsten Deutschlands gültige handelt, dürfte mit einem erheblichen Widerstand der von einer Funktionsverlagerung betroffenen Länder zu rechnen sein, welche eine sol-
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Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 564. Vgl. § 1 Abs. 6 FVerlV-E. Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, S. 1308. Vgl. auch Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1757; Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 564. Vgl. Rödder, T., Perspektiven der Konzernbesteuerung, ZHR 2007, S. 402, welcher dieses Vorgehen des Gesetzgebers als Besitzstandsabsicherung bezeichnet.
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che „beggar my neighbour policy“35 sicherlich nicht tolerieren werden. Insoweit ist auch mit einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen von Schieds- und Verständigungsverfahren zu rechnen.36 Auch die Finanzverwaltung selbst rechnet wohl mit einem erheblichen Mehraufwand, da beim zuständigen Bundeszentralamt für Steuern die Personalkapazitäten vor dem Hintergrund der Neuregelung zu Funktionsverlagerungen aufgestockt wurden.37 Dies geschah, obwohl ausweislich der Gesetzesbegründung und der Rechtsverordnung zur Funktionsverlagerung lediglich der Fremdvergleichsgrundsatz klargestellt und ein international übliches Vorgehen erreicht werden sollte.
4.2 Isolierung und Prognose der auf das Transferpaket entfallenden Gewinne Die auf das Transferpaket entfallenden Gewinne müssen anhand eigener Ergebnisplanungen und Planrechnungen dargestellt und bewertet werden. Seitens der Finanzverwaltung sollte hier kein überstrenger Maßstab angewandt werden, da auch unter fremden Dritten Planrechnungen meist nur für interne Zwecke und ohne explizite Detailvorgaben erstellt werden. Vielmehr steht für Bewertungszwecke die betriebswirtschaftliche Aussagefähigkeit der Plandaten im Vordergrund, überspitzte Anforderungen wären nicht fremdvergleichsgerecht und insoweit unverhältnismäßig. Für Bewertungszwecke wird von der Finanzverwaltung die Darstellung der Perspektive des abgebenden und des aufnehmenden Unternehmens verlangt. Hierbei dürfte regelmäßig strittig sein, welchem der beteiligten Unternehmen Standortvorteile, Synergieeffekte oder strategische Überlegungen zuzurechnen sind.38 Insbesondere ist es kaum nachvollziehbar, wenn durch das ausländische Unternehmen realisierte Vorteile (Synergieeffekte usw.) im Ausland für die Besteuerung in Deutschland maßgebend sein sollen.39 Der Besteuerung unterlägen in diesem Falle nicht im Inland geschaffene
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Vgl. Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, S. 1308. Vgl. u.a. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 539; Baumhoff, H./ Ditz, X./ Greinert, M., Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, S. 1655. Vgl. Naumann, M., Funktionen verlagern, DATEVmagazin 6_2007, S. 30. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 565. Vgl. Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1761.
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Werte, deren alleinige Besteuerung in Deutschland mit internationalen Besteuerungsgrundsätzen nur schwer zu vereinbaren sein dürfte.40 Insgesamt ist nach § 3 FVerl-V eine Bewertung sowohl auf Seiten des abgebenden als auch des aufnehmenden Unternehmens vorzunehmen, und zwar jeweils vor als auch nach der Verlagerung.41 Die tatsächlich bestehenden Handlungsmöglichkeiten, Standortvorteile und –nachteile, sowie die Synergieeffekte sind dabei zu berücksichtigen.42 Ausgangspunkt für die Berechnungen sollen die Unterlagen sein, die Grundlage für die Unternehmensentscheidung waren, eine Funktionsverlagerung durchzuführen.43 Eine solch vierfache Funktionsbewertung stellt einen in der Praxis nicht zumutbaren Verwaltungsaufwand dar. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird verletzt.44 Angesichts der zwangsläufig zu treffenden Annahmen und einer Bandbreite von je nach Bewertungsmethodik verschiedenen ermittelten Ergebnissen kann es meiner Auffassung nach nicht richtig und sachgerecht sein, einen derart hohen bürokratischen Aufwand, der bei Transaktionen zwischen fremden Dritten unüblich ist, den Unternehmen aufzubürden.45 Die Finanzverwaltung erwartet offenbar eine besondere Exaktheit der Bewertung, welche in der Praxis nicht zu realisieren ist und ohne zusätzliche Aussagekraft bleibt. Die Ermittlung von Verrechnungspreisen ist aber gerade keine exakte Wissenschaft, wie seitens der OECD und vieler Literaturstimmen betont wird.46 Dass auch die Unternehmensbewertung je nach Bewertungsmodell, Annahmen über Synergieeffekte, Kapitalmarktbedingungen etc. gänzlich unterschiedliche Ergebnisse zeitigen kann geht auch aus der Bandbreite von Bewertungsanalysen von börsennotierten Gesellschaften hervor, ebenso aus der Bandbreite von Bewertungen im Zuge typischer M & A-Transaktionen. Zudem könnten nahezu ausschließlich die deutschen Großunternehmen tatsächlich den erheblichen finanziellen und personellen Aufwand für eine vierfache Bewertung bewältigen. Einer großen Mehrheit der hiesigen mittelständischen Unternehmen fehlen mangels expliziter Steuerabteilungen und mangels finan40
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Vgl. hierzu auch Frischmuth, M., Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, S. 391. Vgl. Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1762. Vgl. § 3 Abs. 2 S. 1 FVerlV-E. Vgl. § 3 Abs. 2 S. 2 FVerlV-E. Vgl. Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1762. Vgl. Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007, S. 1762, der darauf hinweist, dass eine exakte Bewertung einer Funktion sehr schwierig ist, da für solche Analysen keine klaren und einheitlichen Regeln der Betriebswirtschaft existieren. Ein Rückgriff auf den Gedanken der „cash generating units“ der IFRS als Hilfsmaßstab wird als möglich und sinnvoll erachtet. Ähnlich auch Borstell, T./ Schäperclaus, J., Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, S. 284. Vgl. hierzu stellvertretend Borstell, T., in Vögele, A./ Borstell, T./ Engler, G., Handbuch der Verrechnungspreise, München 2004, 2. Auflage, S. 4.
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zieller Spielräume für solche Steuerbürokratie schlicht die Möglichkeiten zu dieser steuerlichen Compliance-Bewältigung. Eine Ausnahme von der vierfachen Bewertungsnotwendigkeit wird nur im Falle einer Funktionsabspaltung auf einen Lohnfertiger gesehen. Der von einem Lohnfertiger erwirtschaftete Gewinn stellt praktisch ausschließlich einen Funktionsgewinn dar.47 Bei der Übertragung von Funktionen auf einen Lohnfertiger im Sinne einer Funktionsabspaltung nahm auch die Rechtsprechung keine Gewinnrealisierung bei der übertragenden Gesellschaft an.48 Ein gedachter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übernehmenden Unternehmens würde kein Entgelt für diejenigen Gewinne an den Übertragenden entrichten, die auf seine eigene wirtschaftliche Tätigkeit und Funktionsausübung unter Nutzung der vor Ort gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen entfallen, stellen diese Gewinne doch das Ergebnis der selbst ausgeübten Funktionen und getragenen Risiken dar. Damit würde er letztlich dem Übergeber seine eigenen künftigen (mit Risiko behafteten) Gewinne abkaufen und damit gerade eben nicht fremdvergleichsgerecht agieren.49
4.3 Kapitalisierungszeitraum Bei der Bestimmung der Nutzungsdauer des Transferpakets und des Kapitalisierungszinssatzes geht die Finanzverwaltung grundsätzlich von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum aus.50 Von einer solchen ewigen Rente kann nur abgewichen werden, wenn entsprechende „Gründe dafür glaubhaft gemacht werden oder ersichtlich sind“51. 47
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Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 565. Vgl. FG Münster Urt. v. 16.3.2006, 8K 2348/02 E, rkr., IStR 2006, S. 794; vgl. zu diesem Urteil Baumhoff, H./ Greinert, M., Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern, IStR 2006, S. 789f; vgl. Kaminski, B., Änderungen im Bereich der internationalen Einkünfteabgrenzung durch die Unternehmensteuerreform 2008, RIW 2007, S. 599. Es kann nur der über den Funktionsgewinn hinausgehende Gewinn Gegenstand der Besteuerung im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 9 AStG sein. Dies steht auch im Einklang mit der Intention des Gesetzes, soll doch mit der Besteuerung von Funktionsverlagerungen der Gewinn erfasst werden, der mit den jeweiligen Chancen verbunden ist. Chancen sind jedoch nur das, was über die eigentliche Funktionsausübung hinausgeht bzw. nur diejenige Verzinsung, welche die Normalverzinsung übersteigt. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 566. Vgl. § 6 FVerlV-E. Vgl. § 6 FVerlV-E.
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Damit hat es der Steuerpflichtige in der Hand, die für einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum sprechenden Gründe so aufzubereiten und zu dokumentieren52, dass sie für die Finanzverwaltung ersichtlich sind. Der Versuch einer Gewinnprognose über einen unbegrenzten Zeitraum ist jedoch wenig realistisch und nicht fremdvergleichskonform, dies ergibt sich bereits aus der üblichen Unternehmensbewertung im Falle eines Unternehmenskaufs oder –verkaufs. Auch hier wird nur auf einen realistisch einschätzbaren Zeitraum abgestellt, die fernere Zukunft wird mittels geeigneter Annahmen geschätzt. Es wird in der Literatur53 darauf hingewiesen, dass etwa bei Übertragung einer Vertriebsfunktion regelmäßig die Vertragslaufzeit oder gegebenenfalls die gesetzlichen Kündigungsfristen zu beachten sind. Zudem müssten zeitliche Aspekte wie u.a. Produktlebenszyklen, technische Entwicklungen, Absatzmarkt- und Bedarfsänderungen bei der Bemessung des Kapitalisierungszeitraums stärker berücksichtigt werden. Überwiegend wird ein Prognosezeitraum von ca. drei bis fünf Jahren54 als eher angemessen und fremdüblich erachtet. Im internationalen Steuerumfeld wird es nicht realistisch sein, die künftigen Gewinne (zeitlich unbegrenzt) des ausländischen die Funktion aufnehmenden Unternehmens in Deutschland besteuern zu können. Jegliche Verbesserung, Synergieeffekte und unternehmerische Erfolge aus dieser Funktion wären dann in Deutschland steuerpflichtig, auch wenn die entsprechenden Anpassungsmaßnahmen und unternehmerischen Handlungen erst zu einem Zeitpunkt nach Funktionsaufnahme im Ausland getätigt werden. Für diese selbst vorgenommenen Maßnahmen und eigenen unternehmerischen Geschicke und Fähigkeiten wäre ein gewissenhafter Geschäftsleiter sicherlich nicht bereit, ein Entgelt zu bezahlen.
4.4 Kapitalisierungszinssatz Die auf die einzelnen Jahre entfallenden künftigen Gewinn(potenzial)e sind nunmehr auf den Übertragungszeitpunkt abzuzinsen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung 52 53
54
Vgl. § 90 Abs. 3 AO i.V.m. GAufzVO. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 566. Vgl. bestärkend Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 567, sowie Ditz, X., Übertragung von Geschäftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, S. 1628; Kuckhoff, H./ Schreiber,
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sind bei den gem. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG anzuwendenden „funktions- und risikoadäquaten Kapitalisierungszinssätzen“ grundsätzlich die Verfahren einschlägig, welche üblicherweise bei Unternehmensbewertungen angewandt werden. Die Rechtsverordnung versucht eine Konkretisierung dergestalt, dass unter Berücksichtigung der Steuerbelastung vom Zins für eine risikolose Investition auszugehen ist, auf den ein funktionsund risikoadäquater Zuschlag vorzunehmen ist.55 Der Zuschlag müsste demnach so bemessen werden, dass er sowohl für das übernehmende als auch für das verlagernde Unternehmen die in vergleichbaren Fällen jeweils unternehmensübliche Risikobeurteilung berücksichtigt.56
5 Gesamtbewertung vs. Einzelbewertung Nach § 1 Abs. 3 S. 10 AStG ist das Transferpaket grundsätzlich im Rahmen einer Gesamtbewertung vorzunehmen, zu bewerten ist die „Funktion als Ganzes“. In bestimmten Fällen soll eine Einzelbewertung gleichfalls möglich sein. Sowohl im Handels- wie auch im Steuerrecht ist bislang der Grundsatz der Einzelbewertung etabliert.57 Demnach ist jedes Wirtschaftsgut für sich zu betrachten und zu bewerten. Auch bei Erwerb einer Sachgesamtheit wie etwa einem Betrieb ist der Gesamtpreis auf die dabei übergehenden einzelnen Wirtschaftsgüter aufzuteilen. Selbst wenn für einzelne Teile des Transferpakets unterschiedliche Vereinbarungen getroffen werden oder solche Vereinbarungen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend anzuwenden wären, dann sind für alle Teile des Transferpakets Verrechnungspreise anzusetzen, die insgesamt dem nach § 3 Abs. 1 FVerlV-E bestimmten Wert des Transferpakets als Ganzes entsprechen.58 Wenn Zweifel bestehen, ob hinsichtlich des Transferpakets oder einzelner Teile davon eine Übertragung oder eine Nutzungsüber-
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58
R., Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung aus Sicht der Betriebsprüfung, Teil I, IStR 1999, S. 328. Vgl. § 5 S. 1 FVerlV-E. Vgl. § 5 S. 3 FVerlV-E. Der Kapitalisierungszinssatz gibt demnach an, welche Mindestverzinsung aus dem Transferpaket erzielt werden muss, um nicht schlechter zu stehen als bei einer Anlage am Kapitalmarkt. Zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes ist dieser zweckmäßigerweise in seine Komponenten Basiszinssatz und Risikozuschlag zu zerlegen. Letztlich kann im Einzelnen auf die Grundsätze der Unternehmensbewertung Bezug genommen werden. Vgl. hierzu IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) vom 18.10.2005, FNIDW 2005, S. 690ff. Vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB; § 6 Abs. 1 EStG; BFH Urt. v. 22.11.1988, VIII R 62/85, BStBl. II 1989, S. 359. Vgl. § 4 Abs. 1 FVerlV-E.
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lassung anzunehmen ist, so wird auf Antrag des Steuerpflichtigen gem. § 4 Abs. 2 FVerlV-E von einer Nutzungsüberlassung ausgegangen. Wenn sich bei einer Betrachtung des Fünf-Jahreszeitraums im Sinne § 1 Abs. 3 FVerlV-E nachträglich herausstellt, dass eine Funktionsverlagerung vorliegt, so sind die Verrechnungspreise für die Geschäftsvorfälle, die zur Funktionsverlagerung geführt haben, dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend so anzusetzen, dass sie zusammen mit den ursprünglich bestimmten Verrechnungspreisen dem nach § 3 Abs. 1 FVerlV-E bestimmten Wert des Transferpakets als Ganzes entsprechen. § 1 Abs. 6 FVerlV-E beschreibt Gewinnpotenziale im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 6 AStG als die aus der verlagerten Funktion jeweils zu erwartenden Reingewinne nach Steuern (Barwert), auf die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 AStG aus der Sicht des verlagernden Unternehmens nicht unentgeltlich verzichten würde und für die ein solcher Geschäftsleiter aus der Sicht des übernehmenden Unternehmens bereit wäre, ein Entgelt zu zahlen. Diesem allgemeinen und etablierten Grundsatz widersprechend gilt in Fällen der Funktionsverlagerung quasi die Umkehrung, es ist auf den Gesamtwert abzustellen. Ohne nähere Belege oder Begründung wird behauptet, dass dies dem Fremdvergleich entspräche und „der Preis der einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion regelmäßig nicht adäquat widerspiegelt.“59 Damit wird gleichzeitig die Beweislast umgekehrt60, da der Steuerpflichtige gem. § 1 Abs. 3 S. 10 AStG gegebenenfalls glaubhaft machen muss, dass der Wert der Funktion nicht den Wert der einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter überschreitet. Dies bedeutet für den Steuerpflichtigen neben der faktischen Beweislastumkehr einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Unter fremden Dritten wäre eine solche Nachweispflicht wohl aufgrund der selbst bei intensiver Due Diligence verbleibenden unvollständigen Information ausgeschlossen. Insofern ist die Funktionsverlagerung auf ein unverbundenes Unternehmen mit wesentlich geringeren bürokratischen und administrativen Hürden verbunden. Grundsätzlich hätte es der etablierten Vorgehensweise entsprochen, wenn die Finanzverwaltung die Annahme im Einzelfall belegen müsste, der Wert einer Funktion insge-
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Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1 Abs. 3 S. 9 AStG, BR-Drucksache 220/07, S. 144. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 568.
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samt überschreite den Wert der einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter.61 Angesichts der Tatsache, dass die Funktionsverlagerung stets zwei Steuerjurisdiktionen betrifft, erscheint die Vorgehensweise der deutschen Finanzverwaltung etwas aggressiv. Ob ausländische Finanzbehörden dieser international unüblichen Bewertung folgen werden, wird abzuwarten sein. Eine Einzelbewertung der übertragenen Wirtschaftsgüter ist gemäss § 1 Abs. 3 S. 10 AStG demnach nur dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Funktion übergegangen sind oder zur Nutzung überlassen wurden oder dass das Gesamtergebnis, gemessen an der Preisbestimmung für das Transferpaket als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Diese Regelung wird als „Escapeklausel“ bezeichnet, da sie in bestimmten Fällen die Einzelwertbestimmung zulassen soll. In diesem Kontext ist die Auslegung der Begriffe „wesentlich“ und „Vorteile“ unbestimmt und wohl zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung streitanfällig. Die Rechtsverordnung bestimmt hier62, dass immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile wesentlich sind, wenn sie für die verlagerte Funktion erforderlich sind und ihr Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 Prozent der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets beträgt und dies unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Funktionsverlagerung, die aus den Aufzeichnungen im Sinne des § 3 Abs. 2 S. 2 FVerlV-E hervorgehen, glaubhaft ist. Allerdings gehen wohl in den allermeisten Fällen einer Funktionsverlagerung wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter über. Anderes ist fast nur bei sog. Nebenfunktionen denkbar, also z.B. EDV, Personalverwaltung, Buchführung und ähnlichen Dienstleistungen.63 Daher wird es in der Praxis möglicherweise schwierig sein, den Nichtübergang wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter zu belegen, es sei denn, der Nachweis deren Unwesentlichkeit gelingt. Der erforderliche Nachweis für die zweite Alternative der Escapeklausel, dürfte nur schwer zu führen sein. Sie wäre zudem mit hohem administrativen Aufwand verbun61
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Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 538; Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 311f. Vgl. § 1 Abs. 7 FVerlV-E.
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den, da die Beweislast bzw. die „Glaubhaftmachung“ dem Steuerpflichtigen auferlegt wird.
6 Preisanpassungsklausel In § 1 Abs. 3 S. 11 AStG ist geregelt, dass bei Funktionsverlagerungen im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 5 und 9 AStG unter bestimmten Umständen nachträgliche Preisanpassungen notwendig sind. Wörtlich lautet § 1 Abs. 3 S. 11 AStG: „Sind in den Fällen der Sätze 5 und 9 wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand einer Geschäftsbeziehung und weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregel vereinbart hätten.“ Die hier durch Verweis auf Sätze 5 und 9 des § 1 Abs. 3 AStG kodifizierte Preisanpassungsklausel ist nur einschlägig in Fällen der Funktionsverlagerung bei hypothetischem Fremdvergleich. Bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs scheidet eine nachträgliche Preisanpassung dagegen aus.64 Eine nachträgliche Preisanpassung ist dem Wortlaut nach nur zwingend, wenn die Abweichung der tatsächlichen Gewinnentwicklung von der ursprünglich angenommenen „erheblich“ ist. Diese auslegungsbedürftige Erheblichkeit soll nach der Begründung zum Regierungsentwurf durch die Rechtsverordnung näher ausgeführt werden. Nach § 10 FVerlV-E liegt eine erhebliche Abweichung vor, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt. Der neue, nunmehr maßgebliche Einigungsbereich wird durch den ursprünglichen Mindestpreis und den neu ermittelten Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens begrenzt. Eine erhebliche Abweichung liegt gemäß § 10 S. 3 FVerlV-E auch dann vor, wenn der neu ermittelte Höchstpreis niedriger ist als der ursprüngliche Mindestpreis des verlagernden Unternehmens. 63
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Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 569. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 572.
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Die Rechtsverordnung stellt dabei auf den „zutreffenden Verrechnungspreis“ ab. Eine solche Sichtweise erscheint zu ambitioniert, da es entsprechend der BFHRechtsprechung65 nicht einen punktgenauen Verrechnungspreis gibt, sondern regelmäßig eine Bandbreite von zulässigen fremdüblichen Verrechnungspreisen existiert. Sollte der im Nachhinein festgestellte Preis also (möglicherweise nur knapp) außerhalb des bei der Funktionsverlagerung ermittelten Einigungsbereiches liegen, wäre dies dem gemäß mit einer Qualifikation als „erheblich“ einzustufen. Selbst bei einer sich ergebenden höheren späteren Bewertung der Funktion ist zu unterscheiden, wer für die erhöhte Wertigkeit verantwortlich zeichnet. Lediglich bei einer völlig unveränderten Weiterführung der bisher ausgeübten Funktion ohne jegliche Weiterentwicklungen, Anreicherung um weitere Tätigkeiten und sonstige Änderungen könnte eine tatsächliche wie auch immer geartete „erhebliche Abweichung“ auf eine möglicherweise unzutreffende Bewertung des Transferpakets im Zeitpunkt der Funktionsverlagerung hindeuten. Denn nur bei völlig unveränderter Funktionsweiterführung wäre die Funktion allein vom abgebenden Unternehmen aufgebaut und entwickelt worden. Davon strikt zu unterscheiden ist der Fall, in dem der Erwerber der Funktion und der immateriellen Wirtschaftsgüter mittels eigener Investitionen, eigener unternehmerischer Anstrengungen und eigenen Geschicks einen über den ursprünglich erwarteten Gewinn hinausgehenden Erfolg erzielt. Solche „Übergewinne“ wären ausschließlich Ergebnis von Maßnahmen des Erwerbers.66 Ein höherer Erfolg, maßgeblich verursacht durch im Ausland entstandene unternehmerische Aktivität, kann nicht Gegenstand der deutschen Besteuerung sein. Es ist also zu differenzieren, ob die Übergewinne durch unternehmerische Aktivitäten des Erwerbers ausgelöst wurden, oder tatsächlich auf fehlerhafter Bewertung im Verlagerungszeitpunkt beruhen. Die Wirksamkeit dieser möglichen Sachdarlegung wird in der Literatur bezweifelt.67 Offenbar existieren jedoch keine allgemein übertragbaren Markterfahrungen, derge-
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Vgl. BFH Urt. v. 17.10.2001, I R 103/00, BStBl. II 2004, S. 171. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 573. Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 539.
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mäß fremde Dritte regelmäßig Preisanpassungen vereinbaren würden.68 So werden Lizenzverträge üblicherweise mit einer festen Laufzeit, aber ohne Anpassungsmöglichkeit abgeschlossen. Bei Unternehmenskäufen können Anpassungen des Kaufpreises nur unter engen Bedingungen angepasst werden, wobei der Betrachtungshorizont regelmäßig ein bis zwei Jahre nicht überschreitet.69 Daher ist die gesetzliche Fiktion einer Fremdüblichkeit von Preisanpassungsklauseln ohne Grundlage. Vielmehr können fremde Dritte selbstverständlich Preisvereinbarungen auch ohne Anpassungsklauseln treffen, und dies auch bei erheblichen Bewertungsunsicherheiten. Allein entscheidend darf nur der Fremdvergleich sein, der eine solche Preisanpassungsklausel aber nicht zwingend vorsieht.70 § 1 Abs. 3 S. 11 AStG führt nunmehr eine solche Verpflichtung für die Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgüter ein. Diese Betrachtungsweise, insbesondere unter Berücksichtung einer ewigen Rente als Betrachtungszeitraum, erhöht die Gefahr von Doppelbesteuerungen auf kaum zumutbare Weise. Eine nachträgliche Anpassung im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 11 und 12 AStG ausschließende Anpassungsklausel des Steuerpflichtigen liegt auch dann vor, wenn im Hinblick auf wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, welche die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen.71 Nur wenn keine Anpassungsklausel vereinbart wird, ist unter den genannten Bedingungen in den ersten zehn Jahren nach Geschäftsabschluss eine einmalige Berichtigung vorzunehmen. Der auf Basis nachträglicher „besserer Erkenntnis“ ermittelte Anpassungsbetrag ist der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist. Der lange Beobachtungszeitraum von zehn Jahren ist problematisch, da naturgemäß jegliche Prognose mit Unsicherheit 68
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Vgl. Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 319. Vgl. Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 320. Vgl. hierzu insbesondere Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 539, welcher eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und EGRechtswidrigkeit annimmt.
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behaftet ist, und daher typischerweise nur die kommenden drei bis fünf Jahre detaillierter geplant und bewertet werden können. Die darauf folgenden Zeiträume müssen zwangsläufig grober geschätzt und mit Hilfe bestimmter Annahmen bewertet werden. Eine pauschale Anpassung erscheint auch deshalb unangebracht, da selbst im Falle einer „erheblichen Abweichung“ binnen zehn Jahren untersucht werden muss, wer für die positive oder ggf. auch negative Abweichung verantwortlich zeichnet, das abgebende oder aufnehmende Unternehmen. Meiner Einschätzung nach kann nur im Falle einer völlig unveränderten Funktionsfortführung überhaupt von einer Abweichung ausgegangen werden, welche dem abgebenden Unternehmen im Bewertungszeitpunkt zugerechnet werden könnte. Maßnahmen des Übernehmers dürfen hier keine Rolle spielen. Konsequenterweise müsste die Regelung auch im Falle einer negativen Abweichung angewendet werden. Dieses ist jedoch an sich mit der Grundkonzeption des § 1 AStG nicht vereinbar, da dieser grundsätzlich nur Korrekturen zugunsten des deutschen Fiskus vorsieht. In dieser Inkonsequenz dürfte noch erhebliches Potential für Auseinandersetzungen im Rahmen von Schieds- und Verständigungsverfahren liegen. Wenn die höhere Funktionswertigkeit aus der unternehmerischen Aktivität des übernehmenden Unternehmers herrührt, wäre eine Preisanpassung nicht angemessen und völlig fremdunüblich. Ansonsten müsste der Übernehmer doppelte Aufwendungen auf sich nehmen, nämlich für Funktion und immaterielle Wirtschaftsgüter einen nachträglich erhöhten Kaufpreis und zudem die eigenen Investitionen in die Fortentwicklung und Integration von Funktion und immateriellen Wirtschaftsgütern ins aufnehmende Unternehmen. Im Schrifttum72 wird auf eine gewisse mögliche Analogie zur Nutzungsüberlassung von Marken innerhalb eines Konzerns hingewiesen. Der BFH hat mit Urteil vom 9.8.200073 darauf hingewiesen, dass es für die Höhe des Lizenzentgelts insbesondere darauf ankommt, wer den Wert der Marke geschaffen und wer die Aufwendungen für deren Begründung und dessen Erhalt (bspw. durch Weiterentwicklung, Werbung, Marketingmaßnahmen) getragen hat. Je höher der vom Lizenznehmer geleistete Anteil der Maßnahmen und Aufwendungen ist, desto niedriger fällt demnach das Lizenzentgelt aus. Diese Überlegung kann auch analog auf die Veräußerung im-
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Vgl. § 9 FVerlV-E. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 573. Vgl. BFH Urt. v. 9.8.2000, I R 12799, BStBl. II 2001, S. 140.
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materieller Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragen werden.74 Eine Anpassung wird gemäß § 11 FVerlV-E als angemessen beurteilt, wenn sie dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen und dem neu ermittelten Verrechnungspreis entspricht, oder wenn sie dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen Verrechnungspreis und dem Mittelwert zwischen dem neuen Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens und dem ursprünglichen Mindestpreis des verlagernden Unternehmens entspricht. Wünschenswert wäre eine Klarstellung dergestalt, dass eine Preisanpassung nicht nur zu ungunsten des Steuerpflichtigen erfolgen kann. Die Preisanpassungsklausel setzt sich zudem gleichsam über die Bestandskraft von Steuerbescheiden hinweg, indem sie den zu bewertenden Besteuerungstatbestand per Fiktion in die Gegenwart verlagert.75 Da nur in einer sehr geringen Zahl von Fremdvergleichsfällen tatsächlich eine echte Preisanpassungsklausel vereinbart wird ist die gesetzliche Regelung als willkürlich zu qualifizieren. Damit verletzt sie das sich aus dem Rechtsstaatprinzip ergebende Willkürverbot und ist diesbezüglich verfassungswidrig.76
7 Konformität mit EU-Recht und Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD § 1 AStG ist nur für Geschäftsbeziehungen zum Ausland einschlägig, die umfassenden Besteuerungsfolgen gelten daher nicht für rein inländische Sachverhalte. Insofern dürfte § 1 AStG gegen die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.77 An74
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Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 573. Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 539. Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 539. Vgl. stellvertretend Dautzenberg, N./ Gocksch, S., Die europarechtliche Problematik des § 1 AStG, BB 2000, S. 904; Eicker, K./ Röhrbein, J., Gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit der unterschiedlichen Behandlung von verbundenen Unternehmen nach DBA bei der Vereinbarung von Verrechnungspreisen, WPg 2006, S. 1357f; Herlinghaus, A., Vereinbarkeit von § 1 AStG mit dem Europarecht, FR 2001, S. 240; Schaumburg, H., Normative Defizite und internationale Verrechnungspreise, Der Konzern 2006, S. 499; Wassermeyer, F., Die Fortentwicklung der Besteuerung von Auslandsbeziehungen, IStR 2001, S. 113; Wassermeyer, F., Einkünftekorrekturnormen im Steuersystem, IStR 2001, S. 637; sowie BFH Urt. v. 29.11.2000, I R 85/99, BStBl. II 2002, S. 720; BFH Urt. v. 21.6.2001, I B 141/00, DStR 2001, S. 1290.
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statt die bekannten Mängel des § 1 AStG zu beheben und eine europarechtskonforme Neuregelung zu schaffen wurde allerdings nun die Ungleichbehandlung noch weiter ausgedehnt.78 Bei der Bestimmung des Einigungsbereiches wird durch die Einbeziehung möglicher ausländischer Standortvorteile das internationale Quellenprinzip verletzt.79 Es wird zudem bezweifelt, dass die Neuregelung mit Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EUSchiedskonvention vereinbar ist.80 Wenn hier kein Einklang besteht, dann verstößt die Neuregelung gegen abkommensrechtliche Gewinnberichtigungsvorschriften.81 Ein wirksames Treaty-Override kann in der neuen Regelung nicht gesehen werden, da der Wille zum Vertragsbruch im Gesetz selbst nicht klar zum Ausdruck kommt.82 Genau dieses wäre allerdings für ein wirksames Treaty-Override Voraussetzung.83 Damit dürften die strittigen Normen des neuen § 1 AStG in Abkommensfällen ohne Wirkung bleiben. Die Unüblichkeit der einseitigen deutschen Neuregelung84 im Kontext internationaler Besteuerungsprinzipien führt möglicherweise kurzfristig zu einer Gewinnverlagerung nach Deutschland. Es muss jedoch damit gerechnet werden, dass eine solch einseitige Regelung und der damit verbundene tendenziöse Interpretationsversuch des Fremdvergleichsgrundsatzes international von ausländischen Finanzbehörden nicht akzeptiert werden wird, was zu Doppelbesteuerungen und in der Folge zu einer Vielzahl von Schieds- und Verständigungsverfahren führen wird. Offenbar ist sich allerdings der Gesetzgeber dieser Gefahr bewusst und nimmt sie billigend in Kauf, da in der Begründung zum Regierungsentwurf ausgeführt wird, dass beim Bundeszentralamt für Steuern zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen worden sind.85 In der Konsequenz führt 78
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Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 579. Vgl. Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, S. 1308. Vgl. Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 536. Vgl. Wulf, M., Änderungen im Außensteuerrecht und Sonderregelungen zur Funktionsverlagerungen nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, DB 2007, S. 2280. Vgl. Greinert, M., Funktionsverlagerung, Unternehmensteuerreform 2008, hrsg. von Schaumburg, H./ Rödder, T., München 2007, S. 578. Vgl. Drüen, K., in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, Köln, 114. Ergänzungslieferung, § 2 AO, Tz. 2. Vgl. Wilmanns, J., Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Ein internationaler Vergleich, Status:Recht 2007, S. 201. Wilmanns führt hier aus, dass neben Deutschland nur Brasilien explizite steuerliche Regelungen zu Funktionsverlagerungen gesetzlich kodifiziert hat. Begründung zum Regierungsentwurf zu § 1 AStG, BR-Drucksache 220/07, S. 142.
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dieses jedoch auf Unternehmensebene zu weiter steigenden steuerlichen Verwaltungskosten. Die Unsicherheiten und Risiken bei der Verrechnungspreisbestimmung, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, steigen jedoch erheblich. Da der EuGH gegebenenfalls erst in einigen Jahren Gelegenheit haben wird, über die Regelungen zur Funktionsverlagerung zu entscheiden, ist einstweilen mit hohem Dokumentationsaufwand und hohen Beratungs- und Rechtsverfolgungskosten zu rechnen.86 Die Neuregelung ist auch insbesondere deshalb unglücklich, weil derzeit auf Ebene der OECD u.a. der Fremdvergleich und Funktionsverlagerungen diskutiert werden, und der Ausgang dieser Diskussion eine international abgestimmte und anerkannte Besteuerungsregel anstatt eines einseitigen Alleingangs hätte hervorbringen können.87
8 Ermächtigung zur Rechtsverordnung § 1 Abs. 3 S. 13 AStG ermächtigt das BMF zum Erlass einer Rechtsverordnung, um eine einheitliche Rechtsanwendung und die Übereinstimmung mit den internationalen Grundsätzen zur Einkunftsabgrenzung sicherzustellen.88 Die Übereinstimmung dieser Ermächtigung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG wird bezweifelt89, da das Grundgesetz die Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz fordert. So erscheint unklar, ob die Ermächtigung dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt. Während der Zweck der einheitlichen Rechtsanwendung vertretbar erscheint, so dürfte der Zweck, die Übereinstimmung mit den internationalen Grundsätzen der Einkunftsabgrenzung sicherzustellen, kritisch sein. Letztendlich würde diese Regelung nämlich eine gesetzesändernde Rechtsgrundlage für den denkbaren Fall darstellen, dass künftig ein von der deutschen Regelung zur Funktionsverlagerung oder grundsätzlich zum Fremdvergleichsgrundsatz abweichender internationaler Konsens durch Rechtsverordnung die
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So auch Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, S. 1308. Vgl. Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 321. § 1 Abs. 3 S. 13, 1. HS, AStG. Vgl. Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 321.
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Rechtsgrundlage des § 1 AStG ändert.90 Eine solche Regelung würde damit dem vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahren widersprechen und wäre daher rechtswidrig.
9 Zusammenfassung Die Neuregelung wirkt befremdlich, da sie in dieser Form im Internationalen Steuerrecht, entgegen den Ausführungen einiger Vertreter der deutschen Finanzverwaltung, eher unüblich ist.91 Aus dieser einseitigen Regelung werden mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Vielzahl von Verständigungs- und Schiedsverfahren resultieren, bei deren Verhandlung die deutsche Steuerposition auf dem Prüfstand stehen wird. Die internationale Durchsetzbarkeit der deutschen Sichtweise zu Funktionsverlagerungen erscheint wegen ihrer Unüblichkeit und Nichtabgestimmtheit eher zweifelhaft. Zudem wird durch die Neuregelung zur Funktionsverlagerung sowie die FVerlV-E dem Steuerpflichtigen wiederholt die Beweislast zugewiesen.92 Dies ist insoweit problematisch und ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, als der Steuerpflichtige damit mehrfach beweisen müsste, dass er gerade keine Steuern schuldet. Ob mit einer solchen Neuregelung, welche strategische Unternehmensentwicklungen durch zunehmende Rechtsunsicherheit behindert, die Attraktivität des Standortes Deutschland im internationalen Wettbewerb gesteigert wird, ist mehr als fraglich. Neben der Gefahr von aus der Neuregelung resultierenden (innerhalb der EU zumindest temporären) Doppelbesteuerungen droht den Unternehmen allerdings ein weiteres, in seinem Umfang kaum abschätzbares Risiko. Die umfassenden Dokumentationspflichten sowie die Verpflichtung auf explizit fremdübliches Verhalten und dessen Dokumentation werden für die betroffenen Unternehmen eine ganz erhebliche bürokratische Belastung darstellen. Besonders dokumentationsträchtig ist bei einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung, dass sowohl das abgebende als auch das auf-
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Vgl. Kroppen, H./ Rasch, S./ Eigelshoven, A., Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 und der zu erwartenden VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerung, IWB Nr. 6 v. 28.3.2007, Fach 3, Gruppe 1, S. 321, mit Verweis auf Wassermeyer, F., Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, S. 539. Dies geht auch aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor, in der die Bundesregierung einräumt, dass ihr nicht bekannt ist, in welchen Mitgliedstaaten der OECD eine Anpassungsklausel wie in § 1 Abs. 3 S. 11 AStG existiert; Frage 31, Drucksache 16/8027, Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode. Vgl. z.B. § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 3, § 8 FVerlV-E.
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nehmende Unternehmen jeweils die prognostizierte Ergebnissituation vor und nach Funktionsverlagerung zu dokumentieren haben, mithin eine solche Verlagerung eine vierfache Dokumentation auslöst. Dass solch umfassende Lasten gerechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig sind, darf bezweifelt werden. Wünschenswert wäre, wenn zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Gesetz eine entsprechende Änderung erfahren würde. Auch die Rechtsverordnung und die zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung sollten mit besonderem Augenmaß formuliert und umgesetzt werden, um die berechtigten staatlichen Interessen nach sachgerechter gesetzeskonformer Besteuerung nicht mit unverhältnismäßigen Bürokratiekosten für die betroffenen Unternehmen zu erkaufen. Insbesondere die mittelständischen Unternehmen, welche aus Wettbewerbsgründen zu einer verstärkt grenzüberschreitenden Tätigkeit gezwungen sind, wären die Leidtragenden einer überstrengen, im internationalen Umfeld überdies unüblichen, Regelung.
Die Zinsschranke als Maßnahme zur Sicherung des inländischen Steuersubstrats aus europa- und verfassungsrechtlicher Sicht
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Genese und Konzept der Zinsschranke ......................................................... 110
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Gesetzeszweck der Sicherung inländischen Steuersubstrats statt Missbrauchsvermeidung.................................................................................. 111
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Die Zinsschranke aus europarechtlicher Sicht.............................................. 112
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Verfassungsrechtliche Würdigung ................................................................. 121
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Europa- und verfassungskonforme Alternativen.......................................... 127
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1 Genese und Konzept der Zinsschranke Kaum ein Bereich im wahrlich nicht änderungsarmen Unternehmensteuerrecht hat in den letzten knapp 15 Jahren derart dramatische Richtungswechsel erlebt, wie die Gesellschafterfremdfinanzierung. Was im Veranlagungszeitraum 1994 nach dem Scheitern des BMF-Schreibens1 zum verdeckten Nennkapital als gesetzliche Regelung zur Vermeidung übermäßiger Fremdfinanzierung durch ausländische, d.h. nicht körperschaftsteueranrechnungsberechtigte Muttergesellschaften begann2, ist heute in § 4h EStG zum allgemeinen Betriebsausgabenabzugsverbot für Zinsen mutiert. Die Änderungen gingen stets nur in eine Richtung: Verschärfung. Bereits in der Unternehmensteuerreform 2000 wurde der mit Wirkung ab 1994 eingeführte3 § 8a KStG durch Absenkung des Fremd-/Eigenkapitalverhältnisses signifikant verschärft4, dann infolge der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Lankhorst-Hohorst5 ab 2004 auch auf Inlandssachverhalte für anwendbar erklärt6. Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 wurde nun der Anknüpfungspunkt des Gesellschaftsverhältnisses aufgegeben. § 4h EStG richtet sich nicht mehr nur gegen Gesellschafterfremdfinanzierungen, sondern allgemein gegen Fremdfinanzierung. Die Zinsschranke trennt sich vollständig vom ursprünglichen Konzept einer Gewinnzuordnungsregel zwischen verbundenen Unternehmen. Sie zieht stattdessen die Rechtsfolgen der (temporären) Nichtabziehbarkeit einstufig nur beim Zinsschuldner, ohne korrespondierend eine nochmalige Erfassung beim Zinsgläubiger zu verhindern7. Die Folge sind systematische Doppelbesteuerungen. Die Gesellschafterfremdfinanzierungsregeln der § 8a Abs. 2 und 3 KStG verschärfen den Grundtatbestand lediglich dahingehend, dass sie die Ausnahmetatbestände des § 4h Abs. 2 EStG einschränken, ändern aber nichts an der auf sämtliche Fremdfinanzierungsentgelte bezogenen Rechtsfolge des § 4h EStG8.
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BMF BStBl. I 1987, 373. Zur Vorgeschichte Knobbe-Keuk, B., Die Fremdfinanzierung inländischer Kapitalgesellschaften durch nichtanrechnungsberechtigte Anteilseigner. Kritik des § 8a KStGÄndGE 1982, StuW 1982, 201. Durch Standortsicherungsgesetz v. 13. 9. 1993, BGBl. I 1993, 1569. Dazu z. B. Kessler, W.; Teufel, T., Gesellschafterfremdfinanzierung nach der Unternehmensteuerreform, DB 2001, 1955. EuGH v. 12. 12. 2002 Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-1179. Dazu Prinz, U., „Fortentwicklung“ der Gesellschafterfremdfinanzierung nach § 8a KStG, StbJb. 2003/04, 175 ff.; G. Frotscher, Die rechtlichen Wirkungen des § 8a KStG n. F., DStR 2004, 377. Zur Veränderung des Regelungskonzepts Töben, T./Fischer, H., Die Zinsschranke – Regelungskonzept und offene Fragen, BB 2007, 974 f.
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2 Gesetzeszweck der Sicherung inländischen Steuersubstrats statt Missbrauchsvermeidung Wie § 8c KStG mit der Ursprungsidee des Mantelkaufs als gegen den missbräuchlichen Handel mit Verlustvorträgen gerichtete Maßnahme nichts mehr zu tun hat9, hat auch § 4h EStG nichts mehr mit unangemessener Gesellschafterfremdfinanzierung zu tun. Damit stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt noch um eine Vorschrift zur Missbrauchsvermeidung handelt. Diese Frage nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist Grundlage einer möglichen verfassungs- bzw. europarechtlichen Rechtfertigung des neuen Betriebsausgabenabzugsverbots. Denn so monströs die Vorschrift ist, dass der Gesetzgeber von sich aus wieder von ihr lassen wird, ist eher unwahrscheinlich. Es wird also der Schützenhilfe entweder des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs bedürfen. Dann aber wird es darauf ankommen, ob das Betriebsausgabenabzugsverbot des § 4h EStG mehr bezweckt als reine Gegenfinanzierung10 der im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 gewährten Tarifsenkungen. Vordringlich soll die Zinsschranke, „die Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland erschweren“11 bzw. das „inländische Besteuerungssubstrat sichern“12. Damit wird ersichtlich, dass es dem Gesetzgeber nicht länger lediglich um die Bekämpfung unangemessener Gestaltungen geht. Denn den in Deutschland steuerpflichtigen Gewinn mindern jegliche an einen im Ausland ansässigen Empfänger gezahlte Zinsen. Insofern ist es konsequent, dass der Gesetzgeber das Ziel der Sicherung des inländischen Steuersubstrats – übrigens keineswegs nur mit der Zinsschranke, sondern auch mit der Funktionsverlagerung des § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG und den im SEStEG eingeführten Entstrickungstatbeständen13 – unabhängig davon verfolgt, ob die Bemessungsgrundlagenverlagerung missbräuchlich ist. 8
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Kritik an dieser überschießenden Rechtsfolge s. Prinz, U., Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008, § 8a KStG Anm. J 07-16. Dazu Hey, J., in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Aufl., 2008, § 11 Rz. 58; dies., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008, BB 2007, 1303 (1306 f.). Veranschlagt war die Aufkommenswirkung der Zinsschranke ursprünglich (allerdings noch mit der Beschränkung auf das EBIT) mit einem Plus von 1.475 Mrd. Euro, s. BT-Drucks. 16/4841. Zur Kritik an diesen Zahlen unter dem Gesichtspunkt des verfolgten Ziels der „Sicherung des Steueraufkommens“ s. Töben, T., Die Zinsschranke – Befund und Kritik, FR 2007, 739 (741 f.). BT-Drucks. 16/4841, 1. BT-Drucks. 16/4841, 48. Dazu grundlegend Prinz, U., Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2007, Vor § 4 EStG; Hey, J., in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Aufl., 2008, § 17 Rz. 238 ff.
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Selbst wenn er weiterhin (auch) Missbrauchsabwehr bezwecken sollte14, so ist der Missbrauchsvermeidungscharakter, einst Ausgangspunkt der Umqualifizierung von Zinsen in Dividenden, tatbestandlich jedenfalls nicht mehr erkennbar. Weder die Beschränkung auf konzernangehörige Betriebe (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG) noch die Möglichkeit des Gegenbeweises einer konzernüblichen Fremdfinanzierung im Rahmen der sog. Escapeklausel (§ 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG) begrenzen den Anwendungsbereich auf unangemessene rechtliche Gestaltungen zur Erlangung von „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteilen“ (§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO) 15. Insbesondere ist anders als in § 8a KStG a. F. ein Drittvergleich zum Nachweis der Fremdüblichkeit nicht mehr vorgesehen. Der Eigenkapitalvergleich des § 4h Abs. 2 Buchst. c EStG ist kein Fremdvergleich, sondern ein Binnenvergleich zur Feststellung einer Konzernüblichkeit. Auch die Beschränkung des Abzugsverbots auf den 30% des EBITDA übersteigenden Anteil des Zinssaldos kann schwerlich als Typisierung der Unangemessenheit der Fremdfinanzierung angesehen werden. Ein Bezug zu der branchenspezifisch differenzierenden Finanzierungsrealität deutscher Unternehmen fehlt. Statt auf das Verhältnis zwischen Fremd- und Eigenkapital wird zudem nur noch auf das Verhältnis zwischen (modifiziertem) Gewinn und Zinssaldo abgestellt. Auch bei hohem Eigenkapital kann mithin bei einem Gewinneinbruch das Abzugsverbot eingreifen.
3 Die Zinsschranke aus europarechtlicher Sicht 3.1 Anwendung des Grundtatbestandes auf In- und Auslandssachverhalte Sowohl das gesetzgeberische Motiv der Sicherung des inländischen Steuersubstrats als auch die Genese der Zinsschranke deuten auf die europarechtliche Problemlage hin16. Gleichwohl differenziert der Grundtatbestand des § 4h EStG, um offensichtliche Konflikte mit den Grundfreiheiten (insb. Art. 43; 56 EGV) zu vermeiden, nicht zwischen In- und Auslandssachverhalten. Auch eine verdeckte oder mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor. Zwar können auch unterschiedslos anwendbare Normen einem Diskriminierungs- und Beschränkungsvorwurf ausgesetzt sein, wenn von ihnen typischer-
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Hierfür spricht der zusätzlich genannte Zweck, es solle eine „allein aus Gründen der Steueroptimierung hohe Fremdfinanzierungsquote vermieden werden“, BT-Drucks. 16/4841, 31. Ebenso Hick, C., Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008, § 4h EStG Anm. J 07-7. Führich, G., Ist die geplante Zinsschranke europarechtskonform?, IStR 2007, 341 (342 u. 343).
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weise Auslandssachverhalte getroffen werden17. Indes erfasst § 4h EStG – ungeachtet der Intention des Gesetzgebers, das inländische Steuersubstrat gegen Verlagerung ins Ausland zu sichern – den reinen Inlandssachverhalt mit gleicher Regelmäßigkeit wie den Auslandssachverhalt. Insofern hat der Gesetzgeber aus der EuGH-Entscheidung Lankhorst-Hohorst18 gelernt.
3.2 Benachteiligung grenzüberschreitender Konzerne durch § 15 Nr. 3 KStG Seine eigentlichen Intentionen offenbart der Gesetzgeber dann aber doch auch tatbestandlich, freilich etwas versteckt in § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG, indem er Inlandskonzernen über die Begründung einer Organschaft die Möglichkeit verschafft, im Organkreis Zinsaufwand und Zinsertrag vollständig zu saldieren. Organgesellschaften und Organträger werden hierzu als ein Betrieb fingiert. Der Inlandskonzern ohne Auslandsbeteiligungen wird der Anwendung der Zinsschranke damit in der Regel entgehen können, so er in der Lage ist, die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft darzustellen. Auslandsgesellschaften können indes nicht miteinbezogen werden, da § 14 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz KStG nach wie vor voraussetzt, dass die Organgesellschaft das Kriterium der doppelten Ansässigkeit erfüllt, d.h. sowohl Geschäftsleitung als auch Sitz im Inland hat. Inlandskonzerne mit Auslandsbeteiligungen werden hierdurch in ihrer Niederlassungsfreiheit beeinträchtigt19. Die von § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG eröffnete Saldierungsmöglichkeit im Konzern endet an den nationalen Grenzen und begründet damit einen steuerlichen Nachteil der Auslands- gegenüber der Inlandsbeteiligung.
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EuGH v. 12. 2. 1974 Rs. 152/73 – Sotgiu/Deutsche Bundespost, EuGHE 1974, 153 (164). In Bezug auf Vorschriften der beschränkten Steuerpflicht EuGH v. 28. 1. 1986 Rs. 270/83 – avoir fiscal, EuGHE 1986, 273; EuGH v. 8. 5. 1990 Rs. C-270/83 – Biehl, EuGHE 1990, I-1779; EuGH v. 13. 7. 1993 Rs. C-330/91 – Commerzbank, EuGHE 1993, I-4017; EuGH v. 27. 6. 1996 Rs. C-107/94 – Asscher, EuGHE 1996, I-3089. S. oben I. Ebenso Führich, G., Ist die geplante Zinsschranke europarechtskonform?, IStR 2007, 341 (343); Eilers, S., Fremdfinanzierung im Unternehmen nach der Unternehmensteuerreform 2008, FR 2007, 733 (735); Köhler, S., Erste Gedanken zur Zinsschranke nach der Unternehmensteuerreform, DStR 2007, 597 (604); Kolbe, S., Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008, § 15 KStG Anm. J 07-3 insb. auch im Hinblick auf die Wirkungen der Beteiligungsbuchwertkürzung. Auslandskonzerne mit Inlandsbeteiligungen haben bei Bestehen einer Zweigniederlassung im Inland über § 18 KStG die Möglichkeit, zumindest zwischen mehreren inländischen Tochtergesellschaften die Voraussetzungen des § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG herzustellen.
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3.3 Rechtfertigung der Benachteiligung grenzüberschreitender Konzerne 3.3.1 Vergleichbarkeit von Inlandskonzernen und grenzüberschreitenden Konzernen So verständlich es ist, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Zinsschranke im reinen Inlandsfall weitgehend ausschließen möchte, benötigt er damit weiterhin eine Rechtfertigung der durch § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG bewirkten Ungleichbehandlung von Inlandskonzernen und grenzüberschreitend innerhalb der EU agierenden Konzernen im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit der Art. 43, 48 EGV. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, Konzerne mit beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften seien Konzernen mit ausschließlich unbeschränkt steuerpflichtigen Konzerngesellschaften nicht vergleichbar. Grenzüberschreitende Konzerne und Inlandskonzerne befinden sich nicht in grundsätzlich unterschiedlicher Situation. Glücklicherweise hat der EuGH seine wenig überzeugende Schumacker-Rechtsprechung, der zufolge beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige schon tatbestandlich grundsätzlich nicht in objektiv vergleichbarer Lage sein sollen20, nicht auf die Unternehmensbesteuerung übertragen21. Stattdessen ist einzelfallbezogen erst auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen, ob objektiv relevante Kriterien, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen. Dabei geht der Gerichtshof regelmäßig davon aus, dass der Umstand, dass ein Konzern über Auslandsbeteiligungen verfügt, nicht zum Anknüpfungspunkt steuerlicher Nachteile genommen werden darf22. Zwar hat er in den Rechtsachen Marks & Spencer23 und Oy AA24 eine Pflicht zur vollständigen Gleichstellung von Inund Auslandskonzernen verneint, weil sich aus dem Gemeinschaftsrecht kein Anspruch auf freie Gewinn- und Verlustzuordnung innerhalb grenzüberschreitender Konzerne ableiten lasse. Dies bedeutet aber keine Abkehr von dem Grundsatz, dass jede Ungleichbehandlung der Rechtfertigung bedarf. Bei den mit den Organschaftsvoraussetzungen verknüpften Erleichterungen der Zinsschranke geht es nicht um freie 20 21
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EuGH vom 14. 2. 1995 Rs. C-279/93 – Schumacker, EuGHE 1995, I-225 Rz. 31. EuGH vom 16. 7. 1998 Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695; EuGH vom 18. 11. 1999 Rs. C200/98 – X AB und Y AB, EuGHE 1999, I-8261; EuGH vom 21. 9. 1999 Rs. C-307/97 – Compagnie de Saint Gobain, EuGHE 1999, I-6161 Rn. 48 f.; EuGH vom 8. 3. 2001 Rs. C 397, 410/98 – Metallgesellschaft und Hoechst, EuGHE 2001, I-1760; differenzierend EuGH v. 12. 12. 2006, Rs. C-374/04 – Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, EuGHE 2006, I11673 Rz. 46 ff; 56 f. EuGH vom 16. 7. 1998 Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695; EuGH vom 18. 11. 1999 Rs. C200/98 – X AB und Y AB, EuGHE 1999, I-8261; EuGH vom 8. 3. 2001 Rs. C 397, 410/98 – Metallgesellschaft und Hoechst, EuGHE 2001, I-1760. EuGH v. 13. 12. 2005 Rs. C-446/ 03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837 Rz. 37. EuGH v. 18. 7. 2007 Rs. C-231/05 – Oy AA, EuGHE 2007, I-6373.
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Gewinnzuordnung, sondern um eine nach der Ansässigkeit der Konzerngesellschaft differenzierende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips mit der Folge einer Doppelbesteuerung von Zinsaufwand und Zinsertrag. Hinsichtlich der betrieblichen Veranlassung des Zinsaufwands in Deutschland unterscheiden sich Konzerne mit Inlands- und Auslandstochtergesellschaften nicht in einer die Differenzierung durch § 15 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz KStG rechtfertigenden Art und Weise.
3.3.2 Vermeidung von Rechtsmissbrauch zur Wahrung der Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse Steuermindereinnahmen, die durch grenzüberschreitende Sachverhaltsgestaltungen entstehen, sind als Rechtfertigungsgrund für eine Schlechterstellung des Auslandssachverhalts per se ungeeignet25, auch wenn sie das Hauptmotiv für den neuerlichen Umbau der steuerrechtlichen Anerkennung der Konzernfinanzierung waren. Berufen kann sich der Gesetzgeber jedoch darauf, das inländische Steuersubstrat zur Wahrung der Ausgewogenheit der Besteuerungsbefugnisse gegen Rechtsmissbrauch zu schützen. Missbrauchsbekämpfung gehört zu den vom EuGH traditionell anerkannten Gründen, die eine Schlechterstellung des Auslandssachverhalts rechtfertigen können26. Unklar ist indes nach wie vor, wann nach Auffassung des EuGH ein zu Abwehrmaßnahmen berechtigender Missbrauch vorliegt27. Die konkretisierenden Tatbestandsvoraussetzungen der Beschränkung der Maßnahme auf die Abwehr rein künstlicher (wholly artificial) Gestaltungen28 sowie der – im Einzelfall zu widerlegenden – Missbrauchsabsicht (Fehlen sog. good business reasons) lassen zwar auf einen engen Missbrauchsbegriff schließen. Doch das Tatbestandsmerkmal der Künstlichkeit er-
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EUGH vom 16. 7. 1998 Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695 Rn. 28; EuGH vom 21. 9. 1999 Rs. C-307/97 – Compagnie de Saint Gobain, EuGHE 1999, I-6161 Rn. 50. EuGH vom 16. 7. 1998 Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695, Rz. 25 f.; EuGH v. 12. 12. 2002 Rs. C-324/00, Lankhorst-Hohorst, Slg. 2002, I-11779, Rz. 37; EuGH v. 11. 3. 2004 Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 Rz. 50. Hierzu aktuell Fischer, P., Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken nach deutschem und europäischem Recht, Festschrift für W. Reiß, Köln 2008, 621 ff.; Schön, W., Rechtsmissbrauch und Europäisches Steuerrecht, in Festschrift für W. Reiß, Köln 2008, 571. EuGH v. 12. 9. 2006 Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995, Rn. 55.
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möglicht keine eindeutige Abgrenzung29, zumal das Ausmaß dessen, was zur Entfaltung einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ erforderlich ist, je nach konkreter Betätigung variieren kann. Einen Weg zur Konkretisierung weisen meiner Ansicht nach die Entscheidungen Cadbury Schweppes und Oy AA30, in denen der Gerichtshof eine Verknüpfung mit dem Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Ausgewogenheit der Besteuerungsbefugnisse hergestellt hat. Künstlich ist eine Gestaltung, die die Zuweisung der Besteuerungsrechte von dem zugrundeliegenden wirtschaftlichen Sachverhalt löst. Nach dem äquivalenztheoretischen Verständnis des EuGH, das auch der internationalen Steuerabgrenzung zugrunde liegt31, soll der Staat das Besteuerungsrecht haben, der die Erwirtschaftung der Einkünfte ermöglicht hat. Das Problem, dass die Einkünfteerzielung häufig nicht monokausal auf den Leistungen eines Staates beruht, löst der Gerichtshof, indem er sich an den Konventionen des Doppelbesteuerungsrechts orientiert. Soweit eine Gestaltung allein darauf abzielt, das Besteuerungsrecht zu verlagern, ohne gleichzeitig den wirtschaftlichen Sachverhalt zu verändern, bedarf es m. E. auch keines Motivtests mehr. Ohnehin dürfte in diesem Fall die Darlegung außersteuerlicher Motive fehlschlagen. Dabei ist der Verzicht auf subjektive Elemente keine Frage der Kontroverse zwischen Innen- und Außentheorie32. Schließlich geht es hier nicht um die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung im Steuerrecht durch Analogie und die von der Innentheorie ausgehenden Gefahren für die Gesetzmäßigkeit und Vorhersehbarkeit der Besteuerung, sondern um die europarechtskonforme Ausgestaltung (spezial)gesetzlicher Missbrauchsvermeidungstatbestände. Indes hilft dieser Eingrenzungsversuch nur dort weiter, wo das internationale Steuerrecht eindeutige territoriale Zuordnungen vornimmt. Dort, wo es unter weitgehendem 29
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Siehe die berechtigte Kritik an der dogmatischen Unschärfe bei Fischer, P., Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken nach deutschem und europäischem Recht, Festschrift für W. Reiß, Köln 2008, 621 (623). EuGH v. 18. 7. 2007 Rs. C-231/05 – Oy AA, EuGHE 2007, I-6373 Rz. 62. Burmester, G., Zur Jurisdiktionshoheit der Staaten im Steuerrecht, JZ 1993, 698 (699 Debatin, H., Konzeptionen zur Steuerpflicht, FR 1969, 277 (278); Hey, J., Kommunale Einkommen- und Körperschaftsteuer. Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung des Äquivalenzprinzips für die Ausgestaltung kommunaler Steuern, StuW 2002, 314 (319 f.). Siehe die diesbezügliche Analyse der EuGH-Rechtsprechung von Lang, M., Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht im Lichte von Halifax und Cadbury Schweppes, SWI 2006, 273 (275 f.), der dem EuGH mangelnde dogmatische Klarheit vorhält.
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Verzicht auf wirtschaftliche Substanz Zuordnungswahlrechte gewährt wie durch die Wahl zwischen Fremd- und Eigenkapital33, rückt als Ausgestaltungsleitlinie wieder der Missbrauchsvermeidungszweck in den Vordergrund. Nur insoweit die Fremdfinanzierung einem Drittvergleich nicht standhält, ist der Staat, dessen Steuersubstrat hierdurch gemindert wird, zur Korrektur berechtigt. Freilich liegt, obwohl der Fremdvergleich in der Rechtssache Test Claimants in the Thin Cap Group als ein Kriterium für die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis behandelt wurde34, hierin zugleich auch ein Ausdruck der Wahrung der Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsrechte. Denn die Zuweisung des Besteuerungsrechts für Zinsen zum Ansässigkeitsstaat unter Verzicht des Quellenstaats gilt in Abgrenzung zu der gegenläufigen Zuweisung der Unternehmensgewinne eben nur für drittübliche Fremdkapitalentgelte (s. Art. 11 Abs. 6; Art. 9 OECD-MA).
3.3.3 Europarechtswidrigkeit aufgrund überschießender Regelungstendenz Gemäß der Rechtssache Lasteyrie du Saillant kommt eine Rechtfertigung von § 4h EStG als Missbrauchsnorm aber überhaupt nur dann in Betracht, wenn die Vorschrift auf die Erfassung von Steuerumgehungen beschränkt ist35. Bereits hieran fehlt es. Die Zinsschranke entspricht nicht den in der Rechtssache Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation36 für die Missbrauchsabwehr aufgestellten Vorgaben, da das Abzugsverbot nicht auf nicht fremdübliche Entgelte beschränkt ist. Weder handelt es sich bei dem Eigenkapitalquotenvergleich in § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c EStG um einen Drittvergleich, noch ist im Anwendungsbereich der fortbestehenden Gesellschafterfremdfinanzierungsregelung in § 8a Abs. 2 und 3 KStG ein Drittvergleich vorgesehen. § 4h EStG erfasst auch die „normale“, nicht künstliche Fremdkapitalfinanzierung, für die nach den Konventionen des DBA-Rechts ebenso wie nach dem in der Zins- und Lizenzrichtlinie zum Ausdruck gebrachten Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers (nur) der Sitzstaat das Besteuerungsrecht haben soll.
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Burmester, G., Steuerliche Aspekte der Finanzierung international tätiger Unternehmen, in Festschrift für H. Flick, Köln 1997, 659 (670). EuGH v. 13. 3. 2007 Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group litigation, EuGHE 2007, I-2107, Rz. 74; ebenso EuGH v. 17. 1. 2008 Rs. C-105/07 – Lammers & Van Cleeff NV, www.curia.europa.eu/de, Rz. 28 ff. EuGH v. 11. 3. 2004 Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 Rz. 50.
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Ebenso wenig ist eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des Kohärenz- oder Territorialitätsprinzips denkbar. Zum einen gibt es im deutschen Steuerrecht keinen Grundsatz intersubjektiver Korrespondenz dergestalt, dass Betriebsausgaben beim Schuldner nur dann abgezogen werden dürfen, wenn sie beim Gläubiger/Empfänger als Einnahmen (im Inland) versteuert werden37. Zum anderen wäre die Kohärenz nur dann gestört, wenn beim Abzug der an ausländische Empfänger gezahlten Zinsen eine (einmalige) Besteuerung beim Empfänger nicht sichergestellt werden könnte. Dieser Annahme hat der EuGH aber in Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation zu Recht widersprochen38. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass im Sitzstaat des Zinsempfängers eine Besteuerung stattfindet. Es gibt also keine Gefahr einer doppelten Nichtbesteuerung39. Auch dass die Besteuerung im Ausland generell zu einem niedrigeren Steuersatz stattfindet, lässt sich nicht unterstellen, zumal derartige Vorteile aufgrund des innerhalb der EU bestehenden Steuersatzgefälles aus Sicht des EuGH ohnehin nicht zu Abwehrmaßnahmen berechtigen40. Schließlich ist noch nicht einmal gesagt, dass der Empfänger von Zinszahlungen eines Konzerns mit von § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG ausgeschlossenen Auslandsgesellschaften im Ausland ansässig sein muss. Damit ist jedenfalls § 15 Satz 1 Nr. 3 KStG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1, 1. HS. KStG europarechtswidrig. Zwar könnte der Gesetzgeber den Mangel durch Streichung der Erleichterung für inländische Konzerne beheben, indes nur unter Inkaufnahme einer Verschärfung der – im Folgenden noch zu erörternden – Verletzung des objektiven Nettoprinzips41.
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EuGH v. 13. 3. 2007 Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group litigation, EuGHE 2007, I-2107. Das Abzugsverbot des § 160 AO soll lediglich die Empfängerbenennung sicherstellen, macht den Abzug aber nicht davon abhängig, ob der Empfänger in Deutschland steuerpflichtig ist und ist richtigerweise dahingehend einzuschränken, dass das Benennungsverlangen nur dann ermessensfehlerfrei ist, wenn der Empfänger im Inland einen steuerbaren und steuerpflichtigen Tatbestand verwirklicht hat, s. Tipke, K., in Tipke/Kruse, AO-/FGO-Kommentar, § 160 AO Rz. 9 f. (2007). EuGH v. 13. 3. 2007 Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group litigation, EuGHE 2007, I-2107, Rz. 68 f. Führich, G., Ist die geplante Zinsschranke europarechtskonform?, IStR 2007, 341 (344). EuGH in EuGH v. 26. 10. 1999 Rs. C-294/97 – Eurowings, EuGHE 1999, I-7447, Rz. 44. Ebenso Führich, G., Ist die geplante Zinsschranke europarechtskonform?, IStR 2007, 341 (345).
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3.4 Verstoß gegen die Zins- und Lizenzrichtlinie Verstieße die Zinsschranke auch gegen die Zins- und Lizenzrichtlinie, könnte die Europarechtswidrigkeit auch durch Aufhebung von § 15 Abs. 1 Nr. 3 KStG nicht beseitigt werden42. Die 2003 verabschiedete Zins- und Lizenzrichtlinie43 verpflichtet den Quellenstaat zum Verzicht auf jegliche Besteuerung von Zinsen und Lizenzgebühren, soweit der Empfänger oder Nutzungsberechtigte ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte eines anderen Mitgliedstaates ist (Art. 1 Abs. 1 der ZL-RL). Primär geht es um die Vermeidung der Besteuerung des Empfängers von Zins- und Lizenzgebühren. Indes liegt der Zweck der Zins- und Lizenzrichtlinie darin, jegliche Form der Doppelbelastung von Zinszahlungen innerhalb eines Konzerns zu beseitigen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob es sich um eine juristische Doppelbesteuerung durch Erfassung des Zinsgläubigers sowohl im Quellen- als auch im Sitzstaat handelt oder um eine wirkungsgleiche wirtschaftliche Doppelbelastung aufgrund von Abzugsbeschränkungen beim Zinsschuldner. Auch wenn bisher zur Zins- und Lizenzrichtlinie keine einschlägige EuGH-Rechtsprechung vorliegt, ist das Verbot der Belastung von Zinseinkünften im Quellenstaat dahingehend auszulegen, dass ein wirkungsgleiches Abzugsverbot beim Zinsschuldner ebenfalls erfasst wird. Zwar bezieht sich Art. 1 Abs. 1 der ZL-RL nur auf „Einkünfte in Form von Zinsen“ und erklärt nur insofern die Form der Besteuerung – Quellenabzug oder Veranlagung – für unbeachtlich. Wären Abzugsverbote gegenüber dem Zinsschuldner vom Anwendungsbereich des Doppelbesteuerungsverbots ausgenommen, könnten die Mitgliedstaaten jedoch durch Normierung eines wirkungsgleichen Abzugsverbots ihre sekundärrechtlichen Verpflichtungen umgehen44. Dass der Richtlinie eine Gesamtbetrachtung zugrundeliegt, lässt sich im Umkehrschluss auch dem Umstand entnehmen, dass Ziff. 5 der Erwägungen die Pflicht zum Besteuerungsverzicht auf fremdübliche Zinszahlungen begrenzt. Nahezu alle Mitgliedstaaten bekämpfen unangemessene, einem Drittvergleich nicht 42
43
Dies bejahen Musil; A.; Volmering, B., Systematische, verfassungsrechtliche und europarechtliche Probleme der Zinsschranke, DB 2008, 12 (14); Hallerbach, D., Problemfelder der neuen Zinsschrankenregelung des § 4h EStG, StuB 2007, 487 (493); vergleichbar Hidien, J., § 8 Nr. 1 GewStG n.F. verstößt gegen die europäische Zins-/Lizenzgebühren-Richtlinie!, DStZ 2008, 131 ff. (zur gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Fremdkapitalentgelten); verneinend Dötsch, E.; Pung, A., in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KStG, § 8a KStG Rz. 22; offen gelassen bei Hick, C. Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008, § 4h EStG Anm. J 07-5. Richtlinie des Rates vom 3. 6. 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (2003/49/EG), ABl. EG 2003 Nr. L 157, 49.
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standhaltende Gesellschafterfremdfinanzierungen auf der Ebene des Zinsschuldners45, d.h. auf der Abzugsseite. Indem die Richtlinie in Art. 5 ZL-RL die Mitgliedstaaten hierzu, aber eben auch nur hierzu weiterhin berechtigt, wird gleichzeitig deutlich, dass weitergehende Abzugsverbote auf Zinsschuldnerseite nicht richtlinienkonform sind. Gestützt wird diese Interpretation durch die Rechtssache Athinaiki, in der der EuGH die Belastungswirkungen betrachtet und sich nicht von steuertechnischen Differenzierungen hat blenden lassen46. Insbesondere komme es nicht auf die Qualifizierung als Quellensteuer nach nationalem Recht an47. Ausreichend war dem EuGH in der Rechtssache Athinaiki für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Mutter-/TochterRichtlinie, dass die Besteuerung durch die Zahlung von Dividenden ausgelöst und in ihrer Höhe bestimmt wurde. In der Rechtssache Burda vom 26.06.200848zur Europarechtskonformität von § 28 Abs. 4 KStG 1977 fordert der Gerichtshof nun zwar, dass es sich auch formal um eine Steuer des Inhabers der Wertpapiere handeln müsste, rückt also von einer rein wirtschaftlichen Betrachtung ab. Diese Einschätzung fußt indes wesentlich darauf, dass § 28 Abs. 4 KStG 1977 der Einmalbesteuerung des Gewinns der Tochtergesellschaft im Quellenstaat dient. Damit steht § 28 Abs. 4 KStG 1977 durchaus in Einklang mit den Intentionen der Mutter-/Tochterrichtlinie, wonach der Sitzstaat der Tochtergesellschaft den vorrangigen Besteuerungszugriff haben soll. Insofern unterscheidet sich die Mutter-Tochter-Richtline aber diametral von den Intentionen der Zins- und Lizenzrichtlinie, die die Zuordnung des Zinsertrags zum Sitzstaat der Muttergesellschaft und damit die einmalige Besteuerung durch diesen festschreibt. Jede Form von Doppelbelastung muss damit durch umfassenden Besteuerungsverzicht seitens des Quellenstaates vermieden werden. Zwar hat der Gerichtshof in der Rechtssache Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation festgestellt, es sei im Fall unangemessener Gesellschafterfremdfinanzierung nicht Sache des Mitgliedstaats, der die Umqualifizierung vornimmt, sicherzustellen, dass es aufgrund einer abweichenden Beurteilung im anderen Staat nicht zu einer Doppelbesteuerung kommt49, dies kann aber nur im Rahmen der in Art. 5 der ZL-RL zugelassenen Missbrauchsbekämpfung 44 45
46 47 48 49
Ebenso Hidien, J., DStZ 2008, 131 (132). Siehe Gouthière, A., Comparative Study of the Thin Capitalization Rules in the Member States of the European Union and Certain Other States, European taxation 2005, 367 ff. EuGH v. 4. 10. 2001 Rs. C-294/99 – Athinaiki, EuGHE 2001, I-6797 Rz. 25 f. EuGH v. 4. 10. 2001 Rs. C-294/99 – Athinaiki, EuGHE 2001, I-6797 Rz. 27. Rs. C-284/06 v. 26.6.2008 Rz, 52 ff. www.curia.eu. EuGH v. 13. 3. 2007 Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group litigation, EuGHE 2007, I-2107, Rz. 88.
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gelten. Die Zinsschranke ist dagegen – wie dargelegt50 – nicht auf die Erfassung missbräuchlicher Gestaltungen beschränkt.
4 Verfassungsrechtliche Würdigung 4.1 Unterscheidung zwischen der Verfassungskonformität der Zinsschranke als solcher und der Binnengestaltung der Zinsschrankenregelung Auch die verfassungsrechtlichen Monita gegen die Zinsschranke sind vielfältig. Sie lassen sich unterscheiden in Verfassungsverstöße durch die Zinsschranke als solche und Verfassungsverstöße aufgrund der konkreten Ausgestaltung der § 4h EStG; § 8a KStG. Die zahlreichen verfassungsrechtlichen Einwände gegen die innere Ausgestaltung der Zinsschranke sollen hier nicht vertieft werden. Neben einer möglichen Verletzung des rechtsstaatlichen Gebots der Normenklarheit aufgrund der Komplexität und Verweisungstechnik51 begegnet die Binnengestaltung von § 4h EStG insbesondere im Hinblick auf die Normierung der sog. „Mittelstandskomponente“52 als Freigrenze statt als Freibetrag verfassungsrechtlichen Bedenken53. Zwar ist bisher das steuergesetzlichen Freigrenzen immanente Alles- oder Nichtsprinzip verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden. Die Entscheidung zwischen Freibetrag und Freigrenze dürfte grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegen, zumal dann, wenn es sich um eine Steuervergünstigung handelt, die entsprechend höher ausfallen kann, wenn der Gesetzgeber statt eines Freibetrags eine Freigrenze wählt. Strengere Maßstäbe sind indes anzulegen, wenn es wie bei § 4h EStG um die Abmilderung einer Durchbrechung des Nettoprinzips geht. Das Eingreifen der vollen Zinsschrankenwirkung bei einer Überschreitung der Freigrenze um nur einen Euro führt zu einer massiven Ungleichbehandlung sich nur geringfügig unterscheidender Sachverhalte. Weniger einschneidende Alternativlösungen wären zu Gebote gestanden. So hätte sich der Gesetz-
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Siehe oben II. und III.3.c. Hick, C., Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008, § 4h EStG Anm. J 07-5. BT-Drucks. 16/4841, 31, 48. Siehe die allgemeine Kritik an der Ausgestaltung als Freigrenze Herzig, N.; Bohn, J., Modifizierte Zinsschranke und Unternehmensfinanzierung, DB 2007, 1 (2); Thiel, J., Die steuerliche Behandlung von Fremdfinanzierungen in Unternehmen, FR 2007, 279 (730); vage ferner Musil, A.; Völmering, B., DB 2008, 12, die nicht deutlich machen, auf welcher Ebene ihre Kritik angesiedelt ist.
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geber ähnlich wie in § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG der Technik eines abschmelzenden Freibetrags bedienen können.
4.2 Verletzung des objektiven Nettoprinzips Hauptvorwurf ist indes, dass die Zinsschranke das objektive Nettoprinzip verletzt54. Dieser lässt sich, wie ich bereits an anderer Stelle dargelegt habe55, auch nicht im Hinblick auf die Vortragsfähigkeit der nicht abziehbaren Zinsen entkräften56. Zum einen ist die Gefahr, dass der Zinsvortrag infolge von Umwandlung (§§ 4 Abs. 2 S. 1; 15 Abs. 3; 20 Abs. 9; 24 Abs. 6 UmwStG) oder Anteilsveräußerung (§ 8a Abs.- 1 Satz 3 i.V.m. § 8c KStG) untergeht, jedenfalls aber erst mit erheblicher Zeitverzögerung geltend gemacht werden kann, beträchtlich. Zum anderen wirkt das objektive Nettoprinzip auch in zeitlicher Hinsicht. Betriebsausgaben sind nicht irgendwann abzuziehen, sondern in dem Besteuerungszeitraum, in dem sie angefallen sind57. Dies gilt umso mehr, wenn Erträge, die mittels der Zinsaufwendungen erwirtschaftet wurden, ohne zeitlichen Aufschub besteuert werden.
4.3 Mögliche Rechtfertigung 4.3.1 Kompensationsbetrachtung im Hinblick auf die ermäßigte Besteuerung durch die Abgeltungsteuer Das Zinsabzugsverbot könnte in Zusammenhang mit der ermäßigten Besteuerung von Zinserträgen durch die Abgeltungsteuer gebracht werden. Indes lässt auch eine Ge54
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So die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum vgl. Hick, C., Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008, § 4h EStG Anm. J 07-5; Gosch, D., Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen, DStR 2007, 1553 (1559); Hallerbach, D., Problemfelder der neuen Zinsschrankenregelung des § 4h EStG, StuB 2007, 487 (493); Köhler, S., Erste Gedanken zur Zinsschranke nach der Unternehmensteuerreform, DStr 2007, 597 (604); Schaden, M.; Käshammer, D., Der Zinsvortrag im Rahmen der Regelungen zur Zinsschranke, BB 2007, 2317 (2323). Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 (1305). Insbesondere unter Berücksichtigung der Vortragsfähigkeit wie hier Schaden, M.; Käshammer, D., Der Zinsvortrag im Rahmen der Regelungen zur Zinsschranke, BB 2007, 2317 ff. Zwar hat BFH v. 9. 5. 2001 XI B 151/00, BStBl II 2001, 552 (554); BFH v. 6. 3. 2003 – XI B 76/02, BStBl. II 2003, 517 (523) gegen eine Streckung von Verlustvorträgen keine grundsätzlichen Einwände erhoben, dabei allerdings das Risiko eines Untergangs der gestreckten Verlustvorträge nicht hinreichend berücksichtigt; s. die Kritik von J. Lang, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Aufl., 2008, § 9 Rz. 66.
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samtbetrachtung58 unter Einbeziehung der ab 1. 1. 2009 in Kraft tretenden Abgeltungsteuer auf private Zinserträge die Verletzung des Nettoprinzips nicht entfallen. Zwar führt das Abzugsverbot zu einer Gleichbehandlung von einkommensteuerpflichtigen Dividenden- und Zinsbeziehern, soweit bei beiden der Kapitalertrag in der Sphäre der privaten Vermögensverwaltung anfällt. In beiden Fällen ist der Kapitalertrag auf Unternehmensebene mit Körperschaft- und Gewerbesteuer vorbelastet und wird im Rahmen der Einkommensteuer ermäßigt nur in Höhe des Abgeltungsteuersatzes erfasst. Man könnte sich daher auf den Standpunkt stellen, die Besteuerung des Zinsaufwandes werde durch die niedrigere Besteuerung des Zinsertrages kompensiert bzw. verhindere eine Privilegierung von Zinsen gegenüber Dividenden. Dies aber dürfte gerade nicht der Hauptanwendungsbereich der Zinsschranke sein. Im Gros der Fälle werden die dem Abzugsverbot der auf die Konzernbesteuerung zugeschnitten Zinsschranke unterfallenden Zinserträge beim Empfänger als gewerbliche Einkünfte normal zu versteuernde Betriebseinnahmen darstellen. Außerdem schaltet die Freigrenze des § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a) EStG die Anwendung der Zinsschranke im Verhältnis zu natürlichen Personen als Darlehnsgeber in weiten Bereichen aus. Gleichzeitig nimmt § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c EStG Gesellschafterdarlehen bei einer Beteiligung von mehr als 10% im Regelfall von der Steuersatzermäßigung durch die Abgeltungsteuer aus. Mangels systematischer Verknüpfung des Anwendungsbereichs von Zinsschranke und Abgeltungsteuer scheidet eine Kompensationsbetrachtung folglich aus.
4.3.2 Keine Rechtfertigung als typisierende Missbrauchsnorm Auch das Ziel der Missbrauchsabwehr vermag die Zinsschranke verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren. Zwar ist davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Zulässigkeit typisierender Vorschriften zur Missbrauchsabwehr großzügiger sein wird als der Europäische Gerichtshof59. Insbesondere dürfe es bei sachgerechter Typisierung nicht zwingend des Erfordernisses der Widerlegbarkeit bedürfen. Dennoch scheidet auch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung gleich aus mehrfachem Grund aus. Unabhängig von der fehlenden Widerlegbarkeit fehlt es an einer rea58
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Zur Zulässigkeit der Saldierung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG grundlegend Hey, J., Saldierung von Vor- und Nachteilen in der Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen und Ungleichbehandlungen, AöR 128 (2003), 226 ff.; Haller, H. A., Die Verrechnung von Vorund Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG, Berlin 2007. Hierzu im Einzelnen Hey, J., Rechtsprechung des BVerfG zum Steuerrecht im Wandel, StbJb. 2007/08, S. 19 (41).
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litätsgerechten Missbrauchstypisierung. Die Annahme, ein 30% des EBITDA übersteigendes Zinssaldo sei stets missbräuchlich, ist schon deshalb nicht haltbar, weil im reinen Inlandsfall – sieht man von § 8b Abs. 5 KStG und etwaigen Differenzen zwischen den Gewerbesteuerhebesätzen ab – durch die Fremdfinanzierung im Konzern keine Steuervorteile erzielbar sind. Aber auch in Bezug auf den Auslandsfall lässt sich die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips nicht nur europarechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich nicht legitimieren. Der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch ist nicht auf in Deutschland ansässige Konzerne und Inlandssachverhalte beschränkt60. Zwar unterliegt der Abzug von Betriebsausgaben bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland den einschränkenden Voraussetzungen des § 1 AStG. Hieraus lässt sich aber nicht folgern, das objektive Nettoprinzip gelte im grenzüberschreitenden Konzern nicht. Selbst im Rahmen der beschränkten Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; § 2 Nr. 1 KStG findet keine Bruttobesteuerung statt (§ 50 Abs. 1 EStG). Betriebsausgaben werden grundsätzlich auch dann anerkannt, wenn sie im Inland die Bemessungsgrundlage mindern und nur im Ausland besteuert werden können. Deshalb ist die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips auch dann noch rechtfertigungsbedürftig, wenn sie allein auf die Fälle beschränkt würde, in denen der Zinsabzug zum Verlust inländischen Steuersubstrats an das Ausland führen würde. Insoweit kann auch ein irgendwie gearteter Grundsatz der Einmalbesteuerung im Inland nicht als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden. Zwar folgt aus Universalitäts- und Totalitätsprinzip die Notwendigkeit, zur Verwirklichung einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sämtliches Einkommen (einmal) zu erfassen61. Indes setzt die Frage der Einkommensermittlung und damit auch der Abzugsfähigkeit von Zinsen als Betriebsausgaben vorher an. Einmal zu besteuern ist nur das Nettoeinkommen. Zudem kann aus der Perspektive des Welteinkommensprinzips die Besteuerung im Staat des Zinsempfängers nicht ausgeblendet werden62. Die Doppelbesteuerung, die aus der Nichtabzugsfähigkeit der Zinsen in Deutschland bei gleichzeitiger Erfassung im Staat des Empfängers resultiert, muss sich 60 61
Osterloh, L., in Sachs, M. (Hrsg.), GG, Kommentar, 4. Aufl. München 2007, Art. 3 Rz. 69. Lang, J. in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Aufl., 2008, § 9 Rz. 1; Lang, J. Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Habil. Köln 1988, S. 167 ff.
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Deutschland auch verfassungsrechtlich jedenfalls insoweit zurechnen lassen, als das Abzugsverbot nicht auf Missbrauchsfälle beschränkt ist.
4.3.3 Rechtfertigung zur Abwendung drohender Europarechtswidrigkeit? Im reinen Inlandssachverhalt scheidet eine Rechtfertigung der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips zur Sicherung des inländischen Steuersubstrats von vornherein aus. Die Vorschrift ist nicht erforderlich, da das inländische Steuersubstrat aufgrund der Erfassung der Zinserträge in der Bemessungsgrundlage des im Inland ansässigen Zinsempfängers per se nicht gefährdet ist. Als einziger Rechtfertigungsgrund für die Erweiterung des subjektiven Anwendungsbereichs auf den reinen Inlandsfall kommt die Abwendung der Europarechtswidrigkeit einer auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkten Norm in Betracht. Die Verletzung systemtragender Prinzipien um der Vermeidung von Diskriminierungsvorwürfen willen ist keine neue Erscheinung. Sie zeichnete bereits § 8a KStG a. F. aus, ebenso § 8b Abs. 5 KStG63. Freilich waren die Folgen einer Umqualifizierung von zwischen Inlandsgesellschaften begebenen Darlehen nach § 8a KStG a.F. nicht derart dramatisch wie unter der Zinsschranke. Ob der Gewinn als Zinsertrag auf Ebene der Muttergesellschaft oder nach Umqualifizierung in eine verdeckte Gewinnausschüttung den Gewinn der Tochtergesellschaft erhöht und bei der Muttergesellschaft entsprechend nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz blieb, begründete außer im Hinblick auf § 8b Abs. 5 KStG und mögliche Gewerbesteuerhebesatzdifferenzen zumindest bei einer Gesamtbetrachtung keine wesentlichen Besteuerungsnachteile64. Das Eingreifen der Zinsschranke führt dagegen zumindest temporär zu einer wirtschaftlichen Doppel62 63
64
H. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998, § 5.62 ff. Dazu ausführlich Michaelis, J., Die territoriale Zuordnung von Beteiligungsaufwand im Europäischen Unternehmensteuerrecht, Frankfurt a. M., 2006, 82 ff. Allerdings hat § 8b Abs. 5 KStG steuersystematisch eine andere Qualität als das Betriebsausgabenabzugsverbot des § 4h EStG. Immerhin lässt sich die Regelung im Hinblick auf § 3c Abs. 1 EStG als Typisierung der in Zusammenhang mit steuerfreien Dividenden und Veräußerungsgewinnen stehenden nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben begreifen, auch wenn dies insofern zweifelhaft ist, als die Beteiligungsertragsbefreiung keine Steuerbefreiung im materiellen Sinne darstellt, sondern als Steuerkonkurrenzregel Mehrfachbelastungen in der Beteiligungskette vermeidet. Die ähnlich gelagerte Regelung des Halbabzugsverbots des § 3c Abs. 2 EStG hat der BFH freilich für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (BFH v. 19. 6. 2007 VIII R 69/05, BFH/NV 2007, 2173 (Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. 2 BvR 2221/07). A. A. Schmitt, J. Verfassungsrechtliche Bewertung der Gesellschafterfinanzierung i. S. von § 8a KStG, DStZ 2004, 600 (605).
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belastung. Die Verletzung des objektiven Nettoprinzips wird nicht länger durch eine spiegelbildliche weitgehende Entlastung des Zinsempfängers kompensiert. Meiner Ansicht nach lässt sich die Einschränkung des objektiven Nettoprinzips im reinen Inlandsfall nicht mit dem Argument der Vermeidung einer europarechtswidrigen Diskriminierung rechtfertigen65. Eine den verfassungsrechtlichen Bindungen übergeordnete europarechtliche Pflicht zur Anwendung der Substratsicherungsnorm des § 4h EStG auch auf den Inlandsfall besteht nicht. Zwar kann man dem Gesetzgeber auch weiterhin ein legitimes Interesse an der Sicherung des Steuersubstrats konzedieren, und man wird auch nicht ernstlich behaupten können, Regelungen gegen zur internationalen Steuerplanung eingesetzte übermäßige (Gesellschafter-)Fremdfinanzierungen seien mit den Steuersatzsenkungen der Unternehmensteuerreform 2008 entbehrlich geworden. Deutschland bleibt auch mit der auf knapp unter 30% gesenkten Nominalbelastung für Kapitalgesellschaften im europäischen Vergleich Hochsteuerland, so dass der Gewinnverlagerungsanreiz fortbesteht. Jedoch hätte der Gesetzgeber innerhalb der in der Rechtssache Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation aufgezeigten Grenzen den Anwendungsbereich einer gegen übermäßige Gesellschafterfremdfinanzierung gerichteten Norm durchaus in europarechtskonformer Weise auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränken können. Die Einbeziehung des Inlandsfalls war folglich nicht erforderlich66. Dass die gesetzgeberische Intention weiterging und sich nicht auf die Sanktionierung übermäßiger Fremdfinanzierung inländischer Tochtergesellschaften durch ausländische Muttergesellschaften beschränkte, ist unbeachtlich. Ebenso wenig wie der bloße Einnahmeerzielungszweck verfassungswidrige Normen rechtfertigen kann, kann der Wille der Maximierung des inländischen Steuersubstrats verfassungs- und europarechtswidrige Regelungen legitimieren.
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Hierzu ausführlich Hey, J., Erosion nationaler Besteuerungsprinzipien im Binnenmarkt, StuW 2005, 317 (322 f.); und – eine Rechtfertigung der Anwendung von § 8b Abs. 5 KStG auf den Inlandsfall bejahend – Michaelis, J., Die territoriale Zuordnung von Beteiligungsaufwand im Europäischen Unternehmensteuerrecht, Frankfurt a. M., 2006, 82-90. So auch schon für die Vorläuferregelung des § 8a KStG 2004 Schmitt, J., Verfassungsrechtliche Bewertung der Gesellschafterfremdfinanzierung i. S. v. § 8a KStG, DStZ 2004, 600 (603), allerdings mit dem wenig überzeugenden Argument, der Gesetzgeber habe ganz auf eine entsprechende Regelung verzichten können.
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5 Europa- und verfassungskonforme Alternativen Die Sicherung des Steuersubstrats gegen Gewinnverlagerung durch grenzüberschreitende Fremdfinanzierungsgestaltungen ist kein deutsches Sonderproblem. Auch wenn Staaten mit verhältnismäßig hoher Kapitalgesellschaftsbelastung von internationaler Steuerplanung empfindlicher getroffen werden als jene, die attraktive Steuersätze anbieten, finden sich Gesellschafterfremdfinanzierungsregeln in nahezu allen EUMitgliedstaaten67 ebenso wie in den USA68. Deutschland nimmt allerdings inzwischen insofern eine unrühmliche Vorreiterrolle ein, als auch andere Staaten wie Frankreich, Italien und Dänemark dazu übergehen, die ursprünglich auf Finanzierungsgestaltungen zwischen verbundenen Unternehmen beschränkten Regelungen zu allgemeinen Zinsabzugsverboten umzugestalten, freilich in der Regel mit sehr viel mehr Augenmaß als § 4h EStG69. Angesichts des Umstandes, dass es sich um ein gemeineuropäisches Problem handelt, wenn auch mit unterschiedlicher Betroffenheit je nach Positionierung des einzelnen Mitgliedstaates im Steuerwettbewerb, spricht vieles für eine gemeineuropäische Lösung. Eine Richtlinie zur Festlegung einheitlicher Standards für die Ausgestaltung von (Gesellschafter-)Fremdfinanzierungsregeln würde das Problem von Doppel- und Nichtbesteuerung aufgrund divergierender Konzepte beseitigen. Das Problem der Gewinnverlagerung selbst wird sich auf diese Weise nicht lösen lassen. Hierzu könnte allenfalls die formelhafte Aufteilung des Konzernergebnisses im Rahmen der geplanten Common Consolidated Corporate Tax Base (CCCTB) beitragen70. Die Aufteilung des Konzernergebnisses anhand der Parameter Lohnsumme, Betriebsvermögen und
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Rechtsvergleichend Gouthière, B., A Comparative Study oft he Thin Capitalization Rules in the Member States of the European Union and Certain Other States, European Taxation 2005, 367; Obser, R., Gesellschafter-Fremdfinanzierung im europäischen Konzern, Düsseldorf 2005; Kessler W.; Köhler, S.; Knörzer, D., Die Zinsschranke im Rechtsvergleich: Problemfelder und Lösungsansätze, IStR 2007, 418. Dazu Ernst, M., Gesellschafterfremdfinanzierung im deutschen und U.S.-amerikanischen Steuerrecht, Berlin 2008 (im Druck); ders., Towards a Level Playing Field for Thin Capitalizsation: German and U.S. Approaches, Tax Notes Int’l, August 221, 2006, 657 ff.; Peter, A. F., Die deutschen und die amerikanischen Steuerregeln zur Gesellschafterfremdfinanzierung im Rechtsvergleich, IFSt-Schrift Nr. 436, Bonn 2006. Töben, T., Die Zinsschranke – Befund und Kritik, FR 2007, 739 (743); Welling, B., Übersteigerte politische Zielvorgabe an eine Neuordnung der Regelung zur Gesellschafterfremdfinanzierung, FR 2007, 735 (738 f.). Vgl. Mitteilung der Kommission Mitteilung vom 19. 12. 2006 KOM (2006) 823 endg; zum aktuellen Stand der Ausarbeitung http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/common_tax_base/index_en.htm.
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Umsatz würde die Verlagerung von Bemessungsgrundlagen durch zivilrechtliche Gestaltungen eliminieren. Indes löst auch die CCCTB das Problem keineswegs vollständig und je nach Ausgestaltung eher weniger als mehr. Würde am derzeitigen Plan einer lediglich optionalen Anwendung der CCCTB festgehalten, würde dies das Gestaltungspotential nicht verringern, sondern eher noch vergrößern. Aber selbst im Fall zwingender Konsolidierung bedürfte es unterhalb der Konsolidierungsschwelle weiterhin einer Gesellschafterfremdfinanzierungsregelung für wesentlich beteiligte Gesellschafter, die nicht in den steuerlichen Konsolidierungskreis einbezogen sind. Dies gilt umso mehr, als davon auszugehen ist, dass bei zwingender Konsolidierung die Beteiligungsgrenze verhältnismäßig hoch angesetzt werden würde, z. B. bei 75% Beteiligung. Deshalb und weil die notwendigerweise einstimmige Annahme der CCCTB in den Sternen steht, sollte die Kommission den Versuch einer Richtlinienharmonisierung des enger umgrenzten Problems der Gesellschafterfremdfinanzierung nicht aus den Augen verlieren71. Zwar muss auch eine derartige sekundärrechtliche Norm mit den Grundfreiheiten konform gehen72. Ein großzügigerer Maßstab für gemeinschaftsrechtliches Sekundärrecht als für nationales Recht ist in Bezug auf die primärrechtlichen Vorgaben grundsätzlich abzulehnen. Eine mit den Vorgaben des EuGH abgestimmte, europaweit anzuwendende Regelung ließe sich indes europarechtskonform auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt begrenzen. Damit könnte im reinen Inlandsfall das Nettoprinzip damit durch den unbegrenzten Abzug von Zinsen wiederhergestellt und die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden.
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Der diesbezügliche Vorstoß der Kommission in Folge der Entscheidung EuGH v. 12. 12. 2002 Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-1179 stieß allerdings auf wenig Gegenliebe bei den Mitgliedstaaten und wurde daher nicht weiterverfolgt, s. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Ein Binnenmarkt ohne unternehmenssteuerrechtliche Hindernisse: Ergebnisse, Initiativen, Herausforderungen v. 24. 11. 2003, KOM (2003) 726 endg.; zur Reaktion der Mitgliedstaaten Prinz, U., in Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2004, § 8a KStG Anm. J 03-6. Bleckmann/Pieper in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU Wirtschaftsrechts, 2007, B. I Rz. 3; Ruffert, M., in Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/EGV, 3. Aufl., 2007, Art. 249 EGV Rz. 14.
Aktuelle Entwicklungen bei internationalen Einkunftskorrekturmaßstäben – Anmerkungen zur Systematik und Rechtsstellung von § 1 AStG
Bert Kaminski
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Problemstellung................................................................................................ 130
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Das Verhältnis zum innerstaatlichen Recht .................................................. 131
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Das Verhältnis zum DBA-Recht ..................................................................... 138
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Das Verhältnis zum EU-Recht ........................................................................ 146
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Ausdehnung auf den Inlandsfall als Lösungsmöglichkeit?.......................... 151
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Zusammenfassung............................................................................................ 154
Quellenverzeichnis .................................................................................................... 155
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Christiana Djanani hat sich in ihrem umfangreichen Wirken sehr stark mit der steuerlichen Behandlung von grenzüberschreitenden Sachverhalten auseinander gesetzt.1 Dabei galt ihr besonderes Interesse nicht nur Regelungen anderer Staaten2, sondern auch steuersystematischen Fragen.3 Sie hat stets deutlich gemacht, dass nur eine systematische und konsistente Regelung dauerhaft von Bestand sein kann und die notwendige Akzeptanz findet. Vor dem Hintergrund dieser Erwartungshaltung werden im Folgenden einige Überlegungen zu aktuellen Entwicklungen bei internationalen Einkunftskorrekturvorschriften in Deutschland zur Diskussion gestellt.
