STUDIEN ZU JUDENTUM UND CHRISTENTUM HERAUSGEGEBEN VON JOSEF WOHLMUTH
Sonderforschungsbereich 534 .Judentum- Christentum" an der Universität Bonn
2002
Ferdinand Schöningh Paderbom · München · Wien · Zürich
MATIHIAS KONRADT I ULRIKE STEINERT (Hg.)
Ethos und Identität Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit
2002
Ferdinand Schöningh Paderbom · München · Wien · Zürich
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Umschlagabb.: Mosaik, Synagoge Hammath-Tiberias, 4. Jh. n. Chr (Israel Exploration Society)
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.
Einbandgestaltung: Anna Braungart, Regensburg Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier@) ISO 9706
© 2002 Ferdinand Schöningh, Paderbom (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, lOhenplatz I. D-33098 Paderbom) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vomenge schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh. Paderbom ISBN 3-506-72361-8
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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lohn M. G. Barclay Using and Refusing. Jewish ldentity Strategies under the Hegemony of Hellenism
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Kar/- Wilhelm Niebuhr Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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lohn 1. Collins Ethos and ldentity in Jewish Apocalyptic Literature
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lohann Maier Systeme ritueller Reinheit im Rahmen sozialer Bindungen und Gruppenbildungen im Judentum des Zweiten Tempels . . . . . . . . . . .
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Heinz-losef Fabry Qumran und die Essener. Vom Beginn frühjüdischer Gruppenbildung bis zur Vielfalt der "Häresien"
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Catherine Hezser Einheit und Vielfalt in der rabbinischen Halakhah
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Daniel R. Schwartz Should Josephus Have lgnored the Christians? . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michel Bollag Einheit und Vielfalt des Judentums an der Schwelle zum 21. Jahrhundert
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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen von Lexika-, Reihen- und Zeitschriftentiteln folgen S.M. Schwertner, IATG2• Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin!New York 21992. Zudem sind folgende Abkürzungen verwendet: ABO AJSt.R BBR CI
DSD JH JSJ.S JSQ NEB.E SAPERE StPhilo.MS VWGTh
Anchor Bible Dictionary Annual of Jewish Studies. Review Bulletin for Biblical Research Critical Inquiry. A Voice for Reasoned Inquiry into Significant Creations of the Human Spirit Dead Sea Discoveries. A Journal of Current Research on the Scrolls and Related Literature Jewish History Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Period. Supplements Jewish Studies Quarterly Neue Echter Bibel. Ergänzungsband Scripta Antiquitatis Posterloris ad Ethicam Religionemque Pertinentia Studia Philonica. Monograph Series Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie
Vorwort Vor allem dies hat die wunderbare Einheit unter uns geschaffen. Denn ein und dieselbe Auffassung von Gott zu haben sowie in der Lebensführung und im Verhalten sich nicht voneinander zu unterscheiden. das bringt die allerbeste Übereinstimmung in den Wesensmerkmalen der Menschen zustande. Wir sind die einzigen, unter denen man keine Ansichten von Gott zu hören bekommt. die einander widersprechen ... Auch in der Lebensführung gibt es bei uns keine Differenzen.
Nach dieser Auskunft des jüdischen Historikers Flavius Josephus (C. Ap. 2,179-181) müßte sich die Frage nach Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit schnell erübrigen. Eine mögliche Vielfalt verschwindet hinter dem dominierenden Postulat der Einheit. In der neutestamentlichen Forschung war über lange Zeit hinweg eine ähnliche Sicht wirksam; das Judentum wurde weithin als ein monolithischer Block behandelt. Demgegenüber ist in den vergangeneo Jahrzehnten das Pendel in die Gegenrichtung ausgeschlagen - bis dahin, dass sich die plurale Rede von ,Judentümem" zunehmender Beliebtheit erfreut. Dieser Perspektivenwechsel, der neben den Qumranfunden wesentlich durch das gewachsene wissenschaftliche Interesse an den sog. Pseudepigraphen des Alten Testaments gegenüber der zuvorigen Dominanz der rabbinischen Literatur gefördert wurde, hat unmittelbare Konsequenzen ftir das Verständnis des Verhältnisses von frühem Judentum und frühem Christentum. Denn mit ihm verbindet sich die Erkenntnis, dass das Christentum in seinen Anfängen zunächst nichts anderes als eine von mehreren möglichen Spielarten des frühen Judentums war. Die komplexen jüdisch-christlichen Trennungsprozesse zeigen sich als in einen innerjüdischen Differenzierungsprozess eingebettet. Die Konstituierungs- und Differenzierungsprozesse von Judentum und Christentum im neutestamentlichen Zeitalter unter dem Blickwinkel der funktionalen Korrelation von Ethos und Identität als wissenschaftlicher Leitperspektive zu untersuchen, ist Aufgabe und Ziel des neutestamentlichen Teilprojekts des Sonderforschungsbereichs 534 "Judentum - Christentum. Konstituierung und Differenzierung in Antike und Gegenwart'., der zum l. Juli 1999 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn eingerichtet wurde und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Das von Michael Woher (Bonn) und Michael Mach (Tel Aviv) geleitete Teilprojekt geht dabei von der These aus, dass die genannte Leitperspektive einen Verslehenshorizont zu eröffnen vermag, warum in neutestamentlicher Zeit ein ursprünglich innerjüdischer Differenzierungsprozess in einen Trennungsprozess mündete bzw. warum die Inkulturations- und Institutionalisierungsprozesse, die sich für die frühen christlichen Gemeinden rekon-
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Vorwort
struieren lassen, mit den bekannten Prozessen der Trennung vom Judentum einhergingen. Sucht man das Umschlagen des innerjüdischen Differenzierungsprozesses in einen Trennungsprozess zu verstehen, so ist es notwendig, zugleich das Verhältnis von Einheit und Vielfalt im Frühjudentum zu reflektieren: was war als Spielart des Judentums (langfristig) möglich und inwiefern lässt sich ein die ,Judentümer" tragender Basiskonsens herausfiltern? Als Teil dieses Reflexionsprozesses veranstaltete der Sonderforschungsbereich 534 am 6.-8. Dezember 2000 ein Symposium zum Thema ,,Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit", aus dem die in diesem Band gesammelten Beiträge hervorgegangen sind. Dabei wird- dem breiten Spektrum frühjüdischer Literatur entsprechend ein Bogen von der hellenistisch-jüdischen Diasporaliteratur über die Qumranschriften bis hin zum rabbinischen Schrifttum gespannt. John Barclay stellt in seinem Beitrag Using and Refusing. Jewish ldentity Strategies under the Hegemony of Hellenism das Modell der "cultural negotiators" als ein Modell vor, mit dem sich die Interaktion von Diasporajuden mit der hellenistischen Kultur adäquat beschreiben lässt. Gegenüber der bloßen Identifizierung hellenistischer Elemente in jüdischen Schriften rückt mit diesem Modell die analytische Frage nach ihrer Funktion, nach dem "Warum" ihrer Rezeption und Adaptation ins Zentrum. Barclay erläutert dieses Modell anband des alexandrinischen Judentums und zeigt das komplexe Identitätsmanagement von hellenistischen Diasporajuden als "cultural negotiators" zwischen der überkommenen jüdischen Tradition und der Akkulturation an den Hellenismus in seinen vielfältigen Varianten auf. Am Aristeasbrief zeigt er, wie zur gesellschaftlichen Elite gehörende Juden sich einerseits in der hellenistischen Kultur bewegen konnten, andererseits aber an spezifisch jüdischen Praktiken wie den Speisegeboten festhielten und damit- im Unterschied zu den Allegoristen bei Philo, Migr. Abr. 89-93 und später den Christen - eine grundsätzliche Solidarität mit den "einfachen Leuten" im Volk übten, worin ein bedeutsames einheitstiftendes Band zum Vorschein kommt. Mit der Frage nach einem unterscheidbaren Ethos der jüdisch-hellenistischen Diaspora als Mittel zur Identitätsfindung, -stärkung und -bewahrung, die Karl-Wilhelm Niebuhr in seinem Beitrag Hellenistisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora aufwirft, tritt die grundlegende Bedeutung der Tora als Kristallisationskern jüdischer Identität ins Blickfeld. In einem Durchgang durch eine Vielzahl frühjüdischer Texte wird deutlich, dass die Tora als grundlegende Bezugsgröße selbst dort präsent blieb. wo die aktuellen Anforderungen jüdischen Lebens in der Diaspora mit ihrem Wortlaut kaum noch in Einklang zu bringen waren. Dabei geriet auch die Weisheitstradition unter das Vorzeichen der Tora. Ein signifikanter Bedeutungszuwachs der Tora lässt sich ähnlich in der apokalyptischen Literatur beobachten, die John Collins in seinem Beitrag Ethos and ldentity in Jewish Apocalypticism thematisiert. Der Anspruch apokalyptischer Literatur, auf spezieller höherer Offenbarung zu beruhen, sowie die Ausrichtung auf die himmlische Welt können im Blick auf das Verhältnis von Ethos und Identität unterschiedlich
Vmwort
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ausformuliert sein. Während die frühen Henochtraditionen auf das Naturgesetz fokussieren, die Mose-Tora dagegen in den Hintergrund tritt, begegnen seit der Makkabäerzeit (z.B. im Jubiläenbuch und in den Qumranschriften) Spielarten einer torazentrierten Apokalyptik, in denen die höhere Offenbarung auf das Verständnis und die Auslegung der Tora bezogen ist. Die apokalyptische Literatur insgesamt betrachtet ergibt sich ein komplexes Bild von Variationen des Verhältnisses von Ethos und Identität und der Bedeutung der Tora, was Collins dazu führt, der generellen Subsumierung apokalyptischer Literatur unter E.P. Sanders' Modell des (rabbinischen) Bundesnomismus zu widersprechen. Johann Maier fragt in seinem Beitrag Systeme ritueller Reinheit im Rahmen sozialer Bindungen und Gruppenbildungen im Judentum des Zweiten Tempels nach den sozialen Funktionen von Reinheitsvorstellungen und -praktiken, hebt die in ihnen wirksamen Grundmotive sowohl im Blick auf den Bereich der kultischen Institution als auch im Blick auf den Bereich allgemein-menschlicher Erfahrungen hervor, weist ihre integrierenden wie desintegrierenden Wirkungen auf und zeigt so, wie sich die innerjüdischen Ausdifferenzierungsprozesse im Lichte des Umgangs mit Reinheitsvorstellungen darstellen. Unter der Überschrift Qumran und die Essener. Vom Beginn frühjüdischer Gruppenbildung bis zur Vielfalt der "Häresien" analysiert Heinz-Josef Fabry - nach einem Durchgang durch die noch erkennbaren Gruppenbildungen in alttestamentlicher Zeit - die im Zusammenhang der Reaktion auf den Inkulturationsdruck des Hellenismus stehenden jüdischen Differenzierungsprozesse des 2. Jahrhunderts v. Chr., wobei dem Verhältnis von Essenem, der "Gemeinde des Neuen Bundes im Lande Damaskus" und dem ya~ad in Qumran besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ein Blick auf das Spektrum der Qumranbibliothek und auf die Vielfalt der dort bezeugten Texttraditionen alttestamentlicher Schriften macht deutlich, dass mit einer wesentlich stärkeren Ausdifferenzierung des Frühjudentums zu rechnen ist, als die - häufig als Zugang zum Thema frühjüdische Gruppenbildung gewählte -Erwähnung der drei "Häresien" Pharisäer, Sadduzäer und Essener bei Flavius Josephus annehmen lässt. Die rabbinische Literatur rückt mit dem Beitrag von Catherine Hezser ins Blickfeld. Ausgehend von der neueren Kritik an der traditionellen Vorstellung. dass es bereits in den ersten Jahrzehnten nach der Tempelzerstörung eine rabbinische Orthodoxie gegeben hat, die verbindliche halakhische Regelungen zu erlassen und ihre Befolgung autoritativ durchzusetzen vennochte, fragt sie nach Einheit und Vielfalt in der rabbinischen Halakhah. Im Rahmen der Reflexion dieser Thematik sei der unsystematische Charakter antiken Rechtsdenkens ebenso zu berücksichtigen wie die Differenz zwischen dem mündlichen Stadium der Überlieferung und der Verschriftlichung. Ist für das mündliche Stadium die Vielfalt und Unausgeglichenheit der Lehnneinungen charakteristisch, so bedeutet die Verschriftlichung immer auch eine Auswahl von Traditionen, wobei es in der rabbinischen Bewegung auch hier nicht zu einer völligen Systematisierung und Vereinheitlichung der Halakhah gekommen ist. Daniel Schwartz beleuchtet unter der Überschrift Should Josephus
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Vorwort
Have Jgnored the Christians? einen spezifischen Ausschnitt der Trennungsprozesse zwischen frühem Christentum und Judentum: Josephus schweige deshalb weithin über die Christen, weil sie zu seiner Zeit in Rom nicht mehr Juden waren und somit ihre Geschichte bereits außerhalb des Aufgabenbereichs eines Historikers des Judentums lag. Einen Exkurs in die Gegenwart unternimmt schließlich der Beitrag von Michel Bollag über Einheit und Vielfalt des Judentums an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Bollag verweist dabei auf die grundlegende Bedeutung, die den unterschiedlichen Mustern der Reaktion auf die durch die Aufklärung ausgelösten gesellschaftlichen Modemisierungsprozesse für das Verstehen der Ausdifferenzierung des Judentums in ,Judentümer" in der Modeme zukommt. Angesichts der damit verbundenen Desintegrations- und Polarisierungsphänomene rekurriert Bollag auf das Moment der selbstlosen Verantwortung für andere als eine Identität stiftende Brücke zwischen den einzelnen Judentümem. Schlägt man von hier den Bogen zurück zu dem ersten Beitrag dieses Sammelbandes von John Barclay, so ergibt sich von selbst die Frage, inwiefern sich zwischen Antike und Modeme in phänomenologischer Hinsicht im Blick auf die jeweiligen Inkulturations- und Interaktionsprozesse verwandte Strukturmuster der Identitätsproblematik ausmachen lassen.
Bonn, Frühjahr 2002
Matthias Konradt, Ulrike Steinert
JOHN
M.G.
BARCLAY
U sing and Refusing Jewish Identity Strategies under the Hegemony of Hellenism In the course of demonstrating the antiquity of Jews, Josephus, in his treatise Contra Apionem, cites a story about a meeting between Aristotle and an anonymous Jew. Let me quote some portions of this tale, which Josephus derived from Clearchus: That they [the Greeks] not only knew about the Jews but also admired any they encountered - I am not talking about the worthless Greeks, but those who are most admired for their wisdom - is easily seen. Clearchus, a disciple of Aristotle and second to none among peripatetic philosophers, says in the first book of his work "On Sleep" that his teacher Aristotle told this tale about a certain Jewish man ... 'The man was a Jew by race, from Coele-Syria. These people are descendants of the philosophers in lndia. It is said that among the Indians the philosophers are called Calanoi, and among the Syrians Jews/Judaeans, taking their name from their location; for the place they inhabit is called Judaea ... Now, this figure was welcomed as a guest by many people and was on his way down from the interior to the coast; he was Greek not only in his speech but also in his soul. ... ' (C. Ap. 1.175-180)
Our assessment of this story will indicate how we construe the position of Jews during the Hellenistic era. This Greek-souled Jew, however fictional, may stand for those elite Jews whose paideia equipped them not only to speak but alsotothink in categories which we consider characteristically "Greek". Was this a disaster? Did such Jews thereby lose their "authentic" Jewish identity and sell their birthrights for the benefits of assimilation? Or was this, to the contrary, an enonnous achievement, representing the Jewish ability to find common ground with the majority Hellenistic culture, to create a cultural synthesis in which they became "Greek" without ceasing to be authentically "Jewish"? Or again, is there such a thing as an "original", "authentic" Jewish identity which can be more or less corrupted, or more or less supplemented, or more or less reinterpreted, in Hellenistic terms? Did these Greek-souled Jews discover, through their Hellenism, new ways tobe Jewish? How we answer such questions depends on our models of cultural and ethnic identity, and on whether we operate with some notion of the "essence" of Judaism. It will also reflect our understanding of the power-dynamics involved in this cultural interaction between Jews and Greeks. Clearchus' telling of this story, and Josephus' reaction, could evoke several responses. Following Josephus himself, scholars have cited this story as evidence that in the
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John M.G. Barclay
early Hellenistic period Jews were regarded favourably, admired for their "wisdom", and treated, with the Calanoi, as bearers of a respectable philosophical tradition. Louis Feldman thus cites this story, with some pride, as a sample of "pro-Jewish" or "philo-Semitic" sentiment: is it not good that people of such unimpeachable rationality as Aristotle should see Jews as a race with something to contribute to high culture? 1 Or is this reading of the story somewhat naive? lf Clearchus admires Jews, it is only on his tenns, and to the degree to which they fit his notion of an ideal gentleman. The people whose evaluation counts in Clearchus' story are Aristotle and bis circle of scholars, and if they admire this Jew's "endurance" (xaQtEQLa) and "moderation" (oW
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Feldman, Jew. 201-207. See Bar-Kochva. Wisdom. Macaulay. Indian Education. 249.
Jewish ldentity Strategies under the Hegemony on Hellenism
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"the Greeks" and their ethnocentric attitude to historiography. 4 Josephus adopts, even intemalises, the honour-codes of elite Hellenistic culture, but only in order to defend and glorify bis own Jewish heritage. The cultural politics between dominant and subordinated cultures are often complex, ambiguous and deeply ironic in precisely this fashion. In this paper I wish to accomplish three tasks, as a contribution to the debate about Jewish identity in the Hellenistic-Roman era. First, I will outline a model of Jews as cultural "negotiators", whose strategies of ''using" and "refusing" the varied aspects of their cultural environment reflect the complex social and political power-relations in which they stood. Secondly, I wish to highlight the significance of these power factors in the construction of Jewish identity by reference to some examples from Alexandria. Thirdly, I want to suggest that the Hellenistic-Roman era created both new kinds of diversity among Jews and new kinds of solidarity, and that this apparently paradoxical result is not so difficult to explain when we recognise that "Judaism" is a perpetually constructed and reconstructed "tradition" whose structural dynamics in this period might be usefully illuminated by some aspects of contemporary post-colonial theory.s
1. Jews as Cultural "Negotiators" Every discussion of the social and cultural interaction between Jews and their environment operates on the basis of some structuring model, however unconsciously this may lurk within the vocabulary we use. An old model, not frequently encountered today, is of Jews as Iosers, whose Hellenistic acculturation was a sign of weakness; any degree, and any aspect, of Hellenisation was to the detriment of their Jewishness. 6 The deticiencies of this model hardly need tobe rehearsed. It portrays "Judaism" as a single and bounded cultural entity, such that any adoption of "Hellenism" (a similarly entire system) is, of necessity, a dilution of Judaism. This model may fit the rhetoric of some Maccabean literature, but it fails to account for historical reality, in which Jews embraced "Hellenism", in varied aspects and to varying degrees, without generally regarding themselves, or being regarded by other Jews, as becoming any less "Jewish". Resistance points there certainly were, but these did not (and could not) entail isolation from all things Hellenistic. A more common model among contemporary analysts is that of Jews as problem-solvers. This has the advantage of recognising that Jews could willingly and consciously create cultural connections with "Hellenism", but the See. for instance, C. Ap. 1.6--56. On Josephus' complex relationship with "the Greeks" in this work see Schäublin, Josephus. ~ A number of Roman archaeologists have begun to utilise post-colonial theory in their assessment of the ,Romanisation' of northem Europe. See, e.g .. Webster/Cooper (eds.), Roman /mperialism. Cf. also Webster, Necessary Comparisons; van Dommelen, Colonial Constructs; Woolf, Beyond Romans and Natives. " See, for instance, Feldman, Onhodoxy. 4
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motivation for such moves is depicted as primarily defensive or reactive. Jewish existence in the Diaspora (or, more generally, in a Hellenistic milieu) is here characterised by dissonance. Efforts have tobe made by Jews to "overcome" this situation, to bridge the gap between the two cultures, to deflect the critical opinions of outsiders and to boost the self-confidence of Jews themselves. Thus Jewish Iiterature is analysed with a view to its apologetic character, whether directed to an extemal or an intemal audience. 7 This model is not, it seems to me, wholly wrong, but it is one-sided. There were undoubtedly anxieties and clashes in the cultural encounters between Jewish and Hellenistic traditions, but there were also many Jews whose social and cultural embeddedness in the Hellenistic world appears to have been wholly unproblematic. One does not think of Philo as striving to build bridges with Hellenistic philosophy: the cultural fusion between Greek philosophy and the Pentateuch is for him so self-evident that he understands hirnself to be expounding the original, essential meaning of Moses, not some cultural imposition from Hellenism. 8 More generally, Erich Gruen has argued that the predominant tone in Jewish Hellenistic Iiterature is not apologetic or defensive, but confident, self-assured, even playful. 9 The question is not how Jews "reached out" to Hellenistic culture, or "struck balances" with it, but how, tak.ing it for granted, they used it for their own cultural purposes. lf Gruen has not convinced everyone in bis detection of humour in the Iiterature he cites. he has, I think, properly challenged a still prevalent tendency to regard Jewish existence and Jewish Iiterature in the Diaspora as inherently defensive. Hence my proposal of a differently nuanced model: Jews as cultural "negotiators". This model has three features: 1. The frrst feature of this model is its focus on positive strategy. Negotiators always have a strategy, and that is whatever best serves the interests of their community. In analysing the engagement of Jews with Hellenistic (and Roman) culture, scholars have often been content to document the origins of the material adopted by Jews, without pressing the question of why they are using it. Here 4 Maccabees adopts elements of Stoic philosophy. there Ezekiel the playwright employs a Euripidean prologue, there Aristeas shows acquaintance with the Hellenistic genre of treatises on kingship. Fair enough, but the interesting question is not so much what they are using. as what they are using it for. Where does this place them, or Judaism generally, in rela7
8 'I
One may mention here two leading scholars whose approach is representative of a large proportion of scholarship: J.J. Collins. Between Athensand Jerusalem. and G. Delling, Bewältigung. The shift in scholarly opinion whether such apologetic is directed primarily to non-Jews or to Jews themselves may be traced in the changes between the first and second editions of Collins. Bem-een Athensand Jerusa/em, andin M. Goodman's revision of E. Schürer, The Hi.r· tory of the Jewish People 11111. For the cultural dynamics in this allegorical method see Dawson. A/Jegorical Readers. Gruen. Heritage. The argument is pursued, and deepened, in a forthcoming book. Diasporaas Construct and Reality.
Jewish /dentity Strategies under the Hegemony on Hellenism
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tion to their cultural environment, and what social, political, even economic purposes does such a strategy serve? And where does their refusal to accept certain Hellenistic practices or beliefs enter into this strategy? It is not cultural fusion itself that is of interest, but what is being done with such fusions, whose interests they are being made to serve and how. Hence my title, "using and refusing", and both moves as part of a "strategy". Using and refusing are often simultaneous processes. Jewish engagement with Hellenistic culture is an example of what in other contexts has been termed "conflictual fusion", or "resistant adaptation": the phrases express the complexity, in which the culture in question neither uncritically adopts another's mode of discourse nor straightforwardly rejects its influence.IO As has been rightly said, almost all Diaspora Iiterature contains elements of both convergence and resistance, though, we should insist, in varying proportions, in varying tones and to varying purposes. 11 We need to ask what Jews are doing with the cultural material they adopt. Perhaps they are merely explaining themselves to those who failed to understand or appreciate their tradition, but sometimes, it seems, they are positioning themselves more confidently within broad cultural and political debates. Aristobulus uses Greek philosophy not simply to show that Jews can match Greeks, but to prove Jewish superiority, on the basis of historical priority; 4 Maccabees uses the Greek aycbv motif not to effect a rapprochement with Hellenistic culture, but to celebrate, in recognisable terms, the Jews' refusal to assimilate in matters of food and re!igion. Negotiation is not always from the back foot; it is sometimes, as in these cases, conducted with confidence and even a touch of aggress10n. 2. The theme of negotiation indicates that a crucial component in our analysis of "Judaism" and "Hellenism" must be the factor of power. Hellenistic culture was spread, we may recall, on the back of the monarchies and armies which conquered the Eastem end of the Mediterranean, and to serve their interests. The Hellenisation of Jews was not a matter of free cultural choice, but was deeply implicated in the political, social and economic structures created by the new Hellenistic kingdoms. We are right to marvel at the extent and depth of Philo's paideia, but we should also recall the conditions under which, in Alexandria, the only way to be recognised as "intelligent" or "civiIised" was to undergo a distinctively Greek form of education. If Jews wanted social, political and cultural recognition, they had to adopt the discourse and the mindset of the dominant culture(s). 10
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"Conflictual fusion" is M. Hall's tenn for the meeting of cultures in colonial South Africa and Virginia (Smal/ Things); S. Stern employs "resistant adaptation" in relation to the South American reception of Spanish culture (Peru 's Indian Peop/es). The presence of both elements in most Diaspora Iiterature is emphasised by Collins, Between Athensand Jerusalem. The latter issue, of purpose, is what I attempted to articulate in my own work on Diaspora Jews, when I suggested that we ought to assess not only degrees of assimilation, and not only degrees or elements of acculturation, but also what I tenned "accommodation", that is the use to which the assimilation or acculturation are put (Jews).
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Of course, relative power might vary according to local, specific conditions. We arenot tothink of Jews everywhere and always as more or less forcefully Hellenised, the perpetual underdogs in the cultural negotiations. Indeed, one of the most important contributions of current post-colonial theory is the observation that selective conformity to the majority culture can ernpower subordinate cultures to create their own futures, to define and sustain themselves, and to represent themselves to others, sometimes in subtly subversive tones. Current study of how, as one book has it, "the empire writes back", explores precisely this ambiguity, by which previously colonised cultures (e.g., in Africa, India or South America) utilise the dominant discourse of British or Spanish culture precisely to reassert their own cultural traditions.12 In such processes of "transculturation", colonial mimicry (the copying, or aping of the dominant culture) can contain "hidden transcripts", which subvert, even mock the dominant culture.t3 Jewish Iiterature from the Hellenistic-Roman era is ripe for analysis in such terms, which would focus attention on both sides of the power-dynamic: both the constraints under which Jews operated and the means by which both Hellenistic and Roman conditions empowered them to articulate and develop their Jewish tradition. As Marx said, men (we may add, and women) make their own history, albeit under circumstances they do not control. Both sides of this formula need very careful attention: Jews created their own culture and tradition, but under the hegemony of Hellenistic and Roman power. 14 We should expect this to create many ambiguities and ironies. 3. The third aspect of this "negotiator" model is perpetual change. The negotiations we are watehing here are not singular or permanent settlements but a continuous process of self-refashioning. That is to say, Jews in the Hellenistic-Roman era were continually forging new versions of Judaism, not simply preserving, or even supplementing, some essential and original version. According to this model, Judaism is a variegated and unstable phenomenon, which is bounded and defined not by something inherent or basic in itself, but by the choices, decisions and cultural options of Jews themselves. Many Jews in the Hellenistic era abandoned the use of Hebrew but not the practice of circumcision. Why? Was there something inherently more Jewish about circumcision than about the Hebrew language? Hardly so. Rather, by complex cultural processes and communal decisions, the Jewish tradition was reformulated (even reconstructed) in the idiom of the Greek-language, but was not allowed (after the Maccabean struggle) to accommodate a non-circumcised variant. Hellenistic Judaism is not to be perceived as an "original" Ju12
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Ashcroft/Griffiths!Tiffin, The Empire Writes Back. On "transculluration", the process by which members of subordinate or marginal cultures select and invent from the materials they acquire from a dominant culture. see Prau. Imperial Eyes. The theme of ,hidden transcripts' is explored by Scott, Dominarion. Thompson. Studies, 45. argues that "symbolic domination" entails "a kind of complicity which is neither a passive submission to extemal constraint nor a free adoption of dominant values".
Jewish ldentity Strategies under the Hegemony on Hellenism
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daism putting on Hellenistic clothes, but as a cultural transformation of Judaism itself, which, like all cultures (including "Hellenism"), continually transfonns and recreates its own identity. The same phenomenon is evident in colonial and post-colonial conditions, where the mixing of indigenous and dominant cultures does not just combine the two traditions but transforms them both. 15 The result is many complex forms of "hybridity", the creation of cultural cross-breeds which cannot be assessedas to whether they are more or less "authentic", since they inevitably constitute new phenomena in conditions which can never be static. 16 Even the claim merely to "maintain the tradition" is itself partisan and contestable, as any reading of Jubilees, Josephus and the Dead Sea Scrolls can testify. Rather than apply our own "objective" criteria, we have to observe where Jews themselves set the Iimits of their own self-reinvention, in contests which reflect struggles for power within the Jewish community as weil as with other social groups in their environment. If my outline of this model has taken some time, that is because I believe it could help dispel some unhelpful assumptions which undergird current debate about Jews in the Hellenistic-Roman era. I want now to examine briefly one particular Diaspora context in order to show how this approach could illuminate the formation of Jewish identity.
2. Jewish Identity and Power-Relations in Alexandria Egypt may be the only Diaspora location where we can give a satisfactory analysis of Jewish cultural interaction in the Hellenistic-Roman era. It is only here that we can place with some confidence an extensive quantity of Jewish literature, written during the Ptolemaic and early Roman periods, and can contextualise this Iiterature with a range of social, economic, political and material evidence. As archaeologists in other locations lament, material remains leave so many questions of meaning indecipherable: even inscriptions often teil us no more than the choice of Jewish names, which is open to multiple interpretations. 17 On the other band, the negotiating strategy of Jewish Iiterature is often unclear if we cannot place this within its social and political context. We can observe, for instance, the mixing of traditions in Pseudo-Phocylides, who draws on both Septuaginta} and Hellenistic moral themes: but what this Jewish author is doing in this work, and what is im~~
lt. 17
Cf. Scott. The Jewel in the Crown, 9, who expresses this phenomenon eloquently in relation to British and Indian cultures: the two nations were "locked in an imperial embrace of such long standing and subtlety it was no Ionger possible for them to know whether they hated or loved one another, or what it was that held them together and seemed to have confused the image of their separate destinies". On the notion of "hybridity". see Loomba, Co/onialism. See Rutgers. Hidden Heritage, chapters 3 and 6.
