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s angebängtes Partizip mit imperativischer IkdeUIUDg zu versteben, das sieb auf den GÖlz.enverehrer von Z. 1 beziebt. 22 Der Übersetzer greul hier auf 2,18 zurück, wo er 'lPW il',D (_der Lehrer der Lüge_) mit +avtaaia ~ulifr; wiedergegeben hat. Dieser Sinn ist auc.h bier vorausgesetzt.
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Ein charakteristischer Zug dieser Überarbeitung der Septuaginta· Übersetzung, der al1erdings in dem soeben analysierten Textausschnitt nicht begegnet, ist die konstante Wiedergabe der hebräischen Konjunktionen Dl und Dl1 »auch« durch Kat y€, während ebenso konstant für die Wiedergabe der Verbindungspartikel 'waw' Kai reserviert bleibt23. Diese Auffälligkeit hat dem Text von Nabal l:Iever in der Septuaginta-Forschung die Bezeichnung 'Kaige-Rezension' eingetragen. Ebenso typisch ist die durchgängige Wiedergabe von W'X durch ciV'fw> und zwar auch dort, wo es nicht »Mensch« bedeutet, sondern im Sinne von »jeder« ver· wendet ist24 , Die Entdeckung einer derartig umfangreichen Septuaginta-Rezension aus vorchristlicher Zeit stellte für die Septuaginta-Forschung eine Sensation dar. Bis zu diesem Zeitpunkt - die Rolle wurde 1963 publiziertwaren derartige Revisionen überhaupt nicht bekannt. Bekannt waren nur die Neuübersetzungen aus dem 2. Jh. nach Christus durch Aquila, Symmachus und Theodotion. Die Existenz früherer Revisionen war zwar gelegentlich schon vermutet worden, so 1905 von Adolf Deißmann 25 , doch konnten derartige Vermutungen bis zu diesem Zeitpunkt nicht durch existierende Handschriften erhärtet werden. Dies ist jetzt möglich, und es zeigt sich: Die Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodolion aus dem 2. Jh. sind nicht voraussetzungslos entstanden und auch nicht allein daraus zu erklären, daß nun das Christentum die Septuaginta als Argumentationsmaterial - gerade auch gegen das Judentum - verwandte. Diese jüdischen Neuübersetzungen hatten vielmehr bereits in vorneutestamentlicher Zeit einzelne Vorläufer, die im Zusammenhang der innerjüdischen Texttradierung im 1. Jh. vor und nach Christus verstanden werden müssen. Eine unmittelbare Folge der Entdeckung· der Zwölfprophetenrolle aus dem Nabal l:Iever war, daß man den bereits bekannten Bestand der Septuaginta-Handschriften nach Spuren einer vergleichbaren hebraisierenden Rezension durchforschte 16. In Betracht kommt hierfür in erster Linie die Textüberlieferung der Königsbücher. Dort existiert eine Grup· 23 vgl. Barthclemy, Devaociers (s.o. Anm. 12) 199; Tov, Mioor Prophets (s.o. Anm.
(2) 1331. 204 Bartbclcmy, Devanciers (s.o. Anm. 12) 199. 2S A. Deißmann, Die Septuaginta-Papyri und andere altchristliche Texte der Heidelberger Papyrus-Sammlung, Veröffentlichungen der Heidelberger Papyrus-Sammlung I, Heidclberg 1905, 69f. 26 Umfassend: Bartbclcmy, Devanciers (s.o. Anm. 12) 89-160.203-270.
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~rliefeTWIgwut Verwendung dLr SeptullgWll
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pe von Handschriften, die - in einzelnen Abschnitten der Königsbücher
- ganz ähnliche Merkmale aufweist wie die Rezension der Zwölfprophetenrolle. Neues Interesse fanden jetzt auch die Zwölfprophetenzitate von Justin, von denen einige stark von der Septuaginta abweichen. Unter diesen ist wiederum eines. nämlich das Zitat von Micha 4,1-7 im Dialog mit
Tryphon Kap 109, das nahezu wörtlich mit dem jetzt bekannt gewordenen rezensierten Septuaginta-Text übereinstimmt21. Barth~lemy, der in seiner Ausgabe diese Beziehungen detailliert untersucht hat, schreibt der gleichen Rezension außerdem die sog. Quinta, die zusätzliche fünfte griechische Spalte in der Hexapla des Origenes, zu, identifiziert als Autor dieser Rezension Theodotion, setzt diesen mit Jo-
nathan Ben Uzziel, dem Verfasser des Targum Jonathan zu den Schriftpropheten, gleich und weist alle sonstigen Notierungen der Kirchenväter und der Handschriften über Theodotionlesarten im Zwölfprophetenbuch als unrichtig zurück. Diese weitgehenden Schlußfolgerungen sind z.T. ausgesprochen umstritten, aber auch ohne sie bleibt die Zwölfprophetenrolle wichtig genug28. Fragljch ist zunach.st d'e (auf rabbiniscben OueUen beruhende) Siebt, daß AquiJa und Theodotion jeweils (!) c.ine aramäische. Übersetzung VOll Pentateuch bzw. Propbeten einerseits und eine griechische Übersetzung des ganzcn AT andererseits angefertigt hatten 29. die Idc.ntifwerung der RcuMion VOll 81;1c.vXlIgr mit Ein 'NeSenllicbcs Hindernis Theodolioo (auch oboe dessen Glc.ichsetzung mit dem Verfasser des TJon) ist die Datierungsfrage. D'e Verfecbter einer solchen Idcnlifi7xrung sind nimlich zu c.inc.r cxlrc.mc.n Frühdatierung von Tbeodol.ion (I. Hä.lfte des L Jb. n.Chr.)30 bei gleichzeitig sehr später Ansc.tzung von 81;1c.vXllgr gezwungen. Aber auch wenD man Theodotion vor Aquila ansetzt (Übersetzung: ca. 130 n.Chr.)ll und für JUSlin dic. Existenz der Übersetzung Theo-
mr
n Barthtlemy, Dc.va.nciers (s.o. Anal. 12) 205-207; vgI. außerdem jem O. Skarsaune, Tbe Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr's Proof-teXl Tradition. Teld-Iypc., Provenancc, Theological Profilc., NT.s 56, Leiden 1987, 17-92. 28 Zur Diskussion vgJ. S.P. Brock, Art.: Bibelübersetzungen 1.2. Die Übersetzungen des Alten TestamenlS ins Griechische, TRE 6, 163-172, hier 164f (zur Kaige-Rezension) und 168f (zu Tbeodotion). 29 Zum Problem vgJ. P. Scbäfer, Art.: Bibelübersetzungen 11. Targumim, TRE 6, 216228, bier 22Of.222f; A. van der Kooij, Die alten Tc.ldzcugen des Jc.sajabuches. Ein Beitrag zur Textgesch.icbte des Alten Testaments, 080 35, Freiburg u.a. 1981, t25-155 folgt. lWar weitgehend Bartbtlemy, übc:rllimmt auch d'e Gleichsetzung von Tbeodotion mit Jonathan ben Uujc.~ balt jedoch die spiteren Angaben über ihI'l als den Verfasser auch von TJOD für unzutreffend. JO Bartbtlemy, Devaoc'ers (s.o. Anm. 12) 156: _vers la nn de la premitrc. moitit du prem'er 5iule-; van der Kooij, Textzc.ugen (s.o. Anm. 29) 1.50: Die Theodol.ionübersetzung von Jc.s wurde .elWa zu Beginn des I. Jb.s n.Cht.... verfasst_. II Vgl. A.E. SlJverstODc.. AquiJa and Onkc.1o.s, Manchester 1931, 160; H.B. Swete, An Introductioo to the. Qld Testament in Greek. Carnbridgc. 11902, 31-33.
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€lotion voraussetz,n. gelangt man nur bis in das 1. Viertel des 2. Jh. D.Chr.lJ Gehl man gleichzeitig von der aus paläographischen Gründen wahrscbeinlichsten Datierung von 8f:1evXIIgr (Mine bis Ende des 1. Jh. vor Chr.)34 aus. erweist sich eine Gleichsetzung 'IOD 81;1evXIIgr mit TheodotioD als ausgesprochen unwahrscheinlich - und sie ist auch unnötig. um die Bedeutung von 81:1evXJIgr im Rahmen der [rüben TeXlgeschicblc der LXX angemessen zu bewerten.
Richtig ist die grundsätzliche Einschätzung, daß hier eine Vorstufe zur Übersetzung von Aquila vorliegt. Die Methode, Dl und D11 durch Kai zu übersetzen und Il"K durch auch wenn es im Sinne von ))jeder« gebraucht ist, findet sich auch bei Aquila. Andererseits fehlt in der Zwölfprophetenrolle noch die Praxis Aquilas. die nota accusativi nx jedenfalls, wenn ein Substantiv mit Artikel folgt - durch aUv wiederzugeben. Was Aquila auszeichnet, ist der extreme Perfektionismus seiner Wörtlichkeit, bei dem er auch die totale Unverständlichkeit seiner Über. setzung voll in Kauf nimmt. Die Rezension der Zwölfprophetenrolle geht keineswegs so weit, ist aber eine eindeutige Vorstufe dazu. D.h. Aquila hat nicht voraussetzungslos gearbeitet, sondern deutlich erkennbare Ansätze vor ihm aufgenommen und auf die Spitze getrieben. Zum Gesamtbild der vorchristlichen Septuaginta des 1. Jh.s gehören aber auch die weiteren Septuaginta-Handschriften aus Qumran und Ägypten. Insbesondere die beiden größeren Deuteronomium-Handschriften aus Ägypten, die Handschriften 848 (ca. 50 v.ehr.) und 847 (ca. 50 n.Chr.) lassen wichtige Rückschlüsse auf die Textgeschichte der vorchristlichen Septuaginta-Überlieferung zu: Diese Handschriften zeigen einerseits eine relativ hohe Stabilität des Septuagintatextes bereits in vorchristlicher Zeit35, andererseits lassen sie deutlich erkennen, daß es
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32 Doch soUte nicht übersehen werden, daß die in Justill Dial 43,8; 67,1 und 84,3 erwähnte (von der LXX abweichende) Übersetzung von Jes 7,14 an keiner Stelle auf einen bestimmten Übersetzer, d.h. eben auch nicht auf Theodocion, zurückgeführt wird. 33 Eine rtühere Datierung kann sich lediglich auf die Aussagen von Hieronymus aus den Jahren 404 und 407 (!) berufen, vgI. Barthtlemy, Devanciers (s.o. Anm. 12) 14M und va.n der Kooij, Textzeugell (s.o. Allm. 29) 141. Der Hinweis auf die Übereinstimmung des Zitats von Jes 25,8 in I Kor 15,54 mit Tbeodocion (von BarthtJemy a.a.O. 148 und van der Kooij a.a.O. 142 als wichtiges Indiz gewertet) ist Rur dann beweiskräftig, wenn man postuliert, daß die Übersetzung VOR Theodotion ohne alle Voraussetzungen und Vorstufen erfolgt ist. )4 S.o. Anm. 15. 3S Vgl. R. Hanhalt, Rez.: F. Dunand, Papyrus Grecs Bibliques (Papyrus F. Inv. 266), Kairo 1966, OLZ 73 (1978) Sp. 39-45, hier Sp. 42 sowie J.W. Wevers, Text History of the Greek DeuteroDomy, MSU B, Götlingen 1978, 72-85.
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229 schon auf dieser Stufe Angleichungen an die hebräische Vorlage gab36, die in ihrer Gesamtheit nicht als zufällig zu bewerten sind, andererseits jedoch nicht das Ausmaß einer systematischen Revision wie im Falle von 81:1evXIlgr haben. Das Nebeneinander dieser unterschiedlichen Textzeugen aus dem gleichen Zeitraum (jeweils zwischen ca. 50 v.Chr und 50 n.Chr.) nötigt zu dem Schluß, daß für die vomeutestamentliche Zeit einerseits mit einem relativ stabilisierten Septuagintatext zu rechnen ist, der aber bereits verschiedenen Revisionsversuchen unterschiedlichen Ausmaßes unterworfen war, die darauf abzielten, den Septuagintatext in größere Übereinstimmung mit dem vorausgesetzten hebräischen Text zu bringen.
v Für die neutestamentliche Exegese ergibt sich hieraus, daß bei der Beurteilung von Schriftzitaten bei neutestamentlichen Autoren in der Tat grundsätzlich von der vorhexaplarischen Textgestalt, so wie sie heute erkennbar ist, auszugehen ist. Gleichzeitig wird dort erhöhte Aufmerksamkeit geboten sein, wo Zitatformen begegnen, die eine größere Nähe zum hebräischen Wortlaut aufweisen als der überlieferte LXX-Text, ohne daß dies auf den jeweiligen neutestamentlichen Autor zurückzuführen ist. D.h. die Frage ist, ob sich auch in neutestamentlichen Schriftzitaten Auswirkungen vorchristlicher Revisionsbemühungen am LXX-Text feststellen lassen. Dies ist offensichtlich bei dem ältesten christlichen Autor, nämlich Paulus, der ja noch keine christliche Textüberlieferung der Septuaginta voraussetzt, der Fall. Besonders deutlich ist dies bei vier der insgesamt 25 verschiedenen Texte, die Paulus aus Jesaja zitiert. Als Beispiel soll die Anführung von Jes 8, 14 in Röm 9,33 dienen. Grundlage, der mit einer Einleitungsformel unzweideutig als Zitat ge· kennzeichneten Schriftanführung in Röm 9,33, ist zweifellos Jes 28,16, obwohl schon hier beträchtliche Differenzen zum überlieferten Wortlaut der Septuaginta bestehen)7 Dies gilt erst recht für die Wendung von
-.
J6 Ein Belspiel aus Ms. 847 (Dtn 33,19) dlskutiert Koenen in: Aly
I
Koenen, RoUs (s.o. Anm. 11) 18f; vgl. seine grundsätzliche Beurteilung: _tbe results of conliuous at· tempts to bring Ihe Oreek leid into closcr accord with the Hebrew are c1early recognizable-, ebd. I). - Zu Ms. 848 vgl. R. Hanbart, Ra. F. Dunand (s.o. Anm. 35) Sp. 43f; J.W. Wevers, Text History (s.o. Anm. 35) 69-71. )7 Vgl. Koch, Schrift (s.o. Anm. 4) 69-71.161f; vgI. ders., Beobachtungen zum christologischen Sc.briftgebrauch in deo vorpaulinischen Gemeinden, ZNW 71 (1980) 174-191, hter 178-184.
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dem Ai9o<; npom:6"'''''''a<; und der nnpa ""avllcV.ou, die in den (gleich-
zeitig verkürzten) Wortlaut von Jes 28,26 eingefügt ist. Diese Wendung geht zweifellos auf Jes 8,14 zurück - aber wie? Der Zusammenhang ist offenkundig, die Unterschiede gleichwohl fundamental. Zur vollständigen Beurteilung der Differenzen sind hier neben dem hebräischen Text und der Septuaginta auch die späteren Fassung von Jes 8,14 heranzuziehen38.
Tabelle 3: Synopse des SchriftzilaJs aus Jes 8,13f in Röm 9,33 39 Jcs8,13f(MT) Jcs8,l3f(l.XX)
Röm9,33 (Jcs (28,16) 8,14)
Jcs8,l3f(l:)
KUplOV 'tWv
6uvOlJ.€WlI Den Herrn der Heerscharen,
JHWH Sebaoth, Den Herrn, 2
111'l,pn UlK mn:6v Cryu1a
enrrOv irytCacrrE:
ibn haltet heilig ... ihn haltel heilig ...
3
(V. 14)
,.. I(Ql
..
EOSI En
,
ihn haltet heilig ...
...
aut~
Und wenn du auf ihn
4 5
nenol9Wc; ~. vertraust,
iPil1 iutm OUl dc; Und er wird wird er für dich
Kai €arQ\ Eie; Und er wird zum
rum
6
• • I71pn~ "1''''''....
(i.OOU t:i9rU.u
zum Heiligtum Heiligtum werden, Siehe; ich lege werden, 7
oUÄ. W!; und nicht wie
IeQl
ityiooJUl, Heiligtum werden,
EV 1:iWul in Zion
l8 Vgl. zur folgenden Darstellung die Analyse bei Koch, Schrifl (s.o. Anm. 4) 58-60. 39 Übereinslimmungen zwischen Röm 9,33 und Jes 8,13f 1: sind durch Unlerstrcichung hervorgehoben.
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OlKrlieferuflg und Vetwefldwtg du SeplUaginJa J", 8,IJf (MT) J", 8, l3f (LXX)
8
~ll
ptn
~-
J1PO<"'l>jlllG'" und zum Stein des dem Anstoß an Anstoßes eiDcm Stein
J", 8, l3f (1:)
Mb
~i.l; 6t
npnqYm'lOUX elDC.D Stein des
Alb
DDOCnI:6y!&ro'~
Anstoßes
aber zum Stein cIcs Anstoßes
mintJ;QOV
Gi ~il; niJ12'J1
.
""""",",,<9< , """t' werdel ihr ihm begegnen,
9
oU&t w!; nocbwie
10 11
Röm9,33 (JO$I28,16) 8,14)
~11UJ0 11YJl nhpor; n'tw)1atT
n'tWJ,i,g'tgt;41 und zum Fels des dem Fall an einem ""~ und einen Fels des und zum Fels des Straucbelns Fels; Ärgernis'iCs, Falls 12
'nJ
'l.n
o6t OUcOl; ·Icoc.~ IKot 0 ntD'tEU.Jv . . . ... '1lrw1' rn ""''t'
rur beide Häuser
aber das Haus
Israels, Jakobs 13
14
Wjll0~1 n~~ tv nayilh, lCa1. iv
oU katalCJXuuEh\KO~J.L(I'tl Dncn.) zum Klappoetz isl in der Schlinge, wird Diebl zu· und zum Fangholz und in der Failgru- SCbandeD 'Nerden. be
JI>"~
t~~vOltv
für den 8ewobDcr sind die Ein'NOb-
ner 15
und \W:r an ihn glaub<,
to\.; 6ualv oiICO\<; 'I "P"'\'. beide Häuser Israels,
mr
t:k nayi6a nn t:U; ~
zur Schlinge und zum Ärgernis tttJOikoWtl mr deD Bewohner
lD
,0"'''' 'I.~"",
Jerusalems. Jerusalem.
'I.~"",
Jc:rusalc:ms.
Der MT ist in seiner vorliegenden Gestalt wahrscheinlich nicht ein· heitlich. Wildberger und Kaiser4 2 rechnen in ihren Kommentaren jeweils mit Glossen und sekundären Textveränderungen. Das kann hier unerörtert bleiben, weil sowohl die Septuaginta als auch Symmachus an den hier wesentlichen Punkten eine hebräische Vorlage im Sinne des MT voraussetzen.
40 8, .A: Kai t:i.l; Alb npooKO)1J.L(1'tOl;. 41 8: Koi~k nCtpoII n't~Ol;:'A: Kai~k D'U:pd..... ~. 42 H. WIklbetger, Jesaja I, SKAT 10/1, Neukircben- Vlu)'D 1972. 335; O. Kaiser, Ocr Prophet Jesaja. Kapilell-t2, ATD 17, Göttingen 21963, 92.
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Der MT enthält einen deutlichen Widerspruch. Zunächst bieten die Zeilen 1f und 5f ein geschlossenes Bild: Es wird aufgerufen, Jahwe heilig zu halten, und die Zusage formuliert, daß er so für die Adressaten zum Heiligtum, d.h. zum Ort für Bewahrung und Schutz wird. Zwischen Zeile 6 und Zeile 8 liegt mitten im Satz ein scharfer Bruch. Die Zeilen 5f, 8, 11·15 stellen zwar einen einzigen Satz dar, in dem aber auf die Heilszusage am Beginn übergangslos eine Unheilsankündigung folgt: Jahwe wird - für dieselben Adressaten - zum Heiligtum werden (so Zeile 6) und zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Strauchelns (so Zeile 8 und 11, fnrtgesetzt in Zeile 13 und 14f). Diesen Bruch hat der Septuaginta-Übersetzer sehr deutlich empfunden, und er verschiebt ihn nach hinten. Die Unheilsankündigung setzt erst mit Zeile 12 ein: »aber das Haus Jakobs ist in der Schlinge«. Der vorangehende Text, bis Zeile 11 einschließlich, ist in mehrfacher Hinsicht verändert, um ihn geschlossen als Heilsankündigung zu verstehen. Zunächst ist der Vorsatz: »und wenn du auf ihn vertraust« (Zeile 3 und 4) frei hinzugefügt. Damit handelt es sich in der Septuaginta in Zeile Sf nur noch um eine bedingte Heilszusage. Außerdem sind Heils- und Unheilsankündigung syntaktisch voneinander getrennt, denn Zeile 12ff setzt nach Zeile 7·11 syntaktisch neu ein, so daß eine direkte Identität der Adressaten nicht mehr gegeben ist. Die Absicht, die Aussage vom Stein des Anstoßes und dem Fels des Strauchelns noch als Teil der Heilsankündigung zu verstehen, erforderte aber noch weitere Eingriffe. Der Übersetzer bildet durch die Einfügung von avvavti)cr€a9€ airt~ »ihr werdet ihm begegnen« eine neue, die Zeilen 7-11 umfassende, eigenständige syntaktische Aussage, er vertauscht außerdem das Abhängigkeitsverhältnis der hebräischen Konstruktusverbindung und spricht von einem »Anstoß an einem Stein« und einem »Fall an einem Fels«. Vor allem aber: Er fügt zweimal eine Negation ein, in Zeile 7 »und nicht wie« und in Zeile 10 ))noch wie«, womit er den Sinn seiner hebräischen Vorlage endgültig in ihr Gegenteil verkehrt. Ein kurzer Blick auf Symmachus zeigt, daß dort diese Änderungen durchweg fehlen und eine grundsätzlich wörtliche Übersetzung aus dem Hebräischen vorliegt. Interessant ist übrigens, wie Symmachus mit dem Bruch zwischen Zeile 6 und 8 des hebräischen Textes fertig geworden ist. Symmachus folgt genau seiner hebräischen Vorlage, fügt aber in Zeile 8, zu Beginn der Unheilsaussage, ein OE: ein, und deutet damit an, daß seiner Meinung nach - Heils- und Unheilsankündigung sich nicht auf die gleichen Adressaten beziehen.
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Oberlie[erung und Venw:ndung der SeptuilgWil
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Nachdem das gegenseitige Verhältnis zwischen hebräischem Text, Septuaginta und Symmachus geklärt ist, kann nach der Herkunft der paulinischen Anführung von Jes 8,14 in Röm 9,33 gefragt werden. Für den von Paulus aus Jes 8,14 aufgenommenen Textausschnitt »ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (im Text unterstrichen) ist jedoch offensichtlich; daß er nicht auf den Septuaginta-Text zurückgehen kann. Denn in Röm 9,33 ist - gegen die Septuaginta, aber in Übereinstimmung mit dem hebräischen Text und Symmachus - die Wendung vom Xl9ü<; TtpoaKoJJ.JJ.a'tO<; und der Tt€'tpa m::avOOAo\J im Sinne einer Unheilsaussage verstanden. Auch rein sprachlich sind die beiden Genitivverbindungen nicht aus der Septuaginta herzuleiten, da sie dort ja ge~ rade nicht vorliegen. Der griechische Jes-Text, den Paulus hier voraussetzt, muß also an dieser Stelle, an der die Septuaginta besonders frei übersetzt, bereits vor Paulus an den hebräischen Text angeglichen worden sein. Die vorpauli. nische Korrektur dieser Septuaginta-SteHe kann sich aber nicht auf die Verbesserung lediglich von Zeile 8 und Zeile 11 des Septuaginta-Textes beschränkt haben. Denn mit der Wiederherstellung des ursprünglichen Sinns von Zeile 8 und 11 als Unheilsaussagen ist eine Beibehaltung der gegenteiligen Textergänzungen in der Septuaginta nicht mehr vereinbar. Auf dem Hintergrund der Zwölfprophetenrolle aus der Wüste Juda und der Dtn-Handschriften 848 und 847 aus Ägypten ist nun die Vermutung naheliegend, daß Paulus hier für Jes einen Septuaginta-Text voraus~ setzt, der in gewissem Umfang eine hebraisierende Überarbeitung erfahren hat. Und es schließt sich die weitergehende Frage an, ob sich ähnliche Beobachtungen auch bei anderen Jes-Zitaten in den Briefen des Paulus machen lassen. Das ist in der Tat der Fall. Von den insgesamt 25 Jes-Texten, die Paulus zitiert, stehen drei weitere ebenfalls dem hebräischen Text - und damit zugleich Aquila, Symmachus und Theodotion näher als der Septuaginta. Es handelt sich dabei neben Jes 8,14 um Jes 25,8 (zitiert in 1 Kor 15,54) Jes 28,11f (1 Kor 14,21) und Jes 52,7 (Röm 10,15)43. Bemerkenswert ist schließlich, daß es sich bei drei dieser insgesamt vier so überarbeiteten Jes-SteJlen um Textabschnitte handelt, in denen die Septuaginta nicht nur einzelne Wörter frei wiedergibt, sondern - so wie hier in Jes 8,14 - auch hinsichtlich der syntaktischen Zu~ sammenhänge von der hebräischen Vorlage abweicht. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Wenn man bei allen von Paulus zitierten JesTexten einen Vergleich zwischen hebräischem Text und Septuaginta 43 Vgl. Koch, Schrift (s.o. Anm. 4) 61-69.
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durchführt, dann sind es gerade diese drei bzw. vier Zitate, die am ehesten für eine Korrektur in Frage kommen. Man kann also - bezogen auf diese vier Zitate - durchaus von einer echten Rezension sprechen, die ein erkennbares Profil aufweist. Analog zu beurteilen sind die beiden einzigen Hiob-Zitate des Pau~ lus44. Deren Nähe zum hebräischen Text ist ein längst bekannter Tatbestand. Sie stellen jetzt keinen unerklärlichen Sonderfall mehr dar, sondern es zeigt sich, daß auch hier mit einer hebraisierenden SeptuagintaRezension jüdischer Herkunft zu rechnen ist. Es liegt nämlich keineswegs eine völlige Neuübersetzung, sondern eine Bearbeitung des Septuaginta·Textes vor45. Und der unpauJinische Wortschatz macht deutlich, daß diese Septuaginta-Bearbeitung nicht auf Paulus selbst zurückgeführt werden kann 46. Ein noch wieder anderes Bild bieten die beiden Zitate des Paulus aus dem 3. Königebuch (dem I. Königebuch des M1)47. Hier liegl ein anderer Sachverhalt vor. Die Differenzen - abgesehen von zusätzlichen Änderungen durch Paulus selbst - sind sprachlicher Art. Die SeptuagintaÜbersetzung von 111 Reg 19,10 stellt ein unbeholfenes Übersetzungsgriechisch dar. Die Fassung des Paulus in Röm 11,3 ist dagegen sprachlich wesentlich glatter. Analoge Änderungen begegnen auch in dem zweiten Zitat des Paulus aus dem 3. Königebuch (19,18 in Röm 11,4). Dabei ist bemerkenswert, daß sich die Zitate in ihren sprachlichen Korrekturen in keinem Fall vom hebräischen Text entfernen. Auf Paulus sind diese Änderungen des Septuaginta-Textes nicht zurückzuführen, sondern sie sind als vorpaulinische Rezensionsarbeit zu werten, über deren Umfang aufgrund der schmalen Textbasis jedoch keine auch nur einigermaßen begründete Aussage gemacht werden kann.
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Als vorläufiges Ergebnis läßt sich auf dieser Grundlage formulieren: 1. Für die konkrete Gestalt der Septuaginta im 1. Jh. n.Chr. ist davon auszugehen, daß es neben der nicht-rezensierten Textgestalt, die natür~ lich weiterhin existierte, Einzelversuche gab, den überlieferten Wortlaut 404 Vgl. Koch, Schrift (s.o. Anm. 4) 71-73. 4S Dies bat über7.eugend B. SchaBer, Zum TextcharaKter der Hiobzitate im paulini·
sehen Schrifttum, ZNW 71 (1980) 21-26, ge7.cigt. 46 Vgl. Koch, Schrift (s.o. Anm. 4) 72 (mit Anm. 71). 47 Vgl. Koch, Schrift (s.o. Anm. 4) 71-71.
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Oberlje/eruflg ufld VefWrflduflg der Septu4~flla
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der Septuaginta stärker an den hebräischen Text anzugleichen. Diese Revisionsversuche sind als Vorläufer der späteren umfassenden Neuübersetzungen bzw. Revisionen durch Aquila, Symmachus und Theodotion zu bewerten. Dabei sind die einzelnen feststell baren Revisionen etwa die der Zwölfprophetenrolle vom Toten Meer, die der SeptuagintaHandschriften 848 und 847 aus Ägypten oder die rezensierten Textfassungen von Jesaja, Hiob und dem 3. Königebuch, die Paulus voraussetzt, - nicht als Einheit zu bewerten, sondern als jeweils eigenständige Einzelversuche, die Lücke zwischen dem überlieferten Septuaginta-Wortlaut und dem hebräischen Text zu beseitigen. 2. Für diese frühen Revisionen bzw. Revisionsversuche ist jeweils eine nur begrenzte Verbreitung anzunehmen. Eine direkte Auswirkung des Texttyps, der in der Zwölfprophetenrolle vom Toten Meer vorliegt, also der sog. Kaige-Rezension dieses Buches, liegt lediglich bei einem Teil der Zwölfprophelen-Zilale des Justin (offenbar jedoch nicht bei allen)48 vor. Auswirkungen kann man auch in den relativ häufigen hebraisierenden Abänderungen der Zwölfprophelenhandschrifl Codex W (Ende des 3. Jh.s. n.Chr.)49 und den mit ihm verwandten koptischen Übersetzung des Zwölfprophetenbuches erkennen 50 . Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, daß diese Auswirkungen - verglichen mit dem tatsächlichen Umfang der Revisionsarbeit in 81:1evXlIgr - doch sehr begrenzt sind. So finden sich nur zwei von insgesamt 13 Abänderungen von Hab 2,19f LXX, die in 81:1evXIIgr vorliegen, im Codex W, den koptischen Übersetzungen oder der übrigen handschriftlichen Überlieferung51 , wobei diese beiden Anderungen noch nicht einmal besonders charakteristisch für die Textgestalt von Hab 2, 19ff in 81:1evXIIgr sind.
48 Nach Skarsaune, Proof (s.o. Anm. 27) 25-92 benutzt Justin zwei verschiedene Quellen rur seine Schriftzitate: einen rezensierten LXX-Text jüdtseber Herkunft (in der Form direkt vorliegender Mss.) und ein (christliches) Testimonienbuch, das auf einer nicht-rezensierten LXX-Fassung beruht (vgl. bes. die Ergebnisse 43-46.90-92). 49 Ausgabe: HA. Sanders. Tbe Minor Prophets in the Freer Colleclion, in: HA. Sanders / C. Scbmidt, Tbe Minor Prophets in tbe Freer coUedion and the Berlin Fragment of Genesis, UMS.H 21, New Vork u.a. 1927, 1-229; zum Textcbarakter und zum Verhältnis zu den koptischen Übersetzungen vgl. Sanders a.a.O. 25-45. .so Vgl. Bartbtlemy, Devanciers (s.o. Anm. 12) 239-243. SI Ebenso baben die von Koenen in: Aly / Koenen, RoUs (s.o. Anm. 11) t8f diskutierte Abänderung von Dtn 33,19 in Ms. 847 und die von Hanhart, Rez.: F. Dunand (s.o. Anm.35) Sp. 43 diskutierten Abänderungen von Dtn 19,10; 22,9; 31,21 in Ms. 848 keine Ausv.irkungen auf die Textüberlicferung gehabt.
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Tabelle 4: Liste der mit 81:1evXßgr gegen LXX übereinstimmenden LXXMss. in Hab 2,/9jS2 LXX I. oUeD il >.<)"""
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Diese Überarbeitungen und Revisionen hatten sich also im jüdischen Bereich offenbar noch nicht allgemein durchgesetzt, als das frühe Christentum die Septuaginta vom hellenistischen Judentum übernahm, womit für die erste Hälfte oder die Mitte des 2. Jh.s n.Chr. zu rechnen ist53. Für diese Zeit wird man vermuten können, daß eine eigenständige christliche Tradierung der Septuaginta einsetzte. Für die Analyse von Schriftzitaten frühchristlicher Autoren ist daher davon auszugehen: a) Für den in der hellenistischen Synagoge gebrauchten SeptuagintaText ist eine im Prinzip noch nicht rezensierte Textform vorauszusetzen. Diese Textform ist immer noch am besten aus den christlichen Septuaginta-Handschriften zu erschließen. Die Rekonstruktion dieser alexandrinischen vorhexaplarischen Textform ist ja das Ziel der Göttinger Septuaginta-Ausgabe. b) Daneben ist grundsätzlich mit der Möglichkeit zu rechnen, daß es für einzelne Bücher Handschriften gab, die einen mehr oder minder rezensierten Text enthielten, und daß einzelne neutestamentliche Autoren S2 Die Differenzen zwischen LXX und 81;1evXllgr sind durch Unlerslrcichung gekennzeichnet Die Angaben in der dritten Spahe geben die Bezeugung dieser Varianlen in den LXX-Handschriften an. S3 Als iJlestes chrislliche LXX-Ms. gilt gewöhnlich P. Yale 1 «(rüher: P. Yale Inv. Nr. 419; Rahlfs: 814), der zumeist au(80-90 n.Chr.
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Oberlie/efWlg und Venvendung der SeptUllgilltll
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derartige Textformen benutzten. Dabei ist auch beim gleichen Autor grundsätzlich zwischen den verschiedenen Büchern der Schrift zu unterscheiden. So weist der Jesaja-Text des Paulus eine partielle Revision auf, sein Pentateuch text keineswegs. Außerdem: Was für einen neutestamentlichen Autor gilt, gilt deshalb noch keineswegs für einen anderen. Der Jesaja-Text des Paulus ist in dem beschriebenen Umfang als rezensierter Text zu beurteilen, der Jesaja-Text des Hebräerbriefes (obwohl dieser eindeutig später verlaßt ist als die Paulusbriefe) dagegen nicht. c) Für diese frühen Septuaginta-Rezensionen ist nur eine geringe Breitenwirkung anzunehmen. Falls also ein frühchristlicher Schriftsteller eine derartige Textform voraussetzt, ist die Annahme, er habe sie in der Synagoge kennengelernt, unwahrscheinlich, und man wird - jedenfalls für diese Zitate - eher eine schriftliche Vermittlung anzunehmen haben, also die Benutzung einer Septuaginta-Handschrift, die diesen Text bot 54 . d) Dennoch ist es nicht berechtigt, jede von der überlieferten vorhexaplarischen Textgestalt abweichende Zitatform auf eine hypothetische Septuaginta-Rezension zurückzuführen. Denn: Der Umfang der einzelnen Rezensionsversuche ist zwar im Einzelfall nie von vornherein flXierbar, aber die Zielrichtung dieser Revisionen ist durchaus erkennbar: Sie zielen durchweg auf eine größere Übereinstimmung mit dem hebräischen Text, der von der Rezension als Maßstab vorausgesetzt ist. Daher ist es auch weiterhin durchaus sinnvoll und möglich zu fragen, wo der frühchristliche Schriftsteller nun seinerseits in den Wortlaut des zitierten Textes verändernd eingegriffen hat. So ist es in Röm 9,33 eindeutig, daß die Angleichung von Jes 8,14 an den hebräischen Text vorpaulinisch ist. Dagegen geht die Abänderung von Jes 28,16 durch diese Fassung von Jes 8,14 auf Paulus zurück. Erst so kann Paulus zeigen, was er in Röm 9,30ff zeigen will, daß nämlich Israel gerade an Christus zu Fall gekommen ist bzw. umgekehrt: die dialektische Wirkung des Christusgeschehens als Grund des Unheils für die einen und gleichzeitig als Grund des Heils für den, der an ihn glaubt. In welchem Umfang und mit welcher Sicherheit dabei jeweils die vorgegebene Textentwicklung und die Abänderung durch den neutestamentlichen Autor voneinander abgegrenzt werden können, ist dabei nur 54 Interessant ist ja, daß der früheste Hinweis auf divergierende Textformen dcr griechiscben Bibel (und zwar in Bezug auf Jes 7,14) bei Justin im Dialog mit Tryphon auftaucht (s.o. Anm. 32), d.b. im Zusammenhang schriftgelehrter Diskussion, wobei aufschlußreich ist, daß diese abweichende Übersetzung ausdrücklich auf jüdische btbQo-(aAol zurückgeführt wird (Justin, Dial43,8). Dort, in der gelehrten Schuldiskussion, ist der 'Sitz im Leben' dieser LXX-Rezensionen zu suchen.
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238 im Einzelfall entscheidbar - und es gibt auch durchaus Fälle, wo sozusagen eine Grauwne bleibt. Auch dies läßt sich am Beispiel von Röm 9,33 deutlich machen. Feststellbar ist, daß die Vorlage des Paulus die Worte )'16ov npoa1<6f!~oc; KaI nhpav ... umfaßte, wobei auf nhpav ebenfalls ein Substantiv im Genitiv folgte. Dieses Substantiv kann entweder m@"" (»Fall«) - so Symmachus - oder auch C1KavOOAov (»Ärgernis«) gewesen sein. Jedenfalls übersetzte Aquila 'JlVJD mit oxav6aAov. Das paulinische Interesse am Begriff O'KcXVOOAOV ist eindeutig, und wenn er ntTpav nTw)J.QTO<; vorgefunden hat, ist klar, warum er geändert hat. Aber es ist nicht auszuschließen, daß er gar nicht mehr zu ändern brauchte.
VII Neben diesem Faktor, daß es partielle hebraisierende SeptuagintaRezensionen bereits in neutestamentlicher Zeit gab, die zum Teil Auswirkungen auf neutestamentliche Schriftanführungen hatten, ist noch ein zweiter Faktor in Rechnung zu stellen, der schon vor der Aufnahme einer Schriftaussage durch einen neutestamentlichen Autor zu einer Differenz gegenüber dem vorhexaplarischen alexandrinischen Text geführt hat - es ist der Faktor der mündlichen Schriftverwendung, sei es im jüdischen, sei es im christlichen Bereich. Als Beispiel - auch für die Möglichkeit, zuvor mündlich verwendete Schriftzitate von rein schriftlicher Zitatanführung zu unterscheiden - sollen die beiden Schriftzitate in Apg 1,20 dienen. Apg 1,15-26 hat zwei thematische Schwerpunkte SS ; das schreckliche Ende des Verräters Judas (V. 16-19) und die Vervollständigung des Zwölferkreises durch Matthias (V. 21-26). Die bei den Schriftzitate in V.20 stehen am Übergang zwischen diesen beiden Teilen. Dabei ist deutlich, daß sich das erste Zitat ('f 68,26) auf das vorangegangene Thema bezieht, während mit 'f 108,8b das neue Thema eröffnet wird 56 . 55 Zur Analyse des Abschnitts (und zu den in der literatur diskutierten Alternativen) vgI. die übersicbtlicbe Darstellung bei A. Weiser, Die Apostelgeschichte, Bd. 1, ÖTK S/I, Güterslob u.a. 1981, 62-n; G. Schneider, Die Apostelgeschichte, Bd. I, HThK 5/1. Freiburg i.Br. 1980,211-221. 56 Das übersiebt G.D. Kilpatrick, Some Quot31ions in Acts, in: Les Actcs des Apötres, ed. par J. Kremer, BEThL 48, Leuven 1979,81-97, hier 86-88, der aus dem (s.E. innerbalb von Apg l,lS-26 unerklärlichen) Fehlen von 't' 108,Sa schlußfolgert, Lukas habe hier ein bellenistisch-jüdisches F10rilcgium benutzt, in dem das (kombinierte) Zitat sich inhaltlich auf Israel (bzw. das Land Palästina) bezog.
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lÄJerlie!erung und VefWtnduttg tk, Septuaginta
Deutlich ist außerdem., daß Lk in beiden Teilen jeweils Traditionsmaterial verarbeitet hat, auch wenn dessen exakte Abgrenzung angesichts der intensiven Überarbeitung nicht mehr möglich ist. Dabei ist davon auszu· gehen, daß beide Traditionen erst durch Lukas miteinander verbunden wurden57 . Dies legt die Annahme nahe, daß die Zusammenordnung der beiden Schriftzitate, die genau an der Schnittstelle beider Traditionen vorliegl, ebenfalls auf Lukas zurückgehl58 .
Tabelle 5: Synopse der SchriftzitaJe in Apg 1,2059 Ps 69,26 (MT) 'Y68,26 (LXX)
1 2 3
• 5 6 7
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'Y EIITl9l'rtllJ 1) VtauAIc; aVIWv OOnuwUfvn, " kQI IV Wie
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Apg 1,20
Ps 10&,8 (Ps.Rom)
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Apg 1,20
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fiant dies eius pauCl et epi.«<:opam "US accipiat alter.
57 Die (inhaltlich gegenüber Apg 1,18-20a eigenständige) Tradition von Mt 27,3-10 zeigt, daß in Apg 1,18-20a eine selbständige Überlieferung verarbeitet ist. Zum Auftakt für die Mauhias-Übcrlieferung wird sie erst dadurch, daß U sie zu einem Teil der bis Vers 22 reichenden Rede des Pelrus macht. SB Dagegen vermutet E. Hacnchen, Schrift7jtate und Textübcrlieferung in der Apostelgeschichte, in: ders., Gou und Mensch. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1965, 157171, hier 167: ..Lukas wird hicr eincr ÜberlieCerung der hellenistischen Gemeinde folgen, die beide Psalmverse auf Judas gcdeutct haue«; vgI. dcrs., Tradition und Komposition in der Apostelgeschichte, ebd. 206-226, hier 208 und ders., Die Apostelgeschichtc, KEK 3, GÖltingen 719n, 167. Doch zeigt Haenchen nicht, warum diese vorlukanische Scbriftaneignung nicht nur" 68,26, sondern auch,. IOS,Sb umfaßte, zumal dann die Auslassung ausgerechnet von 'f 108,& ohnc sinnvolle Erklärung bleiben muß - es sei denn, es folgte eben die von Lk angeführte Tradition über die Nachwahl des Mallhias. 59 Differenzen zwischen Apg 1,20 bzw. Ps 108,8 in der Fassung von Ps.Rom einerseits und 'f 68,26 bzw. 108,8 andererseits sind durch Unterstreichung gekennz.eichnel.
•
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Dietn'ch-AJa Koch
Bevor ein direkter Vergleich des Wonlautes beider Zitate in Apg 1,20 mit der Septuaginta vorgenommen werden kann, ist aber eine Sonder· entwicklung in der Textgeschichte von 'f 108,8 zu diskutieren, in der die Zusarnmenordnung beider Zitate tatsächlich belegt ist,60 nämlich in der im Psalterium Romanum überlieferten Form von Ps 108 [MT: Hl9I,861 • Nach dem Uneil von W_ Thiete ist hier die Vetus Latina als Zeuge eines nicht mehr erhaltenen griechischen Textes zu wenen62. Dann fragt sich aber, wie diese (sicher sekundäre) griechische Textform63 zu bewerten ist: als Rückwirkung aus Apg 1,20 oder als Textentwicklung, die unabhängig von Apg 1,20 (und u.U. zeitlich früher als U) erfolgt ist? Auffällig ist die völlige Übereinstimmung dieser Erweiterung von Psalm 108(109),8 in der Vetus Latina (bzw. deren griechischer Vorlage) mit Apg 1,20 gerade in den Textleilen, in denen Apg 1,20 von 'f 68,26 abweicht. Das kann natürlich auf eine wortgetreue Wiedergabe einer derartigen (sekundär veränderten) Vorlage durch Lukas zurückgehen. Doch ist zu prüfen, auf welchen Vorgang die Veränderungen von 'f 68,26 zu-
60 Auf diese TeXlüberläderung bat K.ilpatrick, Ooolations (s.o. Anm. 56) 86-88 aufmerksam gemacht. Er häJt diese TeXlform t'ür vorchrisllich, skht in ihr aber nicht die direkle Vorlage von Apg 1,20, sondern postulkrt als Zwiscbenslufe ein jüdisches Florilegium, in dem dkse Zilatkombination als Teslimonium zum Thema Israel fungiert habe. Nur so sei die Auslassung von" 108,8a iD Apg 1,20 erklärbar. 61 Text nac.b R. Weber (Hrsg.), Le Psautler Romain et !es autres anciens PsaUliers latins, COLa 10, Rom 1953, 2n. Dle Textüberliderung des Psalterium RomanUDl ist weitgehend einheitlich; lediglich Codex V liest (enlsprechend Ps 68169),26a) .habilatio eorum_, die Codices 8 uod C ergänzen (entsprechend Ps 68f69),26b) .et in tabcrn3culis eius non sit etc.». In einem Teil der übrigen a1,lateinischen PsaJmenüberiieferung fehlt der Zusatz (Psalterium Veronensc:, Psalterium Corbeiensc:, Psalterium Augiensc: I, sowie iD einem Teil der mozarabischen Überliderung). Dagegen haben das Psalterium Sangermanensc: und eiD Teil der mozarabiscben Überlieferung den Zusatz nachgestellt. 62 W. TlUele (brieffieb am 25.1.1989) beurteilt die altlateinische Überliderung von Ps 108(109),8 in folgender Weise: _Die überwiegende Mehrzahl der altlateinischen Psalmen hal diesen Zusatz (teilweise nach Vers 8), und nur Texte, für die die Korrektur nach dem GrleelUscben bekannt ist, slreicben den ZUsatz; typiscb ist iD dieser Hinsicbt, daß der von AuguSlin benutzte Psalter und Hieronymus im Gallicanum (und natürlich im iuxta Hebraeos) ihn !licht haben. Daß die Vetus LatiDa Texte belegt, die im Griechischen nicht mehr erbalten sind, ist nicht ungewöhnlich._ Ich danke ausdrücklich Herrn Kollegen Thiele t'ür seine Hilfsbereitschaft, mich in diesen Fragen fachkundig zu beraten. Allerdings wird die im folgenden vorgetragene Beurteilung des Verhältnisses zwtschen der Vetus Latina zu entnehmenden Textform VOD ,. IOS,8 und Apg 1,20 ausschließlich von mir verantwortet. 63 Zusätzlich ist wohl auch ooc.h mit innerlateiDisc.her Entwicklung zu rechnen; so bei der NacbsleUuog der Eioiugung iD mehreren a1l1ateinischen Tcnzeugeo (s.o. Anm. 61).
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ObuluftfWlg und Vt~ndungtk, Stptuaginta
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rückzuführen sind - auf eine sekundäre Einfügung in 'f 108,8 oder auf die Verwendung dieses Textes im Rahmen von Apg l,lSff64. Zwischen dem Wortlaut von 'f 68,26 in der Septuaginta-Überlieferung und in der Apg 1,20 (bzw. im Psalterium Romanum im Ps 108 [Mt: 109]) sind folgende Differenzen feststellbar, die jeweils als sekundäre Veränderungen des ursprünglichen Septuaginta-Wortlauts zu beurteilen sind: 1. Änderung des Personalpronomens ai.rt@v (nach rn«VAU;) in den Singular cxUtoO in V. 26a, der die völlige Vermeidung des Personalpronomens (ailtwv) in V. 26b entspricht. Diese Änderung war erforderlich, wenn man den Psalmtext nicht mehr kollektiv auf die Feinde des Beters (so in 'f 68), sondern auf eine Einzelperson bewg. Diese Abänderung war in beiden möglichen Fällen notwendig. Bei ursprünglicher Einfügung von 'f 68,26 in 't' 108,8 war es eine notwendige Anpassung an den singularisch formulierten Kontext. Genauso erforderlich war die Umsetzung in den Singular aber auch bei der Verwendung im Rahmen von Apg 1,l8L 2. Auslassung von tv 'toie; O1CT1VWjJ.QOlV ain:@v in V. 26b, dessen syntaktische Funktion durch das nachgestellte tv alrtTI übernommen wird. Diese Änderung war notwendig, sofern 't' 68,26 als Schriftaussage im Zusammenhang der Judas-Blutacker-Tradition verwendet werden sollte. Diese sprach von einem xwplov (»Grundstück, Landgut«), auf dem der Verräter zu Tode kam. Dazu paßt €navAlA; (»Gehöft, Landgut»), jedoch nicht OKlivwJ.LO. (»Zelt, Behausung«) und erst recht nicht OKT\VwJJ.
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Dietrich·AJer Koch
3. Eine weitere Differenzierung zum Septuaginta-Wortlaut von l' 68,28 ist dagegen unabhängig von der jetzigen Zitatanwendung: die Abänderung des Partizip Perfekt Passiv ""~Vf] (verödet) in d:lS Adjektiv €f"l1OC; (öde). Diese Änderung stellt eine sprachliche Vereinfachung ohne erkennbare Sinndifferenz dar. Daß diese Änderung auf Lukas zurückgeht, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Er selbst imitien ja gerade in seinen eigenen Formulierungen die Septuaginta-Sprache, gibt den Reden, die er formuliert, bewußt die Patina biblischer Sprache66. Daher ist die sprachliche Vereinfachung eines Schriftzitates ihm nicht zuzurechnen. Sie paßt aber sehr gut zur Annahme, daß dieses Schriftwort schon Teil der mündlichen Überlieferung vom Ende des Verräters Judas war. Für mündliche Verwendung ist eine derartige sprachliche Vereinfachung naheliegend. 4. Ebenso ist die Änderung der Wortfolge in der Wiedergabe von 'f 68,26b, die gleichzeitig mit der Abänderung von €v ~olc; OKTlVWJ,LaOW zu €V airt1l erfolgte, nicht auf inhaltliche Gründe zurückzuführen. Indem €vairt1l nachgestellt wird (und nicht in die entsprechende Lücke eingefügt wird), entsteht eine glatte Parallelität in der Abfolge der Satzglieder beider Zitatzeilen. Auch dies ist als sprachliche Vereinfachung zu beurteilen. die bei mündlicher Tradierung naheliegend ist. Damit ergibt sich als Schlußfolgerung, daß die Anfiihrung von 'f 68,26 in Apg 1,20 Teil einer vorlukanischen frühchristlichen Überlieferung über den Tod des Verräters Judas ist67 . In dieser Überlieferung bildete lung des Maubias (Apg 1,15-26), HZ NF 19 (1975) 205-208; er übt jedoch Kritik an HaerachellS Tbese (s.o. Anm. 58), die Schriftverwendung in Apg 1,20 sei nur auf der Grundlage der LXX möglich gewesen. Das ist insofern berechtigt, als man rur eine (von Nellessen postulierte) aramäische Judas-Trawtion (mit Schriftzitat) nicht die wörtliche Zitierpraxis der späteren rabbinischen Literatur vorausset7.en kann. Doch ist eine aramäische Vorstufe der von Lukas verarbeiteten Tradition nicht (mehr) erkennbar. Im übrigen würde eine derartige Annahme die Beurteilung dcr Zitate nicht verändern. Sie gehen in der bei Lukas vorüegenden Form auf jeden Fall auf die LXX zurück und sind keine adhoc-Übersetzungen aus dem Aramäischen (oder Hebräischen), wie die Wahl von inavl.~ in Apg 1,20 zeigt. Da x,wpiov und inaol.\I; weitgehend gleichbedeutend sind (und hier eindeutig in der gleichen Bedeutung gebraucht werden!), ist nicht erklärlich, warum bei einer adboc-Übersetzung nicht direkt x,wpiov (vgl. V. 18.19) gewählt wurde. 66 Vgl. zur LXX-Mimesis des Lk: E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Stuwen zur Apostelgeschichte, StUNT 9, GÖltingeo 1972, 3867 So auch u.a. HoItz, Untersuchungen (s.o. Anm. 65) 43-48, dafür spricht zusätzlich. daß auch in Mt 27,3-10 die Judas-Blulader-Tradilioft mit einem Schriftzitat schließt; vgJ. auch Weiser. Apostelgeschichte (s.o. Anm. 55) 65. Im Falle von Apg 1,18-203 ist das Schriftzitat auch aufgrund seiner Funktion als Dotwendiger Teil der Tradition anzusehen: Gegenstand \'00 Apg 1,18-20a ist (anders als \'00 Mt 27,3·10) die schreckliche Todesan des Judas, mit der (ebenso im Untersch~d zu Mt) auch der Blutader direkt in Verbin-
n.
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Oberlielenmg und Verwendung der Septuaginta
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das Schriftzitat, das für die jetzige Verwendung erheblich umgestaltet wurde, den Schlußpunkt. Es zeigte, daß das zuvor erzählte schreckliche Ende des Verräters als göttliches Strafgericht zu verstehen ist. Die erst auf Lukas zurückzuführende Fortsetzung durch 'I' 108,8b, die der Anfügung der Überlieferung von der Nachwahl des Matthias dient, hat dann in der christlichen Textüberlieferung von 'I' 108,8 zu der im Psalterium Romanum greifbaren Texterweiterung geführt. Ein anderes Bild hietet das folgende Zitat ('I' 108,8b), auch wenn es sehr kurz ist. Hier findet sich nur eine Änderung - und diese ist aufgrund des jetzigen Zusammenhanges notwendig: Die Abänderung des Optativs Aaßol in den Imperativ Aaßho. Zwar ist Lukas nahezu der einzige neutestamentliche Autor, der den Optativ noch in einem gewissen Umfang verwendet, aber hier war der Optativ nicht passend. Lukas will ja keinen bloßen Wunsch formulieren, sondern eine Ankündigung der Schrift zitieren, die strikt gültig ist und die sich für ihn jetzt in dem dargestellten Geschehen verwirklicht. Das heißt, Hinweise auf eine vorlukanische mündliche Verwendung des Zitats liegen nicht vo~, und dies entspricht der Tatsache, daß die Fortsetzung in Apg 1,2lf als rein lukanische Bildung anzusehen ist69 .
VIII Durch die systematische Einbeziehung der Möglichkeit einer münd· lichen Verwendung der Schrift (einschließlich der damit u.U. verbundenen Umgestaltungen) als weiteren Faktor wird das Bild natürlich noch einmal komplizierter. Aber diese Komplexität ist ursächlich damit verbunden, daß die Schrift als lebendiger Besitz von Juden und Christen in vielfacher Weise benutzt wurde 70 . Was inhaltlich dabei sichtbar wird, ist
dung gebracht wird. 68 Ebenso rühren Hohz, Untersuchungen (s.o. Anm. 65) 47f und Weiser, Apostclgcschichte (s.o. Anm. 55) 67 die Anführung von 'f 108,8b auf Lukas zurück. 69 In Apg 1,21-26 ist die lukanische Redaktion besonders intensiv; so rechnet Weiser, Apostelgeschichte (s.o. Anm. 55) 66-68 lediglich V. 23.25 (teilweise) und V. 26 zur \IOrlu· kanischen Überlieferung, wobei die vorliegende Gestalt auch hier stark lukanisch gestaltet ist. 70 Einen anderen Vorgang, die Übernahme schon im Judentum mündlich (radierter Schriftzitate im Urchristentum, kann ich hier aus Raumgründen nicht darstellen. Dieser Vorgang ist m.E. in 1 Kor 1,31 und 2,9 greifbar; vgI. dazu Koch, Schrift (s.o. Anm. 4) 35· 41.
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Dietrich-Alu Koch
zum einen die starke Verflochtenheit der neutestamentlichen Schriftverwendung mit aktuellen Tendenzen der (z.Zt. des Neue" Testaments noch vom Judentum getragenen) Textgeschichte der Septuaginta. Für den neutestamentlichen Exegeten bemerkenswert ist die bewußte Rückbindung der frühen Christenheit an die Schrift - sei es im Rahmen legendarischer Überlieferung, wie der von Apg 1,15-20, sei es im Rahmen bewußter theologischer Reflexion, wie der von Röm 9,30-33. Gleichzeitig wird aber auch - und gerade die Schriftanführung in Röm 9,33 macht dies überdeutlich - eine erstaunliche Freiheit im Umgang mit der Schrift sichtbar, die nicht als gedankliche Laxheit abgetan oder bagatellisiert werden kann. In anderen Worten: Es geschieht nichts weniger als die Neuaneignung des längst ergangenen und längst bekannten Gotteswortes aufgrund der jetzt ergehenden Verkündigung eines neuen eschatologischen Heilshandelns Gones. Durch dieses Handeln Gottes sah sich die frühe Christenheit an die Schrift gewiesen, aber so, daß sie sich dazu berechtigt und genötigt sah, die Schrift jetzt in ganz anderer Weise zu lesen als zuvor.
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Josephus und Paulus in Rom Juden und Christen in Rom zur Zeit Neros 1 Hermann Lichtenberger, Münster Mit die wichtigste christliche Gemeinde außerhalb des Landes Israel ist die Christengemeinde in Rom, deren Spuren bis in die apostolische Zeit zurückgehen. Die Geschichte der Christen Roms ist aufs Engste mit der jüdischen Gemeinde verbunden, aus der sie herausgewachsen ist. Darum heißt nach den Anfängen der Christen in Rom zu fragen zugleich, auf die jüdische Gemeinde zu blicken. In dem Bezug der beiden Gemeinden, in Gemeinsamkeit und Verschiedenheit, können wir ein historisches Paradigma für Israel und die Kirche erblicken. In Rom hat sich, ähnlich wie im Land Israel, wo aber das Judenchristentum bald an Gewicht verloren hat, eine spannungsvolle Symbiose entwickelt, und die Christengemeinde hat dort die jüdische Gemeinde an geschichtlicher Wirksamkeit bald hinter sich gelassen. Wir wissen von den engen Verbindungen der Judenschaft der Diaspora, so auch Roms, nach Jerusalem. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß erste Christen nach Rom nicht viel später als nach Antiochien 2 gekommen sind. Die Forschung des frühen Christentums hat mit Vorliebe und auch großem Ertrag nach Antiochien geblickt oder auf das Rom des 2. Jh.s3. Wenn wir nun versuchen, einen Blick in die dunklen Anfänge der römischen Christenheit im 1. Jh. zu werfen, so wollen wir uns dem Thema auf drei Wegen nähern: Indem wir zunächst die Nachrichten über die Juden und Christen aus den 50er und 60er Jahren sichten (I. und 11.), um sodann Josephus und Paulus auf ihrer Reise nach Rom zu begleiten (111.), und schließlich zu versuchen, das Verhältnis von Juden und Christen im Rom Neros zu bestimmen (IV.). Schon die frühe Kirche hat die Möglichkeit der Begegnung von Repräsentanten des Judentums, Christentums und Heidentums zu SpekulaDer Beitrag ist die überarbeitete Fassung einer Gastvorlesung in Gießen und Erlangen im Jahr 1985; die Form des mündlichen Vortrags wurde weitgehend beibehalten. 2 Vgl. R. Pesch, Die Apostelgeschichte, EKK 5/1, Zürich U.3. 1986,349-358, mit Literatur. J Vgl. P. Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten, WUNT 2,1&, Tübingen 21989, mit Literatur. I
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HennQ/ln Lichtenberger
lionen und Briefwechseln angeregt. So hält es Euseb (HistEccl 11,17,1) nicht für unwahrscheinlich, daß die Nachricht stimmt, Philo und Petrus hätten zur Zeit des Kaisers Claudius in Rom miteinander verkehrt, als
Petrus dort das Evangelium verkündigt habe. Das Urteil Eusebs, auch wenn es nicht unsere Zustimmung finden muß, zeigt die Bedeutung, die den heiden Personen und einer Begegnung zugeschrieben wurde. Eine weitere mögliche Begegnung der frühen Jahre des Christentums hat die Phantasie gereizt: Paulus und Seneca. Zeugnis davon ist ein fikti· ver Briefwechsel, der Hieronymus (YirIII 12) und Augustinus (Ep 153, 14) bekannt war und der von ihnen hoch geschätzt wurde, weswegen Hieronymus Seneca in seinen Katalog der Heiligen aufnimmt. Seneca kennt angeblich die Paulusbriefe des Neuen Testaments (1. Brief) und will daraus dem Kaiser (Nero) vorlesen (3. Brief), möglicherweise in Gegenwart des Paulus selbst. Als Seneca vom Vortrag vor dem Kaiser und dem tiefen Eindruck, den dieser auf Nero gemacht habe, berichtet (7. Brief), reagiert Paulus ungehalten und bittet darum, daß dies nicht wieder geschehe (8. Brief). Seneca vermutet dahinter die Furcht des Paulus vor der Gattin des Kaisers, Poppäa Sabina, die hier als Sympa· thisantin für das Judentum gilt 4. So entsteht - wenn auch fiktiv - jenes spannende und spannungsvolle Dreieck Heidentum - Christentum - Judentum: Das Heidentum in der Gestalt Senecas, das Judentum in der angeblichen Sympathisantin Poppäa Sabina, und das Christentum, verkörpert in der Person des Paulus. Der Bezug dieser drei Größen zueinander soll unsere folgenden Überle· gungen verknüpfen.
I. Die Nochrichten über die Juden Roms zur Zeit des Paulus !. Phi!o
Im Jahr 40 kam Philo als Leiter einer jüdischen Delegation nach Rom, um beim Kaiser Beschwerde zu führen gegen den großen Judenpogrom des Jahres 38 in Alexandria, und um gleichen und gesicherten Rechtsstatus der Juden mit den Griechen zu fordern, die ebenfalls eine Gesandtschaft - unter Führung des Antisemiten Apion - geschickt hatten. Caligula behandelte die jüdischen Gesandten und ihre Sache ohne Ernst, demütigte sie und trieb ihre Verzweiflung noch auf die Spitze, als er die Aufstellung seines Standbildes im Jerusalemer Tempel befahl. 4 Zu Texr. und Übersetzung vgI. C. Römer in: W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, Bd. 2, Tübingen 51989, 44-50.
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Josephus und Pau/us in Rom
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Philo hat klar gesehen, daß es sich beim Pogrom in Alexandrien und den Übergriffen des Kaisers gegen die Juden nicht um zufällige Ereignisse handelt, sondern um die Konfrontation der griechisch-hellenistischen Welt (der Polis Alexandrien) und der römischen Weltmacht mit dem Judentum und seinem Glauben an den einen Gott5 . Darum erinnert er an Augustus, der die Juden und ihren Gottesdienst nicht nur respektierte, sondern ihnen sogar wohlwollend gegenüberstand. • So war es Augustus bekannt, daß sie Synagogen besaßen und sicb ln ilinen versammelten, besonders am heiligen Sabbat, wenn sie öffentlich in der PhiJosopb.ie ihrer Vätcr unterwiesen werden ... Er traf aucb keine Änderungen gegen ihre Synagogen, hinderte sie rUcht, sicb in ihnen zu versammeln, um ihre Gesetze auszulegen und legte dem Einzieben ihrer Opfergaben rUchts in den Weg«. (LegGai 155-156)
Philo kontrastiert dieses schöne Bild kaiserlichen Großmuts mit CaliguIa, der neben seinem eigenen Größenwahn unter dem Einfluß antijüdischer Ratgeber stand. Antijüdische Stimmung beherrschte nicht allein die großstädtische Masse, auch die Gebildeten hatten daran teil und trugen in Wort und Schrift öffentlich dazu bei6. 2. Wohnorte der Juden und Organisation der Synagogengemeinden
Wichtigstes Zeugnis für die Wohnorte der Juden in Rom und auch ihre Rechtsstellung ist wieder Philo, Legatio ad Gaium 155-156: .Es war ibm (Augustus) wohlbekannt, daß der große StadUeil Roms jenseits des Tiber von Juden besetzt und besiedelt war, die Mehrzahl von ihnen Freigelassene und römische Bürger. Denn als Kriegsgefangene waren sie nach Italien gebracht und von ihren Besitzern freigelassen worden, ohne sie zu zwingen, ihre überlieferten Gewohnheiten aufzugeben. So war es ibm (Augustus) bekannt, daß sie Synagogen besaßen und sich in ihnen versammelten, besonders am heiligen Sabbat, wenn sie öffentlich in der Philosophie ihrer Väter unterwiesen werden«.