1 Problemstellung Der deutsche Gesetzgeber hat sowohl für die Besteuerung von Betriebsstätten als auch bei der Einkunftsabgrenzung zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen in jüngster Zeit sehr weitgehende Änderungen vorgenommen. Zu nennen sind insbesondere die durch das SEStEG4 geschaffenen Vorschriften, die den „Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes“5 mit einer Entnahme gleichstellen. Hinzu kommen hiermit im Zusammenhang stehende Regelungen zur Bewertung des Wirtschaftsgutes6 sowie Vorschriften zur Begrenzung der hieraus entstehenden Liquiditätsbelastung.7 Ergänzend gelten Besonderheiten für ausländische Betriebsstätten inländischer Kapitalgesellschaften.8 Ferner wurden im Rah-
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Vgl. z. B. Djanani/Pummerer/Neumeister, Das Außensteuerrecht, in: Bertl/Djanani/Eberhartinger/ Kofler/Tumpel, Handbuch der österreichischen Steuerlehre Band V: Internationale Steuerplanung, Wien 2006, 1 ff.; Djanani/Hartmann/Brähler, IStR 2004, 481 ff.; Djanani/Brähler/Hartmann, IStR 2003, 456 ff.; Djanani/Brähler, StuW 2007, 1 ff. und Djanani/Brähler, Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, Wiesbaden 2007. Vgl. z. B. Djanani/Brähler/Lösel, Investitionen und Steuern in den USA, Berlin 2005; Djanani/Brähler/Lösel, Arbeitnehmerentsendung in die USA, Berlin 2005; Djanani/Brähler/Lösel, Investitionen und Steuern in Polen, Berlin 2005 und Djanani/Brähler/Ulbrich, Investitionen und Steuern in Ungarn, Berlin 2003. Vgl. z. B. Djanani/Brähler/Lösel, Beurteilung der systemnotwendigen Änderungen des Umsatzsteuergesetzes, in: Hebig/Kaiser/Koschmieder/Oblau (Hrsg.), Akutelle Entwicklungsperspektiven der Unternehmensbesteuerung, FS für W. Wacker, Berlin 2006, 223 ff. Vom 07.12.2006, BGBl. I, 2782, ber. II 2007, 68. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG. Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 lz. Hs. EStG, wonach die Bewertung – anders als bei üblichen Entnahmen – nicht mit dem Teilwert zu erfolgen hat, sondern mit dem gemeinen Wert. Vgl. § 4g EStG und zu einer Analyse z. B. Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 133; Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22; Hofmann, DB 2007, 652; Kramer, DB 2007, 2338; Kahle, IStR 2007, 762; Förster, DB 2007, 72; Dötsch/Pung, DB 2006, 2648. Vgl. § 12 Abs. 1 KStG.
Aktuelle Entwicklungen bei internationalen Einkunftskorrekturmaßstäben
131
men des Unternehmensteuerreformgesetzes 20089 umfangreiche Änderungen in § 1 AStG vorgenommen. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden einige Überlegungen zum Verhältnis der Normen und Regelungsbereiche zur Diskussion gestellt. Schwerpunkt der Ausführungen bildet dabei § 1 AStG, der – entsprechend der ursprünglich mit ihm intendierten Zielsetzung – die Grundnorm für die internationale Einkunftskorrektur darstellen sollte.10
2 Das Verhältnis zum innerstaatlichen Recht Zu analysieren ist zunächst das Verhältnis zwischen § 1 AStG und den vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen zur Gewinnrealisierung auf Grund der Begrenzung oder des Ausschlusses des Besteuerungsrechts für in Wirtschaftsgütern enthaltene stille Reserven in § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG. Hieraus ergeben sich weitere Folgefragen für Personengesellschaften hinsichtlich einer möglichen mittelbaren Anwendung von § 1 AStG als allgemeiner Korrekturmaßstab.
2.1 Anwendung von § 1 AStG im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte? Eine Anwendungskonkurrenz zur Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG entsteht nur, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG auch im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erfüllt sind bzw. zumindest erfüllt sein können. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die Finanzverwaltung geht im Anwendungsschreiben zum AStG davon aus, dass dies der Fall ist.11 Die wohl herrschende Meinung12 vertritt hierzu eine abweichende Auffassung. M. E. ist eine Anwendung nicht möglich.13 § 1 Abs. 1 AStG setzt folgende Tatbestandsmerkmale voraus:
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Vom 14.08.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. Regierungsbegründung zu § 1 AStG auf BT-Drucks. VI/2883 insbesondere Rz. 48 ff., abgedruckt bei Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 1 AStG, 18 f. Vgl. BMF-Schreiben v. 14.05.2004, IV B 4 – S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, Rz. 1.4.3. Vgl. z. B. Wassermeyer, in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 1 AStG Anm. 223.3 (Oktober 2004) und 894 (Oktober 2002), Haun/Reiser, in: Wöhrle/Schelle/Gross, AStG, § 1 Rz. 27 (24. Erg.-Lfg.). Vgl. hierzu bereits Kaminski, in: Strunk/Kaminski/Köhler (Hrsg.), § 1 AStG, Rz. 38 (Oktober 2005).
132
Bert Kaminski
x eine Einkunftsminderung, die auf einer Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz14 beruht, x Geschäftsbeziehungen zum Ausland, x die mit nahe stehenden Personen vorgenommen worden sind. Zumindest die beiden letzten Kriterien können im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht erfüllt sein, so dass – unabhängig vom Vorliegen der ersten Tatbestandsvoraussetzung – § 1 Abs. 1 AStG nicht anzuwenden ist. Der Begriff der nahe stehenden Person wird in § 1 Abs. 2 AStG definiert. Dort werden insbesondere Beteiligungs- bzw. Beherrschungsmerkmale als Anknüpfungspunkte verwendet. Unabhängig davon, ob diese Beherrschungsmerkmale im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gegeben sind (oder sein können) oder ob evtl. ein Interesse an der Einkunftserzielung des Anderen besteht, verwendet das Gesetz den Plural („… Personen …“). Es muss sich um mindestens zwei Personen handeln, zwischen denen die Geschäftsbeziehung vollzogen wird. Dies ist im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht der Fall. Letztere wird in § 12 AO legal definiert und ist ein rechtlich unselbständiger Teil des Stammhauses. Folglich liegen nicht zwei Personen vor, sondern nur eine. In § 1 Abs. 5 AStG wird der Begriff der Geschäftsbeziehung definiert als „jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die ….“. Schon dieser Ausschnitt zeigt, dass es sich um schuldrechtliche Vereinbarungen handeln muss. Diese sind jedoch nach ganz h. M.15 und auch nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung16 zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht möglich. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG nicht erfüllt, so dass seine Anwendung ausscheiden muss. Auch die Änderungen im § 1 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 200817 führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Vielmehr sind sowohl der Begriff der nahe stehenden Person als auch der der Geschäftsbeziehung vom Gesetzgeber nicht verändert worden. Ferner wird in § 1 Abs. 1 AStG – wie in den früheren Fassungen auch –
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Vgl. zur Würdigung dieses Ansatzes aus betriebswirtschaftlicher Sicht Djanani/Winning, in: Kutschker (Hrsg.), Perspektiven der internationalen Wirtschaft, Wiesbaden 1999, 264 ff. Vgl. z. B. Andresen, in: Wassermeyer/Andresen/Ditz (Hrsg.), Betriebsstätten-Handbuch, Köln 2006, Rz. 2.61; Heiß, Gewinnabgrenzung im internationalen Steuerrecht, Kriftel 2000, 30 ff.; Löwenstein/Looks (Hrsg.), Betriebsstättenbesteuerung, München 2003, Rz. 584 ff. Vgl. Tz. 2.2 Abs. 3 des BMF-Schreibens v. 24.12.1999, IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl I 1999, 1076, geändert durch BMF-Schreiben v. 20.11.2000, IV B 4 – S 1300 – 222/00, BStBl I 2000, 1509, und v. 29.09.2004, IV B 4 – S 1300 – 296/04, BStBl I 2004, 917. Vom 14.08.2007, BGBl. I 2007, 1912.
Aktuelle Entwicklungen bei internationalen Einkunftskorrekturmaßstäben
133
der Plural „Personen“ verwendet. Dem Gesetzgeber – und den ihm zuarbeitenden Einrichtungen – war die Diskussion um die Anwendbarkeit des § 1 AStG auf das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bekannt. Da er hieraus keine Konsequenzen gezogen hat, ist davon auszugehen, dass er die bisherige Regelung als ausreichend angesehen hat. Ferner ist zu beachten, dass durch das SEStEG18 umfangreiche Neuregelungen für Betriebsstätten geschaffen wurden, die gerade nicht im AStG normiert wurden, sondern im EStG und im KStG. Damit ist auch nach den umfangreichen Änderungen der jüngeren Zeit § 1 AStG auf das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht anzuwenden. Vielmehr hätte es hierfür besonderer Regelungen bedurft, die vom Gesetzgeber jedoch nicht geschaffen wurden.
2.2 Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Personengesellschaften Bisher erstreckt sich die Diskussion um § 1 AStG bei Personengesellschaften auf die Frage, wie die Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“ auszulegen ist. Im Schrifttum werden hierzu drei unterschiedliche Auffassungen vertreten:19 x Eine Gruppe von Autoren beruft sich auf den Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG und interpretiert die Anwendung „unbeschadet anderer Vorschriften” so, dass die Regelung nur anwendbar sein soll, soweit es keine andere Regelung gibt. Sind die Voraussetzungen einer anderen Vorschrift jedoch erfüllt, soll lediglich diese Vorschrift anzuwenden sein. Folglich verbleibt für eine ergänzende Anwendung des § 1 AStG kein Raum. Im Ergebnis würden damit grenzüberschreitende Sachverhalte mit reinen Inlandssachverhalten gleichgestellt. x Eine andere Auffassung sieht vor, dass § 1 Abs. 1 AStG die speziellere Vorschrift ist und die allgemeinen Regelungen zur Entnahme verdrängt. Insoweit 18 19
Vom 07.12.2006, BGBl. I, 2782, ber. II 2007, 68. Idealkonkurrenz nehmen z. B. an: Menck in Blümich, § 1 AStG Rz. 39 (März 1998); Debatin, DB 1974, Beilage 15, 4; Raupach, JbFStR 1977/1978, 430; Manke, JbFStR 1977/1978, 464; Gesetzeskonkurrenz bzw. lex specialis nehmen an: Ebling, StBp 1971, 223; Vogel, DB 1972, 1403; Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, 3. Aufl., Köln 1973, 103; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Aufl., Herne/Berlin 1996, Rz. 760; Auffangvorschrift nimmt an: Brezing in Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, Außensteuerrecht, Kommentar, Herne/Berlin 1991, § 1 AStG Rz. 10; Subsidiaritätsverhältnis nehmen an: Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften, 2. Aufl., Heidelberg 1990, 242; Fischer/ Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl., Bielefeld 2004, 97; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmensteuerrecht, 9. Aufl., Köln 1993, 690; Westerfelhaus, DB 1983, 909; Woerner, BB 1983, 845.
134
Bert Kaminski scheidet eine Entnahme aus, § 1 Abs. 1 AStG ist anzuwenden. Ausgangsthese ist also, dass die Gesetzesformulierung „unbeschadet anderer Vorschriften” dem lex specialis-Charakter des § 1 AStG insoweit nicht entgegensteht. Durch diese Regelung würde erreicht, dass bei Leistungen einer inländischen Personengesellschaft an ihren ausländischen Mitunternehmer auch ein Gewinnaufschlag der inländischen Besteuerung unterworfen werden müsste. Insoweit wäre eine Sicherung des Steueraufkommens der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet.
x Eine dritte Auffassung schlägt vor, dass die jeweils weitergehendere Regelung anzuwenden ist. Zwar gelte § 1 Abs. 1 AStG nur „unbeschadet anderer Vorschriften”, was den Vorrang der Entnahme vor dieser Regelung zur Konsequenz hat, doch schließt dies nicht aus, dass neben den Regelungen zur Entnahme gleichzeitig § 1 Abs. 1 AStG anzuwenden ist, soweit dieser eine weitergehendere Gewinnkorrektur ermöglicht. Im Ergebnis würde dies eine Korrektur bis zur Höhe des Teilwerts nach Maßgabe der Entnahmeregelungen bedeuten, der darüber hinausgehende Gewinnaufschlag wäre auf Grundlage des § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren. Aus Sicht des Steuerpflichtigen käme jeweils die weitergehende Regelung zur Anwendung. Welche dieser Auffassungen den Vorzug verdient, wird vom BFH als offen bezeichnet.20 Eine Entscheidung sollte erst im Hauptverfahren gefällt werden, zu dem es im damaligen Verfahren nicht gekommen ist. Die Finanzverwaltung schließt sich in Tz. 1.1.2 des Anwendungsschreibens zum AStG21 der dritten Auffassung an. Dies wird in Tz. 5.3.2 VerwG-Verfahren22 nochmals bestätigt. Unstreitig ist, dass § 1 AStG nicht im Verhältnis zur Personengesellschaft direkt anzuwenden ist, sondern auf den dahinter stehenden Gesellschafter. Bisher nicht abschließend geklärt ist, ob bei Personengesellschaften auf Grund des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 200823 dieses Konkurrenzverhältniss möglicherweise aufgelöst wurde. Dieser sieht vor, dass § 1 AStG ergänzend zur Anwendung kommt,24 wenn dieser weitergehende Rechtsfolgen hat als andere Korrekturvorschriften. Ausschlaggebend hierfür ist, dass bei einem vergleich-
20
21 22 23 24
Vgl. BFH v. 17.12.1997, I B 96/97, BStBl II 1998, 321 mit Anm. Wassermeyer, IStR 1998, 243 und Kaminski, SteuerStud 1998, 505. BMF v. 14.05.2004, IV B 4 – 1340 – 11/04, BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004, Tz. 1.1.2. BMF v. 12.04.2005, IV B 4 – S 1341 – 1/05, BStBl I 2005, 570. Vom 14.08.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 536.
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135
baren Inlandsfall die Regelungen zur Entnahme anzuwenden sind.25 Eine Einkunftskorrektur wird nur vorgenommen, wenn die Entnahme des Gesellschafters mit einem Wert unterhalb des Teilwertes vergütet wurde.26 Hingegen sieht § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vor, dass als Korrekturmaßstab auf den Fremdvergleichspreis abzustellen ist. Dieser unterscheidet sich vom Teilwert dadurch, dass beim Fremdvergleichspreis zusätzlich ein Gewinnaufschlag zu verrechnen ist, während sich der Teilwert nach ständiger Rechtsprechung des RFH und des BFH nach den Wiederbeschaffungskosten richtet.27 Wird zunächst eine Einkunftskorrektur nach Maßgabe der Entnahme vorgenommen und erfolgt damit eine Gewinnberichtigung auf den Teilwert und wird darüber hinaus § 1 AStG angewendet, um auch einen Gewinnaufschlag zu berücksichtigen, würde dies eine Schlechterstellung des grenzüberschreitenden Sachverhaltes gegenüber einem reinen Inlandsfall bedeuten. Der BFH hat in seinem sog. Martinique-Beschluss vom 21. Juni 200128 darauf hingewiesen, dass dieses Verhältnis nach bisher geltendem Recht offen sei und möglicherweise einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags darstellen könne. Wenn nun der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen hat, bedarf dies einer eingehenden europarechtlichen Würdigung.29 Zu beachten ist, dass die zunehmende Verselbständigung der Personengesellschaft – zu nennen ist die Steuersubjekteigenschaft für Zwecke der Gewerbesteuer30 und die eigenständige (Zivil-)Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft31 – dazu führen könnte, dass bei Korrekturen zwischen Gesellschaft und Mitunternehmer zwei Personen als gegeben anzusehen sind. Gegen eine solche Auffassung spricht nicht nur, dass das gewerbesteuerliche Argument auf Grund des Inlandsbezugs der Gewerbesteuer32 nur geringe Überzeugungskraft besitzt und dass für Zwecke der eigentlichen Ertragsbesteuerung das Mitunternehmerkonzept dazu führt, dass auf den Gesellschafter und nicht auf die Gesellschaft abzustellen ist. Da § 1 AStG hiervon keine abweichenden Regelungen trifft, ist nicht ersichtlich, warum dieser Grundsatz bei Anwendung dieser Norm nicht 25 26 27
28 29 30 31 32
Vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG. Vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Vgl. z. B. BFH v. 13.04.1988, I R 104/86, BStBl II 1988, 892; v. 06.07.1995, IV R 30/93, BStBl II 1995, 831; v. 27.07.1982, I R 177/77, BStBl II 1982, 758; v. 30.11.1988, II R 237/83, BStBl II 1989, 183 und v. 27.10.1983, IV R 143/80, BStBl II 1984, 35. BFH v. 21.06.2001, I B 141/00, BFHE 195, 398. Vgl. zu einer ausführlichen Analyse der europarechtlichen Aspekte unter 4. Vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG. Vgl. statt vieler Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln 2002, 1399 ff. § 2 Abs. 1 letzter Halbsatz GewStG.
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Bert Kaminski
gelten soll, zumal hiermit schon vom Ansatz her weitere Folgeprobleme (insbesondere hinsichtlich der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht) verbunden wären.
2.3 Anwendung der Regelungen des § 1 AStG im Rahmen der Entnahme? Fraglich könnte sein, ob § 1 AStG mittelbar zur Anwendung kommt. § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG ordnen im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung an, dass bestimmte Sachverhalte einer Entnahme gleichgestellt werden. In diesen Fällen ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 letzter Halbsatz EStG eine Bewertung mit dem gemeinen Wert vorzunehmen. Dieser wird in § 9 Abs. 2 BewG definiert. Der gemeine Wert entspricht nach h. M. dem Fremdvergleichspreis.33 Wird dieser Auffassung gefolgt, könnte § 1 AStG als Normierung eines allgemeinen Grundsatzes angesehen werden. Folglich könnten die darin enthaltenen Regelungen möglicherweise auch auf den Entnahmetatbestand zurückwirken, der ebenfalls auf diesem Grundsatz beruht. Gegen eine solche Interpretation spricht schon der zeitliche Zusammenhang. Die Regelungen wurden nicht einheitlich geschaffen, sondern § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 erlassen und § 1 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007. Damit ist ein zeitlicher Zusammenhang zumindest nicht unmittelbar gegeben. Auch die Gesetzesmaterialien34 enthalten keinen Hinweis darauf, dass § 1 AStG als Konkretisierung des Entnahmetatbestandes angesehen werden sollte. Die Regierungsbegründung unterstreicht, dass mit § 1 AStG der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz umgesetzt werden soll.35 Denkbar wäre, dass es sich vorliegend um die Konkretisierung eines allgemeinen Prinzips handelt, das insoweit auch für die Anwendung des § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG Bedeutung haben könnte. Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen. Die bisher geltende Fassung des § 1 Abs. 1 AStG sah insoweit auch schon den Fremdvergleichsgrundsatz vor, so dass es sich nicht um eine grundlegend neue Regelung handelt. Ferner ist zu beachten, dass
33
34 35
Vgl. z. B. Kreutziger, BewG, München 2002, § 9 Rz. 2, 10, Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., München 1989, § 9 BewG Rz. 2. Vgl. BT-Drucks. 16/2710 v. 25.09.2006, 26. Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.03.2007, 85.
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137
die Vorgaben im § 1 AStG deutlich über den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz – und damit über den gemeinen Wert – hinausgehen.36 Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass § 1 AStG nunmehr allgemeine Grundsätze des Fremdvergleichs enthält. Vielmehr wurden spezielle Regelungen erlassen, die ausschließlich auf grenzüberschreitende Gewinnkorrekturen anzuwenden sind. Dieses Verständnis wird auch dadurch unterstützt, dass – soweit erkennbar – bisher niemand ernsthaft gefordert hat, die Grundsätze des § 1 AStG auch in den Fällen der inländischen verdeckten Gewinnausschüttung, bei der nach ständiger Rechtsprechung auch der Fremdvergleichsgrundsatz als Abgrenzungsmerkmal dient37, heranzuziehen. Insoweit führte eine abweichende Auffassung zu einer Lösung, die sowohl vor dem Hintergrund des Verbots der Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte mit rein inländischen Fällen, wie es aus dem Gemeinschaftsrecht zu entnehmen ist38, als auch den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu einer gleichheitsgemäßen Besteuerung39, kaum zu vereinbaren wäre.
2.4 Zwischenfazit Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, sprechen gravierende Argumente gegen die Annahme, dass die Regelungen in § 1 AStG eine allgemein zu beachtende Kodifikation des Fremdvergleichsgrundsatzes darstellen. Vielmehr sind sie lex speziales zum allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz, wie er sich insbesondere aus der gefestigten Rechtsprechung des BFH ergibt. Nur dadurch lassen sich gravierende Folgeprobleme – insbesondere die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht – vermeiden. Zugleich zeigt sich, dass hiermit materiell eine Einschränkung der Korrekturmöglichkeiten in den Fällen des § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG verbunden ist. Anders als im Kapitalgesellschaftskonzern sind in den Fällen der Funktionsverlagerung auf Betriebsstät-
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Vgl. hierzu unter 3.2. Vgl. aus der ständigen Rspr. des BFH z. B. Urteil v. 10.05.1967, I 187/64, BStBl. III 1967, 498; 15.05.1977, VI R 109/74, BStBl. II 1977, 765; 16.04.1980, I R 75/78, BStBl. II 1981, 492; 28.10.1987, I R 22/84, BFH/NV 1989, 131; 13.12.1989, I R 99/87, BStBl. II 1990, 454 und v. 02.02.1994, I R 78/92, BStBl. II 1994, 479. Vgl. Art. 12 EG. Der EuGH hält auch versteckte Diskriminierungen prinzipiell für verboten, wobei sich diese Rechtsprechung ergänzend auf das Beschränkungsverbot in Art. 14 Abs. 2 EG stützt. Vgl. BVerfG v. 07.05.1968, 1 BvR 420/64, BVerfGE 23, 242 (256); BVerfG v. 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (271); BVerfG v. 22.06.1995, 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 (172) sowie jüngst BVerfG v. 07.11.2006, 1 BvL 10/02, GmbHR 2007, 320 – unter C.I.2.b).
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ten die Grundsätze zum Transferpaket40 nicht anzuwenden. Hier wird – unverändert – lediglich auf die Überführung einzelner Wirtschaftsgüter abgestellt. Unerheblich ist hierfür, ob zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Betriebsstättenstaat ein DBA besteht und ob dieses evtl. Aktivitätsvorbehalte41 enthält. Diesem Unterschied ist bei der Strukturierung von Outbound-Aktivitäten inländischer Unternehmen besondere Beachtung zu schenken. Tendenziell dürfte sich damit die Vorteilhaftigkeit ausländischer Betriebsstätten und Personengesellschaften gegenüber Tochterkapitalgesellschaften weiter erhöhen.
3 Das Verhältnis zum DBA-Recht 3.1 Abkommensrechtliche Vorgaben Nach ganz h. M. besteht der Hauptzweck von Doppelbesteuerungsabkommen darin, die nach nationalem Recht der Vertragsstaaten bestehenden Besteuerungsrechte einzuschränken, um so eine Doppelbesteuerung zu vermeiden oder deren schädliche gesamtwirtschaftliche Auswirkungen zumindest zu verringern.42 Bildhaft wird deshalb von Schrankenrecht gesprochen. Hingegen können durch DBA keine neuen Besteuerungstatbestände geschaffen oder auf Grundlage eines DBA eine Besteuerung vorgenommen werden. Vielmehr bedarf es hierfür einer Regelung des nationalen Steuerrechts des jeweiligen Vertragsstaates. Diese Grundsätze sind letztlich Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips43 und der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung44. In den Doppelbesteuerungsabkommen werden für die hier zu diskutierenden Fragen zwei wichtige Grundsätze geregelt: Einerseits wird im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA vorgeschrieben, dass einer Betriebsstätte die Gewinne zuzurechnen sind, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre. Ferner wird in Art. 9 40
41
42 43 44
Vgl. hierzu Kaminski, RiW 2007, 598; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651; Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 9; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275 ff.; Frischmuth, IStR 2007, 485 ff. Hierzu eingehend Kaminski, StuW 2007, 275 ff., Wassermeyer, IStR 2000, 65 ff. und Köhler, S., in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2. Aufl., Herne/Berlin 2003, 1435 ff. Vgl. z. B. Djanani/Brähler, Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, Wiesbaden 2007, 19 f. Vgl. Art. 20 Abs. 3 GG. Vgl. § 3 Abs. 1 AO i. V. m. Art. 80 Abs. 1 GG.
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Abs. 1 OECD-MA angeordnet, dass Gewinne, die auf Grund einer Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz bei einem international verbundenen Unternehmen nicht erzielt werden, gleichwohl in dem Vertragstaat besteuert werden dürfen, in dem sie bei Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes entstünden. Beiden Regelungen ist immanent, dass der Fremdvergleichsgrundsatz als tragendes Prinzip der internationalen Einkunftsabgrenzung Verwendung findet, wenngleich dieser Grundsatz für Transaktionen im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nur eingeschränkt gilt. Allerdings enthalten beide Regelungen keine weitergehenden Präzisierungen45, so dass insbesondere nicht abschließend geklärt ist, wie dieser Fremdvergleich konkret umzusetzen ist. So enthalten die Kommentierungen46 zum OECD-MA einige Erläuterungen und auch die Richtlinien47 zur Verrechnungspreisbestimmung Hinweise, doch sind diese hinsichtlich ihrer Bindungswirkung anders zu beurteilen als das jeweilige DBA und die ergänzenden Materialien. Hinzu kommen die Empfehlungen des EU Joint Transfer Pricing Forums48, die aber nach Auffassung der Staaten nur unverbindliche Regelungen darstellen49 sowie die Überlegungen zum functionally separate entity approach.50 Aus der Systematik der Doppelbesteuerungsabkommen heraus handelt es sich hierbei um ein allgemeines Auslegungsproblem, für einen im Abkommen verwendeten Begriff. Hierzu enthält Art. 3 Abs. 2 OECD-MA die Aussage, dass das Abkommen zunächst aus sich selbst heraus auszulegen ist. Findet sich dort keine Begriffsbestimmung oder erfordert der Zusammenhang nichts anderes, so ist bei der Anwendung des Abkommens den nicht definierten Begriffen die Bedeutung zugrunde zu legen, die ihnen in dem Anwendungszeitraum nach dem Recht des Vertragstaates zukommen. Hierbei haben steuerrechtliche Definitionen Vorrang vor anderen (rechtlichen) Begriffsbestimmungen. Vor diesem Hintergrund könnte in § 1 AStG die Definition des 45
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Vgl. zum Verhältnis zwischen betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Anforderungen an Verrechnungspreise Djanani/Winning, in: Kutschker (Hrsg.), Perspektiven der internationalen Wirtschaft, Wiesbaden 1999, 243 ff., Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Kriftel 2001, 361 ff. OECD (ed.), Commentary on OECD Model Tax Convention on Income and on Capital, Paris 2005. OECD (ed.), Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, Paris 1995 ff. Abrufbar im Internet unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/transfer_ pricing/forum/index_en.htm#key_documents. Vgl. Report on the Activities of the EU Joint Transfer Pricing Forum in the Field of Documentation Requirements v. 11.11.2005, 34. Die Teile I bis III sind abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/55/14/37861293.pdf der Entwurf des Teils IV unter http://www.oecd.org/dataoecd/46/6/39163765.pdf.
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allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatzes gesehen werden, die insoweit auch für Zwecke des Abkommensrechtes – und damit für die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – Bedeutung erlangen könnte.
3.2 § 1 AStG als Anwendungsfall des Fremdvergleichsgrundsatzes? Könnte davon ausgegangen werden, dass § 1 AStG einen allgemeinen Korrekturmaßstab im Sinne des Fremdvergleichs darstellt, wäre eine Kollision mit dem Abkommensrecht ausgeschlossen. Es bestünde dann – ggf. auf Grundlage der Regelungen analog zu Art. 3 Abs. 2 OECD-MA – eine Definition, die aus dem nationalen Recht auf das Abkommensrecht ausstrahlte und insoweit den Fremdvergleichsgrundsatz auch für dessen Zwecke bestimmte. Hieraus ergäbe sich die Konsequenz, dass § 1 AStG nicht mit den Regelungen des DBA-Rechtes kollidiert. Folglich könnte dieses auch keine Schrankenwirkung für § 1 AStG entfalten. Eine solche Auffassung impliziert, dass der Inhalt von § 1 AStG nicht über den Fremdvergleichsgrundsatz hinausgeht. Genau dies ist jedoch fraglich. In § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG wird die Fiktion der vollkommenen Kenntnis normiert. Danach ist bei der Verrechnungspreisbestimmung davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige sowohl über seine eigenen Verhältnisse als auch die seines (konzernverbundenen) Geschäftspartners vollständige Kenntnis hinsichtlich des Nutzens und aller wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung hat. Eine solche Annahme ist mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar. Sie führt dazu, dass insbesondere bei Funktionsverlagerungen eine sehr weit gehende Bewertung und umfassende Kenntnis unterstellt wird. Dies bewirkt, dass Abfindungen bestimmt werden und Faktoren in die Verrechnungspreisbestimmung einbezogen werden müssten, die bei fremden Dritten gerade nicht vorliegen. Hierin liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz, zumal diese Fiktion international nicht üblich ist und an deren Nichterfüllung materielle Nachteile für den Steuerpflichtigen anknüpfen können. Durch § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG wird angeordnet, dass bei Verrechnungspreisen außerhalb der – ggf. eingeschränkten – Bandbreite eine Korrektur auf den Median der Bandbreite zu erfolgen hat.51 Eine solche Vorgehensweise ist mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar. Die Bandbreite ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass
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Kritisch auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1463.
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es sich um Werte handelt, die alle als hinreichend vergleichbar anzusehen sind. Damit sind sämtliche Werte innerhalb dieser Bandbreite fremdvergleichskonform. Wird unter Rückgriff auf den vermeintlichen Fremdvergleichsgrundsatz des Abkommensrechtes so getan, als sei nur der Median der zutreffende Wert, so ist dies mit dem allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar. Vielmehr hätten fremde Dritte jeden Wert innerhalb der Bandbreite wählen bzw. akzeptieren können. Dieser Grundsatz wird durch die Forderung nach Ansatz des Medianes verdrängt und damit gegen den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen. Liegen keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vor, sollen nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG hypothetische Fremdvergleiche durchgeführt werden. Hierbei ordnet das Gesetz an, dass die bereits angesprochene Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG und die darin enthaltene vollständige Kenntnis anzuwenden ist. Wenn eine solche Kenntnis bei fremden Dritten regelmäßig nicht besteht, handelt es sich hierbei um einen Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz. Dies gilt in gleicher Weise für die Forderung zur Bestimmung von Mindest- und Höchstpreisen des Leistenden bzw. des Leistungsempfängers. Fremde Dritte sind regelmäßig nicht in der Lage, diese Preise ihres Vertragspartners zu bestimmen. Die Forderung nach Vorlage solcher Unterlagen zwischen verbundenen Unternehmen verstößt gegen den Fremdvergleichsgrundsatz. Ähnliche Bedenken richten sich gegen die Forderung nach Verwendung des Mittelwertes, sofern innerhalb des Einigungsbereichs kein Wert besteht, für den eine höhere Wahrscheinlichkeit spricht. Auch die Regelungen zur Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG) sind mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar. Dies gilt sowohl auf Grund des Rückgriffs auf die Fiktion der vollständigen Kenntnis aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG, als auch auf Grund der Bewertung. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Differenz zwischen der Gewinnsituation vor und nach der Verlagerung sowohl bei der in- wie bei der ausländischen Gesellschaft zu bestimmen ist, und anschließend der so entstehende Einigungsbereich aufgeteilt wird, wobei im Zweifel das Mittelwertverfahren anzuwenden ist. Eine solche Vorgehensweise ist problematisch und mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu vereinbaren, weil sie dazu führt, dass auch rein ausländische Standortvorteile in die deutsche Besteuerung einbezogen werden. Hierauf würden sich fremde Dritte nicht verständigen. Vielmehr würden sie lediglich prüfen, inwieweit sie selbst in der Lage wären, entsprechende Vorteile zu nutzen. Besondere Wettbewerbsvorteile, die ausländische Anbieter nutzen, einem neu auf den Markt kommenden je-
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doch nicht zugänglich wären, sind nicht zu berücksichtigen. Auch dies lässt die gesetzliche Regelung unberücksichtigt und verstößt damit gegen den Fremdvergleichsgrundsatz. Bei der Übertragung bzw. Überlassung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter und Vorteile, geht § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG davon aus, dass die widerlegbare Vermutung besteht, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung dazu führen, dass unabhängige Dritte sachgerechte Anpassungsregelungen vereinbart hätten. Auch hierin liegt ein Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz, denn unter fremden Dritten ist es keineswegs üblich, entsprechende Klauseln zu vereinbaren. Zwar handelt es sich „nur“ um eine widerlegbare Vermutung, doch ist bisher nicht absehbar, wie diese in der Praxis ausgestaltet wird. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass die Finanzverwaltung zu Gunsten des Steuerpflichtigen vom Gesetzeswortlaut abweicht und ihm nicht die Beweislast für die Vereinbarung keiner entsprechenden Anpassungsklausel auferlegt. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch unter fremden Dritten keineswegs üblich und stellt einen Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz dar. Dies gilt auch für die in Satz 12 vorgesehene Anpassung beim Auftreten von Abweichungen. Hier wird der Vertragsinhalt, wie er von fremden Dritten beschlossen wird, gerade negiert und durch einen fiktiven Sachverhalt ersetzt. Eine solche Vorgehensweise ist nicht fremdüblich. Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, verstößt die Regelung im § 1 AStG in einer ganzen Reihe von Punkten gegen den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz. Hieraus ist die Konsequenz zu ziehen, dass diese Regelung eben nicht als gesetzliche Kodifizierung eines allgemeinen Prinzips anzusehen ist, sondern deutlich darüber hinausgeht. Insofern entsteht das Folgeproblem, inwieweit die über den allgemeinen Fremdvergleich hinausgehenden Regelungen auf Grund ihrer Kollision mit höherrangigem Recht anwendbar sind. In der Betriebsprüfungspraxis werden bei Sachverhalten zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter häufig sehr formale Prüfungshandlungen durchgeführt, indem zunächst nach im Voraus getroffenen schriftlichen Vereinbarungen gefragt wird. Liegen diese nicht vor oder halten sich die Beteiligten nicht an das Vereinbarte, wird alleine aus diesem Grund eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen. Dies gilt auch, wenn ein Leistungsaustausch unstreitig vorlag, aber Vereinbarungen erst später getroffen oder angepasst wurden. Ein solcher Fall ist Gegen-
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stand des – mittlerweile rechtskräftigen – Urteils des FG Köln vom 22. August 200752, zur Auslegung von Art. 4 DBA-Großbritannien. Da dieser mit Art. 9 Abs. 1 OECDMA identisch ist, wird im Weiteren auf diese Regelung abgestellt, auch wenn im Einzelfall nur das jeweilige DBA und das Zustimmungsgesetz Bedeutung hat. Im Sachverhalt hatte unstreitig für einen bestimmten Teil des vereinbarten Entgelts eine Korrektur zu erfolgen, weil insoweit gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen wurde. Ergänzend wollte die Finanzverwaltung eine weitere Korrektur vornehmen, weil es eine vertragliche Regelung gab, die nicht angewendet wurde. Vielmehr wurden die Entgelte später abweichend ermittelt, so dass auf Grund des Fehlens einer klaren, im Voraus getroffenen Vereinbarung eine Einkunftskorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG vorgenommen wurde. Dies lehnte das FG ab, weil es – in Übereinstimmung mit der h. M. im Schrifttum und entgegen Tz. 1.2.1. des BMF-Schreibens vom 23. Februar 198353 – davon ausgeht, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Sperrwirkung gegenüber einer verdeckten Gewinnausschüttung entfaltet, wenn diese alleine auf formale Beanstandungen gestützt wird. Zu entscheiden war, ob Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auf den vorliegenden Sachverhalt überhaupt anwendbar ist. Streitig war bisher, ob die Regelung auch gesellschaftsrechtliche Beziehungen erfasst. Dies hatte der BFH bisher offen gelassen, und im Schrifttum wurden hierzu konträre Auffassungen vertreten. Das FG kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus dem Wortlaut der Regelung („… finanzielle Beziehung …“ und „… auferlegten …“) ergäbe, dass diese ebenfalls unter Art. 9 Abs. 1 OECD-MA fallen können. Zugleich stellt es fest, dass es bei solchen Beziehungen im Regelfall an einer klaren, im Vorhinein geschlossenen Vereinbarung fehlen wird. Das FG hatte wegen der grundlegenden Bedeutung der aufgeworfenen Fragen die Revision zum BFH zugelassen. Gleichwohl hat die Finanzverwaltung hierauf verzichtet, so dass das Urteil mittlerweile rechtskräftig geworden ist. Das FG Urteil führt dazu aus, das den nationalen Regelungen und deren Auslegung durch die Rechtsprechung – hier: zu den besonderen Anforderungen an schuldrechtliche Verträge, die ein beherrschender Gesellschafter mit „seiner“ Kapitalgesellschaft
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13 K 647, EFG 2008, 161. BStBl. I 1983, 218.
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abschließt54 – Grenzen aus dem Abkommensrecht entgegen gesetzt werden. Aus dem DBA wird der Fremdvergleichsgrundsatz entnommen und als eigentlicher – und gegenüber den nationalen Regelungen vorrangiger – Beurteilungsmaßstab verwendet. Wird diese Argumentation auf § 1 AStG übertragen, der nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers diesen Grundsatz in nationales Recht umsetzt55, ergibt sich hieraus, dass § 1 AStG im DBA-Fall nur insoweit anwendbar ist, wie er nicht über den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz hinausgeht. Dies ist – wie oben gezeigt – in einer Reihe von Fällen gegeben. Da das Abkommensrecht insoweit dem nationalen Recht Schranken vorgibt, ist § 1 AStG insoweit zu begrenzen, weil das DBA-Recht als in nationales Recht transferierter völkerrechtlicher Vertrag vorrangig ist.56
3.3 § 1 AStG als treaty overriding? Denkbar wäre in § 1 AStG ein treaty overriding zu sehen, das insoweit den sich aus den jeweiligen DBA bzw. Zustimmungsgesetzen ergebenden Fremdvergleichsgrundsatz verdrängt und durch eine – insoweit weitergehende – Regelung des nationalen deutschen Steuerrechts ersetzt. Ein solches treaty overriding wäre zwar eine völkerrechtswidrige Handlung, doch lässt der BFH diese zu.57 Damit wäre diese Vorschrift dann rechtlich zulässig, wenn sie den Anforderungen der Rspr. an ein treaty overriding genügte. Der BFH verlangt hierfür, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere geht er – in Übereinstimmung mit der h. M.58 – davon aus, dass in dem die abkommensrechtlichen Regelungen überschreibenden Gesetz klar zum Ausdruck kommen muss, dass damit die Regelung des DBA verdrängt werden soll. Unabhängig davon, ob ein treaty overriding auf Grund des darin liegenden Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG nicht ohnehin verfassungswidrig und damit nichtig ist59, fehlt es in § 1 AStG an einer solchen Aussage. Die Gesetzesmaterialien erwecken den Eindruck, als
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Vgl. aus der st. Rspr. des BFH z. B. Urteil v. 31.07.1956, I 4/55 U, I 5/55 U, I 4-5/55 U, BStBl. III 1956, 288; v. 08.11.1960, I 131/59 S, BStBl. III 1960, 513; v. 08.01.1969, I R 26/67, BStBl. II 1969, 268; v. 22.03.1972, I R 117/70, BStBl. II 1972, 501 und v. 10.07.1974, I R 205/72, BStBl. II 1974, 719. Vgl. BT-Drucks. VI/2882, Allgemeiner Teil, Rz. 17, abgedruckt bei Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStG, § 1 AStG, Gesetzesmaterialien, 18. Vgl. Art. 59 Abs. 2 GG i. V. m. § 2 AO. Vgl. BFH v. 13.07.1994, I R 120/93, BStBl II 1995, 129. Vgl. z. B. Vogel, in: Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, 5. Aufl., München 2008, Einl. Rz. 203, m. w. N., Seer, IStR 1997, 481, 485, Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998, Rz. 3.26 und Kluge, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., München 2000, Rz. R 9 ff. Vgl. zur Diskussion Vogel, in: Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, 5. Aufl., München 2008, Einl. Rz. 204.
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würde ein international anerkannter Grundsatz umgesetzt.60 Damit lassen sich weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien Hinweise darauf entnehmen, dass damit die insoweit „höherrangigen“ Regelungen des Abkommensrechts verdrängt werden sollen. Daher spricht auf Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung einiges dafür, dass § 1 Abs. 1 AStG die Anforderungen nicht erfüllt, die für ein treaty overriding bestehen. Hierbei ist zu bedenken, dass sich diese Rechtsfolgen nur insoweit ergeben, wie § 1 AStG über den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz hinausgeht. Auch wenn dieser bisher nicht immer mit der notwendigen Trennschärfe abgegrenzt werden kann, ist doch eindeutig, dass Teile der gesetzlichen Neuregelung in Deutschland hierüber deutlich hinausgehen.61 Eine Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass § 1 AStG insoweit einschränkend ausgelegt wird. Insofern müsste der Wortlaut auf den verbleibenden Gestaltungsspielraum zurückgeführt werden. Dies wäre dann der Fall, wenn – anders als bisher – eine Eingrenzung auf die Fälle erfolgt, in denen eine Übereinstimmung mit dem international anerkannten Fremdvergleichsmaßstab gegeben ist. Bisher scheint die deutsche Finanzverwaltung hierzu jedoch nicht bereit zu sein. Ganz im Gegenteil: Die bisher veröffentlichten Entwürfe von Stellungnahmen zu der Neuregelung seitens der Finanzverwaltung erwecken den Eindruck, als sollten die ohnehin schon weiten Regelungen noch weiter ausgedehnt werden.62 Insofern bleibt es der Rechtsprechung überlassen, die oben aufgezeigten Grundsatzfragen zu entscheiden.
3.4 Konsequenzen Auf Grundlage der vorstehenden Ausführungen lässt sich feststellen, dass § 1 AStG keine nationale Kodifizierung des internationalen Fremdvergleichsgrundsatzes darstellt. Vielmehr geht dieser über die Regelungen, wie sie in Art. 7 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 OECD-MA normiert sind, in einigen Bereichen deutlich hinaus. Insoweit entfaltet das Abkommensrecht „Sperrwirkung“ gegenüber den weiter gehenden Vorschriften des nationalen Rechts. Ausschlaggebend hierfür ist sowohl der Charakter von Doppelbesteuerungsabkommen als Grenze für lokale Besteuerungsrechte der einzelnen Fiski als auch der Umstand, dass die vorgenommen gesetzlichen Änderungen 60 61 62
Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.03.2007, 85. Vgl. hierzu unter 3.2. Vgl. den Entwurf der „Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen (Funktionsverlagerungsverordnung - FVerlV)“ auf BR-Drucks. 352/08 v. 23.05.2008.
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nicht als treaty overriding im Sinne der Rechtsprechung des BFH angesehen werden können. Damit ist davon auszugehen, dass die Regelungen nicht das Abkommensrecht verdrängen, sondern dieses unverändert zu beachten ist. Hieraus ergibt sich, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und die diesem regelmäßig nachgebildeten Vorschriften in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, eine begrenzende Wirkung für Korrekturen nach Maßgabe von § 1AStG entfalten.
4 Das Verhältnis zum EU-Recht 4.1 Ausgangspunkt § 1 AStG erfasst von seiner Zielsetzung her ausschließlich grenzüberschreitende Sachverhalte. Es kommt damit zwangsläufig zu einer Ungleichbehandlung von grenzüberschreitenden Sachverhalten gegenüber reinen Inlandsfällen. Dies ist der Fall, wenn § 1 AStG entweder dem Grunde oder der Höhe nach zu einer Gewinnkorrektur führt, die bei einem vergleichbaren rein inländischen Sachverhalt nicht vorgenommen wird. Daher stellt sich die Frage, inwieweit das Europarecht und insbesondere die hierauf beruhende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dazu führt, dass weitere Grenzen zu beachten sind. Auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs63 ist zur Bestimmung des Vergleichsmaßstabs zunächst zu fragen, ob ein grenzüberschreitend tätiger Steuerpflichtiger schlechter gestellt wird als ein Steuerpflichtiger, der ausschließlich im Inland tätig wird. Dies ist bei § 1 AStG erkennbar der Fall, weil die ergänzende Anwendung von § 1 AStG dazu führt, dass anders als bei rein innerstaatlichen Korrekturen ergänzende Regelungen zur Anwendung kommen. Hierbei erweist sich die Vorgabe im § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG als besonders schwerwiegend, weil diese zu einer systematischen, ergänzenden Anwendung des § 1 AStG führt. Hingegen sind die Fälle unproblematisch, bei denen die Aussage, dass § 1 AStG nur unbeschadet anderer Vorschriften zur Anwendung kommt, dazu führt, dass dieser gegenüber einer gleich weit reichenden nationalen Regelung zurücktritt. Es zeigt sich deutlich, dass § 1 AStG systematisch zu einer Schlechterstellung grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen führt. Hierin liegt eine Diskriminierung von 63
Vgl. EuGH-Urteil v. 14.11.2006, C-514/04, Rs. Kerckhaert-Morres, EuGHE 2006, I-06721, bestätigt durch Urteil v. 06.12.2007, C-298/05, Rs. Columbus Container Services, IStR 2008, 63 ff.
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EU-Sachverhalten gegenüber reinen Inlandsfällen, die mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages kollidiert. Zu nennen sind insbesondere die Kapitalverkehrsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit aber ggf. auch die Dienstleistungsfreiheit. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH64 führt nicht jede Ungleichbehandlung zu einer Europarechtswidrigkeit. Vielmehr lässt der EuGH eine Rechtfertigung zu. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, dass es sich bereits vom Ansatz her um eine Ausnahme handelt, an die hohe Anforderungen zu stellen sind. Das FG Düsseldorf hat mit dem Urteil vom 19. Februar 200865 der Diskussion um die Europarechtswidrigkeit von § 1 AStG neue Nahrung gegeben. Im Wesentlichen ging es um die Frage, ob die Unverzinslichkeit eines kapitalersetzenden GesellschafterDarlehens zu einer Korrektur von Zinserträgen nach § 1 Abs. 1 AStG führen kann. Das FG entschied – in Übereinstimmung mit der Rspr. des BFH66 –, dass Geschäftsbeziehungen i. S. v. § 1 Abs. 4 AStG i. d. F. des StandOG67 nur vorliegen, wenn „die den Einkünften zu Grunde liegende Beziehung entweder beim inländischen Steuerpflichtigen oder der nahe stehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf welchen die §§ 13, 15, 18, 21 EStG anzuwenden sind oder wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde“. Hingegen ist dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, wenn es sich – wie vorliegend – bei der unentgeltlichen Kapitalüberlassung um einen Gesellschafterbeitrag handelt. Der Gesetzgeber hat durch das StVergAbG68 den Begriff der Geschäftsbeziehung neu definiert, hierüber war jedoch im Verfahren nicht zu entscheiden. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass – unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 29. November 200069 – auch für die neue Fassung diese Auslegung beibehalten wird. Grundlegendere Bedeutung bekommt die Entscheidung, weil das FG seine Argumentation ergänzend auf europarechtliche Überlegungen stützt. Hierzu führt das Gericht aus, dass in einem vergleichbaren Inlandsfall keine Einkunftskorrektur durchzuführen wäre.70 Die Voraussetzungen, um diese Ungleichbehandlung gemeinschaftsrechtlich zu rechtfertigen, sieht das Gericht nicht als gegeben an und stützt sich hierbei insbe-
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Vgl. zu einer Übersicht z. B. Djanani/Brähler, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Wiesbaden 2006, 452. 17 K 894/05 E, IStR 2008, 449. Vgl. hierzu BFH-Urt. v. 29.11.2000, I R 85/99, BFHE 194, 57, mit Nichtanwendungserlass des BMF v. 17.10.2002, BStBl. I 2002, 1025. Vom 13.09.1993, BGBl. I 1993, 1569. Vom 16.05.2003, BGBl. I 2003, 660. I R 85/99, BStBl. II 2002, 720. Vgl. auch BFH-Beschluss v. 26.10.1987, GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.
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sondere auf den BFH-Beschluss vom 21. Juni 200171, indem der BFH Zweifel an der Vereinbarkeit von § 1 AStG mit der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit bejaht. Bezogen auf die Neuregelungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 200872 ist damit fraglich, ob die Regelung des § 1 AStG in EU-Fällen angewendet werden können. Gegen die Entscheidung des FG Düsseldorf ist unter dem Az. I R 26/08 Revision beim BFH anhängig. Sofern die vorliegende Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden kann, würde das Europarecht der Anwendung des § 1 AStG im Verhältnis zu EU- und EWRStaaten entgegenstehen. Nur dadurch ließe sich eine Ungleichbehandlung verhindern, sofern der Gesetzgeber keine Ausdehnung auf den Inlandsfall vornimmt.73
4.2 Mögliche Rechtfertigungsgründe Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass die vorliegende Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann.74 Zur Begründung wird angeführt, dass der EuGH in der Rs. Gilly75 entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten die Kriterien für die Besteuerung des Einkommens festlegen, um – ggf. im Vertragswege – die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Hieraus wird gefolgert, dass wenn der EuGH die Aufteilung von Steuersubstrat zwischen Mitgliedstaaten auf Grundlage eines international anerkannten Grundsatzes – wie des Fremdvergleichspreises – nach dem EG-Vertrag für zulässig hält, auch § 1 Abs. 1 AStG, der diesen Grundsatz in nationales Recht umsetze, mit dem Gebot der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar sei. Meines Erachtens kann dieser Auffassung nicht zugestimmt werden. Entscheidend hierfür ist, dass eine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Sachverhalten vorgenommen wird. Vielmehr kommt es nicht darauf an, ob ein internationaler Grundsatz umgesetzt wird, sondern ob eine Ungleichbehandlung zwischen ausschließlich inländischen und grenzüberschreitenden Fällen erfolgt. Dies ist vorliegend der Fall, so
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I B 141/00, BFHE 195, 398. Vom 14.08.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. zu dieser Möglichkeit unter 5. Diese Argumentation wurde u. a. in dem Verfahren 17 K 864/05 E vor dem FG Düsseldorf vorgetragen. Sie geht zurück auf eine „interne“ Argumentationshilfe, die bei entsprechenden Vorbringungen der Steuerpflichtigen verwendet werden soll. EuGH v. 12.05.1998, Rs. Gilly, C-336/96, Slg. 1998, I-2793.
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dass auch aus der Rs. Gilly nicht entnommen werden kann, dass insoweit eine Rechtfertigung möglich ist. Ferner darf nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kein milderes Mittel bestehen, um das Ziel zu erreichen.76 Dies ist – wie auch das FG Düsseldorf zu § 1 AStG a. F. ausführt77 – jedoch zumindest zweifelhaft. Denkbar wäre, in den Fällen der Funktionsverlagerung bis zu dem Zeitpunkt zu stunden, zu dem die Gewinne nach der Verlagerung tatsächlich eintreten. Damit würde aus Sicht der Steuerpflichtigen eine deutliche Schonung der Liquidität erreicht, Unsicherheit ginge nicht einseitig zu ihren Lasten und die fingierte umfassende Kenntnis würde nicht benötigt. Zugleich wäre das fiskalische Interesse der Bundesrepublik Deutschland gewahrt. Gegen eine solche Lösung kann nicht vorgebracht werden, dass sie nicht praktikabel ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber für den Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern (oder der Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts von hieraus resultierenden Erträgen) genau diesen Weg in § 4g EStG angeordnet78 und dies mit europarechtlichen Erwägungen begründet.79 In seiner ständigen Rechtsprechung lässt der EuGH fiskalische Interessen nicht ausreichen, um eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung vorzunehmen.80 Ferner begegnet er in ständiger Rechtsprechung dem Argument der mangelnden Ermittlungsmöglichkeiten einer Finanzverwaltung im EU-Ausland81 mit dem Hinweis auf die Amtshilferichtlinie82. Daher ist m. E. davon auszugehen, dass sich die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen lässt bzw. der hierfür gebotenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht beachtet wird.
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Vgl. zusammenfassend Rdnr. 37 im EuGH-Urteil v. 30.11.1995, C-55/94, Rs. Gebhard, Slg. 1995, I-4165. Vgl. FG Düsseldorf v. 19.02.2008, 17 K 894/05 E, IStR 2008, 449. Vgl. zu einer Würdigung Kessler/Winterhalter/Huck, DStR 2007, 133; Benecke/Schnitger, IStR 2007, 22; Hofmann, DB 2007, 652; Kramer, DB 2007, 2338; Kahle, IStR 2007, 762; Förster, DB 2007, 72; Dötsch/Pung, DB 2006, 2648. Vgl. BT-Drucks. 16/3369 v. 09.11.2006, 5. Vgl. z. B. Urteil v. 16.04.1998, Rs. C-264/96, ICI, Slg. 1998, I-4695, und v. 21.09.1999, Rs. C307/97, Saint-Gobain, Slg. 1999, I-6161. Vgl. insbesondere Urteil v. 20.02.1979, Rs. C-120/78, Cassis de Dijon, Slg. 1979, I-649 und Urteil v. 15.05.1997, Rs. C-250/95, Futura Participations, Slg. 1997, I-2471. Richtlinie 77/799/EWG des Rates über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, ABl. L 336 v. 27.12.1977.
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Dieser Befund ändert sich auch nicht vor dem Hintergrund der Neuerungen durch das Unternehmensteuerreformgesetz 200883. Die darin enthaltenen, in etlichen Bereichen über den Fremdvergleichsgrundsatz hinaus gehenden Regelungen lassen sich nicht dadurch rechtfertigen, dass sie nunmehr nicht nur auf der Finanzverwaltungsauffassung beruhen, sondern gesetzlich normiert wurden. Hierbei ist die Vorrangigkeit der Grundfreiheiten des EG-Vertrags gegenüber innerstaatlichen Vorschriften zu beachten.84
4.3 Zwischenfazit Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass durch § 1 AStG eine systematische – gewissermaßen wesensimmanente – Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte gegenüber reinen inländischen Fällen vorgenommen wird. Diese liegt darin, dass über die Korrekturvorschriften bei vergleichbaren inländischen Fällen weitere Regelungen zur Anwendung kommen sollen, die eine Schlechterstellung gegenüber dem Inlandsfall herbeiführen. Diese Ungleichbehandlung ist – vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH – nicht zu rechtfertigen. Eine Lösung des Problems könnte nur erfolgen, wenn die Anwendung dieser Regelung in den EU-Fällen suspendiert wird. Da das Gesetz hierfür keine Regelung vorsieht85, könnte dies nur im Wege einer Billigkeitsmaßnahme geschehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich hierbei allenfalls für eine Übergangsphase um eine Lösung handeln könnte. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass „die Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften … nur durch zwingende innerstaatliche Bestimmungen behoben werden (kann, d. Verf.), die dieselbe rechtliche Wirkung besitzen, wie die zu ändernden Bestimmungen“86. Allerdings hat die Finanzverwaltung wesentlich dafür gesorgt, dass § 1 AStG in der jetzigen Fassung in das Gesetz aufgenommen wurde. Daher scheint es als wenig wahrscheinlich, dass auf diese Regelung in den EU-Fällen verzichtet wird. Gleichwohl ist hiermit die Gefahr verbunden, dass der EuGH später eine Nichtigkeit der Norm bescheinigt, mit der Konsequenz, dass dann auch in den Fällen keine Rechtsgrundlage 83 84 85
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Vom 14.08.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. Art. 59 Abs. 2 GG. Etwa vergleichbar zu § 6 Abs. 5 AStG für die Wegzugsbesteuerung oder § 8 Abs. 2 AStG für die Hinzurechnungsbesteuerung. EuGH v. 26.10.1995, Rs. C-151/94, Kommission/Luxemburg, Slg. 1995, I-3685, Rz. 17 f.
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für eine Korrektur besteht, in denen eine deutsche Besteuerung von zu Lasten des deutschen Gewinns gebildeten stillen Reserven zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr gewährleistet ist. Insoweit führt die Vorgehensweise des Gesetzgebers nicht nur zu Rechtsunsicherheit, sondern auch zu einer Gefährdung der – legitimen – fiskalischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesem Befund ergeben sich zwei mögliche Handlungsoptionen für den Gesetzgeber: Er könnte entweder eine Begrenzung auf die Nicht-EU- und Nicht-EWR-Fälle vornehmen oder die Ungleichbehandlung dadurch beseitigen, dass auch vergleichbare inländische Fälle den gleichen Besteuerungsprinzipien unterworfen werden. Die erste Möglichkeit erscheint derzeit nicht als politisch gewünscht, weil der Gesetzgeber im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetz 2008 auf solche Regelungen verzichtet hat. Daher wird im Weiteren lediglich die zweite Möglichkeit näher betrachtet.
5 Ausdehnung auf den Inlandsfall als Lösungsmöglichkeit? Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit den Versuch unternommen, die Europarechtswidrigkeit einer Norm dadurch zu beseitigen, dass er ihren Anwendungsbereich, der sich zunächst nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte bezog, auch auf inländische Fälle ausgedehnt hat. Als Beispiel sei auf die Neufassung des § 8a KStG durch das „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum StVergAbG“87 als Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Lankhorst-Hohorst88 zu § 8a KStG i. d. F. des Standortsicherungsgesetzes89 verwiesen. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwieweit damit eine Lösung des Problems erreicht werden kann. Es müsste davon ausgegangen werden, dass § 1 AStG auch bei rein inländischen Sachverhalten zur Anwendung käme. Dies hätte u. a. zur Konsequenz, dass die Fiktion der umfassenden Kenntnis aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG auch im Inlandsfall gelten würde. Damit müsste z. B. der Geschäftsführer einer inländischen Tochtergesellschaft alle Vorteile, die ihre inländische Muttergesellschaft aus einem konzerninternen Geschäft erlangen wird, kennen und benennen können. Dies wird regelmäßig nicht möglich sein, weil die Muttergesellschaft aus betriebswirtschaftlichen Gründen in der Regel 87 88 89
Vom 22.12.2003, BGBl. I 2004, 2840 = BStBl. I 2004, 14. EuGH-Urteil v. 12.12.2002, C-324/00, Rs. Lankhorst-Hohorst, Slg. 2002, I-11779. Vom 13.09.1993, BGBl. I 1993, 1593.
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diese Daten vertraulich behandelt. Denkbar wäre etwa, dass mit höheren Entgelten für diese konzerninterne Lieferung der Bonus des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft stiege, was anderen Zielen zuwider laufen könnte. Außerdem besteht ein originäres Interesse der Muttergesellschaft den Kreis derjenigen zu begrenzen, die über detaillierte Informationen verfügen. Die gesetzliche Fiktion würde auch implizieren, dass detailliertes Wissen über technische Verfahren und Abläufe besteht. Andernfalls wäre etwa der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft in die Lage versetzt, mit den Kenntnissen, die er auf Grund der steuerlichen Vorgabe erlangt hat, seinem bisherigen Arbeitgeber bzw. deren Muttergesellschaft Konkurrenz zu machen. Ferner müsste auch bei Inlandsfällen der Fremdvergleichsgrundsatz angewendet werden. Dies hätte zur Konsequenz, dass zukünftig bei allen Einlagen – egal ob für materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter und ob dauerhaft oder temporär überlassen (etwa im Form einer Nutzungsüberlassung) – geprüft werden müsste, ob die Einlage zu einem zu niedrigen Entgelt oder gar unentgeltlich vorgenommen wird. Gegebenenfalls müsste nach § 1 AStG korrigiert werden. Hiermit verbunden ist die Frage, ob im Inlandsfall eine korrespondierende Behandlung beim Gesellschafter erfolgt. Andernfalls könnte bei einer Gesellschaft eine Einkommenserhöhung durchgeführt werden, der keine Korrektur beim Gesellschafter gegenüber steht. Dies ist im grenzüberschreitenden Fall bisher unproblematisch, weil sich diese Konsequenzen nach ausländischem Recht richten. Beim Inlandsfall können jedoch mehrfache Steuerbelastungen entstehen, die mit der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kollidieren. Dies wäre jedoch mit den grundlegenden Wertungsentscheidungen der deutschen Besteuerung nicht vereinbar: Die Bundesrepublik Deutschland schließt bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Doppelbesteuerungsabkommen ab90, die diese negativen Auswirkungen verhindern sollen. Es wäre wenig überzeugend, vergleichbare negative Auswirkungen für den Inlandsfall eintreten zu lassen. Als Folgefrage müsste geprüft werden, ob die so eintretende Inländerdiskriminierung mit höherrangigem Recht (insbesondere den Gleichheitsanforderungen) vereinbar ist. Dieser Widerspruch wird auch deutlich, wenn eine Nutzungsüberlassung eines immateriellen Wirtschaftsgutes im Inlandskonzern vorgenommen und später dieses Gut unentgeltlich eingelegt wird. Ergeben sich beim Gesellschafter keine Konsequenzen in Höhe des Fremdvergleichspreises, käme es zu der Möglichkeit, dass damit die Über90
Vgl. zum derzeitigen Stand der DBA das BMF-Schreiben v. 25.01.2008, IV B 5 – S 1301/07/0013, 2008/0043909, BStBl. I 2008, 310.
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tragung von Einzelwirtschaftsgütern möglich wird, ohne dass dies beim Übertragenden zu einer Besteuerung der vorhandenen stillen Reserven führt. Es entstünde eine Art „Ersatzumwandlungsrecht“, ohne dass auf das UmwStG und die darin normierten Voraussetzungen abzustellen ist.91 Soll dies vermieden werden und werden deshalb auch steuerliche Konsequenzen beim Gesellschafter gezogen, könnte dies dazu führen, dass der Gesellschafter ein fiktives Entgelt von seiner Gesellschaft besteuern muss, das ihm niemals zufließt. Gibt etwa ein Gesellschafter seiner Kapitalgesellschaft ein unverzinsliches Darlehen, müsste er zukünftig fiktive Zinsen versteuern und zwar – zumindest nach Verwaltungsauffassung – auch dann, wenn das Darlehen kapitalersetzenden Charakter hat. Kommt es später zur Insolvenz und haftet der Gesellschafter mit seinem Darlehen, ohne jemals Zinsen bekommen zu haben, wird Einkommen versteuert, das weder zugeflossen ist noch zufließen wird. Ferner stellt sich vor dem Hintergrund der Anforderungen an die Gleichmäßigkeit der Besteuerung die Frage, ob dann von der Kapitalgesellschaft fiktiver Zinsaufwand geltend gemacht werden kann. Damit würden Sollerträge und Sollaufwendungen der Besteuerung unterliegen, was nicht nur wirtschaftlich fragwürdig ist, sondern auch zu einer erheblichen Komplizierung und einer weiter abnehmenden Akzeptanz für die steuerlichen Regelungen führen würde. Weitere praktische Bedenken ergeben sich aus der Vielzahl der zu betrachtenden Fälle, in denen eine laufende Anpassung zu prüfen wäre. Dies gilt auch, wenn z. B. Standortentscheidungen getroffen werden, wobei zu analysieren wäre, ob die Voraussetzungen für eine Anpassung der Entschädigungszahlungen vorliegen. Ferner würde es bei inländischen Funktionsverlagerungen zu entsprechenden Ausgleichszahlungen kommen, die bei der aufnehmenden Gesellschaft zu Abschreibungen auf die Wirtschaftsgüter bzw. den Firmenwert führen müssten. Hiermit wären aus Sicht der Unternehmen erhebliche Liquiditätsnachteile verbunden, zumal eine sofortige – ungemilderte – Besteuerung durchgeführt wird, während die Abschreibungen sich regelmäßig über viele Jahre auswirken würden. Dies würde dazu führen, das betriebswirtschaftliche sinnvolle Anpassungsmaßnahmen unterblieben. Um einen solchen Effekt zu vermeiden hat, der Gesetzgeber – wenn auch auf anderem Gebiet – das Umwandlungssteuergesetz geschaffen.92 Erneut werden damit grundlegende Wertungswidersprüche deutlich.
91
92
Dies gilt insbesondere für die bisher verlangten Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen eines Teilbetriebs, mit denen gerade die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter ohne Aufdeckung der stillen Reserven verhindert werden sollte. Vgl. z. B. Djanani/Brähler, Umwandlungssteuerrecht, 2. Aufl., Wiesbaden 2005, 400 ff. Vgl. BT-Drucksache 12/6885 v. 24.02.1994, 14.
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Als ebenso gravierend dürfte sich die Überlegung erweisen, dass wenn eine Funktionsverlagerung entsprechende Zahlungen auslöst, für viele Unternehmen eine Verlagerung in das Ausland gegenüber einer inländischen vorgezogen wird. Dies hat den Vorteil, dass – anders als im Inlandsfall – bei einer evtl. späteren erneuten Verlagerung voraussichtlich keine erneuten Entschädigungszahlungen zu leisten sind. Damit würden Anreize geschaffen, die volkswirtschaftlich zweifelhaft sind. Sollten diese Grundsätze auch im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gelten, würde sich dieses Problem dramatisch verschärfen, wobei zusätzliche Probleme im Rahmen der Abgrenzung der einzelnen Betriebsstätten und deren Vermögen voneinander entstünden. Diese Ausdehnung würde nur dann den Vorgaben des europäischen Rechts genügen, wenn auch die Dokumentationsanforderungen gem. § 90 Abs. 3 AO auf das Inland ausgedehnt werden.93 Dies würde für die Betroffenen zu einer erheblichen Zunahme der Erhebungskosten führen und auch für die Finanzverwaltung erhebliche Kontrollprobleme bewirken. Hierbei würden die Schwierigkeiten bereits bei der Abgrenzung der einzelnen Betriebsstätten innerhalb eines Unternehmensstandortes beginnen94, weil auf Grund der weit gefassten Definition in § 12 AO davon auszugehen ist, dass ein Standort jeweils mehrere Betriebsstätten umfasst oder zumindest umfassen kann. Denkbar ist auch, dass sich ein Standort auf mehrere Gemeinden erstreckt, so dass insoweit nicht unter Hinweis auf die nicht eintretenden Besteuerungsunterschiede auf die Aufteilung verzichtet werden kann. Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, sind die Auswirkungen mit so gravierenden Nachteilen verbunden, dass der Vorschlag nicht nur sehr schwer umsetzbar, sondern auch mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre. Zugleich wäre damit die Notwendigkeit verbunden, auch natürliche Personen in diese Verpflichtungen einzubeziehen, was schon angesichts der Probleme bei der Datenbeschaffung problematisch ist.
6 Zusammenfassung Der Gesetzgeber hat im Bereich der internationalen Einkunftsabgrenzung eine Vielzahl von Änderungen vorgenommen, ohne dass dabei ein überzeugendes und in den Regelungszusammenhang eingefügtes Gesamtkonzept erkennbar wird. Es zeigt sich, 93 94
Vgl. Joecks/Kaminski, IStR 2004, 65 ff. Vgl. Kaminski, in: Wassermeyer/Strunk/Kaminski (Hrsg.), Unternehmensteuerrecht und Internationales Steuerrecht, GS Krüger, Bonn 2006, 127 ff.
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dass sowohl die Anforderungen des Abkommens- als auch des Gemeinschaftsrechts nicht ausreichend beachtet worden sind. Hiermit verbunden ist das Risiko, dass Gerichte die geschaffenen Regelungen sehr stark einschränkend auslegen bzw. sogar für nichtig erklären. Zugleich ist deutlich geworden, dass auch die grundsätzlich denkbare Ausdehnung auf rein inländische Sachverhalte keine praktikable Lösung bietet. Vor diesem Hintergrund muss der Gesetzgeber sich darauf einstellen, schon bald eine erneute Anpassung der Regelungen vornehmen zu müssen, um so den Vorgaben der Gerichte Rechnung zu tragen, sofern nicht eine vollständige Nichtanwendbarkeit riskiert werden soll. Zugleich zeigt sich eine besorgniserregende Kultur der Gesetzgebung, bei der offenbar immer weniger systematisch stimmige Lösungen angestrebt werden, als vielmehr kurzfristig geltende Vorschriften erlassen werden. Dies führt nicht nur zu erheblichen Anpassungskosten auf Ebene der Steuerpflichtigen, sondern erschüttert auch das Vertrauen in die Gesetzgebungsorgane, so dass damit die Grundvoraussetzung für die notwendige Akzeptanz untergraben wird.
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Bundesverfassungsgericht Datum 07.05.1968 27.06.1991 22.06.1995 07.11.2006
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Steuerwettbewerb und Zinsabzug: Eine Bestandsaufnahme
Wolfgang Kessler und Daniel Knörzer
1
Einleitung .......................................................................................................... 162
2
Steuerwettbewerb............................................................................................. 162
3
Die Kapitalstruktur als bedeutsamer Aktionsparameter im Steuerwettbewerb............................................................................................. 168
4
Gesetzgeberische Ansätze zur Aufteilung von Finanzierungsaufwand ...... 169
5
Gesamtschau..................................................................................................... 174
6
Fazit ................................................................................................................... 176
162
Wolfgang Kessler, Daniel Knörzer
1 Einleitung „Die moderne Steuerpolitik befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen der Sicherung des Steueraufkommens, einer gerechten Steuerlastverteilung und dem Einsatz der Besteuerung als Instrument zur wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Lenkung.“1 Diese treffende Analyse aus der Feder von Frau Prof. Dr. Dr. Djanani möchte vorliegender Beitrag zum Anlass nehmen, den Wettbewerb im Bereich der Unternehmensbesteuerung und die gesetzgeberischen Reaktionen hierauf näher zu beleuchten. Mit Bezug auf das Werk von Joseph Schumpeter, seines Zeichens Landsmann der Jubilarin, kann zunächst nachgewiesen werden, dass beschriebenes Spannungsfeld nicht nur auf Ebene der Nationalstaaten existiert. Vielmehr stehen auch die deutschen Kommunen untereinander im Wettbewerb um Realinvestitionen und bloßes Steuersubstrat. Am Beispiel der Kapitalstruktur multijurisdiktioneller Unternehmen werden anschließend die höchst unterschiedlichen Maßnahmen der Bundesrepublik gegen Steuersubstratwettbewerb analysiert und systematisiert.
2 Steuerwettbewerb 2.1 Begriffsbestimmung des Steuerwettbewerbs Obgleich Gegenstand vielfältiger Untersuchungen besteht im Schrifttum kein Konsens über den Begriff des Steuerwettbewerbs.2 Gemein ist allen Definitionen lediglich, dass im Unterschied zum Fiskalwettbewerb die Ausgabenseite der staatlichen Budgets ausgeblendet wird.3 Zudem herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Steuerpflichtigen versuchen, durch Wahl einer geeigneten Gebietskörperschaft ihren relativen Steuerbarwert zu minimieren.4
1
2
3
4
Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Konzepte der Mindestbesteuerung, IWB 2003, Fach 10 Gruppe 2, S. 1604. Vgl. Gerken, L./Märkt, J./Schick, G., Internationaler Steuerwettbewerb, Tübingen 2000, S. 3; Wilson, J./Wildasin, D., Capital tax competition: bane or boon?, Journal of Public Economics 2004, Vol. 88, S. 1066. Vgl. u.a. Fuest, C., Internationale Koordination der Fiskalpolitik: Wohlfahrtsökonomische versus Politökonomische Sicht, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften 1997, Vol. 48, S. 174; Märkt, J., Steuern als Preise, Freiburg 2003, S. 159. Vgl. hierzu u.a. Wacker, W., Steuerplanung im nationalen und transnationalen Unternehmen, Berlin 1979, S. 34f.; Kessler, W., Die Euro-Holding: Steuerplanung, Standortwahl, Länderprofile, München 1996, S. 74ff.; zum Konflikt zwischen dem Konzept des relativen Steuerbarwerts und der Konzernsteuerquote Herzig, N./Dempfle, U., Konzernsteuerquote, betriebliche Steuerpolitik und Steuerwettbewerb, DB 2002, S. 4ff.
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Aber schon in Bezug auf die steuererhebenden Akteure, deren Ziele sowie den Umfang des Wettbewerbs werden höchst unterschiedliche Ansichten vertreten. Während in der wohlfahrtsökonomischen5 und steuerrechtlichen6 Literatur zumindest teilweise von einer Konkurrenz der Gebietskörperschaften ausgegangen wird, orientieren sich die Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie ausschließlich an Schumpeters7 methodologischem Individualismus. Die sich daraus ergebende Prämisse eines Wettbewerbs zwischen Politikern anstatt ganzer Staaten oder Gemeinden hat erhebliche Implikationen für die Ziele der Akteure und damit zugleich für den Umfang des Wettbewerbs selbst. Unter den Annahmen der Neuen Politischen Ökonomie werden Mandatsträger mit ihrer Steuerpolitik nicht notwendigerweise um Steuern konkurrieren, wie es ein Teil der wohlfahrtsökonomischen8 und steuerrechtlichen9 Literatur unterstellt. Auch findet im Schumpeterschen Konzept des politischen Unternehmers die Vorstellung keinen Platz, dass die Staaten durch eine geeignete Steuerpolitik versuchen, die Wohlfahrt der Bürger zu steigern.10 Vielmehr sieht die Neue Politische Ökonomie eine solche Konkurrenzsituation auch gegeben, wenn dieser Wettbewerb weder die Finanzsituation einer Gebietskörperschaft noch die Wohlfahrt der dort ansässigen Bürger zu verbessern vermag, aber doch die Wahlchancen der beteiligten Politiker dadurch gesteigert werden.
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Bereits ganz am Anfang der Theorie des interjurisdiktionellen Wettbewerbs stand die Annahme, dass Gemeinden in die Konkurrenz um neue Einwohner eintreten, um die Durchschnittskosten der Bereitstellung öffentlichen Güter zu senken, vgl. Tiebout, C., A Pure Theory of Local Expenditures, Journal of Political Economy 1956, No. 4, S. 419f.; vgl. jüngst zum Gewerbesteuerwettbewerb Buettner, T., The incentive effect of fiscal equalization transfers on tax policy, Journal of Public Economics 2006, Vol. 90, S. 480. Vgl. u.a. Selling, H.-J., Deutschland im Steuerwettbewerb der Staaten - Einige steuerpolitische Überlegungen, IStR 2000, S. 225. Vgl. Schumpeter, J., Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, Leipzig 1908, S. 88ff.; vgl. zu Schumpeters Urheberschaft für den Begriff des „methodologischen Individualismus“ Vanberg, V., Die zwei Soziologien: Individualismus und Kollektivismus in der Sozialtheorie, Tübingen 1975, S. 86, FN 4. Vgl. zur Übersicht Gerken, L./Märkt, J./Schick, G., Internationaler Steuerwettbewerb, Tübingen 2000, S. 5. Selling, H.-J., Deutschland im Steuerwettbewerb der Staaten - Einige steuerpolitische Überlegungen, IStR 2000, S. 225 spricht pointiert von „gezielte[n] Fiskalangriffen auf das inländische Steueraufkommen“. Vgl. zur Schutzfunktion des Steuerwettbewerbs gegen „Machtmißbrauch und Fehlentscheidungen“ Vanberg, V., Auch Staaten tut der Wettbewerb gut: Eine Replik auf Paul Kirchhof, ORDO 2005, Vol. 56, S. 48ff.
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Dem derart erweiterten Umfang des Steuerwettbewerbs kommt bei der Besteuerung deutscher Unternehmen eine besondere Bedeutung zu. Obwohl der kommunale Finanzausgleich11 den positiven Bemessungsgrundlageneffekt einer Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes mehr als egalisiert12, besteht für deutsche Kommunalpolitiker unter den Prämissen der Neuen Politischen Ökonomie dennoch ein Anreiz, selbst in den Steuerwettbewerb einzutreten. Dies gilt zumindest für den plausiblen Fall, dass eine Ansiedlung von Gewerbesteuerpflichtigen im Wahlkampf bessere Chancen verspricht als eine langfristig angelegte Politik des Haushaltsausgleichs.13 Weitere Voraussetzung ist allenfalls, dass der Steuerpflichtige durch eine Gewerbesteuerersparnis auch tatsächlich seine Gesamtsteuerbelastung verringern kann. Nach der Unternehmensteuerreform 2008 gilt dies mehr denn je für Kapitalgesellschaften14 und in Anbetracht zunehmender Anrechnungsüberhänge bei § 35 EStG auch für viele Mitunternehmer von Personengesellschaften15. Im Gegensatz zur Wohlfahrtsökonomik16 ermöglicht es damit die realitätsnahe Perspektive der Neuen Politischen Ökonomie, den anekdotisch17 verbürgten Gewerbesteuerwettbewerb zu begründen.
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Vgl. zu Einzelheiten Zimmermann, H., Kommunalfinanzen: Eine Einführung in die finanzwissenschaftliche Analyse der kommunalen Finanzwirtschaft, Baden-Baden 1999, S. 243ff. Vgl. Zimmermann, H., Kommunalfinanzen: Eine Einführung in die finanzwissenschaftliche Analyse der kommunalen Finanzwirtschaft, Baden-Baden 1999, S. 250; Buettner, T., The incentive effect of fiscal equalization transfers on tax policy, Journal of Public Economics 2006, Vol. 90, S. 488ff., schätzt auf Grundlage einer Regressionsanalyse über 185 kreisfreie baden-württembergische Gemeinden, dass die mittlere Gewerbesteuerbelastung in den Jahren 1980 bis 2000 ohne den kommunalen Finanzausgleich nicht 16,29%, sondern zwischen 1,5% und 1,8% weniger betragen hätte. Diese Untersuchung erfährt eine implizite Bestätigung durch den Befund, dass die durchschnittliche Gemeinde eines ähnlichen Panels ihr Steueraufkommen nur durch Absenken des jeweiligen Hebesatzes erhöhen könnte. Sie befindet sich also auf dem Scheitelpunkt oder bereits im fallenden Teil der sog. Laffer-Kurve und nur auf Grund des Finanzausgleichs „ist nicht etwa das Senken sondern das Anziehen der Steuerschraube für eine durchschnittliche Gemeinde […] geeignet, die Einnahmesituation zu verbessern“, Buettner, T., Zur Aufkommens- und Budgetwirkung der gemeindlichen Steuerpolitik: Empirische Ergebnisse für baden-württembergische Gemeinden, Jahrbuch für Regionalwissenschaft 2005, S. 41; vgl. zum Verstoß einer Übernivellierung gegen die nordrheinwestfälische Landesverfassung NRWVerfGH, Urteil v. 19.07,1985, NJW 1985, S. 2323. Biglaiser, G./Mezzetti, C., Politicians‘ decision making with re-election concerns, Journal of Public Economics 1997, Vol. 66, S. 428ff., weisen rigoros nach, dass erfolgreiche Gewerbeansiedlungen von Wählern als Signale ökonomischer Kompetenz gedeutet werden und damit die Wiederwahlchancen des Amtsinhabers erhöhen. Unter Verweis auf die steuerlich induzierte Ansiedlung einer Mercedes-Benz Fabrik in Alabama im Jahre 1993 gehen Biglaiser/Mezzetti davon aus, dass die Förderung von Gewerbeansiedlungen regelmäßig über das wohlfahrtsoptimale Maß hinaus geht. Vgl. Herzig, N., Die Gewerbesteuer als dominierende Unternehmensteuer, DB 2007, S. 1541ff. Vgl. Schiffers, J., Die mittelständische GmbH&Co. KG im Rechtsformvergleich nach der Unternehmensteuerreform 2008, GmbHR 2007, S. 508. Vgl. Egger, P./Koethenbuerger, M./Smart, M., Do Fiscal Transfers Alleviate Business Tax Competition? Evidence from Germany, CESifo Working Paper 2007, S. 25, die das Fehlen eines Gewerbesteuerwettbewerbs auf den kommunalen Finanzausgleich zurückführen. Vgl. jüngst Deutsche Börse AG, Pressemitteilung, 11.1.2008.
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Zusammenfassend ist Steuerwettbewerb als nicht-kooperatives Spiel18 zu definieren, welches auf kommunaler wie nationaler Ebene stattfindet und in dessen Verlauf sowohl Politiker als auch Steuerpflichtige versuchen, ihren individuellen Nutzen durch eine geeignete Steuerpolitik bzw. Steuergestaltung zu maximieren. Eine derart allgemeine Begriffsbestimmung erscheint in zweifacher Hinsicht interessant: Erstens umfasst sie nicht nur die mögliche Verlagerung von Steuersubstrat (exit), sondern auch die Möglichkeit der Steuerpflichtigen zur politischen Einflussnahme (voice). Damit werden gleich zwei Wirkungskanäle beschrieben, mit Hilfe deren die Präferenzen der Steuerpflichtigen in Entscheidungen eigennutzmaximierender Politiker transformiert werden.19 Und zweitens beschränkt die hier vorgeschlagene Begriffsbestimmung den Steuerwettbewerb nicht auf Konkurrenzsituationen zwischen Politikern gleicher Entscheidungsebene, sondern erlaubt auch vertikale Interaktionen.20 Im Sinne einer exogenen Variablen fließt die Steuerbelastung durch nachgeordnete Gebietskörperschaften auch in das Entscheidungskalkül von Politikern wie Investoren auf Nationalstaatsebene ein.
2.2 Evidenz für Steuerwettbewerb Die Suche nach Evidenz für den allgemeinen Steuerwettbewerb muss sich an den einzelnen Prämissen vorstehender Begriffsbestimmung orientieren. Relativ eindeutig erscheint hier die Annahme, dass die einzelnen Steuerpflichtigen versuchen, ihren relativen Steuerbarwert zu minimieren. Unter Rückgriff auf die experimentelle Ökonomie kann ein solches homo oeconomicus-Verhalten zumindest als Grundmuster menschlichen Verhaltens betrachtet werden.21 Damit ist zugleich der implizite Nachweis er-
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Der spieltheoretische Aspekt der hier vorgeschlagenen Definition des Steuerwettbewerbs geht zurück auf Wilson, J./Wildasin, D., Capital tax competition: bane or boon?, Journal of Public Economics 2004, Vol. 88, S. 1066. Vgl. grundlegend Hirschman, A., Abwanderung und Widerspruch: Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, Tübingen 1974, S. 17ff.; vgl. auch Bellak, C./Leibrecht, M., Income Tax Competition and the Scope for National Tax Policy in the Enlargend Europe, National Tax Policy in Europe, hrsg. von Andersson, K. u.a., Berlin 2007, S. 12. Vgl. Wilson, J., Theories of Tax Competition, National Tax Journal 1999, Vol. 52, No. 2, S. 289f.; Bellak, C./Leibrecht, M., Income Tax Competition and the Scope for National Tax Policy in the Enlargend Europe, National Tax Policy in Europe, hrsg. von Andersson, K. u.a., Berlin 2007, S. 11. Vgl. grundlegend zum Erreichen des jeweils eigennutzmaximierenden Marktergebnisses durch Auktionen, welche gleichzeitig von Käufer- und Verkäuferseite aus stattfinden, und damit implizit zur Bestätigung von homo oeconomicus-Verhalten und sog. Hayek-Hypothese Smith, V., An Ex-
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bracht, dass auch die beteiligten Politiker nicht als wohlwollende Diktatoren, sondern im Sinne des politischen Unternehmers handeln. Während sich also die Annahme eigennutzmaximierender Steuerzahler und Politiker bestätigt, erscheint weniger eindeutig, ob die Letztgenannten mit ihrem Steuererhebungsrecht auch tatsächlich in ein nicht-kooperatives Spiel eintreten. Alle Versuche, diese Frage zu beantworten, setzen an den möglichen Ergebnissen einer solchen Konkurrenzsituation an. Dabei ist zwischen Wettbewerb um Realinvestitionen und Wettbewerb um die Zuordnung von Steuersubstrat zu unterscheiden.22 Ersterer wird über die durchschnittlichen effektiven Steuersätze ausgetragen, während für Letzteren die nominalen Grenzsteuersätze relevant sind.23 Weiterhin ist danach zu differenzieren, auf welcher Ebene der Wettbewerb stattfindet. Für Deutschland kommt hier insbesondere die Bundes- und Gemeindeebene in Frage, da die dort verantwortlichen Politiker ein jeweils eigenes Recht besitzen, Ertragsteuern zu erheben. Ein Blick in die Empirie vermag für die Bundesebene nur die Existenz des Wettbewerbs um Steuersubstrat zu bestätigen. So kann der deutliche Rückgang der nominalen Körperschaftsteuersätze als Indiz hierfür gewertet werden.24 Demgegenüber liefert weder eine Regression der durchschnittlichen effektiven Steuersätze über die Güterhandelsverflechtung der Volkswirtschaften signifikante Ergebnisse25, noch ist der Anteil des Körperschaftsteueraufkommens am BIP der OECD-Mitgliedstaaten in den vergangenen 40 Jahren deutlich gesunken26. Auch sind die durchschnittlichen effektiven Körperschaftsteuersätze über die vergangenen zwei Dekaden hinweg nahezu konstant geblieben.27 Damit fehlt es an einem Beleg für den Steuerwettbewerb um Realinvestitionen zwischen Politikern verschiedener Nationalstaaten, während die Konkurrenz um Steuersubstrat empirisch nachweisbar ist.
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perimental Study of Competitive Market Behavior, Journal of Political Economy 1962, Vol. 70, No. 2, S. 134. Vgl. u.a. Esser, C., Internationaler Steuerwettbewerb: Vorteile und Gefahren, Bonn 2004, S. 10f. Vgl. Plümper, T./Schulze, G., Steuerwettbewerb und Steuerreformen, Politische Vierteljahresschrift 1999, S. 450. Vgl. U.S.Department of Treasury, Approaches to Improve the Competitiveness of the U.S. Business Tax System for the 21st Century, Washington 2007, S. 6ff. Vgl. Plümper, T./Schulze, G., Steuerwettbewerb und Steuerreformen, Politische Vierteljahresschrift 1999, S. 450. Vgl. Esser, C., Internationaler Steuerwettbewerb: Vorteile und Gefahren, Bonn 2004, S. 32f. Vgl. jüngst U.S.Department of Treasury, Approaches to Improve the Competitiveness of the U.S. Business Tax System for the 21st Century, Washington 2007, S. 9; Esser, C., Internationaler Steuerwettbewerb: Vorteile und Gefahren, Bonn 2004, S. 32.
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Für das nicht-kooperative Spiel zwischen Kommunalpolitikern erscheint besonders bedeutsam, dass sich deren eigenständiges Steuererhebungsrecht nach Art. 106 Abs. 6 GG auf den Hebesatz der Gewerbeertragsteuer beschränkt. Im Unterschied zum Bund ist es demnach auf lokaler Ebene nicht möglich, zwischen dem erhobenen effektiven Durchschnittssteuersatz und der Nominalbelastung zu differenzieren. Vielmehr wirkt sich eine Veränderung des Hebesatzes auf Realinvestitionen und die Allokation von Steuersubstrat aus. Dies mag zwar nicht für den Umfang gelten, in dem das Entscheidungskalkül des jeweiligen Investors beeinflusst wird, wohl aber für die Richtung des Einflusses. Mit ihrer wählerstimmeninduzierten Konkurrenz um Realinvestition schaffen die Kommunalpolitiker somit nolens volens die Grundlage für einen Wettbewerb um Anteile am steuerbaren Einkommen eines multijurisdiktionellen Konzerns. In der finanzwissenschaftlichen Literatur ist allerdings umstritten, ob Kommunalpolitiker auch tatsächlich in den Wettbewerb um Realinvestitionen und damit implizit auch in die Konkurrenz um die Zuordnung von Steuersubstrat eintreten. Dies wird von einigen Autoren28 verneint, da der durchschnittliche Hebesatz über die vergangene Dekade hinweg nahezu konstant geblieben ist29. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass der Hebesatz von Nachbargemeinden einen signifikanten Einfluss auf die Gewerbesteuerbelastung in der jeweils untersuchten Kommune hat.30 Dies entspricht anekdotischer Wahrnehmung31 und darf als Beleg für die Existenz des Gewerbesteuerwettbewerbs gewertet werden. Gleichzeitig bestätigt sich damit die Richtigkeit des hier vertretenen Ansatzes, den Steuerwettbewerb nicht als Konkurrenz der Gemeinden um Finanzmittel, sondern als Wettstreit eigennutzmaximierender Politiker zu definieren. Denn schließlich egalisiert der kommunale Finanzausgleich jede Auswirkung einer Hebesatzveränderung auf die Finanzsituation einer Gemeinde und daher ist ihr Eintritt in den Wettbewerb keinesfalls mit dem wohlfahrtsökonomischen Einnahmemaximierungskalkül, wohl aber mit Hilfe der Neuen Politischen Ökonomie zu erklären.
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Vgl. Zimmermann, H., Kommunalfinanzen: Eine Einführung in die finanzwissenschaftliche Analyse der kommunalen Finanzwirtschaft, Baden-Baden 1999, S. 250; Egger, P./Koethenbuerger, M./Smart, M., Do Fiscal Transfers Alleviate Business Tax Competition? Evidence from Germany, CESifo Working Paper 2007, S. 25. Vgl. Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern: Realsteuervergleich - Realsteuern, kommunale Einkommen- und Umsatzsteuerbeteiligungen, Wiesbaden 2007, o.S. (Abb. 12). Vgl. Buettner, T., Local business taxation and competition for capital: the choice of the tax rate, Regional Science and Urban Economics 2001, Vol. 31, S. 233ff. Vgl. Deutsche Börse AG, Pressemitteilung, 11.1.2008.
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3 Die Kapitalstruktur als bedeutsamer Aktionsparameter im Steuerwettbewerb Der vorangegangene Abschnitt hat nachgewiesen, dass Steuerwettbewerb sowohl innerhalb Deutschlands als auch zwischen der Bundesrepublik und anderen Nationen stattfindet. Unabhängig davon, ob Kommunen oder Staaten miteinander konkurrieren, kann zwischen der Konkurrenz um Realkapital und jener um die Zuordnung von Steuersubstrat unterschieden werden. Weil zumindest auf Ebene der Nationalstaaten ein empirischer Nachweis nur für letztgenannte Spielart des Steuerwettbewerbs gelang, soll der Schwerpunkt des Festschriftbeitrages auf dieser Konkurrenz um die Höhe des steuerbaren Anteils am Gesamterfolg eines Konzerns liegen. Damit gewinnt gleichzeitig die Kapitalstruktur als bedeutsamer Aktionsparameter eigennutzmaximierender Unternehmen an Aufmerksamkeit. So minimieren nationale wie multinationale Konzerne ihren relativen Steuerbarwert durch Verlagerung von Finanzierungsaufwand in Hochsteuergebietskörperschaften.32 Die Tür hierzu öffnet eine nur unzureichende Finanzierungsneutralität vieler Steuerrechtsordnungen, welche als Einladung interpretiert werden kann, interjurisdiktionelle Steuersatzarbitrage zu betreiben.33 Im Falle der Bundesrepublik Deutschland kommt eine im internationalen Vergleich weiterhin relativ hohe Nominalsteuerbelastung hinzu.34 Obgleich steuersystematisch35 wie europarechtlich zwingend36, verschärft außerdem die im Ergebnis 95%ige Freistellung von
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Vgl. für eine Quantifizierung aller Steuerersparnisse im Inboundfall Egger, P./Eggert, W./Winner, H., Saving Taxes Through Foreign Plant Ownership, CESifo Working Paper 2007, No. 1887, S. 11ff. (inländische Unternehmen ausländischer Gesellschafter zahlen im Durchschnitt 594 € weniger Steuern pro Mitarbeiter als im Fall ausschließlich deutscher Anteilseigner). Vgl. für einen empirischen Nachweis im Falle von Inboundinvestitionen nach Deutschland Overesch, M./Wamser, G., German Inbound Investment, Corporate Tax Planning, and Thin Capitalization Rules - A Difference-in-Difference Approach, ZEW Discussion Paper 2006, No. 06-075, S. 16 (wird der deutsche Steuersatz um 10% angehoben, erhöht sich der Anteil der Gesellschafterfremdfinanzierung am Gesamtkapital der deutschen Tochter um 1,9%); vgl. für einen Nachweis im Falle von Outboundinvestitionen aus Deutschland heraus Buettner, T./Overesch, M./Schreiber, U. u.a., The Impact of Thin-Capitalization Rules on Multinationals‘ Financing and Investment Decisions, ZEW Discussion Paper 2006, No. 06-068, S. 18ff. (wird der deutsche Steuersatz um 10% angehoben, reduziert sich der Anteil der Gesellschafterfremdfinanzierung am Gesamtkapital der ausländischen Tochter um 1,9% und jener der Fremdfinanzierung durch Dritte um 1,5%). Vgl. u.a. Köhler, S., Sind neue Steuerstrategien gefordert?, Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, hrsg. von Lüdicke, J., Köln 2008, S. 151f.; Zielke, R., Internationale Steuerplanung nach der Unternehmensteuerreform 2008, DB 2007, S. 2784. Vgl. Kessler, W., Die Euro-Holding: Steuerplanung, Standortwahl, Länderprofile, München 1996, S. 313f. Vgl. zu Beteiligungen über 10% (ab 2009) Art. 4(1) der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. L 225 v. 20.08.1996, S. 6 (alternativ wäre allenfalls eine indirekte Anrechnung der von der Tochtergesellschaft geschuldeten Steuer zulässig).
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Beteiligungserträgen nach § 8b KStG den Einfluss des deutschen Steuerrechts auf die Finanzstruktur von Kapitalgesellschaftskonzernen37.
4 Gesetzgeberische Ansätze zur Aufteilung von Finanzierungsaufwand Im vorstehenden Abschnitt wurde aufgezeigt, dass die Kapitalstruktur multijurisdiktioneller Konzerne einen bedeutsamen Aktionsparameter im nationalen wie internationalen Wettbewerb um Steuersubstrat darstellt. Die resultierende Aufteilung von Finanzierungsaufwand wird jedoch regelmäßig als „unfair“ empfunden.38 Das deutsche Steuerrecht39 versucht daher, mittels sehr unterschiedlicher Normen eine vermeintlich angemessene Verteilung von Eigen- und Fremdkapital zu erreichen. Hinzu kommen Regelungen, die zwar nicht primär auf den Wettbewerb um Steuersubstrat abstellen, aber implizit die Kapitalverteilung im multijurisdiktionellen Konzern beeinflussen. Weil der Gesetzgeber bei dieser ganz besonderen Klasse von Verteilungsnormen keinem einheitlichen Konzept folgt, sondern eher kasuistisch vorgeht, sind vier Fallgruppen zu unterscheiden.
4.1 Innerstaatlicher Betriebstättenkonzern Da die Vorschriften des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes bundeseinheitlich gelten, kann der Wettbewerb um die Kapitalstruktur eines innerstaatlichen Betriebstättenkonzerns nur über den Gewerbesteuerhebesatz ausgetragen werden. Dieser bestimmt sich allerdings nicht nur nach dem Hebesatz der Gemeinde des Stammhauses, sondern über die Zerlegungsgrundsätze der §§ 28, 29 GewStG. Der Steuermessbetrag ist demnach entsprechend dem Verhältnis der Arbeitslöhne zwischen den inländischen Betriebstätten und dem Stammhaus aufzuteilen. Dies schließt einen interkommunalen Wettbewerb um die Zuordnung von Steuersubstrat aus, weil die Allokation 37
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Vgl. u.a. Rödder, T./Stangl, I., Zur geplanten Zinsschranke, DB 2007, S. 479. Hieran ändert auch die Verschärfung der gewerbesteuerlichen Schachtelstrafe wenig, da im Gegensatz zu rein innerstaatlichen Fallkonstellationen die Beteiligungsertragsbefreiung in EU-Fällen weiterhin für Anteilsquoten ab 10% bestehen bleibt, was einen hinreichenden Einfluss auf die Finanzierungsstruktur unwahrscheinlich erscheinen lässt, vgl. Kessler, W./Knörzer, D., Die Verschärfung der gewerbesteuerlichen Schachtelstrafe - erneute Diskriminierung inländischer Holdinggesellschaften?, IStR 2008, S. 122. Vgl. u.a. BT-Drs. 16/4841, 31 („Asymmetrische Finanzierungsstrukturen zu Lasten Deutschlands […]“) sowie Töben, T., Die Zinsschranke - Befund und Kritik, FR 2007, S. 742. Keine Rolle sollen hier handelsrechtliche Vorschriften zur Mindestkapitalisierung spielen.
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des Zinsabzugs den durchschnittlichen Hebesatz im Konzern nicht beeinflusst. Im Sinne eines knock-out erübrigt sich damit die Analyse weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen gegen vermeintlich unangemessene Kapitalstrukturen.