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lohn M. G. Barclay
plied by bis selection of some themes and omission of others- this, the real1~ crucial question of strategy, we cannot answer at all, because we have no idea where, when and for whom this text was written. Egypt is practically the only place where we can correlate Jewish Iiterature with social and political conditions, at least in certain cases and at certain times. The Letter of Aristeas and the fragments of Aristobulus may serve as examples here. Although their precise dating remains a matter of uncertainty, we may place these documents with some confidence in circles of elite, Greek-educated, Jews in Ptolemaic Alexandria. Few will dispule that the picture Aristeas paints of the Septuagint translators is in fact a self-portrait, and a representation of his class of Hellenised Jew: men of excellent education (rrmöda) thanks to their distinguished parentage, they had not only mastered Jewish Iiterature but also given considerable attention to the Iiterature of the Greeks ... They had a great natural facility for discussions and questions concerning the law, and zealously cultivated the quality of the middle way (which is the best), eschewing any crude and uneducated frame of mind (to tQ
Such "gentlemanly" Jews are entirely at ease in the Ptolemaic court, winning respect on all sides. They contribute readily to the symposia on royal rule, and actually surpass the wisdom of the court philosophers by their repeated references to Goo.ts Aristeas paints a world in which Jews confidently negotiate their way through Hellenistic education, intellectual debate and court protocol, but without any loss of their distinctive identity. 19 lndeed, in Eleazar's famous speech (Arist. 130-171), Jewish difference is heavily emphasised in two spheres: in religious cult (Jews do not use images, like Greeks, or worship animals, like Egyptians) andin food-customs. In this last case, the wise lawgiver ... hedged us about with impenetrable fences and iron walls to prevent us from mixing in any way with people of other nations, being preserved pure in body and soul, separated from false beliefs, honouring the one God who is powerful above the whole creation. (Arist. 139)
Here is Aristeas the negotiator: using bis advanced Hellenistic education to portray an urbane and "civilised" Jewish culture, but refusing to compromise Jewish dietary laws, which, in a pioneering piece of allegory (a technique he leamed from Hellenism), he justifies by reference to impeccably Hellenistic morals! Although in this context an apologetic motif does surface (Aristeas refutes the notion that the Jews worship the animals they refuse to eat, Arist. 144), it would be a mistake to construe the Letter of Aristeas as primarily, or predominantly, apologetic in tone.2° He is not trying to justify the presence
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2n
On the strategy of the text see. e.g .. Collins. Bern•een Athens and Jerusalem. 191-195; Barclay. Jews. 138-150; Gruen, Heritage. 207-222. V. Tcherikover's opinion that "like most of the people who strive to be "citizens of two worlds", Aristeao; did not actually belong to eilher of them'" (ldeo/ogy. 84) retlects the old model outlined above, of Hellenising Jews as "Iosers". My previous account (Jews) needs revision in this respect.
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of Jews in the upper echelons of Alexandrian society, but takes their position there to be a natural expression of their own, highly civilised, tradition. He moves without appreciable discomfort in the world of the Alexandrian elite. To take up the terms of our "negotiator" model, what constraints is Aristeas operating under, and within what power-dynamics does he advance this version of Judaism? On the one band, under the pressure of the cultural snobbery that regards anything non-Hellenie as ß
22
John M. G. Barclay
keeping the Sabbath, the use of mezuzot etc., they do not threaten the interests of other Jews, but support them at this Ievel of practice. It is only if their interests were to conflict with those of socially inferior Jews, or if their interpretative innovations were to become decoupled from actual observance, that fundamental divisions would open up within the Jewish community. The threat of precisely these two possibilities was to surface during Philo's lifetime. In bis famous passage about the pure allegorists (Migr. Abr. 89-93), Philo appreciates fully the philosophical and moral principles which the allegorists see symbolised by the Jewish law; he sbares their Platonic conception of God as "the Unoriginate", and their Stoic desire to "excise the passions". But where their allegorical interpretation of the law threatens to subvert its actual practice he takes strong objection, and precisely on the grounds of their failure to express solidarity with fellow Jews. Behaving "as though they were living alone", such allegorists, Philo charges, ignore the opinions of the Jewish "masses" and disregard the criticism of the common people. In this extraordinary concession to the "masses", whom he usually disdains, Philo indicates the character of bis own social and cultural negotiations. He would immerse hirnself in, and benefit from, Hellenistic culture, but only insofar as he could use it for the benefit of Jews themselves, and not at the expense of bis solidarity with, and leadership of, the Jewish community as a wbole. 21 And the way he expresses that solidarity is not in the realm of ideology or interpretation (be is a very long way from the outlook of the less educated, "literalist" Jews), but in maintaining what the community recognised to be the defining Jewisb practices. But what if the social interests of Philo's class of Jew were to collide witb the interests of the mass of Alexandrian Jews? It is a sign of their success in negotiating the social and political complexities of the Ptolemaic era that this dilemma did not, apparently, arise until the events of 38-41 CE brougbt tbis question to the fore. In bis descriptions of the Alexandrian "pogrom" of 38 CE Pbilo just manages to hold together his commitment to tbe Jewisb community as a whole with bis desire to be recognised as an honourable member of the Alexandrian upper classes. He depicts the clasb as an aberration in tbe normal social harmony between Jews and the civic authorities, putting the blame eitber on Flaccus and a few rabble-rousing individuals (in In Flaccum), or on the madness of the dead and discredited Gaius (in Legatio ad Gaium). Pbilo no doubt hoped that matters would thereafter retum to ''normal", the normality wbich would guarantee bis interests both as a "Jew" and as a "gentleman". It was precisely this settlement, bowever, whicb Apion sought to question, by asking how Jews could be citizens and yet refuse to worship tbe Gods of other Alexandrians (Josephus, C. Ap. 2.65), and it was this "normality" which was tbreatened by tbe action of the "masses" in the Jewisb community who took tbe fight back to their enemies in the uprising of 41 CE (Josepbus, Ant. 19.278-279) and in tbe riots of 66 CE (Josephus, Bell. 2.490-498). Everything we know about Pbilo, and bis social class, in21
I have explored this point further in my Jews. 158-180. and. by contrast with Paul. in Pau/.
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dicates that they would have hated this sort of uprising, which put their position in jeopardy precisely by requiring them to identify themselves eilher as Jews (in solidarity with the Jewish community as a whole) or as "gentlemen" (who could not possibly condone such violence). A paralleldilemmawas to confront and divide the Judaean ruling class in 66 CE, and the Ieaders of the Alexandrian Jews as they dealt with the spill-over from the war in 73 CE (Josephus, Bell. 7 .409-420). It was these circumstances, rather than diversity in the intellectual hybrids of Jewish-Hellenism, which constituted the most serious threat to the unity of Judaism as a social phenomenon. 22
3. Unity and Diversity in Hellenistic-Roman Judaism Wehave already begun to talk about unity and diversity, so it remains forme only to clarify the conclusions to which my analysis points. When the diverse Jewish population, and already diverse traditions of self-interpretation, encountered the new cultural and political conditions we call the Hellenistic age, many new kinds of "Judaism" were bound to emerge. The Jew whom Aristotle allegedly metwas only one possible kind of Greek Jew: there were so many different kinds of "Greek" to become. And the Jew-Greek encounter is, in fact, only part of a far more complex cultural pattem, in which Jews in the Diaspora engaged with different native traditions, which were themselves transformed in their encounters with "Hellenism". On this vast and variegated map it is not surprising that Jews enacted many different kinds of negotiation and constructed their Jewish identities in many new shapes. Jewish Scriptures now meant a host of new things, Jewish communities organised themselves along different lines, and many new conceptions of "Judaism" were created. It is hardly surprising that some traditional intellectual models, such as the notion of a "covenant" with God, were supplemented or replaced by moral, philosophical, mystical, and apocalyptic conceptions of Judaism, and that Jewish stories and heroes were reinterpreted in line with new cultural expectations. Even when claiming to defend unebanging tradition, Jews were engaged in a process of self-improvisation. 23 We must ask, however, which kinds of diversity in Judaism were of social significance, and which were not. Many of the new intellectual pattems - for instance, moral, philosophical and mystical constructions of Judaism - overlap and intersect. We find them current in the same circles of intellectual Jews, even in the same author (e.g. Philo). To describe these as different "types" of Judaism would be misleading if it encouraged us to expect such diversity to correlate with differing social groups. If we ask, as we should, what led Jews themselves to recognise one another as fellow Jews, we find ~~
2.1
lt is likely, but not certain, that the two Jewish delegations which appeared before C1audius in 41 CE (CPJ II. No. 153, 1ines 90-92) represented two interest-groups within the A1exandrian community: we shou1d not be surprised that divisions opened up in just these conditions. See Hall. Cu/tural/dentity.
lohn M.G. Barclay
24
practice, rather than ideas, to be the decisive criterion. When Philo saw himself as defending to 'IouÖ
24
See the comments on this phenomenon by Schwanz. Studies, 5-15. I have discussed the Diasporadefinitions of "apostasy" in Who was considered an apostate.
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25
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KARL-WILHELM NIEBUHR
Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora Einführung: Wahrung der Identität im Frühjudentum Wenn mit Michael Wolter Ethos definiert werden kann als "Kanon von habitualisierten Handlungen, der innerhalb eines sozialen Systems in Geltung steht" und wenn darüber hinaus nach ihm ein solches Ethos die Funktion hat, "soziale Kohäsion" zu stiften, indem es "den einzelnen die Zugehörigkeit zur überindividuellen Gemeinschaft" bestätigt I, dann stellen sich sofort Anschlussfragen: Wie kommt es zu einem solchen "Kanon von habitualisierten Handlungen"? Auf welche Weise wird er in Geltung gesetzt, und mit welchen Mitteln wird er aufrecht erhalten? Inwiefern dienen habitualisierte Handlungen dazu, Identitäten zu stärken? Oder haben sie eher die Aufgabe, unterschiedliche Identitäten innerhalb eines sozialen Systems abzuschleifen, um auf diese Weise soziale Kohäsion zu verstärken? Im Blick auf die Lebensverhältnisse jüdischer Gemeinschaften in der hellenistisch-römischen Diaspora hat sich Gerhard Delling mit solcherart Fragen grundlegend und belegreich auseinandergesetzt In seiner 1987 erschienenen Untersuchung Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum 2 charakterisierte er das Problem der Identitätswahrung, vor das die hellenistisch-jüdische Diaspora gestellt war, durch eine Folge von Kapiteln, die einen großen Bogen schlagen von der in der Bindung an die Tora begründeten Absonderung über die geistig-kulturelle Öffnung für die hellenistische Lebenswirklichkeit bis hin zum Auftrag des Judentums gegenüber der es umgebenden Zivilisation und der Erprobung jüdischen Lebens im Alltag einer weitgehend ablehnenden bis feindlichen Umwelt. Fragen wir, die Ansätze von Woher und Delling verbindend, danach, wie jüdische Identität unter den Bedingungen der hellenistisch-römischen Diaspora bewahrt werden konnte, so lassen sich vorweg vier Wege dazu relativ deutlich erkennen: Identität kann bewahrt werden ( 1.) durch sozial-religiöse Abgrenzung von der Umwelt. Mittel dazu sind z.B. die Endogamie, die Begrenzung der Teilhabe an Privilegien auf die Gruppenmitglieder bis hin zu dem Versuch, der eigenen Gemeinschaft einen metaphorisch verstandenen "Reinheitsstatus" zuzuschreiben und durch Abgrenzung nach außen zu sichern. Identität kann auch bewahrt werden (2.) durch unterscheidbare grupI
Wolter, Ethos, 430f. Diese und weitere einschlägige Arbeiten Dellings liegen jetzt in einer Neuausgabe gesammelt und durch Register erschlossen vor. auf die sich die folgenden Nachweise beziehen: Delling, Studien zum Frühjudentum.
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Kar/- Wilhelm Niebuhr
penspezifische religiöse Handlungen. Auch hier liegen die entsprechenden Hinweise zur identitätstiftenden Bedeutung von Beschneidung, Speisegeboten und Sabbatruhe für die Diasporagemeinden auf der Hand. Natürlich können sozial-religiöse Abgrenzung ( 1.) und gruppenspezifische Handlungen (2.) ihrerseits wiederum für die Außenwelt auch durchaus attraktiv wirken. Besonders beim Sabbat zeigt sich solche Ambivalenz: Einerseits wird er als Kennzeichen jüdischer Identität von der Außenwelt kritisch wahrgenommen, andererseits übt er nach Ausweis mancher Quellen in der Diaspora gerade auch auf Nichtjuden eine gewisse Anziehungskraft aus. 3 Identität kann weiterhin bewahrt werden (3.) durch Berufung auf unterscheidbare "stories", die den geistigen Mutterboden der aktuell praktizierten Lebensweisen der Gemeinschaft bilden. Offensichtlich sind die vielfältigen literarischen Aktivitäten im Frühjudentum, angefangen schon bei der Übersetzung der religiös autoritativen Schriften ins Griechische, Hinweise darauf, dass man die überkommenen Glaubensüberlieferungen Israels als grundlegend für die eigene Identität verstand und daher darum bemüht war, sie mit den geistigen und literarischen Mitteln der eigenen Zeit neu zur Sprache zu bringen und so lebendig zu halten. 4 Die ganz einseitige Konzentration auf biblische Stoffe und Themen, besonders auf die Erzväter- und Exodus-Überlieferung, die Mose-Tradition, aber auch die Prophetie und die Überlieferungen vom babylonischen Exil (bei gleichzeitig sehr weitreichender Freiheit in der Übernahme hellenistischer Literaturformen bis hin zu Orakelsprüchen und Pseudonymen aus der paganen Mythologie!) ist ein deutliches Signal für das Ziel solcher literarischen Versuche, die Gruppenidentität jüdischer Gemeinschaften in der Diaspora zu bewahren und zu stärken. Identität kann schließlich bewahrt werden (4.) durch unterscheidbare Institutionen und Organisationsstrukturen. Im Blick darauf sind wir freilich über die hellenistisch-römische Diaspora nur sehr unzureichend informiert. Möglicherweise kam z.B. Priestern eine herausgehobene Funktion im Rahmen von Synagogenversammlungen zu. 5 Aber die sogenannten "Synagogenämter" entsprechen zumindest hinsichtlich der Terminologie weitgehend dem, was wir von antiken Vereinen oder städtischen Ämtern kennen, und bilden somit gerade kein Identitätsmerkmal.6 Zwar haben wir zahllose epigra_~
4
6
Diesen Hinweis verdanke ich, wie zahlreiche weitere im folgenden, meinem Assistenten Dr. Lutz Doering, der die einschlägigen Belege in seiner Dissertation umfassend aufgearbeitet hat (Doering. Schabbat, 283-306). Zur kritischen Außenperspektive auf die jüdischen Diasporagemeinschaften vgl. im übrigen Delling. Bewältigung. 32-36. Der Aspekt positiver Außenwahrnehmung wird stärker betont von Feldman. Anti-Jewish Remarlcs; ders .. Tacitus. Vgl. auch Collins. Between Athensand Jerusalem, 6--13; Cohen. Respect. Simon. Problem; Hanhart, Bedeutung. Belege aus Inschriften. in denen dem Namen die priesterliche Abstammung zugefügt wurde. nennt Delling. Bewältigung. 10. Nach Philo, Hyp. (bei Eusebius v. Caesarea, Praep. Ev. Vlß) 7 .13. liest einer der Priester oder Ältesten in der sabbatliehen Synagogenversammlung die •.heiligen Gesetze" vor und legt sie anschließend Stück für Stück aus. Lichtenberger. Organisationsfonnen; Ameling. Gemeinden; Rajak/Noy, An:hisynagogoi; Burtchaell. From Synagogue to Chun:h. 228-271; Wiek. Gottesdienste, 89f.; Binder. Temple Courts. 343-371.
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phisehe Hinweise auf jüdische Grabstätten 7, aber sie finden sich nicht etwa nur auf jüdischen Friedhöfen, sondern breit gestreut (und oft gar nicht eindeutig als jüdisch identifizierbar) zwischen anderen Gräbern.S Gelegentlich, besonders in rabbinischen Zeugnissen, wird die Pracht von Synagogenbauwerken beschrieben, so insbesondere für Alexandria. 9 Aber die Versammlungsräume der Gemeinden in der Diaspora werden in der Regel weder architektonisch noch etwa durch eine besondere Lage von den Wohnquartieren ihrer unmittelbaren Umgebung unterscheidbar gewesen sein. 10 Wie verhält es sich nun mit einem unterscheidbaren Ethos der jüdisch-hellenistischen Diaspora als Mittel zur Identitätsfindung, -stärkung und -bewahrung? Dies ist die Frage, der wir uns im folgenden Beitrag widmen wollen.
1. Die Tora als Kristallisationskern jüdischer Identität Bevor wir bei der Suche nach einem unterscheidbaren hellenistisch-jüdischen Ethos konkrete ,,habitualisierte Handlungen" in den jüdischen Diasporagemeinschaften in den Blick nehmen, müssen wir zunächst auf die Toraals ganze eingehen. Sie wurde nach dem sich in den frühjüdischen Quellen niederschlagenden Selbstverständnis auch in der Diaspora als Verstehens- und Deutungszusammenhang jüdischer Existenz angesehen, wenngleich sich die daraus resultierenden konkreten Forderungen für ein der Tora entsprechendes Leben durchaus den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend unterscheiden konnten. Die Tora kann jedenfalls als Kristallisationskern angesehen werden, an welchem sich jüdische Identität herausbildete und auf den sie bezogen blieb, selbst wenn die aktuellen Anforderungen jüdischen Lebens in der Diaspora kaum noch mit ihrem Wortlaut in Einklang zu bringen waren. Der Begriff Tora muss dabei allerdings weit gefasst und in einem mehrfachen Sinn gefüllt werden. II Er umfasst zum einen den der Erwählung Israels zugrunde liegenden Willen Gottes, wie er durch Mose am Sinai empfangen und dem Volk mit dem Auftrag, in rechter Weise seiner Erwählung durch Gott zu antworten, übergeben worden ist. Er bezeichnet darüber hinaus die schriftlich 7 M 'I
1o
II
Van der Horst, Ancient Jewish Epitaphs. Trebilco, Jewish Communities. 60-84; Williarns. Organisation, 173f.; dies .• Jews. 275-279. Vgl. tSuk 4,6 (ed. Zuckermandel, 198); Parallelen in ySuk 5,1 (55a. 72ff.); bSuk 5lb Bar.; Übersetzung in Tosefta 1113. 48f. (vgl. auch Bill. IV 122). Nach Philo, Leg. Gai. 134, waren die Synagogen Alexandrias, unter ihnen auch ,.die größte und berühmteste", baulich so in die Wohnquartiere integriert, dass man sie nicht anzünden oder niederreißen konnte. Auch die nach den Ausgrabungsbefunden ebenfalls bedeutende Synagoge von Sardes war wohl ursprünglich ein Privathaus. vgl. Seager/Kraabel, Synagogue. Zur aktuellen Diskussion über die Synagogen in der Diaspora vgl. Niebuhr, Identität, 344ff.• sowie seither Kasher. Synagogues; Feldman. Diaspora Synagogues; Binder, Temple Courts, 227-342. Vgl. zum im folgenden vorausgesetzten differenzierten Taraverständnis im Frühjudentum Niebuhr. Tora, 430-437; ders .. Antithesen, 177-181. und die dort angegebene Literatur.
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fixierte Urkunde dieses Gotteswillens vom Sinai her, also das als autoritatives Schriftenkorpus überlieferte und zu studierende "Buch des Gesetzes", den Pentateuch. Und er umfasst schließlich ebenso die aus solchem Studium erwachsende aktuell gültige Forderung, die Gebote Gottes vom Sinai der gegenwärtigen Situation entsprechend zu befolgen. Unter drei Aspekten möchte ich die grundlegende Funktion der Tora für jüdische Identität in der Diaspora noch etwas vertiefen: Die Tora erschließt sich beim Lernen ( 1.1.). Treue zur Tora ist Leitlinie jüdischer Existenz ( 1.2.). Weltwahrnehmung geschieht mit den geistigen Mitteln und nach den Regeln der Tora ( 1.3.). 1.1. Lernen der Tora
Lernen der Tora als Grundlage eines ihr entsprechenden Lebens vollzog sich in der Diaspora wie im Mutterland vorwiegend in den Familien und in den Synagogen. 12 Nach Josephus ist die Erziehung der Kinder zum Beachten der Gebote und einer ihrer Überlieferung entsprechenden Frömmigkeit vornehmste Aufgabe und geradezu ein Unterscheidungsmerkmal der Juden von anderen Völkern. 13 Allen soll die Kenntnis der Gesetze von früh an eingeprägt werden, um sie vom Sündigen abzuhalten oder ihnen wenigstens eine Ausflucht unter Berufung auf Unkenntnis zu nehmen. 14 Schon die Kinder sollen die wichtigsten der Gesetze lernen, da diese "schönster Lehrgegenstand und Grundlage des Glücks" seien. 15 Wenn Platon den Bürgern seines idealen Staates keine höhere Erziehungsaufgabe als die des genauen Lernens der Gesetze aufgegeben habe, so tat er das nach Josephus lediglich als Nachahmer des Mose. 16 Wenn Paulus im Rückblick auf seine Erziehun~. und Prägung davon spricht, dass er ein "eifriger Anhänger der väterlichen Uberlieferung" gewesen sei (Gal 1,14 ), klingt darin offenbar seine eigene familiäre Unterweisung in der Tora an.l7 Im 4. Makkabäerbuch begegnet gleich am Beginn unter den Begriffsbestimmungen die ,,Erziehung, die uns das Gesetz angedeihen lässt, durch die wir voll Ehrfurcht die göttlichen Dinge erlernen und zu unserem Nutzen die menschlichen" (I, 17). 18 Plastisch wird die familiäre Toraunterweisung sichtbar im Verweis des Autors auf die Bruderliebe. Die (jüdischen) Brüder "gedeihen prächtig aufgrund der gemeinsamen Erziehung und des täglichen Umgangs und der übrigen Ausbildung. insbesondere der bei uns praktizierten Einübung in das Gesetz Gottes" ( 13,22). Die Mutter der sieben Märtyrerbrü12 13 14 1~
11o 17
IM
Vgl. dazu Niebuhr, Identität, 346. Josephus, C. Ap. 1,60. Josephus, Anl. 4,210; das gleiche Argument C. Ap. 2,175.178.204. Josephus, Anl. 4,211: ~av6uvttwoav bt xai ot 1taiöE~ 1tQWtOV toi~ v6~u~ j.W9!}J.I.a xclllLotov xai ti\C; EOOaL~via~ uinov, vgl. C. Ap. 2,175. Josephus. C. Ap. 2.257. Vgl. dazu Niebuhr, Heidenapostel. 26-35. Übersetzung hier und im folgenden nach Klauck. 4. Makle.
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der erinnert diese an ihre Kindheit, als der Vater sie "das Gesetz und die Propheten lehrte" ( 18, 10). Auch Philo gibt ein schönes Beispiel dafür, wie Toraunterweisung in der Synagoge und in der Familie zusammengehören. In Hyp. 7,12-14 beschreibt er zunächst eine sabbatliehe Synagogenversammlung, bei der die Tora vorgelesen und Stück für Stück ausgelegt wird. Gleich anschließend betont er, dass jeder Jude, auf diese Weise unterwiesen, gleichermaßen dazu in der Lage ist, kritische Anfragen von außen zu beantworten wie auch die erfahrene Gesetzesunterweisung in seinem Hause weiterzugeben, der Mann seiner Frau, der Vater seinen Kindern, der Herr seinen Sklaven. Dass Synagogen in besonderer Weise dem Studium und der Unterweisung in der Tora dienen, wird von Philo mehrfach herausgestellt. So bezeichnet er sie als "Lehrhäuser" (ötöaoxaÄ.Eia), in denen die vier Kardinaltugenden sowie die Pflichten gegenüber Gott und den Menschen gelehrt werden.• 9 Einige epigraphische Belege dokumentieren den Erfolg solcher Unterweisung, wenn etwa auf Grabinschriften Prädikate wie "gebotliebend" (
/.2. Treue zur Tora Treue zur Tora im Alltag ist weder messbar, noch hat sie sich in der Regel unmittelbar in den erhaltenen Quellen niedergeschlagen.2 1 Zudem sind bei der Interpretation von Aussagen über die Toratreue jeweils die literarische Gattung und die Aussageabsichten der Autoren zu berücksichtigen. Wenn etwa Josephus behauptet, jeder Jude "könnte die Gesetze alle leichter hersagen als seinen eigenen Namen, ... und selten gibt es einen Übertreter"22, dann handelt es sich textpragmatisch gesprochen um einen Appell, keine Beschreibung. Auch die Zeichnung von Idealgestalten der Toratreue wie Mose23,
~'1
Philo, Vit. Mos. 2,216; Spec. Leg. 2,62. Vgl. dazu Classen, Kanon, 69-75. Vgl. Delling, Bewältigung, 69f.; die von Delling angeführten Inschriften C/J I, Nr. 132 und CIJ I. Nr. III sind jetzt zugänglich bei Noy, Jewish lnscriptions II, Nr. 281 (S. 244) und Nr. 212 (S. 190). Zu qJLAOvO!LLO<; und weiteren Belegen vgl. Williams, Jewish Community, 249; zu den Gesetzeslehrern vgl. van der Horst, Ancient Jewish Epitaphs, 95.99. Unter den Donatoren der Synagoge von Sardes begegnet ein iEQEi'<; xai mxp~.lhlblt
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Josef24 oder manche der Jakobsöhne in den Zwölfertestamenten25 hat primär paränetische Funktion. Ab lesbar wird gelebte Treue zur Tora aber dort, wo sie zu Konflikten führt oder wenigstens kritische oder manchmal auch bewundernde Aufmerksamkeit bei außenstehenden Beobachtern weckt. Wir brauchen die Befunde hier nicht im einzelnen darzustellen. Hinsichtlich der Außenperspektive sind sie in jüngerer Zeit eindrucksvoll durch L.H. Feldman zusammengetragen worden.26 Konflikte haben sich besonders an solchen Forderungen der Tora entzündet, die sich von religiösen oder sozialen Konventionen der Umwelt auffallig abhoben. Natürlich ist hier vor allem an die sogenannten "identity marker", Beschneidung, Sabbat und Speisegebote, zu denken. Auch sie sind in zahlreichen neueren Untersuchungen ausreichend dargestellt worden.27 Schließlich kann hier auch lediglich hingewiesen werden auf den interessanten Versuch von John Barclay, verschiedene Grade sozialer Integration von Juden in ihre hellenistisch-römische Umgebung zu unterscheiden.2s Hierbei stand insbesondere die Abgrenzung gegenüber allen Vollzügen heidnischer Religion als Forderung der Tora im Zentrum, wobei je nach Grad der "assimilation" durchaus unterschiedliche Lösungswege gefunden werden konnten. Da wir uns aber in unserem Beitrag auf das jüdisch-hellenistische Ethos konzentrieren wollen, wie es primär in konkreten Verhaltensweisen "normaler" Juden im Alltag zum Ausdruck kam, brauchen wir auf die von Barclay entwickelte sehr differenzierte Quellenanalyse nicht weiter einzugehen und können uns mit dem allgemeinen Urteil begnügen, dass die prinzipielle Forderung der Treue zur Tora einen relativ breiten Spielraum eröffnete, der durch im einzelnen immer wieder neu zu treffende Entscheidungen mit Leben zu erfüllen war und dessen Grenzen immer wieder neu aufzusuchen und zu markieren waren. 1.3. Die Tora als Maßstab der Weltwahrnehmung
Auch in geistig-intellektueller Hinsicht war die Tora Grundlage für die jüdische Existenz in der Diaspora. Wenngleich wir dies hier nicht weiter entfalten können, müssen wir doch wenigstens darauf hinweisen, da bei der Bestimmung der Konturen des jüdisch-hellenistischen Ethos dessen geistig-religiöse Grundlagen nicht beiseite gelassen werden dürfen.2 9 In charakteristischer Weise bringt Josephus am Schluss seiner Schrift Contra Apionem (2,280-286) den Zusammenhang zwischen dem spezifischen !.&
2s 26
27
2s
2'~
Vgl. Philo. Jos.: TestJos: JosAs. Besonders lssachar. Benjamin (dazu Niebuhr. Gesetz. 109-137) und Josef (dazu Hollander. Joseph). S.o. Anm. 3. Siehe dazu die zusammenfassende Würdigung bei Barclay. Jews. 428-442. Vgl. auch Niebuhr. Identität, 348ff. Barclay. Jews. 82-124.32~335. Vgl. hierzu die grundlegende Arbeit von Limbeck. Ordnung, sowie zuletzt Hoffmann. Geset:..
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Gottesglauben Israels und der universalen Bedeutung der Tora zur Geltung. Da die Torader Juden das erste, ursprüngliche Gesetz der Menschheit überhaupt ist, ihre Gebote auch erstmals von den Juden erprobt worden sind, können alle Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten zwischen ihr und den Gesetzen und Lehren der Griechen oder Barbaren nur als (durchaus zu lobende) Nachahmung derselben angesehen werden.3° Ganz von sich aus habe sich das jüdische Gesetz auf diese Weise als stark erwiesen, .. und wie Gott durch das ganze All sich verbreitet hat, so findet das Gesetz durch alle Menschen seinen Weg" (284 ). Auch für Philo besteht die Tora nicht aus partikularen Bestimmungen für Israel. Vielmehr erlangen diejenigen, die an jedem Sabbat in der Synagoge die Tora studieren und sich aus ihr zur Besserung ihrer Lebensweise unterweisen lassen, Wissen und Anschauung von der Natur. 31 Was die Philosophen der Griechen durch ihre Gelehrtheit erstreben, erlangen die Juden aus der Kenntnis ihrer Gesetze: das Wissen von der höchsten und ursprünglichsten Ursache des Alls. 32
2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese: Themen, Formen, Begründungen Hermann von Lips hat in seiner umfassenden Untersuchung von weisheitliehen Traditionen im Neuen Testament versucht nachzuweisen, dass im Frühjudentum Weisheit und Gesetz als zwei voneinander abhebbare Überlieferungshereiche nebeneinander bestanden haben oder wenigstens, vorsichtiger gesagt, .,eine differenzierte Entwicklung in der Zuordnung von Weisheit und Gesetz vorliegt".3 3 Es könne immerhin .,sehr wohl noch von eigenständiger weisheitlieber Tradition gesprochen werden".34 Zeugnisse dafür findet er in den Zwölfertestamenten, dem Aristeasbrief, der Sapientia Salomonis, dem 4. Makkabäerbuch, Josef und Asenet, Pseudo-Phokylides, Aristobulos und bei Philo. Zu berücksichtigen wären in diesem Zusammenhang wenigstens auch noch die fragmentarischen Zeugnisse jüdisch-hellenistischer Historiker und Dichter, das slavische Henochbuch, das Leben Adams und Evas und die Jo
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Josephus. C. Ap. 2.281: ,,Als erste haben nämlich die Philosophen bei den Griechen zwar dem Scheine nach das Heimatliche bewahrt, in den Taten aber und beim Philosophieren folgten sie jenem (dem Gesetzgeber), so wie sie einerseits über Gon dachten, andererseits Einfachheit des Lebens und die Gemeinschaft miteinander lehrten." Philo, Vit. Mos. 2.216: ... qJLAOOO<jlOf'l.taL; 'lo\Jbatm T~v nt'nvwv qJLA.oooqJ(av tov Y.Q/.WOV f XdVOV avaeiVTf~ EnL<JTti~ß XUl 8t:WQ(Q TÖJV ltf\.)l
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Schriften des Josephus, insbesondere der Schlussteil seiner Schrift Contra Apionem (2,145-296). Dass Weisheitstraditionen in den genannten Werken nachweisbar sind, z.T. bis hin zu terminologischen Verbindungen, ist natürlich überhaupt nicht von der Hand zu weisen. In großer Dichte finden sie sich etwa im Zusammenhang der Begriffsbestimmungen am Beginn des 4. Makkabäerbuches. 35 In der Sapientia Salomonis wird (der implizite Autor) Salomo als Weisheitslehrer gezeichnet. 36 Bei Eupolemos erscheint schon Mose als genialer "erster Weiser". 37 Auch Philo kann in ähnlicher Weise wie das 4. Makkabäerbuch die Philosophie an die Weisheit binden, welche als "Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge und ihrer Ursachen" definiert wird.3 8 Diese Definition entspricht bis in die Formulierung hinein popularphilosophischen Bestimmungen der Weisheit.39 Und Gott selbst kann bei Philo "Mann der Weisheit" genannt werden.4o Nun ist allerdings bereits bei solchen ausdrücklichen Aufnahmen weisheitlicher Terminologie und Überlieferung deutlich, dass sie in ihrem literarischen Kontext jeweils mit Überlieferungen verknüpft sind, die ausdrücklich oder zumindest implizit die spezifischen "Identitätsgüter" Israels zur Sprache bringen. Wenn etwa Abraham, Josef, Salomo oder gar Mose als ideale Weise erscheinen, dann kann ihre spezifische Rolle in den Geschichtsüberlieferungen des Gottesvolkes ja nicht einfach ausgeblendet werden. Dies gilt zumal, wenn das Verhältnis von Weisheit und Tora ausdrücklich thematisiert wird. So hat schon die Identifikation beider Größen in Sir 24 ja einen spezifischen "Richtungssinn": Die Weisheit, die aus dem Munde Gottes hervorgehend den Himmel, den Abgrund und den Erdkreis durchschritten hat, hat in Jakob ihr Zelt aufzuschlagen (V. 8), wird auf dem Zion fest eingesetzt (V. 10) und schlägt Wurzeln in einem gepriesenen Volk (V. 12), wird also als Tora für Israel definiert, nicht etwa wird umgekehrt die Tora Israels als Weisheit für alle Völker verallgemeinert. Dieser Richtungssinn ist auch im Prolog der griechischen Fassung des Sirachbuches nachdrücklich unterstrichen, wenn das Ziel aller Bemühungen um Weisheit darin bestimmt wird, dem Gesetz entsprechend zu leben (V. 35: rw6t.tw~ ßwn\,nv). Vgl. 4 Makk 1.15-18: ,.Die Urteilskraft also ist der Verstand, der mit klarer Überlegung das Leben der Weisheit wählt. Weisheit wiederum ist Erkenntnis der göttlichen und der menschlichen Dinge samt ihrer jeweiligen Ursachen .... An ein1.elnen Ausprägungen der Weisheit haben wir Klugheit, Gerechtigkeit. Tapferkeit und Besonnenheit." 36 Vgl. bes. 4 Makk 6,12-19; 7.22-8.1; 9,13-18. Zu Salomo in der frühjüdischen Weisheitsüberlieferung vgl. Küchler. Frühjüdische Weisheitstraditionen, 128-139. 17 t<'>v Mw\Krlj !pll<}l7tQWTOV ooqilV yrvtoem. Vgl. Holladay. Fragments I. 112f.; Waller. Fragmente jüdisch-hellenistischer Historilcer. 99 . .\1! Philo. Congr. 79: ron y(Ie CJllAOO; fOOClliJ.Ovict; Ei;
VOV
yiiv.