Hauptwohnort der Juden war also Trastevere, doch sind literarisch auch andere Orte bezeugt, z.B. der südöstlich vor der Porta Capena gelegene Hain der Quellnymphe Egeria (luvenal, Sat 11I,10-18). An beiden Orten wurde jüdische Besiedlung durch archäologische Zeugnisse bestätigt. Bei den uns namentlich bekannten 13 Synagogengemeinden des antiken Rom läßt sich bei dreien, vielleicht vieren, ihre Existenz bereits im l vgl. l.egGai 188. 6 Vgl. die Texte bei M. Stern, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, 3 Bde, Jerusalem 1976-1984; vgJ. auch H. Lichtenberger, Paulus und das Gesetl, in: Paulus und das antike Judentum, hrsg. v. M. Hengel und U. Heckei, Tübingen 1991, 361·378, hier
369-371.
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He.tmann LichJenbt!rger
I. Jh. annehmen; es sind dies die Synagoge der Augustenser, nach dem den Juden freundlichen Augustus, die Synagoge der Agrippinenser, benannt nach dem Schwiegersohn des Augustus, Marcus Vispanius Agrippa (62-12 v.ehr.) und die Synagoge der Hebräer. Nach den Erwägungen von Harry Leon7 und George La Piana8 könnte die letztgenannte Synagoge zu den ältesten in Rom gehöre~ da ihr Name offenbar zur Unterscheidung von anderen ethnischen Gruppen gewählt ist. Ihr ist die Synagoge der Vemaculi zuzuordnen, einer Gemeinde, die sich wohl aus sprachlichen Gründen von den 'Hebräern' abgrenzte. Dazu kommt noch eine npooE1JXli in einer heidnischen Inschrift des 1. Jh.s, die an der republikanischen Mauer zwischen Porta Esquiliana und Porta Collina gefunden wurde.
Daß wir aber unabhängig von der Nachweisbarkeit bestimmter Gemeinden mit einer Mehrzahl zu rechnen haben, belegt Philo, der von npocrruJ(Q' spricht (LegGai 157)9. 3. Zur Rechtsstellung und Organisation der jüdischen Gemeinden in Rom
Die Synagogengemeinden im Westen, damit auch in Rom, waren seit der Zeit Caesars rechtlich collegia, und sie blieben als collegia licita bei den verschiedenen Maßnahmen gegen die Kollegien unbehelJigt lO• Die einzelnen Synagogen hatten jeweils ihre eigene Verwaltung und ihre Ämter; eine zentralistische Organis3tionsform. die alle Synagogen einem Vorsteher oder Gremium unterstellte, hat es in Rom nicht gegeben. Wenn darum Apg 28,17 davon spricht, Paulus habe 'oVc; Övta<; ,@v , louSalwv npWt:ovc;, ~die Leiter der Juden«, zu sich gerufen, so muß an die Repräsentanten aller jüdischen Gemeinden in Rom gedacht werden. Die in den Katakombeninschriften genannten Ämter zeigen deutlich, daß die Gemeinden sowohl von den Verfassungen der kleinasiatischen nOAE:U; (Archonten) als auch der palästinischen Presbyterialstruktur ge· prägt waren. Sicher wird man daraus schließen dürfen, daß in den jüdischen Gemeinden Roms Einwanderer aus dem land Israel und Kleinasien eine neue Heimat gefunden hatten.
7 Ygl. H. LeOD, Tbc Jews of ancieDt Rome, Philadelphia 1960, 149. I Ygl. G. La PiaDa, Foreign groups iD Rome, HThR 20 (1921) 183-403. 9 Zum Ganzen vgl. P. Lampe, Sladtrömi.scbe Christen (s.o. Anm. 3) 20-28. 10 Zu Rec.blsSlellung und Organisation vgJ. B. Lirshit7.., Prolegomenon, in: J.·8. Frcy, Corpus IDscriptionum Judaiearum. Jewisb loscriptions from the Third Century 8.C. (0 the Seveoth CeDtUry A.D., Bel. 1, 2. Auß. New York 1975, CII-OU.
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Jouphus und Ptwlus in Rom
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11. Die Christengemeinde in Rom vor und zur Zeit des Pau./w 1. Zur Herkunft und Entstehung
Die römische Gemeinde wurde nicht von Paulus gegründet, genoß aber zur Zeit der Abfassung des Römerbriefes (57{58), zumindest unter Christen. großes Ansehen: »Euer Glaube wird verkündigt in der ganzen Welt« (Röm 1,8). Gibt es aber auch Nachrichten über die frühere Zeit? An erster Stelle ist auf das merkwürdige Zeugnis des Augustinus (Ep 102,8) zu verweisen, wonach das 'Gesetz der Juden' kurz nach oder während der Regierungszeit des Caligula von Syrien nach Rom gekommen sein soll. Martin Hengel hat darauf hingewiesen - und er folgt darin Theodor Zahn -, daß sich, da Juden seit dem Ende des 2. Jh.s vChr. in Rom nachweisbar sind, »diese Nachricht auf die jüdische Sekte der Christen beziehen (dürfte), die zunächst noch innerhalb der jüdischen Synagogen Roms missionarisch zu wirken versuchten« t I. Dies paßt vorzüglich zu den in der Claudius-Noliz angesprochenen Unruhen: «Iudaeos impulsore Chrestos assidue tumultuantis Roma expulit» »Da die Juden unter ihrem Anführer Chrestos beständig Unruhe stifteten, vertrieb er sie aus Rom« (Sueton, Caes Claudius 25,4). Durch das Zeugnis des Orosius (7,6,15) wird die Datierung auf das Jahr 49 am wahrscheinlichsten; Dia Cassius (60,6,6) hingegen spricht nur von einem Versammlungsverbot des Jahres 41. Indirektes Zeugnis für die christliche Gemeinde in Rom sind auch Prisca und Aquila 12, die Paulus im Jahr 50 in Karinth getroffen hat: »und er fand einen aus Pontus gebürtigen Juden mit Namen Aquila, der unlängst aus Italien gekommen war, und seine Frau Priscilla - auf Befehl des Claudius hanen nämlich alle Juden aus Rom wegziehen müssen« (Apg 18,2); auch diese Notiz spricht eher für das Jahr 49. Prisca und Aquila müssen bereits in Karinth Christen gewesen sein, denn 1. wird nirgends von ihrer Taufe berichtet, 2. würden sie als Nichtchristen kaum einem christlichen Missionar wie Paulus Wohnung und Arbeit gewährt haben, und 3. wirken sie später in Ephesus in der Unterweisung des Apollos, ohne daß ihre Bekehrung zuvor geschildert würde. Daß sie bereits vor ihrer Vertreibung aus Rom Christen waren, konnte Lukas nicht berichten, da er ja Paulus zum Prediger Roms machen möchte (Apg 28,30), wiewohl er zur ehrenvollen Einholung des Paulus die Existenz von Christen in Puleoli und Rom einräumen muß (Apg 28,14 und 15).
11 M. Heoge~ Zur urchrisllichen Geschichtsschreibung, Calw 21984, 91. 12 Vgl. P. Lampe, Stadtrömische Christen (s.o. Anm. 3) 156-164.
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HemUlIIfI UchteflbetgeF
2. Der Rämerbn'ef als Zeugnis für die römische Christengemeinde Es ist ein auffallendes und viel diskutiertes Problem, daß im Römer-
brief die Hinweise auf die Herkunft der römischen Christen aus dem Heidentum1.3 mit dem Briefinhalt und dem Schriftgebrauch konkurrieren, die eher an eine judenchristliehe Leserschaft denken lassen. Das Problem verliert seine aporetische Schärfe, wenn wir bedenken (und die vorhin erwähnten Aussagen über Sympathien bei Heiden für das Judentum zeigen den Hintergrund auf), daß es bereits innerhalb des Synagogenverbandes aus dem paganen Bereich stammende Sympathisanten, a€ll6""vo~ für das Judentum gab. Im Blick auf die höchst differenzierten Aussagen des Paulus im Römerbrief über die Tora ist ein weiterer Aspekt wichtig: Angesichts der heftigen antijüdischen Agitation und Stimmung gegen die Juden in römischen literarischen Kreisen und in der Öffentlichkeit, insbesondere der höhnischen Urteile über die jüdische Gesetzesobservanz, mußte Paulus alles daran liegen, daß seine Aussagen über das Gesetz bei Heiden- und Judenchristen in Rom nicht auf derselben Ebene wie die antijüdischen Schmähungen gesehen werden konnten. Auch darum betont er so nachdrücklich die Heiligkeit des Gesetzes, er besteht darauf, daß das Gebot heilig und gerecht und gut sei (Röm 7,12). Daneben wird deutlich auch von Christen gesprochen, die aus dem Judentum kommen. Sie scheinen zahlenmäßig unterlegen gewesen zu sein, hatten aber, nach dem Briefinhalt zu urteilen, größeres Gewicht. Hier sind an erster Stelle Prisca und Aquila mit ihrer Hausgemeinde zu nennen (Röm 16,3-5). Andronikus und die Frau Junias sind »Mitstreiter« und »berühmt unter den Aposteln« (16,7)14. Theologisch wird am Ende des 1. Jh.s im 1. Clemensbrief eine starke jüdische Tradition greifbar. Diese könnte aber auch von den ehemals der Synagoge zugeneigten O€ß<)IJ.€VO\ stammen. So wird man mit Peter Lampe sagen dürfen: »Christen aus der Synagoge, Juden- wie Heidenchristen, haben in der Anfangszeit erstaunlichen Einfluß auf die Theologiebildung des stadtrömischen Christentums gehabt« 15. Nach dieser kurzen und dabei fragmentarischen Skizze der Nachrichten über Juden und Christen in Rom wollen wir nun zwei Reisende von Judäa aus nach Rom begleiten. 13 vgl Röm l,5f. IJ.15; ll,13.17f.24.28.3Of; 15,15f.l8; 9,3ff; vgl. auch 15,9ff; 6,17-21 in Verbindung mil 1,18fT. 14 Zu Röm 16 siehe Lampe, Stadlrömische Chrislen (s.o. Anm. 3) 124-153. IS Lampe, Sladtrömischen Chrislcn (s.o. Anm. 3) 60.
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1/1. Josephus und Paulus in Rom - Reise und Aufenthalt
Daß es sich lohnen könnte, die beiden Personen Josephus und Paulus in Beziehung zueinander zu setzen, soll hier im Vorgriff durch die Nennung einiger Gemeinsamkeiten angedeutet werden: Beide sind Juden, beide haben ihre Ausbildung in Jerusalem erfahren, beide waren Eiferer rur die väterliche Überlieferung, beide Pharisäer, heide reisen von Jerusalem aus nach Rom, heide kommen auf der Reise in Lebensgefahr, beide wenden sich in einer Rechtssache an den Kaiser. Der Brand Roms wird sie trennen: Paulus hat ihn nicht mehr erlebt, Josephus noch nicht. Zwischen ihnen steht also ein Ereignis, das wie eine Wasserscheide zwischen Juden und Christen wirkt: Als angeblich Schuldige des Brandes von Rom werden Christen, keine Juden verfolgt. Und doch handelt es sich um zwei sehr verschiedene Menschen, altersmäßig durch eine Generation getrennt; als sich ihre Schicksale fast berühren. steht der eine am Beginn seiner Karriere, der andere am Ende seines Lebens. Josephus ist Jerusalemer Priestersohn, verwandt mit hochpriesterlichen Kreisen - und eigenem Bekunden nach dem hasmonäischen Königshaus entstammend -, der andere, Paulus, ist wohl Nachkomme eines Freigelassenen oder Soldaten, als Handwerker dem oberen Mittelstand angehörig 16 . Beide erleben eine dramatische Lebenswende, die beide, auf ganz verschiedene Weise, in den Augen ihrer jüdischen Zeitgenossen zu Apostaten machte. Beide schreiben: Josephus die Geschichte des Krieges, eine Gesamtdarstellung der jüdischen Geschichte und Religion, eine Entgegnung auf die antisemitische Hetze im Auftreten und in den Schriften Apions. und eine Autobiographie. Alle Bücher, außer dem Bellum (und vielleicht der Vita) enthalten den zentralen jüdischen Gedanken, daß glückliches leben allein unter der Tora möglich ist. Ein Hauptthema der paulinischen Briefe ist ebenfalls die Tora (z. B. Gal und Röm), aber dabei die Frage, ob durch sie wahres Leben zu erlangen sei. J. Josephus
Lassen Sie uns nun dem Weg von Josephus und Paulus folgen. der sie zu Beginn der 60er Jahre nach Rom bringt. Wir beschäftigen uns also nicht mit der wohlbekannten Ubersiedelung des Josephus nach Rom Vgl. zu PauJus M. Hengel, Der vorchristliche Paulus, in: Paulus und das antike Ju· dentum, brsg.. M. Hengel u.a., Tübingen 1991, In·M. 16
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Hermann
Lichtenb~'1J'tr
nach dem Fall von Jerusalem im Jahr 70, sondern mit seiner wenige Jahre vor dem Aufstand unternommenen Romreise. Josephus allein ist dafür Zeuge, wir lassen ihn deshalb selbst zu Wort kommen: _Nach VolleoduDg meines 26. Lebensjahres wurde mir die Aufgabe zuteil, aus dem folgenden Grund nach Rom hinaufzuziehen. Während der Zeit, in der Felix Prokurator von Judäa war, hat dieser einige mir bekannte, überaus tüchtige Priester wegen einer kleinen, unbedeutenden Ursache gebunden nach Rom geschickt, um sieb vor dem Kaiser zu verantworten. Um ihre Rettung wollte ich mich bemühen, vor allem, nachdem ich gebört hatte, daß sie, obwohl im Unglück, die Frömmigkeit gegen die Gottheit nicht vergessen hatten und sich von Feigen und Nü:ssen ernährten. So kam ich nach Rom unter vielcn Gefahren auf dem Meer. Unser Schiff sank nämlich mitten in der Adria und etwa 600 an der Zahl, die wir waren, mußten die ganze Nacht hindurch schwimmen. Gegen Tagesanbruch erschien nacb Gottes Vorsehung für uns ein kyreniscbes SchilT, und indem wir den anderen zuvorkamen, wurden ich und andere, etwa SO, in das Schiff aufgenommen. Gerettel kam ich nach Dikaiarchia, das die Italiener Puteoli nennen, ich gewann die Freundschaft des Alilurus, eines Schauspielers, der bei Nero besonders in hoher Gunst stand und Jude war. Durch ihn wurde ich mit Poppäa, der Gattin des Kaisers, bekannt gemacht und sann darauf, sie so schnell wie möglich um die Freilassung der Priesler zu biUen. Mit großen Geschenken neben dieser Gunst von Poppäa ausgestattel kehrte ich in meine Heimat zurück. (Vita 13-16).
a) Die Datierung der Reise Im Jahr 63 oder eher 64 erhält Josephus den Auftrag zu seiner Romreise. Zurückgekehrt ist er spätestens im Jahr 65, dem Todesjahr Poppäa Sabinas, der er ja seine Aufwartung gemacht hatte. Welche Autoritäten ihn nach Rom geschickt haben, teilt Josephus nicht mit; obgleich ihm die Priester nicht unbekannt waren, dürfte es sich dennoch nicht um ein privates Unternehmen gehandelt haben. Die Priester sollen sich, von Felix (52-607) in Fesseln nach Rom geschickt, vor dem Kaiser verantworten (A.6yov UrtE:XE"lV). Eine solche Gesandtschaft nach Rom setzte eine entsprechende gesellschaftliche Position voraus, die von Sendern und Empfängern akzeptiert wurde. Im Blick auf Josephus' Selbstzeugnis über seine Herkunft war dies für die entsendenden Jerusalemer Behörden mit Sicherheit keine Frage, in Rom wird ihm der Weg durch einen vom Hof protegierten jüdischen Schauspieler geebnet. Die Priester waren eines geringfügigen, nicht näher bestimmten Anlasses wegen nach Rom zur Verhandlung vor den Kaiser geschickt worden. Josephus möchte sich um ihre Freilassung bemühen, umso mehr, als er erfährt, daß sie, trotz ihrer schlimmen Lage (Ka\nE"p €V KaKOle; ÖV"tf<;), »die Frömmigkeit gegen die Gottheit« ("ti)<; fic; "to 8fWV fUOfßf\ac;) nicht vergessen hatten. Ihre Treue zeigt sich darin, daß sie unreine Spei-
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Josephus und Paulus in Rom
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se vermieden und sich lediglich von Feigen und Nüssen, d.h. wohl mitgebrachter Dauerkost. ernähren. Reisezeit und ~dauer gibt Josephus nicht an, er berichtet lediglich von den Gefahren: Das Schiff erleidet inmitten der Adria Schiffbruch, durch Gottes Vorsehung (KQ"ta 8€
b) Die Erledigung der Mission Durch Aliturus erhält er Zugang zu Poppäa Sabina, der Gattin des Kaisers t7, und erreicht die Freilassung der Priester. Josephus nennt sie im Zusammenhang einer anderen jüdischen Gesandtschaft 9E'oOE'ßtlc;: Sie hatte bei Nero gegen Agrippa Fürsprache für die Sache der jüdischen Gesandten eingelegt (Ant 20,195). Mary Smallwood hat klar herausgearbeitet, daß 9E'ooE'ßf,;, gottesfürchtig, hier nicht im technischen jüdischen Sinn zu verstehen ist; am besten wird man sie als 'religiös' bezeichnen können, d.h. sie hat sympathisches Verständnis für die religiösen Überzeugungen der Juden 18. Auffällig an dem ganzen Bericht ist der starke Bezug auf die Person des Josephus. Er kennt die Priester persönlich. Er reist allein (was unwahrscheinlich ist) und wird entsprechend als Einziger seiner Mission (neben 80 anderen Mitreisenden, die damit nichts zu tun haben) geret· tet, er gewinnt die Freundschaft des Aliturus, schließlich wird er der Kaiserin vorgestellt, erledigt seinen Auftrag und wird beschenkt. Von den Priestern, um deretwillen er geschickt worden war, und von deren Rückkehr verlautet nichts. Natürlich kann das mit der Gattung »Autobiogra~ phie« zusammenhängen, jedoch ist die Ausschaltung möglichst aller anderen Personen für die Selbstdarstellung des Josephus bezeichnend. Seine Rettung verdankt er Gottes Fügung. Über einen Kontakt zur jüdi. sehen Gemeinde in Rom erfahren wir nichts.
17 Nach Tacitus Ann 14,60 war sie seit 62 mit Nero verheiratet. 18 Vgl. E.M.Smallwood: Tbc Jews under Roman Rule, SJLA 20, Leiden 1981, 27~, Anm.79.
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2 Pau/us Ziel und zugleich neuer Beginn der paulinischen Mission war Rom. Der Römerbrief ist Zeugnis für die Bedeutung, die Paulus Rom und der römischen Gemeinde für dieses Vorhaben beigelegt hat. In ihm spricht
er auch wiederholt von der Absicht, die römische Gemeinde zu besuchen (Röm 1,10-15; 15,22.28.32) und nennt seinen Plan, von Rom aus die Mission nach Spanien zu tragen (Röm 15,22-24.28). Zuvor will er Jerusalem besuchen, um dort die Kollekte abzuliefern (Röm 15,25-28). Paulus kam tatsächlich von Jerusalem aus nach Rom, wenn auch auf andere Weise, als er es sich vorgestellt hatte und die römische Gemeinde es erwarten konnte. Darüber erfahren wir nichts mehr in den paulinischen Briefen; wichtigstes Zeugnis dafür ist die Apostelgeschichte (Apg 21,15-28,31).
Wir folgen zunächst ihrem Bericht. a) Die Reise nach Rom Paulus wird wegen seiner Berufung auf den Kaiser nach Rom überstellt (Apg 22,25; 23,27; 25,21; 26,32; zur Romreise vgl. noch 23,11). Da-
mit stehen wir vor dem umstrittenen Problem des paulinischen Bürgerrechts, das nur von der Apg bezeugt wird. Die Schilderung der Reise nach Rom weist einige Züge auf, die im Blick auf Josephus' Reisebericht wichtig sind: - Wie Josephus die zentrale Figur seines Eigenberichtes ist, so ist Paulus Hauptperson der ganzen Darstellung des Lukas. - Auch seine Seereise ist durch einen Schiffbruch (Apg 27,27-41) gefährdet l9 . Den vielen Gefährdungen Seesturm (Apg 27,20), Schlangenbiß (Apg 28,3-6) und besonders die Tötungsabsicht der begleitenden Soldaten an den Gefangenen (Apg 27,42) korrespondieren die nach Gottes Willen vielfältigen Rettungen. Denn: Paulus muß Rom erreichen, um das Evangelium zu verkündigen (Apg 23,11). b) Die Ankunft und der Aufenthalt in PUleo/i (Apg 28,13-14) In Puteoli gibt es eine christliche Gemeinde (ix&A4>oI28,14), die Pau-
lus zu einem siebentägigen Aufenthalt bittet. Unter welchen Bedingungen dies Paulus (und seinen Begleitern - 'wir' -) möglich war, wird nicht erläutert, es scheint, als ließe ihm das Wach kommando größtmögliche Freiheit: Er hat sich Autorität erworben.
19 Die durcb das Bucb von H. Warnecke, Die tatsäcblkhe Romfahrt des Apostels Pauhas, Stuttgart 1987 ausgelöste Debatte berührt unser Thema nicht.
Josephus und P~/us in Rom
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c) Der Empfang durch die römische Gemeinde (Apg 28,14b-16) ~Und so kamen wir nach Rom4C. Die römische Christengemeinde kommt Paulus nach Forum Apii und Tres Tabernae zur Einholung (einavtl)O'te;) entgegen. Die ~Brüder4C sind für Paulus Anlaß zu Dank und Mut (15b). Lukas muß hier von den Christengemeinden in Puteoli und Rom berichten, obgleich er Paulus eigentlich zum Evangeliumsverkündiger von Rom machen möchte (Apg 28,3(}'31!; 23,11). d) Die äußeren Umstände des AufentluJhs in Rom Sowohl der Gesamtrahmen als auch Einzelzüge der Gefangenschaft des Paulus in Rom werden nur undeutlich sichtbar: Noch V. 16 wird Paulus gestattet, mit dem ihn bewachenden Soldaten für sich zu wohnen. Ist dieser Gefangenschaftsort die »eigene Mietwohnung« von V. 30? Weiter stellt sich die Frage, ob es hier Platz gibt, die Repräsentanten der römischen Judengemeinden zu empfangen (vgl. Apg 28,17fl). Paulus bleibt zwei Jahre in seiner Mietwohnung (Apg 28,30) - es ist keine Rede mehr von einer Bewachung! - und empfängt jeden, der zu ihm kommt: ~Er verkündete das Reich Gottes und lehrte über unsern Herrn Jesus Christus mit allem Freimut. ungehindert« (Apg 28,31). Auch bei Paulus hören wir nichts mehr über einen Kontakt zur christlichen Gemeinde. 3. Die Apostelgeschichte und das Ende des Paulus
Warum schließt Lukas seinen Bericht in dieser Weise? Drei Möglichkeiten sind zu bedenken: a) Wußte er nichts über den Ausgang des Prozesses und das weitere Geschick des Paulus? Das ist ganz unwahrscheinlich im Blick auf 1 Clem
5,5-7. b) Lukas wußte dies alles sehr wohl; und er weiß auch, was nach den zwei Jahren geschah. c) Auch die Leser, insbesondere Theophilos, kennen den Ausgang, da· rum muß ihn Lukas nicht berichten. Aber es muß auch innere Gründe für sein Schweigen geben. Will er das Verhältnis der römischen Gemeinde zum Staat nicht belasten?20 Was wäre mit den vielen Rettungen auf der Reise erreicht, wenn es in Rom keine Rettung gibt? Wichtig ist doch nur eines: Paulus predigt in Rom. 20 vgl. W. Stegemann, Zw;scben Synagoge und Obrigkeit. Zur bisloriscben Situation der lukaniscben Christen., FRLANT 152. Göuingen 1991.
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In zwei Phasen schildert Lukas gewissermaßen die Öffnung des Geningnisses für die Zuhörer der Predigt des Paulus: a) Apg 28,17-22: Nach drei Tagen ruft Paulus die Repräsentanten der jüdischen Gemeinde zu sich. Die Kernpunkte seiner Ansprache sind: Er hat nichts gegen das Volk und die väterliche Sitte getan; die Hierarchen in Jerusalem haben ihn, obwohl ihn die Römer freilassen wollten, gezwungen, sich auf den Kaiser zu berufen; er hat sie, die Gemeindeführer, gerufen, um ihnen seinen Fall vorzutragen, daß er nämlich »wegen der Hoffnung Israels diese Fessel trägt« (Apg 28,20). Man antwortet ihm, weder Briefe noch Boten erhalten zu haben, die Böses über Paulus berichten. sie möchten gerne hören, was er denkt; es ist ihnen bekannt. daß dieser a'Cp€ou; überall widersprochen wird. b) Apg 28,23-28: Nächste Stufe ist die Missionspredigt des Paulus vor einer größeren Zahl jüdischer Zuhörer. ~ Vom Morgen in den Abend hinein erklärte und bezeugte er ihnen das Reich Gottes und versuchte, sie vom Gesetz des Mose und von den Propheten aus für Jesus zu gewinnen« (Apg 28,23). Die Predigt führt zur Scheidung zwischen Glauben und Nichtglauben (vgl. Apg 17,4). Sie verlassen ihn uneins, als Paulus die Verstockung von Jes 6,9 auf sie bezieht und nun den Heiden das Heil gilt: »Darum sollt ihr nun wissen: Den Heiden ist dieses Heil Gottes gesandt worden; sie werden hören« (Apg 28,28). Jetzt öffnet sich seine Wohnung für alle, denen er zwei Jahre lang das »Reich Gottes« und »über den Herrn Jesus ChristUS4/: lehrt, )J.E""tQ naOT)(; napp1)O'laC; cu:wXirtWC;, »mit allem Freimut, ungehindert«. Die Darstellung des Lukas wirft eine Reihe von Fragen auf. Am Anfang sogleich das Problem der Einberufung der Gemeindeführer, der Repräsentanten der Juden Roms. Wen ruft er eigentlich zu sich? Wieso kann er sie rufen und folgen sie seiner Einladung? Zu einem Mann, von dem sie nichts wissen und bezüglich der christlichen Lehre und Gemeinde nur, daß dieser Q'(pE"OU; überall widersprochen wird? Sollte man auf eine Gemeinde, deren »Glaube verkündigt wird in der ganzen Welt« unter den Juden Roms nicht aufmerksam geworden sein? In Wahrheit ist die gesamte Darstellung der Absicht des Lukas unterstellt: Das Heil ist nun den Heiden gesandt (28,28). Für eine Fiktion des Lukas spricht aber nicht, daß Paulus hier, gegen die Abmachung von Gal 2,9, Juden predigt: Die Darstellung der Apg Whrt ihn regelmäßig zur Predigt in die Synagoge, was historisch den Tatsachen entsprechen dürfte. Da er in Rom nicht die Synagoge - wir können genauer sagen: die Synagogen - besuchen kann, kommen zunächst die Repräsentanten und dann eine größere zahl von Juden zu ihm. Nach ihrer Ablehnung wen-
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JOJ~phw und PIIUhu
in Rom
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det er sich den Heiden zu. Lukas wandelt sein Schema für die paulinische Mission hier lediglich ab.
IV. Zum VerlJijJtnis Juden - Christen in Rom
Ausweisung wuJ Verfolgung Eine rätselhafte Notiz bei Augustinus wirft ein vielleicht bezeichnen· des Licht auf das Verhältnis von Juden und Christen im Rom der 60er Jahre, für das wir sonst keine direkten Zeugnisse haben. Augustinus spricht von den Christen, die damals schon - zur Zeit Senecas - den Juden äußerst verhaßt waren: «Christianos tamen iam tunc ludaeis inimicissimos. (CivD VI,!!). Ansonsten sind wir, wegen des Mangels an direkten Zeugnissen (abgesehen von den schon besprochenen Nachrichten von Apg 28), auf Rekonstruktionen angewiesen. Von zwei historischen Ereignissen können wir ausgehen: dem Claudiusedikt des Jahres 49 und der Christenverfolgung im Jahr 64 unter Nero. Zwei Tatsachen sind wichtig: Bei der Ausweisung unter Claudius 49 wurden Juden und Christen zusammen vertrieben; daß auch Christen betroffen waren, beweisen Prisca und Aquila (in Korinth, später wieder in Rom). Der Text bei Sueton legt die Vermutung nahe, daß in den jüdi· schen Gemeinden durch christliche Missionare Unruhe entstand, die zur Ausweisung führte. Juden und Christen kehrten wohl spätestens zu Beginn der Herrschaft Neros (54) wieder zurück. An Prisca und Aquila können wir sehen, daß sich dann die Christen in eigenen Hausgemeinden organisierten. Das zweite wichtige Datum ist, daß unter der neronischen Verfolgung nur Christen zu leiden hatten. Jetzt sind den römischen Behörden die Unterschiede zwischen Juden und Christen offenbar. In den Jahren nach dem Claudiusedikt und der Rückkehr von Juden und Christen in den SOer Jahren nach Rom muß eine deutliche Selbstdifferenzierung von Juden und Christen stattgefunden haben. Die Vorteile dieser Trennung lagen zunächst bei den Juden: Sie gingen keine neue Gemeinsamkeit mit den Unruhestiftern ein, die die Vertreibung verursacht hatten. Die Juden konnten sich gerade in den Jahren, als der römische Druck auf die Christen begann, weiterhin ihrer Privilegien und der Fürsprache der Kaiserin erfreuen.
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Die Christen und der Brand Roms Die Schuld an dem verheerenden, zunächst eine Woche und dann nochmals drei Tage wütenden Brand Roms (Beginn 18./19. Juli 64) wird von Sueton und Dio Cassio offen, von Tacitus versteckt, Nero zugeschrieben. Die Schuldzuweisung an die Chrestian; geschah aber nicht durch Gerüchte vom Volk, sondern ging vom Kaiser aus. Es steht außer Frage, daß unter den Chrestiani die Christen zu verstehen sind, denn im folgenden führt Tacitus sie auf ihren Gründer Christus zurück. Erich Koestermann will in den Chres/iani jüdische Anhänger eines Agitators Chrestus (Sueton Caes C1audius 25,4) sehen, die von Tacitus fälschlich mit den Christen gleichgesetzt wurden 21 . Dieser Auffassung ist mit Recht widersprochen worden 22. Wir verweisen zurück auf die Deutung Hildebrecht Hommels23, die die ganz taciteische Darstellung erklären kann. Tacitus, der die wirkliche Bedeutung von chrestiani kennt, verwendet dieses Wort, um diejenigen, denen allerlei Verbrechen nachgesagt wurden, durch ein Wortspiel als lächerlich darzustellen. »Chrestiani bedeutete für den des Griechischen auch nur einigermaßen Kundigen dasselbe wie etwa unser Wort 'Biedermänner'«24. Die Biedermänner als Brandstifter! Nero beschuldigt die Christen, also führt schon das Bekenntnis zu Christus zur Festnahme. Nun dreht sich die Todesspirale: »dann wurde auf deren Anzeige hin eine ungeheuere Menge nicht so sehr des Verbrechens der Brandstiftung als einer haßerfüllten Einstellung gegenüber dem Menschengeschlecht schuldig gesprochen« (Ann 15,44,4). Hier begegnet einer jener Vorwürfe, der aus der Polemik gegen die Juden in die gegen die Christen übergegangen ist: Das odium human; generis der Christen hat sein Pendant in Tac Hist 5,5,1 über die Juden, von denen es heißt: ~~adversus omnes alios hostile odium». Es folgt die grausige Schilderung der Strafen, mit denen die Christen zu Tode gebracht wurden (Ann 15,44,4·5). Wir gewinnen aus der Art der Strafen wichtige Rückschlüsse:
21 VgJ. E. Kocstermann, Cornelius Tacitus Annalcn, Bd. 4: Buch 14.16, Hcidclbcrg 1968, IOf.253f. 22 VgJ. M. Hengel, Entslchungszcit und Situation des Markuscvangcliums, in: Markus-Philologie. hrsg. v. H. Cancik, WUNT 33, Tübingen 1984, 1.45, hier 35 und Anm. 133. 23 H. Hommel: Tacilus und die Cristcn. Ann. XV 44,2-5, ThViat 3 (1951) Io-JO, hier 15-17 (= dets., Scbasmata. Bd. 2, Tübingen 1984, 174-199). 2A Hommel, Tacitus (s.o. Anm. 23) 16.
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1. Einnähen in Säcke, Verbrennen und Kreuzigen waren nicht willkürliche Quälereien. sondern entsprachen römischer Strafpraxis. Das Verbrennen war die schon im 12-Tafelgesetz vorgeschriebene Strafe für Brandstifter - als solche galten ja die Christen überfühn 2S. 2. Das Kreuzigen belegt, daß die in den vatikanischen Gänen hingerichteten Christen kein römisches Bürgerrecht hatten26. Damit erklärt sich wenigstens zum Teil, warum nur Christen, nicht aber Juden verfolgt wurden: Ihr römisches Bürgerrecht, das Philo bereits für die Zeit des Augustus belegt 27 , hat die Juden vor den grausamen Hinrichtungen Neros geschützt. Das Volk aber zeigte Mitgefühl: »Als versöhnendes Licht über dem Schluß des Ganzen gebreitet liegt einzig der Bericht von der mise ratio, dem Mitleid des Volkes mit dem grausigen Schicksal der Märtyrer<~28. In der Schilderung der miseratio des Volkes hat Tacitus seine eigene Verurteilung des Kaisers in unüberbietbarer Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht29. Fassen wir die wichtigsten Ergebnisse für unsere Frage nach dem Verhältnis von Juden und Christen bei der Christenverfolgung Neros im Zusammenhang des Brandes Roms zusammen: 1. Wir haben keine Nachrichten darüber, daß Juden verfolgt wurden. Erst der fiktive Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca (Brief 11 < 12» spricht davon, daß Christen und Juden als Brandstifter hingerichtet wurden. 2. Es gibt keinen Hinweis auf eine Beteiligung der Juden an der neronisehen Christenverfolgung, sei es, daß sie die Christen beschuldigt hätten, sei es, daß sie auch nur beifällig zugesehen hätten. Auch daß sie die angebliche Freundin der Juden Poppäa Sabina eingeschaltet hätten. ist nirgends belegt und daher reine Vermutung. 3. Die Strafe des Verbrennens kann mit dem VOlWUrf der Brandstiftung zusammenhängen. 4. Das Kreuzigen ist Beleg dafür, daß die Mehrzahl der Christen nicht das römische Bürgerrecht besaßen. 5. Den römischen Behörden muß im übrigen der Unterschied zwischen Christen und Juden deutlich gewesen sein. Dies setzt eine klare organ i-
2S vgl. dazu die Nacb'NCise bei Lampe, Stadtrömiscbe Cbristen (s.o. Anm. 3) 71. 26 Zur Kreuzigung alssenik supp/icium vgI. die Untersuchungen von M. Hengel, The AtoDcment, Loadoo 1981. " Vgl. LegGa; 155. 28 Hommet, Tacilus (s.o. Anm. 23) 30. 29 Vgl. dazu Koestermann, Tacitus (s.o. Anm. 21) 258.
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Hemuul/1
Lichleflbe~,
satorische Trennung der jüdischen und christlichen Gemeinden in Rom voraus. Zum Schluß ist zu überlegen, warum Nero gerade die Christen zu Brandstiftern machte. Willy Rordorf erwägt, ob dies nicht mit der christlichen Erwartung eines eschatologischen Weltenbrandes in Verbindung stehen könnte JO• Allerdings ist zu fragen, warum sich der Vorwurf nicht dann auch gegen die Juden richtete, deren apokalyptisches Denken ebenfalls die tKmJpwal<; enthalten konnte (Sib 3,48; 4,172).
V. Die Gemeinsamkeiten des Anfangs
Das Bild, das wir erhalten, ist fragmentarisch: Weder treten uns der Romaufenthalt des Josephus noch die letzte Reise des Paulus und der Ausgang seines Geschicks klar vor Augen. Die Nachrichten über die jüdische und die christliche Gemeinde in Rom in den Tagen Neros sind bruchstückhaft und nicht immer zweifelsfrei zu deuten. Was wir aber wahrnehmen, ist von unschätzbarem Wert: Die Geschichte zweier Minderheiten am Ausgang der 50er und 60er Jahre, Nähe und Abgrenzung zu- und voneinander und ihre Existenz im Schatten eines wahrhaft totalitären Staates, einer übermächtigen Weltmacht, der sie aber beide - auf je verschiedene Art und Weise - ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, entgegensetzen konnten. Beide auf verschiedene Weise - und doch zunächst von gemeinsamen Voraussetzungen aus. Denn das Christentum verdankt dem Judentum alles. Wo immer der Weg Marcions beschritten wurde, ging der entscheidende Bezug verloren: zu dem einen Gott und der einen Schrift von Juden und Christen. Doch gerade die in der Schrift bezeugte messianische Hoffnung mußte zur Trennung führen: des Christus Jesus Verkündigung der Universalität des Heils und der Unbedingtheit der Gnade, wie sie keiner besser und entschiedener als Paulus verstanden und gepredigt hat. Die frühe Geschichte von Juden und Christen läßt den schmerzhaften Weg ahnen, mit dem das Christentum aus dem Judentum herauswächst. Sie verkörpert sich paradigmatisch in der Gestalt des Pharisäers Paulus. Wir erkennen auch etwas von dieser Gemeinsamkeit des Anfangs, wenn wir noch auf zwei Vorgänge aufmerksam machen: 30 W. Rordorf, Die neronische Christenverfolgung im Spiegel der apokryphen Paulusakten, NTS 28 (1981) 365-414.
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Josephus und Paulus in Rom
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1. Die erste sichere Nachricht über die Juden Roms - wir konnten darauf nicht eingehen - bezieht sich auf das Jahr 139 v.Chr. und ist die Nachricht einer Vertreibung. Die erste sichere Nachricht über die Christen Roms berichtet von der zusammen mit den Juden Roms erlittenen Vertreibung unter Claudius. 2. Am Anfang steht auch die Verachtung beider: Die Polemik gegen Ju· den geht direkt in die gegen Christen über. Wir hatten nur ein Beispiel genannt: der Haß gegen das Menschengeschlecht. Diese gemeinsame Geschichte findet ihre Krönung im Spottkruzifix vom Palatin mit dem gekreuzigten Esel: Der Esel aus der Judenpolemik ist als Gekreuzigter der Gott der Christen. Kehren wir zu den Anfängen zurück, verstehen wir vielleicht besser Karl Barths Ökumenisches Testament, »daß es schließlich nur eine große ökumenische Frage gibt: unsere Beziehung zum Judentum«3) .
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31 Zitiert naeh H.·J. Barkening..., Das eine Volk G()(tes, in: Umkehr und Erneuerung, hrsg.. v. B. Klappert / H. Starek. Neukirehen 1980. 167-181, hier 178.
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Johannes Hyrkan und der Reiche Jüngling Scheitern an der Einlaßbedingung bei den Pharisäern und in der Jesustradition (Ant 13,291 und Mt 19,21) Helgo Lindner, Dautphetal Der Bericht des Josephus über Johannes Hyrkans Bruch mit den Pharisäern (Ant 13,288-298) zeigt uns zwei Kräfte, die bis dahin gemeinsam für das Wohl des jüdischen Volkes gegen die hellenistische Unterdrükkuog und Überfremdung gekämpft und gewirkt hatten, den hasmonäischen Herrscher auf der einen Seite und die Kreise der Frommen auf der anderen. Sie geraten in Spannung und Gegensatz zueinander, was dann unter dem Sohn des Hyrkan, Alexander Jannai, zu erbitterter Feindschaft führt. Johannes Hyrkan I (135-104 v.ehr.) hatte sich zunächst bemüht, sich die Gunst der Pharisäer, deren Erziehung er selber durchgemacht hatte, zu bewahren. Die Zuneigung war beiderseitig: »er wurde sehr von ihnen geliebt« (Kal o4>Q5pa im' airtwv nyanfrtO), schreibt Josephus (Ant 13,289), bevor er die kritische Zuspitzung des Verhältnisses erzählt. Das Gastmahl, während dessen man sich näherkommt und beiderseits offener zueirtander wird, ist eine Initiative des Herrschers. Ausdrücklich erklärt Hyrkan den Pharisäern, sie wüßten ja, daß er gerecht sein wolle (airtov ßouXOJ.L€vov ftva\ BiKa\Ov) und alles täte, um Gott und ihnen zu gefallen (289). Ja, er bittet sie, wenn sie ihn in irgendeinem Stück sündigen und vom gerechten Weg ('tTlc; 6000 tf\<;: ou::cr.iac;) abweichen sähen, ihn auf diesen wieder zurückzuführen und ihn zurechtzubringen (290). Damit unterstellt sich Hyrkan der Halacha der Pharisäer und gibt ihnen gleichsam die unumschränkte Einflußnahme auf seine Amtsführung. Jedenfalls scheint es so, und es ist ohne weiteres deutlich, daß Josephus hier eine pharisäerfreundliche - und letztlich hasmonäerfeindliche - Überlieferung aufgenommen hat. Das wiederholte Stichwort OiKcr.u:x;, der Gedanke der Umkehr, des gerechten Weges, der Zucht, ja der Überordnung der geistlichen über die weltliche Autorität: Alles weist in diese Richtung. Der Bericht bringt zunächst auch das Lob und die Anerkennung der Pharisäer für ihren erfolgreichen Musterschüler, dann aber die kritische
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Ht/go LiJtdnu
Wendung: Einer der Gäste, Eleazar. stellt den Hasmonäer vor die Entscheidung: .Da du gebeten hast, die Wahrheit zu erfahren: Wenn du gerecht sein willst, lege die Hohepriesterwürde ab, und allein die Herrschaft über das Volk genüge dir. (291). Daß Eleazar unter den Pharisäern mit dieser Meinung nicht alleine stand. sondern als ihr Sprecher auf· trat, wird von Josephus allerdings verdeckt: Eleazar sei ein böswilliger und auf Aufruhr bedachter Mann gewesen (291), durch Intrigen von sadduzäischer Seite habe Hyrkan sich ein negatives Bild von den Pharisäern beibringen lassen (293-295), und insgesamt hätten diese den Vorstoß des Eleazar durchaus verurteiJt (292). Die interessante talmudische Variante der Erzählung in bQid 66a, in der z.T. andere Namen genannt sind, die das Ganze auch in die Zeit des Jannai verlegt, hat denn auch für den Redner, der dem Hyrkan die Beschränkung auf die »Königskrone« empfiehlt, keinen Tadeil. Wir gehen hier der Geschichte Hyrkans nicht weiter nach. kommen von ihr aus aber zur neutestamentlichen Geschichte von Jesus und dem ltReichen Jüngling« (Mk 10.17-22 par.). Schon vor vielen Jahren ist mir aufgefallen, daß Eleazar mit seinem Wort an Hyrkan eine ganz ähnliche Wendung gebraucht wie Jesus gegenüber dem reichen Mann bei Matthäus. Eleazar: .Wenn du gerecht sein willst, .... (d 9tA€ll; Elvall)",OW<; Ant 13,291)2. Jesus - nach MattMus (19,21): .Wenn du vollkommen I R.T. Herford, Die Pharisäer, Köln 1961, 4lf. Dort auch (391) eine Wiedergabe des bebräiscbea Textes uad eine Überselzung. Was letzlere anbetrifft. folge ich A. SchaJil, König Herodes. Der Mana uod seiD Werk. SJ ., BertiD 1969, o464f Anm. 1085. ALs 8araita stelk die lalmudische Fusuag der Enähluag eia schi' alles ÜberlieJenIDgc.stadium dar. Das Hebrälsch ist weseDllich liier als das der Mischaa (Herford 41). Hier wie bei Josephus wird 'YOD seilen der Pharisäer die mangelnde Eipung des Hyrkan für die Hobepriesterwürde mil der Aaaahme begründet. daß seine Mutter in KriegsgefangeDSChafl gewc· sen sei, also dea Reinbeilsbeslimmungen der Prieslerfamiliea (Lev 21,14) nichl mehr ealSprochen haben könne. la beidea Berichlea wird die Annahme aber als nichl ZUlreffend bingesieUI. Allerdings aennl die lalmudische Tradilion für den Ral an den Herrscher aus dem HasmoaaergeschJechl (hier Jannai) DOch einen anderen Grund: Er saUe sich mit der Königc.krone begnügen und die Pries!:eruooe dem Samen AaroßS überlassen ('lI1J ,~ J1 p1.1X ~ 1Y11' il.l1ilJ 1I1J illi1 nlJ'Jn). Die Hasmonäer stammlen wohl aus einer Prieslerklas.se, warea aber nichl Angebörige des hobeprieslerlichea Geschlechts. Die Argumenlatioa stimmt hier, wo sie sich von der bei Josephus gegebenen UDlerscbei· det. mil der der Oumrangemeiaschafi überein. 2 So die Handschl'ulea AWE und R. Marcus in der L..oeb-Editioa (Josephus., Jewish Antiquities. Boob XII-XIV, in: Josephus, Irans.!. R. Marcus., Bd. 7, LCL 365, London u.a. 41966, 372), ähnlich M uod V, während 8. Niese (AntiquilaIWll ludaicaruo:t übri VI-XV, in: Flavii Josephi Opera, ed. B. N'tCSC, Bd. 3, Berlin 21955,205) mil dem Text 9tM:\c; 6E e:ÜJm 6~ den Handschriften PFL folgt. Zur allgemeinea Beurteilung der Ha.ndschrif· lea vgI. H. Schreckenberg, Reuptioasgeschichlliche und lextkritische Ualersuchungen zu Aavius Josephus., ALGHL 10, Leidea 1977, 1141f.
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Hyrlcll/1 und tkT Reiche JiJngling
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sein wills~ ...• (rl etA(1I:;
1a
b
Hyrkan (Anl 13,288-298)
Reicher Jüngling (MI 19,16·22 par.)
Sie wUßten, daß er gerecht sein wolle und alles täte, um Gott und ihnen zu gefallen ... Wenn sie ihn aber sündigen und vom gerechten Weg abweichen sähen, sollten sie ihn wieder auf diesen zu· rückführen und ihn zurechlbringen. (Lob von seiten der Pharisäer)
Er hat die Gebole alle gehallcn.
..Was fehlt mir noch?.. (nur MI!)
Jesus sah ihn an und lieble ihn. (nur Mk!)J
J Vgl. Ant 13,289: .. Er wurde sehr von ihnen geliebt.. s.o. S. 263.
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266 11.
b
ZUspitzung der pharisäiscbeu Anforderung durch Eleazar: Verzicht auf die hobepriesterlicbe Würde (Rückfrage des Hyrkan) (Begründung der Zuspitzung durch Hinweis auf die mögliche: Unreinheit der Mutter) Zorn des Hyrkan
Jesus rordert deG Reichen zum Verzichl auf semeu Besitz und zur Nachfolge auf.
Der junge Mann geht traurig rort.
Für den Jesusstoff kann der Vergleich deutlich machen, daß Besitzverzicht und Nachfolge nicbt die Anforderungen einer Sondermoral sind, die die für alle geltende Gebote-Ethik überbieten kann (aber nicht muß); sie sind vielmehr die Zuspitzung der Gebote: An der konkreten Nachfolge entscheidet sich auch die Stellung des Menschen gegenüber den Geboten. Jesu Nachfolgeruf an den einzelnen, der je verschieden aussehen wird, ist Konkretion des ersten Gebotes. Für die Pharisäer heißt dies: Die Frömmigkeit des Hyrkan kann nicht aufgrund seiner allgemeinen Toratreue bestätigt werden, sie entscheidet sich für ihn vielmehr an seiner konkreten Respektierung der hohepriesterlichen Würde. Gleichzeitig wird hier deutlich, wie stark der frühe Pharisäismus Anteil nahm an der Entwicklung des Hohepriesteramtes: Wie entschieden jetzt, nachdem der Kampf gegen die Seleukiden und die mit ihnen paktierende Priesterschaft gewonnen worden war, der Wortlaut der Tora gegen diejenigen geltend gemacht wurde, die das Volk im Freiheitskampf geführt hanen 4 .
2) Mit den Adjektiven l)iJcalO<; bei Josephus und ~"A€lO<; bei Manhäus ist jeweils der Schlüsselbegriff genannt, unter dem bei den Pharisäern bzw. in der (matthäischen) Jesustradition die Gottesbeziehung eines Menschen beurteilt wird. Tun und Ergehen liegen im Begriff beieinander: Wer als l)iJcalO<; bzw.'~"A€lO<; lebt und handelt, wird auch - wenn nicht jetzt schon sichtbar, so doch am Ende - von Gott als ein zu ihm gehöriger Mensch behandelt bzw. angenommen 5 . Für die Pharisäer steht hier die Tora als Manifestation des Gotteswillens im Mittelpunkt mit• In diesem Sinue beschreibt A. Schlatter, Geschichte Israels von AJeuuder dem Großen bis Hadrian., StUllgart ]1925 (Nachdruck 1977), die Pharisäer als die .Frommen. die nach dem Priesterrecht lebten« (138). Vgl. zum Ganzen auch R. Meyer, Tradition und Neuschöpruog im antiken Judentum. Dargestellt an der Geschichte des Pharisäismus., SSAW.PH 110/2, Berlin 1965,7-88, hier 44-47. oS K. Koch, Art. DOO, THAT 2, 1045-1051, spricht 1050 von einer .Ooppelscitigkeit des Gedankeas«, die .bei einer FiaJle verwaudter Ausdrücke nachzuweisea ist«: ..einerseits em der Gemeinsc.haftsbeziehung zu Gott adäquates men.sc.blicbes Tun, andererseits eio glückhaftes, barmoni.scbes Ergeben«.
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HyrlcQII und tkr Reiche JÜIlgling
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samt der Autorität der »mündlichen Tora«, worauf Josephus im Zusammenhang der Hyrkangeschichte ausdrücklich zu sprechen kommt (297). Und auch Jesus stellt die Eingangsfrage des Reichen ganz in den Kon· text des Toragehorsams 6, nur bringen Besitzverzicht und persönliches Nachfolgeverhältnis dann eine eigene, jesusartige Auslegung. Beim Stichwort 't€AE"W<; geht es um das Tun, das den Eingang ins ewige Leben erschließt: V. 21 nimmt die Eingangsfrage des Mannes auf. Bei Matthäus ist dies in V. 17 noch verstärkt durch die Auskunft Jesu: »Wenn du aber zum Leben eingehen willst. halte die Gebote.« Wenn Matthäus 't€A€lO<; als zusammenfassenden Begriff für die rechte Haltung des Menschen vor Gott gebrauchen kann, so zeigt sich hier seine besondere Theologie, die die Jesusnachfolge in der christlichen Gemeinde als die im Vergleich mit der pharisäischen seiner Zeit ~~reichere« Gerechtigkeit (Mt 5,20) herausstellt. Das pharisäische Stichwort 5tKaw<; wird positiv aufgenommen (vgl. auch Mt 23!), dann aber durch 't€A€lO<; im Sinne Jesu überboten. Gerade in der Feindesliebe und dem Verzicht auf Wiedervergeltung bewährt es sich, daß die Jünger in einer neuartigen Orientierung an Gott stehen: »)SO sollt ihr nun vollkommen ('t€AE:\Ol) sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen (~i:Ä€we;) ist« (5,48). In der Parallelüberlieferung des Lukas (6,36) steht an dieser Stelle nicht ~i:Ä€we;, sondern beide Male ol«ipJ.LWv »barmherzig«. Jeder der Evangelisten bringt sein Proprium ein, ohne daß einfach entschieden werden könnte, wie Jesus selber gesprochen hat. Die Jesustradition schließt hier durchaus an die alttestamentlichpriesterliche »Orientierung an Gott« an, die dem ganzen Volk Israel geboten ist: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott« (Lev 19,2). Ja, die Begriffe olKawe; bei Josephus und ~i:Ä€we; bei Matthäus können als konkurrierende Versuche gefaßt werden, die HeiJigung Israels zu konkretisieren.
3) Die Übereinstimmung zwischen Josephustext und Matthäus betrifft nicht nur den Stellenwert des 5tKaw<; bzw. 't€AE:W<;, sondern auch das gesamte Satzgefüge. Auf den Konditionalsatz ») Wenn du ... sein willst« folgt jeweils die entscheidende Aufforderung. Der synoptische Vergleich der
6 Daß sicb die Ganzheit des GottesverhäJtnisses an der umfassenden Erfüllung der Tora bemißt, ist auch die Überzeugung der Oumrangemeinscbart, deren Entstehung ebenfalls ins zweite vorchristliche Jahrhundert fällt, ...g1. die Gcmeinschaftsregel (1 OS). Der frühe Pbarisä..ismus hat eine auffallende Nähe zu Oumran gerade in der Betonung eines ....ollkommenen. Toragehorsams. Was die Jesustradition anbetrifft, so ist die Nähe zu Oumran beim Besitzverzieht immer wieder aufgefallen. Neben Mt 19,21 par. ist hier besonders auf Ad 2 und 4 hinzuweisen.
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He/go Lindne,.
Evangelien zeigt, daß diese dem Josephustext analoge Voranstellung des Konditionalsatzes ein Proprium des Matthäus ist. Denkt man an die auch sonst zu beobachtende »rabbinische« Gestaltung des Jesusstoffes durch Malthäus, so legt es sich nahe, daß Matthäus die - vielleicht in mündlicher Überlieferung existierende - pharisäische Tradition über Hyrkan nicht nur gekannt, sondern in der Formung der Geschichte vom Reichen Jüngling bewußt mit einbezogen hat7. 4) Wir sind durch die bereits genannte TalmudsteIle bQid 66a in die Lage versetzt, die josephische und die talmudische Fassung zu vergleichen: Auch in der letzteren geht es um ein Festmahl des Hasmonäer· herrschers - hier allerdings des Alexander Jannai - mit den »Weisen Israels«, und zwar zur Feier der Eroberung von 60 befestigten Städten. Der »König«, angestiftet durch einen streitsuchenden Ratgeber, prüft die Weisen, indem er demonstrativ die goldene Stirnplatte als Zeichen der Hohepriesterwürde anlegt. Daraufbin folgt durch einen der Weisen der offene Protest: »König Jannäus, laß es dir genug sein mit der Königskrone ... (8. Die rabbinische Erzählung hat im Dialog sogleich die Konfrontation beider Seiten; die Diskussion um die Anerkennung der Toratreue des Herrschers fehlt völlig, dementsprechend fehlt auch in der Anrede an ihn der Vordersatz ,.Wenn du gerecht sein willst ...«. Die Übereinstimmung des Matthäus mit Josephus setzt sich in der talmudischen Erzählung nicht fort. Anderseits ist nach der Eigenart des Konditionalsatzes zu fragen. Die Frage nach dem als »gerecht« zu qualifizierenden einzelnen setzt in der exilischen und nachexilischen Situation ein, bei Jeremia, Hesekiel, in der Weisheit. In der hellenistischen Zeit kann sie sich mit den Idealen der griechischen Philosophenschulen verbinden. Die Stoa kennt das Ideal des vollkommenen Weisen, der in einem schroffen Gegensatz zu den Toren steht9. (Pseudo-)Diogenes schreibt an Alexander den Großen: »Wenn du rechtschaffen werden willst, wirf fort den Lappen, den du auf 7 Was Josephus betrifft, so hatte er die jüdische Geschichte von den Makkabäern an bereits im SeUum behandelt, vieUeicht unter Zugrundelegung eines Wcrkes des Nikolaos von Damaskus. Bei Abrassung der Antiquitates bat er dann das BeUum und/oder die ihm zugrundeliegende(n) OueUe(n) aufs neue herangezogen, auf jeden Fall aber neues Material mit eingebracht. Vgl. Sh.D. Cohen, Josepbus in Galilee and Rome. His Vita and Devclopment as a Historian, Columbia Studies in the Classical Tradition 3, Leiden 1979, 5Of. Hierher gebört auch dic uns beschäftigcnde pharisäischc Tradition, die im Bellum (vgl. t,67) Doch fehl!. 8 Die Fortsetzung s.o. Anm. 1. 9 M. PoblcDZ, Dic Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 31964, 15J. 158.
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269 dem Kopf hast, fort, und komm zu uns.«10 Die Frage nach der Qualifikation des einzelnen innerhalb eines Konditionalsatzes»Wenn du ... sein willst, ...« mit darauffolgender Aufforderung des Aufgebens und Sich-andie-Gruppe-des-Redenden-Anschließens ist offenbar im Hellenismus und gerade auch im hellenistisch geprägten Judentum als feste Form vorgegeben, ehe sie ins Neue Testament kommt. In die gleiche Richtung weist die Übereinstimmung des Matthäus mit einem anderen stoischen Text. Epiktet schreibt von seinem kargen und bedürfnislosen Leben: ))Seht mich, ich habe kein Haus, keine Stadt, kei· nen Besitz, ... allein die Erde und den Himmel und einen einzigen Mantel. Und was fehlt mir?« (kaI ,i J.W\ ),Ein€l Epict Diss III 22,47)". Nach der Feststellung seiner Gebetserfüllung fragt der Reiche nach Matthäus: "[l hl \xn€pW »Was fehlt mir noch?« (19,20). Allerdings spricht der Reiche diesen Satz nicht im Bewußtsein der durch seinen Gehorsam erreichten Vollkommenheit, da er sonst nicht zu Jesus gekommen wäre. Bei Markus und Lukas erscheint die Unvollkommenheit des Mannes im Wort Jesu (»Eines fehlt dir ...«), und zwar eben an der Stelle, wo Matthäus den Konditionalsatz »Wenn du vollkommen sein willst« hat. Der Ubergang von »Eines fehlt dir« zur Aufforderung des Besitzverzichts ist härter und paradoxer als die durch den Gedanken der Vollkommenheit vermittelnde Fassung bei Matthäus, gerade darum vielleicht aber dem Wort Jesu historisch auch näher. 5) Nicht nur die synoptische Überlieferung, sondern auch der johanneische Stoff des Nikodemusgesprächs sollte in unserem Zusammenhang bedacht werden: Joh 3. Die Nähe zum Josephustext liegt - wie übrigens auch bei Lukas (18, 18)! - darin, daß der bei Jesus anfragende Mann ein »Führer(~. ein »Oberster« ist: ein äpxwv. Ein (ipxwv "[@v 'Iovrotwvähnlich wie und doch wieder anders als Johannes Hyrkan! Auch hier geht es zunächst um den werbend-anerkennenden Zugang zum Lehrer, eine freundliche Annäherung, die aber - wie bei den Synoptikern - dort, wo das Stichwort »Gott« fällt, von Jesus schroff zurückgewiesen wird. 10 AJ. Malherbe, Thc Cynic Epistles, $ources for Biblical Study 12. MissouJa (Mo.) 1977,24. Brier des Diogenes zit. nach K. Bergcr I C. Colpe, Religionsgeschichtlichcs Textbuch zum Neuen Testament, Texte zum Neuen Testament 1, Göttingcn u.a. 1987,66. Die Fortsetzung des Spruches .. Aber du wirst nicht können, denn du wirst festgchahen dureb die Scbenkel des Hephaistion« (homosexuelle Bindung?) 7.eigt die Nähe zur Situation des Reichen Jünglings. was die Herausgeber des Textbuches veranlaßt hat, diesen Text unmittelbar zu Mk 10,17-22 anzuflihren und auf die Redeweise der kynischen Wan· derphilosophen hinzuweisen. 11 Ebenfalls zitiert bei K_ Berger I C. Colpe, Textbuch (5.0. Anm. 10) 106.
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He/go Undner
Auch hier wird in einer für den Frager überraschenden Härte die EinJaßbedingung ins Reich Gottes formuliert, nun allerdings nicht unter den Vorzeichen von Besitzverzicht und Nachfolge, sondern mit dem johanne~ ischen Motiv der neuen Zeugung aus Gott. Gerade der »Lehrer Israels« muß hier das Entscheidende erst noch lernen (3,10). Judentum und Christentum hahen ein tiefes Wissen darum, daß die Gottesbeziehung des Menschen über seine Existenz letztlich den Ausschlag gibt. Gerade an dieser Stelle, wo ihm das Größte zuteil werden kann und soll. ist er zugleich am tiefsten gefährdet. Wer dem Menschen die Wahrheit nicht schuldig bleiben will, wird ihm auch immer wieder die Einlaßbedingung in sehr konkreter Form zu sagen haben, die »enge Pforte«, von der die jüdischen Lehrer, die Pharisäer ebenso wie Jesus zu sagen wußten. Gleichzeitig dürfte durch die vorstehenden Überlegungen deutlich geworden sein, wie gerade das heutige christlich-jüdische Gespräch auf das Zeugnis und die Stimme des Josephus nicht verzichten kann. (Abgeschlossen am 19.8.1988)
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Synagoge und Ekklesia •
Erwägungen zur Frühgeschichte des Kirchenbaus Peter Maser, Münster _Und ist tkM flichl diu gonu Ovist~ntwn aufs JUMtJIUm
grbaut t.
Ussing, NQJhtlll fk, W~is~. 4. Aufzug, 7. Aulrrilt.
1. Das Problem der ,.Haus-Kirche« Im Jahr 1964 stellte Willy Rordorf in der »Zeitschrift für die neulestamentliche Wissenschaft« wieder einmal die Frage: ~ Was wissen wir über die christlichen Gottesdiensträume der vorkonstantinischen Zeit?«1 Die Ergebnisse, die hierbei erzielt werden konnten, waren bescheiden genug. Daß sich die Gemeindegouesdienste der Frühzeit in sogenannten Hauskirchen vollzogen. also in Häusern von ~Mitgliedem der jeweiligen Lokalgemeinde«. lassen das Neue Testament und die patristische Literalur deutlich erkennen 2. UnkJar bleibt allerdings, wann, auf welchem Wege und unter welchen Umständen es dazu kam, daß die gelegentliche Nutzung einzelner Räume in Privathäusem den Gemeindebedürfnissen
I w. Rordod, Was wissen wir über die christlichen Gouesdiensträume der vorkonstantinischen Zeit?, ZNW 55 (1964) 110-128. (Vgl. auch noch dcrs., Der Sonntag. Ge· schichte des Ruhe- und Gottcsdiensttages im ältesten Christentum, AThA!'IT 43, Zürich 1962). 2 Vgl. W. Rordorf, Gotlesdiensträume (s.o. Anm. 1) 113--116, wo auch die einzelnen Belege aufgdührt werden_ Zurückhaltung dürfte allerdings gegenüber der Tradition des Hauses der Mutter des Johannes Markus auf dem Jerusalemer Zionsberg gelx)lcn sein. die Rordorf im Gdolge von Tb. Zahn, Die Dormitio Sanclae Virginis und das Haus des Johannes Markus, in: NKZ 10 (1899) 3n·429, zu unkritisch rderierl. Vgl. auch noch E. Dassmann. Hausgemeinde und Bischofsamt, in: Vivarium. FS Tb. Klau.ser zum 90. Ge· burtslag, JAC.E 11, Münster 1984,82-97, mit interessanten Hinweisen auf den jüdischen Hintergrund 87f und 90.