4.2 Innerstaatlicher Personengesellschafts-/ Kapitalgesellschaftskonzern Soweit kein Betriebstättenkonzern vorliegt, sondern rechtlich selbstständige Einheiten findet die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages gem. §§ 28, 29 GewStG keine Anwendung. Dies gilt zumindest für den Fall, dass keine weiteren Betriebstätten im Inland unterhalten werden. Dem hieraus resultierenden Anreiz, die Gesellschaften in Kommunen mit vergleichsweise hohem Hebesatz überwiegend mit Fremdkapital zu finanzieren, wirkt der Gesetzgeber in dreifacher Weise entgegen. Erstens verpflichtet §§ 1, 16 Abs. 4 S. 2 GewStG die Gemeinden seit dem Erhebungszeitraum 2004 dazu, Gewerbesteuer zu erheben und dies mit einem Hebesatz von mindestens 200%.40 Obgleich die Regelung nicht nur Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde41 ist, sondern auch bei der Jubilarin auf deutliche Kritik stößt42, wurde damit zumindest vorläufig der Handlungsspielraum eigennutzmaximierender Politiker beschränkt. Zweitens findet auch die Zinsschranke Anwendung auf die Ermittlung des Gewerbeertrages. Nicht betroffen sind nach § 4h Abs. 2 EStG jedoch konzernzugehörige Betriebe mit einem Nettozinsaufwand von weniger als 1 Mio. € (Freigrenze) und solche, deren Eigenkapitalquote nicht mehr als 1% unter jener des Konzerns liegt (Escape-Klausel). Abgesehen hiervon bleibt nach § 4h Abs. 1 S. 1 EStG jedem Betrieb der Zinsabzug bis zu 30% des steuerlichen EBITDA erhalten. Entsprechend dieser komplexen Ausnahmetatbestände erweist sich die Zinsschranke als gestaltungsanfälliges Mittel gegen die innerstaatliche Konkurrenz um Steuersubstrat.43 So bleibt kleineren Personen- und Kapitalgesellschaftskonzernen, deren Aktivitäten sich typischerweise auf das Inland be40
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Vgl. zu vorhergehenden Maßnahmen gegen Gewerbesteuerwettbewerb Rödder, T./Schumacher, A., Das Steuervergünstigungsabbaugesetz, DStR 2003, S. 813ff. Das BVerfG hat zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Mindesthebesatzes den Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar abgelehnt, die Beschwerde jedoch als zulässig und nicht offensichtlich unbegründet angenommen (Beschluss v. 25.01.2005, 2 BvR 2185/04, DStRE 2005, S. 771). Vgl. Djanani, C./Herbener, R., Trends in der Besteuerung von Kapitalgesellschaften und deren Anteilseigner: Einzel- oder Doppelbesteuerung?, IStR 2003, S. 514. Vgl. für eine Analyse möglicher Gestaltungsansätze Eilers, S., Zinsschrankenerfahrungen - Subprime crisis; Reaktionsgestaltungen; Private Equity Strukturen, Ubg 2008, S. 198ff.
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schränken, durch die in diesem Fall relativ großzügig bemessene Freigrenze der Anreiz zur Hebesatzarbitrage erhalten.44 Gleichsam wird Zinsaufwand im Zusammenhang mit konzerninternen Anteilserwerben weniger streng sanktioniert als unter dem Regime des § 8a Abs. 6 KStG a.F.45 Drittens unterliegen nach §§ 4h EStG, 8a KStG abziehbare Schuldzinsen der 25%igen Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. a) GewStG. Damit ist sicher gestellt, dass zumindest ein Viertel, bei Einschlägigkeit der Zinsschranke sogar bis 100% der Entgelte für Fremdkapital nicht abzugsfähig ist. Im Ergebnis engt die zweifache Begrenzung des Zinsabzugs den Gestaltungsspielraum der eigennutzmaximierenden Unternehmer ein. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung zwar eine künstliche konzerninterne Kreditvergabe unattraktiv macht, aber bei gegebenem Fremdkapitalbedarf ob ihrer gleichmäßigen Wirkung auf alle Betriebstätten die steueroptimale Kapitalallokation nicht beeinflusst. Soweit die Zinsschranke eine steuerliche Anerkennung von Fremdkapitalvergütungen zulässt, vermag der Mindesthebesatz allenfalls die Intensität der kommunalen Steuerkonkurrenz zu mindern. Insgesamt scheint der Gesetzgeber aber den innerstaatlichen Gewerbesteuerwettbewerb nicht unterbinden zu können.
4.3 Grenzüberschreitender Betriebstättenkonzern Während im Falle des inländischen Betriebstättenkonzerns ein Wettbewerb um Steuersubstrat vom Gesetzgeber unterbunden werden kann, zeigt sich bei grenzüberschreitenden Strukturen ein gänzlich anderes Bild. Da der Gesetzgeber keine dem Mindesthebesatz vergleichbare Regelung auf ausländische Einheiten eines Betriebstättenkonzerns anwenden kann46, bedarf es komplexerer Regelungen, um die einkommen- wie gewerbesteuerlichen Verlockungen eines Zinsabzugs im Inland zu dämpfen. Als Mittel der Wahl dürfen Dotationskapitalgrundsätze und möglicherweise die Zinsschranke gelten.
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Vgl. zur unangemessenen Typisierung durch die Freigrenze Köhler, S., Erste Gedanken zur Zinsschranke nach der Unternehmensteuerreform, DStR 2007, S. 598. Vgl. u.a. zu § 8a Abs. 6 KStG a.F. Kessler, W., Konzerninterne Anteilsübertragung - Erste Analyse des geplanten BMF-Schreibens zu § 8a Abs. 6 KStG, DB 2005, S. 2766ff. Vgl. aber zum Vorschlag eines Mindeststeuersatzes im Rahmen der Angleichung europäischer Körperschaftsteuersysteme Spengel, C., Internationale Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union, Düsseldorf 2003, S. 355ff.
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Nach den Vorstellungen der Finanzverwaltung hat die Dotation der Betriebstätte mit Eigenkapital grundsätzlich dem Fremdvergleichsgrundsatz zu folgen.47 Dabei wird dem äußeren Fremdvergleich mit vergleichbaren unabhängigen Unternehmen der Vorzug gegeben. Lässt sich dieser nicht angemessen realisieren, gebietet der interne Fremdvergleich, das Eigenkapital des Gesamtunternehmens „im Schätzungswege entsprechend den ausgeübten Funktionen“48 zu verteilen. Nur wenn sowohl der äußere als auch der interne Fremdvergleich nicht umgesetzt werden kann, lassen sich aus der Eigenkapitalausstattung des Stammhauses Rückschlüsse auf die Dotation der Betriebstätte mit Eigenkapital ziehen (Kapitalspiegelmethode).49 Zumindest Gesetzeswortlaut und -begründung ist nicht zu entnehmen, ob neben den Dotationskapitalgrundsätzen auch die Zinsschranke Anwendung auf die Kapitalstruktur im grenzüberschreitenden Betriebstättenkonzern finden soll.50 Einerseits dürften Betriebstätten unzweifelhaft der inländischen Gewinnermittlung unterliegen und sich damit im sachlichen Anwendungsbereich der Regelung befinden.51 Dies gilt sowohl für inländische Betriebstätten ausländischer Stammhäuser als auch für ausländische Betriebstätten inländischer Stammhäuser.52 Zudem scheint zwischen dem gesetzlich nicht definierten Begriff des Betriebs und der Betriebstätte des § 12 AO schon allein eine gewisse sprachliche Nähe zu herrschen. Andererseits sieht die Gesetzesbegründung keinen Konzern, mithin als nur einen Betrieb, wenn eine inländische Gesellschaft über eine Betriebstätte im Ausland verfügt.53 Zudem müssen Zinsen im Sinne der Zinsschranke nach § 4h Abs. 3 S. 2 EStG den maßgeblichen Gewinn gemindert haben. Somit dürften Fremdkapitalvergütungen, die einer ausländischen Freistellungsbetrieb-
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Vgl. Tz. 2.5.1 des BMF-Schreibens v. 24.12.1999, IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl I 1999, S. 1085. Tz. 2.5.1 des BMF-Schreibens v. 24.12.1999, IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl I 1999, S. 1086. Vgl. zur Stellung der Kapitalspiegeltheorie Borstell, T./Brüninghaus, D., in: Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, Rz. M 68. Bejahend Mössner, J., International-steuerrechtliche Aspekte der Zinsschranke, Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, hrsg. von Lüdicke, J., Köln 2008, S. 17; ablehnend Bron, J., Betriebsbegriff und beschränkte Steuerpflicht im Rahmen der Zinsschrankenregelung der §§ 4h EStG und 8a KStG, IStR 2008, S. 15 und mit Ausnahme von ausländischen Anrechnungsbetriebstätten Grotherr, S., Funktionsweise und Zweifelsfragen der neuen Zinsschranke 2008, IWB 2007, Fach 3 Gruppe 3, S. 1496; vgl. kritisch zur Rechtsklarheit Kaminski, B., Entwurf eines BMF-Schreibens zur Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG), Stbg 2008, S. 196. Vgl. zum Inlandsbezug der Regelung BT-Drs. 16/4841, 50; vgl. kritisch Köhler, S., Erste Gedanken zur Zinsschranke nach der Unternehmensteuerreform, DStR 2007, S. 598f. Vgl. Hoffmann, W.D., in: Littmann/Bitz/Pust, Einkommensteuergesetz, § 4h, Rz. 77. Vgl. BT-Drs. 16/4841, 77. Zudem erläutert die Begründung zur Unternehmensteuerreform 2008, dass die inländische Betriebstätte eines ausländischen Stammhauses einen Betrieb im Sinne der Zinsschranke darstellt, falls diese zugleich als Organträger fungiert.
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stätte zuzuordnen sind, in keinem Fall dem neu geschaffenen Abzugsverbot unterliegen. Die gesetzgeberische Unklarheit setzt sich in der Verwaltungsauffassung fort. Hier fehlt es an einer Aussage zum Verhältnis von Zinsschranke zu Dotationskapitalgrundsätzen.54 Allenfalls in Tz. 9 des BMF-Schreibens vom 04.07.2008 ist der Hinweis zu finden, dass Betriebstätten keine eigenständigen Betriebe im Sinne der Zinsschranke sind. Über die Konzernklausel des § 4h Abs. 2 S. 1 Buchst. b EStG gelänge dem reinen Betriebstättenkonzern damit regelmäßig der Weg aus dem Anwendungsbereich der Zinsschranke. Ausnahmen könnten sich jedoch insbesondere ergeben, wenn das Stammhaus als Kapitalgesellschaft firmiert. Falls die Zinszahlungen an Gesellschafter, nahestehende Personen und rückgriffsberechtigte Dritte dann mehr als 10% des Bruttozinsaufwands von Stammhaus und Betriebstätte ausmachen, würde das Abzugsverbot der Zinsschranke nach § 4h Abs. 3 S. 2 EStG all jenen Fremdkapitalvergütungen drohen, die den maßgeblichen Gewinn gemindert haben. Konkret fände bei einer solchen schädlichen Gesellschafterfremdfinanzierung nach § 8a Abs. 2 KStG die Zinsschranke auf inländischen Betriebstätten eines ausländischen Stammhauses ebenso Anwendung wie auf ausländische Anrechnungsbetriebstätten eines inländischen Stammhauses. Über den Bereich der Gesellschafterfremdfinanzierung hinaus käme es in diesen Fällen ebenfalls zur Anwendung der Zinsschranke, wenn kein Betriebstättenkonzern in Reinkultur vorliegt, sondern das Stammhaus auch mit einer Personenoder Kapitalgesellschaft konsolidiert werden könnte. Ob die Zinsschranke in all diesen Fällen die Dotationskapitalgrundsätze verdrängt, durch diese verdrängt wird oder beide Ansätze zur Aufteilung von Finanzierungsaufwand gleichzeitig den Zinsabzug begrenzen, bleibt auch nach dem BMF-Schreiben vom 04.07.2008 unklar.
4.4 Grenzüberschreitender Personen- oder Kapitalgesellschaftskonzern Während im grenzüberschreitenden Betriebstättenkonzern die Anwendung der Dotationskapitalgrundsätze gewiss, jene der Zinsschranke jedoch fraglich erscheint, verhält es sich bei Personengesellschaftskonzernen exakt umgekehrt. Hier deuten allenfalls die Betriebstättenverwaltungsgrundsätze darauf hin, dass die Finanzverwaltung im Falle der inländischen Personengesellschaft mit ausländischem Mitunternehmer einem vermeintlich unangemessenen Zinsabzug durch den äußeren oder hilfsweise internen 54
So bereits zum Entwurf des BMF-Schreibens v. 20.02.2008 Kaminski, B., Entwurf eines BMFSchreibens zur Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG), Stbg 2008, S. 196.
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Fremdvergleich, notfalls auch über Anhaltspunkte aus der Kapitalspiegelmethode entgegen wirken möchte.55 Gesichert erscheint demgegenüber, dass die Zinsschranke auf Mitunternehmerschaften Anwendung findet.56 Dies steht im Konflikt mit dem national57 wie international58 anerkannten Grundsatz, die mitunternehmerische Beteiligung an einer Personengesellschaft als Betriebstätte zu behandeln, erscheint aber ob der betriebsbezogenen Betrachtungsweise der Regelung unvermeidlich. Beim grenzüberschreitenden Kapitalgesellschaftskonzern stellt sich die Rechtslage hingegen eindeutig dar. Hier beschränkt sich der Gesetzgeber auf die Zinsschranke, um eine vermeintlich angemessene Verteilung von Eigen- und Fremdkapital zu erreichen. Dafür werden innerhalb des Regelungskomplexes jedoch zusätzliche Anforderungen gestellt, welche in § 8a KStG normiert sind und einen vollen Zinsabzug oft unmöglich machen.59
5 Gesamtschau In der Gesamtschau fällt auf, dass der Gesetzgeber dem sowohl national als auch international gegebenen Anreiz zur steueroptimalen Kapitalallokation keineswegs einheitlich begegnet (Abbildung 1). Vielmehr wird versucht, mit unterschiedlichen Maßnahmen unterschiedlicher Intensität eine angemessene Kapitalverteilung im multijurisdiktionellen Konzern sicherzustellen. Das Spektrum reicht dabei von der „minimalinvasiven“ Gewinnaufteilung durch Verrechnungspreise bis zur „Maximaltherapie“ in Form einer Angleichung der Steuer(hebe)sätze. Als Maßnahmen von theoretisch mittlerer Intensität finden sich zwischen diesen beiden Extrempolen die formelhafte Gewinnaufteilung für Zwecke der Gewerbesteuer sowie die Bestrebungen zur Angleichung der steuerlichen Behandlung von Fremd- und Eigenkapital. Anders als in Belgien, aber ähnlich den Maßnahmen in Dänemark, Italien und der Tschechischen Repu55
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Vgl. Tz. 2.5.1 des BMF-Schreibens v. 24.12.1999, IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl I 1999, S. 1076; kritisch hierzu Löwenstein, U./Heinsen, O., Anwendung der Grundsätze zum Dotationskapital auch bei grenzüberschreitend mitunternehmerischen Beteiligungen an Personengesellschaften?, IStR 2007, S. 302ff. Vgl. u.a. Mössner, J., International-steuerrechtliche Aspekte der Zinsschranke, Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, hrsg. von Lüdicke, J., Köln 2008, S. 12f. Vgl. aus Sicht der Rechtsprechung BFH, Urteil v. 26.02.1992, I R 85/91, BStBl II 1992, S. 937; vgl. aus Sicht der Finanzverwaltung Rz. 1.1.5.1 des BMF-Schreibens v. 24.12.1999, IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl I 1999, S. 1080. Vgl. OECD-Musterkommentar, Art. 4, Anm. 8.4. Vgl. Schaden, M./Käshammer, D., Die Neuregelung des § 8a KStG im Rahmen der Zinsschranke, BB 2007, S. 2260ff.
Steuerwettbewerb und Zinsabzug: Eine Bestandsaufnahme
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blik hat sich die Bundesrepublik bei letztgenannter Alternative gegen einen fiktiven Eigenkapitalzins entschieden.60 Vielmehr soll die der Angleichung der steuerlichen Behandlung von Eigen- und Fremdkapital durch ein weitreichendes Abzugsverbot für Zinsaufwendungen erreicht werden. Als Instrument hierfür dient die Zinsschranke sowie die gewerbesteuerliche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. a) GewStG. (Theoretische) Intensität der Maßnahme
Verrechnungspreise
Angleichung Eigen-/ Fremdkapital
Formelhafte Gewinnaufteilung
Angleichung der Steuer(hebe)sätze
Innerstaat-
Betriebstättenkonzern
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lich
Personen-/ Kapitalgesellschaftskonzern
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X
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(X)
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(X)
X
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Grenzüber- Betriebstättenkonzern schreitend Personen-/Kapitalgesellschaftskonzern
Abbildung 1: Systematik der deutschen Regelungen zur interjurisdiktionellen Aufteilung des Zinsabzugs
Bemerkenswert erscheint, dass der Gesetzgeber bei internationalen Konzernen zwar besonderen Missbrauchsverdacht hegt61, aber im Gegensatz zu rein nationalen Fallkonstellationen nur das schwächere Ende des Spektrums an Normen zum angemessenem Zinsabzug verwendet. Dies erstaunt umso mehr, als Verrechnungspreise wie Abzugsverbote die Gefahr der Doppelbesteuerung62 und damit eine Vielzahl an DBAund EG-Rechtsproblemen heraufbeschwören.63 Es überrascht auch, dass trotz der vermeintlich großen Bedeutung internationaler Sachverhalte keine klare gesetzgeberische Aussage zum Verhältnis zwischen traditionellen Verrechnungspreisgrundsätzen und der Zinsschranke getätigt wird. Auch die Parallelen von Escape-Klausel und Kapitalspiegelmethode können hier nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden, da letzt-
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Vgl. Kessler, W./Knörzer, D., The Implications of the (Reverse) Ban on Interest, Tax Notes International 2008, Vol. 50, S. 428f. Vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 31. Vgl. zur Systemwidrigkeit der Doppelbesteuerung Kessler, W./Köhler, S./Knörzer, D., Die Zinsschranke im Rechtsvergleich: Problemfelder und Lösungsansätze, IStR 2007, S. 418ff. Vgl. Homburg, S., Die Zinsschranke - eine beispiellose Steuerinnovation, FR 2007, S. 723ff; Loukota, H., Internationale Probleme mit der deutschen Zinsschranke, SWI 2008, S. 106ff; Kessler, W./Knörzer, D., The Implications of the (Reverse) Ban on Interest, Tax Notes International 2008, Vol. 50, S. 428ff.
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Wolfgang Kessler, Daniel Knörzer
genannter Ansatz zur Bestimmung von Verrechnungspreisen nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich hat und zudem keine Verschärfung bei schädlicher Gesellschafterfremdfinanzierung erfährt.
6 Fazit Die um das Internationale Steuerrecht hochverdiente Jubilarin hat sich in ihrem Schaffen mit großem Interesse dem Zusammenspiel von Steuerwettbewerb und Zinsabzug gewidmet.64 Vorliegender Beitrag verbindet die besten Wünsche zum 60. Geburtstag von Frau Prof. Dr. Dr. Djanani mit der Hoffnung, dass die Forschung im Bereich der Unterkapitalisierung weiterhin von ihrer vielfältigen Arbeit profitieren kann. Dies erscheint umso bedeutsamer, als aufgezeigt werden konnte, dass Steuerwettbewerb gleichermaßen auf Ebene der Kommunen und Nationalstaaten existiert. Die derzeit bestehenden Maßnahmen zum Erhalt des jeweiligen Steuersubstrats lassen jedoch an Stringenz zu wünschen übrig. So bleibt es Aufgabe der Steuerwissenschaften, eine schlüssige Lösung für das Problem der künstlichen Kapitalstrukturen zu entwickeln.
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Vgl. Djanani, C./Bremer, S., An Alternative Holding Company Location?, European Taxation 1998, Vol. 38, S. 169; Djanani, C./Brähler, G., Internationales Steuerrecht: Grundlagen für Studium und Steuerberaterprüfung, Wiesbaden 2008, S. 252ff.
Die Organschaft im Spannungsfeld der EG-Grundfreiheiten – Eine Analyse der organschaftlichen Tatbestandsvoraussetzungen
Heinz Kußmaul und Christoph Niehren
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Einleitung .......................................................................................................... 178
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Beschränkung der EG-Grundfreiheiten durch die organschaftlichen Tatbestandsvoraussetzungen!? ....................................................................... 178
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Handlungsalternativen des deutschen Gesetzgebers .................................... 194
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Mögliche Lösungsansätze für das Rechtsinstitut der Organschaft............. 197
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Abschließende Bemerkungen.......................................................................... 199
Literaturverzeichnis ................................................................................................. 200
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1 Einleitung Die Diskussion um die Europarechtskonformität der deutschen Organschaft hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung und Dynamik gewonnen. Durch die jüngeren EuGH-Urteile vor allem in den Rs. Marks & Spencer1 und Oy AA2, rückt der Regelungsgehalt der Organschaft immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Kontrovers wird vor allem die Frage diskutiert, inwieweit und in welchem Ausmaße die Vorschriften zur Organschaft an die Rechtsprechung des EuGH angepasst werden müssen. Nahezu einhellig wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass eine Modifikation der derzeitigen Regeln unumgänglich ist. Die folgende Ausarbeitung setzt sich kritisch mit den momentan geltenden organschaftlichen Tatbestandsvoraussetzungen – vor dem Hintergrund der EG-Grundfreiheiten3 – auseinander, liefert einen Ausblick auf die mögliche Vorgehensweise des deutschen Gesetzgebers und nimmt Bezug auf andere in der EU angewandten Gruppenbesteuerungssysteme.
2 Beschränkung der EG-Grundfreiheiten durch die organschaftlichen Tatbestandsvoraussetzungen!? 2.1 Tatbestandsvoraussetzungen des Organträgers Im deutschen Recht werden verschiedene Voraussetzungen an Gesellschaften, die als Organträger fungieren wollen, gestellt.4 Die Verpflichtung, den Ort der Geschäftsleitung im Inland zu unterhalten, könnte dabei als ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet werden.
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Vgl. EuGH-Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-446/03. Vgl. aus einer Vielzahl von Literaturstimmen zum Marks & Spencer-Urteil HEY, J., Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer und die Zukunft der deutschen Organschaft, GmbHR 2006, S. 113 ff.; KUßMAUL, H./TCHERVENIACHKI, V., Die Rechtssache Marks & Spencer – Trendwende in der europäischen Rechtsprechung, StuB 2006, S. 189 ff. Vgl. EuGH-Urteil vom 18.07.2007, Rs. C-231/05, IStR 2007, S. 631-635. „Oy“ ist das Kürzel für „Osakeyhtiö“. Sie stellt die einzige Kapitalgesellschaftsform in Finnland dar und ist mit der deutschen AG vergleichbar. Vgl. ausführlich zur Oy AA-Entscheidung KUßMAUL, H./NIEHREN, C., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Lichte der jüngeren EuGH-Rechtsprechung, IStR 2008, S. 81 ff. Vgl. zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages DJANANI, C/BRÄHLER, G., Internationales Steuerrecht, Wiesbaden 2008, S. 459. Vgl. ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen der Organschaft MÜLLER, T./STÖCKER, E., Die Organschaft, Herne/Berlin 2007, S. 47 ff.
Die Organschaft im Spannungsfeld der EG-Grundfreiheiten
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Verlegt eine im Inland gegründete Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung in das EU-Ausland5, kann diese gemäß deutschem Recht kein Organträger mehr sein; die Sonderregelungen der Organschaft können folglich nicht mehr genutzt werden. Insoweit könnte die Gesellschaft von ihrem Vorhaben, die Geschäftsleitung ins EUAusland zu verlegen, abgehalten werden, womit ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit eingeschränkt wäre. Dadurch, dass eine Gesellschaft mit Geschäftsleitung im EU-Ausland und Sitz im Inland – anders als eine Gesellschaft mit Sitz im EU-Ausland bzw. Inland und Geschäftsleitung im Inland – von den Vorteilen der Organschaft ausgeschlossen wird, entsteht eine Benachteiligung erstgenannter. Die Gesellschaft wird – da die Beibehaltung ihres Sitzes in Deutschland nicht als Organträgereignung ausreicht – gezwungen, entweder die Geschäftsleitung in Deutschland aufrecht zu erhalten oder diese nach Deutschland zu verlegen. Es besteht für eine solche Gesellschaft auch nicht die Möglichkeit, gemäß § 18 KStG Organträger zu sein, da sie wegen des inländischen Sitzes kein „ausländischer“ Organträger im Sinne des § 18 KStG sein kann.6 Folglich wird die Niederlassungsfreiheit, sowohl im Falle des Zuzugs7 als auch im Falle des Wegzugs, beeinträchtigt.8 Diskriminierend wirkt eine mitgliedstaatliche Regelung, wenn vergleichbare Situationen ungleich behandelt werden.9 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine Muttergesellschaft mit inländischem Sitz und ausländischer Geschäftsleitung im Hinblick auf ihre steuerrechtliche Lage mit als Organträger in Frage kommenden Muttergesellschaften, die Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland haben, vergleichbar behandelt werden muss.
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Hierbei handelt es sich um den so genannten Wegzug. Durch die Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung ins EU-Ausland ist ein grenzüberschreitender Bezug gegeben, womit der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist. Vgl. FROTSCHER, G., in: FROTSCHER/MAAS, KStG/UmwStG, § 14 KStG Sondervorschriften für die Organschaft, Freiburg, Stand Mai 2008, Rn. 27. Um als ausländischer Organträger i.S.d. § 18 KStG zu gelten, müssen sich Sitz und Geschäftsleitung im Ausland befinden. Der Zuzugsfall behandelt Gesellschaften, die ihren Sitz nach Deutschland verlegen, aber ihre Geschäftsleitung im Ausland belassen. Vgl. MICKER, L., Europarechtswidrigkeit der Organschaftsbesteuerung im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht?, DB 2003, S. 2736. Vgl. SAß, G., Außensteuerrechtliche Aspekte des Umwandlungssteuergesetzes 1995 und EUSteuerprobleme in einigen Mitgliedstaaten, BB 1995, S. 1443.
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Heinz Kußmaul, Christoph Niehren
Die Zielsetzung der Organschaft ist es einerseits, für die wirtschaftliche Einheit Konzern eine Ergebnisverrechnung zuzulassen.10 Andererseits setzt das System der Organschaftsbesteuerung die unbeschränkte Steuerpflicht des Organträgers im Inland voraus.11 Wegziehende Körperschaften bleiben wegen ihres im Inland verbleibenden Satzungssitzes weiterhin gemäß § 1 Abs. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig.12 Folglich wird durch den Ausschluss von Muttergesellschaften, die zwar ihren Sitz im Inland, aber ihre Geschäftsleitung im Ausland haben, von den organschaftlichen Sonderregelungen eine vergleichbare Situation ungleich behandelt, da Muttergesellschaften mit Geschäftsleitung im Inland die Vorteile der Organschaft nutzen können. Somit ist eine Diskriminierung13 festzustellen. Regelungen, die den grenzüberschreitenden gegenüber dem innerstaatlichen Sachverhalt schlechter stellen und infolgedessen zu einer Benachteiligung führen, können grundsätzlich gerechtfertigt werden. Mögliche Rechtfertigungsgründe können sich aus dem Marks & Spencer-Urteil vom 13.12.2005 ergeben. In Frage kommen die „Ausgewogenheit der Verteilung des Steueraufkommens“ und die „Steuerfluchtgefahr“.14 Neben der Entscheidung in der Rs. Marks & Spencer ist auch das Oy AA-Urteil für Mitgliedstaaten, die ihre Gruppenbesteuerungssysteme nicht für eine grenzüberschreitende Anwendung geöffnet haben, in die Frage nach der gemeinschaftsrechtskonformen Ausgestaltung ihrer Gruppenbesteuerungssysteme mit einzubeziehen. Damit eine beschränkende Maßnahme gerechtfertigt werden kann, muss sie jedoch auch verhältnismäßig sein. Je nachdem, welches Urteil man für die Überprüfung der Organträgereigenschaften zu Grunde legt, kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Stellt man unter dem vorher dargestellten eine Überprüfung der Organträgereigenschaft an, muss man in Anlehnung an das Marks & Spencer-Urteil zu der An-
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Vgl. Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11/2001, S. 16. Vgl. BMF-Schreiben vom 08.12.2004, S. 2724. § 1 Abs. 1 KStG: „Unbeschränkt steuerpflichtig sind…, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben“. Vgl. ausführlich zu Grundfreiheiten und Diskriminierungsverboten und den Ausstrahlungen des Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Steuerrechte WEBER-GRELLET, H., Europäisches Steuerrecht, München 2005, S. 43 ff. Nicht anwendbar als Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung sind jedoch „haushaltspolitische Gründe“. Diese stellen nach ständiger Rechtsprechung kein geeignetes Mittel dar, um die Beschränkung zu rechtfertigen. Vgl. EuGH-Urteil vom 07.09.2004, Rs. C-319/02, Rn. 49; EuGHUrteil vom 13.12.2005, Rs. C-446/03, Rn. 44.
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sicht gelangen, dass diese Beschränkungen im deutschen Recht zwar gerechtfertigt,15 jedoch nicht verhältnismäßig sind.16 Betrachtet man die Regelungsnorm des § 18 KStG, nach dem ein ausländischer Rechtsträger als Organträger in Frage kommt, wenn die Zurechnung des Einkommens zum beschränkt steuerpflichtigen Einkommen einer inländischen Zweigniederlassung erfolgt, wird die Unverhältnismäßigkeit des Ausschlusses von Muttergesellschaften mit Geschäftsleitung im Ausland und Sitz im Inland deutlich.17 Zudem könnte bereits die zwingende Anforderung einer Bindung an eine beschränkt steuerpflichtige inländische Zweigniederlassung als ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet werden.18 Betrachtet man nunmehr die Oy AA-Entscheidung, die für das deutsche Organschaftskonzept vor allem für die Tatbestandsvoraussetzungen des Organträgers von großer Bedeutung ist, gelangt man allerdings zu einer anderen Ansicht. Im Gegensatz zum Marks & Spencer-Urteil – welches einen Outboundfall betrifft – behandelt die Oy AA-Entscheidung einen Inboundfall.19 Der Gerichtshof vertritt im Oy AA-Fall die Auffassung, dass durchaus für die Mitgliedstaaten Möglichkeiten existieren, das eigene Steuersubstrat zu Lasten der Niederlassungsfreiheit zu schützen.20 Überträgt man die Oy AA-Entscheidung auf einen Organträger mit Geschäftsleitung im Ausland und Sitz in Deutschland, mit der Folge, dass ein Einkommenstransfer von in Deutschland an15
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A.A wohl KLARMANN, die ausführt, dass diese Beschränkung auch nicht gerechtfertigt erscheint. Vgl. KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 54. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 49. Vgl. in diesem Sinne auch KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 57. In § 18 KStG sieht der Gesetzgeber trotz nur beschränkter Steuerpflicht keinen Hinderungsgrund für die Organschaft. FROTSCHER führt dahingehend aus, dass es nicht einzusehen ist, warum eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland Organträger sein kann, eine doppelansässige Kapitalgesellschaft, die lediglich ihren Sitz im Inland hat – trotz unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland – jedoch nicht. Vgl. FROTSCHER, G., in: FROTSCHER/MAAS, KStG/UmwStG, § 18 KStG Ausländische Organträger, Freiburg, Stand Mai 2008, Rn. 6. Explizit dieser Ansicht ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 49. Outbound-Fall = im Ausland ansässige Tochtergesellschaft, im Inland ansässige Muttergesellschaft. Inbound-Fall = im Inland ansässige Tochtergesellschaft, im Ausland ansässige Muttergesellschaft. Der EuGH führte in der Oy AA-Entscheidung aus, dass der Rechtfertigungsgrund zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, wenn mit der zu Grunde liegenden Vorschrift der Gefahr entgegengetreten werden soll, die Besteuerungszuständigkeit an durchgeführten Tätigkeiten im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates zu verlieren. Gerade die im Ausgangsverfahren zu Grunde liegende finnische Regelung des group contribution ist der Gefahr ausgesetzt, dass durch die Erlaubnis, eine grenzüberschreitende Gewinnübertragung vornehmen zu können, genau solch eine Konstellation eintritt. Vgl. zum group contribution KUßMAUL, H./NIEHREN, C., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung im Lichte der jüngeren EuGH-Rechtsprechung, IStR 2008, S. 81 ff.
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sässigen Tochtergesellschaften ins Ausland stattfinden würde, ist folglich zu konstatieren, dass die einschränkende Regelung der Organschaft, Einkommen der Organgesellschaft lediglich auf Organträger mit zwingender Geschäftsleitung in Deutschland übertragen zu können, als gemeinschaftsrechtskonform einzustufen ist.21 ENGLERT/PACHE führen dahingehend aus, dass dem deutschen Gesetzgeber kein milderes Mitttel zur Verfügung steht, als die Einkommenszurechnung auf inländische unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Einkommensteile zu begrenzen, um Missbrauch und einen hohen Verlust an Steuersubstrat zu vermeiden.22 Auch wenn eine generelle Übertragung der Oy AA-Entscheidung – ebenso wie die Entscheidung in der Rs. Marks & Spencer – auf die deutsche Organschaft zu verneinen ist, muss jedoch von einer grundsätzlichen Übertragbarkeit auf die Regelungen des deutschen Organschaftskonzeptes ausgegangen werden. Mit der Entscheidung in der Rs. Oy AA hat der EuGH einen neuen Weg eingeschlagen und die Position der Mitgliedstaaten gegenüber der Anwendung der EG-Grundfreiheiten gestärkt. Somit dürfte zumindest im Hinblick auf Gewinnverlagerungen ins Ausland das Rechtsinstitut der Organschaft „korrekt“ ausgestaltet sein. Nichtsdestotrotz ist der Ausschluss von Muttergesellschaften mit Geschäftsleitung im Ausland und Sitz im Inland von der Organträgerschaft europarechtlich noch nicht geklärt.23 Eine abschließende Klärung der einschränkenden Organträgereigenschaften bleibt insofern dem EuGH vorbehalten.
2.2 Tatbestandsvoraussetzungen der Organgesellschaft Das deutsche Organschaftskonzept verweigert den organschaftbedingten Transfer von ausländischem Einkommen ins Inland. Vor dem Hintergrund der Entscheidungen in den Rs. Marks & Spencer und Oy AA bleibt festzuhalten, dass ein bedeutender Unterschied darin besteht, ob es sich beim Einkommenstransfer um importierte Gewinne 21
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Wird eine Gesellschaft mit Geschäftsleitungsort im Ausland als Organträger qualifiziert, können die Besteuerungsrechte verlagert werden. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., "Das Spiel ist aus!" – Kein positives Signal des EuGH für ein binnenmarktorientiertes Konzernbesteuerungsrecht, IStR 2007, S. 848. Eine Möglichkeit, die Organträgereigenschaft europarechtskonform auszugestalten, könnte darin liegen, den Sitz im Inland als Bedingung für die Organträgereignung ausreichen zu lassen. Vgl. KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 56; MICKER, L., Europarechtswidrigkeit der Organschaftsbesteuerung im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht?, DB 2003, S. 2738.
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oder Verluste handelt. Mittels Rückgriff auf die Urteilsbegründung in der Rs. Oy AA muss für die beschränkende Maßnahme der Übertragung von Gewinnen aus dem Ausland nach Deutschland festgestellt werden, dass dies einen gerechtfertigten und verhältnismäßigen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt. Die gesetzlich kodifizierte Verpflichtung der Inlandsanbindung der Organgesellschaft ist vor dem Hintergrund des damit verbundenen Verbots des Gewinnimports also als gemeinschaftsrechtskonform einzustufen.24 Im Marks & Spencer-Urteil hat der EuGH unter gewissen Voraussetzungen den Ausschluss von Tochtergesellschaften aus dem EU-Ausland von der Verlustverrechnung als europarechtswidrig eingestuft.25 Anhand der Urteilsbegründung in der Rs. Marks & Spencer wird der Ausschluss ausländischer EU-Tochtergesellschaften von der Verlustverrechnung mit ihrer deutschen Muttergesellschaft im Rahmen des Organschaftskonzeptes überprüft.
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Vgl. auch ENGLERT, M./PACHE, S., "Das Spiel ist aus!" – Kein positives Signal des EuGH für ein binnenmarktorientiertes Konzernbesteuerungsrecht, IStR 2007, S. 847. Laut EuGH sind Verluste ausländischer Tochtergesellschaften auf Ebene der im Inland ansässigen Muttergesellschaft zwingend zu berücksichtigen, wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft in ihrem Sitzstaat alle Möglichkeiten zur Verlustberücksichtigung ausgeschöpft hat und weiterhin keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft in ihrem Sitzstaat für künftige Zeiträume in irgendeiner Weise nutzbar gemacht werden können. Vgl. EuGH-Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-446/03, Rn. 55. Im Schrifttum hat sich für diese Art der Verluste der Begriff Definitivverluste etabliert. Um das Vorliegen von Definitivverlusten aufzuzeigen, ist die Muttergesellschaft in der Nachweispflicht und muss glaubhaft darlegen, dass keine Verlustrücktrags- oder Verlustvortragsmöglichkeit im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft mehr besteht, keine Verlustverrechnung mittels eines nationalen Gruppenbesteuerungssystems erfolgt sowie auch keine irgendwie geartete Übertragung auf einen Dritten möglich ist. Auf dem Marks & Spencer-Urteil basierend, lässt sich festhalten, dass die Frage nach dem Vorliegen von Definitivverlusten und somit die Möglichkeit, diese zur grenzüberschreitenden Verrechnung auf Ebene der Muttergesellschaft zuzulassen, nicht eindeutig geklärt ist. Ist im Falle einer Liquidation oder eines zeitlich begrenzten Verlustvortrages wohl unstrittig das Vorliegen von Definitivverlusten gegeben, stellt sich bei anderen Konstellationen weiterhin die Frage, ob diese zu einer endgültigen grenzüberschreitenden Verlustnutzung führen. Hierzu gehören z.B. die faktische Unmöglichkeit der Verlustnutzung, sei es durch Einstellung der Geschäftsfähigkeit der Tochtergesellschaft oder mittels Ergebnisprojektionen, sei es der freiwillige Verzicht auf den Verlustausgleich im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft im Rahmen der Gruppenbesteuerung, z.B. wegen wirtschaftlicher Gründe. Allerdings können u.E. Ergebnisprojektionen nicht zu einer grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung führen. Auch ein freiwilliger Verzicht in Form eines Wahlrechts, ob auf Ebene der Tochtergesellschaft oder auf Ebene der Muttergesellschaft eine Verlustnutzung berücksichtigt wird, kann u.E. nicht für eine grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung in Frage kommen, da dies einen nicht gerechtfertigten und damit zu weiten Ermessensspielraum gestattet. Zudem stellt sich die Frage, ob bereits im Falle einer bewussten Liquidation einer ausländischen Tochtergesellschaft, um Verluste auf Ebene der inlandsansässigen Muttergesellschaft nutzbar zu machen, ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt. Sanierungsfähige Tochtergesellschaften könnten somit ohne Rücksichtnahme liquidiert werden, nur um Verluste nutzbar zu machen. Allerdings stellt sich hier die Frage, wie Konzernen eine bewusste Liquidation nachgewiesen werden soll.
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2.2.1 Ausländische Tochtergesellschaften Durch das Erfordernis des doppelten Inlandbezuges des § 14 Abs. 1 KStG und der damit verbundenen Versagung der Verlustverrechung könnte ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegen. Da der deutsche Gesetzgeber durch diese Vorschrift lediglich Gesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland in den Kreis der Organgesellschaften aufnimmt, ist der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet, da ausländische Kapitalgesellschaften von den Sonderregelungen der Organschaft ausgeschlossen werden. Legt man die vertikale Vergleichspaarbildung26 zu Grunde, ist eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit aus der unterschiedlichen Behandlung der deutschen Muttergesellschaft mit inländischer Tochtergesellschaft gegenüber der deutschen Muttergesellschaft mit ausländischer Tochtergesellschaft zu konstatieren. Darüber hinaus liegt eine Beschränkung durch die Regelungen zur Organschaft vor, da das Auslandsengagement der deutschen Muttergesellschaft mittels des Ausschlusses von ausländischen Tochtergesellschaften weniger attraktiv gemacht wird. Insbesondere kommt es zur Anwendung des § 8b Abs. 5 KStG, durch den ein unbelasteter Vermögenstransfer zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft nicht mehr gewährleistet ist. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es durch die Regelungen zur Organschaft zu einer Ungleichbehandlung kommt.27 Durch die Versagung der Verlustverrechnung ausländischer Tochtergesellschaften wird ein international tätiger Konzern im Ergebnis höher besteuert als ein ausschließlich national tätiger Konzern.28 Diese Beeinträchtigung könnte gerechtfertigt sein, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem EG zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und zwingende Gründe des Allgemeininteresses dafür sprechen. Wie bereits oben ausgeführt, können haushaltspolitische Gründe – z.B. der Rückgang von Steuereinnahmen – nicht als Rechtfertigung angeführt werden. Sollte es zu einem Verfahren im Hinblick auf das Rechtsinstitut der Organschaft kommen, wird sich der deutsche Gesetzgeber wohl auf die vom EuGH in der Rs. Marks & Spencer entwickelten Rechtfertigungsgründe berufen. Insofern füh26
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Bei der vertikalen Vergleichspaarbildung wird auf die Gleichbehandlung der grenzüberschreitenden Niederlassungsformen von Inländern (Outbound-Investment) abgezielt. Im Gegensatz dazu steht die sog. horizontale Vergleichspaarbildung, die auf einen Vergleich von Betriebsstätte und Tochtergesellschaft abzielt. Die horizontale Vergleichspaarbildung betrifft die Gleichbehandlung der verschiedenen Niederlassungsformen von Steuerausländern als Ausgangspunkt (InboundInvestment). Vgl. ausführlich zur vertikalen und horizontalen Vergleichspaarbildung SCHNITTGER, A., Die Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auf das Ertragssteuerrecht, Düsseldorf 2006, S. 277 ff. Vgl. HOFER, A., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft, Bremen/Hamburg 2007, S. 67. Vgl. KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 82 f.
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ren ENGLERT/PACHE aus, dass auch hinsichtlich des deutschen Organschaftsrechts die Beschränkung auf inländische Organgesellschaften als gerechtfertigt anzusehen wäre.29 Dem Nachteil des § 8b Abs. 5 KStG, dem ausländische Tochtergesellschaften unterworfen sind, kann entgegengehalten werden, dass die Organschaft nicht nur Vorteile mit sich bringt. Zum einen muss die Haftung der Organgesellschaft gemäß § 73 AO beachtet werden, zum anderen ist auf das Risiko der möglichen Überschuldung des Organträgers durch die Verpflichtung zur Verlustübernahme auf Grundlage des Gewinnabführungsvertrages hinzuweisen.30 Laut ENGLERT/PACHE führt eine Gesamtbetrachtung zu einem Eingreifen der Rechtfertigungsgründe. Allerdings erkennen sie an, dass sich die Sondervorschriften zur deutschen Organschaft mit dem Vorwurf der nicht vorhandenen Verhältnismäßigkeit auseinandersetzen müssen.31 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Ausschluss der steuerlichen Verwertbarkeit von endgültigen negativen Einkommen ausländischer Tochtergesellschaften auf Ebene des inländischen Organträgers gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Somit muss der deutsche Gesetzgeber einschreiten und eine Öffnung der Organschaft für Definitivverluste von ausländischen Tochtergesellschaften zulassen. Bleibt es bei dem Verbot der Einbeziehung ausländischer Definitivverluste, ist das Ansässigkeitserfordernis der Organgesellschaft – also inländischer Sitz und Geschäftsleitung – als unverhältnismäßig und mit der Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar anzusehen. Es ist auch kein Widerspruch darin zu sehen, dass der doppelte Inlandsbezug – unter Rückgriff auf das Oy AA-Urteil – im Hinblick auf die Verlagerung von positiven Einkommen ins Inland wohl als verhältnismäßig eingestuft werden muss. Auftretende Definitivverluste sind als Sonderfall innerhalb der Unternehmensgruppe zu klassifizieren. Erwirtschaftete Gewinne werden steuerlich direkt berücksichtigt; die Frage nach einer eventuellen Nichtberücksichtigung von Gewinnen stellt sich erst gar nicht. Da Verluste aber genauso steuerlich berücksichtigungsfähig sein müssen und genau dies in speziellen Fällen bei ausländischen Tochtergesellschaften unmöglich sein kann, müssen Regelungen getroffen werden, die es der jeweiligen Unternehmensgruppe erlauben, Verluste die sich als Definitvverluste herausgestellt haben auf Ebene der inländischen Muttergesellschaft zu verrechnen.
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Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 49. Vgl. SUCHANEK, M./HERBST, C., Die tatsächliche Durchführung von Gewinnabführungsverträgen im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG, FR 2005, S. 665. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 49.
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2.2.2 Tochtergesellschaften mit ausländischem Sitz und inländischer Geschäftsleitung und Tochtergesellschaften mit inländischem Sitz und ausländischer Geschäftsleitung 2.2.2.1 Sitz im EU-Ausland und Geschäftsleitung im Inland Der Ausschluss von Tochtergesellschaften mit ausländischem Sitz und Geschäftsleitung im Inland könnte als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet werden. Dadurch, dass ein Organträger im Rahmen der Einkommensverrechnung von Tochtergesellschaften mit Auslandsbezug deren Einkommen nicht berücksichtigen kann, treten Zins- und Liquiditätsnachteile auf, die eine Schlechterbehandlung des grenzüberschreitenden Sachverhalts bedeuten.32 Seit der ÜBERSEERING-Entscheidung,33 spätestens aber seit der zeitlich nachfolgenden Entscheidung in der Rs. INSPIRE ART,34 gilt innerhalb der EU die Gründungstheorie.35 Daraus folgt, dass in anderen EUMitgliedstaaten gegründete Kapitalgesellschaften rechtsformwahrend ihre Geschäftsleitung nach Deutschland verlegen können und dann gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind.36 Folglich sind Tochtergesellschaften mit Sitz im EU-Ausland und Geschäftsleitung im Inland mit Tochtergesellschaften, die sowohl Sitz als auch Geschäftsleitung im Inland haben, vergleichbar. Somit werden Organträger mit Tochtergesellschaften, die lediglich ihre Geschäftsleitung im Inland haben, gegenüber Organträgern mit rein inländischen Tochtergesellschaften diskriminiert mit der Folge einer Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit. Für diese Benachteiligung ist auch keine Rechtfertigung in Sicht. Insbesondere kann nicht auf das 32
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Vgl. ERLE, B., in: ERLE/SAUTER, Körperschaftsteuergesetz, Sondervorschriften für die Organschaft, Heidelberg/München/Landsberg/Berlin 2006, Rn. 572. Vgl. EuGH-Urteil vom 05.11.2002, Rs. C-208/00. Vgl. EuGH-Urteil vom 30.09.2003, Rs. C-167/01. Die Gründungstheorie knüpft für die Ermittlung des Gesellschaftsstatuts an das Recht des Gründungsstaats, das regelmäßig mit dem Satzungssitz zusammenfällt, an. Auf den tatsächlichen Verwaltungssitz kommt es dagegen nicht an. Sie unterwirft die Gesellschaft also der Rechtsordnung, nach welcher sie gegründet worden ist, und räumt damit den Gesellschaftern eine Wahlfreiheit hinsichtlich des Gesellschaftsstatuts ein. Das Gegenteil zur Gründungstheorie ist die Sitztheorie. Die Sitztheorie bestimmt das Gesellschaftsstatut einer Gesellschaft nach dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung der Gesellschaft. Vgl. umfassend zu Sitz- und Gründungstheorie MELLERT, C./VERFÜRTH, L., Wettbewerb der Gesellschaftsformen, Berlin 2005, S. 29 ff. Mit Wirkung zum 13.12.2006 ist dies auch im Rahmen des SEStEG gesetzlich kodifiziert worden. Im Begründungsteil zum SEStEG heißt es, dass durch die Aufnahme des Wortes „insbesondere“ in § 1 Abs. 1 Nr.1 KStG klargestellt wird, dass es sich nicht um eine abschließende Aufzählung von Gesellschaftsformen handelt. Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig können auch Gesellschaften aus Drittstaaten sein, die nicht nach deutschem oder europäischem Recht gegründet wurden, die aber ihrem Gründungsstatut nach einer Kapitalgesellschaft entsprechen (so genannter Typenvergleich). Vgl. Allgemeiner Begründungsteil SEStEG, Art. 2 Nr. 2. Parallel zur Einordnung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG erfolgte auch die Anpassung des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG mit der Folge der Gewerbesteuerpflicht. Vgl. Allgemeiner Begründungsteil SEStEG, Art. 3 Nr. 1.
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Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages abgestellt werden, um diese Diskriminierung zu rechtfertigen. Gesellschaften mit inländischem Ort der Geschäftsleitung unterstehen deutschem Recht, weshalb auch die Schutzbestimmungen der § 291 ff. AktG greifen.37 Folglich ist für eine in einem Mitgliedstaat der EU gegründete Kapitalgesellschaft, die ihren Ort der Geschäftsleitung nach Deutschland verlegt, unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten § 291 AktG einschlägig.38 Diese kann sowohl mit zivilrechtlicher als auch steuerrechtlicher Wirksamkeit einen Gewinnabführungsvertrag abschließen.39 Konsequenterweise muss § 14 Abs. 1 S. 1 KStG im Sinne seiner Europarechtskonformität derart ausgestaltet werden, dass Tochtergesellschaften mit Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland als Organgesellschaften in die Einkommensverrechnung des Organkreises eingegliedert werden können.40
2.2.2.2 Sitz im Inland und Geschäftsleitung im EU-Ausland Sowohl bei Zuzugsfällen als auch bei Wegzugsfällen ist für die steuerrechtliche Qualifikation in der EU die Gründungstheorie anzuwenden. Da der Satzungssitz im Inland verbleibt, ist die Kapitalgesellschaft auch weiterhin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Organträger mit rein inländischen Tochtergesellschaften und Organträger mit Tochtergesellschaften mit Sitz im Inland und Geschäftsleitung im Ausland befinden sich also in einer vergleichbaren Lage. Da kein Rechtfertigungsgrund für die Diskriminierung festzustellen ist und Verluste von Tochtergesellschaften mit Geschäftsleitung im Ausland nicht in die Einkommensverrechnung des Organkreises einbezogen werden, ist ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu konstatieren. § 18 KStG müsste folglich dahingehend ausgelegt werden, dass Tochtergesellschaften, die ihren Satzungssitz im Inland haben und im Inland eine
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Vgl. NEUMANN, S., in: GOSCH, Körperschaftsteuergesetz, § 14 KStG Sondervorschriften für die Organschaft, München 2005, Rn. 189. Vgl. BAUSCHATZ, P., Internationale Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, Der Konzern 2003, S. 806. Vgl. RÖDDER, T./SCHUMACHER, A., Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Teil II), DStR 2001, S. 1687; a.A WACHTER, T., Wettbewerb des GmbH-Rechts in Europa, GmbHR 2005, S. 95. Vgl. KAUFER, S., Grenzüberschreitende Organschaft kraft Gemeinschaftsrecht, Frankfurt am Main 2006, S. 139.
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Betriebsstätte betreiben, als Organgesellschaften in Frage kommen, wenn die Betriebsstätte unter ihrer Firma einen Gewinnabführungsvertrag abschließt.41
2.2.3 Tochtergesellschaften im EU-Ausland mit inländischer Betriebsstätte Inländische Betriebsstätten von ausländischen Tochtergesellschaften können unter den momentan geltenden Regelungen nicht in die Einkommensverrechnung des Organkreises einbezogen werden. Da inländische Tochtergesellschaften im Rahmen der Einkommensverrechnung berücksichtigt werden, ist die Gründung einer inländischen Betriebsstätte über eine ausländische Tochtergesellschaft weniger attraktiv. Infolgedessen ist diese Ungleichbehandlung inländischer Betriebsstätten von ausländischen Tochtergesellschaften gegenüber inländischen Betriebsstätten von inländischen Tochtergesellschaften dazu geeignet, den Organträger in seiner Niederlassungsfreiheit zu beeinträchtigen. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit in diskriminierender Art und Weise. Es findet eine ungerechtfertigte Benachteiligung auf Grund der Ansässigkeit in einem anderen Mitgliedstaat statt.42 Für den Konzern entsteht ein finanzieller Nachteil, der nach der Urteilsbegründung in der Rs. Marks & Spencer augenscheinlich ausreicht, um einen Nachteil für das jeweilige Konzernmitglied zu begründen.43 Obwohl die ausländische Tochtergesellschaft nur mit dem Einkommen der inländischen Betriebsstätte in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht unterliegt,44 befindet sich eine im Inland Verlust erwirtschaftende Betriebsstätte trotzdem mit einer inländischen Tochtergesellschaft in einer vergleichbaren steuerlichen Lage; in Bezug auf die Besteuerung von Unternehmen hat der EuGH nämlich entschieden, dass beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige vergleichbar sind.45 Der EuGH stellt im Rahmen seiner Rechtsprechung auf die tatsächliche Vergleichbarkeit der steuerlichen Situation einer inländischen Tochtergesellschaft mit der Situation einer ausländischen Tochtergesellschaft mit inländischer Betriebsstätte ab.46 In seiner Entscheidung in der Rs. AVOIR FISCAL hat der EuGH explizit eine Vergleichbarkeit der Situation von inländischer Betriebsstätte einer ausländischen Tochtergesellschaft und inländischer Betriebsstätte einer inländischen Tochtergesellschaft 41
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Vgl. zu diesem Abschnitt ausführlich KAUFER, S., Grenzüberschreitende Organschaft kraft Gemeinschaftsrecht, Frankfurt am Main 2006, S. 139 ff. Vgl. FROTSCHER, G., Internationales Steuerrecht, 2. Auflage, München 2005, S. 168 f. Vgl. EuGH-Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-446/03, Rn. 32. Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a EStG i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG. Vgl. EuGH-Urteil vom 29.04.1999, Rs. C-311/97, Rn. 29; EuGH-Urteil vom 21.09.1999, Rs. C307/97, Rn. 46 ff. Vgl. EuGH-Urteil vom 21.09.1999, Rs. C-307/97, Rn. 47.
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dargelegt und ausgeführt, dass Mitgliedstaaten, die Betriebsstätten und inländische Gesellschaften im Hinblick auf die Besteuerung von Gewinnen gleich behandeln, die Betriebsstätten nicht von anderweitigen Vorteilen ausschließen und somit benachteiligen dürfen.47 Inländische Betriebsstättengewinne werden vom deutschen Fiskus der gleichen Besteuerungsgrundlage unterstellt wie Gewinne von inländischen Tochtergesellschaften.48 Damit erkennt der deutsche Fiskus die Vergleichbarkeit der beiden Sachverhalte an. Eine Diskriminierung hinsichtlich der inländischen Betriebsstätte einer ausländischen Tochtergesellschaft ist folglich zu bejahen. Inwieweit sich Deutschland auf die im Marks & Spencer-Urteil aufgestellten Rechtfertigungsgründe berufen kann, wird im Folgenden geklärt. In der Diskussion steht, ob der Mitgliedstaat, in dem die ausländische Tochtergesellschaft ansässig ist, oder ob der Sitzstaat der Muttergesellschaft (Inland) die Verluste zur Verrechnung zulassen muss. Stellt man auf die Konkurrenzregel des Marks & Spencer-Urteils ab, hat zunächst derjenige Staat die Verluste zur Verrechnung zuzulassen, dem die Steuerhoheit im Hinblick der Verluste erwirtschaftenden Tätigkeit zukommt.49 Wird im Rahmen eines DBA „zwischen Deutschland und dem Sitzstaat des Stammhauses der Betriebsstätte die alleinige Besteuerungsbefugnis dem Sitzstaat des Mutterunternehmens zugestanden, so sind die Verluste primär in Deutschland zu berücksichtigen.“50 Folglich kann sich Deutschland der Verlustverrechnung auf Ebene der inländischen Muttergesellschaft nicht entziehen. Auch der zwingende Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages, der von ausländischen Unternehmen in der Regel nicht abgeschlossen werden kann, rechtfertigt nicht den Ausschluss der Verlustverrechnung inländischer Betriebsstätten ausländischer Tochtergesellschaften mit der inländischen Muttergesellschaft.51 47 48
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Vgl. EuGH-Urteil vom 28.01.1986, Rs. 270/83, Rn. 20. Der gesamte inländische Gewinn der Betriebsstätte unterliegt genauso der Körperschaftsteuer wie auch der Gewinn einer inländischen Körperschaft. Vgl. WERNSMANN, R./NIPPERT, A., Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Konzern, FR 2006, S. 162. Vgl. WERNSMANN, R./NIPPERT, A., Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Konzern, FR 2006, S. 162. WERNSMANN, R./NIPPERT, A., Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Konzern, FR 2006, S. 162. Nicht geklärt ist, wie die Konkurrenzfrage gelöst werden muss, wenn der Sitzstaat der Muttergesellschaft (EU-Mitgliedstaat) das Betriebsstätteneinkommen gemäß DBA mittels Anwendung der Anrechnungsmethode besteuert. Vgl. zu dieser Problematik und einem möglichen Lösungsweg WERNSMANN, R./NIPPERT, A., Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Konzern, FR 2006, S. 162. Vgl. FROTSCHER, G., Die grenzüberschreitende Organschaft, Der Konzern 2003, S. 100 f.
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Im Ergebnis ist der Ausschluss von Verlusten inländischer Betriebsstätten ausländischer Tochtergesellschaften von der Einkommensermittlung im Organkreis als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu werten. Um nicht gegen Gemeinschaftsrecht zu verstoßen, ist § 18 KStG in der Form auszulegen, dass ausländische Kapitalgesellschaften, die mittels ihrer im Inland tätigen Betriebsstätte einen Gewinnabführungsvertrag abschließen, als Organgesellschaften in den Organkreis aufgenommen werden müssen.
2.3 Rechtmäßigkeit des Gewinnabführungsvertrages Als besonders problematisch im Hinblick auf die deutschen Organschaftsregelungen wird das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages eingestuft.52 Der zwingende Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages könnte als ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet werden.53 Prinzipiell trifft die Tatbestandsvoraussetzung des Gewinnabführungsvertrages jeden und bezieht sich nicht ausschließlich auf eine nationale Ausrichtung.54 Nach herrschender Meinung im Schrifttum ist allerdings der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages mit einer ausländischen Gesellschaft als abhängigem Unternehmen nicht rechtswirksam.55 Unabhängig davon muss für einen grenzüberschreitenden Gewinnabführungsvertrag die einschlägige Rechtsordnung geklärt werden. Würde der Gewinnabführungsvertrag mit einem ausländischen Tochterunternehmen abgeschlossen, müsste demnach das jeweilige ausländische Gesellschaftsrecht der betroffenen Tochtergesellschaften zur Anwendung kommen.56 Ein grenzüberschreitender Gewinnabführungsvertrag dürfte in einem Großteil der Fälle bereits daran scheitern, dass in den meisten Ländern ein dem Vertragskonzern ähnliches Konstrukt gesellschaftsrecht52
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Vgl. hierzu bereits KREBS, H., Die ertragsteuerliche Organschaft, BB 2001, S. 2031; KREBÜHL, H., Reform der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, DB 1995, S. 743; KUßMAUL, H./TCHERVENIACHKI, V., Die Rechtssache Marks & Spencer – Trendwende in der europäischen Rechtsprechung, StuB 2006, S. 191. Durch die Urteilsbegründungen in der Rs. Marks & Spencer und der Rs. SEVIC muss ein Verstoß des Gewinnabführungsvertrages gegen die Niederlassungsfreiheit fast schon als zwingend angesehen werden. § 14 Abs. 1 KStG erfordert einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG. Der abgeschlossene Vertrag muss also mit dem Regelungsgehalt des § 291 Abs. 1 AktG deckungsgleich sein. Vgl. ALTRICHTER-HERZBERG, T./NUERNBERGER, E., Verlustnutzung über die Grenze, GmbHR 2006, S. 466. Vgl. KOPPENSTEINER, H.-G., Vorb. § 291 AktG, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. ZÖLLNER, W./NOACK, U., 3. Auflage, München 2004 Rn. 188; RICHTER, L., Ansätze einer Konzernbesteuerung in Deutschland, Diss., Frankfurt am Main 2003, S. 391.
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lich nicht bekannt ist.57 Zudem kann auch kein ausländischer Fiskus dazu gezwungen werden, einen Gewinnabführungsvertrag anzuerkennen, wenn dieser in dem Gesellschaftsrecht des betroffenen Mitgliedstaates nicht bekannt ist. In den meisten Fällen ist also der Abschluss eines grenzüberschreitenden Gewinnabführungsvertrages für ausländische Tochtergesellschaften nicht möglich. Der überwiegende Teil des Schrifttums vertritt die Meinung, dass das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages – vor dem Hintergrund der Entscheidung in der Rs. Marks & Spencer – eine versteckte Diskriminierung darstellt.58 Diese versteckte Diskriminierung kann daraus folgen, „dass ein rechtlich neutral gefasstes Tatbestandsmerkmal einer nationalen Norm (hier: das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages) im Ergebnis zu einer eindeutigen Benachteiligung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs führt, da dieses Tatbestandsmerkmal für einen Sachverhalt mit Auslandsbezug nicht wirksam erfüllt werden kann.“59 In der Rs. ROYAL BANK OF SCOTLAND wurde vom EuGH entschieden, dass durch bestimmte
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Vgl. BALMES, F./BRÜCK, M./RIBBROCK, M., Der EuGH-Fall Marks & Spencer: Rückschlüsse für die deutsche Organschaftsbesteuerung, BB 2005, S. 969. Vgl. z.B. ALTRICHTER-HERZBERG, T./NUERNBERGER, E., Verlustnutzung über die Grenze, GmbHR 2006, S. 466; BERGEMANN, A./SCHÖNHERR, F./STÄBLEIN, F., Die Rechtsprechung des EuGH im Ertragsteuerrecht – Chancen und Risiken für deutsche Unternehmen, BB 2005, S. 1715; HEY, J., Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer und die Zukunft der deutschen Organschaft, GmbHR 2006, S. 118; SEDEMUND, J./STERNER, I., Welche Folgen hat das Urteil „Marks & Spencer“ für das deutsche internationale Steuerecht?, DStZ 2006, S. 33 f.; Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Fachbereichs Steuern und der EU Competence Group der ERNST & YOUNG AG, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im deutschen Steuerrecht, BB 2005, S. 755. A.A ist THIEL, der ausführt, dass die Organschaft und der group relief nicht vergleichbar seien. THIEL argumentiert, „dass die Organschaft anders als der group relief kein steuerrechtliches Ausgleichsinstrument ist, sondern an den gesellschaftsrechtlichen Gewinnabführungsvertrag geknüpft ist.“ Laut THIEL knüpft die Organschaft an die wirtschaftliche Verlusttragung, und damit an die tatsächliche Leistungsfähigkeit an. „Da das Gesellschaftsrecht keine grenzüberschreitende Gewinnabführung und keine grenzüberschreitende Verlustübernahme erlaubt, befinden sich die ausländischen EU-Tochtergesellschaften und die inländische Organgesellschaft nicht in einer vergleichbaren Lage.“ THIEL, J., Der fortschreitende Einfluss des EuGH auf die Ertragsbesteuerung der Unternehmen – Aktuelle Urteile und anhängige Verfahren, DB 2004, S. 2605. U.E: ist die Ansicht von RAUPACH/POHL plausibler, dass der Gewinnabführungsvertrag nicht als Differenzierungskriterium benutzt werden kann, wenn nach ausländischem Recht ein solcher nicht abgeschlossen werden kann. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass nichts Unmögliches von einem Steuerpflichtigen verlangt werden kann. Vgl. RAUPACH, A./POHL, D., Die Rechtssache Marks & Spencer, NZG 2005, S. 492. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Fachbereichs Steuern und der EU Competence Group der ERNST & YOUNG AG, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im deutschen Steuerrecht, BB 2005, S. 755.
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Marktzulassungsvoraussetzungen, die von ausländischen Gesellschaften nicht erfüllt werden können, ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht begründet werden kann.60 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass durch den Gewinnabführungsvertrag ausländische Tochtergesellschaften von dem Rechtsinstitut der Organschaft ausgeschlossen werden, da diese regelmäßig nicht in der Lage sind, einen wirksamen Gewinnabführungsvertrag abzuschließen. Folglich bedingt dies eine Ungleichbehandlung ausländischer Tochtergesellschaften. Da der Gewinnabführungsvertrag der steuerlichen Leistungsfähigkeit des gesamten Konzernverbundes dienen soll, ist es nicht von Bedeutung, ob es sich um inländische oder ausländische Tochtergesellschaften handelt. Die unmittelbare Folge dieser Ungleichbehandlung kann der Verzicht der inländischen Muttergesellschaft sein, in eine ausländische Gesellschaft zu investieren, da mit einer ausländischen Tochtergesellschaft keine Organschaft begründet werden kann.61 Zudem wird durch die auftretenden Rechtsfolgen des Gewinnabführungsvertrages zusätzlich eine diskriminierende Wirkung begründet.62 Inländische Tochtergesellschaften können mittels Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages die Pauschalbesteuerung bei Gewinnausschüttungen gemäß § 8b Abs. 5 KStG vermeiden. Ausländische Tochtergesellschaften sind von diesem Vorteil ausgeschlossen, weshalb auch eine spezifische Benachteiligung des grenzüberschreitenden Vorgangs festzustellen ist.63 Ein weiteres Hindernis im Hinblick auf die Organschaft zeigt sich in der Forderung nach der „tatsächlichen Durchführung“ des Gewinnabführungsvertrages. In vielen EU-Mitgliedstaaten stehen gesellschaftsrechtliche Regelungen, wie z.B. eine Ausschüttungssperre, der „tatsächlichen Durchführung“ des Gewinnabführungsvertrages entgegen.64 Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Niederlassungsfreiheit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages beschränkt wird.
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Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Fachbereichs Steuern und der EU Competence Group der ERNST & YOUNG AG, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im deutschen Steuerrecht, BB 2005, S. 755.; EuGH-Urteil vom 29.04.1999, Rs. C-311/97, Rn. 23 ff. Vgl. BALMES, F./BRÜCK, M./RIBBROCK, M., Der EuGH-Fall Marks & Spencer: Rückschlüsse für die deutsche Organschaftsbesteuerung, BB 2005, S. 969. Vgl. KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 98. Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., EuGH-Urteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, S. 9. Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., Finnische Gruppenbesteuerung vor dem EuGH – Mögliche Folgen für die Organschaft, DB 2005, S. 2379.
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Folgt man der Urteilsbegründung in der Rs. Marks & Spencer, könnte jedoch der Ausschluss ausländischer Tochtergesellschaften vom Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages durch den Rechtfertigungsgrund der Vermeidung der doppelten Verlustnutzung gerechtfertigt sein.65 Laut EuGH dürfen Mitgliedstaaten Regelungen treffen, die eine doppelte Verlustnutzung verhindern.66 Genau diese doppelte Verlustnutzung wird durch den Gewinnabführungsvertrag vermieden.67 Somit könnte der Gewinnabführungsvertrag als gerechtfertigtes Tatbestandsmerkmal der Organschaft angesehen werden. Eine bloße Gefahr der doppelten Verlustnutzung (auf Grund einer Verlustvortragsmöglichkeit) ist nicht ausreichend, um die beschränkende Wirkung, die von einem Gewinnabführungsvertrag ausgeht, zu legitimieren.68 Es muss auf die tatsächliche Verlustnutzung bei der ausländischen Tochtergesellschaft und somit den Verbrauch des Verlustvortrages abgestellt werden.69 Folglich ist die Beschränkung durch den Gewinnabführungsvertrag zumindest dann als unverhältnismäßig einzustufen, wenn ausländische Tochtergesellschaften diesen nicht abschließen können, obwohl eine Verlustberücksichtigung im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft nicht mehr möglich ist.70 Darüber hinaus wird in Teilen des Schrifttums die Ansicht vertreten, dass die fehlende zivilrechtliche Anerkennung des Gewinnabführungsvertrags keine Rolle spielen darf.71 Solange der gesellschaftsrechtlich unwirksame Gewinnabführungsvertrag „gelebt“, also tatsächlich ein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen und zu den Bedingungen des Inlandsfalls durchgeführt wird, dürfte das Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages gemeinschaftsrechtlich nicht konform sein.72 Die mangelnde Har-
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Vgl. KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 100. A.A HERZIG/WAGNER, für die kein Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf diese Beschränkung gegeben ist. Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., EuGH-Urteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, S. 9. Vgl. EuGH-Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-446/03, Rn. 47. Vgl. KLARMANN, S., Körperschaftsteuerliche Organschaft, Bonn 2006, S. 100. Vgl. RAUPACH, A./POHL, D., Die Rechtssache Marks & Spencer, NZG 2005, S. 492. Vgl. RAUPACH, A./POHL, D., Die Rechtssache Marks & Spencer, NZG 2005, S. 492. Vgl. in diesem Sinne auch ENGLERT, M./PACHE, S., "Das Spiel ist aus!" – Kein positives Signal des EuGH für ein binnenmarktorientiertes Konzernbesteuerungsrecht, IStR 2007, S. 848. Vgl. KLEINERT, J./NAGLER, J., Das EuGH-Verfahren Marks & Spencer – Konsequenzen des Schlussantrags des Generalanwalts, DB 2005, S. 856; KLEINERT, J./NAGLER, J./REHM, H., Gewinnbesteuerung nach „Art des Hauses“ mittels grenzüberschreitender Organschaft, DB 2005, S. 1870 f. Vgl. HEY, J., Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer und die Zukunft der deutschen Organschaft, GmbHR 2006, S. 119; Vgl. hierzu ausführlich KLEINERT, J./NAGLER, J./REHM, H., Gewinnbesteuerung nach „Art des Hauses“ mittels grenzüberschreitender Organschaft, DB 2005, S. 1870 f.
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monisierung der Gesellschaftsrechte sollte der Möglichkeit, die steuerlichen Vorteile der Organschaft zu nutzen, nicht im Wege stehen.73 Betrachtet man den Gesamtkontext der vorstehenden Ausführungen und setzt dies zusätzlich in Beziehung zum Tenor der Marks & Spencer-Entscheidung, muss u.E. konstatiert werden, dass das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages unter den bisherigen Voraussetzungen gegen Gemeinschaftsrecht verstößt und nicht mehr haltbar ist.74
3 Handlungsalternativen des deutschen Gesetzgebers Das gegenwärtige deutsche Organschaftskonzept ist reformbedürftig. Dies ist nicht allein in der (vermutlichen) Europarechtswidrigkeit der Organschaft zu sehen. Im Vergleich zu Gruppenbesteuerungssystemen anderer Staaten hat sie auch an Attraktivität verloren.75 Im Folgenden werden die Möglichkeiten des deutschen Gesetzgebers aufgezeigt, auf diese Tatsache zu reagieren.
3.1 Abschaffung der Organschaft Eine Alternative, der Europarechtswidrigkeit der deutschen Organschaft entgegen zu treten, wäre die Abschaffung derselben.76 Unzweifelhaft wäre damit die Europarechts-
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Vgl. KLEINERT, J./NAGLER, J., Das EuGH-Verfahren Marks & Spencer – Konsequenzen des Schlussantrags des Generalanwalts, DB 2005, S. 857. Vgl. ebenso REICHL, A./WITTKOWSKI, A., Das Urteil im Fall Marks & Spencer: Mögliche Auswirkungen für deutsche Konzerne, StB 2006, S. 52; HERZIG, N./WAGNER, T., EuGH-Urteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, S. 9. Vgl. etwas modifizierter ENGLERT/PACHE, die im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages lediglich davon sprechen, dass ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit indiziert werden kann. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., "Das Spiel ist aus!" – Kein positives Signal des EuGH für ein binnenmarktorientiertes Konzernbesteuerungsrecht, IStR 2007, S. 850. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass einige Mitgliedstaaten bereits grenzüberschreitende Gruppenbesteuerungssysteme eingeführt haben und somit für Unternehmen als Standort interessanter sind. Diese Option sollte nach herrschender Meinung nicht in Betracht gezogen werden. Vgl. DÖRR, I., Abschaffung oder Erweiterung der Organschaft?! Zu den möglichen Konsequenzen der Rechtssache „Marks and Spencer plc“, IStR 2004, S. 270; SCHEUNEMANN, M., Praktische Anforderungen einer grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung im Konzern in Inbound- und Outboundfällen
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konformität hergestellt. Die Beschränkung des Auslandsengagements wäre aufgehoben, da auch für ausschließlich national tätige Konzerne keine Möglichkeit mehr gegeben wäre, eine Organschaft zu begründen. Bereits in der Vergangenheit ist der deutsche Gesetzgeber mit der Verschärfung von günstigen steuerlichen Regelungen im Inland der EuGH-Rechtsprechung begegnet.77 Eine gänzliche Abschaffung der Organschaft scheint sich daher zumindest im Rahmen des Möglichen zu befinden. Im Bericht zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts aus dem Jahre 2001 hat das BMF die Abschaffung der Organschaft mit folgender Begründung abgelehnt: Zum einen entspräche die Ergebniskonsolidierung innerhalb wirtschaftlicher Einheiten den Grundprinzipien des deutschen Steuerrechts, zum anderen biete sie die Grundlage für die Durchbrechung des Subjektprinzips und berücksichtige die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.78 Somit ruft die Abschaffung der Organschaft auch verfassungsrechtliche Bedenken hervor.79 Das „Worst-Case-Szenario“ der Abschaffung der Organschaft dürfte jedoch vom deutschen Gesetzgeber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, da dies zum einen mit dem Ende einer wie auch immer ausgestalteten Konzernbesteuerung in Deutschland verbunden wäre, zum anderen müsste im Kontext standortpolitischer Erwägungen mit heftigem Widerstand gerechnet werden.
3.2 Modifikation der Organschaftsregelungen Die Europarechtskonformität könnte auch mittels Modifikation der bestehenden Organschaftsregelungen hergestellt werden. Um Definitivverluste ausländischer Tochtergesellschaften im Wege der Einkommensermittlung des Organkreises berücksichtigen zu können, müsste sich der deutsche Gesetzgeber in einem ersten Schritt gegen den doppelten Inlandsbezug des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG wenden und zumindest ausländische Tochtergesellschaften mit Geschäftsleitung im Inland als Organgesellschaften zulassen. Möglich wäre es auch, vollkom-
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nach der Entscheidung Marks & Spencer, IStR 2006, S. 311; in diesem Sinne wohl auch REICHL, A./WITTKOWSKI, A., Das Urteil im Fall Marks & Spencer: Mögliche Auswirkungen für deutsche Konzerne, StB 2006, S. 54. Vgl. REICHL, A./WITTKOWSKI, A., Das Urteil im Fall Marks & Spencer: Mögliche Auswirkungen für deutsche Konzerne, StB 2006, S. 54. Vgl. EuGH-Urteil vom 12.12.2002, Rs. C-324/00, betreffend die Gesellschafterfremdfinanzierung (§ 8a KStG). Vgl. Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11/2001, S. 16. Vgl. hierzu ausführlich DÖRR, I., Abschaffung oder Erweiterung der Organschaft?! Zu den möglichen Konsequenzen der Rechtssache „Marks and Spencer plc“, IStR 2004, S. 271.
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men auf den territorialen Anknüpfungspunkt im Inland zu verzichten.80 Allerdings lässt sich durch die Abwendung vom doppelten Inlandsbezug alleine keine grenzüberschreitende Organschaft begründen. Wegen des Erfordernisses des Gewinnabführungsvertrages würde das Organschaftskonzept weiterhin diskriminierend bleiben. Der deutsche Gesetzgeber müsste sich also in einem zweiten Schritt gegen das Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages selbst wenden.81 Sollte eine Abschaffung des Gewinnabführungsvertrages vom deutschen Gesetzgeber in Betracht gezogen werden, wären daran anknüpfend prinzipielle steuersystematische Überlegungen anzustellen.82 Der Gesetzgeber müsste eine Rechtfertigung für die Einkommenszurechnung im Organkreis finden, um das weiterhin gültige Steuersubjektprinzip bzw. Trennungsprinzip zu durchbrechen.83 Gruppenbesteuerungssysteme in anderen Mitgliedstaaten zeigen auf, dass ein Gewinnabführungsvertrag nicht notwendigerweise benötigt wird, um die Durchbrechung der zivilrechtlichen Trennung zu rechtfertigen.84 Laut HOFER reichen die Abschaffung des doppelten Inlandsbezuges für Organgesellschaften und des Gewinnabführungsvertrages für eine grenzüberschreitende Organschaft jedoch nicht aus. Daher merkt er an, dass der deutsche Gesetzgeber den Regelungsgehalt der Organschaft vollständig überarbeiten und neu konzipieren muss.85
3.3 Grundlegende Neukonzeption der Organschaft Sieht man die Neukonzeption der Organschaftsregelungen im Lichte des Marks & Spencer-Urteils, muss zumindest eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung dann geboten sein, wenn die ausländischen Verluste nicht mehr im Sitzstaat der Tochtergesellschaft berücksichtigt werden können. Zudem müssen sämtliche Vorzüge, die in-
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Vgl. HOFER, A., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft, Bremen/Hamburg 2007, S. 94. Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., EuGH-Urteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, S. 9 f. Vgl. HOFER, A., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft, Bremen/Hamburg 2007, S. 94 f. Vgl. HOFER, A., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft, Bremen/Hamburg 2007, S. 95. Vgl. WATRIN, C./SIEVERT, E./STROHM, C., Reform der Konzernbesteuerung in Deutschland und Europa, FR 2004, S. 10 f. Vgl. hierzu Übersicht 12 in SCHMIDT, L., Brennpunkte der Körperschaftsteuer, 7. Steuerliche Berücksichtigung von Auslandsverlusten, WPg-Sonderheft 2006, S. S 66 f. Vgl. HOFER, A., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft, Bremen/Hamburg 2007, S. 96.
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ländischen Tochtergesellschaften innerhalb des Organkreises gewährt werden, auch ausländischen Tochtergesellschaften zuteil werden.86 Der deutsche Gesetzgeber steht also vor der Frage bzw. vielmehr vor der Aufgabe, die Organschaft derart weiterzuentwickeln, dass sie europarechtlichen Ansprüchen gerecht wird. Inwieweit und ob der deutsche Gesetzgeber die Organschaft zu einem umfassenden, modernen und europarechtskonformen System ausweitet, bleibt abzuwarten.87 Nachfolgend werden ausgewählte, in der Literatur diskutierte Lösungsansätze für das Rechtsinstitut der Organschaft dargestellt.
4 Mögliche Lösungsansätze für das Rechtsinstitut der Organschaft Im Hinblick auf eine europarechtskonforme Ausgestaltung der Organschaft wird oftmals in der Literatur die zum 01.01.2005 in Kraft getretene österreichische Gruppenbesteuerung angeführt.88 Dieses Konsolidierungssystem in Verbindung mit einer Nachversteuerung wird im Schrifttum überwiegend als europarechtskonform, mit den Vorgaben des EuGH vereinbar und teilweise auch als über die Mindestvorgaben, die der EuGH aufgestellt hat, hinausgehend eingestuft.89 Das österreichische Gruppenbesteuerungssystem lässt Verluste ausländischer Gruppenmitglieder mittels einer isolierten Verlustberücksichtigung zur Verrechnung auf der Ebene des Gruppenträgers zu.90 Kommt es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Verlustverwertung bzw. einer Verlustverwertungsmöglichkeit im Sitzstaat des Gruppenmitglieds, wird der bereits im Inland berücksichtigte Verlust dem Gruppenträger als Gewinn hinzugerechnet. Es erfolgt also eine Nachversteuerung im Inland, um die doppelte Verlustnutzung zu ver86 87
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Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., Zukunft der Organschaft im EG-Binnenmarkt, DB 2005, S. 7. Über derartige Konzernbesteuerungssysteme, die den europarechtlichen Ansprüchen grundsätzlich genügen, verfügen bereits Dänemark, Frankreich, Italien und Österreich. Vgl. DANELSING, W., Reform der inländischen Organschaftsbesteuerung – Die österreichische Gruppenbesteuerung als ein mögliches Modell, DStR 2005, S. 1342 ff.; GASSNER, W., Europarechtswidrigkeit der Organschaftsbesteuerung, DB 2004, S. 841 ff.; HIRSCHLER, K./SCHINDLER, C.-P., Die österreichische Gruppenbesteuerung als Vorbild für Europa?, IStR 2004, S. 505 ff. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 48. Verluste der ausländischen Gruppenmitglieder werden allerdings nur in Höhe der unmittelbaren Beteiligung des Gruppenträgers an dem jeweiligen Gruppenmitglied berücksichtigt, während Verluste inländischer Gruppenmitglieder unabhängig von der Beteiligungshöhe berücksichtigungsfähig sind. Vgl. KUßMAUL, H./TCHERVENIACHKI, V., Die Rechtssache Marks & Spencer – Trendwende in der europäischen Rechtsprechung, StuB 2006, S. 633. Vgl. ausführlich DJANANI, C/BRÄHLER, G., Internationales Steuerrecht, Wiesbaden 2008, S. 290 f.
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hindern.91 Allerdings existieren auch kritische Stimmen, die anführen, dass es sich um ein nur schwerlich praktikables System handelt,92 welches auch hohe Steuerausfallrisiken birgt, wenn die angestrebte Nachversteuerung misslingt.93 Setzt man voraus, dass der deutsche Gesetzgeber eine möglichst geringe Reduktion der bestehenden Regelungen zur Organschaft favorisiert und nur die vom EuGH aufgestellten Mindesterfordernisse erfüllen will, um den Steuerausfall zu minimieren, ist laut ENGLERT/PACHE ein Gruppenbesteuerungssystem nach dem Vorbild Österreichs nicht zu empfehlen.94 Zudem äußern HERZIG/WAGNER Bedenken dahingehend, dass sich auch die österreichische Gruppenbesteuerung unter bestimmten Voraussetzungen als nicht europarechtskonform darstellt.95 Nach Ansicht der Europäischen Kommission nimmt das dänische Gruppenbesteuerungssystem innerhalb der EU eine Vorreiterrolle ein.96 Mittels des dänischen Systems wird in bestimmten Fällen gewährleistet, dass dänische Muttergesellschaften sowohl ihre Niederlassungen als auch ihre ausländischen Tochtergesellschaften in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbeziehen können. Infolgedessen können Verluste der ausländischen Tochtergesellschaften bei der dänischen Muttergesellschaft steuerlich geltend gemacht werden. Korrespondierend zu Verlusten werden im dänischen System auch Gewinne von ausländischen Tochtergesellschaften erfasst.97 Innerhalb des dänischen Gruppenbesteuerungssystems kommt es somit zu einer diskriminierungsfreien Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Tochtergesellschaften.98 Als eine mögliche Alternative wird im Schrifttum auch angeregt, die ausländische Organgesellschaft wie eine Betriebsstätte des inländischen Organträgers zu behandeln.99 91
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Vgl. DANELSING, W., Reform der inländischen Organschaftsbesteuerung – Die österreichische Gruppenbesteuerung als ein mögliches Modell, DStR 2005, S. 1346. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 48. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 48; HEY, J., Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer und die Zukunft der deutschen Organschaft, GmbHR 2006, S. 119. Vgl. ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 48. Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., EuGH-Urteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, S. 10. Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission vom 24.11.2003, {KOM (2003) 726}, S. 10. Vgl. ausführlich zum dänischen Gruppenbesteuerungssystem BDI (2006), S. 38 ff. Vgl. HERZIG, N./WAGNER, T., EuGH-Urteil „Marks & Spencer“ – Begrenzter Zwang zur Öffnung nationaler Gruppenbesteuerungssysteme für grenzüberschreitende Sachverhalte, DStR 2006, S. 10. Vgl. ausführlich RÖHRBEIN, J./EICKER, K., Verlustberücksichtigung über die Grenze – Aktuelle Rechtslage, BB 2005, S. 478. In diesem Kontext wird auch der bis einschließlich 1998 existente § 2a Abs. 3, 4 EStG a.F. angeführt. Dieser gestattete auf Antrag den Abzug ausländischer Betriebsstättenverluste beim deutschen Stammhaus; dabei erfolgte bei späteren Auslandsgewinnen eine
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Um die Verhältnismäßigkeit der deutschen Organschaft zu wahren, wird als Minimallösung ein Konzernabzug nach dem Vorbild des § 10d EStG genannt. Prinzipiell sollen die bestehenden Vorschriften zur Organschaft beibehalten werden und zusätzlich eine Regelung angefügt werden, die eine Verlustberücksichtigung ausländischer Töchter ermöglicht. Die Verluste von ausländischen Töchtern wären auf Antrag auf Ebene des Organträgers – bei Vorliegen bestimmter materieller Voraussetzungen – steuermindernd zu berücksichtigen.100
5 Abschließende Bemerkungen Nach dem Urteil in der Rs. Marks & Spencer ist klar, dass endgültige Verluste, die im Sitzstaat der Tochtergesellschaft nicht mehr verrechnet werden können, bei der britischen Muttergesellschaft zu berücksichtigen sind. Insofern öffnet der EuGH die Tür für eine grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung. Gleichzeitig lässt er jedoch den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offen, die Rechtsvereinheitlichung auf steuerlichem Gebiet aus eigener Kraft weiter voranzubringen. Überträgt man dies auf die deutsche Organschaft, so muss sich diese auch begrenzt für Auslandsverluste öffnen. Gegenwärtig dürfte der deutsche Gesetzgeber sich in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH befinden, wenn er die Organschaft derart modifiziert, dass sie den im Marks & Spencer-Urteil aufgestellten Mindestanforderungen einer grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung gerecht wird.101 Ob diese Vorgehensweise unter dem Blickwinkel des von der EU verfolgten Zieles eines europäischen Binnenmarktes und einer
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Nachversteuerung auf Ebene des deutschen Stammhauses. Vgl. BALMES, F./BRÜCK, M./RIBBROCK, M., Der EuGH-Fall Marks & Spencer: Rückschlüsse für die deutsche Organschaftsbesteuerung, BB 2005, S. 970. Vgl. zu diesem Abschnitt ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 50 f. Diese stellen auch einen weiterentwickelten Konzernabzug basierend auf der „per-coutrty-limitation“ dar. In einem ersten Schritt überprüft die „per-country-limitation“, ob die ausländische Tochter überhaupt noch die Möglichkeit hatte, die Verluste in ihrem Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigen; in einem zweiten Schritt soll der ökonomische Nutzen des Verlustes im Ansässigkeitsstaat der Tochter berechnet werden, wobei nur dieser ökonomische Wert des Verlustes im Rahmen des Konzernabzugs zur deutschen Muttergesellschaft transferiert werden darf. Vgl. ausführlich hierzu und damit verbundenen Folgewirkungen ENGLERT, M./PACHE, S., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung deutscher Konzernspitzen – Ist die Organschaft noch zu retten?, IStR 2007, S. 51 ff. Vgl. zu einer ausführlichen Ausarbeitung einer neuen deutsche Gruppenbesteuerung z.B. HOFER, A., Grenzüberschreitende Verlustverrechnung bei der Organschaft, Bremen/Hamburg 2007, S. 114 ff.; KAUFER, S., Grenzüberschreitende Organschaft kraft Gemeinschaftsrecht, Frankfurt am Main 2006, S. 257 ff. Zusätzlich untermauert, wenn nicht sogar als definitiv anzusehen, wird diese Ansicht durch die Entscheidung in der Rs. Oy AA.
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immer rasanteren Internationalisierung der Konzernunternehmungen ausreichend ist, bleibt allerdings fraglich. Vielmehr sollte durch eine grundlegende Überarbeitung der gegenwärtigen Organschaftsregelungen die Organschaft zu einem modernen und über die momentanen Mindestanforderungen des EuGH hinausgehenden Gruppenbesteuerungssystem weiterentwickelt werden. Gerade auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Wettbewerbs der Mitgliedstaaten um die Unternehmen sollte ein modernes Gruppenbesteuerungssystem angestrebt werden, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht gegenüber anderen Mitgliedstaaten ins Hintertreffen gerät. Mit Spannung wird also weiterzuverfolgen sein, ob der deutsche Gesetzgeber von sich aus eine Neukonzeption der Organschaft zu einem modernen und europarechtskonformen Gruppenbesteuerungssystem anstrebt oder sich auf das Risiko eines Entscheidungsverfahrens zur deutschen Organschaft vor dem EuGH einlässt. Gerade bei der Betrachtung der näheren Vergangenheit und des Urteilsspruchs des EuGH in der Rs. MEILICKE102 dürfte der deutsche Gesetzgeber die negativen Folgen eines passiven Verhaltens – also eines reinen Reagierens anstatt eines Agierens – erkannt haben und entsprechend reagieren.
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Vgl. EuGH-Urteil vom 06.03.2007, Rs. C-292/04. Um die zeitliche Wirkung von EuGH-Urteilen einzuschränken und somit die finanziellen Auswirkungen auf die nationalen Haushalte zu verringern, hat der deutsche Gesetzgeber in einer Pressemitteilung vom 24.05.2007 ausgeführt, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass der EuGH bei seinen Urteilen zur Steuergesetzgebung Übergangsfristen für die nationalen Gesetzgeber einräumt und eine zeitliche Begrenzung von Urteilswirkungen beantragt. Vgl. Deutscher Bundestag, Pressemitteilung vom 24.05.2007.
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Ökonomische und juristische Anmerkungen zu Johann Peter Hebels „Merkwürdiges Rechnungsexempel aus der Regula Societatis“
Franz Jürgen Marx und Erika Simon
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Einleitung .......................................................................................................... 206
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Merkwürdiges Rechnungsexempel aus der Regula Societatis..................... 209
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Erste Annäherung und ökonomische Analyse............................................... 210
4
Die juristische Interpretation.......................................................................... 216
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Zusammenfassung............................................................................................ 223
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Franz Jürgen Marx, Erika Simon
1 Einleitung In ihrem wissenschaftlichen Wirken hat sich Christiana Djanani mit einem breiten Spektrum von Fragestellungen der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre und des Steuerrechts beschäftigt. Im Mittelpunkt ihrer Analysen stehen die Wirkungen der Besteuerung auf Organisations-, Investitions-, Finanzierungs- und Standortentscheidungen.1 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen der Besteuerung führt nicht nur zu einer intensiven Analyse ökonomischer Fragestellungen, sondern ebenso zur Bearbeitung von steuerrechtswissenschaftlichen Problemfeldern, insbesondere im internationalen Steuerrecht.2 In Forschung und Lehre versteht es Christiana Djanani stets, Ökonomie und Recht nutzbringend miteinander zu verknüpfen. Fallorientiertes Arbeiten ist ihr dabei nicht fremd, wie die hochwertigen und in mehreren Auflagen erschienenen Lehrbücher zeigen.3 Die hohe Komplexität und Änderungsgeschwindigkeit des Steuerrechts führen im Allgemeinen zu einer verstärkten Auseinandersetzung der Steuerwissenschaft mit aktuellen Problembereichen. Der Forscher wird – nach unserer Wahrnehmung noch stärker als in anderen Teildisziplinen – auf aktuelle und zukunftsbezogene Fragestellungen gelenkt und vernachlässigt vielfach die Aufarbeitung von Vorgängen der Vergangenheit. Recht, Ökonomie und Belletristik werden leider viel zu selten miteinander verknüpft.4 Die Festschrift gibt nun Anlass dazu, ökonomische und rechtswissenschaftliche Überlegungen bei der Analyse einer Kalendergeschichte Johann Peter Hebels miteinander zu verbinden. Ein erster Versuch, die Übertragung von Johann Peter Hebels „Handschuhhändler“ auf steuerrechtliche Sachverhaltsgestaltungen mittels (zivilrechtlicher) Vermögenssonderungen liegt schon einige Zeit zurück.5 Damals wurde gezeigt,
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Vgl. nur Djanani, C., Computergestützte Modelle zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Auslandsinvestitionen, JfB 1992, S. 203 – 215; Djanani, C./Hartmann, T., Klassische Arbeitsgemeinschaften mit virtuellen Unternehmen im internationalen Steuerrecht, in: Grotherr, K., Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2. Auflage, Herne 2003, S. 1351 – 1366; Danani, C./Pummerer, C., Auswirkungen der Verrechnungsbeschränkungen des Verlustvortrags auf die Risikoverteilung zwischen Steuerpflichtigem und Fiskus, StuW 2004, S. 158 – 166. Vgl. statt vieler Djanani, C./Brähler, G., Internationale Steuerplanung durch Ausnutzung von Qualifikationskonflikten, StuW 2007, S. 53 – 63. Vgl. Djanani, C./Brähler, G., Umwandlungssteuerrecht, 2. Auflage, Wiesbaden 2005; dies., Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, Wiesbaden 2008; Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Ertragsteuern, 3. Auflage, Frankfurt am Main 2008. Vgl. aber Schefold, B. (Hrsg.): Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie XI, Die Darstellung der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaft in der Belletristik, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Berlin 1992. Vgl. Marx, F. J., Johann Peter Hebel und das Steuerrecht, DStR 1988, S. 499 – 501.
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wie Vermögenstrennungen und -teilungen durchgeführt werden, um Steuerersparnisse zu erzielen.6 Im Folgenden wird eines der Rechnungsexempel analysiert, die im Kalender „Der rheinische Hausfreund“ und später im „Rheinländischen Hausfreund“ neben den konventionellen Kalendergeschichten immer wieder mit aufklärerischer Intention eingesetzt wurden.7 Sechs solcher Geschichten sind uns heute bekannt.8 Es sind Textaufgaben einer weit verbreiteten Art, die sich in variabler Einkleidung meist bis zu den alten Ägyptern, Griechen, Römern und Arabern zurückverfolgen lassen und in einer unüberschaubaren Zahl von Aufgabensammlungen über die Jahrhunderte hinweg überliefert worden sind.9 Die Aufgaben hat Hebel aus vorhandenen Rechenbüchern entnommen und neu eingekleidet.10 Das eigentliche Rechenproblem ist dabei nicht sehr komplex, originell ist jedoch die Vertextung, mit der Johann Peter Hebel den Witz des Lesers auf die Probe stellt, und zwar nicht nur seinen logischen Scharfsinn, sondern zugleich seine lebenspraktische Klugheit.11
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Vgl. auch Marx, F. J., Steuervermeidung mittels zivilrechtlicher Vermögenssonderungen, Heidelberg 1990, passim. Für die von 1808 bis 1815 erschienenen Jahrgänge des Kalenders, der inzwischen als „Rheinländischer Hausfreund“ erschien, war Hebel als Herausgeber allein verantwortlich. 1819 lieferte er nochmals Beiträge dazu. Es gelang ihm, die Auflage des Kalenders von zunächst nur einigen Tausend Exemplaren auf 50.000 zu steigern. Der Erlös aus dem Kalender kam dem Karlsruher Gymnasium illustre zugute; vgl. Härtl, H., Die Kalendergeschichten Hebels, in: Kawa, R. (Hrsg.), Interpretationen zu Johann Peter Hebel, Stuttgart 1981, S. 160. Vgl. hierzu vier Interpretationen von Oettinger, K., Vom „Rechnungsexempel“ zum Exempel der Gerechtigkeit, in: ders., (Hrsg.), Ulm ist überall, Konstanz 1990, S. 61 – 69. Vgl. Oettinger, K., Der Deutschunterricht 1978, S. 29. So auch aus dem Rechenbuch seines Vaters, Johann Jacob Hebel, das 1743 begonnen wurde und zahlreiche Rechenexempel einschließlich Wurzel- und Zinseszinsrechnungen enthält; vgl. Badische Landesbibliothek Karlsruhe (Hrsg.), Ausstellungskatalog, Johann Peter Hebel. Eine Wiederbegegnung zu seinem 225. Geburtstag, Karlsruhe 1985, S. 224. Vgl. ebenda, S. 29.
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Abbildung 1: Titelblatt des Kalenders: „Der Rheinländische Hausfreund oder Neuer Kalender auf das Schaltjahr 1808 mit lehrreichen Nachrichten und lustigen Erzählungen, Karlsruhe, im Verlag des Großherzogl. Lyceums.“ Die Titelvignette (der Hausfreund unter dem Volk) wurde wohl von Hebel selbst entworfen.
Hebels damaliger Leserkreis war keine gebildete geistige Elite; es waren vielmehr Bauern und Kleinbürger, die nach der Arbeit des Tages den Kalender zur Hand nahmen, um sich zu entspannen und sich zu unterhalten. Viele der Kalendergeschichten finden sich in Schulbüchern, die Rechnungsexempel auch in den Rätselecken mancher
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Zeitschriften. Beliebt ist heute nach wie vor das 1811 erstmals erschienene „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds“. Unser Verständnis von Johann Peter Hebel, dem Theologen, Dichter und Weltweisen, hat darunter gelitten – trotz vielfacher Anerkennung in der literarischen Welt12 wirkt nach wie vor das biedermeierisch-idyllische und moralisierende Bild Hebels, dessen Geschichten dem intellektuellen Leser zu wenig bieten.13 Viele der Geschichten gelten zu Unrecht auch heute noch als anspruchslose Kinderlektüre, bei der ernstere Konflikte nicht ausgetragen werden und es immer nur um das Vordergründige geht: Schelm contra Obrigkeit, List gegen List. Bei den Rechnungsexempeln steht zwar das Knobeln im Vordergrund, nicht jedoch die mathematische Ableitung, sondern das Erraten oder versuchsweise Annähern an die rechnerische Lösung. Von besonderem Interesse ist aber zum einen das dahinter stehende Konstruktionsprinzip, zum anderen die Vermittlung von Erkenntnissen, die weit über die Geschichten hinausgehen. Mit dem Schluss ist die Geschichte jeweils noch nicht zu Ende. Hebel will stets die kombinierende und spekulierende Phantasie anregen. Die gleiche Absicht verfolgen die Verfasser des Beitrags mit Blick auf die Jubilarin und die geneigten Leser dieser Festschrift.