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Von hier aus sind auch die Aussagen der hellenistisch-jüdischen Literatur zu verstehen, nach welchen alle kulturellen Werte der Griechen und Römer ursprünglich von den Juden oder wenigstens von ihren heilsgeschichtlichen Ahnen herrühren. Mose hat die Buchstaben erfunden4 1, dazu noch allerhand Rüstungstechnik, den Schiffbau, die Bewässerungstechnik und die Philosophie42 , Josef den Ackerbau 43, Abraham gar die Astrologie! 44 Aristobulos macht die griechischen Philosophen zu unmittelbaren Schülern des Mose. 45 Für Philo ist Mose gerade darin vorbildlicher Weiser, dass er als Gesetzgeber alle übrigen bei Griechen und Barbaren überragt. 46 Auch bei Josephus wird Mose gleich am Beginn der Antiquitates als Lehrmeister der griechischen Philosophen und Gesetzgeber eingeführt. 47 Dem entspricht es, wenn der Verfasser am Ende seines großen Werkes resümierend schreibt: "Bei uns sind nämlich nicht jene anerkannt, welche viele Fremdsprachen gelernt haben ... , sondern allein denjenigen spricht man Weisheit zu, welche die Gesetzesvorschriften genau kennen und die Bedeutung der heiligen Schriften erschließen können. " 48 Die Verankerung universaler Weisheit in den exklusiv auf Israel bezogenen Glaubensüberlieferungen schlägt sich nicht nur in solch vollmundigen Behauptungen jüdischer Literaten nieder, über deren angezielte Adressaten man eigens noch einmal nachzudenken hätte. 49 Vielmehr zeigt sie sich auch bei einer genaueren Analyse der materialen ethischen Weisungen in der jüdisch-hellenistischen paränetischen Literatur. Offenkundig gibt es eine ganze Reihe von Topoi, Themen und Begriffen, welche der frühjüdischen Toraparänese und der hellenistisch-römischen Popularphilosophie gemeinsam sind. Zum Zwecke einer ersten Illustration solcher Gemeinsamkeiten und Differenzen mag man sich nur die Titel einiger beliebig ausgewählter Schriften aus den sogenannten Moralia des Plutarch vergegenwärtigen5° und sie Eupolemos, Frgm. I (Holladay, Fragments I. 112f.; Waller, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, 99). 42 Artapanos, Frgm. 3.4 (Holladay. Fragments I. 208f.; Waller, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker. 129). 4 .1 Artapanos, Frgm. 2.2f. (Holladay, Fragments I. 206f.; Waller, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, 128). 44 Ps-Eupolemos, Fg. 1.3 (Holladay, Fragments I. 170-173; Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker. 141 ); vgl. zu Abraham als Lehrer der Astrologie auch Ps-Eupolemos, Frgm. 1.8 (Holladay, Fragments I, 174f.; Walter. Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, 142 [neben Henoch als deren Erfinder)); Artapanos, Frgm. I (Holladay. Fragments I, 204f.; Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, 127) sowie Josephus, Ant. 1,166ff. 4 5 Aristobulos, Frgm. 3.1 (Holladay. Fragments 111. 152-155; Waller, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten, 273f.). Vgl. auch Küchler. Frühjüdische Weisheitstraditionen, 119-127. 46 Philo. Vit. Mos. 2.12: VOJlo6miN ÜQLoto<; töN :rtavmxo\i :rtlxvnov. öom :nae· "EÄ.A.TJOLV ~ ßaeßQeoL<; ryivovto. Vgl. auch Arist. 139: ooq>O<; tiN o VOJ.lo6tt'l<; imo 6t:o\i xanoxwaollfvo; Ei<; t:n{yvwmv 41
tÜIV c'utlxvnov. 47 411 49
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Josephus. Ant. 1,18-26; vgl. C. Ap. 2,154ff. Josephus. Ant. 20,264. Zur neueren Debatte dieser Frage vgl. Gerber. Bild, 89-93; Mason, Contra Apionem, 208-216.222ff.; Kasher, Apologetic Methods, 150-157; Schröder, Flavius Josephus. 138-141. Zu Plutarch vgl. jetzt die schöne Einführung von R. Hirsch-Luipold, Plutan:h. Einen Einblick in Titel und Themen der moralischen Schriften vermittelt Betz (Hg.). Plutarch 's Ethical Writings. Eine kleine Auswahl ist leicht zugänglich über Plutarch. Moralphilosophische Schriften.
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neben die paränetischen Themen der Testamente der Zwölf Patriarchen stellen, wie sie in den Überschriften der einzelnen Testamente (vermutlich sekundär) formuliert sind: Plutarch
TestXß
Über den Fortschritt in der Tugend Über Vorschriften zum Schutz der Gesundheit Über die tugendsame Ehefrau Über die sittliche Tugend Über die Beherrschung des Zorns Über den Seelenfrieden Über die Bruderliebe Über die Geschwätzigkeit Über das Begehren des Reichtums Über Missgunst und Hass Über das Selbstlob Trostschrift an die Gattin Von der Vielzahl der Freunde
Über die Gesinnung (TestRub) Über den Neid (TestSim) Über Priestertum und Hochmut (TestLev) Über Tapferkeit, Geldgier und Hurerei (TestJud) Über die Lauterkeit (Testlss) Über Erbarmen und Barmherzigkeit (TestSeb) Über Zorn und Lüge (TestDan) Über die natürliche Güte (TestNaph) Über den Hass (TestGad) Über die zwei Gesichter der Bosheit und der Tugend (TestAss) Über die Enthaltsamkeit (TestJos) Über die reine Gesinnung (TestBenj)
Deutlich lassen sich eine ganze Anzahl von verwandten Topoi und Themen erkennen wie etwa sittliche Tugend, Enthaltsamkeit, Güte, Reichtum, Ruhmsucht, Hass, Neid, Zorn etc.5 1 Sieht man freilich näher hin, so fallen auch die Unterschiede sofort ins Auge. Differenzen zeigen sich insbesondere im Blick auf die literarischen Rahmengattungen, in welche die gemeinsamen ethischen Topoi eingeordnet sind, darüber hinaus aber auch hinsichtlich der Aussageabsicht und des Adressatenkreises der genannten Schriften. Diese Differenzen wiederum beruhen letztlich auf einer grundlegend verschiedenen theologisch-philosophischen Verwurzelung der Paränese. Ein kurzer Blick auf das so schwer überschaubare Werk des Philo mag in diesem Zusammenhang helfen, die geistige Verwurzelung der frühjüdischen paränetischen Tradition etwas genauer zu erkennen. Die Fülle der überlieferten Einzelschriften lässt sich bekanntlich zu großen Teilen auf drei große, zusammenhängende Auslegungswerke zum Pentateuch verteilen, die sich vor allem durch die vorwiegend angewandte Auslegungsmethode voneinander unterscheiden.5 2 Das eine Werk (bestehend aus Op., Abr., Jos., Decal., Spec. Leg., Virt., Praem. sowie Vit. Mos.) will eine systematische Gesamtdarstellung des Mosegesetzes bieten. Es schildert die Persönlichkeiten der Erzväter und des Mose als ideale Verkörperungen der Tora und ordnet die Vielzahl ihrer Einzelbestimmungen den Geboten des Dekalogs zu. Die Tora ist somit ~•
Vergleichbar wären etwa auch Topoi der Paränese bei Lukian von Samosata wie z.B. Reichtum. Sexualverhalten. Ruhmsucht. Zorn. Giftmischerei, Putzsucht. Vgl. dazu Setz. Lukia11, 185-211. ~2 Vgl. die einfUhrenden Überblicke bei Mach. Philo. 524f.; Sandmel. Philo Judaew. 6-13; Borgen. Critical Survey. 117-121. Siehe auch ders .. Exegete. 46--62.
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nicht ein "Sammelsurium" diffiziler Einzelvorschriften für ein ethnisch und territorial abgegrenztes Gemeinwesen, sondern wohlgeordnetes "Natur-" bzw. "Weltgesetz" nach dem Vorbild stoischer philosophischer Tradition. Auch im zweiten exegetischen Werk des Philo, dem groß angelegten allegorischen Kommentar zur Genesis (bestehend aus Leg. All., Cher., Sacr., Det., Post., Gig.llmm., Agr./Plant., Ebr., Sohr., Conf. Ling., Migr. Abr., Her., Congr., Fug., Mut. Nom., Somn.), interpretiert Philo die Uberlieferungen des Pentateuch im Sinne einer "Philosophie des Mose". Ausgehend von ausgewählten Passagen der Genesis, manchmal lediglich einzelnen Versen oder Wendungen, entwickelt Philo seine Deutung mit Hilfe der allegorischen Methode in breit ausgeführten, thematisch in sich geschlossenen philosophischen Traktaten. So regt etwa die kurze Bemerkung in Gen 9,20, Noach, der Bauer, fing an, Wein anzubauen, Philo zu einer langen Abhandlung über die Landwirtschaft an (Agr./Plant.). Der Bibeltext scheint hier nur noch assoziativer, geradezu willkürlich gewählter Autbänger für das eigentliche philosophische Anliegen zu sein. Allerdings ist er dennoch ständig in seinem Wortlaut präsent und wird bis in seine Details ausgedeutet, so dass diese Traktate ohne seine genaue Kenntnis gar nicht verstehbar sind. Das dritte exegetische Hauptwerk Philos, offenbar ein weiterer allegorischer Kommentar zum Pentateuch, ist nur fragmentarisch erhalten (Quaest. Gen., Quaest. Ex.). Hier wendet Philo, wie schon vor ihm der Exeget Demetrios, das Schema von Fragen und Antworten an, um den Text des Pentateuch fortlaufend ohne größere philosophische Abschweifungen auszulegen. Dabei interpretiert er den Bibeltext doppelt, zunächst im buchstäblichen Sinn und anschließend allegorisch. Damit folgt er selbst dem Maßstab, den er an anderer Stelle kritisch gegenüber manchen seiner jüdischen Zeitgenossen ins Feld führt, die auf das wörtliche Verständnis und eine darauf aufbauende Praxis der Gebote der Tora zugunsten ihrer allegorischen Interpretation ganz verzichten wollen. 53 Philo selbst hat sich offenbar der Treue zur Tora auch im alltäglichen Leben seiner hellenistisch geprägten Umwelt verpflichtet gefühlt, wenngleich gerade an den Quaestiones deutlich wird, dass sein intellektuelles Hauptinteresse bei der philosophischen Deutung der Tora mit Hilfe der allegorischen Auslegungsmethode liegt. Die ganz einseitige Konzentration seines philosophisch-exegetischen Werkes auf den Pentateuch und die Hinordnung aller aus der hellenistischen philosophischen Überlieferung übernommenen methodischen und inhaltlichen Hilfsmittel auf dessen Interpretation zeigen, dass Philo, wenn denn als Philosoph, dann als ein solcher aus der "Schule des Mose" verstanden werden wollte. 54 Was bei Philo an der schriftstellerischen Eigenart seiner Auslegungswerke zum Pentateuch unmittelbar ablesbar ist, lässt sich im Grundsatz auch auf die weniger literarisch ambitionierten frühjüdischen Schriften übertragen, die eher erbaulich-ermahnenden Charakter haben. Dabei zeigt sich, dass sie durchaus nicht weniger offen sind als Philo für Sprachmuster und Konven~1 ~
Philo. Migr. Abr. 88-93. Hilgen. Philo.
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tionen, wie sie sich breit gestreut in hellenistisch-römischer Popularphilosophie finden. Was diese primär paränetischen Texte als jüdisch erkennen lässt, sind weder die konkreten Inhalte ihrer Mahnungen noch ihre sprachliche Gestaltung oder die Motive zu ihrer Illustration und Explikation, sondern ist allein ihre Einordnung in das Anliegen einer umfassenden Ermahnung zum Tun des Gotteswillens, wie er in der Tora zugänglich und normativ gültig ist. Zum Beleg für diese These gehe ich auf drei Beispiele näher ein, bei denen offenbar Kategorien popularphilosophischer Paränese für die Ermahnung zum Gehorsam gegenüber der Tora herangezogen werden. In der Erzählung Josef und Asenet55 begegnen an mehreren Stellen prägnant formulierte Sätze, die ausdrücken, was sich für einen frommen Juden gehört und was nicht. Sie sind jeweils eingeleitet mit der Wendung oux E<Jn rrQOOiixov bzw. ou JtQOOTtxEL. Nimmt man diese Sätze zusammen, dann ergibt sich zwar nicht schon ein umfassender "Katechismus" vorbildlich-jüdischen Verhaltens, wohl aber eine Reihe von charakteristischen Verhaltensweisen, die durchaus so etwas wie ein Ethos5 6 erkennen lassen: Ein frommer Jude küsst keine fremde Frau bzw. eine Jüdin keinen fremden Mann (8,5.7), er schläft nicht mit seiner Braut vor der Hochzeit (21, 1), er vergilt nicht Böses mit Bösem (23,9; 29,3), er vermeidet körperliche Schädigungen seiner Mitmenschen (23, 12) und versetzt einem am Boden liegenden Feind nicht den Todesstoß (29,3). Nimmt man noch einige in der Schrift als vorbildlich charakterisierte Verhaltensweisen hinzu, die nicht ausdrücklich mit der zitierten charakteristischen Wendung eingeleitet werden, dann wird das Bild des so gezeichneten frommen Juden noch plastischer: Er (bzw. sie) hat nicht Tischgemeinschaft mit Götzendienern 57, hütet sich vor fremden Frauen 58, widmet sich der sozialen Fürsorge für Bedürftige59 , beherrscht seinen Zorn60, ist großmütig und versöhnungsbereit61 und redet Gutes selbst über Feinde.62 Mit der Einführungswendung der betreffenden Sätze (Oll JtQOOftxEL o.ä.) klingt vernehmbar ein Grundbegriff stoischer Ethik an, der Verweis auf das xa6fptov. das geziemende Tun. wie es der Natur entspricht. 63 Zwar finden sich für die zitierte Wendung keine exakten Parallelen, aber "der Ausdruck entspricht fixierter Redeweise im philosophischen Bereich mit Oll xaei)xu bzw. Oll xa6fptov". 64 Nun macht die hier zitierte Schrift als ganze freilich alles andere als den Eindruck eines popularphilosophischen Traktats. Vielmehr ist sie auf der Ebene des erzählten Geschehens ganz darauf ausgerichtet, die ~~
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Text nach Burchard, Vorläufiger griechischer Text. Vgl. Delling. Kunst, 285f.; Burchard, Joseph und Aseneth, 611ff. JosAs 7,1: 'Joxril
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Grenzen zwischen jüdischer Lebensweise und den religiösen und sozialen Konventionen der nichtjüdischen Umgebung möglichst hoch aufzurichten. 65 Gegenüber dem Verfasser des Aristeasbriefes66 erscheint der Autor von Josef und Asenet geradezu als Hardliner. Man vergleiche nur die unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden in der Diaspora: Während nach JosAs 7,1 jede solche Tischgemeinschaft prinzipiell ausgeschlossen scheint67 , schildert der Aristeasbrief ausführlich ein Symposium, bei dem Jerusalemer Priester mit dem Pharao an einer Tafelliegen (180-186), freilich unter peinlicher Wahrung ihrer "eigenen Gebräuche in Bezug auf Getränke, Speisen und Lager". 68 Man wird also kaum behaupten können, dass mit den Sätzen über das, was sich für einen frommen Juden gehört, die Ideale eines universalen philosophischen Ethos der hellenistischen Kultur und Zivilisation propagiert werden sollen. Vielmehr dienen die stoisch klingenden Begriffe der Charakteristik eines "Gott fürchtenden Mannes" (aviJe 8EOoEßitr;) bzw. einer ebensolchen Frau. Und um zu einem solchen oder einer solchen werden zu können, bedarf es erst einmal der expliziten Absage an jede Form von "Götzendienst" und des in aller Form vollzogenen Übertritts zur jüdischen Glaubensgemeinschaft. "Gottesfurcht"69 ist hier also keineswegs ein popularphilosophischer Allgemeinplatz, sondern in Gefährdungen der Identität gelebter Glaube. Dieser herausgeforderte Glaube wird eingewurzelt und bestärkt durch die aktualisierende Rezeption gerade solcher biblischer Überlieferungen, in denen die Eigenart des Gottesvolkes exemplarisch zum Ausdruck gebracht werden kann. Als zweites Beispiel verweise ich auf eine Passage aus dem Mahngedicht des (Pseudo-) Phokylides.7° Man hat versucht, dem Schlussabschnitt V. 175-230 unter dem Stichwort "Haustafel" einen inneren Zusammenhang zuzusprechen. 71 Aber dieser Begriff, der auf Luthers Kleinen Katechismus zurückgeht und dort auf eine Auswahl von Stellenangaben aus der neutestamentlichen Briefliteratur bezogen ist, entspricht schwerlich den Anordnungsprinzipien des betreffenden Abschnitts bei Pseudo-Phokylides. Treffender bezeichnet ihn J. Thomas als "Pflichtenliste nach stoischem Muster". In solchen Pflichtenlisten "geht es darum, daß der einzelne verschiedene Situationen wahrnimmt und das erkennt, was jeweils das xaßilxov, was die vernunftgemäße Bewährung der einen, immer gleichbleibenden Tugend für diesen Fall ist".72 Nach Art eines solchen Katalogs von Familienpflichten lassen t.~ M
t.? t.8
t.lJ
711 71 72
Vgl. Barclay. Jews, 204-216 (211: ..the sense of cultural antagonism which is the predominant rone of this document"). Vgl. dazu Barclay. Jew.r, 138-150, sowie Feldmeier. Weise. Weitere Belege nennt Burchard, Joseph und Aseneth, 646f. (Anm. d zu 7,1). Arisl. 182: r8Emv lblm; Ull"'fXI!liMCll l'tl!Oc; TO l'tOTa xai j\xt)TO xui <Jll!ltl~tw; (Text nach Pelletier. Lettre d'Aristee). Vgl. ZU Josef als Vorbild der Gonesfurcht JosAs 4.7: xai E<JtlV 'I(t)(Jilq: avi)e 6woEfli]c;. 8,8: ~ 'luKri)q- l'tQl'!1fVoc; TÜV 8E6v. Text nach Young. Theognis, 95-112. Vgl. zur Diskussion Thomas, Phokylides, 51ft. Thomas. Phokylides, 58; Wilson. Mysteries, 134-145.
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sich in PsPhok 175-227 Abschnitte über die Familiengründung ( 175f.), das Sexualverhalten (177-194), das Verhalten zwischen den Ehepartnern ( 195-197), die Auswahl der rechten Ehefrau ( 198-206), die Kindererziehung (207-217), das Verhalten gegenüber den Alten (218-222) und das gegenüber Sklaven (223-227) erkennen. Freilich gibt schon die quantitative Unausgewogenheit der einzelnen Abschnitte einen Hinweis darauf, dass die verdeckte Quelle solcher Ermahnungen nicht in der popularphilosophischen Reflexion zu suchen ist, sondern in einer lebendigen, aktualisierenden Interpretation von Geboten der Tora. So lässt sich bis ins Detail nachweisen, dass in der langen Reihe von im Wesentlichen negativ formulierten Mahnungen zum Sexualverhalten ( 177-194) die entsprechenden Gebote aus Lev 18 rezipiert und zeitgemäß paränetisch umformuliert worden sind. 73 Auch zu Tomgeboten aus anderen Textzusammenhängen gibt es deutliche Anklänge. 74 Demgegenüber fehlen Reflexionen über allgemeingültige Grundsätze von Moral und Tugend hier gänzlich, und auch die gelegentlichen Begründungen verwenden konventionelle Motive und beziehen sich jeweils nur auf einzelne Mahnungen, nicht auf ein in sich zusammenhängendes Ethos. 75 Dies alles deutet m.E., zumal wenn man den Gesamtzusammenhang des Mahngedichtes mit in Betracht zieht, klar darauf hin, dass hier unter dem Pseudonym eines berühmten Weisen der Vorzeit gezielt ein Ethos propagiert wird, das den Forderungen der Tora für jüdisches Leben in der hellenistischen Diaspora zeitgemäße und praktikable Geltung verschaffen soll. 76 Eine stärker reflektierte Weise der Aneignung von Topoi der hellenistischrömischen Popularphilosophie stellt die Rezeption des Tugendgedankens für die Toraparänese dar. Explizite Belege dafür finden sich freilich nur in solchen Werken, die ein gewisses Maß an philosophischer Bildung erkennen lassen. 77 Und selbst dort, wo die vier Kardinaltugenden explizit angeführt werden, ist ihre Hinordnung auf die Tora unübersehbar. 78 Besonders deutlich ist das an den schon erwähnten Stellen Vit. Mos. 2,216 und Spec. Leg. 2,62, wo die Kardinaltugenden ausdrücklich als Gegenstand der Toraunterweisung in den Synagogen erscheinen.79 Ich beschränke mich hier auf einen kurzen Blick auf das 4. Makkabäerbuch. Es gibt sich der Form nach als philosophischer Traktat, der dem Lehrstück gewidmet ist, dass "die gottesfürchtige Urteilskraft souveräne Herr7 ·1 74
75 76 77
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Niebuhr, Gesetz. 26-31; Thomas, Phokylides. 64-71. Vgl. PsPhok 186 mit Ex 21,22-25, PsPhok 198 mit Ex 22,16 (Thomas, Phokylides, 71-77). Thomas, Pholcylides. 85ff.120-130. Dazu Niebuhr, Gesetz. 66-72. Nicht z.B. in JosAs, Arist., PsPhok und TestXII. Vgl. z.B. Sap 8,7; 4 Makk 1,3f. u.ö; Philo, Leg. All. 1,63-72; Prob. 70; 159 u.ö. (weitere Stellen bei Wilson, Mysteries, 56. Anm. 39). Von den philosophischen Grundlagen und Zusammenhängen der stoischen Ethik (vgl. dazu Forschner. Stoische Ethik, 61-66) ist auch in diesen frühjüdischen Schriften nur wenig wiederzufinden. Der Zusammenhang mit der Tora wird unzureichend gewürdigt bei von Lips, Jüdische Weisheit. S.o. S. 31. Zu Philo, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, vgl. Wilson, Mysteries, 56-59; Winston, Philo 's Ethical Theory.
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scherin ist über die Leidenschaften". 80 Dargestellt wird dieses Lehrstück zunächst in einer rhetorisch durchgestalteten Argumentation (I, I3-3, I8) und anschließend in einer exemplarischen Erzählung vom Martyrium des greisen Eleazar sowie von sieben Brüdern und ihrer Mutter (3, 19-17,6). Im Rahmen der philosophischen Argumentation wird die These von der Herrschaft der frommen Urteilskraft zunächst anband einer Reihe von Beispielen aus der Tora aufgewiesen. Die Einhaltung der Speisevorschriften ist Ausdruck der Beherrschung der Leidenschaften durch den besonnenen Verstand (I ,33-35). Die sexuelle Enthaltsamkeit Josefs ist MusterbeispieJ für die Tugend der Besonnenheit (2,1-3). Das Verbot des Begehrens im Dekalog ist vollkommener Ausdruck der Herrschaft der Urteilskraft (2,4-6). Im Folgenden nennt der Autor einige Beispiele für "Leidenschaften, die der Gerechtigkeit hinderlich im Wege stehen": 81 Völlerei und Trunksucht, Habgier, Zinswucher und Geiz (2,7-9). Schließlich folgen noch einige Beispiele aus den Bereichen von Ehe und Familie sowie zum Verhalten gegenüber Freund und Feind (2, I 0-14 ). Nun werden zwar alle diese ,,Fälle" als Beispiele für die eingangs genannte philosophische These ins Feld geführt. Berücksichtigt man aber die Intention der Schrift als ganzer, dann ist offenkundig, dass das Verhältnis zwischen philosophischer These und Begründung aus der Tora textpragmatisch gesehen genau umgekehrt zu bestimmen ist: Nicht die Wahrheit eines philosophischen Gedankens wird durch Beweise aus der Tora argumentativ aufgewiesen, sondern die Weisung der Tora wird mit Hilfe popularphilosophischer Topoi und Argumente unterstrichen. Die ausdrücklichen Verweise auf das Gesetz unterstützen diese Intention ebenso wie die anschließend herangezogenen Beispiele aus der biblischen Erzählüberlieferung (Mose: 2, 17f.; Jakob: 2, 19f.; Schöpfung: 2,2lff.). Und die für die philosophische Argumentation als Beispiele herangezogenen paränetischen Stoffe stimmen weitgehend überein mit Mahnungen der Toraparänese in jüdischen Schriften ganz anderer literarischer Gattung und Herkunft wie z.B. den Zwölfertestamenten, dem Slavischen Henochbuch oder den Sibyllinischen Orakelnß 2 Auch die exemplarischen Martyriumserzählungen sind durchsetzt mit expliziten und impliziten Hinweisen auf die Tora.S3 Toratreue ist ja schon die Ursache der Martyrien, und wenngleich sie zunächst auf der narrativen Ebene dargestellt und damit formal der Ebene der philosophischen Argumentation untergeordnet erscheint, so ist doch deutlich, dass mit der Beschreibung der Martyrien den Lesern eine Gesamthaltung der Treue zur Tora nahegebracht werden soll. Solche Treue zur Tora soll auch dort, wo es nicht unmittelbar um Leben und Tod geht, die Lebensweise frommer Juden prägen.S4 I!O 4 Makle 1.1: Ei uutobtmtot6~ [anv TliJV Jta8töv 0 rl!Ofjli)~ A.oyUJI16~. Eine ausfUhrliehe Analyse
des Eingangsabschnitts bietet Klauck, Exordium. Kl 4 Makk 2.6b: niJV )tlliA.unxöJV tfl~ hLxmoa(M)~ 1taBiiJV. K~ MJ
114
Vgl. dazu Niebuhr, Gesetz. 216-222. Vgl. 4 Makle 5,16.29.33f.36; 6,27.30; 7,8.15; 9,2.15; 11.27; 13,9.13; 15.9f.29; 16,16. Dazu umfassend van Henten, Maccabean Marl)·rs, 27~294.
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Im Rahmen dieser Hauptintention der Schrift haben auch die popularphilosophischen Begriffe und Topoi ihre Funktion. Sie bieten in ihrer Allgemeingültigkeit, die bisweilen an Banalität grenzt, keineswegs schon konkrete Lösungsvorschläge für Lebenssituationen von Juden in einer hellenistisch geprägten Welt. Sie sollen vielmehr durch Verweis auf allgemein akzeptierte ethische Grundsätze dazu anspornen, den jeweils eigenen konkreten Weg der Treue zur Tora zu suchen. Exemplarisch ließe sich das etwa an dem Ideal der Bruderliebe aufweisen. Wie H.-J. Klauck durch eine Zusammenstellung der entsprechenden Aussagen in der Schrift De fratro amore von Plutarch (Mor. 478A--492D) 85 und im 4. Makkabäerbuch (13,19-14,1) zeigen konnte, dient der Topos, der bei Plutarch ganz auf die Beziehung zwischen leiblichen Brüdern (und Schwestern) bezogen ist, im 4. Makkabäerbuch zur Illustration des Ideals der Eintracht des Gottesvolkes Israel. "Die Bruderliebe läßt sich auf dieser Ebene über den Kreis der sieben leiblichen Brüder der Erzählung hinaus ausweiten. Alle Kinder Israels sollen sie untereinander üben, allerdings nicht als frei schwebendes sittliches Ideal, sondern auf der Basis und im Rahmen der Tora. "86 Jüdisch-hellenistisches Ethos bildet sich somit aus in der Verbindung von Verhaltensanweisungen der Tora mit popularphilosophischen Grundsätzen der hellenistischen ethischen Tradition. Es dient der Wahrung jüdischer Identität angesichts konkreter Herausforderungen im Alltag der hellenistischen Diaspora und entfaltet sich im Rückbezug auf die eigene religiöse Überlieferung unter Heranziehung kultureller und philosophischer Traditionen der hellenistisch-römischen Welt.