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Peter Maser
nicht mehr entsprach, so daß nun Privat häuser in ihrer Gesamtheit als »Gemeindezentren« hergerichtet wurden3, Gewiß ist es generell zutreffend, von den ersten Jahrhunderten als der )~Zeit der Hauskirehen« zu sprechen 4, trotzdem wird man aber wohl vom
Ende des 2. Jh.s an damit zu rechnen haben, daß »auch eigentliche Kirchengebäude existierten. die von einzelnen Lokalgemeinden erbaut WUfden«5. Einen bisher völlig singulären Einblick in die Verhältnisse des frühen 3. Jh.s gestattet die auf das Jahr 232 datierte »Hauskirehe« von Dura Europos, eine Hausanlage, die offensichtlich gänzlich Gemeindezwecken nutzbar gemacht worden war. Neben einem gottesdienstlichen Saal gab es eine »Sakristei« und ein »Baptisterium«. Allerdings ist die letztere Zweckbestimmung bereits einigermaßen umstritten, wie auch die Deutung der anderen Räumlichkeiten in der Hauskirche von Dura Europos keineswegs abschließend geklärt werden konnte6. Möglicherweise befanden sich in einem oberen Stockwerk Wohnräume, die von Gemeindefunktionären oder aber dem Besitzer des Hauses genutzt wurden. Vergleichbare Verhältnisse offenbaren die Überreste der römischen Titelkirchen 7. Wie schwierig sich die Probleme der literarischen und ar· 3 Vgl. u. a. die Schilderung der Hauskirche im numidischen Cirta nacb den Gesta apud Zenor.Jum consularem, hrsg. von H. von Campenhausen, KIT 122, Berlin 21950, Nr. 28 S. 37ff, und bei Optatus, Appendix (CSEl. 26,187). Der Bericht über die Konfis7jerung dieses Gebäudes, das eine bibliothecQ und ein trielinium besaß, ist auf den 19. Mai 303 datiert. Zur Verwendung des tric/i/1iums als Gottesdienstraum vgl. auch Thomasakten 131 (NTApoS 2,334), und die Actus Ver<:cllenses (NTApoS 2,274). Entscheidende Bedeutung wird beim Übergang von der gelegentlichen Nutzung von Privathäusern zur Einrichtung der domus eec/esiu der Herausbildung des Monepiskopats und der Entwicklung der Eucharistie zugemessen werden müssen. Vgl. aucb noch die erneute Zusammenstellung der Belege bei H.-J. Klauek, Hausgemeinde und Hauskirche im früben Christentum, SBS 103, Stultgart 1981. - Zur imulQ chrtlieflfle von Hippo Regius, die rund 120 Säle umfaßlc, vgI. H. Laag, AJtchristliche Gemeindezentren, KuKi 27 (1964) 175-179. 4 W. Rordorf, Gottesdiensträume (s.o. Anm. I) 111. S W. Rordorf, Goltesdienslräume (s.o. Anm. I) ebd.; vgl. zu den selbständigen Kirchengebäuden der vorkonstantinisc.hen Epocbe, die nur aus den literarischen Quellen rekOnslruiert werden können, W. Rordorf a.a.O. 122-127. 6 Vgl. den immer nocb hervorragend informierenden Artikel .Dura-Europos_ von O. Eissfeldt, in; RAC 4, 358-370, sowie C.H. Kraeling, Excavations at Dura-Europos. Final Report 8,2; Tbe Cbristian Building, New Haven 1967. 7 Vgl. J.P. Kirsch, Die römischen Titelkirchen im Altertum, SGKA 9/1.2, Paderborn 1918, Nachdr. New Vork 1967; P. Lanzoni, I titoli presbiterali di Roma antica nella storia e nella leggenda, RivAC 2 (1925) 195-257; G. Mauhiae, Le chiese di Roma dal sec. IV al X seculo, Roma cristiana 3, Bologna 1962, 54- n. Sehr kritisch beurteilt A. M. Schneider, Die ältesten Denkmäler der Römischen Kirche, in; FS zur Feier des zwcihundertjährigcn Be.stehens der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 2. Phil.·hist. Klasse, Berlin U.3. 1951,166-198, hier 195((, die Traditionen über die römischen Titelkirchen.
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chäologischen Überlieferung hier im einzelnen darstellen, läßt sich etwa am Titulus Clementis demonstrieren, den bereits der Ausgräber, der große Giovanni Battista de Rossi, als conventiculum der Gläubigen Roms identifizierte, das der memoria des hl. Clemens gedient habe. Die letztere Behauptung dürfte zu weit greifen, näher liegt die Annahme, daß der Name des ursprünglichen Besitzers eine Symbiose mit dem des berühmten römischen Bischofs aus dem 1. Ih. eingingB. Zu welchen Verwirrspielen es in solchen Fällen kommen konnte, zeigt auch das Beispiel des römischen Titulus Sabinae, wo der Name der Stifterin eine legen. darische Passio und das Heiligenfest der Sabina von Rom am 29. August produzierte9. So unbestreitbar also auch die Existenz von Hauskirchen in vorkonstantinischer Zeit ist, so wenig wissen wir bisher verläßlich über deren Genese, über ihre architektonische und künstlerische Ausgestaltung sowie über die Funktionen der einzelnen Bauteile. An der Wende vom 2. zum 3. Jh. dürfte sich die Bezeichnung ecclesia bzw. domus ecclesiae an die frühchristlichen Kirchenbauten geheftet haben lO . Noch Clemens von Alexandrien bemühte sich jedoch um begriffliche Exaktheit und erklärte: )lch nenne (hier) nicht den Raum, sondern die Gemeinschaft der Auser· wählten die Ecclesia.«11 Aber das waren bereits Rückzugsgefechte, denn schon Origenes sprach ganz selbslverständlich von dem »Bau der Kir· che«12. Gleicher Sprachgebrauch findet sich bei Tertullian 13 und Laktanz l4 . Diese Entwicklung läßt Rückschlüsse auf bedeutsame Veränderungen zu, die das Verständnis des frühchristlichen Kirchenbaus noch in vorkonstantinischer Zeit erfuhr. Sieht man nun allerdings die neueren Darstellungen der Christlichen Archäologie durch, wie sie zum Beispiel von Ekkart Sauser l5 , Carl An-
8 Vgl. C. Cecchelli, San Clemenle, Le chiese di Roma ilIustrale 24/25, Rom 1930, und E. Junyent, 11 titala di San elemente in Roma, Sludi di antichita cristiana 6. Rom 1932. 9 Vgl. JJ. Berthier, L'6g1isc de Sainte-Sabine ä Rome, Rom 1910, und F. Oarsy, Sanl3 Sabina, Le chiese di Roma illustrate 63/64, Rom 1961. 10 Vgl. A.M. Schneider, Die altchristliche Bischofs- und Gemeindckirche und ihre Be· nennung, NGWG.PH 1952, Göttingen 1952, 154-161. 11 Clemens Alexandrinus, Strom VII 5 (GCS 17,21 PG 9,436; BKV 5.341). 12 Origenes. Cels 6,n (GCS 2,147); In Mauh 24,9 (PG 13,1654). J) Tertullian, Oe idololalria 7 (CSEL 20/1,36). Vgl. dazu L. Voelld, Oie konstantini· sehen Kirchenbauten nach den lilerarischen Quellen des Okzidents, RivAC 30 (1954) 99lJ6. 14 Lactantius, Oe mortibu.s perseculorum 12 (CSEL 27/2,186). 1.5 E. Sauser, Frühchristliche KunSI. Sinnbild und Glaubensaussage, Innsbruck 1%6.
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dresen l6• Heinz Kähler 17, Beat Brenk l8, Pasquaie Testini 19, Friedrich Wilhelm Deichmann 20 oder Arne Effenberger21 vorgelegt worden sind, so verdichtet sich der Eindruck, daß das Problem des vorkonstantlnischen Kirchenbaus von der Forschung inzwischen als praktisch unlösbar zur Seite geschoben wird. Die Basiliken der konstantinischen Epoche haben ihre eigene Vorgeschichte praktisch vollständig verdrängt! Wobei es ja auch noch völlig ungeklärt ist, inwieweit die Basiliken aus konstantinischer Zeit überhaupt irgend etwas genetisch mit dem zu tun haben, was sich vor der Bekehrung des Kaisers zum Christentum als Kirchenbau etabliert hatte22. Nicht wenige Autoren neigen der Ansicht zu, die konstantinische Basilika sei so etwas wie die geniale Erfindung des frühen 4. Jh.s, die niemals wirklich überholte Leistung eines kaiserlichen Architektenbüros also 23• das mit der Salvatorbasilika am Lateran ein typenbildendes Bauwerk von solcher Ausstrahlungskraft geschaffen habe, daß diese Kirche ihren alten Ehrentitel cunctQ1Um capUl et maler ecc/es;arum sehr zu Recht trüge 24 . Im Blick auf das zur Verfügung stehende vorkonstantinische archäologische Material wird man bis auf weiteres der bereits erwähnten Resignation innerhalb der Forschung wenig entgegenzusetzen haben. Selbst die Hauskirche von Dura Europos gibt ja genau genommen mehr Probleme auf, als sie lösen hilft 25 . Wenn die Frage nach dem vorkonstantini16 C. Andresen, Einführung in die Christliche Archäologie, KiG I/BI, Göltingen 1971. Vieles von dem, was in dieser kommentierten Bibliographie zu kun kommen mußte, findet sich ausführlich dargesteUt und begründet bei dems., Die Kirchen der alten ChrtsteDheit, RM 29.1/2, Stutlgart 1971. 17 H. Kähler, Die frühe Kirche. Kuli und Kultraum, Berlin 1972 (Nachdr. Frank-
f"'I/M. 1982). 18 B. Brenk. Spätanlike und frühes Christentum, PKG Suppl. 1, Frankfurt/M. 19n. 19 P. Testini, Archeologja cristiana. Nozioni gcnerali dalle origini alla fine dei sec. VI, Ban 21980. 20 F. W. Deichmann, Einführung in die christliche Archäologie, Darmstadt 1983. 21 A. Effenberger, Frühchristliche Kunsl und Kultur. Von den Anfangen bis zum 7. Jahrbundert, München 1986. 22 VgJ. dazu zusammenfassend N. Duval, Lcs ~difices de culte des origines ä I'tpoque constanlinienne, Sludi di antichila cristiana 32, AClAC 9, 1 (1975) Rom 1978, 513-537. 23 So bat sich vor allem, wenn auch mit zunehmender Differenzierung E. Langlolz / F.W. Deichmann, Art. Basilika, RAC I, 1126-1259, geäußert, vgI. auch F.W. Deichmann, Einführung (5.0. Anm. 20) SOff. Von der ..schöpferischen Leislung eines kaiserlichen Architektenbüros_ spricbt neben anderen auch Andrescn, Einführung (s.o. Anm. 16) 826. :u VgJ. H. Brandenburg, Roms frühchristliche Basiliken des 4. Jahrhunderts, Heyne Slilkunde 14, München 1979,22-54. 2S Man vgJ. nur A.v. Gerkan, Zur Hauskirche von Dura·Europos, in: Mullus. FS Th. Klauser, brsg. v. A. Stuibcr, JAC.E I, MünSler 1964, 143-149.
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schen Kirchenbau nun trotzdem nicht als unbeantwortbar gestrichen werden soll, wird man sich von einer rein archäologisch orientierten Betrachtungsweise und Fragestellung lösen müssen und zu prüfen haben, woran die frühen christlichen Gemeinden anknüpfen konnten, sobald ihnen die Gestaltung eigener gottesdienstlicher Stätten möglich wurde bzw. diese durch das Anwachsen der Gemeinden und ihre endgültige Ausgrenzung aus dem Judentum einfach notwendig wurde. Daß das Christentum, die Ekklesia, aus dem Judentum, der Synagoge, herausgewachsen ist, gilt als selbstverständliche Tatsache 26, wenn es über die Abläufe hierbei im einzelnen auch noch viele Unsicherheiten gibt, so kann im Blick auf die Probleme des frühesten Kirchenbaus doch auf fortwirkende Gemeinsamkeiten von Juden und Christen aufmerksam gemacht werden. An erster Stelle sei die im Grundsätzlichen übereinstimmende Beurteilung der Bilderfrage genannt. Offensichtlich teilte man nicht nur die theoretische GrundeinsteIlung bis in das 4. Jh. miteinander, sondern kam auch bei der Zulassung von Ausnahmefällen zu parallelen Entscheidungen, wie die archäologischen Funde insbesondere in Dura Europos lehren. Die spätantik-jüdische Kunst darf nun allerdings nicht nur als Parallelerscheinung zu den frühesten Beispielen einer christlichen Kunst interpretiert werden. Die Anzeichen mehren sich, daß weite Bereiche der frühchristlichen Ikonographie aus dem Motivschatz der spätantik-jüdischen Kunst entwickelt wurden 27 . Zur endgültigen Trennung kam es hier erst, als die Bilderfrage in der christlichen Theologie als christologisches Problem begriffen wurde. Welche Interdependenzen aber auch dann noch bestanden, ließe sich unter Umständen an den Hintergründen des Ikonoklasmus zeigen18. Näher an die Problematik des frühesten Kirchenbaus führen dann allerdings Erwägungen zu strukturellen Gemeinsamkeiten von Judentum 26 Anstelle ausufernder Lileralurlisten sei hier nur Origenes, Homil in Cant 2,3 (GCS Orig 8,45), in Erinnerung gerufen, wo die Kirehe als die .. kleine Schwester.. der Synagoge apostrophiert wird. 27 Zur Kontroverse über das Verhältnis ...on spätantik-jüdischer und frühchristlicher Kunst vgl. zulelll u.a. H. Brandenburg, Überlegungen zum Ursprung der frühchristlichen Bildkunsl, ACIAC 9,1 (1975) Rom 1978,331-360, und P. Maser, Irrwege ikonologischcr Deutung? Zur Diskussion um die spätantik-jüdische Kunst, Ri...AC 56 (1980) 331-367. 28 Vgl. die Hinweise bei G. Strohmaier, BY-/..3ntinischer und jüdisch-islamischer Ikonoklasmus, in: Der Byzantinische BilderSireil. So...j alökonomische Voraussetzungen, ideologische Grundlagen, geschichtliche Wirkungen, hrsg..... J. Irmscher, Leipzig 1980,83·90. Eine synoptische Behandlung des ikonoklaslischen Phänomens in Judentum, Christentum und Islam gehörl zu den dringenden Desideraten der Forschung, wie auch The Image and the Word. Confrontalions in Judaism, Christianity and Islam, ed. by. J. Gutmann, Religion and the Arts 4, Missoula (Mo.) 19n. zeigt.
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und Christentum, wie sie etwa mit dem Begriff der ~~Buchreligion« oder dem der )~Heiligen Schriften« angedeutet werden. Die Gottesdienste von Juden und Christen waren in gleicher Weise auf das »Wort« bezogen, das vor der Gemeinde rezitiert und ausgelegt wurde 29. Vergleichbar waren deshalb auch die Anforderungen, die Juden und Christen an ihre gottesdienstlichen Stätten steJlten 30 . Im Unterschied zum Tempel, in dessen Zentrum das Götterbild oder dessen Entsprechung von der Priesterschaft mit Opfer und Gebet 'bedient' wurde, während das Volk. also die Gemeinde, von dem Allerheiligsten ausgeschlossen blieb, benötigten das (spätere) Judentum und das Christentum Räumlichkeiten, in denen sich die ganze Gemeinde zusammen mit den Funktionsträgern versammeln konnte. In übertragenem Sinn kann man deshalb im Blick auf den Gottesdienst im Tempel und den in Synagoge bzw. Kirche von einem Gegensatz von aristokratischem und demokratischem Gottesdienstvollzug sprechen, der die Architektur bestimmte 31 . .. Ein auf ~~ Wort(~ und Mahlfeier konzentrierter Gottesdienst verlangte u.a. nach einem Platz, von dem aus die heiligen Schriften verlesen und die Predigt gehalten werden konnten. Für die Gemeindefunktionäre mußten besondere Plätze vorhanden sein, die ihnen die Leitung des Gottesdienstes ermöglichten. Versammelte sich die Gemeinde prinzipiell gemeinsam in einem Raum, so mußten auch Binnengliederungen der Gesamtgemeinde entwickelt werden, die einen geregelten äußeren Ablauf des Gottesdienstes sicherstellten. Die vielfältigen Aufgaben, die jüdische und christliche Gemeinden in gleicher Weise wahrzunehmen hatten, bedingten schließlich auch eine Multifunktionalität der Gemeindebauten, die sie durchaus mit den heutigen »Gemeindezentren(( vergleichbar machen (Gottesdienst raum, Tauchbäder bzw. Taufstätten, Räumlichke'iten für die sozialen Aktivitäten der Gemeinden und Wohnungen für die Gemeindefunktionäre). Gibt es nun aber Zeugnisse dafür, daß zwischen Synagoge und frühestem christlichen Kirchenbau mehr als nur strukturelle Gemeinsamkeiten, also auch genetische Zusammenhänge, ja Abhängigkeiten bestan-
29 vgl. W. WieCeI, Der Synagogengouesdienst in neutestamentlicher Zeit und seine Einwirkung auf den entstehenden christlichen Gottesdienst, Diss. thcol. Leip7jg 1959. )(l Vgl. E. WerDer, Thc Sacred Bridge. The Interdependence of Liturg)' and Music in Synagogue and Church Ouring the First Millennium, london u.a. 1959. 31 Vgl. auch die allerdings sehr problematischen Ausführungen von F.W. Deichmann, Vom Tempel zur Kirche, in: Mullus. FS Th. Klauser, hrsg. von A. Sluiber, JAC.E 1, Münster 1964.52-59.
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den? Da das archäologische Material hierzu bisher keine eindeutigen Auskünfte zu geben imstande ist, wird man sich verstärkt in der literarischen Überlieferung umzusehen haben, aus der im folgenden ein Traditionsstrang herausgearbeitet werden soll, dessen einzelne Bestandteile selbstverständlich seit langem bekannt sind, zu deren Zusammenschau es aber merkwürdigerweise bisher nicht gekommen ist.
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Im Palästinajahrbuch von 1933 hat Leonhard Rost »Archäologische Bemerkungen zu einer Stelle des Jakobusbriefes (Jak, 2,2f.)« vorgetragen, die hier weitergeführt werden sollen 32, In Jak 2,1-4 heißt es: lOMeine Brüder, nicht mit An..~hen der Personen besitzt den Glauben an unseren Herrn Jesus ChriMus der Herrlichkeit. (2) Wenn nämlich eintritt in eure 'synagogt' ein goldberingter Mann in prächtigem Gewand, eintritt aber (gleichzeitig) auch ein Armer in schmutzigem KJeide. (3) ihr wendet aber euren Blick dem zu, der das prächtige Gewand trägt, und sprecht (zu ihm): Du da, setz dich schön hier nieder, und zu dem Armen sagt: Du da, bleib bier steben, oder setze dich unlen an mein 'hypopodiOtl', (4) babt ihr da nicbt bei euch selbst Unterscheidungen getroffen und wurdet Richter von schlechter Gesinnung?.,JJ
Worum es dem Verfasser des Jakobusbriefes geht. ist klar. Er schilden einen drastischen Fall von Diskriminierung innerhalb der Gemeinde aufgrund sozialer Ungleichheit. Dem Reichen wird ein bevorzugter Platz zugewiesen, während der Arme, der noch dazu in einem verunreinigten Gewand auftritt, sehr viel schlechter plazien wird J4. Die Frage, ob es sich bei solchem Verhalten um ein tatsächliches Vorkommnis in der Gemeinde gehandelt habe oder ob sich hier nur die »literarische Art des Jakohus« niedergeschlagen habe, wie Dibelius gemeint hat, ist müßig35 . Wenn ein solcher Beispielfall vorgetragen wurde, dann mußte J2 L. Rost, Archäologische Bemerkungen zu einer Stelle des Jakobusbriefes (Jak. 2,2f.), PJ 29 (1933) 53-<6. 1] Die Übersetzung folgt im wc.'ientlichen F. Mußner, Der Jakobusbrief, HThK 13/1, Freiburg/Br. JI975, 114f. J4 Wenn man in Rechnung stellt, ..daß in ihrer Mehrzahl die Schriftgelehrten zu dcn Armen der Bevölkerung gehörten_, wird die eigentliche Brisanz der im Jakobusbrief vorgestellten Situation deutlich. Vgl. zur ..Armut_ J. Jeremias, Jerusalem zur ZC:it Jesu. Eine kulturgeschichlliche Untersuchung zur neutestamentlichen Zeitgeschichte, Göuingcn JI962, 1U.127, zu den Schriftgelehrten a.a.O. 127-132 1S Die ausf'uhrlicben Erörterungen bei M. Dibclius., Der Brief des Jakobus., hrsg. und erg. v. H. Grc:c:veEL, KEK 15. Göttingen 111964. 161-163, können hier nicht im einzelncn referiert und diskutiert werden.
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er, um überzeugend zu wirken, tatsächlich vorstellbar sein, wie Rost richtig betont hat. Das Geschehen spielt sich innerhalb einer »Synagoge« (auvaywyTü ab, in die der Reiche und der Arme »eintreten« (€w€A9€tv). Was ist mit der »Synagoge« gemeint, die »Versammlung« oder der »Versammlungsraum« der Gemeinde? Eindeutig entscheiden läßt sich die Frage sicherlich nicht 36 , war doch auvaywyfl zunächst ein rechtes Allerweltswort, das Versammlungen unterschiedlichster Art und Herkunft ebenso bezeichnen konnte wie auch die Gebäude, in denen diese Versammlungen abgehalten wurden37 . Nun hatte sich allerdings »zwischen der Zeit der
LXX und der des Urchristentums und wohl nicht in Palästina, sondern in der Diaspora(38 O"Uvaywyi\ zum terminus technicus für das jüdische )~Gemeindezentrum«verfestigt,
aber das hinderte doch nicht daran, daß der Begriff auch innerhalb der christlichen Gemeinden noch eine gewisse Zeit lang verwendbar blieb. Der Zusammenhang der lakobusstelle spricht stark dafür, daß hier vorzüglich an das Gebäude zu denken ist, da die räumlichen Vorstellungen hier deutlich ausgeprägt sind (»eintreten«, »hier niedersetzen«, »da stehenbleiben«, ~~unten [am intonOOLOV] setzen«)39. Das wird durch die Beobachtung gestützt, daß der Verfasser des lakobusbriefes an der einzigen Stelle, wo er dezidiert von der christlichen Gemeinde spricht (den Presbytern der Gemeinde in 5,14), den Begriff €KKAflO'ia benutzt. Wenn auch noch in späterer Zeit gelegentlich die christlichen Gotteshäuser als »Synagogen« bezeichnet werden konnten - pikanterweise läßt sich solcher Sprachgebrauch ausgerechnet bei den Marcioniten, aber nicht nur bei ihnen belegen -, so hindert nichts daran, in Jak 2,2 die Widerspiegelung eines ursprünglichen Zustandes auszumachen, der später im Zusammenhang mit dem wachsenden
Eine recht eigenwillige Deutung vcrtrat B. Reicke, Diakonie, Festfreude und Zclos in Verbindung mit der altchristlichen Agapenfeier, AUU 1951/5, Uppsala u.a. 1951,344(, der avvaywrfl konsequent mit sodlJ/idum in Verbindung bringt. - Textkritisch bietet die Verwendung von avvcrywrfl an dieser Stelle übrigens keine Probleme. Daß die altlateini· sehe Überlieferung den anstößigen Wortgebrauch durchweg ..korrigierte.., ist erklärlif;:h, bielel Jakobus hier nun in der Tat einen Einblick in Verhältnisse, die einer späteren Zeit nicbt mehr vcrständlich waren. Vgl. M. Dibclius, Jakobus (s.o. Anm. 35) 167, bcs. Anm. 2 und 3. 37 Vgl. die Fülle der Belege bei W. Schrage, Art. avvaywy{\. ThWNT 7, 798-839. 38 W. Schrage, Art. avvcrywy{\, ThWNT 7, 807. J9 Allzu selbstvcrständlich wird Jak 2,2f allerdings von F. Heyer, Kirchengeschichte des Heiligen Landes, Stuttgart 1984, 14, als Beweis (ür die Existenz judenchristlif;:her Synagogen im Jerusalemer Es.senerviertel in Anspruch genommen. )6
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Gegensatz gegenüber dem Judentum fast vollständig unterdrückt worden ist40. An dieser Stelle wird es unvermeidlich, sich den EinleitungsprobleIDen zu stellen. die der Jakobusbrief aufgibt. Von Anfang an ist diese .paränetische Lehrschrift«41, die sich als Brief eines Jakobus, .Sklave Gottes und des Herrn Jesus Christus«, an die .zwölf Stämme in der Diaspora« gibt (1,1), in ihrer Integrität umstritten gewesen. Luthers kritische Stellungnahmen sind hinlänglich bekannt'2. Daß der Brief als ein Schreiben des Herrenbruders Jakobus aufgenommen werden will, ist kaum zu bezweifeln. Nun sprechen aber das flüssige Griechisch, die eigentümlich peripheren Erwähnungen Christi, die Haltung gegenüber dem Gesetz und schließlich auch die zögernde Rezeption des Briefes in der Ahen Kirche gegen den Herrenbruder als Verfasser43. Die Auseinandersetzungen mit der paulinischen Theologie in 2,14ff verweisen zudem auf eine verhältnismäßig späte Abfassungszeit, etwa das Ende des I. Jh.s. Daß der geheimnisvolle Autor der jüdischen Tradition sehr nahegestanden haben muß, ist nicht zu übersehen. Die Rezeptionsgeschichte der Schrift läßt an Syrien als Entstehungsort denken 44. Daß der Jakobusbrief talSächlich in ein jüdisch geprägtes bzw. judenchristliches Milieu im syro-palästinischen Raum gegen Ende des 1. Jh.s gehört, läßt sich nun aber auch mit Hilfe der hier besonders interessierenden Textpassage 2,2ff wahrscheinlich machen. Ohne hier in weitere Einzelheiten gehen zu können, ist doch so viel festzuhalten, daß es sich 40 vgl. die Belege bei W. Schrage, Art. ~ ThWNT 7, 839. Epipbanius, Haer 30,18,2 (GCS 25,357), bezeugt, daß die JudenduiSlen den Ort ihrer Zusammenkunrt als auvaywy1\ bezeichneten. Erstaunt dieser Sprachgebrauch in der 2. HäUte des 4. Jh.s ooch nicht unbedingt, so ist seine Venwendung in den späteren Ad Phil 50 (Aa 11 2.22) sehon bemerkenswerter. Regional und biographisch umstritten (um 4OO?) bleibt das Zeugnis des Commodianus, Instrudio 1,24,11 (CSEL 15,31). AufTaliend ist es, wenn aus· gerechnet die Marcioniten ihr gottesdienstliches Versammlung.~gebäudeauva'Ywyfl nannten, vgl. W. Schrage, Art. auvoywy1\, TbWNT 7, 807. Alle diese Belege zeigen, wie lange die terminologischen Grenun auch innerhalb des Christentums Rießcnd blieben. 4' VgJ. M. Dibelius, Jakobus (s.o. Anm. 35) 13-19. 42 WA.TR 5,157 Nr. 5443. 4) Vgl. u.a. G. lGtte~ Die Stellung des Jakobus zu Judentum und Heidenchristentum, ZNW 30 (1931) 145--151; M. Henge~ Jakobus der Herrenbruder - der erste .Papst_'! in: Glaube und Eschatologie. FS W.G. Kümmel, hrsg. von E. Gräßer u.a., Tübingen 1985, 71·104; W. Pratsc.ber, Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradilioo, FRLANT 139, Götliogen 1981; E. Bammel. Jesu Nachfolger. Nachfolgeüberlieferungen in der Zeit des rrühen Christentums, StDel3.1, Heidelberg 1988, 31-51 . .. Vgl. neben dem Kommentar von M. Dibelius, Jakobus (s.o. Anm. 35), auch F. Mußner, Jakobusbrief (s.o. Anm. 33), und W.G. Kümme~ Einleitung in das Neue Tesla· ment, Heidelberg 2t 1983, 356-361.
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bei der »Synagoge4C, in die der Reiche »hineingeht4C, um einen Raum handelt, in dem es Plätze von unterschiedlicher Wertigkeit gab. Der Reiche soll sicb W&- KaA@c;setzen, während der Arme EKEl stehen soll oder, um die Kränkung nocb ätzender werden zu lassen, die Weisung erhält: ltSetze dich her zu meinem \monexl\ov. (2,3). Auch wenn an dieser Steile aus räumlichen Gründen eine eingehende Auseinandersetzung mit den von Rost vorgebrachten Bezügen auf das Interieur spätantik·palästi· nischer Synagogen nicbt vorgetragen werden kann 45 , SO ist es ihm doch zweifelsfrei gelungen nachzuweisen, in welchem Ambiente man sich die Szene des lakobusbriefes zu denken hat: Sie spielte sich in einer jener Synagogen ab, wie wir sie seit den Ausgrabungen von Kohl und Watzinger aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kennen 46 . Noch 1964/66 glaubte Wolfgang Schrage allerdings, Rosts Erwägungen durch den Hinweis darauf erledigen zu können, daß der von Rost vorausgesetzte Syna· gagentyp »für das 1. lh. nicht nachweisbar« sei 47 . Während sein Beitrag für das ThWNT im Druck war, fanden jedoch unter Leitung von Yigael Yadin die Ausgrabungen auf dem Felsen von Masada statt, bei denen unmittelbar in die Westmauer eingefügt eine Ideine Synagoge des frühen 1. Jh.s zu Tage trat, die eindeutig auf Jerusalem orientiert und noch von den Zeloten kurz vor der Zerstörung der Festung mit jenen .so charakteristischen Bänken. ausgestattet worden war, die in Jak 2,2ff vorausgesetzt werden 48. Wenn damit Rosts These im Grundsätzlichen auch gestützt wurde 49, SO warnten die Größenverhähnisse auch dieser Synagoge wieder vor allzu strikten Hypothesen über die Binnengliederung des Versammlungsraumes, wie sie Rost aus Jak 2 herauszulesen versucht hallO.
Gewiß bliebe die Jakobus-Passage über die .Synagoge« ohne größeres Interesse für die Geschichte des frühesten Kirchenbaus, wäre dieser nicht eine hoch interessante Rezeptionsgeschichte beschieden gewesen, 4S Vgl. Rost, Bemerkungen (s.o. Anm. 32) 57-59. 46 H. Kohl / C. Watzinger, Antike Synagogen in Galiläa, Lciplig 1916. 47 Vgl. W. Schrage, Art. ouvayw)'T\, ThWNT 7, 836 Anm. 256. 048 Eine befriedigende Publikation der Ausgrabungen von Masada steht noch immer aus, so daß alle Angaben nach Y. Yadin, Masada. Der letlte Kampf um die Festung des Herodes, Hamburg 21967, 180-191, gegeben werden müssen. 49 Nur wenig später wurde die Synagoge des Hcrodeion durch V. Corbo ausgegraben; vgl. SBFL4. 13 (1962/63) 129·2n. Zusammenfassend vgl. F. Hüttenmeister, Die jüdi· schen Synagogen, Lehrhäuser und Gerichtshöfe, BTAVO B 12/1, Wiesbaden 19n, l73f (Herodeioo) und 31M (Masada); B. Brenk, Zu den Grundrisstypen der frühsten Synagogen Palistinu, AClAC 9,1 (1975) Rom 1978, 539-550, sowie: Anaent Synagogucs. The State of Research, ed. by J. GUlmann, Brown Judaic Studies 22, Chico (Ca!.) 1981. so Vgl. L Rost, Bemerkungen (s.o. Anm. 32) 57·59.
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an der sich die frühesten Entwicklungsstadien des Kirchenbaus ablesen lassen. Die Mahnung des Jakobusbriefes, den Armen im Gottesdienst nicht zu diskriminieren, tritt dabei gleichsam in die Funktionen eines Leitfossils ein, das auf genetische Zusammenhänge aufmerksam macht.
3. Die DidascaJia Apost%rum
Ich nenne zuerst die Passage Didascalia Aposlolorum II 57,1-58,6. Bei der Didasc handelt es sich um eine Kirchenordnung, die wohl in der ersten Hälfte des 3. Jh.s im nördlichen Syrien für heidenchristliche Gemeinden im Gegenüber zu einem starken Judenchristentum aufgestellt wurde 51 und deren griechische Urfassung bis auf einige Fragmente ver· lorengegangen ist. Vollständig wurde sie nur in syrischer52 und teilweise in altlateinischer53 , arabischer54, äthiopischer 55 und koptischer 56 Fassung überliefert. Da sich jedoch die ersten sechs Bücher der Constitutiones Apostolorum bis auf wenige, aber entscheidende Änderungen und Erweiterungen mit der Didasc decken, dürfte es weithin möglich sein, das griechische Original zu rekonstruieren57 . Mit dem hier zur Debatte 51 Vgl. H. Achelis, Die Herkunh der syrischen Didascalia., in: H. Achdis / J. Remming. Die syrische Did..ukalia übc.rset7J und erklärt. TU 25/1, Leipzig 1904, 354-387, wo 355·3.58 besonders aur die Kritik der Didasc: an den _Leuten des Jakobus in Jerusalem_ eingegangen wird, die offensichtlich auch zeitgenössische Auseinandersetzungen des Autors abzudecken baUe. 52 Vgl. R.H. ConnoUy, Didascalia Apostolorum. Tbe Syriac Version Translatcd and Accompanied by tbc Verona Latin Fragments, Oxford 1929. Hier wurde benutzt H. Achelis / J. Flemming, Die syrische Didaskalia überset7J und erklärt, TU 25/1, Lcip7jg 1904. Weitere syrische Ausgaben haben geliefert P.A. dc Lagarde, Didascalia apostolorum syriace, Leip7.ig 1854, Nachdr. Göuingen 1911; M. Gibson, Horae Semiticae I. The Didascalia Apostolorum in Syriae, London 1903; F. Nau, La Didascalie des douze apötres., Ancienne liutrature canonique syriaque I, Paris 21912. 53 Vgl. F. Hauler, Didascalia Aposiolorum fragmenta Veronensia latina, Lcip7jg 1900; F.x. Funk, Didasc.a.lia et COnstilutiones Aposlolorum, 2 Bde., Paderborn 1905; E. Tidner. Didascalia apostolorum. Canonum ecclesiasticorum, Traditionis apostolicae versioncs Latinae. TU 75. Berli.n 1963. 54 Vgl. G. Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Sludi e testi 118, Bd. I, Rom 1944,564-569. 55 Vgl. J.M. Harden, Tbc: Ethiopic Oidasc:a.lia Translated, SPCKLP, London u.a. 1920. 56 Vgl. W. TiU / J. Leipoldt, Der koptische Text. der Kirchenordnung Hippolyts., TU 5&, Berlin 1954. 57 Der erSle Versuch einer Rückübersetzung der Dida.sc ins Griechische stammt von Lagarde, in: C.KJ. BWL.\Cn, Analecta Ante·Nicaena., London 1854, Nachdr. Aalen 1968, 8<1.2, 45-224; vgI. auch F.x. Funk, Die ApostoLischen Konstitutionen. Eine linerar·hislorische Untersuchung, Rottenburg 1891, Nachdr. Frankrurt/M. 1970. 17.
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Peter Moser
stehenden Text hat sich zuletzt eingehend Klaus Gamber auseinandergesetzt58. Eine kritische Beschäftigung mit Gambers Textanalyse verstärkt den Eindruck, daß die syrische bzw. die altlateinischen Fassungen der Didasc den ursprünglichen Text mit erstaunlicher Genauigkeit festgehalteD haben59. Es geht in der Didasc 11 57 und 58 aber nun keineswegs um eine Beschreibung des Kirchengebäudes, ja nicht einmal um die eines Gottesdienstes. Thema des gesamten Abschnitts ist vielmehr das rechte Verhalten des Bischofs im Gottesdienst, zu dessen wesentlichen Aufgaben nach Didasc 11 57 und 58 die Innehaltung der korrekten Sitzordnung während des Gottesdienstes gehört. Dennoch sind die Angaben über den Kirchenraum verhältnismäßig einfach zu entschlüsseln. An der Stirnseite des Raumes befindet sich der Thron des Bischofs. ihm zur Seite die Sitze der Presbyter. Davor haben die Männer ihren Platz, hinter denen wiederum die Frauen zu finden sind (Didasc II 57,3-5)60. Der Gläubigenraum der Didasc ist also quergeteilt. Innerhalb der in Männer und Frauen geschiedenen Gruppe der Laien gibt es mehrere Untergruppen, wie die der Jünglinge, der Älteren, der JGnder, der Jungfrauen, der verheirateten Frauen, Greisinnen und Witwen (Didasc II 57,8)61. Die Aufsicht über die Gemeinde obliegt den 58 vgl. K. Gamber, Die rrühchristliche Hauskirche nach Didascalia Apostolorum 11 57,1-58,6, in: Studia Patristica 10, TU 107, Berlin 1970,337-344: ders., Domus ecclesiae. Die ältesten Kircbenbaulen Aquilejas sowie im Alpen- und Donaugebict bis zum Beginn des 5. Jh.s lilurgiegeschicbllich untersuchl, SPli 2, Regel1Sburg 1968, 71-78. Vgl. dazu allerdings die harle Kritik von Th. Klauser, JAC 11{12 (1968{69) 215-224. :59 Ein in die Einzelheiten gehender Te~verglcich von Didasc und ConslAp, der fUr die Rekonslruktion der ursprünglichen Fassung des Didasc-TelCles selbstverständlich URerläßlich ist, WÜrde den Rahmen der hier vorzulragenden Erwägungen sprengen. 60 Vgl. aucb Herrn 43,1 (GCS 48,40): _Er zeigte mir Menschen, die auf einer Bank saßen, und einen andem auf einem Sessel, und fragte mich: 'Siehst du diese, die auf der Bank sitzen?' 'Ja, Herr' antwortete ich. 'Das sind Chrislen', sagte er, 'und der auf dem Sessel sitzt, ist ein falscber Prophet ..:_ (Übersetzung nach: M.Dibclius, Der Hirt des Hermas, Apostolisebe Väter 4, HNT Erg., Tübingen 1923, 536) Damil wird gewissermaßen die Grundsituation eines Gollesdiensles skizziert, in dessen Miuelpunkt die Wortverkündigung steht Als Zeuge des frühen 2. Jh.s wird der in Rom beheimatete Hermas hier aUerdings nur am Rande gebuchl werden dürfen. - Vgl. im übrigen auch schon H. Selhorst, Die Plat7..ordnung im Gläubigenraum der allchristlichen Kirche, Diss. Iheol. Münster 1929, von der bedauerlicherweise 1931 in Münster nur ein Teildruck erschienen
...
61 Die Silzordnung in der Kirche wird von der Didasc zusät7Jich mit einem apokryphen Herrenwort begründet, nach dem die Gemeinde einer mdndra zu vergleichen sei, in der die lOunvernünrtigen Tiere_ eine selbstverständliche Ordnung nach An und Geschleehl halleD. Vgl. dazu Barn 16,5: _Denn es sagt die Schrift: Und es wird übergeben ,der Herr die Schafe der Weide und ihre mdndra und ihren Turm dem Verderben._ Der Bamabasbrier dürfte bier von älhHen 89,56 und 66f abhängig sein, wo der _Turm_ der
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Synagoge und EkJc1ejja
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Diakonen, von denen der eine an der Tür steht, während der andere im Inneren des Raums bei den eucharistischen Gaben seinen Platz hat (Didasc 11 57,6). Die Didasc setzt einen gerichteten Raum voraus, in dem der Wert des einzelnen Platzes offensichtlich von dessen Nähe zum Thron des Bischofs abhängt. Die Wertigkeit des Platzes wird weiterhin dadurch bestimmt, ob es sich um einen Sitz- oder einen Stehplatz hande1t 62. Gewissermaßen in einem eigenen Paragraphen erläutert Didasc 11 58 das Verhalten beim Besuch auswärtiger Gäste. Laien sollen durch die Diakone zu der Gemeindegruppe geführt werden, der sie zugehören. Presbyter sollen einen Platz auf der Presbyterbank erhalten. Ein auswärtiger Bischof soll neben dem einheimischen plaziert werden, eine Predigt halten und an der eucharistischen Liturgie beteiligt werden. Wenn aber Besucher, »denen Ehre in der Welt gebührt«, die Kirche besuchen, darf der Bischof auf keinen Fall den ))Dienst seines Wortes« verlassen. Abgeschlossen werden alle diese Mahnungen mit einer erweiterten und verschärften Wiederaufnahme von Jak 2,2f: ..Wenn aber ein armer Mann oder eine arme Frau kommt, entweder von deinen Gemeindemitgliedern oder aus einer anderen Gemeinde, und besonders, wenn sie in hohen Jahren stehen, und es ist kein Platz da für solche, so schaffe ihnen Platz von ganzem Herzen, 0 Bischof, selbst wenn du auf dem Boden sitzen müßtest, daß du nicht seist wie einer, der die Person ansicht, sondern daß bei Gott dein Dienst wohlgefällig sei.«
Die Platzordnung der Didasc, für die die Existenz eines festen Altars noch nicht ausdrücklich vorausgesetzt wird63, erhält ihre eigentliche Begründung dadurch, daß die Didasc bereits einen nach Osten gerichteten Raum als die Regel annimmt. Maßgeblich ist nach Didasc II 57,5 für diese Orientierung des Raumes Ps 68('t'67),34: »Lobsinget dem Gott, der Schafe und die Vernichtung der Herde durch die Hirten selber im Rahmen eines Traumgesichts als endzeitlicbe Ereignisse geschildert werden. 62 Die Vorstellung, daß die Gläubigen zunächst an Tischen gesessen hätten, die Garnber, Domus ecclesiae (s.o. Anm. 58) 86-93, zu begründen versuchte, ist wenig überzeugend. Gamber folgt hier weitgehend der Argumentation von O. Nußbaum, Der Standort des Liturgen am christlichen Altar vor dem Jahre 1000, Bd. I, Theoph. 18, Bonn 1965, 371f, steUt nun aber seinerseits nicht in Rechnung, in welch hohem Maße die Ikonographie der cena domeniCQ durch die neutestamentlichen Berichte festgelegt war. 63 Eine Art von (transportablem?) Tischaltar, der fUr den Vollzug der Eucharistie einfach unerläßlich war, wird man annehmen dürfen, aber über den Platz, an dem dieser Altar aufgestellt wurde, äußert sich die Didasc an keiner Stelle. Im übrigen kennt die Didasc die Vokabel ..AJtar« nur als metaphorische Be7.eichnung der Witwen und Waisen, wie diese zuerst im Polyk 4,3 begegnet. Vgl. dazu H. Achclis, Eine Christengemeinde des driUen Jahrhunderts, in: H. Achclis / J. F1emming, Didaskalia (s.o. Anm. 51) 266-317, bier 274-276. Zu Rang und Bedeutung des Altars in der domus ecclesiae vgl. auch die knappe Cbarakterisierung bei J. A. Jungmann, Liturgie der christlichen Frühzeit bis auf Gregor den Grossen, Freiburg 1967, 105-IOS.
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Pele,Maser
aufgestiegen ist in den Himmel des Himmels - nach Osten zu.« Damit wird auf die Himmelfahrt Christi »nach Osten zu« angespielt, zugleich läßt der Text in seiner LXX·Fassung aber auch das Verständnis zu »Lobsinget dem Gott ... - nach Osten zu!( Die Einbettung dieser Argumentation in den Zusammenhang von akuten Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Judentum ist schon deshalb wahrscheinlich, weil man später die Orientierung des Kirchengebäudes meist auf Mt 24,27 gründete, also auf eine neutestamentliche Aussage über die Parusie Christi64 . Die Didasc läßt mit ihrer stark differenzierenden Platzordnung die llxistenz einer verhältnismäßig zahlreichen Gemeinde wahrscheinlich werden65 . Offensichtlich bot das Gebäude selbst aber noch keinerlei architektonische Anhaltspunkte für eine Ordnung der gottesdienstlichen Versammlung der Gemeinde, wenn man von dem deutlichen Gegenüber von Klerus und Laien absieht. Es handelte sich um einen oblongen Raum mit Klerusbank, Bischofsthron, einem Tisch für:..die eucharistischen Gaben und einem eventuell noch transportablen Altar. Wahr· scheinlich trug der Gottesdienstraum der Didasc bereits die Bezeichnung fKKAflOia; allerdings begegnet auch hier noch bezeichnenderweise vereinzelt die gleiche terminologische Unsicherheit, die in Spuren bereits den Jakobusbrief kennzeichnete. Zumindest an drei Stellen dürfte im griechischen Original wie in der lateinischen Fassung von dem Kirchengebäude oder aber auch der Gemeinde als auvaywrTl die Rede sein66 . 64 vgl. dazu FJ. Dölger, Sol Salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum. Mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in Gebet und Liturgie, LF 4{5, Münster 21925,171, und Nußbaum, Standort (s.o. Anm. 62) 396 Anm. 144. - Mit der ausdrücklichen Bezugnahme auf eine alttestamentliche Belegstelle ist unausgesprochen der antijüdische Affekt bereits zur Stelle, der restlos deutlich wird, sobald man sich vergegenwärtigt, daß die eigentlicbe Abkehr vom Judentum, das die Synagoge nach Jerusalem hin ausrichtete, erfolgt war, sobald man für die IGrche die Orientation nach Osten vorschrieb. Vgl. auch L Voclkl, .. Orientierung« im Weltbild der ersten christlichen Jahrhunderte, RivAC 25 (1949) 155-170, hier 163f; F. Landsberger, Tbe Sacred Direction in Synagogue and Church, in: Tbe Synagogue. Studies in Origins, Arehaeology and Architecture, cd. by J. Gutmann, The Library of Biblical Studies, New York 1975,239-261, und F. Merkei, Im Angesicht der Gemeinde. Cclebratio versus populum - zu einem Problem des heutigen evangelischen Gottesdienstes, TEH 166, München 1970, 12-21. 6S Daß Platzmangel herrschen konnte, zeigt die Einschränkung Didasc JI 57,8 ..si locus esl«. Über die reale Gemeindcgrößc zu spekulieren, dürfte ergebnislos bleiben. In 11 30,1 wird es für möglich gehalten, daß der Bischof nicht alle Gemeindeglieder und ihre Umstände kennt, andererseits genügen nach 11 57,6 zwei Diakone für die Aufgaben der Gemeinde und die Feier der Liturgie. 66 Vgl. H. Achelis, Herkunft (s.o. Anm. 51) 362 Anm. 3. Eine Überprüfung der dort angegebenen Stellen zeigt, wie wenig Sicherheit bei der Entscheidung gewonnen ist, ob O'UVQYwyft mit .Gemeinde«, .Versammlung« oder .. Kirche« (= Kirchengebäude) zu übersetzen sei.
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Sytlagoge und EJckJesia
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Die terminologischen Unsicherheiten, die sich auch in der gleichzeitigen Verwendung von domus und tKKAl)<1la widerspiegeln67 , lassen darauf schließen, daß in der Didasc ein Gebäudetyp gemeint ist, der noch deutlich die Herkunft aus der antiken Hausanlage erkennen ließ, inzwischen aber seiner kirchlichen Verwendung doch so weit angepaßt worden war, daß er bereits im Vollsinne als »Kirche« angesprochen werden konnte. In ihm ist der Kirehsaal nicht mehr nur ein Raum unter anderen. sondern inzwischen zum Hauptraum einer komplexen Anlage geworden. Die archäologischen Belege für Kirchen dieses Übergangstyps - nicht mehr nur »Haus«, aber auch noch nicht ausschließlich Kirchenbau - sind nicht allzu zahlreich zumal dann, wenn wir uns auf den syrischen Raum beschränken, den wahrscheinlichen Ursprungsort der Didasc. Besonders typisch mag der Bau im südsyrischen 'Anz sein: »Der langgestreckte einschiffige Raum ... ist geostet und hat sowohl im Norden als auch im Westen je einen Eingang. Das 'Kirchenschiff ist durch jeweils drei Mauervorlagen an den heiden inneren Langwänden, in vier Bezirke gegliedert ... Spuren eines Steinaltars sind in der gesamten Anlage nicht gefunden worden.t<68 Durch die Nebenräume im Nordwesten zeigt die Anlage noch deutlich ihre Herkunft aus dem antiken Haus. Interessanterweise zeigt die Saalkirche von 'Anz auffällige Übereinstimmungen mit der in der Doppelanlage von Aquileja: »Diese Beziehungen im Kirchenbau zwischen Syrien und Aquileja sind allem Anschein nach nicht zuletzt auch durch die Einführung der Didasc in Aquileja bedingt, wo sie zusammen mit der ägyptischen Kirchenordnung eine lateinische Übersetzung gefunden hat....
61 Die bestehenden terminologischen Unsicherheiten werden schlaglichtartig durch Didasc 11 57,2r iUustriert. Die gewundene Ausdrucksweise _in congregationibus vestris autem, in ecclesiis sanetis, conventus vestros racite_ ist zusammen zu sehen mit der Angabe über die Plazicrung der Presbytersitl..c _in parte domus ad orientem versa". Möglicherweise baUe man die Ausdrucksweise domus eccJesi(U bzw. o'lKoc; EIl:MJ)O'iat; noch im Ohr, als man schon die volltönende, wenn auch noch nicht unumstrillene Bezeichnung eccJesillli."(M~iD.verwandte, so daß man um der Vieldeutigkeit der Begriffe zu entkom· men, dann doch DOCb einen erläuternden Zusatz domus bzw. o'lKoc; hinzuselzte. 6IS Vgl. Gamber, Domus ecclesiae (s.o. Anm. 58) 76. 69 Gamber, Domus ecdesiae (s.o. Anm. 58) Zur Kirche von 'Anz im Hauran vgJ. H. C. Butler, Early cburcbes or Syria., Princetoo 1929; Nußbaum, Slandort (s.o. Anm. 62) 34. und Gamber, Oomus eccleMae (s.o. Anm. 58) 76-78.
n.
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Feter Mastr
4. Die Constitutiones Apost%rum Mit den Constitutiones Apostolorum, einer Kompilation aus der Didache, der Didasc, einer Sammlung jüdischer Gebete70 und einer Schrift Hippolyts über die Gnadengaben sowie dessen Kirchenordnung, die gegen Ende des 4. Jh.s wohl in Syrien, vielleicht aber auch in Konstantinopel verfertigt wurde, endet die Spur, die mit Jak 2,2f aufgenommen wurde. Gegenüber der Didasc bieten die ConstAp eine spürbar entschärfte Fassung: .Wenn aber ein Armer oder Niedriger oder Fremder kommt, sei er alt oder jung, und wenn es an Platt fehll, so soU auch diesen der Diakon (also nicbt mehr der Bi.sc.bof! Anm. d.. Ver[.) ganz bereitwillig Platz verschaffen, damit er seinen Dienst versehe, nichl um den Menschen, sondern um Gott zu gefallen. Ebenso soll auch die DiakOrUsse verfahren, wenn Frauen kommen, seien diese nun arm oder reich._ (ConstAp 11 58,6)
Die übliche Bezeichnung des Kirchengebäudes in den ConstAp ist EI(dfl(J(a7t. Da der Begriff auch für die Gemeinde verwandt werden kann, benutzt der Kompilator in 11 57,3, wo er die Bestimmungen über die Ausführung des Kirchengebäudes zusammenfaßt, die eindeutige Bezeichnung okoc:;12. Dieser soll länglich, nach Osten gerichtet und mit Pastophorien an der Ostseite versehen sein73. Der Hinweis auf den länglichen Raum ist wahrscheinlich aus dem Gegensatz zu den zunächst qua-
70 Oie Verarbeitung jüdischer Gcbetstexle in den ConslAp, insbesondere in VII 3338, weisl auf die intensiven Querverbindungen hin, die noch im 4. Jh. 7.Wischen Juden und Christen bestanden. Vgl. A. Baumstark, Das eucharislische Hochgebet und die Literatur des nachexiliscben Judcntums, TbGI 2 (1910) 353-370; W. Bousset, Eine jüdische Gebetssammlung im siebentcn Bucb der apostolischen Konstitutionen, NGWG.PH 1915, Göttingen 1916,435-489; E.R. Goodenough, By Light, Light. Tbe Mystic Gospel of Hellenistic ludaism, Ncw Havcn 1935 (Nachdr. Amsterdam 19(9),306-358; W. Schneemelcher, Eine griechische Agende der jüdisch-bcllcnistischcn Diaspora im VII. und VllI. Buche der Apostolischen Konstitutionen, Diss. theol. Berlin 1940; G. Delling, Perspektiven der Erforschung des hellenistischen Judentums, HUCA 45 (1974) 133-176, hier 144f. 71 Vgl. ConstAp 1110,4; 16,1f; 17,4; 36,6; 39,6; 54,2; 57,12.13.18; 59,1; 60,4.5; 61,1.2.4; V 19,3; VI 5,3.5; 30,2. n Die Belege fUr EICltAl)O'la in der Bedeutung von ,.Gemeinde_ sind zu zahlreich, als daß sie hier aufgezählt werden könnten. Selbstverständlich kann die Verwendung der Vokabel oUeD; in ConstAp 11 57,3 nicht Anlaß zu der Vermutung sein, die ConstAp sprächen noch von einer .Haus«-Kirche. Das wird schon durch die Erwähnung der Pastophorien ausgeschlossen. 73 Unverständlicherweise bat Nußbaum, Standort (s.o. Anm. 62) 399f, angenommen, die ConstAp scbrieben im Gegensatz zur Didasc die Eingangsostung vor. Das findet keinen Rückhalt im Text und widcrspräche auch dem archäologischen Befund, vgl. H.W. Beyer, Der syrische Kirebenbau, Studien zur spätantiken Kunstgcschichte I, Berlin 1925. Die wenigen Ausnahmen sind dorl S. 123, 125 und 130 genannt.
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Syna~
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dratischen Baptisterien zu erklären 74 . Als Hinweis auf die Existenz einer Basilika mit mehreren Schiffen wird man ihn hingegen nicht verwenden dürfen. Das Gebot der Orientierung wird in den ConstAp in der Nachfolge der Didasc mit Ps 68('f67),34 begründet, zusätzlich wird nun aber auch auf das gen Osten gelegene Paradies verwiesen, aus dem der Mensch vertrieben wurde, weil er Goues Gebote verachtete75. Durch die Nennung der östlich gelegenen Pastophorien kann als gesichert angesehen werden, daß die ConstAp von einem Kirchengebäude sprechen, das eigens für diesen Zweck errichtet wurde. Durch die Pastophorien, die nun als liturgisch unentbehrlicher Bestandteil des Kirchenbaus betrachtet werden, wird auch der Vergleich dieses Baus mit einem Schiff angeregt, der bis in die Einzelheiten durchgeführt wird. Das damit entwickelte Bild stimmt zwar weder in technischer Hinsicht, noch erhalten Bischof, Presbyter und Diakone die zutreffenden seemännischen Funktionen zugewiesen76, trotzdem aber ge staUet das sehr viel differenziertere Bild von der Kirche als einem Schiff wesentlich genauere Rückschlüsse als das in der Didasc verwendete von der Hürde, das in den ConstAp mühsam genug noch eingeschoben wird (ConstAp II 57,12). Über die Inneneinrichtung des Kirchenraums der ConstAp erfahren wir zunächst etwas durch die Erwähnung des bischöflichen 9pOvoc; mit den Sitzen der Presbyter zu beiden Seiten, so wie es auch schon in der Didasc der Fall gewesen war. Neu hingegen ist die Erwähnung einer »Erhöhung. (TO ~v) in II 57,5, von der aus der Lektor die Schriftlesung hält. Dieses Bema hat seinen Platz in der Miue des Raumes. während der Bischof als r::vßE'Pvfrt'lC; des Kirchen-..Schiffes« seine Predigt wohl doch von der Kathedra aus hält. Von einem Altar wird auch hier merkwürdigerweise nichts gesagt, obwohl seine Erwähnung z.B. in 11 57,15, wo die Beschreibung der Eucharistiefeier einsetzt, eigentlich kaum zu vermeiden war. Dafür wird aber an anderen Stellen das 9VOlQo'tnpl.OV in so eindeutiger Weise genannt, daß die Existenz eines 7. Vgl. dazu J.H. Emminghaus., Baptisterien in Syrien und Palästina, Katalog und In-
terpretation, Diss. phi!. Münster 1955; ders., Die Gruppe der frühehristlichen Dorlbapli. sterien Zentralsyriens, RO 55 (1960) 85·100. Die ConstAp lassen in den Abschnitten über die Taufe, vor allem 11I 16·18 und VII 22 und 39, zwar erkennen, daß die Taufe nicht in der Gemeindekirche stattfand, sagen aber nichts Näheres über den Taufraum
aus. 7S Zur _Gebets_Ostung als Ausdruck der Sehnsuc.ht nach dem Paradies_ vgl. Dölger, Sol Salutis (s.o. Anm. 64) 220-242, hier 232·234. Schon durc.h die Wiederaufnahme der Begründung der Orientation mit Ps 68(1'67),34 dürfte übrigens sichergestellt sein, daß die ConstAp die gJeichen Verhältnisse wie Didasc: voraussetzt. 16 Vgl. Andresen, KHmen (s.o. Anm. 16) 253f.
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(Tisch?-)A1tars für die ConstAp als selbstverständlich betrachtet werden muß77 . Das Kirchengebäude der ConstAp ist die »klassische Bischofskirchc«, das »den Geist jenes altkatholischen Episkopats (atmet), der das Schiff der Kirche, bevor es in den gesicherten POTt des sog. konstant in ischen Friedens gelangte, durch die Stürme der Zeit lenken mußte«, wie Carl Andresen bemerkte 78. Tatsächlich kündigte sich damit »bereits in der vorkonstantinischen Zeit - zumindest in der Baugesinnung - der basilikale Longitudinalbau der konstantinischen Periode«19 an.
5. Synagoge und EkkJesia Mit dieser Erkenntnis sind wir an einem entscheidenden Punkt unse· rer Überlegungen angelangt. Die immer wieder aktuelle Weisung, den Armen im Gottesdienst nicht zu diskriminieren, gab die Möglichkeit, eine Traditionslinie zu rekonstruieren, die wohl gegen Ende des 1. Jh.s beginnt und sich bis in das späte 4. Jh., also bis in die konstantinische Epoche hinein, verfolgen läßt. Im Blick auf den Kirchenbau wird damit zugleich der Weg von der Hauskirche im strengen Sinne des Wortes (Ja· kobusbrief) über den Kirchensaal in einem frühchristlichen »Gemeindezentrum« (Didasc), das noch immer die Grundformen des antiken Hauses wahrt, bis hin zu jenen Longitudinalbauten mit Pastophorien erkenn· bar, die den konstantinischen Basiliken unmittelbar vorausgingen bzw. regional mit diesen auch noch gleichzeitig errichtet wurden (ConstAp). Die These von der konstantinischen Basilika als dem Entwurf eines kaiserlichen Architektenbüros kann demnach nur noch mit äußerster Zurückhaltung verwandt werden. Die literarischen Quellen lassen eine Vorgeschichte der konstantinischen Basiliken sichtbar werden, die nicht allein unter formalen Gesichtspunkten, sondern vor allem unter funktionalen zu betrachten ist. Noch einmal sei Andresen zitiert: Nur die )Ietztlich ekklesiologisch bedingte Raumanordnung hat dem Baukonzept der Basi·
77 Vgl. auch Doch A.M. Schneider, Liturgie und Kirchenbau in Syrien, NGWG.PH 1949/3. Göttingen 1949, 45·68, dc.~<;cn Theorien über den Altar und das .Westbema_ hier nicht im einzelnen diskutiert werden können. 78 Andresen, Kirchen (s.o. Anm. 16) 254. 79 Andresen, Kirchen (s.o. Anm. 16) 254.
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SynDgoge und Eklc.lesiD
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lika mit ihrer Ausrichtung auf den Bischofsthron in der Apsis und dem Tischaltar vor ihm die kirchliche Bevorzugung gesichert«80. Die Erkenntnis von der vorwiegend funktional-ekklesiologischen Bestimmtheit des Kirchenbaus, die das Kirchengebäude zunächst immer als »Zweckbau« interpretiert, der die realen Bedürfnisse der jeweiligen Gemeinde widerspiegelt, gestattet nun aber auch die Frage, ob die mit Jak 2,2f aufgenommene Spur nicht gleichsam auch nach rückwärts zu verfolgen wäre. Hier ist an das Votum des Ambrosiaster, der ja oft mit einem judenchristlichen Verfasser in Verbindung gebracht worden ist81 , zu erinnern: »Das große Synhedrion, in der Synagoge fortlebend und in die Kirche übergegangen, hat es zur Einrichtung gemacht, daß in allen Versammlungen, in denen man von Religion handelt, die Leute sitzen sollen, die an Würde Vornehmeren auf Stühlen, die nach ihnen kommen auf Bänken, der Rest der Versammlung auf Matten, die auf der Erde ausgebreitet sind.«82 Klarer kann die Entwicklungslinie von der Synagoge zur Ekklesia wohl kaum beschrieben werden. Die frühchristliche Gemeinde übernahm aus dem Judentum, aus dem sie hervorgegangen war, nicht nur zunächst die Bezeichnung ihrer gottesdienstlichen Versammlungsstätte, sondern vor allem auch die grundlegenden Strukturprinzipien für die Raumgestaltung83 . Nicht nur der Gedanke der kultischen Orientation ist hier zu nennen 84 , sondern auch die 80 Andresen, Einführung (s.o. Anm. 16) 825. Eine prin7jpicll andere Sicht hat G. Krctsdunar, Liturgie und Kirchenbau in dcr frühen Chrlstenheit, in: KuKi 22 (1959) 163169, hicr 166, vorgctragen. 81 A. Stuiber, Art. Ambrosiaster, TRE 2, 356-362, meint über den Verfasser: ..Er lst vom Heidentum zur Kirche gekommeD, war also kein ehemaliger Jude« (357), hebt dann aber auch die bemerkenswerten Kenntnisse jüdischen lebens hervor, die der Ambrosiaster immer wieder zu erkennen gibt (vgl. 359). 82 Ambrosiaster Ep 1 Kor 12,lf (Pl17,258). &3 Diese vorsichtige Ausdrucksweise empfiehlt slch angesichls der vielfältigen Probleme, die die fortlaufende Erforschung der palästinischen Synagogen immer neu produziert. Ein verläßliches Gesamtbild der Entwicklung ist also noch keinesweg.-; gewonnen, vgI. z.8. A. Hiram, Die Entwicklung der antiken Synagogen und altchristlichen Kirchen· bauten im Heiligen Lande, Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 19 (1962) 7-63; SJ. Sal· ler, Second Revised Catalogue o( the Ancient Synagogues of the Holy Land, PS8F. ColImio minor 6, Jerus.a.lem 1972; Hüllenmeister, Synagogen (s.o. Anm. 49). - Wie schwie· rig eine rein rormale 8etrachtung.-;weise werden kann, läßt sieb etwa an 8renk, Grundrisst}'pen (s.o. Anm. 49), illustrieren, wo z.8. bei der Frage, ob die Synagogen des Herodeion und in Masada eine .. longitudinale Ausrichtung« bauen, das Problem der Plazierung des Toraschreins überhaupt nicht zur Sprache kommt! 84 Die scbwierigen Probleme, die die Orientation der spät antiken Synagogen kennzeichnen, können hier nicht im einzelnen verrolgt werden. Schon Rost, 8emerkungen (s.o. Anm. 32) 59-62, bat die damit verbundenen Schwierigkeiten der Interpretation gesehen und ausfübrlieh bebandelt. Sie müßten jetzt selbstverständlich auf der Grundlage einer viel weilgehenderen Denkmälerkenntnis neu diskutiert werden.