2 Merkwürdiges Rechnungsexempel aus der Regula Societatis „Zwei Schäfer auf dem Felde wollten miteinander ihr Abendessen verzehren; der eine hatte fünf kleine Ziegenkäse, der andere drei. Kommt zu ihnen ein dritter Mann von der Straße herüber: „Lasst mich mithalten für Geld und gute Worte!“ Also aßen sie selbdritt fünf und drei, sind acht Käslein, jeder gleichviel. Hierauf dankt ihnen der dritte Mann und schenkt ihnen acht Dublonen. Der eine wollte nach der Anzahl seiner Käse fünf davon behalten und dem andern geben drei. Der andere sagte: „So? Der Herr hat uns das Geld miteinander geschenkt, also gehören jedem vier. Was deine fünf Stücke mehr wert sind, will ich dir herausbezahlen.“ Da sie sich nicht einig werden konnten, brachten sie den Handel vor den Richter. Der geneigte Leser sinnt nach: Welchem von beiden hat der Richter recht gegeben? Antwort: Keinem von beiden, sondern er sagt:
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Unter anderem haben Walter Benjamin, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Elias Canetti und Franz Kafka Hebel rezipiert; vgl. Faber, R., Lebendige Tradition und antizipierte Moderne, Würzburg 2004, S. 9. Vgl. Wittmann, L., Johann Peter Hebels Spiegel der Welt, Frankfurt a. M. u. a. 1969, S. VI., S. 274.
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Franz Jürgen Marx, Erika Simon „Demnach, und wie ihr mir beide die Sache vorgetragen habt, gehören dem ersten sieben Dublonen und dem andern eine, und das von Rechts wegen. Punktum.“ Man meint nicht, dass der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann sich nicht fehlen. Denn wenn man jedes Käslein in drei gleiche Teil zerschneidet, so viel als Personen waren, so gaben dem ersten seine fünf Käslein fünfzehn Stücke, dem andern seine drei gaben neun Stücke, zusammen vierundzwanzig; davon bekam also ein jeder acht. Folglich bekam der dritte Mann von den fünfzehn Stücken des ersten sieben. Denn acht von fünfzehn bleibt sieben. Von den neun Stücken des andern aber bekam er nur noch eins. Sieben und eins tut acht. Also gehörten auch dem ersten sieben Dublonen von Rechts wegen und dem andern nur eine. Der geneigte Leser wird ersucht, hieraus abzunehmen: erstlich wie man manchmal meinen kann, ein Richterspruch sei unrecht, weil man selber nicht weiß, was recht ist; zweitens, wie misslich es sei, einen Prozeß anzufangen, so man auch glaubt, das augenscheinlichste Recht in den Händen zu haben.“14
3 Erste Annäherung und ökonomische Analyse Hebel veröffentlichte das Rechnungsexempel neben vier anderen Geschichten im Kalender des Jahres 1803. Zunächst stolpert der Leser in unserer Zeit über den doch etwas ungewöhnlichen Titel der Kalendergeschichte. Zum einen ist da das merkwürdige Rechnungsexempel. Merkwürdigkeiten gibt es in den Kalendergeschichten Hebels zahlreich, sie machen den Reiz der Kurzprosa aus, der die Aufmerksamkeit des Lesers auf besondere Weise einfordert.15 Die lateinische Formulierung „Regula Societatis“ war da wohl auch für die damaligen Leser begrifflich schwerer zu fassen. Regula Consortii, Regula de Societate, Regula Societatis, Regel der Gesellschaft waren im Spätmittelalter und in der Renaissance die Fachbezeichnungen für einen wichtigen Sektor des kaufmännischen Rechnens, dem in fast allen einschlägigen Büchern ein eigenes Kapitel gewidmet wurde. Als Gesell14
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Entnommen aus Meckel, E., Johann Peter Hebel Werke, Erster Band, Frankfurt a. M. 1982, S. 43 – 44. Beispiele hierfür sind: Eine merkwürdige Abbitte (1808), Merkwürdige Schicksale einer jungen Engländerin (1809), Merkwürdige Gespenstergeschichte (1809) und Merkwürdiges Alter (1819).
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schaftsrechnung bezeichnet, befasst sie sich mit der Verteilung des Gewinns bei unterschiedlichen Geschäftsanteilen von Mitgliedern einer Gesellschaft16. So lässt sich in Zedlers Universallexikon aus dem Jahr 1735 nachlesen, dass die Regula Societatis die Regel ist, „…nach welcher an den gemeinen Gewinn und Verlust unter denjenigen austheilet, welche Miteinander in einer Gesellschaft stehen und auf gleichen Schaden und Gewinn ungleiche Summen Geldes vorgeschossen haben. Es ist Solches nichts anderes als eine wiederholte Regel-Detri vermöge welcher man ausmachet, wieviel einer nach seiner Einlage am Gewinn oder Verluste theilnehme, Massen derjenige doppelt Geld gewinnet oder verliehret, der doppelte Zulage giebet; daß also sich die ganze Zulage von allen Interessenten zu eines jeden Zulage insbesondere verhält wie der ganze Gewinn oder Verlust insbesondere.“ 17 Der Überschrift nach zu urteilen, betrifft die Kalendergeschichte somit die auch für Ökonomie und Steuerrecht sehr relevante Gewinnverteilungsproblematik bei mehrpersonalem Engagement.18 Während andere Rechnungsexempel eine kunstvoll eingekleidete Rechenaufgabe beinhalten, die nicht sofort aufgelöst wird, sondern den Leser, der auf den nächsten Kalender warten muss, mit einer Frage entlässt, kennzeichnet die vorliegende Geschichte, dass Aufgabe und Lösung im gleichen Text vereint sind. Im Vordergrund steht wohl die Intention Hebels, nicht den mathematischen Verstand zu prüfen, sondern das ökonomische und juristische Denkvermögen und das Rechtsempfinden im konkreten Fall. Daher bleiben die handelnden Personen abstrakt, sie werden von Hebel nicht näher skizziert. Die Konstruktion der Geschichte weist viele typische Merkmale von Kalendergeschichten auf: Die reiche Bildsprache und den anekdotischen Charakter des Stoffes. Wir haben den mehrfachen Tempuswechsel und die unvermittelt einsetzende direkte Rede, die die Aufmerksamkeit des Lesers erhöht und die wesentlichen Handlungselemente intensiviert. Im Unterschied zu anderen Geschichten beginnt das Rechenexempel unmittelbar, es fehlt die oftmals vorangestellte allgemeine These. Aber am Ende wendet sich der Erzähler wie so oft unmittelbar an den Leser, um Einfluss zu nehmen und die wichtige Schlussbilanz zu vermitteln.19
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Lechner, J.B., Facillima artis arithmeticae methodus, Das ist: Sehr leichter Unterricht und Lehrart der höchst-nothwendigen und nutzbarsten Rechenkunst, 20. Auflage (!), Liegnitz und Leipzig 1800, S.168. Johann Heinrich Zedlers Großes vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste, Halle und Leipzig 1735, Band X, S. 1270. Zur Gewinnverteilung bei Mitunternehmerschaften vgl. Wacker, R., in Schmidt, L. (Hrsg), EStG, 27. Auflage, München 2008, § 15 Rz. 443, 772 u. 776. Es gibt viele Fragen zum Sachverhalt, die hier nicht beantwortet werden (können), beispielsweise: Warum verzehren die beiden Schäfer Ziegenkäse?
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Die Geldzahlung lenkt unseren Blick auf die in Ökonomie und (Steuer-)Recht des Öfteren von Bedeutung werdenden Fragen der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung im Bereich der Gewinnverteilung. Verrechnungspreisprobleme gelten als die dominierenden Fragen im Bereich der Internationalen Unternehmensbesteuerung.20 Auch nach der Unternehmensteuerreform 2008 haben verdeckte Gewinnausschüttungen ihre große Bedeutung im inländischen Steuerrecht behalten.21 Lassen Sie uns deshalb fragen, was Hebel bewogen hat, eine Geldzahlung von acht Dublonen in die Geschichte einzubauen. Es ist anzunehmen, dass er, 1760 in Basel geboren und von der Kultur des Alemannischen stark geprägt, an Schweizer Dublonen (Duplonen) gedacht hat. Es handelt sich um eine nach dem Vorbild der spanischen Dublone und des französischen Louis d’or geprägte Goldmünze.22 Zur damaligen Zeit herrschte in Zentraleuropa eine heute kaum mehr vorstellbare Unordnung im Münzwesen. Geldmünzen unterschiedlichster Herkunft und Qualität waren in Umlauf. Für Bürger und Kaufleute war der Umgang mit Geld unübersichtlich, mühsam und riskant. Bis zum Jahr 1798 hatten die Schweizer Kantone eigene Prägerechte, das Münzsystem war selbst in diesem räumlich begrenzten Teil sehr heterogen. Erst mit Gründung der Helvetischen Republik am 12.4.1798 entstand ein einheitliches Münzsystem, bei dem 16 Franken als eine Dublone galten. Allerdings ging 1803 das Münzregal wieder an die Kantone zurück. Die Abbildungen zeigen Vorder- und Rückseite einer Berner Goldmünze aus dem Jahr 1819.
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Vgl. Djanani, C., Der Verrechnungspreis im Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlichen und steuer(recht)lichen Anforderungen, in: Kutschker, M. (Hrsg.), Perspektiven der internationalen Wirtschaft, Wiesbaden 1999, S. 243 – 267. Vgl. Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Ertragsteuern, 3. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 252 – 257. Vgl. Kroha, T., Lexikon der Numismatik, Gütersloh 1977, S. 121; Fengler, H./Gierow, G./Unger, W., Lexikon der Numismatik, 3. Auflage, Innsbruck u. a. 1976, S. 96.
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Abbildung 2: Vorder- und Rückseite einer Schweizer Duplone aus dem Jahr 1819
Die Abbildungen zeigen die beiden Seiten einer Duplone. Der Prägeort ist Bern. Avers ist das gekrönte Wappen von Bern mit aufsteigendem Bären belorbeert zu finden. Die Inschrift lautet „RES PUBLICA BERNENSIS“. Revers sieht man einen stehenden Krieger mit Hellebarde in der Rechten und Liktorenbündel in der Linken. Die Inschrift lautet hier „DEUS PROVIDEBIT“ (Gott wird es richten) mit der Jahreszahl 1819 unter der Standlinie. Mit Blick auf die Kalendergeschichte zeigt die Münze das Vergängliche, auch das Doppelseitige und mit der Inschrift der Rückseite die von Hebel eigentlich intendierte Erkenntnis der Begrenztheit irdischer Rechtsverwirklichung. Wenden wir uns dem Inhalt der Geschichte zu, dem Streit der beiden Schäfer um das Geld, der letztlich vor Gericht entschieden wird. Wir erkennen, dass selbst bei diesen
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einfachen Vorgängen der Lebenswirklichkeit die Problematik in der Sachverhaltsermittlung liegt. Die Auseinandersetzung gründet in der Tatsache, dass beide unterschiedliche Beiträge für das gemeinsame Abendessen leisten. Der eine fünf, der andere drei Käslein. Im Konflikt um die vom Dritten überlassenen acht Dublonen vertritt der eine Schäfer einen Investitionsgedanken, er interpretiert das Ganze als wirtschaftlichen Leistungsaustausch. Acht Dublonen sind der Ertrag, der nach dem Ressourceneinsatz – hier also im Verhältnis fünf zu drei – verteilt werden soll. Der andere Schäfer versteht den Vorgang demgegenüber als Schenkung und gelangt deshalb zur Aufteilung der Geldsumme in zwei gleiche Teile. Das ist nahe liegend, denn die Formulierung „Hierauf dankt ihnen der dritte Mann und schenkt ihnen acht Dublonen“ lässt sich durchaus als freigiebige Zuwendung interpretieren, bei der die Bedachten auf Kosten des Zuwendenden bereichert werden.23 Infolge der vorgeschlagenen Aufteilung des ersten Schäfers im Verhältnis von fünf zu drei schlägt der zweite sodann allerdings vor, den Mehrwert des Einsatzes herauszubezahlen. Er will seinem Kumpan den finanziellen Gegenwert für zwei Käslein erstatten, um damit die Ausgangsdifferenz auszugleichen. Damit bestätigt er indirekt dessen Interpretation des Vorgangs als Leistungsaustausch und gibt das zuvor vertretene Schenkungsprinzip kurzerhand auf. Auf diese Kompromisslinie können sich die beiden jedoch nicht verständigen. Es bedarf der Hinzuziehung Dritter. Alternative Formen der Streitbeilegung kommen offenbar nicht in Betracht, so dass der Konflikt vor Gericht entschieden werden muss.24 Der Richter muss entscheiden und geht davon aus, dass die drei Beteiligten jeweils die gleiche Menge an Käslein, nämlich acht Stück verzehrt haben. Der Dritte soll somit sieben Käslein vom ersten und nur ein Stück vom zweiten Schäfer erhalten haben. Auf der Grundlage von Beiträgen und Verbräuchen werden die Dublonen verteilt. Die Entscheidung des Richters ist nicht plausibel, er ist erkennbar auf dem ökonomischen Holzweg.25 Dies gilt vor allem, wenn man den Wert der Dublonen im Vergleich zu den Käslein in Betracht zieht. Acht Dublonen als Kaufpreis für acht Käslein anzusetzen, 23
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Vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Im Unterschied zum Schenkungsbegriff des § 516 Abs. 1 BGB, der das beiderseitige Einverständnis über die Unentgeltlichkeit voraussetzt, bedarf es bei der freigiebigen Zuwendung „nur“ des Willens zur Unentgeltlichkeit auf Seiten des Zuwendenden; vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Auflage, Köln 2008, § 13 Rz. 121. Vgl. Löffler, C., Steuerrechtliche Wertfindung aus Sicht der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, Wiesbaden 2008, S. 34 ff. zur Beteiligung Dritter in Zweiparteienkonflikten. Vgl. Rüthers, B., Richter auf dem ökonomischen Holzweg, FAZ Nr. 60 v. 11.3.1995, S. 13, erläutert die Irrwege des Richterrechts aus der mangelnden Kenntnis ökonomischer Zusammenhänge.
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das wäre selbst bei hoher Qualität des Käses ein Wuchergeschäft.26 Die Sympathien des Lesers sind auf der Seite des zweiten Schäfers, der den Vorgang als Geldschenkung interpretiert und die Aufteilung in zwei gleiche Teile fordert. Immerhin handelt es sich um zwei Angehörige desselben Berufs, die nicht nur mit ihren Tätigkeiten in Kontakt stehen, sondern auch einen Teil ihrer freien Zeit – das Abendessen gehört sicherlich dazu – miteinander verbringen. Im dritten Rechnungsexempel heißt es hierzu: „Wo es angeht, ist es immer besser, gute Freunde halten’s miteinander so, dass die Teile gleich werden.“ Anders als bei den Schelmengeschichten erwartet der Leser hier einen gerechten Urteilsspruch und ist zunächst irritiert ob einer Lösung, die weder dem einen noch dem anderen Schäfer entspricht. Hebel löst das Rätsel im Text selbst auf, wobei die Antwort auch ihn nicht überzeugen kann. Deshalb fordert er die Zustimmung des Lesers gleich mehrfach ein, womit die eigentliche Intention der Geschichte deutlich wird. Es geht Hebel hier um Recht und Gerechtigkeit. Er will den Leser zum Nachdenken über die Relativität der Rechtsnormen zwingen. Ordnung und Recht ist ein Themenkomplex, dem sich Johann Peter Hebel in seinen Geschichten oftmals widmet.27 Es ist davon auszugehen, dass er vom Recht seiner Zeit ebenso wenig nähere Kenntnisse gehabt hat wie von der praktischen Rechtsanwendung.28 Wie in der vorliegenden Kalendergeschichte so warnt Johann Peter Hebel vor dem Eingehen von Rechtsstreitigkeiten. In der Geschichte „Der Prozeß ohne Gesetz“ (1813) heißt es hierzu: „Item. So können Prozesse gewonnen werden. Wohl dem, der keinen zu verlieren hat.“ In der „Reise nach Frankfurt“ (1818) wird deutlich, dass der Prozess des Leinwandwebers gar nicht dessen Prozess ist, sondern ein vom Großvater ererbter Rechtsstreit: „…ohne dies bin ich’s meinem seligen Großvater schuldig. Hat er den Prozeß angefangen, so ist es meine Schuldigkeit, daß ich ihn fortsetze.“ Die Skepsis des konservativ-friedliebenden Hebel gegenüber der juristischen Form des Streits ist unüberhörbar: „Friede nährt, Unfriede zerstört.“29 Für Hebel ist das Recht zeitlos, es ist eine aus sich selbst heraus wirkende, sich selbst verwirklichende Kraft, der gegenüber die Men-
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Vgl. Oettinger, K., Der Deutschunterricht 1978, S. 34. Vgl. § 138 BGB und §§ 40, 41 AO. Vgl. „Irrtum“, „Der kluge Richter“, „Willige Rechtspflege“, „Der Prozeß ohne Gesetz“, „Reise nach Frankfurt“, „Das Advokaten-Testament“ und „Des Adjunkts Standrede über neues Maß und Gewicht“. Vgl. Hirtsiefer, G., Ordnung und Recht bei Johann Peter Hebel, Lörrach 1980, S. 6. Wittmann, L., Johann Peter Hebels Spiegel der Welt, Darmstadt 1969, S. 177.
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schen, die das Recht anwenden, nur als Werkzeuge erscheinen.30 Das zeigt sich in vielen Geschichten um die Themen Recht und Gerechtigkeit und Wahrheit.31 Die Frage nach der Wahrheit ist – so hat Lothar Wittmann formuliert – kein beliebiger literarischer Gegenstand und er hat mit Verweis auf Franz Kafka angefügt, Dichtung selbst sei „immer nur eine Expedition nach der Wahrheit.“32 So ist denn auch in Kannitverstan (1809), einer der schönsten Kalendergeschichten, zu Beginn vermerkt: „Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis.“
4 Die juristische Interpretation 4.1 Vorbemerkungen Wir wollen vorwegnehmen, was jeder Leser schon während der Lektüre des Sachverhalts erahnt und erst recht nach der des Urteilsspruchs weiß: Diese res iudicata ist – auch aus juristischer Sicht – merkwürdig. Wie bereits erwähnt wurde die regula societatis über Jahrhunderte zu den Regeln der Arithmetik gezählt, die sich mit der Auflösung verschiedener im gemeinen Leben vorkommender Aufgaben, also auch der Gesellschaftsrechnung beschäftigt33. Wir könnten uns also beruhigt zurücklehnen und die ganze Sache als Rechenaufgabe betrachten und behandeln. Aber die Aufgabe hat einen juristischen Rahmen. Da ist ein Richter, der einen Urteilsspruch verkündet. Und in diesem Moment wird aus der Rechenaufgabe ein Fall, der auch einer juristischen Überprüfung standhalten muss. Selbst wenn die Mathematik im Vordergrund stehen sollte, so darf ein ordentlicher Jurist doch nicht hintanstehen, die Grundsätze der Jurisprudenz dem gemeinen Volk immer wieder nahe zu bringen, auch auf die Gefahr hin, in Widerspruch zum mathematisch korrekten Ergebnis zu gelangen.
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Vgl. ausführlich Hirtsiefer, G., Ordnung und Recht bei Johann Peter Hebel, Lörrach 1980, S. 7. Vgl. auch die Studien von Stolleis, M., Brotlose Kunst, Stuttgart 2006, S. 5 – 14 zum „Advokaten Testament“ und S. 25 – 38 „Neues Maß und Gewicht“. Wittmann, L., Johann Peter Hebels Spiegel der Welt, Darmstadt 1969, S. 160. Vgl. zum Beispiel Lechner, J. B., Facillima artis arithmeticae methodus, Das ist: Sehr leichter Unterricht und Lehrart der höchst-nothwendigen und nutzbarsten Rechenkunst, 20. Auflage (!), Liegnitz und Leipzig 1800, S.168 f.: „Drey Kaufleute handeln mit einander, hat A 360 fl., B 580 fl., C 660 fl., damit haben sie gewonnen 400 fl.; ist nun die Frage, wie viel jedem von dem Gewinne, vermög seines eingelegten Geldes gebühre?“
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Dabei wollen wir die Sache aus aktueller juristischer Sicht betrachten, wobei uns an dieser Stelle die bestehenden prozessualen Bedenken gegen den Richterspruch nur eine Fußnote wert sein sollen.34 Stattdessen wenden wir uns sogleich der materiellrechtlichen Seite des Falles zu35 und nehmen die Suche nach einer formal richtigen, aber auch materiell gerechten Lösung auf. Da treffen sich also zwei, um gemeinsam ihre mitgebrachten Käslein zu verzehren. Aus rechtlicher Sicht eine unbedeutende Sache, bis, ja bis der Dritte dazu kommt und alles eine rechtlich bedeutsame Wendung nimmt, weil dieser sich in das „Schäferstündchen“ einkauft. Denn mit den Worten „Lasst mich mithalten für Geld und gute Worte!“ wird deutlich, dass man nicht auf der rein gesellschaftlichen Ebene verbleibt, sondern sich mit einem Mal auf der (gesellschafts-)rechtlichen Ebene wiederfindet. Wir werden uns daher mit der Frage beschäftigen, ob überhaupt und wenn ja, wie sich die zwei Schäfer als Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts die acht Dublonen zu teilen haben. Ohne zuviel vorwegzunehmen, sei bereits an dieser Stelle gesagt, dass die Verfasser auch aus juristischer Sicht zu einem anderen Ergebnis als der Richter gelangen und keinen Hehl daraus machen, dass die Lösung des Falles wie das Leben selbst ist: abenteuerlich und voller Unwägbarkeiten. Letztlich mag der Leser selbst entscheiden, ob er dem Richterspruch oder unserer folgen möchte oder sogar eine dritte Lösung parat hat.
4.2 Die Lösung des Falls Die Auffassung des Richters wäre zutreffend, wenn zwischen A (dem ersten Schäfer) und B eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts bestanden hätte und nach Auflösung der Gesellschaft im Rahmen der nachfolgenden Auseinandersetzung die acht Dublonen als Gewinn gem. § 734 BGB in einem Verhältnis von 7:1 zu verteilen gewesen wären.
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Gemäß § 308 I 1 ZPO i. d. F. der Bekanntmachung vom 5.12.2005, BGBl. I S. 3202, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.4.2006, BGBl. I 2006, S. 431, ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was diese nicht beantragt hat: Ne ultra petita (lat. „Gehe nicht über das Begehrte hinaus.“). Der Richter ist also an die Anträge der Parteien gebunden. Das kann zu „ungerechten“ Ergebnissen führen, wenn der Richter ganz genau weiß, dass der Kläger viel mehr verlangen könnte. Da der Schäfer mit den fünf Käsestücken keine Teilung 7:1 beantragt hatte, dürfte der Richter heute kein entsprechendes Urteil treffen. Die Verfasser erlauben sich, den Fall auf der Grundlage aktuell geltender Gesetze zu betrachten.
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a) Dann müsste zunächst zwischen den beiden Schäfern eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) bestanden haben. Eine GbR kommt gemäß § 705 BGB zustande, wenn zwei oder mehrere Personen durch einander entsprechende Willenserklärungen sich gegenseitig verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern. Nun haben sich A und B wohl kaum ausdrücklich über den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages unterhalten, dessen Gegenstand die gemeinsame Bewirtung des C sein sollte. Und ob sie ein Bewusstsein der Gründung einer GbR hatten, dürfte mehr als zweifelhaft sein. Allerdings ist ein solches Bewusstsein auch nicht erforderlich. Im täglichen Leben gibt es viele Gesellschaften, ohne dass dies den Beteiligten bewusst wäre. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass Willenserklärungen – auch solche zum Abschluss eines Gesellschaftsvertrages36 – bekanntermaßen nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent abgegeben werden können. Konkludent wird eine Willenserklärung abgegeben, wenn das Gewollte nicht unmittelbar in einer Erklärung seinen Ausdruck findet, sondern der Erklärende Handlungen vornimmt, die mittelbar einen Schluss auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen zulassen37. Entscheidend ist für den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages, dass sich die beteiligten Personen (die Gesellschafter) im Innenverhältnis zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes verpflichtet haben38, wobei der Zweck der Gesellschaft allerdings in irgendeiner Form auf die Förderung durch vermögenswerte Leistungen gerichtet sein muss39. In Ermangelung einer anderen Vereinbarung haben dabei die Gesellschafter gleiche Beiträge zu leisten (§ 706 I BGB). Im vorliegenden Fall haben die Schäfer ihre Käslein zusammengelegt, um ein gemeinsames Abendessen mit C, der für die Teilnahme an dem Essen zu zahlen bereit war, zu ermöglichen. Mit der Ausrichtung eines Abendessens zur Erzielung eines Gewinns lag also ein Gesellschaftszweck vor. Die Förderung dieses Zweckes erfolgte auch durch 36 37
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Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 67. Auflage, München 2008, § 705, Rz.11. Larenz, K./Wolf, M., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage, München 2004, § 24, Rz. 17; Flume, W., Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I/1, Die Personengesellschaft, München 1977, § 5, 3. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 67. Auflage, München 2008, § 705, Rz. 33 zur Innengesellschaft.
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die Leistung von Beiträgen, die allerdings unterschiedlich hoch ausfielen, wobei die unterschiedliche Beitragshöhe konkludent vereinbart wurde, indem jeder Schäfer das beitrug, was er hatte: A fünf Käslein und B derer drei. Eine GbR war also zwischen den beiden Schäfern zustande gekommen. b) Die Gesellschaft müsste wieder aufgelöst worden sein. Gemäß § 726 BGB löst sich eine Gesellschaft auf und endet, wenn der vereinbarte Zweck erreicht ist. Diese Voraussetzung lässt sich vorliegend ohne Weiteres bejahen. Nachdem das Abendessen mit C seinen Abschluss gefunden und C für sein Mitessen bezahlt hatte, war der Zweck der Gesellschaft zwischen A und B weggefallen. c) Nach der Auflösung einer Gesellschaft findet gemäß § 730 I BGB in Ansehung des Gesellschaftsvermögens die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt. Die acht Dublonen müssten also Teil des Gesellschaftsvermögens gewesen sein. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn das Geld die Gegenleistung im Rahmen eines mit der Gesellschaft geschlossenen Vertrages darstellte. In Betracht kommt hier ein Kaufvertrag über die von C während des Abendessens verzehrten Käsestücke. Bei Vorliegen eines solchen Vertrages wäre C gemäß § 433 II BGB zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises verpflichtet gewesen. Wir müssen also die Frage beantworten, ob die zwei Schäfer mit dem dritten Mann einen Kaufvertrag über den von ihm verzehrten Käse geschlossen haben, eine Frage, die uns in eine Misere der Unbestimmtheit führt. Liegt denn in dem Satz „Lasst mich mithalten für Geld und gute Worte!“ ein Angebot (§ 145 BGB) auf Abschluss eines Kaufvertrages gegenüber den beiden Schäfern, mithin eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die Gegenstand und Inhalt des Vertrages so bestimmt oder zumindest bestimmen lässt, dass die Annahme durch ein einfaches „Ja“ erfolgen kann? Zweifel bezüglich des Kaufgegenstandes, der Vertragsparteien sowie des Kaufpreises lassen sich wegen der wenigen Sachverhaltsangaben nicht immer zur vollsten Zufriedenheit der geneigten Leserschaft beseitigen:
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Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 67. Auflage, München 2008, § 705, Rz. 20.
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Der Kaufgegenstand kann nur in einem Anteil des dritten Mannes an den acht Ziegenkäslein liegen. „Mithalten“ ist ein umgangssprachliches Verb und bedeutet „mitessen, mitmachen“40. Die Worte „Lasst mich mithalten ...“ bedeuten also die Aufforderung an die zwei Schäfer, ihn – den dritten Mann – an dem Abendessen und damit an den vorhandenen Käslein teilhaben zu lassen. Aber eine Bestimmung bezüglich der Größe des Anteils fehlt! Denn aus dem Begriff des „Mithaltens“ lässt sich nicht schließen, dass ein Drittel der vorhandenen Käsemenge geschuldet war. Vielmehr ergaben sich die vom dritten Mann verzehrte Käsemenge und damit die Bestimmung des Kaufgegenstandes endgültig erst nach Abschluss des Abendessens. Ein Blick in das Gesetz verspricht an dieser Stelle Abhilfe. Denn nach § 315 I BGB ist, wenn die Leistung – also im vorliegenden Fall der Kaufgegenstand – durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden soll, im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. Es ist nicht abwegig, die stillschweigende Vereinbarung eines Leistungsbestimmungsrechts darin zu erblicken, dass die zwei Schäfer dem dritten Mann gestatteten mitzuessen, ohne seinen konkreten Anteil festzulegen. Damit liegt das Leistungsbestimmungsrecht bei diesem und seinem Appetit, so dass der Kaufgegenstand zumindest hinreichend bestimmbar war. Die Bestimmung der Person des Vertragspartners mag man auch bejahen, wenn man die Worte des Mannes „Lasst mich mithalten ...“ dahin auslegt, dass er den Schäfern gemeinsam das Angebot unterbreitete, einen Kaufvertrag über den von ihm zu verzehrenden Anteil an Käse zu schließen. Das ist möglich, und gut möglich, gerade dann, wenn man davon ausgeht, dass der dritte Mann weder wusste, wessen Käslein er aß, noch die beiden Schäfer die (früheren41) Eigentumsverhältnisse an diesen offen legten. Wie aber steht es nun um die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Kaufpreises? Die Formulierung „Lasst mich mithalten für Geld und gute Worte!“ macht zwar deutlich, dass der dritte Mann für die Leistung der Schäfer eine Gegenleistung erbringen wollte. Es fehlte allerdings auch hier eine Bestimmung, und zwar bezüglich der Höhe dieser Gegenleistung.
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Im Grimm’schen Wörterbuch ist vermerkt: „verb. Im Verein mit einem andern halten, halten helfen … mitfeiern; theilhaben an einem Spiel. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854 ff., Bd. 12, Sp. 2350. Gemäß § 706 II BGB werden beizutragende verbrauchbare Sachen, zu denen Käse zählt, im Zweifel gemeinschaftliches Eigentum der Gesellschafter.
Ökonomische und juristische Anmerkungen zu Johann Peter Hebel
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Nun kann eine (ergänzende42) Vertragsauslegung ergeben, dass die Festsetzung durch den Schuldner der Gegenleistung erfolgen soll.43 Es ist also möglich, dass C die Gegenleistung bestimmte. Da sich der gegenseitige Vertrag allerdings dadurch auszeichnet, dass die Vertragsparteien den Gegenwert für ihre Leistung in der des anderen suchen und dass sie typischerweise davon ausgehen, dass die Leistung des anderen Teils der eigenen gleichwertig ist,44 fällt es schwer, mit dem einem Juristen eigenen heiligen Ernst acht Dublonen als Äquivalent für acht Stücke Käse zu betrachten. Und vergessen wir nicht: Auch dem B missfiel diese Lösung des Falles. Aus diesem Missfallen heraus resultiert sein – nicht ungeschickter – Versuch, die acht Dublonen als Schenkung des C zu interpretieren und dem A einen Wertausgleich für die Käslein anzubieten, die A mehr zum Essen beigetragen hatte. Sollte also tatsächlich kein Kaufvertrag zustande gekommen sein? Fest steht, dass C vor Beginn der Mahlzeit mit den Worten „Lasst mich mithalten für Geld und gute Worte!“ deutlich gemacht hatte, dass er für seinen Anteil an der Mahlzeit zahlen würde. Es war also klar, dass C eine Gegenleistung für die von ihm verspeisten Käse erbringen würde. Ebenso klar war es, dass diese Gegenleistung kein Äquivalent für einige Stücke Käse darstellten. Es könnte sich angesichts dessen um eine gemischte Schenkung gehandelt haben. Von einer solchen spricht man bei einem einheitlichen Vertrag, bei dem der Wert der Leistung des einen dem Wert der Leistung des anderen nur zu einem Teil entspricht. Diese (notwendige) Voraussetzung ist vorliegend zwar erfüllt, aber sie ist nicht hinreichend, um eine solche Schenkung bejahen zu können. Denn allein ein bloßes Missverhältnis zwischen Zuwendung und Gegenleistung genügt für die Bejahung einer gemischten Schenkung nicht45. Die das bürgerliche Recht beherrschende Privatautonomie zwingt nicht zur Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung. Nur wenn die Vertragsparteien wissen, dass die Leistungen nicht gleichwertig sind und übereinstimmend wollen46, dass der überschießende Wert unentgeltlich gegeben wird47, ist eine (gemischte) Schenkung gewollt.
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BGHZ 41, 276. Dies führt zur Unanwendbarkeit des § 316 BGB, wonach die Bestimmung des Umfangs der für eine Leistung versprochenen Gegenleistung, die nicht bestimmt ist, im Zweifel demjenigen Teil zusteht, welcher die Gegenleistung zu fordern hat. Vgl. BGHZ a.a.O.; Palandt-Heinrichs, § 316 BGB, Rz. 2. RGZ 107, 127; BGHZ 77, 363; BGH NJW 1962, 251; Palandt-Heinrichs, Einf v § 320, e) BGH NJW 1961, 604. BGH NJW 2002, 3165 BGH NJW-RR 1996, 754 m.w.N.
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Franz Jürgen Marx, Erika Simon
Da eine Bestimmung bezüglich der Höhe der Gegenleistung des C erst nach der Mahlzeit durch ihn daselbst erfolgte, ist eine übereinstimmende Willens- und Wissensrichtung der drei Männer, wie sie für eine gemischte Schenkung erforderlich wäre, zu verneinen. C sollte die Gegenleistung für die von ihm verzehrten Käslein bestimmen und hat dies in einer für die heutige Zeit, in der Geiz geil ist, sehr großzügige Art und Weise getan. Es ist also ein Kaufvertrag über die 8/3 Käslein zustande gekommen. d) Nach der Auflösung der Gesellschaft findet in Ansehung des Gesellschaftsvermögens die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt (§ 730 I BGB). Nach § 731 BGB erfolgt diese in Ermangelung einer anderen Vereinbarung in Gemäßheit der §§ 732-735 BGB. Nach § 734 BGB gebührt der Überschuss den Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Anteile am Gewinn. Hierzu bestimmt § 722 I BGB, dass jeder Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Art und die Größe seines Beitrages einen gleichen Anteil am Gewinn und Verlust hat, wenn die Anteile der Gesellschafter am Gewinn und Verlust nicht bestimmt sind. Wir müssen also die Frage beantworten, ob die Anteile der Gesellschafter am Gewinn im Gesellschaftsvertrag bestimmt waren oder nicht. Es ist zu erahnen, dass die Fähigkeit, aus einem Minimum an Sachverhaltsangabe ein Maximum an Bestimmung herauszufiltern, die Verfasser an dieser Stelle allmählich verlässt. Die unterschiedlichen Auffassungen der Schäfer zu einer gerechten Verteilung der Dublonen zeigen aber wohl, dass eine Bestimmung fehlte. Insbesondere hatten die Schäfer an die richterliche Lösung, nach der die Verteilung entsprechend der jeweiligen Einlagenhöhe vorgenommen werden sollte, nie gedacht, was an ihren mangelnden Rechenkünsten oder an ihrem Gerechtigkeitsempfinden gelegen haben mag. Nach Auffassung des BGH48 kann man auch durch eine ergänzende Auslegung zu einer Bestimmung durch Gesellschaftsvertrag gelangen. In dem entschiedenen Fall bejahte das Gericht als Indiz für eine andere gewollte Regelung gravierend ungleiche Einlagen. Wir haben an dieser Stelle keinen Ehrgeiz, das Bedenkliche dieser Auslegung im Einzelnen aufzuführen und belassen es an dieser Stelle jedem, sich nach eigener Façon die Frage zu beantworten, ob ein anderes bestimmt war oder nicht. Nach unserer Auffas48
BGH NJW-RR 1990, 736, 737 (für Ehegatteninnengesellschaft); s. auch BGH NJW 1982, 2816, 2817. So auch Jauernig, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl. 2004, § 722, Rz. 6;
Ökonomische und juristische Anmerkungen zu Johann Peter Hebel
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sung bleibt es bei der Auslegungsregel des § 722 I BGB, so dass die Schäfer im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen berechtigt waren: Fifty : Fifty!
5 Zusammenfassung Die Kalendergeschichte bietet vielfältige Ansätze für Interpretationen und Übertragungen auf das heutige Geschehen. Ökonomische und juristische Interpretation kommen aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln zum Ergebnis, dass Hebel in seiner Regula Societatis ein Fehlurteil schildert. Die Schäfer waren im Bezug auf die acht Dublonen nicht im Verhältnis 7:1, sondern zu gleichen Anteilen berechtigt. Jedem von ihnen gebührten jeweils vier Dublonen. Punktum. Am Ergebnis ist nicht mehr zu rütteln. Es kann aber auch sein, dass wir irren, denn „… die gelehrten Leute wissen auch nicht alles und reiten manchmal auf einem fahlen Pferd.“49 Es bleiben aber grundlegende Erkenntnisse über den Fall hinaus. Sachverhaltslehre und -gestaltung i.S.v. Alternativengenerierung sowie Rechtsauslegung und -anwendung sind wichtige Bereiche in Lehre und Forschung. Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft sind angesichts der immer komplexer werdenden Fragestellungen zur stärkeren Zusammenarbeit aufgerufen.
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Ulmer, P. in: Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. München 2004; § 722, Rz. 2, 6. Hebel, J. P., Die Erde und die Sonne, 1812.
Teil II: Das internationale Steuerrecht und internationale Steuerplanung
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen wegen Funktionsverlagerung ins Ausland?
Dirk Meyer-Scharenberg
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Problemstellung................................................................................................ 226
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Funktionsverlagerungen auf unselbständige Betriebstätten ....................... 228
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Funktionsverlagerung auf nahe stehende Personen im Ausland ................ 236
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Zusammenfassung............................................................................................ 257
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1 Problemstellung Durch die Einführung des § 1 Abs. 3 AStG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass geschäftswertähnliche Gewinnchancen einzelner betrieblicher Funktionen, die noch keinen Teilbetrieb darstellen, ab 2008 besteuert werden sollen, wenn sie auf eine nahe stehende Person im Ausland verlagert werden. Von dieser Änderung wird ein Steuermehraufkommen von 1,8 Mrd. €/Jahr erwartete. Dieser Betrag übersteigt sogar das Aufkommen, dass von der Einführung der Zinsschranke erwartet wird. Es ist daher nachvollziehbar, dass die betroffenen Unternehmen durch die Neuregelung stark verunsichert worden sind und nach Lösungen suchen, wie die Steuerbelastung vermieden werden kann. Während die Zulässigkeit der Entstrickung stiller Reserven bei der Verlagerung materieller und immaterieller Einzelwirtschaftsgüter ins Ausland sowie die korrespondierende Anerkennung von Abschreibungspotential im anderen Staat sowohl im deutschen als auch im internationalen Steuerrecht zumindest seit der Schaffung der gesetzlichen Grundlagen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG) ab 2006 allgemein anerkannt wird, ist die Zulässigkeit der Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen, die durch Funktionsverlagerungen ins Ausland gelangen, noch höchst umstritten. Denn anders als ein (Teil-) Betrieb lassen sich betriebliche Funktionen im Regelfall nicht an fremde Dritte verkaufen. Nach Meinung des Gesetzgebers soll es jedoch offenbar genügen, dass für die geschäftswertähnlichen Gewinnchancen einer Funktion ein Ertragswert existiert, der im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs ermittelt werden kann. Die Zuordnung von Teilen des Gesamtgewinns eines Unternehmens zu einzelnen Abteilungen ist jedoch mehr als problematisch. Dies ist als ein Kernproblem der betriebswirtschaftlichen Investitionsrechnung hinlänglich bekannt.1 Deshalb ist sehr zweifelhaft, ob das Anknüpfen der Besteuerung an einen kaum zuverlässig bestimmbaren Wert überhaupt verfassungsgemäß möglich ist. Verfassungsrechtliche Aspekte soll im Folgenden jedoch nicht weiter vertieft werden. 2 Vielmehr soll der Frage nachgegangen werden, ob das geltende Recht eine Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen bei Funktionsverlagerung ins Ausland
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Vgl. Adam, D., Investitionscontrolling, München 1994 S. 65 ff; Biergans, E., Investitionsrechnung, Nürnberg 1973, S. 80 ff; Kruschwitz, L., 9. Aufl. München 2003 S. 29 ff jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Vgl. dazu Lang, J., Kritik der Unternehmenssteuerreform 2008, in: Festschrift für Wolfram Reiss, Köln 2008 S. 379 (394); Hey, J., Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008, BB 2007 S. 1303 (1307).
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen
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überhaupt erlaubt. Denn es darf nicht übersehen werden, dass § 1 Abs. 3 AStG nur eine Bewertungsnorm ist, die nicht zum Tragen kommt, wenn der § 1 Abs. 1 AStG als Entstrickungstatbestand nicht erfüllt ist. Eine Entstrickung der geschäftswertähnlichen Gewinnchancen einer Funktion hat der BFH3 im sog. Verlegerurteil bereits 1982 abgelehnt. Danach müssen die Gewinnchancen einer Funktion, die keinen Teilbetrieb darstellt, bei einer Verlagerung auf eine ausländische Betriebstätte nicht versteuert werden. Auf der Grundlage dieser Entscheidung ist zumindest ein Gestaltungsweg gegeben, auf dem sich die Entstrickung vermeiden lässt. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob für die Verlagerung auf eine nahe stehende Person im Ausland etwas anderes gelten kann als für die Verlagerung auf eine Betriebstätte. Vertreter der Finanzverwaltung4 und der Wissenschaft5 halten es meist für selbstverständlich, das zumindest der Geschäftswert eines (Teil-)Betriebs entstrickt werden kann und muss, wenn dieser auf eine ausländische Betriebstätte verlagert wird, obwohl der BFH diese Frage noch nie ausdrücklich entschieden und im Urteil aus 1982 ausdrücklich offen gelassen hat. Zur Entscheidung dieser Frage wird der BFH jedoch wohl bald Gelegenheit haben. Denn mit dem Urteil vom 17.1.2008 des FG RheinlandPfalz6 hat ein Finanzgericht - soweit ersichtlich erstmals - über die Entstrickung eines Geschäftswertes wegen einer Betriebsverlagerung ins EU-Ausland entschieden. Das Finanzgericht sah in der Besteuerung des Geschäftswertes einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit und lehnte die Besteuerung ab, ließ aber gleichzeitig die Revision zum BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Da eine Gesamtbetriebsverlagerung letztlich nichts anderes ist als die gleichzeitige Verlagerung sämtlicher Funktionen eines Betriebes, könnten sich aus der zu erwartenden Entscheidung des BFH auch Auswirkungen auf die Verlagerung einzelner Funktionen ergeben. Nachfolgend soll untersucht werden, ob die Ansicht der Finanzverwaltung, die Besteuerung von Geschäftswerten und geschäftswertähnlichen Gewinnchancen bei Funktionsverlagerung ins Ausland sei mit dem geltenden Recht vereinbar, wirklich mit Ge-
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BFH v. 24.11.1982, I R123/78, BStBl 1983 II S. 113. Vgl. Kuckhoff, M./ Schreiber, R., Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung aus Sicht der Betriebsprüfung (Teil I), IStR 1999, S. 321 (326). Vgl. Scheffler, W./ Eickhorst, D., Funktionsverlagerung in das Ausland: Einschränkung der steuerlichen Vorteile durch Auflösung von stillen Reserven?, BB 2004, S. 818. FG Rheinland-Pfalz v. 17.01.2008, 4 K 1347/03, EFG 2008, S. 216 (Rev. BFH I R 28/08).
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setzeslage und Rechtsprechung übereinstimmt. Dazu wird zunächst die Rechtsprechung zur Verlagerung auf eigene Betriebstätten untersucht, bevor die unter § 1 AStG fallenden Verlagerungen auf nahe stehende Personen betrachtet werden, da für beide Fallgestaltungen möglicherweise andere Rechtsfolgen gelten.
2 Funktionsverlagerungen auf unselbständige Betriebstätten 2.1 Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz Der vom FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 17.1.20087 entschiedene Fall betraf einen Handelsvertreter, der zum 31.12.1993 seinen Wohnsitz in Deutschland aufgegeben und nach Luxemburg verlagert hatte. Damit war gleichzeitig auch seine inländische Betriebstätte verlagert worden, was auch unverzüglich beim Finanzamt angezeigt worden war. Sieben Jahre später erging nach einer Außenprüfung, die durch eine ergebnislos verlaufene Steuerfahndungsprüfung unterbrochen worden war, Anfang 2001 ein geänderter Einkommensteuerbescheid für 1993, in dem erstmals ein Betriebsaufgabegewinn angesetzt wurde. Die Besteuerung der stillen Reserven der ins Ausland überführten (beweglichen) Wirtschaftsgüter und der im Inland verbliebenen und ins Privatvermögen überführten (unbeweglichen) Wirtschaftsgüter war unstreitig. Darüber hinaus wurde aber auch ein Geschäftswert in Höhe von 700.000 DM angesetzt. Im Zuzugsstaat konnte sich das korrespondierende Abschreibungspotential aus dem Geschäftswert nicht mehr steuermindernd auswirken, da in der Eröffnungsbilanz zum 1.1.1994 nur die Werte der deutschen Schlussbilanz vom 31.12.1993 fortgeführt worden waren und die Einkommensteuerveranlagungen in Luxemburg nach über sieben Jahren längst bestandskräftig geworden waren. Es kam somit zu einer nicht mehr zu beseitigenden Doppelbesteuerung. Die Bewertung des Geschäftswerts wurde aus zwei Handelsvertreterabfindungen späterer Jahre (1997 und 1998) abgeleitet, also nur grob geschätzt. Eine ordnungsgemäße Ertragswertermittlung auf der Grundlage geschätzter Zukunftserträge und unter Berücksichtigung eines Unternehmerlohnes wurde nicht durchgeführt. Nach Meinung des Steuerpflichtigen hätte auch die Rückläufigkeit seiner Erträge in den Folgejahren - insbesondere nach dem Verlust der zwei Handelsvertretungen in 1997 und 1998 - berücksichtigt werden müssen. Der Kläger sah im Ansatz des Geschäftswertes eine vorgezogene und daher unzulässige Aktivierung seiner erst
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FG Rheinland-Pfalz v. 17.01.2008, 4 K 1347/03, EFG 2008, S. 680.
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen
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später realisierten Ausgleichszahlungen nach § 89b HGB. Hierin liege eine europarechtswidrige Wegzugsbesteuerung. Das Finanzamt berief sich auf die finale Entnahmetheorie des BFH, die man auf Fälle der Betriebsaufgabe übertragen müsse mit der Folge, dass auch ein originärer Geschäftswert der Schlussbesteuerung unterliege. Dagegen hielt es das Finanzgericht nicht für erwiesen, dass bei einer Schlussbesteuerung unter dem Gesichtspunkt der Betriebsaufgabe auch ein Geschäftswert zu erfassen sei, weil dieser auch bei einer echten Betriebsaufgabe nicht versteuert werden müsse. Man hätte noch ergänzen können, dass der Geschäftswert bei einer Gesamtbetriebsverpachtung ebenfalls nicht aufzulösen ist, wenn der Verpächter von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, die Betriebsaufgabe zu erklären.8 Der Geschäftswert bleibt auch nach Aufgabe der betrieblichen Tätigkeit notwendiges Restbetriebsvermögen. Dies zeigt bereits, dass zwischen einem originären Geschäftswert und den stillen Reserven einzelbewertbarer, entnahmefähiger Wirtschaftsgüter ein steuerrechtlich bedeutsamer Unterschied liegt, auf den es bei einer Funktionsverlagerung ins Ausland entscheidend ankommt. Im vorliegenden Fall einer Funktionsverlagerung in ein EU-Mitgliedsland konnte dieser Unterschied nach Meinung des Gerichts unberücksichtigt bleiben. Denn die Versteuerung des Geschäftswertes verstoße bereits gegen die Niederlassungsfreiheit. Diese Ansicht entspreche der h.M. in der Literatur. Aus der Entscheidung des EuGH zur französischen Wegzugsbesteuerung, die zu einer entsprechenden Änderung des § 6 AStG geführt habe, sei außerdem zu folgern, dass jedenfalls eine sofortige Besteuerung nicht in Betracht komme. Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum BFH zugelassen, die inzwischen eingelegt wurde.
2.2 Bisherige Rechtsprechung des BFH Soweit ersichtlich gab es bislang nur zwei vom BFH entschiedene Fälle, die Anlass geboten hätten, die Frage der Versteuerung eines Geschäftswertes wegen Funktionsverlagerung zu erörtern. In beiden Fällen handelte es sich - wie im neuesten Fall - um Wohnsitzverlagerungen, die eine Verlagerung des Besteuerungsrechts für den Betrieb mit sich brachten. Tatsächlich ging es jedoch in beiden Fällen nur um die stillen Re-
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BFH. v. 14.2.1978 VIII R 158/73, BStBl. 1979 II, S. 99.
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serven der einzeln bewertbaren Wirtschaftsgüter, gegen deren Besteuerung sich der Steuerpflichtige erfolglos wandte: x Im sog. Schifffahrtsunternehmerurteil9 ging es um den Wegzug eines Binnenschifffahrtsunternehmers in die Schweiz. Von seinem schweizer Domizil aus leitete er seinen deutschen Betrieb unverändert weiter. Aufgrund einer Besonderheit des DBA Schweiz verlagerte sich jedoch das Besteuerungsrecht auf die Schweiz. Der Bundesfinanzhof bejahte eine Betriebsaufgabe und bestätigte die Versteuerung der stillen Reserven in den Schiffen und im sonstigen Inventar. Die Versteuerung eines Geschäftswerts stand nicht zur Debatte. x Im sog. Erfinderurteil10 hatte ein freiberuflich tätiger Textilchemiker, der einige Erfindungen gemacht und im Wege der Lizenz an inländische Unternehmen vergeben hatte, seinen Wohnsitz nach Italien verlagert. Mit dem Wohnsitz verlagerte sich auch der freiberufliche Betrieb ins Ausland. Der Bundesfinanzhof bestätigte die Ansicht der Finanzverwaltung, dass es zu einer Entstrickung der in den einzelnen Erfindungen ruhenden stillen Reserven komme. Die Besteuerung eines darüber hinausgehenden Geschäftswerts wurde nicht problematisiert. Das Argument des Steuerpflichtigen, er müsse die Lizenzeinnahmen dann doppelt versteuern, nämlich einmal in Deutschland im Rahmen der Entstrickung und zum anderen in Italien durch Versteuerung der Lizenzgebühren wies der Bundesfinanzhof zurück. Nach Ansicht des BFH führe die Entstrickung zwar zu einer gewissen Härte, die jedoch in mehrfacher Hinsicht abgemildert werde, nämlich durch die damals noch unproblematische Gewährung des ermäßigten Steuersatzes auf den Aufgabegewinn und durch die Berücksichtigung des im Patentbesitz gebundenen Risikos bei der Schätzung der gemeinen Werte. Ob es überhaupt zu der vom Steuerpflichtigen behaupteten Doppelversteuerung komme, hänge außerdem davon ab, ob der Zuzugsstaat den korrespondierenden Ansatz der Patente mit dem gemeinen Wert in einer Eröffnungsbilanz zulasse. Wäre dies der Fall, würde die zweifache Besteuerung durch die Abschreibung der Patente verhindert. Bemerkenswert ist, dass der Bundesfinanzhof nur die Versteuerung der in den einzeln bewertbaren Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven, nicht aber den Ansatz eines originären Geschäftswertes gefordert hat. Auch die Finanzverwaltung hatte dies damals offenbar nicht in Erwägung gezogen. Vor dem Hintergrund der augenblicklichen Diskussion über Funktionsverlagerungen ist überraschend, dass sich weder in den 9 10
BFH v. 28.4.1971 I R 55/66, BStBl. 1971 II, S. 630. BFH v. 13.6.1976 I R 261/70, BStBl. 1977 II, S. 76.
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen
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Sachverhaltsdarstellungen noch in den Urteilsbegründungen irgendwelche Ausführungen zu dieser für Funktionsverlagerungen zentralen Frage finden. Nach dem sog. Verlegerurteil des Bundesfinanzhofes11 stellt sich die Frage der Auflösung eines Geschäftswertes - wenn überhaupt - nur bei der Verlagerung eines ganzen Betriebs oder eines Teilbetriebs, nicht jedoch bei Einzelfunktionen. Im Urteilsfall hatte ein Verleger von Druckerzeugnissen seinen Wohnsitz und einen Teil seines Betriebs in die Schweiz verlagert. Die Redaktion verblieb noch im Inland, weshalb nicht der ganze Betrieb verlagert wurde. Da die ins Ausland verlagerten betrieblichen Tätigkeiten die Merkmale eines Teilbetriebes nicht erfüllten, verneinte der BFH die Notwendigkeit der Versteuerung eines Geschäftswertes bzw. von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen. Zu versteuern seien nur die stillen Reserven der Verlagsrechte, die einzeln veräußerbare und bewertbare Wirtschaftsgüter sind. Dies trifft auf den Geschäftswert eines (Teil-) Betriebes bzw. die geschäftswertähnliche Gewinnchance einer Funktion nicht zu. Für beide ist ein Wert - wenn überhaupt - nur durch eine Gesamtbewertung ermittelbar. Die Entscheidung des BFH wird durch die Einführung des § 1 Abs. 3 AStG nicht berührt, wenn es um die Verlagerung vom Stammhaus auf eine Auslandsbetriebstätte geht, solange die Betriebstätte nicht die Rechtsform einer Personengesellschaft hat, da es in diesen Fällen nicht zu der bei § 1 AStG erforderlichen Übertragung auf eine andere (nahe stehende) Person kommt.
2.3 Stellungnahme Aufgrund des klaren Wortlautes greifen die neuen Entstrickungstatbestände nach § 4 EStG und § 12 KStG nur bei der Verlagerung von „Wirtschaftsgütern“. Sonstige Vorteile ohne Wirtschaftsguteigenschaft werden - anders als in § 1 Abs. 3 AStG - nicht erwähnt. Die Wirtschaftsguteigenschaft des Geschäftswertes eines (Teil-)Betriebes bzw. der geschäftswertähnlichen Gewinnchance einer Funktion wird allerdings häufig als gegeben unterstellt und allenfalls unter dem Aspekt der Bewertbarkeit12 problematisiert. So argumentierte die Finanzverwaltung im Verfahren vor dem FG RheinlandPfalz laut Tatbestand wie folgt: „Die Verlagerung des Betriebs ins Ausland führe zur Konkretisierung eines Geschäfts- oder Firmenwertes, bzw. einem besonderen nach § 7 EStG ab11 12
BFH v. 24.11.1982, I R123/78, BStBl 1983 II S. 113. Vgl. z.B. Serg, O., Die Behandlung von Geschäftschancen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DStR 2005, S. 1916.
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Dirk Meyer-Scharenberg setzungsfähigen Wirtschaftsguts, da dieses selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgut zur ausschließlichen Nutzung und Verwertung im Betrieb in Luxemburg bestimmt sei.“
Zutreffend stellt das Finanzamt nicht allein auf die Bewertbarkeit des Geschäftswertes, sondern auf dessen Konkretisierung ab, wobei die Erfüllung dieses Merkmals ohne Überprüfung nur behauptet wird. Offenbar wird die Konkretisierung allein aus der im Streitfall gegebenen Bewertbarkeit abgeleitet. Für die Bejahung der Konkretisierung reicht die Bewertbarkeit jedoch nicht aus. Denn die Konkretisierung ist ein eigenständiges Merkmal des Wirtschaftsgutbegriffes, das nicht nur für schwer bewertbare immaterielle, sondern sogar für materielle Wirtschaftsgüter mit gesichertem Wert gilt. Bei einem Bodenschatz genügt es nicht, dass dieser objektiv vorhanden und das Vorkommen mengenmäßig bestimm- und damit bewertbar ist. 13 Zur Konkretisierung als Wirtschaftsgut ist zusätzlich erforderlich, dass mit dem Abbau des Bodenschatzes begonnen wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Bodenschatz, obwohl objektiv vorhanden und bewertbar, noch kein Wirtschaftsgut. Vom Zeitpunkt der Konkretisierung hängt es ab, ob ein in das Betriebsvermögen eingelegter Bodenschatz mit dem Teilwert angesetzt werden darf, oder nur mit den - meist nicht vorhandenen - historischen Anschaffungskosten. Ist die Dreijahresfrist des § 6 Abs. 5 Nr. 1a EStG ab Konkretisierung noch nicht abgelaufen, kommt der (hohe) Teilwert als Einlagewert nicht in Betracht. Der Große Senat des BFH14 fordert neuerdings den Teilwertansatz ohne Rücksicht auf die Dreijahresfrist, weil er den originären Erwerb durch Konkretisierung nicht als Herstellung versteht, lässt aber gleichwohl keine Abschreibungen zu. Für das Einkommensteuerrecht hat erstmals der IV. Senat des BFH die gedankliche Trennung zwischen dem Vorliegen eines potentiellen materiellen Wirtschaftsgutes und den Voraussetzungen seiner Konkretisierung als Wirtschaftsgut vollzogen. Im Urteil vom 23.6.1977 heißt es:15 „Wenn auch in einem Grundstück ruhende ... Bodenschätze zu den wesentlichen Bestandteilen des Grundstücks gehören (§ 94 BGB), sind sie gleichwohl ertragsteuerrechtlich selbständig bewertungsfähige Wirtschaftsgüter
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14 15
Vgl. Meyer-Scharenberg, D., Einkommensteuerliche Behandlung von Substanzausbeuteverträgen, DStR 1986, S. 422. BFH-Beschluss v. 4.12.2006 GrS 1/05, BStBl II 2007, S. 508. BFH v. 23.6.1977 IV R 17/73, BStBl. 1977 II, S. 825 (826).
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen
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(vgl. insoweit ...), sobald sie zur nachhaltigen gewerblichen Nutzung in den Verkehr gebracht sind ...“ (Herv. d. Verf.) Dass Bodenschätze nicht bereits durch ihr bloßes Vorhandensein als Wirtschaftsgüter anzusehen sind, macht der zweite Halbsatz deutlich. Ein Bodenschatz ist erst dann ein Wirtschaftsgut, „sobald“ er als solches konkretisiert ist. In diesem Sinne äußert sich der VIII. Senat in seinem Urteil vom 14.2.1978.16 Dort steht bereits im Leitsatz: „Ein Kiesvorkommen wird erst dann zu einem Wirtschaftsgut, wenn begründete Vorstellungen über den Umfang und die Abbauwürdigkeit des Bodenschatzes bestehen und mit einem Abbau des Vorkommens zu rechnen ist.“ (Herv. d. Verf.) Ohne Konkretisierung liegt noch kein Wirtschaftsgut vor. Vom „Zeitpunkt der Konkretisierung als Wirtschaftsgut“ spricht der BFH in seiner Entscheidung vom 28.10.1982.17 Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung wird das potentielle Wirtschaftsgut „Bodenschatz“ erst durch den Beginn des Selbstabbaus, die entgeltliche Überlassung an einen Abbauunternehmer oder eine Veräußerung konkretisiert, wobei der Bodenschatz jedoch als solcher Gegenstand der Veräußerung sein muss, d. h. der Wert der Mineralien muss bei der Bemessung des Grundstückskaufpreises berücksichtigt worden sein.18 Diese Rechtsprechung zeigt, dass es selbst bei unschwer bewertbaren materiellen Werten für die Wirtschaftsguteigenschaft weniger auf die Frage ankommt, ob ein Wert gefunden werden kann (Bewertungsfähigkeit i.e. Sinne), sondern vielmehr darauf, ob sich dieser Wert schon dadurch hinreichend konkretisiert hat, dass er in den wirtschaftlichen Verkehr gebracht wurde. Die Anforderungen an die Konkretisierung von originären immateriellen Werten sind noch wesentlich höhere als bei einem Bodenschatz. Geschäftswerte und originäre, geschäftswertähnliche Gewinnchancen werden nur durch einen entgeltlichen derivativen Erwerb konkretisiert. Für eine Konkretisierung reicht es - anders als bei Bodenschätzen - nicht aus, wenn sich ein Geschäftswert aus Pachtzahlungen ableiten lässt. Das hat der Bundesfinanzhof19 wiederholt im Zusam-
16 17 18 19
BFH v. 14.2.1978 VIII R 176/73, BStBl. 1978 II, S. 343. BFH v. 28.10.1982 IV R 73/81, BStBl. 1983 II, S. 106. BFH v. 28.5.1979 I R 66/76, BStBl. 1979 II, S. 624. BFH v. 14.10.1970 I R 94/70, BStBl. 1971 II, S. 28; v. 6.8.1971 III R 9/71, BStBl. 1971 II, S. 677; v. 5.10.1971 VIII R 19/68, BStBl. 1972 II, S. 62; v. 30.3.1976 VIII R 169/72, BStBl. 1976 II, S. 463.
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menhang mit der bis 2007 geltenden Vorschrift zur gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Pachtzahlungen entschieden. Gemäß § 8 Nr. 7 GewStG a.F. unterlag der auf einen Geschäftswert entfallende Teil der Pachtzahlungen nur dann der Hinzurechnungspflicht, wenn dieser als „Wirtschaftsgut“ konkretisiert ist. In den Entscheidungen ging es um die Verpachtung von Apotheken. Aufgrund der Höhe der Pacht war offensichtlich und daher auch unstreitig, dass der überwiegende Teil der vereinbarten Pachtzahlungen nicht für die überlassenen Einrichtungsgegenstände gezahlt wurde, sondern für die hohen Gewinnchancen des Standorts. Da sich der auf den originären Geschäftswert entfallende Teil der Pacht schätzen ließ, meinte die Finanzverwaltung, der Geschäftswert sei durch die Pachtzahlungen als Wirtschaftsgut hinreichend konkretisiert worden und wollte daher auch den auf den Geschäftswert entfallenden Teil der Pacht dem Gewerbeertrag zur Hälfte hinzurechnen. Dagegen verneinte der BFH eine Konkretisierung des Geschäftswertes durch die Pachtzahlungen und versagte die Hinzurechnung. Eine Konkretisierung durch Pachtzahlung komme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Vertragsparteien eine Aufteilung der Pacht auf den Geschäftswert und die übrigen verpachteten Wirtschaftsgüter vorgenommen haben oder andere Umstände eine klare und eindeutige Aufteilung ermöglichen. Bei Vereinbarung einer Umsatzpacht sei diese Voraussetzung von vornherein nicht erfüllt. Auch wenn die vereinbarten Pachtzahlungen im Verhältnis zum Wert der überlassenen Wirtschaftsgüter sehr hoch sind und damit feststeht, dass ein Teil der Pacht auf die Überlassung des Geschäftswertes entfällt, genügt dies noch nicht für eine Konkretisierung.20 Ein originärer Geschäftswert ist mangels Konkretisierung auch nicht entnahmefähig. Erklärt der Verpächter eines Einzelunternehmens die Betriebsaufgabe, unterliegt der Geschäftswert nicht der Besteuerung. Der Geschäftswert bleibt auch nach Aufgabe der betrieblichen Tätigkeit notwendiges Restbetriebsvermögen.21 Im Verfahren vor dem FG Rheinland-Pfalz vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass bereits die bloße Verlagerung des Betriebs ins Ausland für eine Konkretisierung des Geschäftswertes als Wirtschaftsgut genügt. Sowohl die vorstehend dargestellte Rechtsprechung des BFH zur Apothekenverpachtung als auch das Erfinder- und Schifffahrtunternehmerurteil sprechen dafür, dass originäre Geschäftswerte (noch) keine Wirt20 21
BFH v. 10.5.1977 VIII R 254/72, BStBl. 1977 II, S. 667. Vgl. BFH. v. 14.2.1978 VIII R 158/73, BStBl. 1979 II, S. 99.
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schaftsguteigenschaft besitzen. Da die neuen Entstrickungsvorschriften der § 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG aber nur die stillen Reserven von Wirtschaftsgütern erfassen, fehlt eine Rechtsgrundlage für die Besteuerung eines originären Geschäftswertes und geschäftswertähnlicher Gewinnchancen wegen Verlagerung ins Ausland.
2.4 Ergebnis Sowohl die finale Entnahmetheorie des BFH als auch der neue § 4 EStG stellen ausschließlich auf die Verlagerung von „Wirtschaftsgütern“ ins Ausland ab. Nach der bisherigen Rechtsprechung sind originäre Geschäftswerte noch keine Wirtschaftsgüter, sondern werden erst durch einen entgeltlichen derivativen Erwerb als solche konkretisiert. Was für den Geschäftswert eines (Teil-)Betriebes gilt, muss erst Recht für eine bloße Gewinnchance einer Funktion gelten, deren Veräußerbarkeit bereits fraglich ist und deren Bewertbarkeit mit noch größeren Unsicherheiten behaftet ist als die Bewertung des Geschäftswertes eines gesamten Unternehmens. Damit fehlt eine Rechtsgrundlage für die Entstrickung von Geschäftswerten und geschäftswertähnlichen Gewinnchancen wegen einer Funktionsverlagerung auf eine ausländische Betriebsstätte. Denn anders als in § 1 Abs. 3 AStG werden sonstige Vorteile in § 4 EStG nicht erwähnt. Wohl deshalb ist bislang nur der vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschiedene Fall bekannt geworden, in dem ein Finanzamt die Aufdeckung eines Geschäftswertes wegen Betriebsverlagerung ins Ausland erstmals durchsetzen will. Das Finanzgericht hat ein Besteuerungsrecht aus europarechtlichen Gründen verneint. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH der europarechtlichen Argumentationslinie des Finanzgerichts folgen oder auf die fehlende Wirtschaftsguteigenschaft originärer Geschäftswerte abstellen wird. Letzteres wäre wünschenswert, weil die Rechtslage dann auch gegenüber Nicht-EU-Ländern geklärt wäre. Nachdem sich der BFH - soweit ersichtlich noch nie für eine Entstrickung originärer Geschäftswerte ausgesprochen und die Entstrickung geschäftswertähnlicher Gewinnchancen bei einer bloßen Funktion ausdrücklich abgelehnt hat, ist nicht zu erwarten, dass er im Handelsvertreter-Fall die Besteuerung der stillen Reserven bejahen wird. Die Verlagerung von Funktionen auf rechtlich unselbständige Betriebstätten dürfte daher ein Erfolg versprechender Weg sein, um den neuen § 1 Abs. 3 AStG zu vermeiden. Allerdings wird dies mit dem Risiko der vollen Haftung für die Geschäftstätigkeit der Betriebstätte erkauft, da diese nicht die Rechtsform der Personengesellschaft haben darf, wenn der Anwendungsbereich des § 1 AStG vermieden werden soll.
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3 Funktionsverlagerung auf nahe stehende Personen im Ausland 3.1 Grundprobleme des neuen § 1 Abs. 3 AStG Erfolgt eine Funktionsverlagerung nicht auf eine rechtlich unselbständige Betriebstätte, sondern auf eine Tochterkapital- oder Tochterpersonengesellschaft, ist Rechtsgrundlage für die Entstrickung nicht mehr der auf Wirtschaftsgüter beschränkte § 4 Abs. 1 EStG oder § 12 KStG, sondern der alle Arten von Geschäftsbeziehungen erfassende § 1 AStG. Die Vorschrift gilt auch für Mitunternehmerschaften, obwohl ein Mitunternehmeranteil DBA-rechtlich als Betriebstätte gilt. Durch § 1 AStG soll sichergestellt werden, dass jede Geschäftsbeziehung mit dem Ausland zur Realisierung von inländischen Einkünften in der Höhe führt, die bei Vereinbarung fremdüblicher Preise entstehen würden. Würde die Funktionsverlagerung den Tatbestand des § 1 AStG erfüllen, wäre die geschäftswertähnlichen Gewinnchancen unabhängig von deren Wirtschaftsguteigenschaft stets zu versteuern. Die Rechtsfolgen einer Funktionsverlagerung würden also davon abhängen, ob die Funktion auf eine Betriebstätte ohne eigene Rechtsform oder - z.B. aus Haftungsgründen - auf eine Personengesellschaft überführt wird. Bei der Verlagerung auf eine nahe stehende Person kommt verschärfend hinzu, dass ein Besteuerungsaufschub entsprechend § 4g EStG in den Fällen des § 1 AStG nicht vorgesehen ist. Nicht jede Tochtergesellschaft erfüllt allerdings das Tatbestandsmerkmal der nahe stehenden Person. Vielmehr muss der die Funktion verlagernde Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar mit mindestens 25 % (= wesentlich) an der Tochtergesellschaft beteiligt sein. Gründen fünf inländische Unternehmer ein Joint Venture, an dem sie mit jeweils 20 % beteiligt sind, und verlagert jedes dieser Unternehmen eine Funktion auf die neue Tochtergesellschaft, ist der Grundtatbestand des § 1 Abs. 1 AStG somit nicht erfüllt. Die Funktionsverlagerung führt nicht zur Gewinnrealisierung im Inland, was Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Bislang wurde auch in Fällen der Übertragung von Sachgesamtheiten der angemessene Fremdvergleichspreis als Summe der Preise für jedes einzeln bewertbare Wirtschaftsgut bestimmt. Der nur durch eine komplexe Unternehmensbewertung bestimmbare Geschäftswert blieb dabei unberücksichtigt. Deshalb soll die Einzelbewertung nur noch ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn keine „wesentlichen“ immateriellen Werte mitverlagert werden (sog. Escape-Klausel § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG). Durch die neuerdings erforderliche Gesamtbewertung des sog. Transferpaketes gemäß § 1 Abs. 3
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AStG soll die wertmäßige Berücksichtigung von Geschäftswerten bzw. geschäftswertähnlichen Gewinnchancen ab 2008 erstmals sichergestellt werden. Dies stellt eine vollständige Abkehr von dem international nach wie vor üblichen Einzelbewertungsgrundsatz dar, der geschäftswertähnliche Wertpotentiale bislang unberücksichtigt lässt. Zahlreiche Einzelfragen sind noch ungeklärt, z.B. was genau unter einer Funktion22 zu verstehen ist und ob - entgegen dem Wortsinn - von einer Verlagerung auch dann gesprochen werden kann, wenn eine im Inland vorhandene Funktion nicht aufgegeben, sondern im Ausland lediglich eine weitere Funktion gleicher Art neu aufgebaut wird (sog. Funktionsverdoppelung). Da Funktionsverlagerungen häufig zunächst mit einer Verdoppelung beginnen, soll diese nur dann von der Besteuerung ausgenommen werden, wenn die inländische Funktion zumindest über fünf Jahre nicht abgeschmolzen wird oder der steuerpflichtige glaubhaft macht, dass der Funktionsabbau im Inland nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Verdoppelung steht.23 Die Bewertung nach § 1 Abs. 3 AStG erfordert sehr aufwendige und kostenträchtige Wertermittlungen. Es müssen jeweils zwei (gedachte) Grenzpreise für den fiktiven Käufer und Verkäufer nach der Ertragswertmethode oder einer anderen anerkannten Methode ermittelt werden, um den Einigungsbereich zu bestimmen, dessen Mittelwert das Ausmaß der Gewinnrealisierung bestimmt, wenn für keinen anderen Wert eine höhere Wahrscheinlichkeit belegbar ist. Im Ansatz des Mittelwertes liegt eine wesentliche Verschärfung gegenüber reinen Inlandsfällen, in denen der niedrigste Wert der Bandbreite angesetzt werden darf. Der oberste Wert der Bandbreite aus der Sicht des abgebenden Unternehmens kommt gemäß § 162 Abs. 3 AO zum Ansatz, wenn es an einer ordnungsgemäßen Dokumentation der Funktionsverlagerung gemäß § 90 Abs. 3 AO fehlt. In diesem Fall erhöht sich die Steuer noch um einen Strafzuschlag von bis zu 10% der geschätzten Einkünfteerhöhung (§ 162 Abs. 4 AO). Der Gesetzgeber hat einen Anreiz geschaffen, freiwillig einen Preis zu vereinbaren, der innerhalb des Einigungsbereichs liegt. Die Finanzverwaltung kann in diesem Fall nämlich auf die Einkünfteberichtigung verzichten, so dass sich der Mittelwertansatz vermeiden lässt.24 Allerdings handelt es sich nur um eine Kann-Bestimmung. Das
22 23 24
Vgl. dazu Borstell, F., Was ist eigentlich eine Funktion, IStR 8/2008, S. 275. Vgl. Funktionsverlagerungsverordnung, Entwurf v. 14.4.2008, § 1 Abs. 3. § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG (Verzicht auf Einkünfteberichtigung).
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übersehen Strunk/Kaminski25, die die Ansicht vertreten, dass der Mittelwert auch ohne freiwillige Preisvereinbarung nie zum Ansatz kommt, weil es durch die Gewinnkorrektur nach den Regeln der vGA – und wohl auch der verdeckten Einlage – stets zum Ansatz des untersten Wertes der Bandbreite kommt, was für die Anwendung der vom Gesetz zugelassenen Ausnahme vom Mittelwertansatz ausreichend ist. Die Finanzverwaltung wird aber wohl kaum auf eine Gewinnkorrektur verzichten, wenn der Steuerpflichtige sich keinerlei Gedanken über den Einigungsbereich gemacht und keinen Preis vereinbart hat, so dass sich die Gewinnkorrektur erst im Rahmen einer Betriebsprüfung ergibt. Die Finanzverwaltung hat zu einem beliebigen Zeitpunkt während der folgenden 10 Jahr ein mal das Recht, höhere Grenzpreise aufgrund der tatsächlichen Gewinnentwicklung neu zu bestimmen (sog. Anpassungsregelung). Bei voll unentgeltlichen Funktionsverlagerungen kann sich dadurch der Einigungsbereich verschieben und die Gewinnrealisierung auf den (neuen) Mittelwert erhöhen, sofern dieser außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereiches liegt. Zu einer rückwirkenden Gewinnminderung kommt es dagegen nur dann, wenn der neue Höchstpreis den ursprünglichen Mindestpreis unterschreitet.26 Wassermeyer27 bezeichnet diese Anpassungsmöglichkeiten zu Recht als den „Höhepunkt der Willkürlichkeiten“. Die nachträgliche Korrektur kann nur dadurch verhindert werden, dass freiwillig eine „sachgerechte“ Anpassungsklausel vereinbart wird. Unter Kaufleuten würde die Vereinbarung einer Anpassungsklausel allerdings den sofort fälligen Kaufpreis mindern. Während die Gewinnkorrekturvorschrift des § 1 AStG bislang meist durch andere Entstrickungstatbestände („unbeschadet anderer Vorschriften“) verdrängt wurde, soll die Vorschrift nunmehr stets flankierend Anwendung finden, wenn mehrerer Entstrickungstatbestände erfüllt sind (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG): „Führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu weitergehenden Berichtigungen als die anderen Vorschriften, sind die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen.“
25
26 27
Vgl. Strunk, G./ Kaminski, B., Grenzüberschreitende Gewinnberichtigungen: Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform 2008 im Spiegel aktueller Rechtsprechung, Stbg 2008, S. 211. § 10 Funktionsverlagerungsverordnung, Entwurf v. 14.4.2008. Vgl. Wassermeyer, F., Funktionsverlagerung - Statement, FR 2008, S. 67 (68).
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Eine Verdrängung der Bewertungsregeln des § 1 Abs. 3 AStG durch andere Entstrickungsgrundsätze kommt ab 2008 also nicht mehr in Betracht. Auf der anderen Seite kommt die Bewertungsfolge nur dann in Frage, wenn der Grundtatbestand des § 1 Abs. 1 AStG erfüllt ist. Dies wird im Schrifttum stillschweigend angenommen, was deshalb erstaunlich ist, weil die bislang vorliegende Rechtsprechung hinreichend Anlass gibt, hieran zu zweifeln. Wenn aber der Tatbestand des § 1 Abs. 1 AStG nicht erfüllt wäre, würden sich die derzeit in der Literatur diskutierten Bewertungsprobleme nicht stellen. Die kaum erörterte Vorfrage der Verwirklichung des § 1 Abs. 1 AStG könnte sich als das eigentliche Kernproblem der Funktionsverlagerung und die neuartige Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 AStG als Scheinproblem erweisen.
3.2 Erfüllt die Funktionsverlagerung den Tatbestand des § 1 AStG? 3.2.1 Geschäftsbeziehung Die Sonderbewertung nach § 1 Abs. 3 AStG kommt bei einer Funktionsverlagerung nur zum Tragen, wenn alle Merkmale einer Geschäftsbeziehung i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG erfüllt sind: „Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer ihm nahe stehenden Person dadurch gemindert, dass er seiner Einkünfteermittlung andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise), zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz), sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist davon auszugehen, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.“ Die Auslegung des in § 1 Abs. 1 verwendeten Begriffs der „Geschäftsbeziehung“ war von jeher höchst umstritten, zumal es zunächst keine Legaldefinition gab. Diese wurde erst durch Gesetz vom 13.9.199328 in § 1 Abs. 4 AStG ergänzt und zwar mit rückwirkender Anwendung ab dem 1.1.1992. Mit Wirkung ab 2003 wurde die Definition um 28
BStBl 1993 I, S. 774.
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das Merkmal der schuldrechtlichen Beziehung ergänzt und wegen der Einfügung der Regelung zur Funktionsverlagerung ab 2008 inhaltlich unverändert in den § 1 Abs. 5 AStG verschoben: „Geschäftsbeziehung im Sinne der Absätze 1 und 2 ist jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahe stehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder § 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Falle eines ausländischen Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde.“ Ein wesentliches Indiz für die Geschäftsmäßigkeit einer schuldrechlichen Beziehung dürfte deren Entgeltlichkeit sein. Bei (teil)entgeltlichen Leistungsbeziehungen hat der Bundesfinanzhof29 wohl keine Bedenken, über § 1 AStG korrigierend in die Bewertung einzugreifen. Im Urteil vom 19.3.2002 ging es um ein verbilligtes Darlehen an eine Schweizer Enkelgesellschaft, deren Gewinne der Hinzurechnungsbesteuerung unterlagen, weshalb es auf den § 1 AStG möglicherweise nicht ankam. Voll unentgeltlichen Leistungen fehlt dagegen das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit. Das könnte erklären, weshalb nicht ersichtlich ist, dass der Bundesfinanzhof oder ein Finanzgericht eine voll unentgeltlichte Leistungsbeziehung jemals als Geschäftsbeziehung im Sinne des § 1 AStG qualifiziert haben. Insofern könnte es sich als äußerst nachteilig erweisen, wenn die Steuerpflichtigen freiwillig Preise am unteren Rand der Bandbreite vereinbaren, um dadurch den Ansatz des Mittelwertes zu verhindern. In der ersten Entscheidung des BFH30 zum Begriff der Geschäftsbeziehung ging es um eine deutsche KG, die einer amerikanischen Kapitalgesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährte. Die Anerkennung einer Geschäftsbeziehung machte der Bundesfinanzhof damals noch vom Gesellschaftsrecht des Sitzstaates Illinois abhängig. Keine Geschäftsbeziehung liege vor, wenn das Darlehen nach ausländischem Recht als Eigenkapitalersatz anzusehen sei. Die Sache wurde an das Finanzgericht zur Tatsachenfeststellung zurückverwiesen. Eine abschließende Bestimmung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ ließ der Bundesfinanzhof ausdrücklich offen.
29 30
BFH v. 19.3.2002 I R 4/01, BStBl. II 2002, S. 644. BFH v. 30.5.1990 I R 97/88, BStBl. 1990 II, S. 875.
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Das Urteil vom 29.11.200031 betraf eine unentgeltliche Patronatserklärung für eine ausländische Tochtergesellschaft. Der BFH stellt nicht mehr auf das ausländische Gesellschaftsrecht, sondern auf die Unentgeltlichkeit ab. Eine Geschäftsbeziehung liege nicht vor, wenn die begünstigte Gesellschaft mangels ausreichender Eigenkapitalausstattung ohne die Garantiererklärung ihre konzerninterne Funktion nicht erfüllen könne. Im Streitfall war die mit der Kapitalbeschaffung am niederländischen Kapitalmarkt beauftragte Tochterkapitalgesellschaft nicht mit einem für diese Rolle entsprechenden Eigenkapital ausgestattet worden. Die unentgeltliche Garantieerklärung der Muttergesellschaft diente daher der funktionsgerechten Kapitalausstattung der Tochtergesellschaft. Dies schließe die Annahme einer Geschäftsbeziehung und damit die Anwendung des § 1 AStG auf diesen Vorgang aus. Diese Begründung trifft auch auf unentgeltliche Funktionsverlagerungen zu. Durch unentgeltliche Dienstleistungen, Nutzungsvorteile und Know-how-Überlassungen wird die ausländische Tochtergesellschaft erst in die Lage versetzt, ihren Geschäftszweck zu erfüllen. Andernfalls müsste die inländische Muttergesellschaft die ausländische Tochtergesellschaft mit ausreichend Eigenkapital ausstatten, damit diese das Funktions-Know-how von der inländischen Muttergesellschaft entgeltlich erwerben könnte. Der Steuerpflichtige hat jedoch – zumindest im Inland - die Wahl, ob er seine Tochtergesellschaft mit Bareinlagen unterstützt oder durch kostenlose Dienstleistungen und Know-how-Überlassung (Grundsatz der Finanzierungsfreiheit).32 Eine Sonderbehandlung von grenzüberschreitenden Vorgängen wäre EU-rechtlich zumindest problematisch. Die Finanzverwaltung reagierte auf die Garantie-Entscheidung mit einem Nichtanwendungserlass.33 und der Gesetzgeber mit einer Änderung der gesetzlichen Definition der Geschäftsbeziehung. Durch die Einführung des Merkmals der schuldrechtlichen Beziehung ab 2003 wollte der Gesetzgeber34 die Verwaltungsauffassung auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Insbesondere sollten schuldrechtliche Beziehungen des wesentlich beteiligten Gesellschafters ihre Eigenschaft als Geschäftsbeziehung nicht dadurch verlieren, dass sie betriebswirtschaftlich einen eigenkapitalersetzenden Zweck verfolgen. Das angestrebte Ziel wollte der Gesetzgeber durch folgende Formulierung erreichen: 31 32 33 34
BFH v. 29.11.2000 R 85/99, BStBl. 2002 II, S. 720. BFH v. 5.2.1992 I R 127/90, BStBl 1990 II, 532. BMF-Schr. v. 17.10.2002, BStBl. I 2002, S. 1025. Vgl. BT-Drucks. 15/119, S. 97.
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Dirk Meyer-Scharenberg „Geschäftsbeziehung … ist jede … schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung ist und …“
Nach wohl einhelliger Ansicht der Literatur35 verfehlte der Gesetzgeber damit nicht nur die an sich beabsichtigte Verschärfung, sondern erreichte möglicherweise sogar das Gegenteil. Denn durch die Ausklammerung der auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage erbrachten Leistungsbeziehung, wurde die Entscheidung des BFH sogar bekräftigt. Drei neuere Finanzgerichtsurteile bestätigen diese Einschätzung, obwohl sie Streitjahre vor 2003 betreffen: x Das Finanzgericht Münster36 lehnte es im rechtskräftigen Urteil vom 24.08.2006 ab, ein seiner Ansicht nach als unverzinslich einzustufendes Gesellschafterdarlehen gegenüber seiner ausländischen Kapitalgesellschaft als Geschäftsbeziehung im Sinne des § 1 Abs. 4 AStG 1999 anzusehen. Die Leistungsbeziehung habe eigenkapitalersetzenden Charakter. Der Begriff der Geschäftsbeziehung sei nach der Historie und EG-konform dahingehend auszulegen, dass bestimmte Arten der Fremdfinanzierung, die sich dem Eigenkapital nähern, nicht hierunter fallen. Auf die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision hat das Finanzamt verzichtet. Keine Rolle spielte nach Meinung des Gerichts, dass das Darlehen ursprünglich als verzinslich vereinbart worden war und erst nachträglich auf bereits entstandene Zinsansprüche für mehrere Jahre verzichtet wurde. Im Ergebnis wurde damit die nachträgliche Umgestaltung einer entgeltlichen Geschäftsbeziehung in eine unentgeltlich und damit nicht geschäftsmäßig Beziehung anerkannt, was eher zweifelhaft erscheint.37 x In der Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg38 ging es um eine unentgeltliche Garantieerklärung für eine niederländische Finanzierungsgesellschaft, die entsprechend der Entscheidung des BFH vom 29.11.2000 nicht als Geschäftsbeziehung eingestuft wurde. In diesem Fall legte das Finanzamt die zugelassene Revision ein. Der BFH erhält somit Gelegenheit, zur Auslegung des Begriffs der Geschäftsbeziehung erneut Stellung zu nehmen.
35
36 37 38
Vgl. Endres, D./Oestreicher, A., Grenzüberschreitende Ergebnisabgrenzung: Verrechnungspreise, Konzernumlage, Betriebsstättengewinnermittlung - Bestandaufnahme und Neuentwicklungen, IStR 2003, Beihefter 15, S. 5; Günkel, M./Lieber, B., Zur Änderung des Begriffs der „Geschäftsbeziehung“ in § 1 Abs. 4 AStG, DStR 2004, S. 229 (230); Rehm, H./Nagler, J., § 1 AStG vor dem technischen K.o.?, IStR 2008 S. 421 ff. FG Münster v. 24.8.2006, EFG 2007, S. 92. Gl.A. wohl Herlinghaus, A., Urteilsanmerkung, EFG 2007 S. 93 (94). Gerichtsbescheid v. 13.3.2007, EFG 2007, S. 1314, Rev. BFH I R 28/07.
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x Auch das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.2.200839 verneinte das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung für ein unverzinsliches Gesellschafterdarlehen an eine Auslandstochter. Da es in den beiden Revisionsverfahren um Streitjahre vor der Gesetzesänderung geht, könnte der BFH seine frühere Garantieentscheidung bestätigen, indem er sich auf den Standpunkt stellt, dass durch die Änderung der Legaldefinition in 2003 keine lediglich klarstellende Rückwirkung erreicht worden sei. Er könnte somit offen lassen, ob sich wegen des geänderten Wortlauts ab 2003 eine neue Rechtslage ergeben hat, wie die Finanzverwaltung meint. Da der Gesetzgeber den neuen Wortlaut als rückwirkende Klarstellung verstanden wissen will, könnte der BFH aber auch feststellen, dass seine frühere Entscheidung durch den geänderten Wortlaut sogar bekräftigt wurde, selbst wenn dies nicht in der Intention des Gesetzgebers lag. Auch für die Jahre ab 2003 würden unentgeltliche Leistungsbeziehungen dann nicht das Merkmal der Geschäftsbeziehung erfüllen.
3.2.2 Geschäftsbeziehung schuldrechtlicher Art Im Anwendungserlass zum AStG40 schränkt die Finanzverwaltung den umfassenden Begriff der G e s c h ä f t s beziehung auf Geschäftsbeziehungen schuldrechtlicher Art ein und versucht auf diese Weise, den verunglückten Gesetzeswortlaut41 zu heilen: „Eine Geschäftsbeziehung zwischen einem Steuerpflichtigen und einem Nahestehenden ist gegeben, wenn sie auf einer schuldrechtlichen Beziehung beruht. Eine solche Geschäftsbeziehung ist stets nach dem Grundsatz des Fremdverhaltens zu prüfen, unabhängig davon, ob sie durch betriebliche Vorgänge oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist... Das gilt auch dann, wenn die schuldrechtliche Vereinbarung in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wurde.“ Nach dieser engen Definition dürften unentgeltliche Funktionsverlagerungen nur selten unter § 1 AStG fallen. Denn die Verlagerung einer Funktion ist in erster Linie ein tatsächlicher Vorgang, der nicht – jedenfalls nicht zwingend – im Rahmen einer ver-
39 40 41
FG Düsseldorf v. 19.2.2008, 17 K 894/05 E, Rev. BFH I R 26/08. BMF-Schr. v. 14.5.2004, BStBl. 2004 I, Sonder-Nr. 1/2004, Rz. 1.4.2. Vgl. Günkel, M./Lieber, B., Zur Änderung des Begriffs der „Geschäftsbeziehung“ in § 1 Abs. 4 AStG, IStR 2004, S. 229 (231).
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traglichen Beziehung abgewickelt werden muss. Vielmehr bedarf eine unentgeltliche Funktionsverlagerung weder schuldrechtlicher noch gesellschaftsrechtlichen Regelungen. Wird beispielsweise eine ausländische Tochtergesellschaft gegründet und ein Geschäftsführer bestellt, der den Auftrag erhält, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen, die bislang im Inland ausgeübt wurde, bedarf all dies keiner schuldrechtlichen Beziehungen mit dem Mutterunternehmen und auch keiner besonderen Regelungen im Gesellschaftsvertrag, die über die Bezeichnung des Gesellschaftszwecks hinaus gehen. Die Verlagerung der Funktion wird der Geschäftsführer regelmäßig durch Einstellung ortsansässiger Mitarbeiter, den Erwerb der benötigten Betriebs- und Geschäftsausstattung und durch Ausnutzung seines persönlichen Know-hows und das seiner Mitarbeiter erreichen können. Eventuell wird er auch Mitarbeiter des Mutterhauses übernehmen. All dies Bedarf aber keiner schuldrechtlichen Beziehung zum Inland. Schuldrechtlicher Beziehungen zum inländischen Mutterunternehmen bedarf es erst, wenn die ausländische Tochtergesellschaft ihre Tätigkeit aufnimmt und Verträge über zu erbringende Leistungen und deren Vergütung abschließt. Hierin liegen unstreitig Leistungsbeziehungen schuldrechtlicher Art, die den Begriff der Geschäftsbeziehungen erfüllen. Geschäftswertähnliche Gewinnchancen des Transferpaketes werden durch diese Liefer- und Leistungsbeziehungen jedoch nicht entstrickt. Zum einen ist die Funktionsverlagerung nicht Gegenstand dieser Verträge und zum anderen handelt es sich um Inbound-Beziehungen, die nicht unter § 1 AStG fallen42. Nur die (teil-) entgeltliche Funktionsverlagerung bedarf schuldrechtlicher Vereinbarungen, weshalb diese - anders als die voll unentgeltliche - den Tatbestand der Geschäftsbeziehung wohl eher erfüllt.
3.2.3 Geschäftsbeziehung zum Ausland Eine weitere Möglichkeit, der Gewinnkorrektur nach § 1 Abs. 3 AStG zu entgehen, könnte darin liegen, den Auslandsbezug zu vermeiden. Der Bundesfinanzhof43 hat entschieden, dass es an dem erforderlichen Bezug „zum“ Ausland fehlt, wenn die Vorteilsgewährung im Rahmen einer Vertragsbeziehung zu einer nahe stehenden Person im Inland erfolgt, selbst wenn der Nutzen der Vorteilsgewährung einer ausländischen
42
43
Vgl. Strunk, G./Kaminski B./Köhler, S., § 1 AStG n.F. (Stand 9/07) Rz 13, 15; Roser, F., Konzeption(-slosigkeit) der Funktionsverlagerung - Widerspruch zu der gesetzlichen Zielsetzung, EStB 2008, S. 35. BFH v. 28.4.2004 I R 56/02, BStBl. 2005 II, S. 516.
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Betriebsstätte zugute kommt. Im Urteilsfall ging es um die Gewährung zinsloser Darlehen an zwei inländische GmbH’s. Die Darlehen waren durch die Einbringung von zwei schweizer Betriebsstätten in jeweils eine der beiden GmbH’s entstanden. Das Finanzamt ordnete die zinslosen Darlehen der Gesellschafter an die deutschen GmbH’s den jeweiligen schweizer Betriebsstätten zu und sah darin Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen im Ausland im Sinne des § 1 AStG. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Gesellschafter wurden daher um fiktive Zinserträge erhöht. Obwohl unstreitig sei, dass die in Rede stehenden Darlehensmittel dazu dienten, die Anschaffungskosten der schweizer Betriebsstätten der inländischen GmbH’s zu finanzieren, verneinte der Bundesfinanzhof den Bezug „zum“ Ausland, weil die Darlehensverträge mit der inländischen Kapitalgesellschaft geschlossen und die Verbindlichkeiten nicht der schweizer Betriebsstätte zugeordnet worden waren. Die Unverzinslichkeit der Darlehen wirke sich daher allein im Inland aus. 44 Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist das Darlehen dagegen der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen, da sich die Zuordnung allein nach der Verwendung der Darlehensmittel richtet und somit kein Zuordnungswahlrecht des Darlehensnehmers besteht. Die Unverzinslichkeit des Darlehens führt auch nicht dazu, dass sich der inländische Gewinn erhöht. Vielmehr erhöht sich der Gewinn der ausländischen Betriebsstätte, der im Inland aufgrund der Freistellungsregelungen in den DBA’s nicht besteuert werden kann. Deshalb hat die Finanzverwaltung die Nichtanwendung der BFH-Entscheidung verfügt. 45 Die Finanzverwaltung übersieht, dass es nicht um die Frage geht, ob sich der körperschaftsteuerliche Gewinn der GmbH im Inland erhöht. Denn die Rechtsfolge des § 1 AStG trifft nicht die darlehensnehmende GmbH, sondern den darlehensgewährenden Steuerpflichtigen. Dessen Einkünfte müssen gemindert worden sein, was nicht der Fall ist, weil er (irgendwann) höhere Gewinnausschüttungen erhält. Ob diese Ausschüttungen aus steuerpflichtigen Inlandsgewinnen oder freigestellten ausländischen Betriebsstättengewinnen stammen, ist für die Besteuerung beim Anteilseigner unerheblich. Der Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist daher zuzustimmen. In der Literatur46 wird die Entscheidung zutreffend als eine (weitere) gravierende Lücke des § 1 Abs. 1 AStG angesehen, die für Gestaltungen nutzbar ist. Ob daraus die Empfehlung abgeleitet
44 45 46
Zustimmend Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 1 AStG Rz 232. BMF-Schr. v. 27.7.2005, BStBl. 2005 I, S. 818. Vgl. Djanani C./Brähler G., Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2008, S. 403.
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werden kann, Funktionen nicht auf ausländische, sondern stets auf inländische Tochtergesellschaften zu verlagern, hängt allerdings davon ab, ob es dadurch zu einer Entstrickung wegen Entnahme oder verdeckten Einlage kommt.
3.2.4 Ergebnis Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, dass derzeit nichts dafür spricht, dass voll unentgeltliche Funktionsverlagerungen den Tatbestand des § 1 Abs. 1 AStG erfüllen, weshalb sich die gegenwärtige Aufgeregtheit im Fachschrifttum über die neue Bewertungsvorschrift des § 1 Abs. 3 AStG als unnötig erweist. Die Anwendbarkeit des § 1 AStG stellt sich nach der hier vertretenen Ansicht allenfalls für (teil-) entgeltliche Funktionsverlagerung, weil diese schon wegen des zu vereinbarenden Entgelts einer schuldrechtlichen Grundlage bedürfen und wegen des Entgelts als Geschäftsbeziehung anzusehen sein könnten. Für diese Fälle stellt sich die Frage der Vereinbarkeit des § 1 AStG mit dem EU-Recht.
3.3 Ist § 1 AStG mit EU-Recht vereinbar? 3.3.1 Auffassung des Gesetzgebers und der Literatur Nach Ansicht des Gesetzgebers47 ist die Einkünftekorrektur nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 AStG bereits deshalb mit dem Europarecht vereinbar, weil der Fremdvergleichsgrundsatz international anerkannt ist und in allen deutschen DBA’s vereinbart wurde. Dass der Transferpaketansatz im Ausland als „exotische Konzeption“48 angesehen wird, beeindruckt den Gesetzgeber nicht. Seiner Meinung nach kommt es auf den internationalen Konsens über das Verständnis des Begriffes „Fremdvergleichspreis“ nicht an. Der Umstand, dass Fremdvergleichspreise international49 nicht durch Gesamt-, sondern durch Einzelbewertung ermittelt und nicht als Mittelwert fiktiver Bandbreiten verstanden werden, soll keine Rolle spielen. Die Grundsätze, nach denen Fremdvergleichspreise ermittelt werden, sollen zur „gemeinschaftsrechtsfreien Zone“50 erklärt werden.