3. Rekurs auf popularphilosophische Topoi Nur kurz kann noch eingegangen werden auf einige Topoi der Popularphilosophie, die auch in der hellenistisch-jüdischen Toraparänese wiederbegegnen. So stellt Josephus gleich im Proömium der Antiquitates denen, die Gottes Willen befolgen und seine guten Gesetze nicht übertreten, als Lohn Glückseligkeit (fi,baq.wv(a) in Aussicht (Ant. 1,18-23).M 7 Die von Mose gegebenen Gesetze folgen denen der Natur, die wiederum in ihrer Ordnung der .,Natur Gottes" (Owü
Klauck. Bruderliebe. 91. ri!Ö
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ganze Leben hindurch bewahrt wird. Zu erlangen ist er, wenn die Gesetze bewahrt werden (182f.). Dann werden die Gesetzestreuen die glücklichsten (d!Öatf.A.OvEOTatm) Menschen der Welt sein (193). Ein weiterer Topos, den Josephus mit der Toraparänese verbindet, ist die Eintracht (6Jt{>vota).88 Er leitet sie unmittelbar aus der einheitlichen Meinung der Juden über Gott ab, die sich von den bei anderen Völkern und unter Philosophen verbreiteten, sich widersprechenden Ansichten wohltuend abhebe (C. Ap. 2,179-181 ). Diese "schönste Einstimmigkeit in der Sinnesart" (xaU.(OtT] EV i]eEoLV av0Q1twv OUJ.lcp
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Im 4. Makkabäerbuch wird der Gedanke der Eintracht vor allem an der Bruderliebe zwischen den sieben Märtyrerbrüdern entfaltet (13, 19-14, 1). Diese wiederum wird ausdrücklich auf die gemeinsame Erziehung im Gesetz zurückgeführt ( 13,22.24).94 Auch der Topos der Einheit von Wort und Tat kann zur höheren Ehre der mosaischen Gesetzgebung herangezogen werden. Wie Josephus betont, habe Mose nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch künftige Generationen überzeugt, "weil er ja Taten vollbrachte, die mit den Worten übereinstimmten".95 Als Gesetzgeber habe er im Unterschied zu Spartanern und Griechen beides, nämlich die Belehrung durch das Wort und die praktische Einübung der Sitten, mit viel Bedacht ineinandergefügt "Weder ließ er nämlich stumpfsinnig die Einübung der Sitten (ti)v tWv l}SWv äoxnmv), noch ließ er die Lehre aus dem Gesetz (tov i:x toii v6~-to'-' A.6yov) unausgeübt"96 • Wieder finden wir denselben Topos bei Philo und im 4. Makkabäerbuch. Nach Vit. Mos. 1,29 stimmten bei Mose Taten und Worte, Leben und Reden in idealer Harmonie überein. Dasselbe gilt freilich nach Prob. 96 auch für den von Philo als Vorbild herangezogenen indischen Philosophen Kalanos. Im 4. Makkabäerbuch ist die Tat, die den Worten über die Gesetzestreue zu folgen hat, natürlich das Martyrium. Am Beispiel des greisen Priesters Eleazar wird aber der Zusammenhang von Wort und Tat auch ganz grundsätzlich entfaltet. Er wird als ai'~-tcp
4. Das Spannungsfeld von Weisheit und Tora, jüdischer Identität und popularphilosophischem Universalismus Bei unserem knappen Durchgang durch einige Texte der jüdisch-hellenistischen Literatur haben wir charakteristische Formen und Inhalte ethischer Ermahnungen vorgefunden, die offenbar den Lesern der betreffenden Schriften nahegebracht werden sollten. Dabei sollten wenigstens die grundlegenden Konturen eines Ethos erkennbar geworden sein, das für jüdische Diasporagemeinschaften in der hellenistisch-römischen Zeit und Umwelt prägend gewesen ist. Natürlich wäre für jede Schrift noch im einzelnen zu prüfen. welche Adressatengruppe von welchem Autor bzw. welcher "Trägergruppe" in welchem spezifischen Milieu mit welchen rhetorischen und argumentativen
~ '~~ 116
S.o. S. 42. Vgl. dazu van Henten, Maccabean Manyrs, 284ff. Josephus, C. Ap. 2, I69: ta fQYU Jt
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Mitteln zu welchen Verhaltensweisen bewegt werden sollte. Aber hier ging es nicht um die spezifischen Abfassungs- und Rezeptionsvorgänge der einzelnen Texte, sondern um den Versuch, dasjenige herauszuarbeiten, was über den Einzelfall einer konkreten literarischen Äußerung hinaus von Autoren wie Adressaten als gemeinsamer Fundus von Grundüberzeugungen vertreten wurde, ohne jeweils erst im einzelnen neu begründet werden zu müssen. Gerade das von sich aus für gültig Gehaltene, das allgemein Akzeptierte, nicht wirklich Hinterfragte und Hinterfragbare bildet ja den "Kanon habitualisierter Handlungen", den man Ethos nennen kann. Dabei darf man sich freilich nicht von den literarischen Formen täuschen lassen, in die ein solches Ethos sich kleidet. Bekanntlich sind Argumentationen und Begründungen gerade dann besonders wortreich, wenn die Entscheidung längst gefallen ist oder gar von vornherein feststeht. Das literarische bzw. rhetorische Mittel der Argumentation dient dann lediglich dazu, die längst getroffene Entscheidung zu unterstreichen, abzusichern, zu verteidigen und durchzusetzen. Ein Ethos wirkt nicht in erster Linie durch die Überzeugungskraft von Argumenten, sondern durch den Druck von Konventionen und von Gruppen, die sie vertreten. An literarischen Formen, in denen das jüdisch-hellenistische Ethos einherkommt, haben wir beobachten können: eine philosophische Lehrrede (4. Makkabäerbuch), ein episches Mahngedicht (Pseudo-Phokylides), eine Apologie (Josephus, Contra Apionem), eine Reihe von exegetisch-philosophischen Traktaten (Philo), ein Geschichtswerk (Josephus, Antiquitates), eine romanhafte Lehrerzählung (Josef und Asenet). Angesichts derartig unterschiedlicher literarischer Gattungen ist es um so bemerkenswerter, dass sich durchaus gemeinsame Konturen des in diesen Werken vorausgesetzten und implizit wie explizit propagierten Ethos erkennen lassen. Nicht einmal die Autorenfiktion des berühmten griechischen Gnomendichters Phokylides kann etwas daran ändern, dass seine Verse in der Gestalt, wie sie in seinem Mahngedicht begegnen, als Ausdruck eines spezifisch jüdischen Ethos verstanden werden! Offenbar ist gerade das Mittel der Pseudonymität oder Anonymität textpragmatisch betrachtet besonders geeignet für die Propagierung des in der Tora wurzelnden jüdischen Ethos. Es ist ja auffällig, dass etwa in der Sapientia Salomonis der Name des implizit als Autor vorausgesetzten Salomo nie fallt, wie überhaupt sämtliche identifizierbaren Namen oder sonstige konkrete Situationsangaben gezielt vermieden werden. 97 Auch das anonym verfasste 4. Makkabäerbuch verzichtet in seinem ersten, rhetorisch-argumentativen Teil offenbar gezielt darauf, den Autor bzw. Redner und seine Leser bzw. Hörer ausdrücklich als Juden zu erkennen zu geben. 98 Dabei sind die <~7
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Vgl. Hübner. Ethik. 174ff. Einzige Ausnahme ist das .. wir" in 4 Makk 2.19: 6 n:IJv,x)(po; i)~uirv n:oti)e 'lmuoß. Ansonsten ist 1.war ständig die Kenntnis von Namen, Inhalten und Themen der biblisch-jüdischen Überlieferung ebenso vorausgesetzt wie eine positive Haltung zu ihnen bei Autor und Adressaten. Aber eine explizite Identifikation erfolgt nicht.
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Bezugnahmen auf einzelne Gebote der Tora ganz offensichtlich; z.T. handelt es sich sogar um wörtliche Zitate. Dasselbe gilt für weite Passagen bei Pseudo-Phokylides, insbesondere den ersten Teil des Gedichts, der eine freie Umgestaltung und Erweiterung des Dekalogs und weiterer Toragebote, vor allem aus Lev 19, bietet. 99 Und die Sapientia Salomonis schreibt in den Kapiteln I 0-18 über weite Strecken die Exodusgeschichte aus, ohne dies freilich auch nur an einer einzigen Stelle beim Namen zu nennen. Die sich namentlich zu erkennen gebenden Autoren Philo und Josephus scheinen einen ähnlichen Effekt dadurch erzielen zu wollen, dass sie immer wieder die Übereinstimmung der jüdischen Werte und Weisungen mit denen der klassischen griechischen Uberlieferungen herausstreichen, und zwar so, dass letztere von ersteren für abhängig erklärt werden. 100 Auf diese Weise kann eben auch den Geistesgrößen der hellenistisch-römischen Umgebung das eigene Ethos untergeschoben werden und damit die Identität der Gruppe, die sich darauf stützt, gestärkt werden. Dass ein solches jüdisch-hellenistisches Ethos auf die Tora bezogen ist und aus ihr gespeist wird auch dort, wo dies nicht ausdrücklich gesagt wird, sollte deutlich geworden sein. Die Tora hatte im Frühjudentum eine bemerkenswert integrative Kraft. Ihrer Rezeption und Interpretation konnten Überlieferungen, Topoi und literarische Gattungen dienstbar gemacht werden, die offenkundig nichtjüdische Ursprünge und philosophische Hintergründe haben. Dies gilt keineswegs nur für philosophisch gebildete Autoren wie Philo oder den Verfasser des 4. Makkabäerbuches. Auch die eher volkstümlich wirkende Romanerzählung Josef und Asenet benutzt stoische Terminologie, um das von der Tora geprägte Ethos zu proklamieren. Demgegenüber lassen sich Konturen einer eigenständigen Weisheitstradition, die neben der Toraüberlieferung gepflegt worden wäre, nicht ausmachen. Vielmehr hat sich immer wieder gezeigt, dass weisheitliehe Motive bis hin zur entsprechenden Terminologie dazu herangezogen werden, die Autorität der Tora zu unterstreichen und ihre Weisungen situationsbezogen zu vergegenwärtigen. Bibliographie Ameling, W., Die jüdischen Gemeinden in Kleinasien, in: R. Jütte/A.P. Kustennann (Hg.), Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1998, 29-55. Barclay, J.M.G., Jews in the Mediterranean Diaspora from Alexander to Trajan (323 BCE- 117 CE), Edinburgh 1996. Betz, H.-D., Lukian von Samosata und das Neue Testament. Religionsgeschichtliche und paränetische Parallelen. Ein Beitrag zum Corpus Hellenisticum Novi Testamenti, Berlin 1961 (TU 76).
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Vgl. zur Funktion des Pseudonyms bei dieser Schrift Niebuhr. Gesetz. 67-70.
1nn Vgl. Niebuhr. Gesetz. 53-57.
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Ethos and Identity in Jewish Apocalyptic Literature Apocalyptic Iiterature is not all of a piece. The genreis defined by a combination of literary forms and characteristic motifs, and these can be pressed into service by people of different ideological persuasions. Moreover, there are significant differences between different kinds of apocalypses, such as the "historical" apocalypses that focus on historical crises, on the one hand, or the more cosmically or even mystically oriented ascent apocalypses on the other. If we wish to discuss the question of ethos and identity in the apocaIyptic literature, then, we must allow for some variation. In light of this Variation, it is even reasonable to ask whether there is any correlation between the literary form of an apocalypse and ethos or identity at all. I will argue that there is a correlation, although it can play out in various ways, and can, like any literary form, be subverted by an ironic writer. It is important, however, that we consider specific cases, so that we can do justice both to the variation and to the commonality within the genre. Our discussion may be framed by two contrasting scholarly judgments about the Iiterature attributed to Enoch. E. P. Sanders finds in I Enoch "much the same pattem of religion as we found in the Rabbis ... salvation depends on election and that which is necessary to maintain the elect state - to be righteous - is to maintain loyalty and obedience to God and his covenant." t Sanders calls this pattem of religion "covenantal nomism" and claims that it is ubiquitous in early Judaism. He recognizes that there is a tendency to sectarianism in the Enoch literature, but argues that "it is more likely that the righteous of the various parts of I Enoch did not see themselves as members of a sect wirhin Israel, but as the only true Israelites. It seems that in I Enoch the righteous are the elect and that all others are apostates or heathen."2 In short, the understanding of what it means to be an Israelite is not unusual, but only a small group is thought to qualify. For Gabriele Boccaccini, in contrast, "I Enoch is the core of an ancient and distinct variety of second temple Judaism."3 Following his teacher, Paolo Sacchi, he argues that "its generative idea ... can be identified in a particular conception of evil, understood as an autonomous reality antecedent to humanity's ability to choose, the result of "a contamination that has spoiled [human] nature," an evil that "was produced before the beginning of history."" 4 This branch of Judaism, we are ' Sanders, Paul, 362. Sanders. Paul. 361. ' Boccaccini. Beyond the Essene Hypothesis, 12. 4 Boccaccini. Beyond the Essene Hypothesis, 12f. See Sacchi. Jewish Apocalyptic.
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told, "arose out of anti-Zadokite priestly circles that opposed the power of the priestly Zadokite establishment. " 5 Its attitude is "at once critical of the reality it sees in the temple and deeply devoted to the ideal of the temple understood in a quite concrete way."6 None of this is necessarily incompatible with covenantal nomism, but in fact covenant is not a centrat category in the Enoch literature. The concems of that Iiterature are different, and in this respect Boccaccini is surely right. The ideas of covenant and the Mosaic law are centrat in some other apocalypses, such as 4 Ezra and 2 Baruch, andin some apocalyptic Iiterature in a broader sense, such as Jubilees and the sectarian scrolls from Qumran, but even in these cases the apocalyptic perspective makes a difference to the pattem of covenantal nomism, that distinguishes this Iiterature from that later produced by the rabbis.
l. Sectarian Identity To begin with the most distinctive cases, a number of apocalypses refer to distinct movements or groups whose identity is more specific than that of Israelite or Jew. 7 According to the Apocalypse of Weeks in 1 Enoch, the seventh week, which is the post-exilic generation, will be dominated by an apostate generation, but at its end "the chosen righteous from the etemal plant of righteousness will be chosen" (93: 10). The "plant of righteousness" is introduced earlier in the apocalypse, where it refers to the descendants of Abraham. The chosen righteous are evidently a distinct group, singled out from that line. They are given "sevenfold teaching" conceming all creation, and are given a sword to execute righteousness. They eventually acquire houses because of their righteousness, before this world is destroyed and replaced by a new creation. Similarly, in the Animal Apocalypse (I Enoch 85-90) the offerings in the Second Templeare said tobe corrupt (89:73), but a group described as "small Iambs" begin to open their eyes and see (90:6). They too become militant; they grow homs and find a Ieader who is described as a sheep with a big hom. They are vindicated in a judgment when God comesdown to intervene. Since the Apocalypse of Weeks and Anima) Apocalypse are both ascribed to Enoch and are otherwise closely related, it is reasonable to assume that the small lambs and the chosen righteous are one and the same, and that the authors of the apocalypses belonged to this group. Whether they can be described as sectarian is debatable. We know nothing of their organization, and at least the Animal Apocalypse appears to support Judas Maccabee (the sheep with the big hom),s and the Apocalypse of Weeks also endorses the use of ~ 11
7
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Sacchi, Jewish Apocalyptic, 17. So Himmelfarb, Ascent, 27. For recent discussion of these groups see Collins, Pseudepigraphy, and the Iiterature there cited. Tiller, Commentary, 62f.
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the sword. They are often identified with the Hasidim of the Maccabean period, who were also supporters of the Maccabees, but we know too little about the Hasidim to make the identification with confidence. 9 They do not deny (at least in these texts) that other Jews belong to Israel, but in the Animal Apocalypse "blind sheep" (Jews who are judged by the author to be in error) are bumt in an abyss of fire (90:26). The elect group is the seed for Israel as it will be in the eschatological age.
2. The Enoch Tradition The distinction between this elect group and the rest of Israel is grounded in a claim of a new revelation. The revelation is allegedly given to Enoch in primeval times, long before the revelation to Moses. There is no obvious reason why Enoch should be chosen as the spokesman for a militant group. Many more appropriate pseudonyms were available, such as Joshua or Elijah. Presumably, Enoch was chosen because there was already a tradition of revelatory works in bis name. We cannot be sure whether this tradition was transmitted by one group, although this seems an attractive hypothesis. But there is at least a literary tradition, wherein Enoch was established as an authoritative mediator of revelation. The associations of Enoch are primarily with figures of Mesopotamian primeval lore.t 0 As seventh from Adam, he has been compared with the seventh king of Sumerian king Iist, Enmeduranki king of Sippar. Sippar was a center of the cult of Shamash, the sun god. Enoch is associated from the beginning with a solar calendar; bis age is given in Genesis as 365 years. Enmeduranki was founder of a guild of diviners, and bad allegedly been taken into the divine assembly and shown the tablet of the gods and the secret of heaven. The number seven is also associated with Utuabzu, the seventh sage, who was said to have been taken up to heaven. Utnapishtim, the flood hero in the Epic of Gilgamesh, was taken away to live with the gods. The biblical counterpart of Utnapishtim is Noah, but it is Enoch who is "taken" by God. Enoch seems to have picked motifs that were associated with various Mesopotamian heroes. There can be little doubt that the legend of Enoch first developed in Babylon, and was an exercise in what might be called "competitive mythology". Several parallels for this phenomenon can be found, somewhat later, in Hellenistic Jewish Iiteralure, where Abraham and Moses are often portrayed as culture heroes, who outshine the heroes of Egyptian and other Gentile tradition. The legend of Enoch supplied Jewish exiles with an ancestor who could be compared favorably with Enmeduranki or Utnapishtim in antiquity and status, and might even be said to surpass any of them. Such a figure could bolster Jewish pride and strengthen Jewish identity, but he would seem to have little relevance to the idea of a covenant between God and Israel. '~ 111
See the discussion by Tiller, Commentary, 109-115. See esp. VanderKam, Growth, 33-51; id., Man, 6-8. Also Kvanvig, Roots, 160-213.
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In fact, the earliest Enochic writings are conspicuous for their Iack of reference to the Mosaic covenant. The absence of such references can not be fully explained by the fact that Enoch belongs to an earlier era, so that explicit reference to Moses would be anachronistic. The Book of Jubilees also describes a time before Moses, but nonetheless insists that the patriarchs acted in conformity with the Law. The interests of the earliest Enoch books are different. The Astronomical Book (1 Enoch 73-82) is introduced as "the book of the revolutions of the lights of heaven, each as it is, according to their classes, according to their period of rule and their times, according to their names and their places of origin and according to their months, which Uriel, the holy angel who was with me and is their Ieader, showed to me" ( 1 Enoch 72: 1). Enoch apparently received bis astronomical education from Uriel in the course of a joumey or series of joumeys in which he is taken to the ends of the earth (cf. 76: 1). The main body of the text, up to chapter 79 where the discourse is pronounced complete, is an instruction by Enoch to bis son Methusaleh about "the whole law of the stars of heaven." As M. Albani has shown, it presupposes an astronomical system that is found in the Akkadian text MUL.APIN.' 1 The antiquity of this system is disputed, but it certainly predates the Babylonian exile of the Jews. Albani suggests that some Jewish exiles or their descendants, possibly in the Persian period, bad access to scribal schools, where they could have encountered such a text. (Compare the admittedly fictional story of the education of Jewish youths in the Book of Daniel). In any case, the fact that the Jewish author was acquainted with the Akkadian system is beyond reasonable doubt. This fact explains one of the most puzzling aspects of the Astronomical Book. It is a major contention of the book that "the year amounts to exactly three hundred and sixty four days" (72:32). lt does not, however, polemicize against the 354 day lunar calendar, which at least in later times, was the nonnative cultic calendar of Judaism. Neither does it discuss the dates of the Jewish festivals. Instead it attacks a 360 day calendar, which fails to add the four additional days (75: 1f.; 82:4--6), although we know of no such calendar in Jewish tradition.l2 In the Akkadian text, the length of the year is given as 360 days. It appears then that the Astronomical book was not composed to address an inner-Jewish dispute about the calendar (such as we find reflected in Jubilees and the Dead Sea Scrolls). It was rather a correction of its Akkadian prototype. Despile the correction, the astronomy of the Astronomkai book remains archaic. The author was not abreast of the Babylonian science of the Persian or Hellenistic periods. What the author bad absorbed from bis Akkadian learning, such as it was, was a sense of the importance of the stars and the heavens as manifestations not only of the glory of God but of the regulated order of the universe. The discourse of Enoch to Methusaleh, then, is a kind of wisdom instruction, but an unusual one insofar as it presupposes angelic revelation and has a highly technical character. It should also be noted that it II
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Albani, Astronomie; Bedenbender. Gott, 157f. Albani, Astronomie, 160f.
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speaks of the stars as living beings, in the idiom of mythology rather than that of science. Two chapters of the Astronomkai Book, 80 and 81, have a quite different character from this astronomical instruction, and accordingly are often regarded as secondary additions. Chapter 80 narrates a supplementary instruction by Uriel: "But in the days of the sinners the years will become shorter, and their seed will be late on their land on their fields, and all things on the earth will change, and will not appear at their proper time" (80:2). Then "the entire law of the stars will be closed to the sinners, and the thoughts of those who dwell upon the earth will go astray over them, and they will turn from all their ways, and will go astray, and will think them gods. And many evils will overtake them, and punishment will come upon them to destroy them all" (80:7f.). For our present discussion, the important pointisthat the ethos implied in this passage is also implied in the preceding astronomical instruction: people should live in accordance with the laws of nature. Sinners are people who fail to understand these laws. Here again there is a strong similarity to the wisdom tradition, although the astronomical interest is not prominent in the wisdom books. Chapter 81 is more clearly discontinuous with the rest of the book. Here Enoch is said to have derived his wisdom from the heavenly tablets rather than from Uriel. His learning is not especially cosmological but concems the judgment of human beings after death. Even in chapter 81, however, it is not clear just what constitutes righteous conduct, and there is no reference to a covenant or to a special law for Israel.
3. The Book of the Watchers The Astronomkai Book may weil contain the oldest stratum of the Enochic tradition. Its reliance on (outdated) Babylonian astronomy is most easily explained in a Babylonian context, although we have no clear evidence for its actual provenance. The other early book of Enoch, the Book of the Watchers (I Enoch 1-36}, is more easily explained in a Palestinian setting. The central revelatory experience is located at Tel Dan, by the waters of the Jordan.u Like the Astronomkai Book, much of it is concemed with the joumeys of Enoch, under the guidance of an angel. But the Book of the Watchers also contains a vivid narrative about the Fall of the Watchers, which P. Sacchi and G. Boccaccini take as the constitutive core of the Enochic tradition. The sin of the Watchers has two aspects. The first is emphasized in the divine judgment, pronounced in chapter 15: "Why have you left the high, holy and eternal heaven, and lain with the women and become unclean with the daughters of men, and taken wives for yourselves? ... And you were spiritual, holy, living an etemal life, but you became unclean upon the women ... and pro11
See Nickelshurg. Enoch. Levi and Peter.
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dueed flesh and blood as they do who die and are destroyed." The seeond is elaborated in ehapters 7 and 8, whieh teil how the Watehers imparted forbidden knowledge to humanity- the making of eharms and spells, swords and daggers, jewelry and omamentation. As a result "the world was ehanged, and there was great impiety and mueh fornieation" (8:2). lmplicit in this narrative is the judgment that eultural innovation is bad, especially when it is aeeompanied by fornieation. These ehapters are often, plausibly, read as an indireet expression of the author's reaetion to the novelties of the Hellenistie age, whieh was marked by teehnologieal progress, on the one band, and exposure to Greek attitudes to the human body and sexuality, on the other.1 4 The ethie of the Book of the Watehers ean reasonably be deseribed as reaetionary, just as the Astronomieal Book was reaetionary in clinging to an outdated eosmology. Whether there was social or historieal eontinuity between the authors of the two books is open to question. The improper knowledge imparted by the Walebers includes astrology and the path of the moon. While the path of the moon may be regarded as an improper subjeet beeause of the author's preferenee forasolar ealendar, the faet remains that there is an aeeount of the moon in the Astronomical Book, in ehapter 78. The Book of the Watehers provides a mueh more vivid aeeount of the disruption of the eosmos than anything found in the Astronomical Book. At the heart of this aeeount is the antithesis between the high, holy, heaven, where angels enjoy etemallife, and the earthly world of begetting, eorruption and death. The Fall of the Watehers is not only an explanation of the origin of sin. It is also a paradigm of mistaken values. In eontrast, Enoch is a human being who aseends to heaven, and is thereby paradigmatie of the exaltation possible for at least some human beings. The ideal of living an angeHe life may not be a eonstant faetor in all apocalyptic literature, but it is prominent in mueh of it, espeeially in the earliest, pre-Christian Jewish apocalypses. This ideal lends itself to a negative view of sexuality, the medium by whieh eorruptible life is transmitted, and a generat devaluation of the pleasures and sueeesses of this world. The story of the Fallen Angels is often tak.en as a thinly veiled polemic against the Jerusalem priesthood in the period before the Maccabean revolt.15 Angels were the priests of the heavenly temple. The Watchers are told that they should have petitioned on behalf of human beings, not vice versa. Enoch is pointedly deseribed as a righteous seribe ( 1 Enoch 12:4 ), not as a priest. (Enoch is given a priestly role in Jub 4:26, where he is said to bum the incense of the sanetuary, but this is a later text, that tries to hannonize the Enoch tradition with Mosaic Judaism.) It may weH be, then, that there is here a polemic against the Jerusalem priesthood, although it is expressed indireetly. As we have seen, the Animal Apoealypse regarded the offerings of the Second Temple as impure. But the Book of the Watehers is not only a polemic against the priesthood; it is a contrast of two value systems and styles of life. 14
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Nickelsburg. Apocalyptic. See esp. Suter. Fallen Angel.
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The travels of Enoch, in chapters 17-36, probably represent a number of discrete expansions of the book. They continue the interest of the Enoch tradition in cosmologicallore, although they do notengagein the kind of quasiscientific speculation found in the Astronomical Book. They also show Babylonian influence at some points - the abode of the dead is located inside a mountain in 1 Enoch 22. 16 But these chapters also draw on traditions known to us from the Bible. They envision a mountain with the house of the Lord and the fragrant tree of life (chapter 25). They incorporate the story of Adam and Eve (32:6), although the story of the Watchers seems to provide the paradigm of the origin of sin. They seem to draw on a richer mythology than what is now found in the Bible. They speak of a prison where stars are punished, 17 because they failed to come out at the right time (18:14-16), and of an abyss of fire ( 18: II; 21 :7). The tree of life flourishes on the high mountain where God will visit the earth for good. Much of these chapters deal with the theme of judgment. Yet they make no allusion to Mosaic law or to the election of Israel. This does not necessarily mean that the authors did not know or observe the law of Moses, but it does not seem to be central to their identity, insofar as that identity can be inferred from the text.
4. The Ethos of the Enoch Tradition It would seem then that the tradents of the Enoch Iiterature originally bad an identity that was not grounded in the Mosaic Torah, or in what we know as the canonical scriptures. At some point, however, there was a rapprochement between the Enochic and Mosaic traditions. The Animal Apocalypse and the Apocalypse of Weeks show a knowledge of, and interest in, the history of Israel, that is not hinted at in the Astronomical Book or the Book of the Watchers. Insofar as these apocalypses show a pattem of sin and deliverance in history they are surely influenced by the Deuteronomic tradition.t 8 Yet the chosen righteous are a group set apart, and they appeal to an authority older than Moses. Again, the first five chapters of I Enoch, which appear to have been added relatively late as an introduction, are replete with biblical allusions.t9 They begin with an account of a theophany on Mt. Sinai, although it maybe significant that the Lord is said to come to rather than fromMt. Sinai. But the following chapters emphasize the order of nature as the model for understanding the Law of the Lord, just as was the case in the Astronoll'l 17
IM
I<J
See the detailed treatmenl of this passage by Wacker. Weltordnung. Compare lhe prison for the hosl of heaven in lsa 24:22. See esp. Bedenbender, Gott, 206f., building on lhe older work of Steck, Israel. D. Bryan has argued thal the imagery of lhe Animal Apocalypse shows the seer "as one whose mentality was shaped and fully govemed by lhe world-view and inherenl symbolism of the kosher rules" (Cosmos, 169). This is an intriguing suggestion, thal is plausible enough in the context of lhe Antiochan persecution. but it must be weighed against lhe Iack of explicit reference to kosher rules in the Apocalypse - e.g. lhe lsraelites are never accused of sinning by lheir dietary habits. See esp. Hartman. Asking for a Meaning; Bedenbender. Gott, 215-230.
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mical Book. It is possible that the author identified the Law of Moses with the Law of cosmic wisdom, as Ben Sira did, 2° but Enoch does not make this identification explicit. At no point are we told much about the actual practices of the chosen righteous. They support the Maccabees (at least in the case of the Animal Apocalypse) and they are willing to resort to violence. They hope to acquire houses when the wicked are overthrown. If the Book of the Watchers is still representative of this group in the Maccabean era, however, we should expect a more otherworldly piety, that aspires to contemplation of the divine throne and life with the angels. We should not assume too hastily that concem for justice (or even property) on earth is incompatible with mystical inclinations. The Epistle of Enoch, the Ionger work in which the Apocalypse of Weeks is now embedded, is vitally concemed with social justice and pronounces woes against sinners whose riches make them appear righteous. 21 The hope of the righteous, however, is fellowship with the angels in heaven. They are told: "you will shine like the lights of heaven and will be seen, and the gate of heaven will be opened to you ... for you shall be associates of the host of heaven" ( 1 Enoch 104:2,6). This is also true in the Similitudes of Enoch, which cries out for the overthrow of the kings and the powerful, but Iooks for a future when the righteous will become angels in heaven (51 :4) and share in the Iot of the figure called "that Son of Man" (72: 16f.).2 2 The interest in the angelic world is pervasive in the Enoch literature. At the root of the tradition is the report that Enoch walked with 'crlohim, which may be, and often was, taken in its plural sense as "heavenly beings". It is from angels that Enoch receives bis revelations. It is not surprising then that several works attributed to Enoch express the hope of etemal life in the angelic world, a fate already supposedly enjoyed by Enoch himself. While this hope could be combined with elements of Deuteronomic theology, it was fundamentally different from the traditional Deuteronomic hope for long life and abundant progeny in the land, and it implied a different, more spiritual, ethos.
5. Daniel The Book of Daniel also knows of an elite group, the wise or maskilim, who come to the fore in the time of persecution. Like the elect righteous in the Enoch books, they are distinguished by their wisdom, but unlike them they have little regard for the Maccabees or their methods. They cannot be collapsed into the same movement. n The maskilim have not rejected the remainder ~~~ 21 22 2.1
Sir 24:23. See Collins. Jewish Wisdom. 42-61. See Nickelsburg. Riches. On the Similitudes of Enoch see further Collins. Apocalyptic Imagination, 177-193. Despile numerous attempts to subsume them all under the Hasidim. See Collins, Daniel. 66--69.
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of Israel. They are said to instruct the rabbim, the common people, to make them understand, even though some of them fall, to purify them and to make them white. The nature of the instruction is not spelled out, but it seems reasonable to assume that it corresponds to the wisdom disclosed in the Book of Daniel itself. Like the books of Enoch, Daniel contains within itself evidence of the growth of a tradition. The Aramaie court tales in chapters 2-6 are generally regarded as older than the visions in chapters 7-12. The tales provide narratives of human conduct, and so illustrate ethos to a greater degree than is usual in apocalypses. John Barton has argued that the piety reflected in these narratives is "normal" Jewish piety. 24 Daniel and his friends are fastidious about their food, lest they be defiled, and refuse to participate in idolatry. Daniel prays towards Jerusalem three times a day, even in defiance of a royal command. At the same time, they function quite weil as loyal servants of Gentile kings. Noneofthis is peculiarly apocalyptic. lndeed. Toparaphrase George Bernard Shaw, nobody is apocalyptic all the time.25 But the distinctively apocalyptic part of Daniel is not found in the tales, but in the visions, and the ethos it entails is weil illustrated in the brief discussion of the maskilim. This discussion occurs as part of a lengthy revelation. The angel discloses to Daniel that there is a struggle in heaven between the angels Gabriet and Michael on the one hand and the princes of Persia and Greece on the other. This is the heavenly backdrop of the wars on earth. In the end, the rampaging "king of the north" (Antiochus Epiphanes) will be destroyed. Then "Michael, the great prince, the protector of your people, shall arise". Then the dead will be raised, some to shame and contempt and some to everlasting life. The wise maskilim "will shine like the splendor of the fmnament and those who Iead the many to righteousness will be like the stars for ever and ever" (Dan 12:3). To shine like the stars means to become companions to the host of heaven, the destiny of the righteous also in the Epistle of Enoch. 26 This revelation equips the maskilim with an understanding over and above what is provided by the Mosaic Torah. In traditional Deuteronomic theology, those who kept the law were promised long life in the land, and hoped to see their children to the third generation. This theology was put in question by the persecution, when people were put to death for keeping the law. Daniel's revelation explained how fidelity still made sense. There isanother world, the world of angelic powers disclosed in the visions. The hope of the righteous is not for future generations but life with the angels after death, and this makes an enormous difference for the kind of conduct that makes sense in the present. The apocalypses of Enoch and Daniel differ in many respects. Daniellacks Enoch's interest in cosmology and makes no appeal to the law of nature. He 24
~~ ~"
Barton. Theological Ethics. "I don 't think anybody can be a Christian all the time. Every now and then one forgets, and something comesout quite naturally" (G.B. Shaw in Androcles and the Lion). Collins, Daniel, 393f.