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Ptfer Maser
Vorliebe für basilikale Raumgestaltungen85 , die dem Vollzug eines auf »Wort« und Mahl konzentrierten Gottesdienstes am besten entsprachen. Schon in der großen Synagoge von Alexandrien, die eine regelrechte Basilika war, finden sich die 71 Presbytersitze im Gegenüber zur Gemeinde 86. Die an den Wänden angebrachten Sitzbänke, aber auch bestimmte Ehrenplätze und die Sitze der Presbyter sind literarisch und archäologisch für die frühen Synagogen gut bezeugt87. Schwieriger stellt sich das Problem des Bema dar, das wahrscheinlich lange Zeit als hölzernes Gerüst ausgeführt wurde88 . Welche Querverbindungen aber auch hier bestanden haben dürften, läßt sich mit der Bezeichnung des synagogalen
8S Der Begriff der _basilikalen Raumgestaltung_ verdiente eine eingehendere Behandlung. Grundsätzlich sollen damit alle Bauformen zusammengefaßt werden, die dureh eingestellte Säulen. (Schein-)Emporeneinbauten oder aueh apsidiale Nischen den optischen Eindruck einer Basilika anstreben. Da in vielen Fällen nur der Grundriß zuverlässig überliefert worden ist, wird man sich bei der Entscheidung, ob es sich um einen _basilikalen_ Bau oder tatsächlich eine Basilika, wenn auch u. U. im _Kleinfor_ mat_, handelt, sehr vorsichtig zu verhalten haben. Weitgehend ungeklärt ist auch noch die Frage, aus welchen Gründen basilikale Lösungen oft auch Unter engsten Verhältnissen im Judentum, in deo Mysierienreligionen und dann auch im Christentum so beliebt waren. ZUmindest Judentum und Christentum mußten der Basilika als Ausdruck heidnischer Herrschermacht eigentlich prin1jpiell kritisch gegenüberstehen. 86 Vgl. bSuk 51b: _Sie sagten, sie (- die Doppel\äulenhaJle von Alcundria) sei von der Art einer großen Basilika gewesen, eine Säulenhalle in der anderen Säulenhalle ... Darin waren 71 Lehnstühle von Gold, entsprechend den 71 Großen Synhedriums; jeder einzelne bestand aus nicht weniger als 21 Myriaden Goldbarren._ Der legendenhaft überhöhte Bericht über die Große Synagoge von Alexandrien findet sich auch mit geringen Varianten tSuk 4,6 (Lieberman 273) und ySuk 5,2 (55b). Eine übersichtliche Zusammenstellung der Varianten lieferte $. Krauss, Synagogale Altertümer, Berlin u.a. 1922 (Nachdr. Hildesbeim 19(6),261-265. 87 Vgl. K. Hruby, Die Synagoge. Geschichtliche Entwicklung einer Institution, SJK 3, Zürich 1971,44. Ergänzend ist noch auf die steinernen Wandbänke in den Synagogen von Masada und im Herodeion hinzuweisen, die dem 1. Jh. angehören. Über die Sitzplätze der Presbyter liegen nur wenige Nachrichten vor. Im spanischen Elche baUen die Presbyter ihren Platz im östlichen Teil des Raumes mit dem Gesicht nach Süden, so daß der Toraschrein seitlich von ihnen stand (vgl. CU 11 6(3). Die Anordnung der Presbyterstühle im Halbkreis deutet eine Mosaikinschrift aus Side an (vgl. CU 11 781. Zur Deutung der Inschrift vgl. Kohl/Watzinger, Synagogen Is.o. Anm. 46)141). Eine weitere Inschrift aus Smyrna läßt darauf schließen, daß der Raum, in dem die Presbyter saßen, durch hölzerne, später durch steinerne Schranken vom übrigen Raum abgetrennt war (vgl. CU 11 739. Eine andere Deutung gibt Krauss, Altertümer (s.o. Anm. 83) 350f). Zu den Ehrensitzen in der Synagoge vgl. noch I. Elbogen, Der jüdische Gollesdicnsl in seiner geschichtlichen Entwicklung, Frankfurt/M. 31924, 475 und 575 (Belege). 88 Vgl. Krauss, Altertümer Is.o. Anm. 831384f; Elbogen, Gottesdienst (s.o. Anm. 84) 474f, Schrage, Art. auvcrywrfl, ThWNT 7, 81Sf mit Anm. l28f, und Hruby, Synagoge (s.o. Anm. 84) 41f.
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Synagoge und ElcJ:lesjQ
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Podestes im pamphylischen Side erhellen, das ä,J.ßwv genannt wird und damit eine Bezeichnung trägt, die sonst nur für den entsprechenden Auf· bau in der christlichen Kirche verwendet wird. Gewissermaßen in Parallele dazu wäre dann die Benennung des »Ambons« in der christlichen Kirche als tn\u.a 'tov ayv6
Das, was der Verfasser des Jakobusbriefes seiner in der »Synagoge« versammelten »Ekklesia~~ und die späteren Kirchenordnungen dem Bischof und dem Diakon eigens einschärfen mußten, war in der synagogalen Gemeinde von Alexandrien, dem Inbegriff der »Herrlichkeit Israels«. längst selbstverständliche Regelung: die Fürsorge für die Armen. Damit schließt sich eine Beweiskette, die es ermöglichen mag, die teilweise beträchtlichen Unsicherheiten, die sich bei der Deutung der archäologischen Überlieferung immer wieder ergeben. abzubauen. Eine wirklich selbständige Entwicklung des frühchristlichen Kirchenbaus be· gann erst mit der Ausbildung des monarchischen Episkopats und der Verselbständigung der Eucharistiefeier90 . Damit wuchsen dem früh· 89 vgl. CU 11 781, A.M. Schneider, Art. Ambon, RAC I, 36J.365. 90 Zur Entwicklung der Eucharistie vg!. die detail reiche Zusammenfassung der weitverzweigten Spezialforscbung bei G. Kretschmar, Art. Abcndmahlsfeier I, TRE I, 229278. In Abschniu 5.1 .Liturgie und Kirchenbau« seines Artikels (2691) betont Kretschmar als Differenz zwischen Synagoge und Hauskirche die Tatsache, .daß zum christlichen Gol.tesdienst von Anfang an eben nicht nur die eine, sondern verschiedene Kult· formen gehörten, neben dem Wortgol.tesdienst auch Taufe und Abendmahl .. (269). Dieser Hinweis bleib!. hilfreich, solange er nicht das Mißverständnis fördert, bei der antiken Synagoge babe es sich um einen monofunktionalen Baukörper gehandelt. Das würde an den tatsächlichen Verhältnissen, über die wir seit den Forschungen von Samuel Krauss bis ins Detail hinein informiert sind, nicht gerecht werden. Auch Kretschmar datiert den .Ausbau der Abendmahlsfeier in der Messe zum zentralen Gottesdienst« (270) in das 4. Jh. Erst die .öffentliche (...) Anerkennung der Kirche.. (270) ermöglichte zu dieser Zeit eine Gestaltung des Kirchengebäudes, in der das sich wandelnde Eucharistieverständnis arcbitektonischen Ausdruck finden konnte. Die Entwicklung in den Jahrhunderten davor wird in theologischer Hinsicht durch die überlieferten liturgischen Formulare faßbar.
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Peter Maser
christlichen Kirchengebäude Funktionen zu, durch die die endgültige Trennung von »Synagoge« und »Ekklesia« auch architektonisch besie· gelt wurde.
Diese geben jedocb für den praklischen Vollzug der Eucharistiefeier nur wenige Hinwei· se, die zudem zumeist regionaler Art sind. Ohnehin ist aber anzunehmen, daß die Eucharistiefeiern der vorkoostantinischen Ära von so schlichter Art waren, daß durch sie weder
das kirchliche Inventar noch der Kirchenbau insgesamt geformt wurden. Erst ,.mit dem Festwerden der Liturgie entstehen auch verbindliche Formen des Kirchenbaus., sie entsprechen .. , der Entwicklung, daß die Eucharistie kein Mahl mehr ist, sondern der von
Gott gewährte und ihm geschuldete Gottesdienst in der Anamnese des Opfers Christi., (270).
Die berrscberlicbe Titulatur Gottes bei Pbilo von Alexandria Günter Mayer, Mainz I. Vorbemerkung
Den Verzicht, in seiner großangelegten Untersuchung über das Kö· nigtum, die Königsherrschaft und das Reich Gottes in der Literatur dC5 antiken Judentums Philo von Alexandria und Flavius Josephus zu behandeln, begründet Camponovo in doppelter Weise: Einmal würden sie als historisch faßbare Autoren in der Regel eigenständig behandelt, zum andem gäben sie für das Thema kaum etwas her t • Er beruft sich dabei auf das Urteil K.L. Schmidts, wonach bei Philo die I»OLA€la Gottes nurmehr ein Kapitel aus der Tugendlehre darstelle 2. Schmidt war auch schon von M. Lattke als Kronzeuge in Anspruch genommen worden, der in seinem Beitrag zur Schülergabe Anton Vögele zum 65. Geburtstag formulierte: .Oie historischen und apologetischen Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus (...) geben für unser Problem überhaupt nichts her. Bei Philo. dem jüdischen Philosophen griechischer Sprache aus Alexandrien (...) steht es nicht viel besser. Seine Anschauung vom Gottesreich ist durch und durch ethisch.«3 Man kann also ohne große Übertreibung sagen, daß die Autorität des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament die Anschauung von der Unergiebigkeit Philos als Quelle für die Rede vom Königtum Gottes für einen Zeitraum von nun über fünfzig Jahren kanonisiert hat - wenigstens im deutschen Sprachraum -, obwohl E.R. Goodenough nicht viel später schon wesent~
I VgL O. Camponovo. Königtum. Königsherrschaft und Reich Gottes in den (riihjüdischen Schriften, 080 58, Fribourg u.a. 1984,7. 1 Vgl. K.L. Schrnidt, Art. !Xtot,),E:\a ('tOU GUN) im hellenistischen Judentum. ThWNT 1,573-576, hier 575. J M. Lanke, Zur jiidlschen Vorgeschichte des synoptischen Begriffs der »Königsherrschaft Gottes-, in: Gegenwart und kommendes Reich, FS A. Vögtle. hrsg. v. P. Fiedler .... Stuugart 1975.9-25. hier Ur.
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Günftr Mayer
liehe Gedanken zu dieser Thematik beigesteuert hatte 4. Zumindest Camponovo hat indes übersehen, daß K.L. Schmidt sich nur auf die txx· OlAfia bezieht, während er selbst, nicht nur von der Königsherrschaft, sondern auch vom Königtum Gottes handelnd, die txxolAfUc;·Aussagen auszuwerten gehabt hätte, was er im Blick auf die übrigen Quellen ja auch gewissenhaft betreibt. Der Titel unserer Untersuchung ergab sich aus der Erfahrung, daß sich die Wortgruppe ßaOlA€\Ic; nA. oft mit Wörtern anderer Wurzel ver· bindet, durch diese verdeutlichen läßt oder auch ihrem Konkurrenzdruck erliegt. Dies gilt vor allem für die Begriffe r,YE'J.,lWV und &cmo'tnc;;.
2. Die Beziehung Gottes zur Welt Als der Schöpfer alles Erschaffenen ist Gott dessen natürlicher König (VilMos 2,100). Wie es nur eine Welt gibt, das All, so gibt es nOlWendigerweise nur einen Herrscher, Führer und König (Canf 170). Durch den einen König ist garantiert, daß die Herrschaft zum Heil der Welt aus· fällt, weil dadurch die schlechten Regierungsformen wie Oligarchie und Ochlokratie ausgeschlossen sind (Decal 155). Dem König verdankt die Welt nicht nur insofern ihre Existenz, als er sie erschaffen hat, sondern auch insofern, als er sie erhält, so erweist sich auch in der creatio continua Gottes Königtum (Abr 74). Wiewohl König, Philo gebraucht sogar öfter die Titel »Großkönig« und »König der Könige«, kümmert er sich um den Geringsten (Deca! 41). Die Bezeichnung Gottes als ßaaLXE'U<; gibt also grundlegenden Aufschluß über die Art und Weise seiner Herrschaft. Er ist kein grausamer und gewalttätiger Tyrann, sondern regiert gerecht in Übereinstimmung mit dem Gesetz. »Was nämlich in den Fa· milien die Eltern für die Kinder sind, das ist der König für die Polis, für die Welt aber Gott« (Prov 2,15). Logischerweise sind dann Sonne, Ge· stirne und was sonst an Erschaffenem existiert, keine Könige; vielmehr unterstehen sie dem einzigen wahren König (SpecLeg 1,18). Die Welt ist auf den Schöpfer angewiesen, aber der Schöpfer nicht auf die Weil. Der König braucht njemanden, aber alle brauchen den König (Plant 51). Sei·
4 Vgl. E.R. Goodcnough, By Light, Light. Thc Mystic Gospel of Hellenistic Judaism, Ncw Haven u.a. 1935, 11-47. Untersuchungen zur Staatstheorie Philos müssen unweigerlieb auf Gottes Königtum zu sprechen kommen, vgl. z. B. E.R. Goodenough, Thc Polilics of Philo Judaeus, New Haven 1938 und neuerdings R. Barraclough, Philo's Polilics. Roman Rule and HellenisticJudaism, in: ANRW 1121/1, Berlin 1984,417-553.
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Di~ hmsch~rlich~
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11tu/Qtur ~i Phi/o
ne Herrschaftsform ist die vollkommene Monarchie (DecaJ 51; SpecLeg 2,224).
Um die Leitung der Welt durch GOlt darzustellen, bedient Philo sich der Bilder vom i)vioxoc; ~Wagenlenker4( und vom IC\I߀pvirtrlc; ~Steuer mann. (Ebr 199; Mut 16; Praem 34; Migr 6; Her 301; Decal53 u.a.m.).
Sie zielen auf den Lauf des Kosmos, seine Bewegung, dessen Kurs durch Gott gehalten wird (Op 46; Abr 70.84; Jos 149; Conf 98; SpecLeg 1,224).
»Es ist notwendig, daß es einen Schöpfer und Vater gibt, einen l(ußE"PvT,'tfll; und i)vioxoc;, der sowohl hervorbringt, als auch das Hervorgebrachte erhält« (Quaest in Gn 2,34). Abrahams Gotteserkenntnis besteht darin, daß er den Wagenlenker und Steuermann erkannt hat, der hinter den Bewegungen der Gestirne steht (Abr 70). Damit wird freilich im Grunde die absolute Transzendenz gefährdet, so daß gelegentlich, eigentlich konsequent, heide Metaphern auch vom Logos gebraucht werden. Wagenlenker und Steuermann führen lediglich die Befehle dessen aus, der im Wagen bzw. Schiff sitzt (Fug 101; Cher 36).
3. Die Beziehung Goues zum Menschen
Voraussetzung für Gottes lenkendes und richtendes Eingreifen in die Welt ist, daß ihm nichts entgeht (Post 8). Hier hat Gottes Königtum zwei Seiten: Herrschaft und Güte (Cher 29; Plant 88). Gewöhnlich bezeichnet
Philo diese beiden Seiten, mit denen er die Gouesnamen illiP und D'n'Jx auslegt, als IlaOIA''''' OUVaj!1<; und nOllll""" ouvaj!l<;. Dabei gehe,
trotz der prinzipiellen Gleichahrigkeit der Kräfte, die schöpferische Kraft der königlichen vorauf; denn einen König könne es erst dann geben, wenn auch etwas zum Regieren da sei (Quaest in Ex 2,62). Nach den jeweils ausgeübten Funktionen heißen sie auch l(OAacrn1p\OC; ouvaf.ll<; und .wpyhl<; OUV<Xf.lI<;, letztere auch Xapl
Terminologie im einzelnen und ihre Verteilung gibt nachstehende Übersicht Auskunft: Tabelle J: Verteilung von KUplO<; und 8€6c;
KUplO<;
8€6c;
Belegstelle
6t:an6tfK
EWpyttT}l;
All 1,96 A1l3,n Plant 81 Her 22; Mut 19
ayollO"" EWpyt'tT'K
00049~b2
Gante, Maye,
296 •
8€6c;
""PU><;
&",,'."<
jloav,oc!t jloav,oc!t 5Wo,l... jloav,oc!t 5Wo,l... jloav,oc!t 1iW......
nol1ruxil ~u; X.oplO"tWl6Uv~Ll;
vJE-pytnr; 6Uvo,J.u; • • Kt\Uttll; km• no\n'tTK
JloalAElo '~U>; 5Wo,l...
vJE-pytt:Ll; ~Ll;
jloav,oc!t 5Wo,l... ÖEonotlkW t:fll; aUt:OKp6'topoc; äpxflr;
Koa)!01tOlI'\tWl6Uv~Ll; EÜEpyEtuceW t:fll; iÄEw...
6wC4KWl;
",xii
äya66 tTl<
Belegstelle Fug 95; Mut 15 Fug 100.103; Mut 28; Abr 121; VitMos 2,99; Ouaesl i.D Ex 2,62.66.68 Som 1,163 Abr 125 SpecLeg 1,30 SpecLeg 1.207 SpecLeg 1,307; LegG'; 6; Ouaest i.D Ex 2,68 LegG'; 6
Plant 90
IIOjJ09EtWl 00va,.!Ll;
iÄEwc; bUv~lC;
Sacr 59; Cher 28f Mut 15 Ouaest .~ Ex 2,2 Ouaest in Ex 2,68
TtYEJWVlk6v
Kn&....ovue6v
Pro\' 2,15
äpxfl kOO JloaIAElo vJE-pytt:Ll; 6Uva~.uc;
Gottes Eingreifen geschieht also nicht direkt. Er hat gleichsam Augen und Ohren. die für ihn sehen und hören. Wie schon angedeutet, verlangt seine Transzendenz nach Mittlern. Kräften, nach Gottesboten (Engeln). die die Gaben des Königs überbringen und die Bedürfnisse der Untertanen dem König anzeigen. Die Engel sind die höchste Rangklasse der Seelen, diejenigen, die sich nie mit einem Körper verbinden (Plant 14; Som 1,140). Geht man der Frage noch näher nach, was für Funktionen diese Mittler, von Philo auch Statthalter u. ä. genannt, haben, so kommt keine eindeutige Antwort zustande. Nach den schon herangezogenen Stellen sieht es so aus, als würden sie den gesamten Verkehr zwischen Gott und der Welt vermitteln. nach anderen, als überließe er nur bestimmte Aufgaben seinen Kräften (Conf 173.175). Da die Welt durch die Leitung des als König herrschenden Gottes mit Glück erfüllt wird, hat es den Anschein, als habe Gott gerade die Vermittlung dieses Glücks sich selbst vorbehalten. Wohltaten verteilt er selbst (Fug 66). Die Segnungen des Friedens und der Sicherheit spendet er selbst (Decal 178). Gerade das macht ja die Größe seiner Macht aus, daß er sie nicht, wie sonstige Könige, zum Nachteil seiner Untertanen ausübt (Plant 92). Strafen vollzieht er hingegen durch seine Gehilfen (Fug 66). Kriege führen seine Diener (Decal 178). Bei der Auslegung von Ps 23,1, wo Philo nach guter antiker Tradition das Hirtenamt durch das Königsamt auslegt, vertraut Gott indessen die Fürsorge für die Herde dem Logos, seinem erstgeborenen Sohn, an
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Die hemcherliche Titulatur bei Philo
297
(Agr 51). Versucht man einen Ausgleich, so wird man wohl sagen müssen, daß das Gute wie das Böse von Gott kommt, aber das Gute aus der Einheit, das Böse aus der Vielheit, proportional auch zunehmend nach dem Grad der Zusammengesetztheit. Dieser Annahme stehen aber wieder Stellen wie Cher 99 entgegen, wo es dann doch nur Gottes Kräfte sind, die Gutes erweisend in der Seele Wohnung nehmen, oder Sam 1,142, wonach Helfer nötig sind, damit sich der Mensch die Wohltaten aneignen kann. So wird man es bei der angezeigten, möglicherweise aus den Quellen übernommenen Unausgeglichenheit belassen müssen. Als König, der sich durch die Schöpfung als einziger und wahrer König über alle Begriffe erhaben erwiesen hat, ist Gott Gegenstand der Anbetung und Verehrung (SpecLeg 1,31; 4,191; Flacc 123; LegGai 3). In der Anbetung haben wir das Bindeglied vor uns, in dem sich Gottes Transzendenz in exemplarischer Weise mit seinem Walten verbindet. Da aber Gott nach seiner Essenz dem Menschen nicht zugänglich ist, sind es eigentlich seine Kräfte, die im Kultus angerufen werden. Die königliche Kraft wird verehrt als KUpwe; (passim), als äpx.wv (Plant 87; SpecLeg 1,300 u.ö.) und als OCO'llOn1<; (All 1,96; Her 22; Mut 19; vgl. Plant 90). Die schöpferische Kraft tritt dem Menschen als EUEpyhl1l; »Wohltäter« gegenüber (All 1,96; Plant 87; SpecLeg 1,300; vgl. Plant 90). Auf die liturgische Verwendung von ocO'llo'tT)(; deutet auch der Vokativ in gebetsähnlichen Kontexten: »Du, 0 Herr, bist Schöpfer des Guten und Heiligen.« (Plant 53); »0 Herr, was wirst du mir geben?« (Her 2); »AlIein du, 0 Herr, bist mein Vaterland, väterlicher Herd, meine Ehre, Freiheit und mein Reichtum.« (Her 27); ~~O Herr, wie könnte dich jemand preisen?!« (VitMos 2,239); »Dich, 0 Herr, zu ehren, ist allein gerecht.« (All 3,9). Kultischen Zusammenhang lassen aufgrund des Wortschatzes auch Stellen wie Sacr 58; Cher 107; All 2,63; 3,213 vermuten: Philo selbst erklärt die Anrede folgendermaßen: "Ich kenne deine überragende Macht; ich verstehe das Furchtbare deiner Herrschaft; furchtsam und bebend stehe ich da und doch wieder kühn« (Her 24). Am anderen Ende der Transmission, über die der erste und höchste König auf die Welt einwirkt, steht der Mensch. Damit er die Aufgabe des Statthalters erfüllen kann, ist er als letzter erschaffen (Op 88). Aber es ist nicht ein beliebiger Mensch oder der Mensch schlechthin, der dazu auserwählt ist, sondern der Freie. Und der Freie ist der, über dessen Seele Gott als König herrscht (Plant 53). Oie Seele, nicht der Kosmos, ist der einzig angemessene Wohnsitz Goues, der Königspalast (Plant 33), wenn der König der Könige aus Liebe von den Enden des Himmels zu
~9362
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Günttr Ma)'tr
den Grenzen der Erde kommt. Zuvor ist der Wohnsitz herzurichten, zu läutern (Sobr 66) durch die Tugenden und die allgemeinen Vorberei· tungswissenschaften. Dann kann sich Gott, bzw. seine Kräfte können es, darin niederlassen (Cher 99), was nach Philo heißt: Vorsorge und Fürsorge zu üben (elxl.). Neben diesem Bild von der Bewegung von oben nach unten steht ein Bild von der Bewegung von unten nach oben, das die Gotteserkenntnis ausdrücken soll (Mut 17). Der Königsweg (Num 20,17) ist der Weg, der zum König führt. Er ist identisch mit der wahren Philosophie oder mit Gottes Offenbarung (Rede und Wort: Post 101). Wer ihn beschreitet, wird nicht müde, bis er den König trifft (Imm 159f), wie Abraham (Gig 64). Wer nach der Wahrheit strebt, kommt über die Ideen schließlich zum Großkönig (Op 71). Eine solche Seele, der Gottergebene, ist gefeit vor den Gemütsaufwallungen, weil die Tugenden als Gottes Heer für ihn kämpfen (Agr 78).
4. Der ily<jJWv· Titel Mit dem tkxolAE:iJc;-Titel konkurriert der Tty€"wv-Titel, und zwar formal wie inhaltlich. Quantitativ läuft er ihm sogar den Rang ab: 45 ßaOlA<\.<;-Belegen stehen 70 ily<jJWv-Belege gegenüber. Die formale Konkurrenz verdeutlicht die folgende ÜbersichtS:
Tabelle 2: Konkurrenz zwischen ily<jJWv und /lao,).<\.<; ily<jJWv
/lao,).<\.<;
J..ItyCll; ilYEJWv (Op 69) npWtOl; nyE).lWv (Virt 169)
t!U1\AEUr; tWv 6>.wv (LcgGai 3) npWtoc; KOt 1J.6vOl; tWv lU.wv J5aa1A€\ll; (Post 101) lJ.E:yoo; ßooIAEUr; npWtOl; koi lJ.E:yOJ; J5aa1A€\ll; (Op 88) npWtOl; koi J..I6vo; tWv ö>..wv jloalAE\ll; (Post 101) PaaIAEUc; 8EWv ICOt avepWnwv (F1acc 170)
6 9Et,v koi Qv6pWnwv flYE).lWv (VitMos 2,238)
Die inhaltliche Konkurrenz zeigt sich darin, daß Tty€"wv in den gleichen Zusammenhängen erscheint wie ßo,otAfiK;. Er ist der eine (Conf 170; Deca1 155), der die Welt erschaffen hat (Saer 40; VitMos 2,238), sie S Stc.Uc.nangaben
nur bei hapax Ic.gomc.na.
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Die hemcherliche 7ituIDlU, bei Philo
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leitet (Mut 16; Abr 88) und sie sorgend erhält (Mut 45). Nichts entgeht ihm (Op 69; oet 155). Die Beziehung zur Welt vermitteln sein Logos (Her 205), die Kräfte (Sacr 59) oder die Engel-Seelen (Con 174). Er allein ist die Quelle des Guten (Op 74f; Plant 91). Obwohl er schwer zu erfassen ist (SpecLeg 1,32), richtet sich das Erkenntnisstrehen auf ihn (Post 18; Imm 19). Seine Residenz ist die geläuterte Seele (Sobr 62; Som 1,148). Wer sich ihm ergeben hat, ist wirklich frei (Prob 20.62). Der i]yfl"i>v ist der beste Beistand im Kampf gegen die Ulster (Migr 57.62).
5. Herkunft und Umfeld
Obwohl schon um 700 v.Chr. Hesiod Zeus als ßaotAEV<;; bezeichnet (Theogonia 886; Opera 668), ist das Bild, das Philo von Gott, dem Herrscher, entwirft, mit dem er den biblisch überkommenen 1'JD ausmalt, platonisch geprägt. Gott ist der König des Alls (Plato, Ep 2,312e) oder der Führer des Alls (Ep 6,323d), der fürsorgliche Gott unser König (Leg 1O,904a). Als der große Führer im Himmel lenkt Zeus den Flügelwagen, alles anordnend und besorgend (Phaedr 246e). Er ist der Steuermann, ohne den die Welt ins Chaos zurückliefe (Pol 272e.297e). Der gute Schöpfergeist wollte, daß alles gut sei (Tim 2ge.30a). Als erster Stoiker nahm Antipatros (um 140 v.Chr.) das dmOl'l'tlKOV Qv8pWnwv unter die göttlichen Attribute auf (SVF 3,331). Für die pseudo-aristotelische Schrift Oe mundo ist Gott der lJ.E:yw:; ßaalAr\x;, der die Welt mittelbar regiert (398b). Hinter der königlichen und schöpferischen Kraft stehen vermutlich die hypostasierten Xbpo; und ß""f. Der Gebrauch des tktOLAE'\K;- bzw. des nYEJJ.Wv-Titels einschließlich ihrer Erweiterungen für den Schöpfergott, Zeus oder auch einen anderen bestimmten Gott verbreitete sich in fast allen Richtungen der hellenistischen Philosophie bis weit in die christliche Zeit hinein, so daß sich Philo hierin als einer ihrer typischen Vertreter erweist. Als »König der Welt« bezeichnet Gott der platonisierende Plutarch (Praecepta gerendae rei publicae 8110), als »König und Retter~~ redet Aelius Aristides, der zweiten Sophistik zugehörend, Zeus an (El<; ßia I; vgl. 30). »Erster König« ist Gott für den Pythagoreer Sthenidas (bei Stobaeus EcI 4,270). »König der Könige« (Philo, oecal 41 u. ö.) heißt Zeus bei oio Chryso6 Vgl. E. Brtbicr, Les idtes pbilosophiques Cl rcligieuscs dc Philon d'Alcxandric, Paris 31950,147.
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300 stomus (Or 2,75), der ihn auch als .Vater und König. (Philo, Op 144) bezeichnet einerseits wegen seiner Fürsorge und Güte, seiner Herrschaft wegen andererseits (Dio Chrys, Or 1,391). Der Tty€IJWv-Titel ist belegt bei Cbrysippos (SVF 3,4) und Aelius Aristides (EI<; ~ia 29). Natürlich kann eine Gottheit auch oconOUlt; sein, SO Osiris in einem Papyrus des 3. Jh.s. n.Chr.? Wie GOlt als Ziel des Königswegs der einzige wahrhafte König ist (Philo, Imm 160ft), so wird der von der Erde weit entfernte, unbefleckte und unvergängliche Osiris zum TryE}WV und ßaaIA€Uc; der Seelen nach ihrer Befreiung vom Leib und von den Affekten, nachdem ihnen vorher das Zusammensein mit dem Gott nur durch die Erkenntnis dank der Philosophie möglich gewesen war (Plutarch, Is 382F). Was die herrscherliche Titulatur Gottes angeht, so stellt Philo auch innerhalb der jüdischen Überlieferung keinen Sonderfall dar, wenn auch die Quellen großenteils jüngeren Datums sind. Da für den Königstitel nun Camponovos Monographie zur Verfügung steht, können wir uns zur Illustration auf wenige signifikante Beispiele beschränken:
Tabelle 3: Hemcherliche Titulatur Gottes in der jüdischen Ober/ieleTUng Poo'IMUr; Poo'W:WlI
2 Makk 13,4; 3 Makk 5.35; D'l)'JOil ]';)0 I QM 14,16 in Verbindung mit 1 OMa;
l'J~n l~n TPsl Ex
(e<Weilert)
15 18;
n'J~n.l 'J~n l~n mAv3,1
)J.tye-; t\aav.rilc;
Tob 13,16; Sib3,56.499.560.616.808
t'o:nMUl; 1:Wv ~
Josephus Ant 14,24 Josepbus Ant 3,309; 4,114 u.ö. Josephus Ap 2,185 2 MaU 5,17; 6,14; 3 Makk 5,12; Weish 13.3; Josephus BeU 1,207; 2,36; Anl 1,20.12 u.O.
i\y~JUiJv l\y~J1Wv
1:Wv ~ 6<_"",
In der überwältigenden Mehrheit erscheint jedoch der Vokativ OC0110'tQ als Gebetsanrede (z. B. 3 Esr 4,60; Jdt 9,12; EpJer 5; 2 Makk 15,22; 3 Makk 6,5.10; Josephus Ant 1,272; 4,40.46; 5,41 u.ö.). Unmittelbar von Gott selbst kommt nur das Gute, während er das Böse durch eine Hallstimme (K~P "1J TThr 3,38) oder durch sein Wort (X'lZPO TThr 3,54) verhängt. Den Amoräern geläufig ist die Interpretation der Gottesnamen illil' und D'il'Jx durch die göttlichen Attribute der Gnade n'oo", ",n und des Gerichts l'l~ "ln (BerR 12,15; 33,3; vgl. bBer 6Ob). Die Welt braucht, um existieren zu können, beide (BerR 1 Vgl. Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden, hrsg. v. F. Preisigke, Bd. I, Ikrlin 1925,329.
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Die hemcherliche TlIUJiJtu, bei Philo
301
12,15; 39,6). Diese Attribute können selbständig auftreten und sogar auf Gott einzuwirken versuchen (BerR 8,4; ShemR 1,36; bShab 55a; bMeg 15b; bSan 94a.lllb). Der Königsweg (Nu m 20,17). eigentlich die Straße von Rabbat-Ammon nach Süden durch das Gebiet der EdomiterS, wird vom Targum ethisch als X'D17:J1 lQ'JD "1'X .Weg des Königs im Himmel« interpre· lieT! (TPsJ z. St.).
6. Der Sinn der Rede von Gott als llaCJlAru.; / Tryqu;'v läßt man sich auf die von K.L Schmidt eingeführten, noch von Camponovo fraglos akzeptierten Kategorien ein, so ist das Ergebnis in der Tat niederschmetternd. Zwar hat es sich gezeigt, daß die Rede von Gott als König bzw. Führer auch in der Theologie ihren Ort hat, das Hauptgewicht liegt jedoch zweifellos auf der Ethik. und folgt man Philo selbst. der die Theologie unter die Ethik subsumiert (Mut 76)9, so ist nicht nur das Reden von Gottes Königsherrschaft, sondern das Reden vom Königtum Gottes überhaupt ltdurch und durch ethisch•. Ja, die phiionische Philosophie läßt gar kein anderes Ergebnis zu. Was weiterführt, ist aber die von Camponovo im Anschluß an Perrin eingeführte Kategorie des Symbols lO . Baav..E'ix; und r,ye:).UL)V evozieren natürlich "eine Fülle von Assoziationen ( ) an Erfahrungen mit irdischen Herrschern, an Ideal· vorstellungen ( ), natürlich an biblische Traditionen.«11 Seine Kraft be· zieht das Symbol aus der Analogie Gott - König. Gott bildete den König nach seinem Oj>XE'tvnoc;. sagt der Pythagoreer Ekphantos (4. Jh. v.ehr.• bei Stobaeus, Ecl 4,245), und Plutarch schreibt, der König sei zu ehren W<; rlKova e"ou
8 K. Galling. Art. Handel und Verkehr, BRL2 135. 9 Dazu vgI. HA. Wolfson, PhiJo, Bd.l, Cambridge (Mass.) "1968, 147. 10 Vgl. CampoD<WO., Königtum (s.o. Anm. I) 437r. 11 CamponO'lO, Königtum (s.o. Anm. 1) ebd.
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302
GünttrM~,
römischen Princepsl2. Der ßaolAcUc;-Titel aber verschwand nicht nur deshalb nicht, weil er in der philosophischen Tradition fest verankert war, sondern auch weil die Umgangssprache den Kaiser als ßaolAciIc; be· zeichnete l3• Ist die Rede von Gones schöpferischer und königlicher Kraft die logische Konsequenz von Philos Lehre der absoluten Unerkennbarkeit Gottes nach seiner Essenz (Post 168; Imm 62; Mut 7), so wird die symbolische Rede von Gott als dem König, Princeps und Herr darum nötig, daß Gott trotzdem dem Menschen in Anspruch und Fürsorge gegenübertreten kann t ...
12 Vgl. bei Tcherikover-Fuks, CPJ 2 Nr. 153 Z. 58 u. 81; vgI. Philo, LegGai
19.24.32.
69.250. Vgl. bei Tcberikover·Fuks. CPJ 2 Nr.l56d Z. 5 mit Bezug auf Claudius. Den Kompilator vom Anfang des 3. Jh.s am Werk zu sehen, ist nicht zwingend. Josephus kann die römischen Kaiser, die den JerusaJemer Tempel und seinen Kult gefördert haben, als~· al,\El<; bezeic.hnen (Bell 5,563). ... N. Umemoto, Die Königshc.rrsc:hafl GOltes bei Phiion, in: Königsherrschaft GoUes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt, hrsg. v. M. Hengel u. A.M. Schwemer, WUNT 55, Tübingcn 1991,207-256, konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden, da das Manuskript sich schon im Satz befand. IJ
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Eine späte Tbeodotion-Tradition vom Danielbucb? Rachel Medina-Lechtenberg / Paul-Richard Berger, Münster 1m Zusammenhang seiner Arbeit an den deuterokanonischen Zusätzen zum Daniel-Buch berücksichtigt K. Koch 1 auch die Oxforder Hand· schrift (Bodleian Library, Oxford, 2797 MS. Heb.d. 11), die offenbar Auszüge aus der Chronik Jerachme'els2 enthält. Darin steht zwischen einer hebräischen Übersetzung von Daniel 7 und einer aramäischen Fassung der deuterokanonischen Stücke Daniel 3,24-90 als Überleitung die 'Theodotion-Tradition'. In ihr wird ein Zusammenhang zwischen den in der Chronik wiedergegebenen Abschnitten aus Daniel und einer mit dem Namen TIlOdos{TheodOlion verbundenen griechischen Fassung des Danielbuches hergestellt3. Auf eine Anfrage von K. Koch hin haben die heiden Autoren - als mit der Sprachgeschichte des Hebräischen und Aramäischen Befaßte - eine Abschrift und Übersetzung der heiden nicht ganz leicht zu lesenden Handschriftenseiten 4 erarbeitet, auf denen sich die 'Theodotion-TradiI K. Koch, Deuterokanonische Zusätze zum Danic1buch. Entstehung und Textgeschichte, AOAT 38/1-2, Kevelaer u..a. 1981. 2 Zu Jerachme'c1 beD Sehelomo, Historiker, Süditalien um llSO, vgl. Art. Jerahmecl ben Solomon, EJ 9,1345, hier auch W'Citere Literatur. Die alten (Teil-)Bearbcitungen durch A. Neubauer (Yeral;lmecl bcn Shelomoh, JQR 11 (1899) 364-386) uDd M. Gaster, The Unknown Aramaie Original of Theodotion's Additions to the Book of Danicl, PSBA 16 (1894) 280-306, PSBA 17 (1895) 75-94, (cil· weise wieder abgedruckt in: M. Gaster, Studies and Texts in Folklore, Magie, Mediaeval Romanee, Hebrew Apocrypha and Samaritan Archaeology, London 1928, Nachdruck New York 1971, Bd. 1,39-68; Text: Bd. 3, 16-21; The Chronic:les of Jeraehmeel; or, the Hebrew Bible Historiale, transI. by M. Gaster, Oriental Translation Fund NF 4, London 1899, Nachdr. mit einem Vorwort von H. Schwartbaum, New York 1971) 207-223) sind nicht ganz verläßlich. ) Zur Diskussion des Forschungsstandes vgI. Koch, Zusätze I (s.o. Anm. I) 19-39 und das Vorwort von H. Schwarzbaum in: Tbe Chronicles of Jerahme'e1 (s.o. Anm. 2) 1-124. .. Zur Beschreibung der Handschrift aus dem Jahre: 1325 vgl. A. Neubauer / A.E. Cowlcy, Catalogue of tbc Hebrew Manuscripts in the Bodleian Library, Bd. 2, Oxford 1906, 208-215. Einen Eindruck vermiuelt die W~ergabe der Blätter bei Koch, Zusälze I (s.o. Anm. I) 189f. Zur hebräischen Interpunktion des Ms vgI. Koch a.I.O. Der Bodleian Library, Oxford, sei an dieser Stelle für die Genehmigung zur Publikation dieser Seiten gedankt.
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Rtu:hel MuiinQ-Lechunberg / Paul-Richard Berger
tion' findet. Im folgenden werden also die beiden Seiten 72 recte und 73 verso der Handschrift Bodleian Library, Oxford, MS heb.d. 11 auf Grund einer Fotokopie in hebräische Druckbuchstaben umgesetzt und sodann die Übersetzung mit einigen philologischen Anmerkungen geboten. Im übrigen sichern Bibelanspielung und griechische Version weitgehend die Entzifferung. Da die beiden betreffenden Handschriftenseiten auch sonst noch wissenschaftlich bemerkenswert sind, sei das Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen im folgenden vorgelegt. Auf den Inhalt und die Ergebnisse daraus soll hier nicht näher eingegangen werden.
MS heb. d. 11/0/ 72r Z. 1-32
DanieI7,8-28
8
iP l~"D il,pYl I fol 72r I (Icb haUe acbt auf die Hörner, und siebe, ein D'X ' l 'Y) D' l'l1 illill anderes kleines Horn slieg auf z:;yischen ihnen, n1)1Dil il~l ilTil I1pJ unddreivondenvorigenHörnern)wurdenentl I Ol "1l fernt vor ihms ; und siebe, Augen wie Menschenaugen waren an diesem Horn und ein Mund, der Vermessenes redete.
9
11'l7il 111K 'n"il ilX111 Jl1l' 0' 0' 1i' 11 nlM:OJ I 111111 IJ" i;l7) ll7lJ" lXOJ '9) 1J" 'OD 117K1 I7X 1'" l" II 17M: '! l!) 'W1J
Und ich schaute, Ibist' daß man Sessel hinstellte und der Betagte sich setzte. Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haal seines Hauptes wie reine WoUe. Sein Thron waren Feuelflammen und seine Rädel bIennendes Feuer.
10
X! 1 ' 1 I 1171 D I7K 1il) D , ~ ., X C'J ., X l ' ) ~., D n1JJ' ,)," lilll7017' 1'1) 151 '10Y' " )~"D o'noo) 0'190il1 JI1'
Ein Feuelstrom zog und ging aus von ihm. Eine Million diente ibm und bundert Millionen slanden vor ihm. Zum Gerichtsetzle er sich,und die Büchel wurden geöffnet.
11
"'PD TX 'n"il ilK111 I ,I7X 1 Oil 'il 'J10 l'Pil 'JX1 il' 'nil ill'il) 1n I IJ)( mp,v, iunl1 il~U
Und ich sahsodann (hin) wegen des großspreeherischen Stimm aufwands, mit dem das Horn sprach. und sah, (daß) das Tier getötel wUlde, sein Körper zugrunde ging und in den Feuerbrand getan wurde.
'n'
12
n,"" ,J' ilK'"
On"wDD 101il Ol 'nil 1}(171 Und dem Rest der Tiere wurde ihre Herrschaft Dil" In)" D' 'nJ ",M:, genommen und damit ihnen eine Dauer an LenY1 I ID1 '11 ben gegeben werde bis zu einer Zeit und einem Termin.
S Der Text entspricht hier dem masoretischen Oere!
61m Text hebräisch 111 wohl versehenllich ausgefallen.
00049J52
•
Eine späte
Th~odotiOll-TradiliOll
vom DIlIIieibuch7
305
JJ
n, K10J "n"" i'I i'lX' l ' "1111 D11 i'll i'I , i'l7 , 7 i'I KJ i'I"i'I I 01X I)J D"DWil 11 ' 1 i'I D" 0 ' 1P1 111' m'J"lpi'I , "lD7'
Und ich sah in den Gesichten der Nacht, da kam mit den Wolken des Himmels (einer, aussehend) wie ein MeDSchenlUnd, und nahte bis dicht an den Betagten, und man ließ ihn (ganz) heran(treten).
14
l ' JJi'I' il711DOil In 1 '7' D"DlIil !;,J, ilJ'!;,Din 1101 ,!;, n, 1 nl!;,il' n, D' Xi'I' I n!;,WDD ,n!;,ilDD ",JlI" 1 1 0" X7 1 IJ K D!;, 1 11 nrwm X7 '1IJK m'J7D'
Und ihm wurde die Herrschaft, die Ehre und das Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprach(grupp)en dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergebt, und sein Königtum ist ein Königtum, das nicht zerstört wird.
15
I !;,X" 11 "lX "n' 1 n!;,J "ilKl n'Xl01
Mein, Daniels., Geist wurde beunruhigt inmitten 1111 ]lnD seines (sc. Daniels) Behältnisses7, und die Ge"l l';Ji'lJ" sichte meines Kopfes erschreckten mich.
1 n X 7 X J 1 PX, "n7KIJ I nDK.11 D"1DlYil "7 lOK1 i'll 7J 711 1nKD "lll'l'il D"1J1il l'lßDl
16
10
11
'1IJK n ," 11 li1 I nl'n il7X Diese großen Tiere, die vier (an der zahl) sind, 0' J!;,O i'llIJ1K lIJ1X Di'I sind vier Könige, die von der Erde sich erheben 1'1XI1 ID 110Y' und das Königtum der Heiligen der Höchsten erhalten werden.
18
nlJ"O nx 115t '''Jp', Und sie werden das Königtum in Besitz neh'7nPl D"ll'';Jy "W11p men bis in Ewigkeit und bis in die Ewigkeilcn 1111 07111 111 nlJ70 nK der Ewigkeitens.
Und ich näherte mich einem von den Dastehenden und erfragte von ihm die Wahrheit über all dies. Und er antwortete mir und ließ mich die Deutung der Dinge wissen:
I 101 'O~W 'O~W
19
711 nOXil 111"" 'n"~1 TX i'ln "i'I 1V1N: n'y "Jli'1 i'I" "ni'l i'lKl1)l I Dil71JO ilJ1WD 7 TlJ ll1X il" l'l1 lXO i'l7JX nWnJi'I i'I' J1'D"~' i'I "7],J 'Xtpil1 I ili'1ill i'lDDl
Sodann wolltc ich die Wahrhcit über das vierte Tier wissen, das sich von allen unterschied und besonders furchtbar war, dessen Zähne aus Eisen und dessen Klauen Bronze waren, (das) fraß und zermalmte und den Rest mit seinen Füßen zertrat.
2Il
'WX '1111 nl J'i'il "111 I ll1K n,nKill ill1K1J iTW"W il' JD70 17D J 1 i'ln711 il7 D' 1 "11 K" i'I i'I 1, i' i'I' 1201 n'7"1 nlJl0 ilD' il"",11JnO 7111 iTK1Dl
Und über die zehn Hörner, die auf seinem Kopf waren, und das andere, das aufstieg und vor dem Drei fielen. Und dieses Horn hatte Augen und einen Mund, der Großes redete, und sein Anblick war größer als (der) seiner Gefährten.
7 Gemeint ist der .Körper«, .leib«. 8 Die Genitiv-Verbindung umschreibt den Superlativ: ,.bis in die fernste Zeit«.
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RGCheJ Mtdin"·L«htenberg / PIlUI-Rjchtud Berge'
2\
X'ili1 I1Pill 'n"i'l i1Kll1 Und ich sah, (daß) dieses Horn Krieg begann D11 I i1 D n '1 n i1 n W11 mit den Heiligen und besiegte sie, [)mJl D'I711Pil
22
D'D'i'1 J pt )(J ll7X 111 , I' 1 1 P" Tn) 1" , 1 Y"lil IDli11 I D1))';Y D'I111Pil ,,'nli1 n 1)"0.1 1
bis der Beugte kam und das Gericht dcn Heili· gen der Höchslen gegeben wurde. Und die Zeit lrafein, (daß) das Köaigtum den HeiJigen zum Besiez gegeben wurde.
23
iPnil 1:1 lDK' 1 i'1'iln '1I J1 I "'J;n i1 ) 1170 i1 'I' iln l n Y1X J mc. ,:nm, nlJ;DDil 'Jn ilnlK 17'1"' Y1KJ1 I ;J
Da antwortete er folgendermaßen: Das 4. Tier (bedeutel:) Einviertcs Königtum wird auf der Erde entstehen. das sieb unterscheidet von allen (anderen) Königtümern. Und es wird we gan7.e Erde (ab)frcssen und sie dreschen und sie zer·
'l~"J'i1
ilIllK j111111 malmen.
il ) D D 11711 n 1 ), ~ i1 1 Und die zehn Hörner (bedeuten): Aus dem D1J;O 1251 illW nlJ?DD (betreffenden) Königtum werden zehn Könige
24
n}( 1
1 D 1 P" aufstehen, und (noch) ein anderer wird sich il) 1WO il'il' K1il1 Oil' 1nK nach ihnen erheben, und er wird sich von den ilW'JW1 I 0' llV1K1il 10 früheren unterscheiden, und drei Könige wird 'J"9l" O'J'JO er niederwerCen
, 1 D 11'
,
25
1J1' 1"'J» 11)'J 0'1J11 I W')' O'lll'l'J» 'Wnp'J1 o' n11 il t'j, 'J nil 'J J wn ' 1 111 '1'J 1n)'ll il1,nil1 I '~n1 0'1»10 1111D 11110
26
1 n" I' 0 0 1 J Wl ' l ' 1 il1 und das Gericht setzt sich, und seine Herrschaft 111 1JX"1 1'Dl'il'J X1J' wird (dahin)gehcn, um vernichtet zu werden
fP
und Worte gegen den Höchsten reden und die Heiligen der Höchsten wird er ins Wanken bringen9 und beabsichtigen., die Zeiten und das Gesetz zu ändern. Und es 10 wird in seine Hand gegeben werden bis zur Frlst.der ll Frlst.en und eine halbe Frlst.,
und völlig zugrunde. zu gehen.
il 'JI' 00 ill I n 1 J'J 0 il1 Und das Königtum, die Herrschaft und die n"n lJ"O 1'PX il'J1l1ill Größe des Königtums 12 unter dem ganl.cn 011 'J 1n l ' 0' 0 I' il ., J Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höch-
2?
J 30 I 0' l 1 ' 'J1I
' W1 1 P sten
gegeben werden. Sein Königtum ist ein 'JJ1 O'JW n1J'Je 1nlJ'JO ewiges Königtum, und alle Herrschenden wer111:111' 1 n 1X D ''JW10il den ihm dienen und gehorsam sein I).
1110111 1
Text: 1")' bi(. zu 1t1l (wanken, weichen), Ps 69,21 sowie Nah 3,13! (vgl. aH. nasu), bei L KöbJer / W. Baumgartner. Hebräisches und aramäisches Lexikon 3, Leiden 31983,64530 wegkoojiziert! 10 Masoretiscber Ted: 1'JlI ~Q ~} (und sie werden ... gegeben, pl.). 11 Masoretischer Ted: l' )'}\I} (und den Fristen). 12 Ted: lJ'JO 1W (wekbe berrsch(t)c.o). Wegen Haplologie durch das folgende n wobl nlJ'JO zu lesen. Wob! kaum stal. indet. 13 11ID1l1' 1, so wobJ zu lesen und als Dittographie zu erklären. Kollation erforderlich! 9
00049352
Eint spikt Thtodolion- Tnuiition vom Danitlbuch 1 28
307
'lXl 'J'il e't'0 ilJ I 'V , " 1 J Wn0 , X 0 ') X ' l ' '')v il11W ')("l01 'll')ilJ' 1XI11 'J')J 1J,;n I
Soweit. Das war Ende der Sache. Mich aber, Daniel, erschreckten meine Gedanken sehr, ud mein Aussehen änderte sich mir. Und die Sacbe blieb zurück in meinem Herun.
iol 72r Z. 32 - iol 73v Z. U
Thtodotion- TradiJion
117X Dl11nil 1J1 ilJ 1V Soweit der Wortlaut der Übersetzung, die Da-
7K')'~ 117X I l' n 111 ' 1 n 1"' o ' J 1"J 0 il X') il i11" ')X'l' 1~OJ ',JV 11V,J 1 J '1 1 i1 , 1 i1 ' '1 , 11 X
I l~'n)~,
nie! (zugehört).
Der Rest seiner Visionen, die er sah, ist l4 der nicht geschrleben in hebräischer Sprache im 8uch Daniel, derJudah (zugehört)? Und darum babe ich ihn übersprungen.
11K Jl"J') 'n?Klil Xl i11i1 Jedocb bin ich entschlossen, das 8uch des 10J ')"lil P~'Ol 'i1 1D0 großen Josippon lo5 , wie es der Jerachme'c1ite ''nmn1'i1 li1p'nVi1l7 übersetzt hat, (ab)zusc.hreiben.
'''0" p'1 Ui1' Ifol73 vi Die Wissen Entbehrenden haben leere Gedan,.'1 'il'J 111" X'J 'lDX V"llJ ken. Sie wissen sich nicht zu hüten, weiter 8üYP 1 'x O"~O "'1711 1111 cber ohne Ende herzustellen und viel Gel6 I i1J,., li1'),
schwitz
•
"JnO 0'10X '~DXD 1 'KJ O"IPDJ X'), O'1DD 1 'KJ I il1VWO 1 1 VWD 1 1J '1 i11 i111 Jn 1 i11 'J X') 'J i1l1J1 Oi1J 1 'x 'J I i1)l ''JYi1 nvlO nnJ 11X 0'')'0 lX'~lil DJ')D 1')wD1 1WX D''JJi1 '1Jl1 I 5 I 0 '17" 1 0' ') 17 0 J o'~"Xl o'XJ~ o''Jn" l'X o'')'Xl O"'"V D'~'~lD
Sie sammeln Wörter, schreiben 8ücher, aber ohne Korrektheit, ohne StOtze, ohne Hall, ohne Verstand und Einsicht Und die Darstellung in lianen ist haltLos. Denn sie haben nicht vom höchsten Wissen ausgewählt, sondern aus ihrem Herzen brachten sie Worte, Böses und nichtige Reden hervor, die zu Sprüchen gemacht wurden, Schlangen, Löwen, Gazellen, Hirsche, Böcke und Widder, die nichts nützen.
o ,') 111 I '0 'J 11 V1 0'')"'1' 0'D011 , , J 11 il P~ 1 il 'J 1v' 1,,'Ji1 I XOJDl Ol1V1')J lDOil ')11 C II 'lilJ nIl il 1 '1Jl
Sie verlassen das nießendc Wasser 17 und trinken Tropfen-und Regenwasser!8. Denn das Hebräisch war in ihre Zunge eingegossen, und der Ausdruck der Sprache war klar bei ihrem Gedanken über das 8uch und (so,) wie es recht ware.
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'"V1'
14 Text: PI. 105 Zu Josippon und Jerachmc'cl vgl. auch H. Schrcckenberg, Rczeptionsgeschichtliehe und textkritische Untersuchungen zu Aavius Jo~phus, ALGHL, Leiden 1m, 50( mit Anm. 8. Text: Josippon. ed. by H. Hommer, Jerusalem 41971. 16 Formuliert in Anlehnung an Ooh 12,12. 17 Formuliert in Anlehnung an Jer 11,13. 18 Eine ähnliche Formulierung bei lUlhcr, Tischreden, WA.TR 1,524r. •
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RlU:h~J M~dinQ-Ucht~nbt'8 / P~J-RicJuud B~~r
D) 1Jn DJ" m110 D)'X 1 "J170 J~~) I OJ" 'J .,J) '''J) n111 '''J01 l'XJ "J, ' J ' l 0)'11'" I
"JI7i1 '''J
Aber nicht sind (sie solche, denen) aus dem Wissen ihres Herzens ihre Einsicht (kommt) . Denn ihr Herz ist verborgendem Verstand l9. Uod ohoe Wissen haben sie schäDdliche Reden il) 1:m gelUhrt, und ihre Zunge hat Verleumdung geredet. ohne Ei.n.sjcht. ohne Verstand.
n ' lXI7 ,', , J 1lJ DnX 1 ''''JW1 ill1n ')')D .,." 1101 lJl 117~ 1J0117 1110 'JillKl l' )~lX "11 ',J' D'DJn ',J, il~'''D1 ""0 I r'j'Olil" 1110"; On,,'n1 n''''Jnn n1)1'''1 n1'''
Aber ihr seid VOQ Gou gesegnet, der Rest der Redltehkeit. Ihr versteht die Tora, seid gelehrt (im) Wissen, das die Deutung seints Wortes, das aur seine (spezielle) Art gesprochen ist 20, versteht Ihr Ijebt Sprüche und Sinnverse, Worte der Weisen und ihre l..ehrrragen, um (die) Lehre zu mehren, zuzuhören und um Wissen zu erwerben.
DX ' J DJnp"n il"X) K" Nicht wie ihr ist euer Teil, sondern in dem Er"Jil l~l'J schaffcr aUcr (Dinge21 beruht es).
J
' )
1 0 ' 17 X n
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X 1 Doch klagt mich nicht an und tadclt mich nicht, "Xl ')lJln1 ')10,'JJn1 sondern entlastet michuodveturteih mich nicht ., X 1 ill1' '1 ') 1 ) , , n zu Uorecht und würdigt mich nicht herab(,) mit ilO 'J DJ'OXJ ') l'J'J1'n dem, was ihr sagt. Denn was bio ich und wer ist , ) 1 0) I ' 0 1 , ) X wie ich, ..... zu offenbaren die 22 im Verborge, ) l ' lil n1'1) '1 ' n''1 Ill1l nen und Verschlossenen liegenden Gedanken , ]l1J) D1iln1 D1noJ in meiner Niedrigkeit?
171,,'1 'J'J nx 'nnJ 'J '~OJ L 'I1XJ "n'1, D"~Oil 'no D1noil 'JN:, J, D ' 'OX 1 1111'11 XOJD) 1 1 5 I ' , 11 J 1 n ' D , X) 1117'10 liP"pnlli11 D")Y'J ',)11 11m'; '11I7J 1 "'O""D(
Denn ich habe mein(en) Herz(/Sinn) (darauf) gerichtet, um zu errorschen und auszukundschaften gemäß (dem,) was im Bueh Daniel (steht), das verschlossenste von aHen Büchern in Ausdruck, Sprache und Wörtern, auf aramaiseh und chaldäiscb für Hebräer, und ich habe es aus der aramäischen und chaldäischen Sprache in die hebräische Sprache übertragen,
l ' ,on {1" nYX il n1J 1)
(und nun will ich }23 die fehlenden Lobgesänge und Lieder lübertragen I, die die drei jungen Männer preisend gesprochen haben, die Thodos (: Thcodolion) gdunden 24 hai, die nicht untcr den 24 Büchern (enthalten) sind.
,n 0', 'Will n1 X, 1ilil n '1 1 n) 17 1 1 ., ., , il I
11 17 01" n XlOI1 D" 1 n) il D' ,~o 1 ''')) 1 JlXlO
19 Formuliert in Anlehnung an Hi 17,4. :ro Formuliert in Anlehnung an Prv 25,11. Im folgenden: 1,6 und 5. l' ):llK '111 rabbinisch. Vgl. jedoch auch Koch., Zusätze 1 (s.o. Anm. 1) JO. 2t Formuliert in Anlehnung an Jer 51,19 = 10,16. 22 TexI naeb Interpunktlon: meine Gedanken, im Verborgenen und Verschlossenen ... Kollation der Umschriftlüd:e erforderlich! 2J Randnacbtrag. 24 Wechsel ins Aramäische.
00049Jo2
Eine sp{ile Theodolion-Trruiition vom Dtutielbuch?
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" ' 0 ' X" '0 Xlil 1 " 1 D':m 'Jl 0,'," il""OJ , ill.o 1 'J ," !) , , 1 'lUln, lO~D Dn1D1p,
Und dies ist der Abschnitt, den Thodos, ein weiser Mann, in seiner Version bietet, die er in den Tagen des römischen Königs Kommodus
1 Xl!)OJ nJnlPK X" Ki"
Doch fIndet man ihn nicht in dem hebräischen Buch, sondern (in dem) von den 70 Greisen, die das Bucb der Tara mit Eleasar, dem Hohenpriester, der in den Tagen des Antiocbos, (dessen) Unreiobeiteo 2S zermalmt werden mögen, getötet wurde, ÜberselZten.
D'lIJW 1.0 1 'il" 'K 'K1JYl Kl!)'O 11n!) " X' 'JO J201 'TlI'1K DlI Kll"11K' ) , Dp" ')(' )( J, Xl il J P'"'D 01Jl 'D)X' 'il1Dl 'J
übe'setzte.
K"DD
X", '11X )(J ., D
J "J
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""!J " Denn sie überselZten die gann: Tora in den Ta' il 1 D 1 'J gen des Ptolemäus, des ägyptiscben Königs.
'K'~D' X"1Jll rp(l 11 ilnilDil 1 " 11llD '1 01;;'1'111 lQ"D 01l"1'K' K")1I110 I
1'ln 1 ''''x 01 JD' 0 'illD1'J 1D llil
Und auch die beiden Männer, deren Namen Symmachus und Aquilas sind, die sie in den Tagen des Königs Hadrian übersetzten, gehörten mit zu den Übersetzern.
01"P11X Xlil O"'PKl Aquilas aber ist Onkelos. X" " X"'O Xlil 1'" Und dieses ist der Abschnitl, der nicht in der 'X1JlI' Xl" OJ 1 XJ 'nJ hebräischen Version geschrieben war, welchen (il-)KJ'lJ'm< 01"n aberThodos fand:
KI"
/01 7J v. Z. 14 - /0173 v. Z. J8
Zustitu zu DanieJ 3,24ff
24
1251 lJ" 1'il'n"n ''''Xl Und die drei gingen inmillen des glühenden K n, , P' Xl 1 1 1 1 nK Feuerofens, indem sie Gou lobten und priesen. ,', n' l'J1JDl l'nJW
25
,.,): 1 ilX"):" il' 1111 Dp 1 Und Asarja stand auf, um zu beten, und betele 'lOKl il 'Dl!J nn!Jl 1 1"J nunmehr 26 und öffnete seinen Mund und 27 sagte:
KlnilJX' Xil"K Klil 1 '1J Gepriesen sei der Gott unserer Väter, gelobt 2S 1 1'ilDl "JilD il '011 1 sei sein 29 Name und verherrlicht in Ewigkeit. l'D~~~
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25 Gemeint sind die Gebeine. 26 Besser: so.
27 Septuaginta, ed. A. Rahlfs, Stuttgart 1935 8: EV J.LEOlfl 'tau nop6l; (inmitten des Feuers). 28 8: kCli aivn~ (und gelobt) prädikativ zu: GOII. 29 8: 't6 iSvolJ6: aou (dein Name).
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Rache' Medina-Luhtenlnrg / Ptwl-Richtud Berge'
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Denn siehe, du bist gerecbtbei aUem, was du tust für uns. Denn alle deine Werke sind gerecbt, und deine Wege sind beständig, und alle deine RicbterJO sind verläßlicb.