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48
49 50
Vgl. Begründung zum Entwurf Funktionsverlagerungsverordnung, Entwurf v. 14.4.2008, § 1 Abs. 3, S. 10 (Allgemeiner Teil). Frischmuth, Schuldrechtliche und bilanzielle Aspekte sowie Preisanpassungen bei Funktionsverlagerungen nach der Unternehmenssteuerreform 2008, StuB 2007 S. 459 (461). Vgl. dazu Blumers, W., Funktionsverlagerung per Transferpaket, BB 2007 S. 1757 (1763). Rehm, H./Nagler, J., § 1 AStG vor dem technischen K.o.?, IStR 2008 S. 421 (423).
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Dagegen prüfen der BFH51 und die Literatur52 die EU-Widrigkeit richtigerweise durch einen Vergleich der Rechtsfolgen grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen mit denen eines reinen Inlandsfalles. Soweit es zu einer steuerverschärfenden Sonderbehandlung der grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung kommt, folgt daraus die EU-Widrigkeit, da eine Rechtfertigung der Sonderbehandlung nicht ersichtlich ist. Insbesondere scheidet die Missbrauchsvermeidung aus, da alle grenzüberschreitenden Vorgänge gleichermaßen betroffen sind. Nach herrschender Meinung kann die Frage der EU-Widrigkeit nur nach einer Überprüfung der Rechtslage im reinen Inlandsfall beantwortet werden. Es stellt sich also die Frage, ob eine Funktionsverlagerung von der Mutter- auf die Tochterkapitalgesellschaft zu einer verdeckten Einlage führt und es bei der Verlagerung in umgekehrter Richtung zu einer verdeckten Gewinnausschüttung kommt. Über die Beantwortung derartiger Fragestellungen herrscht keineswegs in allen Fällen eine einheitliche Meinung. So ist Lang53 der Ansicht, dass eine Produktionsverlagerung zwischen Schwestergesellschaften „weitgehend“ nicht zur vGA führt. Soweit ersichtlich vertritt nur Jahndorf54 die Ansicht, dass nach § 1 AStG in den Fällen der Funktionsverlagerung auf eine ausländische Tochterkapitalgesellschaft die gleichen Rechtsfolgen eintreten würden wie im reinen Inlandsfall. Wenn man hiervon ausgeht, beschränkt sich die Frage der EU-Widrigkeit auf die Bewertungsdifferenz zwischen dem unteren Bandbreitenwert im Inlands- und dem Mittelwert im grenzüberschreitenden Fall. Nach Ansicht von Jahndorf55 soll die bloße Bewertungsdifferenz nicht zu einem Verstoß gegen EURecht führen.
51 52
53
54 55
BFH v. 29.11.2000 R 85/99, BStBl. 2002 II, S. 720. Vgl. Englisch, Zur Dogmatik der Grundfreiheiten des EGV und ihren ertragsteuerlichen Implikationen, StuW 2003, S. 88 (90); Lang, J., Kritik der Unternehmenssteuerreform 2008, in: Festschrift für Wolfram Reiss, Köln 2008 S. 379 (394 ff). Vgl. Lang, J., Kritik der Unternehmenssteuerreform 2008, in: Festschrift für Wolfram Reiss, Köln 2008 S. 379 (396). Vgl. Jahndorf, Ch., Besteuerung der Funktionsverlagerung, FR 2008, S. 101 (110). Vgl. Jahndorf, Ch., Besteuerung der Funktionsverlagerung, FR 2008, S. 101 (110).
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3.3.2 Funktionsverlagerung auf Tochtergesellschaften 3.3.2.1 Unentgeltliche Funktionsverlagerung Der Verzicht auf die Besteuerung geschäftswertähnlicher Gewinnchancen einer Funktion im Inlandsfall wird üblicherweise56 mit dem Fehlen der Wirtschaftsguteigenschaft begründet: „Eine sog. Geschäftschance (i.S.e. anteiligen Firmenwerts einer Funktion, die keinen Teilbetrieb darstellt) erfüllt die Voraussetzungen für das Vorliegen eines immateriellen Wirtschaftsguts nicht. Jedoch kann eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG nicht nur bei Zuwendung von Vorteilen in Form von Wirtschaftsgütern erfolgen, sondern auch bei Zuwendung in Form von sonstigen wirtschaftlichen Vorteilen.“57 Diese Begründung galt früher58 auch für den Geschäftswert eines (Teil-) Betriebes, den der BFH - entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung59 - nicht für geeignet hielt, Gegenstand einer verdeckten Einlage sein zu können. Da der Geschäftswert eines (Teil-)Betriebs und - erst Recht - die geschäftswertähnlichen Gewinnchancen einer Funktion - unabhängig von ihrer Bewertbarkeit - mangels Konkretisierung durch einen entgeltlichen derivativen Erwerb (noch) keine Wirtschaftsgüter sind, sollte eine verdeckte Einlage in den aufnehmenden Betrieb ausscheiden. Für eine Entnahme aus dem abgebenden Betrieb fehlt es bereits am betriebsfremden Zweck. Bei voll unentgeltlichen Funktionsverlagerungen sollte es daher im Inlandsfall zu keiner Entstrickung kommen. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem Beschluss des Großen Senats des BFH60 zur Nichteinlagefähigkeit schlichter Nutzungen, wonach nur Wirtschaftgüter Gegenstand einer verdeckten Einlage in eine Kapitalgesellschaft sein können. Diese Voraussetzung erfüllt weder der Geschäftswert, noch die bloße Gewinnchance einer Funktion. Die Gewinnrealisierung lässt sich auch nicht durch den ab 1999 geltenden § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG erreichten, weil diese Vorschrift ausdrücklich nur solche verdeckten Einlagen in Kapitalgesellschaften betrifft, deren Gegenstand ein Wirtschaftsgut ist, was auf den Geschäftswert bzw. eine geschäftswertähnliche Gewinnchance solange nicht zutrifft, wie diese nicht Gegenstand eines entgeltlichen Erwerbs geworden ist.
56 57
58 59 60
Vgl. Frotscher, G., Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008 S. 49 (51f). Rist, P. M., Steuergestaltung durch Nutzung des internationalen Steuergefälles, Düsseldorf 2007, S. 60. BFH v. 29.1.1975 I R 135/70, BStBl 1975 II, S. 553. Nichtanwendungserlass BMF-Schr. 4.8.1976, BStBl 1976 I S. 418. BFH-Beschluss v. 26.10.1987 GrS 2/86, BStBl. 1988 II, S. 348.
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Bezogen auf den Geschäftswert von (Teil-)Betrieben und Mitunternehmeranteilen ließe sich dieses Ergebnis auch auf § 6 Abs. 3 EStG (früher § 7 Abs. 1 EStDV) stützen. 61 Der BFH62 musste dies bislang allerdings noch nicht entscheiden und hat daher schon mehrfach offen gelassen, ob die Vorschrift - entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung63 - auf verdeckte Einlagen in Kapitalgesellschaften anwendbar ist. Auf eine bloße Funktionsverlagerung ist die Vorschrift allerdings nicht anwendbar. Die voll unentgeltliche Verlagerung der stillen Reserven eines Geschäftswertes bzw. geschäftswertähnlicher Gewinnchancen einer Funktion auf Tochterkapitalgesellschaften wäre somit - entgegen der Ansicht von Jahndorf - im reinen Inlandsfall hinzunehmen. Allerdings kommt es - nach der hier vertretenen Ansicht auch zu keiner Schlechterstellung im grenzüberschreitenden Fall. Da es der unentgeltlichen Funktionsverlagerungen sowohl am Merkmal der „Geschäftsbeziehung“ als auch am Merkmal der „schuldrechtlichen Beziehung“ fehlt, ist § 1 AStG nicht erfüllt, wodurch auch die Bewertung als Transferpaket ausscheidet. Nur wenn man - was schwer fällt - davon ausgeht, dass die Funktionsverlagerung trotz Unentgeltlichkeit und Fehlens einer schuldrechtlichen Vereinbarung als Geschäftsbeziehung anzusehen ist, so dass § 1 AStG im grenzüberschreitenden Fall eine Gewinnrealisierung erzwingen würde, läge eine Ungleichbehandlung von reinen Inlands- und grenzüberschreitenden Fällen vor, die klar EU-widrig wäre. In diesem Sinne hatte sich der BFH bereits in seinem Urteil vom 29.11.200064 zur Patronatserklärung geäußert und diese Ansicht im Beschluss vom 21.6.200165 nochmals bestätigt. Nichts spricht dafür, dass der BFH diese Ansicht heute nicht mehr vertritt.66 Aufgrund der Rechtsprechung des BFH zur teilentgeltlichen Funktionsverlagerung ist allerdings nicht zweifelsfrei, ob es bei einer voll unentgeltlichen Übertragung nicht doch zu einer Gewinnrealisierung zumindest eines Geschäftswertes kommt. Die bislang hierzu ergangenen Entscheidungen geben darüber jedoch keinen Aufschluss, der über ein obiter dictum hinausgehen würde. Denn stets ging es um Übertragungen im Rahmen von Betriebsaufspaltungen. Für diese galt bis 1999 ein Sonderrecht, wonach 61 62
63 64 65 66
So FG Münster v. 20.5.1998, EFG 1998, S. 1319 nrkr. BFH v. 18.12.1990, BStBl 1991 II, S. 512; v. 24.8.2000, BFH/NV, S. 1554; v. 20.7.2005, BStBl 2006 II, S. 457. BMF-Schr. v. 3.3.2005, BStBl 2005 I, S. 458 Rz. 2. BFH v. 29.11.2000 R 85/99, BStBl. 2002 II, S. 720. BFH v. 21.6.2001, DStR 2001,1290. Gl.A. Neu, H., Urteilsanmerkung, EFG 2008 S. 928 f.
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sogar materielle Wirtschaftsgüter zum Buchwert vom Besitzunternehmen in die Betriebskapitalgesellschaft übertragen werden konnten, so dass auch die Verlagerung des Geschäftswertes oder einer geschäftswertähnlichen Gewinnchance nicht zur Gewinnrealisierung zwang. Für die neue Rechtslage ab 1999 deutet der BFH67 allerdings an, dass er zu einer Gewinnrealisierung unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Einlage neigen würde. Hierbei handelt es sich jedoch nur um ein obiter dictum. Höchstrichterlich entschieden wurde diese Frage - soweit ersichtlich - noch nicht.
3.3.2.2 (Teil-) Entgeltliche Funktionsverlagerung Im Urteil vom 24.3.198768 hatte ein Einzelunternehmer seinen Betrieb an seine zuvor bar gegründete GmbH verbilligt verkauft. Obwohl ein Geschäftswert von 200.000 DM vorhanden war, wurden der GmbH nur 50.000 DM für die stillen Reserven des bilanzierten Anlagevermögens in Rechnung gestellt. Der BFH ging daher von einer voll unentgeltlichen Übertragung des Geschäftswertes auf die GmbH aus. Trotz fehlender Wirtschaftsguteigenschaft müsse dies zur Entstrickung der stillen Reserven führen: „In diesem Fall muss die Forderung nach einer Konkretisierung des Wertes des Wirtschaftsguts hinter der Notwendigkeit der Abgrenzung zwischen der Gesellschafter- und der Gesellschaftssphäre zurücktreten.“ Die Entscheidung erging kurze Zeit vor dem Beschluss des Großen Senats69 zur Nichteinlagefähigkeit schlichter Nutzungsvorteile und stammt vom I. Senat des BFH, der in seinem Vorlagebeschluss an den Großen Senat sogar die Einlage schlichter Nutzungen befürwortet hatte. Der Großen Senat des BFH lehnte diese Auffassung des I. Senats bekanntlich ab. Nur Wirtschaftsgüter seien verdeckt einlagefähig. Nach Auffassung des Großen Senats hat somit die Wirtschaftsguteigenschaft Vorrang vor der Sphärenabgrenzung. Zumindest die Begründung des I. Senats steht daher aus heutiger Sicht im Widerspruch zum Beschluss des Großen Senats. Das gleiche Ergebnis lässt sich allerdings auch anders begründen. Zweifelhaft erscheint nämlich der Ansatz des BFH, die teilentgeltliche Betriebsübertragung in einen voll entgeltlichen Verkauf der bilanzierten Wirtschaftsgüter und die voll unentgeltliche Übertragung des Geschäftswertes aufzuspalten. Dieser Ansatz führt nämlich zu einem Konflikt mit dem Konkretisierungserfordernis. Dieser Widerspruch entsteht nicht, wenn man darauf verzichtet, aus dem 67 68 69
BFH v. 27.3.2001, I R 42/00, BStBl. 2001 II, S. 771. BFH v. 24.3.1987 I R 202/83, BStBl. 1987 II, S. 705. BFH-Beschluss v. 26.10.1987 GrS 2/86, BStBl. 1988 II, S. 348.
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teilentgeltlichen Vorgang einen voll unentgeltlichen Teilvorgang abzuspalten. Sämtliche Vermögenswerte müssen dann als teilweise entgeltlich übertragen angesehen werden. Dann würde sich die Frage stellen, ob ein nur teilentgeltlich übertragener Geschäftswert als in vollem Umfang konkretisiert angesehen werden kann. Wenn man diese Frage bejaht, ergibt sich kein Widerspruch zum Beschluss des Großen Senats, so dass Entscheidung des I. Senats, die durch spätere Urteile70 mehrfach bestätigt wurde, im Ergebnis zutreffend wäre. Ein teilentgeltlicher Vorgang würde dann - soweit das Entgelt reicht - wie ein voll entgeltlicher Vorgang behandelt und nicht - wie im Privatvermögen - in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil aufgespalten. Nur die voll unentgeltliche Übertragung eines Betriebs oder einer Funktion würde dann nicht zur Konkretisierung des Geschäftswertes bzw. einer geschäftswertähnlichen Funktion führen. Für die einheitliche Behandlung teilentgeltlicher Übertragungen gibt es weitere Beispiele. So nimmt der BFH71 bei einer Sacheinlage in eine Personengesellschaft, bei der die Gutschrift zum Teil auf dem für die Beteiligungsquote maßgeblichen Kapitalkonto und der Rest auf dem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto verbucht wurde, auch hinsichtlich des auf dem Rücklagenkonto verbuchten Teils eine Gegenleistung an, während bei einer ausschließlichen Verbuchung auf dem Rücklagenkonto eine voll unentgeltliche Übertragung mit der Möglichkeit der Buchwertfortführung vorliegen würde. Dies zeigt, dass aus der Behandlung eines teilentgeltlichen Vorganges - jedenfalls im betrieblichen Bereich - keine Rückschlüsse auf die Behandlung eines voll unentgeltichen Vorganges gezogen werden können. Es ist daher nicht systemwidrig, wenn bei der voll unentgeltlichen Funktionsverlagerung die verdeckte Einlagefähigkeit der Gewinnchancen mangels Konkretisierung verneint wird, während man sie im Falle der teilentgeltlichen Übertragung in vollem Umfang bejaht. Dieses Ergebnis steht in keinem Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH. Geht man davon aus, dass eine (teil-)entgeltlich Funktionsverlagerung sowohl den Tatbestand der schuldrechtlich vereinbarten Geschäftsbeziehung i.S. des § 1 AStG als auch den Tatbestand der verdeckten Einlage erfüllt, kommt es hinsichtlich der Gewinnrealisierung dem Grunde nach – anders als bei voll unentgeltlichen Vorgängen – zu keiner unterschiedlichen Behandlung von Inlands- und Auslandsfällen. Die EU-
70 71
BFH v. 2.9.1988 III R 117/86, BFH/NV 1990, S. 20; v. 24.7.1996, BFH/NV 1997, S. 214. BFH v. 24.1.2008 IV R 37/06, BFH/NV 2008 S. 854; ebenso zur Überpari-Emission BFH v. 24.4.2007 I R 35/05, BStBl 2008 II, S. 253.
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Widrigkeit beschränkt sich auf das unterschiedliche Ausmaß der Gewinnrealisierung. Geht man von einer analogen Anwendung der zur verdeckten Gewinnausschüttung ergangenen Bandbreitenrechtsprechung des BFH aus, darf sich der Wert der verdeckten Einlage im Inlandsfall am unteren Rand der Bandbreite orientieren. Dagegen kommt im Auslandsfall eine höhere Bewertung durch die flankierende Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG in Betracht. So kommt es zum Ansatz des Mittelwertes, wenn das vereinbarte (Teil-)Entgelt niedriger ist als der unterste Wert des Einigungsbereiches, was sich ggf. erst bei der Anpassungsprüfung nach bis zu zehn Jahren herausstellt. Nach Meinung von Jahndorf72 soll der bloße Wertunterschied nicht EU-widrig sein. Denn die höhere Bewertung beruhe allein auf der Berücksichtigung von ausländischen Standortvorteilen, die im reinen Inlandsfall naturgemäß nicht gegeben seien. Diese Ansicht greift jedoch zu kurz. Jahndorf übersieht, dass es auch im Inland Standortvorund -nachteile geben kann, die zu einer Preisspanne führen würden. Dennoch wirkt sich der Mittelwert im Inlandsfall nicht aus. Während somit die Standortvorteile des Erwerbers im Inlandsfall unberücksichtigt bleiben und stets der unterste Wert der denkbaren Bandbreite maßgeblich ist, kommt im Auslandsfall der Mittelwert in Betracht. In diesem methodischen Unterschied zwischen Bandbreitenuntergrenze des Verkäufers einerseits und Mittelwert andererseits liegt meines Erachtens eine EUwidrige Diskriminierung. Nach Ansicht von Strunk/Kaminski73 soll die EU-widrigen Bewertungsunterschiede allerdings nie eintreten können, da der Ansatz des Mittelwertes ausscheide. Durch die Korrektur des Verrechnungspreises nach den Regeln der vGA – und wohl auch der verdeckten Einlage – kommt es stets zum Ansatz des untersten Wertes der Bandbreite. Damit greift die vom Gesetz zugelassene Ausnahme vom Mittelwertansatz74. Ob die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Einkünfteberichtigung erfüllbar sind, ohne dass der Steuerpflichtige einen Einigungsbereich ermittelt und freiwillig einen Kaufpreis für das Transferpaket am unteren Rand der Bandbreite vertraglich vereinbart hat, erscheint allerdings zweifelhaft. Es darf auch nicht übersehen werden, dass es sich um einer Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung handelt, ob sie auf die Berichtigung der Einkünfte verzichtet („kann“).
72 73
74
Vgl. Jahndorf, Ch., Besteuerung der Funktionsverlagerung, FR 2008, S. 101 (110). Vgl. Strunk, G./ Kaminski, B., Grenzüberschreitende Gewinnberichtigungen: Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform 2008 im Spiegel aktueller Rechtsprechung, Stbg 2008, S. 211. § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG (Verzicht auf Einkünfteberichtigung).
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3.3.2.3 Ergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Frage der EU-Widrigkeit bei Funktionsverlagerungen auf Tochterkapitalgesellschaften dem Grunde nach nur stellt, wenn man die verdeckte Einlagefähigkeit von originären Geschäftswerten und geschäftsähnlicher Gewinnchancen verneint und § 1 AStG für erfüllt ansieht. Dann kommt es nur im grenzüberschreitenden Fall zur Gewinnrealisierung. Bei einer voll unentgeltlichen Funktionsverlagerung kommt diese Beurteilung in Betracht. Denn nach dem Beschluss des Großen Senats zur Nutzungseinlage sind nur Wirtschaftsgüter einlagefähig. Da originäre Geschäftswerte und geschäftsähnliche Gewinnchancen durch eine unentgeltliche Verlagerung nicht als Wirtschaftsgüter konkretisiert werden, scheidet die verdeckte Einlage bei voll unentgeltlicher Übertragung aus. Dagegen käme es im grenzüberschreitenden Fall zur Gewinnrealisierung nach § 1 AStG, was als eine EU-widrige Diskriminierung anzusehen wäre. Bei voll unentgeltlichen Verlagerungen fällt es allerdings schwer, das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung i.S. § 1 AStG zu bejahen. Deshalb dürfte es weder im Inlands- noch im grenzüberschreitenden Fall zur Gewinnrealisierung kommen. Dagegen führt ein (teil)entgeltlicher Vorgang zur Konkretisierung eines Geschäftswertes und somit zu dessen verdeckter Einlagefähigkeit. Das gleiche dürfte für eine (teil-) entgeltliche Funktionsverlagerung gelten. Schon im Inlandsfall kommt es somit zu einer Entstrickung, weshalb § 1 AStG zumindest dem Grunde nach noch keine Ungleichbehandlung von Auslandssachverhalten bewirkt. Die ungleiche Behandlung ergibt sich in diesen Fällen erst durch die besondere Bewertung § 1 Abs. 3 AStG. Auch dieser Unterschied rechtfertigt jedoch - entgegen Jahndorf - die Annahme einer EUWidrigkeit.
3.3.3 Funktionsverlagerung auf Mutter- und Schwestergesellschaften Verlagert eine Tochterkapitalgesellschaft eine von ihr ausgeübte Funktion auf die Mutterkapitalgesellschaft, ohne hierfür ein angemessenes Entgelt zu erhalten, ist der Übergang eines Geschäftswertes bzw. geschäftswertähnlicher Gewinnchancen von der Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft als verdeckte Gewinnausschüttung zu qualifizieren.75 Anders als verdeckte Einlagen können verdeckte Gewinnausschüttungen bekanntlich unabhängig davon vorliegen, ob der gewährte Vorteil Wirtschaftsgut75
Vgl. dazu Gosch, D., § 8 KStG Rz. 850 ff.
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charakter hat oder nicht. Die fehlende Konkretisierung hindert die Gewinnrealisierung nicht. Nach Meinung des BFH76 genügt es, dass eine Bewertung „durchführbar“ ist. Dies leitete der BFH aus der Rechtsprechung des BGH77 zur Sacheinlage ab. Die Gleichstellung des tauschähnlichen Vorganges der Sacheinlage mit der voll unentgeltlichen Funktionsverlagerung ist meines Erachtens allerdings nicht überzeugend. Häufiger als die Verlagerung von einer Tochter- auf die Muttergesellschaft kommt es vor, dass eine Funktion zwischen Schwestergesellschaften verlagert wird. Auch in diesem Fall soll es auf die Wirtschaftsguteigenschaft nicht ankommen. Denn die Vorteilsgewährung zwischen Schwestergesellschaften führt nicht zu einer verdeckten Einlage der einen Schwestergesellschaft in die andere. Vielmehr folgen Vorteilsgewährungen im Konzern steuersystematisch stets der Beteiligungskette. Daher kommt es zunächst immer zu einer verdeckten Gewinnausschüttung an die Muttergesellschaft und erst anschließend zu einer verdeckten Einlage von dieser in die Schwestergesellschaft. Durch die vorgeschaltete verdeckte Gewinnausschüttung kommt es (wohl) zu einer Konkretisierung der Gewinnchance als Wirtschaftsgut, so dass die verdeckte Einlagefähigkeit gegeben ist. Diese Rechtsfolgen ergeben sich aus zwei Urteilen des BFH vom 20.8.1986. Beide Urteile betrafen offenbar denselben Konzern. Im Jahr 196978 war zunächst der Teilbetrieb „Maschinenhandel Bayern“ von einer Tochtergesellschaft auf eine andere verlagert worden, wodurch es zu einer Realisierung des Geschäftswertes im Wege der verdeckten Gewinnausschüttung kam. Im Folgejahr79 verlagerte die Tochter die Funktion Großhandel, die kein Teilbetrieb war. Dies führte ebenfalls zur Gewinnrealisierung. Im Inlandsfall richtet sich die Gewinnkorrektur bei der funktionsabgebenden Tochtergesellschaft im Wege der vGA nach dem untersten Wert der möglichen Bandbreite. Im grenzüberschreitenden Fall käme die Bewertung mit dem Mittelwert fiktiver Grenzpreise in Betracht. Die Frage der EU-Widrigkeit beschränkt sich somit in vGA-Fällen auf die Wertdifferenz zwischen dem Mindestabgabepreis und dem Mittelwert des Einigungsbereiches. Allerdings kann diese Verschärfung nur eintreten, wenn man das Vorliegen einer schuldrechtlichen Geschäftsbeziehung i.S. des § 1 AStG bejahen würde, was aber bei voll unentgeltlichen Funktionsverlagerungen auf Muttergesellschaften aus den gleichen Gründen nicht möglich erscheint, wie bei der Verlagerung auf Toch76 77 78 79
BFH v. 20.8.1986, I R 151/82, BFH/NV 1987, S. 468. BGH v. 16.2.1959 II ZR 170/57, BB 1959, S. 353. BFH v. 20.8.1986, I R 152/82, BFH/NV 1987, S. 471. BFH v. 20.8.1986, I R 151/82, BFH/NV 1987, S. 468.
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tergesellschaften. Deshalb bleibt es meines Erachtens bei der Anwendung der vGAGrundsätze. Bei der Funktionsverlagerung von einer ausländischen Tochterkapitalgesellschaft auf eine inländische Muttergesellschaft führt die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung zu einer Gewinnerhöhung im Ausland. Bei der inländischen Mutter wäre die empfangene verdeckte Gewinnausschüttung gemäß § 8b Abs. 2 KStG zu 95 % steuerfrei, während die verdeckt übertragene Gewinnchance aktiviert und steuermindernd abgeschrieben werden könnte. Die Finanzverwaltung wird die Anerkennung des Abschreibungspotentials vermutlich davon abhängig machen, dass der Nachweis der Versteuerung der stillen Reserven im Ausland erbracht wird. Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich, wenn eine Funktion zunächst im niedrig besteuernden Ausland im Rahmen einer Tochterkapitalgesellschaft aufgebaut und anschließend verdeckt auf die inländische Mutter- oder Schwestergesellschaft verlagert wird.
3.4 Ist das neue Bewertungskonzept durchsetzbar? Der in § 1 Abs. 3 AStG geregelte Mittelwertansatz entspricht nach Ansicht des Gesetzgebers dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz, weshalb auch keine EU-Widrigkeit vorliegen soll. Dagegen ist die Literatur sich einig, dass die Gesamtbewertung von Transferpaketen unter Einbeziehung von nur im Ausland realisierbaren Standortvorteilen nicht der bislang international üblichen Verwaltungspraxis entspricht, sondern eine sehr problematische Sondermeinung des deutschen Gesetzgebers darstellt, weshalb die Vorschrift nicht durch den Fremdvergleichsgrundsatz gerechtfertigt werden kann.80 Unternehmer haben daher allen Grund zu der Befürchtung, dass der ausländische Staat den korrespondierenden Ansatz von Anschaffungskosten auf der Basis des Mittelwertes ablehnen wird. Hinzu kommt, dass nicht alle Länder Geschäftswertabschreibungen zulassen, so dass die Steuererhöhung im Inland nicht in allen Fällen zu einer Steuerminderung im Ausland führt. Dieses Problem wird sich nicht durch eine Vertragsgestaltung umgehen lassen, bei der man den Geschäftswert bei anderen Vergütungen einkalkuliert (sog. verdeckte Übertragung).81
80
81
Vgl. Welling, B., Funktionsverlagerungsverordnung im Widerstreit mit internationalen Grundsätzen, FR 2008, S. 68 (68 Tz. 2). Vgl. dazu Frischmuth, Schuldrechtliche und bilanzielle Aspekte sowie Preisanpassungen bei Funktionsverlagerungen nach der Unternehmenssteuerreform 2008, StuB 2007 S. 459 (460).
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Gegen den Steueranspruch des deutschen Fiskus könnte sprechen, dass es bei Funktionsverlagerungen nicht um die anzuerkennende Besteuerung von stillen Reserven von Patenten, Verlagsrechten oder anderen einzeln veräußerbaren immateriellen Wirtschaftsgütern geht, die auch im Inlandsfall bei einer Entnahme oder Betriebsaufgabe aufzulösen wären. Vielmehr geht es um höchst unsichere künftige Gewinnchancen, die als nicht entnahmefähig gelten. Die Geschäftschancen einer Funktion können noch nicht einmal bei einem entgeltlichen Erwerb realisiert werden, weil Verkäufe von Funktionen kaum vorkommen dürften. Die ausländischen Staaten könnten daher mit Recht argumentieren, dass eine Entstrickung ein unzulässiger Eingriff in die Besteuerungshoheit des Quellenstaates darstellt, wenn stille Reserven nur bei einer Verlagerung ins Ausland entstrickt werden müssen, nicht jedoch bei einer Entnahme oder Betriebsaufgabe im Inland. Vieles spricht dafür, originäre geschäftswertähnliche Gewinnchancen als künftige Gewinne zu betrachten, die nur im Quellenstaat besteuert werden dürfen:82 „Im Kern geht es deshalb darum, zwischen der Übertragung stiller Reserven auf ein nahe stehendes Unternehmen und einem Gewinn zu unterscheiden, der erst künftig im Ausland erzielt wird und nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft seine betriebswirtschaftlichen Ursachen allein dort hat.“ Die Erfolgsaussichten des deutschen Fiskus, in dem zu erwartenden Verteilungskampf zu gewinnen, erscheinen nicht besonders groß zu sein. Innerhalb der EU werden sich die betroffenen Unternehmen auf die Niederlassungsfreiheit berufen und/oder ein Verfahren nach der Schiedskonvention83 beantragen. Der Gesetzgeber will sich hierauf durch Schaffung zusätzlicher Planstellen vorbereiten.84 Nach der Schiedskonvention müssen sich die beiden Staaten innerhalb von drei Jahren auf eine Lösung verständigen, die eine Doppelbesteuerung verhindert, wobei mit deutlichen Fristüberschreitungen gerechnet werden muss.85 In dem Verfahren wird Deutschland den Nachweis erbringen müssen, dass der Ansatz originärer Gewinnchancen dem Grunde nach überhaupt zulässig und der Höhe nach angemessen ist.86 Dies dürfte auf erheblichen Widerstand stoßen, zumal Deutschland eine Position vertritt, die nicht nur die Niederlas-
82 83 84 85
86
Vgl. Wassermeyer, F., Funktionsverlagerung - Statement, FR 2008, S. 67. Zum Verfahren BFM-Schr. v. 13.7.2006, BStBl. 2006 I, S. 461 (Tz. 13). BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007 S. 85. Vgl. Jacobs, O., Internationale Unternehmensbesteuerung – Deutsche Investitionen im Ausland, Ausländische Investitionen im Inland, 6. Aufl. München 2007, S. 839 f. Zur Beweislast vgl. Wassermeyer, F., Funktionsverlagerung - Statement, FR 2008, S. 68.
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sungsfreiheit stark beeinträchtigt, sondern auch gegen die Empfehlungen der OECD verstößt.87 Gegenüber Drittstaaten ist die Rechtslage wesentlich problematischer. Die meisten DBA enthalten zwar die Möglichkeit, ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren zu beantragen.88 Anders als beim EU-Schiedsverfahren besteht jedoch weder Einigungszwang, noch ist die Verfahrensdauer begrenzt. In der Praxis werden Verständigungsverfahren daher als wenig Erfolg versprechend angesehen. Gegenüber NichtDBA-Staaten außerhalb der EU besteht überhaupt keine Rechtsgrundlage für ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren. Die Unternehmen werden auf die ordentlichen Gerichte vertrauen bzw. Funktionsverlagerungen i.S. des § 1 Abs. 3 AStG vermeiden müssen. Im umgekehrten Fall einer Verlagerung nach Deutschland besteht ein Interesse des ausländischen Investors, einen hohen Geschäftswert anerkannt zu bekommen. Der § 1 AStG regelt diese Inbound-Fälle nicht, worin eine (weitere) EU-Widrigkeit liegen könnte.89 Der deutsche Fiskus wird den Ansatz geschäftswertähnlicher Gewinnchancen jedoch nur anerkennen, wenn deren Besteuerung im Ausland nachgewiesen werden kann. Da die ausländischen Staaten diese Fälle derzeit nicht besteuern, wird der Nachweis der korrespondierenden Besteuerung nicht erbracht werden können. Der deutsche Fiskus muss also größere Steuerausfälle durch InboundFunktionsverlagerungen nicht befürchten. Allerdings könnten insbesondere Unternehmen aus Ländern mit niedrigen Unternehmenssteuern bestrebt sein, den Fiskus ihres Heimatlandes um eine möglichst hohe Gewinnrealisierung zu bitten, um die deutschen Gewinne durch hohe Abschreibungen schmälern zu können.
4 Zusammenfassung Die gesetzliche Verankerung der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 AStG hat die Steuerpflichtigen und ihre Berater schockiert. Möglicherweise werden jedoch die Ge-
87
88
89
Vgl. Welling, B., Funktionsverlagerungsverordnung im Widerstreit mit internationalen Grundsätzen, FR 2008, S. 68 (69). Vgl. Lehner, M., Streitbeilegung im internationalen Steuerrecht, in Festschrift für Wolfram Reiss, Köln 2008 S. 655 ff. Vgl. Strunk, G./Kaminski B./Köhler, S., § 1 AStG n.F. (Stand 9/07) Rz 13, 15; Roser, F., Konzeption(-slosigkeit) der Funktionsverlagerung - Widerspruch zu der gesetzlichen Zielsetzung, EStB 2008, S. 35.
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fahren, die von dieser Vorschrift ausgehen, überschätzt. In der gegenwärtigen Diskussion über die Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten wird nämlich übersehen, dass es sich nicht um einen Entstrickungstatbestand, sondern um eine Bewertungsvorschrift handelt, die nur unter den engen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG zum Tragen kommt. Nicht anwendbar ist die Vorschrift insbesondere bei der Funktionsverlagerung auf eine ausländische Betriebstätte, weil diese keine nahe stehende Person ist, sofern sie nicht als Personengesellschaft gestaltet wird. Auch die neuen § 4 EStG und § 12 KStG führen in diesen Fällen nicht zur Versteuerung von Geschäftswerten und geschäftswertähnlichen Gewinnchancen, weil es sich bei diesen mangels Konkretisierung noch nicht um Wirtschaftsgüter handelt. Für eine Funktionsverlagerung hat der BFH dies bereits 1982 entschieden. Für eine Betriebsverlagerung wird er demnächst wohl Gelegenheit haben, seine diesbezügliche Rechtsprechung zu überprüfen. Sollte der BFH seine bisherige Rechtsprechung zur fehlenden Wirtschaftsguteigenschaft originärer Geschäftswerte bestätigen, bietet sich die Funktionsverlagerung auf eine Betriebstätte an, wobei diese allerdings nicht als Personengesellschaft geführt werden darf. Dagegen sind Tochtergesellschaften nahe stehende Personen, sofern eine wesentliche Beteiligung besteht. Erfolgt die Funktionsverlagerung jedoch ohne Gegenleistung, ist sehr zweifelhaft, ob hierin eine „Geschäftsbeziehung“ im Sinne des § 1 Abs. 1 AStG gesehen werden kann. Viel nahe liegender erscheint es, eine durch das Gesellschaftsverhältnis begründete Maßnahme der funktionsgerechten Kapitalausstattung anzunehmen, die nicht unter § 1 AStG fällt, wie der BFH für eine Patronatserklärung bereits entschieden hat. Da Funktionsverlagerungen tatsächliche Vorgänge sind, die keiner vertraglichen Regelungen bedürfen, fehlt es auch an dem - erst ab 2003 zu beachtenden - Merkmal der schuldrechtlichen Beziehung. Als schuldrechtliche Geschäftsbeziehung bleiben nur die Fälle übrig, in denen der Steuerpflichtige die Funktionsverlagerung bereits von sich aus als (teil-)entgeltlichen Vorgang behandelt, z.B. um den Mittelwertansatz zu vermeiden. Ob dies gelingt, ist allerdings fraglich, weil der Verzicht auf Einkünfteberichtigung nur eine Kann-Bestimmung ist. Sicher ist dagegen, dass durch den freiwilligen Ansatz eines Verrechnungspreises eine Gewinnrealisierung ausgelöst wird, zu der es bei voller Unentgeltlichkeit vermutlich nicht käme. Die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG könnte sich daher als Gestaltungsfalle erweisen.
Besteuerung von geschäftswertähnlichen Gewinnchancen
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Zutreffend ist wohl, dass die Finanzverwaltung bei Funktionsverlagerungen im Inland derzeit noch keine Realisierung geschäftswertähnlicher Gewinnchancen fordert, weshalb die nur im grenzüberschreitenden Fall erforderliche Entstrickung nach § 1 AStG allgemein als EU-Widrig angesehen wird. Aber selbst wenn es auch im Inlandsfall zur Gewinnrealisierung käme, würden sich Bewertungsunterschiede ergeben, die EUWidrig sind. Sollten unentgeltlich Funktionsverlagerungen auf ausländische Tochtergesellschaften tatsächlich die befürchteten gewinnrealisierenden Rechtsfolgen haben, werden derartige Gestaltungen künftig vermieden werden müssen. Der inländische Unternehmer könnte einen fremden Dritten zur Gründung eines eigenen Betriebes motivieren und ihn beim Aufbau z.B. durch Darlehensgewährungen, Vermietung von Anlagevermögen und langfristige Lieferverträge unterstützen. Der spätere Erwerb des fremden Betriebes stellt keine Funktionsverlagerung und auch keinen Missbrauch nach § 42 AO dar.
Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im Wandel der Zeit
Siegfried Grotherr
1
Ausgangslage .................................................................................................... 264
2
Das BFH-Urteil vom 17.10.2007 - Erneute Rechtsprechungsänderung zur abkommensrechtlichen Rückfallklausel und Rückkehr zur ursprünglichen Senatsrechtsprechung........................................................... 267
3
Offene Rechtsfragen auf der Grundlage der erneuten Rechtsprechungsänderung zur abkommensrechtlichen Rückfallklausel .. 270
4
Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im DBA-USA i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 1.6.2006 ................................................................ 273
5
Schlussbetrachtung .......................................................................................... 279
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Siegfried Grotherr
1 Ausgangslage Die Bundesrepublik Deutschland hat in mehreren Doppelbesteuerungsabkommen eine Rückfallklausel vereinbart, mit der eine doppelte Nichtbesteuerung von Einkünften aus dem anderen Vertragsstaat verhindern werden soll, d.h. dass die betreffenden Einkünfte weder im Quellenstaat (anderer Vertragsstaat) noch im Ansässigkeitsstaat des Einkünftebeziehers (Deutschland) einer Besteuerung unterliegen (= Entstehen von "weißen Einkünften"). Die Klausel ist gegenwärtig in den folgenden Abkommen enthalten: x DBA-Dänemark vom 22.11.1995 (Art. 24 Abs. 3), x DBA-Italien vom 18.10.1989 (Ziff. 16 Buchst. d des Protokolls), x DBA-Neuseeland vom 20.10.1978 (Art. 23 Abs. 3), x DBA-Norwegen vom 4.10.1991 (Art. 23 Abs. 3), x DBA-Österreich vom 24.8.2000 (Art. 15 Abs. 4; betr. nur Einkünfte aus unselbständiger Arbeit), x DBA-Schweden vom 14.7.1992 (Art. 23 Abs. 1 Satz 2), x DBA-USA i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 1.6.2006 (Art. 23 Abs. 4 Buchst. b). Die Formulierung der Rückfallklausel lautet in der Regel wie folgt (z.B. gem. Art. 24 Abs. 3 DBA-Dänemark vom 22.11.1995): "Für die Zwecke dieses Artikels gelten Gewinne oder Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person als aus Quellen innerhalb des anderen Vertragsstaats stammend, wenn sie in Übereinstimmung mit diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden." In dem Urteil vom 17.12.20031 zu der damals im DBA-Kanada vom 17.7.1981 enthaltenen Rückfallklausel (Art. 23 Abs. 3; anzuwenden i.d.R. bis Ende 2000; nicht mehr vorhanden im DBA-Kanada vom 19.4.2001, anzuwenden ab 2001) hatte der I. Senat des Bundesfinanzhofs seine bis dahin geltende Rechtsauffassung zur Wirkung einer abkommensrechtlichen Rückfallklausel aufgeben. Im Urteil vom 5.2.19922 hatte der BFH begründet, dass mit einer derartigen Abkommensklausel nicht mehr die sog. virtuelle, sondern nur noch die tatsächliche Doppelbesteuerung vermieden wird. Danach greift die abkommensrechtliche Steuerbefreiungsvorschrift des Methodenartikels 1 2
Az.: I R 14/02, BStBl. II 2004, S. 260. Az.: I R 158/90, BStBl. II 1992, S. 660.
Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im Wandel der Zeit
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im Ansässigkeitsstaat Deutschland nur dann, wenn die betreffenden Einkünfte im anderen Vertragsstaat besteuert wurden. Auch im Urteil vom 19.5.19933 (obiter dictum) hatte der BFH ausgeführt, dass der abkommensrechtliche Grundsatz des Verbots der virtuellen Doppelbesteuerung durch die sog. "subject to tax clause" eingeschränkt wird. Derartige Klauseln "gewähren eine Steuerbefreiung im Inland nur unter dem Vorbehalt, dass die freizustellenden Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat steuerpflichtig sind." In dem Urteil vom 17.12.2003 führte der BFH aus, dass sich aus dem Wortlaut der Abkommensvorschrift nicht im Umkehrschluss folgern lasse, dass im Falle der Nichtausübung des Besteuerungsrechts durch den Quellenstaat dieses Recht an den Ansässigkeitsstaat Deutschland zurückfalle. Der (vermeintliche) Zweck der Vermeidung einer Keinmalbesteuerung komme nach Auffassung des erkennenden Senats im Wortlaut der Norm nicht hinreichend zum Ausdruck. Der Verfasser hatte das Urteil vom 17.12.2003 kritisiert4, da es für die Steuerpflicht der aus dem anderen Vertragsstaat stammenden Einkünfte im Ansässigkeitsstaat des Einkünftebeziehers Deutschland nicht auf einen Umkehrschluss ankomme, sondern sich diese Rechtsfolge schlichtweg aus der Abkommensanwendung selbst ergibt. Das Welteinkommensprinzip kann durch Vorschriften eines Doppelbesteuerungsabkommens eingeschränkt werden, wenn die Anwendungsvoraussetzungen des Methodenartikels (entsprechend Art. 23A Abs. 1 OECD-MA) kumulativ erfüllt sind, d.h. im Ansässigkeitsstaat Deutschland ist die Anwendung der Freistellungsmethode bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen zu gewähren: (1) Es ist eine in der Bundesrepublik Deutschland (nach dem Abkommen) ansässige Person gegeben. (2) Es liegen Einkünfte aus dem anderen Vertragsstaat vor. (3) Die Einkünfte müssen nach einer Zuteilungsnorm des Abkommens (entsprechend Art. 6 bis 21 OECD-MA) in dem anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) besteuert werden können. (4) Für die betreffenden Einkünfte darf nach der Vermeidungsnorm des Abkommens nicht die Anrechnungsmethode vorgesehen sein.
3 4
Az.: I R 64/92, IStR 1993, S. 468. Vgl. Grotherr, S. Geänderte Rechtsauffassung des BFH zur Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel ("subject-to-tax-clause"), IWB 2004, F. 3 Deutschland, Gr. 2, S. 1145-1156.
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Siegfried Grotherr
Die Rückfallklausel ergänzt die in der obigen Aufzählung an zweiter Stelle genannte Voraussetzung für die Anwendung der Freistellungsmethode um eine weitere Bedingung: Die Einkünfte einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Person gelten im Sinne des Methodenartikels nur dann als aus dem anderen Vertragsstaat stammend, wenn sie in Übereinstimmung mit dem Abkommen in dem anderen Vertragsstaat besteuert werden. Werden die betreffenden Einkünfte im anderen Vertragsstaat nicht besteuert, kann das Abkommen somit gegenüber dem aus der unbeschränkten Steuerpflicht abgeleiteten Welteinkommensprinzip beim Ansässigkeitsstaat keinen Besteuerungsverzicht auslösen, d.h. die Besteuerung der Einkünfte findet so statt, als sei das Abkommen nicht anwendbar bzw. nicht vorhanden. Durch die "Rückfallklausel" wird somit gewährleistet, dass das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates nur dann verloren geht, wenn eine Besteuerung der Einkünfte im anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) erfolgt. Die nach dem Abkommen nicht im anderen Vertragsstaat besteuerten Gewinne oder Einkünfte können somit nicht als aus diesem Staat stammend gelten. Dies wäre jedoch Voraussetzung für eine abkommensrechtliche Steuerfreistellung im Ansässigkeitsstaat. Deutschland kann die betreffenden Einkünfte somit unbeschadet des Abkommens besteuern. Bei der Rückfallklausel handelt es sich daher lediglich um eine "Einkünftelokalisierungsregel" mit weitreichenden Folgen. Von einem "Umkehrschluss" (so der BFH im Urteil vom 17.12.2003) kann somit nicht gesprochen werden. In dem Urteil vom 17.10.20075 zum DBA-Italien hält der I. Senat des Bundesfinanzhofs an seine in der Entscheidung vom 17.12.2003 vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr länger fest und kehrt zu seinem im Urteil vom 5.2.1992 geäußerten ursprünglichen Abkommensverständnis zurück. Der BFH sieht die Rückfallklausel ihrer Formulierung nach lediglich als eine "Einkünfteherkunftsbestimmung" an. Der Entscheidung ist rechtssystematisch zuzustimmen, wenngleich sie für die Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung alte Probleme zur Anwendung der Rückfallklausel wieder aufwirft. Hierauf soll im Weiteren u.a. eingegangen werden.
5
Az.: I R 96/06, IStR 2008, S. 262.
Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im Wandel der Zeit
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2 Das BFH-Urteil vom 17.10.2007 - Erneute Rechtsprechungsänderung zur abkommensrechtlichen Rückfallklausel und Rückkehr zur ursprünglichen Senatsrechtsprechung In dem Sachverhalt des Urteils vom 17.10.2007 ging es um einen anlässlich einer formwechselnden Umwandlung einer italienischen Personengesellschaft in eine italienische Kapitalgesellschaft entstandenen und in Italien nicht besteuerten Gewinn. Die Umwandlung erfolgte im Jahre 1994 im Einklang mit der italienischen Steuergesetzgebung zum Buchwert. Eine formwechselnde Umwandlung einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft galt im Umwandlungsjahr 1994 nach deutschem Steuerrecht einkommensteuerrechtlich als tauschähnlicher Vorgang und damit als Veräußerung, die handels- und steuerrechtlich zwingend eine Gewinnverwirklichung auslöste und keine Möglichkeit zur Buchwertfortführung zuließ. Dies betraf zum damaligen Zeitpunkt sowohl Inlands- als auch Auslandsumwandlungen, so dass eine Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Grundfreiheiten nach Auffassung des I. Senats nicht zu erwägen war. Das DBA-Italien vom 18.10.1989 enthält in Ziff. 16 Buchst. d des Schlussprotokolls die folgende Rückfallklausel: "Für Zwecke des Artikels 24 Absatz 3 Buchstabe a gelten die Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person als aus dem anderen Vertragsstaat stammend, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen effektiv besteuert worden sind." Wegen der in Italien gegebenen Möglichkeit der Buchwertfortführung war die formwechselnde Umwandlung ohne Gewinnrealisierung durchgeführt worden, so dass eine Besteuerung der tatsächlich vorhandenen stillen Reserven in Italien unterblieben war. Nach Auffassung des erkennenden Senats erfordert die Steuerfreistellung dieser nach deutschen steuerlichen Rechtsverständnis aufgedeckten stillen Reserven in Deutschland die Herkunft der betreffenden Einkünfte aus Italien, was wiederum gemäß der Rückfallklausel deren dortige effektive Besteuerung voraussetzt, an der es im Urteilssachverhalt jedoch fehle. Einer ausdrücklichen Anordnung eines "Rückfalls" des Besteuerungsrechts an Deutschland bedürfe es nicht, damit die ausländischen Einkünfte im Ansässigkeitsstaat des Einkünftebeziehers Deutschland der Besteuerung zu unterwerfen sind, wenn eine Besteuerung in Italien unterblieben ist.
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Siegfried Grotherr
Das neuerliche Regelungsverständnis des I. Senats steht im Gegensatz zu dem Senatsurteil vom 17.12.2003, mit dem die im Urteil vom 5.2.1992 begründete Rechtsauffassung aufgegeben wurde. Insofern kehrt der I. Senat nunmehr zu seiner ursprünglichen Rechtsprechung zurück, was Auswirkungen auf die Anwendung der in den anderen deutschen DBA enthaltenen Rückfallklauseln und auch auf die Auffassung der Finanzverwaltung zur Anwendung von Rückfallklauseln haben dürfte. Die Finanzverwaltung hatte sich in einer Reihe von OFD-Verfügungen6 der Auffassung des BFH im Urteil vom 17.12.2003 angeschlossen und nur noch die Rückfallklauseln in dem DBA-Italien (Ziff. 16 Buchst. d Schlussprotokoll) sowie dem DBA-Österreich (Art. 15 Abs. 4) infolge (von Art. 23 Abs. 3 DBA-Kanada vom 17.7.1981) abweichender Abkommensformulierungen für anwendbar erklärt. Es erscheint naheliegend, dass die Finanzverwaltung ihre Verwaltungsanweisungen entsprechend der erneuten Rechtsprechungsänderung anpassen wird. Die Vorinstanz7 hatte bei Ziff. 16 Buchst. d des Schlussprotokolls in Übereinstimmung mit dem Senatsurteil vom 17.12.2003 das Vorliegen einer Rückfallklausel verneint und hierbei vor allem auf den Regelungszusammenhang mit Ziff. 18 Buchst. b des Schlussprotokolls zum DBA-Italien verwiesen, die eine switch-over-Klausel bei einem Qualifikations- oder Zurechnungskonflikt enthält, der nicht zu einer doppelten Nichtbesteuerung oder Minderbesteuerung von Einkünften führen soll. In diesen Fällen darf der Ansässigkeitsstaat Deutschland von der an sich abkommensrechtlich für die betreffenden Einkünfte vorgesehenen Steuerfreistellung zur Steuerpflicht der Einkünfte (ggf. mit Anrechnung einer ausländischen Quellensteuer) übergehen. Würde Ziff. 16 Buchst. d des Schlussprotokoll im Sinne einer Rückfallklausel verstanden, soll die switch-over-Klausel der Ziff. 18 Buchst. b des Schlussprotokolls nach Auffassung des FG München leer laufen, da es für die Rückfallklausel auf den Grund für die Nichtbesteuerung im Quellenstaat nicht ankommt. Dieser Argumentation tritt der I. Senats des BFH jedoch entgegen. Die Rückfallklausel diene dazu, dass der Ansässigkeitsstaat sein Besteuerungsrecht ggf. aufrecht erhalte, wohingegen die switch-over-Klausel die Umschaltung der Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Freistellung zur Anrechnung bewirke (sog. Umschaltklausel). 6
7
Vgl. OFD Düsseldorf und Münster, Vfg. vom 18.7.2005, S 1301 A - 12 (D), S 1315 - 42 - St 14 32 (Ms), IStR 2006, S. 96; OFD Frankfurt am Main, Vfg. vom 19.7.2006, S 1301 A - 55 - St 58, DStZ 2006, S. 708. Siehe auch BMF-Schreiben vom 14.9.2006, IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, S. 532, Tz. 156f. Vgl. FG München, Urteil vom 8.11.2006, 9 K 4233/02, EFG 2007, S. 356.
Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im Wandel der Zeit
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In den Abkommen, die sowohl eine Rückfallklausel als auch eine switch-over-Klausel enthalten (DBA-Dänemark, DBA-Italien, DBA-Norwegen, DBA-Österreich, DBASchweden) ergibt sich dann in der Tat die Frage, wann die switch-over-Klausel bei einem Qualifikations- oder Zurechnungskonflikt im Falle einer doppelten Nichtbesteuerung der Einkünfte noch zum Tragen kommt, zumal hier der Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode durch den Ansässigkeitsstaat Deutschland die vorherige erfolglose Durchführung eines Verständigungsverfahrens voraussetzt.8 Der Anwendungsbereich der switch-over-Klausel würde sich hier ggf. auf den Fall der doppelten Besteuerung und den Fall der nur ermäßigten Besteuerung einengen. Dem Grundsatz der Entscheidungsharmonie würde am ehesten Rechnung getragen werden, wenn der switch-over-Klausel gegenüber dem Rückfallklausel in den einschlägigen Sachverhalten Vorrang einzuräumt würde.9 Die Rückfallklausel könnte dann ihren Anwendungsbereich vor allem dort entfalten, wo dem inländischen Steuerpflichtigen z.B. durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung im Quellenstaat oder aus einem Versehen der ausländischen Steuerbehörden ein steuerlicher Vorteil erwächst, nur weil Deutschland die betreffenden Einkünfte der Freistellungsmethode unterwirft. In derartigen Fällen liegt weder ein Qualifikations- noch ein Zurechnungskonflikt vor, so dass es für die Rückfallklausel neben der switch-over-Klausel noch einen eigenständigen sachlichen Anwendungsbereich gäbe, der eine inhaltliche Trennung dieser Abkommensklauseln rechtfertigt. Der inländische Fiskus kann z.B. aus der Verletzung von Steuererklärungspflichten gegenüber dem anderen Vertragsstaat nicht per se steuerliche Rechtsfolgen zu seinen Gunsten herleiten (Ausnahme z.B. § 50d Abs. 8 EStG: Unilaterale Rückfallklausel bei Arbeitnehmereinkünften).
8 9
Vgl. Salzmann, St., Anmerkung zum BFH-Urteil vom 17.10.2007, IStR 2008, S. 264. So bereits Grotherr, S., Zweifelsfragen bei der Anwendung der Rückfallklausel ("subject to tax clause") gemäß DBA, IWB 1997, F. 3 Deutschland, Gr. 2, S. 697.
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3 Offene Rechtsfragen auf der Grundlage der erneuten Rechtsprechungsänderung zur abkommensrechtlichen Rückfallklausel 3.1 Formwechselnde Umwandlung im Ausland unter Geltung des UmwStG i.d.F. des SEStEG Das SEStEG vom 7.12.200610 hat zu einer Europäisierung der Vorschriften des UmwStG geführt. Der Anwendungsbereich des Formwechsels gemäß § 25 UmwStG erfasst über § 1 Abs. 3 Nr. 3 und § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG auch einen einem Formwechsel im Sinne des § 190 Abs. 1 UmwG vergleichbaren ausländischen Vorgang, sofern der übernehmende Rechtsträger eine EU-Kapitalgesellschaft und der übertragende Rechtsträger eine EU-Personengesellschaft ist. Der übernehmende Rechtsträger könnte das eingebrachte Betriebsvermögen mit dem Buchwert Wert ansetzen.11 Der gemeine Wert bildet gemäß § 20 Abs. 3 Satz 2 UmwStG die Anschaffungskosten für die Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft. Sofern es zwischen dem Zeitpunkt des Formwechsels und einer späteren Veräußerung der Anteile zu keinem Wertzuwachs kommt, entsteht kein Veräußerungsgewinn, der nach § 17 Abs. 1 und 2 EStG i.V.m. Art. 13 Abs. 4 DBA-Italien der deutschen Besteuerung unterläge.12 Insofern wäre die Rückfallklausel im DBA-Italien in einem derartigen Sachverhalt wirkungslos.
3.2 Eingreifen der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Abs. 9 EStG? Bei dem Urteilssachverhalt, der der Entscheidung des BFH vom 17.10.2007 zugrunde lag, ging es um die formwechselnde Umwandlung einer ausländischen Personengesellschaft in eine ausländische Kapitalgesellschaft mit anschließender Veräußerung der erworbenen Gesellschaftsanteile. Sofern mit dem ausländischen Staat, in dem die von dem Formwechsel betroffenen Gesellschaften ansässig sind, kein Doppelbesteuerungsabkommen mit einer Rückfallklausel besteht, könnte sich die Frage stellen, ob die unilaterale Rückfallklausel des § 50d Abs. 9 EStG hier zu einer inländischen Steuerpflicht der anlässlich der Umwandlung aufgedeckten stillen Reserven führen könnte, wenn der ausländische Ansässigkeitsstaat nach seinem innerstaatlichen Steuerrecht die 10 11 12
BGBl. I 2006, S. 2782. Vgl. Behrens, St./Grabbe, J., BB-Kommentar zum BFH-Urteil vom 17.10.2007, BB 2008, S. 820. Vgl. Trossen, N., Anmerkung zum Urteil des FG München vom 8.11.2006, EFG 2007, S. 360.
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Buchwertfortführung bzw. einen steuerneutralen Formwechsel zulässt.13 § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG verlangt für die Anwendung der unilateralen Rückfallklausel, dass die Nichtbesteuerung der relevanten Einkünfte im anderen Vertragsstaat auf der Abkommensanwendung beruht. Da die Möglichkeit des steuerneutralen Formwechsels jedoch auf dem innerstaatlichen Steuerrecht des anderen Vertragsstaates beruhen wird, ist diese Bestimmung nicht anwendbar. Dem gegenüber knüpft § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG zwar an das innerstaatliche Steuerrecht an. Sofern die Möglichkeit des steuerneutralen Formwechsels nicht auf beschränkt steuerpflichtige Gesellschafter begrenzt ist, sondern auch in diesem Staat ansässigen Personen gleichfalls gewährt wird, ist auch diese Regelung nicht einschlägig. Insofern wird die unilaterale Rückfallklausel der Möglichkeit des steuerneutralen Formwechsels in der Regel nicht entgegen stehen.
3.3 Wann liegt eine Nichtbesteuerung der Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat vor? Mit der erneuten Rechtsprechungsänderung zur abkommensrechtlichen Rückfallklausel wird die Frage wieder aktuell, wann eine Besteuerung der Einkünfte bzw. eine Nichtbesteuerung der Einkünfte im anderen Vertragsstaat vorliegt, d.h. vor allem, ob es für die Anwendung der Rückfallklausel auf den Grund der Nichtbesteuerung der Einkünfte im Quellenstaat ankommt. Die Nichtbesteuerung der Einkünfte im anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) kann z.B. darauf beruhen, dass x die betreffenden Einkünfte nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates nicht steuerbar sind, x die Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat sachlich von der Besteuerung befreit sind, und zwar entweder nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens, das der andere Vertragsstaat mit einem Drittstaat abgeschlossen hat (sog. Dreieckssachverhalt), x die betreffenden Einkünfte zwar nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates steuerpflichtig sind, jedoch keine tatsächliche Besteuerung stattgefunden hat, weil die Einkünfte aufgrund eines Freibetrags oder einer Freigrenze nicht besteuert worden sind, oder die Einkünfte aufgrund der Tatsache, dass ein persönlicher Grundfreibetrag nicht überschritten wurde, aufgrund einer persönlichen Steuerbefreiung des in Deutschland Ansässigen (z.B. 13
Vgl. Salzmann, St., Anmerkung zum BFH-Urteil vom 17.10.2007, IStR 2008, S. 265.
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Siegfried Grotherr gemeinnützige Körperschaft) im anderen Vertragsstaat nicht besteuert worden sind,
x der Steuerpflichtige im anderen Vertragsstaat keine Steuererklärung abgegeben oder die betreffenden Einkünfte nicht deklariert hat, die betreffenden Einkünfte aufgrund eines Versehens oder Rechtsfehlers der ausländischen Steuerbehörden nicht der Besteuerung unterworfen wurden, oder für die Einkünfte nach dem Steuerrecht des anderen Vertragsstaates die Festsetzungsverjährung eingetreten ist, so dass keine ausländische Steuer mehr festgesetzt werden kann, x die betreffenden Einkünfte zwar nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates steuerpflichtig sind und sie auch in die Besteuerung einbezogen wurden, jedoch keine Steuerzahlungspflicht eingetreten ist, da sie z.B. durch Sonderabschreibungen für bestimmte Investitionsmaßnahmen in dem anderen Vertragsstaat steuerlich neutralisiert worden sind, oder die Einkünfte zu keiner Steuerzahlungspflicht im Quellenstaat geführt haben, weil die Zahlungsverjährung eingetreten ist und deshalb keine ausländische Steuer mehr eingetrieben werden kann. Kommt es für die Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel nur darauf an, inwieweit nach den innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen steuerlichen Rechtsvorschriften des Quellenstaates eine Nichtbesteuerung eintritt oder ist eine tatsächliche Nichtbesteuerung infolge besonderer Umstände in gleicher Weise relevant? In dem Urteil vom 19.5.199314 führt der BFH aus, dass eine Rückfallklausel ("subject to tax clause") eine Steuerbefreiung im Inland nur unter dem Vorbehalt gewährt, dass die freizustellenden Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat "steuerpflichtig" sind. Es fragt sich jedoch, ob die Steuerpflicht bereits ausreichend ist, damit eine Besteuerung im Sinne der Rückfallklausel vorliegt. Muss ggf. eine Steuerveranlagung durchgeführt worden sein? Nach dem BFH-Urteil vom 27.8.199715 kommt es für die Frage, ob die Einkünfte aus dem anderen Vertragsstaat stammen, nicht darauf an, in welchem Umfang die betreffenden Gewinne oder Einkünfte von der dortigen Besteuerung erfasst werden oder ob dort alle Einkunftsteile im Rahmen der ausländischen Steuerveranlagung auch zu einer konkreten Steuerzahlungspflicht führen. Die abkommensrechtliche Rückfallklau14 15
Az.: I R 64/92, IstR 1993, S. 468, 469. Az.: I R 127/95, BStBl. II 1998, S. 58.
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sel enthält lediglich eine qualitativ-konditionale Voraussetzung der Besteuerung der Einkünfte im anderen Vertragsstaat ("wenn"), nicht jedoch eine solche quantitativer Art ("soweit"). Eine Zerlegung der betreffenden Einkünfte in seine Einzelteile komme nicht in Betracht. Belassen die innerstaatlichen Besteuerungsgrundlagen für die Einkünfte einzelne Besteuerungslücken, so ändere dies nichts an der Herkunft der Einkünfte aus Quellen in dem anderen Vertragsstaat. Deshalb dürfte davon auszugehen sein, dass es für die Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel nur darauf ankommt, ob die betreffenden Einkünfte gänzlich nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften von der Besteuerung in dem anderen Vertragsstaat ausgenommen sind oder sie aus anderen Gründen keiner tatsächlichen Besteuerung unterzogen wurden (insbes. Nichtdeklaration der Einkünfte im anderen Vertragsstaat, Eintreten der Festsetzungsverjährung). Die Problematik der abkommensrechtlichen Rückfallklausel zeigt sich z.B. auch bei einem Bezug von Schachteldividenden, von denen nach der Mutter-Tochter-Richtlinie bei Zahlung durch eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft keine Quellensteuer erhoben werden darf. Nach dem Wortlaut der abkommensrechtlichen Rückfallklausel gelten diese Einkünfte (Schachteldividenden) (nur dann) als aus dem anderen Vertragsstaat stammend, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen besteuert worden sind, so dass die aus Italien und Schweden stammenden Schachteldividenden nicht abkommensrechtlich steuerbefreit wären, wenn es keine innerstaatliche Steuerbefreiung gäbe (hier gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG in Form der Beteiligungsertragsbefreiung).
4 Die abkommensrechtliche Rückfallklausel im DBA-USA i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 1.6.2006 4.1 Überblick Nach Art. 23 Abs. 4 Buchst. b DBA-USA i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 1.6.2006 wendet Deutschland die Anrechnungs- und nicht die Freistellungsmethode an, wenn die USA x 1. Alt.: das Abkommen so anwenden, dass sie die Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung ausnehmen oder die Einkünfte nur zu den in Artikel 10 Absätze 2 oder 3 (Dividenden) festgelegten Höchststeuersätzen besteuern, oder
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x 2. Alt.: wenn die USA diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach dem Abkommen besteuern können, durch ihr innerstaatliches Recht jedoch daran gehindert werden. Art. 23 Abs. 4 Buchst. b 1. Alt. DBA-USA 2006 behandelt somit vor allem den Qualifikations- oder Zuordnungskonflikt, der zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen würde. Nach dieser Abkommensklausel könnten auch Schachteldividenden aus den USA vollumfänglich in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden.16 Die in Art. 23 Abs. 4 Buchst. b 2. Alt. DBA-USA 2006 enthaltene Rückfallklausel stellt auf die innerstaatliche Steuerbefreiung der Einkünfte oder des Vermögens in den USA ab, d.h. dass nach dem US-amerikanischen Steuerrecht "keine steuerpflichtigen Einkünfte" vorliegen.17 Wolff/Eimermann18 vertreten hierzu die Auffassung, dass der Grund der Nichtbesteuerung ohne Bedeutung sei, was allerdings zumindest angesichts des BFHUrteils vom 27.8.199719 zweifelhaft erscheint, da dann die nicht praktikable "Einkünfteaufteilung" mit ihren schwierigen Abgrenzungsfragen erforderlich wäre und darüber hinaus dies Eingriffe des einen Vertragsstaates in die Steuersouveränität des anderen zur Folge hätte. Fälle einer Steuerverkürzung durch Nichtdeklaration der betreffenden Einkünfte in den USA durch den inländischen Steuerpflichtigen würden durch die neue abkommensrechtliche Rückfallklausel jedoch nicht erfasst.20 Ein vorangegangenes erfolgloses Verständigungsverfahren ist keine Voraussetzung für die Anwendung der Rückfallklausel gemäß Art. 23 Abs. 4 Buchst. b DBA-USA 2006. Die Frage, ob bei einer verbindlichen Schiedsentscheidung über die Nichtanwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel noch Raum für die Anwendung der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Abs. 9 EStG ist, stellt sich hier m.E. nicht21, da das Verständigungsverfahren und das Schiedsverfahren nur dann in Betracht kommen, wenn Doppelbesteuerungskonflikte beizulegen sind. Im Falle der Anwendung der Rückfallklausel kann sich das Problem einer Doppelbesteuerung im Grundsatz jedoch
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Gl.A. Kleutgens,I./Sinewe, P., Das geänderte DBA zwischen den USA und Deutschland, RIW 2006, Beilage 2 zu Heft 12, S. 13, Fn. 90. So in der Denkschrift zum Abkommen, BR-Drucks. 628/06, S. 39. Neuerungen im DBA-USA: Änderungsprotokoll vom 1. Juni 2006 zum DBA-USA 1989 und dem Protokoll dazu, IStR 2006, S. 845. Az.: I R 127/95, BStBl. II 1998, S. 58. So Wolff, U./Eimermann, D., IStR 2006, S. 845. A.A. Vliegen, D., Anwendung der Rückfallklausel im künftigen DBA-USA auch auf Dividenden, Zinsen etc., die von eienr US-Betriebsstätte eines deutschen Kreditinstituts vereinnahmt werden?, IWB 2007, F. 8 USA, Gr. 2, S. 1484 u. 1494.
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nicht stellen, da Anwendungsvoraussetzung für den Art. 23 Abs. 4 Buchst. b 2. Alt. DBA-USA 2006 ja gerade ist, dass die Einkünfte in den USA nicht besteuert werden.
4.2 Anwendung der Rückfallklausel auf Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren einer US-amerikanischen Betriebsstätte? In der Literatur ist mehrfach die Frage aufgeworfen worden, wie Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren ("Investmenteinkünfte") als Teil der Einkünfte einer US-amerikanischen Betriebsstätte eines deutschen Stammhauses bei der Vermeidung der Doppelbesteuerung in Deutschland behandelt werden, wenn diese Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren aus Drittstaaten stammen und sie in den USA keiner Besteuerung im Rahmen der Betriebsstätteneinkünfte unterlegen haben.22 Eine vergleichbare Fragestellung ergibt sich, wenn die betreffenden Dividenden, Zinsen oder Lizenzgebühren von einer US-amerikanischen Personengesellschaft bezogen werden, an der ein im Inland ansässiger Gesellschafter beteiligt ist. Hintergrund der US-amerikanischen Steuerbefreiung ist die Regelung in Section 864 (c) (4) (D) (i) Internal Revenue Code23, nach der die von einem ausländischen verbundenen Unternehmen an eine USamerikanische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens gezahlten Vergütungen nicht als in tatsächlichem Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit in den USA ("effectively connected with a U.S. trade or business") durch das Empfängerunternehmen stehend angesehen werden mit der Konsequenz, dass die in Drittstaaten von diesen Vergütungen gezahlten Quellensteuern auch nicht auf die US-amerikanische Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden können. Unterliegen diese Vergütungen weder im Quellen-Drittstaat noch in den USA als Betriebsstättenstaat noch in der Bundesrepublik Deutschland als Ansässigkeitsstaat des Stammhauses oder des Gesellschafters einer Besteuerung, lägen international gesehen "weiße Einkünfte" vor. Abkommensrechtlich soll der Entstehen einer derartigen Keinmalbesteuerung vor allem durch eine Rückfallklausel oder im Falle eines (negativen) Qualifikations- oder Zurechnungskonflikts durch eine switch-over-Klausel verhindert werden.
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Vgl. z.B. Wolff, in: Debatin, H./Wassermeyer, F. (Hrsg.), Doppelbesteuerung. Kommentar, München (Losebl.), Art. 23 DBA-USA, Rz. 308 sowie Rz. 315 Beispiel 2; Endres, D./Wolff, U., Musterfälle zum revidierten deutsch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2006, S. 729; Vliegen, D., IWB 2007, S. 1483-1494; s.a. FG Düsseldorf, Urteil vom 24.4.2007, 6-K2583/05-K-F, EFG 2007, S. 1576. Siehe auch Treasury Regulation § 1.864-5(d)(1).
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Liegt kein Qualifikations- oder Zurechnungskonflikt vor und besteuern die USA die betreffenden Investmenteinkünfte nach ihrem innerstaatlichem Steuerrecht nicht, so konnte eine doppelte Nichtbesteuerung nach dem bisherigen DBA-USA i.d.F. vor der Änderung durch das Protokoll vom 1.6.2006 nicht durch die Anwendung der switchover-Klausel gemäß Protokoll Nr. 21 Buchst. a) bb) vermieden werden.24 Die Anwendung der Rückfallklausel gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-USA i.d.F. vor der Änderung durch das Protokoll vom 1.6.2006 kam auf der Grundlage der BFH-Entscheidung vom 17.12.2003 nicht in Betracht, da diese Abkommensregelung eine Schlussfolgerung in dem Sinne nicht zulasse, dass das Besteuerungsrecht bei Nichtausübung eines ausschließlichen Besteuerungsrechts des anderen Vertragsstaat dieses an Deutschland zurückfalle. Das FG Düsseldorf hat sich im rechtskräftigen Urteil vom 24.4.200725 dieser Beurteilung angeschlossen. Im Urteilssachverhalt ging es um die deutsche Besteuerung von Lizenzgebühren, die eine US-amerikanische Personengesellschaft von in Drittstaaten ansässigen konzernverbundenen Unternehmen bezogen hatte und die in den USA keiner Besteuerung unterlegen hatten. An der US-amerikanischen Personengesellschaft war eine deutsche Kapitalgesellschaft als Gesellschafterin beteiligt. Die Markenrechte, für die die Lizenzgebühren gezahlt wurden, gehörten unstreitig rechtlich und tatsächlich zum Betriebsvermögen der US-amerikanischen Personengesellschaft. Von dem Vorliegen eines Qualifikationskonflikts ging das FG Düsseldorf nicht aus, da der Verzicht des US-amerikanischen Fiskus auf eine Besteuerung der betreffenden Einkünfte ausschließlich auf einen innerstaatlichen Steuerbefreiungstatbestand basiere. Die Nichtausübung eines abkommensrechtlich bestehenden Besteuerungsrechts auf der Grundlage einer innerstaatlichen Steuerbefreiungsvorschrift könne nicht dazu führen, dass die betreffenden Einkunftsbestandteile abkommensrechtlich isoliert als außerhalb der Betriebsstätte bezogene Einkünfte (hier Lizenzgebühren) anzusehen seien. Durch die Änderungen der betreffenden Freistellungsvorbehaltsregelungen in dem DBA-USA i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 1.6.2006 und unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsauffassung des BFH im Urteil vom 17.10.2007 zum Rechtsverständnis einer Rückfallklausel könnte es nunmehr ggf. zu einer anderen Beurteilung
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Vgl. Wolff, in: Debatin,H./Wassermeyer, F. (Hrsg.), Art. 23 DBA-USA, Rz. 308; a.A. offenbar derselbe, in: Debatin, H./Wassermeyer, F. (Hrsg.), Art. 23 DBA-USA, Rz. 315 Beispiel 2. Az.: 6-K-2583/05-K-F, EFG 2007, S. 1576.
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kommen. Nach Endres/Wolff26 macht Art. 23 Abs. 4 Buchst. b 2. Alt. DBA-USA i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 1.6.2006 eine Auseinandersetzung mit dem o.g. Problem entbehrlich, da in diesem Fall die deutsche Steuerfreistellung für derartige Einkünfte (d.h. für die Investmenteinkünfte im Rahmen der Betriebsstättengewinne) nicht gewährt wird, die die USA zwar nach dem Abkommen gemäß ihrer eigenen Qualifikation besteuern können, deren Besteuerung ihr innerstaatliches Recht aber verbietet. Hierbei soll es auch nicht mehr darauf ankommen, aus welchem Grund die USA die Einkünfte nicht besteuern können. Diese Auffassung muss zumindest in Zweifel gezogen werden, weil damit die im BFH-Urteil vom 27.8.1997 niedergelegten Rechtsprechungsgrundsätze verletzt würden, nach denen eine Einkünfteaufteilung nicht in Betracht kommt. Der Abkommenswortlaut verwendet nur die qualitativ-konditionale Voraussetzung "wenn" und nicht eine solche quantitativer Art ("soweit"). Darüber hinaus ist im Abkommenswortlaut von Einkünften und nicht von Einkunftsteilen die Rede. Freigestellt werden die nach deutschen steuerrechtlichen Einkunftsermittlungsvorschriften aus der jeweiligen ausländischen Einkunftsquelle erzielten Einkünfte. Eine andere steuerrechtliche Beurteilung könnte sich erst dann ergeben, wenn die aus Drittstaaten erzielten Investmenteinkünfte keine tatsächlich-funktionale Bedeutung für die von der Betriebsstätte bzw. Personengesellschaft ausgeübten Tätigkeit haben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH27 können für Zwecke der Anwendung des Methodenartikels aus Drittstaaten stammende Dividenden nur dann zu den Unternehmensgewinnen gehören, wenn sie tatsächlich zu einer Betriebsstätte gehören, was wiederum voraussetzt, dass sie in einem funktionalen Zusammenhang mit der in der Betriebsstätte ausgeübten unmittelbaren unternehmerischen Tätigkeit stehen (d.h. positive Auswirkungen auf die ausgeübte Tätigkeit haben) und es sich nach der Verkehrsauffassung um Nebenerträge jener Tätigkeit handelt.
4.3 Verhältnis der abkommensrechtlichen Rückfallklausel gemäß DBA-USA 2006 zur unilateralen Rückfallklausel nach § 50d Abs. 9 EStG Kommt nach den obigen Ausführungen die Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel gemäß Art. 23 Abs. 4 Buchst. b DBA-USA 2006 nicht in Betracht, 26 27
Vgl. Endres, D./Wolff, U., IStR 2006, S. 729. Vgl. z.B. den BFH-Beschluss vom 19.12.2007, I R 66/06, RIW 2008, S. 331, m.w.N.; s.a. BFHUrteil vom 13.2.2008, I R 63/06, LexInform Nr. 0587954.
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stellt sich die weitere Frage, inwieweit nach der unilateralen Rückfallklausel des § 50d Abs. 9 EStG noch eine inländische Steuerpflicht der in den USA auf der Basis der innerstaatlichen US-amerikanischen Rechtsvorschriften steuerfrei behandelten Einkünfte in Betracht kommen kann. Deutschland wendet als Ansässigkeitsstaat nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht mehr die Steuerfreistellung an, sondern geht von einer inländischen Steuerpflicht der aus dem anderen Vertragsstaat (Quellenstaat) stammenden Einkünfte aus, wenn der andere DBA-Staat die Bestimmungen des Abkommens so anwendet, dass die betreffenden Einkünfte entweder in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind oder nur zu einem durch das Abkommen begrenzten (Quellen-)Steuersatz besteuert werden können. Der Gesetzeswortlaut verlangt keine weiteren Voraussetzungen für den switch over von der Steuerfreistellung zur Steuerpflicht der ausländischen Einkünfte. Vorausgesetzt wird lediglich, dass die Nichtbesteuerung der Einkünfte bzw. die Besteuerung zum abkommensrechtlich begrenzten Steuersatz konkret auf die Anwendung von Abkommensbestimmungen zurückzuführen ist, d.h. generelle sachliche oder persönliche Steuerbefreiungen nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Quellenstaates dürften demgemäß steuerunschädlich sein. In der Regel wird die Steuerfreiheit ("von der Besteuerung auszunehmen") im Quellenstaat auf einer abkommensrechtlichen Zuteilungsnorm basieren, nach der der Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen (hier Deutschland) das ausschließliche Besteuerungsrecht und damit der Quellenstaat kein Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte hat. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG ordnet bei ausländischen Einkünften einen Übergang von der abkommensrechtlichen Steuerfreistellung zur inländischen Steuerpflicht an, wenn die betreffenden Einkünfte in dem anderen DBA-Staat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht auf Grund eines steuerlichen Ansässigkeitsmerkmals (= Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt bei natürlichen Personen; Sitz, Ort der Geschäftsleitung o.ä. Merkmal bei einer juristischen Person) "unbeschränkt steuerpflichtig" ist. Die Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG zielt damit vor allem auf Steuergestaltungsmodelle ab, die bestehende sachliche Steuerbefreiungen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht in DBA-Staaten gezielt zu nutzen versuchen. Aus der Anwendung des Territorialitätsprinzips im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht in einem anderen DBA-Staat soll einem unbeschränkt Steuerpflichtigen z.B. nicht die Möglichkeit erwachsen, Drittstaateneinkünfte über den Umweg über einen DBA-Staat in Deutschland steuerfrei zu vereinnahmen. So könnten u.a. Gewinne aus einem in einem Drittstaat betriebenen Versicherungsgeschäft oder Kapitalerträge aus einem Drittstaat - die dort keiner Besteuerung unterlegen haben - über eine DBA-Betriebsstätte
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geleitet werden, die in dem DBA-Staat als Drittstaateneinkünfte nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. In Deutschland würden die DBA-Betriebsstätteneinkünfte der abkommensrechtlichen Steuerfreistellung unterliegen. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG kommt es nicht darauf an, ob die mangelnde Steuerpflicht ("nicht steuerpflichtig") der Einkünfte im Quellenstaat auf innerstaatlichem Recht oder ggf. auf Abkommensrecht beruht. Nach der Gesetzesbegründung hebt § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG die in Deutschland vorgesehene abkommensrechtliche Steuerfreistellung auf, "wenn der andere Vertragsstaat die Einkünfte nicht besteuern kann, weil dessen innerstaatliches Recht diese Einkünfte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst."28 Von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG werden jedoch nicht die Einkünfte erfasst, die nach dem Recht des anderen DBA-Staates allgemein von der Besteuerung ausgenommen sind29, d.h. die auch im Rahmen einer dortigen "unbeschränkten" Steuerpflicht steuerfrei wären. Da die aus Drittstaaten stammenden Investmenteinkünfte nur deshalb nicht der USamerikanischen Besteuerung unterliegen, weil sie von einer nichtansässigen Person über eine US-amerikanische Betriebsstätte bzw. US-amerikanischen Personengesellschaft bezogen werden, würde in dem o.g. Fall wohl § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG anzuwenden sein. Die Nichtanwendung des Art. 23 Abs. 4 Buchst. b DBA-USA 2006 dürfte hier gegenüber der Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG als Spezialregelung zur Verhinderung einer doppelten Nichtbesteuerung von Einkünften keine "Abschirmwirkung" entfalten.
5 Schlussbetrachtung Wer glaubte, dass mit dem BFH-Urteil vom 17.12.2003 das Thema der abkommensrechtlichen Rückfallklausel in der internationalen Steuergestaltungsberatung erledigt sei, wird durch das neuere BFH-Urteil vom 17.10.2007 eines Besseren belehrt. Das (alte und) neue Rechtsverständnis des I. Senats des Bundesfinanzhofs zur Anwendung von Rückfallklauseln hat nicht nur Auswirkungen auf das DBA-Italien, sondern auch Auswirkungen auf die Anwendung der Abkommen mit Dänemark, Neuseeland, Norwegen und Schweden sowie in Bezug auf Einkünfte aus unselbständiger Arbeit im
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BR-Drucks. 622/06 v. 1.9.2006, S. 103. Vgl. BR-Drucks. 622/06 v. 1.9.2006, S. 103.
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Verhältnis zu Österreich. Frühere Zweifelsfragen zur Anwendbarkeit einer Rückfallklausel werden wieder aktuell, insbesondere zum Problem, welche Ursachen im anderen Vertragsstaat eine steuerschädliche Nichtbesteuerung der Einkünfte auslösen. Die Nichtbesteuerung auf der Grundlage von Freibeträgen, Freigrenzen oder auf der Basis eines Verlustausgleich mit negativen Einkünften aus anderen Quellen im gleichen Vertragsstaat hatte die Finanzverwaltung bereits bisher als steuerunschädlich angesehen.30 Es ist zu erwarten, das die Finanzverwaltung ihre Verwaltungsanweisung zur Anwendung von abkommensrechtlichen Rückfallklauseln auf der Basis der erneuten Rechtsprechungsänderung anpassen wird. Im Verhältnis zu den Staaten, bei denen das jeweilige Länderabkommen keine abkommensrechtliche Rückfallklausel enthält, bleibt in der internationalen Steuergestaltungsberatung weiterhin auch § 50d Abs. 9 EStG zu beachten. Die Rückfallklausel im neuen DBA-USA 2006 dürfte im Anwendungsbereich noch über § 50d Abs. 9 EStG hinaus gehen, da auch Steuerbefreiungen nach dem innerstaatlichen US-amerikanischen Steuerrecht als steuerschädlich im Sinne der Rückfallklausel angesehen werden. Fälle von Steuerverkürzungen in den USA werden jedoch weder nach der abkommensrechtlichen Rückfallklausel des Art. 23 Abs. 4 Buchst. b DBA-USA 2006 noch von der unilateralen Rückfallklausel des § 50d Abs. 9 EStG erfasst, wohl aber von § 50d Abs. 8 EStG im Falle von Arbeitnehmereinkünften.
30
Vgl. OFD Frankfurt am Main, Vfg. vom 19.7.2006, S 1301 A - 55 - St 58, DStZ 2006, S. 708, Abschn. C.
„Treaty Shopping“ bei Einschaltung von FinanzholdingGesellschaften durch ausländische Investoren im europäischen Ausland im Hinblick auf Investitionen in Deutschland
Wilhelm Haarmann
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Einführung........................................................................................................ 282
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Die jüngere Entwicklung zum Thema “Treaty Shopping“ in Deutschland ...................................................................................................... 283
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Die betriebswirtschaftlichen Zwecke einer Holding, insbesondere einer Finanzholding und die Gesichtspunkte der Standortwahl für die Holding .............................................................................................................. 286
4
Bedarf es weitergehender Substanz der Finanzholding? ............................. 292
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Zusammenfassung und Ergebnis.................................................................... 295
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1 Einführung Die inzwischen unter „Hilversum-Fälle“ 1 bekannt gewordene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 50 d Abs. 1a EStG (1994) (nicht wesentlich geändert in § 50 d Abs. 3 EStG (2002), grundlegend ausgedehnt in § 50 d Abs. 3 EStG (2007)) stellt nicht den Abschluss der Diskussion zur Frage der Behandlung von „Treaty Shopping“ in Deutschland dar. Vielmehr wurden die Verwaltung und der Gesetzgeber aufgrund dieser Rechtsprechung aktiv. Aber auch die Rechtsprechung zu diesem Thema scheint kein Ende zu finden, wie eine jüngste Entscheidung des Bundesfinanzhofs zeigt. In dieser jüngsten Entscheidung hatte sich der Bundesfinanzhof erneut mit der Thematik des früheren § 50 d Abs. 1a EStG (1994) zu befassen. Im Urteilsfall ging es um eine luxemburgische Aktiengesellschaft in der Rechtsform der SOPARFI, die als Holding für eine Unternehmensgruppe fungierte. Der Bundesfinanzhof geht in seinem Urteil vom 29.01.08 der Frage nach, wie viel Substanz eine derartige HoldingGesellschaft aufweisen muss2. Der Bundesfinanzhof basiert seine Entscheidung, mit der er die Sache an das Finanzgericht in Köln rückverweist, sehr stark auf dem EuGH-Urteil vom 12. September 2006 in der Sache „Cadbury-Schweppes“3, obwohl es bei dieser Entscheidung in der Sache um einen sogenannten „Outbound-Fall“ geht, d.h. um die Gründung und Unterhaltung einer Tochtergesellschaft im niedrig besteuerten Ausland, während es bei dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall um einen „Inbound-Fall“ geht, d.h. um die Zwischenschaltung einer Gesellschaft typischerweise in einem Drittland für einen ausländischen Investor in Deutschland. Im Folgenden soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Überlegungen des Europäischen Gerichtshofs zur Hinzurechnungsbesteuerung in der Rechtssache „Cadbury-Schweppes“ in gleicher Weise auf die Thematik des „Treaty Shopping“ Anwendung finden können. Die zu beantwortende Frage ist, inwieweit so genannte Inbound-Strukturen, wie sie bei § 50 d Abs. 1a EStG (1994) und § 50 d
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BFH, Urteil v. 20.3.2002, I R 38/00, BStBl II 2002, 819, IStR 2005, 710 – „Hilversum I“; BFH, Urteil v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, BStBl II 2006, 118, IStR 2005, 710 mit Anm. Jacob/Klein und Haarmann „Hilversum II“. BFH-Urteil vom u.v. 29.01.08, IR 26/06, Der Betrieb 2008, Seite 1020; Vorinstanz: FG Köln, U.v. 16.03.06 2K 1139/02, EFG 2006, 896. Gosch, Die Zwischengesellschaft nach „Hilversum I und II“, „Cadbury-Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008 in Festschrift für Reiß, Seite 597ff., hier insbesondere Seite 618.
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Abs. 3 EStG (2002 und 2007) anzutreffen sind, mit Outbound-Strukturen, wie sie in Fällen der Hinzurechnungsbesteuerung vorliegen, vergleichbar sind. Gosch, Vorsitzender des 1. Senats des Bundesfinanzhofs, meinte in seinem Aufsatz in der Festschrift für Reiß4 zur Unterscheidung zwischen „Outbound-Situationen“ und anderen Konstellationen, vor allem bei § 50 d Abs. 3 EStG: „Dieser Unterschied sollte eine wesentliche Rolle spielen.“
2 Die jüngere Entwicklung zum Thema “Treaty Shopping“ in Deutschland Das Thema „Treaty Shopping“ hat mittlerweile eine längere Geschichte. Diese Geschichte wurde bereits anderweitig im Einzelnen aufgearbeitet.5 Diese Darstellung endet 2005 mit der „Hilversum II“ Entscheidung. Auf Einzelheiten der Geschichte vor dieser Entscheidung soll hier nicht noch einmal eingegangen werden. In der „Hilversum II“- Entscheidung des Bundesfinanzhofs wurde eine Zwischenholding in Hilversum (Niederlande) ohne Substanz unter anderem deshalb nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen, da die Gesellschaft in den Räumen einer Schwestergesellschaft angesiedelt war, die aktiv produzierend am Markt tätig war. Mit dieser Entscheidung verabschiedete sich der Bundesfinanzhof von der Vorgängerentscheidung „Hilversum I“, wo es um einen vergleichbaren Sachverhalt einer Schwestergesellschaft der Klägerin des „Hilversum II“ Falles ging. Eine isolierte Behandlung einer Gesellschaft ohne Beachtung von Schwestergesellschaften im Rahmen der Prüfung des Missbrauchs fand nun nicht mehr statt. Genauso wichtig in der Steuerrechtsentwicklung wie die „Hilversum II“ Entscheidung war eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 17. November 2004 zum Thema der missbräuchlichen Zwischenschaltung ausländischer beschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften durch eine Stiftung niederländischen Rechts6. Im Hinblick auf die Vermietungstätigkeit einer zwischengeschalteten, hoch fremdfinanzierten holländischen Kapitalgesellschaft entschied der Bundesfinanzhof, dass das Geschäft der Ver-
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Gosch, Die Zwischengesellschaft nach „Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008, Festschrift für Wolfram Reiß, S. 597ff. (618). Strobl-Haarmann, 25 Jahre Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping in Deutschland, Festschrift für Arndt Raupach, 2006, S. 613-625. BFH, U. v. 17.11.2004 - I R 55/03 - in BFH/NV 2005,1016.
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mietung aktiv betrieben wurde. Der Umstand, dass die besagte Zwischengesellschaft abgesehen von ihren Geschäftsführern über kein Personal und auch über keine Büroräume verfügte, trete dem gegenüber zurück. Entscheidend sei, dass die Gesellschaft über ihre Geschäftsführung in der Lage war, die Vermietungsgeschäfte auszuüben. Mit dieser Entscheidung wich der Bundesfinanzhof von einer früheren Entscheidung aus dem Jahre 1997 ab, in der der Bundesfinanzhof die Zwischenschaltung als missbräuchlich ansah7. Für Fragen der Hinzurechnungsbesteuerung, das heißt in so genannten „OutboundFällen“ hat der Europäische Gerichtshof durch das Grundsatzurteil vom 12.09.06 in den Sachen „Cadbury-Schweppes“8 entschieden, dass eine steuerliche Hinzurechnung nicht zulässig sei, es sei denn, dass eine solche Einbeziehung in die Steuerbemessungsgrundlage nur rein künstliche Gestaltungen betreffe, die dazu bestimmt sind, der normaler Weise geschuldeten nationalen Steuer zu entgehen. Von der Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung sei folglich abzusehen, wenn es sich auf der Grundlage objektiver und von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte erweise, dass die genannte beherrschte ausländische Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art tatsächlich im Aufnahmemitgliedsstaat angesiedelt sei und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehe. Eine rein künstliche Gestaltung wird danach nur angenommen, wenn eine Gesellschaft mit einer fiktiven Ansiedlung zusammenhängt, die keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet. Dies wird insbesondere bei einer „Briefkastenfirma“ oder einer „Strohfirma“ angenommen. Andere „Outbound-Konstellationen“ finden sich in den sog. Dublin Docks Fällen des Bundesfinanzhofs: Für Fragen des Gestaltungsmissbrauchs beim so genannten Outsourcing in den irischen Dublin Docks hat der Bundesfinanzhof mehrfach entschieden, dass kein Missbrauchsfall vorliegt.9 Der Bundesfinanzhof führt in der „Dublin Docks Entscheidung“ von 2004 aus, dass einerseits die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs letztlich „noch nie eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften als Rechtsmissbrauch qualifiziert, wenn ein Steuerpflichtiger – aus welchen Gründen auch immer – zwischen sich und einer Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen
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BFH, U.v. 27.08.1997 - IR 8/97 in BStBl.II 1998, 163. EuGH, Urteil v. 12.09.2006, Rs. C-196/04, DStR 2006, 1686. BFH, Urteil v. 19.1.2000, Az.: I R 94/97, BStBl. II 2001, 222, IStR 2000, 182 (Dublin Docks I); Urteil v. 25.2.2004, Az.: I R 42/02, BStBl. 2005 II S. 14 (Dublin Docks III).
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zieht“.10 Andererseits sieht der EuGH es generell als einen Verstoß gegen die im Gemeinschaftsrecht garantierte Niederlassungsfreiheit11 an, wenn die in einem Mitgliedsstaat errichtete Kapitalgesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat gegenüber dort ansässigen Kapitalgesellschaften benachteiligt wird.12 Deshalb lässt sich – so der BFH – schwerlich rechtfertigen, die entsprechende Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften innerhalb der EG als Missbrauch im Sinne des § 42 Abs. 1 AO 1977 n.F. zu behandeln. Die Abschirmwirkung einer solchen Gesellschaft ist vielmehr grundsätzlich auch dann zu akzeptieren, wenn damit steuerliche Vorteile verbunden sind. Missbräuchlich kann eine Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft allenfalls dann sein, wenn sie lediglich vorübergehend erfolgt und nur zu dem Zweck bestimmt ist, anderweitig drohenden steuerlichen Belastungen zu entgehen. Trotz Kenntnis dieser Entscheidungen und Rechtssätze hat der Gesetzgeber, um einem wiederholten Fall „Hilversum II“ zu begegnen, zunächst einen NichtAnwendungserlass zur Entscheidung „Hilversum II“ erlassen13 und dann den Wortlaut des § 50 d Abs. 3 EStG geändert. Damit eine deutsche Kapitalertragsteuerentlastung bei Beteiligung einer nicht entlastungsberechtigten Person beansprucht werden kann, müssen im Wesentlichen drei Kriterien nunmehr kumulativ erfüllt sein: x für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft müssen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen, und x die ausländische Gesellschaft muss mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielen, und x die ausländische Gesellschaft muss mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Zusätzlich bestimmt § 50 d Abs. 3 Satz 3 EStG (2007), dass es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der
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Senatsurteil vom 23.10.1996 IR 55/95 BStBl. II 1998, 90; vgl. auch BFH Urteil vom 15.10.1998 IIIR 75/97 BStBl. II 1999,119. Art. 52 und 58 EGV, Art. 43 und 48 nach der Nummerierung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einige damit zusammenhängende Rechtsakte – EG –, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABIEG – Nr. C340, 1997, 1. Vgl.– wenn auch in anderen Rechtszusammenhängen – zu einer englischen Scheinkapitalgesellschaft (EuGH-Urteil vom 30.09.03 Rechtssache C-167/01, GmbH Rundschau 2003, 1260 „Inspire Art“. BMF-Schreiben v. 30.1.2006 – IV B 1 – S 2411 – 4/06, BStBl. I 2006, 166.
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Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Das BMF-Schreiben zu § 50 d Abs. 3 EStG (2007) vom 3. April 200714 unterscheidet hinsichtlich der Beteiligungsgesellschaften zwischen aktiven Beteiligungsverwaltungen, wenn Beteiligungen von einigem Gewicht erworben werden, um gegenüber den Gesellschaften, an denen die Beteiligungen bestehen, geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen. Es reicht allerdings nicht aus, dass eine Gesellschaft ohne sonstige unternehmerische Betätigung geschäftsleitende Funktionen nur gegenüber einer in einem EU-Mitgliedsstaat ansässigen Tochtergesellschaft ausübt oder die Anteile an einer oder mehreren Tochtergesellschaften hält und sich dabei auf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkt (passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Beteiligung von einigem Gewicht erworben wurde, hängt dabei nicht von der Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab. Es kommt nach Ansicht der Verwaltung darauf an, dass auf das Geschäft der Beteiligungsgesellschaft tatsächlich Einfluss genommen wird.
3 Die betriebswirtschaftlichen Zwecke einer Holding, insbesondere einer Finanzholding und die Gesichtspunkte der Standortwahl für die Holding Diese im Einzelnen sehr unterschiedlichen Ausrichtungen der Auffassungen der Finanzverwaltung, der verschiedenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofes sowie des Europäischen Gerichtshofs bedürfen der Untersuchung, ob und inwieweit ohne Verletzung von europäischem Recht Finanzholding-Gesellschaften im EU oder EWR Ausland von der Kapitalertragsteuerermäßigung oder –befreiung ausgeschlossen werden dürfen, wenn nicht selber für die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Zins- und LizenzRichtlinie oder Ermäßigungen nach dem Doppelbesteuerungsabkommen qualifizierende Personen an der Holding-Gesellschaft im Ausland beteiligt sind. Zu Holding-Gesellschaften unter diesem Gesichtspunkt hat sich der Europäische Gerichtshof bisher nicht geäußert.
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Welche wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe können für eine Holding an dem gewählten Standort gegeben sein, die einen Missbrauchsvorwurf entkräften können? Dabei wird man zwei Fragen unterscheiden müssen: 1. Gibt es für die Holding überhaupt einen wirtschaftlichen Sinn außer dem der Steuerersparnis? 2. Wenn es einen wirtschaftlichen Sinn gibt, ist es missbräuchlich, die Holding an dem vom Investor ausgewählten Standort zu errichten?
3.1 Wirtschaftliche und rechtliche Gründe für eine Finanzholding Zunächst zu den betriebswirtschaftlichen Gründen für eine Holding, insbesondere für eine Finanzholding. Man unterscheidet betriebswirtschaftlich verschiedene Ausprägungen einer Holding15. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen unterscheidet man eine Finanzholding, eine Führungs- oder Management Holding und eine operative Holding. Eine Finanzholding finanziert und verwaltet die von ihr gehaltenen Beteiligungen an anderen Unternehmen. Sie beschränkt sich auf die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte aus den Anteilen an dem Beteiligungsunternehmen, nimmt aber gegenüber diesem Unternehmen keine Führungsfunktionen wahr. Ihr vorrangiger Zweck ist, die Kapitalbeteiligungen eines oder mehrerer Anteilseigner an einem oder mehreren anderen Unternehmen verwaltungsmäßig zu bündeln und gegebenenfalls die Finanzierung der Beteiligungen zu gestalten. Auf die Führungs- oder Management Holding und auf die operative Holding soll im Folgenden im Einzelnen nicht mehr eingegangen werden, da sie nicht in gleichem Maße wie die Finanzholding unter dem Missbrauchsverdacht der Verwaltung steht. Europarechtlich dürften derartige Holdings in keiner Weise als missbräuchlich angesehen werden können. Es stellt sich die Frage, ob die Finanzholding immer oder unter gewissen Voraussetzungen als missbräuchlich angesehen werden kann. Scheffler 16 stellt die Vor- und 15 16
Scheffler in Lutter Holding Handbuch, 4. Auflage, 2004, S. 30ff. Scheffler in Lutter Holding Handbuch, 4. Auflage, 2004, S. 36ff; Scheffler, Konzernmanagement, 2. Auflage, 2005, S.60ff.