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expresses no criticism of the temple, and is greatly disturbed by its defilement under Antiocbus Epipbanes. Observance of the Mosaic law receives little explicit attention, but is probably assumed througbout, in view of the resistance of the maskilfm to the persecution. But like Enocb, Daniel is built on the assumption that a bigber revelation is needed. This bigber revelation is not opposed to the Mosaic law in either book, but it is a necessary complement. Enoch and Daniel reject, in effect, the old DeuteronolDie dieturn that the word of God is "not in beaven, that you sbould say: 'wbo will go up to beaven for us to get it for us that we may bear it and observe it'" (Deut 30: 11 ). The need for bigber revelation goes band in band with a new spirituality that focuses on the beavenly world and Iooks for salvation after death with the angels.
6. Apocalypticism and Torah-Piety In the generation after tbe Maccabean era, bowever, the Mosaic Torah becomes more central and prominent in works that are apocalyptic, at least in a broad sense. We bave seen that already in the Enoch Iiterature a rapprochement was effected between the Enochic and the DeuteronolDie traditions. This becomes evident in the summaries of Israelite bistory in the apocalypses of the Maccabean era. It may be that the attempt to suppress the Torah in the reign of Antiochus Epipbanes bad the effect of heightening its importance for Jews who resisted the persecution. But even apart from the persecution, the Torah became increasingly central in Jewish life in this period - witness the identification of Wisdom with the Torah in Ben Sira, a few decades earlier, wbich also brought a tradition that was essentially independent of Mosaic authority under the aegis of the Torah. 27 In any case, we find a blend of Torah-centered piety and apocalyptic revelation in tbe Book of Jubilees and in the sectarian scrolls from Qumran. Jubilees has the form of an angelic discourse, but it is essentially a paraphrase of the Book of Genesis and part of Exodus. In chapter 23, however, there is a prediction of coming travails, that includes the emergence of a pious group, analogous to the elect righteous in the Enocb literature. In this case, however, the characterization of the group is different: "the children will begin to study the laws, and to seek the commandments, and retum to the path of righteousness" (Jub 23:26). It is not clear wbether this passage is a propbecy after the fact or a genuine prediction of something that was to bappen in the eschatological age. There is no doubt, however, that the ethos promoted by the Book of Jubilees is focused on the study of the Torah. The same is true of the ethos of the Dead Sea sect. There is no clear case of an apocalypse that was composed within the sect, although both the genre and the provenance of some fragmentary works is unclear. There was, hown See Collins. Jewish Wisdom. J-20.
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ever, a strong interest in apocalyptic matters at Qumran, as can be seen from the multiple copies of the books of both Enoch and Daniel that were preserved there. Moreover, Qumran is often, justifiably, called an apocalyptic community because of the prominence of apocalyptic themes (cosmic warfare, calculation of an "end", interest in the heavenly world) in the sectarian texts. 28 There is also in the Scrolls a claim of higher revelation. God revealed to his chosen ones "hidden matters in which all Israel had gone astray; his holy sabbaths and his glorious feasts, his just stipulations and his truthful paths, and the wishes of his will which man must do in order to live by them" (CD 3:13-16). The revelations largely concem issues of calendar and law. It is clear from 4QMMT that the sectarians held the same Torah as other Jews of their time, but interpreted it differently. 29 They held their interpretation, however, as itself revealed, mediated through the Teacher of Righteousness, the authoritative "Interpreter of the Law" (CD 6:7) to whom God also disclosed the secrets of the prophetic writings ( 1QpHab 7 :4f. ). The status of the Teacher may be one reason why the sectarians did not compose apocalypses in the name of ancient worthies like Enoch. Another reason may be their conviction that all truth was already revealed in Scripture, and so their revelation takes the form of interpretationrather than of new visions.3o The Dead Sea sect, as described in the Damascus Document, clearly saw itself as heir to God's covenant with Israel. It is the plant root sprung from Aaron and Israel. It does not follow that it denied that its opponents also belonged to Israel. If 4QMMT is indeed addressed to a non-sectarian ruler, as is generally supposed, then Israel is still recognized as a wider entity.JI Similarly the Prayer for King Jonathan assumes that Israel is the entity over which the king rules, not just the community of the new covenant. Again, when Belial is said to be sent against Israel in CD 4: 13, the reference seems to be to the wider Jewish people. But the community is, so to speak, the seed for Israel at the end of days. Others may join it for a time, but eventually that possibility will be denied (CD 4: I Of.). In the eschatological time, the distinction between the community and Israel will collapse, as can be seen in the Messianic Rule (IQSa). 32 The higher revelation to which the community is privy is complementary to the Torah, not an alternative to it. There is, however, another aspect to the identity of the Qumran sect. The sectarians are also Sons of Light, whereas their opponents are Sons of Darkness. This opposition is fundamentally different from the opposition between Israel and the nations, which is also maintained in the Scrolls. It provided a way of explaining why so much of Israel deviated from the way of 18 19 ·10 1'
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For an extended treatment, see Collins. Apoca/Jplicism. 4QMMT C I Of. The writer invites the addressee to consider the books of Moses and the Prophets. See funher Collins, Pseudepigraphy, 55-58. See. however. the interesting arguments of Fraade, To Whom Ir May Concern. Fraade argues that 4QMMT is an instructional document for use within the sect. See Sanders. Pau/, 247. Stegemann, Remarlc.s. 494, argues that IQSa addresses the present time, but this view is problematic in view of the presence of the messiah.
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truth, and seriously relativizes the importance of "Israel" as the vehicle of salvation. However, the identity of the sectarians was deeply rooted in the traditions of Israel and consequently the dualism of light and darkness has only an occasional and subordinate role in the Scrolls. The ethos of the Dead Sea sect was regulated to a great degree by their strict interpretation of the Torah. There are at least two respects, however, in which it was shaped distinctively by the apocalyptic heritage of the sect. One concems the claim, found especially in the Hodayot, that the members of the community are already living an exalted life "on the height": "The corrupt spirit you have purified from great sin so that he can take his place with the host of the holy ones and can enter into communion with the congregation of the sons of heaven" (1 QH 3:23). Life with the angels was the Enochic ideal, shared also by Daniel after the resurrection. The sectarians (or some of them) appear to claim that they enjoyed it already in the present. Angelic life, however, imposes some restrictions on human behavior. According to the messianic rule (I QSa 2:3-9) no one with any impurity may enter the congregation, "for the angels of holiness are among their congregation". Women and boys are barred from the anny of the Sons of Light on the day of battle for the same reason (I QM 7). This ideal of angelic life bears directly on the much disputed question of celibacy at Qumran. According to Pliny, Josephus and Philo, the Essenes were celibate, although one branch of the sect allowed marriage.3 3 The sectarian scrolls never demand celibacy explicitly, and the Damascus Document legislates for women and children. It is difficult to see, however, how the so-called "men of perfect holiness" who aspired to live like the angels, could have engaged in sexual activity. I suspect then, that the report in the Greek sources has a basis in the practice of the Dead Sea sect, although it may not be completely accurate. (Married people, with children, may have been allowed to join the sect on condition of future celibacy, or the celibate wing of the Essene movement may have been in the minority.)34 The second issue concems the attitude of the sect to violence. "I shall not repay anyone with an evil reward; with goodness I shall pursue the man. For to God (belongs) the judgment of every living being, and it is he who pays man his wages", says the hymn at the end of the Community Rule (I QS I 0: 17f.). The logic of this position is familiar from some apocalyptic writings. In the Assumption of Moses, Taxo and his sons respond to persecution by purifying themselves by fasting, and then going into a cave in the field, to die rather than transgress the commandments: "For if we do this and die, our blood will be avenged before the Lord" (Ass. Mos. 9:7).35 Themaskilim in Daniel, too, expected God to exact the vengeance from which they refrained. The Qumranian sectarians are distinctive insofar as their restraint is temporu For the sources, see Vermes/Goodman (eds.), Essenes . .\.1
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Among the many articles on celibacy and the scrolls, see esp. Baumgarten, Qumran-Essene Restraints. See Licht. Taxo.
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ary: they will not engage with the men of the pit until "the day of wrath". It may indeed have been the tragedy of the community that they thought the day of wrath had come when the Roman army arrived at Qumran in 68 CE. An apocalyptic worldview does not necessarily Iead to a quietistic stance in this way. Wehaveseen that the Enoch apocalypses endorse the militancy of the Maccabees. Butan apocalyptic worldview could easily lend support to a quietistic stance, since it allowed for retribution in the next life if one refrained from seeking it in this one.
7. Later Developments I have restricted my comments to apocalyptic writings from the pre-Christian period. If we were to extend our review into the Common Era we would find a few more variations on identity and ethos in apocalyptic literature. Let me cite briefly a couple of examples.36 The apocalypses of 4 Ezra and 2 Baruch, written at the end of the first century CE, focus to a great degree on questions of theodicy and the efficacy of the Law. 4 Ezra is skeptical, since most people fail to keep the Law and are doomed to perdition. At the end of the book (2 Esdr 14), Ezra is given a new revelation to replace the Law that has been bumed. He is inspired, however, to dictate not just the twenty-four books of the Hebrew Bible, but also seventy others, which he should not make public, but give only to the wise among his people, "for in them is the spring of understanding, the fountain of wisdom, and the river of knowledge" (14:47). Herewe find the dassie apocalyptic understanding of revelation, which does not repudiate the Law of Moses, but relativizes it, by insisting on the need for something more. 2 Baruch, in contrast, feels no such need. Baruch tells the people: "Only make up your minds to obey the law and be subject to those who, in fear, are wise and understanding, and determine that you will never depart from them. For if you do this, the good things I told you about before will come to you, and you will escape the punishment" (2 Bar 46:5f.). In 2 Baruch, the claim of higher revelation serves to reinforce the covenantal nomism of the Mosaic Torah. 4 Ezra and 2 Baruch operate entirely within the horizons of the people of Israel. A quite different use of apocalypticism is found in the Hellenistic Diaspora. In 3 Baruch, the seer begins in a state of distress over the destruction of Jerusalem. An angel, however, tells him to stop worrying over Jerusalem, and to come see the mysteries of God. He is taken on a tour of the heavens, that culminates in a vision of individual retribution. The implication is that God ultimately judges individuals. The fate of Jerusalem is not of ultimate concem. Here we have a use of the apocalyptic form by a radical wing of Diaspora Judaism, that sought to separate its religion from the fate
lt.
For more extensive discussion of these texts, see Collins, Apocalyptic Imagination. 194-232.248-251.
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of the homeland, and sanction this separation by the authority of angelic revelation.
8. Conclusion In conclusion, I retum to the issue posed by the divergent assessments of the Enoch Iiterature by E.P. Sandersand G. Boccaccini. Was there an apocalyptic religion in ancient Judaism? Clearly not. Apocalypse was a literary form that could be used by people of various ideological persuasions. Even apocalypticism as a worldview could be adapted to support various commitments. But nonetheless, both the genre and the worldview carried with them some implications, that were more amenable to some positions than to others, and that distinguish most apocalyptic Iiterature quite clearly from the covenantal nomism of the rabbis. (2 Baruch is arguably an exception). An apocalypse reveals a world beyond this one, eilher the heavenly world in the present, or the eschatological future, or both. This revelation tends to relativize the values of this world. So, for example, celibacy may make sense if one wants to enjoy etemallife like the angels, or martyrdom may make sense since the future is not of this world. Accordingly, much, though not all, apocalyptic Iiterature has a somewhat otherworldly ethos, although, again, there are significant differences in degree. More fundamentally, however, an apocalypse is always the revelation of something more than what is found in the publicly available Torah of Moses. The something more may support and confirm the Mosaic Law, as in 2 Baruch, but most often it supplements it in some way, and in the case of the Enoch literature, it may provide a quite different point of view. The claim of a special revelation, is often, though not always, the basis for a distinct identity. Those who base their Jives on the revelation of Enoch thereby distinguish themselves from those who live by the Law of Moses, although the sharpness of the distinction may vary. Those who accepted the authority of the Teacher found it necessary to separate themselves from those who did not. It is the claim to have a higher revelation, however, that provides the basis for distinct identity and explains why apocalypticism is so often associated with a tendency to sectarianism.
Bibliography Albani. M .. Astronomie und Schöpfungsglaube. Untersuchungen zum astronomischen Henochbuch. Neukirchen-Vluyn 1994 (WMANT 68). Barton, J., Theo1ogical Ethics in the Book of Daniel. in: J.J. Collins/P.W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception, Leiden et a1. 2001 (VT.S 83), 661-670. Baumgarten, J.M .. The Qumran-Essene Restraints on Marriage, in: L.H. Schiffman (ed.), Archaeology and History in the Dead Sea Scrolls. The New York University Conference in Memory of Y. Yadin. Sheffie1d 1990 (JSPE.S 8/JSar.s 2), 13-24.
Ethos und ldentity in Jewish Apoca/yptic Literature
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JOHANN MAlER
Systeme ritueller Reinheit im Rahmen sozialer Bindungen und Gruppenbildungen im Judentum des Zweiten Tempels
1. Zum Thema Vorstellungen und Praktiken im Zusammenhang mit ritueller Reinheit bzw. Unreinheit hatten im vorderorientalischen und kleinasiatischen Bereich einen festen Platz 1, nicht zuletzt im alten Ägypten, und waren auch in der griechischen Welt durchaus von Gewicht 2, insbesondere in der Spätzeit) Im Vergleich ergibt sich für das alte Israel und das frühe Judentum jedoch ein auffällig umfangreicher Befund4 , und der betrifft insbesondere Funktionen, die über die vergleichbaren kultischen Bereiche hinausgehen. Im Folgenden geht es nicht darum, der Frühgeschichte dieses Themenkomplexes nachzugehen, es sollen nur die Mechanismen und Tendenzen aufgezeigt werden, die innerhalb der Gesellschaft des nachexilischen Judentums und speziell der hellenistisch-römischen Zeit auf den ererbten Grundlagen wirksam geworden sind. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass die erhaltenen literarischen Zeugnisse des Alten Testaments beileibe nicht alle diese Grundlagen dokumentieren. Gleichwohl wird die Basis der Reinheitsvorstellungen und Reinheitspraktiken zur Zeit des Zweiten Tempels vorrangig in bestimmten biblischen Texten gesehen, vor allem des Buches Leviticus5 und des Buches Numeri.6 Alles Weitere erscheint daher als Produkt von Vorgängen wie Auslegung oder "rewritten Bible" als Folge von Kürzungen oder Erweiterungen des in jedem Fall vorgegebenen biblischen Textes. Das ist insofern begründet und begreiflich, als auf dem Gebiet der Reinheitsvorschriften die rabbinische Halakah auf einer vergleichsweise breiten biblischen Textbasis fußt und sich von daher tatsächlich ein relativ umfangreiches exegetisches Erbe ergeben hat. Wilson. Holiness; Wright, Disposal; Wilhelm. Reinheit. Parker, Miasma. 1 Nilsson, Geschichte II. 73-76. "' ln knapper Fonn beschrieben durch Rendtorff, Rein und Unrein; zum Überblick und für weitere Hinweise darüber hinaus s. Ca7.elles. Puretl; ferner die Beiträge zum Stichwort "Reinheit" in TRE 28 (1997) 473-497 (bes. Podalla. Reinheit /I; Goldenberg. Reinheit II/; Dietzfelbinger, Reinheit IV). ~ Zurneueren Diskussions. die Beiträge in Fabry/Jüngling (Hg.). Levitikus; Poorthuis/Schwartz (Hg.). Purity. " Douglas. ln the Wilderness; dies. u.a., Review Colloquium. 1
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In diesem bibelwissenschaftlich-exegetischen Zusammenhang sind freilich auch Hypothesen bzw. Erklärungsmodelle zum Vorstellungskomplex rein/unrein erörtert worden, die viel zu einem Sachgemäßeren Verständnis der Phänomene überhaupt beitragen, auch wenn sich bei näherer Betrachtung kein "Generalschlüssel" findet, mit dem sich die ganze Vielfalt der Zeugnisse schlüssig erklären ließe. Die einzelnen Vorstellungen und Praktiken haben nämlich eine unterschiedlich lange und verschieden begründete, aber nur mehr selten anband von Quellen nachweisbare Vorgeschichte. Es gibt jedoch Grundmotive, die von sehr früher Zeit an innerhalb zweierBereichefür bestimmte Vorstellungskomplexe und Verhaltensweisen ausschlaggebend waren, und diese Grundmotive wirkten auch noch in den späteren Phasen nach, in denen die betroffenen Vorstellungen und Praktiken bereits ihr Eigengewicht im Rahmen bestimmter Systeme mehr oder minder weit eingebüßt hatten. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um gedanklich geschlossene Systeme, sondern um institutionell bedingte. In ihnen haben die einzelnen Vorstellungen und Praktiken ihre Funktion gefunden und diese gilt es im Gesamtzusammenhang der Systeme aufzuzeigen, wenn ein zeitgeschichtlich wirklich zutreffendes Verständnis erreicht und nicht bloß eine Anhäufung mehr oder minder begreiflicher Detailvorschriften vor Augen geführt werden soll.? Die religionsphänomenologisch gesehen als maßgeblich einzuschätzenden Grundmotive verteilen sich auf zwei große Bereiche, den Bereich der allgemein-menschlichen Erfahrungen und den Bereich der kultischen Institution. Im kultischen Bereich wurden die einzelnen Vorstellungen und Vorstellungskomplexe in ein weitgehend geschlossenes System gebracht, das aber in zwei Systemtypen zur Wirkung gelangte, in einer vorrangig priesterlich-kultisch orientierten und in einer vorrangig an den Laienbedürfnissen orientierten Variante. Die Verwendung in diesen Bereichen hat auch den allgemeinen Sprachgebrauch verändert und die Entwicklung einer Fachterminologie veranlasst.8
2. Regelungen auf Grund von Alltagserfahrungen und ihre Funktion im kultischen und gesellschaftlichen Bereich Alltagserfahrungen im Sinne der Gefährdung menschlicher Existenz gehören zu den wichtigsten Ursachen von Tabuisierungen.Y Als Gefahren werden Abweichungen und Unregelmäßigkeiten im normalen Lebensablauf wahrgenommen, vor allem im Zusammenhang mit der Polarität Leben und Tod.IO Dazu gehören auch besonders auffallige Krankheitserscheinungen, darunter Für eine Übersichts. v.a. Neusner. ldea ( /973 ); Kurzfassung: ders .. ldea ( /975); ders .• History and Purity. K Paschen, Rein; Cothenet, Purete; für den Sprachgebrauch s. auch Zatelli, Campo lessicale. " Douglas. Purit.'t'; dies .. Sacred Contagion; Sacchi. Storia. 415-453. 10 Milgrom. Cultic Law; Duhaime. Lois alimentaires. 7
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vor allem Hautkrankheiten wegen des Extremfalls des Aussatzes. Totenunreinheit II und Aussatz-Unreinheit gelten darum als zwei Hauptursachen ritueller Unreinheit überhaupt.12 Ferner sind alle irregulären körperlichen Ausflüsse in diesem Zusammenhang betroffen. Sie wurden in der Folge in den einzelnen Systemtypen mit charakteristischen Akzentsetzungen ausgebaut.l3 In der biblisch-jüdischen Tradition fällt die besonders markante Tabuisierung des Blutes als Sitz des gottgegebenen Lebens ins Auge, das auch in kultischer Verwendung (Opferkult und Entsühnungsriten) eine große Rolle gespielt hat. 14 In jedem Fall kamen von früh an ethische Gesichtspunkte mit zum Tragen, denn im Fall einer Verletzung des göttlichen Monopols der Verfügung über das Leben, also bei Blutschuld, werden nicht nur rituelle Normen verletzt. 15 Das strenge Blut-Tabu hat einerseits mit seinen ethischen und schöpfungstheologischen Implikationen wesentlich zur Profliierung des jüdischen Bewusstseins beigetragen und andrerseits zu den durch das Blutgenussverbot bedingten Schächtvorschriften geführt, die sich als ein äußerst wirksames Absonderungsinstrumentarium ausgewirkt haben. 16 Eine Sonderstellung nehmen die Blutausflüsse im Zusammenhang mit Menstruations- und Geburtsvorgängen ein. Sie stehen einerseits im Zusammenhang mit der Polarität Leben-Tod und mit dem dadurch bedingten BlutTabu, doch hat der Begriff dieser Art von ritueller Unreinheit, hebräisch niddäh, offenbar schon früh auch eine höchst negative Konnotation erhalten, die aus einem tiefen Horror vor sexuellen Kontakten mit einer niddäh (.,verunreinigten Frau") herrührt.1 7 Dies hat sich auch im Sprachgebrauch niedergeschlagen, indem niddäh zu einer Bezeichnung für rituelle Unreinheit überhaupt werden konnte. 1H Auch das menschliche Sperma wurde im Rahmen dieser Polarität von Leben und Tod gewertet und außerhalb seiner Leben bewirkenden Funktion im Organismus als verunreinigender Faktor eingestuft. Viel Aufmerksamkeit haben Speiseverbote auf sich gezogen, die indes an sich keine jüdische Besonderheit sind. 19 Die biblischen Listen von Tieren, die als Nahrungsmittel verboten und erlaubt sind2°, haben jedoch abgesehen von der gelegentlich schwierigen zoologischen Identifizierung immer wieder Anlass zu Überlegungen, aber auch Polemiken und somit auch zu apologetischen Äußerungen gegeben.ll Auch für sie gilt in diesem Zusammenhang, dass sie in der Zeit des Zweiten Tempels nicht mehr als Einzelverbote ihre 11 1~ 11 14
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Maccoby. Corpse in the Tent; Schiffman, lmpurity; Feldman. Defilement. Maccoby, Corpse and Leper. Baumgarten. Zab lmpurity; Neusner. Religious Meaning. Wennan, Rufes. Christ, Blutvergießen. Bennan. Shehitah, beschreibt v.a. die gesellschaftlichen Konsequenzen; zu den praktischen Aspekten s. Levinger. Food Production. Greenberg. Etymology; Fonrobert. Menstrual Purity. Baumgarten. u.~e. Simoons. Eat Not this Flesh. Kornfeld, 1iere. Grunfeld. Jewish Dietary Laws.
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eigentliche Bedeutung hatten und daher ihre ursprüngliche Motivation also auch kaum mehr eine Rolle spielen musste. Ihre Hauptfunktion erfüllten sie im Rahmen des kultisch zentrierten und erwählungstheologisch definierten Systems. Wie weit Überlegungen außerhalb der apologetischen Argumentationsweisen, die insbesondere für das hellenistische Judentum bezeugt sind22, noch ausschlaggebend sein konnten, ist nicht zureichend nachweisbar. Versuche, auch dabei ethische Motivationen aufzuspüren, können kaum überzeugen23, aber auch andere Erklärungen wirken oft reichlich gekünstelt. 24 Als sicher darf gelten, dass die wichtigste Funktion solcher Regelungen in der Abgrenzung der Kultdiener und darüber hinaus der Kultangehörigen überhaupt (das heißt: "Israels") bestand, ein Anliegen, das sich auch späterhin noch ausgewirkt hat. 25 Als Abgrenzungsinstrumente nach außen hatten sie jedenfalls stets eine entscheidende Funktion (vgl. Tob I, I Of. ), zu mal durch das Verbot des Genusses von Fleisch nicht vorschriftsmäßig geschächteter Tiere und von Wein aus nichtjüdischen Händen die wichtigsten Nahrungsmittel für die Gestaltung sozialer Kontakte tabuisiert waren. Am deutlichsten kommt die Bedeutung solcher Vorschriften im religiösen Gesamtkontext dort zum Ausdruck, wo die Beachtung der Speisegebote zum monotheistischen Bekenntnisakt und somit letztlich ein Anlass zum Martyrium wird (1 Makk I,62f.; 2 Makk 5,27; 6,I8ff.; 7). Damit ist aber nicht etwa ein ursprünglicher Zusammenhang zwischen solchen Verboten und einer monotheistischen Tendenz bewiesen. 26 Es wurden auch noch andere, angeblich alte Motive vermutet 27 , aber ob sie in der späteren Zeit noch eine Rolle spielen konnten, darf man bezweifeln. Ebenso unsicher ist die Breitenwirkung der symbolischen Sinngebung in der Literatur des hellenistischen Judentums. Wo sie ernsthaft zur Debatte gestellt wurde, stand die Abgrenzungsfunktion gegenüber außen im Vordergrund. 28 Im kultischen Bereich steht zunächst das Interesse an einer klaren Definition der Opfertauglichkeit von Tieren im Vordergrund, wobei wieder die Erstgeburten eine besondere Rolle spielen. "Reine" Tiere entsprechen einem bestimmten Heiligkeitsgrad, der von ihrer Zweckbestimmung abhängt, von der Art und Funktion des Opfers, und diese Heiligkeilsgrade sind mit Reinheitsbedingungen für den Genuss von Opferfleisch und kultischen Abgaben entscheidend. 29 In diesem Zusammenhang galt es nicht zuletzt, die Anteile des Kultpersonals sicherzustellen, zu klassifizieren und als sakrales Privileg zu tabuisieren. Handhabung und Genuss durch Unbefugte - insbesondere Laien - gilt von daher gesehen als Sakrileg. Dies betrifft auch alle kultischen Abgaben im weiteren Sinne, auch den umfangmäßig sehr gewichtigen Zehnt, n Vgl. für das hochrangige Interesse an solchen Darlegungen v.a. Arist. 143-169. n Vgl. den Versuch von Milgrom, Biblical Diet Lnws. ! 4 So z.B. Douglas, Forbidden Animals. !~ Christiansen, Covenant. !t. Für eine derartige Begründung s. Houston. Puriry. n Douglas, Forbidden Animals. 2M Derrett, Animals. !<~ Dazu s. v.a. Wright, Spectrum (Tabelle S. 53); Milgrom, Compa.u.
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ferner Erstfruchtabgaben, Erstlingsfrüchte und Teighebe. 30 Aus diesen Gründen wurde der Laien-Israelit im täglichen Leben ständig mit der Gefahr des Sakrilegs und des Kontaktes mit rituell verunreinigendem Heiligen verschiedenen Grades konfrontiert, immer mit dem Risiko verbunden, dass bei Nichtbeachtung der rituellen Regeln alles Betroffene für Genuss und möglicherweise sogar Nutzung tabuisiert wird. Dieses auf den Kult zentrierte System sicherte nicht nur die Einkünfte des Kultpersonals, es diente auch der Kontrolle der Laienschaft Der Bereich der Vergehen, die unter ma 'al {"Sakrileg") zu subsumieren sind und mit einer göttlichen Strafe bedroht werden, war nicht nur religiös, also in Bezug auf das Gottesverhältnis und das Sündenbewusstsein von erstrangiger Bedeutung, sondern allein schon wegen der Gefährdung der materiellen Lebensgrundlage.
3. Monotheistischer Anspruch und moralisch-emotionale Kriterien Im Zusammenhang mit dem Sündenbewusstsein ist zu beachten, dass Vergehen gegen rituelle Nonnen strafrechtlich selten verfolgbar waren und daher von vomherein göttliche Sanktionen vorausgesetzt werden mussten. Die Folge war eine gewisse Moralisierung, die aber nicht im Sinne einer Konfrontation zwischen Ritus und Moral zu verstehen ist, sondern als Folge des Konzepts insgesamt.31 Das rituelle Vergehen bedingt in jedem Fall eine ontologisch zu begreifende Beeinträchtigung des erforderlichen Heiligkeitsbzw. Reinheitsstatus, und das gilt auch noch für die rabbinische Auffassung. 32 Man hat dem gegenüber versucht, rein moralische Aspekte in den Vordergrund zu rücken, vor allem unter Hinweis auf Aussagen in Texten aus Qumran.33 Dabei wirkte allerdings eine Gegenüberstellung von rituell und moralisch mit, wie sie im hellenistischen Judentum zum Teil vorgeprägt war und dann in der christlichen Auseinandersetzung mit dem Judentum zu einem festen Topos geworden ist. Tatsächlich liegt kein Widerspruch vor, wenn man bedenkt, dass nicht das rituelle Vergehen an sich als moralische Verfehlung gewertet wurde, sondern der Verstoß gegen ein strafrechtlich zwar nicht ahndbares, aber in jeden Fall verpflichtendes und insofern auch mit Konsequenzen bedrohtes Gebot oder Verbot. Die extreme Betonung der richtigen Geisteshaltung und des ernsthaften Umkehrwillens im Zusammenhang mit
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Einen guten Überblick über die gesamten Abgabenpflichten vermittelt Stenger, Gebt dem Kaiser. Historische Voraussetzungen beschreibt Crüsemann. Religiöse Abgaben. Zu den Bedingungen in der persischen Tempelprovinz Judas. Schaper, Jerusalem Temple. Für Qumrantraditionen s. Schiffman. Priestl_v Gifts. Für den Sachverhalt vor den Qumranfunden s. die ausführlichen Darlegungen bei Büchler. Studies. 212-374. Neusner, Unc/eanness; ders., Purity, 56-63. In einem weiteren Kontext behandelte den Sachverhalt Maccoby. Ritual. Mehr auf Qumran und das NT hin ausgerichtet argumentiene K.Iawans. lmpurity; ders., ldolatry·.
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Fragen der Reinheit und Reinigung, wie sie in gewissen Qumrantexten anzutreffen ist, ergab sich als logische Folge aus diesen Prämissen34 , sobald in der Sache Differenzen auszutragen waren und dadurch zugleich auch Gruppengrenzen markiert wurden. Es gibt aber in derartigen Kontexten keinen Beleg für die Annahme, dass moralische Einstellung und Haltung rituelle Pflichten ersetzen könnte; das Gegenteil wird behauptet: Die fonneUe Erfüllung ritueller Pflichten allein reicht für einen angemessenen Reinheits- und Heiligkeilsstatus nicht aus, es bedarf der Umkehr, und das heißt durchwegs: Umkehr zur Torah, und zwar zur Torahpraxis der betreffenden Gruppe.J5 Rituelle Unreinheit und physische Unsauberkeit sind nur in begrenzten Bereichen deckungsgleich. Doch wurden menschliche Ausscheidungen abgesehen von urtümlicheren Motiven36 auch wegen möglicher Beeinträchtigung eines heiligen Bereichs oder eines heiligen Objekts als rituell bedenklich eingestuft, wenn dabei auch eher Kriterien der Etikette als streng rituelle Gründe maßgebend waren. Die im 19./20. Jh. und vereinzelt unter apologetischen Zwängen auch schon früher geäußerte Annahme hygienischer Beweggründe37 ist im Rahmen dieses Vorstellungsbereichs der Gefährdung zwar da und dort erkennbar, aber an sich zweitrangig. 38 Auch ökologische Gesichtspunkte können nur in einigen Fällen als Motivation plausibel gemacht werden. 39 Schöpfungstheologische Aspekte sind zwar feststellbarW, drohen aber heutzutage wegen aktueller ökologischer Probleme überschätzt zu werden. Sie hatten aber wegen der engen Verflechtung von Kulttheologie und Kosmologie auf alle Fälle einen systematisch bedingten Platz. Wenn von früh an gegenüber rituell unreinen Objekten Empfindungen von Abscheu und Ekel eine Rolle gespielt haben, wie es ja auch die massive Verwendung entsprechender Ausdrücke in solchen Kontexten deutlich macht, reichen die erwähnten Motivationen dafür noch nicht aus. Es ist auch nicht zu übersehen, dass zur Durchsetzung einschlägiger Regelungen und Praktiken emotionale Redeweisen bewusst eingesetzt worden sind, nicht zuletzt in polemischen Kontexten. Sofern also im Weiteren Vorstellungen und Praktiken ritueller Unreinheit/Reinheit für Zwecke einer Abgrenzung eine Rolle spielen, kommt diesen gefühlsmäßigen Konnotationen des Abscheus und des Ekels eine äußerst effektive Rolle zu. Die Empfindung von Abscheu und Ekel angesichts bestimmter Sachverhalte wurde nicht zuletzt der Gottheit selbst zugeschrieben. Fremde Götter und Kulte sind für Gott und damit für seine Bekenner Scheusale, Objekte der Unreinheit und des Abscheus. 41 Das heißt, diese emotionale Komponente diente schon relativ früh zur Abgren34
Milgrom.