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1D'0~ 11~n' Kl~'Jp K~1 weil wir sie nicht angenommen haben, sie zu 1 J'01K1 ~'1J 1JY'O~1 bewahren und zu tun, damit es uns wohl gehe, Kl~
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aIK)"Y I nn'n"'K '1 lern, was du über uns gebracht bast, und über KllI"1., 0'117'1' Xlrlj'1 Inll die heilige Stadt Jerusalem unserer Väter. 1 ' ) , , K il , K ) n il J X., Denn gerechtes Gericht hast du über uns genn'n"K 1301 1 'D'I7P bracbt wegen u.nsererSchuld. KlJIn ~'1J Kl~Y '1l( (Denn) du hast gerechtes Gericht geübt in
Wir haben uns schuldig gemacbt und uns vergangen. Und wir wichen von dir. Und wir wichen aus vor3 1 allen 32 Anordnungen, die du uns verordnet bast,
und weil wir deine Anordnungen nicbt befolgt baben und deinen Bund, hast du gerechtes Gericht geübt, indem du uns gegeben hast in die Hand böser Hasser und in die Hand bösarliger und schlechler Könige33 auf der ganzen Erde.
Und nunmehr können wir unseren Mund nicht K~1 Kl01~ nn~'o~ öffnen; denn zur Schmach wurden deine '1 11JY 11il Xl10'il') Knechte, die dir anhingen,
1351 lJ 1'pJ1 100'n K~ '1 110 1YJJ1 lD1l7 ~'1J 1'01~n~ Kln' I nJ1l7n K~1 KW'1p1 KJ1
und biueJ4, daß du uns (nur) nicht endgültig hingibst, um deines großen und heiligen Namens willen, und deine Be7.cugung nichl vergißI
11'11 11 ' i1W
30 8: Ql ICfllaE:ll; aou (deine Gericbte) entspricht 1')'1 . 31 8: iv (in) entspricht Wechsel J/1 D. Vgl. jedoch zu den TeXiabweichungen Koch, Zusätze 1 (s.o. Anm. I) 82. )28: 1(0\ (und). D 8: ßoawl (Sg. einem König). 34 Vgl. G, Dalman, Aramäisch-Neuhebräisches Handwörterbuch zu Targum, Talmud und Midrasch, Göttingcn 31938, Nachdr. Hildesheim 1967, 6Ob; ders., Grammatik des jüdiscb-palästiniscbcD Aramäisch, Leip7.ig 21905, Nachdr. Darmstadt 1981,243: yBB IJe (palästinlscb!); TN Gen 19,2.
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Eine späte Theodotion- Tradilion vom Danielbuch?
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lU:pn 1J11J'D '1~," X'J1 und nicht z.urÜcknimmst deine Güte von uns, ], nn1 D i1 1 J K ~, 1 J um Abrahams. deines Geliebten, willen und um 'X1W' 1 I "JlI pnl' 1 lsaak, deines Knechtes, willen,
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n'i1Kltnb lli1'J "1nX '1 K' , Dir ' JJ 1JJ 11 i1 ')J Xl)' ~'J rn I 16n:n
denen du versprochen hast, ihre Kinder zahlreich zu machen, wie die Sterne des Himmels, und wie den Sand, der am Ufer des Meeres ist.
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Und bisher war Gou lS unsere HilCeJ6 vor allen Völkern; denn wir sind arm auf der ganzen IErde ...).
35 8: 5tano'tQ (Herr), Invokation. 36 Nicht aramäisch! 8: iUjJ.ucp\N9ru.lEV entspricht X)'lIl (wir sind klein).
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Nebardea und Nisibis bei Josepbus (Ant 18) Aharon Oppenheimer, Tel Aviv University, Tel Aviv Im letzten Teil von Antiquitates 18 berichtet Josephus von Ereignissen, die sich in Nehardea abgespielt haben, und erwähnt in diesem Zusammenhang auch das »an derselben Flußbiegung« gelegene Nisibis l . Diese Nachrichten sind für die Geschichte der jüdischen Diaspora in Babylonien von besonderer Bedeutung. Bekanntlich hat sj~ die jüdische Geschichte ungleich stärker geprägt als jede andere Diaspora·Gemeinde und wurde im Laufe der Sassaniden-Zeit ein bedeutenderes Führungszentrum als das Mutterland. Geistige Schöpfungen von babylonischen Juden liegen erst seit der Amoräer-Zeit (ca. 220-460 n.Chr.) vor, doch besteht kein Zweifel, daß das geistige Format des jüdischen Babylonien sich bereits in früheren Zeiten konstituiert haben muß. Die Informationen, die Josephus über die Städte Nehardea und Nisibis im Zusammenhang mit dem Königtum der Brüder Hasinai und Hanilai bietet, reichen in die Mitte des 1. Jh.s n.Chr. zurück, dürften also in Verbindung mit Überlieferungen aus der talmudischen Literatur geeignet sein, auf die vor-amoräische Geschichte des jüdischen Babylonien einiges Licht zu werfen und den allmählichen Aufstieg dieser Diaspora-Gemeinschaft aufzuzeigen. Die jüdische Diaspora in Babylonien ist die älteste jüdische Auslandsgemeinde, und die jüdische Besiedlung Babyloniens reicht kontinuierlich lurück bis zu den Exilierungen in biblischer Zeit. Wie Josephus anderswo in Ant zu berichten weiß, saßen dort ~~Tausende ohne Maß, so daß sie nicht zu zählen waren«2. Die Episode der Brüder Hasinai und Hanilai in Ant 18 wird im Zusammenhang mit der Regierungszeit Kaiser Caligulas berichtet. Unter anderem spricht Josephus davon, daß der syrische Statthalter Petronius zum Kampf gegen die Juden entsandt worden sei, sofern diese sich weigerten, das Standbild des Kaisers in ihrem Tempel aufzuI Ant 18,312. Zum Kontext der Ortsangabe sowie zur exakten Lokalisierung von Nisibis siehe im folgenden. 2Ant 11,133.
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Aharon Oppenheimer
stellen 3. Die große Zahl der babylonischen Juden zu jener Zeit bezeugt auch Philon in seinen Äußerungen zum selben Vorgang; er berichtet von Bedenken des Petronius, den kaiserlichen Befehl auszuführen: ))Er hatte auch Sorge wegen der Streitkräfte jenseits des Euphrat, denn er wußte nicht nur gerüchtweise, sondern aus eigener Erfahrung, daß Babylonien und zahlreiche andere Satrapien voller Juden saßen«4. Offenbar meint PhiIon mit den Streitkräften jenseits des Euphrat jüdische Truppen, und diese hängen vermutlich mit dem Militär zusammen, über das die Brüder Hasinai und Hanilai verfügten, als sie an der Spitze eines unabhängigen jüdischen Königreiches mit Zentrum in Nehardea standen 5. Im Hinblick auf die Geschichte von Hasinai und Hanilai und ihr Königtum berichtel Josephus über die Städte Nehardea und Nisibis folgendes6: Niap6a rlk B~ial; iuti nlM.1<; äUwc; n no.).\.IClVlipoooo lCoi ~Wpcxv ayoeilV lCoi noUt'tv E~ouoa lCai aUv QMoI.I; aya601<; lCat Ov9pW1\WV civ6:AAE:wv. ECTtUI öt lCai nOAE:)lim<; OÜ1C E:üt)l~ nE:p~ n 1:00 EU+PCr1:OU nooov iV1:O<; OÜU\V imoAoJ,J.I3QvoV1:OI; lCai lC01:QOlCEU01<; 1:(1~Wv. Ea1:lV öE: lCai Nial"lC; nOA\(; lCa1:a 1:ÖV oüt6v 1:00 notav-ou nE:plppow, ö'kv 'loulia\cH1:{i +UaEI 1:Wv )(wpiwv nEnl.utEUlCOtE<; 1:0 tE 6tlipoou.J.ov, Ö 1:l!l 9Eiji J(at:clllSaU€U1 f:J(Oa-t:OI<; nQ1:plOV,1:aU'ql lCat:E1:i6f:v1:o lCai 6n6aa l)( äAAa avaOfu..i.at:a, E:x.ptl')V1:0 n ilxmEp 1:Q)ltElql 1:aÜJ6E: 1:01<; n6AE:aUl. E:vtEOEkv 6f: ini ·IEpoaoAUJJ.WV avrnE:)lnno J(alp6c;. noUa! 1:( civ9pWnwv J.lupl6öE:c; 1:t'tv J(O)ll1itlv 1:Wv Xf'Tl)l6:1:WV napEAiq,lt'ovov 6E:616nc; 1:CI; HopGuaiwv äpnayCl; Unou).o\xn)c; E:J(E:\voIC; rlk BaPu).wv~.
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J Ant 18,257':309. Diese Episode endet damit. daß Pelronius vom Tod des Kaisers er-
fäbrt; darauf folgt die Geschichte von Hasinai und Hanilai in Babylonien. Buch 19 beginnl daDn mit den Umständen von Caligulas Tod und mil der Regierungsübernahme durch Claudius. 4 SpccL31.216. S Dazu E.M. Smallwood, Pbilonls Alexandrini legatio ad Gaium, leiden 21970, 271; '181. auch die Anmerkung von A. Kasher in der bebräischen Ausgabe der phiIonischen Schriften: K.itve Pbilon ba-Alexandron~ ed. S. Daniel-Nalaf, Bd. I, Jerusalem 1986, 115, Anm.332. 6 Ant 18.311-313: _In Babylonien liegt eine Stadt Naarda. die sehr bevölkerllst und ausser anderen Vorzügen auch ein fruchlbares, ausgedehntes Gebiet besitzt. Dazu kommt. dass sie nicht eingenommen werden kann. weil sie ring:; vom Euphrat umOo.ssen und stark befestigt ist. Gleichfalls von diesem Flusse umströmt ist auch die Stadt Nlsibis, welche in jener Gegend liegt. Die Juden. die sich auf die natürliche Festigkeit dieser Orle verlies.sen, verwahrten hier die Doppcldrachme, welche jeder Jude Gott nach dem Gesetze opfern musste, sowie alle übrigen Opfergelder und betrachteten diese Städte gleichsam als ihre Schatzkammern. Von hier aus wurde das Geld dann zu bestimmten Zeilen nacb Jerusalem geschafft, und zwar aus Furchl vor den Räubereien der Parther, denen Babylonien zinspnichtig war, unter Bedeckung von mehreren tausend Mann.« (Deutsche Übersetzung nach H. Clement?.. Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer, Bd. 2, Berlin u.a. 1923, Nachdr. Wiesbaden 1°1990,560).
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Nehtudea und Nisibis bei Josephus
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Daraus geht hervor, daß Nehardea und Nisibis als Sammelstelle für den Halb-Schekel und die sonstigen Abgaben an den Jerusalemer Tem· pel fungierten. Letzten Endes wurden die Gelder aus diesen Städten un· ter sehr starkem Geleitschutz nach Jerusalem transportiert. Selbst wenn man die »mehreren tausend Mann« für übertrieben ansieht, dürfte es sich um stattliche Züge von Pilgern gehandelt haben, die zu den drei Wallfahrtsfesten nach Jerusalem hinaufzogen7. In der Mischna ist einmal die Rede davon, daß die Gemeinde-Opfer zum Laubhüttenfest von der Schekelsteuer aus Babylonien und Medien finanziert wurden8. Die Entrichtung der Schekelsteuer und der Pilgerverkehr aus Babylonien sind ein Beleg für den regen Kontakt zwischen der babylonischen Diaspora und dem Mutterland, ungeachtet dessen, daß beide unter der HerrschaCl gegnerischer Weltreiche standen. Laut Auskunft von Josephus war Nehardea das Zentrum des jüdischen Königreichs, das von den Brüdern Hasinai und Hanilai regiert wurde und fünfzehn Jahre lang bestand. Die Existenzmöglichkeit eines unabhängigen jüdischen Königreichs im parthischen Babylonien speziell, sowie das Geheimnis der Macht des jüdischen Babylonien insgesamt be~ steht im besonderen Charakter dieses Reiches. Das Parther-Reich war nie ein konsolidiertes Weltreich mit starker zentralisierter Regierung, sondern beruhte seit eh und je auf dem losen Zusammenschluß von Vasallenstaaten. Aus den Worten des Josephus ergibt sich folgender Hintergrund für die Errichtung des Königtums der beiden Brüder9: Nachdem Hasinai und Hanilai der Sieg über den babylonischen Satrapen am Ort gelungen war, gewannen sie die Unterstützung des parthischen Fürsten Artabanos (offenbar 111.), der sich von dem Bündnis mit ihnen einen Vorteil bei der Niederschlagung von Aufständen versprach, die sich in anderen Landesteilen gegen ihn erhoben hatten. Josephus berichtet, nach dem Untergang des Reiches der beiden Brüder seien zahlreiche Juden nach Seleukia gezogen; nach einiger Zeit hätten die griechischen und syrischen Bewohner der Stadt dort ein Pogrom veranstaltet, daraufhin hätten einige Juden zunächst in Ktesiphon Zuflucht gesucht, doch
7 Dazu S. Safra~ Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels, Forschungen zum jüdisch·christlichen Dialog 3, Neukirchen 1981, 71·74.125. 8 Vgl. mSbeq 3,1; 4. 9 Ant 18,314-379. Zur Episode des Königtums der beiden Brüder siehe J. Neusner, A History of tbe Jews in Babylonia, 5 Bde, STPB 9, Leiden 1965-70, bier Bd. 1,51·54; D. GoodblaU, Josephus Oß Parthian Baby1onia. JAOS 107 (1987) 605-622 sowie die dort angegebene Literatur.
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Aharon Oppenheimer
schließlich hätten sich die Juden in die Festungsstädte Nehardea und Ni· sibis zurückgezogen 10: Kot auvEAtYTloov Wau no).u Ei.; t:E" 1:ci Ntap60 KOt 1:T\V NialltLv 6Xup6U\1:1 1:wV Jt6),f;WlJ UWJ!EVOI ti'}v äa+QMlOV, KOi ~ Mn9Ul; änooo }UlxiJwv 0v6piiw KertOUCEl· 1:0l. KOt 1:0: )!€V Kertci 'lou6aioor; 1:DUr; EV 'tfj ~iQ. Kertlt*T'lJ.lElI'OUI; 1:ola01:o nv.
Hier, zum Abschluß der ganzen Episode, werden Nehardea und Nisibis ein weiteres Mal zusammen genannt und wieder wird ihre militäri· sche Stärke betont, sowohl im Hinblick auf ihre befestigte Lage als auch auf ihre Bewohnerschaft. In der Regel wird das Reich von Hasinai und Hanilai auf den Zeitraum von ca, 20-35 n.Chr. datiert, unter anderem mit Berufung auf die innere Chronologie der bei Josephus berichteten Ereignisse l1 . In letzter Zeit hat Goodblatt den Vorschlag gemacht, die Abfolge der Ereignisse umzukehren, unter anderem mit dem Hinweis darauf, es sei doch un· wahrscheinlich, daß die Juden auf der Flucht vor der Verfolgung in Se· leukia noch nach dem Untergang des Reiches der beiden Brüder in Ne· hardea Zuflucht gefunden haben sollen l2 . Er bevorzugt eine Datierung in die Jahre 37-52 n.Chr. lJ , so daß das seleukidische Pogrom von 40/41 in diesen Zeitraum fällt. Auf diese Weise würden sich die bei Josephus berichteten Ereignisse in den unruhigen Zeitläuften zwischen der Auflö· sung des Reiches von Artabanos IJI. im Jahre 36/37 und der Konsolidie· rung der Regierung des Vologaeses im Jahre 51/52 abspielen. Demnach wäre das Reich der Brüder aus anarchischen Verhältnissen im Parther· reich erwachsen und nicht aus einem Bündnis mit dem Partherfürsten
10 Ant 18,379: ,.Die meisten Juden zogen sich daher nach Naarda und Nisibis zurück, deren feste und geschützte Lage ihnen die nötige Sicherheit gewährte, zumal da diese Städte nur von streitbaren Minnern bewobnt waren. So verhielt es sich mit den Juden in Babylonien... (Übersetzung Dacb Clementz, Judiscbe Altertumer Is.o. Anm. 61572). 11 So z.B. Neusner, Babylonia (s.o. Anm. 9) Bd. 1,52; ders., Jews in Iran. Jewish settlement in tbe Western Satrapies of Iran, in: The Cambridge History of Iran, Bd. 3/2, Cambridge 1983,909·923, bier 91H; A. Oppenheimer (in collaboration with B. Isaac and M. Lecker), Babylonia Judaica in the Talmudic Period, BTAVO Reihe B 47, Wiesbaden 1983,287; E. SchÜfer, The History of the Jewish People in the Age of Jcsus Christ, rev. and ed. by G. Vermes et 81., Bd. 3/1, Edinburgh 1986,8. 12 GoodblaU, Joscpbus (s.o. Anm. 9) 621 erwähnt andere Forscber, denen diese Unstimmigkeit bereits aufgefallen sei: Neusner, Babylonia (s.o. Anm.9) Bd. I, 54 und A.D.H. Bivar, Tbe Political History of Iran Under the Arsacids, in: The Cambridge His· tory of Iran, Bd. 3/1, Cambridge 1983, 21·99, hier 73. Zu Goodblatls Auffassung der zusammen mit Nebardea genannten Stadt Nisibis siehe im folgenden. I) Diese zeitlicbe Ansetzung des Königtums der beiden Bruder wurde vorgeschlagen von U. Kahrstedt, Artabanos 111 und seine Erben, Bern 19.50, 51f.
NdlarfUO und Nisibis ~i Josephus
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hervorgegangen 14. Wir brauchen die historische Wahrheit hinter dem Aufkommen des Reiches von Hasinai und Hanilai sowie dessen exakte Datierung nicht näher zu ergründen, denn von solchen Details wird die Aussage des Josephus über die Bedeutung von Nehardea und Nisibis samt ihren Implikationen im wesentlichen nicht beeinträchtigt. Josephus gibt die Lage von Nehardea am Euphrat an. Ptolemaios 10kalisien Nehardea am Ostufer des Euphrat oberhalb von Sippar 15. Exakter ergibt sich die Lage am Euphrat aus den talmudischen Quellen. Im Traktat Taanit steht eine Kontroverse zwischen Rav und Schemuel bezüglich der Frage, wann das Gebet um Regen in den öffentlichen Gottesdienst aufgenommen werde. Im Verlauf der Auseinandersetzung wird unterschieden zwischen dem Wohnort von Schemuel, nämlich Nehardea, am Oberlauf des Euphrat, und dem Sitz von Rav, dem tiefergelegenen Sura l6 . Einige Quellen weisen auf die Beziehung von Nehardea zum Malka-Fluß hin, der sich vom Euphrat in den Tigris ergießt, so etwa die Episode, wie Juden aus Nehardea den Lauf dieses Flusses blockierten, indem sie dort die Steine niederlegten, mit denen sie ursprünglich Rav Jehuda hatten steinigen wollen, weil er einen Makel ihrer Abstammung aufgedeckt hatte 17. Im Bereich zwischen Malka-F1uß und Euphrat, geradewegs gegenüber von Mahosa und der parthischen Hauptstadt Ktesiphon, liegt Tal! Nihar, dessen Identifizierung mit dem antiken Nehardea sowohl von der Lage als auch von der klanglichen Ähnlichkeit des Na· mens her recht wahrscheinlich ist l8. 14 Dazu die ZUsammenfassung von Goodblatt, Josephus (s.o. Anm. 9) 62H. (Zu den Vorgängen in Scleukia siehe auch Oppenheimer, Babylooia Judaica (s.o. Anm. 11I 214-
223.) 15 Ptolemaios, Geographia V 18,7 (Claudius Ptolemaeus., Geographia, ed. C.F. Not,. be, Leipzig 184J.1845, Nachdr. Hildesheim 1966, Bd. I, n). 16 Vgl. bTaan 10a; dazu Oppcnheimer, Babytonia Judaica (s.o. Anm. 11) 292r. Zur lage von Sura ebd., 417. J7 Vgl. bQid 7Ob. Ungeachtet der zentralcn Stcllung von Nehardea, des hohen Alters der dortigen Gemeinde und der großen Talmudhochschule am Orl kam es vor, daß Zweifel an der Reinheit der Abstammung ihrer judischen Bewohner geäußert wurden. Solche Äußerungen gehören in eine längere Reihe von Ouellen, welche gegenubcr verschiedenen jüdischen Siedlungen in BabyLooien entsprechende Vorbehalte anmelden. Dies ist ein weiterer Beweis für den hoben Rang. den die Rei.n.beil der Abstammung ge006, so daß die babyLooi.sc.beo Juden und Gdebrten sogar als Kriterium für die 8estimmung der Grenzen Babyloniens diente (dazu noch im folgenden). 18 IdentifIZierung nach J.B. Bewsher, On Part of Mesopotamia Coolamed Betweeo She.riat-el-Beytah, on the Tagris, and Teilbrahim, ~RGS 37 (1867) 160-182 und die Karte dort. Auf der britischen Inch-Karte von 1917 steht an dieser Stelle _TaU Ouhr Nahar_. Verzeichnet ist der Ort auch bei A. Kiepcrt., Zur Karte der Ruinenfelder von 8abylon. WEB 18 (1883) 1-26 und Karte 5, dessen Karte teilweise. auf 8ewsher beruht. Siehe zulem Oppcnheimer, Babylonia Judaica (s.o. Aom. t I) 286f mit Aom. 22f.
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Aharon
Oppel1h~imtr
Josephus spricht davon, daß »an derselben Flußbiegung« eine weitere Stadt namens Nisibis liege. Wenn es an die Identifizierung von Nisibis geht, so bietet sich zunächst natürlich die Stadt Nisibis im nördlichen Mesopolamien, am Djagdjag (MuyOOVlOl;), einem der Zuflüsse des Habur gelegen, das heutige Nusaybin an der türkisch·irakischen Grenze, an. Diese Stadt war einer der Hauptorte Mesopotamiens, ihre Bedeutung beruhte auf ihrer Lage an einem der zentralen Verkehrsknotenpunkte l9,
Doch einige Details aus dem Bericht des Josephus lassen es als ausgeschlossen erscheinen, daß er die bekannte Stadt Nisibis im nördlichen Mesopotamien meint. Josephus betont die Lage von Nisibis am Euphrat, was auf das bekannte Nisibis keineswegs zutrifft. Außerdem weist er auf die Nachbarschaft von Nisibis zu Nehardea hin, wohingegen das bekannte Nisibis mindestens 400 km von Nehardea entfernt liegt. Schließlich berichtet er, daß sich die Juden nach dem Pogrom in Seleukia und dem fehlgeschlagenen Versuch, in Ktesiphon Zuflucht zu finden, in die befestigten Städte Nehardea und Nisibis zurückgezogen hätten. Daraus ergibt sich nicht nur ein weiteres Mal die enge Nachbarschaft von Nehardea und Nisibis, sondern die heiden können auch von Seleukia und Ktesiphon, den Hauptorten des Partherreichs, nicht allzu weit entfernt gewesen sein. Selbst wenn wir Goodblatt folgen, der davon ausgeht, daß die Berichte des Josephus über das Reich von Hasinai und Hanilai bzw. über die Vorgänge in Seleukia aus zwei verschiedenen Quellen stammen, SO bleibt doch die Angabe bestehen, daß die Juden sich von Seieukia und Ktesiphon nach Nehardea und Nisibis gewandt haben. Demnach ist die in Ant 18 erwähnte Stadt Nisibis nicht mit dem bekannten Nisibis im nördlichen Mesopotamien zu identifizieren, vielmehr handelt es sich
Zur Begründung von Nisibis als hellenistischer Stadt siehe V. Tcherikowcr, Die bellenistiscben Slädtegründungen von AJexander dem Großen bis auf die Römcr7.cit, Leipzig 1927 (Nachdr. New Vork 1973), 89f. Zu Nisibis allgemein siehe J.Sturm, Art. Ni· sibis, RE 17, Sp. 714-757; L Dillemann, Haute Mtsopotamie orientale el pays adjaccnts, BAHI 72, Paris 1962, passim; N. Pigulevskaja, Les Villes de I'etat Iranien aux epoques partbe el sassanide. Contribution 1 I'bistoire sodale. de la Basse Antiquite, Paris u.a. 1963,49-59; D.Oates., Studies in tbe Ancient History of Northcrn Iraq, London 1%8., 70· 75.78f; J.M. Fiey, Nisibe. Metropole syriaque orientale et ses suffragantes des origincs 1 nos jours, CSCO 388 Erg.Bd. 54, LouvaiD Im. Zur epigTaphiscben und numismatischen Beuugung des Namens Nisibis siehe L Robert, Sur quelques eLhniques, in: Hcllenica 2, Paris 1946, 7'9f; G.F. Hill, Catalogue of the Greek coins of Arabia. Mesopotamia and Persia in the Britisb Museum, London 1922, cviii·cix. 19
P0049352
N~hiVtkil und
Nisibis
~i Jos~phu.s
319
um eine andere Stadt desselben Namens20 . Selbst wenn Josephus in der Topographie Babyloniens nicht allzu bewandert gewesen sein dürfte die Stadt Nisibis im nördlichen Mesopotamien müßte er doch zu gut gekannt haben, als daß er sie dermaßen falsch lokalisieren würde 2J • Auch ohne exakten Lokalisierungsvorschlag für das Ant 18 erwähnte Nisibis steht fest, daß es sich um eine Stadt in unmittelbarer Nachbarschaft von Nehardea handelt und daß beide Städte für die erste Hälfte des ersten nachchristlichen Jh.s als jüdische Zentren ausgewiesen werden. Auffälligerweise liegen die meisten Orte, von denen in der talmudischen Literatur berichtet wird, daß dort eine erhebliche Anzahl von Juden saß oder daß sie im Bereich der jüdischen Selbstverwaltung oder des geistigen Schaffens irgendeine Rolle spielten, innerhalb des durch Reinheit der Abstammung gekennzeichneten jüdischen Babylonien. Dieses Gebiet befindet sich im heutigen Irak, und zwar zwischen Euphrat und Tigris, am Oberlauf des Euphrat bis Pumbedita (Anbar), am Unterlauf 20 Dazu Oppenheimer, Babylonia Judaica (s.o. Anm. 1J) 333f; ders., Ha-mcrkaz beni$ibin bi-tqufat ha-mishna (hebr.), in: Nation IOd History, Studies in the History of the Jewish People, Bd. I, hrsg. v. M. Stern, Jerusalem 1983, l'U-ISO; Sturm, Nisibis (s.o. Anm. 19) Sp. 757; laut Sturm bezieht sich ein Teil der klassischen Ouellen auf ein drittes Nisibis. Siehe auch E. Honigmann, Historische Topographie von Nords)Tien im Altertum, ZDPV 47 (1924) 1-64, hier 2H. Eine Grabinschrift von Korykos bezieht sich auf einen der weniger bedeutenden Orte namel1$ Nisibis (vgl. MAMA 11I119311, 160 Nr.
4(8). 21 Goodbtau, Josephus (s.o. Anm. 9) 608 mit Anm. 13 argumentiert damit, daß Jose-
pbus sieh im parth.iscben Babylonien nicht ausgekannt habe; diese These sucht er durch den Hin'NCis nI erhitten, man habe doch 'NOhI nicht ZW'Ci r»ebeneinander liegende Städte für die Hinterlegung der Schekelsteuer gebraucht, darur sei die Annahme von zwei geographisch getrennten Orten, Nebardea und das nordmcsopolamische Nisibis, viel sinnvoUer. ZusälZlich zu dem oben Gesagten wäre gegen Goodblatt noch anzuführen, daß es durchaus eine Reibe von befestigten Städten am Euphrat gegeben haben kann und kein Grund besteht, weshalb die Tempelgelder nicht an mehr als einem Ort hinterlcgt worden waren. Außerdem deckt Goodblatls Erklärung nicht die zweite Erwähnung der Nachbarstädte Nehardea und Nisibis als Zufluchtsorte für die jüdischen Flüchtlinge nach dem Pogrom von Seleukia (s.o. Anm. 10). B. lsaac behandelt die befestigten Städte am Euphral sowie die Funktion der Festungen in dieser Gegend in seinem Buch: The Limits Empire. The Roman Army in the East. Oxford 1990. Folgende Hinweise verdanke ich Prof. haac: Zu .. Bejan. siebe M. Gawlikowski, Hadita, Began Island, AfO 29j3IJ (l98Jj4) 207; nI .. Kifrin. siebe A. InvernLzzi, Kirrin and the Euphrates Limes. The Oerente of tbe Roma.n and Byz.antine East. BAR, Oxford 1986, 357f; ders.. Kifrin, Mesopotamia 21 (1986) 53-84; FA. Pennacchiett~ 11 posIo di Cipr~ ebd. 85·95. Weitere in diesem Zusammenhang wichtige Orte sind Telbis (TaibuS) und besonders 'Ana ('Anat), doch ist über die dortigen Ausgrabungen einstweilcn ooeh kein Material verr-ugbar (siehe Iraq 45 119831202f; 47 11985) 215f). Zu 'ABa und Telbis siehe auch Oppenheimer, Babylonia Ju· daica (s.o. Anm. 11) 26-29.445f; D.L. Kennedy, Ana on the Euphrates in the Roman Peri00, Iraq 48 (1986) 103r; D.L. Kennedy j A. Northedge, Ana in the Classical Sources (im Druek); D.L Kennedy j D.N. Rilcy, Rome's Dcsert Frontier [rom the Air, London 1990.
oe
320
AJuuon
Op~nhl!imf!T
bis Kufa, am Oberlauf des Tigris bis 'Ukbara und Awana und am Unterlauf bis Apamea22 . Josephus' Beschreibung von Nisibis als einer Stadt von jüdischem Charakter spricht ebenfalls gegen die Vermutung, es könnte das nordmesopotamische Nisibis gemeint sein, denn dieses liegt mehr als 400 km von den jüdischen Siedlungszentren in Babylonien entfernt; wenn es jemals Juden unter seinen Bewohnern zählte, so dürften diese doch nie einen bedeutenderen Anteil der Gesamtbevölkerung gebildet haben. Josephus erwähnt die ausgezeichneten Festungsanlagen von Nehardca und Nisibis. Auch in Überlieferungen des babylonischen Talmud, die sich auf die erste Generation der babylonischen Amoräer (ca. 220250 D.Chr.) beziehen, ist von den Mauern Nehardeas die Rede, allerdings befanden sich diese zu jener Zeit bereits im Zustand fortgeschrittenen Verfalls. An einer Stelle steht zu lesen, daß sich die Tore von Nehardea nicht mehr verriegeln ließen, weil sie zur Hälfte im Erdreich versunken waren23. Von daher nimmt es nicht wunder, daß andere talmudische Quellen die äußere Sicherheit von Nehardea als gefährdet schildern, durch ihre Lage am Euphrat war die Stadt nämlich Überfällen von arabischen Nomaden aus der syrischen Wüste ausgesetzt24 . Rav Scherira Gaon bezeugt, daß Nehardea im Jahre 259 (vier Jahre naeh dem Tod Sehemuels) von den Palmyrensern zerstört wurde 25 . Daraufhin wurde die dortige Talmudhochschule nach Pumbedita verlegt, und obwohl sich im Lauf der Zeit wieder Juden in Nehardea niederließen und auch Gelehrte dort wirkten, bestand doch keine bedeutende Talmudhochschule mehr in der Stadt26. Besonders berühmt wurde die Stadt als Sitz einer der großen Talmudhochschulen Babyloniens in der frühen Amoräerzeit. Nach lnformatio22 Dazu Oppenbeimer, Babylon.ia Judaica (s.o. Anm. I t) 16·20; die Namen der betreffenden Ortschaften (die Grenzorte des durch Abstammung defmierten Babylonien) sowie die Karte des talmudischen Babylonien; siehe auch A.Oppenbeimer I M.Lecker, LiDeage Boundaries o( Babylon.ia (hebr.), Zion 50 (1985) 173-187.
" Vgl. bEr 6b; vgl. bTaan 2Ob. 24 Siehe z.B. bEr 45a; bBQ 833; bAZ 7Ob; bEr J4b. 2S Iggeret Rav Sherira Gaon, cd. B.M. Lewin, Nachdr. Jerusalem 1972, 82. Zur Identität der Zerstörer von Nebardea siehe den Aufsatz von Y. Sorek, Who Destroyed Nehar· dea? (hebr.), Zion 37 (1m) 117-119. 26 Zu Amoräern späterer Generalionen, die in Nehardea wirkien, als da sind _Rav Dimi von Nehardea«, 4.Generalion (ca. 320-350) und _Rav Zevid von Nehardea«, 5. Ge· neration (ca350-37S) - auf die Angehörigen dieser Generation bezieht sich der Spruch _Richter von Nehardea - Rav Ada bar Maniume ... Amoräer von Nehardea - Rav Chama« (bSau 17b) - siehe I.N. Epsrein. Inlroduction to Amoraic üleralure. Babylonian Talmud and Yerusbalmi (hebL), ed. by E.Z. Melamed, Tel Aviv 1962, 129.
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N~IuIrtkQ wut
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NiJibiJ boti Jos~phw
nen aus gannäischer Zeit ging die Errichtung der babylnnischen Talmud· hochschulen darauf zurück, daß Rav im Jahre 219 von Palästina nach Babylonien zog und nach Nehardea kam, außerdem spielte der Tod von Rabbi Jehuda ha-Nassi, dem Endredaktor der Mischna, eine RoUe 21 . Fest etabliert wurde die Talmudhochschule in Nehardea erst, als Rav Nebardea verließ und eine Jeschiva gründete, woraufhin Scbemuel zum Leiter der Talmudhochschule von Nehardea ernannt wurde. Doch noch zu Ravs Zeiten hatte er dort bei Rav Schela als »Amara« fungiert28, d.h. er hatte die Rede des Schuloberhaupts dem Publikum zu Gehör ge· bracht. Daraus geht hervor, daß die Anfänge der leschiva zu Nehardea noch in die Zeit vor Schemuel zurückreicben und daß bereits vor Rav Schela regelmäßige Unterrichtsveranstaltungen stattfanden. zu denen ein Amora benötigt wurde 29 . Es gibt eine durchgehende Kette von Belegen für die zentrale Stellung Nehardeas, angefangen von Josephus' Bericht über die Vormachtstellung der Stadt in den Tagen von Hasinai und Hanilai bis hin zur Etablierung der bedeutenden Jeschiva am Ort unter Leitung von Sche~ muel: Rabbi Akiba berichtet, er sei nach Nehardea gezogen, um ein Schalt· jahr festzusetzen 30 . Rabbi Aldbas Reise in dieser Mission fand unter Rabban Gamliel von Jabne statt, und die Auskunft ist insofern erstaunlich. als die KalenderfeslSetzung ein Prärogativ war, über das Rabban Gamliel geradezu eifersüchtig wachte. So wurde etwa einmal, als Rahban Gamliel sich zwecks Kontaktaufnahme mit der römischen Obrigkeit in Syrien aufhielt und sich in Palästina die Notwendigkeit ergab, ein Jahr zum Schaltjahr zu erklären. der Schaltmonat nur vorläufig eingeschoben, bis Rabban Garnliels Zustimmung eingeholt sei 31 . Es gibt keine andere plausible Erklärung für die Entsendung Rabbi Akibas nach Nehardea als die Anerkennung der Bedeutung der babylonischen Diaspora überhaupt und der Stadt Nehardea insbesondere, bis hin zur Beteiligung an der Entscheidung über die Festsetzung eines Schaltjahrs. Dabei ist zu beden· n Saebe Illeret Rav Sberir. Gaoa (LewiD) 74; N"as~ Ie·iggeret Rav Sherira Ga00, Nachdr. vu'mmea mit Iggeret Rav Sberira Gaoa, cd. R.M. Lewin, Jeru.sa1em 1912, XIX; A. Neubauer, Mediaeval Jewish Chroaides aod Cbroooklgica.l Holes. 8<1. 2, Oxford 189S (Nocbdt. """,..dam 1<no), n. ,. Vgl. bYom 2Ob. 19 Siebe I. Gafa"a, Babylonia.a Jewry .00 Its lastitutioos ia tbe Period the Talmud (hehr.), Jen-·Ie.. '1986, 79-a1. 30 Val mYev 16,1. J1 VgI. aoEd 7,7.
oe
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322
AhGl'On
Op~nheimer
ken, daß die Einschiebung eines Schaltmonats nicht nur für den Ablauf des jüdischen Festjahres von Belang ist, sondern auch wirtschaftlich relevant, denn damit verschiebt sich der Beginn des Verzehrs der neuen Ernte um einen ganzen Monat32. In der frühen Amoräerzeit befand sich der Sitz des Exilarchen in Nehardea, und an ihn waren die Mitteilungen über die Festsetzung des Schaltjahrs gerichtet33 ; sollte die Einrichtung des Exilarchats schon zu Rabbi Akibas Zeiten bestanden haben. so wäre dies ein weiterer Grund dafür, weshalb die Festlegung des Schaltjahrs gerade in Nehardea erfolgte. Ein Hinweis auf den Sitz des Exilarchen in Nehardea findet sich vielleicht bereits gegen Ende der tannaitischen Zeit: Es wird nämlich berich· tet, daß zwei Gelehrte von Palästina nach Nehardea gereist seien mit dem Auftrag von Rabbi Achi beRabhi Joschia, ihm gehörige Silhergeräte von dort mitzubringen. In Nehardea angelangt fielen die beiden bedrohlichen Gewalttätern in die Hände, welche ihrerseits der Obrigkeit nahestanden und die Macht hatten, sie ins Gefängnis zu werfen und sogar zum Tode zu verurteilen34 . Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um den Gerichtshof des Exilarchen handelte, der in parthischer Zeit offenbar die Kapitalgerichtsbarkeit besaß35. Für die Amtszeit von Schemuel gibt es dann schon einen deutlicheren Beleg für das Bestehen eines Exilarchatsgerichtes in Nehardea, außerdem ist das Studienzentrum des Exilarchen dort anzusetzen36 . Besonders hervorgehoben wird die historische Bedeutung von Nehardea im Zusammenhang mit der »Synagoge von Saf we-Jatev in Nehar-
32 Dazu G. AIon, Tbe Jews in Tbeir Land in the Talmudie Age, transl. and cd. by G. Levi, 2 Bde, Jerw.a.lem 1980-1984, hier Bd. 1,240-248. 3J Siebe 7..B. yMeg 1 (71a). Zum Sitz des Exilarcben in Nebardea siebe bereits SJ. Rapoport, 'Erekb millin, Bd. 2, Warscbau 1914,226; siebe auch M. Beer, Tbe Babylonian ExiJarcbale in lbe Atsacid and Sassanian Periods (bebr.), Raßlat Gan 21976, 15f. 34 Siebe bGit 14a-b; vgI. )'Gi11 (43<1); )Oid 3 (64a). Zum ganzen Vorgang siehe Neusner, Babylooia (s.o. Anm. 9) Bd. 1,94-97. 3.S VgJ. die Äußerung von Ra... gegenüber Rav Kahana, wonacb sieh die Regierung bis zu ihrer Zeit in die Blutgericbtsbarkeit nicbt eingemiscbt babe (bBQ I17a); daraus läßt sieb auf einen Umschwung im Zusammenhang mit dem Übergang von der Parther- zur zcntralisli.scber angelegten Sassanidenberrscbaft scbließen. Zur Kapitalgerichtsbarkeit in den Händen des Exilareben siebe Bur, Tbe Babylonian Exilarcbate (s.o. Anm. 33) 58·65. J6 Der Bericht von den Leuten des Exi1arcben unter Scbemuel, die Eliezer Zeira fest· nahmen, weil er in den Straßen von Nebardea scbwane Scbube getragen hatte (bBQ 59a-b); zum Verbal, scbwarze Schube zu tragen, vgl. bTaan 22a; siehe auch Oppenheimer, Babylonia Judaica (s.o. Anm. 11) 89.289.
N~1uurk1l
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und Niribir Mi J(»~pIuu
dea. (lOI1.,n J'0'1 'JV1 Km"lJ 'J)31. Gelehrte aus Nehardea pflegten dort zu beten, obwohl dort ein Standbild aufgestellt war38. Noch nach Verlegung der Talmudhochschule von Nehardea nach Pumbedita legten Gelehrte dem Gebet in der Synagoge von Saf we-Jatev besonderen Wert bei. So erklärt etwa Abaje, Schulhaupt von Pumbedita, er sei bereit, einen Fußweg von bis zu einer Parasange (ca. 4,5 km) auf sich zu nehmen., um in der Synagoge von Saf we-Jatev oder in der von Husal zu beten. Als Begründung dafür gibt er an, die Gallesgegenwart, die Israel ins Exil begleitete, habe sich gerade in diesen beiden Synagogen niedergelassen39 . Rav Scherira Gaon begründet in seinem Schreiben den bohen Rang der Synagoge von Saf we-Jatev in Nehardea damit, daß in ihren Fundamenten Trümmerreste des ersten Jerusalerner Tempels enthalten seien, welche die Exulanten unter König Jojachin von dort nach Nehardea gebracht hätten 4O . Diese Information ist sicher nicht wörtlich zu nehmen, denn zum einen stand der JerusaJemer Tempel noch, als Jojachin ins Exil geführt wurde, und zum anderen hatte der König als Gefangener wohl keine Möglichkeit, irgendwelche Bauten zu errichten; festzuhalten ist jedoch die Bedeutung, welche die babylonischen Amoräer dem hohen Alter dieser Synagoge beimaßen. Dies ist umso bemerkenswerter, als sonst weder im Mutterland noch in einer anderen Dia-
J7 Offeobar hieß em Stadttell voo Nehardc.a ..Saf we-Jatev«
(J'n',
~,und dort
lag die gJetebnamiae Synagoge. In gaoniiscber Zeit wird der Name zwar als _reiste UDd ließ sieb aiedc.r« gedeutet (so etwa Igeret Rav Sberira Gaoa ILewiDl m, S.u. Anm. 40), doch Epstem k:bnl diese Deutung aus spracblkben Erwigungen ab. Er weist nach. daß die heiden 8esI.aodieik des Namens dieselbe Bedeutung haben: syrisch -SIl!« bedeutet _wobnen, an einem Ort sitzen., die Vokabel -SIlw[Il« bezeichnei einen Wohnort; demnaeh hätte der Name _Saf we-Jalev_ ungefähr die Bedeutung _Wohnsilz_ - siebe J.N. Epstein. Zur Babylonisch-Aramäischen Lexikographie, m: FS A. Schwarz zum 70. Geburtstag, brsg. von S. KraUM, Berlin u.a. 1917,317-327, bier 326f. Zur Synagoge von Saf we-Jatev sowie zu den babylonischen Synagogen überhaupt siehe S. Krauss, SynngogaJe AJlertÜJDer, Wien 1922 (Nachdr. Hlldesbeim 19(6),214-223. Barnett bat vorgeschlagen, diese Synagoge in eloem Dorf 50 Meilen nördlich von Babylon zu lokalisieren, denn im Namen dieses Ortes waren noch 1861 AnkJinge aß den allen Namen zu vernehmen: R.D. Baroett, Xenopbon aod lbe WaU of Media, JHS 83 (1963) 1-26. hier 16f; dazu auch Oppenbeimer, BabyIooia Judaic.a (s.o. AnIIl. 11),291 mit Anm. 45. JlI Siebe bRHSb 24b; oacb dem gedruckten Text waren Rav und Scbemuel unter den dort Betenden. doch m sämtlichen Talmudbaodscbriflen sowie 1D der talmudischen ParaUek (bAZ 43b) slod nicht Rav und Scbemuel erwihnt, sondern 5cbemuels Valer und
Siebe bMeg 29a.. 40 Iggeret Rav Sberira Gaoo (Lewin) 721. )9
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324
Aharon Oppenheimer
sporagemeinde auf das Alter einer Synagoge Wert gelegt wird oder überhaupt eine Bevorzugung dieser oder jener Synagoge zu beobachten ist41 . Die Auskunft, wonach im Fundament der Synagoge von Saf we-Jatev Trümmer des Jerusalemer Tempels eingebaut gewesen seien, ist zusammenzusehen mit der behaupteten Abstammung der Exilarchen vom davidischen Königshaus und dem Anspruch, das Exilarchat habe seit Ende von Jojachins Regierung ununterbrochen bestanden42. Die Babyionier suchten ihren Anspruch auf zentrale Stellung mit der Behauptung zu untermauern, sie seien die direkten Nachfahren Israels aus der Zeit des Ersten Tempels. In diesem Zusammenhang wurden die beiden wichtigsten Einrichtungen Israels aus der Zeit des Ersten Tempels, der Tempel und das Königtum, nach Babylonien transferiert. Damit hängt das Pochen der babylonischen Juden auf ihre Abstammung zusammen, ein Punkt, an dem sie sich der Judenheit Palästinas überlegen dünkten 43 . Die Tatsache, daß sich eine der für ihr hohes Alter berühmten Synagogen in Nehardea befand und die ersten uns bekannten Exilarchen dort saßen, unterstreicht den hohen Rang von Nehardea und wirft ein gewisses Licht auf den Ursprung der Stadt in den Tagen von Hasinai und Hanilai oder sogar noch früher. Insofern besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen der Bedeutung, die Josephus der Stadt Nehardea in der ersten Hälfte des 1. Jh.s n.Chr. beilegt, und der Errichtung der zentralen Talmudhochschule dort spätestens in der ersten Hälfte des 3. Jh.s. Aus den talmudischen Nachrichten geht hervor, daß Nehardea seine zentrale Stellung und seine jüdische Bewohnerschaft über diesen gesamten Zeitraum hin bewahne. Die talmudischen Angaben zur Stadt Nisibis führen zu ähnlichen Schlüssen wie die über die Bedeutung von Nehardea gezogenen. Allerdings besteht kein Zweifel, daß sich etliche der talmudischen Erwähnun41 Dazu A. Oppenheimer, Synagogues witb a Historie As.sociation in Talmudic Babylonia (hebr.), in: Synagogues in Antiquity, ed. A. Kasher el al, Jerusalcm 1987, 147·154. 42 Siebe SOZ (Großberg) 22-36; vgl.•und (die Stadt) Nebardea war besiedelt in (andere lesart: seit) den Tagen Jojachins, bis zum Tode von Schemuel .... (Seder Tannaim weAmoraim IKahana) 4). Zur Unglaubwürdigkeit eines kontinuierlichen Bestehens des Exilarchats von Jojachin a.D siehe J. Liver, Toledo( bet David, Jerusalem 1959,41-46; ferner Beer, The Babylonian Elcilarcbate (s.o. Anm. 33) 11-15. Zum Zusammenhang von ungebrocbener davidischer Abstammung der Elcilarchen mit dem hohen Alter einiger babylonischer Sytlagogen siehe I. Gafni, Synagogues in Talmudic Babylonia. Traditions and Realily (hebr.), in: Synagogues ia Antiquity, ed. A. Kasher et al., Jerusalcm 19M7, 155162, bier 16lf. 4] Siehe bQid 69b.71a; bKet lila. Vgl. die Episode von Zciri, der von Babylonien nach Palästina zog, aber nicbt bereit war, Rabbi Jochanans Tochter zu ehelichen (bOid 71b).
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Nehardea UIld Nisibis bei Josephus
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gen von Nisibis auf die bekannte Stadt gleichen Namens in Nordmesopotamien beziehen; so zum Beispiel die folgende Schriftauslegung, die von mehrmaligen Eroberungen von Nisibis durch die Römer in parthisch-sassanidischer Zeit spricht: »'Drei Rippen in seinem Maul zwischen seinen
Zähnen' (Daniel 7,5) - Rabbi Jochanan sprach: das sind HeIzon, Adiahene und Nisibis, die [das römische Reich] bisweilen verschluckt, bisweilen wieder ausspeit«44. Rabbi Jochanan führt also Nisibis unter den Orten auf, die Rom mehrere Male hintereinander eroberte und wieder verlor. Von den dreißiger bis in die sechziger Jahre des 3. Jh.s versuchten die Sassaniden immer wieder, die Stadt den Römern abzunehmen, mußten sie aber jeweils wieder aufgeben. Zweifellos paßt diese Äußerung von Rabbi Jochanan sowohl inhaltlich als auch chronologisch zur Geschichte von Nisibis um die Mitte des 3. Jh.s 45 . Andere Nachrichten dagegen, vor allem die über das Zentrum der jüdischen Lehre unter Rabbi Jehuda ben Betera, sind jedoch eher auf das Nehardea benachbarte Nisibis zu beziehen. So wie also Josephus die beiden Nachbarstädte Nehardea und Nisibis im selben Atemzug als zwei bedeutende und wohl befestigte jüdische Städle nennt, haben die beiden Städte offenbar auch noch nach den von Josephus für die erste Hälfte des 1. Jh.s bezeugten Ereignissen als wichtige jüdische Zentren nebeneinander bestanden. Das Studienzentrum in Nisibis wird hauptsächlich zur Zeit der Religionsverfolgung im Anschluß an den Bar-Kokhba-Aufstand und als die Führungsinstitutionen ins galiläische Uscha verlegt waren, um sich dort nach dem Aufstand zu restituieren (ca. 135-170 n.Chr.), erwähnt. Die 44 vgl. bQid 72a. Helmn ist zu identili;,-jeren mit Helwan, ca. 200 km nordöstlich ...on Bagdad. Bei Pirkoi ben Baboi steht zu lesen: ,.das sind Haran, Adiabene und Nisibis.. , und in der Fortsetzung wird erläutert: _bisweilen ...erschluckt sie das böse Rom, das an jenen Orten regiert, und bisweilen speil es sie wieder aus, denn dann machen die Perser ihnen zu schaffen und persiscbe Könige regieren über Edom ..." (Genizah Sludies in Memory of SalomoD Schecbler, Bd. 2: Geonic and Early Karailic Halakah, cd. by L. Ginzberg, New Vork 1929 (Naehdr. New Vork oJ.), 563; Ozar baGeonim zu Oiddushin, Responsen, 178, s. dort Anm. K). Eine solche Eroberung der Stadt Nisibis durch die Römer wird in der talmudiscben Literatur erwähnt, siehe SOZ (Neubauer) 72 und SOZ (Großberg) s..... KJ':t) 41). Siehe auch S. Krauss, Paras we-Romi ba-talmud u-ba-midrashim (hebr.), Jerusalem 1948, 95r; Neusner, Babylonia (s.o. Anm. 9), Bd. 4, 45f.82. Zu Nisibis und seiner jüdischen Bewobnerschaft siehe etwa noch J.B. Segal, The Jews or North Mesopotamia berore Ibe Rist of Ihe Islam, in: Sefer Segal, cd. J.M. Grintz et 31., Jcrusalem 1964,32-63; I. Gafni, The Jews of Babylonia in the Talmudic Era, Jerusalem 1990,23. 4S Vermutlich stand Nisibis seil Lucius Verus (162-165 n.Chr.) unter römischer Herrscbaft, sicher dann scit dem Jahre 193, bis zum endgühigen Rückzug der Römer bei der Eroberung der Sladt durch Jovianus 363 n.Chr. (siehe Oppenheimer, Babylonia Judaica 15.0. Anm. 11J 328-331).
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Aharon Oppenheimer
Wirksamkeit eines so bedeutenden Gelehrten wie Rabbi Jehuda ben Bete ra in Nisibis ist offenbar nicht der einzige Grund dafür, vielmehr scheinen noch verschiedene Momente hinzugekommen zu sein, etwa die wirtschaftliche Notlage im Mutterland in der Folge des Aufstands und das steigende Ansehen von Babylonien infolge des regen Zustroms jüdischer Bevölkerung auf der Flucht vor den religiösen Repressalien im Anschluß an den gescheiterten Aufstand und überhaupt aus dem römischen Herrschaftsbereich hinaus. Nisibis erscheint in der Liste der Lehrhäuser, die neben den Orten, an denen die Führungsinstitutionen in Palästina saßen, wie Jabne und Bet Schearim, noch weitere Lehrstätten im In- und Ausland verzeichnet, mit Nennung des jeweiligen Schulhaupts: .Unsere Meister lehrten: 'Gerechtigkeit, Gerechtigkeit sollst du nachjagen' (010 16,20) - folge den Gelehrten ins Lchrhaus: Rabbi Elici'.cr nach Lod, Rabban Jochanan ben Sakkai naeh Beror Cbajil, Rabbi Jehoschua nach Pekiin, Rabban Gamlicl nach Jaboc, Rabbi Akiba nach Bene Berak, Rabbi Mattia (ben CharaschJ nach Rom, Rabbi Chananja ben Teradijon nach Sykbne, Rabbi Jossi nach Scpphoris, Rabbi Jchuda ben Belera nach Nisibis, Rabbi IChananja dem Bruderssohn von Rabbi] Jchoschua in die Diaspora, Rabbi nach Bel Schcarim .....46.
Gegliedert scheint diese Baraita überwiegend chronologisch, zu Anfang erscheinen Gelehrte aus der Generation von labne, anschließend solche aus der Zeit von Uscha, und sie endet mit Rabbi lehuda ha-Nasi. Das Zentrum der jüdischen Lehre in Nisibis unter Leitung von Rabbi lehuda ben Betera wird im Kontext von Gelehrten erwähnt, die zur Zeit von Uscha wirkten. Auch in anderen Quellen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, ist Rabbi lehuda ben Betera zusammen mit Rabbi EI· azar ben 5chamua, Rabbi lochanan ha5andlar, Rabbi Joschija und Chananja dem Bruderssohn von Rabbi lehoschua genannt - alles Gelehrte der Generation von Uscha. Hier in der Baraita ist auch von einem 5tudienzentrum unter Leitung von Chananja. dem Bruderssohn von Rabbi lehoschua, die Rede, das »in der Diaspora« lag. Die Bezeichnung »Diaspora« (hebr.: il"U) ohne nähere Angaben bezieht sich auf Babylonien; somit haben wir hier eine weitere Bestätigung für die Bedeutung der ba· bylonischen Diaspora vor uns. Man kann vermuten, daß hier das Zentrum in Nehardea gemeint ist (dazu noch im folgenden).
46 bSan 32b. Die Zusätze io eckigen Klammern nach den Handschriften München, florenz und Karlsruhe, siehe R. Rabbinovicz, Diqduqe Sofcrim. Variae Icctioncs in Mischnam cl in Talmud Babylonicum, Nachdr. New Vork 1960, z.51.; vgl. auch Yalq qedoshim 19,611 (Hyman 594).
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NehlUdi!o und Nisibu bei Josephw
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Im Unterschied zum bisher Beobachteten wird auch zur Zeit des Zweiten Tempels ein Rabbi Jehuda ben Betera erwähnt, so etwa in der Episode von einem Nicht·luden, der mit den jüdischen Festpilgern nach lerusalem zu ziehen und am Pessachopfer teilzunehmen pflegte; im An· schluß an dessen Entlarvung soll ein Schreiben an Rabbi lehuda ben Be~ tera ergangen sein: »Heil dir, Rabbi lehuda ben Betera, du sitzest in Nisi bis und dein Netz ist ausgespannt bis Jerusa!em«47. Es liegt nahe, die~ sen Vorfall mit den Äußerungen des 10sephus über das jüdische Gewicht von Nisibis zur Zeit des Zweiten Tempels zusammenzusehen. Daraus folgt, daß die Wurzeln der jüdischen Lehrstätte in Nisibis bis in Tempelzeiten zuTÜckreichen und daß dort zwei Gelehrte namens Rabbi lehuda ben Betera wirkten, wahrscheinlich Angehörige derselben Familie, mög~ licherweise Großvater und Enkel 48 . Mehrere Überlieferungen bezeugen den hohen Rang des Studienzen~ trums in Nisibis nach dem Bar-Kokhba·Aufstand. An einer Stelle wird erwähnt, daß man sich zwecks Klärung einer Personenstandsfrage gleichzeitig nach Nisibis und an Rabbi Akiba wandte, der damals gerade im Gefängnis saß49, Die Parallelität der Anfrage an Rabbi Akiba im Ge· fängnis und an Rabbi lehuda ben Betera in Nisibis zwecks Lösung aku· ter Probleme, zu einer Zeit, als die Lehrinstitutionen in Palästina infolge der religiösen Verfolgungen nicht regulär funktionierten, spricht für das Ansehen, das Nisibis schon damals genoß. Ein weiteres Mal wird Nisibis als mögliche Alternative zu Lehrhäusern in Palästina genannt in der Überlieferung von zwei Schülern Rabbi Akibas - Rabbi Elazar ben Schamua und Rabbi Jochanan haSandlardie nach Nisibis ziehen wollten, um dort bei Rabbi lehuda ben Betera zu lernen 50, Zwar steht diese Überlieferung in einer Reihe von Quellen, die 47 Siehe bPes Jb. 48 Bereits die Tosafisten gingen von der Existenz zweier Gelehrter dieses Namens aus (bMen 65b, s.v. _Rabbi Jchuda ben Bctcra sagt: Man braucht nicht_). Rav Scherira Gaon erwähnt in seinem Schreiben nur einen Gelchrten namens Rabbi Jehuda ben Betera, der sehr lange gelebt haben soll, allerdings gibt er seine Amtszcit nur von den Zeilen des Zweiten Tempels bis zu den Tagen Rabbi Akibas an (Iggerel Rav Sherira Gaon I LewinJ 12). Dazu auch Z. Frankei, Darke hamishna, Tel Aviv 21959,99.102; Becr, The Babylonian Exilarchate (s.o. Anm. 33), 20f mit Anm. 22 und 24. 49 Siebe bYev 108b. so Siehe SiIDev 80 re'e (Finkelstein 146; mit Anm. des Herausgebers z.SL). Zu Anfang des entsprechenden Abschnius wird die Übersiedlung von Rabbi Jehuda bcn Betera selbst nach Nisibis erwähnt. Ein Tannait der Generation von Uscha, der zu Rabbi khuda hcn Bctcra nach Nisibis kommt, ist Rabbi Joschija (ySan 8,6126bJi vgl. ySOI 4,3 1I9cJ; SiIDcv 218 ki·lc$C (Finkclstein 251). In dcn Parallelen im babylonischen Talmud stcht statt -und als ich zu Rabbi lchuda ben Betcra nach Nisibis kam_ .als ich zu meinen Gc· fährten in den Süden kam« (bSot 25a; bSan 88b). Nach Mcinung von Halevy sind hier
328
Aharon
OP~nMimu
gegen das Verlassen des Heiligen Landes gerichtet sind, wie es denn auch in der Fonsetzung heißt, die heiden Gelehrten seien nur bis 5idon gekommen und dann umgekehrt, denn ltdas Wohnen im Lande wiege
ebenso viel wie die Erfüllung sämtlicher biblischer Gebote4<. Doch ergibt sich daraus nicht nur ein Bild vom Niedergang des Lehrhetriebs in Palästina., sondern auch vom durch die Folgen des gescheiterten Aufstands geförderten Aufstieg des Zentrums in Nisibis. Eine Reihe von Quellen zum Zentrum in Nisibis unter Leitung von Rabbi Jehuda hen Betera in der Zeit, die der Generation von Uscha entspricht, bestätigt die Gleichsetzung von Nisibis mit der bei Josephus erwähnten Nachbarstadt von Nehardea Ein Bericht. der sowohl im Babylonischen als auch im Jerusalemer Talmud überliefert ist, bezieht sich auf den Versuch von Chananja, dem Bruderssohn des Rabbi Jehoschua, in Babylonien ein Jahr zum Schaltjahr zu erklären. Dieser Vorgang spiegelt die Verhäl.t.nisse nach Abschluß der religiösen Verfolgungen in Palästina wider, als einerseits noch Zweifel an der Leistungsfähigkeit der palästinischen Führungsgremien bestanden und andererseits das Ansehen von Babylonien durch Zuzug von palästinischen Gelehrten erheblich gestiegen war. Die Version im Jerusalemer Talmud lautet folgendermaßen 51 : .Chananja der Bruderssohn von Rabbi Jehoschua setzte ein Schaltjahr im Ausland fCSl. Da schickte RabbfS z durch Rabbi Jizchak und Rabbi Nathan drei Schreiben an ihn. ... Da stand Rabbi Jizchak auf und las: 'In der Bibel steht: Dies sind die Festzeiten Cha-
Schüler von Rabbi Akiba gemeint, die Dach dem Bar-Kokhba·Aufstand nach Nisibis geflohen waren und die Rabbi Josc.hija dort im lehrhaus des Rabbi Jehuda bc:n Betera getroffen hätte (JA.Halevy, Dorot ba-rishonim (bebr.), Bd. 1/5, Frankfurt/M 1918,674). Einleuchtender ist jedocb die Vermutung von Gafn~ daß über den Bestimmungsort von Rabbi Joschija zwei verschiedene Überlieferungen vorliegen (I. Garni, Ha-yeshiva be-bavel, Diss. Phil Jerusalem 19789, 15 mit Anm. 16). VgJ. auch J.N. Epstein, Introduction to Tannaitic üterature. Misbna, Toscphta and Halakhic Midrashim (hebr.), cd. E.z. Melamed, Jerusalem 1957,570 Anm. 179, der die Überlieferung im babylonischen Talmud für verderbt hält. 51 yNed 6,1] (40a); ähnlich)'San 1,2 (19a); mit gewissen Abweichungen bBer 63a-b. In der Version des babylonischen Talmud ist die Appellation an Rabbi Jehuda bcn Bctera in Nisibis nicbt erwähnt. Deutsche Fassung nach: Jeruschalmi (Der palästinischc Talmud): Nedarim (Gelübde), übersetz( und interpretiert von eh. Horowitl, Düsseldorr 1957,76. 52 Gemeiot ist hier offenbar Rabban Schimon hen Gamliel_ In palästinischen Ouellen kommt es gelegentlicb vor, daß Angehörige der Fürstendynastie einfach _Rabbi.. genannt wuden, d,b. diese Bezeicbnung bezieht sich nicht ausschließlich auf Rabbi Jehuda ha· Nasi, den Redaktor der Mischna (siehe Z. Rabinovitz, Sha'are Torath Eretz Israel, Jeru· salem I940,275.404f).
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NehtutkQ und Nisibis
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nanjas, des Bruderssohns von Rabbi Jehoschua!' Man erwiderte ihm: '(Es heißt aber doch: Dies sind} die Festzeilen des Herrn' (Lev 23,4.37), darauf sprach er: 'Ja. bei uns'. Darauf fuhr Rabbi Nathan fort: 'Denn von Babylonien soU die Lehre ausgehen und das Wort des Herrn voa Nehar-Pekod'SJ. Mall erwiderte ihm: '(Es heißt aber doch:) Oelln von Zion soll die Lehre ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalcm' (Jes 2,3; Mi 4,2), darauf sprach er: 'Ja, bei uns'. Da ging er bin und führte Klage vor Rabbi Jebuda bell. Betera in Nisibis, der erwiderte ihm: 'nach ihnen, nach ihnen Igeht die Entscheidung!,.... Da stieg er aufs Pferd (um seine Einschaltung des Sc.baltmonals als ungühig zu proklamieren), wo er hinkam, da kam er hin (und die palistinische Kalenderrechnung wurde befolgt I, wo er nicht hinkam, da befolgten sie den falschen Id.h. den von Chananja zu Unrecht interkalierteIl. Kalender)«.