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Wilhelm Haarmann
Nachteile der Finanzholding dar. Die Finanzholding hat den Vorteil einer kapital- und stimmrechtsmäßigen Konzentration, mit der bestimmte Beteiligungsquoten dargestellt und zur Wirkung gebracht werden können. Weiter kann eine derartige Finanzholding zur Führungs- und Gesellschafterkontinuität beitragen. Veränderungen bei den Gesellschafterverhältnissen der Holding, zum Beispiel durch Veräußerungen von Anteilen oder Erbfolge, schlagen nicht unmittelbar auf die Beteiligungsunternehmen durch. Diese bleiben als Unternehmensverbund erhalten und können weiter einheitlich verwaltet werden. Durch Abgabe von Minderheitsanteilen an der Holding oder durch Ausgabe neuer Minderheitsanteile kann Eigenkapital von Dritten beschafft werden, ohne den Charakter der Holding und ihres Beteiligungsbesitzes, zum Beispiel als Familienvermögen, zu verändern. Aus der gemeinsamen Verwaltung der Beteiligungen können Einspar- und Synergieeffekte geschöpft werden. Die Bündelung der Nachfrage nach Eigen- oder Fremdkapital und die Verwaltung der beschafften Finanzmittel können die Aufgabe einer Finanzholding sein. Auf diese Art und Weise können auch neue Kapitalquellen leichter erschlossen werden. Die Finanzholding kann darüber hinaus als Finanzierungsgesellschaft genutzt werden. Sie koordiniert den Finanzbedarf ihrer Beteiligungsunternehmen und übernimmt damit das Kapitalstruktur- und Finanzmanagement für den Unternehmensverbund. Noch weiter gehend ist die Übernahme des Cash-Managements für die gesamte Unternehmensgruppe. Zusätzliche finanzwirtschaftliche Servicefunktionen für die Beteiligungsunternehmen kann die Holding durch ein Zins- und Devisenmanagement leisten. Darüber hinaus kann eine derartige Holding eine Moderationsfunktion für das Management verschiedener Beteiligungsgesellschaften haben, um Abstimmungen zwischen diesen Gesellschaften herbeizuführen. Theisen17 weist in seinem Werk über den Konzern darauf hin, dass einer Finanzholding die Beschaffung und Zuteilung der finanziellen Ressourcen innerhalb des Unternehmensverbundes obliegt sowie die Kontrolle der Mittelverwendung und der Mittelrückflüsse. Die Strategie der Finanzholding stellt auf die Nutzung der Vorteile des internen Kapitalmarkts und den Risikoausgleich innerhalb des Beteiligungsportfolios ab. Durch die Nutzung des internen Kapitalmarkts kann die Holding Informations- und
„Treaty Shopping“ bei Einschaltung von Finanzholding-Gesellschaften
289
Transaktionskostenvorteile gegenüber Anlegern auf dem externen Kapitalmarkt erzielen. Nach der betriebswirtschaftlichen Literatur hat eine Finanzholding dementsprechend durchaus verschiedene Zwecke zu erfüllen. Hinzu können rechtliche Gründe kommen, die eine Finanzholding sinnvoll oder sogar zwingend erscheinen lassen. Aus kartellrechtlichen Gründen kann eine derartige Holding zwingend sein, um Kartellrechtsabsprachen zwischen Beteiligungsgesellschaften zu ermöglichen, ohne damit in Konflikt mit dem jeweiligen Kartellrecht zu kommen18. Konzernbilanzielle Gründe können für die Einrichtung einer Finanzholding sprechen. Arbeitsrechtliche Gründe können die Errichtung einer Finanzholding als sinnvoll erscheinen lassen. Gründe des Haftungs- und Vollstreckungsrechts können die Einrichtung einer Finanzholding als notwendig erscheinen lassen. Insbesondere wenn der dahinter stehende Eigentümer in einem Land lebt bzw. errichtet ist, bei dem der Zugriff auf die operativen Einrichtungen erschwert werden soll, kann die Einrichtung einer Finanzzwischenholding eine lebenswichtige Maßnahme sein. Insbesondere wenn die Finanzholding auch mit Fremdkapital ausgestattet wird, kann nur so die persönliche Haftung des dahinter stehenden Eigentümers für diese Fremdfinanzierung vermieden werden. Gleichzeitig sind die einzelnen Vermögensgegenstände der operativen Gesellschaft vor Zugriff geschützt. Häufig gibt es auch eine Reihe steuerlicher Gesichtspunkte im Lande des hinter der Holding stehenden Investors, die legitime Gründe für eine Holding sein können. So können ggf. Dividenden einer operativen Gesellschaft zur Finanzierung einer anderen herangezogen werden, ohne dass Steuern überhaupt oder in größerem Umfang anfallen. Ohne Zwischenholding mag es zur hohen Besteuerung im Lande des Investors kommen. So können ggf. Beteiligungen ohne oder mit nur geringer Besteuerung veräußert werden, was bei einem unmittelbaren Halten nicht zu erreichen wäre. Die so 17 18
Theisen, Der Konzern, 2. Auflage, 2000, S.178. Bechthold, KartR, 5. Aufl. 2008, § 1 GWB Rz. 20; § 19 GWB Rz. 2.
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Wilhelm Haarmann
gewonnenen Mittel können für die Unternehmensgruppe in (nahezu) vollem Umfang reinvestiert werden. Die Herbeiführung von Steuervorteilen im Ausland ist nach deutschem Recht nicht missbräuchlich. Steuern im Sinne der Abgabenordnung sind nur solche, die durch Bundesrecht oder das Recht der Europäischen Gemeinschaften geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Entsprechend gelten die Vorschriften für gemeindliche Realsteuern. (Vgl. § 1 Abs. 1 und 2 AO). Wenn im Inland eine natürliche Person eine GmbH als Finanzholding hält, um die Vorteile des § 8b KStG zu nutzen, so wird dies von keinem als Missbrauch angesehen. Gerade wenn ein ausländischer Investor zwischen sich und einer deutschen Beteiligung eine Finanzholding dazwischen schiebt, ist dementsprechend zu fragen, ob es für diese Holdingkonstruktion betriebswirtschaftliche oder rechtliche Gründe gibt. Diese dürften fast immer dann gegeben sein, wenn die Holding mehr als eine Beteiligung hält, wobei die Beteiligungsgesellschaften ihrerseits nicht vollkommen bedeutungslos sein dürfen. Im Einzelfall kann eine Holding auch dann notwendig sein, wenn nur eine Beteiligung gehalten wird, z.B. bei einer Fremdfinanzierung auf Ebene der Holding, für die die Wirtschaftsgüter der Beteiligungsgesellschaft nicht unmittelbar haften sollen, sondern allenfalls die Anteile an der einzigen Tochtergesellschaft. Gründe für die Zwischenschaltung einer Finanzholding gibt es also mannigfache. Diese kann und darf man auch nicht einfach missachten, wie es das BMF-Schreiben vom 3. April 2007 zu § 50 d Abs. 3 EStG (2007)19 ohne viel Federlesens einfach tut. Die Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten, eine künftige Erbregelung oder der Aufbau einer Alterssicherung gelten nicht als wirtschaftlicher Grund. Zitiert wird ein BFH Urteil vom 24. Februar 197620. Das Urteil führt zur Anerkennung einer Basisgesellschaft in der Schweiz aus, dass mit ihr ihr einziger wirtschaftlicher Zweck, die Sicherung des Berliner Vermögens vor dem Zugriff einer ausländischen Macht, mit den gewählten Maßnahmen nicht zu erreichen und dies auch für die Gesellschafter als Kaufleute erkennbar war. Der Bundesfinanzhof knüpft seine Entscheidung nicht an den gewählten Grund, sondern an die aus seiner Sicht bestehenden Erkennbarkeit der Unerreichbarkeit des gewählten Zieles. Wenn das Ziel erreichbar gewesen wäre, wäre der Grund anzuerkennen gewesen. Es handelt sich demnach um ein Fehlzitat. Alle in dem BMF Schreiben genannten Gründe sind anerkennenswerte Gründe für den Auf19 20
BStBl. I S. 446. BFH, Urteil v. 24.2.1976- VIII R 155/71 - BStBl. 1977 II S. 265.
„Treaty Shopping“ bei Einschaltung von Finanzholding-Gesellschaften
291
bau einer Finanzholding, wenn mit ihr das gewünschte Ziel erreicht werden kann oder die Nichterreichbarkeit nicht erkennbar ist.
3.2 Ort oder Land der Ansiedlung missbräuchlich? Wenn man im Rahmen der Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Holding Gesellschaft als solche betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, so stellt sich als weitere Frage, ob der Steuergesetzgeber verlangen kann, dass diese Holding Gesellschaft im Inland angesiedelt ist. Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit in Europa (Art. 43 EGV) wird man es dem Investor überlassen müssen, wo er seine Holding Gesellschaft ansiedelt. Etwas anderes mag nur in einem Fall gelten, in dem mehrere Beteiligungsgesellschaften bereits an einem Ort ansässig sind. Es bedarf der besonderen Begründung, wenn jemand in der selben Stadt, in der selben Straße zwei Beteiligungsgesellschaften hat, dass die Holding für diese beiden Gesellschaften nicht an der selben Stelle beheimatet ist, es sei denn, dass der Investor diese Holding Gesellschaft an seinem Sitz ansiedelt. Eine Ansiedlung in einer dritten Stadt könnte als künstlich angesehen werden, kann aber durchaus auch betriebswirtschaftliche, insbesondere auch juristische Gründe haben, die bereits oben dargestellt sind. Wenn die Beteiligungsgesellschaften aber nicht in räumlicher Nähe sind, so wird man nicht verlangen können, dass die Holding Gesellschaft am Standort der einen oder der anderen Beteiligungsgesellschaft ihren Sitz hat oder beim Investor angesiedelt ist. Die Ansiedlung der Holding bei der einen oder anderen Beteiligungsgesellschaft könnte zur Folge haben, dass ein Subordinationsverhältnis entsteht zur anderen Beteiligungsgesellschaft, was aus Sicht des Investors möglicherweise gerade vermieden werden sollte. Auch ist ein Zwang der Ansiedlung der Holding bei dem Investor nicht der richtige Ansatz, da man die Holdingfunktion aus den o.a. Gründen gerade vom Investor ausgliedern möchte. Insofern wird man in diesen Fällen es dem Investor allein überlassen müssen, wo er seine Holding Gesellschaft ansiedelt. Dies gilt umso mehr, wenn unter der Finanzholding Gesellschaften in unterschiedlichen Ländern ansässig sind, es sei denn, dass diese vollkommen unbedeutend sind. Auch hier wird man nicht verlangen dürfen, dass die Holding Gesellschaft bei der einen oder anderen Tochtergesellschaft angesiedelt ist. Ebenso wird man auch hier nicht verlangen können, dass die Holding Gesellschaft beim Investor angesiedelt ist. Insofern hat der Investor vollkommene Freiheit, an welcher Stelle er die Holding Gesellschaft ansiedelt.
292
Wilhelm Haarmann
Man wird daher bei einer echten Finanzholding nur in seltenen Ausnahmefällen einen Missbrauch annehmen können, wenn es für die Zwischenschaltung der Holding als solche beachtliche wirtschaftliche oder andere Gründe gibt. Wenn diese Gründe gegeben sind, wird es in aller Regel dem Investor zu überlassen sein, wo er seine Holding ansiedelt. Im Ergebnis wird man daher unter europarechtlichen Gesichtspunkten eine Auslandsholding als Muttergesellschaft einer deutschen Gesellschaft immer dann steuerlich anerkennen und einen Missbrauch verneinen müssen, wenn diese Auslandsgesellschaft eine Finanzholding ist, diese Finanzholding nachvollziehbare wirtschaftliche Funktionen hat und die fraglichen Beteiligungsgesellschaften nicht alle am selben Ort sind. Aber auch in letzterem Falle oder auch bei nur einer Tochtergesellschaft der Finanzholding können beachtliche wirtschaftliche Gründe für die Zwischenschaltung der Holding vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Zwischenholding Fremdfinanzierung aufnimmt. Im Übrigen ist es nicht als Missbrauch anzusehen, wenn ein Investor im Rahmen seiner Standortentscheidung auch steuerliche Gesichtspunkte mit einfließen lässt. Es wäre fahrlässig und unternehmerisch falsch, wenn derartige Gesichtspunkte unbeachtet blieben.
4 Bedarf es weitergehender Substanz der Finanzholding? § 50 d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EStG (2007) verlangt einen für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb, mit dem die Gesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Auch die Entscheidung Cadbury-Schweppes scheint von einer gewissen Substanznotwendigkeit bei einer Gesellschaft auszugehen, um eine künstliche Gestaltung auszuschließen. Bei Finanzholding-Gesellschaften wirkt aber die Forderung nach einem eigenen Büro, einer Sekretärin, einem Buchhalter und einem Telefon für sich genommen künstlich. Auch im Inland sind viele Holding Gesellschaften nicht so ausgestattet. Eine derartige Ausstattung ist nur dann notwendig, wenn diese Holding Gesellschaft durch eigenes Personal in großem Umfang Entscheidungen treffen und diese entsprechend vorbereiten muss. In Fällen, in denen eine Holding eingeschaltet wird, um zum Beispiel eine Haftungsbeschränkungsebene zu haben, um eine eigenständige Finanzierungsebene zu
„Treaty Shopping“ bei Einschaltung von Finanzholding-Gesellschaften
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schaffen, um eine rechtliche Verbindung zwischen Gesellschaften zu schaffen, die kartellrechtlich notwendig ist, bedarf es weder eines eigenen Büros noch eigenen Personals noch eines eigenen Telefonanschlusses. Diese Funktionen können entweder von Personen wahrgenommen werden, die zur Unternehmensgruppe ohnedies gehören oder von dafür eingesetzten Rechtsanwälten, Treuhändern oder Unternehmensverwaltungsgesellschaften. Dem Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Cadbury-Schweppes ging es darum, beachtliche Gründe für eine Struktur festzustellen, die eine Künstlichkeit verneinen ließ. Wenn beachtliche Gründe für eine Gesellschaft an einem Ort in Europa vorliegen, kann auch nach der Cadbury-Schweppes Entscheidung kein Missbrauch vorliegen. Bei der Cadbury-Schweppes Entscheidung wirkt sich natürlich auch aus, dass sie eine „Outbound“ Konstellation betraf. In diesen Fällen ist es weniger denkbar, dass eine ausländische Gesellschaft anzuerkennen ist, wenn diese nicht über ein substanzielles Büro verfügt. Aber auch hier ist die Notwendigkeit einer derartigen Büroausstattung nicht unbedingt zwingend. Finanzierungsnotwendigkeiten, Haftungsthemen oder ausländische steuerliche Notwendigkeiten können eine Gesellschaft in einem anderen Lande notwendig machen, ohne dass nun in größerem Umfang Personal eingesetzt werden müsste. Bei Inbound Gestaltungen ist die Notwendigkeit eines substanziellen Büros im Ausland noch weniger zwingend. Wenn hier eine Finanzdrehscheibe, eine Gesellschaft zur Haftungsabgrenzung oder eine Finanzierungsgesellschaft geschaffen werden soll, so ist die Notwendigkeit von Personal und einem angemessenen Büro in keiner Weise zwingend. Abschirmwirkungen treten rechtlich auch ohne Personal, Büro und Telefon ein. Der Bundesfinanzhof hat dies in der Entscheidung vom 17. November 2004 zum Einsatz einer zwischengeschalteten, hoch fremdfinanzierten, holländischen Gesellschaft sehr deutlich gemacht. Die Tatsache, dass die Zwischengesellschaft über kein Personal und auch über keine Büroräume verfügte, wurde als nicht schädlich angesehen. In den Dublin-Docks Entscheidungen wird eine Zwischenschaltung nur dann als missbräuchlich angesehen, wenn die Einschaltung der Gesellschaft lediglich vorübergehend erfolgt und nur zu dem Zweck bestimmt ist, anderweitig drohenden steuerlichen Belastungen zu entgehen. Der Substanzgesichtspunkt tritt in all diesen Entscheidungen deutlich zurück. Auch in der Hilversum II Entscheidung war letztlich keine Substanz für
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die holländische Holding Gesellschaft gegeben. Wegen der „Künstlichkeit“ des Substanzarguments sollte man dieses Argument nur dann heranziehen, wenn die Gesellschaft, um die es geht, entweder operativ tätig ist oder so viele Aufgaben übernommen hat, dass eine eigene Verwaltungseinheit mit Büro, Sekretärin, Buchhalter und sonstiger Ausstattung sinnvoll und notwendig ist. Ansonsten sollte das Kriterium der „Substanz“ vollkommen zurücktreten, wenn im übrigen wirtschaftliche und sonst beachtliche Gründe für die Holding gegeben sind.21 Dementsprechend sind die Anforderungen gemäß § 50 d Abs. 3 EStG (2007) weitestgehend obsolet. Die Forderung, dass mehr als 10% der gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit zu erzielen sind, geht über die Anforderung an die so genannte „Künstlichkeit“ weit hinaus. Allein die Verwaltung von Wirtschaftsgütern dürfte auch noch nicht als solches eine „künstliche“ Gestaltung sein. Die Übertragung wesentlicher Geschäftstätigkeiten auf Dritte ist als solche auch noch nicht ausreichend, um eine missbräuchliche Gestaltung anzunehmen. Die Anforderung des § 50 d Abs. 3 EStG (2007) stellt im Übrigen einen pauschalen Missbrauchsvorwurf auf, der als solcher schon europarechtlich zweifelhaft ist. Insbesondere weil § 50 d Abs. 3 EStG (2007) keinen Gegenbeweis erlaubt, ist auch von daher § 50 d Abs. 3 EStG (2007) sicherlich europarechtswidrig22. § 50 d Abs. 3 EStG (2007) ist dementsprechend innerhalb Europas weitestgehend nicht anwendbar. Fraglich ist darüber hinaus, ob der „Treaty Override“ der mit dieser Bestimmung im Hinblick auf viele Abkommen verbunden ist, rechtens ist. Gosch hat in einem kürzlich erschienenen Aufsatz die Frage der rechtlichen Unbedenklichkeit des „Treaty Override“ zu Recht aufgegriffen23.
21
22
23
Vgl. auch Entwurf einer Verlautbarung der EG-Kommission unter http://ec.europa.eu/taxation_ customs/resources/documents/common/whats_new/COM(2007)785_de.pdf. S.a. EuGH, Urteil v. 12.09.2006, Rs. C-196/04, DStR 2006, 1686 (Cadbury Schweppes); Urteil v. 17.7.1997, Slg I 4161 (Leur/ Bloem); Urteil v. 21.2.2006, Rs. C-255/02, EuGHE 2006, I-1609; DStR 2006, 420 (Halifax). Gosch, Über das Treaty Overriding: Bestandsaufnahme – Verfassungsrecht – Europarecht, in IStR 2008, 413; für Unbedenklichkeit des Treaty Override: Brombach-Krüger, Treaty Override aus europarechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht, Ubg 2008, 324 mwN auf die Literatur.
„Treaty Shopping“ bei Einschaltung von Finanzholding-Gesellschaften
295
5 Zusammenfassung und Ergebnis Für eine Holding in Europa, die von Personen gehalten wird, die nicht unmittelbar für die Mutter-Tochter-Richtlinie oder für die Zins- und Lizenzrichtlinie oder das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem Land der Holding qualifiziert sind, ist § 50 d Abs. 3 EStG (2007) im Hinblick auf Beteiligungen in Deutschland weitestgehend nicht anwendbar. Ein Missbrauch gemäß § 42 AO ist nur in äußersten Ausnahmefällen denkbar, in denen für die Einschaltung einer Finanzholding keine plausiblen nichtsteuerlichen Gründe vorliegen oder in denen die Auswahl des Holdingstandorts in jeder Hinsicht künstlich ist. Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit in Europa ist letzteres nur denkbar, wenn es für einen Holdingstandort außerhalb des Sitzes des Gesellschafters der Holdinggesellschaft und außerhalb des Sitzes der operativen Gesellschaft keinen vernünftigen Grund gibt. Schon wenn zwei Gesellschaften mit unterschiedlichen Standorten, von denen eine nicht völlig unbedeutend ist, unter einer Holding zusammengefasst werden sollen, gibt es immer einen guten Grund für einen dritten Standort. Abschließende Nebenbemerkung Wenn Deutschland durch Abschluss der Mutter-Tochter-Richtlinie und der Zins- und Lizenz-Richtlinie sich des Quellenbesteuerungsrechts begibt, so kann man sich im Hinblick auf die europäischen Freiheiten diese Quellensteuer nicht durch Missbrauchsnormen wieder zurückholen. Da hätte man vorher aufpassen müssen.
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen in Bulgarien und in Estland
Klaus Dittmar Haase
1
Einführung........................................................................................................ 298
2
Grundmodell der steuerlichen Vorteilhaftigkeitsanalyse ............................ 301
3
Steuerwirkungen im Fall von Investitionen deutscher Kapitalgesellschaften in Bulgarien ................................................................. 303
4
Steuerwirkungen im Fall von Investitionen deutscher Kapitalgesellschaften in Estland..................................................................... 308
5
Fazit ................................................................................................................... 311
298
Klaus Dittmar Haase
1 Einführung Schon seit längerem sorgt das niedrige irische Ertragsteuerniveau für Zerreißproben in der Europäischen Union; mit den jüngsten Beitrittsrunden mittel- und osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union ist der Wettbewerb zwischen den europäischen Staaten um die günstigsten steuerlichen Investitionsbedingungen jedoch in ein neues Stadium getreten. Denn nun konkurrieren auch zwei heterogene Steueranreizsysteme miteinander und mit den üblichen Systemen der „älteren“ EU-Mitgliedsstaaten: das estländische und das bulgarische. Daher sollen im Folgenden die typischen Merkmale der Ertragsteuersysteme dieser beiden Staaten aus der Sicht deutscher Investoren analysiert werden. Mit der Betrachtung aus deutscher Sicht findet das eher traditionelle Steuersystem eines älteren EU-Mitgliedstaates Eingang in die Vorteilhaftigkeitsanalyse, insbesondere das Steuerniveau, während die Steuersysteme Bulgariens und Estlands durch ihre besonders investorenfreundlichen Steuerbedingungen hervortreten: x die estländischen Kapitalgesellschaftsgewinne bleiben bis zu ihrer Ausschüttung an in- oder ausländische Anteilseigner steuerfrei, werden aber im Ausschüttungszeitpunkt mit einem Ertragsteuertarif von 21 % (20081 ) auf die vorsteuerliche Dividende belastet. Diese Steuer trägt die estländische Kapitalgesellschaft, so dass nach Ansicht Estlands keine Quellensteuer auf Dividenden vorliegt, die von der Mutter-Tochter-Richtlinie für Ausschüttungen an EU-Kapitalgesellschaften untersagt wäre2. Allgemein formuliert gilt mit DEST.Thes als dem Steuerbelastungsniveau des Quellenstaates Estland bei Thesaurierung und DEST.A bei Gewinnausschüttung: ; x Die bulgarischen Steueranreize liegen in dem extrem niedrigen Steuerniveau von 10 % der erzielten Gewinne oder formelmäßig:
1
2
Ab 2009 sinkt dieser Tarif weiter bis auf 18 % für 2011, vgl. Estonia Income Tax Act, § 4 Tax Rates. Zu der (noch ungeklärten) Frage der Zulässigkeit der estländischen Steuer auf Ausschüttungen vgl. EU-Kommission: request for information vom 31 Januar 2008: Taxation of outbound dividends: Commission takes steps against Germany, Estonia and the Czech Republic (IP/08/143).
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
299
Für deutsche Kapitalgesellschaften als Investoren ergeben sich somit folgende Steuerbelastungswerte ihrer Investitionserträge3: x Gewinne, die in Deutschland erzielt und thesauriert werden, sind vor ihrer Ausschüttung an unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Anteilseigner der deutschen Kapitalgesellschaft mit H = 0.29825 (Annahme: gewerbesteuerlicher Hebesatz = 400 %) vorbelastet und werden bei Ausschüttung an ihre Anteilseiger noch zusätzlich mit I = 0.2635335 des Nachsteuergewinns belastet, wenn auf den einkommensteuerlichen Höchstsatz von 45 % auch Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (Annahme: Kirchensteuersatz = 8 %) kalkuliert werden; die Steuergesamtbelastung ȈtD einer personenbezogenen deutschen Kapitalgesellschaft mit deutschen Gewinnen addiert sich somit auf 48,32 %:
x Gewinne, die die deutsche Kapitalgesellschaft in Estland erzielt und dort thesauriert, unterliegen erst bei ihrer Ausschüttung aus Estland einer Gesamtbelastung von 21 % der estländischen Bruttogewinne; werden diese Gewinne in der deutschen Muttergesellschaft thesauriert, so steigt die Steuergesamtbelastung ȈtEST.DThes infolge von § 8b Abs. 5 KStG auf 22,18 % während der deutschen Gewinnthesaurierungsdauer:
Die maximale Steuerbelastung für estländische Gewinne, die bis zu den Anteilseignern der deutschen Muttergesellschaft durchgeleitet werden, erreicht 42,69 %: 3
Vgl. hierzu im Einzelnen Djanani, C./Brähler, G., Internationales Steuerrecht, Wiesbaden 2006, S. 225ff., insbes. S. 229ff.
300
Klaus Dittmar Haase
x Die entsprechenden Belastungswerte für Investitionen in Bulgarien erreichen während einer Gewinnthesaurierung in Bulgarien 10 %, bei einer späteren Gewinnausschüttung über die deutsche Muttergesellschaft an ihre deutschen Anteilseigner weitere 24,706 % (Summe: ȈtBG.D-A = 34,706 %); erfolgt die Gewinnthesaurierung hingegen in der deutschen Muttergesellschaft, so fallen zunächst 11,34 % als Belastung ȈtBG.D-Thes an, die sich bei ihrer späteren Weiterausschüttung an die deutschen Anteilseigner auf wiederum 34,706 % erhöhen (ȈtBG.D-A). Demnach ist in diesem Fall die Frage, in welcher der beiden Kapitalgesellschaften die Gewinne laufend thesauriert werden, zweitrangig:
Im Vergleich zwischen diesen beiden ausländischen Investitionsalternativen schneidet die estländische zunächst deutlich besser ab, führt aber im Zeitpunkt der Weiterausschüttung an die deutschen Anteilseigner zu einem um etwa 8 Prozentpunkte höheren Steuerbelastungsniveau. Hinzu tritt ein weiterer Nachteil der estländischen Investitionsbedingungen: dies ist das Risiko, dass sich ein „tax trap“ auftut, wenn sich die Ansicht Estlands gegenüber der EU nicht durchsetzen kann, dass die Ausschüttungssteuer keine verdeckte Quellensteuer ist; als Folge könnte sich zumindest ein psychologisches Hemmnis für künftige Neuinvestments in Estland ergeben und zudem eine nachträgliche Verschlechterung der Erfolgsaussichten bereits getätigter Investments. Dies wäre ein eklatantes Beispiel für die Gefahren, die aus kurzfristigen, einschneidenden Änderungen des nationalen Steuerrechts für internationale Investments drohen; “die Änderungsgeschwindigkeit steuerrechtlicher Regelungen ist weltweit hoch”4.
4
Fischer, L./Kleineidam, H.-J./Warneke, P., Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Berlin 2005, S. 574.
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
301
2 Grundmodell der steuerlichen Vorteilhaftigkeitsanalyse Das Grundmodell bewertet den steuerlichen Vorteil einer Gestaltungsalternative anhand ihres Kapitalwertes; in Abhängigkeit von einem steigenden Niveau des Steuertarifs t ergibt sich grundsätzlich eine mehr oder weniger starke Senkung des Nettokapitalwertes (NPV), wie die NPV-Funktion für den Fall ohne die hier zu diskutierenden Steuervergünstigungen („net present value annual taxation“) veranschaulicht:
Value Tax Shelter = f (t)
present value of tax shelter
1
tax rate (t) net present value annual taxation net present value final taxation net present value tax shelter
Abbildung 1: Kapitalwertfunktion ohne/mit Thesaurierungsanreizen
Allerdings können starke Steuervergünstigungen in Form niedriger Auslandstarife und/oder Thesaurierungsvergünstigungen leicht zu einem dem Steuerparadoxon entsprechenden Funktionstyp (Laffer-curve) führen. Die Kapitalwertfunktion verläuft (bei einer unterstellten Vorsteuerrendite in Höhe des Zweifachen der nachsteuerlichen Kapitalkosten und einer Investitionsdauer von 30 Jahren) x im Fall einer laufenden Besteuerung aller erzielten Gewinne einer Investition (“annual taxation“) durchgehend degressiv, x wogegen bei einer über längere Zeit aufgeschobenen Besteuerung („final taxation“) mit Steuertarifen, die zwischen 0 und 100% wachsen, zunächst ein Anstieg
302
Klaus Dittmar Haase des Kapitalwertes eintreten kann, dem aber ein Rückgang des Kapitalwertes folgen muss;
x die Wertentwicklung der Steuervergünstigung im Quellenstaat („tax shelter“5) kann sich eng an den Funktionsverlauf des Nettokapitalwertes bei Gewinnthesaurierung anschmiegen. Im vorliegenden Fall stehen die steuerlichen Tarif- und Systemunterschiede für Investitionen in Deutschland, Bulgarien und Estland im Vordergrund. Investitionen deutscher Unternehmer in Deutschland dienen hierbei als Alternativobjekte zu den Investitionen deutscher Unternehmer in Bulgarien und Estland. Solange ein Wohnsitzwechsel der deutschen Unternehmer nach Bulgarien oder Estland ausgeschlossen werden kann, muss daher für Investitionen in den letztgenannten Ländern die Prämisse gelten, dass die Erträge aus dem dort investierten Kapital zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Deutschland zurück geführt werden und hier eine weitere Verwendung finden. Folglich haben diese Investitionen x einen einheitlich definierten Zeithorizont des steuerpflichtigen Investors. Steuervorteile für solche Investitionen wirken sich insofern nur zeitlich begrenzt aus – so wie etwa der Vorteil einer Gewinnthesaurierung in einer deutschen personenbezogenen Kapitalgesellschaft, der die deutsche Einkommensteuer auf Ausschüttungen oder Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf der Kapitalgesellschaftsanteile i.d.R. nur zeitlich verzögern, aber nicht aufheben kann; x einen einheitlichen Wert der deutschen Steuerbelastungsquote auf die zurückgeführten Gewinne der Auslandsinvestitionen. Tarif- und Systemvorteile der bulgarischen und estländischen Investitionen wirken sich daher nur in Höhe der ausländischen Teilbelastung auf die grenzüberschreitende Gesamtsteuerbelastung und damit auf den Netto-Kapitalwert der Investition aus.
5
Zum Begriff „shelter“ und zum „primary sheltering“ vgl. Djanani, C./Brähler, G., a.a.aO., S. 316ff, insbes. S. 319ff.
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
303
3 Steuerwirkungen im Fall von Investitionen deutscher Kapitalgesellschaften in Bulgarien Die unter 1. aufgeführten Steuerbelastungen geben nur erste Anhaltspunkte für die effektiven Steuerbelastungen, denen deutsche Investitionen in Bulgarien unterliegen. Denn entscheidend sind vor allem die Wirkungen unterschiedlicher Thesaurierungsstrategien in diesem Konzern – entsprechend werden folgende Fälle analysiert: deutsche Kapitalgesellschaft mit ausländischer Tochter-Kapitalgesellschaft, und zwar mit Gewinnthesaurierung entweder im bulgarischen oder im deutschen Unternehmen oder aber mit laufender Durchschüttung er erzielten Gewinne bis zu den deutschen Anteilseignern der Muttergesellschaft. Im Interesse der Vergleichbarkeit der Untersuchungsergebnisse wird unterstellt, dass die Kapitalkosten konstant 10 % erreichen; die Thesaurierungsdauer soll mit 5 Jahren, 30 Jahren und 50 Jahren variiert werden. Im Fall einer Vollausschüttung („without retaining“) wird die sofortige Durchreichung der erzielten Gewinne bis zu den Anteilseignern der Muttergesellschaft unterstellt, deren Steuerbelastung oben mit 26,35335 % der Ausschüttung angenommen wurde. Unter diesen Bedingungen ergeben sich aktuell bei einer Thesaurierungsdauer von 30 Jahren für Gewinne aus bulgarischen Tochtergesellschaften deutscher Muttergesellschaften folgende Funktionen der Effektivsteuersätze, der Nachsteuerrenditen und der Steuerkeile (tax wedges) in Abhängigkeit von der Höhe der vorsteuerlichen Rendite (r) in Bulgarien:
304
Klaus Dittmar Haase BG: aftertax return/eff. rate/tax wedge 0.5
rates
.3471
0.25
.1179
0
0.5
1
pre-tax rate of return ( r ) effective tax rates without retaining effective tax rates, retaining in BG-company after-tax return without retaining after-tax return, retaining in BG-company tax wedge without retaining tax wedge, retaining in BG-company
Abbildung 2: Bulgarien: Nachsteuerrendite und Effektivsteuersatz, abhängig von Vorsteuerrendite
Das Schaubild lässt die starke Renditeminderung bei Verzicht auf eine Gewinnthesaurierung in der bulgarischen Tochtergesellschaft oder in der deutschen Muttergesellschaft transparent werden; die Effektivsteuersätze fallen bei dreißigjähriger Gewinnthesaurierung in Bulgarien von einem Niveau, das bei laufender Ausschüttung 35 % betrug, bis auf 11,79 %, wenn die bulgarischen Gewinne eine vorsteuerliche Rendite (r) von 100 % erreichen und laufend über 30 Jahre in der bulgarischen Tochtergesellschaft thesauriert werden. Der Steuerkeil („tax wedge“) entwickelt sich bei Übergang von einer laufenden Vollausschüttung der erzielten Gewinne zu einer maximalen Gewinnthesaurierung in der bulgarischen Gesellschaft bei r = 1 ebenfalls auf 11,79 %. Hierbei sollte der Effekt der langen Thesaurierungsdauer von 30 Jahren nicht überschätzt werden; denn im folgenden Schaubild erkennt man, dass mit steigender Thesaurierungsdauer die Effektivsteuersätze zwar sinken und die Steuerkeile stark degressiv steigen. Der deutlichste relative Vorteil wird jedoch schon erreicht, wenn statt einer sofortigen Gewinnausschüttung bis zum deutschen Anteilseigner eine geringe Thesaurierungsdauer (hier von 5 Jahren) gewählt wird; eine Erhöhung der Thesaurierungs-
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
305
dauer auf 10, 20 und 50 Jahre hat hingegen stark sinkende Vorteilszuwächse zur Folge, so dass der Effektivsteuersatz bis n = 50 nur auf ein Niveau von 11,08 % sinkt:
After-Tax R etu rn, BG-She lter = f(r) 0.5
.5
effective tax rate
0.3471
0.25
0.1108
0
0.5 pre-tax rate of return (r) return ohne tax shelter return, retaining in BG, n = 5 return, retaining in BG, n = 10 return, retaining in BG, n = 20 return, retaining in BG, n = 50 Steuerbelastung ohne tax shelter effective tax rate, n = 5 effective tax rate, n = 10 effective tax rate, n = 20 effective tax rate, n = 50 tax wedge, n = 5 tax wedge, n = 10 tax wedge, n = 20 tax wedge, n = 50
Abbildung 3: Bulgarien: Einfluss der Thesaurierungsdauer
1
306
Klaus Dittmar Haase
Schließlich sei noch der Einfluss unterschiedlicher Finanzierungsformen auf die Nachsteuerrendite von Investitionen in Bulgarien dargelegt. Hierbei sind insbesondere Fremdfinanzierungen von Dritten (Banken, Lieferanten etc.) von Interesse sowie Fremdfinanzierungen von anderen Unternehmen derselben Unternehmungsgruppe oder von Anteilseignern der Muttergesellschaft, sog. Gesellschafterdarlehen; werden letztere hier ausgeklammert, so entwickeln sich die nachsteuerlichen Renditen und Effektivsteuersätze wie folgt:
BG: effective tax rates, equity-/debt-financing 0.4
.
.1
after-tax return/ef fective tax rate
0.3471
0.15 0.1309
0
0.25
0.5
0.1 pre-tax rate of return ( r ) after-tax return, equity-financed, wit hout retaining after-tax return, equity-financed, retaining in BG after-tax return, debt-financed, without retaining after-tax return, debt-financed, retaining in BG effective tax rate, equity-financed, without retaining effective tax rate, equity-financed, retaining in BG effective tax rate, debt-financed, wit hout retaining effective tax rate, debt-financed, retaining in BG pre-tax ret urn = after-tax return
Abbildung 4: Bulgarien: Einfluss der Finanzierung
Das Schaubild veranschaulicht den Wert der Steuervorteile für die Fälle einer hundertprozentigen Eigenfinanzierung und einer hundertprozentigen Fremdfinanzierung der
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
307
Investition in eine thesaurierende bulgarische Kapitalgesellschaft („effective tax rate, equity-/debt-financed, retaining in BG“), gemessen an einer laufenden Durchschüttung der erzielten Gewinne bis zu den deutschen Anteilseignern. Damit wird transparent, dass sich die Fremdfinanzierung generell negativ auf die Effektivbelastung der Gewinne auswirkt: 1. im Vergleich zur Eigenfinanzierung vermindert die Fremdfinanzierung stets die Nachsteuerrendite und führt zu höheren Effektivsteuersätzen, soweit die Vorsteuerrendite gleich oder über den Kapitalkosten liegt (hier bei r 0,1), und 2. führt im Übrigen zu einem Verlust, der allenfalls als steuerlicher Vortrag Nutzen für rentable Anschlussinvestitionen stiften könnte; da aber hier die betrachtete Investitionsdauer als eine Repräsentativperiode gelten müsste (andernfalls wären individuelle Gewinnströme für die Einzelperioden zu erfassen), entfällt auch ein Verlustvortragsnutzen. Dennoch gilt: Mit wachsender Vorsteuerrendite nähern sich die Effektivsteuersätze einer Fremdfinanzierung denjenigen einer Eigenfinanzierung schnell an und streben demselben Zielwert zu. Da bei Investitionen in osteuropäischen Staaten häufig kürzere Amortisationszeiten erreicht werden als in den westeuropäischen Staaten, liegen auch die Vorsteuerrenditen in Osteuropa entsprechend hoch; damit verlieren finanzierungsabhängige Divergenzen der Nachsteuerrenditen bulgarischer Investitionen schon ab einer Vorsteuerrendite von etwa 25 % ihre Bedeutung: a. die Nachsteuerrenditen einer Eigenfinanzierung differieren bei r = 0,5 zwischen 43.5 % (bei Gewinnthesaurierung in BG) und 32.6 % (bei laufender Gewinnausschüttung), also um ca. 11 Prozentpunkte; b. für die Fälle einer Fremdfinanzierung ergeben sich ebenfalls nachsteuerliche Vorteile einer Gewinnthesaurierung in BG, und zwar in Höhe von ca. 8,5 Prozentpunkten. Zu beachten ist, dass in diesem Modell Leverage-Effekte und größenabhängige Effekte der Fremdfinanzierung nicht erfasst werden – wie üblich in der Literatur zur Effektivsteueranalyse.
308
Klaus Dittmar Haase
4 Steuerwirkungen im Fall von Investitionen deutscher Kapitalgesellschaften in Estland Für Investitionen in Estland spricht vor allem die fehlende Steuerbelastung während der Phase der Gewinnthesaurierung in Estland; die grenzüberschreitende Gesamtsteuerbelastung ausgeschütteter estländischer Gewinne hingegen liegt mit fast 43 % keineswegs niedrig, auch nicht im Vergleich zum Steuerbelastungsniveau deutscher Gewinne von 48 %. Dieser Befund legt es nahe, in Estland eine längere Thesaurierungsdauer als in Bulgarien einzuplanen:
BG/EST: aftertax return/eff. rates/tax wedge
rates
0.5
0.25
.1179
0
0.5
1
pre-tax rate of return ( r ) BG: effective tax rates without retaining BG: effective tax rates, retaining in BG-company BG: tax wedge without retaining BG: tax wedge, retaining in BG-company EST: effective tax rates without retaining EST: effective tax rates, retaining in EST-company EST: tax wedge without retaining EST: tax wedge, retaining in EST-company
Abbildung 5: Vergleich Bulgarien/Estland: Einfluss der Vorsteuerrendite
Während für bulgarische Investitionen eine Spannbreite der Effektivsteuersätze zwischen 34,71 % und 11,08 %, also in Höhe von 23,63 %, besteht, erweitert sich für estländische Investitionen die Spannbreite auf 42,69 % - 2,21 % = 40,48 %, mithin fast auf den doppelten Wert; zudem können die Effektivsteuersätze für eine 50-jährige Thesaurierungsdauer in Estland mit 2,21 % vernachlässigt werden – ein wahres Steu-
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
309
erparadies; in diesen Zahlen schlägt sich vor allem die steuerfreie estländische Gewinn- und Zinseszinsakkumulation nieder:
After-Tax R etu rn, EST-S helter = f(r) 0.5
.5
effective tax rate
0.4269
0.25
0.0221 0
0.5
1
pre-tax rate of return (r) return ohne tax shelter return, retaining in EST, n = 5 return, retaining in EST, n = 10 return, retaining in EST, n = 20 return, retaining in EST, n = 50 Steuerbelastung ohne tax shelter effective tax rate, n = 5 effective tax rate, n = 10 effective tax rate, n = 20 effective tax rate, n = 50 tax w edge, n = 5 tax w edge, n = 10 tax w edge, n = 20 tax w edge, n = 50
Abbildung 6: Estland: Einfluss der Thesaurierungsdauer
Eine vollständige Fremdfinanzierung der estländischen Investitionen stellt sich Dank der steuerfreien Gewinn- und Zinseszinsakkumulation ebenfalls als wesentlich günstiger heraus als für bulgarische Investitionen, vor allem bei höheren Vorsteuerrenditen:
310
Klaus Dittmar Haase EST: effective tax rates, equity-/debt-financing 0.5
.
.1
after-tax ret urn/ef fective tax rat e
0.427
0.2
0.055
0
0.25
0.5
0.1 pre-tax rate of return ( r ) after-t ax return, equity financ., without retaining after-t ax return, equity financ., retaining in EST after-t ax return, debt-financed, without retaining effective t ax rate, equity financ., wit hout retaining effective t ax rate, equity financ., retaining in EST effective t ax rate, debt -financed, without retaining effective t ax rate, debt -financed, retaining in GER effective t ax rate, debt -financed, retaining in EST pre-tax return = after-tax return
Abbildung 7: Estland: Einfluss der Finanzierung
Aus diesem Schaubild lassen sich folgende Zusammenhänge erkennen: 1. Beide Effektivsteuersatzfunktionen Estlands sinken deutlich schneller als die vergleichbaren Funktionen Bulgariens; 2. schon für ein r = 0,5 nähern sich zudem die nationalen Effektivsteuersatzfunktionen für die Eigen- und für die Fremdfinanzierung weitgehend einander an; 3. der estländische Steuernachteil von etwa 8 Prozentpunkten, der bei Verzicht auf eine Gewinnthesaurierung im Vergleich zu Bulgarien entsteht, wird bei einer Gewinnthesaurierung mit wachsendem r schnell abgebaut:
Steuerbelastungsvergleich für deutsche Investitionen
311
EST/BG: effective tax rates, equity-/debt-financing 0.5
.
0.229
after-tax ret urn/ef fective tax rate
0.427
0.25
0.055
0
0.25
0.5
pre-tax rate of return ( r ) EST: effective t ax rate, equity-financed, without retaining BG: effective tax rate, equity-financed, without retaining EST: effective t ax rate, debt-financed, retaining in EST BG: effective tax rate, debt-financed, retaining in BG EST: effective t ax rate, equity-financ., ret aining in EST BG: effective tax rate, debt-financed, retaining in BG
Abbildung 8: Vergleich Bulgarien/Estland: Einfluss der Fianzierung
Der direkte Vergleich Estland – Bulgarien zeigt, dass thesaurierte Gewinne aus eigenfinanzierten Investitionen bis zu einem r von ca. 7,1 % in Bulgarien günstiger besteuert werden als in Estland, thesaurierte Gewinne aus fremdfinanzierten Investitionen hingegen bis einem r von ca. 17 %.
5 Fazit Nach dem Beitritt von Estland und Bulgarien hat sich der Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union deutlich verschärft. Hierbei locken sowohl das estländische als auch das bulgarische Steuersystem mit attraktiven Anreizen für deutsche Investoren:
312
Klaus Dittmar Haase
x das estländische Steuersystem beschränkt die Steuerbefreiung auf thesaurierte estländische Gewinne; für Gewinnausschüttungen an deutsche Investoren summieren sich aus dem estländischen und dem deutschen Steuersystem beträchtliche „Steuersanktionen“, die mit 43 % fast dem deutschen Steuerniveau für ausgeschüttete Gewinne aus deutschen Investitionen entsprechen. Die Steuerbefreiung erkauft sich der deutsche Investor mit einer harten Gewinnverwendungsrestriktion; x das bulgarische Steuersystem fördert hingegen bulgarische Investitionen unabhängig von der Gewinnverwendungsentscheidung der Investoren mit einem Steuertarif von (nur) 10 %. Daraus folgt aber auch, dass die Bandbreite der Steuervorteile einer Gewinnthesaurierung in Bulgarien sinkt: im Bereich von Vorsteuerrenditen zwischen 0 % und 50 % bewegen sich die Effektivsteuersätze zwischen 34,71 % und 13,09 %, also in einer Spanne von (nur) 21 Prozentpunkten – im Vergleich zur estländischen Spanne von 43 % (s.o.). Schließlich können die hier abgeleiteten Ergebnisse auch zu einer Strategieempfehlung für eine optimale Verteilung der Eigen- und Fremdkapitalien über die beiden Standorte herangezogen werden; denn im letzten Schaubild wurde ein Indifferenzpunkt von r = 0.229 abgeleitet: x zwischen der Funktion der Effektivsteuersätze für thesaurierte Gewinne aus einer Fremdfinanzierung estländischer Investitionen und x den Effektivsteuersätzen für thesaurierte Gewinne aus Eigenfinanzierung bulgarischer Investitionen. Dieser Indifferenzpunkt trennt den Bereich der unter 0.229 liegenden Vorsteuerrenditen, die nachsteuerliche Vorteile für den bulgarischen Standort bedeuten, von dem Bereich höherer Vorsteuerrenditen, die zugleich höhere estländische Nachsteuerrenditen kennzeichnen. Die allgemeine Empfehlung lautet jedoch: möglichst eigenfinanzierte Investitionen in Bulgarien für r 0.071 und ansonsten eigenfinanzierte Investitionen in Estland.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen
Rainer Heurung und Philipp Seidel
1
Problemstellung................................................................................................ 314
2
Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. R. d. DBAZuteilungsnormen ............................................................................................ 315
3
Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. R. d. DBAMethodenartikels.............................................................................................. 325
4
Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. R. d. § 50d Absatz 9 EStG .. 353
5
Schlußbemerkungen ........................................................................................ 361
314
Rainer HeurungҘ, Philipp Seidel
1 Problemstellung Seit über einem viertel Jahrhundert bereichert Frau Prof. Dr. Dr. Christiana Djanani mit fundierten Publikationen die wissenschaftliche Debatte zum internationalen Steuerrecht. Die Jubilarin definiert in ihrem Standardlehrbuch „Internationales Steuerrecht“ weiße Einkünfte1 als „Einkünfte, die weder im Quellen- noch im Wohnsitzstaat steuerbar sind“2. Wird ein Sachverhalt vom innerstaatlichen Steuerrecht der beteiligten Staaten nicht erfasst, resultiert eine doppelte Nichtbesteuerung unabhängig von der Existenz eines DBA. Besteuerungstatbestände die innerstaatlich nicht bestehen, können durch ein DBA nicht begründet werden. Hiervon sind Konstellationen abzugrenzen, in denen eine doppelte Nichtbesteuerung aufgrund der DBA-Anwendung entsteht und mindestens einer der Vertragsstaaten den Sachverhalt ohne Existenz eines DBA besteuern würde.3 In diesem Zusammenhang sieht Hahn eine doppelte Nichtbesteuerung verwirklicht, „wenn ein und derselbe Steuerpflichtige wegen ein und desselben Steuergegenstandes für ein und denselben Besteuerungszeitraum von zwei oder mehr Steuerhoheitsträgern nicht besteuert wird, obschon die Vertragsstaaten eine Besteuerung in einem von ihnen wollten, und wenn die Nichtbesteuerung unmittelbar auf Anwendung des Abkommens beruht“4. Generell muss zwischen doppelter Nichtbesteuerung in Fällen legaler Steuervermeidung und einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten beziehungsweise des Abkommensrechts unterschieden werden.5 Die Bemühungen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung sind vielgestaltig und von einem hohen Komplexitätsgrad geprägt. Unser Beitrag soll – in Anklang an den Festschrifttitel – die „Gegenwart“ der Vermeidung legalerweise doppelt nicht-besteuerter ausländischer Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen darstellen. Hieraus mögen sich Impulse für die „Zukunft“ und damit zur Weiterentwicklung der Rechtslage ergeben. Wir hoffen, durch unsere Ausarbeitung im Besonderen der Jubilarin eine Freude zu bereiten.
1
2 3 4
5
Kritisch zu diesem Begriff: Vogel, K., Neue Gesetzgebung zur DBA-Freistellung, IStR 2007, S. 226, Fn. 7; ders., Transnationale Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2003, S. 526; ders., Über Entscheidungsharmonie, Unternehmen - Steuern, Festschrift für Hans Flick zum 70. Geburtstag, hrsg. von Klein/Stihl/Wassermeyer, 1997, S. 1054, Fn. 21. Djanani, C./Brähler, G., Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, 2008, S. 183-184. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 87. Hahn, H., Generalthema I des 58. IFA-Kongresses 2004 in Wien: Double-Non-Taxation – Überblick über den deutschen Nationalbericht, IStR 2003, S. 447. Vgl. Vogel, K., Internationales Steuerrecht, DStZ 1997, S. 274.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
315
2 Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. R. d. DBAZuteilungsnormen 2.1 Einkünfteklassifikation durch Deutschland als Ansässigkeitsstaat Die Freistellungsnorm § 8b Absatz 1 KStG erfasst keine ausländischen Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 4 EStG, so dass sich deren Steuerfreistellung nur aus einem DBA ergeben kann.6 Artikel 10 Absatz 3 OECD-MA definiert den Begriff „Dividende“ als Einkünfte aus Aktien, Genussaktien oder Genussscheinen, Kuxen, Gründeranteilen oder anderen Rechten – ausgenommen Forderungen – mit Gewinnbeteiligung sowie aus sonstigen Gesellschaftsanteilen stammende Einkünfte, die nach dem Recht des Staats, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Aktien steuerlich gleichgestellt sind. Das Schrifttum subsumiert Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 4 EStG nicht unter den Dividendenbegriff des Artikel 10 Absatz 3 OECD-MA, sondern sieht – in Übereinstimmung mit der Verwaltungsauffassung7 – Zinseinkünfte i. S. von Artikel 11 OECD-MA gegeben.8 Soweit die DBA nach deutscher Abkommenspraxis (im Folgenden: D-DBA) keine ausdrückliche Regelung zu stillen Beteiligungen enthalten, sind die zum OECD-MA entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Die D-DBA definieren jedoch vielfach einen – im Vergleich zu Artikel 10 OECD-MA – erweiterten Dividendenbegriff und fassen 6
7
8
Vgl. Gröbl, E./Adrian, G., in: Erle/Sauter, Heidelberger Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 2. Auflage, 2006, § 8b KStG, Rz. 46ff. Vgl. BMF (Entwurf eines BMF-Schreibens), 10.5.2007, Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften, IV B 4 - S 1300/07/0006 (BMF-E, 10.5.2007), Tz. 2.2.1.3. Dem Vernehmen nach war verwaltungsintern zu Beginn des Jahres 2008 die Veröffentlichung des endgültigen BMF-Schreibens bis auf weiteres gestoppt worden. Zur Entstehungsgeschichte dieses BMF-Entwurfs vgl. Schwenke, M., Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen bei Personengesellschaften – Entwurf des neuen BMF-Schreibens – , Podiumsdiskussion, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 33, hrsg. von Lüdicke, 2008, S. 240f. Das BMF-E, 10.5.2007, ist abgedruckt in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, AStG, EStG, KStG, UmwStG, GewStG, BewG, ErbStG (Flick/Wassermeyer/Baumhoff), § 50d Absatz 9 EStG. Vgl. Pöllath, R., in: Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, Kommentar auf der Grundlage der Musterabkommen, 4. Auflage, 2003 (Vogel/Lehner), Artikel 11 OECD-MA, Rz. 63; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (Debatin/Wassermeyer), Artikel 11 OECD-MA, Rz. 88; Kluge, V., Das deutsche internationale Steuerrecht, 4. Auflage, 2000, Rz. S194 und S216; Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht, 2. Auflage, 1998, Rn. 16.363; Kaminski, B., Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen bei Personengesellschaften – Entwurf des neuen BMF-Schreibens – , Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 33, hrsg. von Lüdicke, 2008, S. 219; Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 139.
316
Rainer HeurungҘ, Philipp Seidel
auch Einkünfte aus stillen Beteiligungen unter Artikel 10 D-DBA.9 Wird in Artikel 10 D-DBA der Dividendenbegriff unspezifisch um Einkünfte aus „stillen Beteiligungen“ erweitert, sind nur Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 4 EStG erfasst.10 In vielen D-DBA ist die Erweiterung des Dividendenbegriffs allerdings weniger einfeutig gefasst. So normiert das DBA-Australien, dass als Dividenden, die eine in Deutschland ansässige Gesellschaft an eine in Australien ansässige Person zahlt (Artikel 10 Absatz 2 DBA-Australien), auch die Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter zu fassen sind (Artikel 10 Absatz 3 DBAAustralien). Nach Artikel 9 Absatz 6 DBA-Frankreich gelten in Deutschland für Zwecke von Artikel 9 Absatz 2 bis Absatz 5 DBA-Frankreich Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter als Dividenden.11 Die Erweiterung des Dividendenbegriffs ist in den einzelnen DBA unterschiedlich formuliert, weshalb die Frage nach unterschiedlichen Rechtsfolgen aufgeworfen wird. Vereinfacht ausgedrückt ist in zahlreichen DBA die Begriffserweiterung einseitig und in anderen zweiseitig formuliert. Ein Teil des Schrifttums will aus den unterschiedlichen Formulierungen Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich der Begriffserweiterung im Hinblick auf Fließrichtung beziehungsweise Bindungsrichtung der erfassten Einkünfte ableiten.12 Einigkeit herrscht bei zweiseitigen Formulierungen der Begriffserweiterung, die ohne Einschränkung Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen als DBADividendeneinkünfte definieren. Beispielsweise qualifiziert das DBA-Ungarn in Arti-
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12
Vgl. Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz – Doppelbesteuerungsabkommen (Strunk/Kaminski/Köhler), Artikel 23A OECD-MA, Rz. 96; Grützner, D., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar (Gosch/Kroppen/Grotherr), Artikel 10 OECD-MA, Rz. 208ff. Vgl. Köhler, S., Hybride Finanzierungen über die Grenze, Internationale Unternehmensfinanzierung, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 29, hrsg. von Piltz/Schaumburg, 2006, S. 150ff m. w. N.; Mößinger, C., Die stille Gesellschaft als Instrument zur steuerlichen Optimierung der internationalen Konzernfinanzierung, 2006, S. 275, 277. Zur Bedeutung von Parallelabkommen als Auslegungshilfe vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 140ff m. w. N. Vgl. Mößinger, C., Die stille Gesellschaft als Instrument zur steuerlichen Optimierung der internationalen Konzernfinanzierung, 2006, S. 279. Vgl. Tischbirek, W., in: Vogel/Lehner, Artikel 10 OECD-MA, 2003, Rz. 165; Fries, W., Internationales Schachtelprivileg für Vergütungen aus einer typischen stillen Beteiligung an einer luxemburgischen Tochtergesellschaft, IStR 2005, S. 806; Glessner, M., Die grenzüberschreitende stille Gesellschaft im Internationalen Steuerrecht, 2000, S. 261.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
317
kel 10 Absatz 4 „Einnahmen aus Beteiligungen an einem Unternehmen als stiller Gesellschafter“ als Dividenden.13 Umstritten sind einseitig formulierte Begriffserweiterungen, die beispielsweise im DBA-Großbritannien14, DBA-Dänemark15 und DBA-Italien16 erfolgt sind.17 Gleiches gilt für Artikel 10 Absatz 5 DBA-USA 2006, der bestimmt, dass der Ausdruck Dividenden „in der Bundesrepublik Deutschland auch Einkünfte aus einer stillen Gesellschaft“ umfasst. Ein Teil des Schrifttums vertritt, dass einseitig formulierte Begriffserweiterungen nur Deutschland in seiner Funktion als Quellenstaat und nicht in seiner Rolle als Ansässigkeitsstaat adressieren.18 Im Rahmen des § 49 Absatz 1 Nummer 5 Buchstabe a) EStG wird für inländische Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen ein Besteuerungsanspruch für Zwecke der beschränkten Steuerpflicht artikuliert. Artikel 11 Absatz 2 OECD-MA belässt dem Quellenstaat das Recht, den Bruttobetrag der abfließenden Zinsen i. S. d. DBA i. H. v. max. 10 Prozent zu besteuern.19 Die D-DBA sehen für Zinsen vielfach – insbesondere i. R. d. DBA mit Industriestaaten – das alleinige Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats vor.20 Somit verbleibt Deutschland nur ein sehr
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Zweiseitige Formulierungen der Begriffserweiterung enthalten beispielsweise auch: Artikel 10 Absatz 4 DBA-Finnland; Artikel 10 Absatz 5 DBA-Japan; Artikel 10 Absatz 4 DBA-Malta; Artikel 10 Absatz 3 DBA-Neuseeland; Artikel 10 Absatz 6 DBA-Norwegen; Artikel 10 Absatz 5 DBAZypern. Artikel 6 Absatz 4 DBA-Großbritannien: „[…] im Falle der Bundesrepublik umfasst der Begriff [Dividenden] auch […] Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter“. Artikel 10 Absatz 4 DBA-Dänemark: „Der in diesem Artikel verwendete Ausdruck „Dividenden“ bedeutet […] in der Bundesrepublik Deutschland auch Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter“. Artikel 10 Absatz 6 Buchstabe b) DBA-Italien: „Der in diesem Artikel verwendete Ausdruck „Dividenden“ bedeutet […] für die Zwecke der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland Einkünfte eines stillen Gesellschafters im Sinne des deutschen Steuerrechts aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter an einem gewerblichen Unternehmen“. Vgl. Glessner, M., Die grenzüberschreitende stille Gesellschaft im Internationalen Steuerrecht, 2000, S. 257ff. Vgl. Tischbirek, W., in: Vogel/Lehner, Artikel 10 OECD-MA, 2003, Rz. 165; Fries, W., Internationales Schachtelprivileg für Vergütungen aus einer typischen stillen Beteiligung an einer luxemburgischen Tochtergesellschaft, IStR 2005, S. 806. Zur Bruttobesteuerung vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 136; Tz. 7.1. OECD-MK zu Artikel 11 OECD-MA. Vgl. Pöllath, R., in: Vogel/Lehner, Artikel 11 OECD-MA, 2003, Rz. 48f; Schmidt, C., Steuerrechtliche Konsequenzen und Probleme beim Einsatz der typischen und atypischen stillen Beteiligung im Ausland, Handbuch der internationalen Steuerplanung, hrsg. von Grotherr, 2. Auflage, 2003, S. 1419.
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Rainer HeurungҘ, Philipp Seidel
eingeschränktes Quellenbesteuerungsrecht für DBA-Zinseinkünfte.21 Tendenziell gestehen die D-DBA dem Quellenstaat höhere Quellensteuersätze auf abfließende DBADividenden als auf Zinsen zu.22 Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, das alleinige Ziel der einseitig formulierten Begriffserweiterungen sei, die höhere deutsche Quellenbesteuerung auf abfließende inländische Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen als DBA-Dividenden anzuordnen.23 Dies hätte zur Folge, dass ausländische Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen keine (freizustellenden24) DBA-Dividenden sein könnten. Das DBA-USA 1954/66 enthielt eine einseitig formulierte Erweiterung des Dividendenbegriffs, die Gegenstand einer finanzgerichtlichen Auseinandersetzung war.25 Das FG Nürnberg befand in seinem Urteil vom 25.4.1997, dass die Norm nur Gewinnanteile aus deutschen Quellen, nicht hingegen Ausschüttungen aus amerikanischen Quellen umfasse.26 Dies könnte als Bestätigung vorstehender Schrifttumsauffassung gewertet werden, die einseitige Begriffserweiterungen nur für Zwecke der Quellenbesteuerung in Deutschland anwenden will. Der BFH ließ es im Revisionsverfahren jedoch ausdrücklich offen, ob er dieser Auslegung folgt.27 Unseres Erachtens kann die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Begriffserweiterung im Hinblick auf die Fließrichtung von Einkünften nicht aus einer einseitigen Formulierung der Begriffsdefinition abgeleitet werden. Auch im Schrifttum werden für ein- und zweiseitige Formulierungen identische Rechtsfolgen vertreten.28 Der Wortlaut
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25
26 27 28
Vgl. Baranowski, K.-H., Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Auflage, 1996, Rz. 471. Vgl. Tischbirek, W., in: Vogel/Lehner, Artikel 10 OECD-MA, 2003, Rz. 67. Vgl. Baranowski, K.-H., Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Auflage, 1996, Rz. 471. Die Freistellung ausländischer Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen als DBASchachteldividenden kommt in Betracht, wenn neben der stillen Beteiligung eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung in Höhe des DBA-Mindestbeteiligungserfordernisses besteht. Vgl. Suchanek, M./Herbst, C., Internationales Schachtelprivileg für einen typisch still Beteiligten an einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft, FR 2006, S. 1117; Tischbirek, W., in: Vogel/Lehner, Artikel 10 OECD-MA, 2003, Rz. 168; Haun, J./Reiser, H., Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften – eine erste Analyse, GmbHR 2007, S. 918; Wagner, S., Steuerliche Zweifelsfragen rund um die stille Gesellschaft in Luxemburg, StBp 2001, S. 349; a.A.: Grützner, D., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 10 OECD-MA, Rz. 215. Artikel 6 Absatz 8 DBA-USA 1954/66: „Der Begriff „Dividenden“ umfasst auf seiten der Bundesrepublik neben den Ausschüttungen […] Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter“. Zur Historie des DBA-USA vgl. Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Investitionen und Steuern in den USA, 2005, S. 161f. Vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 25.4.1997, VII 39/94, EFG 1998, S. 25. Vgl. BFH, Urteil vom 24.3.1998, I R 83/97, DB 1998, S. 1898; BB 1998, S. 1831. Vgl. Glessner, M., Die grenzüberschreitende stille Gesellschaft im Internationalen Steuerrecht, 2000, S. 261; Schönhaus, M., Die Behandlung der stillen Gesellschaft im Recht der Doppelbesteu-
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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der maßgeblichen Bestimmungen enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass nur aus Deutschland abfließende Einkünfte und nicht auch ausländische Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen erfasst werden. Nach unserer Auffassung adressieren Formulierungen wie „für Zwecke der Besteuerung in der Bundesrepublik“ auch Deutschland als Ansässigkeitsstaat.
2.2 Einkünfteklassifikation durch den Quellenstaat und DBAQualifikationskonflikte Der Quellenstaat kann typisch stille Beteiligungen als Eigenkapital oder Fremdkapital klassifizieren. Ist die Erweiterung des DBA-Dividendenbegriffs einseitig formuliert, qualifiziert der Quellenstaat die Vergütung an den Stillen nach seinem nationalem Recht und gegebenenfalls als Zinseinkünfte i.S.d. Artikel 11 OECD-MA.29 Wendet sodann der Ansässigkeitsstaat den Dividendenartikel an, liegt ein DBAQualifikationskonflikt vor, da unterschiedliche DBA-Zuteilungsnormen30 Anwendung finden.31 Insbesondere wenn der Quellenstaat die Vergütung zum Betriebsausgabenabzug zulässt, resultieren in Abhängigkeit der Quellenbesteuerung nicht- oder minderbesteuerte Einkünfte.32 Die tatsächliche Abzugsfähigkeit im Quellenstaat kann durch Unterkapitalisierungsregeln eingeschränkt sein.33 Im Schrifttum wird folgende These vertreten: Soweit DBA den Dividendenbegriff zweiseitig um Vergütungen aus typisch stillen Beteiligungen erweitern, seien DBAQualifikationskonflikte ausgeschlossen, da beide Vertragsstaaten die Einkünfte derselben Zuteilungsnorm zuordneten. Somit würde auch der Quellenstaat aufgrund der aus-
29
30
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erungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports, 2005, S. 151; Mößinger, C., Die stille Gesellschaft als Instrument zur steuerlichen Optimierung der internationalen Konzernfinanzierung, 2006, S. 279; wohl auch: Wassermeyer, F., Die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, IStR 2007, S. 415. Vgl. Mößinger, C., Die stille Gesellschaft als Instrument zur steuerlichen Optimierung der internationalen Konzernfinanzierung, 2006, S. 250, 280. In diesem Beitrag werden die Begriffe DBA-Verteilungsnorm und DBA-Zuteilungsnorm synonym verwendet. Vgl. Vogel, K., Zur Dogmatik der Verteilungsnormen in Doppelbesteuerungsabkommen, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 621ff. Vgl. Burmester, G., Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, Grundlagen und Gestaltungen für Einheitsunternehmen, Kapitalgesellschaftskonzerne und Personengesellschaftskonzerne, 2003, Rz. 67. Vgl. Pöllath, R., in: Vogel/Lehner, Artikel 11 OECD-MA, 2003, Rz. 65; Kessler, W./Knörzer, D., The Implications of the (Reverse) Ban on Interest, Tax Notes International, Volume 50, Number 5, 5.5.2008, S. 427ff.
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drücklichen Begriffsdefinition auf Vergütungen aus typisch stillen Beteiligungen den Dividendenartikel anwenden.34 Unseres Erachtens verringert eine zweiseitige DBABegriffsdefinition zwar die Wahrscheinlichkeit von Qualifikationskonflikten, kann diese aber nicht generell ausschließen. In diesem Sinne ist mit Piltz die Gefahr von Qualifikationskonflikten i. R. d. Begriffsdefinitionen eines DBA „verhältnismäßig am geringsten, aber keineswegs ausgeschlossen“35. Es existiert eine Vielzahl von Ansätzen zur Systematisierung von DBAQualifikationskonflikten.36 Verbreitet wird zwischen Qualifikationskonflikten und Zurechnungskonflikten unterschieden. Qualifikationskonflikte führen zu einer unterschiedlichen Zuordnung zu DBA-Zuteilungsnormen, weshalb sie auch als Zuordnungskonflikte bezeichnet werden.37 Die OECD teilt Qualifikationskonflikte in drei Kategorien ein. Hiernach können Qualifikationskonflikte aus Unterschieden im nationalen Recht resultieren (echte Qualifikationskonflikte). Zudem sind Qualifikationskonflikte aufgrund von Unterschieden in der Sachverhaltsbeurteilung (Sachverhaltskonflikte) oder einer unterschiedlichen Abkommensinterpretation (Auslegungskonflikte beziehungsweise Subsumtionskonflikte) möglich.38 Nehmen die Vertragsstaaten i. R. d. Abkommensanwendung unterschiedliche Sachverhalte an, liegt ein Sachverhaltkonflikt vor. Gehen die Vertragsstaaten von ein und demselben Sachverhalt aus, subsumieren diesen i. R. d. Abkommensanwendung jedoch unterschiedlich, ist ein Subsumtionskonflikt gegeben.39 Qualifikationskonflikte, die zu doppelter Nichtbesteuerung
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Vgl. Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1699; Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 135. Piltz, D. J., Qualifikationskonflikte im internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Personengesellschaften, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 3, hrsg. von Fischer, 1993, S. 33. Vgl. Gündisch, S. G., Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECDPartnership-Reports, 2004, S. 45ff; Strunk, G., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Einf. OECD-MA, Rz. 55; Menck, T., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Grundlagen, Teil 1, Abschnitt 6, Rz. 9; Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 23A/23B OECD-MA, Rz. 163; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 152ff. Vgl. Jirousek, H., Methodische Ansätze zur Konfliktvermeidung bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 177, 181. Vgl. Benecke, A./Schnitger, A., Lösung von Qualifikationskonflikten im internationalen Steuerrecht – der „abgeleitete“ Qualifikationskonflikt, RIW 2002, S. 439; Günkel, M./Lieber, B., BMFSchreiben zur steuerlichen Behandlung von Gewinnanteilen aus atypisch stillen Beteiligungen nach den DBA. Abkommensinterpretation oder Nichtanwendungserlass?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 874. Vgl. Gündisch, S. G., Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECDPartnership-Reports, 2004, S. 60.
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führen, werden als negative Qualifikationskonflikte bezeichnet.40 Auch wenn vorstehender OECD-Kategorisierung gefolgt wird, ergeben sich i. R. d. Einordnung konkreter Einzelkonflikte in obige drei Konflikt-Kategorien Abgrenzungsprobleme – so genannte abgeleitete DBA-Qualifikationskonflikte.41 Bei Zurechnungskonflikten werden die Einkünfte unterschiedlichen Steuersubjekten zugerechnet. Diese Zurechnungskonflikte werden auch als Sonderfälle von Qualifikationskonflikten (insbesondere Sachverhaltskonflikten) verstanden, bei denen allerdings Einkünfte von beiden Vertragsstaaten derselben Zuteilungsnorm zugerechnet werden und somit kein Zuordnungskonflikt vorliegt.42
2.3 Landesrechtliche und völkerrechtliche Theorie zur Auslegung von DBA Im Zentrum der Meinungsverschiedenheiten um die Abkommensauslegung steht die Verweisungs- beziehungsweise Auslegungsregel des Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA. Hiernach hat bei der Abkommensanwendung durch einen Vertragsstaat, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, jeder im DBA nicht definierte Ausdruck die Bedeutung, die ihm nach dem Recht dieses Vertragsstaats zukommt. Zur DBAAuslegung stehen der Wortlaut und eigene Definitionen des DBA (1), der Sinn- und Vorschriftenzusammenhang innerhalb des DBA (2) sowie Begriffsdefinitionen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten (3) zur Verfügung.43 Soweit ein DBA eigene Begriffsdefinitionen enthält, sind diese maßgeblich. Dennoch kann die Ausle-
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Vgl. Jirousek, H., Methodische Ansätze zur Konfliktvermeidung bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 177; Hannes, B., Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, 1992, S. 35. Vgl. Benecke, A./Schnitger, A., Lösung von Qualifikationskonflikten im internationalen Steuerrecht – der „abgeleitete“ Qualifikationskonflikt, RIW 2002, S. 447f. Vgl. Gündisch, S. G., Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECDPartnership-Reports, 2004, S. 62; Jirousek, H., Methodische Ansätze zur Konfliktvermeidung bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 181; s.a. Wolff, U., Negative Zurechnungskonflikte im Abkommensrecht, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 693ff. Vgl. Djanani, C./Brähler, G./Hartmann, T., Die abkommensrechtliche Behandlung von Ausschüttungen aus US-amerikanischen S-Corporations, IStR 2004, S. 482; Debatin, H., Auslegungsmaximen zum internationalen Steuerrecht, AWD 1969, S. 479; Wassermeyer, F., Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge – Haltung des BFH – , Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht, Heft 18, hrsg. von Mössner/Blumenwitz, 1995, S. 20ff; Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht, 2. Auflage, 1998, Rn. 16.58 m. w. N.; kritisch: Wilke, K.-M., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 3 OECD-MA, Rz. 95; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 3 OECD-MA, 2003, Rz. 122.
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gung durch die Vertragsstaaten auf jeder der obigen drei Ebenen unterschiedlich ausfallen und zu Qualifikationskonflikten führen.44 Bei Anwendung von Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA entsprechenden Normen stellt sich die Frage, wann der Zusammenhang etwas anderes beziehungsweise nichts anderes erfordert als den Rückgriff auf das innerstaatliche Steuerrecht des Anwenderstaats. Die vorrangige Begriffsauslegung aus dem Abkommen selbst wird als autonome oder einschränkende Auslegung (völkerrechtliche Theorie45) bezeichnet. Ein genereller Vorrang des innerstaatlichen Rechts des Anwenderstaats wird als Auslegung gemäß der lex fori (landesrechtliche Theorie46) kategorisiert.47 Tendenziell vertritt die Finanzverwaltung die landesrechtliche Theorie, während die Steuerwissenschaften eher der völkerrechtlichen Theorie zuneigen.48 Die Jubilarin, als Vertreterin der völkerrechtlichen Theorie, plädiert für eine Auslegungshierarchie in vorstehender Rangfolge und mithin für eine Auslegung nicht ausdrücklich definierter Begriffe nach dem Sinn- und Vorschriftenzusammenhang inner-
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Vgl. Piltz, D. J., Qualifikationskonflikte im internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Personengesellschaften, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 3, hrsg. von Fischer, 1993, S. 33. Als Vertreter der völkerrechtlichen Theorie gelten: Debatin, H., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beilage zu Heft 23, S. 6f; ders., System und Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, DB 1985, Beilage zu Heft 23, S. 6; Gloria, C., Die Doppelbesteuerungsabkommen der Bundesrepublik Deutschland und die Bedeutung der Lex-Fori-Klausel für ihre Auslegung, RIW 1986, S. 976; Kerath, A., Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des Verständigungsverfahrens, 1995, S. 177ff; Lang, M., DBA und Personengesellschaften – Grundfragen der Abkommensauslegung, IStR 2007, S. 609; Riemenschneider, S., Abkommensberechtigung von Personengesellschaften und abkommensrechtliche Behandlung der Einkünfte aus Beteiligungen inländischer Gesellschafter an ausländischen Personengesellschaften, 1995, S. 39; Hannes, B., Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, 1992, S. 50; Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht, 2. Auflage, 1998, Rn. 16.63. Als Vertreter der landesrechtlichen Theorie gelten: Henkel, U., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Teil 1, Grundlagen, Abschnitt 4, Rz. 60; Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 7, Rz. 98, 277; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 3 OECD-MA, Rz. 71a, 82; ders., Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen durch den Bundesfinanzhof, StuW 1990, S. 410. Wassermeyer selbst kategorisiert sich jedoch als Vertreter einer Mittelmeinung: Wassermeyer, F., Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung zu den Doppelbesteuerungsabkommen, Steuerplanung zwischen Abkommens- und nationalem Außensteuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 14, hrsg. von Fischer, 1998, S. 22. Vgl. Kluge, V., Das deutsche internationale Steuerrecht, 4. Auflage, 2000, Rz. R52; Gündisch, S. G., Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECD-Partnership-Reports, 2004, S. 24ff. Vgl. Wassermeyer, F., Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung zu den Doppelbesteuerungsabkommen, Steuerplanung zwischen Abkommens- und nationalem Außensteuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 14, hrsg. von Fischer, 1998, S. 22.
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halb eines DBA. Durch eine solche abkommensautonome Begriffsqualifikation beziehungsweise vertragsimmanente Auslegung kann Regelungshomogenität i. R. d. eigenständigen Rechtskreises DBA erreicht werden.49 Erst wenn die Abkommensauslegung nach dem Sinn- und Vorschriftenzusammenhang scheitert, kann nach völkerrechtlicher Theorie unter Anwendung von Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten zurückgegriffen werden. Nach Debatin ist dieser Rückgriff auf das innerstaatliche Steuerrecht lediglich als „ultima ratio“ beziehungsweise als letzte Auslegungsalternative, wenn dem Abkommen „keinerlei eigene Wertung“ zu entnehmen ist, zulässig.50 Mit Djanani „darf innerstaatliches Recht nur nachrangig herangezogen werden, um ein ‚Auslegungsvakuum’51 aufzulösen“52. Ein wichtiges Mittel i. R. d. abkommensautonomen Auslegung stellt der Musterkommentar zum OECDMA (OECD-MK) dar.53 Praktisch besteht der Hauptvorzug der völkerrechtlichen Theorie darin, Qualifikationskonflikte in stärkerem Maße als die landesrechtliche Theorie zurückzudrängen.54 Die landesrechtliche Theorie liest aus Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA keinen systematischen Vorrang der Auslegung aus dem Abkommenszusammenhang gegenüber dem Rückgriff auf innerstaatliches Recht heraus und will idealtypisch obige Auslegungsstufen (2) und (3) in umgekehrter Reihenfolge fruchtbar machen.55 Schließlich wird im Schrifttum eine zwischen landesrechtlicher und völkerrechtlicher Theorie vermittelnde Auffassung vertreten.56 Nach Vogel stehen die autonome Ausle-
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Vgl. Djanani, C./Brähler, G./Hartmann, T., Die abkommensrechtliche Behandlung von Ausschüttungen aus US-amerikanischen S-Corporations, IStR 2004, S. 482. Vgl. Debatin, H., Auslegungsmaximen zum internationalen Steuerrecht, AWD 1969, S. 480. Die Jubilarin verwendet den Begriff Auslegungsvakuum in Analogie zu dem von Debatin eingeführten Begriff „non liquet“. Vgl. Debatin, H., Auslegungsmaximen zum internationalen Steuerrecht, AWD 1969, S. 480; Djanani, C./Brähler, G./Hartmann, T., Die abkommensrechtliche Behandlung von Ausschüttungen aus US-amerikanischen S-Corporations, IStR 2004, S. 482. Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Investitionen und Steuern in den USA, 2005, S. 165. Vgl. Schnitger, A., Die Einbeziehung des OECD-Kommentars in die Rechtsprechung des BFH, IStR 2002, S. 408. Vgl. Gündisch, S. G., Analoge Abkommensanwendung zur Überwindung von Qualifikationskonflikten, IStR 2005, S. 829ff. Vgl. Djanani, C./Brähler, G./Hartmann, T., Die abkommensrechtliche Behandlung von Ausschüttungen aus US-amerikanischen S-Corporations, IStR 2004, S. 482. Vgl. Mössner, J. M., Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, Völkerrecht, Recht der internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht: Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, hrsg. von Böckstiegel, 1988, S. 424ff; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 3 OECD-MA, 2003, Rz. 121; Klebau, B., Einzelprobleme bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1985, S. 131ff.
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gung und die lex fori „in einem Verhältnis der Wechselbezüglichkeit“57. Wassermeyer kommt zu dem Ergebnis, dass „trotz des eigenständigen Regelungskreises […] die meisten in den DBA verwendeten Ausdrücke entsprechend dem innerstaatlichen Recht des Anwenderstaats auszulegen“58 seien. Er plädiert für eine „gemäßigte Anwendung der völkerrechtlichen Theorie“, da die Abkommensauslegung nach ausschließlich einer der beiden Theorien vernünftigerweise nicht begründet werden könne.59 Die völkerrechtliche Theorie kann sich auf BFH-Rechtsprechung berufen, nach welcher der autonomen Abkommensauslegung Vorrang zukommt.60 Diesen Judikaten stehen Urteile gegenüber, in denen ohne Erörterung einer Auslegung auf Abkommensebene direkt nationales Steuerrecht zur Anwendung kommt.61 Im Urteil vom 20.9.2006 strich der BFH heraus, dass die Abkommensauslegung „grundsätzlich von jedem der Vertragsstaaten autonom und nach den in seinem Recht geltenden Prinzipien“62 vorzunehmen sei. Da die Urteilsbegründung ausdrücklich und ausschließlich auf die von Wassermeyer63 vertretene Mittelmeinung verweist, kann diese Rechtsprechung nicht als Bestätigung einer der beiden Extrempositionen gewertet werden. Lang zufolge können DBA ihre Aufgabe nur erfüllen, „wenn sie in beiden Vertragsstaaten in gleicher Weise angewendet werden, so dass eine die Maßgeblichkeit des jeweiligen nationalen Rechts der Vertragsstaaten fördernde Auslegung mit dem Ziel und Zweck der DBA nicht in Einklang zu bringen“64 sei. Er hält deshalb Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA für verzichtbar beziehungsweise dessen enge Interpretation für er57 58 59
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Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 3 OECD-MA, 2003, Rz. 119. Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 3 OECD-MA, Rz. 71a. Vgl. Wassermeyer, F., Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung zu den Doppelbesteuerungsabkommen, Steuerplanung zwischen Abkommens- und nationalem Außensteuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 14, hrsg. von Fischer, 1998, S. 22. Vgl. BFH, Urteil vom 15.1.1971, III R 125/69, BStBl 1971 II, S. 379; BFH, Urteil vom 21.8.1985, I R 63/80, BStBl 1986 II, S. 4; BFH, Urteil vom 30.5.1990, I R 179/86, BStBl 1990 II, S. 906; BFH, Urteil vom 27.2.1991, I R 15/89, BStBl 1992 II, S. 446; BFH, Urteil vom 10.11.1993, I R 53/91, BStBl 1994 II, S. 218. Vgl. Wilke, K.-M., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 3 OECDMA, Rz. 94. Vgl. BFH, Urteil vom 18.12.1986, I R 52/83, BFHE 149, S. 440; BFH, Urteil vom 14.3.1989, I R 39/85, BStBl 1989 II, S. 599; BFH, Urteil vom 17.10.1990, I R 16/89, BStBl 1991 II, S. 211; BFH, Urteil vom 5.2.1992, I R 158/90, BStBl 1992 II, S. 660; BFH, Urteil vom 26.2.1992, I R 85/91, BStBl 1992 II, S. 937; BFH, Urteil vom 15.12.1993, II R 66/89, BStBl 1994 II, S. 220. Vgl. Wilke, K.-M., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 3 OECD-MA, Rz. 94; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 3 OECD-MA, 2003, Rz. 119; Wassermeyer, F., Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen durch den Bundesfinanzhof, StuW 1990, S. 408. BFH, Urteil vom 20.9.2006, I R 59/05, DStRE 2007, S. 295. Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 3 OECD-MA, Rz. 71a. Lang, M., DBA und Personengesellschaften – Grundfragen der Abkommensauslegung, IStR 2007, S. 609.
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forderlich.65 Fundamentale Normkritik enthielten bereits die Erkenntnisse der Generalberichterstatter Vogel und Prokisch des IFA-Kongresses 1993: „Artikel 3 Absatz 2 des OECD-MA ist mehrdeutig, und seine Auslegung ist umstritten. Er sollte in einer nicht mehr missverständlichen Weise neu formuliert oder gestrichen werden.“66
3 Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. R. d. DBAMethodenartikels 3.1 Einheitliche Auslegung des DBA-Dividendenbegriffs 3.1.1 Deutsche Abkommenspraxis Regelmäßig wird der Begriff „Dividende“ innerhalb eines DBA sowohl in der Zuteilungsnorm für Dividenden als auch im Methodenartikel verwendet. Soweit im Methodenartikel keine Definition des Dividendenbegriffs erfolgt, ist dieser unter Berücksichtigung von Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA durch Auslegung zu bestimmen. Im Zuge der Auslegung sind auch die im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge67 zum Ausdruck kommenden völkerrechtlichen Grundsätze und Prinzipen der Abkommensauslegung heranzuziehen.68 Ist der DBA-Dividendenbegriff einheitlich auszulegen, entfalten Begriffserweiterungen auch für den Ansässigkeitsstaat bei Anwendung des Methodenartikels Bindungswirkung. Die Finanzverwaltung lehnt die generelle einheitliche Auslegung des Dividendenbegriffs innerhalb eines DBA für Zwecke der Zuteilungsnormen und des Methodenartikels ab. Zwar würden Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen abkommensrechtlich nach den meisten deutschen DBA von der Dividendenbegriffsdefinition erfasst. Diese Definition sei aber nur für die Anwendung des Dividendenartikels (Artikel 10 OECD-MA) maßgeblich. Aus der Begriffserweiterung im Dividendenartikel
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Vgl. Lang, M., Doppelbelastung und Doppelbefreiung im grenzüberschreitenden Steuerrecht, Steuer- und Sozialstaat im europäischen Systemwettbewerb, hrsg. von Becker/Schön, 2005, S. 228; ders., Die Bedeutung des originär innerstaatlichen Rechts für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen (Art 3 Abs 2 OECD-Musterabkommen), Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis. Festschrift für Helmut Debatin zum 70. Geburtstag, hrsg. von Burmester/Endres, 1997, S. 303. Vogel, K./Prokisch, R., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 1993, Vol. 78a, S. 53. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (WÜRV), BGBl 1985 II, S. 927. Suchanek, M./Herbst, C., Internationales Schachtelprivileg für einen typisch still Beteiligten an einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft, FR 2006, S. 1114.
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folge nicht, dass die Einkünfte auch für die Anwendung des Methodenartikels als Dividenden zu behandeln seien. Vielmehr seien die Einkünfte (wegen ihrer Abzugsfähigkeit bei der zahlungsverpflichteten Gesellschaft) beim Empfänger nicht als freizustellende Schachteldividenden zu qualifizieren.69 Wassermeyer widerspricht der Verwaltungsauffassung: „Enthält [aber] weder die Dividendendefinition noch der Methodenartikel eine entsprechende Einschränkung, so gilt methodisch gesehen das, was in Artikel 10 OECD-MA als Dividende definiert wird auch für den Methodenartikel.“70 Grotherr sieht in der Verwaltungsposition darüber hinaus den Versuch neben dem legislativen Treaty-Override einem exekutiven Treaty-Override zu etablieren. Auch nach seiner Auffassung gilt, unter Rückgriff auf das Gebot der Entscheidungsharmonie71, „im Abkommensrecht die allgemeine Auslegungsregel, dass gleichlautende Begriffe jeweils denselben Begriffsinhalt haben“72. In diesem Sinne legte der BFH den Dividendenbegriff bereits i. R. d. DBA-Frankreich73 und DBA-Schweiz74 einheitlich aus. Djanani schreibt, in Übereinstimmung mit dem BFH75 und dem überwiegenden Schrifttum76, der DBA-Freistellungsmethode als Sinn und Zweck auch die Vermeidung einer virtuellen Doppelbesteuerung zu.77 Das Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung ist als Grundsatz in Textziffer 34 des OECD-MK zu Artikel 23A OECD69 70
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Vgl. BMF-E, 10.5.2007, Tz. 2.2.1.3., 4.1.1.1.3. Wassermeyer, F., Die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, IStR 2007, S. 415. Vgl. Kapitel 3.2.3.1. zum Gebot der Entscheidungsharmonie. Grotherr, S., Sperren und Risiken für Outbound-Steuergestaltungen auf der Grundlage von Abkommensvergünstigungen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, S. 2326. Vgl. BFH, Urteil vom 29. 5. 1996, I R 21/95, BStBl 1997 II, S. 65: „Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b DBA-Frankreich [Methodenartikel] bestimmt selbst nicht, was unter „Dividenden“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist. Der Ausdruck muss indes nach der Definition des Artikel 9 Absatz 6 DBA-Frankreich [Dividendenartikel] ausgelegt werden.“ Vgl. BFH, Urteil vom 27.01.1982, I R 5/78, HFR 1982, S. 301: “Was unter Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren zu verstehen ist, ist an anderen Stellen des Abkommens erläutert (für Dividenden in Artikel 10 Absatz 6, für Zinsen in Artikel 11 Absatz 2, für Lizenzgebühren in Artikel 12 Absatz 2 des Abkommens).“ Vgl. BFH, Urteil vom 14.12.1988, I R 148/87, BStBl 1989 II, S. 319; BFH, Urteil vom 29.7.1992, II R 39/89, BStBl 1993 II, S. 63; BFH, Urteil vom 8.3.1995, II R 10/92, BFH/NV 1995, S. 58; BFH, Urteil vom I R 46/95, 16.2.1996, DStR 1996, S. 1197. Rechtsprechungsüberblick: Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 330f. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 23 OECD-MA, 2003, Rz. 106; Vor 6-22 OECD-MA, Rz. 7; Einl., Rz 74; Salzmann, S., Abschied vom Verbot der „virtuellen“ Doppelbesteuerung?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 3, S. 1466; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 46; Debatin, H., Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, DStR 1992, Beilage zu Heft 23, S. 3. Vgl. Djanani, C./Brähler, G., Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, 2008, S. 17.
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MA verankert. Hiernach muss der Ansässigkeitsstaat Einkünfte, die nach DBA im Quellenstaat besteuert werden können, ohne Rücksicht darauf freistellen, ob das Besteuerungsrecht vom Quellenstaat tatsächlich ausgeübt wird. Laut OECD-MK führt ein solches Vorgehen zu zweckmäßigen Ergebnissen, da dem Ansässigkeitsstaat Untersuchungen über die tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse im Quellenstaat erspart bleiben. Dementsprechend vertritt auch die deutsche Finanzverwaltung das Verbot einer virtuellen Doppelbesteuerung, soweit nicht spezielle Klauseln zur Vermeidung von Keinmal- oder Minderbesteuerung existieren.78 Im Rahmen der Auslegung des Methodenartikels kann im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden, Hauptzweck von DDBA sei die generelle Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung.79
3.1.2 DBA-Luxemburg Die Frage der einheitlichen Auslegung des Dividendenbegriffs im Rahmen des DBALuxemburg ist Gegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens.80 Gemäß Protokoll Nummer 11 zum DBA-Luxemburg werden Einkünfte aus der Beteiligung als typisch stiller Gesellschafter als Dividenden i.S.d. Artikel 13 DBA-Luxemburg behandelt. Hierbei liegt eine zweiseitige Erweiterung des DBA-Dividendenbegriffs vor, die Deutschland auch in seiner Funktion als Ansässigkeitsstaat bindet. Dividenden, die einer deutschen Kapitalgesellschaft von einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft gezahlt werden, deren stimmberechtigte Anteile ihr zu mindestens 25 Prozent gehören, sind in Deutschland nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 3 DBA-Luxemburg freizustellen. Greift die Dividendenfreistellung nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 3 DBA-Luxemburg nicht, kommt für Dividenden nach Artikel 20 Absatz 3 DBA-Luxemburg die Anrechnungsmethode zur Anwendung. Diese Anrechnung luxemburgischer Quellensteuern in 78
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Vgl. OFD Münster, Verfügung vom 22.1.1997, FR 1997, S. 503; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 331; Wolff, U., Negative Zurechnungskonflikte im Abkommensrecht, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 701. Vgl. Lang, M., Die Vermeidung der Doppelbesteuerung und der doppelten Nichtbesteuerung als DBA-Auslegungsmaxime?, IStR 2002, S. 613; ders., Vermeidung der Doppelbesteuerung und der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsmaxime für Doppelbesteuerungsabkommen, Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 26, hrsg. von Haarmann, 2004, S. 98f; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 333. Vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.7.2006, 6 K 164/04, EFG 2007, S. 167-169; Stbg 2007, S. 21ff. Zur Revision beim BFH unter I R 62/06 zugelassen. Für den 4.6.2008 war eine mündliche Verhandlung vor dem BFH angesetzt. Die Fertigstellung dieses Beitrags erfolgte am 30.5.2008.
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Deutschland sieht das DBA nur für Lizenzeinkünfte und Dividenden, die keine Schachteldividenden sind vor. Die übrigen Einkünfte, für die Luxemburg ein Quellenbesteuerungsrecht hat, werden in Deutschland nach Artikel 20 Absatz 2 DBALuxemburg grundsätzlich freigestellt.81 Die entsprechende Erhebung einer Quellensteuer auf die abfließenden Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen durch Luxemburg, wird unter Bezugnahme auf den erweiterten Dividendenbegriff geschehen. Verneint Deutschland als Ansässigkeitsstaat im Rahmen der Anwendung des Methodenartikels die Klassifikation der Einkünfte als Dividenden, liegen „Einkünfte“ i.S.d. Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 DBA-Luxemburg vor, die freizustellen sind, weil Luxemburg ein Quellenbesteuerungsrecht zugewiesen wird. Würde es sich bei den Einkünften nach deutscher Rechtsauffassung, für Zwecke der Besteuerung im Quellenstaat Luxemburg, nicht um Dividenden i.S.d. Artikel 13 DBA-Luxemburg handeln, wären wohl Zinseinkünfte i.S.d. Artikel 14 DBALuxemburg anzunehmen. Für diese würde Deutschland das alleinige Besteuerungsrecht zugewiesen und Luxemburg kein Quellenbesteuerungsrecht belassen. Die einbehaltene Quellensteuer wäre gegebenenfalls abkommenswidrig erhoiben worden. Artikel 2 Absatz 2 DBA-Luxemburg entspricht Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA, so dass bei Anwendung der völkerrechtlichen Auslegungstheorie, Begriffe primär aus dem Abkommen heraus auszulegen sind, was im vorliegenden Sachverhalt durchaus möglich ist.82 Der Zusammenhang erfordert mithin keinen Rückgriff auf nationales Recht. In diesem Sinne entschied das FG Baden-Württemberg, dass ausländische Einkünfte einer deutschen Kapitalgesellschaft aus der typisch stillen Beteiligung an einer Luxemburger AG als Dividenden i. S. d. DBA-Luxemburg qualifizieren und auf diese die Dividendenfreistellung i. R. d. DBA-Schachtelprivilegs Anwendung finden kann: „Es ist kein Grund ersichtlich, dass der Begriff Dividenden in Artikel 20 Absatz 2 Satz 3 DBA-Luxemburg anders auszulegen ist als etwa in Artikel 13 DBA-Luxemburg oder in Nummer 11 Satz 2 des Schlussprotokolls.“83 Die Finanzverwaltung differenziert des Weiteren im Rahmen des DBA-Luxemburg nach Dividenden für Zwecke der Freistellungsmethode und Dividenden für Zwecke der Anrechnungsmethode. Sie legt den Dividendenbegriff nach Artikel 20 Absatz 2 81 82
83
Vgl. Siegers, D., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Luxemburg, Artikel 20, Rz. 160. Vgl. Suchanek, M./Herbst, C., Internationales Schachtelprivileg für einen typisch still Beteiligten an einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft, FR 2006, S. 1114. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.7.2006, 6 K 164/04, EFG 2007, S. 169.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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DBA-Luxemburg anders aus als nach Artikel 20 Absatz 3 DBA-Luxemburg. Während der Dividendenbegriff i. S. d. Absatz 2 Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen nicht umfasse, sei dies i. R. d. Absatz 3 der Fall.84 Durch eine derartige, ergebnisorientierte Auslegung wäre im vorliegenden Sachverhalt der Übergang zur DBAAnrechnungsmethode möglich, allerdings ist keine stichhaltige Begründung dieser Rechtsauffassung ersichtlich.85
3.2 Maßnahmen zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung 3.2.1 DBA-Subject-to-tax-Klausel Wird „eine abkommensrechtliche Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass die betreffenden Einkünfte im anderen Staat der Besteuerung unterliegen“86, ist von einer Subject-to-tax-Klausel die Rede. Frotscher definiert als Subject-to-tax-Klausel eine Norm, „die die Steuerfolgen in dem einen Staat von der Besteuerung in dem anderen Staat abhängig macht, ohne dass eine mögliche Freistellung in dem anderen Staat auf einer unterschiedlichen Interpretation des DBA zurückzuführen ist.“87 Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, wann im anderen Vertragsstaat eine Besteuerung i. S. d. Subject-to-tax-Klausel vorliegt. Es kann hierbei eine Besteuerung dem Grunde oder der Höhe nach erforderlich sein, um das Eingreifen der Klausel zu verhindern.88 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist es für die Freistellung von Einkünften unbeachtlich, in welchem Umfang diese von der ausländischen Besteuerung erfasst werden oder ob dort alle Einkunftsteile im Rahmen der ausländischen Veranlagung zu einer konkreten Steuerzahlungspflicht führen. Eine 84
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88
Vgl. Fries, W., Internationales Schachtelprivileg für Vergütungen aus einer typischen stillen Beteiligung an einer luxemburgischen Tochtergesellschaft, IStR 2005, S. 808. Vgl. Rödder, T./Ritzer, C., Freistellung von Vergütungen aus typischer stiller Beteiligung gemäß Artikel 20 Absatz 2 Satz 3 DBA Luxemburg, IStR 2006, S. 667; Siegers, D., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Luxemburg, Artikel 20, Rz. 125. Schilcher, M., Die tatsächliche Besteuerung als maßgebendes Kriterium für die Festlegung des Quellenstaates nach den Doppelbesteuerungsabkommen („Subject-to-tax-Klauseln“), Die Verteilung der Besteuerungsrechte zwischen Ansässigkeits- und Quellenstaat im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, hrsg. von Gassner/Lang/Schuch/Staringer, 2005, S. 358 m. w. N. „Bei der Subject-to-tax-Klausel ist [nach der von Frotscher vertretenen Definition] nicht entscheidend, dass die Besteuerung in dem anderen Staat völlig unterbleibt; es genügt auch, je nach Formulierung der Klausel, eine niedrige Besteuerung.“ Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d EStG, Rz. 119. Demnach würde § 20 Absatz 2 AStG eine Subject-to-tax-Klausel darstellen. Vgl. Lentz, M., Die Freistellung ausländischer Einkünfte unter Vorbehaltsklauseln in der internationalen Vertragspraxis, Freistellungs- und Anrechnungsmethode in den Doppelbesteuerungsabkommen, Schriftenreihe zum Internationalen Steuerrecht Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Michael Lang, Band 24, hrsg. von Sutter/Wimpissinger, 2002, S. 114 m. w. N.