Priest(~·
Doctrine.
u Nitzan, Repentance ( /999); dies., Repentance (2000) .
Muth, Trdger. _n Grunwald (Hg.). Hygiene; Hygiene und Judentum. ~K Für neuere Diskussion vgl. z.B. Darling. Levitical Code. w Hünennann, Eco/ogica/ Message. Hier werden unter ökologischen Gesichtspunkten mehrere Komplexe behandelt: verbotene Tiere (69ff.). Wasser (97ff.). Hygiene ( lllff.). 40 Eilbert-Schwarz, Crration (betrifft v.a. Lev II ); Moskala. Laws. "' 1 Paschen. Rein. 65-68 zu fiqqa~. gii/Q/im und tö 'ebäh in der prophetischen Polemik. .\6
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zung des eigenen Kultes gegenüber Fremdkulten und insofern auch der Abgrenzung des Kultpersonals, darüber hinaus der Kultgemeinschaft überhaupt.42 Das Gefahrenpotential, das man im Fremdkult vermutete, und darüber hinaus in allem, was mit ihm zusammenhing, ist von anderer Qualität als jenes, das im Zusammenhang der zuvor erwähnten Bereiche vermutet worden ist. Als gefährdet gilt ja in erster Linie der eigene Kult(bereich). Die emotional akzentuierte Abwertung der anderen Götter mag in gewissem Maß auf der Ablehnung konkreter Kultpraktiken beruhen, alles ist jedoch damit nicht zu erklären. Fremdkult wird in jedem Fall abgewertet, weil mit der Polemik gegen ihn von früh an auch der Vorwurf der Unzucht verbunden wurde. In allen drei monotheistischen Religionen wurden monotheistisches Bekenntnis und richtige Moral als zusammengehörig empfunden, wie Fremdkult oder Häresie und Unmoral. Die erwähnte emotionale Komponente ist also ein Mittel militanter Polemik zur Durchsetzung des monotheistischen Anspruchs und zur Selbstbehauptung, ohne Aussagekraft über die tatsächlich praktizierte Moral. Von daher erklärt sich, dass Verstöße gegen Inzesttabus und andere Normen für sexuelles Verhalten im Rahmen des voll entfalteten kultischen Systems als rituell das Heiligtum verunreinigende Aktionen gewertet werden konnten. Solch emotional akzentuierte Abgrenzungsmechanismen schlossen also eine moralisierende negative Wertung mit ein, sie förderten intern aber zugleich die Ausbildung positiver moralischer Sinngebungen, denn was auf der Gegenseite als unrein und unmoralisch wahrgenommen und abgelehnt wird, muss auf der eigenen Seite eine positive Entsprechung haben. In umfangreicher Weise hat man von der Möglichkeit solcher Deutungen im Detail aber in der Antike nur im hellenistischen Judentum Gebrauch gemacht, um die rituelle Praxis zu festigen, wobei in Extremfällen die allegorisierende moralische Sinngebung die rituelle Praxis allerdings auch in Frage stellen konnte. Die moralisierende Tendenz war in Verbindung mit der emotionalen Komponente jedoch vorgegeben und das zeigt sich z.B. sehr deutlich in Verbindung mit der Beschneidung. Sie wurde schon früh mit dem negativen Kontrastbefund der Unbeschnittenheit ("Vorhaut") zu einer Chiffre, die auch moralische Vorzüge signalisiert. "Beschneidung des Herzens" und "unbeschnittene Lippen" sind Metaphern, die den hohen religiös-moralischen Stellenwert solcher Akzentuierungen anzeigen, aber zugleich eben auch das inhärente, dezidierte moralische Urteil. Was immer die Beschneidung in früher Zeit also bedeutet haben mag. für die Periode des Zweiten Tempels waren schließlich diese im System wirksamen Aspekte entscheidend. Die Ereignisse unter Antiochus IV. Epiphanes haben sicher zur Verstärkung dieser Tendenzen beigetragen, systembedingt waren sie aber vorgegeben. Im streng priesterlich-kultisch orientierten Jubiläenbuch, dessen übliche späte Datierung auf Grund der Qurnranfunde revidiert werden muss, ist dieser Befund deutlich zu erkennen. Das Bundeszeichen signalisiert die Zugehörigkeit zu Gott (Jub 15), es berechtigt zur Kultteilnahme (Jub 16,25), und der sexuelle 41
Vgl. zu dieser Funktion auch Houston. Purity.
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Kontakt mit einem Unbeschnittenen ist eine große Schmach und sogar ein Kapitalverbrechen (Jub 30), wie auch der Verkehr mit Nichtjüdinnen Unreinheit nach sich zieht und so letztlich auch das Heiligtum verunreinigt, so dass ein zelotisches Eingreifen als gerechtfertigt gilt (J ub 30, 14). Die Zwangsbeschneidung von Personen, die im eigentlichen Geltungsbereich der Torah (im Land Israel) und damit im reinen Kultbereich leben, ist im Grunde eine logische Konsequenz, auch wenn machtpolitische Motive mit ausschlaggebend waren43, und radikale Kreise haben entsprechende Forderungen auch aufrechterhalten (Josephus, Vita 112f.) und auch sonst die Reinheitspraktiken rigoros verfochten, sowohl im Sinne der Abgrenzung nach außen als auch in Bezug auf das Heiligtum. Die positive Sinngebung der Abgrenzung konnte allerdings auch in eine ontologisch begründete Richtung laufen, die den genealogischen Zusammenhang verabsolutiert und zur Konzeption des "heiligen Samens" führte 44 • die bis heute immer wieder für die Begründung einer strengen Gesetzespraxis angeführt werden kann. In diesem Kontext monotheistischer Selbstbehauptung und Kultabsicherung haben einzelne jüdische Praktiken in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten eine derart hervorgehobene Bedeutung erhalten, dass sie zu Bekenntnissymbolen geworden sind. Dabei lässt sich auch hier wieder im Vorfeld ein priesterliches Anliegen aufweisen. 45 In der Folge erfüllten vor allem Sabbatheiligung, Beschneidung und Schweinefleischverbot46 eine so prominente Funktion als Abgrenzungsmarkierungen nach außen hin, dass eine Parallele zur Bedeutungsentwicklung des ma' Yifrii 'el zu beobachten ist. Die negative emotionale Komponente hat sich dadurch noch verstärkt. Bei Sabbatheiligung und Beschneidung gewann aber mit der negativen Akzentuierung auch die positive Wertung, verbunden mit einer umfangreichen Symbolik, entsprechend mehr Gewicht. Es ist nicht zuletzt dieser Bekenntnisfunktion zuzuschreiben, dass auch an Einzelpraktiken festgehalten wurde, für die man keinerlei Begründung wusste oder finden konnte. Als Zeichen des Gehorsams gegenüber dem Einen Herrn und Gott haben auch jene Gebote und Verbote, die man dann im Mittelalter als .,Gehorsamsgebote" von den verstandesmäßig begreiflichen Geboten absetzte, ihren Sinn, wobei die Bekenntnisfunktion umso mehr zum Zuge kommt, je mehr die Praktizierung ins Auge fallt. so wie umgekehrt jeder Anschein einer Beteiligung an Fremdkulten vermieden werden muss. Der Nichtjude gilt nicht von Haus aus als rituell unrein 47 , er ist es aber als Götzendiener und insofern de facto in der Regel doch, weil es nur wenige Be-
se
4~
44 4~
4h
47
Weitzman, Forr:ed Cirr:umcision. Hayes, lntermarriage. Grünwald, Exil. Hübner, Schweine; Houston, Puriry. 212-217; Scurlock, Hellenism. Übertrieben ist in dieser Hinsicht in manchen Details die Darstellung von Eilbert-Schwarz. Savage. Zur Sache und Diskussions. Büchler,l.Lviticallmpurity; Alon. Studies I. 121-147; Klawans, Notions.
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reiche gibt, die kultisch völlig irrelevant sind. Mit der Proselytentaufe reinigt sich der Nichtjude, der in den Abrahamsbund eintritt, von der unreinen Götzendienstsphäre, um danach erstmals am wahren Gottesdienst teilzunehmen. Es war auch in diesem Zusammenhang, dass erstmals formale Kriterien für die Zugehörigkeit zum Judentum entwickelt worden sind. 48 Das Instrumentarium von Reinheitspraktiken zur Abgrenzung von Fremdkulten hatte in der gleichzeitigen Funktion der Gruppenabgrenzung begreiflicherweise in der Diaspora eine weit größere Bedeutung als in kompakten jüdischen Siedlungsgebieten, wobei die Ansätze dazu seit der Zeit des babylonischen Exils vorhanden waren49 und durch den Einfluss babylonischer Kreise offenbar immer wieder aktualisiert worden sind. Das gilt insbesondere für die zeichenhaften, bekenntnishaften Handlungen im rituellen Bereich. Der ganze Fremdkultkomplex steht auch im Zusammenhang mit bestimmten Aspekten des Volksglaubens, für den unerklärliche und bedrohliche Erscheinungen als Auswirkungen dämonischer Mächte gelten. In der hellenistisch-römischen Periode haben derartige Vorstellungen in der jüdischen Religion deshalb einen höheren Stellenwert erhalten, weil durch die apoka1yptischen Überlieferungen Geschichte und Kosmos in einem hohen Grad dämonisiert worden sind. Dies hatte wieder zur Wirkung, dass schlichte volkstümliche Vorstellungen eine sonst kaum denkbare Bestätigung durch die Elitereligion erhalten konnten. Kein Wunder also, dass manchen Riten der offiziellen Religion in der Folge auch eine apotropäische und "heil-same" Wirkung zugeschrieben wurde. 5° Unreinheit und Dämonenbereich wurden darum weithin als kongruent empfunden, und das hat die emotionale Komponente weiter verstärkt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Abgrenzungsfunktion eine stärkere Hervorhebung des Unreinen bedingt, um den Bereich der Reinheit und der Reinen zu schützen. Dieser Blickwinkel ergibt sich für den kultischen Laien, während Kult und Kultpersonal vorzugsweise mit dem Heiligen befasst sind, das sich bereits innerhalb des reinen Gesamtlebensbereichs Israels befindet. Weiters ist die grundsätzliche Differenz zwischen Leben im Land Israel und im Exil zu bedenken, also im unreinen Götzendienstbereich. Angesichts der üblicherweise herrschenden Verhältnisse im Land Israel, also angesichts der Präsenz von Götzendienern und Götzendienst im Land, war aber diese Trennung in Frage gestellt. Das hat immer wieder Entscheidungen erforderlich gemacht, bei denen es darum ging, ob ein zelotisches Einschreiten gegen die Profanisierung und Entweihung des Landes erforderlich sei, unter Umständen auch das Martyrium erlitten werden muss.
4M
4'1
~~
Schiffman, Who is a Jew. Wyatt, Symbols. Böcher. Dämonenfurcht.
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4. Die Quellen und die Frage ihrer Autorität In der bibelwissenschaftlichen Forschung war man begreiflicherweise stets bemüht, alles Spätere von einschlägigen biblischen Texten abzuleiten, so auch im Blick auf den Themenkomplex rein/unrein. Aber selbst für das rabbinische Judentum gilt, dass exegetische Ableitungen nur einen Teil des Befundes zu erklären vermögen, obwohl die Orientierung am Pentateuch als der schriftlichen Torah schlechthin zu der Zeit schon eine Selbstverständlichkeit war.st Die vorherrschende Erklärung von den biblischen Texten aus führt auch zu keiner plausiblen religions- und sozialgeschichtlichen Einordnung der Reinheitsvorstellungen, weil sich Probleme ergeben, sobald man nach dem chronologischen Verhältnis zwischen den feststellbaren Sachverhalten und dem Alter der einschlägigen biblischen Texte und Bücher fragt, also berücksichtigt, seit wann diese in welcher Form, in welchem Rahmen und in welcher autoritativen Bedeutung zur Verfügung stehen konnten. Es versteht sich allerdings von selbst, dass die Aufmerksamkeit sich vor allem auf die Bücher Leviticus und Numeri richtete, in denen das meiste Material zur Sache enthalten ist. In den letzten Jahrzehnten sind diese Bücher, wie oben schon vermerkt wurde5 2 , im Zusammenhang mit dem Thema rein/unrein recht intensiv behandelt worden, und im Vergleich zu früheren Phasen der Forschung ist auch das Interesse an der Auslegungsgeschichte mehr in den Vordergrund gerückt. 53 Die dabei angewandten Erklärungsmuster ergeben zwar für die Einzelvorstellungen und auch für ganze Einzelkomplexe in ihren älteren Überlieferungsphasen nachvollziehbare Lösungen, aber für die Zeit, in der die Bücher Leviticus und Numeri ihre Endgestalt erhalten haben, sind diese wohl nur mehr bedingt gültig, weil damals bereits ein kultisch begründetes System vorhanden war, das in den beiden biblischen Büchern tendenziös, also in bestimmten Varianten, zur Geltung gebracht worden ist. Die exegetische Ableitung der Reinheitsvorstellungen in ihren kultisch systembedingten Funktionen ist von den beiden biblischen Büchern her also aus chronologischen Gründen ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass diese biblischen Zeugnisse von bereits bestehenden Systemvarianten her zustande gekommen sind. Die priesterschriftliche Tradition setzt für ihre Fiktion des Zeltheiligtums der Wüstenzeit und der dazugehörigen Kultordnung einerseits reale Verhältnisse am Jerusalemer Heiligtum voraus, andrerseits präsentiert sie programmatische Forderungen, weil es offensichtlich bereits damals strittige Auffassungen über Heiligkeit und Reinheit gegeben hat.5 4 Denn die Unterschiede zwischen einzelnen Traditionsschichten sind nicht zu übersehen, und dazu kommen noch die Zeugnisse in Ez 40-48 55, alles Hinweise auf intensi~1
Vgl. Neusner. ldea ( /973), 52f.: Maier, Torah. S.o. Anm. 5 und 6. H Siehe zuletzt vor allem die Beiträge in ASEs 13/1 ( 1996): La puritiJ e il culto nel U\'itico. /nterpretazioni ebraiche e cristiane. :w Knohl. Priestly Torah: ders .. Sanctuary: Kugler, Holiness. ~~ Rudnig. VerfassungsenMurf. ~2
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ve interne Auseinandersetzungen in der spät-vorexilischen, exilischen und früh-nachexilischen Zeit.56 Zwischen den frühesten schriftlichen Fixierungen der einschlägigen Gesetzestexte, die keine Kodifizierung aller vorhandenen Regelungen darstellten, sondern nur anlassbedingte Niederschriften zu aktuellen Fragen, den darauf folgenden Redaktionsprozessen und der endgültigen Gestalt solcher Texte im Pentateuch ist viel Zeit vergangen, während der das Heiligtum und die mit ihm verbundene Kult- und Reinheitspraxis abgesehen von der exilsbedingten Unterbrechung bereits funktioniert haben, ob im Einklang oder im Widerspruch zu den Inhalten der erhaltenen literarischen Zeugnisse. Die Praxis am Zweiten Tempel von solchen Texten her exegetisch erklären zu wollen, ist erst für die Zeit am Platz, in der solche Texte gegenüber einer herrschenden Praxis und vorherrschenden Meinung als autoritative Argumentationsbasis fungieren konnten, und eben diese autoritative Funktion wird in der Forschung kanontheologisch motiviert meist zu früh vorausgesetzt. Auch wenn solche Texte in Pentateuchbüchern eingearbeitet und mit diesen publik gemacht vorlagen, repräsentierten sie schwerlich das gesamte für den internen Gebrauch tradierte professionelle Wissen des Kultpersonals, ganz zu schweigen davon, dass sie dieses ersetzen konnten. Der Unterschied zwischen professionellen Traditionen und Handbüchern zur Verfügung des Kultpersonals für den internen Betrieb und publizierten Niederschriften für eine breitere Öffentlichkeit ist in der Regel aus den genannten kanontheologischen Gründen zu gering veranschlagt worden. Deshalb hat man auch die einschlägigen Qumrantexte bislang hauptsächlich im Rahmen des Schemas behandelt, das von einer biblischen Textvorgabe und von Bibelinterpretationen ausgeht, und Übereinstimmungen und Divergenzen in der Sache hat man mehr textabhängig als systembedingt dargestellt, eben nach vier Textsparten: biblische Textbasis, sektiererisch-qumranische, rabbinische und neutestamentliche Abwandlungen. Und das, obwohl in der Qumranforschung ein weitreichender Konsens darüber besteht, dass allein die Datierung der Handschriftenreste gewisser ritueller Texte in eine vor-qumranische Periode verweist, und zwar in die Zeit der ältesten Handschriftenreste von Pentateuchbüchern (spätes 3. und frühes 2. Jh. v. Chr.) Die kanontheologisch bedingte anachronistische Überschätzung des Gewichts biblischer, das heißt publik gemachter Texte für die tatsächliche rituelle und juristische Praxis von damals verursacht aber gerade in Bezug auf Qumrantexte einseitige literaturund religionsgeschichtliche Urteile, die den chronologischen Sachverhalten nicht Rechnung tragen. So wurde etwa 4Q249 = 4Qpap cryptA Midrash Sefer Moshe (DJD XXXV, 1-24) im frühen 2. Jh. v. Chr. kopiert. Dabei handelt es sich nicht um eine Auslegung des Pentateuchs, sondern um die Niederschrift (midras, sonst auch: srerrek) einer Gesetzessammlung mit dem Autoritäts-Etikett "Buch Moses". Reste umfangreicher Sammlungen von rituellen Reinheitsgesetzen (publiziert in DJD XXXV) liegen in 4Q274-278
5~>
Vgl. auch Cook, /nnerbiblica//nrerpretalion.
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und 4Q284 vor, zumindest Partien ähnlichen Inhalts enthielten 4Q265 = 4QSD bzw. 4QMiscellaneous Rules5 7 und 4Q284a. In 4Q414, 4Q415 und 4Q5125B sind rituelle Reinigungsvorschriften sogar mit den dazugehörigen liturgischen Texten (Benediktionen) überliefert5 9 , so dass sich ein neues Bild von dem ergibt, was im 3./2. Jh. v. Chr. diesbezüglich vorhanden und umstritten war, und dies speziell in priesterlichen Kreisen. 60 Themenbezogene Sammlungen sind zu unterschiedlichen Zwecken und auch für unterschiedliche Personengruppen niedergeschrieben worden, und die meisten Qumrantexte gehören offensichtlich zur professionellen Priesterliteratur. In Bezug auf die autoritative Wertigkeit bedeutet dies, dass man Texten für den internen priesterlichen Gebrauch schwerlich ein geringeres Gewicht beigemessen hat als den für eine breitere Öffentlichkeit publizierten Schriften und dass es darum nicht viel Sinn macht, sie exegetisch von biblischen ableiten zu wollen. Ein Beispiel dafür ist die Aussatztorah Lev 13f., ein relativ massiver Traditionskomplex.61 Neben der Totenunreinheit galt der Aussatz als schwerste Beeinträchtigung der menschlich-gesellschaftlichen Sphäre, und darum nahmen Regelungen zur Erkennung dieser Plage und ihrer Beurteilung einen entsprechenden Raum ein, führte doch eine positive Diagnose zu einer totalen Ausgrenzung aus der menschlichen Gesellschaft, also nicht bloß aus dem Heiligtum und der Stadt des Heiligtums. Manchmal kam es aber vor, dass die Diagnose zu voreilig war oder dass eine unverhoffte Heilung eintrat, so dass die zuständigen Priester erneut über den Befund entscheiden mussten. Dass es für Fragen des Aussatzes priesterliche Handbücher gegeben hat, deren Inhalte nicht von der biblischen Aussatztorah in Lev 13f. abgeleitet sein mussten oder gar konnten, ist eigentlich selbstverständlich. 4QD Fragmente62 enthalten z.B. größere Reste eines solchen Textes, in dem die Symptome, nach denen der Priester die Diagnose zu stellen hatte, genauer beschrieben werden als im biblischen Text. Wie üblich hat man sich auch dafür um den Nachweis einer Ableitung aus der angeblichen biblischen Vorlage Lev 13f. bemüht, aber wahrscheinlicher ist eine kompliziertere Vorgeschichte beider Dokumente bzw. Traditionen. Auch andere Qumrantexte 63 enthalten zu diesem Thema noch Hinweise. 64 Selbst Josephus bot seinen Lesern gegen 100 n. Chr. in Ant. 3,261-268 noch Besonderheiten, die nicht exegetisch aus
Baumgarten. Halakhic Texts (DJD XXXV). 57-78. Schiffman, Serekh-Damascus. Dazu s. auch Regev, Yose Ben Yoezer. w Baumgarten. Purification Liturgies. 1>11 Doering. Purity Regulations. fll Seidl, Tora. fl2 4Q266 Frgm. 6 i I 4Q269 Frgm. 7 I 4Q272 Frgm. I i I 4Q273 Frgm. 4 ii; dazu s. auch die Rekonstruktion von J.M. Baumgarten in Charlesworth (Hg.). Dead Sea Scrolls II. 64-75 sowie in Baumgarten. Damascus Document (DJD XVIII). 129-130.188-190.196-197. flJ 4QMMT (4Q394 Frgm. 8 iv,l4ff. + 4Q396 Frgm. I ii,4-6) und in der Tempelrolle ( IIQ19 45.17f.; IIQ19 46,1-3.17f.; IIQ19 48.14-17). 1>4 CD 13.3-7; 4Q266 Frgm. 9 i; 4Q266 Frgm. 9 i; 4Q269 Frgm. 7f.; 4Q272 Frgm. I; 4Q273 Frgm. I ii; s. dazu Baumgarten.lildokite Fragments. 57 5R
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Lev 13f. abgeleitet werden können (vgl. auch Bell. 5,227; C. Ap. 1,28lf.). Und selbstverständlich ist die Situation im Traktat ~gll 'im der Mischna, Tosefta und des Talmuds sowie im Midrasch Sifra trotzder massiven biblischexegetischen Komponente noch komplizierter. Die Frage nach den Quellen dieser Überlieferungen ist mit dem bloßen Hinweis auf Lev 13f. nicht abgetan. In älterer Zeit sind wahrscheinlich nur kultisch-rituell relevante Bestimmungen als toriih bezeichnet worden. Aber es hat von früh an Überschneidungen mit dem staatlichen, königlichen Recht gegeben, so wie auch kultische und staatliche Abgabenordnung miteinander verzahnt waren und auch später weithin blieben. Demgemäß herrschte auch eine gewisse Konkurrenz zwischen den Interessen und Ansprüchen höfischer Instanzen und Instanzen des Kultapparats. Dabei hatte die Priesterschaft den Vorteil, mit dem Heiligtum über den Ort der Gottesgegenwart und der Offenbarung, und damit in jedem Fall auch über eine oberste, offenbarende Instanz zu verfügen, wenn es galt, etwas als Gottesrecht oder Gottesurteil zu deklarieren. Der Untergang der Monarchie, das Scheitern der politischen Restauration in der persischen Zeit und die Etablierung der hierokratischen Herrschaftsform mit ihrer hochprivilegierten Kultdienerschaft begünstigten die levitisch-priesterliche Seite. Die kultische Institution erwies sich als die kontinuierlichere, und noch dazu war das Kultpersonal nicht bloß fest organisiert, es hat sich als soziale Gruppe auch mittels Genealogien abstammungsmäßig definiert und damit eindeutig vom Rest des Volkes abgehoben. Im rituellen Bereich blieb die priesterlich-levitische Kompetenz trotz des Exils sowieso ungebrochen und wurde nur durch interne Zwistigkeiten und durch die Ansprüche der Samaritaner in Frage gestellt. Weitreichende Kompetenz-Ansprüche in Richtung auf ein allumfassendes Gottesrecht unter priesterlicher Kontrolle sind zwar wohl schon früher programmatisch formuliert worden, konnten im Exil, fern von den Zwängen Jerusalemer Verhältnisse, auch ungehindert systematisch ausgebaut werden, aber unter der persischen Oberherrschaft konnten sie nach und nach mit wachsenden AutonomieRechten unter hierokratischer Ägide durchgesetzt werden. Kein Wunder also, dass in der persischen Zeit das Konzept einer allumfassenden Torah als Inbegriff aller Ordnung und des gesamten Gotteswillens zu mehr als nur einer Utopie ausgebaut werden konnte. Es entstand die Vorstellung einer nie voll verftigbaren Idealtorah als Inbegriff des Gotteswillens, deren offenbarte Teile mit Mose und/oder Aaron in Verbindung gebracht wurden und deren Funktion mit dem Heiligtum verbunden erscheint. Torah-Offenbarung und Torah-Administration waren ein Ievitisch-priesterliches Monopol. Im Pentateuch wurde das Monopol auf solche Offenbarungen mit dem Etikett ..Mose", in rein rituellen Belangen mit dem Etikett "Aaron", und in rituellen Belangen, die auch die Laienschaft betreffen, mit dem Etikett "Aaron und Mose" zur Geltung gebracht. Die Torah-Erteilung bzw. die Etikettierung von Gesetzen als Torah des Mose war sicher nicht beliebig möglich, sondern als levitisch-priesterliches Monopol natürlich an eine entsprechende Institution gebunden. Die deutero-
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nomische Tradition schließt jedwede normale Prophetenfunktion in Fragen des Rechts aus und monopolisiert die Befugnis zur höchsten judikativen und legislativen Entscheidung in der Funktion des "Propheten wie Mose", und zwar im Rahmen einer obersten, unanfechtbaren Instanz am Heiligtum. 65 Solange es diese Institution gab, kam laufend neue Torah zustande, wie es in den Mosegeschichten des Pentateuchs illustriert wird: Tritt ein unlösbares Problem auf, geht Mose ins Heiligtum und empfangt eine direkte Offenbarung. Normalerweise also von Fall zu Fall, wie ja auch Gesetzgebung in alter Zeit als Rechtsprechung von Fall zu Fall erfolgte, aber im Laufe der Zeit wurden auch ganze Gesetzeskomplexe als Mose-Torah niedergeschrieben und damit als offenbart und absolut verbindlich etikettiert, und auch das stand sicher nicht im Belieben irgendwelcher Schreiber, sondern war wohl Aufgabe der Torah-Höchstinstanz. Dieser levitisch-priesterliche Anspruch auf das Torah-Monopol und damit auf die höchste legislative und judikative Instanz blieb so lange grundsätzlich wirksam, als die priesterliche Autorität selbst intakt blieb. Das musste sich ändern, sobald kein Konsens mehr darüber bestand, was aktuell als Torah und somit verbindliche Offenbarung und als korrekte Praxis gelten soll. Es sieht so aus, als sei im frühen 2. Jh. v. Chr. dieser Konsens nach längeren Querelen zerbrochen und damit auch die Torah-Kompetenz der Höchstinstanz in Frage gestellt worden. Die sogenannte Damaskusschrift (CD, Kol. 1-2; 6) und Hinweise in anderen Qumrantexten setzen voraus, dass es in nachexilischer Zeit schon früh zu tiefreichenden Differenzen unter der Priesterschaft gekommen war und dass 390 Jahre nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar, also mit dem Übergang von der ptolemäischen zur seleukidischen Herrschaft 198 v. Chr., wieder eine strengere Richtung zum Zug kam. Diese trieb zwanzig Jahre später, also gegen 178 v. Chr., mit dem Amtsantritt eines besonders ambitiösen Moreh $~d~q (,,Lehrers der Gerechtigkeit", besser: "Torah-Anweisers"), den Konflikt auf die Spitze und beschwor eine Konfrontation herauf, die dann nach 175 v. Chr. unter Antiochus IV. Epiphanes außer Kontrolle geriet. Dieser nicht näher bezeichnete Moreh ~~d~q der Damaskusschrift war wohl der Moreh ha-$lEd~q in anderen Qumrantexten und möglicherweise der letzte Inhaber jenes Amtes, das im Deuteronomium als das eines "Propheten wie Mose" bezeichnet wird und das noch Flavius Josephus in Ant. 4,218 zu Dtn 17,8-13 expressis verbis als Bestandteil der hierokratischen Mose-Verfassung erwähnt hat. Mit der Infragestellung und Ablehnung der Autorität dieses letzten Amtsinhabers durch eine stärkere Priesterfraktion schlitterte das Kultpersonal aber insgesamt geschwächt in die Krise unter Antiochus IV. Epiphanes und sah sich danach den militärisch-politisch siegreichen Hasmonäem konfrontiert. Diese waren zwar ebenfalls Priester, erkannten aber weder die Autorität des "Lehrers der Gerechtigkeit" als des Torah-Propheten jener Zeit an, noch ersetzten sie ihn durch einen anderen, genehmeren Priester, weil sie offenbar überhaupt keinerlei Interesse daran hatten, dieses polit>5
Ctiisemann, Tora. bes. 76-131.280-283.