Interessanterweise beruft sich Chananja in der Parallelüberliderung im babylonischen Talmud auf den Präzedenzfall von Rabbi Akiba, .der im Ausland Schaltjahre festsetzte und Neumonde bestimmte«, worauf die palästinischen Gesandten ihm erwidern: ~Laß Rabbi Akiba beiseite, denn er hat nicht seinesgleichen im Lande Israel hinterlassen«, und er kontert: »Auch ich habe nicht meinesgleichen im Lande Israel hinterlassen«54. Hier wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Einschiebung eines Schaltmonats durch Rabbi Akiba in Nehardea, außerdem wird deutlich, daß Chananja und seine Partei den Zeitpunkt für gekommen halten, da die Führung auf Babylonien übergegangen sei. Die Erwiderung der Gesandten, daß Rabbi Akiba nicht seinesgleichen im Mutterland zurückgelassen habe, ist hier rein taktisch zu werten, denn aus der betreffenden Mischna geht ja eindeutig hervor, daß sich dieser Fall unter Rabban Gamliel von labne ereignete.
5J Manche wothen unter Nehar-Pekod Cbananjas babylonischen Wohnort verstehen, und zwar in Analogie zum unparodierten Wortlaut des Bihelverses (so etwa W. Bacher, Die Agada der Tannailen, Bd. 1, Straßburg 1884 (Nachdr. Hildesheim 1965),385 mit Anm. 3; J. Obermeyc.r, Die landschaft Babylonien im Zeilaller des Talmud und des Geonats, Frankfurt/M 1929, 273f; B.-Z. Eshel, Jcwisb SeulemenU in Babylonia During Talmudic Times. Talmudic Onomasticon (hebL), Jerusalem 1979, 157f). Doch zum einen Iä& sich ein solc.hcr Ort schlechlerdings nicht ausmachen (dazu Oppenheimcr, Babylonia Judaka (s.o. Anm. 11)302f), zum anderen ist es auch durchaus unwahrscheinlich, daß Rabbi Nathan in seiner Widerrede ausgerechnet Chananjas Wohnort genannt haben sollte. Die heiden Gelehrten gehen eine Art Vorstellung, um das babylonisch-jüdische Publikum zu überzeugen: Rabbi Jizchak zitiert einen Pentateuch-Vers in cnlslelher Form, Rabbi Nalhan einen Prophelen-Vers; das Publikum korrigiert aufgrund seiner Bibelkennlnis und laIIl damil indirekt die Entscheidung. daß nicht die babylonische hal3chische Entscheidung verbindlich sei, sondern die im MUtlerland gelroffene. Im Prophelenzital erselZl Rabbi Nathan die Ortsnamen Zion und JerusaJem parodierend durch .. Babylonien_ und _Nehar·Pekod«; lelZleres ist wohl als Synonym zu Babylonien eingesctzt, wie es schon bei Jeremia vorkommt (Jer 50,21; vgl. Ez 23,23). 54 Siehe bBer 631 (s.o. Anm. 30).
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AhlUOn OppenheimeT
Chananja saß in Babylonien, vermutlich in Nehardea. Die Appellation an Rabbi Jehuda ben Betera deutet auf die Sonderstellung von Nisibis nach dem Bar-Kokhba-Aufstand. Chananja akzeptierte die Entscheidung von Rabbi lehuda ben Betera zugunsten der palästinischen Gremien; diese Entscheidung geht vielleicht auf die besonders engen Beziehungen zwischen Nisibis und dem Mutterland zurück, wie an der oben angeführten Begebenheit von den heiden palästinischen Gelehrten, die sich zum Studium der Lehre nach Nisibis begehen wollten, zu beobachten ist. Außerdem ist es höchst unwahrscheinlich, daß sich Chananja an das nordmesopotamische Nisibis, das über 400 km vom jüdischen Siedlungsgebiet in Babylonien entfernt liegt, gewandt haben soll; insofern haben wir hier eine weitere Bestätigung für die Aussage des Josephus, daß es in unmittelbarer Nachbarschaft von Nehardea eine Stadt namens Nisibis gab. Demnach lag das Zentrum der jüdischen Gelehrsamkeit, dem Rabbi lehuda ben Betera als Leiter vorstand, in Nisibis im Herzen des jüdischen Babylonien 55 . Noch eine Quelle spricht dafür, daß die Lehrstätte von Nisibis ganz in der Nähe von Nehardea gelegen war: _Rabbi Jehuda beo Betera ging am Vorabend des großen Fastens nach Nisibis, nahm eine lelZte Mahlzeit vor dem Fasten ein; das hörte der Exilarch, ging zu ihm hin und sagte zu ihm: 'Möge der Rabbi mich beehren.' Der anlwortete: 'Ich habe aber schon die Abschlußmahlzeit vor dem Faslen zu mir genommen.' Da erwiderte er: 'Möge der Rabbi mich beehren, damit die Leute nicht sagen, er habe mich gering geachtet.' Und wie cr in ihn drang, da ging er doch mil..,56
Dieser Text gibt einige Rätsel auf, sowohl vom Gang der Handlung als auch vom Wortlaut her57. Wenn wir doch von der Lesart »Exilarch« (und nicht »5ynagogenvorsteher«) ausgehen, wäre dies ein weiterer Be-
55 Unter Umständen darf man hier den Bericht des Jerusalemer Talmud wörtlich nehmen: Bei Chananjas Appell an Rabbi Jehuda ben Betera steht: _er ging«, d.h. zu Fuß, als er sich dann aufmacht, um seine Fehlentscheidung in der babylonischen ludcnheit zu korrigieren, stebt; _er stieg zu Pferd«. 56 EkhaR 3,6. 57 Vom Gang der Handlung her ist nicht klar, warum erwähnt ist, daß Rabbi lehuda ben Betera nach Nisibis ging. Vielleicht ist die Situation gemeint, als er frisch aus Palästina nach Nisibis gekommen war. Was den Wortlaut betrifft, so lesen die meisten älteren TextzeiJgen nicbt _Exilarch_ (xn'~l 11"1), sondern .. Vorsteher der Synagoge .. (11111 KIlIl' lJ) - siebe EkhaR 3,17 (Buber 130 Anm. 75); dazu Garni, Babyloni3n Jewry (s.o. Anm. 29) 108 Anm. 6, der für die Lesart _Vorsteher der Synagoge.. (KIlW' JJ W' 1) plädiert.
r"'" NehfV'dLo Wld NisibiJ
~i Jm~phUJ
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leg für die Existenz dieses Amtes bereits um die Mitte des 2Jh.s D.Chr.58 Wie bereits erwähnt, weiß man für die folgenden Generationen, daß der Exilarch in Nehardea saß; jedenfalls scheint es völlig ausgeschlossen, daß er etwa im nordmesopotamischen Nisibis gesessen haben 5011 59 , Demnach hätte der Exilarch Rabbi lehuda ben Betera am Vorabend des Fasttages in sein Haus in dem Nisibis nahegelegenen Nehardea, vielleicht sogar in Nisibis selbst, gebeten60 . Im Midrasch ist von Beziehungen die Rede, die zwischen Schemuels Vater, auch kurz Abba genannt, und Rabbi Jehuda ben Betera in Nisibis bestanden: »Abba, der Vater von Schemuel bar Abba, handelte mit Seide; er sandte an Rabbi lehuda ben Betera nach Nisibis, nach einiger Zeit kam er zu ihm ...«61. Schemuels Vater saß in Nehardea62, und wenn er zu Rabbi lehuda ben Betera in Nisibis Geschäftsbeziehungen unterhielt, liegt die Vermutung nahe. daß sich das Studienzentrum in dem Nehardea benachbarten Nisibis befunden haben dürfte63. Es gibt auch eine Nachricht über einen Gelehrten, der zu späterer Zeit als Rabbi lehuda ben Betera in Nisibis wirkte. Es handelt sich um 58 Der erste namentlich bekannte Exilareh war Rav Huna, tin Zeilgenosse von Rabbi Jchuda ha-Nasi. Doch besteht Grund zur Annahme, daß das Ami schon vorher beslanden hat (s. o. Anm. 42), und zumindesl rur die Generation von Uscha gibt es einen Hinweis darauf, nämlich im Zusammenhang mit dem Versuch, Rabban Schi mon ben Gamlie! seines Amtes zu cnlheben; ciner seiner Gegner, ein gewisser Rabbi Nalhan, soll der Sohn des Exilarchen gewesen sein (so zu entnehmen aus der Anrede von Rabban Shimon ben Gamliel an Rabbi Nathan: »wenn dir auch der Gmel deines Vaters dazu verholfen hat, Vorsitzender des Gerichtshofes (1"1 n'lJ JK) zu werden, sollte man dich auch zum Fürsten ernennen? IbHor l3b1; siebe Arukb haShalem (Arueh complctum (hebL), cd. A. Kobut, 8 Bde, Wien 1878-92) Bd.7, 1275.'1. 1Dl13; Iggeret Rav Sherira Gaoß (Lewin) 14. 59 Zu der Meinung. wonach es weilere ExiJarchen in Nachbarländern von Babylonien gegeben haben soll, die sich u.a. auf den vorliegenden Text stützt, siehe Beet, The Babylonian ExiJarchate (5.0. Anm. 33) 20-29. 60 Möglicherweise hatte der Exilarch zwei Wohnsilzc, ähnlich wie die römischen Kai· ser und höheren Beamten gleich:t.eitig über mehrere Amtssitze verfUgten. Vielleicht ist auch das Haus, das Rabban Gamliel von Jabne in Lad besaß, in diesem Sinne zu versieben (tPes 2.11 (ZuckermandeJ 1591). 61 MSbem 10,3 (Buber 77). 62 So zu enlnehmen aus bBes 16b. 6.1 Doch darf nicht verschwiegen werden, daß es sich bei den hier bezeugten Verbindungen zwischen Scbemue1s Vater und Rabbi Jehuda ben Betera um Geschäftsbeziehungen im Zusammenbang mit dem Seidenhandcl des ersteren handelt. Insofern bieten sie kein schlagendes Argument in der Frage, in welchem Nisibis das Studienzentrum denn nun lag, denn Schemucls Vater war gescbäftlich viel unterwegs (siehe bEr 653; bBer 3Oa; dazu auch die gaonäische Überlieferung in dieser Sache: Toledot ha-iggeret ha-shcnil, in: Iggerel Rav Sherira Gaoß (Lewinjl30).
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Aharon
Oppenh~im~r
Rabbi Simlai, der um die Mitte des 3. Jh.s tätig war und in Nisibis den Erlaß voo Rabbi Jehuda Nesia (dem Enkel des Jehuda ha-Nassi) über die Zulässigkeit des Öls von Nicht·Juden veröffentlichteM. Rabbi Simlai wirkte in Palästina und in Babylonien, dort hatte er seinen Sitz in Lad, hier in Nehardea65 . Die Belege für Nehardea als Rabbi Simlais Wohnsitz sprechen dafür, in der Stadt Nisibis, wo er den betreffenden Erlaß veröffentlichte. die Nachbarstadt von Nehardea zu sehen. Doch ist in diesem Fall die Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen, daß es sich um das nordmesopotamische Nisibis gehandelt haben könnte, zumal in anderem Zusammenhang von einer halachischen Entscheidung die Rede ist, die Rabbi Simlai in Antiochia gefällt hat66. Unter Umständen hängt diese seine Wirksamkeit an verschiedenen Orten mit seinen Reisen zwischen Palästina und Babylonien zusammen. '. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Aus dem Bericht des Josephus über die Episode von Hasinai und Hanilai geht hervor, daß es am Euphrat zwei wohlbefestigte Städte mit jeweils beträchtlicher jüdischer Bevölkerung gab, Nehardea und das nahegelegene Nisibis. Verschiedene Nachrichten aus der talmudischen Literatur deuten darauf hin, daß sowohl in Nehardea als auch in Nisibis weiterhin bedeutende jOdische Zentren waren. In Nisibis bestand um die Mitte des 2. Jh.s ein Studienzentrum unter Leitung von Rabbi Jehuda ben Betera. In Nehardea entstanden offenbar die beiden später für das talmudische Babylonien charakteristischen Institutionen: das Exilarchat und die Talmudhochschulen. Seit Ravs Übersiedlung von Palästina nach Babylonien im Jahre 219 n.Chr. bis zur Zerstörung der Stadt durch die Palmyrenser im Jahre 259 n.Chr. saß dort der Exilarch und bestand dort die erste unter den zentralen Talmud hochschulen Babylonjens. Nisibis könnte neben Nehardea weiterbestanden haben oder von ihm etwas zurückgedrängt worden sein, zumindest war es nach Rabbi Jehuda ben Betera kein bedeutendes Zentrum mehr. Jedenfalls wirft die Kombination der bei Josephus erwähnten Er604 yAZ 2,9 (41d); yShab 1,5 (3d); vg!. bAZ 363. Zu Datierung und ImplikationeIl dieser Verordnung siebe AJon, Jews (s.o. Anm. 32) Bd. 2, 735f; ders., Thc Lcvili~1 Undcan· ness of Gentiles, in: ders., Jews, Judaism and tbe Classical World. Sludics in Jewish History in tbe Time.s of tbe Seeond Temple and Talmud, JerosaJem 1977, 146-189. hier 156(. 6.~ An einer SteUe im babylonischen Talmud ....ird Rabbi Simlai als aus L..od slammend und in Nehardea ansäßig ausge....iesen (bPe.s 62b), in einer ähnlichen Aussage im Jt;:rU5alerner Talmud dagegen stebt zu lesen, er stamme aos Nebardea und silze .im Süden_ (yPes 5,3 (32aJ) - die Bezeichnung .Süden_ steht zu jener Zeil in der Regel synonym rur die Sladt Lod. 66 Siebe ~id 3,15 (64d).
N~honlLa
und Nisibis bei Jcn~phus
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eignisse mit den Belegen aus der talmudischen Literatur neues Licht auf die Wurzeln des talmudischen Babylonien. Einerseits wird die Bedeutung der babylonischen Diaspora in der Spätzeit des Zweiten Tempels unterstrichen, zum anderen wird deutlich, wie mächtig das jüdische Babylonien bereits vor Abschluß der Mischna in Palästina und Ravs Ubersiedlung nach Babylonien geworden war. unter anderem infolge des Scheiterns der Auflehnung gegen Rom in Gestalt der drei bekannten Aufstände: des Jüdischen Kriegs, des Diaspora-Aufstands und des BarKokhba-Aufstands.
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Wer salbt den Messias? Zum Streit um die Christologie im ersten Jahrhundert des jüdisch-christlichen Dialogs Peter Pilhofer. Münster Das im Deutschen als Fremdwort gebräuchliche »Messias« geht bekanntlich auf das hebräische 0'110 zurück, das sich von dem Verb n1l0 (salben) herleitet. Wo von einem [J''l'Q die Rede ist. liegt daher die Frage nahe, wer denn das f1WQ konkret vollzogen hat. Den Alttestamentler kann man mit dieser Frage nicht in Verlegenheit bringen. Mustert er sein (reiches) Material durch. so kommt er zu dem Schluß: »Als Subj.[ekt] der Salbung erscheint JHWH ..., Samuel ..., ein Prophet ...• ein Priester ... und eine Mehrzahl von Akteuren4
""0 I mäSab, ThWAT 5. 46-59, hier 49.
2 Striuig isl seit jeher, welches nun genau _messianische« Weissagungen sind. Das braucht uns hier jedoch nicht zu beschäftigen. J Im NT begepet nur die Fragestellung: noU 0 XPI.Ut6!; yE:VViltQl (Mt 2,4). .. Das Verbum xpUoJ begegnet zwar U 4,18; Apg 4,27; 10,38 und Hebr 1,9 in christologischem Zusammenhang, aber nirgendwo ist an den wirkJjch~n VCJtXWIg des Salbcns gedacht. Zutreffend bemerkt W.Bauer: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen üteratur, Berlin u.a.• durchges. Nachdt. der S., verb. und stark vermehrten Auß. 1971, 1754: .xplw ••. sidben in uns. Lit. nur in übertr. Sinn v. einer Salbung durch GoU«.
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Pe/er Pilhofer
zum Teil disparaten Materials5. Im Rahmen der Schürersehen Darstellung dieser Vorstellung begegnet dann auch der Satz: «Very occasionally the opinion is also expressed that Elijah is to anoint the Messiah»6. Bemerkenswert sind nun die dafür angeführten Belege, es sind deren vier: «[1.) Justin, DißI c. Tryph. 8 [.4J ... Ibid. 49 [.1) .... [2.J Cf. Klausner. The Me.ssianic Idea, p. 455; [3.J Vermes,Jesw the Jew. p. 138. [4.J Cf. also Jn. 1:31..7 Nun ist, um bei der Nummer 4 anzufangen., Joh 1,31 ersichtlich kein Beleg für die Vorstellung. wonach Elia den Messias salbt. Hier sagt Johannes der Täufer: KQy'" oin< i\Ii€lv aVt6v. au' lva +aV€PWOij 'Gi '1,,paiY. Ii.a ",01:0 1jAeov OOcnlllamiCwv, Nur wenn man schon weiß. daß es Aufgabe des Elia ist, den Messias anzukündigen. und gleichzeitig voraussetzt, daß der Täufer hier die Rolle des Elia spielt, kann man das +aV€PW9ij in diesem Sinne lesen. Die erstgenannte Voraussetzung hat jedoch an der frühen christlichen Tradition keinen Anhalt. Von einer Salbung ist io Joh 1.31 ohnehin keine Rede. Was sodann Beleg Nummer 3, das Buch von Vermes8, angeht, so zitiert Vermes zwar die JustinstelJe auf der genannten Seite, eine Interpretation der Stelle jedoch bietet er nicht. Ähnlich verhält es sich mit Nummer 2 der Schürerschen Liste, dem Buch Klausners9. Immerhin charakterisiert Klausner Justin als «a source that is non-Talmudic, but ancient and trustworthy»IO. Die Frage, wer denn den Messias salbe, wird also letztlich vom ludaisten an den Patristiker weitergereicht.
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Damit komme ich zu dem letzten bei Schürer genannten Beleg für die Vorstellung, wonach Elia den Messias salbt. Dieser Beleg findet sich in Justins Dialog mit dem Juden Tryphon. Bevor ich auf diese Schrift zu S E.Schürer: Tbc History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, cd. by G. Vermes ... , Bd. 2, Edinburgb 1979, hier 129 «Messianism. (S. 488-554). 6 Schürer / Vermes, History (s.o. Anm. S) 516. 7 Schürer I Vermes, History (s.o. Anm. S) 516, Anm. 9. 8 G. Vermes: Jesus the Jew. A Hislorian's Reading of the Gospels, London 1973 (Nachdruck Philadelphia 1981). 9 J. K1ausoer: Tbc Messianie ldea in Israel. From its Beginning to the Completion of the Mishnah, New York 1955. 10 Klausner, Messianic ldea (s.o. Anm. 9) 456.
Wer salbt dtn Messias?
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sprechen komme, sei eine Stelle aus der sogenannten zweiten Apologie des Justin angeführt, die geeignet ist, den Zusammenhang zwischen »Christus4C und Salbung zu erhellen:
.0 SE: ulOc; b:Eivou, " I'6voc; A€y"""voc; ""P1wc; ulOc;, " AaYoc; np6 T@V nO\~wv Kat O'\JVcA>V Kat Y€VvWJ!€voc;, ÖT€ ti}v cipxtiv lh' ooTtOV n6.vta €K'tLa€ Kat hOOJ.LT)lT€. XpI.UtcX; J.L€v KCXTcl TO K€xPtoSat Kat 1(00"J.LfiaCll Tci ruivta lh' crirt:cru TOV SOJV Atynal K't)..11. Sein Sob.n aber, der allein im eigenllieben SinD sein Sohn beißt, der Logos, der vor der Schöpfung bei ibm war und der gezeugt wwde, als Gott am Anfang durch ihn alles scbuf und ordnete, wird Cbristus genannt, weil er gesalbt ist und Gott durcb ihn das All ordnete usw. Die angeführte Stelle ist schwer zu versieben, vgl. Quo 214, Anm. 6. Quo übersetzt quia unctus est, ähnlicb G. Rauscben: .weil er gesalbt wurde_ 12 . Dann ist gemeinl: .der von Gott gesalbt ist_, wie Engclhardt sagt lJ . _But the construelion of the Greek, so rendered, is very awkward; and the sense is not good; Cbrist's bemg anoinled has not hing obvious 10 do wilh His part in Crealion. 11 is possible tbal Grabe and Othcrs are right in making I(E)(ploem bere active in meaning (like nrnmfla9o\ and other words), though I know of 00 parallel use of tbis word. Tbere is a <:lose connexion between );ptElV and 1(00" J.l([w. KooJ.l([lv cJearly beats., along wilh the lbought of order, tbe notioo of adornmeot; and for tbc use of )(plE:W in this sense d. Tbeoph. ad Autol. i 12, a passage which also suggests tbat etymological exactDess is not tO be expected in such cascs. And this use of 1(E)(p'W9m is the more possible, because the aelive form I(EXPUCEL1Q\ would be a <:Iumsy ward.• Dies ist der Kommentar Blunts zur StelJe14 . Dagegen spricht allerdings, daß es auch wiederum nicht naheliegt. jemanden XpwTb; zu nennen, weil durch ihn etWQS gesalb' wordtfl ist, zumal der SaLZ eben auf dk ErkJirung des Titels Christus zielt: XplU'tbl;: ... I(I'(Ö T6 1(f:)(pla9m ... >.iyuel:\ (dies gehl auch aus dem Zusammenhang eindeulig ber· VOf); in diesem Falle miißte der Titel eben Xpiwv und nicht Xpun6c; lauten! Auch ande· re Stellen bei Justin sprechen dafür, daß er an eine Salbung durch Gou denkt, vgl. im Dialog 38,4; 56,14; 63,4; 86,3. Von erheblichem Gewicht ist allerdings der Hinweis daraur, daß auch Irenäus so argumentiert: •... er führt einen Doppelnamen: in hebräischer Sprache Messia-Christus, und in unserer Sprache Jesus der Erlöser. Und diese Namen sind Be7.eichnungen bestimmter ausgdührter Werke. Er wird nämlich Christus genannt, weil der Vater durch ibn aUes gesalbt und geschmückt hat, und weil er bei seinem Ankommen
11 Justin, 2 Apol 6,3. Ich zitiere Justin nach der Ausgabe von Quo (Iuslini philosopbi et martyris opera, hrsg. v. I.C.Tb. QItO, in: Corpus apologetarum cbristianorum sacculi seeund~ Ode 1/1 und 1/2, Jena 31876 und 31877). Die (bei Quo noch rehlende) Paragrapbenz.äblung errolgt nach Goodspeed (Die iheslen Apologeten. Texte mit kurzen Einleitungen, hrsg.. v. EJ. Goodspeed, GÖltingen 1914, Nachdr. ebeoda 1984). 12 Die beiden Apologien Justins des Märtyrers, übers. v. G. Rauschen, in: Frühchrist· liche Apologeten und Märtyrerakten 1, BKV 12, Kempc.en 1913,55-155, hier 144 (= 90). JJ M.v. Eogelbardt: Das Cbristenlhum Justins des Märtyrers. Eine Unlersuchung über die ABrange der katholischen Glaubenslehre, Erlangen 1878., 174. 14 Tbe Apologies or Justin Martyr, ed. by A.W.F. Blunt, CPT 10. Nr.l, Cambridge 1911, 112..
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Peter PiJhofer
wie ein Mensch durcb den Geist Gottes und seines Vaters gesaJbt worden ist.«IS Doch die SteUe bei Irenäus ist keine genaue Parallele. Zum Trost fUr das sprachliche Empfinden des griechischen Lesers fügt Irenäus hinzu: _und weil er bei seinem Ankommen wie ein Mensch durch den Geist Gottes und seines Vaters gesalbt worden ist.« Dadurch ist das Xp1,O"'[6l; bei Irenäus gereuet. DesbaJb nebe ich die Rauscbenscbe Interpretation des Juslintextes vor, auch wellO letzte Sicherheit nicht zu gewinnen ist 16 .
Es hat also den Anschein, als denke Justin zwar an einen wirklichen Vorgang, aber eben an einen Vorgang n,v QpXTtv, d.h. am Anfang der Schöpfung. Eine ganz andere Vorstellung begegnet an der bei Schürer aus dem Dialog angeführten Stelle, wo Tryphon dem Justin vorwirft:
XpI
IS Des heiligen Irenäus Schrift zum Erweise der apostolischen Verkündigung, EI I Em6.E1::::IN TOY AHOITOAlKOY KHPyrMATOI:, hrsg. v. K. Ter-Mckerttschian ..., TU 31,1, leipzig 1907, 53 (S. 30). Vgl. auch die Übersetzungen von S.Weber (Des Heiligen Irenäus Schrift zum Erweis dcr apostolischcn Vcrkündigung. übers. v. S. Weber, in: Des Heiligen Irenäus ausgewählte Schriften 11, BKV 4, Kemplen 1912, 621 I'" 391) und L.M. Froidevaux (Irtnte de Lyon: Demonstration de la prtdication aposlolique, trad. p. L.M. Froidevaux, SC 62, Paris 1959, 114). Froidevaux weist in einer Anmerkung z.St. auf die ParaJlele bei Justin hin und spricht sich rür die Konjektur Scaligers, wonach bei Justin staU kEXPL09cu v;elmehr kai XPIOal zu lesen wäre, aus. 16 Im Jahr 1987 erschien eine neue zweisprachige Ausgabe der Apologien des Justin von A. Wartelle (Saint Justin: Apologies. Introduction, texte critique, traduclion, commenta ire et index, ed. p. A. Wartelle, EAug, Paris 1987). Was die Konstituierung des Textes angeht, stellt Wartelle sich dar als ein Goodspeed redivivus (zu Goodspccds Politik vgl. P. Pilhofer: Harnack and Goodspeed. Two Readers of Codex Parisinus Graccus 450, The Second Century 5 11985/1986), 233-242, besonders 233). Die Genauigkeit seincr Kollation rührt nicht wesentlich über die der Goodspcedschen hinaus (vgl. die Angaben bei Pilhofer, Harnack, 240-242, die - von einer Ausnahme abgesehen - sich bei Wartelle im Apparat nicht finden). Vorschläge zur Emcndation - etwa die von W. Schmid (Die Tcxlübcrlieferung der Apologie des Justin, ZNW 40 (1941 1,87-138), werden im App::.ral erst gar nicbt berücksichtigt. Für den Text der Apologien des Justin stellt die Ausgabe WartelIes in keiner Weise einen Fortschritt dar. Dies bestätigt sich auch in dem vorliegenden Fall: Zu der diskutierten Stelle findct man weder im Apparat noch im Kommentar einen Hinweis auf die Parallele bei Irenäus. 17 Justin, DiaJ 8,4.
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Wt'T salbr tkn Mtssias?
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Dies ist nicht irgend eine beliebige Stelle aus dem Dialog; vielmehr handelt es sich hier um eine Passage, der schon aufgrund ihrer Stellung zentrale Bedeutung zukommt. Denn vor den lteigentlichen« Dialog hat lustin bekanntlich ein ausführliches Prooemium gestellt, das - grob gesprochen - die Kapitel I bis 9 umfaß,18. Nach der langen Erzählung des lustin kommt in Kapitel 8 zum ersten Mal der jüdische Gesprächspartner wieder l9 zu Wort. Dessen Ausführungen gipfeln in den oben zitierten Sätzen. Tryphon vertritt die Meinung, Justin hätte besser bei der platonischen Philosophie bleiben sollen, statt Christ zu werden. Denn der Übergang zum Christsein 20 bedeutet nicht weniger als vollkommene Hoffnungslosigkeit: KataAlTtOvtt f>€ 'tov B€ov Kat €lc; äv9pwnov €Arttaavtl noia e-rt n€plA€ln€'tQt aw't'l'ia;21 Zur Untermauerung seiner Behauptung, daß lustin seine Hoffnung auf einen Menschen setzt, führt Tryphon dann den oben zitierten Vorwurf an, daß die Christen sich selbst einen Christus zurechtmachen. Denn der Messias kann Jesus nicht gewesen sein; noch ist Elia nicht erschienen, um jemanden zum Messias zu salben und ihn bekannt zu machen. tl Die Kapitel 8 und 9 bilden den Übergang zum _eigentlichenc Dialog. wie aus den Regieanwei5ungen zu Beginn von Kapitel 8 und 3m Ende von Kapitel 9 hervorgeht. Diesen beKien Kapiteln kommt daher für die Komposittoo des Dialogs eine außerordenllich wichtige Rolle zu. 19 Trypbon baUe zulet1J in 1,6 gesprochen. Von 2,1 ab hielt Justin einen Monolog. 10 Juslin lißt den Trypbon diesen Übergang in außerordentlich krasser Weise m:ukieren. Es wird deut.lich: Anhänger der platonischen Philosophie zu sein ist etwas grundsätzlieb anderes als Christ zu sein. Die Theorie Heinrich DörTies. wonach christliche Autoren den Gegensatz zwischen christlichem Glauben und platonischer Philosophie bewußt verschleiert häuen, trifft demnach jedenfalls für Justin nicht zu. Dörrie sagt: _Keineswegs aus Unvermögen - etwa weil man die subtilen Gedankengänge platonischer Fundamental-Theologie nicbt durchschaut hätte - sondern auf Grund einer Vorentscheidung ... sind ... die "";chtigsten Kontroverspunkte nicht markant zur Geltung gebracht, sondern - man muß es schon so nennen - halb versteckt worden.oe (H. Dörrie: Die Andere Theologie. Wie stellten die frühchristlichen Theologen des 2.-4. Jahrhunderts ihren Lesern die .Griechische Weisheitc ( .. den Platonismus) dar?, ThPh 56 (1981),1-46, Zitat 22. Die Überschriet greift etwas zu weit, denn JUSlin beispielsweise wird nicht gewürdigt.) Die Behauptung vollends. bei Augustin finde sich .die einzige Stelle in der antiken Literatur, an welcher der fundamentaJe Unterschied dadurch bezeichnet wird, daß das .Mehr.., das christliche Verheißung bietet, in klarer Abgrenzung auf die Waagschale gelegt wird.. (a.a.O. 42), erweist sicb als unzutreffend, denn die oben zitierte Stelle aus dem Dialog Jusüns 1ut eben dies: sie b~(c1 eine klare Abgrenzung. und das .Mehrc - im Munde des jüdischen Gegners erscheint es freilich als ein -Weniger- - wird eindeutig benannt. Justin läßt seine Leser nirgends darüber im Unklaren, daß bier eine echte COflVf!f$io not\\.'Cndig
"'.
2t J USlin, Dlal 8,3.
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Peltr PiJhole,
Nach der Auffassung des lustin hat Tryphon hier den zentralen jüdischen Vorwurf gegen die Christen formuliert. Aber ist die Begründung des Vorwurfs wirklich eine jüdische? » ... daß Eliah, der Prophet, dem Messias als Herold vorangehen müsse, findet sich nicht bloß in zahlreichen Agadoth, sondern gilt auch in der Halacha als unumstößlicher Satz ... Hingegen darüber. daß der Messias von Eliah gesalbt werden müsse, findet sich kein Wort. Es ist dies eine Hypothese lustin's ... An solchen 1"thümem ist bei Justin kein MangeL «12 Dieses Urteil Goldfahns beruht auf einer zutreffenden Beobachtung: Es gibt offenbar keinen Beleg für diese Vorstellung vor der Zeit des Justin. Aber ist deswegen schon der Schluß berechtigt, daß es sich um eine »Hypothese Justin's« handelt? M.E. ist der Schluß verkehrt; vielmehr läßt sich zeigen, daß die Vorstellung, daß erst Elia kommen müsse, um den Messias zu salben, jedenfalls keine Erfindung des lustin ist. Dies geht aus Kapitel 49 des Dialogs mit hinreichender Sicherheit hervor. In Kapitel 49 trägt Tryphon seine Meinung noch einmal vor und kommt zu dem Ergebnis: fK OC TaG /-l"oc 'HAlaV fA,.y.v8fvtlt OUOf TaG'tov [sc. 'tov Xpl
22 A.H. Goldrahn: Jostinus Martyr und die Agada, MGWJ 22 (1873), 49-60.104115.145-153.193-202.257-269, Zitat 194 (Hervorhebung vOn mir; im Original ist I.bgcgcn gesperrt gedruckt _in der Halacha«). 2J Justin, Dia149,1. 14 Justin., Dial49,2. 25 Ebd. Justin zjtiert irrtümlich .zaeharias« (oux.1 . HAiov ."aiv (} AbyOl; olil Zox.opiO\l iMUaEo6m K'tA.); gemeint ist die Stelle Maleachi 3,23LXX. 26 Justin., Dia149,J. 27 Johannes ist Thema des Gesprächs bis Dial 54.
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W~r salbt
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tUn Menja.s?
hauptet Justin nicht1S. Es wäre daher m.E. geradezu absurd, wollte man mit Goldfahn annehmen, Justin habe diesen Zug zunächst selbst erfunden, habe diese seine Erfindung sodann seinem Gegner in den Mund gelegt, um schließlich nicht in der Lage zu sein, dagegen etwas vorzubringen. Es handelt sich vielmehr um eine jüdische Vorstellung, die offenbar für das jüdisch-christliche Gespräch nicht ohne Bedeutung war. Denn die Christologie stand von jeher im Zentrum eines solchen Gesprächs. »Wie alt die von Justin bezeugte Vorstellung ist, wissen wir nicht. Man darf nicht vergessen, dass gerade die Existenz eines christlichen Messiasglaubens die jüdische Gelehrsamkeit und Spekulation über den Messias sehr stark belebt haben wird.«29 ••
11
In der Tat gibt es ein Indiz dafür, daß jedenfalls eine Vorform der durch Justin bezeugten jüdischen Vorstellung schon im Judentum des ersten Jahrhunderts n. ehr. gängig war. Dieses Indiz findet sich im Markusevangelium. Nach der Verklärung Jesu und dem sich anschließenden Schweigegebot sprechen die Jünger die folgende merkwürdige Frage
28 E. Bammel zufolge ist die .Taufe als eine Salbung durch Elias_ das IOHerLSlück der Argumeotatton gegen Tryphon_ (E. Bammel: Die Täufertraditionen bei Juslin, Sludia Patrisüca 8,2ITU 93), Berlin 1966,53-61, Zitat 58). O. Skarsaune meint dazu: _Bammel sums not to have notic:ed that Justin Bever pins down IM .Herzstück.. (0. Sbrsaune: The Proor from Prophecy. A Study in Justin Martyr's Proof-Tc.xl Tradition, in: Text-Iype, Provenaoce, Theological Profile, NT.S 56, Leiden 1981, 196 Anm. 47). Die Polemik ist nicht ganz unberechtigt. Man könnte Bammels These allenfalls mit der (in der T<.lt be· gründeten) Vermutung stülzen, daß eine einschlägige Passage der Überlieferung zum Opfer gefaJlen sei. Denn vieles, was ursprünglich im Dialog gestanden hat, fehlt heute. (Lücken begegnen im Dialog bekanntlich des öfteren. Erstens fehlt der Anfang des Buches, der die Widmung an Markus Pompeius enthaJten haben muß, wie die Anreden an den Widmungscmpranger in 8,3 und 141,5 zeigen. Zweitens klafft eine große Lücke zwi· schen 74,3 und 74,4, in die der Wechsel vom ersten zum zweiten Tag der Diskussion fällt, auf den im zweiten TeiJ häufag zurückverwiesen wird. DritteIlS sind nicht selten Schriftzilaie, die einem Abschreiber zu lang erscheinen mochten, gekürzt. Schließlich finden sich Rücleyc:rweise auf Stellen, die man im jetzigen Textbesland vergeblich sucht, vgl. elwa 56,18; 67,5; 79,1; 79,4 u.ö.) So ist die Annahme nicht abwegig, daß auch in diesem Fall eine Passage ausgefallen sein könnte. Es könnten hicr sogar dogmatische Gründe cine Rolle für das absichtliche Fortlassen gespielt haben. 29 W. Wrede: Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen "1969, 212.
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Pt/er Pilhofer
aus: Ö1:l A€yOU'7lV ol ypaj.l",""EU; Ö1:l 'HAlav &1 €AeElv npOitOV;30 Im Rahmen einer innerchristlichen Debatte ist diese Frage nicht angemessen verstehbar. Sie ist dagegen sehr gut verständlich, wenn sie jüdischen Kreisen entstammt. An der Fragestellung M,31 AEyoUO'lV 01 ypaj.ll"Xl'EU; MI 'HAIaV &1
€A8Eiv np@'tov; ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen ist die These der Schriftgelehrten in Anlehnung an das AT (genauer: an Maleachi 3,23) fonnuliert; zum andem wird der Sinn der zugrundeliegenden SchriflStelle durch die Hinzufügung von &1 und npWtov verändert32 , Bei MaJeachi erscheint Elia als der Vorläufer Jahwes, genauer als der Vorläufer der ilI-l':pa ""Plou (hehr, ~)~~ Dl'), Dieser ursprüngliche Sinn der Aussage wird verändert, indem das. nplv EX6E'lv ivJipav ,,'tA. wegge· lassen und statt dessen np@'tov eingefügt wird. Bezugspunkt für np@'tov kann die fv.,Ltp<X KUPtov nun nicht mehr sein. Abgesehen davon, daß dann
1\utpa Kvpiov sinnvollerweise hätte im Text stehen bleiben müssen, gilt es zu bedenken, daß die ivJ.tpa: kupiou - im Sinne des i11i1~ Cll - kein Streitpunkt war, der entweder innerchristlich oder im Rahmen des jüdisch-christlichen Gesprächs von Belang gewesen wäre. Strittig ist nicht die iuJ.tpa kuplou - sie wird, soweit ich sehe, nirgendwo diskutiert -, strittig ist die Messianität Jesu. Nimmt man den Messias als Bezugspunkt, dann macht das np@'tov den Elia sozusagen aus einem Letzten zu einem Vorletzten. Aus dem Vorläufer des Tages des Herrn wird mittels dieses Wortes ein Vorläufer des Vorläufers, genauer: ein Vorläufer des Messias. Die polemische Absicht dieser Aussage erhellt aus dem OE"t Erst muß Elia der Vorläufer kommen, dann kann der Messias erscheinen - das ist der Sinn der Behauptung, die die Jünger aus dem Munde der YpaJJ.J..LU't"E"U; zitieren. Dies kann aber - wenn überhaupt - allenfalls eine jüdische Behauptung sein. Denn innerchristlich ist dies ein nicht erJO Mk 9,11. Auf die ParalleUassung in Mt17 nimmt Justin in dem oben bch,lIldelten
Kapitel des Dialogs Bezug. 31 Das ön ist mit .warum« zu übersetzcn wie in Mk 9,28 und 2,16, vgl. C.F.D. Moule: An idiom book or New Testament Greek, Cambridge 1953 (21963), 159. 32 Bei Aland ist die gesamte Aussage 'HAiov bf:i i>.9Ew npW'tov kursiv gesetzt und dadurch aJs Zitat gekennzeichnel (E. Nestle / K. Aland (Hrsg.): Novum Tcstamcntum Graece, Stullgar1: 26,9 1987, 118; so auch in K. Aland (Hrsg.(: Synopsis qualluor cv:lngcliorum, Stullgart 13 1985,239). In Maleachi 3,23 (LXX) begegnet jedoch weder bEi noch npW'[()v, vielmehr heißt es dort: KM iboU tyW cinocn:tllw UJ.lW HAiov '[Oll 8€oßiu!V nplv U9EÜll\)I.tpalllCupiou rllv J.l€yM1)V lCOi m+-"i. Der Ausgabe "On Ziegler zufolgc gibt es auch keine varia teetio, die etwa statt des npu,. ern npW'tov läse (Duodecim prophctae, cd. J. Ziegler, rn: Septuaginta. Vetus Teslamentum Graecum, Bd. 13, Göningcll 1943, 339). Man soUte also heuer von einer Anspielung und nicbt von ernem Zitat sprct:hcn. (Übrigens bat weder bEi nocb npW'[()v ernen Anhalt am masoretischen Text.)
Wer smbt ~n Musias?
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klärbares Ansinnen. uest man die Behauptung der yP"l'l"'t€it; aber als jüdische Polemik gegen das christliche Bekenntnis: Jesus ist der MessiasD , dann ergibt sie einen guten Sinn. In diesem Zusammenhang bedeutet 'HAlav &1 tAO€lV np@1:ov: Jesus kann nicht der Messias (gewesen) sein. denn Elia ist nicht gekommen, also ist auch der Messias nicht erschienen34. Eine jüdisch-christliche Kontroverse über die Messiasfrage ist also für diesen Text das, was Neutestamentler gewöhnlich den Sitz im Leben nennen. Nicht ein Ereignis aus dem Leben Jesu. wie Wohlenberg35 und Zahn36 meinen. sondern eine Diskussion der christlichen Gemeinde mit jüdischen Gesprächspartnern, die die Prophezeiung aus Maleachi bezüglich des kommenden Elia in ihre Messiasvorstellung eingebaut haben möglicherweise aus aktuellem Anlaß und jedenfalls mit polemischem Zweck, ist der Hintergrund, auf dem die Perikope des Mk verstanden werden muß37. 33 _Die Schriftgelehrten ... sind bei Mk Geguer ln Fragen der i(oualo: Jesu, und d.b. selner christologischen Legjtimation, und sie sind offenbar die gegenwärtigen Konfliktpartner der Gemeinde des Mk auf jüdischer Seile. Anknüpfend aII die Erwähnung des Elia ln 4f bringt Mk also an dieser Stelle die Wtderleguog eines aktueUen Einwandes gegea die: Christologie unler•• sagt Dieter Lührmann (Das Markusevangelium, HNT 3, Tübiagen 1981, 157); ob die Sune _daher auf die markiaiscbe Redaklion zurückgeben. wird. wie Lührmann (ebd.) melnl, kann in diesem Zusammenhang unentsclUedcn blei. ben. ZUm Problem der ~J.lau:"ir; im Mk vgI. auch ders.: Die Pbarisier und die Schriftgelehrten im Markusevangelim, ZJtiW 78 (1987).169-1&5. Lührmann kommt zu dem Ergebnis, _daß für Mk die Scbrutgelehrten aktuelle Konfljktpartner auf jüdischer Seite sind, oUch. die Pharisäer. (•.•.0. 185). 34 Lührmann meinl, der jüdische Einwand _beziebt sich "Neder darauf, daß Jcsus als Menscbeasoba kommen wird, olme daß ibm ... Elia dabei vorausgebt ...• noch darauf, daß die VerwenduD8 des )(p1.CTt:6c;-Titels für Jesus ... u.aangebracht wire, so lange Elia nicht gekommen ist. Vielmebr wird die Elia-ErwartuD8 gegen die Erwartung des Menschensohns Jesus gestellt; npW'tov bat in der Wiedergabe der Melnung der Scbriftgelehrten exklusiven Slnn: nicbt der Menschensobn, sondern Elia kommt vor dem 'Tag des Herrn'. (Das Markusevangelium. 158). Diese Interpretation stebt m.E. in Spannung zu der in Anm. 33 zitierten Aussage Lübrmanns, derzufolge es hier um die christologische legitimation Jesu geht. Denn nacb dieser Interpretation mUßte man das ~tOV eben doch auf die fu.,ttpa Kupiou beziehen, was, wie OOco im Text gezeigt, zu Schwierigkeiten fUhrt. M.E. liegt es (auch im Sinne der in Anm. 33 zitierten Aussage Lübrmanns) näher, die Messiasproblematik als Ausgangspunkt zu nehmen. 15 G. Woblenberg; Das Evangelium des Markus, KNT 2, Leipzig 1910. 246f. J6 Tb. Zabn: Das Evangelium des Mauhäus, )(NT 1, Leipzig )1910. 562. 37 Die Analyse R. 8ultmanns (Die Ge.scbichte der synoptiscben Tradition, FRlANT 29, GÖltingen 11970. 131f), wonach das Stück Mk 9,11-13 ursprünglich _die Fortsetzung VOll V. 1. gewesen se~ _voo dem es Mk durcb die dazwisc.beo gc.scbobene Verklärungsgeschicbte V. 2-10 getrennt bat. (a.a.O. 131). Uno ich nicht nachvollziehen, da ich keiDCn plausiblen gedanklicben Zusammenhang zu V. 1 berzustellen vermag. Noch weniger leucbtet mir die Entslehung -aus den tbcok>gisc.ben Debatten der Gemeinde_ (ebd.) ein.
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Peler PiJhofer
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Zwei Stufen des jüdisch-christlichen Gesprächs zur Christologie sind also noch zu erkennen. Sie fanden ihren literarischen Niederschlag bei Markus und im Dialog Justins. Von jeher wurde die christliche Behauptung, in Jesus sei der Messias schon gekommen, von jüdischer Seite bestritten. Ein Argument, das offenbar schon sehr früh gegen diese christliche Behauptung vorgebracht wurde, war das Ausbleiben des Vorläufers Elia. Dieser Einwand wird er·
kennbar hinter der markinischen Formulierung: ö'tt AEYO\X1lV ol ypaJJ.)JlIt€\.c; ÖLt 'lUiav &1 €X9€tv np6hov; Die Antwort auf diesen Einwand - auch das ergibt sich aus Markus - war: Der Vorläufer Elia ist (in Johannes dem Täufer) schon erschienen38. Wo man diese Voraussetzung nicht teilte - das ist bei Lukas der Fall -, mußte man die Perikope konsequenterweise gänzlich streichen. Die nächste Phase dieses jüdisch-christlichen Gesprächs kann nicht mehr rekonstruiert werden39. Erst der Dialog Justins, knapp 100 Jahre später, gibt wieder Aufschluß über den Stand der Debatte. Der jüdische Einwand ist nach wie vor derselbe: Elia muß vorher kommen; aber im Vergleich zu Markus ist er nun breiter ausgeführt und besser begründet. Diese Begründung besteht darin, daß die Funktion des Elia als Vorläufer nun präzisiert ist: Er soll den Messias erstens salben und zweitens der Welt bekannt machen. D.h. die messianischen Ereignisse sind auf Elia unbedingt angewiesen. In dieser Form ist der Einwand aus christlicher Sicht wesentlich schwerer zu widerlegen. Selbst Justin gelin~ es nicht, den Vorwurf der fehlend~n Salbu.ng zu entkräften. Aus jüdischer Sicht bleibt also Mitte des zweiten Jahrhunderts immer noch die Frage: Wer salbte den Messias? Sie ist allerdings eine rhetorische Frage, denn eben weil Jesus die Salbung fehlt, kann er nicht der Messias sein. Aus jüdischer Sicht muß es also bei der Formulierung bleiben, die Tryphon einmal gebraucht: OU1:O<; 0 V~(P<><; A(Y0f"VO<; Xpt.a't6c;40. Tryphon - und mit ihm jeder Jude - wird weiterhin sagen CYtl
oc
BuitmanD setzt voraus, daß schon die Frage in V. 11 auf Johanues den TäuCer zielt; wie ich oben gezeigt habe, ist diese Annahme keineswegs erforderljch. 38 Mt setzt verdeullichend den Namen des Jobannes - der bei Mk noch Cehlt - hinzu. 39 Die Bearbeitung der Perikope durch Mt läßt keinen Fortschritt dJ!S jüdUch·dlfistlicMn Gesprllchs erkennen. Sie ist aUerdi~ lUr die Antwort des Justin in Dial 49 'Ion Bedeutung. 40 J'IMin, Dial32,1.
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Wer so/bI den Messias?
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5€ oVttX; €CTttV ())daß euer Jesus der Christus ist«41), em6&t(ov iv.üv42, worauf Justin antwortet: imOOEOEtK"tat)J.€v i1Brl ... "tOU; w-ra EXOuat ... 43, Bleibt abschließend nur zu fragen: Hat sich die Diskussionslage seilher eigentlich verändert? •
41 So die Übersetzung der Stelle von Ph. Haeuser (Des Heiligen, Philosophen und Martyrers Justinus Dialog mit dem Juden Tryphon, übers. v. Ph. Haeuser, BKV 33, Kempten 1917, 59). 42 Justin, Dial39,7. 43 Justin, Dia! 39,8.
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Hieronymus und die Juden seiner Zeit Günter Stemberger. Wien Angesichts der umfangreichen Literatur zu Hieronymus verwundert zuerst die Feststellung von P. Jay, daß Hieronymus der arme Verwandte der patristischen Forschung sei und trotz neuerer Studien «I'un des Peres latins les plus mal etudies» bleibe 1. Doch ein genauerer Blick auf die Hieronymus-Literatur bestätigt dieses Urteil. Anders könnte man sich die Diskrepanz der Meinungen in einem scheinbar so viel untersuchten Gebiet wie dem der jüdischen Kenntnisse des Hieronymus nicht erklären. Seine Aussagen über Juden, jüdische Tradition und hebräische Sprache sind schon wiederholt gesammelt worden2. Im allgemeinen gilt er als der große Kenner der hebräischen Sprache wie auch der jüdischen Traditionen und Lebensverhältnisse im Palästina seiner Zeit. So haben z.B. in neuerer Zeit J. Braverman und J. Schwartz seine Schriften verwertet3. Demgegenüber hat schon G. Bardy4 nachgewiesen, daß so manche jüdische Traditionen bei Hieronymus aus der früheren Literatur, vor allem Origenes und Eusebius, übernommen sind 5; die zahlreichen Hinweise auf jüdische Lehrer seien daher weithin literarische Fiktion. Auch die Hebräisch-Kenntnisse des Hieronymus werden neuerdings vielfach angezweifelt: So hat z.B. schon J. Barr die aktive Sprachkompetenz sehr
I P. Jay, L'extgese de saint Jträme d'aprts son ocCommenlaire sur lsaie_, Paris 1985, 11. 1: Dazu siebe die (nicbt vollständige) Bibliographie yon J.R. Baskin, Rabbinic-p.atristic
Exegelical ContaclS in Late AntiquilY. A Bibliographical AppraisaJ, in: Appro.aches to Ancient Judaism, ed. by W.S. Green, Bd. 5, 8rown Judaic Studies 28, Allanta 1985,53-80. J J. Braverman, Jerome's Commentary on DanieJ. A Sludy of Comparative Jewisb and Cbristia.o Inter-pretations cf tbe Hebrew Bible, Washington 1978 (siebe dazu die ma· tuialreicbe Rez.ellsion von D. Satran, Tarbiz 52 (19fD./3) 145-153); J. Scbwartz, Jewisb Settlement in Judaea After tbe Bar-Kocbba War UntiJ tbe Arab Cooquest. 135 C.E.--640 C.E. (hebr.), Jerusalem 1986, 195-200 (leicbt überarbeitet gegenüber: Jerome and tbe J,ws cf JudK.> (b,b,.), ZOon 47 (1982) 186-191). .. G. 8ardy, Saint Jtrame et ses maitres htbreux, RBen 46 (1934) 145-164. S Vereinull haben auch sehon Frühere, Me z. B. G. GrÜlZmacber, HieroDymus. EiDe biographische Studie zur alten Kirchengeschichte, 3 Bde, Leipzig 1901-1908, Nachdr. Aalen 1969, auf solche Übernahmen aufmerksam gemacbt, so 2.B. 8d.I, 188, wo er jedoch Hieronymus eiDe Verwechslung zugute hilt.
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Ganler Srem~tger
zurückhaltend beurteilt 6; E. Burstein meint, er habe trotz grober Fehler zumindest passive Kenntnisse des Hebräischen gehabt, einen schriftlichen Text flüssig lesen und hebräische Formen erkennen können 7 ; P. Nautin hat zuletzt gar festgestellt, ltdaß er diese Sprache praktisch kaum kannte. Wenn immer er in seinen Kommentaren oder anderen Werken den transkribierten hebräischen Text zitiert - und das tut er oft - oder Anmerkungen zur hebräischen Sprache macht. verdankt er die jeweilige Information seinen QueUen (Origenes. Eusebius, vielleicht auch Acacius v. Caesarea); sobald er sich jedoch von den Quellen entfernt, ist alles rei· ne Erfindung.a. Hier geht es mir nicht um eine sprachliche Untersuchung der Werke des Hieronymus, sondern um die allgemeinere Frage seiner jüdischen Informationen, wobei natürlich die Sprachfrage auch eine wichtige Rolle spielt. Selbstverständlich ist hier keine umfassende Untersuchung des Themas, sondern nur eine Problemanzeige möglich. Es geht um die Brauchbarkeit der Schriften des Hieronymus für die jüdische Geschichte und Traditionsentwicklung in einer Zeit, für die es sonst nicht sehr viele nichtjüdische Quellen gibt.
I. Die Zeil vor Bethlehem
Um 372 machte sich Hieronymus auf die Reise nach Jerusalem, blieb jedoch in Antiochien, wo er im Sommer 373 ankam, hängen; dort bzw. unter den christlichen Einsiedlern in der Wüste Chalkis verbrachte er die nächsten Jahre, ehe er 379 oder 380 nach Konstantinopel reiste9. In Antiochien studiene Hieronymus Griechisch; doch hat er in der Wüste Chalkis auch etwas Syrisch (Aramäisch) gelernt. um sich mit den Mön· chen verständigen zu können; ob er sich zusätzlich mit Hebräisch befaßt hat, geht aus seinem um 406 geschriebenen Rückblick nicht explizit her6 J. Ban, St. Jerome's Appreciation of Hebrew, BJRl49 (1966/67) 281-302; dcrs., St. krome ud tbe Sounds of Hebrew, JSSI t2 (1967) 1-36. 1 E. Burslem. La comptlence de J~röme CD htbreu. Explicalion de cerlaincs erreurs., REAug 21(1975) 3-12. a P. Nautin, Art. Hieronymus, TRE 15,304-315, hier 309. 9 J.N.D. KeUy, Jerome. His life, Writings and Controversies., London 1975.36-45. P. Nautin, Hieronymus (s.o. Anm. 8) 304. i.sl binsichllich des Aufenthalts des Hieronymus iD der Wüste ziemlich skeptisch und vermUlet, daß Hieronymus die Briefe darüber crsl nach 387 geschrieben und rückdaliert hat. Doch zumindest Anfang 379 babe er in einem Dorf am Rand der Wüste nabe einer Möncbskolonie gelebt. Somit ist auch gegenüber diesen Texten jedellfalls Vorsichl am Platz.
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Hieronymus und die Juden seiner Zeit
349
vor: «fratri, qui ex Hebraeis crediderat, me in disciplinam dedi, ut ... alphabetum discerem, stridentia anhelantiaque uerba meditarer ... et gratias ago domino, quod de amaro se mine litterarum dukes fructus capio» (Ep 125,12, eSEL 56,131) 10. Auf die mühseligen Anfänge seiner Spr.ehstudien blickt er auch im Prolog zu Daniel ll (im Jahr 394 veröffentlicht) zurück. Wann immer er aufgeben wollte, «adhortante me Hebraeo et iIlud mihi sua lingua crebrius ingerente. 'Labor omnia vieH inprobus' [VergiI!], qui mihi videbar sciolus inter eos, coepi rursum discipulus esse chaldaieus. Et ut vere fatear, usque ad praesentem diem magis possum sermonem chaldaeum legere et intelligere quam sonare)). I. Opelt bezieht diesen Text auf das Jahr 374, also auf den Aufenthalt in der Wüste Chalkis 12 . Demnach müßte man im »Hebräer« einen Judenchristen verstehen, der ihm Aramäisch (oder Syrisch) beigebracht hat. Wieviel er damals wirklich lernen konnte, hängt natürlich von der Länge seines Aufenthalts ab, aber auch von den Qualifikationen seines judenchristlichen Lehrers. War seine Muttersprache Aramäisch oder gar Griechisch (wenn er etwa aus der Gegend von Antiochien stammte)? Ob er auch Hebräisch sprechen konnte, ist zu bezweifeln; seine Kenntnisse dürften wohl kaum über die Lektüre der Bibel hinausgegangen sein. Um 381 schreibt Hieronymus aus Konstantinopel oder Antiochien an Papst Damasus und beruft sieh dabei für die Auslegung von Jes 6 auf einen Gewährsmann: «quidam, a quo ego perplurima didicisse me gaudeo et qui Hebraeum sermonem ita elimarit, ut inter scribas eorum eh.ld.eus .estimetur» (Ep ISA, 10, eSEL 54,S61). Ist dies derselbe Judenchrist, bei dem er die Anfangsgründe der Sprache erlernt hat? Daß dessen Hebräisch so ausgefeilt ist, daß er bei ihren Schriftgelehrten als Chaldäer gilt, ist eine auffällige Formulierung, läßt jedenfalls nicht auf einen Mann schließen, dessen Muttersprache Hebräisch ist. Oder soll hier Hebraeus senno gar Aramäisch bedeuten 13? Derselbe Mann ist es dann wohl auch, den Hieronymus kurz darauf (Ep ISA,15, eSEL 54,93) zitiert: «.udiui ego hoe in 10eo non p.ru.m Hebraei mei disputationem». Was Hieronymus von seinem Hebräer ge10 Für die Datierung der Briefe stülze ich mich i.a. auf G. GrÜl7.macher, Hieronymus (s.o. Anm. 5) Bd. I, 99f. 11 8iblia sacra iuxta Vulgatam Versionem ... rec. R. Weber, Bd. 2, SlUtlgart 1969,
p.44. 12 I. Opelt, San Girolamo e i suoi maestri ebrei, Aug. 28 (1988) 327-338, hier 332. 13 Daß Hieronymus in der Wüste Chalkis nicht Hebräisch, sondern Syrisch gelernl hat, belonl auch J. Barr, St. Jerome's Appreciatioß (s.o. Anm. 6) 286f, der aber auch zu Recht darauf hinweisi, daß er damit wohl niebl sehr weit gekommen ist: Sonst häUe ihm das Aramäisch von Daniel und Tobil nicht solche Schwierigkeilen bereitet.
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Günler Stemberger
hört haben will, stammt, wie G. Bardy gezeigt hat, in Wirklichkeit aus Origenes 14 . Schon zu dieser Zeit kann man sich also auf Hieronymus nicht verlassen, wenn er von seinen jüdischen Informationen spricht. Immerhin scheint Antiochien mit seiner großen jüdischen Gemeinde, aber auch den zahlreichen Judaizanten in der christlichen Kirche für einen an jüdischen Traditionen interessierten Mann eine ideale Stadt gewesen zu sein. Die jüdische Gemeinde stand, wie wir aus Libanius (Ep 1097 und 125Jl5) wissen, unter Kontrolle des Patriarchen in Tiberias; ob das Judentum der Gemeinde rabbinisch geprägt war, ist aber damit noch nicht gesagt l6. Auch während seines Aufenthalts in Konstantinopel mag Hieronymus jüdische Informationen gesammelt haben, wobei auch hier, abgesehen von literarischen Quellen wie Origenes, primär an Judenchristen zu denken ist. Auch wenn wir bis zu diesem Zeitpunkt keine eindeutige Information über Hebräischstudien des Hieronymus haben, b'ehauptet er jedenfalls schon genügend Hebräisch gelernt zu haben, um während seines Aufenthalts in Rom (382-385) die frommen adeligen Damen seines Umgangs darin unterrichten zu können (Ep 39,1 eSEL 54,294; Ep 108,26 eSEL 55,3441). Schon der bloße Gedanke, daß römische Frauen damals Hebräisch lernten, um die Psalmen in der Ursprache rezitieren zu können, ist so ungewöhnlich, daß er zumindest die Begeisterung des Hieronymus für die Sprache der Bibel beweist. Daß seine Sprachkenntnisse jedoch, jedenfalls nach heutigen Kriterien, alles andere als überragend waren, geht deutlich aus Briefen jener Jahre hervor, in denen er einzelne hebräische Wörter oder die Namen der Buchstaben des hebräischen Alphabets erklärt t7 . Hieronymus war sich seiner Ausnahmestellung wohl bewußt. Auf eine Anfrage Marcellas, was gewisse hebräische Ausdrücke 14 G. Bard)', Saint Jtröme (s.o. Anm. 4) 148-150. Er datiert den Brief in das Jahr 379 und lokalisiert ihn in Konstantinopel. 15 Ubanii Opera, hrsg. v. R. Förster, Bd. 11, Leipzig 1922, Nachdr. Hildesheim 1963, 207f327. 16 Gegen die verbreitete Gleichsetzung von jüdiscb :: rabbinisch; so u.a. z.B. immer wieder G. Grützmacber, Hieronymus (s.o. Anm. 5) Bd. 1,247 zu Ep 33 (in Rom): Hieronymus ,.verwertete alles, was ihm von den Rabbinen zugekommen war... 17 Z.B. Ep 22,1.21 (CSEl54,l44.I73); 30,5 (CSEl 54,246). Aus späterer Zeit (zwischen 408 und 410) sei als Beispiel der Kommenlar zu Jes 7,14 (CChr.Sl 73,104) genannt: ..Verbum carathi, quod omnes interprelati sunl uocabis, polest intelligi et uocabit, quod ipsa scilicet uirgo quae concipiet et pariet, hoc Christum appellatura sit nomine,.. Fragwürdig ist das Urteil von P. Ja)', L'excg~ (s.o. Anm. I) 295f, die ort abenteuerlichen Etymologien, die Hieronymus wiedergibt, seien nicht seinen Hebräischkennlnissen anzulasten, sondern der ..attitude conservatrice et dtlibtrtment non crilique dont reltvc chez lui le recoms .ll'extgtse ttymologique•.
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351 in der Bibel bedeuteten. reagierte er denn auch mit gespielter Entrüstung: 4
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Gilnter Stemberger
hoc maxime loco proprie transtulisse omnis Iudaea conclamat et synagogarum consonant uniuersa subsellia» (Ep 36,13 CSEL 54,280), ist damit keine Information aus der Synagoge, sei es in Rom oder später, behauptet, sondern einfach in bombastischer Sprache die Hochschätzung Aquilas bei den Juden ausgedrückt 20. Erwähnt sei auch eine Stelle aus dem Kommentar zum Titusbrief (PL 26,631): «Audiui ego quemdam de Hebraeis, qui se Romae in Christum credidisse simulabat» (dieser versucht eine Erklärung der abweichenden Stammbäume Jesu in Mt und Lk). Die Formulierung macht nicht ganz deutlich, ob Hieronymus mit diesem Mann in Rom zusammengekommen ist oder ob nur dessen »vorgetäuschte« Konversion in Rom lokalisiert wird; aus dem Kontext könnte man auch auf einen Judenchristen schließen, der Hieronymus suspekt ist. Trotz der hebräischen Interessen des Hieronymus ist somit vor seiner Übersiedlung ins Heilige Land kein regerer Kontakt mit Juden nachzuweisen und die einzige eindeutige Angabe in Ep 36 äußerst fragwürdig. Abgesehen von Judenchristen wie dem Konvertiten in der Wüste Chalkis scheint sich Hieronymus in erster Linie aus Büchern informiert zu haben.