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ausländische Besteuerung sei auch anzunehmen, wenn die ausländische Steuer aufgrund von Freibeträgen, aufgrund eines Verlustausgleichs oder Verlustabzugs entfällt oder wenn die betreffenden Vergütungen im Ergebnis zu negativen Einkünften bei der ausländischen Besteuerung führen.89 Subject-to-tax-Klauseln können sich an den Ansässigkeits- oder an den Quellenstaat richten.90 Bei Subject-to-tax-Klauseln in Bezug auf den Ansässigkeitsstaat wendet dieser die Freistellungsmethode nur dann an, wenn im Quellenstaat eine tatsächliche Besteuerung stattgefunden hat. Wenden sich Subject-to-tax-Klauseln an den Quellenstaat, so gewährt dieser eine Reduktion von Quellensteuern oder einen gänzlichen Verzicht nur, falls der Ansässigkeitsstaat sein Besteuerungsrecht tatsächlich wahrnimmt.91 Artikel 23 Absatz 3 DBA-Kanada 1981 enthielt folgende DBA-Quellenklausel: „Für die Zwecke dieses Artikels gelten Gewinne oder Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person als aus Quellen innerhalb des anderen Vertragsstaats stammend, wenn sie in Übereinstimmung mit diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden.“ Zweck derartiger Quellenklauseln ist es sicherzustellen, dass die Anrechnung einer Steuer, die im Quellenstaat in Übereinstimmung mit dem DBA erhoben wurde, im Ansässigkeitsstaat nicht verweigert wird. Betroffen sind Konstellationen, in denen beispielsweise Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen nach deutschem Steuerrecht nicht als aus dem Quellenstaat stammende ausländische Einkünfte gelten (§ 34c EStG i. V. m. § 34d EStG). Entsprechende Quellenklauseln zielen auf die Absicherung der Anrechnungsmethode über eine Quellenzuordnungsregel beziehungsweise eine Quellenstaatsfiktion ab, wobei die Quellenregeln des Quellenstaats für den Ansässigkeitsstaat maßgeblich sind.92
89 90
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Vgl. BMF, Schreiben vom 14.9.2006, IV B6 – S 1300 – 367/06, BStBl 2006 I, S. 532, Tz. 157. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 95; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 328 m. w. N. Beispielsweise enthält Artikel 22 Absatz 1 DBA-Portugal (Andere Einkünfte) eine Subject-to-tax Klausel zu Gunsten des Quellenstaats: „Einkünfte einer in einem Vertragstaat ansässigen Person, die in den vorstehenden Artikeln nicht behandelt wurden, können ohne Rücksicht auf ihre Herkunft nur in diesem Staat besteuert werden. Unterliegen die Einkünfte jedoch in diesem Staat nicht der Steuer, so können sie im anderen Vertragstaat besteuert werden.“ Vgl. BT-Drs. 8/3918, S. 28; Grotherr, S., Geänderte Rechtsauffassung des BFH zur Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 1146f; Prinz zu Hohenlohe, F./Ribbrock, M., RIW-Kommentar zum BFH-Urteil vom 17.12.2003, RIW 2004, S. 559.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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In Denkschriften zu den D-DBA kommt die Intention der Verhandlungspartner zum Ausdruck, diesen DBA-Quellenklauseln einen zweiten Zweck beizumessen, soweit sie neben der Anrechnungsmethode auch die Freistellungsmethode adressieren. Dieser zweite Zweck stellt die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung dar, so dass die Einkünfte im Ansässigkeitsstaat nur freizustellen sind, wenn sie im anderen Staat in Übereinstimmung mit dem Abkommen tatsächlich besteuert worden sind.93 Die meisten DBA-Quellenklauseln sind auf die Freistellungs- und die Anrechnungsmethode gleichermaßen anwendbar.94 Rechtsprechung95, Finanzverwaltung96 und Teile des Schrifttums97 hatten diese DBA-Quellenklauseln unter Anwendung eines Umkehrschlusses auch als Subject-to-tax-Klauseln interpretiert.98 Aus der Perspektive Deutschlands als Ansässigkeitsstaat sollten „nur“ beziehungsweise „ausschließlich“ dann ausländische (z. B. kanadische) Einkünfte vorliegen, wenn der Quellenstaat (z. B. Kanada) diese tatsächlich einer Besteuerung unterworfen hatte.99 Seit dem BFH-Urteil vom 17.12.2003 handelte es sich bei Artikel 23 Absatz 3 DBAKanada 1981 ausschließlich um eine Regelung zur Bestimmung der Einkunftsquelle (Einkünftelokalisierungsregel). Der BFH gab seine bisherige Rechtsprechung auf, schloss sich der (Gegen-) Auffassung im Schrifttum100 an und verwarf die Anwendung 93
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Vgl. Grotherr, S., Geänderte Rechtsauffassung des BFH zur Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 1155 m. w. N. Vgl. Grotherr, S., Geänderte Rechtsauffassung des BFH zur Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 1148. Vgl. BFH, Urteil vom 5.2.1992, I R 158/90, BStBl 1992 II, S. 660; BFH, Urteil vom 11.6.1996, I R 8/96, BStBl 1997 II, S. 117; ausdrücklich offen gelassen schon: BFH, Urteil vom 27.8.1997, I R 127/95, BStBl 1998 II, S. 58. Vgl. auch die Rechtsprechungsübersicht bei: Ronge, E., Behandlung von Entnahmegewinnen aus Anteilen an einer US-Immobilien-Partnership nach DBA-USA, IStR 2003, S. 305 und Meilicke, W./Portner R., Grenzen für den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode, IStR 2004, S. 398. Vgl. OFD München, Verfügung vom 10.5.1995, RIW 1995, S. 614; OFD Düsseldorf, Verfügung vom 11.12.1996, IStR 1997, S. 53; OFD Frankfurt, Verfügung vom 8.7.2003, DB 2003, S. 1602f. Vgl. Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kanada, Artikel 23, Rz. 41, 43; ders., Zweifelsfragen bei der Anwendung der Rückfallklausel („subject to tax clause“) gemäß DBA. Welche Einkünfte sind bei Nichtbesteuerung in einem DBA-Staat trotz Vereinbarung der Freistellungsmethode im Inland steuerpflichtig?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 689ff; Valova, D./Bodenloher, C./Koch, C., Die Rückfallklausel im Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2002, S. 405; Menck, T., Der Qualifikationskonflikt im neuen deutsch-kanadischen Doppelbesteuerungsabkommen, Intertax 1982, S. 421. Verbreitet wird von einer Rückfallklausel gesprochen, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass ein Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfällt. Vgl. Jacob, F., Nichtbesteuerung in Kanada lässt kein deutsches Besteuerungsrecht entstehen, IStR 2004, S. 242f. Vgl. Jacob, F., Das deutsch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen von 1989: Festbeitrag zum 65. Geburtstag von Adalbert Uelner am 27. Oktober 1992, DStZ 1992, S. 672ff; Hey, F.,
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eines Umkehrschlusses anstelle der wortgetreuen Anwendung der Positivregelung: Es handle sich bei den Quellenklauseln nicht mehr um die ultima ratio der Abkommensanwendung, der Auffangcharakter zukomme – insbesondere weil aus dem Normwortlaut der Normzweck der Vermeidung einer Keinmalbesteuerung nicht hinreichend klar zum Ausdruck komme.101 Somit schien die insbesondere von Vogel und Wassermeyer102 kritisierte „Mär von den ‚Rückfallklauseln’ in Doppelbesteuerungsabkommen“103 widerlegt zu sein.104 Djanani argumentierte in Übereinstimmung mit der BFH-Rechtsprechung vom 17.12.2003, dass in den Fällen, in denen Quellenstaaten „die Einkünfte aufgrund von Gesetzeslücken nicht tatsächlich besteuern, nach dem Wortlaut der Vorschrift keine inländischen deutschen Einkünfte vorliegen und eine Auslegung e contrario105 nicht selbstverständlich“106 sei. I. R. d. Auslegung e contrario gelten die Einkünfte als aus dem Ansässigkeitsstaat Deutschland stammende inländische Einkünfte, auf die nicht die Freistellungsmethode anzuwenden ist und die Teil des steuerpflichtigen Welteinkommens sind. Da im Quellenstaat keine Besteuerung erfolgt, stellt sich hierbei die Frage einer Steueranrechnung nicht.107 Nach Rechtsauffassung der Finanzverwaltung entsprechen die Regelungen in Artikel 24 Absatz 3 DBA-Dänemark 1995, Artikel 23 Absatz 3 DBA-Neuseeland 1978, Artikel 23 Absatz 3 DBA-Norwegen 1991, Artikel 23 Absatz 1 letzter Satz DBASchweden 1992 und Artikel 23 Absatz 2 letzter Satz DBA-USA 1989 der Quellenklausel in Artikel 23 Absatz 3 DBA-Kanada 1981. Das BFH-Urteil vom 17.12.2003
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DBA-USA: „Subject-to-tax-clause„, RIW 1997, S. 84; Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBAUSA, Artikel 23, Rz. 285 m. w. N. Vgl. BFH, Urteil vom 17.12.2003, I R 14/02, BStBl 2004 II, S. 260. Vgl. FW, Auslegung der Rückfallklausel im DBA Kanada, IStR 1998, S. 84; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Kanada, Artikel 23, Rz. 143. Vogel, K., Die Mär von den „Rückfallklauseln” in Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 1997, Beilage zu Heft 24, S. 8ff. Vgl. Jacob, F., Nichtbesteuerung in Kanada lässt kein deutsches Besteuerungsrecht entstehen, IStR 2004, S. 243 m. w. N. Vgl. Meilicke, W./Portner R., Grenzen für den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode, IStR 2004, S. 398. Djanani, C./Brähler, G./Lösel, C., Investitionen und Steuern in den USA, 2005, S. 183. Die Ausführungen beziehen sich auf das DBA-USA 1989. Vgl. Lampe, M., Auslegung der sogenannten Rückfallklauseln in DBA, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 775.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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sei auf diese Klauseln entsprechend anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass auch diese Quellenklauseln nicht als Subject-to-tax-Klauseln anzuwenden sind.108 Abschnitt 16 Buchstabe d) des Protokolls zum DBA-Italien 1989 ordnet an, dass für Zwecke der Freistellungsmethode (Artikel 24 Absatz 3 Buchstabe a) DBA-Italien) Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person als aus dem anderen Vertragsstaat stammend gelten, wenn sie im anderen Vertragsstaat effektiv besteuert worden sind. Diese DBA-Quellenklausel kann aufgrund ihrer alleinigen Bezugnahme auf die Freistellungsmethode nicht als Ergänzung der Anrechnungsmethode im Sinne einer Quellenstaatsfiktion verstanden werden. Allerdings könnte sie die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung normieren. Finanzverwaltung109 und h. M.110 vertraten die Nichtübertragbarkeit des BFH-Judikats vom 17.12.2003 auf die DBAQuellenklausel in Abschnitt 16 Buchstabe d) des Protokolls zum DBA-Italien 1989 und sahen eine generelle Subject-to-tax-Klausel verwirklicht. Vorstehender Mehrheitsauffassung trat das FG München am 8.11.2006 entgegen und entschied, dass die im Gegensatz zum DBA-Kanada 1981 in Abschnitt 16 Buchstabe d) des Protokolls zum DBA-Italien 1989 enthaltene Begrenzung auf die Freistellungsmethode unschädlich sei und dieser Unterschied nicht die Annahme einer Subject-totax-Klausel rechtfertige. Das FG München übertrug ausdrücklich das BFH-Urteil vom 17.12.2003 zum DBA-Kanada 1981 auf das in Aufbau und Struktur hinsichtlich der Vermeidung der Doppelbesteuerung vergleichbare DBA-Italien. Auch das DBAItalien rechtfertige ebenso wenig wie das DBA-Kanada 1981 einen Umkehrschluss i. S. e. Subject-to-tax-Klausel, da lediglich eine Positivregelung vorläge. 111 Es ließe sich nicht anführen, „dass sich der Geltungsbereich der Ziffer 16 Buchstabe d) des Protokolls auf die Freistellung der deutschen Steuer nach Artikel 24 Absatz 3a DBA-Italien 108
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Vgl. BMF-E, 10.5.2007, Tz. 4.1.1.2.3.; OFD Frankfurt, Verfügung vom 19.7.2006, DStZ 2006, S. 708, Steuer-Eildienst 2006, S. 540-544; OFD Düsseldorf, Verfügung vom 18.7.2005, DB 2005, S. 1598f. Vgl. BMF, Schreiben vom 14.9.2006, IV B6 – S 1300 – 367/06, BStBl 2006 I, S. 532, Tz. 156f; Holthaus, J., Aktuelle Anwendung der Rückfallklauseln der DBA in der Praxis – Wo und wann kann die Finanzverwaltung trotz geänderter Rechtsauffassung des BFH noch „weiße Einkünfte” verhindern?, IStR 2005, S. 338; Krabbe, H., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Italien, Artikel 24, Rz. 48; OFD Frankfurt, Verfügung vom 19.7.2006, DStZ 2006, S. 708, Steuer-Eildienst 2006, S. 540-544; OFD Düsseldorf, Verfügung vom 18.7.2005, DB 2005, S. 1598; BMF-E, 10.5.2007, Tz. 4.1.1.2.3. Vgl. Vogel, K., Die Mär von den „Rückfallklauseln” in Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 1997, Beilage zu Heft 24, S. 12; ders., in: Vogel/Lehner, Vor Artikel 6-22 OECD-MA, 2003, Rz. 34; Rademacher, in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Italien, Artikel 24, Rz. 19. Vgl. FG München, Urteil vom 8.11.2006, 9 K 4233/02, EFG 2007, S. 359; DStRE 2007, S. 1104f.
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beschränke und für eine reine Quellenregelung, nach der der Kreis der Einkünfte aus der italienischen Republik gegenüber § 34d EStG erweitert würde, kein Bedürfnis bestünde, da die für die Freistellung in Betracht kommenden Einkünfte ohnehin nach § 34d EStG als Einkünfte aus Italien anzusehen seien112 “113. Auch in dem geringfügig abweichenden Wortlaut der DBA, der einerseits eine „tatsächliche“ Besteuerung in Kanada und andererseits eine „effektive“ Besteuerung in Italien fordert, erkannte das FG München keinen entscheidungserheblichen Unterschied. Der BFH nahm die Vorlage des Rechtsstreits zu Abschnitt 16 Buchstabe d) des Protokolls zum DBA-Italien 1989 zum Anlass seine Rechtsprechung zu den DBAQuellenklauseln neuerlich im Generellen zu ändern: Im Urteil vom 17.10.2007, das am 5.3.2008 veröffentlicht wurde, entschied der BFH, dass es sich bei den Artikel 23 Absatz 3 DBA-Kanada 1981 entsprechenden DBA-Quellenklauseln zwar lediglich um Klauseln zur Einkünfteherkunftsbestimmung und nicht ausdrücklich um Subject-totax-Klauseln handle. Die DBA-Quellenklauseln müssten jedoch in Anbetracht von Regelungstext und Regelungszusammenhang in diesem Sinne verstanden werden. Für diese Schlussfolgerung bedürfe es nicht der Anordnung eines Rückfalls des Besteuerungsrechts oder der Anwendung eines Umkehrschlusses. Der BFH ist nunmehr der Auffassung, Einkünfte seien nur dann in Deutschland freizustellen, wenn es sich um Einkünfte aus dem Ausland handle, die nach DBA dort besteuert werden könnten. Die Steuerfreistellung erfordere die Herkunft der Einkünfte aus dem Quellenstaat. An einer derartigen Herkunft i. S. d. DBA fehle es, wenn die Einkünfte im Quellenstaat nicht besteuert werden. Sie gelten dann als nicht von dort stammend, was zur Folge habe, dass es an dem für die Steuerfreistellung vorausgesetzten Tatbestand – nämlich dass es sich um Einkünfte aus dem Quellenstaat handelt – mangele.114 Mithin werde die i. R. d. Urteils vom 17.12.2003 unternommene Rechtsprechungsänderung revidiert. Fortan solle ausdrücklich das im BFH-Urteil vom 5.2.1992 artikulierte Regelungsverständnis gelten.115 Insoweit wird durch die DBA-Freistellung nicht mehr die virtuelle, sondern nur die tatsächliche Doppelbesteuerung vermieden. DBA-Quellenklauseln haben somit erneut eine doppelte Zwecksetzung. Im Nachgang zu diesem Urteil dürfte es zu einer korrespondierenden Änderung der Verwaltungsauffassung kommen.116
112 113 114 115 116
So aber: Krabbe, H., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Italien, Artikel 24, Rz. 48. FG München, Urteil vom 8.11.2006, 9 K 4233/02, DStRE 2007, S. 1104. Vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2007, I R 96/06, IStR 2008, S. 262-264; BB 2008, S. 816-818. Vgl. BFH, Urteil vom 5.2.1992, I R 158/90, BStBl 1992 II, S. 660. Vgl. Salzmann, S., Zur Rückfallklausel in Doppelbesteuerungsabkommen bei Nichtbesteuerung eines Umwandlungsgewinns im Quellenstaat – Urteilsanmerkung zu BFH, Urteil vom 17.10.2007,
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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3.2.2 DBA-Switch-over-Klausel 3.2.2.1 Switch-over bei Qualifikations- und Zurechnungskonflikten Rund 30 D-DBA enthalten, als festes Element der jüngeren Abkommenspolitik, eine Switch-over-Klausel.117 Frotscher definiert Switch-over-Klauseln als Normen „die die Folgen regeln sollen, wenn die beiden beteiligten Staaten die Vorschriften eines DBA unterschiedlich auslegen, also ein Qualifikationskonflikt bei der Auslegung des DBA vorliegt“118. Die Switch-Over-Klauseln bestehen jeweils aus zwei unabhängigen Subklauseln, die unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen für einen Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode enthalten. Die eine Subklausel nimmt in der Vergangenheit liegende DBA-Qualifikations- und Zurechnungskonflikte ins Visier. Die andere Subklausel regelt zukunftsbezogen ein diplomatisches Notifikationsverfahren (Kapitel 3.2.2.2.).119 Switch-over-Klauseln und Subject-to-tax-Klauseln unterscheiden sich in ihren Tatbestandsvoraussetzungen, nicht jedoch in ihren Rechtsfolgen. Switch-over-Klauseln sehen überwiegend für Deutschland als Ansässigkeitsstaat den Übergang von der DBA-Freistellungsmethode zur DBA-Anrechnungsmethode in Fällen der Doppel-, Keinmal- oder Minderbesteuerung von Einkünften aufgrund von Qualifikations- oder Zurechnungskonflikten vor. Jüngere Switch-Over-Klauseln stellen meist nur noch auf die Keinmal- oder Minderbesteuerung und nicht auch auf die Doppelbesteuerung von Einkünften ab.120 Der methodische Switch-over i. R. d. Vermeidung der Doppelbesteuerung wird vorgenommen, wenn in den Vertragsstaaten Einkünfte unterschiedlichen Abkommensbestimmungen zugeordnet (Zuordnungskonflikt) oder verschiedenen Personen zugerechnet (Zurechnungskonflikt) werden. Zusätzlich muss ein Verständigungsverfahren gemäß Artikel 25 OECD-MA zur Lösung des konkreten Einzelkonflikts gescheitert sein.121 Eine Verständigungsvereinbarung
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I R 96/06, IStR 2008, S. 264; Behrens, S./Grabbe, J., Zur Rückfallklausel bei Nichtausübung des ausschließlichen Besteuerungsrechts für einen Umwandlungsgewinn – Urteilsanmerkung zu BFH, Urteil vom 17.10.2007, I R 96/06, BB 2008, S. 819. Vgl. Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 337; Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 158. Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d EStG, Rz. 119. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 98. Vgl. Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 152, 158; kritisch: Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 98. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 168ff; Jirousek, H., Methodische Ansätze zur Konfliktvermeidung bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 185ff; Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 161; Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 311.
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kommt grundsätzlich nicht zustande, wenn die Keinmalbesteuerung daraus resultiert, dass beide Vertragsstaaten ihr nationales Steuerrecht korrekt anwenden. Hierbei fehlt es an den nationalen Besteuerungsansprüchen zur Durchsetzung einer möglichen Verständigungsvereinbarung.122 Qualifikations- beziehungsweise Zuordnungskonflikte i. S. d. Switch-over-Klauseln liegen einerseits vor, wenn unterschiedliche Zuteilungsnormen adressiert werden.123 Andererseits ist ein Zuordnungskonflikt möglich, wenn innerhalb einer Zuteilungsnorm unterschiedliche Regelungen angewendet werden.124 Nach Auffassung der Finanzverwaltung und eines Teils des Schrifttums kommt es für Zwecke der Switchover-Klauseln nicht auf die Ursache beziehungsweise Gründe des DBAZuordnungskonflikts an. Dieser könne einerseits aus Unterschieden im nationalen Recht unter Anwendung von Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA resultieren (echter Qualifikationskonflikt). Andererseits erfassten die Switch-over-Klauseln auch Auslegungskonflikte und Sachverhaltskonflikte i. S. d. Artikel 23A Absatz 4 OECD-MA.125 Petereit sieht einen Qualifikationskonflikt i. S. d. Switch-over-Klausel gegeben, wenn „die Anwendung des jeweiligen nationalen Steuerrechts der betroffenen Vertragsstaaten zu einer unterschiedlichen Qualifikation der Einkünfte“126 führt. Rechnen die Vertragsstaaten Einkünfte unterschiedlichen Personen zu, liegt ein Zurechnungskonflikt i. S. d. Switch-over-Klausel vor.127
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Vgl. Menck, T., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Grundlagen, Teil 1, Abschnitt 6, Rz. 53; Petereit, A., Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen – Überblick, Inhalt und Steuerplanung, IStR 2003, S. 583. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 169. Vgl. Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 305; Vetter, T., Zum Begriff des „Qualifikationskonflikts“ im DBA-Deutschland-USA, IStR 1997, S. 650f; Menck, T., Der Qualifikationskonflikt im neuen deutsch-kanadischen Doppelbesteuerungsabkommen, Intertax 1982, S. 420; a. A.: Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 160; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 169. Eine Zuordnung zu unterschiedlichen Abkommensbestimmungen i. S. d. Switch-over-Klausel ist wohl nicht gegeben, wenn außerhalb der DBA-Zuteilungsnormen Auslegungsunterschiede auftreten. Vgl. BMF-E, 10.5.2007, Tz. 4.1.3.2.; Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 549; ders., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 305; Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 47; Knobbe-Kneuk, B., Qualifikationskonflikte im internationalen Steuerrecht der Personengesellschaften, RIW 1991, S. 311; Menck, T., Der Qualifikationskonflikt im neuen deutsch-kanadischen Doppelbesteuerungsabkommen, Intertax 1982, S. 418. Petereit, A., Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen – Überblick, Inhalt und Steuerplanung, IStR 2003, S. 579; s.a. Dörfler/Seidel, RIW-Kommentar zu BFH-Urteil vom 17.10.2007, I R 96/06, RIW 2008, Heft 8. Vgl. Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 306.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
337
Keine Qualifikations- oder Zurechnungskonflikte i. S. d. Switch-over-Klausel sind Konflikte bei den sachlichen, räumlichen oder persönlichen Anwendungsvoraussetzungen der Artikel 1 bis 4 OECD-MA oder des Anknüpfungsorts der Zuteilungsnormen.128 Unklar ist, „ob ein Konflikt objektiv vorliegen muss – d. h. ob die Bestimmung nur anzuwenden ist, wenn sich der Konflikt trotz richtiger Abkommensanwendung in beiden Vertragsstaaten ergibt, insbesondere durch die Verweisung auf innerstaatliches Recht – oder ob es genügt, dass die zuständigen Behörden sich nicht einigen können“129. Nicht abschließend geklärt ist zudem, welche Sachverhalte von dem Tatbestandsmerkmal „besteuert“ erfasst werden. Wann eine Besteuerung als „unangemessen niedrig“, „nur ermäßigt“ oder „zu niedrig“ anzusehen ist, wurde bisher nicht konkretisiert.130 Jedenfalls ist eine zu niedrige Besteuerung zwischen der Nichtbesteuerung und der Besteuerung in zutreffender Höhe anzusiedeln.131 Jenseits der Zurechnungs- und Qualifikationskonflikte kann die Nicht- oder Niedrigbesteuerung aus dem innerstaatlichen Recht des Quellenstaats resultieren (beispielsweise Nichtsteuerbarkeit). Insoweit sind Switch-over-Klauseln nicht anwendbar und es liegt eine unschädliche Nicht- oder Niedrigbesteuerung vor, die allenfalls durch Subject-to-tax-Klauseln erfasst wird.132 Fraglich ist, ob Switch-over-Klauseln nur Anwendung finden, wenn sich die Steuerfreistellung im Ansässigkeitsstaat aus dem Methodenartikel in Verbindung mit einer Zuteilungsnorm mit offener Rechtsfolge ergibt.133 Vogel sieht den Anwendungsbereich
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Vgl. Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 305; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 169. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 169. Vgl. Meilicke, W./Portner R., Grenzen für den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode, IStR 2004, S. 398; Petereit, A., Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen – Überblick, Inhalt und Steuerplanung, IStR 2003, S. 582ff; Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 23A/23B OECD-MA, Rz. 168-169; Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 157. Vgl. Vetter, T., Offene Fragen zur „Minderbesteuerung“ als Folge des Qualifikationskonflikts im deutschen DBA-Netz, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 731. Vgl. Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 159f; Petereit, A., Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen – Überblick, Inhalt und Steuerplanung, IStR 2003, S. 581; Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Grundlagen, Teil 1, Abschnitt 1 Doppelbesteuerung, Rz. 55, 57; ders., Vorbehaltsklauseln in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 652. Vgl. Rosenthal, M., Die steuerliche Behandlung von Auslandssachverhalten im Spannungsfeld zwischen Abkommensrecht und Europarecht, IStR 2007, S. 612.
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der Switch-over-Klausel auch bei Zuteilungsnormen mit geschlossener Rechtsfolge eröffnet.134 Der BFH zieht das systematische Argument des Regelungszusammenhangs heran, um den Anwendungsbereich von DBA-Subject-to-tax-Klauseln und DBA-Switch-overKlauseln abzugrenzen.135 Die Theorie des Regelungszusammenhangs besagt, dass bei DBA-Abschluss jeder Abkommensbestimmung ein eigenständiger Anwendungsbereich zugedacht wurde. Die Interpretation der DBA-Quellenklauseln als Subject-totax-Klauseln impliziert in Fällen der Nichtbesteuerung im Quellenstaat und bei paralleler Existenz von DBA-Switch-over-Klauseln deren Leerlaufen.136 Dieses Leerlaufen der DBA-Switch-over-Klauseln könnte vermieden werden, wenn in Anbetracht des Regelungszusammenhangs die DBA-Quellenklauseln nur als Quellenstaatsfiktionen interpretiert würden. Grotherr und Runge wenden sich gegen einen solchen Regelungszusammenhang mit der Begründung, dass einerseits die Denkschriften zu den DBA einen solchen nicht erkennen ließen und andererseits DBA existierten, die jeweils ausschließlich eine Switch-over-Klausel oder eine DBA-Quellenklausel enthielten. Beide Klauseln hätten einen eigenständigen sachlichen Anwendungsbereich.137 In seinem Urteil vom 17.10.2007 betonte der BFH die Unschädlichkeit von Überschneidungen in Voraussetzungen und Rechtsfolgen von DBA-Quellenklauseln und Switch-over-Klauseln. Insbesondere stelle dies keinen Anlass dar, die Vorschriften in ihrer Wirkungsweise zu verengen. Beide Klauseln seien voneinander unabhängig und in ihren Wirkungsweisen im Kern verschiedener Natur. Im Ergebnis würden DBA-Quellenklauseln als Subjectto-tax-Klauseln verstanden, die insoweit im Vorfeld genereller Subject-to-tax-Klauseln anzusiedeln seien, wie sie das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats aufrecht erhielten.138
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Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 179. Vgl. BFH, Urteil vom 17.12.2003, I R 14/02, BStBl 2004 II, S. 260; Meilicke, W./Portner R., Grenzen für den Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode, IStR 2004, S. 398. Der BFH spricht in seinem Urteil vom 17.10.2007, I R 96/06, von „Umschaltklauseln“. Im BFHUrteil vom 17.12.2003, I R 14/02, war von einer „Rückfallklausel zur Behebung eines Qualifikationskonflikts“ die Rede. Vgl. Grotherr, S., Geänderte Rechtsauffassung des BFH zur Anwendung der abkommensrechtlichen Rückfallklausel, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 1153; Runge, B., Die DBA-eigenen Abwehrklauseln als Schranke der internationalen Steuerplanung, Handbuch der internationalen Steuerplanung, hrsg. von Grotherr, 2. Auflage, 2003, S. 1719, 1721. Vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2007, I R 96/06, IStR 2008, S. 262-264; BB 2008, S. 816-818.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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Nachdem Abschnitt 21 des Protokolls zum DBA-USA 1989 die erste deutsche DBASwitch-over-Klausel enthielt139, wurde in Artikel 23 Absatz 4 Buchstabe b) 1. Alternative DBA-USA 2006 eine neuformulierte (§ 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG und Artikel 23A Absatz 4 OECD-MA ähnliche) DBA-Switch-over-Klausel etabliert. Das Erfordernis der Durchführung eines Verständigungsverfahrens ist nicht mehr enthalten. Die DBA-Switch-over-Klausel wird durch eine generelle DBA-Subject-to-tax-Klausel in Artikel 23 Absatz 4 Buchstabe b) 2. Alternative DBA-USA 2006 ergänzt.140
3.2.2.2 Switch-over bei Notifikationseinkünften Der Methodenwechsel durch Deutschland als Ansässigkeitsstaat kann auf Grundlage der Switch-over-Klauseln für so genannte Notifikationseinkünfte mit Wirkung für die Zukunft erfolgen. Für die Anwendung dieser Subklausel ist das Vorliegen eines Qualifikations- oder Zurechnungskonflikts keine Tatbestandsvoraussetzung. Sie ist auch anwendbar, wenn beide Vertragsstaaten Einkünfte derselben Abkommensbestimmung zuordnen, sich aber aufgrund der innerstaatlichen Steuerrechtslage ein unerwünschtes Besteuerungsergebnis einstellt.141 Deutschland behält sich das Recht vor, nach gehörigen Konsultationen dem anderen Vertragsstaat auf diplomatischem Weg Einkünfte zu notifizieren, auf die es die Anrechnungsmethode anzuwenden beabsichtigt.142 Somit ist es Deutschland möglich, auf Änderungen des innerstaatlichen Steuerrechts (des Quellenstaats) zu reagieren. Bei den gehörigen Konsultationen und der Notifizierung auf diplomatischem Weg handelt es sich um Verfahrensregeln.143 Die Konsultationspflicht im Vorfeld der Notifikation soll dem Quellenstaat einen gewissen Einfluss auf die Entscheidung des Ansässigkeitsstaats sichern, wobei kein Einigungszwang besteht. Dem
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Vgl. Petereit, A., Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen – Überblick, Inhalt und Steuerplanung, IStR 2003, S. 578. Vgl. Salzmann, S., Abschied vom Verbot der „virtuellen“ Doppelbesteuerung?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 3, S. 1475; Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 73; Endres, D./Wolff, U., Musterfälle zum revidierten deutsch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2006, S. 729; Korn, C., Steuerliche (Nicht-)Berücksichtigung von Währungsergebnissen bei grenzüberschreitenden Veräußerungsgeschäften IStR 2007, S. 892; Wolff, U./Eimermann, D., Neuerungen im DBA-USA: Änderungsprotokoll vom 1. Juni 2006 zum DBA-USA 1989 und dem Protokoll dazu, IStR 2006, S. 845. Vgl. Grotherr, S., Sperren und Risiken für Outbound-Steuergestaltungen auf der Grundlage von Abkommensvergünstigungen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, S. 2315. Vgl. Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 329, 343; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 172f; Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, 2003, Rz. 329ff. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 172.
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Quellenstaat bleibt die Möglichkeit seine Qualifikation der Einkünfte anzupassen unbenommen.144 Da die Notifikation den Rechtsschutz für den Steuerbürger verändert, der ihm durch das in deutsches Recht transformierte DBA gewährt wird, bedarf die Notifikation einer besonderen Umsetzung in das deutsche Steuerrecht.145 Hierfür ist ein Gesetz oder eine gesetzesvertretende Norm und mithin die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat erforderlich.146 Eine Notifikation wird ab dem ersten Tag des Kalenderjahres wirksam, das auf das Jahr folgt, in dem die Notifikation übermittelt wurde und alle rechtlichen Voraussetzungen nach dem innerstaatlichen Recht des notifizierenden Staats für das Wirksamwerden der Notifikation erfüllt sind. Hierdurch wird ein rückwirkender Übergang zur Anrechnungsmethode ausgeschlossen. Völkerrechtlich entfaltet die wirksame Erklärung in Form einer diplomatischen Note dieselbe Bindungskraft wie eine zweiseitige DBA-Revision.147 Ältere Switch-over-Klauseln enthalten als Tatbestandsvoraussetzung des Methodenwechsels, dass Deutschland nach gehöriger Konsultation und „vorbehaltlich der Beschränkungen des innerstaatlichen Rechts“ Einkünfte notifiziert hat. Da dem Vorbehalt der Beschränkungen des innerstaatlichen Rechts nur klarstellender Charakter zukommt, ergeben sich durch diesen Abkommenspassus oder dessen Fehlen materiell keine Unterschiede.148 Teilweise ist die Notifikation an den Vorbehalt geknüpft, dass sie die Verhinderung der steuerlichen „Freistellung von Einkünften in beiden Vertragsstaaten oder sonstige[r] Gestaltungen zum Missbrauch des Abkommens“ bezweckt.149 Umstritten ist, nach welchen Maßstäben eine „Gestaltung zum Missbrauch des Abkommens“ festzu144
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Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 101f; Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 330. Vgl. Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 53; Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 331. Vgl. BT-Drs. 12/4567, S. 10; BT-Drs. 11/6530, S. 47; Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 101; Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 23 OECD-MA, Rz. 170/2. Vgl. Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 330, 334. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 101. Vgl. Protokoll Nummer 10 zu DBA-Norwegen; Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe b) zu DBAÖsterreich; Protokoll Nummer 7 Buchstabe b, bb) zu DBA-Lettland; Protokoll Nummer 7 Buchstabe b bb) zu DBA-Litauen; Protokoll Nummer 7 Buchstabe b bb) zu DBA-Estland; Protokoll Nummer 12 Buchstabe b) zu DBA-Mexiko. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 172 m. w. N.
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stellen ist. Während Grotherr für eine Feststellung nach den Maßstäben des deutschen Steuerrechts – beispielsweise § 42 AO – plädiert,150 sieht Wolff alle Gestaltungen erfasst, „durch die die Abkommensfreistellung zur Erzielung von als unangemessen (ungerechtfertigt) angesehenen Steuervorteilen ausgenutzt wird“151. Er weist darauf hin, dass die Switch-over-Klausel zu anderen Rechtsfolge führe als § 42 AO. „Sonstige“ Gestaltungen zum Abkommensmissbrauch seien solche, in denen sich nicht eine Keinmal- wohl aber eine Minderbesteuerung ergebe.
3.2.3 Einheitliche Auslegung und Anwendung von DBA 3.2.3.1 Gebot der Entscheidungsharmonie Vor dem Hintergrund, dass DBA durch wechselseitige Steuerverzichte eine doppelte Besteuerung – und grundsätzlich auch eine doppelte Nichtbesteuerung – vermeiden wollen, liegt der Gedanke einer auf einheitliche Rechtsfolgen gerichteten Auslegung nahe.152 Ein solches Gebot der Entscheidungsharmonie wird insbesondere von Vogel vertreten:153 „Vermeidung von Doppelbesteuerung und von Doppelfreistellung verlangen Entscheidungsharmonie bei der Auslegung der Steuerermäßigungsvorschriften der Abkommen durch Verwaltungsbehörden und Gerichte“154. Diese sollen „einschlägige Entscheidungen der Gerichte und Behörden des anderen Vertragsstaats und gegebenenfalls dritter Staaten zur Kenntnis […] nehmen und sich damit auseinandersetzen“155. Eine „sklavische Bindung an die Entscheidungen fremder Gerichte“156 bestehe
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Vgl. Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 53; OECD-MA, Artikel 23A/23B, Rz. 170; ders., Vorbehaltsklauseln in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 656. Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 332; Vgl. Jacob, F., Schwerpunkte des neuen deutsch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, IWB, Fach 8, USA, Gruppe 2, S. 582. Vgl. Vogel, K., Über Entscheidungsharmonie, Unternehmen, Steuern, Festschrift für Hans Flick zum 70. Geburtstag, hrsg. von Klein/Stihl/Wassermeyer, 1997, S. 1055. Weitere Befürworter sind: Strobl, J., Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung ausländischer Rechtsordnungen, Handelsrecht und Steuerrecht, Festschrift für Döllerer, hrsg. von Knobbe-Keuk/Klein/Moxter, 1988, S. 645, 658; Schaumburg, H., Internationales Steuerrecht, 2. Auflage, 1998, Rn. 16.54. Vogel, K., Über Entscheidungsharmonie, Unternehmen, Steuern, Festschrift für Hans Flick zum 70. Geburtstag, hrsg. von Klein/Stihl/Wassermeyer, 1997, S. 1055. Vgl. ders., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 113ff; ders., Transnationale Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2003, S. 525. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 114. Vogel, K., Über Entscheidungsharmonie, Unternehmen, Steuern, Festschrift für Hans Flick zum 70. Geburtstag, hrsg. von Klein/Stihl/Wassermeyer, 1997, S. 1055.
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jedoch nicht. Vielmehr sei diejenige Auslegung anzustreben, die am ehesten auch vom anderen Vertragsstaat akzeptiert werden könne.157 Das Schrifttum steht dem Auslegungsgrundsatz der Entscheidungsharmonie kritisch gegenüber und verweist auf das Fehlen einer eindeutigen Rechtsgrundlage.158 Der BFH führte im Urteil vom 9.8.2006 jedoch aus, dass „der Grundsatz der Entscheidungsharmonie […] die Auslegung von DBA prägen kann“159. Mit Urteil vom 20.9.2006 stellte der BFH fest, dass eine Berücksichtigung der internen Vorschriften des jeweils anderen Vertragsstaats nur in Betracht käme, wenn die auszulegende abkommensrechtliche Regelung speziell auf Besonderheiten jenes Rechts abgestimmt wäre oder wenn eine bestimmte Auslegung im Lichte des Steuerrechts beider Vertragsstaaten zu offenkundig interessenwidrigen Ergebnissen führen würde.160 Somit stellt der Grundsatz der Entscheidungsharmonie zumindest einen Gesichtspunkt der DBA-Auslegung dar.161
3.2.3.2 Theorie der Qualifikationsverkettung Der Ansässigkeitsstaat kann das DBA grundsätzlich nach seiner Rechtsauffassung oder dem Recht des anderen Vertragsstaats (Qualifikationsverkettung) auslegen.162 Wie in Kapitel 3.1. dargestellt, ist der DBA-Dividendenbegriff innerhalb eines DBA für Zwecke der Besteuerung in Deutschland einheitlich auszulegen. Fraglich ist, ob der Dividendenbegriff darüber hinaus auch durch beide Vertragsstaaten einheitlich ausge-
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Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 114; ders., Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 26, hrsg. von Haarmann, 2004, S. 8. Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 3 OECD-MA, Rz. 78; ders., Die Beurteilung der Abkommensberechtigung ausländischer Personengesellschaften durch Deutschland als Nichtansässigkeitsstaat der Personengesellschaft, IStR 1998, S. 491; Hahn, H., Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen: Der Grundsatz der Entscheidungsharmonie im Crash-Test, Körperschaftsteuer – Internationales Steuerrecht – Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Gocke/Gosch/Lang, 2005, S. 645; Kluge, V., Das deutsche internationale Steuerrecht, 4. Auflage, 2000, Rz. R45; Gloria, C., Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz: Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, 1988, S. 73f; Henkel, U., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Grundlagen, Teil 1, Abschnitt 4, Rz. 43f; Gündisch, S. G, Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECD-Partnership-Reports, 2004, S. 38ff. BFH, Urteil vom 9.8.2006, II R 59/05, DStRE 2007, S. 34, BB 2006, S. 2460, unter Verweis auf BFH, Urteil vom 17.11.1999, I R 7/99, BStBl 2000 II, S. 605, IStR 2000, S. 308. Vgl. BFH, Urteil vom 20.9.2006, I R 59/05, DStRE 2007, S. 295, unter Verweis auf BFH, Urteil vom 11.10.2000, I R 44-51/99, BStBl 2002 II, S. 271f, IStR 2001, S. 182. Vgl. Kluge, V., Das deutsche internationale Steuerrecht, 4. Auflage, 2000, Rz. R45. Vgl. Gündisch, S. G, Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECD-PartnershipReports, 2004, S. 222.
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legt werden muss – und in diesem Sinne der Grundsatz der Entscheidungsharmonie Berücksichtigung findet. Soweit DBA eine Qualifikationsverkettung enthalten, ist der Ansässigkeitsstaat bei der Anwendung des Methodenartikels an diejenige Einkunftsart gebunden, die der Quellenstaat i. R. d. Auslegung der Zuteilungsnormen als einschlägig erachtet. Sieht beispielsweise der Quellenstaat für Gewinnanteile aus typisch stillen Beteiligungen den Anwendungsbereich des Zinsartikels eröffnet, können folglich in Deutschland keine DBA-Dividendeneinkünfte vorliegen.163 Es herrscht allerdings keine Einigkeit darüber, unter welchen Voraussetzungen i. R. d. OECD-MA beziehungsweise der D-DBA eine Qualifikationsverkettung verankert ist. Nach Artikel 23A Absatz 2 OECD-MA 1963, der als Grundsatz die Freistellungsmethode vorsieht, ist die Anrechnungsmethode anzuwenden, wenn eine in Deutschland ansässige Person Einkünfte bezieht, die nach Artikel 11 OECD-MA im anderen Vertragsstaat besteuert werden können. Artikel 11 Abs 3 OECD-MA 1963 definiert Zinsen als Einkünfte aus Forderungen jeder Art sowie alle anderen Einkünfte, die nach dem Steuerrecht des Staates, aus dem sie stammen, den Einkünften aus Darlehen gleichgestellt sind. Insoweit enthält das OECD-MA 1963 und die diesem entsprechenden D-DBA eine ausdrückliche Qualifikationsverkettung.164 Das OECD-MA ordnet in Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 10 Absatz 3 für einen Teil der Einkünfte die Maßgeblichkeit der Abkommensauslegung durch den Quellenstaat an. Soweit D-DBA diesen Normen nachgebildet sind, ist Deutschland für Zwecke der Abkommensauslegung an die Rechtsauffassung des Quellenstaats gebunden. Aufgrund der gebotenen einheitlichen Begriffsauslegung innerhalb eines DBA ist der Ansässigkeitsstaat Deutschland auch bei Anwendung des Methodenartikels an die Qualifikation durch den Quellenstaat gebunden.165
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Vgl. Piltz, D. J., Qualifikationskonflikte im internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Personengesellschaften, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 3, hrsg. von Fischer, 1993, S. 32; Gündisch, S. G, Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECD-Partnership-Reports, 2004, S. 222. Vgl. Prokisch, R., in: Vogel/Lehner, Artikel 1 OECD-MA, 2003, Rz. 39; Krabbe, H., Qualifikationskonflikte bei ausländischen Personengesellschaften, RIW/AWD 1976, S. 138. Vgl. Prokisch, R., in: Vogel/Lehner, Artikel 1 OECD-MA, 2003, Rz. 39; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 23 OECD-MA, 2003, Rz. 180; Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 537.
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Nach Artikel 23A Absatz 2 OECD-MA ist die Anrechnungsmethode anzuwenden, wenn eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte bezieht, die nach Artikel 10 oder Artikel 11 OECD-MA im anderen Vertragsstaat besteuert werden können. Einige D-DBA folgen dieser Standardformulierung und nehmen i. R. d. Methodenartikels ausdrücklich auf „Dividenden i. S. d. Artikels 10“ Bezug.166 Die Dividendendefinition i. R. d. D-DBA-Zuteilungsnorm adressiert insbesondere den Quellenstaat, der eine Auslegung dieser Definition für Zwecke der Quellenbesteuerung vornimmt. In der ausdrücklichen Bezugnahme des Methodenartikels auf die Begriffsdefinitionen der Zuteilungsnormen wird die Anordnung einer Qualifikationsverkettung gesehen. Dieser Verweis des Methodenartikels binde den Ansässigkeitsstaat an die Qualifikation eines Sachverhalts durch den Quellenstaat.167 Die Mehrzahl der D-DBA verwenden i. R. d. Methodenartikels den Begriff „Dividenden“ ohne ausdrücklich auf die maßgebliche Zuteilungsnorm zu verweisen. Ein Teil des Schrifttums will die Theorie der Qualifikationsverkettung auch in Fällen anwenden, in denen der Methodenartikel nicht explizit, sondern nur abstrakt auf die entsprechende Zuteilungsnorm verweist. Die Qualifikationsverkettung sei zudem auf sämtliche abkommensrechtliche Einkunftsarten anwendbar, auch wenn diese nicht explizit auf den Quellenstaat abstellten. Hierbei wird auf eine allgemeine Verbindung von Zuteilungsnormen und Methodenartikel verwiesen und der Sinn und Zweck von DBA bemüht. Schließlich sei die Qualifikationsverkettung auch dann auf Dividenden anzuwenden, wenn für einen Teil der Einkünfte explizit auf die Definitionen der Zuteilungsnormen verwiesen werde, nicht jedoch für Dividendeneinkünfte.168
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Beispielsweise Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe b) DBA-Schweiz; ähnlich: Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe b) lit. aa) DBA-Portugal. Vgl. Schönhaus, M., Die Behandlung der stillen Gesellschaft im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports, 2005, S. 203; Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 537, unter Verweis auf: Kappe, K., Besteuerung von Gewinnanteilen aus US-Personengesellschaften und Zinsen aus Gesellschafterdarlehen nach dem DBA-USA, DStR 1987, S. 482; Küspert, K., Sondervergütungen inländischer Personengesellschafter nach dem DBA-USA, RIW 1988, S. 462f, 468; Debatin, H., Zur Behandlung von Beteiligungen an Personengesellschaften unter den Doppelbesteuerungsabkommen im Lichte der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, BB 1992, S. 1186. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 23 OECD-MA, 2003, Rz. 180f; Prokisch, R., in: Vogel/Lehner, Artikel 1 OECD-MA, 2003, Rz. 39; Debatin, H., Qualifikationsproblem im Doppelbesteuerungsrecht, FR 1979, S. 493ff; Schröder, S., Abkommensberechtigung und Qualifikationskonflikte nach DBA bei Mitunternehmerschaft, StBp 1989, S. 28; Piltz, D. J., Die Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 173, 182; Gündisch, S. G., Personengesellschaften im DBA-Recht. Eine Analyse des OECD-Partnership-Reports, 2004, S. 224 m. w. N.; Hock, B., Personengesellschaften mit internationalem Gesellschafterkreis, Besteuerungskonflikte und Lösungsmöglichkeiten, 1994, S. 113.
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Die Hamburger Finanzbehörde machte 1964 die Einordnung des Gewinnanteils an einer stillen Beteiligung i. R. d. DBA-Schweiz 1931/59 von dessen Qualifikation durch die Schweiz als Quellenstaat abhängig: „Wird von der Schweiz die stille Beteiligung als einfache GbR angesehen, so können die Vorschriften über die Besteuerung gesellschaftlicher Beteiligungen angewendet werden […]. Wird die Beteiligung nach schweizerischem Recht als Darlehen gewertet und nimmt daher die Schweiz Kapitaleinkünfte an, so steht […] der Bundesrepublik als Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht zu“169. Der Methodenartikel des DBA-USA 1954/66 (Artikel XV) stellte lediglich auf Dividenden und nicht auf Dividenden i. S. d. Dividendenartikels ab. Die Rechtfertigung einer Qualifikationsverkettung i. R. d. DBA-USA 1954/66 müsste somit auf die generelle beziehungsweise abstrakte Verbindung von Zuteilungsnormen und Methodenartikel rekurrieren. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen wandte im Erlass vom 1.12.1986 zur Besteuerung von Zinsen aus Gesellschafterdarlehen nach dem DBAUSA 1954/66 eine Qualifikationsverkettung an. Zur Vermeidung einer dem Sinn und Zweck des DBA widersprechenden doppelten Nichtbesteuerung sei für die Abkommensanwendung von einer einheitlichen Qualifikation in beiden Vertragsstaaten auszugehen. Mithin sei für den Ansässigkeitsstaat die Qualifikation im Quellenstaat maßgeblich, welcher er sich anzuschließen habe.170 In Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe b) DBA-Schweiz 1971/78/89/92/2002 wird ausdrücklich auf „Dividenden i. S. d. Artikel 10“ abgestellt, so dass nach der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung eine Qualifikationsverkettung normiert ist. 1991 ordnete die OFD Düsseldorf implizit eine Qualifikationsverkettung hinsichtlich atypisch stiller Beteiligungen an schweizerischen Kapitalgesellschaften an:171 „Einkünfte aus einer atypisch stillen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft sind nach schweizerischem Recht als Dividenden i.S. des Artikel 10 DBA-Schweiz anzusehen. Diese Qualifikation ist bei der Auslegung des DBA-Schweiz zugrunde zu legen, so 169 170
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FinBeh. Hamburg, Erlass vom 29.10.1964, 52 – S 1301 – 224, DB 1964, S. 1792. Vgl. Finanzministerium Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 1.12.1986, S 1301 – USA 60 – V C 1, RIW 1987, S. 80; Kappe, K., Besteuerung von Gewinnanteilen aus US-Personengesellschaften und Zinsen aus Gesellschafterdarlehen nach dem DBA-USA, DStR 1987, S. 482; Schubert, H.-T., Deutsch-amerikanisches Doppelbesteuerungsabkommen, 1967, S. 91ff. Vgl. Schönhaus, M., Die Behandlung der stillen Gesellschaft im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports, 2005, S. 204; Piltz, D. J., Qualifikationskonflikte im internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Personengesellschaften, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 3, hrsg. von Fischer, 1993, S. 35.
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dass die Einkünfte aus einer atypisch stillen Beteiligung an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft nicht nach Artikel 7 DBA-Schweiz von der deutschen Besteuerung freigestellt werden können.“172 Im Urteil vom 21.7.1999 hatte der BFH zu Gewinnanteilen aus einer atypisch stillen Beteiligung an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft zu entscheiden. Der BFH ging im Urteil jedoch nicht auf die Theorie der Qualifikationsverkettung ein, woraus im Schrifttum geschlossen wurde, dass er diese indirekt verworfen habe.173
3.2.3.3 OECD-Qualifikationsverkettung Die vom OECD-Steuerausschuss i. R. d. Partnership-Reports vorgenommene Auslegung des Artikel 23A Absatz 1 OECD-MA fand Eingang in die Ziffern 32.1 bis 32.7 des OECD-MK.174 Auf den Passus „nach diesem Abkommen […] im anderen Vertragsstaat besteuert werden können“ stützt der OECD-MK eine Qualifikationsverkettung beziehungsweise eine Rechtsfolgenverknüpfung, nach welcher der Ansässigkeitsstaat an die Qualifikation des Quellenstaats gebunden ist.175 Dieses einschränkende Auslegungskonzept beruht einerseits auf der Annahme, der Quellenstaat besteuere „in accordance with the provisions of the convention“176 und andererseits einer Anbindung des Ansässigkeitsstaats an den Quellenstaat.177 Von der Qualifikationsverkettung sollen nur echte Qualifikationskonflikte erfasst werden, die aus dem Rückgriff auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten gemäß Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA resultie-
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OFD Düsseldorf, Verfügung vom 8.2.1991, DB 2001, S. 308. Vgl. BFH, Urteil vom 21.7.1999, I R 110/98, IStR 1999, S. 721ff; Schönhaus, M., Die Behandlung der stillen Gesellschaft im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports, 2005, S. 204; KB, Gewinnanteile aus atypisch stiller Beteiligung sind Unternehmensgewinne i. S. des Artikel 7 DBA-Schweiz a. F. – Anmerkung zum Urteil des BFH v. 21.7.1999, IStR 1999, S. 725. Vgl. OECD, The Application of the OECD-Model Tax Convention to Partnerships, Issues in International Taxation, No. 6, Paris 1999, Tz. 102ff. Vgl. Lang, M., in: IFA-Cahiers 2004, Bd. 89a, S. 46; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 337; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 176ff. OECD, The Application of the OECD-Model Tax Convention to Partnerships, Issues in International Taxation, No. 6, Paris 1999, Tz. 104. Vgl. Schmidt, C., Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht nach dem OECD-Bericht „The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships“ und den Änderungen im OECD-MA und im OECD-Kommentar im Jahre 2000, IStR 2001, S. 495; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 338; Krabbe, H., Abkommensrechtliche Behandlung von Sondervergütungen – Eine Replik, FR 2001, S. 130; Wolff, U., Auslegungsfragen zu DBA-Regelungen über Unternehmensgewinne, Körperschaftsteuer – Internationales Steuerrecht – Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Gocke/Gosch/Lang, 2005, S. 655.
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ren.178 Nicht von der Qualifikationsverkettung erfasst werden demnach Konstellationen, in denen der Quellenstaat sein Besteuerungsrecht kennt, dieses i. R. d. innerstaatlichen Steuerrechts jedoch nicht ausübt.179 Nach Ziffer 32.6 des OECD-MK soll in Fällen doppelter Nichtbesteuerung der Ansässigkeitsstaat Artikel 23A Absatz 1 OECDMA so ansehen, „dass die Einkünfte vom Quellenstaat nicht nach dem Abkommen besteuert werden dürfen, selbst wenn der Ansässigkeitsstaat das Abkommen anders angewendet hätte, so dass er die Einkünfte besteuert hätte, wenn er in der Lage des Quellenstaats gewesen wäre“180. Somit sei der Ansässigkeitsstaat nicht an die Freistellungsmethode gebunden. Die OECD-Qualifikationsverkettung erfasst nicht Sachverhalts- und Auslegungskonflikte. Diese sollen nach Willen der OECD über Artikel 23A Absatz 4 OECD-MA gelöst werden.181 Dieser hebt die Freistellungsverpflichtung des Ansässigkeitsstaats nach Artikel 23A Absatz 1 OECD-MA auf, wenn der Quellenstaat das Abkommen so anwendet, dass er die Einkünfte von der Besteuerung ausnimmt oder Artikel 10 Absatz 2 OECD-MA oder Artikel 11 Absatz 2 OECD-MA auf diese Einkünfte anwendet. Eine Artikel 23A Absatz 4 OECD-MA entsprechende Norm hat bisher keinen Eingang in die deutsche Abkommenspraxis gefunden, da die Finanzverwaltung der Auffassung ist, entsprechende Qualifikationskonflikte i. R. d. DBA-Switch-over-Klauseln lösen zu 178
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Vgl. OECD-MK zu Artikel 23A/B OECD-MA, Tz. 32.5; Krabbe, H., Abkommensrechtliche Behandlung von Sondervergütungen – Eine Replik, FR 2001, S. 131; Weggenmann, H., Sondervergütungen unbeschränkt steuerpflichtiger Mitunternehmer einer ausländischen Personengesellschaft in der Rechtsprechung des BFH und aus der Sicht der OECD, IStR 2002, S. 4; Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 542; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 338; Vogel, K., Transnationale Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2003, S. 529; Lang, M., Qualifikationskonflikte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Steuern und Staaten – Festschrift für Klaus Vogel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi, 2000, S. 918. Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 1 OECD-MA, Rz. 48; OECD, The Application of the OECD-Model Tax Convention to Partnerships, Inssues in International Taxation, No. 6, Paris 1999, Tz. 111; Lentz, A., Vermeidung einer Minderbesteuerung von Unternehmenseinkünften, 2006, S. 91. Ziffer 32.6 OECD-MK. Vgl. Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 233-234; Schmidt, C., Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht nach dem OECD-Bericht „The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships“ und den Änderungen im OECDMA und im OECD-Kommentar im Jahre 2000, IStR 2001, S. 496; Benecke, A./Schnitger, A., Lösung von Qualifikationskonflikten im internationalen Steuerrecht – der „abgeleitete“ Qualifikationskonflikt, RIW 2002, S. 446; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 23A OECDMA, Rz. 146; Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 549; Jirousek, H., Methodische Ansätze zur Konfliktvermeidung bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Praxis des Internationalen Steuerrechts. Festschrift für Helmut Loukota zum 65. Geburtstag, hrsg. von Lang/Jirousek, 2005, S. 191. Vermutlich sollen Zurechnungskonflikte wie Sachverhaltskonflikte behandelt werden.
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können – soweit die D-DBA Switch-over-Klauseln enthalten.182 Schließlich handelt es sich weder bei der OECD-Qualifikationsverkettung noch bei Artikel 23A Absatz 4 OECD-MA um eine generelle Subject-to-tax-Klausel.183 Wie ein derart differenziertes Auslegungsergebnis aus dem Wortlaut des Artikel 23A Absatz 1 OECD-MA abgeleitet werden soll, ist schwer nachvollziehbar.184 Die Qualifikationsverkettung durchbricht den Grundsatz der Abkommensauslegung beziehungsweise Qualifikation nach dem Recht des Anwenderstaats.185 Im Schrifttum wird die Qualifikationsverkettung überwiegend abgelehnt.186 Schließlich verbleibt i. R. d. OECD-Qualifikationsverkettung für DBA-Switch-over-Klauseln nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich, so dass diesen ein weitgehend deklaratorischer Charakter beigemessen werden müsste.187 In Fällen doppelter Nichtbesteuerung aufgrund eines echten Qualifikationskonflikts bräuchte vor dem Switch-over kein Verständigungsverfahren mehr durchgeführt werden.188 Technisch löst die Qualifikationsverkettung den
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Vgl. Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 235; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 340; Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 549. Vgl. Schmidt, C., Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht nach dem OECD-Bericht „The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships“ und den Änderungen im OECD-MA und im OECD-Kommentar im Jahre 2000, IStR 2001, S. 495; Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 23 OECD-MA, 2003, Rz. 247; Benecke, A./Schnitger, A., Lösung von Qualifikationskonflikten im internationalen Steuerrecht – der „abgeleitete“ Qualifikationskonflikt, RIW 2002, S. 446; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 146. Vgl. Lentz, A., Vermeidung einer Minderbesteuerung von Unternehmenseinkünften, 2006, S. 93; Weggenmann, Einordnungskonflikte bei Personengesellschaften im Recht der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports 1999, 2002, S. 243. Vgl. Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 1 OECD-MA, Rz. 28g; Gosch, D., Abkommensrechtliche Zuordnung von Sonderbetriebseinnahmen und Sonderbetriebsausgaben im Outbound-Fall, StBp 2003, S. 93; Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 338. Zur Qualifikation nach dem Recht des Anwenderstaats vgl. BFH, Urteil vom 18.7.1973, I R 52/69, BStBl 1973 II, S. 757. Vgl. Günkel, M./Lieber, B., Abkommensrechtliche Qualifikation von Sondervergütungen. Irrwege der Finanzverwaltung, FR 2001, S. 132; dies., BMF-Schreiben zur steuerlichen Behandlung von Gewinnanteilen aus atypisch stillen Beteiligungen nach den DBA. Abkommensinterpretation oder Nichtanwendungserlass?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 876; Lang, M., DBA und Personengesellschaften – Grundfragen der Abkommensauslegung, IStR 2007, S. 608. Vgl. Krabbe, H., Abkommensrechtliche Behandlung von Sondervergütungen – Eine Replik, FR 2001, S. 130; ders., Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze und Personengesellschaften, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 867; ders., OECD-Musterabkommen 2000, IStR 2000, S. 200; Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 99; Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 77, 154; Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 548. Vgl. Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 323; Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 549.
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Qualifikationskonflikt gerade nicht, sondern beseitigt lediglich eine fiskalisch unerwünschte Rechtsfolge.189 Das BMF ordnete mit Schreiben vom 28.12.1999 an, dass in Fällen, in denen der andere Vertragsstaat Gewinnanteile aus atypisch stillen Beteiligungen aufgrund seiner Qualifikation nach DBA nicht voll besteuern könne, die Anrechnungsmethode anzuwenden sei. Zwar verweist die Finanzverwaltung ausdrücklich auf den OECD-PartnershipReport, wendet die hierin entwickelte differenzierte Lösung von DBAQualifikationskonflikten aber gerade nicht an.190 Die Finanzverwaltung greift zur Abkommensauslegung auf die im OECD-MK verankerte OECD-Qualifikationsverkettung zurück: „De facto wird das Abkommen mithin mit dem Ziel der Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung so ausgelegt, als enthalte es eine Switch-over-Klausel“191. Vermutlich soll es – entsprechend der Verwaltungsauffassung zu den Switch-over-Klauseln – nicht auf die Ursache des DBAQualifikationskonflikts ankommen. Folglich wären auch Subsumtions- und Sachverhaltskonflikte erfasst. Während DBA-Switch-over-Klauseln die Tatbestandsvoraussetzung eines gescheiterten Verständigungsverfahrens vorsehen, will die Finanzverwaltung auf ein solches wohl i. R. d. Qualifikationsverkettung verzichten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt die OECD-Qualifikationsverkettung auch für DBA, die im Zeitpunkt der Implementierung des Partnership-Reports in den OECD-MK bereits bestanden haben und für DBA deren Wortlaut des Methodenartikels von Artikel 23A OECD-MA abweicht (dynamische Auslegung).192 Unerheblich sei darüber hinaus, ob es sich bei dem DBA-Vertragsstaat um ein Mitglied der OECD handle.193 Die faktische Rückwirkung der Kommentaränderung wird damit begründet, 189
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Vgl. Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 539; s. a.: Wolff, U., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 301. Vgl. BMF, Schreiben vom 28.12.1999, IV D3 – S 1300 – 25 – 99, DStR 2000, S. 245f; Schönhaus, M., Die Behandlung der stillen Gesellschaft im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des OECD-Partnership-Reports, 2005, S. 210. Hahn, H., Länderbericht Deutschland, Cahiers de Droit Fiscal International 2004, Vol. 89a, S. 332. Vgl. Tz. 33 bis 36.1 der Einleitung zum OECD-MK; BMF-E, 10.5.2007, Tz. 4.1.3.3.2.; Wolff, U., Auslegungsfragen zu DBA-Regelungen über Unternehmensgewinne, Körperschaftsteuer – Internationales Steuerrecht – Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Gocke/Gosch/Lang, 2005, S. 655; ders., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-USA, Artikel 23, Rz. 323 m. w. N. Vgl. Kaminski, B., Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen bei Personengesellschaften – Entwurf des neuen BMF-Schreibens – , Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 33, hrsg. von Lüdicke, 2008, S. 210.
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dass es sich lediglich um die deklaratorische Wirkung einer verbesserten Normauslegung handle.194 Die Einfügung von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG und deren rückwirkende Anwendung soll die dynamische Gestaltungswirkung der OECDQualifikationsverkettung klarstellen. Könnten Änderungen des OECD-MK echte Rückwirkung entfalten, würde Artikel 23A Absatz 4 OECD-MA bereits über eine entsprechende Änderung des OECD-MK zur Anwendung gelangen, so dass eine Änderung älterer DBA nicht erforderlich wäre.195 Die dynamische Auslegung wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt.196 Gegen die dynamische Anwendung des historischen Auslegungsmittels OECD-MK spricht insbesondere, dass spätere Aktualisierungen des OECD-MK kaum als Intention der Vertragsparteien im Abschlusszeitpunkt gewertet werden können.197
3.2.4 DBA-Abzugsverbot Zahlreiche seit 2000 abgeschlossene D-DBA machen die Anwendung des DBASchachtelprivilegs für Dividenden davon abhängig, dass die Einkünfte bei der Ermittlung des Gewinns der ausschüttenden Gesellschaft nicht abgezogen worden sind.198
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Vgl. Krabbe, H., Abkommensrechtliche Behandlung von Sondervergütungen – Eine Replik, FR 2001, S. 130f; Lentz, A., Vermeidung einer Minderbesteuerung von Unternehmenseinkünften, 2006, S. 92. Vgl. Grotherr, S., Sperren und Risiken für Outbound-Steuergestaltungen auf der Grundlage von Abkommensvergünstigungen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, S. 2325. Vgl. Kaminski, B., Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen bei Personengesellschaften – Entwurf des neuen BMF-Schreibens – , Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 33, hrsg. von Lüdicke, 2008, S. 212; Gosch, D., in: KompaktKommentar, Einkommensteuergesetz, Hrsg. Kirchhof, 8. Auflage, 2008, § 50d EStG, Rz. 67; Wassermeyer, F., Die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, IStR 2007, S. 414; ders. in: Debatin/Wassermeyer, Vor Artikel 1 OECD-MA, Rz. 60 und Artikel 23A OECD-MA, Rz. 46; Vogel, K., Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 26, hrsg. von Haarmann, 2004, S. 15; ders., Transnationale Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2003, S. 527; Lang, M., Qualifikationskonflikte bei Personengesellschaften, IStR 2000, S. 134; ders., Seminar B, Teil 2: Das OECD-Musterabkommen – 2001 und darüber hinaus: Welche Bedeutung haben die nach Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens erfolgten Änderungen des OECD-Kommentars?, IStR 2001, S. 536ff. Vgl. Lang, M., Wer hat das Sagen im Steuerrecht?, ÖStZ 2006, S. 210. Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Aserbaidschan; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBABelarus; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Georgien 2006; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Kirgisistan 2005; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Korea; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Kroatien 2006; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Malta; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Österreich; Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Polen 2003; Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) DBA-Rumänien 2001; Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Singapur; Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a) DBA-Slowenien 2006; Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe a) DBATadschikistan; Artikel 23 Absatz 3 Buchstabe a) DBA-USA 2006. Vgl. BT-Drs. 16/2712, S. 70;
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Qualifiziert der Quellenstaat auf typisch stille Beteiligungen geleistete Vergütungen als abzugsfähige Betriebsausgaben, scheidet bei Existenz eines DBA-Abzugsverbots eine DBA-Dividendenfreistellung in Deutschland aus (DBA-Abzugsverbot für Zwecke der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat). Faktisch kommt es durch das DBA-Abzugsverbot zu Einschränkungen des in Artikel 10 Absatz 3 D-DBA definierten Dividendenbegriffs i. R. d. DBAFreistellungsmethode.199 Für die Anwendung der Freistellungsmethode ist somit die steuerliche Behandlung auf Ebene des Zahlungsschuldners entscheidend. Die Zahlung darf nur i. R. d. Gewinnverwendung und nicht schon i. R. d. Gewinnermittlung steuerlich abgezogen worden sein.200 Das Abzugsverbot bei der Ermittlung des Gewinns der ausschüttenden Gesellschaft entspringt gedanklich der „allgemeinen Definition von Dividenden“201. In diesem Sinne verknüpft Artikel 10 Absatz 3 Satz 2 DBA-Österreich die Erweiterung des DBA-Dividendenbegriffs bereits i. R. d. Zuteilungsnorm mit dem DBA-Abzugsverbot: Der Dividendenbegriff umfasst auch Einkünfte eines stillen Gesellschafters aus seiner Beteiligung als stiller Gesellschafter, wenn sie nach dem Recht des Staats, aus dem sie stammen, bei der Ermittlung des Gewinns des Schuldners nicht abzugsfähig sind.202 Neben obigen Wirkungen auf den Ansässigkeitsstaat kann das DBA-Abzugsverbot auch den Quellenstaat adressieren. Zahlreiche D-DBA (mit erweitertem Dividendenbegriff) normieren, dass die Quellensteuerreduktion durch DBA für abfließende Dividenden nur Anwendung findet, wenn die Vergütungen bei der Gewinnermittlung des Schuldners der Einkünfte nicht abgezogen worden sind.203 Im Falle der Abzugsfähigkeit der Vergütungen im Quellenstaat, kann dieser der Höhe nach eine Regelbesteuerung i. R. d. beschränkten Steuerpflicht vornehmen (DBA-Abzugsverbot für Zwecke
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Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 131; Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 140. Vgl. Dörrfuß, P. C., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Singapur, Artikel 24, Rz. 44. Vgl. Schuch, J./Haslinger, K., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Österreich, Artikel 10, Rz. 9. Schuch, J./Haslinger, K., in: Debatin/Wassermeyer, DBA-Österreich, Artikel 23, Rz. 11. Vgl. Rademacher-Gottwald, C., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Österreich, Artikel 23, Rz. 19; Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 140. So beispielsweise: Artikel 9 Absatz 9 DBA-Frankreich; Protokoll Nummer 4 zu DBA-Indien; Protokoll Nummer 3 zu DBA-Kanada; Artikel 10 Absatz 3 DBA-Kasachstan; Protokoll Nummer 5 zu DBA-Kuwait; Protokoll Nummer 6 zu DBA-Mexiko; Artikel 11 Absatz 2 DBA-Österreich; Artikel 10 Absatz 6 DBA-USA 2006; Protokoll Nummer 4 zu DBA-Usbekistan. Vgl. Tischbirek, W., in: Vogel/Lehner, Artikel 10 OECD-MA, 2003, Rz. 67.
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der Besteuerung im Quellenstaat).204 Teilweise führt das DBA-Abzugsverbot lediglich zu einer Erhöhung der maximal zulässigen Quellenbesteuerung.205 In einigen jüngeren D-DBA wird die Dividendendefinition nicht mehr um Einkünfte eines stillen Gesellschafters erweitert. Dennoch wird für Zwecke der Quellenbesteuerung normiert, dass Einkünfte eines stillen Gesellschafters, die bei der Gewinnermittlung des Schuldners abzugsfähig sind, nicht der Begrenzung der Quellenbesteuerung durch Artikel 11 D-DBA unterliegen.206 Manche Staaten – derzeit207 z. B. Belgien208 und Brasilien209 – erkennen steuerlich eine fiktive Eigenkapitalverzinsung (notional interest deduction210 beziehungsweise allowance for corporate equity211) als abzugsfähige Betriebsausgabe an.212 Fraglich ist, ob es sich hierbei um einen Abzug der Einkünfte bei der Ermittlung des Gewinns i. S. d. DBA-Abzugsverbots handelt. Dies ist unseres Erachtens nicht der Fall, da das DBA204
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Vgl. Grotherr, S., Quellensteuerabzug und -ermäßigung bei Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren in DBA-Fällen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 2, S. 994; Portner, R., Doppelbesteuerungsabkommen – Uneingeschränktes Quellenbesteuerungsrecht bei Abzugsfähigkeit von Vergütungen auf gewinnabhängige Finanzierungsinstrumente, IStR 1996, S. 409ff; Mößinger, C., Die stille Gesellschaft als Instrument zur steuerlichen Optimierung der internationalen Konzernfinanzierung, 2006, S. 125, 130; Tischbirek, W., in: Vogel/Lehner, Artikel 10 OECD-MA, 2003, Rz. 170. Beispielsweise Artikel 10 Absatz 4 DBA-Korea. Hierbei wird die zulässige Quellenbesteuerung von 5% beziehungsweise 15% auf 25% angehoben. Beispielsweise Protokoll Nummer 3 zu DBA-Kroatien 2006; Protokoll Nummer 3 zu DBASlowenien 2006; Protokoll Nummer 2 zu DBA-Polen 2003. Nur für die Quellenbesteuerung in der BRD: Protokoll Nummer 5 zu DBA-Kirgisistan 2005. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 140f. Vgl. zur Entwicklung in anderen Staaten: Knoll, L., Unternehmensgewinnbesteuerung in Kroatien, Italien und Österreich, DBW 2001, S. 335ff; Lammersen, L., Investitionsentscheidungen und Steueraufkommen bei zinsbereinigter Besteuerung, RIW 2003, S. 938ff. Vgl. Gerard, M., Belgium Moves to Dual Allowance for Corporate Equity, ET/IBFD 2006, S. 156ff; Verbist, H./Weihmann, L.-V., Steuersparpotential durch fiktiven Zinsabzug in Belgien, IWB, Fach 5, Belgien, Gruppe 2, S. 259ff; Becker, J./Krogmann, C., Belgien: Geplante Einführung eines fiktiven Zinsabzugs auf Eigenkapital sowie Abschaffung der belgischen Registergebühr auf eingebrachtes Kapital, IStR-Länderbericht 9/2005, S. 2f; Winkeljohann, N./Weihmann, L.-V., Finanzierungseinkünfte in Belgien und den Niederlanden aus Sicht deutscher Unternehmen, Ubg 2008, S. 161ff. Vgl. Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 1325; Köhler, S., Hybride Finanzierungen über die Grenze, Internationale Unternehmensfinanzierung, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 29, hrsg. von Piltz/Schaumburg, 2006, S. 172f. Das DBABrasilien wurde zum 30.5.2006 gekündigt. Vgl. Zehnder, H., Steuerplanung im internationalen Konzern, Steuerbelastung – Steuerwirkung – Steuergestaltung, Festschrift zum 65. Geburtstag von Winfried Mellwig, hrsg. von Wehrheim/Heurung, 2007, S. 557. Vgl. Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 1325. Vgl. Oestreicher, A., Neufassung der Verwaltungsgrundsätze zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen verbundenen Unternehmen, IStR 2000, S. 764.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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Abzugsverbot gedanklich auf eine Verknüpfung zwischen Betriebsausgabenabzug und Ausschüttungsbetrag abstellt. Der fiktive Abzug bemisst sich aber nicht nach einer abfließenden Zahlung, sondern nach der kalkulatorischen Verzinsung des steuerlichen Eigenkapitals. Er hat mithin eher den Charakter eines Freibetrags, da er beispielsweise auch bei Gewinnthesaurierung vorgenommen wird. Sähe man den Anwendungsbereich des DBA-Abzugsverbots eröffnet, müsste eine Schlüsselung auf die Ausschüttungsbeträge erfolgen. Jedenfalls kann steuerpolitisch durch eine derartige zinsbereinigte Besteuerung Entscheidungsneutralität213 in Form von Investitions- und Finanzierungsneutralität verwirklicht werden.214
4 Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen i. R. d. § 50d Absatz 9 EStG 4.1 DBA-Qualifikationskonflikte i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG Im Anwendungsbereich des § 50d Absatz 9 EStG wird für ausländische Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen eines unbeschränkt Steuerpflichtigen die DBAFreistellung versagt. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG verhindert die DBAFreistellung, wenn der Quellenstaat aufgrund eines DBA-Qualifikationskonflikts i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG die Einkünfte aus der typisch stillen Beteiligung von der Besteuerung ausnimmt oder sie nur zu einem durch das DBA begrenzten Satz besteuert. Teile des Schrifttums sehen in der Norm einen Treaty-Override.215 Vogel verneint das Vorliegen eines Treaty-Overrides hingegen mit dem Argument, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung auf die OECD-Qualifikationsverkettung verwiesen und sich somit diese Auslegung zu Eigen gemacht habe.216
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216
Vgl. Hundsdoerfer, J./Kiesewetter, D./Sureth, C, Forschungsergebnisse in der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre – eine Bestandsaufnahmen, ZfB 2008, S. 68f m. w. N. Vgl. Knoll, L., Unternehmensgewinnbesteuerung in Kroatien, Italien und Österreich, DBW 2001, S. 335ff; Lammersen, L., Investitionsentscheidungen und Steueraufkommen bei zinsbereinigter Besteuerung, RIW 2003, S. 938ff; Kiesewetter, D., Theoretische Leitbilder einer Reform der Unternehmensbesteuerung, StuW 1997, S. 24ff. Vgl. Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1697; Grotherr, S., Zum Anwendungsbereich der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Absatz 9 EStG, IStR 2007, S. 265; Wied, E., in: Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 89; a. A.: Djanani, C./Brähler, G., Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, 2008, S. 306. Vgl. Vogel, K., Neue Gesetzgebung zur DBA-Freistellung, IStR 2007, S. 226-228.
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Für die Definition der DBA-Qualifikationskonflikte i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG greift das überwiegende Schrifttum – wie auch die Jubilarin217 – auf die in der Gesetzesbegründung enumerierten Tatbestände zurück.218 Nach der Begründung zum JStG 2007 liegen DBA-Qualifikationskonflikte i. S. d. § 50d Absatz 9 EStG vor, wenn die Vertragsstaaten Einkünfte unterschiedlichen Abkommensbestimmungen zuordnen, weil sie von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen, die Abkommensbestimmungen unterschiedlich auslegen oder auf Grund von Vorschriften, die Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA entsprechen, Abkommensbegriffe nach ihrem nationalen Recht auslegen.219 Folgt man dem überwiegenden Schrifttum, erfasst § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG alle drei Kategorien von Qualifikationskonflikten i. S. d. OECD-Terminologie. Diese Rechtsauffassung vertritt auch das BMF. In Fällen negativer Qualifikationskonflikte soll die Freistellung gemäß § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG unterbleiben. Negative Qualifikationskonflikte könnten ihre Ursache in einer unterschiedlichen Sachverhaltsbeurteilung durch die Finanzbehörden, einer unterschiedlichen Auslegung der Abkommensbestimmungen selbst oder einer unterschiedlichen Auslegung der Abkommensbegriffe nach nationalem Recht unter Rückgriff auf Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA haben.220 Vogel kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass der Anwendungsbereich von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG auf echte Qualifikationskonflikte unter Rückgriff auf innerstaatliches Recht aufgrund von Artikel 3 Absatz 2 OECD-MA begrenzt sei. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG auf Anwendungskonflikte i. S. d. Artikel 23A Abs. 4 OECD-MA (Sachverhalts- und Subsumtionskonflikte) würde gegen die D-DBA verstoßen, soweit diese nicht eine Artikel 23A Abs. 4 OECD-MA entsprechende Klausel enthielten. Er argumentiert, dass die Gesetzesbegründung i. R. d. Gesetzesauslegung lediglich als eines von mehreren möglichen Auslegungsmitteln heranzuziehen sei. Da eine Auslegung unter Rückgriff auf
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Vgl. Djanani, C./Brähler, G., Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, 2008, S. 304. Vgl. Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d EStG, Rz. 138; Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 72, 135; Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1698f; Gosch, D., in: KompaktKommentar, Einkommensteuergesetz, Hrsg. Kirchhof, 8. Auflage, 2008, § 50d EStG, Rz. 67; a. A.: Grotherr, S., Zum Anwendungsbereich der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Absatz 9 EStG, IStR 2007, S. 266f. Vgl. BT-Drs. 16/2712, S. 61. Vgl. BMF-E, 10.5.2007, Tz. 4.1.3.1., 4.1.3.3.2; Kaminski, B., Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen bei Personengesellschaften – Entwurf des neuen BMF-Schreibens – , Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 33, hrsg. von Lüdicke, 2008, S. 214f.
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die Gesetzesbegründung aber gegen Abkommensrecht verstoßen würde, sei einer alternativen, abkommenskonformen Auslegung – unter Heranziehung der OECDQualifikationsverkettung, auf die i. R. d. Gesetzesbegründung ebenfalls verwiesen wird – Vorrang einzuräumen.221 Während der Anwendungsbereich der OECD-Qualifikationsverkettung auf echte Qualifikationskonflikte unter Rückgriff auf innerstaatliches Recht abstellt222, erfasst § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG nach der Gesetzesbegründung einen weiteren Kreis von DBA-Qualifikationskonflikten.223 Insofern ist es auf den ersten Blick unzutreffend, wenn das BMF postuliert, § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG entspreche der OECDQualifikationsverkettung.224 Allerdings könnte es sich hierbei um eine einengende Normauslegung durch die Finanzverwaltung handeln. Dann würde sich auch der Anwendungsbereich von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG von dem der DBA-Switchover-Klauseln unterscheiden, da die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass die DBASwitch-over-Klauseln sämtliche Qualifikationskonflikte i. S. d. OECD-Terminologie erfassen.225 Die OECD-Qualifikationsverkettung ist nur i. R. d. Methodenartikels, der an Zuteilungsnormen mit offener Rechtsfolge anknüpft, anwendbar. Sie greift nicht, wenn sich (in seltenen Fällen) die Steuerfreistellung im Ansässigkeitsstaat aus einer Zuteilungsnorm mit abschließender Rechtsfolge ergibt.226 Nach Grotherr erfasst § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG auch Konstellationen, in denen DBA-Zuteilungsnormen dem Quellenstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht zuweisen.227 Dem wird im Schrifttum entgegengehalten, einen Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode könne es nur im Anwendungsbereich des Methodenartikels geben.228
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Vgl. Vogel, K., Neue Gesetzgebung zur DBA-Freistellung, IStR 2007, S. 226-228; s. a.: Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1699, Fn. 18. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 23 OECD-MA, 2003, Rz. 37. Vgl. Vogel, K., Neue Gesetzgebung zur DBA-Freistellung, IStR 2007, S. 227f; Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 138; Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 72f. Vgl. BMF-E, 10.5.2007, Tz. 4.1.3.3.2. Vgl. Wolff, U., Generalthema I: Doppelte Nichtbesteuerung, IStR 2004, S. 549. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Einl., 2003, Rz. 179. Vgl. Grotherr, S., Zum Anwendungsbereich der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Absatz 9 EStG, IStR 2007, S. 265; ihm folgend: Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 55. Vgl. Rosenthal, M., Die steuerliche Behandlung von Auslandssachverhalten im Spannungsfeld zwischen Abkommensrecht und Europarecht, IStR 2007, S. 612.
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Werden die Einkünfte von beiden Vertragsstaaten abkommensrechtlich derselben Zuteilungsnorm zugeordnet, fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung eines DBAQualifikationskonflikts. Im finanzgerichtlich anhängigen Fall der Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen in Luxemburg nehmen beide Vertragsstaaten abkommensrechtlich Dividendeneinkünfte an, so dass kein DBA-Qualifikationskonflikt vorliegt. Die Abzugsfähigkeit der Einkünfte im Quellenstaat stellt keine Tatbestandsvoraussetzung von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG dar.229
4.2 Minderbesteuerung i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG Während § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG Keinmal- und Minderbesteuerung ausländischer Einkünfte ins Visier nimmt, erfasst der Anwendungsbereich der OECDQualifikationsverkettung lediglich Fälle doppelter Nichtbesteuerung. Auch insoweit geht der Anwendungsbereich von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG über den der OECD-Qualifikationsverkettung hinaus.230 Liegt ein DBA-Qualifikationskonflikt i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG vor, ist fraglich, wann der Quellenstaat das DBA so anwendet, dass die Einkünfte nur zu einem durch das DBA begrenzten Steuersatz besteuert werden können. Nach Frotscher kommt es hierbei „nur darauf an, dass der Quellenstaat nur ein begrenztes Besteuerungsrecht hat; nicht entscheidend ist, ob er im konkreten Fall auch dieses begrenzte Besteuerungsrecht anwendet, oder ob sich nicht der gleiche oder ein niedrigerer Steuersatz aus dem innerstaatlichen Recht ergibt“ 231. In diesem Sinne geht Grotherr davon aus, der Tatbestand einer Begrenzung der Quellenbesteuerung durch das DBA i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG sei bereits erfüllt, wenn die vom Quellenstaat angewandte DBA-Zuteilungsnorm eine Quellensteuerreduktion vorsehe. Entscheidend sei hierbei, dass das DBA eine Obergrenze der Quellenbesteuerung normiere und nicht ob uni- oder bilaterales Recht konkret durchschlage. Eine Abkommensanwendung, die zu einer durch DBA begrenzten Besteuerung i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG führt, sei auch gegeben, wenn nach innerstaatlichem Recht ein Quellenbesteuerungs-
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Vgl. Kollruss, T., Weiße und graue Einkünfte bei Outbound-Finanzierung einer ausländischen EUTochterkapitalgesellschaft nach Europarecht und JStG 2007, BB 2007, S. 472 , Fn. 58; Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 72, 92; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.7.2006, 6 K 164/04, EFG 2007, S. 167-169. Vgl. Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1697-1699. Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 140.
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anspruch begründet werde, der unterhalb der nach DBA zulässigen Obergrenze liege.232 Vorstehender Rechtsauffassung wird entgegnet, erforderlich sei gerade eine Reduktion des nationalen Besteuerungsanspruchs durch DBA aufgrund einer hiernach maximal zulässigen Quellenbesteuerung. Materiell müsse mithin der durch DBA begrenzte Steuersatz durchschlagen.233 Darüber hinaus wird gefordert, dass die Anwendung der (falschen) Zuteilungsnorm durch den Quellenstaat zu einem niedrigeren Quellenbesteuerungsrecht führen müsse, als dies bei einer übereinstimmenden Anwendung der nach Auffassung des Ansässigkeitsstaats richtigen Zuteilungsnorm der Fall sein würde.234
4.3 Dividendeneinkünfte i. S. d. 50d Absatz 9 Satz 2 EStG § 50d Absatz 9 Nummer 2 EStG versagt die DBA-Freistellung in Deutschland, wenn die Einkünfte aus einer typisch stillen Beteiligung im Quellenstaat nur deshalb nicht steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die im Quellenstaat nur beschränkt steuerpflichtig ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers hebt § 50d Absatz 9 Nummer 2 EStG die DBA-Freistellung von Einkünften auf, wenn der Quellenstaat Einkünfte aus der typisch stillen Beteiligung nicht besteuern kann, weil dessen innerstaatliches Recht diese Einkünfte i. R. d. beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst. Diese partielle Subject-to-tax-Klausel adressiert aber nicht Einkünfte, die nach dem Recht des Quellenstaats sowohl i. R. d. unbeschränkten als auch der beschränkten Steuerpflicht von der Besteuerung ausgenommen sind.235 Die Norm soll systematische Ausländerbegünstigungen (beispielsweise tax holidays) im anderen Vertragsstaat aufgreifen.236 Anders als § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG stellt § 50d Absatz 9 Nummer 2 EStG nur auf die doppelte Nichtbesteuerung, nicht auch auf die Minderbesteuerung ab.
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Vgl. Grotherr, S., Zum Anwendungsbereich der unilateralen Rückfallklausel gemäß § 50d Absatz 9 EStG, IStR 2007, S. 266. Vgl. Kollruss, T., Weiße und graue Einkünfte bei Outbound-Finanzierung einer ausländischen EUTochterkapitalgesellschaft nach Europarecht und JStG 2007, BB 2007, S. 473. Vgl. Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1699. Vgl. BT-Drs. 16/2712, S. 62; Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 11, 103; Urbahns, R., Die unilaterale Rückfallklausel nach § 50d Absatz 9 EStG, INF 2007, S. 337; Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 147. Vgl. Grotherr, S., Sperren und Risiken für Outbound-Steuergestaltungen auf der Grundlage von Abkommensvergünstigungen, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, S. 2317.
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Das Vorliegen eines DBA-Qualifikationskonflikts ist für Zwecke von § 50d Absatz 9 Nummer 2 EStG ohne Bedeutung. § 50d Absatz 9 Satz 2 EStG nimmt nach DBA freizustellende Dividenden vom Anwendungsbereich des § 50d Absatz 9 Nummer 2 EStG aus, es sei denn, diese sind bei der Gewinnermittlung im Quellenstaat abgezogen worden. Ob als Dividenden i. S. d. § 50d Absatz 9 Satz 2 EStG solche i. S. d. Artikel 10 Absatz 3 D-DBA237 oder solche i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 1 EStG238 zu fassen sind, lässt der Gesetzgeber offen. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber bewusst von einer ausdrücklichen Beschränkung auf § 20 Absatz 1 Nummer 1 EStG abgesehen hat,239 könnte geschlossen werden, dass neben Dividenden i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 1 EStG auch solche i. S. d. Artikel 10 Absatz 3 D-DBA (und mithin solche i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 4 EStG) erfasst sein sollen.240 Würden Dividenden i. S. d. Artikel 10 Absatz 3 D-DBA adressiert, umfasste die Rückausnahme regelmäßig auch Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen. Auf diese könnte dann nur in Fällen ihrer Abzugsfähigkeit im Quellenstaat § 50d Absatz 9 Nummer 2 EStG zur Anwendung kommen.241 Soll die möglichst weitgehende Beschränkung der Freistellung ausländischer Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen bezweckt werden, würde der Dividendenbegriff i. S. d. § 50d Absatz 9 Satz 2 EStG nur Einkünfte i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 1 EStG erfassen. Allerdings würde eine Beschränkung der DBA-Freistellung von Bezügen i. S. d. § 20 Absatz 1 Nummer 1 EStG durch einen Treaty-Override materiell keine Bedeutung entfalten, da diese unilateral nach § 8b Absatz 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens ohnehin außer Ansatz bleiben.242
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239 240 241 242
Vgl. Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 122. Vgl. Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1700. Vgl. BT-Drs. 16/3036, S. 11. Vgl. Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 123. Vgl. Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 135. Vgl. Gröbl, E./Adrian, G., in: Erle/Sauter, Heidelberger Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 2. Auflage, 2006, § 8b KStG, Rz. 49ff ; Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1700. § 8b Absatz 7 bis Absatz 9 KStG wird nicht berücksichtigt.
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4.4 Prüfungsreihenfolge von § 50d Absatz 9 EStG und DBA-Switch-overKlauseln Der methodische Switch-over aufgrund der DBA-Switch-over-Klauseln ist wegen des Erfordernisses eines gescheiterten Verständigungsverfahrens und des damit verbundenen Arbeitsaufwands für die Finanzverwaltung ein schwerfälliges Instrument. Tatbestandsvoraussetzung von § 50d Absatz 9 EStG ist, dass Einkünfte nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind. Die Freistellung durch DBA findet nur Anwendung, wenn sämtliche Voraussetzungen der Freistellungsmethode auf DBA-Ebene erfüllt werden. Zu diesen Voraussetzungen zählen auch Switch-over-Klauseln. Somit ist die Nichteinschlägigkeit der DBA-Switchover-Klausel Voraussetzung für die Prüfung von § 50d Absatz 9 EStG. § 50d Absatz 9 Satz 3 EStG ordnet an, dass DBA-Bestimmungen, die die Freistellung in einem weitergehenden Umfang einschränken, unberührt bleiben. Generelle Subjectto-tax-Klauseln schränken in Fällen doppelter Nichtbesteuerung, die Freistellung weitergehend als § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG ein, da sie nicht nur bei DBAQualifikationskonflikten anwendbar sind. Zudem kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass DBA-Switch-overKlauseln und § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG einen identischen Kreis an DBAKonflikten adressieren.243 Unseres Erachtens enthält § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG keine Rechtsgrundlage i. R. d. Switch-over auf die Durchführung eines Verständigungsverfahrens zu verzichten, soweit entsprechende Switch-over-Klauseln exiastieren.244 Scheitert das Verständigungsverfahren, bewirkt die DBA-Switch-over-Klausel den Übergang zur Anrechnungsmethode. Wird im Verständigungsverfahren eine Einigung erzielt, ist der DBA-Qualifikationskonflikt i. S. d. § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG regelmäßig gelöst. Gegen eine mögliche Subsidiarität der DBA-Switch-over-Klauseln spricht auch der vom BFH zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der DBA-Switch-over-Klauseln herangezogene Regelungszusammenhang von Normen, wonach jeder Abkommensbe243
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Zurechnungskonflikte werden nur von Switch-over-Klauseln ausdrücklich erfasst. Dass § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG auch Sachverhalts- und Auslegungskonflikte erfasst, ist umstritten. Vgl. Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d EStG, Rz. 128; Vogel, K., Neue Gesetzgebung zur DBA-Freistellung, IStR 2007, S. 228; Salzmann, S., Abschied vom Verbot der „virtuellen“ Doppelbesteuerung?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 3, S. 1476.
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stimmung ein eigenständiger Anwendungsbereich zuzumessen ist. Eine Auslegung von § 50d Absatz 9 EStG in extensiver Weise würde die DBA-Switch-over-Klauseln suspendieren und diesen keinen originären Anwendungsbereich belassen.245 Bemerkenswert erscheint, dass das BMF-Entwurfsschreiben vom 10.5.2007 § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG im Hinblick auf Qualifikationskonflikte lediglich unter der Überschrift „DBA ohne Switch-over-Klauseln“ (Tz. 4.1.3.3.) einordnet und nicht i. R. d. Ausführungen zu „DBA mit Klauseln zum Übergang auf die Anrechnungsmethode (sog. Switch-over-Klauseln)“ (Tz. 4.1.3.2.). Dies wirft die Frage auf, ob hierdurch der Verwaltungswille zum Ausdruck kommen soll, zwischen beiden Normen einen Regelungszusammenhang anzuordnen und § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG nur auf DBA ohne eigene Switch-over-Klausel anzuwenden.
4.5 Rechtsfolgen von § 50d Absatz 9 EStG und OECD-Qualifikationsverkettung Gemäß Tz. 4.1.3.3.2. des BMF-Entwurfsschreibens vom 10.5.2007 entspricht § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG der Auslegung des OECD-MK 2000 (Absatz 32.1 bis 32.7 zu Artikel 23 OECD-MA), mit anderen Worten der OECD-Qualifikationsverkettung. Folglich wären materiell übereinstimmende Rechtsfolgen zu erwarten. Die OECDQualifikationsverkettung sieht als Rechtsfolge den Übergang zur DBAAnrechnungsmethode vor,246 während die Rechtsfolge von § 50d Absatz 9 Nummer 1 EStG die Versagung der DBA-Freistellung ist.247 Die Vermeidung einer Doppelbesteuerung erfolgt in Fällen des § 50d Absatz 9 EStG durch § 34c Absatz 6 Satz 5 EStG, der die entsprechende Anwendung der unilateralen Anrechnungsmethode in Fällen des § 50d Absatz 9 EStG vorsieht. Während die DBA-Anrechnungsmethode grundsätzlich neben der Anrechnung ausländischer Steuern auf die KSt nachrangig eine Anrechnung auf die GewSt sicherstellt,248 ist die unilaterale Anrechnungsmethode nach § 26 KStG i. V. m. § 34c EStG 245
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Vgl. BFH, Urteil vom 17.12.2003, I R 14/02, BStBl 2004 II, S. 260; Salzmann, S., Abschied vom Verbot der „virtuellen“ Doppelbesteuerung?, IWB, Fach 3, Deutschland, Gruppe 3, S. 1468f. Vgl. Petereit, A., Die sog. switch-over-Klausel in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen – Überblick, Inhalt und Steuerplanung, IStR 2003, S. 583. Vgl. Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 61. Vgl. Vogel, K., in: Vogel/Lehner, Artikel 2 OECD-MA, 2003, Rz. 54ff, Artikel 23 OECD-MA, 2003, Rz. 129, 132; Wassermeyer, F., in: Debatin/Wassermeyer, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 104; Schmidt, C./Blöchle, D., in: Strunk/Kaminski/Köhler, Artikel 23A OECD-MA, Rz. 195; Köhler, S., Sind neue Steuerstrategien gefordert?, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 33, hrsg.
Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte
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auf die KSt beschränkt.249 Somit ist § 50d Absatz 9 EStG beispielsweise bei körperschaftsteuerlichen Anrechnungsüberhängen in seinen Rechtsfolgen rigider als die OECD-Qualifikationsverkettung.250 De lege lata können Anrechnungsüberhänge weder abgezogen noch vor- oder rückgetragen werden.251 Eventuell war die Versagung der DBA-Anrechnungsmethode durch § 50d Absatz 9 EStG gesetzgeberisch nicht beabsichtigt, da bis dato in Fällen von DBA-Qualifikationskonflikten zur Vermeidung von Minder- oder Keinmalbesteuerung ein Wechsel zur DBA-Anrechnungsmethode und nicht eine potentielle Doppelbesteuerung i. R. d. GewSt angeordnet wurde. Begrüßenswert wäre eine dem Sinn und Zweck von § 50d Absatz 9 EStG Rechnung tragende Normauslegung durch die Finanzverwaltung, welche dem Steuerpflichtigen die der DBA-Anrechnungsmethode entsprechenden Rechtsfolgen zubilligen würde. Solange der Wortlaut von § 50d Absatz 9 EStG oder § 34c Absatz 6 Satz 5 EStG auf der Rechtsfolgenseite nicht angepasst oder eingeschränkt wird, sollte i. R. d. Abwehrberatung die Anwendung der unilateralen Abzugsmethode (§ 34c Absatz 2 EStG) erwogen werden, da diese über die Bemessungsgrundlage stets auf die GewSt durchschlägt.252
5 Schlußbemerkungen In einer Gesamtschau lässt sich die Einmalbesteuerung ausländischer Einkünfte aus typisch stillen Beteiligungen als abkommenspolitische Zielsetzung erkennen. Einmalbesteuerung impliziert gleichermaßen die Vermeidung von Doppelbesteuerung und doppelter Nichtbesteuerung.253 Die Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung versucht der Gesetzgeber durch eine Vielzahl unabgestimmter Bedingungen der DBAFreistellungsmethode zu erreichen. Da sich diese Bedingungen nicht in gleichem Maße auf die unilaterale Freistellungsmethode nach § 8b Absatz 1 KStG beziehen, resul-
249 250
251 252
253
von Lüdicke, 2008, S. 161; kritisch: Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 108; Grotherr, S., in: Gosch/Kroppen/Grotherr, Artikel 23A/23B OECD-MA, Rz. 325. Die Steueranrechnung auf die GewSt ist jedoch ausgeschlossen, wenn das DBA dies ausdrücklich anordnet – wie beispielsweise Artikel 24 Absatz 1 Nummer 2 DBA-Schweiz. Vgl. Wingert, K.-D., in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz, Artikel 24 DBASchweiz, Rz. 46, 205. Vgl. Schönfeld, J., in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 63. Ähnliche Konstellationen ergeben sich, bei einem negativen körperschaftsteuerlichen zu versteuernde Einkommen, dem aufgrund von Hinzurechnungen nach § 8 GewStG ein positiver Gewerbeertrag gegenübersteht. Vgl. Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 47. Vgl. Hierstetter, F., in: Erle/Sauter, Heidelberger Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 2. Auflage, 2006, § 26 KStG, Rz. 85ff. Vgl. Runge, B., Die DBA-eigenen Abwehrklauseln als Schranke der internationalen Steuerplanung, Handbuch der internationalen Steuerplanung, hrsg. von Grotherr, 2. Auflage, 2003, S. 1721.
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Rainer HeurungҘ, Philipp Seidel
tieren steuersystematische Inkonsistenzen: Im Rahmen von § 8b Absatz 1 KStG werden Einkünfte aus beteiligungsähnlichen Genussrechten auch dann zu 95 Prozent von der Besteuerung ausgenommen, wenn sie im Quellenstaat bei der Einkommensermittlung abgezogen worden sind. Für die Anwendung von § 8b Absatz 1 KStG ist es ohne Bedeutung, ob ein Qualifikationskonflikt vorliegt oder die Einkünfte im Quellenstaat einer Besteuerung unterlegen haben.254 Eine Möglichkeit zur Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung ausländischer Einkünfte bestünde darin, eine generelle Subject-to-tax-Klausel gesetzgeberisch zu verankern. Diese würde § 8b KStG sowie die DBA adressieren und die Freistellung an die Bedingung einer Besteuerung im Quellenstaat knüpfen. Hierdurch würde freilich das Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung als Grundsatz aufgegeben.255 Inwieweit bei grenzüberschreitenden Einkünften der Kapitalimport- oder der Kapitalexportneutralität Vorrang eingeräumt wird, stellt in letzter Konsequenz eine finanzpolitische Frage dar. Dem Gesetzgeber steht deshalb als Ausweg aus dem Dickicht um die Freistellungsmethode der generelle Übergang zur Anrechnungsmethode offen.256
254
255 256
Vgl. Gröbl, E./Adrian, G., in: Erle/Sauter, Heidelberger Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 2. Auflage, 2006, § 8b KStG, Rz. 50; Frotscher, G., in: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 50d Absatz 9 EStG, Rz. 133; Kollruss, T., Gesellschafter-Fremdfinanzierung über nachgeschaltete ausländische Personengesellschaften im DBA-Fall: Weiße Einkünfte und Gestaltung im Rahmen des fremdfinanzierten konzerninternen Beteiligungserwerbs, IStR 2007, S. 135. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 96. Vgl. Lüdicke, J., Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 1. Auflage, 2008, S. 72f; Jacobs, O. H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 6. Auflage, 2007, S. 26ff.
Die Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens – Ein Vergleich unter Bezugnahme auf die aktuelle Standortdiskussion in Europa
Peter Hilpold und Walter Steinmair
1
Einführung........................................................................................................ 364
2
Die Grundlagen ................................................................................................ 365
3
Die Neuerungen in Deutschland ..................................................................... 368
4
Die Situation in Österreich.............................................................................. 370
5
Die Körperschaftsteuerbelastung ................................................................... 371
6
Die Gruppenbesteuerung/Organschaft.......................................................... 373
7
Die Neuerungen in Italien................................................................................ 377
8
Schlussbemerkungen ....................................................................................... 379
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Peter Hilpold, Walter Steinmair
1 Einführung Gegenwärtig ist in ganz Europa eine intensive Standortdiskussion im Gange, die maßgeblich auch von steuerrechtlichen und steuerpolitischen Gesichtspunkten geprägt ist. Auch Deutschland, Österreich und Italien sind davon erfasst worden und dementsprechend sind auch Bemühungen in die Wege geleitet worden, die Attraktivität der betreffenden Staaten im steuerrechtlichen Bereich zu erhöhen. Die Unternehmensstandortdiskussion weist insgesamt eine Vielzahl an Perspektiven auf und es wäre wohl allzu vereinfachend, diese Frage auf die steuerrechtliche und die steuerpolitische Dimension zu reduzieren. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass das steuerliche Element ganz im Vordergrund steht. Die Attraktivität der erwähnten Staaten als Destinationsländer für Investitionen wird primär an dieser Frage gemessen und dies nicht erst in jüngerer Zeit. Die verstärkte Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen hat dazu beigetragen, dass die Qualität der betreffenden Steuerrechtsordnungen zunehmend stärker an ihrer Eignung gemessen wurde, den Zuzug ausländischen Kapitals zu erleichtern und den heimischen Unternehmen Rahmenbedingungen zu bieten, die eine Abwanderung nicht attraktiv erscheinen lassen. Gleichzeitig ist diese Diskussion nicht eine rein mitteleuropäische. Sie fügt sich vielmehr in einen gesamteuropäischen Gesamtkontext, der von annähernd identen Herausforderungen für die einzelnen EUMitgliedstaaten gekennzeichnet ist. Die Ausgangsvoraussetzungen für die einzelnen Mitgliedstaaten waren sehr unterschiedliche. Die Binnenmarktharmonisierung hat aber ganz wesentlich dazu beigetragen, diese einander anzunähern. Ist einmal eine Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich gewährleistet, so wird auch ein Vergleich der Steuertarife zusehends sinnvoller. Und eine weitere Entwicklung hat dazu beigetragen, dass das wechselseitige Messen an der Steuerbelastung auf wirtschaftlicher Ebene an Bedeutung gewinnt: Je stärker das substantielle Recht eine reziproke Annäherung erfährt, desto aussagekräftiger werden auch Steuertarifvergleiche. Es ist ein Prozess des gegenseitigen Lernens durch Vergleich im Gange und im Zuge dieser Entwicklung gewinnt die Steuerrechtsangleichung insgesamt kontinuierlich an Bedeutung. Diese Abhandlung ist Teil einer umfassenderen Studie, die in Kürze erscheinen wird.1 Hier soll ein besonderer Aspekt dieser Untersuchung hervorgehoben werden, nämlich der Vergleich der Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens.
1
P. Hilpold/W. Steinmair, Italien im internationalen Wettbewerb der Steuerstandorte: Chancen, Herausforderungen und Perspektiven, 2008.
Die Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens
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Die Körperschaftsteuer ist sicherlich ein zentraler Bestimmungsfaktor für Standortverlagerungen in Europa. Es ist uns eine besondere Ehre, diese Untersuchung Frau Prof. Christiana Djanani widmen zu dürfen, die unser Wirken in Innsbruck über viele Jahre hin als Lehrerin und Kollegin begleitet hat. Die starke Position, die Lehre und Forschung an der Universität Innsbruck im österreichischen, italienischen und internationalen Steuerrecht und in der betrieblichen Steuerlehre gegenwärtig genießen, ist sicherlich zu einem maßgeblichen Teil auf den Einsatz und das Können der hier zu ehrenden Jubilarin zurückzuführen.
2 Die Grundlagen Die europäischen Körperschaftsteuersysteme sind zwar nicht vereinheitlicht – eine diesbezügliche gemeinschaftsrechtliche Kompetenz fehlt im Bereich der direkten Steuern – doch ist ein starker faktischer Druck hin zu einer Vereinheitlichung der einschlägigen Rechtsregeln festzustellen. Dort, wo das Körperschaftsteuerrecht die Ausübung der Grundfreiheiten berührt, greift dann unmittelbar auch das Gemeinschaftsrecht. Wie zu zeigen sein wird, bewegen sich die wesentlichen Besteuerungsregeln in diesem Bereich in Deutschland, Österreich und Italien in vielerlei Hinsicht im Gleichklang, wenngleich es dann doch erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Belastungswirkungen gibt.2 Da die Körperschaftsteuer an die Rechtssubjektivität der Körperschaften anknüpft und von einer eigenständigen Steuersubjektivität der Körperschaft ausgeht (Trennungsprinzip), ist damit auch die Gefahr einer (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung verbunden. Lange Zeit war man in vielen Ländern Europas bemüht, eine solche Doppelbesteuerung weitestgehend zu vermeiden, getreu dem Gedanken, dass eine echte Leistungsfähigkeit nur beim Bezieher der Dividenden festzustellen sei. Die Besteuerung der Körperschaft hatte damit nur die Funktion einer Akontobesteuerung bzw. sollte einen dau2
Für eine vergleichende Betrachtung der Steuerpolitik in Deutschland und in Österreich vgl. die ausführliche Studie von Ch. Smekal, Steuerpolitik in Deutschland und Österreich: 2 Nachbarn –
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Peter Hilpold, Walter Steinmair
erhaften Aufschub der Besteuerung im Falle der Gewinnthesaurierung zumindest partiell verhindern. Dementsprechend fand sowohl in Deutschland als auch in Italien das System der Vollanrechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer der natürlichen Person Anwendung. In Deutschland galt dieses Prinzip von 1977 bis zum Jahr 2000, in Italien bis 2004. In beiden Ländern wurde sehr hartnäckig an diesem Prinzip festgehalten, und tatsächlich ist dieses auch das vollkommenere, technisch perfektere, da es jede Form von Doppelbesteuerung vermeidet. Es hatte aber auch Nachteile. Einer davon lag in seiner Komplexität. Gerade für Kleinaktionäre lohnte sich oft der Aufwand nicht, steuerlichen Fachrat in Anspruch zu nehmen, um die Körperschaftsteuer, die von der Dividenden ausschüttenden Gesellschaft bezahlt worden ist, wieder herauszurechnen. Andererseits kann gesagt werden, dass sich jedes technische Problem lösen lässt. Gerade die für die Kleinaktionäre in Italien eingeführte Wahlmöglichkeit zwischen Anrechnungsverfahren und Pauschalbesteuerung zu 12,5% bot einen sinnvollen Ausweg aus diesem Dilemma. Letztlich entscheidend für die Abkehr vom Anrechnungsverfahren sowohl in Deutschland als auch in Italien waren aber gemeinschaftsrechtliche Bedenken. Nichtansässige Dividendenbezieher konnten nämlich die im Inland von der Körperschaft entrichtete Steuer nicht anrechnen und wurden somit diskriminiert. Nun wäre technisch ein gesamtgemeinschaftliches Anrechnungsverfahren zwar durchaus denkbar gewesen, doch fehlte dazu der politische Wille. Ab dem Jahr 2001 wurde deshalb in Deutschland das Anrechnungsverfahren aufgegeben und stattdessen das Halbeinkünfteverfahren eingeführt.3 Die Gewinne der Körperschaft unterliegen seitdem nur mehr einer Besteuerung von 25%, die allerdings definitiv und nicht mehr anrechenbar ist. Der Satz von 25% wurde gewählt, da der Höchststeuersatz im Falle einer Gewinnausschüttung ungefähr bei 50% lag. Die thesaurierten Gewinne wurden damit gleich steuerlich erfasst, und zwar zum halben Betrag, der bei Ausschüttung anfallen konnte. Im Falle der Gewinnausschüttung unterlagen die ausgeschütteten Beträge dann nur mehr zur Hälfte der Einkommensteuer, wodurch annähernd eine rechtsformneutrale Besteuerung gewährleistet werden konnte. verschiedene Wege?, in: V. Ulrich/W. Ried (Hrsg.), Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen, Baden-Baden 2007, S. 73-92.
Die Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens
367
Waren Körperschaften an einer – wiederum körperschaftsteuerpflichtigen – Tochtergesellschaft beteiligt, so blieben die ausgeschütteten Gewinne bei der Muttergesellschaft in einer ersten Phase außer Ansatz. Erst seit 2004 gilt diese Steuerbefreiung allein für 95% des Gewinns. 5% sind nunmehr zu versteuern, und zwar unter Rückgriff auf das Konzept der "Regiekosten". Auf dieser Grundlage wird angenommen, dass die Verwaltung von Beteiligungen selbst Kosten verursacht, die natürlich gewinn- und steuermindernd in Abzug gebracht worden sind. Diese auf der Basis einer gesetzlichen Vermutung mit 5% der Beteiligungserträge pauschalierten Aufwendungen müssen deshalb spiegelgleich auch von den steuerbefreiten Erträgen abgezogen werden. Zur Körperschaftsteuer von 25% kommen allerdings der Solidaritätszuschlag von 5,5% sowie die Gewerbesteuer von 5% hinzu, auf welche wiederum ein Hebesatz von durchschnittlich 400% zur Anwendung kommt. Berücksichtigt man die – allerdings nur bis Ende 2007 geltende – Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer4, so kommt man auf eine nominale Gewerbesteuerbelastung bei Kapitalgesellschaften von 16,67%. Die Gesamtsteuerbelastung der Kapitalgesellschaften betrug somit 38,65% (25% Körperschaftsteuer; 5,5% Solidaritätszuschlag; 16,67% Gewerbesteuer).5 Damit nahm Deutschland innerhalb der OECD – was die Körperschaftsteuerbelastung anbelangte – eine Spitzenposition ein. In Deutschland war die Steuerbelastung noch höher als in Italien – Italien folgte allerdings unmittelbar danach mit einer Steuerbelastung von 37,25%. Die Körperschaftsteuerbelastung in Deutschland und in Italien war damit wesentlich höher als in Österreich, das mit einer Körperschaftsteuerbelastung von 25% im Vergleich zu den vorgenannten Ländern wesentlich besser da stand.
3 4
5
Vgl. dazu D. Birk, Steuerrecht, München 2005, Rn 1044 sowie Rn 1093. Die Gewerbesteuer wird einmal als Betriebsausgabe qualifiziert, die die eigene Bemessungsgrundlage mindert. Zum anderen wird diese Steuer auch von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer abgezogen. Vgl. Bundesministerium für Finanzen (Hrsg.), Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich, 2006, S. 7 ff.
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Abbildung 1: "Adjusted top statutory tax rate on corporate income, 2007 income, in %" Quelle: Europäische Kommission (Hrsg.), Taxation trends in the European Union – Main results, 2007, S. 10
3 Die Neuerungen in Deutschland Für die Zeit ab dem 1.1.2008 greift in Deutschland allerdings eine sehr weit reichende Steuerreform. Die Körperschaftsteuer wurde von 25% auf 15% reduziert, die Gewerbesteuer von 5% auf 3,5%. Diese ist allerdings nicht mehr anrechenbar – weder auf die eigene Bemessungsgrundlage noch auf die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer. Damit reduziert sich die Gesamtsteuerbelastung auf 29,83%. Sie wurde also um nahezu 9% Prozentpunkte gesenkt. Deutschland liegt damit in der Körperschaftsbelastung nicht mehr an der Spitze, sondern allein im oberen Mittelfeld. Was die Besteuerung der Dividenden anbelangt, gilt für das Jahr 2008 weiterhin das Halbeinkünfteverfahren. Ab 2009 treten aber auch in diesem Bereich weit reichende Änderungen in Kraft: Für Private wird eine einheitliche Abgeltungssteuer (ähnlich wie in Österreich) in der Höhe von 25% auf Zinsen, Dividenden und private Veräußerungsgewinne eingeführt. Die Gesamtsteuerbelastung ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften reduziert sich von 53,21% im Jahr 2007 auf 48,33% im Jahr 2009 (unter der Annahme einer maximalen Grenzsteuerbelastung).6
6
Damit tritt also die Abgeltungssteuer an die Stelle des Halbeinkünfteverfahrens.
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Abbildung 2: Gesamtbelastung ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften1) Quelle: Bundesministerium für Finanzen (Hrsg.), Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2006, S. 9
Werden die Beteiligungen dagegen von Personengesellschaften gehalten, so sind die Dividenden zu 60% zu versteuern – und zwar grundsätzlich direkt beim Gesellschafter zu seinem Grenzsteuersatz. Dieses Transparenzprinzip gilt bei der Besteuerung von Personengesellschaften in Deutschland, Österreich und in Italien. Dabei ist die Frage, ob diese Gewinne thesauriert werden oder nicht, bislang keine wirklich wesentliche.7 Ab dem Jahr 2008 erlangen die Personengesellschaften aber sowohl in Deutschland als auch in Italien für die Zwecke der Körperschaftsbesteuerung eine eigenständige 7
Dies schließt freilich nicht aus, dass Investitionsvergünstigungen gewährt werden, wie bspw. in Österreich die neue § 10 EStG-Bestimmung, die einen Investitionsfreibetrag von 10% des Gewinns bis zu maximal 100.000 Euro pro Gesellschafter für Mitunternehmerschaften vorsieht, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG versteuern. Für Personengesellschaften, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln, ist insbesondere die begünstigte Besteuerung für nicht genommene Gewinne (§ 11a EStG) von Interesse. Dabei wird der jährliche Eigenkapitalanstieg in der Höhe von maximal 100.000 Euro mit dem begünstigten Steuersatz gemäß § 37 Abs. 1 EStG versteuert. Anders als in Zusammenhang mit der Begünstigung gemäß § 10 EStG muss hier allerdings ein Eigenkapitalabfall innerhalb von 7 Jahren nachversteuert werden. Insgesamt kann festgehalten werden, dass in Österreich natürliche Personen und Personengesellschaften trotz der erwähnten
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Subjektivität, und zwar für thesaurierte Gewinne auf der Basis einer freiwilligen Entscheidung. Bislang waren die Steuerbelastungsunterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften in diesem Bereich erheblich: Während Kapitalgesellschaften für thesaurierte Gewinne allein einer Steuer von 38,65% unterlagen, betrug die Steuerbelastung von Personengesellschaften 45,68%, wobei die Senkung der Körperschaftsteuer auf 15% diesen Unterschied noch vergrößern würde.8 Die thesaurierten Gewinne unterliegen in Deutschland ab 2008 einem ermäßigten Steuersatz von 28,25%, wobei die Gesamtsteuerbelastung – einschließlich der Gewerbesteuer – 29,77% beträgt.9 Diese Belastung entspricht weitgehend jener der Kapitalgesellschaften (29,83%).10 Im Falle der späteren Entnahme der thesaurierten Gewinne werden diese nachversteuert.
4 Die Situation in Österreich Auch in Österreich kommt seit 2005 ein Steuersatz von 25% zur Anwendung (zuvor lag dieser immerhin bei 34%).11 Diese Besteuerung findet sowohl auf ausgeschüttete als auch auf thesaurierte Gewinne Anwendung. Im Falle der Ausschüttung an eine natürliche Person werden diese Gewinne mit 25% endbesteuert.12 Dividenden, die an eine andere körperschaftsteuerpflichtige Einrichtung bezahlt werden, sind grundsätzlich steuerbefreit. Daneben existiert auch ein sog. "internationales Schachtelprivileg". Die von einem österreichischen Unternehmen aus einer Beteiligung an einer ausländischen Tochtergesellschaft bezogenen Gewinne sind unter folgenden Bedingungen steuerbefreit:
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9 10 11
12
Begünstigungen deutlich schlechter gestellt sind als Kapitalgesellschaften. Ich danke Frau Mag. Verena Hörtnagl für diese Hinweise. Vgl. M. Ortmann-Babel, Unternehmenssteuerreform 2008 in Deutschland, in: Finanz-Journal 78/2007, S. 266-273 (268). Ibid., S. 269. Ibid. Vgl. zur österreichischen Regelung im Detail R. Beiser, Steuern, Wien 2007, S. 167 ff.; W. Doralt, Steuerrecht 2007, Wien 2007, S. 89 ff.; P. Bitzyk/H. Lexa/E. Pummerer, Steuerrecht I, Wien 2006, S. 79 ff. Dies kommt einer Gesamtbesteuerung von 43,75% gleich. Allein bei Privatstiftungen wird ein Satz von 12,5% als Zwischenbesteuerung angewandt.
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x das Beteiligungsausmaß muss mindestens 10% betragen; x die Beteiligung muss seit mindestens einem Jahr gegeben sein; x die ausländische Tochtergesellschaft muss einer inländischen Kapitalgesellschaft zumindest vergleichbar sein; x die ausländische Tochtergesellschaft muss im Ausland einer der österreichischen Körperschaftsteuer vergleichbaren Steuer unterliegen; x der Unternehmensschwerpunkt der Tochtergesellschaft darf nicht dazu dienen, durch Zinseinnahmen, Mieteinnahmen oder Beteiligungsveräußerungen die Gewinne in das Ausland zu verlagern.
5 Die Körperschaftsteuerbelastung Italien wies im Jahr 2007 mit 33% nach Deutschland die zweithöchste Körperschaftsteuerbelastung in der Europäischen Union auf. Parallel zu den Bemühungen zur Steuerlastsenkung in Deutschland sind nun auch in Italien Versuche festzustellen, durch Steuersenkungen bzw. durch Umgestaltungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung auf dem Boden des internationalen Steuerwettbewerbs wieder Terrain zu gewinnen. In Italien gibt es die Körperschaftsteuer IRPEG seit 1.1.1974.13 Ausgehend von einem Prozentsatz von 25% wurde diese bis auf 37% erhöht und schließlich wieder auf 34% gesenkt. Mit 1.1.2004 trat die IRPEG außer Kraft und wurde durch die Gesellschaftsteuer IRES mit einem Satz von 33% ersetzt.14 Angekündigt wurde diese Reform als Ausdruck einer Steuersenkungs- und Steuervereinfachungspolitik – vorgenommen mit der Absicht, Italien als Wirtschaftsstandort wieder attraktiv zu machen. Diese Maßnahme kam aber verspätet und war unzureichend. Schließlich hatte die Bundesrepublik Deutschland den Körperschaftsteuersatz bereits im Jahr 2001 auf 25% gesenkt – und damit nur dem Druck des internationalen Steuerwettbewerbs Rechnung getragen.15 Seit 1.1.2008 gilt in Deutschland – wie gezeigt – ein Körperschaftsteuersatz von 15%.
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Eingeführt wurde diese mit DPR 598/1973. Vgl. zu den Details zu dieser Steuer und zu ihrem historischen Werdegang P. Hilpold/W. Steinmair/P. Zandanel, Grundriß des italienischen Steuerrechts, Wien/München/Zürich 1997, S. 259 ff. Vgl. P. Hilpold/W. Steinmair, Grundriss des italienischen Steuerrechts I, Wien/Heidelberg/Zürich/Bozen 2005, S. 152 ff. Vgl. dazu im Detail J. Hey, Körperschaftsteuer, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, Köln 2005, S. 387 ff. (421 f.).
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Einzelne osteuropäische Staaten sind bei der Steuersenkung noch weiter gegangen. Dabei war die Ausgangssituation in Deutschland viel dramatischer als in Italien: Immerhin lag der Steuersatz dort im Jahr 1977 bei 56%, ist dann aber sukzessive abgesenkt worden.16 Österreich setzte im Jahr 2005 einen mutigen Schritt und senkte die Körperschaftsteuer von 34% auf 25%.17 In Verbindung mit den sonstigen Vorzügen, die Österreich als Wirtschaftsstandort bietet (effiziente Verwaltung, funktionierende Justiz, stark ausgeprägtes Bankgeheimnis) hat diese Initiative sicherlich Kapital in größerem Ausmaß angezogen. Von der italienischen IRES lässt sich Vergleichbares hingegen nicht sagen. Dagegen spricht nicht nur die Höhe des Steuersatzes (33%), sondern in besonderem Maße auch die Komplexität ihrer Regelung. Die italienische Regierung hat sich bei der Konzipierung der IRES am deutschen Halbeinkünfteverfahren orientiert und dabei für den Fall der Ausschüttung sogar eine Steuerbefreiung nicht nur von 50%, sondern von 60% vorgesehen. Gleichzeitig wurden diesbezüglich aber auch zahlreiche Ausnahmen eingeführt. So haben natürliche Personen, die Dividenden aus einer nichtwesentlichen Beteiligung beziehen (typischerweise Kleinaktionäre) den Bruttobetrag der bezogenen Dividenden zur Gänze zu besteuern, allerdings zum ermäßigten Steuersatz von 12,5%. Es kommt hier also zu einer Doppelbesteuerung, die den Steuerpflichtigen regelmäßig schlechter dastehen lässt als im Falle einer progressiven Besteuerung, die für ihn nicht einmal mehr wahlweise offen steht. Der Steuerrückbehalt ist vom auszahlenden Unternehmen vorzunehmen. Von einem Unternehmer aus einem Steuerparadies bezogene Dividenden sind zu 100% zu besteuern, wobei dies dann nicht gilt, wenn die sog. CFC-Regelung zur Anwendung kommt (Controlled Foreign Companies) bzw. wenn der Steuerpflichtige über das steuerliche Auskunftsrecht (interpello) nachweisen kann, dass mit der betreffenden Investition im Niedrigsteuerland von Anbeginn an keine Steuerumgehung bewirkt worden ist.18 Eine vergleichbare Komplexität ist weder im deutschen noch im österreichischen Körperschaftsteuersystem vorzufinden. Hinzu kommt, dass sich mittlerweile sowohl im deutschen als auch im österreichischen Steuersystem eine deutliche Schere auftut zwischen der Einkommensbesteuerung der natürlichen Personen und der Körperschaftbesteuerung. Die Körperschaftsteuer ist weit entfernt vom Spitzensteuersatz der Einkommensteuer. In Deutschland versucht man, diese Differenz zumindest ansatzweise 16 17
Ibid. Auf die ausgeschütteten Dividenden kommt beim Empfänger nochmals eine Kapitalertragsteuer von 25% zur Anwendung. Fließen die Dividenden allerdings nach Italien, so beträgt der Steuerrückbehalt laut Art. 10 DBA Italien-Österreich allerdings nur 15%. Bei Zinserträgen liegt der Steuerrückbehalt laut Art. 11 dieses Abkommens bei 10%.
Die Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens
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mit der Gewerbesteuer zu überwinden.19 In Österreich fehlt eine vergleichbare Steuer. In Bezug auf das italienische Steuersystem könnte im weitesten Sinne die regionale Wertschöpfungsteuer IRAP mit der deutschen Gewerbesteuer verglichen werden. Die IRAP ist jedoch weit belastender und setzt – wie angemerkt – an einem ganz anderen Niveau der Gesellschaftsteuer an. Insgesamt ist in diesem Bereich also sicherlich großer Reformbedarf gegeben.
Abbildung 3: Körperschaftsbesteuerung – Ländervergleich: Italien, Deutschland, Österreich
6 Die Gruppenbesteuerung/Organschaft Sind mehrere Unternehmen miteinander verbunden, so erscheint es wirtschaftlich sinnvoll und steuerpolitisch gerecht, einen Ausgleich von Gewinnen und Verlusten über dieses System von Unternehmen hinweg vorzunehmen. Eine solche Möglichkeit gibt es in allen drei hier zu untersuchenden Rechtsordnungen. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen variieren aber sehr stark.
18 19
Vgl. P. Hilpold/W. Steinmair, Grundriss des italienischen Steuerrechts, 2005, S. 159. Vgl. J. Hey, (Fn 15), S. 422.
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Österreich und Italien kennen eine sog. Gruppenbesteuerung20, Deutschland die Organschaft.21 Worin liegt der Unterschied? Laut Lehrbuchdefinition verlangt die Anwendung der Gruppenbesteuerung allein eine finanzielle Integration, während bei einer Organschaft traditionell eine wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung vorausgesetzt wird.22 Tatsächlich ist die Trennlinie zwischen beiden vertraglichen Kooperationsformen aber nicht so scharf gezogen. Weder die Gruppe noch die Organschaft konstituiert eine eigenständige Rechtsform. Es handelt sich vielmehr um eine wechselseitige Integration, ergänzt um ein vertragliches Regelwerk. Bei der Gruppe steht die finanzielle Beteiligung und die Konstituierung eines Kontrollverhältnisses im Vordergrund, bei der Organschaft muss dagegen ein Ergebnisabführungsvertrag vorliegen, auf dessen Grundlage die Organgesellschaften gewinn- und verlustfrei gehalten werden.23 In Deutschland wird seit 2001 das zusätzliche Vorliegen auch der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaften für die körperschaftssteuerliche Organschaft nicht mehr gefordert.24 Die Regeln zur Gruppenbesteuerung in Österreich und in Italien ähneln sich sehr stark.25 In beiden Ländern wird zwischen nationaler und internationaler Gruppenbesteuerung unterschieden, wobei die internationale Gruppenbesteuerung in Italien in weit komplexerer Form geregelt ist. In beiden Ländern ist grundsätzlich ein Beteiligungsausmaß von mehr als 50% erforderlich. Im Rahmen der nationalen Gruppenbesteuerung werden die Steuerbemessungsgrundlagen der kontrollierten Gesellschaften zur Gänze beim Gruppenträger (Holding) konsolidiert und nicht nur zum jeweiligen Beteiligungsausmaß. Nur der Holdinggewinn wird besteuert (bzw. der Holdingverlust gegebenenfalls vorgetragen).26 Bei einer nur partiellen Beteiligung muss dann inner-
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Zur aktuellen Diskussion rund um die Gruppenbesteuerung in Österreich vgl. C. Staringer, Gruppenbesteuerung nicht einfach abschaffen, in: Die Presse v. 30.10.2006, S. 6. In Österreich wurde in der Vergangenheit ebenfalls das Vorliegen einer Organschaft für die wechselseitige Gewinn- und Verlustverrechnung verlangt. Vgl. W. Doralt, (Fn 11), S. 94. Vgl. R. Beiser, (Fn 11), S. 351. Vgl. auch C.-H. Witt, Tu felix Austria: Gruppenbesteuerung in Österreich – und bald auch in Deutschland?, in: Recht der Internationalen Wirtschaft 8/2004, Die erste Seite; M. Fischer, Körperschaftsteuerrechtliche Organschaft und Konzernrecht, in: R. Krause u.a. (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, Berlin 2004, S. 323-340 sowie M. Finkenzeller/K. Hirschler, Die Auswirkungen der Steuerreform 2005 auf den Unternehmensstandort Österreich, in: Recht der Internationalen Wirtschaft 8/2004, S. 561-568. Vgl. D. Birk, (Fn 3), S. 345. Vgl. zur Gruppenbesteuerung in Österreich (aus italienischer Sicht) D. Fuxa, Profili di tassazione dei gruppi societari in Austria, in: Fiscalità internazionale, November-Dezember 2006, S. 497-505. Vgl. P. Hilpold/W. Steinmair (Fn 14), S. 351.
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halb der Holding ein vertraglicher Ausgleich gesucht werden. In Italien ist die Anwendung der Gruppenbesteuerung unmittelbar mit einem steuerlichen Vorteil verbunden: Während bei Beteiligungsverhältnissen zwischen Kapitalgesellschaften laut IRES-Bestimmung – wie erwähnt – die Steuerbefreiung grundsätzlich nur für 95% der bezogenen Dividenden gilt, führt die Anwendung der Gruppenbesteuerung zu einer 100-prozentigen Steuerbefreiung der ausgeschütteten Dividenden. Dieselbe Regelung gilt für die Organschaft in Deutschland. In Österreich kann kein derartiges Privileg greifen, da Dividenden aus Beteiligungen grundsätzlich steuerbefreit sind.27 Nun kann sich bei langen Beteiligungsketten eine auch nur 5-prozentige Dividendenbesteuerung zu einer erheblichen Gesamtsteuerbelastung kumulieren. Der eigentliche Anreiz der Gruppenbesteuerung (bzw. auch der Organschaft) liegt jedoch in einem anderen Bereich, nämlich in der Möglichkeit der Konsolidierung von Gewinnen und Verlusten über die Grenzen der Rechtssubjektivität der beteiligten Kapitalgesellschaften hinweg. In Italien wie in Österreich muss die Entscheidung für eine Gruppenbesteuerung von allen beteiligten Gesellschaften getroffen werden. Sie bindet in beiden Rechtsordnungen für drei Jahre.
Abbildung 4: Verbundene Unternehmen – Ländervergleich: Italien, Deutschland, Österreich 27
Werden die Gewinne jedoch von einer ausländischen Tochtergesellschaft an eine inländische Muttergesellschaft ausgeschüttet, so sind diese nur dann steuerbefreit, wenn das Beteiligungsausmaß an der ausländischen Tochtergesellschaft zumindest 10% beträgt. Zudem muss die Beteiligung zumindest ein Jahr bestanden haben und die ausländische Tochtergesellschaft muss mit einer inländi-
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Erhebliche Unterschiede weist die internationale Gruppenbesteuerung in Österreich und in Italien auf. Dabei ist festzuhalten, dass ein solcher Terminus nur in Italien existiert. Nur in Italien ist dieses Institut auch autonom geregelt. Sowohl in Österreich als auch in Italien gilt der Grundsatz, dass Verluste von ausländischen Gruppenmitgliedern nur im Ausmaß der unmittelbaren Beteiligung an dem ausländischen Mitglied zugerechnet werden. Anders als in Österreich werden in Italien aber auch die Gewinne international konsolidiert, was zu einer erheblichen Erweiterung der Konsolidierungsmasse führt. Zu bemerken ist aber auch, dass die internationale Gruppenbesteuerung in Italien bislang äußerst komplex geregelt ist, weshalb sie auch kaum in Anspruch genommen wird.28 So sind insbesondere folgende Bedingungen vorgesehen:29 x Die Bilanzen aller beteiligten Unternehmen müssen der Revision unterworfen sein. Sollte in einzelnen ausländischen Rechtsordnungen eine Revision nicht obligatorisch vorgesehen sein, so ist eine Bilanz auf freiwilliger Basis zu erstellen und diese der Revision zu unterziehen. Die beteiligten ausländischen Unternehmen müssen eine diesbezügliche Verpflichtungserklärung abgeben und sich zudem bereit erklären, sowohl an der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage mitzuwirken als auch auf eventuelle Fragen der Finanzverwaltung innerhalb von 60 Tagen zu antworten. x Innerhalb der ersten Geschäftsperiode ist ein Auskunftsersuchen (interpello) an die Finanzverwaltung zu richten, durch welches das Vorliegen aller Bedingungen bestätigt werden soll und durch welches die Behörde auch über alle Umstände der Gruppe (bspw. konsolidierte Bilanz, Bezeichnung der Revisionsgesellschaften und ausländische Steuern, für welche voraussichtlich ein Steuerguthaben beantragt wird) informiert wird. Die Finanzbehörde kann in diesem Zusammenhang auch zusätzliche Auskünfte einfordern, und erst nach der positiven Begutachtung des Konsolidierungsvorhabens kann dieses effektiv umgesetzt werden. Die Zustimmung der Finanzbehörden kann mit Auflagen verbunden sein oder auch –
28
schen Kapitalgesellschaft vergleichbar sein (internationales Schachtelprivileg). Vgl. dazu W. Doralt, (Fn 11), S. 94. In den einschlägigen Kommentaren wurde schon sehr früh auf die mangelnde Attraktivität der internationalen Gruppenbesteuerung in Italien verwiesen. Vgl. A. Felicioni/G. Ripa, Consolidato mondiale senza appeal, in: Italia Oggi v. 8.4.2004, S. 28.
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auf der Grundlage eines entsprechenden Antrages – Vereinfachungen einräumen, wozu insbesondere der Ausschluss eines kontrollierten ausländischen Unternehmens gehört, unter der Bedingung, dass sich dieses nicht in einem Niedrigsteuerland befindet. Insgesamt ist die Regelung dieses Instituts wohl geradezu exemplarisch für die Haltung des italienischen Staates im internationalen Steuerwettbewerb: Einerseits stellt man sich diesem Wettbewerb, indem innovative Modelle und Rechtsformen eingeführt werden, die in ihrer Grundstruktur z.T. über das hinausgehen, was die fortschrittlichsten Rechtsordnungen Europas zu bieten haben. Bei der praktischen Umsetzung dieser Konzepte verlässt den italienischen Staat aber wiederum der Mut und im Vordergrund steht das Bemühen, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung zu bekämpfen. Am Ende wird dieses Institut weitgehend unanwendbar. Der Widerspruch zwischen Sein und Schein könnte größer nicht sein.
Abbildung 5: Internationale Gruppenbesteuerung – Ländervergleich: Italien, Österreich
7 Die Neuerungen in Italien Worin bestehen nun im Wesentlichen die im Jahr 2008 in Kraft getretenen Neuerungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung, durch welche Italien im steuerrechtlichen Bereich wieder wettbewerbsfähig werden soll? Ganz im Mittelpunkt stehen die Steuersatzänderungen: So wurde der IRES-Satz von 33% auf 27,5% gesenkt, die IRAP hingegen von 4,25 auf 3,9%. Diese Änderungen sollen aber weitgehend aufkommensneutral ausfallen, d.h. dass die Steuerbemessungsgrundlage entspre29
Vgl. P. Hilpold/W. Steinmair, (Fn 14), S. 355.
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Peter Hilpold, Walter Steinmair
chend ausgeweitet werden musste.30 Gleichzeitig wird die Körperschaftsbesteuerung in Hinblick auf thesaurierte Gewinne auf freiwilliger Basis auf Einzelunternehmen und auf Personengesellschaften ausgeweitet. Voraussetzung dafür ist, dass sich die betreffenden Unternehmen für die ordentliche Buchhaltung entscheiden.31 Zum Zeitpunkt der Ausschüttung der thesaurierten Gewinne kommt es zu einer Nachbesteuerung. Sowohl in Deutschland als auch in Italien wird diese Reform begleitet von einer Einschränkung der Abzugsfähigkeit der Passivzinsen, wobei die beiden Regelungen zahlreiche Parallelen, aber auch gewisse Unterschiede aufweisen. Grundsätzlich können ab 2008 in beiden Ländern die Passivzinsen vollumfänglich bis zur Höhe der Aktivzinsen abgezogen werden. Darüber hinaus gilt aber in Deutschland die Zinsschranke von 30% des EBITDA (Earning Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization)32, in Italien von 30% des Bruttogeschäftsergebnisses erhöht um die Abschreibungen. Der Differenzbetrag ist sowohl in Deutschland als auch in Italien unbefristet vortragbar. In Deutschland gilt eine Freigrenze von 1 Million Euro für einen Schuldzinsenüberhang, in Italien sind Einzelunternehmen und Personengesellschaften von Einschränkungen beim Passivzinsenabzug gänzlich ausgenommen.33 Die Zinsschranke bewirkt damit – ähnlich wie die Abschaffung der vorzeitigen Abschreibung – alleine eine Verschiebung der Steuerlast (konkret eine Vorverlegung).34 30
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Konkret soll die Steuersatzsenkung durch ein Mehraufkommen im Wege der Abschaffung der vorzeitigen Abschreibung sowie durch die Zinsschranke finanziert werden. Diese Maßnahmen führen aber primär zu einer Vorverlagerung der Steuerschuld; grundsätzlich sollte zu einem späteren Zeitpunkt wieder ein Ausgleich (mit entsprechender Steuerminderung) eintreten. Über mehrere Steuerperioden betrachtet würde die Steuerreform 2008 in Italien also wiederum zu einer Steuerreduzierung führen. Eine solche Option ist dann empfehlenswert, wenn der Grenzsteuersatz der progressiven Einkommensteuer höher als 27,5% ist, d.h. wenn der einzelne Teilhaber einer Gesellschaft Anspruch auf einen Ertrag von ca. 30.000 Euro hat. Vgl. W. Grossmann, Option mit Fußangeln, in: Südtiroler Wirtschaftszeitung Nr. 43/2007, v. 9.11.2007. EBITDA = Jahresüberschuss + Steueraufwand - Steuererträge + außerordentlicher Aufwand - außerordentliche Erträge + Finanzaufwand - Finanzerträge + Abschreibungen auf das Anlagevermögen - Zuschreibungen zum Anlagevermögen oder EBITDA = Erlöse - Betriebsaufwand. Vgl. für diese Ähnlichkeiten und Unterschiede im Detail S. Mayr, Sugli interessi passivi Berlino detta la linea, in: Il Sole - 24 Ore v. 8.10.2007, S. 30. Es wird geschätzt, dass zwischen einem Viertel und einem Drittel der Unternehmen durch die Erweiterung der Steuerbemessungsgrundlage (in erster Linie aufgrund des eingeschränkten Passivzinsenabzugs) im Jahr 2008 mit einer erhöhten Steuerbelastung zu rechnen haben. Vgl. N. Rossi, La nuova Ires e l'incognita della complessità, in: Il Sole - 24 Ore v. 11.11.2007, S. 5. Vgl. dazu ausführlich W. Grossmann, Zinsschranke gelockert?, in: Südtiroler Wirtschaftszeitung Nr. 47/2007, S. 9.
Die Körperschaftsteuersysteme Deutschlands, Österreichs und Italiens
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8 Schlussbemerkungen In dieser Abhandlung sind drei verschiedene Systeme der Körperschaftbesteuerung zumindest kursorisch dargestellt worden und wesentliche, besonders ins Auge stechende Charakteristika der einzelnen behandelten Ordnungen wurden im Detail behandelt. Obwohl der Bereich der direkten Steuern nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt und die EU-Mitgliedstaaten gerade in diesem Bereich, bei jeder Reformdiskusion, einen strikten Souveränitätsvorbehalt erheben, ist dennoch auf der faktischen Ebene ein Harmonisierungsprozess auch in diesem Bereich – und gerade im speziellen Gebiet der Körperschaftbesteuerung - festzustellen. Zwei Faktoren sind diesbezüglich determinierend: Die Körperschaftsteuersysteme werden einmal von der Ausübung der Grundfreiheiten tangiert und der EuGH ist diesbezüglich in den letzten Jahren intensiv rechtsfortbildend und rechtsschöpfend tätig gewesen.35 Gleichzeitig hat aber ein Harmonisierungsprozess auf der Grundlage des Wettbewerbs der Steuersysteme Platz gegriffen. Es ist deutlich erkennbar, dass im schwierigen Balanceakt zwischen dem Ziel der Steueraufkommensmaximierung zur Finanzierung ausufernder Staatshaushalte und der Notwendigkeit der Schonung der Steuerquelle ein Optimierungsprozess festzustellen ist, in dessen Rahmen die Steuerpolitik der einzelnen EU-Mitgliedstaaten – konfrontiert mit durchaus vergleichbaren Herausforderungen – zu immer ähnlicheren Lösungen findet. Zu beachten ist allerdings, dass auch die Steuerbemessungsgrundlage für die Anwendung der Körperschaftsteuern nicht über Länder hinweg einheitlich definiert ist. Aus diesem Grunde und insbesondere auch weil jede Steuer Teil eines komplexen Gesamtsteuersystems ist, muss dem in der Politik, in den Medien, z.T. aber auch in der Wissenschaft so beliebten Steuersatzvergleich mit der gebotenen Vorsicht begegnet werden. In diesem Lernprozess leistet auf wissenschaftlicher Ebene die Steuerrechtsvergleichung eine sehr wichtige Hilfestellung. Frau Prof. Djanani hat dazu europaweit ganz maßgebliche Beiträge geleistet!
35
Vgl. diesbezüglich jüngst R. Beiser/Th. Kühbacher, Ertragsteuern in Spannungsfeld der Grundfreiheiten des EG-Vertrages, in: G. Roth/P. Hilpold, Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten, Linde-Verlag u.a.: Wien u.a. 2008, S. 103 ff.
Internationale Steuerarbitrage
Georg Kofler und Herbert Kofler
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Einleitung und Problemstellung ..................................................................... 382
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Kernbereiche internationaler Steuerarbitrage ............................................. 388
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Steuerpolitische Aspekte internationaler Steuerarbitrage........................... 396
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Resümee ............................................................................................................ 403
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Georg Kofler, Herbert Kofler
1 Einleitung und Problemstellung Selbst in globalisierten und teilweise hochintegrierten Märkten differieren die einzelnen nationalen Steuersysteme. Diese Unterschiede können zu Situationen führen, in denen grenzüberschreitend tätige Steuerpflichtige in solider Übereinstimmung mit den Vorschriften der verschiedenen Staaten agieren, aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Tatbestände und Rechtsfolgen aber steuerliche Vorteile erlangen, die bei rein nationaler Tätigkeit nicht zur Verfügung stehen.1 Wenngleich die Definitionen einer derartigen „internationalen Steuerarbitrage“ im Detail variieren,2 entsteht sie im Wesentlichen, „wenn dieselbe Transaktion in zwei oder mehr Steuerrechtsordnungen einer unterschiedlichen Besteuerung unterworfen wird“.3 Die steuerplanerische Nutzung dieser Divergenzen wird zwar bisweilen als „aggressive Steuerplanung“ charakterisiert,4 unterscheidet sich aber dennoch konzeptionell klar sowohl vom Ausnutzen eines (unfairen) Steuerwettbewerbs als auch von missbräuch1
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Siehe auch die Begründung zu § 138a Abs 2 AO des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007), abrufbar unter http://rsw.beck.de/rsw/upload/FDMA/ StGestAnzPflG_RefEntw.pdf, bzw die Empfehlungen der Ausschüsse zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008), BR-Drs 544/1/07, S. 76: „Diese Situation kann von dem Steuerpflichtigen zu einer ganzen oder teilweisen Nichtbesteuerung genutzt werden – ein Vorteil, der bei Durchführung dieser Transaktion in nur einer Steuerrechtsordnung nicht bestehen würde“. Die erste Definition dieses Phänomens erfolgte – soweit ersichtlich – durch Philip R. West (Foreign Law in U.S. International Taxation: The Search for Standards, 3 Florida Tax Review 1996, S. 147, S. 171), der auf Inkonsistenzen in der steuerlichen Behandlung von Sachverhalten hinwies und darauf basierend „cross-border tax arbitrage“ folgendermaßen umschrieb: „Where this inconsistent treatment produces tax benefits that would not be available if the transaction or item were treated consistently, it may be referred to as cross-border tax arbitrage“. Nachfolgend hat H. David Rosenbloom (International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 142 f) internationale Steuerarbtrage als „taking advantage of differences among country tax systems, usually differences in addressing a common question”, mit dem Resultat wirtschaftlicher Vorteile „beyond those that any single country having an interest in the transaction or situation would accord if the transaction or situation did not have a cross-border element“, charakterisiert. Mit einem gewissen Fokus auf die steuerplanerische Nutzung dieser Unterschiede definiert Reuven S. Avi-Yonah (Comment, 53 Tax Law Review 2000, S. 167) Steuerarbitrage als „exploiting differences between the tax systems of two different jurisdictions to minimize the taxes paid to either or both“. Für umfassende definitorische Untersuchungen siehe zB Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 85 ff, und Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 96 ff. Zur Abgrenzung von der (wirtschaftlichen) Arbitrage siehe zB Shaviro, D., Money on the Table?: Responding to CrossBorder Tax Arbitrage, 3 Chicago Journal of International Law 2002, S. 317, S. 321 ff; Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 101 ff. Siehe die Begründung zu § 138a Abs 2 AO des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007) sowie BR-Drs 544/1/07, S. 76. Siehe für eine Übersicht Steiner, G., Aggressive Steuerplanung – oder wo das Geld hinfließt, SWI 2007, S. 308 ff.
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lichen Gestaltungen.5 Während sich missbräuchliche Gestaltungen oftmals in den Grenzbereichen des gesatzten Rechts bewegen und – bisweilen ohne echte wirtschaftliche Substanz – „Schlupflöcher“ oder Ungenauigkeiten im Regelungssystem nutzen, beruht der mögliche Steuervorteil aufgrund reiner internationaler Steuerarbitrage gerade auf der Nutzbarmachung von Unterschieden im Rahmen „echter“ Wirtschaftsvorgänge bei gleichzeitiger und solider Übereinstimmung mit den Vorschriften der beteiligten Jurisdiktionen. Und im Gegensatz zum Steuerwettbewerb tritt internationale Steuerarbitrage gerade auch dann auf, wenn die involvierten Staaten komplexe Steuersysteme unterhalten, sind doch lediglich die Unterschiede zwischen den Steuersystemen, nicht aber deren Regelungsinhalt6 oder gar traditionelle Kategorien des Wettbewerbs (zB Steuersätze, Sonderregime etc) relevant;7 umgekehrt lassen sich auch die normativen Argumente zu Gunsten des Steuerwettbewerbs – etwa die Effizienzsteigerung oder die optimale Bedürfnisbefriedigung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen im Tiebout-Modell – nicht gleichermaßen auf das Phänomen der internationalen Steuerarbitrage übertragen. Hinzu tritt schließlich, dass internationale Steuerarbitrage – im Gegensatz zu wirtschaftlicher Arbitrage – nicht durch die Kräfte des Marktes beseitigt, sondern bis zum Gleichgewicht von marginalem Steuervorteil und marginaler Nicht-Steuerkosten geradezu gefördert wird.8 Die Erscheinungsformen – und steuerplanerischen Nutzungsmöglichkeiten9 – internationaler Steuerarbitrage sind daher ebenso vielfältig wie die unterschiedlich definierten Steuervorteile (zB Verlustverwertung, beschleunigte Abschreibung, Abzug von Zinszahlungen, Schachtelprivilegien etc), die in den beteiligten Steuerrechtsordnungen be-
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Vgl nur Boyle, M., Cross-Border Tax Arbitrage – Policy Choices and Political Motivations, British Tax Review 2005, S. 527, S. 528. Für eine Analogie zwischen Preisindifferenz im Falle wirtschaftlicher Arbitrage und Regelindifferenz im Falle internationaler Steuerarbitrage siehe vor allem Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 109 ff. Für einen umfassenden Vergleich zwischen Steuerwettbewerb und internationaler Steuerarbitrage und möglichen Lösungsvorschlägen siehe zB Edgar, T., Corporate Income Tax Coordination as a Response to International Tax Competition and International Tax Arbitrage, 51 Canadian Tax Journal 2003, S. 1079 ff. Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 106 ff; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 565 ff. Internationale Steuerarbitrage wurde sogar als das „tax planning of the future“ bezeichnet; siehe Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 166.
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stehen.10 Steuerarbitrage bietet Steuerpflichtigen die – durchaus elegante – Möglichkeit zur Reduktion ihrer weltweiten Steuerlast ohne signifikante Änderungen in der Struktur oder Lokalisierung ihrer wirtschaftlichen Operationen. Vor einer geschickten und mit wirtschaftlicher Substanz erfolgenden Nutzbarmachung bestehender Unterschiede sind auch Staaten mit sophistizierten Steuersystemen nicht immun, zumal Arbitrage weder auf der Einschaltung von Niedrigsteuerregimen beruht, noch unter dem Gesichtspunkt missbräuchlicher Steuerplanung auf Bedenken stoßen sollte.11 Steuerarbitrage kann vielmehr „zulässigerweise die Möglichkeiten nutzen, die sich aus dem fairen Steuerwettbewerb der Staaten ergeben“.12 Internationale Steuerarbitrage tritt daher a prima vista als natürliches Nebenprodukt nicht harmonisierter oder koordinierter Steuersysteme in globalisierten Märkten auf,13 wobei selbst relativ kleine Unterschiede substantielle Arbitragemöglichkeiten bieten können.14 Diese entstehen beispielsweise dadurch, dass ein Steuersubjekt in mehreren Staaten als unbeschränkt steuerpflichtig angesehen wird (zB doppelte Konsolidierung von Verlusten),15 dass Zahlungen in mehreren Jurisdiktionen unterschiedlich eingeordnet werden (zB Unterschiede in der Qualifikation als Eigen- oder Fremdkapital und der entsprechenden Zahlungsströme),16 dass Gesellschaften in verschiedenen Jurisdiktionen unterschiedlich charakterisiert werden (zB Umqualifikation von Zahlungsströmen durch Einschaltung hybrider Ge-
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Für eine Auflistung möglicher Arbitragesituationen siehe auch § 138 Abs 2 des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007) sowie die Erläuterungen in BR-Drs 544/1/07, S. 77 f. Siehe zB Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 143: „The beauty of international tax arbitrage, when practiced most skillfully, is that none of the objections to agressive or abusive tax planning should apply anywhere because, from the vantage point of any single country, there is neither aggressiveness nor abuse“. Siehe auch Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 87 f; Krahmal, A., International Hybrid Instruments: Jurisdiction Dependent Characterization, 5 Houston Business and Tax Law Journal 2005, S. 98, S. 119; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 590 ff. Siehe die Begründung zu § 138a Abs 2 AO des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007), sowie BR-Drs 544/1/07, S. 76. So der frühere U.S. Treasury International Tax Counsel, Hal Hicks, wonach international Steuerarbitrage „a natural byproduct of the global economy interacting with disparate tax systems“ sei; zitiert nach Stratton, S., Tax Arbitrage not Inherently ‘Evil,’ Treasury Offical Says, 41 Tax Notes International, Jan. 23, 2006, S. 271. Siehe zB die ausführliche Untersuchung zur divergierenden Behandlung des Disagios in den USA und Japan bei Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 90 ff; für eine Diskussion der Relevanz des Ausmaßes bestehender Unterschiede vgl auch Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 97 ff Dazu Kapitel 2.2.1. Dazu Kapitel 2.2.2.
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sellschaften),17 oder dass Wirtschaftsgüter aufgrund unterschiedlicher Zuordnungskonzepte in mehreren Jurisdiktionen berücksichtigt werden (zB „Double-Dip-Leases“).18 Im weiteren Sinne lassen sich auch die divergierende Auslegung von Abkommensvorschriften19 oder die unterschiedliche Anwendung von Verrechnungspreisgrundsätzen20 hiezu rechnen. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten ist das Phänomen der internationalen Steuerarbitrage vermehrt in den Fokus sowohl der Wissenschaft21 als auch der nationalen Steuerverwaltungen und Gesetzgeber gerückt. Unklar ist freilich nach wie vor, ob bzw in welchen Situationen internationale Steuerarbitrage konzeptionell überhaupt als (steuerpolitisches) Problem anzusehen ist.22 So wirft sich bereits am Ausgangspunkt die – berechtigte – Frage auf, auf Basis welcher steuerpolitischen Überlegungen ein Staat darüber besorgt sein sollte, dass ein Steuerpflichtiger oder eine nahestehende Person steuerliche Vorteile in einem anderen Staat genießt.23 Einer möglichen Unbedenklichkeitsbescheinigung für internationale Steuerarbitrage werden allerdings verschiedene Überlegungen entgegengehalten, die von der Annahme eines Prinzips der Einmalbe-
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Dazu Kapitel 2.2.3. Dazu Kapitel 2.2.4. In diesem Sinne § 138 Abs 2 Nr 5 des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007). Siehe dazu etwa Rosenbloom, H. D., Arbitrage and Transfer Pricing, in 2000 World Tax Report. Report of the Proceedings of the First World Tax Conference: Taxes Without Borders, hrsg. von der Canadian Tax Foundation, Toronto 2000, S. 35:1 ff, und aus volkswirtschaftlicher Sicht Choe, C./Hyde, C. E., Multinational Transfer Pricing, Tax Arbitrage and the Arm’s Length Principle, 83 Economic Record 2007, S. 398 ff. Siehe insb West, P. R., Foreign Law in U.S. International Taxation: The Search for Standards, 3 Florida Tax Review 1996, S. 147; Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137; Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139; Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79; Shaviro, D., Money on the Table?: Responding to Cross-Border Tax Arbitrage, 3 Chicago Journal of International Law 2002, S. 317; Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89; Shaviro, D. N., More Revenues, Less Distortion? Responding to Cross-Border Tax Arbitrage, 1 NYU Journal of Law and Business 2004, S. 113; Boyle, M., Cross-Border Tax Arbitrage – Policy Choices and Political Motivations, British Tax Review 2005, S. 527; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555; Avi-Yonah, R. S., Tax Competition, Tax Arbitrage, and the International Tax Regime, Bulletin for International Taxation 2007, S. 130 = Public Law and Legal Theory Working Paper Series, Working Paper No. 73 (January 2007); siehe auch Dell’Anese, L., Tax Arbitrage and the Changing Structure of International Tax Law, Mailand 2006. Dazu Kapitel 3. Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137 ff, insb S. 147 und S. 154; siehe auch West, P. R., Foreign Law in U.S. International Taxation: The Search for Standards, 3 Florida Tax Review 1996, S. 147, S. 171 ff.
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steuerung als Baustein eines „internationalen Steuerregimes“ über Argumente der Effizienz und Gerechtigkeit bis zu staatlichen Fiskalinteressen rangieren.24 In der Rechtswirklichkeit ist die Reaktion der Staaten und internationalen Organisationen auf das Phänomen der internationalen Steuerarbitrage beschränkt, inkonsistent und keineswegs international koordiniert.25 Lediglich punktuell haben einige Staaten einzelne Arbitragevorgänge einer gesetzlichen Regelung zugeführt, freilich zumeist ohne gleichermaßen die negativen Effekte divergierender Steuersysteme und daraus resultierende Doppelbesteuerungseffekte systematisch einzubeziehen.26 So erfolgte etwa in den USA bereits 1986 – freilich primär aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen27 – eine legislative Reaktion auf die mögliche Verlustverwertung in zwei Jurisdiktionen durch die Einschaltung doppelt ansässiger Gesellschaften;28 andere Staaten sind diesem Beispiel gefolgt.29 Erst in der jüngeren Vergangenheit ist überdies die Ausnutzung von Qualifikations- und Zurechnungskonflikten – etwa im Falle hybrider Gesellschaften – in das Blickfeld gerückt und hat zu unilateralen Gegenmaßnahmen geführt;30 andere Varianten internationaler Steuerarbitrage scheinen demgegenüber hingenommen zu werden.31 Allerdings wird bzw wurde in mehreren 24 25
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Siehe dazu unten Kapitel 3.2. Zur Koordinierung einzelstaatlicher Maßnahmen finden sich lediglich vereinzelt – wenig befriedigende – Ansätze in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen. Siehe etwa zur Behandlung hybrider und doppelansässiger Gesellschaften im DBA zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich zB West, P. R., Highlights of the New U.S.-U.K. Tax Treaty, 92 Tax Notes, July 30, 2001, S. 663, S. 666. Für den Ansatz der OECD zu Doppelbesteuerungseffekten bei hybriden Gesellschaften siehe aber OECD, The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, Issues in International Taxation No. 6, 1999, sowie Art 23 Tz 32.1 ff OECD-MK. Zu den Überlegungen im Hinblick auf den möglichen Wettbewerbsvorteil ausländischer Unternehmen siehe etwa Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 144, und Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 144 ff. Siehe § 1503(d) Internal Revenue Code (IRC), und dazu unten Kapitel 2.2.1. Für das Vereinigte Königreich siehe § 404 Income and Corporate Tax Act und dazu beispielsweise Hardy, D. R., A Company Without a Country: The Dual Consolidated Loss Regime, 84 Tax Notes, Aug. 2, 1999, S. 747, S. 756; für Deutschland siehe § 14 Abs 1 Nr. 5 KStG und dazu beispielsweise Bogenschuetz, E./Wright, K., Change Begets More Change: The Permanent German Tax Reform, 25 Tax Notes International, Mar. 11, 2002, S. 1125, S. 1132 f. Siehe unten Kapitel 2.2.2. und 2.2.3. Zum Vorschlag einer weitreichenden Autorisierung der USFinanzverwaltung zum Ergreifen von Maßnahmen gegen hybride Gesellschaften und Transaktionen siehe Treasury Department’s General Explanations of the Clinton Administration’s Revenue Proposals for Fiscal Year 1999 (Feb. 2, 1998), S. 144 ff, abrufbar unter http://www.treas.gov/ offices/tax-policy/library/grnbk98.pdf. Siehe auch Sheppard, L., Cross-Border Tax Arbitrage, ‘Hybridity,’ Mules, and Hinnies, 16 Tax Notes International, Feb. 23, 1998, S. 579, S. 581; Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 144.
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Staaten die Einführung von Meldepflichten im Hinblick auf Arbitragetransaktionen überlegt,32 wenngleich diese Maßnahmen keine unmittelbaren materiellsteuerrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen würden.33 Vielmehr sollte es der Finanzverwaltung dadurch ermöglicht werden, „legale, jedoch unerwünschte Gestaltungen früher als bisher [zu] erkennen und entsprechende Maßnahmen auf Verwaltungsebene [zu] ergreifen oder Maßnahmen gesetzgeberischer Art“ anzuregen.34 Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Phänomen der internationalen Steuerarbitrage mehr und mehr in den Fokus der nationalen Gesetzgeber rückt und Staaten wie die USA,35 das Vereinigte Königreich36 oder Australien37 Vorreiterrollen übernommen haben; vor allem dem Joint International Tax Shelter Information Centre (JITSIC) dieser drei Staaten und Kanada wird in diesem Bereich erhebliche Bedeutung zugeschrieben.38 Überdies bleibt abzuwarten, ob internationale Steuerarbitrage aufgrund ihrer in der Praxis offenbar bisweilen bestehenden Nähe zu missbräuchlichen Gestaltungen oder gar zur
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So der deutsche Gesetzesentwurf zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007) sowie BR-Drs 544/1/07, S. 64 ff, der bei gewissen Arbitragevorgängen, die zur Vermeidung oder zum Aufschub deutscher Ertragsbesteuerung oder der Schaffung von Ansprüchen auf Steuererstattung oder Steueranrechnung führen, eine strafbewehrte Anzeigepflicht des „Vermarkters“ vorsah. Dieser Vorschlag ist aber letztlich nicht in das Jahressteuergesetz 2008 (dBGBl 2007 I S. 3150) aufgenommen worden. Vgl dazu etwa Kessler, W./Eicke, R., Anzeigepflicht für Steuergestaltungen nach § 138a AO durch das JStG 2008 – Transparente Perspektiven für die Finanzverwaltung, BB 2007, S. 2370 ff, sowie Eckhardt, Th., Germany to Strengthen Avoidance Rules, 47 Tax Notes International, Aug. 20, 2007, S. 709, S. 710 f, Ehlermann, Ch./Nakhai, K., Germany Launches Attack on Tax Planning Structures, 47 Tax Notes International, July 23, 2007, S. 316, S. 317 ff, und Kessler, W./Eicke, R., Legal but Unwanted: The German Tax Planning Disclosure Draft, 48 Tax Notes International, Nov. 5, 2007, S. 577 ff. Für einen vergleichbaren, mittlerweile aber zurückgezogenen Vorschlag in Frankreich siehe West, P. R., Antiabuse Rules and Policy: Coherence or Tower of Babel? 49 Tax Notes International, Mar. 31, 2008, S. 1161 ff. Für einen Rechtsvergleich im Hinblick auf die – eher auf missbräuchliche Gestaltungen ausgerichteten – Anzeigepflichten in den USA und im Vereinigten Königreich siehe Kessler, W./Eicke, R., Anzeigepflicht für Steuergestaltungen nach § 138a AO durch das JStG 2008 – Transparente Perspektiven für die Finanzverwaltung, BB 2007, S. 2370, S. 2375 ff. In den USA wurde das Vorliegen von Steuerarbitrage als ein mögliches Kriterium für die Offenlegungspflicht hinsichtlich gewisser „Tax Shelter“-Transaktionen erwogen; siehe Treas. Reg. § 1.6011-4T(b)(3)(F). Siehe die Begründung zu § 138a AO des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007), und BR-Drs 544/1/07, S. 69. Für Analysen siehe die Nachweise in Fußnote 21. Siehe etwa Boyle, M., Cross-Border Tax Arbitrage – Policy Choices and Political Motivations, British Tax Review 2005, S. 52 ff. Für eine Übersicht siehe etwa King, A./McCartin, P., Developments in Cross Border Financial Transactions – Australian Tax Office Perspective, abrufbar unter http://www.ato.gov.au/content/ downloads/NTLG_00100255_Cross_Border.pdf. Siehe abermals Boyle, M., Cross-Border Tax Arbitrage – Policy Choices and Political Motivations, British Tax Review 2005, S. 52, S. 533 ff, sowie Nutt, A., IRS, U.K. Revue Sharing Info on Abusive Tax Arbitrage, 44 Tax Notes International, Dec. 11, 2006, S. 844.
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Steuerhinterziehung vermehrt in das Blickfeld internationaler Bemühungen innerhalb der OECD rückt.39 Eine umfassende Untersuchung des Phänomens der internationalen Steuerarbitrage vermag dieser Beitrag nicht zu leisten. Vielmehr sollen die kurze Charakterisierung der traditionellen Kernbereiche internationaler Steuerarbitrage (Kapitel 2) und die Überlegungen zu den steuerpolitischen Implikationen sowie möglichen Handlungsalternativen (Kapitel 3) auf Basis der weitgediehenen Überlegungen in den USA einen Anstoß zur weiteren wissenschaftlichen Diskussion dieser Thematik im deutschen Sprachraum bieten. Vorauszuschicken bleibt freilich, dass – selbst wenn man internationale Steuerarbitrage als aufzugreifendes Problem erachtet – generelle Lösungen wohl nur schwer zu finden sein werden.40
2 Kernbereiche internationaler Steuerarbitrage 2.1 Doppelt ansässige Gesellschaften Steuerarbitrage durch doppelt ansässige Gesellschaften beruht zunächst auf dem Umstand, dass Staaten oftmals unterschiedliche Kriterien für die steuerliche Ansässigkeit einer Gesellschaft vorsehen (zB Inkorporation, Ort der Geschäftsleitung, Kontrolle). Aus einer doppelten Ansässigkeit auf Basis dieser divergierenden Kriterien kann freilich auch die doppelte Berücksichtigung von Vorteilen in zwei Staaten resultieren.41 Der typische „Double-Dip Effekt“ entsteht vor allem dadurch, dass Verluste einer doppelt ansässigen Gesellschaft durch Einbeziehung dieser Gesellschaft in die Gruppenbesteuerung bzw Konsolidierung zweier Staaten in beiden Staaten das Einkommen der jeweiligen Gruppe und damit auch die Steuerbelastung in beiden Staaten mindert
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Siehe diesbezüglich vor allem die „Seoul Declaration“ (Sept. 2006) und das nachfolgende „Cape Town Communiqué“ (Jan. 2008), abrufbar unter www.oecd.org. Entsprechend zurückhaltend äußerte sich auch der deutsche Gesetzesentwurf zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen hinsichtlich möglicher steuerpolitischer Implikationen internationaler Steuerarbitrage: „Inwieweit auf Steuerarbitrage steuerpolitisch reagiert werden soll, hängt von dem Gewicht ab, das den verschiedenen Faktoren beigelegt wird, z.B. Herstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, Aufkommenswirksamkeit der Steuergestaltung usw“. Siehe die Begründung zu § 138a Abs 2 AO des Gesetzesentwurfs zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen (Stand: 25. 6. 2007) sowie BR-Drs 544/1/07, S. 77. Gerade auch aufgrund der Auswirkungen der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit auf das nationale Gesellschaftsrecht werden doppelt ansässige Gesellschaften in der EU in Zukunft ein zunehmendes Phänomen werden; siehe zuletzt auch die Schlussanträge GA Poaires Maduro 22. 5. 2008, C-210/06, Cartesio Oktató és Szolgáltató bt.
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(sog „Dual Consolidated Loss“);42 ähnliche Situationen können auch aufgrund einer doppelten Zuordnung von Aufwendungen in Betriebsstättensituationen entstehen. Explizite gesetzgeberische Reaktionen auf die Gefahr einer doppelten Verlustverwertung durch doppelt ansässige Gesellschaften finden sich beispielsweise in den USA, dem Vereinigten Königreich und Deutschland.43 Bereits in den 1980er Jahren hat der amerikanische Gesetzgeber im Tax Reform Act 1986 ein „Dual Consolidated Loss Regime“ in § 1503(d) des Internal Revenue Code (IRC) als Reaktion auf die spezifischen Bedenken geschaffen, dass UK-Unternehmen durch eine doppelt ansässige Finanzierungsstruktur einen kompetitiven Vorteil im Hinblick auf die Übernahme von US-Unternehmen erlangen könnten.44 Die Grundstruktur lief darauf hinaus, dass der UK-Übernehmer für die Zwecke der Akquisition eine Tochtergesellschaft in den USA inkorporieren würde, die nicht nur auf Basis der Inkorporation gem § 7701(a)(4) IRC in den USA, sondern auf Basis des britischen „Management and Control“-Tests auch im Vereinigten Königreich ansässig wäre. Die Tochtergesellschaft würde sodann den Erwerb fremdfinanzieren und aufgrund der Zinsaufwendungen einen Verlust erwirtschaften. Nach damaligem Recht konnte die doppelt ansässige Gesellschaft sowohl in die amerikanische Konsolidierung mit der übernommenen Gesellschaft einbezogen werden, als auch konnte die doppelt ansässige Gesellschaft nach den britischen Group Relief-Bestimmungen ihren Verlust an die britische Muttergesellschaft übertragen. Die Zinsaufwendungen wirkten sich dementsprechend in beiden Jurisdiktionen einkünftemindernd aus. Die USA haben 1986 auf derartige Strukturen – sowohl für Inbound- wie auch für Outbound-Strukturen – in § 1503(d) IRC ein Regelungswerk geschaffen, das eine doppelte Verlustverwertung durch doppelansässige Gesellschaften unterbinden soll; dieses Regime wurde 1988 auf
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Dazu Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137 ff, S. 144 ff; Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 141 f; Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 95 ff; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 561 f. Siehe auch die Beiträge in Hausmann, R./van Raad, K./Raupach, A./Veelken, W. (Hrsg), Steuergestaltung durch doppelt ansässige Gesellschaften?, München 1988, sowie Ebert, S., Der Ort der Geschäftsleitung in internationalen Holding-Konzernstrukturen, IStR 2005, 534 ff. Für eine rechtsvergleichende Übersicht siehe zB Hardy, D. R., A Company Without a Country: The Dual Consolidated Loss Regime, 84 Tax Notes, Aug. 2, 1999, S. 747 ff. Siehe zB S. Rep. No. 99-313, S. 420 (1986), und dazu auch Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 144 ff, und Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 144.
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Betriebsstätten ausgedehnt.45 Solche Verluste können nur dann für Zwecke des USSteuerrechts verwertet werden, wenn der Steuerpflichtige verbindlich zusichert, dass kein Teil des Verlusts im Ausland verwertet werden wird; selbst diese Einfachverwertung wird auf Basis der sog „Mirror Legislation“-Bestimmung46 aber dann versagt, wenn der andere Staat vergleichbare Regeln implementiert hat, zumal es aus US-Sicht als unerwünscht angesehen wurde, dass der Aufkommenseffekt aus der gesetzgeberischen Attacke auf doppelt ansässige Strukturen ausschließlich dem ausländischen Fiskus zu Gute kommen sollte.47 Spezifische Probleme werfen sich daher in jenen Situationen auf, in denen andere Staaten ähnliche Regime implementiert haben, wie zB das Vereinigte Königreich in § 404 Income and Corporate Tax Act48 oder Deutschland in § 14 Abs 1 Nr. 5 KStG.49 Hier kann es dazu kommen, dass der Verlust einer doppelansässigen Gesellschaft oder einer Betriebsstätte in keinem der beteiligten Staaten Berücksichtigung finden kann – ein Ergebnis, das zumindest in Betriebsstättensituationen dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen zuwiderlaufen würde. Zur Vermeidung einer solchen Situation haben sich unlängst die USA und das Vereinigte Königreich auf eine generelle Lösung zur Einmalberücksichtigung von Betriebsstättenverlusten verständigt.50
2.2 Hybride Finanzinstrumente Internationale Steuerarbitrage durch hybride Finanzinstrumente beruht auf der unterschiedlichen Qualifikation dieser Instrumente durch die beteiligten Jurisdiktionen (Eigen- bzw Fremdkapital) mit der typischen Konsequenz, dass Zahlungen in mehreren Steuerrechtsordnungen unterschiedlich eingeordnet werden; während eine Jurisdiktion die Zahlungen als Dividenden betrachtet und allenfalls eine Begünstigung (zB Schach45
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§ 1503(d)(3) IRC; siehe dazu im Detail zB Hardy, D. R., A Company Without a Country: The Dual Consolidated Loss Regime, 84 Tax Notes, Aug. 2, 1999, S. 747 ff, insb S. 757 ff, sowie Blessing, P., The U.S. Dual Consolidated Loss Rules: An Analysis and Reappraisal, Der Konzern 2003, S. 113 ff und S. 203 ff. Treas. Reg. § §1.1503-2(c)(15)(iv) bzw nunmehr Treas. Reg. 1.1503(d)-3(e)(1)(i-iii). Siehe etwa Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 153 f. Vgl zB Hardy, D. R., A Company Without a Country: The Dual Consolidated Loss Regime, 84 Tax Notes, Aug. 2, 1999, S. 747, S. 756. Vgl zB Bogenschuetz, E./Wright, K., Change Begets More Change: The Permanent German Tax Reform, 25 Tax Notes International, Mar. 11, 2002, S. 1125, S. 1132 f. Siehe das United Kingdom/United States Dual Consolidated Loss Competent Authority Agreement, abrufbar unter http://www.irs.gov/pub/irs-utl/uk_competent_authority_agreement_10_5_ 06.pdf, und den Bericht von Cussons, P., Competent Authority Agreement – UK/US Dual Consolidated Loss, British Tax Review 2007, S. 6 ff.
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telprivileg, indirektes Anrechnungsguthaben) gewährt, qualifiziert sie die andere als abzugsfähige Zinszahlungen.51 Die Reaktionen auf derartige Varianten der internationalen Steuerarbitrage sind unterschiedlich,52 eine international akzeptierte Lösung ist nicht ersichtlich. In diese Kategorie lässt sich im weitesten Sinne auch die divergierende Behandlung im Hinblick auf die zeitliche Erfassung von Einkünften rechnen. Lässt beispielsweise der Staat des Schuldners den ratierlichen Betriebsausgabenabzug für wirtschaftlich aufgelaufene Zinsen bei einer Nullkuponanleihe oder einer Anleihe mit Disagio zu, während der Staat des Gläubigers diese Zinsen erst bei Zahlung besteuert, ist eine Situation für (zeitliche) Steuerarbitrage geschaffen.53
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Für eine umfassende Diskussion siehe vor allem Duncan, J. A., Generalbericht, in: Tax treatment of hybrid financial instruments in cross-border transactions, CDFI 85a, hrsg. von der International Fiscal Association, 2000, S. 51 ff, sowie Krahmal, A., International Hybrid Instruments: Jurisdiction Dependent Characterization, 5 Houston Business and Tax Law Journal 2005, S. 98 ff; siehe auch Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 142; Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 148; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 563. In Deutschland wird das Entstehen „weißer Einkünfte“ durch eine Versagung des – innerstaatlichen und abkommensrechtlichen – Schachtelprivilegs durch § 8b Abs 1 Satz 2 und 3 KStG in Abhängigkeit von der Einkünftewirkung bei der leistenden Körperschaft verhindert (vgl Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1697, S. 1701 f). In den Niederlanden wird das Schachtelprivileg nur für jene Zinszahlungen auf unilateral als Eigenkapitalfinanzierung qualifizierte Fremdfinanzierung gewährt, für die bescheinigt wird, dass die Zinszahlungen auf dieses Darlehen im Land des Darlehensnehmers steuerlich nicht abzugsfähig sind (siehe Galavazi, H., Niederlande: Steuerrechtliche Änderungen beim Schachtelprivileg, Regelungen über hybride Darlehen und weitere Eckpunkte im Tax Plan 2002-II, IStR 2002, S. 12, S. 14). Dänemark nimmt unter gewissen Voraussetzungen in Abhängigkeit von der Behandlung eines hybriden Finanzinstruments nach ausländischem Recht eine unilaterale Umqualifikation von Fremd- in Eigenkapital vor (siehe Bundgaard, J., Cross-Border Tax Arbitrage Using Inbound Hybrid Financial Instruments Curbed in Denmark by Unilateral Reclassification of Debt into Equity, Bulletin for International Taxation 2008, S. 33 ff). Für die australischen Maßnahmen gegen internationale Steuerarbitrage siehe vor allem King, A./McCartin, P., Developments in Cross Border Financial Transactions – Australian Tax Office Perspective, abrufbar unter http://www.ato.gov.au/content/downloads/NTLG_00100255_Cross_Border.pdf, und für die Bedeutung der britischen Anti-Abritrageregeln im Hinblick auf Zinszahlungen siehe Devereux, M. P./Mokkas, S./Pennock, J./Wharrad, P., Interest Deductibility for UK Corporation Tax, Oxford University Centre for Business Taxation, December 2006, S. 20 f. Siehe zB die ausführliche Untersuchung zur divergierenden Behandlung des Disagios in den USA und Japan bei Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 90 ff; zur Einschränkung der Abzugsfähigkeit wirtschaftlich aufgelaufener, aber nicht bezahlter Zinsen in den USA im Verhältnis zu nahestehenden Personen siehe aber § 163(e)(3) IRC.
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2.3 Hybride Gesellschaften Von einer hybriden Gesellschaft spricht man, wenn eine Körperschaft oder Personenvereinigung in der einen Steuerrechtsordnung als Steuersubjekt und in der anderen nicht als Steuersubjekt qualifiziert wird.54 Derartige Gebilde sind seit jeher – vor allem aber seit der Einführung des „Check-the-Box-Regimes“55 in den USA und ähnlicher Optionsmöglichkeiten in anderen Staaten56 – die Quelle zahlreicher Arbitragemöglichkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Umqualifikation von Zahlungsströmen.57 Gerade die Ausnutzung von Zurechnungskonflikten im Falle hybrider Gesellschaften ist in jüngerer Zeit in das Blickfeld der nationalen Gesetzgeber gerückt und hat zu Gegenmaßnahmen zB in den USA,58 dem Vereinigten Königreich59 und Deutschland60 geführt; auch auf Ebene der OECD wurde im Rahmen des Partnership Reports und der nachfolgenden Änderungen des OECD-MA und des OECD-MK die Problematik hybrider Gesellschaften explizit aufgegriffen.61
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Eine Übersicht zu deutsch-amerikanischen Strukturen findet sich bei Djanani, Ch./Brähler, G., Internationale Steuerplanung durch Ausnutzung von Qualfikationskonflikten – dargestellt am Verhältnis Deutschland-USA, StuW 2007, S. 53 ff. Treas. Reg. §§ 301.7701-2, -3. Siehe dazu Kessler, W./Eicke, R., Anzeigepflicht für Steuergestaltungen nach § 138a AO durch das JStG 2008 – Transparente Perspektiven für die Finanzverwaltung, BB 2007, S. 2370, S. 2373. Dazu zB Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 96 ff; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 562 f § 894(c) IRC und Treas. Reg. § 1.894 (Einschränkung von DBA-Vorteilen); siehe auch Notice 9811 (1998-6 I.R.B. 18) betreffend Planungstechniken mit hybriden Gesellschaften zur Vermeidung der Hinzurechnungsbesteuerung, zurückgezogen durch Notice 98-35 (1998-27 I.R.B. 35), und dazu etwa Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 143 f. Siehe zu den britischen Anti-Arbitrage-Regelungen betreffend „Double Dips“ etwa Elphicke, Ch., The Proposed U.K. ‘Tax Arbitrage’ Legislation, 39 Tax Notes International, Aug. 15, 2005, S. 623 f; Ball, S., Finance (No.2) Act Notes: Arbitrage – Sections 24-31 and Schedule 3, British Tax Review 2005, S. 491 ff; Boyle, M., Cross-Border Tax Arbitrage – Policy Choices and Political Motivations, British Tax Review 2005, S. 527 ff; vgl auch West, P. R., Antiabuse Rules and Policy: Coherence or Tower of Babel? 49 Tax Notes International, Mar. 31, 2008, S. 1161 ff. Siehe den durch das Jahressteuergesetz 2007 (BGBl 2006 I S. 2878) eingefügten § 50d Abs 9 dEStG, wonach im Falle gewisser Qualifikationskonflikte die Freistellung von Einkünften auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen ausgeschlossen wird, wenn die Einkünfte im anderen Staat nicht besteuert werden; siehe dazu auch die auf den Arbeiten der OECD basierende Begründung in BT-Drs 16/2712, S. 61 ff, und die Analyse bei Vogel, K., Neue Gesetzgebung zur DBAFreistellung, IStR 2007, S. 225 ff, und Dallwitz, H./Mattern, O./Schnitger, A., Beeinträchtigung grenzüberschreitender Finanzierung durch das JStG 2007, DStR 2007, S. 1697 ff. Für den Ansatz der OECD zur Doppelbesteuerungseffekten bei hybriden Gesellschaften siehe OECD, The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, Issues in International Taxation No. 6, 1999, sowie Art 23A Abs 4 OECD-MA und Art 23 Tz 32.1 ff OECD-MK.
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So hat beispielsweise der amerikanische Gesetzgeber im Taxpayer Relief Act 1997 durch Einfügung des § 894(c) IRC auf eine Form der internationalen Steuerarbitrage reagiert, bei der ausländische (insb kanadische) Unternehmen durch die Einschaltung einer hybriden Gesellschaft Wettbewerbsvorteile in der Finanzierung ihrer Tochtergesellschaften in den USA lukrieren konnten. Kanadische multinationale Unternehmen hatten ihre US-Tochtergesellschaften über eine US Limited Liability Company (LLC) finanziert, indem Eigenkapital an die LLC übertragen und dieses als Fremdkapital an die US-Tochtergesellschaft weitergeleitet wurde. Nach den Qualifikationsvorschriften der beteiligten Jurisdiktionen wurde die LLC für US-Zwecke als steuertransparentes Gebilde, für kanadische Zwecke hingegen als steuerpflichtige Gesellschaft qualifiziert. Die Zinszahlungen der US-Tochtergesellschaft an die LLC wurden daher aus amerikanischer Sicht als abzugsfähige Zinszahlungen an die kanadische Muttergesellschaft gewertet, die lediglich einer abkommensrechtlich auf 10% reduzierten Quellensteuer unterlagen, während aus kanadischer Sicht ein Dividendenfluss von der LLC an die kanadische Muttergesellschaft vorlag, der in Kanada nicht besteuert wurde.62 Die Einfügung des § 894(c) IRC sollte derartige Strukturen dadurch verhindern, dass Abkommensvorteile dann versagt werden, wenn – vereinfacht – aus US-Sicht der Empfänger von der anderen Jurisdiktion nicht als Zurechnungssubjekt angesehen wird, die andere Jurisdiktion das fragliche Einkommen nicht besteuert und ein Doppelbesteuerungsabkommen keine Regelungen für die Behandlung transparenter Einheiten vorsieht.63 Die Bestimmung des § 894(c) IRC hat allerdings eine weitere Form der internationalen Steuerarbitrage – den Einsatz sogenannter „Domestic Reverse Hybrids“ oder „DRHs“ – nicht unmittelbar angesprochen. Bei diesen Strukturen wurde zwischen die ausländische Muttergesellschaft und die (zukünftige) US-Tochtergesellschaft eine Personengesellschaft in den USA „zwischengeschaltet“ und mit Fremdkapital – etwa zur Akquisition der US-Tochtergesellschaft - ausgestattet. Für diese Personengesellschaft wurde in den USA auf intransparente Besteuerung auf Basis des „Check-the-Box-Regimes“64 optiert, während sie aufgrund ihrer konkreten Strukturierung von der anderen Jurisdik62
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Für Analysen dieser Struktur siehe etwa Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 142 f; Buzanich, H., Comparison Between the U.S. and OECD Approaches to Hybrid Entities, 36 Tax Notes International, Oct. 4, 2004, S. 71 ff. Für eine Übersicht expliziter Bestimmungen in den Doppelbesteuerungsabkommen der USA siehe Buzanich, H., Comparison Between the U.S. and OECD Approaches to Hybrid Entities, 36 Tax Notes International, Oct. 4, 2004, S. 71, S. 80 f. Treas. Reg. §§ 301.7701-2, -3.
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tion als steuertransparent angesehen wurde. Aus steuerlicher Sicht wurden die Zahlungen der US-Tochtergesellschaft an die – aus US-Sicht als Körperschaft qualifizierte – Personengesellschaft als Dividenden gewertet und blieben im Rahmen der konsolidierten Besteuerung unberücksichtigt. Die Zinszahlungen des DRH an die ausländische Muttergesellschaft reduzierten das Einkommen der konsolidierten Gruppe und unterlagen einer – oftmals auf 0% und damit unter den typischen Dividendensatz von 5% – reduzierten Quellensteuer. Aus Sicht des ausländischen Staates lag hingegen ein unmittelbarer Dividendenfluss von der US-Tochtergesellschaft vor, der zumeist einer begünstigten Besteuerung (zB Schachtelprivileg, indirekte Anrechnung) unterlag.65 Auch diese Variante der internationalen Steuerarbitrage wurde als unangemessen angesehen und im Verordnungswege dahin gehend aufgegriffen, dass Zahlungen des DRH an die ausländische Muttergesellschaft unter gewissen Voraussetzungen sowohl für Zwecke des nationalen Steuerrechts als auch des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens in Dividenden umqualifiziert werden.66
2.4 Hybride Transfers Zu internationaler Steuerarbitrage durch hybride Transfers kommt es, wenn in einer grenzüberschreitenden Situation nur einer der beteiligten Staaten die Übertragung von Vermögen steuerlich anerkennt, sodass im Ergebnis ein Wirtschaftsgut in mehreren Steuerrechtsordnungen berücksichtigt wird und solcherart steuerliche Vorteile aus dem Wirtschaftsgut (zB beschleunigte Abschreibung, Investitionsbegünstigungen) in beiden Staaten genutzt werden können. Klassische Fälle solch hybrider Transfers sind „Double-Dip Leases“, bei denen eine divergierende steuerlichen Zuordnung des verleasten Wirtschaftsgutes in den beteiligten Jurisdiktionen erfolgt,67 oder grenzüberschrei65
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Für Analysen dieser Struktur siehe etwa VanderWolk, J./May, Th., The U.S. Attacks Cross-Border Tax Arbitrage: Domestic Reverse Hybrids, 28 Tax Planning International Review, July 2001, S. 3 ff; Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 99 f; Buzanich, H., Comparison Between the U.S. and OECD Approaches to Hybrid Entities, 36 Tax Notes International, Oct. 4, 2004, S. 71, S. 81 ff. Siehe Treas. Reg. § 1.894-1(d)(2). Siehe vor allem Lindencrona, G./ Tolstoy, S., Generalbericht, in Taxation of cross-border leasing, CDFI 75a, hrsg. von der International Fiscal Association, 1990, S. 73, S. 86 f; vgl weiters zB Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 142; Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 146; Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 93 ff; Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 563 f; vgl aus deutscher Sicht auch Scheffler,
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tende „Stock Sale and Repurchase“-Vereinbarungen, die von einem Staat als durch die Anteile besichertes Darlehen, vom anderen Staat hingegen als Übertragung der Anteile charakterisiert werden.68 Gestaltungen, bei denen beispielsweise ein Wirtschaftsgut erworben wird, dieses an eine ausländische Gesellschaft veräußert und in der Form zurückgeleast wird, dass das Leasing in der einen Jurisdiktion für Steuerzwecke als Finanzierungsleasing und in der anderen Jurisdiktion als „echtes“ Leasing qualifiziert wird, gelten weitgehend als eine unbedenkliche Form der internationalen Steuerarbitrage. Durch die unterschiedliche Zuordnung des Wirtschaftsgutes kann es – je nach der Verfügbarkeit beschleunigter Abschreibungen oder Investitionsbegünstigungen – zu erheblichen Steuerstundungseffekten im Vergleich zum bloßen Betriebsausgabenabzug für den aufwandswirksamen Zins- und Kostenanteil der Leasingraten kommen.69 Derartige „Double-Dip Leases“ werden überwiegend akzeptiert;70 auch die USA haben derartige Strukturen grundsätzlich anerkannt,71 wenngleich für das Outbound-Leasing nunmehr weniger großzügige Abschreibungsvorschriften bestehen.72
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W., Grenzüberschreitendes Leasing als Instrument der konzerninternen Außenfinanzierung, IStR 1993, S. 538, S. 541 ff. Dazu etwa Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 142; Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 146 f; Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 156 ff. Zu einer abgestimmten Vorgehensweise im Hinblick auf derartige Transaktionen siehe insb Art 24 Abs 4 lit c des Doppelbesteuerungsabkommens zischen dem Vereinigten Königreich und den USA und dazu West, P. R., Highlights of the New U.S.-U.K. Tax Treaty, 92 Tax Notes, July 30, 2001, S. 663, S. 666. Siehe zB Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79, S. 93 ff und Appendix, S. 174 f. Vgl Lindencrona, G./ Tolstoy, S., Generalbericht, in Taxation of cross-border leasing, CDFI 75a, hrsg. von der International Fiscal Association, 1990, S. 73, S. 86 f. Vgl aus US-Sicht etwa das Private Letter Ruling 9748005 (zur Zulässigkeit eines „Double-Dip Lease“ und daraus resultierende zweifacher Abschreibung durch den US-Nutzer und den japanischen zivilrechtlichen Eigentümer eines Flugzeuges); siehe zB auch Park, W. W., Tax Characterization of International Leases: The Contours of Ownership, 67 Cornell Law Review 1981, S. 103 ff, und Jerris, S. I., The Airline Industry and the “Double Dip”, 19 International Tax Journal 1993, 82. Vgl § 168(g) IRC und dazu etwa Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 152 ff.
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Georg Kofler, Herbert Kofler
3 Steuerpolitische Aspekte internationaler Steuerarbitrage 3.1 Internationale Steuerarbitrage: Ein konzeptionelles Problem? Die Frage, ob internationale Steuerarbitrage konzeptionell als (steuerpolitisches) Problem anzusehen ist, scheint weder durch nationale Gesetzgeber noch in den wissenschaftlichen Analysen abschließend geklärt. So waren beispielsweise die Reaktionen des amerikanischen Gesetzgebers überwiegend von Überlegungen im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen geprägt und oszillierten je nach Fallgestaltung und nationaler Interessenlage zwischen überbordenden Einzelmaßnahmen und einer laissez faire-Mentalität.73 Am Ausgangspunkt der Analyse internationaler Steuerarbitrage steht stets das konzeptionelle Argument, dass ein Steuersystem nicht grundsätzlich darüber besorgt sein sollte, ob ein Steuerpflichtiger oder eine nahestehende Person steuerliche Vorteile in einem anderen Staat genießt.74 Überzeugende Gegenargumente und vor allem eine dogmatisch befriedigende Grenze zwischen unbedenklicher und unerwünschter Steuerarbitrage lassen sich freilich nur schwer identifizieren.75 Vorschläge im Schrifttum versuchen etwa, jene Fälle internationaler Steuerarbitrage als problematisch hervorzuheben, in denen dem nationalen Steuerrecht – explizit oder implizit – eine gewisse, womöglich in einem Doppelbesteuerungsabkommen zum Ausdruck kommende Erwartung im Hinblick auf die steuerliche Behandlung im anderen Staat inhärent ist.76 Diesbezüglich mag es zwar zutreffen, dass auch unilaterale 73
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Siehe auch den kurzen Bericht von Stratton, S., Tax Arbitrage not Inherently ‘Evil,’ Treasury Offical Says, 41 Tax Notes International, Jan. 23, 2006, S. 271, zu einer jüngeren offiziellen Sichtweise in den USA, und für eine detaillierte Untersuchung im breiteren Kontext der staatlichen Souveränität vor allem Pak, I., International Finance And State Sovereignty: Global Governance in The International Tax Regime, 10 Annual Survey of International and Comparative Law 2004, S. 165 ff. Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137 ff, insb S. 147 und S. 154; siehe auch West, P. R., Foreign Law in U.S. International Taxation: The Search for Standards, 3 Florida Tax Review 1996, S. 147, S. 171 ff. Für einen alternativen Ansatz, internationale Steuerarbitrage im Verhältnis zu Entwicklungsländern explizit zu gestatten, siehe Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555 ff. Für Vorschläge siehe aber Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of CrossBorder Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79 ff, und Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89 ff. Für eine ablehnende Diskussion siehe vor allem Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137 ff. So West, P. R., Foreign Law in U.S. International Taxation: The Search for Standards, 3 Florida Tax Review 1996, S. 147 ff; siehe auch Sheppard, L., Cross-Border Tax Arbitrage, ‘Hybridity,’ Mules, and Hinnies, 16 Tax Notes International, Feb. 23, 1998, S. 579, S. 581; kritisch dazu Harter, L. G., International Tax Arbitrage: Is It a Problem? Whose Problem Is It?, 41 Tax Management Memorandum, Apr. 24, 2000, S. 139, S. 144 f.
Internationale Steuerarbitrage
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Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (vor allem in Form der Steueranrechnung) bereits eine Berücksichtigung einer ausländischen Besteuerung darstellen und daher die Umkehrung in Form einer Versagung von Steuervorteilen auf Basis der ausländischen Besteuerung sachgerecht erscheinen könnte,77 doch besteht ein wesentlicher Unterschied zur internationalen Steuerarbitrage doch darin, dass hier der ausländische Steuervorteil außerhalb der heimatlichen Steuerjurisdiktion liegt und prinzipiell unabhängig von der heimatlichen Besteuerung ist.78 Selbst wenn man eine solche Analogie für zutreffend erachten würde, wäre das Abstellen auf eine – explizite oder implizite – Erwartung im Hinblick auf die steuerliche Behandlung im anderen Staat ein vages Kriterium. Es läuft auch weitgehend auf eine Diskussion über die Existenz eines „internationalen Steuerregimes“ und eines diesem inhärenten Prinzips der Einmalbesteuerung hinaus.79 Hier gilt es allerdings zu bedenken, dass die (doppelte) Nichtbesteuerung ebensowenig als prinzipiell bedenklich zu beurteilen ist80 wie die Nichtausübung abkommensrechtlich zugestandener Besteuerungsrechte.81 Aber auch wenn man „[e]xtreme Auffassungen […], wonach doppelte Nichtbesteuerungen hinzunehmen seien“, in ihrer Generalität ablehnen möchte,82 verbleibt die ungelöste Frage, wo eine – wohl erforderliche – Grenzziehung erfolgen soll und ob sich die bisherigen legislativen Reaktionen in ihrer zu weiten oder zu engen Tatbestands-
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Auf dieser Linie auch die amerikanische Gesetzesbegründung zur Einführung der Dual Consolidated Loss-Regeln; siehe S. Rep. No. 99-313. S. 421 (1986); generell auch West, P. R., Foreign Law in U.S. International Taxation: The Search for Standards, 3 Florida Tax Review 1996, S. 147 ff. Siehe auch Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137, S. 155. Siehe vor allem Avi-Yonah, R. S., Comment on Rosenbloom, International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 167; Avi-Yonah, R. S., Tax Competition, Tax Arbitrage, and the International Tax Regime, Bulletin for International Taxation 2007, S. 130 = Public Law and Legal Theory Working Paper Series, Working Paper No. 73 (January 2007); vgl auch Ring, D. M., One Nation Among Many: Policy Implications of Cross-Border Tax Arbitrage, 44 Boston College Law Review 2002, S. 79; kontra zB Rosenbloom, H. D., International Tax Arbitrage and the “International Tax System”, 53 Tax Law Review 2000, S. 137; Kane, M. A., Strategy and Cooperation in National Responses to International Tax Arbitrage, 53 Emory Law Journal 2004, S. 89, S. 112 ff. Für eine Diskussion siehe auch Rosenzweig, A. H., Harnessing the Costs of International Tax Arbitrage, 26 Virginia Tax Review 2007, S. 555, S. 588 f. Für eine ausführliche Analyse siehe Lang, M., Generalbericht, in: IFA (Hrsg.), Double nontaxation, CDFI 89a, 2004, S. 21 ff, und die dort abgedruckten Nationalberichte. Siehe aber § 894(c) IRC und Treas. Reg. § 1.894-1(d) (betreffend die Einschränkung von DBAVorteilen sofern der DBA-Partnerstaat die fragliche Transaktion nicht erfasst