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tisch prestige- und konfliktträchtige Amt weiter beizubehalten. Zudem verbündeten sie sich zunächst mit Kräften, die im Volk über einen größeren Anhang verfügten, vor allem mit den später als ,,Pharisäer" bezeichneten Gruppen. Unter Johannes Hyrkan (ab 135 v. Chr.) und vollends unter dem König Alexander Jannaj ab 104/103 v. Chr. vollzogen die Hasmonäer zwar eine innenpolitische Kehrtwendung und unterstützten jene später Sadduzäer genannte Priesterfraktion, die sich mit den neuen Herrschaftsverhältnissen abgefunden hatte und so trotz weitreichender gemeinsamer Positionen automatisch in einen Gegensatz zum "Lehrer der Gerechtigkeit" und dessen Anhang geraten war. Als der Lehrer der Gerechtigkeit bald nach 141 v. Chr. verstarb66 , erlosch mit seinem Leben auch sein Amt, die Funktion eines Torah-Propheten a Ia Mose, und nicht zufällig wurde mit dem Übergang zur monarchischen Herrschaftsform laut Josephus (Ant. 3,218) auch das UrimTummim-Orakel abgeschafft. Es ist bemerkenswert, dass der Priester Josephus in dieser Verfassungsänderung eine historisch-chronographisch entscheidende Epochenzäsur gesehen hat. Die Institution des Königtums gab Anlass zu Bedenken, nicht die Verbindung zwischen Hohepriesteramt und politischer Herrschaft, denn dies entsprach ja durchaus dem Konzept der mamltEkat koh 0 nim mit dem goy qlidos bzw. (LXX) ßao(A.twv LEQ{xttu~ xat revoc; äywv von Ex 19,6 (vgl. 2 Makk 2, 17), eines ,,Priester(tums)-Herrschaftsbereiches", in dem Israel zu einem "heiligen Volk" wird. 67 Im Zusatz der LXX in Ex 23,22 wird dies nochmals hervorgehoben und somit einleitend wie abschließend die mosaische Autorität dessen herausgestrichen, was im Rahmen der entsprechend kompetenten Institution offenbart wurde. Wer die Autorität des ,,Lehrers der Gerechtigkeit" ablehnte, aber für ihn auch keinen Ersatz schaffen wollte, unterband die Möglichkeit, neue Torah allgemeinverbindlich proklamieren zu lassen. Die praktizierte, angewandte Torah war unter den Priestern zudem bereits selbst einige Zeit strittig gewesen, wie der Qumrantext 4QMMT mit der Auflistung von etwa zwei Dutzend Diskrepanzen bestätigt, die vor allem kultisch-rituelle Details betreffen.68 Dieser innerpriesterliche Dissens diskreditierte die herkömmliche Torah-Autorität insgesamt, und so kam es zu divergierenden gruppengebundenen Positionen und Praktiken. Aber selbst innnerhalb der Anhängerschaft des "Lehrers der Gerechtigkeit" konnte man nach seinem Tod nicht mehr im alten Sinne legislativ verfahren, weil man die 40 Jahre bis zum Anbruch der ersten Endzeitperiode um ca. 98 v. Chr. auf der Basis der geltenden Torahniederschriften überbrücken wollte. Danach sollte es nämlich ohnedies zur WieM
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t.x
Laut CD 20,13-15 starb er 40 Jahre vor dem Beginn der ersten Endzeitperiode. die entsprechend dem Geschichtsperiodenschema der Jubiläen-Wehchronologie 490 Jahre nach der 'Urstörung des ersten Tempels (586 v. Chr.) beginnen sollte. Zu dieser institutionellen Bedeutungs. v.a. 2 Makle 2,17. Die Literatur zu dem christlich-theologisch gewichtigen Belegvers ist über die Kommentare hinaus recht umfangreich. Vgl. zur Übersicht Moran, Kingdom; van der Walle, Administrative Body; Camponovo. Königtum. 81 ff.384ff.411: Cazelles. Autour, 289-294: darüber hinaus zum gesamten Komplex: Oswald, Israel. Regev. Temple lmpurity.
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derherstellungder alten Verfassung mit einem gesalbten Hohepriester, einem gesalbten Herrscher und einem Propheten kommen. Auch in dieser Gruppe fehlte also ab ca. 141 v. Chr. die institutionelle Voraussetzung für neue Torah-Proklamationen. In dieser Situation füllten zwei Faktoren das entstandene autoritative Vakuum auf: Im gesamtjüdischen Rahmen machte eine aufstrebende LaienGelehrsamkeit der priesterlichen Autorität Konkurrenz, und ein nach außen hin bereits offiziell bekanntes schriftliches Dokument, der Pentateuch, rückte an die Stelle der höchsten Torah-Instanz. Und im selben Maß gewannen auch exegetische Vorgänge an Gewicht, auch innerhalb der Qumrangruppierung. Der so zur Geltung gelangte biblische Pentateuch hatte zunächst wahrscheinlich eine vorrangig politisch-staatsrechtliche Funktion gehabt; er diente mit seinen Gesetzessammlungen im Rahmen einer Geschichtsdarstellung von der Schöpfung an vor allem dem Nachweis, dass das Judentum über altehrwürdige und somit Respekt erheischende Traditionen verfügt. Er war also nicht als Gesetzbuch konzipiert worden, wozu die literarische Form sowieso nicht passt, sondern als Basis-Dokument für den Nachweis von verbindlichen Traditionen hohen Alters überhaupt. Wieweit die politische Funktion schon für die persische Zeit vorauszusetzen ist, sei hier dahingestellt, die Ansätze sind wohl da zu vermuten. Nachweislich begann die zur späteren ,,kanonischen" Geltung führende Karriere des biblischen Pentateuchs aber erst als Folge seiner Übersetzung ins Griechische unter der ptolemäischen Herrschaft im frühen 3. Jh. v. Chr., denn dadurch wurde dieses Dokument in den Augen der Umwelt und der politischen Oberherrschaft zum Inbegriff des jüdischen u6f.loc;. Für die jüdische Seite stellte das aber nur die dokumentarische Grundlage für all das dar, was darüber hinaus noch Inhalt und Umfang der jüdischen Autonomie ausmachte und jeweils als verbindliche Tradition "der Väter" galt. Das inhaltlich nicht klar definierte Verhältnis zwischen Basisdokument und tatsächlich beanspruchten Privilegien hatte mehr Vorteile als Nachteile, gewährleistete einen Freiraum, den es diplomatisch optimal auszunutzen galt. Dieses Modell wurde in den Vereinbarungen mit den Seleukiden um 200 v. Chr. festgeschrieben, und von da an blieb es das Grundschema für die jüdische Autonomie bzw. für die Gewährung jüdischer Privilegien in der hellenistisch-römischen Periode. 69 Die innerjüdische Karriere des Pentateuchs als autoritativer Torah-Niederschrift ergab sich auf der Basis dieser seiner öffentlich-staatsrechtlichen Bedeutung in demselben Maß, wie die herkömmliche interne Rechtsordnung an Autorität und Effizienz verlor. In einer solchen Situation machte es Sinn, auf Texte zu verweisen, die offiziell als jüdisch wichtige Dokumente bekannt und allgemeinjüdisch unumstritten waren. Der publizierte Teil der Tradition gewann daher gegenüber den strittig gewordenen und widersprüchlichen internen Traditionen ein weit größeres Gewicht. In der Tat lässt sich belegen, dass es im Zuge interner Diskussionen und Divergenzen bezüglich gesetzli"'1
Barclay. Jews; Linder, Roman Imperial LeKislation; Pucci Ben Zeev, Jewish Rights.
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eher Praktiken nach und nach auch in Qumrantraditionen immer häufiger zu Rekursen auf Inhalte des Pentateuchs als eines gemeinjüdischen Basistextes gekommen ist. Und die chronologische Statistik der Qumrankopien von Pentateuchtexten entspricht dieser zunehmenden Bedeutung, obschon in dieser betont priesterlichen Tradition weiterhin alternative Pentateuch- und Torahniederschriften vorhanden waren und benutzt wurden. Diese neue Funktion und Wertung ist in den einzelnen jüdischen Richtungen nicht synchron zum Zug gekommen. In der priesterlich orientierten Tradition hinter den Qumrantexten, in der die alte Torahkonzeption am längsten fortlebte, setzte dieser Prozess entsprechend später ein. Im Rahmen der laien-orientierten Tradition, die in den pharisäischen Kreisen zum Tragen gekommen ist, geschah dies früher. Dafür gab es zwei Gründe: Einmal stand den Laien Torah sowieso nur mit dem Pentateuch, also in der publizierten Form zur Verfügung. Zum andern konnte man mit der Einschränkung der geschriebenen Torah auf Pentateuchinhalte die Autorität anderer Torahtraditionen unterlaufen. Und zugleich ergab sich damit ein Freiraum für den Ausbau der eigenen Gruppentraditionen, ohne die ein Gemeinwesen nicht zu regulieren war, weil die Pentateuchgesetze ja keineswegs alle Bereiche abdecken. Auch für die Sadduzäer konnte die Begrenzung der verbindlichen schriftlichen Offenbarung auf den Pentateuch zur Abwehr anderer Autoritätsansprüche dienen, sowohl von Seiten der Verfechter der Qumrantorah als auch von Seiten der Pharisäer mit ihren angeblich verbindlichen väterlichen Überlieferungen. Dem Interesse der Hasmonäer, sich einen möglichst weiten legislativen Spielraum zu erhalten, kam es nur zugute, wenn als Torah unbestritten nur mehr das galt, was im Pentateuch festgeschrieben vorlag, ergab sich doch im Rahmen des eigenen Staatswesens ein erheblicher Gesetzgebungsbedarf. In der Diaspora spielte die levitisch-priesterliche Rechts-und Kultordnung fernab vom Tempel und außerhalb des Kultbereichs (Land Israel) nicht die gewichtige Rolle wie im Mutterland. Hier war die Gemeinde-Praxis und Gemeinde-Rechtsprechung entscheidend. Man konnte zwar in sehr schwierigen Fällen eine Anfrage nach Jerusalem richten, aber im Normalfall war als höhere Autorität doch in erster Linie jenes Dokument zur Hand, das auch die Basis der jüdischen Rechtsautonomie war, nämlich der biblische Pentateuch. Und nach diesem richtete man sich daher auch automatisch in strittigen Fragen der rituellen Reinheit, soweit es dafür Anhaltspunkte gab. Wie man es in der Diaspora darüber hinaus hielt, ist unbekannt. Die Rabbinen haben jedenfalls im Rahmen des relativ geschlossenen Systems der Mischna möglichst alle Lebensbereiche abgedeckt, auch wenn dies z. T. zunächst nur programmatisch-theoretische Bedeutung hatte, und sie haben die jeweils erforderlichen Regelungen auf dieser Basis festgelegt und ständig aktualisiert - und dies aus einer ökonomischen Sicht, die sich vorrangig am Laien als Produzenten und Konsumenten orientierte, ohne die kultische Systematik prinzipiell preiszugeben. Sie korrigierten jedoch diese kultische Systematik auch, und zwar nicht zuletzt mit Hilfe exegetischer Rückgriffe auf die einschlägigen biblischen Texte.
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5. Die institutionelle Verankerung des Systems der Heiligkeits-und Reinheitsvorstellungen 5.1. Das Heerlager Eine relativ kontinuierliche Tradition darf man von der Königszeit ausgehend bis in das zweite christliche Jahrhundert (Bar-Kochba-Krieg) für die Institution des Heerlagers voraussetzen. Die Organisation des militärischen Aufgebots war von früh an allgemein auch mit bestimmten Reinheitspraktiken verbunden 70, und dasselbe gilt natürlich für die Beendigung von Kriegsunternehmen. 71 Die Kriegsdiensttauglichen wurden durch solche Riten auch von der übrigen Bevölkerung abgehoben, und zwar mindestens in dem Maß wie durch die Kultfähigkeit Nicht zufällig haben militärische und kultische Organisation allerlei gemein, auch in der Fachterminologie. Die zur Zeit des Zweiten Tempels lange Zeit fehlende Eigenstaatlichkeil hat in der Forschung zu einer Unterbewertung der politischen und militärischen Aspekte geführt, wie überhaupt eine Neigung zu beobachten ist, entweder das Anliegen des Friedens oder das Thema .,Heiliger Krieg" jeweils für sich überzubetonen. Das Militärwesen hatte auch noch späterhin in der jüdischen Geschichte durchaus seinen Platz, und auch für die Geschichte der jüdischen Religion, und da insbesondere für ihre Zukunftserwartungen, ist der militärische Aspekt durchwegs von Bedeutung gebliebenJ2 So dürften auch die jüdischen Militärkolonien in der persischen und dann seleukidischen wie ptolemäischen Periode einen größeren religionsgeschichtlichen Einfluss gehabt haben, als gemeinhin angenommen wird. In der Regel fanden freilich nur die jüdischen Militärkolonien in Ägypten Beachtung. 73 Die kleinasiatisch-syrischen Militärkolonien, die im Rahmen der seleukidischen Politik der Gründung von Städten und Militärstützpunkten entstanden sind74 , haben aber möglicherweise die Struktur der dortigen Diasporagemeinden entscheidend vorgeprägt Außerdem haben sie im jüdischen Bewusstsein einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass die syrischkleinasiatische Region im kultisch zentrierten ethno-geographischen Denken des frühen Judentums nicht nur als Sem-Gebiet, sondern auch als Teil des salomonischen Reiches _galt, während Ägypten als Harn-Gebiet feststand. Wurde die Bevölkerung Agyptens dementsprechend negativ eingeschätzt 75 , so schnitten die Japhetiten (d.h. speziell die Griechen in Kleinasien) relativ günstig ab. Anders steht es mit dem Land .. Kanaan", das als .,Land Israel" von
° Kupper. Recensement; Masson, Rituel hittite.
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Vgl. Jdt 16,19: nachdem sich das Volk gereinigt hatte, wurden Brandopfer dargebracht. Vgl. ferner IQM XIV, 2ff. 12 Maier, Kriegsrecht. 73 Kasher, Jewish Military Units. 74 Für jüdische Militärkolonisten unter Antiochus 111. um ca. 210 v. Chr. s. Josephus, Ant. 12,148-153 und dazu Schalit, Letter; Tcherikover, Hellenistic Civilization, 287f. 1 ~ Maier, Ethnographisch-geographische Überlieferung; Frey. Weltbild.
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den hamitischen Kanaanäern widerrechtlich besiedelt worden ist und nach der deuteronomistischen Norm aus ihrer Gewalt befreit werden muss. Im deuteronornischen Kriegsrecht (Dtn 20) und in seiner kultisch akzentuierten Fassung in der Tempelrolle ( 11 Q19 Kol. 58 und Kol. 61,12- 63, ?), aber auch später in seinen rabbinischen Ausarbeitungen wird eine Art Vorwärtsverteidigung gefordert, um den heiligen Bereich des Landes bereits im Vorfeld abzuschirmen und möglichst zu erweitern. Die deuteronornisehe Fassung der Lagerordnung in Dtn 23, 10-15 weist zwei rin1ell begriindete Regelungen auf, die in V. 15 ziemlich unbekümmert massiv mit der Gegenwart Gottes begründet werden. Die erste betrifft Personen mit Sperma-Pollution, und die zweite soll gewährleisten, dass das Lager nicht durch menschliche Exkremente verunreinigt wird. Die Lagerordnung der P-Tradition setzt zwar organisatorische Strukturelemente des Heerlagers voraus, das theologische Interesse gilt aber nicht militärischen, sondern kulttheologischen Aspekten, nämlich der Position und Bedeutung des Heiligtums und seines Kultpersonals im Rahmen der Stämme Israels. Dieses Heiligtum ist allerdings ein vorläufiges, die Gottesgegenwart keine ständige; daher ergänzt hier das Motiv der Theophaniewolke das Konzept der Gottesgegenwart. Num 5,1-4 erwähnt als ausgeschlossene Personen speziell Aussätzige, Ausflussbehaftete und Totenunreine, und es wird hier natürlich auch die Anwesenheit von rituell reinen Männern und Frauen im Lager vorausgesetzt, da es sich nicht um ein reines Militärlager handelt. Alle Unreinen sollen das Lager für die Zeit ihrer Unreinheit verlassen, "damit sie nicht ihr Lager verunreinigen, da ich unter ihnen einwohne (soken lrtokiim)", womit eine kultische Gottesgegenwart angezeigt wird. Die LXX setzt hier bemerkenswerterweise anstelle des kultischen Terminus technicus soken mit xatay(vo~m einen Ausdruck voraus, der dem Sinn nach eher Dtn 23,15 und wahrscheinlich einer älteren militärischen Tradition entspricht: Gott zieht im Lager mit den Israeliten, und zwar mitten unter ihnen mit. Die Gottesgegenwart im Heiligtum wurde von jener im Lager abgesetzt: Eine Einwohnung findet nur im Heiligtum selbst statt, aber Gott zieht dennoch wie im Heerlager mit. Indem die LXX damit das Wüstenlager Israels als Heerlager darstellte, wollte sie wohl das Militärlager gegenüber dem Tempel kultisch abwerten. Militärlager hatten offenbar ihre besonderen, in Militärkolonien wie auf Elephantine und in Heliopolis sogar örtlich festen kultischen Einrichtungen mit entsprechendem KultpersonaL Das musste nicht als Verstoß gegen das Jerusalemer Kultmonopol gesehen werden, das im vollen Sinne wahrscheinlich nur für den Bereich des Landes Israel galt. Aber wegen solch ortsfester kultischer Einrichtungen in ständigen Militärkolonien bestand wahrscheinlich ein Bedürfnis zu Präzisierungen in der Frage der Gottesgegenwart, wofür es auch sonst Hinweise gibt. Die LXX lässt nämlich in Bezug auf HeiligkeilSbereiche auch sonst gelegentlich besondere Anliegen erkennen. Ez 43,7 setzt nicht wie der MT eine Polemik gegen Königsgräber in Tempelnähe voraus, sondern verallgemeinert das Vergehen zu Bluttaten der Könige im ganzen Land; man las statt biimotiim ("wenn sie gestorben
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sind") im Stil der Aussagen über Gottesgegenwart betokiim ("in ihrer Mitte").76 Die Kriegsrolle aus Qumran formuliert 1QM VII ,5-8 detaillierter als Dtn 23,1~15, aber nicht einfach im Sinn einer Exegese bzw. Erweiterung dieser Deuteronomiumspassage, wie gern vorausgesetzt wird. 1QM schließt alle rituell unrein gewordenen Personen aus, auch Frauen und Minderjährige sowie Personen mit einer physischen oder psychisch-geistigen Behinderung, und kommt mit dieser Aufzählung dem Personenkreis nahe, der von der Volksversammlung (1Q28a 11,3-6) und vom Heiligtumsbesuch ausgeschlossen ist. 77 Aber als Grund wird nicht mehr die Gottesgegenwart angegeben, und zwar weder im Sinne der militärischen noch der kultischen, sondern die Gegenwart heiliger Engel als Mitstreiter der Israeliten (vgl. auch I QM Xll,6f). In verarbeiteten Einzelstücken, die aus älterer Militärtradition stammen, kommt jedoch noch die alte Vorstellung vom Kriegsgott ungebrochen zum Ausdruck. So etwa IQM X,1f.: "[ ... ] unsere Lager, um sich zu hüten vor allem Schändlich-Argen. Und da er uns verkündet hat, dass Du in unserer Mitte bist, der große und furchtbare Gott, um zu vertreiben alle (2) unsere Feinde v[or u]ns, und er uns von einst her für alle Generationen folgendermaßen belehrt hat (Dtn 7 .2~24 ): Wenn ihr zum Kampf herangerückt seid, trete der Priester hin und rede zum Volk ... ". Dasselbe gilt für eine ganze Reihe hymnischer Stücke, die offenbar älteren Datums sind (lQM Xlf.; XIV,4-18; XV,9-15). Man hat schwerlich einen Widerspruch zur Vorstellung von den Engelkriegern empfunden, die unter Michaels Führung (I QM XVI,4-8) mit den Israeliten als ,,Lichtsöhne" die Feinde Israels und die Heere Belials als "Finsternissöhne" vernichten sollen (vgl. 1QM XIX, 1-5). Ungeachtet der traditionellen poetischen Rhetorik gilt im übrigen hier als Motivation für die Reinheit des Heerlagers eben die Engelgegenwart. Bemerkenswert ist die dualistische Färbung, die automatisch auch das Verhältnis zwischen ,,rein" und "unrein" betraf, sobald man voraussetzte, dass im eigenen - "reinen" - Lager Gott mit seinen Engelmächten gegenwärtig ist und auf der Gegenseite, im "unreinen Bereich", Belial mit seinen Geistern wirkt. Das Heerlager ist also nicht als solches heilig, denn die Reinheitsverpflichtung gilt den Kriegern wegen ihrer überirdischen Mitstreiter, also letzten Endes für die Kampfsituation. Nach 4Q491 Frgm. 1-3,10 darf darum niemand im Zustand ritueller Unreinheit in den Kampf ziehen. Die Qumrantexte belegen beide Bereiche, den militärischen und den kultischen Bereich, auf sehr eindrucksvolle Weise. Sie sind aber nach wie vor sehr wohl unterschieden worden. Man kann also den militärischen Bereich nicht allein als maßgebliche Vorgabe für die spezielle Ausformung der Qumran-Reinheitspraxis in Anspruch nehmen. Im Gegenteil, die Vorstellung von der Heiligkeit des Heerlagers und von den .,heiligen" Kriegern 76
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Weitere Beobachtungen bei Büchner. Inside and Outside rhe Camp; Trebilco, Jewish Communities. 5ff. Shemesh. Holy Angel.~.
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dürfte für das Bewusstsein der Laienschaft viel stärkere Auswirkungen gehabt haben. Die priesterliche Seite war sich dieser Konstellation wohl bewusst und hat ihren Vorrang zu behaupten gewusst. Eine gewisse Relativierung der Heerlager-Gottesgegenwart war mit der Hervorhebung der Gegenwart von Engeln in jedem Fall gegeben. Die P-Lagerordnung wurde als eine Mischung aus alten Heerlagervorstellungen und einem bestimmten Heiligtumskonzept konstruiert, das letztlich nicht bloß das Heiligtum, sondern auch die Stadt des Heiligtums als "Lager" im Sinne hatte und überdies außerhalb des Heiligtums keine kultische Gottesgegenwart mehr anerkannte. Heiligkeit und Reinheit des Heerlagers wurden also im Lauf der Zeit entsprechend den in der Jerusalemer Priesterschaft vorherrschenden Ansichten jeweils neu definiert, doch bedeutete die festgestellte Abwertung durchaus nicht eine gleichzeitige Reduzierung der Reinheits-Bedingungen. Im Gegenteil, diese wurden ausgebaut, weil sie im kultischen System der nachexilischen Hierokratie als Instrument priesterlicher Kontrolle fungieren konnten, denn die Entscheidung über rein und unrein lag bei den Priestern.
5.2. Das kultzentrierte System Das Numinose und Heilige gilt als Bedrohung, soweit die Bedingungen für den Zugang und Umgang damit nicht feststehen oder nicht beachtet werden. Das Hauptanliegen ist dabei jedoch nicht die Definition des Unreinen, sondern die Definition des Reinen bzw. Heiligen und seiner Handhabung bzw. Bewahrung vor Verunreinigung. Es geht also in erster Linie um die Reglementierung des Zugangs zu und des Umgangs mit institutionalisierten Formen des Numinosen, also um Kultsysteme, um heilige Bereiche und heilige Objekte, heilige Zeiten und ein funktionsgemäß entsprechend reines bzw. heiliges Kultpersonal.7 8 Und schließlich geht es in einem weiteren Schritt darum, im Rahmen der Definition Israels als der Gemeinschaft der Kultberechtigten, diese als "heilig" von anderen Völkern mit ihren fremden Kulten abzugrenzen. Somit gilt es in erster Linie, nach den Institutionen und Interessen zu fragen, denen solche Vorstellungen und Praktiken dienlich waren. Im Zusammenhang mit den Institutionen des Heiligtums zu Jerusalem hatte von der Königszeit her eine systematisierende kulttheologische und erwählungstheologische Deutung der Einzelvorstellungen stattgefunden, verstärkt durch die Situation im Exil und die dort erforderliche Abgrenzung "Israels" von der Umwelt. Was immer einzelne Verhaltensweisen und Vorstellungen in früher Zeit bedeutet haben mögen, entscheidend für ihre spätere Bedeutung war von da an ihre Funktion im institutionellen und sozialen Kontext der Periode des Zweiten Tempels. Aber selbst innerhalb der kultischen Orientierung gab es von früh an differierende Auffassungen, die in den
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Van der Toom, Pureil rituelle; Endres, Bib/icallnterpretation, 233-236.
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biblischen Traditionen zutage treten, nur ist deren Einordnung in den Lauf der historisch nachweisbaren Ereignisse sehr schwierig. Man darf aber annehmen, dass zwischen den frühen Differenzen und den Konflikten in der hellenistisch-römischen Periode ein gewisser Sachzusammenhang besteht, vielleicht auch ein Traditionszusammenhang, sofern bestimmte Priesterfamilien sich traditionell mit solchen Positionen identifiziert haben. Für die Reinheitsvorstellungen der jüdischen Antike sind auf der kultischen Basis zwei Systemvarianten feststellbar. Auf Grund ihrer institutionellen Verankerung waren die beiden zwar zu einem großen Teil kongruent, aber infolge konträrer Blickwinkel und Interessen ergaben sich doch sowohl qualitativ wie quantitativ kennzeichnende Unterschiede. Der erste Blickwinkel ergab einen vorrangig kultisch, ganz am Heiligtum und an den Bedürfnissen des Kultpersonals orientierten Systemtyp, der in einschlägigen Qumrantexten am massivsten bezeugt ist. Der zweite ist ein vorrangig aus der Laienpraxis entwickelter Systemtyp, und dieser begegnet voll ausgefülut in den rabbinischen Überlieferungen. Abwandlungen beider Ansätze finden sich mit besonderen, vor allem symbolistischen und apologetischen Akzenten, in der hellenistisch-jüdischen Literatur. Alle oben erwähnten einzelnen Unreinheilserscheinungen bekommen durch ihren Bezug auf das Heiligtum einen zusätzlichen, letztlich entscheidenden Sinn; daher ergaben sich dadurch teilweise auch strengere Gesichtspunkte. Das gilt nicht zuletzt für die Beurteilung von Ausflussbehafteten und durch Sperma-Austritt verunreinigte Personen unter dem Gesichtspunkt einer Gefährdung der heiligen Bereiche und Dinge, in erster Linie wohl im Kreis des Kultpersonals selbst und erst sekundär im Kreis der zu kultischen Abgaben verpflichteten Laienschaft Während der Zeit bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels gab es eine kontinuierliche Kultpraxis auf der Basis eines festen Konzeptes von den heiligen Bereichen und ihren Erfordernissen bezüglich ritueller Reinheit. Auch wenn in Details Differenzen aufkamen, und zwar schon so früh, dass sie sich in der priesterschriftlichen Tradition selber bereits niedergeschlagen haben7 9 , und offensichtlich konkurrierende Auffassungen in Details immer wieder akut geworden sind110, hat das Gesamtkonzept jedoch später selbst die laienorientierte pharisäisch-rabbinische Tradition prinzipiell nicht in Frage gestellt, sondern nur aus einem anderen Gesichtswinkel beschrieben und in Details anders akzentuiert. In jedem Fall erfüllten die rituellen Verhaltensweisen eine Identität stiftende Funktion. Entscheidend war für die weitere Entwicklung allerdings die grundsätzliche Einstellung zum Heiligtum. Generell kann vorausgesetzt werden, dass alle, die auf die Teilnahme am Kult Wert legten, sich auch an die entsprechenden rituellen Regelungen zu halten suchten. Wir wissen zu wenig über die Kontrollmöglichkeiten in diesen Zusammenhängen, sie waren
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S.o. Anm. 54. Dazu vgl. auch lsaacs. Sacred Space; Hourman/Poorthuis/Schwartz (Hg.). Sanctity.
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aber sicher eng mit der Organisation des Abgabenwesens verbunden und unterstanden daher vor allem levitischer Aufsicht. Eine Demonstration der Kultzugehörigkeit war natürlich der Besuch der großen Feste bzw. die Wallfahrt, die offensichtlich gerade auch für Diasporajuden eine gewichtige Bedeutung hatte. Die Wallfahrer hatten eine Reihe von rituellen Vorschriften zu beachten, um zur Wallfahrt und in das Heiligtum zugelassen zu werden und um dort die vorgeschriebenen rituellen Pflichten erfüllen zu können. 81 In der Qumranliteratur ist eine besonders strenge priesterliche Auffassung dokumentiert. Es handelt sich weithin um professionelle, levitisch-priesterliche Texte zu rituellen und kultischen Fragen. In der Regel wurde versucht, möglichst alles davon auf biblische Texte und deren Auslegung zurückzuführen. 82 Das setzt aber voraus, dass eine entsprechende Wertung und Behandlung biblischer Texte damals bereits selbstverständlich war. Hier ist festzuhalten, dass es sich vor allem um den literarischen Niederschlag langwieriger Kontroversen über Details des kultischen Systems handelt, das voll und ganz auf das Heiligtum und seine Bedürfnisse hin ausgerichtet war und in dem alles vom Blickwinkel des Heiligtums aus betrachtet und bewertet wurde83 - und darüber hinaus auch um Zeugnisse für die Annahme, dass der Jerusalemer Kult aus diesen Gründen seine Sühnefunktion nicht mehr zu erfüllen vermag und dass diese Sühnefunktion ersetzt werden muss, bis der korrekte Zustand wiederhergestellt ist. Aber gerade als Folge der Anwendung dieses Systems ergaben sich so schwierige praktische Probleme und Interessenkonflikte, dass im Lauf des 2. Jh. v. Chr. die Mehrheit der Priester Kompromisslösungen akzeptierte, die in den Augen der strengen Verfechter des Systems eine Abirrung darstellten, durch die ihnen sogar die Sühnefunktion des Tempelkultes in Frage gestellt erschien. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Tempelrolle, weil sie in ihrem literarischen Autbau und mit ihrer sachlichen Ordnung die Systematik der kultischen Konzeption eindrucksvoll vor Augen führt. 84 Vom Allerheiligsten als Brennpunkt der Heiligkeit ausgehend nach außen hin bis zu den Grenzen des Landes fortschreitend wurde alles in konzentrisch abgestufte Heiligkeilsbereiche mit entsprechend abgestuften Reinheitsbedingungen eingeteilt. Was außerhalb des Tempels und der Stadt des Heiligtums liegt und lebt, wurde in Relation dazu gesehen. ss Der Schwerpunkt liegt demgemäß auf dem Zentrum der Heiligkeit, dem Tempelhaus, den Tempelhöfen und der Stadt des Heiligtums. Reinheitsvorschriften galten hier selbstverständlich vorrangig dem Kultpersonal, vor allem in Verbindung mit den diversen rituellen Aufgaben in den einzelnen Hei-
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Safrai, Wallfahrt. Milgrom, Scriprural Foundnticms; Harrington, lmpurity Systems, 47-110.283-291; dies .• Nature. Maier. Purity. Jucci. Ordine sacro; Maier. Tempelrolle. Siehe dazu auch Newton. Concept.