2. Reisen im Heiligen Land Im August 385 verließ Hieronymus Rom und kam Ende des Jahres in Begleitung von Paula und Eustochium und einer Anzahl von Jungfrauen in Jerusalem an. Nach einer relativ ausführlichen Rundreise in Palästina und einem Abstecher zu den Mönchssiedlungen in Ägypten ließen sich Hieronymus und die Damen seiner Begleitung in Bethlehem nieder 21 . Vielfach nimmt man an, daß Hieronymus sich auf dieser Reise und auch später jüdischer Reiseführer bedient hat 22 . Tatsächlich erwähnt er solche im Vorwort zum Buch der Chronik nach der LXX (PL 29,423), wo er allgemein davon spricht, daß die Schrift besser versteht, wer Judäa 20 Ein anderes Beispiel dieser übertreibenden Ausdrucksweise ist der Kommentar zu Sach 6,9f (CChr.SL 76A,796): ..Semel proposui arcana eruditionis Hebraicae, et magistrorum synagogae reconditam disciplinam, eam dumtaxat, quae scripturis sanctis conucnit,.: Was folgt, ist keine Geheimlehre, sondern die ganz gewöhnliche Textauslegung. 21 AusfUhrlicher zu semer Pilgerreise G. Stemberger. Juden und Christen im Heiligen Land. Palästina unter KOQStanlin und Theodosius, München 1987,88-92. Quellen sind der Brief von Paula und Eustochium aus dem Jahr 392 oder 393 (Ep 46 CSEl 54,329-344 m der Briefsammlung des Hieronymus) sowie der Nachruf des Hieronymus auf die 404 verstorbene PauJa (Ep 108 CSEL 55,306-351). 22 z.o. J. Schwartz, Jewish Seulement (s.o. Anm. 3) 196f.
HieronymUJ und die Jutkn seiner üil
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gesehen hat: «Unde et nobis curae fuit, cum eruditissimis Hebraeorum hunc laborem subire, ut circumiremus provincia.m, quam universae Christi Ecclesiae sonanh. Dieser PauschaJaussage. die man am ehesten der Reise mit Paula zuordnen möchte, steht jedoch ein einziger konkreter Hinweis auf einen jüdischen Führer gegenüber. Im Vorwon seines Kom-
mentars zu Nahum (CChr.SL 76A,526) schreibt er über Elkosch: _cum Elcesi:, usque hodie in Galilea uiculus sit, paruus quidem et uix ruinis ueterum aedificiorum indicans uestigia, sed tarnen notus Iudaeis, et mihi quoque a circumducente monstratus~. Falls Hieronymus hier der Tradition folgt, die Elkosch bei Kafarnaum lokalisiert, würde dieser Hinweis in seine Reise mit Paula passen, bei der offenbar Kafarnaum der nördlichste Punkt in Galiläa war. Abgesehen von einer Reise an die MitteImeerküste im Sommer 395, als er wegen eines befürchteten Hunneneinfalls Palästina verlassen wollte 23 , sind zusätzliche Reisen des Hieronymus im Land nicht belegt, was auch für die Einschätzung 'seiner Landeskenntnisse wichtig ist24. Zu diesem Bild paßt auch, wie Hieronymus das Onomastikon des Eusebius bearbeitet hat. Zwar sind manche Veränderungen seit Beginn des 4Jh.s eingetragen, andere jedoch nicht: So bezeichnet er z.B. Chorazin als noch immer verlassenen Ort, was angesichts der Grabungsbefunde zumindest äußerst fragwürdig ist. Man könnte natürlich von einer sehr konservativen Redaktion sprechen, die den Text einfach nicht immer auf den neu esten Stand bringt 25 ; wahrscheinlicher ist jedoch mangelnde Kenntnis bzw. mangelndes Interesse des Hieronymus am gegenwärtigen Zustand des Landes. Auch jene Informationen, die Hieronymus hat, müssen nicht alle eigenem Lokalaugenschein entstammen, sondern können ihm auch von den zahlreichen christlichen Pilgern, die Bethlehem besuchten, oder auch von den Mönchen seines Klosters zugetragen worden sein oder aus seiner Lektüre stammen. Wie sorglos Hieronymus 2J vgl. J.N.D. KeUy, Jerome (s.o. Anm. 9) 210. U J. Wilkinson, L'apport dc saint Jerome 1a topographie, RB 81 (1974) 245-257, ver-
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mutet denn auch, daß die Reise des Hieronymus mit Paula seine einzige Erkundung des Landes war, \'On dem er trOCz seines langen Aufenthalts nicht mehr als der DurchschnittspUger gesehen, so manches hingegen durch Hörensagen erfahren hat. Die übliche Annahme häufiger Reisen des Hieronymus vertritt hingegen z.B. P. Jay, L'extgtse (s.o. Anm. 1) 185f: Er spricht von den Kenntnissen, die Hieronymus auf seiner Reise mit PauJa erworben bat, _et qu'avaient complttt depuis maints dtplacements avec !es mciUeurs guides ... Nous POUVODS!e Ctoire sur parole». Leider nein. 25 J. Sc.hwartz, Jewisb Settlement (s.o. Anm. 3) 196, spricht \'On Reisen des Hierony. mllS im Land im Hinblick auf die lateinische Bearbeitung des Onomastikon. Doch
354 mit geographischen Angaben umgeht, hat schon J. Wilkinson gezeigt26 . Hier sei ein kleines Beispiel aus dem Jes-Kommentar hinzugefügt. Im Kommentar zu Jes 33,7-12 (CChr.SL 73,414) schreibt er: .Saron autem
omnis iuxta loppen Uddamque appellatur regio. in qua latissimi campi fertilesque tenduntur., zu 65,9-10 (CChr.SL 73A,752) hingegen: .Pro campeslribus in Hebraeo Saron ponitur. Omnis regio circa Lyddam. Iop~ pen cl Iamniam apta est pascendis gregibus». Aus zeitgenössischen Texten wissen wir, daß damals die Küstenebene als fruchtbarstes Ackerland intensiv genutzt wurde; dann wird man das Land aber wohl nicht zu-
gleich als Viehweide genutzt haben! Obwohl Hieronymus diese Gegend bei seiner Reise mit Paula gesehen hat, leitet er ihre Beschreibung einfach aus dem Jesaja-Text ab! Zumindest eine Reise des Hieronymus nach Lydda entnimmt man immer wieder seinem Kommentar zu Hab 2, 15ff (CChr.SL 76A,610): «Audiui Liddae quemdam de Hebraeis, qui sapiens apud ilIas cl Oe-vt€pW-rnc; uocabatur. narrantem huiuscemodi fabulam ...»27. MS Paris liest aHerdings statt 'Uddae' 'Iiddeum', womit über den Ort des Treffens nichts ausgesagt wäre; auf den Lehrer aus Lydda beruft sich auch der Prolog zu Hiob (PL 28,1140): .Memini me ob intelligentiam hujus voluminis Lyddaeum quemdam [MS Palat.: Judaeum quemdam] praecepto· rem. qui apud Hebraeos primus haberi putabatur. non parvis redernisse nummis.lt28 Interessant ist auch, daß Hieronymus seinen lateinischen Lesern den griechischen Ausdruck 5E-vtE'pO"tl')C; zitiert, nicht den hebräischen N:ln; auch sonst verwendet er rur die jüdische Lehre griechische Ausdrücke: «traditiones pharisaeorum ...• quas hodie BE'vtEpWaE'lC; uocant» (Ep 121,10 CSEL 56,48); .doctores eorum a,*,~ hoc est 'sapientes', uocantur. et si quando certis diebus traditiones suas exponunt, discipulis suis solent dicere: ol o~l 5€\ltfPOÜOW, id est, 'sapientes docent traditio· nes'» (ibid. 49). Will hier Hieronymus einfach die griechische Fachspra· che zitieren? Oder können wir hier einen Beleg für die Auffassung Barrs sehen. daß Hieronymus mit seinen jüdischen Informanten Griechisch sprach. weil er die lebendige Umgangssprache nicht beherrschte29? Oder 26 J. Wi1kjnson, L'apport (s.o. Anm. 24) lSSf. 17 So z.B. E.F. Sutdlffe, St. Jerome's Pronunc.iation of Hebrew, Bib 29 (1948) 112· 125, hier 114. 2:8 Gelegentlich betracbtet man Lyddaeus als Eigenname, so etwa S. Krau.ss, Art. Jerome (Eusebius Hieronymus Sophroruus), JE 7, 115·118, bier 116; ebenso S. Safrai, der ihn mit dem in der rabbiniscben Literatur erwähnten Lebrer Luda gJeichseuen möchte (zitiert bei J. Scbwartz, Jewisb Seulement (s.o. Anm. 3) Anm. 61). 29 J. Barr, St. Jerome's Appreciation (s.o. Anm. 6) 289f.
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Hieronymus und die Jutkn Jeinu Zeit
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haben wir darin einen Hinweis, daß Hieronymus eine literarische Quelle benutzt? Auch die vielfach vermuteten wiederholten Reisen des Hieronymus zur Bibliothek in CaesareaJO lassen sich nicht belegen. Auch ohne so skeptisch wie P. Nautin zu sein, nach dem Hieronymus nie ein Exemplar der Hexapla hatte31 , muß man nicht an zahlreiche Besuche des Hieronymus in Caesarea denken; eine Kopie der Hexapla konnte er auch schon bei seiner Rundfahrt mit Paula bestellt haben.
3. Die jüdischen Lehrer des Hieronymus
Wenn Hieronymus, wie es scheint, von 386 bis zu seinem Tod 420 den Raum Bethlehem - JerusaJem nicht verlassen hat, werden auch seine jüdischen Kontakte im Land etwas fragwürdig; denn Jerusalem einschließlich der weiteren Umgebung mit BethJehem war zur Zeit des Hieronymus den Juden noch immer verbotenes Gebiet32 . Auch wenn dieses Verbot in der Praxis vielleicht nicht so streng gehandhabt wurde, müssen doch die Möglichkeiten zu Begegnungen mit Juden eher gering gewesen sein. Auch ist zu fragen, welche Juden bereit gewesen sein konnten, Hieronymus als Sprachlehrer bzw. in Fragen der Bibelauslegung zur Seite zu stehen. Angesichts der verbreiteten negativen Einstellung der Rabbinen gegenüber einer Unterweisung von Nichtjuden in Fragen der Tora ist mit Lehrern aus rabbinischen Kreisen von vornherein kaum zu rechnen. Der einzige Lehrer, den Hieronymus namentlich anführt, ist ein gewisser Baraninas: «rursum Hierosolymae et Bethleem quo labore, quo pretio Baraninam nocturnum habui praeceptorem! timebat enim ludaeos et mihi alterum e)(hibebat Nicodemum» (Ep 84,3 aus dem Jahr 401, eSEL 55,123). Doch wehrt er sich gleich anschließend gegen jeden Vorwurf, einen Juden als Lehrer gehabt zu haben; denn wenn es sich ziemen sollte, Menschen zu hassen und ein Volk zu verachten, «miro odio auersar circumcisos», die bis heule Christus in den Synagogen Satans verfolgen. Wenn er hier nicht aus bloßer innerkirchlicher Selbstverteidigung die Juden beschimpft, kann man ihm jedenfalls kein Nahverhältnis zu Ju(s.o. Anm. 9) 135. 31 P. NaUtln, Orig~De. Sa vie e( son a:.uvre, Paris 1977,329-331; dagegen wendel sieb mit ausruhrlieber Begründung P. Jay, l'extgese (s.o. Anm. I) 411-411. 32 Siebe LO. HieroDymus selbst zu Zepb I, L5r (CChr.5L 76,6n·674). Siehe aueh die a1lgemeiraerc Aussage im Kommentar zu Gal 4,27 (Pl 26,418): _eum ... vix rarus atque DOtabilis in urbibus Iudaeus appareat_. JO Z.O. J.N.D. Kelly, Jerome
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Ganter Stem~f'g't'
den zusprechen. Woher kommt Baraninas? Größere jüdische Siedlungen gibt es erst in ziemlicher Entfernung, südlich von Hebron oder in Lydda, von wo die Anreise für einen nächtlichen Unterricht doch sehr viel Zeit
in Anspruch nehmen würde. Natürlich ist nicht auszuschließen, daß einzelne Juden trotz des Verbots in der Region JerusaJems wohnten; würde diesen aber nicht die nächtliche Abwesenheit ihres Glaubensgenossens
erst recht aufgefallen sein? Wieweit ist Hieronymus hier einfach vom Vorbild Joh 3 abhängig? Wenn der Vergleich mit Nikodemus33 nicht nur von der nächtlichen Stunde der Besuche gilt, müßte man in diesem Baraninas zumindest einen Sympathisanten mit dem Christentum sehen, wenn nicht gar einen (vielleicht klandestinen) Judenchristen. Daß der Unterricht viel Geld gekostet hat, spräche nicht dagegen, ist vielmehr eine Standardklage des Hieronymus (dasselbe sagt er Z.B. von den Ko· pien der Hexapla aus Caesarea: Apologia contra Rufinum 2,28.34 CChr.SL 79,66.71). Im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse zur Zeit des Hieronymus ist jedenfalls diese Aussage nicht ohne Probleme, auch wenn an der Ge· stalt des Baraninas nicht zu zweifeln ist; denn auch Rufinus weiß von ihm und macht Hieronymus diesen Umgang zum Vorwurf. In seiner Apologie gegen Hieronymus sagt er mit direktem Bezug auf den zuvor zitierten Brief des Hieronymus, dieser prahle, kein Autodidakt zu sein, «enumerans doctores suos, quos se de synagoga esset mercatum~, und werfe ihm vor, «quia Barabban eius de synagoga magistrurn non suscepimus ... malui ante inperitus et indoctus audire (videri], quam Barabbae discipulus dich. (2,15 CChr.SL 20,95). Hieronymus zeigt sich in seiner Entgegnung über diese Verballhornung des Namens seines Lehrers beleidigt und beruft sich auf Origenes, der sich auch nicht geschämt habe, einen Juden, den Patriarchen HilIei, zu nennen und in der Auslegung der hebräischen Bibel jeweils die Meinung der Juden anzuführen (Apologia contra Rufinum 1,13 CChr.SL 79, 12f). Jedoch ist auch anzufügen, daß Rufinus nicht vorgibt, diesen Baraninas persönlich zu kennen, sondern einfach Hieronymus selbst zitiert; auch beschuldigt er diesen, sich zu rühmen, Bücher gelesen zu haben, die es bekanntlich gar nicht gibt, und Anders verstehl den Text D. Ausser, Art. Jerome, EJ 9, 1376: Baraninas habe ihn aus Angst nacbts besucht -and at limes be even sent anOlher Jew, oamed Nicodemus, 10 take bis place_. Damit bälten wir einen zweiten namenilich bekannten Lehrer; doch ist richlig zu übersetzen: Baraninas _erwies sich mir als zweiter Nikodemus_. Die Annahme Aussers, daß Baraninas aus Tiberias komme, ist nicht zu beLegen. Beide Aussagen Aussers sind übrigens aus dem Hieronymus-Artikel VOn S. Knuss, Art. Jerome (Eusebius Hieronymus Sopbronius). JE 7, 116, übernommen. JJ
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Hieronymus und die Juden seiner Zeü
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Leute seine Lehrer zu nennen, mit denen er nur kurzen Kontakt gehabt hat (2,7.15 CChr.SL 20,88.94). Schon damals hat man also gewußt, daß man die Worte des Hieronymus nicht immer als bare Münze nehmen darf. Im Vorwort zum Buch der Chronik beruft sich Hieronymus auch auf einen Lehrer aus Tiberias: zur Übersetzung der Chronikbücher «de Tiberiade legis quondam doctorem, qui apud Hebraeos admirationi habebatur, assumpsi; et contuli eum eo a vertice, ut aiunt, usque ad extremum unguem» (PL 29,423). Wie schon gesagt, ist kaum an einen rabbinischen Helfer des Hieronymus zu denken; 'quondam' ist wohl auf die Lehrtätigkeit des Mannes zu beziehen: »jemanden, der einst in Tiberias Gesetzeslehrer war«; meint er damit einen ehemaligen Juden, dessen Qualifikation er in seiner üblichen Art übertrieben hoch ansetzt34? Die zahlreichen Hinweise auf seinen jüdischen Lehrer im Kommentar zu Koh 35 wecken zumindest zum Teil den Eindruck, vo~. einem Judenchristen zu handeln 36 . So etwa zu 1,14 (CChr.SL 72,260): «Dicebat mihi Hebraeus, quo scripturas sanctas instituente perlegj37, quod supra scripturn routh uerbum, in hoc loco magis afflictionem et malitiam ... significaret, et non a malo, quod est contrarium bono, sed ab eo, quod in euangelio scribitur: Sufficit diei malitia sua ...» (auch zu 3,9 CChr.SL 72,277, schließt sich der Aussage des jüdischen Lehrers unvermittelt ein Hinweis auf das Evangelium an). Aber auch der im Prolog zu Tobit 6 genannte Mann, der ihm bei der Übersetzung des aramäischen (oder syrischen) Textes hilft, könnte ein Judenchrist sein: «quia vicina est Chaldaeorum lingua sermoni Hebraico, utriusque linguae peritissimum loquacem reperiens, unius diei laborem arripui: et quidquid ille mihi Hebraicis verbis expressit, hoc ego, accito 34 Auch E.F. Sutcliffe, St. Jerorne's Pronunciation (s.o. Anm. 27) 114, rechnet mit der Möglichkeit, daß dieser Mann aus Tiberias ein Konvertit war. Interessant ist hier auch Ep 73,9 (CSEL 55,21): ..Haec ab eruditissimis gentis ilIius didicimus, qui in tanturn Don recipiunt spiritum sam~tum uel angelum fuisse Melchisedech.., eine Aussage, die besser auf Judenchristen aJs auf Juden paßt. Dazu siehe G. Stemberger, Juden und Christen (s.o. Anrn. 21) 87f. )5 Lisle der Stellen bei S. Leanza, Sulle (onti dcl Commenlario all' Ecclesiaste di Girolamo, Annuario di Sloria deli' Esegesi 3 (1986) 17J.199, hier t98(. 36 So auch E.F. SUlcliffe, SI. Jerome's Pronunciation (s.o. Anm. 27) 112f, der ihn mit dem judenchrisllicben Möncb aus der Wüste Chalkis gleichsetzt, ebenso auch den im Kommentar zu Oa13,14 (PL 26,387) zitierten Hebräer. 37 Aucb sonst sind solche Hinweise häufig, so z.8. Kommenlar zu Nah 3,8-12 (CCbr.SL 76A,562): «Hebraeus qui me in scripluris erudiuit.. ; zu Nah 2,1f (CChr.Sl 76A,542): «scd Hebraeorum sequi expositionem, a quibus non modico tempore erudilus...
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358 notario, sermonibus Latinis exposui» (PL 29,25f). Syrisch bzw. Aramäisch ist zur Zeit des Hieronymus in Jerusalem noch eine der Liturgiesprachen, wie Egeria bezeugt (CSEl 38,99): Zwar predige der Bischof immer in griechischer Sprache, doch biete ein Priester eine syrische Übersetzung, damit alle die Predigt verstehen; gedacht ist diese Übersetzung offensichtlich für Christen aus dem ländlichen Bereich (nicht unbedingt Judenchristen). Erstaunlich ist allerdings der behauptete Umweg über das Hebräische, zumal Hieronymus selbst ~Chaldäisch« gelernt zu haben behauptet., andererseits aber doch wohl mit gesprochenem Hebräisch nicht problemlos zurecht gekommen wäre; zudem fragt sich, wer außerhalb rabbinischer Kreise damals vom Blatt weg einen Text vom Aramäischen ins Hebräische übersetzen konnte. Somit ist deutlich, daß auch abgesehen von jenen Stellen, wo Hieronymus sich auf jüdische Lehrer und Informanten beruft, in Wirklichkeit aber nur von früheren Autoren abschreibt, man bei Aussagen des Hieronymus über seine jüdischen Lehrer sehr vorsichtig sein muß38. So manche Kenntnisse mögen ihm von Judenchristen zukommen, die er ja auch als 'Hebraei' bezeichnet 39, andere ihm auf Umwegen über Judaizanten zu Ohren gekommen sein. die immer wieder auch noch die Synagoge besuchten, wieder andere Auskünfte tatsächlich von Juden, aber sicher nicht von Rabbinen. Hier ist auch kurz auf die hebräischen Bücher einzugehen, deren Kenntnis Hieronymus zugeschrieben wird 40. Die Aussage über die Bü· eher aus der römischen Synagogenbibliothek ist, wie schon erwähnt, mit Vorsicht zu genießen. In Rom besitzt Hieronymus offenbar schon den größten Teil der hebräischen Bibel, vielleicht auch schon den gesamten Text (vgl. Ep 32,1 eSEL 54,252). E.F. Sutcliffe vermutet, daß er Handschriften seines judenchristlichen Lehrers in Syrien kopiert har bzw. ko· 38 Ich wäre also viel zurückhallender als ZUlell.l I. Opelt, San Girolamo (s.o. Anm. 12), die alle TeXle, wo Hieronymus von 'Hebraeu... meus' sprichl, chronologisch geordnet analysiert und auf mindestens fünf jüdische Lehrer schließt, nämlich den Konvertiten in Chalkis, Bar Anina, deo Lehrer aus Lydda, deo Übersetzer von Tobil sowie einen Juden in Rom. YI So z..8. im Kommeolar zu Mt Z7,9f (CCbr.sl n,26S): -Legj nuper in quodam he· braico uolumine quem Nazarenae sectae mi.hi Hebraeus obc.ulil Hieremiae apocryphum in quo haec ad uerbum scripc,a repperi-. G. Bardy, Saint Jtrome (s.o. Anm. 4) 161, rech· nel hier mil eiDer ErrlDdung des Hieronymus. Außersl skeplisch auch RA. Pritz, !'lau· rene Jewish Christianity. From lhe Eod Lhe New Teslamenl Period UnliJ its Disappea· rance in the Fourth Ceotury, SlPB 37, l...eideD 1988, 56( (war mir ersl Dach Abgabe ~ Manuskripts zugänglich). 40 Dazu siehe v.a. E.F. SUleliffe, Sl Jerome's Hebrew Manuscripc..s. Bib 29 (1948) 195204.
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pieren ließ; seit dieser Zeit hat er wohl hebräische Handschriften erworben, wo immer sie ihm zugänglich waren; auch schreibt er selbst von einer Kopie des hebräischen Mt-Evangeliums der Nazaräer: «Porro ipsum Hebraicum habetur usque hocHe in Caesariensi bibliotheca ... Mihi quoque a Nazaraeis, qui in Beroea urbe Syriae hoc volumine utuntur, describendi facultas fuit» (De viris ill. 3, PL 23,643). Zeitlich müßte ein persönlicher Kontakt mit Nazaräern in Beroea während seines Aufenthalts in und um Antiochien eingeordnet werden; ob damals seine Kenntnisse schon ausreichten, um selbst Handschriften zu kopieren, muß offen bleiben (in der parallelen Notiz in den Dialogi contra Pelagianos 3,2 PL 23,597 erwähnt er auffälligerweise auch nur noch das Exemplar in der Bibliothek zu Caesarea, nicht eine eigene Abschrift). Fraglich ist auch, ob er wirklich schon im Jahr seiner Ankunft in Bethlehem eine samaritanische Bibel besitzt, wie er im Kommentar zu Ga13,10 (PL 26,383) behauptet: «Samaritanorum Hebraea uolumina relegens». Vor allem aber muß man bezweifeln, ob Hieronymus je aus einer Synagoge Palästinas Schriften entleihen konnte, wie dies S. Krauss angenommen hat 41 . Im Vorworl zu ESlher (PL 28,1503-5) schreibl Hieronymus: «Librum Esther variis translatoribus co05tat esse vitiatum, quem ego de archivis Hebraeorum relevans, verbum e verbo pressius transtuli ... vos autem, 0 Paula et Eustochium, quoniam et bibliothecas Hebr. studuistis intrare, et interpretum certamina comprobastis, tenentes Esther Hebraicum librum, per singula verba nostram translationem aspicite ...». Das klingt zuerst, als ob Hieronymus aus einer jüdischen Bibliothek das Buch Esther bekommen hätte; da aber der folgende Ausdruck »die hebr. Bibliothek betreten« nichts anderes besagt als Zugang zur hebräischen Bibel finden, ist wohl auch die erste Formulierung einfach so zu verstehen, daß Hieronymus das Buch Esther aus dem hebräischen Original übersetzt hat. Auch aus der Formulierung des Kommentars zu Mt 23,5 (CChr.SL 77,212) «alioquin et armaria et arcae habent !ibros et Dei not itiam non habent» kann man nicht mit S. Krauss ableiten: «Jewish houses possessed shelves loaded and cases packed with books»42; vielmehr steht der Satz im Anschluß an die Aussage über die Phylakterien, welche die Pharisäer tragen, nicht wissend, daß man die Worte Gottes im Herzen und nicht am Körper tragen muß; ~~so enthalten ja auch Kästen und Truhen Bücher und haben trotzdem keine Kenntnis von Gott«,
41 S. Kraus.... Tbe Jews in the Worb of Ihe Church Falhcrs. VI. Jcrome, JQR 6 (1894) 225-261, hier 232 beziebt die Aus-uge von Ep 36 falschlieh auf Palästina. 42 Krauss, The Jews (s.o. Anm. 41) 232.
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Günler Stemberger
4. Hieronymus als Zeuge des A//tagslebens in Palästina
Nach dem bisher Gesagten ist auch deutlich, daß man die Schriften des Hieronymus nicht kritiklos für die damaligen Lebeosverhältnisse der Juden Palästinas auswerten kann. Natürlich hat Hieronymus auf seiner Reise mit Paula so manches beobachten können und auch in Bethlehem und Jerusalem noch manchmal Gelegenheit, Juden zu sehen; selbstverständlich bringen ihm auch Besucher in Bethlehem so manche eigene Beobachtungen mit 43 . Andererseits ist aber auch immer damit zu rechnen, daß Hieronymus Bemerkungen, die aus dem Leben gegriffen zu sein scheinen, aus früherer Uteratur übernommen oder einfach aus der Bibel abgeleitet hat. Die reiche Materialsammlung von S. Krauss, die den Eindruck vermittelt, daß Hieronymus jüdisches Leben in allen Formen aus persönlicher Anschauung kannte, hält in dieser Hinsicht einer kritischen Überprüfung meist nicht stand. So manche Aussagen des Hieronymus, die Krauss auf die zeitgenössi~ sehe jüdische Welt deutet, sind einfach aus dem NT entnommene ne Klischees über die Pharisäer. Wie weit sind etwa ~~die Pharisäer, die sehr am Geld hingen« (Lk 16,14), schuld an den Aussagen des Hieronymus (und anderer Kirchenväter) über die Geldgier der Juden, seien es jüdische Lehrer, Führer oder Toraschreiber? Der Kommentar zu Jes 58,3f «Huiuscemodi epulis saturatus pharisaeus, inter cetera uerba superbiae, bis in sabbato se ieiunare iactabat» (CChr.SL 73A,66I) ist kein Beleg, daß Hieronymus die Rabbinen als Genießer betrachtet; ebensowenig ist der Text als frühester Beleg für das Fasten an .Montag und Donnerstag zu sehen 44, sondern einfach ein Zitat des Pharisäers aus Lk 18,12: »lch faste zweimal in der Woche«. Aber auch ein so unverfänglich scheinender Text wie dieser: «cidiculum est more Iudaico grandaeuos filios et filias in ulnis humerisque portare» (Kommentar zu Jes 49,22f CChr.SL 73A,546), ist nicht unbedingt eigener Anschauung entnommen, sondern einfach nach dem Bibeltext formuliert: «Et adferent flUos tuos in ulnis, et filias tuas super umeros portabunt». Nur 'grandaeuos' ist dazu ergänzt; doch dies könnte aus dem biblischen Text über Hagar und Ismael entlehnt sein! In den Quaestiones hebraieae in Genesim 21,14 (CChr.SL n,24f) übersetzt und kommentiert er ja: «'Et sumpsit panes et utrem aquae et dedit Agar, ponens super umerum eius et paruulum, et dimisit eam'. Quando Isaac natus est, XIII annorum erat Ismahel. Et post ablactatitonem eius iste cum matre 43 Etwa die Nachricbt über siamesische Zwillinge in lydda (Ep 72,2 CSEl55,9). 44 So Krauss, Tbc lews (s.o. Anm. 41) 235.
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Hj~ronymUJ ulld di~ JUdell s~intT
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expellitur domo. Inter Hebraeos autem uaria opinio est, asserentibus aJiis quinto anno ablactationis tempus statutum et aliis XII annum uendicantibus. Nos igitur, ut breuiorem eligamus aetatem, post XVIIIannos Ismahe1 supputauimus eiectum esse cum matre, et non conuenire iam adolescenti matris sedisse ceruicibus». Und zu 21,18: tC'Surge et tolle puerum et tene manum eius'. Ex qua manifestum est eum, qui tenetur, non onen matri flüsse, sed comitem. Quod autem manu parentis tenetur, sollicitus monstratur affectus». Auch verkürzt Krauss den Text, wenn er ihm bloß entnimmt: «Children were sometimes weaned as late as the fifth year»45, ohne die anschließend genannte Variante der 12 Jahre zu nennen; aus dieser wird aber deutlich, daß es nicht um tatsächliche Praxis, sondern um das chronologische Problem des Genesis-Textes geht! Völlig unbrauchbar sind auch die von S. Krauss 46 für
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Güfller Sltm~rger
usque hodie multi in ecclesiis, qui aiunt: Venite audiamus ...»! Ebenso ist es beim Kommentar zu Ez 34,31 (CChr.SL 75,487), der ausdrücklich von Häretikern und «ecclesiastici uiri qui dogmatum non custodiunt ueritatem)) spricht und nicht von Synagogenpredigern. Auch ist der Kommen· tar zu Jer 29,21-23 (CChr.SL 74,2841) nicht von schriftlichen Exemplaren der Haggada zu verstehen, die in der Synagoge verwendet wurden, wenn es zu einer Legende heißt: «quasi fabula non recipitur nec legitur in synagogis eorum»; die Synagoge ist hier kein Synagogengebäude, sondern steht einfach für Judentum (siehe z.B. zu Mk 5,30-43, CChr.SL 78,471: «Loquamur et nos usque hodie ad synagogam, loquamur ad Iudaeos»). An einer anderen Stelle scheint Hieronymus tatsächlich eine zeitgenössische Information zu bieten, wenn er zu Mt 23,5 7 Dtn 6,8 zitiert und dazu sagt: «Hoc Pharisaei male interpretantes scribebant in membranu lis decalogum Moysi, id est decem legis uerba complicantes ea et ligantes in fronte et quasi coronam capiti facientes ut semper ante oculos mouerentur quod usque hodie Indi et Babylonii fadunt" (CChr.SL 77,211). Bezieht sich die Aussage über den Brauch der Inder und Babyionier auf den Dekalog in den Tefillin, auf deren eigenartige Form, wonach die Kapseln sich vor den Augen bewegen, oder auf beides? Und woher sollte er diese Information bekommen haben? Von einem der zahlreichen christlichen Pilger aus der östlichen Welt, die er erwähnl 48 ? Oder hat Hieronymus einfach verschiedenste Quellen miteinander vermischt, etwa eine Aussage Philos (SpecLeg 137) über die Kapseln, die sich vor den Augen bewegen 49, mit einer des Origenes über den Dekalog in den Te· fillin (Kommentar zu Mt 23,S in einem griechischen Katenenexzerpt: GeS 41,186) und eventuellen mündlichen Informationen50? Bei einem 4
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48 Ep 107,2 (CSEL 55,292) erwähnt Hieronymus Pilger aus Indicn und Persien; im Kommcntar zu Jes 13,20b-22 (CCbr.sL 73,166) zitiert er einen Augenzeugen für die Verwüstung Babyions: «Didicimus a quodam fratre Elamita qui de illis finibus egrediens., nunc Hierosolymis uilam exigit monacborum_. 49 Docb siebe G. Grülzmacber, Hieronymus (s.o. Anm. 5) Bd. 2, 135. daß Hieronymus alle seiDe Kenolnisse über Philo aus Eusebius habe. SO Aus der Fortsetzung des zilierten TelCles wird immer wieder fälschlich herausgelesen, daß christliche Frauen ihre Kreuze mil Tefl.1lin bedecken (so z.B. J. Schwartz, Jewish SeUlemenl (s.o. Anm. 3) 199, der daraus im weileren auf enge Konlakte zwischen jüdischer und christlicber Bevölkerung schließt). Doch wird einfach der Praxis der Pharisäer, die mit ihren Tefillin am Körper erfüllen, was in Wahrheit innerlich sein müßte, die Haltung gewisser Frauen gleichgestellt: _Hoc apud DOS supersliliosae mulierculae in paIuulis euangelüs el in crucis Iigno el istiusmodi rebus., quae habenl quidem zclum Dei sed non iuxta scienliam, usque hodie raclitant.. (CChr.SL n,212), was E. Bonnard in den SC 259, Paris 1979. 165, richtig übersetzt: «Ainsi, souvcnl, de DOS jours encore, procedent des femmeleues superslilieu.ses avec des pctits 6vangiles, du bois de la Croix cl aulres objets semblables; elles oot, ccrtes, le zele de Dieu, mais non selon la science...
363 Vielleser wie Hieron)'1T!us scheinen jedenfalls immer literarische Quellen primär anzunehmen zu sein, auch wo diese nicht mehr erhalten sind 51 . Die wenigen Hinweise, die wir auf diesen Seiten geben konnten. zeigen die Notwendigkeit, das Werk des Hieronymus hinsichtlich jüdischer Traditionen und Lebensumstände völlig neu durchzuarbeiten. Die noch immer zitierten klassischen Studien zum Thema. deren Aussagen über die umfassenden jüdischen Kenntnisse des Hieronymus fast Gemeingut geworden sind, bedürfen einer umfassenden kritischen Prüfung. So manche Übersetzung ist einfach falsch; vielfach ist auch der Kontext nicht berücksichtigt, aus dem oft hervorgeht, daß eine Aussage nicht konkrete Beobachtung wiedergibt, sondern Ableitung aus dem Bibeltext ist; ebenso sind die inzwischen viel besser bekannten Quellen des Hieronymus zu berücksichtigen und die Chronologie seiner Schriften und die daraus zu erschließenden konkreten Lebensumstände des Kirchenvaters besonders zu beachten. Auch bleibt stets zu fragen, woher Hieronymus bestimmte Dinge überhaupt wissen kann. Seine Kontakte mit jüdischen Informanten erweisen sich bei genauerer Betrachtung als viel geringer, als oft angenommen wird; seine Landeskenntnisse sind minimal und auch seine Sprachkenntnisse waren nicht so groß, wie er gerne vorgibt, auch wenn das Extremurteil eines P. Nautin kaum haltbar ist. Die Formulierung im Prolog zu Esra aus der Zeit um 400 dürfte da schon eher den Tatsachen entsprechen und nicht einfach Bescheidenheit sein: «nos autem qui Hebraeae linguae saltem parvam habe mus scientiamlt (PL 28,1474), ebenso die etwas spätere Aussage in Ep 108,26 (CSEL 55,3441): .Hebraeam linguam, quam ego ab adulescentia multo labore ac sudore ex parte didici et infatigabili meditatione non desero, ne ipse ab ea deserar)~ (»von Jugend auf« ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen). Erst wenn von früheren Autoren übernommenes oder aus der Bibel abgeleitetes Gut genauer identifiziert ist, wird es möglich sein, die tatsächlichen Kontakte des Hieronymus mit zeitgenössischen Juden richtig einzuschätzen; daß dabei 51 Ein Beispiel aus dem umfangreic.hen Gebiet der exegetischen Traditionen, auf das hier nicht niber eingegangen werden kann: H.P. Rüger, Hieronymus, die Rabbinen und PauJus. Zur Vorgeschichte des Begriffspaars _innerer und äußerer Mens<:h_, ZNW 68 (1977) 132·137, hat auf die breiten rabbinischen Parallelen des Kommentars des Hier~ nymus 'Zu Koh 9,1:}-15 (CChr.sL n,331) aufmerksam gemach!. Zumindest Teile dieser Auslegung (etwa die Deutung des großen Königs auf den Teufel) sc.heinen aber von Origenes zu stammen., wie S. Leanla (der den Beitrag Rügers nicht 'Zu kennen scheint), Sulk fonti (s.o. Anm. 35) 178-180 aus Parallelen in den Scholien des Olympiodor und der Dlena HaulÜeose (beide von Hieronymus unabhängig) erschlossen hat.
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nicht das Rabbinat der Bezugspunkt ist, sondern eher die gewöhnliche jüdische Bevölkerung, wurde schon betont; von daher wären vielleicht die Targumim anstelle der rabbinischen Schriften bevorzugt für den Vergleich auszuwerten 52, was allerdings auch nicht ohne Probleme ist. Hieronymus hat es verstanden, seine Spuren gründlich zu verwischen. Deshalb ist auch bei der Auswertung seiner Schriften höchste Vorsicht geraten.
52 So zuletzt R. Hayward, Saint Jeromc aod tbc Aramaie Targumim, JSS, 32 (1987) 105-123. S. 123 zitiert er aus einem Gespräch mit Ph. Alexander, nach dem Hieronymus .rarely shows delailed koowledge of the complexilies of Jewish law of the sort found in thc: Talmuds. Whal he bas leacoed (rom the lews i.s orten popular tradition aod excgesis ofScripc.ure-.
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Der 'Diskurs' als funktionale Form im Talmud Yerushalmi Versuch einer formanalytischen Diskursbeschreibung Heinz-Peter Tilly, Frankfurt J. Einleitung Die Vertextungen der Gemara des Talmud Yerushalmi lassen sich zu einem erheblichen Anteil als 'Diskurse' benennen, d.h..(allgemein) als 'vertextete Rede über einen bestimmten Sachverhalt'. Ein Versuch, diese 'Rede' als 'Form Diskurs' formanalytisch zu bestimmen und ihre formbe· dingende Struktur zu erheben, ist - soweit ich sehe - bis dato noch nicht unternommen worden I. Dieses Desiderat liegt primär im wissenschaftlichen Stand der Form· analyse begründet: Zum einen fehlen einschlägige und tragbare form· analytische Vorarbeiten zur Bestimmung von diskursiven Formen (Diskursen) der palästinischen Gemara bzw. von Einzelformen innerhalb von Diskursen. Dieser Mangel macht sich um so mehr bemerkbar, als auch eine textkritische und inhaltliche Aufarbeitung des yT kaum in Angriff genommen wurde. Zum anderen ist eine umfassend anwendbare Form· analyse rabbinischer Texte im allgemeinen und eine formanalytische Methodik der Diskursanalyse im besonderen nur in Ansätzen verfügbar. Dies gilt im besonderen Maße für die Diskurse der palästinischen Gema· ra. Die zur Verfügung stehenden sprachwissenschaftlichen Systeme der modernen Linguistik erweisen sich in diesem Zusammenhang als kaum anwendbar und tragfähig. Dies liegt im besonderen darin begründet, daß I Formanalytische Ansät1.e finden sich zwar im EinJeitungsband zur eng!. Übersetzung des Talmud Yerushalmi von J. Neusner, Tbc Talmud of the Land of Israel. APreliminary Translation aod Explanation, Vol. 35: IntroduClion: Taxonomy, Chicago U.a. 1983, in dem aber primär die (strukturellen) Relationen der Gemara zur Mischna untersucht werden. ohne auf eine eigenständige Diskursanalysc der Gemara einzugehen. Dazu dcrs., Judaism in Society. The Evidence of tbe Yerushalmi. Toward the Natural History of Religion, Chicago u.a. 1983, bcs. 57-69. VgJ. Lileralurangabcn unten Anm. 8.
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die literarischen Charakteristika der rabbinischen Traditionsliteratur, und somit auch die des Talmud Yerushalmi, formtypische Untersuchungsansätze und ein textspezifisches Vorgehen bedingen, die durch die allgemeine Sprachwissenschaft (his dalO) nicht behandelt wurden. So erscheint es lediglich realistisch zu versuchen. einzelne, auf bestimmte Fra· gestellungen begrenzte, methodische Ansätze der Unguistik umzusetzen und sich der entsprechenden (eingeführten) Nomenklatur zu bedienen, die jedoch in den meisten Fällen gemäß der textlichen 'Vorfindlichkeiten' zu modifizieren bzw. im Einzelfall sogar neu zu definieren sind. In diesem Sinne muß die hier angestrebte Methodik als 'vor-linguistisch' und ihr Umsetzen als ein Versuch bezeichnet werden2. Die nachfolgenden Ausführungen basieren im Grundsatz auf den formanalytischen Arbeiten von A. Goldberg, in denen er die Grundlagen für die Anwendung der linguistischen Formanalyse - insbesondere auf die Midraschliteratur - zu formulieren suchte3. In diesem Rahmen soll nachfolgend der Versuch unternommen werden, den formanalytischen Beschreibungsansatz zur Erhebung einer 'Form Diskurs', wie er in sei· nem Artikel »Der Diskurs im Babylonischen Talmud. Anregungen für eine Diskursanalyse«4 ausgeführt wurde, aufzunehmen und auf die Textur des Talmud Yerushalmi umzusetzen und exemplarisch zu verifizieren. Den formanalytischen Entwurf von A. Goldberg als Ausgangspunkt für die vorgegebene ThemensteJlung zu nehmen, rechtfertigt sich in der Einschätzung, daß diese Untersuchung als Pilotarbeit zu kennzeichnen ist, in der - meines Wissens - erstmals versucht wird, die formanalyti· sehen 'Rahmen bedingungen' einer Diskursanalyse (hier der babylonischen Gemara) zu erheben 5. Dieser Beschreibungsansatz wird zum Verständnis der nachfolgenden Ausführungen vorausgesetzt! 1m Zentrum der Diskursbeschreibung steht der Strukturbegriff der sogenannten 'funktionalen Form'. Als Grundlage dieses Formbegriffes dient primär die sog. 'Funktionalität' der Diskurskonstituenten im Rahmen der Textstrukturierung, d.h. als formwirksam (formbedingend) wird 2 Vgl. LB. den linguistischen Beschreibungsansatl bei BA. Kern, Tröstet, Tröstet mein Volk! Zwei rabbinische Homilien zu Jesaja 40,1 (PesR 30 und PesR 19/30), FJSt1, Frankfurt/Main 1986, 3().35 (Dte. angewendete Methode). ) Vgl. exempti causa die Beschreibung des Forschungsslandes der form analytischen Methodik in der Midraschliteratur bei A. Goldberg. Form-analysis of Midrashic literature as a Melbod cf Oescription, JJS 36 (1985) 159-114. .. FJB II (1983) 1-45. Nachfolgend zitiert: Goldberg. Diskurs JSc:itel. S Vgl. dazu A. Goldberg. Slereotype Diskurse in den frühen Auslegungsmidraschim. FJ8 16 (1988) 23-51.
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IHr 'Dislam' als funJdiOlloJe Fonn im ToJmud YerushoJmi
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nicht die inhaltliche Textgestaltung (Vertextung), sondern werden die (formalen) 'Relationen der Zuordnung' der Diskurselemente zueinander benannt. Diese basieren grundsätzlich nur auf den Funktionen der Pro· positionen in einem Konstruk~ was impliziert: Die Funktionen der Pr()+ positionen determinieren die funktionale Form6. Hierbei realisiert sich diese 'Form' an der Textoberfläche in unter· schiedlicher Weise, d.h. unterschiedliche Textmengen und ·sorten kön· nen eine funktionale Form realisieren. In diesem Sinne gilt es. grundsätzlich zwischen Form und Formrealisierung zu unterscheiden. Diese Prämisse determiniert den Beschreibungsmodus der angestrebten Ziel· setzung. indem versucht werden soll, einerseits eine Basisstruktur der funktionalen Form 'Diskurs' zu erheben und andererseits vertextete Formrealisierungen paradigmatisch zu flXieren 7.
2 Problemstellung Die Schriften (= Traktate) des Talmud Yerushalmi8 umfassen einen bedeutenden Teil der rabbinischen Traditionsliteratur. Für sie gilt ge· meinsam, daß sich ihre Rezeption aufgrund der vorfindlichen komplexen
6 ZUr Begriffsbcslimmung im ein:tc.lnen siebe unten S. 374((. 7 Die AusruhrU08en fußen weitgebendst auf den Analysen und Ergebnis.'len meiner an der Universitit Frankfurt/MaiD eingereichten Dissertaüon mit dem Titel _Zur Redaktion des Traktates Moed Oatan des Talmud Yerushalmi. (1991). Sie steUcn eine kompri. m~rte ZlISammenfassung der wesentlichen Bescbreibu~odalitäten einer formanalytisehen Diskurserbebung dar. Die Formverifikationen, begrenzt. auf ausgewählte Einzelbeispiele, beschränken sich demzufolge auf die Textmenge des Traktales Moed Oatan (yMQ). B Zu den Texten des Talmud Yerushalmi (mit Literaturangaben) siehe im einzelnen: D.M. Bober, An Annotated Bibliographical Guide to thc Study of the Palestinian Tal· mud, ANRW 11 19/2 (1919),139-256; H.L. Strack / G. Stembergcr, Einleilung in Talmud und Midrascb, Mliochen 71982, 163-184 (Literatur bis 1980); A. Goldbcrg. The Paleslinian Talmud., in: CRI 2.3 Tbe Litcrature of the Sagcs. Part I, cd. by Sh. Safrai, Asscn 1987, 303-322 (accumuJative bibliograpby 414-431). Dazu im besonderen: L Gin7berg, A Commentary on the Pale.stinian Talmud. A Study of the Development of the Halakha and Haggadah in Palcstine and Babylonia (bebr.), Bd. I, New York 1941, XlII·LXXII (Introdudory Essay: Tbe Palestinian Talmud (engI.D; J. Neusoer, Tbe Talmud of tbe Laod of Israel. A Preliminary Translation and EJtplanalion, Cbicago u.a. 1983((; dcrs., Judaism in Society (5.0. Anm. I); Übersetzung des Talmud Yerusbalm~ brsg. von M. Hengel u.a., Tübingen 198Off; GA. Wewers., Probleme der Bavot Traktate. Ein redaktiooskritiscber und theologischer Beitrag zum Talmud Yerusbalmi, TSAJ 5, Tübingen 1984 (Literaturverzeichnis 353-360); ders., Die Erforschung des Talmud Yerushalm~ ZRGG 37 (1985) 322-330.
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Tilly
'Textualität'9 als äußerst schwierig erweist. Dies gründet sich im wesentlichen auf zwei Feststellungen: Einerseits handelt es sich bei den vorliegenden Texten durchgängig um keine 'AutorenJiteratur', d.h. eine personenbezogene Verfasserschaft der einzelnen Werke im traditionell-literarischen Sinne (sei es als Autor oder als Redaktor) ist nicht zu erheben 10. Die Texte als verschriftete Kommunikate sagen nichts über ihre Entstehung bzw. über den Werdegang ihrer Vertextung aus lt . Fragen nach der Werksredaktion sind mittels der ausgewiesenen Inhalte nicht zu beantworten. Die traditionelle Benennung von persönlichen Autoren/Redaktoren in der mittelalterlichen jüdischen Literatur 12 ist fiktiv (unkritisch) und entbehrt weitgehendst jeglicher historischer Grundlage tJ . Gänzlich offen bleibt demzufolge die Frage, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang die traditionelle Autorenbenennung realen Anteil an der Vertextung oder Redaktion der Werke hat. Andererseits wirkt sich das allgegenwärtige Phänomen der 'Entkontextualisierung' erschwerend auf die Rezipierbarkeit der rabbinischen Traditionsliteratur aus, d.h. das Fehlen von bestimmbaren textlichen und außertextlichen Bezugsgrößen und Vorgaben (historischer Kontext), die als 'Ydentifizierungsraster' für die intendierte Literarizität dienen könnten, d.h. für wen, aus welchem Grund und warum in der vorliegenden Textualität ein Zeichen (Text) geschaffen wurde. Die Bestimmung des kulturellen und sozialen Umfeldes der Texte, d.h. der sog. realen Bedingungen (sprachliche und außersprachliche Umgebung), die letztendlich 9 D.b. was einen 'Text' als literarisches Konstrukt aus Inhalt und Form zu einem reri· pierbaren Kommunikat macht. 10 Wieweit bei späteren rabbinischen Schriften (wie z.B. PRE und SER) von einer (erkennbaren) ScbriftsteUerpersöolichkeit gesprocben werden kann, siehe Strack / Stemberger, Einleitung (s.o. Aorn. 8) 63. 11 Zum Problem der Datierung nach Rabbinennamen siehe Strack I Stemberger, Einleitung (s.o. Aom. 8) 66-68 (Rabbinennamen als Datierungshilfe). 12 Neben dem STA sind als Hauplquellen die Rezensionen des ISG zu benennen, deren historische Zuverlässigkeit jedoch eher als gering einzuschät7.en ist. Sie sind wohl weitgehendst selbst bereilS Literatur mit fiktivem Inhalt. Spätere mittelalterliche Autoren (z.B. Abraham ibn Daud, Maimonides, Rashi) verarbeiten ISG unkritisch als authentische Ouelle. Vgl. Strack I Stemberger, Einleitung (s.o. Anm. 8) 15f; D.M. Goodblau, Rabbinie Instruction in Sasanian Babylonia, SJLA 9, Leiden 1975, 11-43 (hier 19-33); dazu M. Schlüter, Zur Frage eines Kanons der rabbinischen Literatur im Iggcrct Rav Sherira Gaon und in der Vorrede zum Mishne Tora des Rambam, FJB 15 (1987) 91-110. 13 Wie z.B. für die Mischna: Rabbi Jehuda ha-Nasi (T 4); für die Tosdta: R. J:{iyya bar Abba (T 5); flir den Talmud Yerushalmi: R. Yo~anan bar NappaJ:aa (pA 2); (ür den Talmud Bavli: Rav Ashi und Rabina (bA 6). Vgl. Strack / Stembergcr, Einleitung (s.o. Anm. 8) 57. Dazu G. Bader, The EncycJopedia ofTalmudic Sages, Northvalc u.a. 1988.
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/k, 'Diskurs' als funktionale Fonn im TGiMUd Yenuhalmi
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zur Entstehung der einzelnen Texte geführt oder zu ihrer spezifischen Ausprägung beigetragen haben, ist nicht mehr durchführbar 14. Der historische Kontext ist als verloren und nicht mehr rekonstruierbar zu betrachten 15. Diese 'Textcharakteristika' wirken sich erschwerend auf die literarische Zuordnung, die historische Einordnung und die Bestimmung der redaktionellen Intention eines Textes aus, und somit unmittelbar auf seine Rezipierbarkeit.
2./ Formanalytischer AnsaJz
Insofern inhaltliche Aussagen für die Erhebung einer Werksredaktion unergiebig sind, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Form bzw. den Formen eines Konstruktes, d.h. welche vertexteten Formen aufgrund des redaktionellen Wirkens zu erheben und als solche for.manalytisch zu bestimmen sind. Auszugehen ist von der Feststellung, daß es sich bei den besagten Texten bzw. Werken im weitesten Sinne um Literatur handelt, 16 was besagt, daß sie nur als literarische 'Produkte' verständlich und beschreibbar sind. Dies impliziert, daß bei ihrer Konzeption und Komposition von einem literarischen Verfahren auszugehen ist, das eine (wie auch immer zu beschreibende) literarische Intention der (anonymen)
Texthersteller (TradentenjRedaktoren) bzw. - dem Sachverhalt gemässer - der Texte als sprachliche Kommunikate voraussetzt. Diese literarische Intention äußert sich einerseits in der Auswahl der Inhalte (= 'Tra-
14 Vgl. Goldberg, Diskurs (s.o. Anm. 4) 2. 15 Nach A. Goldberg ist von einer absichtlichen Zerstörung des (historischen) KonteXles auszugehen, da nur dadurch der Rahmen (Bedingung) für eine bcabsichtigle Kanonisierung einer Schrift (Talmud, Midrasch) geschaffen werden konnte. Siehe A. Goldberg, Die Zerstörung von KonteXl als Voraussetzung für die Kanonisierung religiöser TeXle im rabbinischen Judentum, in: Kanon und Zensur. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, Bd. 2, hrsg. von A. Assmann u.a., München 1987,201-211. Vgl. dagegen den Versuch einer 'konteXllicben' Beschreibung, Analyse und Interpretation rabbinischer Literatur (z.B. SiIDev und HerR) bei J. Neusner, Tbe Religious Study of Judaism. Descriplion, Analysis, Interpretation, Vol. 2: The Centrality of ConteXI, Studies in Judaism, Lanham u.a. 1986. 16 Die häurtg vertretene These, daß z.B. die Gemara der Talmude - zumindest ursprünglich - autbentische Protokolle rabbinischer Lehrmeinung der (verschiedenen) Lehrbäuser seien, die später redigiert und modifIZiert (literarisiert) wurden, ist weder aus den TeXlen selbst noch aus ihrem Umreld zu belegen. Vgl. dazu Goldberg, Diskurs (s.o. Anm. 4) 3rr.
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ditionsmotive')17 und andererseits in der Verwendung bestimmter gat· tungsspezifischer l8 Formen, in denen die Inhalte vertextet werden und in ihrer Abfolge bzw. kompositorischen Einordnung innerhalb einer Texteinheit (= 'Redaktionsmotiv')19. So werden Tradilionsgehalte (Inhalte) ausschließlich durch formalisierte Texteinheiten tradiert, die ihre Form durch Redaktion(en) erhalten haben 20. Nicht die wörtlichen Aussagen von Autoren (vox ipsissima) sind vorzufinden, sondern redaklionell geformte Einheiten, d.h. sie liegen in Tradit;onsfonnen vor. Die 'klassische' Traditionsform (Grundform) ist hierbei das Zitat2l , das entweder als Rede (Zitat) im 'miuelbaren Modus'22 oder als Rede (Zitat) im 'unmittelbaren Modus'23 ausgewiesen wird 24 . Aus der jeweiligen Abfolge von Zitaten25 ist weiterhin eine redaktionelle Absicht zu eruieren, d.h. die Zusammenstellung (Kompilation) von Zitaten (Traditionsformen) zu einer 'neuen' Form ist primär als ein Werk der Redaktion(en) anzusehen. So sind Anordnung und AhFolge von Textelementen (Propositionen) innerhalb einer Texteinheit (Ko· 11 DK.scr Terminus wird von A. Goldberg. Entwurf einer formanalytischen Methode tur d~ Exegese der rabbinischen Trawtionsliteralur, FJB 5 (1917) 1-41, hier 8-1 I. erstmals verweodel, um die beabsichtigte Auswahl uad Abfolge der zu erhebenden Inhalte, die iD deo Texten ausgewieseD werden, zu bezeichnen: .. Das Traditionsmoliv beslimmt. was im em.zelnc:n zitiert wird.. (18). Vgl. Goldbc:rg. Diskurs (s.o. Anm. 4) 4. 11 La. als FonD 'Diskurs' in der Gemara der Talmudim oder als Form 'Midraschsatz' in den Midra.vbim. 19 S~be Goldberg. Entwurf (s.o. Anm. 17) 18: _Das RedaktionsmOliv bestimmt, in welcher Abfolge und in wekbem Zusammenhang zitiert und auch. wie das Zital gegebeneD(aUs verindert wird." 10 Siebe P. Scbäfer, Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums, AGJU 15, leiden 1978,6: _Jeder rabbinische Telll, sei es ein 'homiJclischcr' oder 'exegetiscber' Midrasch, sei es eine Sugyah im Talmud, sei es ein Tradilionskomplex im sog. historischen oder erzählenden Midrash, ist Literatur, d.h. durch meisl mehrere Redaktoren geformte und geslaltele Überlieferung, die uns nur in ihrem Endstadium 'Zugänglicb ist; vorausgehende Stadien der scbriftlichen und vor altem mündlichen Traditionsbildung sind in den seltensten Fällen greifbar oder rekonstruierbar." 21 Vgl. Goldbc:r& Entwurf (s.o. Arun. 17) 3-8 (Tradition und Zitat); dcrs., Zitat und eitem. Vorvblige rür die dc.scriptive Terminologie der FormanaJyse rabbinischer Texte, FJB 6 (1978) 23-26; den., Ouestem, FJB 14 (1986) 99 Anm. 2. 22 In der Vertextung: melakommunikative Mitteilung mit anschließender Lokution (_N.N. sagte: .....). 23 Lokution ohne metakommunikative Au.ssage (anonymes Diktum). 2A Siebe. ausf"uhrlicb Goldbc:r& Diskurs (s.o. Anm. 4) 16 (Der Modus Ider Redei). 2S Wobei da'o'Od auszugehen ist, daß in deD meisten Fällen - wie bereilS gesagt - die GeDe5C eines Zitates und seine ursprüngliche (originäre) Zuordnung (Konlext) unbekannt sind.
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'Diskurs' Qls funkl.iOfta/~ Fonn im Ta/mud
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text)26 zum Zwecke der Erstellung eines 'Traditionszusammenhanges'27 erkennbar Beleg für eine redaktionelle Tätigkeit, jedoch keineswegs für eine ursprüngliche oder ursächliche Textsituierung28 . Der Texthersteller bzw. die Texthersteller bedienten sich lediglich eines literarischen Verfahrens (z.B. des der Kompilation) zur Formulierung einer 'zielgerichteten (neu-intendierten) Aussage' unter Verwendung von (überwiegend) vorgegebenen bzw. (von ihnen) modifizierten Zitaten29 . Sie schufen lite· rarische Formen (z.B. die Form 'Diskurs'), um einen bestimmten Sachverhalt zu fixieren. Demzufolge ist die rabbinische Traditionsliteratur generell als eine Literatur zu bestimmen, »die rabbinische Traditionen {nicht] in der Form ihrer ursprünglichen Traditionen wiedergibt, sondern (als] eine Literatur, die Traditionsstoffe in bestimmten Traditionsformen enthält«30. Demzufolge ist von der Feststellung auszugehen, daß sich die ausgewiesenen Traditionsstoffe nur durch die Bestimmung ihrer Traditionsform(en) textkonform bestimmen lassen: Inhalte sind somit letztendlich nur über ihre jeweilige Form zu erschließen. Ein lohnender Ansatzpunkt zum Textverständnis erscheint demzufolge die formkritische Analyse eines Textes31 . Des weiteren soll es Aufgabe der Formanalyse sein, durch die Beschreibung und Bes!immung von Formen Anhaltspunkte und Aussagen über das redaktionelle Verfahren zu ermitteln, um (als ersten Schritt) den Redaktionsbegriff und seinen Wirkungsgrad auf die Textgestaltung näher zu bestimmen32.
2.2 RedakJion: Talmud Yerusha/mi Der oben skizzierte redaktionelle 'Rahmen' ist auch für die Texte des Talmud Yerushalmi als geltend zu erheben. So ist von der Prämisse auszugehen, daß die dort ausgewiesenen Zeichen (Texte) in einer redaktio26 Siebe Kern, Tröstet (s.o. Anm. 2) 4. 27 Gemeint ist ein literarischer Zusammenhang, d.h. eine fiktive Einheit (z.B. ein Diskurs). 28 Z.B. vergleichbar der Verwendung von Schriftzitaten in Bclegfunktion ohne Einbe· ziehung seines AT-Kontextes. Dazu A. Goldberg, Die Schrift der rabbinischen Schrift· ausleger, FJB 15 (1987) 1·15. 29 Vgl. Goldberg, Entwurf (s.o. Anm. 17) H. 30 Goldberg, Entwurf (s.o. Anm. 17) 7f. )1 Vgl. Schäfer, Studien (s.o. Anm. 20) Ilf. )2 Zur Fragestellung von Diskursanalysc und Redaktion siehe Goldbcrg, Diskurs (s.o. Anm. 4) 29·32.
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nell bearbeiteten Form vorliegen, d.h., daß eine 'beabsichtigte' Redaktion der Textgestaltung geltend zu machen ist. Zwar gilt auch hier (analog zu der übrigen rabbinischen Traditionsliteratur), daß im literatur-historischen Sinne keine persönlichen (personenbezogenen) Autoren/Redaktoren zu erheben sind und daß der historische Kontext der Entste~ hung des Textcorpus Talmud Yerushalmi weitgehendst im Dunkeln liegt33 . Faktum ist, daß der Talmud Yerushalmi selber keine expliziten und historisch verwertbaren Angaben bezüglich seiner Entstehungsgeschichte und der Art seiner Redaktion wiedergibt, d.h. er spricht nicht über sich selbst 34. Demgegenüber ist jedoch zu konstatieren, daß die vorliegenden Traditionsstoffe ausschließlich in einer redigierten Form und somit in einer beabsichtigten Gestaltung tradiert werden35 . Die ausgewiesenen Texte lassen aufgrund ihrer kompositorischen Gestaltung und thematischen Anordnung unzweifelhaft Merkmale (Anzeichen) einer Redaktion erkennen36. Daraus ist zu folgern, daß der Text in seiner strukturellen Vielschichtigkeit primär selbst zum Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung werden muß, um aus ihm Anhaltspunkte über die redaktionelle Konzeption eines Werkes zu eruieren. »Die Texte tei· len nicht einfach Fakten mit, sondern sie sind als Text zunächst das primäre Faktum.«3? Ein entscheidendes 'Text-Faktum' zeigt sich in der jeweils ausgewiesenen Form, in der Traditionsstoffe tradiert werden. Daraus leitet sich der methodische Ansatz ab, Fragen bezüglich der Redaktion mit Hilfe formanalytischer Untersuchungen zu beantworten. Die Bestimmung von ForJJ Die allgemeine, literaturhistorische K1assifwerung des Talmud Ycrushalmi als ein
Werk der palästinischen Amorärer (z.B. der aus Tiberias) ist für die Textanalyse selber wenig ergiebig, da spezifische Merkmale 'amoräischer Literatur' und ihr historischer Kontext nicht zu erheben sind. Zu den möglichen historischen Bedingungen (Zeit, Ort, Grund) einer EndredaktiOD des yT siehe im Überblick Strack / Stemberger, Einleitung (s.o. Anm. 8) 168f; Neusner, Judaism in Society (s.o. Anm. 1) 3-26; Bader, Encyclopedia (s.o. ARm. 13) 421·451. Weitere Literatur bei Bokser, Bibliographical Guide (s.o. Anm. 8) 195-199. 34 Vgl. Ginzberg, Commentary (s.o. Anm. 8) XXXVII: ..The Palcstinian Talmud maintains complete silence about its history. No editor is mentioned, 00 time of compilation is indicated, 00 editorial principle is given which would enablc us to tcllthe proccss of elimination and selection of tbe 'last body of materiaJ available... 15 So auch Wewers, Probleme (s.o. Anm. 8) 9: .... in den Sammelwerken der rabbinischen Traditionsliteratur finden sicb keine unredigierten Traditionen.« J6 Vgl. dazu Neusner, Taxonomy (s.o. Anm. I) 13:.1f thercfore we now take as fact that tbc Talmud before us is tbe result of a generation, or severaJ generations, of re· daction, it is because we see the evidence of active participation in the formation of the documenl: a plan, a program .• 31 Wewcrs, Probleme (s.o. Anm. 8) 4.
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men und der Nachweis von Formentypen und besonders die Beschreibung ihres jeweiligen strukturellen Aufbaus sollen Aufschluß über das für einen Textaufbau bestimmende Redaktionsmotiv (siehe oben) geben. Die formanalytische Deskription erlaubt somit Aussagen über das angewandte literarische Verfahren, d.h. über die Redaktion J8 . Ein wesentlicher Ausgangspunkt zum Textverständnis liegt in der sog. Synchronizität eines Kommunikats begründet. d.h. ein Text liegt (als historisches Produkt) immer in einer 'End-Gestaltung' vor J9. Dies besagt, daß einzelne Textsegmente, die für sich genommen historisch und literarisch eine eigenständige Genese aufweisen können, zeitgleich als Konstituenten eines Textes vorliegen 40. Die synchrone Relation mehrerer Textkomponenten wird durch das Mittel der Kohärierung erreicht: Ein Text bildet somit eine kommunikative Einheit. Dieser Status der Vertextung entspricht dem Erscheinungsbild der Texte, wie sie uns heute vorliegen, d.h. im Status der Endredaktion. Weder die (möglichen) redaktionellen Vorformen eines Textes noch die ursprüngliche Gestalt der einzelnen Texteinheiten, falls solche (in jedem Fall) angenommen werden dürfen, sind eindeutig faßbar und konkret in ihrer Entwicklung nachvollziehbar. Sie entziehen sich weitgehendst formgeschichtlichen Fragestellungen und dem Versuch, ihren 'Sitz im Leben' zu bestimmen (oder zumindest zu konkretisieren). Dies bedingt, daß auch bei den Textvorlagen des Talmud Yerushalmi nicht von einem 'ursprünglichen Zustand' der Texte ausgegangen werden darf, sondern ausschließlich von dem einer 'endredaktionellen Prägung'41. Ein evidentes Charakteristikum dieser endredaktionellen Prägung ist jedoch ihre Heterogenität (Uneinheitlichkeit). d.h. von einer einheitlichen Redaktion aller Texte des Talmud Yerushalmi ist keineswegs auszugehen, eine solche Annahme wäre sogar als fiktiv anzusehen 42 . Dies ergibt sich bereits aus der begründeten Überlegung, daß der Talmud Yerushalmi (als historisches Produkt) nicht als ein Werk 'verfaßt' worden ist, sondern in der heutigen Gestalt als eine Sammelschrift (Kompila·
3B vgJ. Goldberg, Diskurs (s.o. Anm. 4) 4. J9 Siebe ausführlich Goldberg, Diskurs (s.o. Anm. 4) 4-6. 4(1 Goldberg, Diskurs (s.o. Anm. 4) 6: .. Die Syncbronizilät eines Textes ist ... das g1eich7.eitige Nebeneinanderstehen von verschiedenen Einheiten unabhängig von der Zeit der Entstehung der Einheiten_. 41 Vgl. Neusner, Taxonomy (s.o. Anm. I) 4.7; Schäfer, Studien (s.o. Anm. 20) tr.G. 42 Siehe z.8. Wewers, Probleme (s.o. Anm. 8) 10: .. Dit Redaktion ist eine ebensolche Fiktion wie tkr Autor I Verrasser des yT...
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tion) vorliegt, die aus einzelnen Schriften (= Traktaten) besteht 43, die wiederum eine eigenständige (redaktionelle) Entwicklungsgeschichte (Genese) aufweisen (können). So ist zu konstatieren, daß Fragen nach der Redaktion jeweils an einen 'Einzel-Text' (= Traktat) zu richten sind 44 und ihre Beantwortung durch die Methode der Formanalyse zu erheben ist. Mit G.A. Wewers ist auf dieser Grundlage zu schlußfolgern: »Der Redaktionsbegriff wird nicht mehr mit Personen (Autoren, Tradenten) oder historischen Situationen verbunden oder daraus gewonnen, sondern muß sich aus der Struktur der Texte selber ergeben.«45 Die Bestimmung der redaktionellen Textstrukturierung zur Erhebung einer Form 'Oiskurs' soll- wie bereits vorgegeben - durch die separate Deskription des Strukturbegriffs funktionale Fonn und der vertexteten Formrealisierung durchgeführt werden 46.
3. Diskurs: Funktionale Fonn Zur Ausführung der ThemensteIJung wird nachfolgende Gliederung vorgegeben: 3.1 Vorgaben zur Diskursanalyse 3.2 Funktionale Form: Form und Formrealisierung 3.3 Basisstruktur: Simplexform 3.4 Diskursgang: Argumentationsstruktur 3./ Vo,!:aben zur Diskursanalyse
Die 4Form Diskurs' sei (im weitesten Sinne) definiert als: gestaltete Rede über einen (vorgegebenen) Sachverhalt, deren Konstituenten argumentativ aufeinander zu- bzw. angeordnet sind. Die Verknüpfung (Kohärierung) der einzelnen Diskurskomponenten soll als Produkt einer beabsichtigten Gestaltung angesehen werden. In 43 Siebe Ginzberg. Commentaty (s.o. Anm. 8) XLI. Neusnet, Taxonomy (s.o. Anm. 1) 145r. Vgl. dazu analog zum bT J.N. Epslein, Introduclion 10 Amoraic lileralure. Babylonian Talmud and Yerushalmi (hebr.), Jerusalem 1957 12: "::JODl nJOD "JID l
1~ 1~1) K~1 ,~11W 1'1"0 Oll 1"V' 01 )" '9 7VW ,10~V~ '90 Kl~ "1'"1XO W'1 "101'P "1")00 W'W K~ "nx 1010. 44 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auf die TeKtmenge des Traklatcs Mocd Q"an (yMQ). Vgl. oben Anm. 7. 45 Wewers, Probleme (s.o. Anm. 8) 11. Vgl. dazu Neusncr, Taxonomy (s.o. Anm. I) 713 (Yerushalmi's redadionaJ program).
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diesem Sinne kann der Diskurs prinzipiell als eine redaktionell gestaltete 'Xunstform' bezeichnet werden, dessen Form durch das literarische Verfahren der Redaktion realisien wird 47 . Der linguistische Beschreibungsansatz eines solchen redaktionellen Verfahrens und seines ihm zugrunde liegenden Konzeptes ist in dem vorzufindenden Aufbau einer Texteinheit zu suchen, der die Kriterien für die Bestimmung einer 'diskursiven Form' ausweist, d.h. durch die Beschreibung der Textstruktur ist das 'Regelwerk' zu bestimmen, das bei der Erstellung der Form Diskurs jeweils angewendet wurde 48. Bei der Bestimmung dieses 'Regelwerkes' zur Erhebung der 'Form Diskurs' ist grundsätzlich von den - bereits erwähnten - beiden Hauptprämissen auszugehen 49, nämlich daß der zu analysierende Text a) als syndvonu Tal vocliegt. Alle einzelnen Segmente, die einen Text Ir:onstituieren. liegen - ungeacbtet ihrer (möglichen) historischen Genese - zur gleichen Zeit in einer vorgegebeoco (statischen) Abfolge vor. Diese Synchronizität eines Zeichens beinhaltet auch die Textsichl, unterschiedliche inhaltliche ZuordoungenSO und Textsorten und .gattungen S1 , die in einer Tutur gleieh7.eitig prisent sein Ir:önnen, als rur die KOllStituierung eines Textes g1eic.hwertig zu behandeln. b) in seiner vorliegenden Gestaltung das E'8f!bniJ t:inf!s (end)rediUctjOllcl/cfl VctfallTCfIJ ist. Die au.\tew;escne dislr:ursive Abrolge ist als gewollt anzusehen; es liegt ihr ein 'literarisches Konzept' (Regelwerk) zugrundeS 2.
3.2 Funklionale Fonn: Fonn und FonnreaJisierung
Der Fonnbegriff, wie er hier verwendet werden soll, ist der der 'funktionalen Form'. Er ist von der 'literarischen Form' eines Textes abzugrenzen. Eine solche Differenzierung basiert auf der Benennung von zwei Deskriptionsebenen, nämlich der Beschreibung der 'Oberflächenstruktur' und der 'Tiefenstruktur' einer Texteinheit. und dies mit der Zielsetzung, zwischen 'Form' (= funktionale Form) und 'Formrealisierung' (= literarische Form) zu unlerscheiden 53. •7 Vgl. B.M. Bokser, Talmudie Form Criticism, JJS 31 (1980) 46-60, hier 55. 48 Siehe Goldberg. Diskurs (s.o. Anm. 4) H u. Anm. I. 49 Siebe oben S. 373(. SO Z.B. die tradiliooeJJe inhaltliche Zuordnung nach den Begriffsfeldern Halakha und Aggada. SI l..B. nach literarischen Typologien: lUstorwerende Err..iblungen., Fabeln, Gleichnis· se, Sprichwörter, Spruchsammlungen usw. S2 Siehe Neusoer, Taxonomy (s.o. Anm. I) 13: _Tbe work o( redaetion was active and (oUowed a program«. SJ Eine vergleichbare Terminologie zur formanalytischen Deskription der Midrasc.hli· teratur rmdet sieh bei A. Goldberg. Die (unlr:tionale Form Midrasc:h. FJB 10 (1982) 1.45, hier 2f. Es wird zwischen einer 'funktionalen Form' (_die Form, die notwendig bei der Herstellung von Texten der Sorte Midrasc:h entsteht oder verwendet w;rd..) und einer 'literarischen Form' (_das sind Formen, die in der Literatur jeweils vorfindlieh sind..) un-
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376 Die beiden Deskriptionsebenen sind vorab wie folgt zu skizzieren: Unter Olnrfl4che11Struklur seien die jeweiligen wörtlichen (literarischen) (Aus)gestal. tungen einer Textur zu verstehen, wie sie sich (unmittelbar) erkenobar auf der TextoberRäche ausweisenS'4. Sie sei als literwirche Form bezeichnetSS . Auf ihr zeigen sich die vielfältigen literarischen Gestaltungsmöglichkeiten der Vertextung, wie 7~B. die Verwendung von ausgewählten Stilelementen, syntaktischen (grammatikalischen) Formen und dem gliedernden Formulargut. Über sie sind mittels der Bedeutungsanalyse der SachaussageD die jeweiligen Inhalte zu bestimmen, die sieb jedoch in ihrer Gesamtaussage häufig als ambig bzw. redundant erweisen und damit das Verständnis für den (heutigen) RezipieD. ten erheblich erschweren können. Als nefuutnJklur sei das einer Textgestaltung zugrunde liegende Regelwerk bezeichnet, das sich durch die argumentative Relation der einzelnen Textkonstituenten zueinander (Syntagma) ergibt. Die Erhebung eines solchen Regelwerkes sei alsfunktionale Form gekennzeichnet56 . Die funktionale Form eines Diskurses beschreibt somit die Funktion von Diskurskonstituenten innerhalb eines Diskursganges, d.h. die (formale) Zuordnung der Propositionen zueinander ('Relation der Zuordnung') im Rahmen eines Diskursaufbaues. Sie erweist sieb im wesentlichen in einer funktionalen Argumentationsstruktur, die sich z.B. bei einer dialogischen Textabfolge in der Relation von Frage·Anlwort (und Einwand-Widerlegung) bzw. bei einer monologischen Textabfolge in der Relation von Aus· sage und Modifikation manifestieren kann. Die zugeordneten Konstituenten (eines Diskurses) sind die ausgewiesenen PropositionenS 1, die in ihrer jewciligen Zuordnung (Funktionsbestimmung) ein festes (statisches) Strukturgebilde ('" funktionale Form) konstituieren, das zwar an der Textobcrnäche nicht verbaliter ausgewiesen ist, jedoch der jeweiligen literarischen Gestaltung (Verlcxtung) als Strukturicrungsprinzip zugrunde liegt58.
Der entscheidende Grund für die (versuchte) Trennung in zwei 'Text· ebenen' ist in dem Tatbestand zu suchen, daß die 'Formen' der Text· oberfläche in ihrer formalen Vielfältigkeit und inhaltlichen Vieldeutig· keit eine Analyse und Bestimmung des Textaufbaus - insbesondere beim heutigen Stand der Textkritik - nur schwerlich durchführbar erscheinen
terschieden (siehe unten). 504 Siehe H. Bußmann, Lexikon der Sprach.....-isscnschaft, Stullgart 21990, 539 s.v. Ober· flächenstruktur: ,.In einem allgemeinen Sinn: Unmittelbar beobachtete aktuelle Gestalt von Sätzen, wie sie in der Kommunikation verwendet werden... 55 Siehe Goldberg, Funktionale Form Midrasch (s.o. Anm. 53) 3: ,.Die literarische Form ist die Form des diskursiven Textes (die ,.Rede.., die der Autor oder ,.Vcrtcxter.. hält)... 56 Vgl. analog die Beschreibung der funktionalen Form des Midrasch: ,.Als funktionale Form sei nun ein System von Relationen bezeichnet, ein Syntagma, welches die Be7.iehung zwischen den einzelnen Teilen des Textcs bestimmt, also ein rclationalcs Verhältnis zwischen einzelnen Teilen des Textes der Sorte 'Midrasch' .., Goldberg, Funktionale Form Midrasch (s.o. Anm. 53) 2. 51 Siebe Goldbcrg, Funktionale Form Midrasch (s.o. Anm. 53) 3. 58 Vgl. dazu A. Goldberg, Die 'Semikha'. Eine Kompositionsform der rabbinischen Homilie, FJB 14 (1986) I H.
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lassen, und somit auch letztendlich die (umfassende) Rezipierbarkeit von Inhalten beeinträchtigen. Somit soll der Formbegriff 'Diskurs' der Textsorte Gemara (als funktionale Form) auf der Ebene der Tiefenstruktur erhoben werden: Der Diskurs definiert sich also nicht primär durch seine im jeweiligen Text ausgewiesene sprachliche Gestaltung (Inhalte), wie sie als literarische Form auf der Textoberfläche evident ist, sondern durch die ihm zugrunde liegenden funktionalen Zuordnungen, d.h. er definiert sich ausschließlich durch die Funktion(sbestimmung) seiner Konstituenten. Während die literarischen Formen eines Kommunikats, die unmittelbar an der Textoberfläche ausgewiesen sind, als 'dynamisch'59 bezeichnet werden könnten, erweist sich das (der literarischen Formen obliegende) Regelwerk, das nur mittelbar zu erschließen ist, eher als eine 'statische'60 Größe, die - bewußt oder unbewußt - bei der Vertextung angewendet wurde. Es gilt also, zwischen der (funktionalen) Form eines Kommunikats und der jeweiligen Formrealisierung (literarische Form der Textgestaltung) zu unterscheiden, wobei die Erhebung der funktionalen Form des Diskurses das primäre Ziel der Formanalyse sein soll. 3.3 BasustrukJur: Simp/ex[orm
Ausgehend von der obigen Vorgabe, daß eine funktionale Form 'Diskurs' an der Textoberfläche unterschiedlich realisiert werden kann, ist die Zielsetzung zu apostrophieren, differente Vertextungen einer funktionalen Form zuzuordnen. Dies besagt, daß einer solchen funktionalen Form unterschiedliche Textmengen (-quantitäten)61 und/oder Textsorten (-arten)62 zugeordnet werden können, ohne daß sich dadurch die funktionale Form eines Diskurses verändert. Sie sind für die Formbestimmung indifferent. Zur Fixierung der Basisstruktur gilt es zuvörderst, die (in vieler Hinsicht) komplexe Textur in eingrenzbare Texteinheiten aufzulösen, d.h. die Strukturerhebung(en) an diskursiven Textsegmenten durchzuführen, 59 'Dynamisch' im Sinne einer nicht begrenzten, vielfältigen und kompositorischen Textgestaltung, deren sprachliche Elemente - je nach der Intention der Texlverfasserschaft - weitgeheodst frei gestaltbar sind. 60 'Statisch' in dem Sinne, daß eine eindeutige und sicher bestimmbare Struktur und Zuordnung der Propositionen gegeben sein muß, die die Form 'Diskurs' begründet. 61 Z.B. bedingt durch die unterschiedliche Anzahl von Propositionen in einer argumentativen Abrolge. 62 Wie z.B. BaraitOf., Tosdta-:Utate, Midraschsätze, (amoräische) Traditionssät:r..c, halakhische und aggadische Texteinheiten, Narraliva usw.
378 deren textlicher Umfang (Anfang und Ende der Textmenge) genau zu bestimmen ist (Textmengenbegrenzung). Eine solche Einzelform sei als Simplexform des Diskurses bezeichnet63. Sie umfaßt die sog. 'Grundform' eines Diskurses, d.h. den argumentativen Aufbau eines Zeichens (Textes). der sich durch eine unabdingbare 'Mindeststruklur (Basisstruktur) als Form Diskurs ausweist. Sie ist die denkbar kleinste, selbständige Einheit einer formalisierten Rede (eines Diskurses). Als solche bildet sie ein autonomes, diskursives Konstrukt, das eine bestimmte Thematik abhandelt und deren Aussage(n) in der jeweils vorliegenden Vertextung (Formrealisierung) rezipierbar sein muß (müssen). Diese thematische 'Eigenverständlichkeit', d.h. die (uneingeschränkte) Rezipierbarkeit eines Zeichens (Diskurses) ohne Einbeziehung der 'umliegenden' Textmenge (Kotext), soll (u.a.) als eindeutiges Indiz für die Vorlage einer selbständigen (Basis)form Diskurs gelten. Dies gilt uneingeschränkt der (möglichen) Typisierungen und Klassifizierungen von Diskursen. Ausgehend von der BinaritätM der Textsortenzuordnung Mischna und Gemara in der fortlaufenden Textur, ist an der TextoberOäche ein evidentes (Zu)ordnungsprinzip erkennbar: Eine thematisch eingrenzbare Textmenge der Gemara ist einem Mischna-Lemma (ML) in der Weise zugeordnet, daß das jeweilige ML gegenüber dem Gemara-Segment als 'Bezugsgröße' fungiert. Dies realisiert sich an der TextoberOäche durch eine inhaltliche Zuordnung der heiden Elemente: Das Textsegment der Gemara nimmt jeweils die vorgegebene Thematik des ML auf und führt diese (wenn auch keineswegs ausschließlich) diskursiv aus, d.h. die 'Bezugsgröße' (ML) thematisiert die nachfolgende 'Erörterung'. DemzufOlge ist prinzipiell zwischen 'ThemensteIlung' (durch die Bezugsgröße) und 'Thematisierung' (durch die ihr zugeordnete Erörterung) zu differenzieren. Aus dieser inhaltlichen Bezugsetzung ist formal eine 'Relation der Zuordnung' ableitbar, die sich durch die (unmittelbare) Abfolge von ob-
Von dieser Einzclformbestimmung sind die sog. Komplexformen auszugrenzen, die - im weileslen Sinne - als kotextlicbe, diskursive Einheilen zu bestimmen sind, die z.8. Simplexformen UJldfoder niebt·diskursive Formen (in Abrolge) als 'Konslituenzien' einer umra.w:nden (komplexen) Formbildung aufweisen. Sie w-erden im Rahmen dieser The· mensteUung tÜcbl bebandelt Wld bleiben einer separalen Aurarbeilung vorbehalten. 64 KlassifIZierungs' und BescbreibungsansalZ, in dem das Verhältnis zweier Größen (Werte) zueinander bevhrieben wird. Vgl. E. GÜltgemanns. Einführung in die Linguistik rur TexI'Nissensc:hafder, Forum theologiae linguisücae 2, Bonn 1978, 4; Bu8mann, Lexi· kon (s.o. Anm. 54) 135. 6J
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jektsprachlichen und metasprachlichen Aussagen65 konstituiert. Die 'Bezugsgröße' sei - als objektsprachliche Aussage - Diskurs-Parameter genannt. die ihm zugeordnete diskursive 'Erörterung' - als metasprachliche Aussage - Diskursgang. Der Nachweis beider Diskurskonstituenten ist formanalytisch für die Erhebung einer 'Fonn Diskurs' unabdingbar. Der Diskurs-Parameter ist als sog. 'kennzeichnende Größe' im Rahmen einer Dislrursstrukturierung zu bestimmen., der - im Regelfall - die Diskursthematik vorgibt, während der Diskursgang, der sich - als eigenständige Komponente - durch eine Abfolge von (einander zugeordneten) Propositionen strukturien, diese Thematik aufnimmt und sie diskursiv ausführt. Der Parameter des Diskurses ist immer als Einleitungselement zu erheben, das den nachfolgenden Diskursgang thematisiert. Der Parameter nimmt somit formal die Stellung einer 'Bezugsgröße' ein, dem die abfolgende, diskursive Textmenge (Diskursgang) funktional zugeordnet ist. Hieraus ergibt sich eine (geschlossene) Zuordnungsrelation in der (festen) Abfolge von Diskurs-Parameter und Diskursgang. Aufgrund dieser Bezugsetzung ist die Proposition des Parameters als objektsprachlich ('Aussage über einen nichtsprachlichen Sachverhalt'), die des Diskursganges als metasprachJich ('Aussage über sprachlichen Sachverhalt') zu qualifizieren., so daß sich generaliter die funktionale Form Diskursais Simplexform - formal aus der Abfolge von objektsprachlichen und metasprachlichen Aussagen kons.tituiert. Des weiteren erlaubt diese Formvorgabe die Determinjerung der Tutmengenbegrenzung einer Simplexform, d.h. die Fixierung des Diskursumfanges. Da die Textur der Gemara keine expliziten 'Kennungen' (textimmanente Signale) an der Textoberfläche aufweist, die den Beginn und das Ende eines Diskurses eindeutig markieren, soll sich der jeweilige Umfang der diskursiven Textmenge (Anfang und Ende eines Diskurses) aus der oben beschriebenen 'Relation der Zuordnung' von DiskursParameter (Pa) und Diskursgang bestimmen lassen. Hierbei soll der Grundsatz gelten., daß der 'Strukturumfang' der funktionalen Form Diskurs den Textumfang eines Diskurses bedingt Ausgehend von dem Anspruch, daß die Fixierung von Parametern in Abfolge ein Textkontinuum aufgrund ihrer Funktion als 'Bezugsgröße' zäsurieren, indem mecasprachliche Propositonen als Diskursgang einer objektsprachlichen Proposition als Diskurs-Parameter funktional zuge6S Zur linguistischen Begrifflicbkeit von Objekt- und Metasprache siehe 8ußm3nn, Lexikon (s.o. Anm. 54) 643 s.v. Objekuprac.be V$. Metasprac.he. VgJ. dazu Kern, Tröstet (s.o. Anm. 2) 4 (DefUlitionen).
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ordnet werden, wird formal die Segmentierung der Textmenge in ausgrenzbare, parameterabhängige Einheiten ermöglicht. Die Segmentierung begründet sich auf die Zuordnungsrelation <-l, die sich wie folgt formalisieren läßt:
r
Pa (A) <- Diskursgang + Pa (B) Textmengen zwischen zwei Parametern (A) + (B) lassen sich demzufolge - ungeachtet ihrer Vertextung - formal ausgrenzen und einer Proposition in der Funktion des Diskurs-Parameters (A) als Diskursgang zuordnen: Ein Diskursgang beginnt folglich nach einem ParameIer [Pa (A») und endel vor dem nachfolgenden Parameter [Pa (B») 66, wobei Pa (B) in Abfolge wiederum als 'Bezugsgröße' (= Pa (A für das nachfolgende Textsegment fungiert (usw.). In dem Nachweis der Diskurskonstituenten 4Diskurs-Parameter' und 'Diskursgang' als Formeinheit (Basisstruktur) Diskurs [Pa (A) <- DiskursgangJ läßt sich aufgrund des eingrenzbaren 'Strukturumfangs' der Textumfang eines Diskurses zäsurieren. Dies zeigt sich an der Textoberfläche am häufigsten in der Gestalt, daß ein Wechsel in der Thematik innerhalb der Textabfolge (Kotext) den Beginn bzw. das Ende eines Diskurses formal signalisieren kann, d.h. die Vorlage einer neuen bzw. modifizierten ThemensteIlung (formal zu belegen durch den Nachweis eines 'neuen' Parameters mit nachfolgendem Diskursgang) kann somit als Segmentierungskriterium dienen 67 .
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3.4 Dukursgang: ArgumentaJ;olUStrukrur Die Struktur des durch die Parameterzuordnung zäsurierten, metasprachlichen Textsegments, d.h. des Diskursganges, ist als Abfolge von Propositionen zu segmentieren, die bestimmbare Funktionen im Rahmen der diskursiven Argumentation aufweisen. Die jeweilige Funktion und ihre syntagmatische Bezugsetzung lassen sich als 'Relation der Zuordnung' beschreiben, aus der sich - als propositionale Argumentationsstruktur68 - die Bestimmung der funktionalen Form ableiten läßt. Demgemäß ergibt sich die Argumentationsstruktur - als theoretischer Beschreibungsansatz - aus der funktional bestimmbaren Abfolge einzelner 66 vgJ. Goldberg. Diskurs (s.o. Anm. 4) 13; Neusner, Taxonomy (s.o. Anm. I) 8. 67 Stehe Neusner, Taxonomy (s.o. Anm. I) 8: .Sy unit or discourse .... 1 mean simply a discussKMa 00 a single lopic, beginning either at a pericope or the Mishn3h or at the point at which tbat lopic is raised, ending eitber at the Den pericope or the Mishna or at the point at which some other topic ist introduced, re.spectively." 68 VgJ. Goldberg. Dislr:urs (s.o. Aom. 4) 18: ..Als Argumcntalionsstrulr:tur sei die Strulr:tur der SeweisfUhrung oder Argumentation bezeichnet«,
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Propositionen, die sich im wesentlichen auf die redaktionelle Anordnung gründet. Ihre Fooerung und funktionale Bestimmung bedingen die funk· tionale Fonn des Konstruktes. Ausgangspunkt und Beschreibungsansatz muß demzufolge die Seg· mentierung der in einem Text(segment) ausgewiesenen Propositionen sein. Der Terminus Proposition soll hierbei in seiner allgemein(st)en Bedeutung gefaßt werden: Eine (verschriftete) Aussage (Satz[teil]) als kleinste und autonome Informationseinheit ungeachtet der jeweils realisierten grammatikalischen Form und der syntaktischen Relationen. Sie stellen quasi das Grundelement des textimmanenten Regelwerkes dar, d.h. sie sind die Träger der Aussageinhalte (Argumentationen) eines Textes 69 . Hieraus gilt es, die propositionale Abfolge, d.h. die Relation der einzelnen Propositionen zueinander, zu bestimmen (Syntagma), die sich in ihrer Gesamtheit als eine Abfolge von propositionalen Funktionen beschreiben läßt. Diese Funktionalität der Propositionen determiniert die 'funktionale Form' eines Kommunikats, weshalb die sie konsti· tuierenden Propositionen als 'funktionale Propositionen' zu benennen sind. Das propositionale Relationsverhältnis ist an der Textobernäche aus der monologischen bzw. dialogischen Strukturierung der vertexteten Argumentationsführung - als Einzelrede bzw. Wechselrede - zu entoeh· men, die zur Klassifizierung der Diskursstruktur (und somit auch des Diskurses) als sequentiell bzw. korrelativ dient. Die strukturellen Unterscheidungskriterien sind wie folgt zu benennen: - In einem Monolog findet sich eine (im weitesten Sinne) sequentielle Abfolge von Propositionen (Argumenten). Es liegt eine 'linear' geordnete Menge von Aussagen vor, d.h. Propositioocn werden fortlaufend nacheinandergeslellt und additiv (a...yndetisch) ab· gefolgt (angeordnet). Grundvoraussetzung für die Bewertung einer solchen Textabfolge als monologisch diskursive Argumentationsstruktur muß es jedoch sein, daß die ausgewiesenen Propositionen aufeinander Bezug nehmen (gewollte propositionale Textanord· nung) oder doch zumindest eine gemeinsame 'Aussageintention' im Rahmen der Argumentation aufweisen, die die Begrenzung des 'StrukturumJanf' ermöglichen. Der Eindruck einer 'Reihung' (propositionale Kette) ist. vorherrschend . Ein monologisch struk· turierter Diskurs sei nachfolgend als s~qu~"tjt!llt!' Dislaur bezeichnet. 69 Vgl. Kern, Tröstet (s.o. Anm. 2) 5. iIO Aus dieser allgemeinen Strukturcharakterisierung ist vorab zu konstatieren., daß sich eine monologiscbe Strukturerbebung formbedingt schwieriger geslaltet als bei dialogisch strukturierten Diskut5C.n (siebe unten), da eine 'Reihung' - als asyndetische Abfolge von Propositionen - grundsätzlich nicht an eine (übergeordnete) Form gebunden ist, soadc::rn Bestandteil unlerschiedlicher Textstrukturen sein kann. Als Ein7.clform ist sie im formaaalytischen Sinne nicht diskursiv, d.b. eine diskursive Basisstruktur 'Reibung' ist nicht zu erbeben.
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- Der Diolog ist im wesentlichen durch eine eindeutig bestimmbare korrelative Algu· mcntatioosabrolge gekclUlZeichnct. Die einzelnen Propositionen steben in einer Wechsel· beziehung zueinander und bilden durch diese Relation der Korrelation einen abgeschlossenen 'Slrukturumfang'. Ein solches Korrelat weist demzufolge eiDe eindeutig eingrenzbare Basisstruktur auf, die sieb an der Tenobernäcbe durch die 'Relation von Frage und Antwort' realisiert, d.h. durch zwei Propositionen, die syntaktisch als Frage und Antworl ausgeführt sind7l . Die Propositionen ncomen dah..:i unmittelbaren Bezug aufeinander und sind nur als (syndetisch verbundenes) Korrelat verständJich (rezipierbar). Ein dialogisch strukturierter Diskurs sei nachfolgend als k~/Illilltr Diskurs bezeichnet.
Die Bezeichnung sequentieller Diskurs bzw. korrelativer Diskurs für Monolog bzw. DiaJog erscheint unter dem Aspekt sinnvoU, daß es sich bei solchen Texteinheiten nicht um die Wiedergabe von 'wirklichen (reaJen)' Monologen bzw. Dialogen handeh, sondern lediglich um literarische Konstrukten. Dies w;U besagen, daß die Begriffsfelder, w;e sie (im Sprachgebrauch) mit den Tennini Monolog/Dialog verbunden sind, den Sachverhall nicht eindeutig wiedergeben. So ist z.B. davon auszugeben, daß die Konstituenten (Propositionen) eines diskursiven Textsegments nicht zwangsläuftg für das vorliegende Zeicben (Text) 'verfaßt' wurden, sondern als Traditionsgut eine eigene (uns unbekannte) Genese aufweisen können. Demzufolge können Propositionen z.B. in der funktion von frage und Antwort unabhängig von ihrer jetzt vorliegenden Relation entstanden und erst später durcb einen Texthersteller in die ausgewiesene form gebracht worden sein. Diese Annahme zeigt sich u.a. in dem häufl8en Befund, daß der inhallliche Bezug von frage und Antwort nicht eindeutig bzw. stringent gegeben istn. Es liegen demzufolge keine Monologe bzw. Dialoge im Sinne des kommunen Sprachgebrauchs vor, sondern Texte, die - als Mittel der Vertextung - eine monologische bzw. dialogische Struktur aufweisen. Diesem faktum soU mit den gewählten Termini formal Rechnung getragen werden.
Aufgrund der nachzuweisenden 'Relation der propositionalen Zuordnung' ist nun als Basisstruktur (Mindeststruktur) einer Grundform 'Diskurs' (Simpledorm) der sie auszeichnende Argumentationsaufbau 74 zu benennen. Er realisiert sich durch die Zusammenfassung von zwei propositionalen Funktionen zu einem Argument, d.h. mindestens zwei funk· tionale Propositionen (Propositionen des Arguments) in Abfolge bilden 7t Eindeutig (an der Textobernäche) zu bestimmen bei einer syntaktischen KohärieR. Y i1 )Y: .....). rung durch metakommunikative Mitteilungen (7_B .•R. X 12 Vgl. oben S. 373f. n ZoB. im Falle einer argumentativen Redundanz (Bußmann, lexikon (s.o. Anm. 54) 631: .AJlgemein: Überschüssige Information, d.h. solche Information, die bei störungsfreier Kommunikation ohne Informationsverlust wegfallcn könnte«). Diesc 'überschüssigen Informationen', die über den thematischen Rahmen eines Diskurses (oftmals Wcil) hinausgehen (und sich auf das Verständnis der Textintention häufig störend auswirken), können auf eine (dem (EndJredaktor) bereits vorgegebene Texteinheit hinweisen, die in einem (uns beute unbekannten) literarischen Zusammenhang (Kontcxt) konzipiert wurde und als Ganzes in einen neuen KoleJCt redaktionell eingegliedert wurde, ohne daß dabei ihre 'Identität' (vollständig) verloren gegangen ist. 74 Die formanalytische Bestimmung basiert auf der von A. Goldberg vorgegebenen Erhebung diskursiver Argumentationsstrukturen. Siehe ders., Diskurs (s.o. Anm. 4) bes. 18-24. Auf die dort dargelcgte argumentative Strukturanalyse sei verwiesen (s.o. S. 366)!
m: . .;
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zusammen - aufgrund ihres Funktionsnachweises - eine 'übergeordnete' Struktureinheil., nämlich ein Argument. So gestaltet im Falle - eines korrelativen Diskurses (Dialog) in der unmittelbaren Zuordnung von mindestens zwei Propositionen in der Funktion von Frage und Antwort (-> ein Argument) bzw. (in Fortführung eines Dialogganges) in der Funktion von Einwand (Frage) und Widerlegung/Begründung (Antwort) (-> ein Argument); - eines sequentiellen Diskurses (Monolog) als propositionale Reihe (z.B. Zitatreihung) von mindestens zwei Propositionen, die in ihrer unmittelbaren Abfolge eine eindeutige Bezugsetzung ('Relation der Zuordnung') aufweisen (-> ein Argument). Diese Relation(en) soll(en) formanalytisch als 'Argument des Diskurses' bezeichnet werden, so daß die Formel erhoben werden kann: 1 Argument 2. 2 Propositionen Gemäß der Vorgabe 'Argument: größer gleich zwei (funktionale) Propositionen' bildet der Nachweis eines Argumentes die Voraussetzung für die Grundform 'Diskurs'. Ist also ein (monologischer bzw. dialogischer) Textaufbau erkennbar und belegbar, der die Bestimmung (mindestens) eines Arguments auf der Grundlage einer (oben beschriebenen) propositionalen Zuordnung erlaubt, so läßt sich ein Diskurs, d.h. seine funktionale Form, aufgrund der Argumentationsstruktur bestimmen. Die Mindestvoraussetzung ist demzufolge der Nachweis eines Arguments, d.h. ein Argument für sich genommen kann bereits als kleinste eigenständige Texteinheit und somit als autonomer Diskurs erhoben werden. Daraus ergibt sich, daß die Basisstruktur eines Diskurses die eines Argumemes sein muß, d.h. ein Diskurs muß mindestens aus einem Argument bestehen: Diskurs 2. 1 Argument Mit der Formel 'Diskurs: größer gleich einem Argument' sei generell die funktionale Form eines Diskurses, d.h. die einen Diskurs bedingende Grundform (Basisstruktur), bestimmt. Sie soll ungeachtet aller möglichen Typisierungen gelten.
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Hemz-Peter TiIJy
4. Diskurs: FormreaJisierong Gemäß der vorgegebenen Prämisse der Differenzierung von Form und Formrealisierung75 soll grundsätzlich gelten, daß eine funktionale Form 4Diskurs' unterschiedlich vertextet werden kann, d.h. die funktionalen Propositionen können an der Textoberfläche unterschiedlich realisiert werden, ohne daß sich die jeweilige funktionale Form selber verändert. Die Exemplifizierung der vorgegebenen Diskursdefinition 'Diskurs ..?. 1 Argument' soll sich nachfolgend nur auf die Grundform (BasisSlruktur) des sequentiellen bzw. korrelativen Diskurses beschränken. In Zusammenfassung der bisher dargelegten Formvorgaben konstituiert sich eine derartige Simplexform76 durch den Nachweis der Diskurskonstituenten 'Diskurs-Parameter' und 'Diskursgang' und einer Argumentationsstruktur (im Diskursgang), die aufgrund ihrer propositionalen Zuordnung nur ein Argument ausweist. Demzufolge ist die Basisstruktur des Diskurses als 'ein-argumentativ' zu benennen: Diskurs = I Argument. Als Grundschema rur den Beschreibungsmodus der zu exemplifizierenden Simplexformen soll gelten:
O. Segment;ef1e Textur Propositional strukturierter Übersetzungstext77 (wobei die hebr. Textvorlage grundsätzlich vorausgesetzt wird). J. Textmengenbegrenzung Bestimmung.der diskursiven Textmenge 78 aufgrund einer Pa-
rameterabfolge (A) - (B) im (Paradigma übergreifenden) Kotext. Die Parameter (A) + (8) werden hierbei jeweils durch die entsprechende hebr. Textzeile ausgeführt.
2. Diskurs-Parameter Die Parameter (Pa) werden entsprechend ihrer Vertextung gekennzeichnet: Mischna-Lemma (ML) und Referenzsatz (Rs)79.
1S Siehe oben S. 367; dazu 3.4 Diskursgong: AtgUmentat;onsslruktur S. 383·380. 76 Siebe S. 377-380. n Siehe unten Anm. SO. 78 Siebe oben S. 379f. 79 Unter 'Rderenzsatz' (Rs) sei - in Unterscheidung zu einem durch ein ML realisierten Diskurs·Parameter - jeder Traditionsutz (Zitat, Diktum usw.) in der Funktion eines Parameters benannt.
00049352
~T 'DisJcun'IJ1s funJctiOl'Ulk
385
Fomt im Talmud Yerushll1mi
3. ArgumenlatiolUSlruktur (des Dis/cur.;ganges) Erhebung der Diskursstruktur (Simplexform) und Beschreibung ihrer Vertextung, basierend auf der vorgegebenen Formvorgabe der funktionalen Form des sequentiellen bzw. korrelativen Diskurses. Zur Formverifikation der Simplexform des ein-argumentativen, korrelativen bzw. sequentiellen Diskurses werden paradigmatisch zwei Belegtexte aus yMQ dargelegtSO, deren funktionale Propositionen jeweils durch eine Texteinheit (vertextete Proposition) ausgeführt werden. Die exemplifizierten Grundformen weisen somit 'diskursive Basisstrukturen ohne propositionale Erweiterung' auf, d.h. die Anzahl der darin vertexteten Propositionen entspricht der Anzahl der funktionalen Propositionen.
4. J Korrelativer Dis/cur.;
..
Das Strukturprinzip der dialogisch strukturierten Argumentation im Diskursgang begründet sich eindeutig auf den Nachweis von zwei funktionalen Propositionen, die in unmittelbarer korrelativer Zuordnung (Wechselgespräch) stehen. d.h. als Frage und Antwort. Sie sind zu erhehen als (1) Funktionale Proposition der Frage und (2) Funktionale Proposition der Antwort. Sie sind als 'Proposition des Arguments' zu kennzeichnen, d.h. sie konstituieren aufgrund ihrer syntagmatischen Relation formanalytisch ein korrelativ strukturiertes Argument. Die Zuordnungsintention [(1)-(2») läßt sich hierbei weitgehendst als 'Argumentationsbewertung' bestimmen. Eine diesbezügliche Bewerlungsinlentton, die häufig auch eine Argumentationsbestimmung umraßt. begrÜDdel sieb ronnal durch die Slrukturierung der Argumentation in Form von Frage UM Antwort. Dies zeigt sich besonders. wenn die Relation von Frage und Antwort in der Funktion von 'Einwand (Frage) und Widerlegung (Antwort)' ausgerührt wird Und der (fiktive) Eindruck einer Konklusion (eines Sachentscheid'l) durch die Bejahung oder VerDeinuDg eines Argumentes ( .. Widerlegung) oder eKpressis verbis durch einen Schlußs.atz ( .. Schlußrolgerung) hervorgeruren wird.
80 Als Textgrundlage dient die bereits publizierte Bearbeitung des Traktates Mocd Qatan (yMO) in der Reibe: Übersetzung des Talmud Yerusbalmi., Bd 2/12 Mocd Qalan. Halbreiertage, übers. VOn H.-P. TLUy, Tübingen 1988. Zu Fragen der jeweiligen Themenstellung sei aur die dortige KommeDtieruDg verwiesen (nachfolgend zitiert: Tilly, yMO l5
386
H~inz-P~,u
Tilly
Die funktionale Form eines korrelativen Diskurses läßt sich als Basis-
struktur wie folgt schematisieren: Formvorgabe
Funktionale Form: Diskurs
=
1 Argument
Fomuchema der!ltJlktiolUl!en Form
(A) Parameter (1) FunJctionale Proposition der Frage (2) FunJctionale Proposition der Antwort Relm;o11SVerhäJtnls der funktionalen Form (A) <- (1)-(2).
4.1.0 Texr I: yMQ 8Od,14-15 (A) (Mischna:) Man veranstaltet keine Totenfeier für seinen Verstorbenen.
(J) (2)
Was versteht man unter »'erur« (= Totenfeier)? (Wenn) man (die Totenfeier) zwischen den Toten (d.h. auf der Begräbnisstätte) (öffentlich) veranstaltel.81
Typisierung: Korrelativer, ein-argumentativer Diskurs ohne propositionale Erweiterung (Grundform).
4.1.1 Texrmengenbegrenzwrg: ML(A) -ML(B) Die diskursive Textmenge (1)-(2) wird eindeutig durch die unmittelbare Abfolge von zwei Mischna-Lemmata (A) + (8) aus dem Traktat Moed Qatan 1,3(5)82 begrenzt: (A)83: (8)84:
1l1li
W l1W'
K~1
l)1'~O' K~I.
Die Lemmata (A) + (8) dienen formal als Zäsurierungskriterium, die den Diskursbeginn (-> nach (A» und das Diskursende (-> vor (8» markieren und somit den Diskursumfang bestimmen. Hierbei gilt - wie bereits ausgeführt8S - die Zuweisung: (A) in der Funktion des Pa des vorliegenden Diskurses (siehe unten), (8) als Pa des nachfolgenden Textsegments. 81 Übersetzung: Tilly, yMO 28. 82 Zur Zählung der Mischna siehe TiJly, yMO XIV (Einleitung). 83 yMO 8Od,t4. 84 yMO &ld,15: Pa zum TexLsegmenlSOd,I5-11. 8.S Siehe dazu oben S. 379f.
00049362
Ih, 'Dislcun' ab funktionllie Form im TQ/mud Ye11lShalmi
387
4./.2 Diskurs-Parameter
Der Pa (A) ist in den Diskursgang inkJudiert, d.h. unmittelbar an der Textoberfläche dem Diskursgang [(I)-(2)J vorgegeben, und erlaubt somit eine eindeutige (formale und inhaltliche) Zuordnung der Diskurskonstituenten: (A) <- (1)-(2). Der Pa wird durch ein Teilzitat (Lemma) im unmittelbaren Modus86 aus mMQ 1,3(5) vertextet (siehe oben), dessen propositionale Aussage sich - als halakhische Vorschrift - auf die Halbfeiertage bezieht, an denen ein eingeschränkter Trauerritus gilt87. 4. I.3 ArgumentaJioflSSlrukJur: (A) <- (l )-(2)
Die Struktur des Arguments im Diskursgang umfaßt nur ein Argumen~ deren Konstituenten [(1)-(2)] dialogisch (korrelativ) angeordnet sind 88 . So sind ingesamt zwei Propositionen nach dem Pa (A) zu erheben, die in einer korrelativen Abfolge als funktionale Propositionen der Frage (1) und Antwort (2) angeordnet sind. Sie realisieren sich jeweils durch ein Diktum im unmittelbaren Modus89 . Dabei entspricht die Gesamtmenge der das Argument konstituierenden Propositionen der Anzahl der funktionalen Propositionen, d.h. die funktionalen Propositionen und die vertexteten Propositionen sind identisch. Sie umfassen den gesamten diskursiven Textumfang (Diskursgang) (1)-(2) und können somit formal als ein Argument (des Diskurses) zusammengefaßt werden: (I) - (2) = 1 Argument. Diese argumentative Strukturerhebung erlaubt die Klassifizierung des Diskurses als ein-argumentativer Diskurs. a) Funktion.ale Proposition. der Frage (l). Der Diskursgang wird durch
eine Bedeutungsfrage (lill lX) eingeleitet, die sich unmittelbar auf die Mischna bezieht. Gegenstand der Frage ist die dort durch die Verbform 11UI' formulierte Handlung (»Totenfeier veranstalten(~), deren (konkrete) Bedeutung hinterfragt wird. Daraus ergibt sich die Proposition: Was ist unter 111 Yil (= Totenfeier) zu verstehen, die am Halbfeiertag nicht ' durchzuführen ist; welche konkrete Handlung wird unter diesem Begriff gefaßt und demzufolge, was eigentlich ist am Halbfeiertag verboten, was am Werktag offensichtlich erlaubt ist? 86 Siebe S. 3'70 mit Anm. nf. 11 Zur TbcmCß5IcUung siebe Tilly, yMO 28. 88 Siebe formanalytLscher Beschreibungsansatz S. 381(. 89 Siebe oben Anm. 86.
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H~inz-P~t~r
Tiily
Die Frage selbst ist im unmittelbaren Modus tradiert, d.h. es wird nicht mitgeteilt, wer die Frage stellt, an wen sie gestellt wurde und was der (historische) Kontext (Zeit, Ort und konkreter Anlaß) ist bzw. sein könnte 90 . Es fehlt jede metakommunikative Mitteilung, d.h. es werden keine Angaben zur Textsituierung ausgeführt. Eindeutig ist nur der in· haltliehe Bezug der Frage zum Mischna-Lemma (ML) als Pa (A), d.h. zur Proposition der Mischna, die zwar als halakhische Anordnung (Ver· bot) eindeutig ist (»Man veranstaltet nicht ... [30 Tage vor dem Wallfahrtsfest)«), wobei jedoch der (indifferente) Aussagegehalt von 11W' als auslegungsbedürftig empfunden wird. Durch den unmittelbaren Bezug der Fragestellung zum ML steht die Proposition der Frage in unmittelbarer Relation zur Proposition der Mischna: (I) fragt nach einem begriffsbestimmenden Teilaspekt des Pa (A). b) Funktionale Proposition der An/wort (2). Die Antwort enthält eine kurze Aussage über das, was unter 1"'Yi1 zu verstehen ist, ohne den Begriff selbst aufzunehmen. Dabei könnte unter dem formalen Aspekt als theoretisches(!) Problem angesehen werden, daß (2) als Diktum im unmittelbaren Modus nicht explizit als Antwort zu (1) gekennzeichnet ist, d.h. der Sprechende (Antwortende) bleibt wie in (I) unbenannt. An der Funktion als Antwort besteht jedoch kein Zweifel, da der vorliegende Formzwang (eindeutige Erhebung von (1) als Frage) nur diese Funktion zuläßt und (2) erst durch diese Bezugsetzung verständlich macht. Darüberhinaus kann die inhaltliche Aussage unmittelbar auf (1) bezogen werden, zudem die b~grenzte Textmenge keine andere Alternative of· fenläßt. Ein inhaltliches Problem ergibt sich aus dem Befund, daß die Proposition der Antwort aufgrund der Satzkürze nicht eindeutig zu erheben ist, da z.B. - in wörtlicher Übersetzung - weder das Subjekt noch das Objekt ausgeführt sind: (2): »(Wenn) sie ihn zwischen den Toten erwähnt«. Die in der Übersetzung ausgeführte Auflösung 'wegen dem Verstorbenen öffentlich eine Totenfeier veranstalten', die einen direkten inhaltlichen Bezug zur Fragestellung herzustellen sucht, ist lediglich als eine Möglichkeit zu erwägen, wobei auch hier die Frage nach dem Satzsuhjekt und der Detailaussage ambivalent bleibt91 . 90 vgl. dazu S. 368f. 91 VgJ. alternativ M. Jastrow, A Diclionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalm~ and the Midrashic Literature, 2 Bde., L.ondon t886-I903, Bd. 2, I076b: .She (the wailer) mentions him ... oe, (wohl analog zu bMO 8a: (X) )'~O; Ncusner, Talmud of the Land of Israe~ VoJ. 20: Moed Oatan (s.o. Anm. 8), 150: ,.He Isic?) spcaks of him ... oe; dazu J. L.evy, Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim, 4 Bde., Berlin u.a. 21924, 8d. 3, NI.
000-49362
~r
'Diskun' aß funJctionoJe Fonn im TGimud YelUJhGimi
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Als Proposition der Antwort ist jedoch zu konstatieren, daß eine bestimmte Praktik der Trauerbezeugung benannt wird, die im Rahmen der eingeschränkten öffentlichen Trauerbekundungen an Halbfeiertagen nicht ausgeführt werden soll92, Die Proposition wird weder nachfolgend begründet noch ihre Aussage legitimiert93, sondern in Form eines anonymen Traditionssatzes ausgeführt94. Als solche ist sie aber im Rahmen der Argumentationsstruktur fonnanalytisch verwertbar, d.h. bestimmbar. Die Argumentationsstruktur ist trotz der sehr geringen Textquantität voll ausgeführt. So sind zwei Propositionen zu erheben, die in einer korrelativen Abfolge angeordnet sind, d.h. sie sind dialogisch strukturiert: Sie lassen sich formanalytisch jeweils einer funktionalen Proposition der Frage (1) und der Antwort (2) zuordnen und zu einem Argument zusammenfassen. Da die absolute Zahl (Gesamtmenge) der Propositionen im Textsegment gleich der Anzahl der funktionalen Propositionen ist, erweisen sich die Propositionen 'des Arguments' und die 'im Argument'95 als identisch, was die Zuordnung zur geforderten funktionalen Form (siehe oben Formschema) eindeutig macht. 4.1.4 Die Proposition des Arguments
Die Proposition des Arguments kann demzufolge bestimmt werden: Die Proposition der Frage (1), in der nach der Konkretisierung (Bedeugefragt wird, findet in der tung) des im ML verbalisierten Begriffs Proposition der Antwort (2) ihre formal eindeutige Entsprechung96 : eine öffentlich durchgeführte Trauerbekundung. die an Halbfeiertagen verboten ist. Die Bedeutungsfrage (I) wird durch eine Sachaussage (2) beantwortet. Die auf der Abfolge der argumentativen Proposition basierende Struktur des Arguments kann somit als eine Relation der (Begriffs-)Be-
'''''1/
92 vgJ. dazu mMO 3,8 (Tilly, yMO 119): Öffentliche Trauerbekundungen (bcs. durch KJagcfrauen) sind am Halbfeiertag verboten. 93 Z.B. durch Nennung einer Autorität oder durch die Exemplifikation mittels eines TatfaJles (ma'ase). 94 Wobei es zu beachten gilt. daß die Valenz anonymer Sätze mindestens gleich hoch einzuschätzen ist (wenn nicht gar höher) wie namentlich tradierte Zitate. Vgl. Strack I Stemberger, EinJc.itung (s.o. Aom. 8) 63. 9S Eine solche DifTereozk.ruog ist rormaoalytisdl dann \'OD Bedcutung. wenn z.B. cine funktionale Proposition ('Proposition des Arguments') dW"ch mehrere (eigcnständige) Propositionen iD gleicher FunklioD (sog. argumcntative Propositionen bzw. 'PropositioDCn im Argumenl') realisiert wUrde. Dies ist hier aber nicht der FaJl. 96 Obwohl _ wie oben ausgeführt - der inhaJtlicbc Aussagcgehalt (als BegrifTsbestim· mllDg) nicht eindeutig beoaonl werdeD kann.
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Heinz-Peter 1i/1y
stimmung beschrieben werden: Die Proposition (2) bestimmt einen Begriff aus dem lemmatischen Pa (A), nach der in (1) explizit gefragt wird. Die Proposition des Arguments kann aufgrund der Relationsbestimmung (Strukturbestimmung) im weitesten Sinne als kommentierend bezeichnet werden; sie beinhaltet einen (Sach-)Kommentar. In einem ein-argumentativen Diskurs in der vorliegenden Form entspricht die Proposition des einen Arguments und die Struktur des einen Arguments immer auch der Proposition und Struktur des Diskurses: Heide sind aufgrund der Bestimmung der 'funktionalen Form' als Kriterium der Diskursbildung identisch: Diskurs = 1 Argument. Die Struktur des Diskurses ist analog der Struktur des Arguments: korrelativ, ein-argumentativ.
4.2 Sequemie//er Diskurs
Die für die sequentielle (monologische) Argumentationsstruktur formrelevante Funktion der Propositionen im Diskursgang soll auf der Grundlage des Verhältnisses von Parameter und Proposition bestimmt werden97• Dieses läßt sich einerseits in einer 'unmittelbaren Pa-Relation' und andererseits in einer 'mittelbaren Pa~Relation' fassen. Während die erste Proposition einen Aussagegehalt in unmittelbarer Bezugsetzung zu~ Pa r~a.lis.iert,. n~mm.t die ~~ite Pr.oposit!on ~u.r unmittelbar Bezug auf den Pa, indem sie - im Regelfall - eine (modifizierende) Aussage über die erste Proposition, d.h. über die mittelbare Pa-Relation, ausführt. In diesem Sinne ist als formale Rahmenbedingung für die Erhebung eines monologisch-strukturierten Arguments generell der Nachweis von zwei funktionalen Propositionen vorauszusetzen, deren Funktion und Abfolge als Diskurselement (= Element der funktionalen Form Diskurs) wie folgt zu benennen sind: (1) Funktionale Proposition der unmittelbaren Pa-Relation (2) Funktionale Proposition der mittelbaren Pa-Relation. Sie sind als 'Propositionen des Arguments' zu kennzeichnen, d.h. sie konstituieren aufgrund ihrer syntagmatis~hen Relation formanalytisch ein sequentiell strukturiertes Argument. Die Zuordnungsintention [(1)-(2)] läßt sich hierbei weitgehendst als 'Relation der Modifikation' bestimmen. 97 Zum Problem der Struklurerhebung monologischer Diskurse siehe oben Anm. 70.
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~,
'Diskurs' als funktionale FQml im Talmud Yerushalm;
391
Der für diese Relation signifikante Begriff der 'Modifikation' ist dabei im weitesten Rahmen als 'inhaltliche Relativierung' in Form einer (partiell) bejahenden bzw. erweiternden ('" positiven) und/oder (partiell) verneinenden bzw. einschränkenden ('" negativen) Geltunp·, Begrifrs- oder Ausrührungsbestimmung zu verstehen. Eine diesbezügliebe 'ModiftkaliollSintention' ergibt sieb in den meisten Fällen aus dem Befund, daß der Aussagegebalt einer vorgegebenen Proposition (I) als (ortmals balakhisch) indifferent empfunden wurde und dadllTcb ein(e Art) 'ModifikatiollSbedarf vorlag. der durch eine nachfolgende, differenzierte(re) Aussage (2) realisiert wurde.
Die funktionale Form eines sequentiellen Diskurses läßt sich als Basisstruktur wie folgt schematisieren:
FomJVorgabe Funktionale Form: Diskurs = 1 Argument
Fonnschema der funktionalen Fonn (A) Parameter (1) (2)
Funktionale Proposition der unmittelbaren Pa-Relation Funktionale Proposition der mittelbaren Pa-Relation.
RelaJionsverhältnis der funktionalen Form (A) < -
(1 )-(2).
4.2.0 Text 2: yMQ.82b,22-25
(A) (Mischna:) Wer seinen Toten drei Tage vor dem Wallfahrtsfest begräbt, (so) ist für ihn die Einschränkung der 7 Trauer-
(1)
tage aufgehoben. Man sagt dies nur bei drei Tagen (vor dem Fest), dies (gilt) nicht bei zwei Tagen.
(2)
Dies, was du sagtest, (gilt) nur für (den Leidtragenden) selbst, aber (nicht für) das Volk, (und so) braucht das Volk (nach dem Fest) sich nicht um ihn (tröstend) zu kümmern 98 .
Typisierung: Sequentieller, ein-argumentativer Diskurs ohne propositio-
nale Erweiterung (Grundform).
98 Übersetzung: Tilly, yMQ 76.
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392
4.2./ Textmengenbegrenzung: ML(A) - Rs (B) Der Umfang des Diskursganges [(1)-(2)J wird durch die Parameterahfolge (A) + (B) begrenzt. (A) realisiert sich hierbei durch ein Lemma aus mMO 3,5 und (B) durch einen Referenzsatz (Rs) in Form einer Baraita (vgl. tMO 2,7(6»: öllIJII nl'nl
(A)99: (B) I{)():
.11lK 01pOJ
~'n' INhw ,nD nK 'J'p~ 1no llK lJ1pn lJ 'ln1
4.2.2 Diskurs-Parameter Der inkJudierte Pa (A) konstituiert sich durch ein Mischna-Lemma (ML) im unmittelbaren Modus tOl aus MO 3,5. Er führt die Halakha über die unterbrechende Wirkung (Anrechenbarkeir) eines (siebentägigen) Wallfahrtsfestes während der siebentägigen Trauerzeit aus, und zwar im Falle eines Begräbnisses drei Tage vor dem Fest l02 . In diesem Fall bricht das Wallfahrtsfest die siebentägige Trauerzeil nach drei Tagen ab, d.h. der Trauernde ist nicht mehr verpflichtet, die restlichen vier Trauertage nach dem Fest l03 zu halten. Voraussetzung und Bedingung für diese Regelung ist jedoch die Einhallung von (mindestens) drei Trauertagen vor dem Wallfahrtsfest.
4.2.3 A'1!Umentat;onsstlUktur: (A) <- (/)-(2). Die Struktur des Diskursganges [(1)-(2)] realisiert sich durch zwei Propositionen im unmittelbaren (1) und mittelbaren Modus lO4 (2), deren monologische AbfolgelOS als 'Relalion der negativen Modifikation' zu bestimmen ist. Aufgrund dieser 'Relation der modifizierenden Zuordnung' konstituieren diese Propositionen des Arguments - als funktionale Propositionen - die ein-argumentative Struktur des Diskurses.
a) Funktionale Proposition der unmittelbaren Pa-Relation (I). In der Funktion von (1) wird ein Diktum im unmittelbaren Modus ausgeführt, das in direktem Bezug zur Proposition des Pa (A) steht (unmittelbare " yMO 82b,22f. 100 yMO 82b,25-28: Pa zum Textsegment 82b,25-32. 101 Siehe oben Anm. 86. 102 Zur ThemensteUung im einzelnen siehe Tilly, yMO 76 und 71 Anm. 224. 103 Nach mMO 3,5 (vgl. dazu 3,6) haben die Wallfahrtsfeste während der Trauerzeit im Gegensatz zum Sbabbat - eine unterbrechende Wirkung, obwobl sie selbst nicht als Trauertage gelten. Siehe dazu Tilly, yMO 71. 104 Siehe S. 370 mit Anm. 23. lOS Siehe S. 38lf.
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Der 'Dislaus' ab funktionale Fonn im Talmud Yerushalmi
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Pa-Relation). Es hebt als (halakhische) Geltungsbestimmung zu (A) den Ausschließlichkeitscharakter der Zeitvorgabe von drei vor dem Wallfahrtsfest zu haltenden Trauertagen hervor. Bei einer geringeren zahl von Trauertagen (hier: zwei) gilt die Bestimmung bzgl. der festtagsbe· dingten Trauertagsunterbrechung nicht, d.h. die restlichen (hier: fünf) Trauertage nach dem Fest sind für den Trauernden obligatorisch 106 . (1) ist demgemäß im weitesten Sinne als Kommentierung der Proposition des Pa (A) zu klassifizieren, die die für die Halakhageltung entscheiden· de Mindestzahl von (vor dem Fest zu haltenden) Trauertagen durch einen Verweis auf die Nichtgeltung bei Minderzahl verdeutlicht 107. b) FunkJionaJe Proposition der mittelbaren Pa-Relation (2). Sie beinhaltet in ihrem Aussagegehalt eine Modifikation zu (1). Formal wird die (argumentationsbildende) Bezugsetzung zu (1) durch die deiktisch intendierte Phrase 1DK nK1 X1il hergestellt, ohne daß der Aussagegehalt »dies, was du sagtest« zu personalisieren bzw. situieren w?.re. Sie ist hier ausschließlich als kohärierendes Formelgut zu bestimmen, die die nach· folgende Lokution auf die Proposition von (1) bezieht. Die ausgeführte Modifikation schränkt den 'Geltungsrahmen' der Proposition in (1) dahingehend ein, daß zwischen einem (unmittelbar) Trauernden (»Leidtragender selbst«) und Mit-Trauernden (»Volk«) unterschieden wird. Für den Trauernden wird die Halakha nach (A) und (I) als geltend bestimmt, für die Mit-Trauernden jedoch nicht. Für sie ist die Trauer- und Fesuagsregelung nach (A) in zweifacher Hinsicht nicht verbindlich: Einerseits gilt für sie nicht die zeitliche Einschränkung bezüglich der zu haltenden Trauertage vor dem Fest, und andererseits erfüllen sie auch ihre Pflicht zur Traueranteilnahme an den Tagen eines Wallfahrtsfestes, obgleich diese nicht als Trauertage gelten lOS. Dies alles besagt, daß für die vom Todesfall mittelbar Betroffenen keine festtägliche Trauerzeitunterbrechung gilt und demgemäß auch keine Trauerverpflichtung nach einer festtagsbedingten Unterbrechung zu beachten ist. In diesem Sinne ist die in (2) ausgeführte Modifikation bezogen auf die Proposition von (I) als negative Modifikation zu bestimmen, da sie den uneingeschränkten Geltungsrahmen in (A) und (I) negiert und auf bestimmte Personenkreise einschränkt. Aufgrund der direkten Bezugset106 vgl. TiUy, yMO 76 u. Anm. 285. 107 Die Sachallssage in (I) beinhalte! gegenüber der haJakhischen Proposilion in (A) zwar nichts Neues, grenzt aber die diesbezügliche Geltungsbeslimmung im Sinne einer Fallanwendung eindeutiger ein. l~ Vgl. oben Anm. 103.
00049002
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Heinz·Peter Tilly
zung von (2) zu (1) ergibt sich zugleich eine mittelbare Relation zum Pa, d.h. die (halakhische) Proposition des Pa (A), die durch die Proposition in (1) kommentiert wird, wird durch die Relation der Modifikation zwi· sehen (1) und (2) in ihrem Geltungsgehalt selbst wieder relativiert, also
mittelbar modifiziert. Diese Relation der Zuordnung ist formanalytisch als ein 'Argument' zu kennzeichnen, so daß die ausgewiesene Argumentationsstruktur des Diskurses als 'ein·argumentativ' klassifiziert werden kann: (1 )-(2) = 1 Argument
Der Nachweis dieses Arguments erlaubt - gemäß der Diskursdefinition auf der Grundlage der funktionalen Form 'Diskurs = 1 Argument' - die Erhebung einer Simplexform des sequentiellen Diskurses. Der Diskurs ist - analog seiner Argumentationsstruktur - zu typisieren: sequentiell, ein-argumentativ. 4.2.4 Die Proposition des Argumenrs
Die Proposition des Arguments (und gleichzeitig auch die des Diskurses) basiert auf der 'funktionalen Proposition der mittelbaren Pa-Relation', d.h. sie charakterisiert sich in ihrem Aussagegehalt durch die dort ausgeführte 'Relation der negativen Modifikation', die für das vorliegende Halakhaverständnis als maßgebend dargelegt wird. Für diese Diskursintention wird zwar an der Textoberfläche weder ein Autoritätsnachweis (z.B. Nennung eines Tradenten) noch ein sonstiger Geltungsbezug (z.B. ein Schriftbeweis) ausgeführt, sondern sie begründet sich allein durch die 'Formwahl' der Argumentation, nämlich als seqentieller Diskurs. Aus ihr ist die Gewichtung des Elements der Modifikation bzgl. des Halakhaverständnisses ersichtlich.
00049J52
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