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ligkeitsbereichen. In diesem Rahmen war darauf zu achten, dass die einzelnen Opferarten, auch nach ihrer Zweckbestimmung für Priester oder für das Volk, sorgfältig voneinander getrennt werden. Ferner, dass Opferanteile und rituelle Abgaben je nach ihrem Heiligkeilsgrad auch in entsprechend heiligen Bereichen behandelt und konsumiert wurden und dass heilige Geräte und Dienstkleider nicht in minder heilige Bereiche gerieten. Anzahl und Abgrenzung der Heiligkeilsbereiche waren teilweise umstritten, aber es bestand ein weitreichender Grundkonsens. Maßgebliche Grundlage ist das Konzept einer konzentrischen Anordnung von heiligen Bereichen, deren Heiligkeilsgrad mit den entsprechenden Reinheitsbedingungen von innen nach außen abnimmt. Zu vergleichen sind dazu vor allem die Tempelrolle (11Q19, Kol. 2-13 und 30-48) und die Angaben des Josephus in Bell. 1,25f.; 5,227; C. Ap. 2,102-104. Die Aufzählung von elf Bereichen in mKelim I,6ff. und den dazu gehörenden Paralleltexten zeigt, dass das Grundkonzept bis auf geringe Varianten unstrittige jüdische Tradition war. Und kennzeichnend ist, dass diese rabbinische Tradition die Bereiche nicht von innen nach außen auflistet, sondern aus der Sicht des Laien von außen nach innen: 1. Land Israel, 2. befestigte Städte, 3. Jerusalem innerhalb der Mauer, 4. Tempelberg, 5. IJ.el und heiliges Quadrat von 500 x 500 Ellen, 6. Israelitenhof bzw. Frauenvorhof, 7. Männerhof, 8. Priesterhofllnnerer Hof, 9. Äußerer Kultbereich mit Altar und Vorhalle; schließlich die Inneren Kultbereiche, 10. Tempelhalle und 11. Allerheiligstes. Ein besonderes Merkmal der strengen Richtung hinter der Tempelrolle ist eine strenge, auch architektonisch massive Abgrenzung der priesterlichen Kultbereiche und der Laienbereiche. Der Priesterhof ist für Laien überhaupt unbetretbar. Der Hof der kultfähigen Männer, der mittlere Hof, deckt sich im Ausmaß mit dem traditionellen heiligen Bereich von 500 x 500 Ellen des Jerusalemer Heiligtums. Darüber hinaus konzipiert die Tempelrolle - sozusagen programmatisch - einen riesigen Israelhof, den Nichtjuden nicht betreten dürfen. Reinheitsvorschriften für Laien regeln im Kontext dieses Systems in erster Linie den Zutritt zum Heiligtum, aber auch zur Stadt des Heiligtums. Extrem streng sind in der Sicht nämlich auch die Reinheitsbedingungen für die Stadt des Heiligtums. Eine entsprechende Auffassung spiegelt sich bereits in der priesterschriftlichen Lager-Konzeption, in Jes 52, I und in II Q 19 4 7,3-7. Um 200 v. Chr. hat sie für die jüdischen Privilegien unter Antiochus 111. eine Rolle gespielt, und einige Details wurden noch gegen I00 n. Chr. vom priesterlichen Historiker Josephus vertreten. Diese strenge Linie lief auf einen weitgehenden Ausschluss normalen Alltagslebens in der Tempelstadt hinaus, widersprach vitalen sozialen und ökonomischen Interessen und konnte daher auf längere Zeit auch nicht durchgehalten werden. Kein Wunder also, dass es nach der Reform unter Antiochus 111. alsbald zu einer energischen Gegenbewegung kam und diese strenge Linie scheiterte. Nach Num 5,1-4 müssen Aussätzige, Unreine durch Totenunreinheit und Ausflussbehaftete das Lager verlassen. Noch Josephus (ein Priester!) sprach in seiner Wiedergabe dieser Passage in Ant. 3,261 von der "Stadt'\ und in
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Bell. 5,227 tat er dies (,.aus der ganzen Stadt") speziell in Bezug auf Aussätzige und Ausflussbehaftete, die nach späterer rabbinischer Halakah bis an den Tempelberg heran dürfen (vgl. Mischna und Tosefta Kelim 1,8); Menstruierende und Wöchnerinnen waren nach Josephus aber nur aus dem Heiligtum ausgeschlossen. Dies zeigt, dass noch bis zur Zerstörung des Tempels innerhalb der Priesterschaft unterschiedlich strenge Positionen in Bezug auf die ,.Stadt des Heiligtums" vertreten wurden, es also bei den Qumranzeugnissen nicht nur um ,.sektiererische" Positionen einer von Jerusalem separierten Priestergruppe geht. Ausdrücklich aus der ,,Stadt des Heiligtums" sind nach der Tempelrolle ausgeschlossen: 1. Sperma-Verunreinigte (11Q19 45,7b-12a), 2. Blinde (11Q19 45,12b-14), 3. Ausflussbehaftete (11Q19 45,15-17a), 4. Totenunreine (11Q19 45,17b), 5. Aussätzige bzw. Hautkranke (11Q19 45,17f.; vgl. Josephus, C. Ap. 1,282). Für Hautkranke, Ausflussbehaftete und Spermaverunreinigte sieht 11 Q 19 46,13-16 wie für jede umwallte Stadt abgesonderte Aufenthaltsplätze außerhalb der Stadt vor. Dem Verbot des Geschlechtsverkehrs in CD 12, 1f. in der Stadt entspricht, dass laut 11 Q 19 45,11 f. nach einem Geschlechtsverkehr außerhalb der ,,Stadt des Heiligtums" ihr Betreten für drei Tage (vgl. auch Ex 19) verboten ist. Aber auch Personen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen, also Kultunfähige, sollten nach strenger Auffassung die Stadt des Heiligtums nicht betreten, also Blinde (11Q19 45,12f.) und Lahme (vgl. 2 Sam 5,8). Und zwar Taube und Blinde laut 4QMMT (4Q394 Frgm. 8 iv,8f. = 4Q396 Frgm. 1 ii) deshalb, weil sie die einschlägigen Reinheitsvorschriften nicht hören bzw. lesen können und diese daher unwissentlich verletzen könnten; also nicht etwa, weil ihr Zustand als unrein und verunreinigend galt. Die strenge Tradition forderte auch die Vermeidung einer Verunreinigung der Stadt des Heiligtums (wie des Heerlagers) durch Exkremente 86 , was die Einrichtung von Latrinen 3000 Ellen außerhalb im Nordwesten der Stadt erfordert (11Q19 46,13-16) und auch die Hühnerhaltung ausschließt (11Q19 48,1-5). Private Profanschlachtung opfertauglicher Tiere ist ausgeschlossen, diese müssen im Heiligtum geschächtet werden; der Import von Fleisch ist daher verboten (11Q19 52,19-21). Unreine Tiere oder Gegenstände und Transportmittel (z.B. Behälter aus Leder), die von unreinen Tieren stammen, dürfen nicht in die Stadt gebracht werden, eine Regelung, die um 200 v. Chr. im Zug des Wechsels von der ptolemäischen zur seleukidischen Oberherrschaft unter Antiochus 111. als Privileg ausdrücklich ausgehandelt worden war. Die Tempelrolle bezeugt diese strenge Tendenz im Rahmen einer systematischen Darstellung und schließt für Jerusalem auch ausdrücklich Produkte und Häute von Tieren aus Profanschlachtungen aus (11 Q 19 4 7, 7b-Ende ). Selbstverständlich sind (wie im Privileg Antiochus 111.) Aufzucht und Haltung unreiner Tiere untersagt (so laut Josephus, Ant. 12, 146 ), dazu speziell noch die Hundehaltung (4Q394 Frgm. 8 iv,8f. = 4Q396 Frgm. I ii). ~t.
Baumgarten, Temple Sero//.
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Eine mildere und laienfreundlichere Tradition bezog solche Bestimmungen auf den Tempelberg oder auf seine unmittelbare Umgebung. Infolge der herodianischen Einfassungsbauten ergab sich um das eigentliche Heiligtumsareal ein "Heidenhof' mit gut kontrollierbaren Zugängen, und damit verlagerten sich gewisse Abgrenzungsfunktionen auf diese, und auch Bedingungen für die "Stadt des Heiligtums" wurden räumlich auf sie zurückgestuft, das Leben in der Stadt selbst dadurch rituell entlastet. Die so eingefassten freien Hofflächen waren auch für Nichtjuden ohne rituelle Defekte zugänglich, nicht für menstruierende Frauen (Josephus, Bell. 5,227; C. Ap. 2,103; mKelim 1,8 nennt auch Ausflussbehaftete), laut Mt 21,14 erstaunlicherweise wohl aber für Lahme und Blinde.s 7 Entscheidend für die Durchsetzung der milderen Position waren handfeste, praktische und ökonomische Gesichtspunkte, aber auch Fragen der Macht. Die strenge Linie unterband letzten Endes ja ein normales Alltagsleben in der Hauptstadt Judäas und unterwarf sie einer rigorosen priesterlichlevitischen Kontrotle. Die Umgebung der Stadt des Heiligtums wird in der Tempelrolle in zwei Zonen eingeteilt, wofür die Erreichbarkeil des Heiligtums das maßgebliche Kriterium darstellte. In erreichbarer Nähe ist die Profanschlachtung rituell reiner Tiere untersagt8!S, diese mussten am Tempel geschlachtet werden. Ein ökonomischer Vorteil, der durch das Verbot des Transports von Gütern in Behältern aus der Haut von nicht am Tempel geschlachteten Tieren noch vermehrt wurde. Für die umwallten Städte, eine eigene Reinheitsstufe, galten besondere rituelle Bedingungen. 11 Q 19 48,11-14 schreibt für je vier Städte einen Friedhof vor, und II Q 19 48,14-17 fordert für Aussätzige (vgl. Lev 13,46 ), Ausflussbehaftete und Menstruierende bzw. Wöchnerinnen abgesonderte Aufenthaltsorte außerhalb der Stadt. Den Ausschluss der Aussätzigen und die Anlage von Friedhöfen außerhalb der Stadtmauer kennt später auch das rabbinische Recht. 89 Rituelle Verunreinigungen bedingen rituelle Reinigungspraktiken, und zwar abgestuft nach dem Grad der Verunreinigung (vgl. 4Q274 Frgm. I i). Seit der Publikation der Textreste aus 4Q liegen diesbezüglich einschlägige Zeugnisse vor, deren literarischer Charakter als liturgische Formulare bzw. Agenden die Annahme untermauert, dass der gesamte Komplex rein/unrein, so wie er durch die Qurnrantexte belegt wird, aus der kultischen Praxis des Jerusalemer Tempels bzw. seines Kultpersonals stammt und die Anwendung auf weitere Personenkreise von nachgeordneter Bedeutung ist. Auch die Reste von Reinigungsritualen90, vor allem in 4Q512 und in 4Q414, sowie besonders deutlich in 4Q284, deuten auf einen engen Heiligtumsbezug. Weder die konkreten Zeremonien noch die hier erstmals im Wortlaut erwähnten da87 1111 89 90
Gewalt, Heilung. Möglicherweise nur die Schlachlung makelbehafteler reiner Tiere; so Shemesh, Nt!l\' Reading. mKell,7; vgl. mBB 11,9 über Friedhöfe und Gerbereien. Baumgarten. Purification Liturgies.
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zugehörigen liturgischen Texte (Benediktionen) lassen eine "sektenhafte" Tendenz erkennen. Soweit dabei Abgrenzungsfunktionen hervorgekehrt werden, betrifft es vor allem den Schutz der reinen Bereiche/Dinge und Personen. Dabei kam der Teilhabe an der reinen Nahrung ("Brot") offensichtlich ein besonderes Gewicht zu.91 Die betreffenden Formulierungen entsprechen jenen, die den Zutritt zum Heiligtum regeln, da es sich offensichtlich um Nahrungsmittel für eine entsprechend hohe Heiligkeitsstufe handelt. 5.3. Das Kultpersonal Über das Kultpersonal, die Priester und Leviten, enthält die Bibel eine Fülle von Informationen, aber die Vorexilische Geschichte dieser Gruppen ist keineswegs klar durchschaubar, weil die überlieferten Quellen vorrangig durch die Vorgänge und Verhältnisse während der Zeit des Zweiten Tempels geprägt sind. Aber selbst für die persisch-frühhellenistische Periode ist vieles offen, eine Geschichte der Priester und Leviten in dieser Periode ist daher in hohem Maß auf Rekonstruktionen angewiesen, die ihrerseits auf Quellenwertungen fußen, die auf Ermessensurteilen beruhen. 92 Im Folgenden gilt es nur, einige Gesichtspunkte zu skizzieren, die für die spätere Geschichte des Kultpersonals und für das System der Reinheitsvorstellungen von Bedeutung sind. 93 Denn Reinheitspraktiken haben bereits in vorexilischer Zeit zur Abgrenzung des Kultpersonals gedient94 und von ihnen aus hat man das spätere System entfaltet. Die Rolle der Priester in den Qumrantexten konnte freilich nicht einhellig bestimmt werden, weil das jeweils vorgefasste Bild von der "Qumrangemeinde" die Urteile entscheidend vorgeprägt hat. 95 Die Bücher Esra und Nehemia setzen voraus, dass in nachexilischer Zeit eine intensive Auseinandersetzung über den Kreis der Kultberechtigten ausgetragen wurde. Die Exilsheimkehrer setzten mit Unterstützung der in Babylonien verbliebenen und am persischen Hof über Einfluss verfügenden Freunde ihre Auffassung durch. Demnach galt die Erlaubnis zum Tempelautbau nur den Heimkehrern, die in der Folge auch jede Beteiligung anderer abwiesen, sofern diese sich nicht den Vorstellungen der Exilierten fügten, die sich nicht bloß als .Judah" und "Benjamin" verstanden, sondern als "Israel", und "Israel" blieb auch fortan die eigentliche Selbstbezeichnung. In diesem eingeschränkten und exklusiven Sinne war der Zweite Tempel das nunmehr einzige Heiligtum des erwählten Volkes "Israels" im Lande Israel. Als erwähltes und insofern "heiliges" Volk Gottes war "Israel" freilich ebensowenig eine qualitativ homogene Einheit wie der räumliche GesamtbeVgl. 4Q514 (4Q0rd) Frgm. I i,5-IO. Gunneweg, Leviten; Haran, Temples, 58-131. •n Büchler, Priester: Jeremias. Jerusalem II B. 3-159.167ff.; Maier, Self-definition; Kugler, Priests. ~ Siehe Wright, Speerrum (Tabelle S. 153 ). '~ 5 Kugler. Priesthood: ders .• Priesthood. Evidence. 11 1
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reich des Landes Israel. Der räumlichen Gliederung in konzentrische Heiligkeitsbereiche entsprach eine soziologische Verdichtung der personalen Erwählungsheiligkeit. Die Gesamtheit Israels besteht bis heute aus drei sehr unterschiedlich großen Gruppen. Die größte Gruppe sind die Laien, gemeinhin ebenfalls "Israel'' genannt. Die zweite Gruppe sind die Leviten. In der Tradition sind dies Nachkommen des Jakobsohnes Levi, der zum Kultdienst erwählt worden ist. Was immer sie in älterer Zeit gewesen sein mögen%, in nachexilischer Zeit stellt diese Gruppe am Heiligtum Türhüter, Sänger bzw. Musikanten und Verwaltungsfachleute97 ; andere Leviten waren im Rechtswesen tätig. Insgesamt handelte es sich um eine soziale Schicht, die als verlängerter Arm der kultischen und staatlichen Apparate innerhalb der Gesellschaft einen enormen Einfluss auszuüben imstande war und auch in den einzelnen Richtungen des Judentums entsprechend mitwirken konnte. Innerhalb des Stammes Levi bilden die Priester die dritte und kleinste Gruppe. Die Diskussionen um die Gestaltung der heiligen Bereiche und ihrer rituellen Anforderungen waren engstens mit dieser sozialen Makrostruktur Israels und mit dem Selbstverständnis des Kultpersonals und seiner Rolle gegenüber den "Laien" verbunden.9s In dieser Hinsicht ist eine augenfallige Besonderheit der Abgrenzung zu vermerken. In Israel hat sich das Kultpersonal nach dem Exil von einer nicht exakt bestimmbaren Zeit an abstammungsmäßig, nämlich als Nachkommenschaft Aarons definiert. Und zwar patrilinear, was die gesamte hierarchische Struktur der Gruppe mit der Hohenpriesterposition bestimmt hat99, während in derselben Periode sich für die Zugehörigkeit zu "Israel" die matrilineare Definition (Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat) durchsetzte. Demgemäß war die Frage der legitimen Abstammung im Blick auf das Kultpersonal und insbesondere die Priester ein heikles Thema, das immer wieder einmal auch zu polemischen Zwecken angeschnitten wurde, wenn es galt, jemandem die Befahigung zum Kultdienst abzusprechen, und zwar nicht nur in Fällen zweifelhafter Vaterschaft. Offensichtlich war auch strittig, ob ein Priester eine Frau aus nichtpriesterlicher Familie heiraten darf.1°0 Nach Auffassung der Qurnran-Richtung war dies unzulässig. Auch andere Quellen deuten auf einen solchen Standpunkt. Auffallig ist die Rolle prominenter Repräsentanten der Gruppe als zelotische Wahrer der "Reinheit" (Levi in Gen 34, Leviten in Ex 32,25-29; Pinchas in Num 25). Auch die Darstellungen der Geschichte vom Fall der Wächter-Engel (Hen 1-36; Buch der Giganten), die ihre himmlische Stufe verlassen und sich mit Menschentöchtern eingelassen haben, dürfte eine diesbezügliche polemische Spitze enthalten. 101 Denn Priester im Dienst verstanden sich funktional den Engeln als himmlischem Kultpersonal Nunnela. Levites. Wennan. Levi.
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vergleichbar.1o2 Aus dieser Sicht erhielten Unterschiede in Heiligkeit und Reinheit eine ontologische, schöpfungstheologische Bedeutung, wie sie im Begriff des "heiligen Samens" zum Ausdruck kam, der auf Israel ausgedehnt noch ein langes Nachleben hatte. Insgesamt hob sich also eine abstammungsmäßig definierte Gruppe "Levi" als erwählte und erbberechtigte kultisch-religiöse Funktionärskaste von der Laiengesellschaft "Israel" ab und beanspruchte eine Vorrangposition, die ähnlich begründet wurde wie die Abgrenzung der örtlichen heiligen Bereiche, nämlich mit einem höheren Grad an Heiligkeit und einer besonderen Erwählung, mit engerem Nahverhältnis zur Sphäre Gottes. Es sind daher die Priester, die Gott "nahen" dürfen. Die Figur des Jakobsohnes Levi spielt demgemäß in priesterlichen Traditionen eine hervorragende Rolle. 103 Mit ihr wurde der Bund von Bethel verbunden (11Ql9 29,10; vgl. TestLevi 7,4; 8; 9,3), die Grundlage der kultischen Abgabenordnung, in Jub 27,19ff. wird die Inthronisation Levis beschrieben und mit Jub 31f. (vgl. 5Q13,2) die Einführung der kultischen Ordnung für die Nachkommenschaft Levis verknüpft. Während dabei (abgesehen von einem Altarbau) die Gründung eines festen Heiligtums von Gott ausdrücklich abgelehnt wird (J ub 32, 16.22), hängt die Erwählung Aarons und seiner Nachkommenschaft mit der Kultgründung am Sinai und mit dem Zeltheiligtum zusammen. Die vornehme Jerusalemer Tempelpriesterschaft sah als ihren Ahnherrn Zadok an 104 , den ersten Hauptpriester am salomonischen Heiligtum, mit dem (I Chr 6,35-38; Josephus, Ant. 5,361 f.; 8, I 0-12) genealogisch wieder die Eleazar/Pinchas-Linie zum Zuge gekommen war. Offensichtlich spalteten sich die Zadokiden jedoch selber in konkurrierende Richtungen; in der Spätzeit standen jedenfalls die Zadokiden, die in den Qumrantexten als maßgebliche Gruppe genannt werden, den in den griechischen Texten genannten "Sadduzäern" trotzder starken gemeinsamen Tradition gegenüber, weil diese Sadduzäer sich mit den Hasmonäern und auch später mit den jeweiligen Machthabern in Jerusalem mehr oder minder erfolgreich arrangierten und weiter am Tempel wirkten, während die Qumran-Zadokiden diesen als entweiht bewerteten. lOS Dem allen vorgeordnet repräsentiert den Jerusalemer priesterlichen Anspruch aber der Priesterkönig Melkizedek (Gen 14, 18-20; Jub 13 ), der das Hohepriestertum und den engelartigen Status der Priester in ihrer Kultfunktion auch als himmlische Figur repräsentierte, wie durch den Qumrantext I I Q 13 deutlich geworden ist.I06 Die Abgrenzung des höheren Kultpersonals und ihre Begründung haben damit ihren Höhepunkt erreicht. Der Rückgriff über Aaron und Levi hinaus auf eine Figur der Vorzeit, die als Vermittler prädiluvialer Tradition galt, entspricht der Verankerung der Kultdienstordnung
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Newsom. Priesthood. Kugler. Fmm Patriarrh to Priest. Werman. Sons. Baumgarten. Zadokite Priests; Du Toit Laubscher. Zadokite Element. Horton, Me/chizedek Tradition; Kobelski. Melchizedek; Caquot. Livre des JubiUs; Balla. Mel· chi::.edekian Priesthood; Manzi. Melchisedek; Aschim. Melchizedek.
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in den Sabbatzyk.len, die unabhängig von der mit einem Mittwoch beginnenden Kalenderrechnung die Überlegenheit der kultischen Ordnung gegenüber der geschöpfliehen-irdischen Zeit demonstriert und somit "heilige Zeiten" über diese hinaushebt
6. Das System aus der Laienperspektive Der gesetzesgelehrte Laie betrachtete dasselbe Grundkonzept aus dem entgegengesetzten Blickwinkel, von außen nach innen, wie die oben angeführte Autlistung der Heiligkeilsbereiche in mKelim 1,6-9 (und Parallelen) zeigt: 1°7 Im wesentlichen sind es dieselben Bereiche, aber im Zentrum der Heiligkeit nicht so differenziert, weil man als Laie dort ohnedies keinen Zugang hat. Der Schwerpunkt liegt auf den häuslichen und lokalen Lebensbereichen des normalen Israeliten und auf seiner Abgrenzung gegenüber den Fremdkulttreibenden. Und mit einigen markanten Korrekturen: vor allem das strenge Konzept der Stadt des Heiligtums wird entschärft, indem die entscheidende Heiligkeilsgrenze von der Stadtmauer nach innen an die Umfassungsmauem der herodianischen Anlage verlegt wird, wodurch Jerusalem selbst fast als normale umwallte Stadt gewertet werden konnte. In Details zeigt sich eine Tendenz zur Berücksichtigung des praktisch Machbaren und vitaler Interessen des Einzelnen im wirtschaftlichen, häuslichen und familiären Lebensbereich - auch im Zusammenhang mit den kultischen Abgaben, deren Produktion und Handhabung sehr detailliert ausfallt. Für die levitisch-priesterliche Seite war hingegen von vorrangigem Interesse, dass die Angaben einliefen und wie und an wen man sie zu verteilen und wie und wo man sie zu verzehren hat. Und noch etwas fällt ins Auge: Das priesterliche Interesse gilt dem Heiligen und seinem Schutz, den Laien konfrontieren die Erfordernisse des praktischen Lebens eher mit der Frage. was es an Unreinem gibt. das seine Interessen schädigen könnte. Wahrscheinlich hat von der Königszeit her ein gewisses Maß an familiengebundenen nichtpriesterlichen Schreibertraditionen weitergelebt und den Ansatzpunkt für eine nachexilische laien-orientierte Gelehrtentradition in Konkurrenz zu den Schreibertraditionen am Heiligtum gebildet. Institutionell ergaben sich für diese Laien-Rechtsgelehrsamkeit freilich nur begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten. Torah war an sich eine Sache der Höchstinstanz am Heiligtum, wo sie als offenbart proklamiert wurde. Die lokalen Gerichte hingegen verfuhren selbstverständlich nach dem überlieferten Gewohnheitsrecht und bedurften einer Torahentscheidung nur. wenn das normale Recht für eine Entscheidung nicht ausreichte. Auf den unteren Ebenen des Rechtslebens überwog daher wie auch späterhin im jüdischen Rechtswesen das Laienelement. das in städtischen Bereichen auch eine entsprechende Rechtstradition zu pflegen imstande war. 107
Siehe Neusner. History of the Mishnaic Law I.
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Diese an sich klare Abgrenzung der Wirkungssphären galt nicht in jenen rituellen Fragen, deren Entscheidung in jedem Fall einem Priester vorbehalten war, ob dieser in der Sache fachlich beschlagen war oder nicht (vgl. CD 13,2-7). Man war als Laie daher der Reinheitstorah und der priesterlichen Autorität weit stärker direkt konfrontiert als in straf- und zivilrechtliehen Belangen. Dies provozierte Konkurrenzbestrebungen der Laiengelehrten, die sich bemühten, gerade auch in solchen rituellen Fragen, die von der Institution her eigentlich der levitisch-priesterlichen Seite vorbehalten waren, ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen und im Volk zur Geltung zu bringen. 108 Fragen der rituellen Unreinheit bzw. Reinheit und Heiligkeit hatten außerdem meistens auch soziale und ökonomische Aspekte, brachten dem einen Vorteile und dem anderen Lasten, waren also keineswegs nur für Priester von vitalem Interesse. Und weil das Leben im Tempelstaat Juda in so hohem Maß durch das Heiligtum, sein privilegiertes Kultpersonal und das damit verbundene Abgabenwesen bestimmt wurde, hatten rituelle Vorschriften auch eine Funktion im Sinne ausgeübter Kontrolle und Herrschaft. So rückten gerade innerhalb der Laiengelehrsamkeit die rituell-kultischen Sachfragen weit stärker in den Brennpunkt des Interesses, als man es bei einer Laienbewegung vermuten möchte. Und in der Tat gehören auch später innerhalb der Mischna jene Traktate, die kultische und rituelle Fragen behandeln, zu den ältesten Bestandteilen der rabbinisch-pharisäischen Tradition. Wissen bedeutete eben auch in diesem Fall Macht, vor allem aber Prestige in den Augen des Volkes. Die Akribie, die laut Josephus den pharisäischen Gesetzesgelehrten rühmend nachgesagt wurde, war ein Mittel der Selbstbehauptung und des Durchsetzungswillens dieser laien-orientierten Bewegung.
7. Weitergehende Gruppenabgrenzungen 7.1. Soziale Isolierung kultischer Extrempositionen Die strenge Richtung, die in der Qumranliteratur, in Henochbüchem und im Jubiläenbuch bezeugt ist, wird oft als "sektiererisch" abqualifiziert. Demgegenüber ist zu bedenken, dass ein guter Teil der einschlägigen ritualgesetzlichen und liturgischen Überlieferungen auf jeden Fall aus der Zeit vor dem Bau der Qumran-Anlage (zwischen I 00--80 v. Chr.) stammt und seinen ursprünglichen Sitz im Leben allem Anschein nach einmal am Tempel zu Jerusalem gehabt haben dürfte. Doch sie waren umstritten und sind im Lauf der Zeit mit ihren Verfechtern verdrängt worden. Dank 4QMMT verfügen wir über eine Auflistung von etwa zwei Dutzend damals für maßgeblich gehaltenen Differenzen, und diese betreffen hauptsächlich rituelle Belange, also Unterschiede innerhalb des gemeinsa-
1111!
Vgl. Regev, Pure lndividualism.
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men Systems. Ihr besonderes Gewicht verdankten sie aber wohl dem Umstand, dass sie mehr als nur das Ritual betrafen, nämlich zugleich persönlich, familiär und durch Gruppenbildungen bedingte Machtansprüche und politische Orientierungen. Es ging um die Vorherrschaft innerhalb des Systems und innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Und nachdem diese Vorherrschaft nicht zu erreichen war, meinte die strengere Richtung, sich vom rob hii'iim trennen zu müssen, also von der Mehrheit, die ihr verloren gegangen war. uw Danach befand man sich gegenüber dieser Mehrheit in einer ähnlichen Position, wie später die Pharisäer und frühen Rabbinen gegenüber dem 'am hii'iirlE~, mit dem Unterschied, dass dieser noch gewonnen werden sollte, während die strenge Qumran-Richtung jedenfalls auf längere Sicht keine Breitenwirkung mehr erhoffen konnte. Das Verhältnis zur Zelotenbewegung ist allerdings in solchen Fragen ein ziemlich enges gewesen 110, und das wird auch in einer Essenernachricht bei Hippolyt angedeutet 111 , doch fehlen für die letzten Jahrzehnte des Zweiten Tempels Zeugnisse, die über Qumranleute und Essener und deren Verhältnis zu den gleichzeitigen anderen Richtungen Aufschluss geben könnten. Nicht völlig klar ist in diesem Zusammenhang, was man unter den "Essenern" bzw. "Essäern" zu verstehen hat, über die eine Reihe antiker Quellen berichtet.112 Josephus beschrieb die Essener auffällig umfangreich als eine Richtung, die nach den Pharisäern am meisten Anhänger hatte. Jedenfalls gilt dies für den "verheirateten" Zweig, der in Städten über das ganze Land verstreut gelebt haben soll. Leider enthalten die verschiedenen Essenerberichte, die Josephus verarbeitet hat113, kaum Hinweise auf die Geschichte der dahinter stehenden Gruppen, und für die beiden Zweige seiner eigenen Essener-Konstruktiongilt dies nicht minder. Wahrscheinlich darf man seine "verheirateten" Essener mit den Ordnungen für städtische Niederlassungen und "Lager" verbinden, die in der Damaskusschrift enthalten sind, während man den angeblich unverheirateten Teil der Essener mit der ya~d-Gemeinschaft verknüpfen muss, wofür trotz mancher Diskrepanzen viele Detailparallelen sprechen. Seltsam ist, dass den Essenern in den antiken Berichten zwar Verhaltensweisen zugeschrieben werden, die an Priester erinnern - gerade auch im Zusammenhang mit Reinheitspraktiken 114 -, aber Priester konkret keine Rolle spielen.ll5 Einiges, was auf den ersten Blick an Qumran gemahnt, ist auf andere Weise leichter zu erklären und muss nicht kultisch begründet werdenl16, wie auch Detailparallelen bezüglich der Organisation nicht spezifisch jüdisch sein müssen, sondern strukturell bedingt waren.ll 7 Ein Gesamtbild Hili 1111 III
II~ 111 11 4 11 ~
111> 117
Shemesh, Origins. Baumbach, a/oten. Dazu s. Burchard, Essener. Adam, Antike Berichte. Bergmeier. Essener-Berichte. Lupieri, PuritiJ impura. Auf diesen gewichtigen Umstand verwies z.B. Feldman, Josephu.r, 588-590. Mendels, Hellenistic Utopia. Bardtke, Rechtsstel/ung; Weinfeld, Organi:.ational Pattern.
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und chronologisch plausible Geschichte all dessen ist jedenfalls trotz aller Bemühungen nicht rekonstruierbar und somit bleibt vieles offen.tts Auch das Verhältnis zum Jerusalemer Kult darf - wie im Falle der Damaskusschrift nicht zu einfach bestimmt werdentt9, denn abgesehen von der Berücksichtigung der Differenz zwischen lehrmäßiger Festlegung und polemischer und programmatischer Rhetorik muss auch mit einem gelegentlichen, situationsbedingten Wechsel der Einstellung gerechnet werden. Konkret ergibt sich eigentlich nur, dass diese Richtung mit der Herrschaft des Herades vergleichsweise gut zurechtkam. Selbst dank der Qumranfunde ist es also nur begrenzt möglich, Entwicklungen aufzuweisen, die durch die Streitigkeiten des 3.-2. Jh. v. Chr. verursacht wurden und aus dem umstrittenen, aber eben noch gemeinsamen Kultsystem in konventikelhafte Abkapselungen oder zu neuen Bewegungen führen konnten. Die im Folgenden erwähnten Richtungen repräsentieren sicher nur einen Ausschnitt aus der damaligen Vielfalt, die am Rande des Judentums noch größer gewesen sein dürfte. Schließlich gab es ein altisraelitisches Erbe, dessen Träger in der Kultgemeinschaft des Zweiten Tempels nicht Fuß fassen konnten, wie die Samaritaner, und abgesehen von diesen wohl noch andere, die im synkretistisch und schließlich auch gnostisch geprägten, aramäischsprachigen Umfeld des Judentums aufgegangen waren. Es handelt sich um einen Bereich, der religionsgeschichtlich nur wenig ins Gesichtsfeld kommt, weil das Interesse sich vorzugsweise auf "Hellenismus" und ..Judentum" richtete, was zur Folge hatte, dass man auch möglichst alles von diesen beiden Größen her erklären wollte. In diesen wenig durchsichtigen Bereich gehörten auch Taufsekten, deren ausgeprägte Reinheitspraktiken teilweise Entsprechungen zu jüdischen Bräuchen aufweisen, aber auch sehr markante Unterschiede und Eigentümlichkeiten. Jedenfalls handelte es sich um Gruppen, deren Abgrenzungsbedürfnis sehr groß war und die deshalb auf rigorose Weise Reinheitsregeln angewandt und entwickelt haben.12o Die häufig geäußerte Vermutung, die Qumrangemeinschaft sei selbst eine derartige Taufsekte gewesen oder habe für sie vor allem in Reinheitsbelangen als Modell gedient, insbesondere für Johannes den Täufert2t, lässt sich nicht halten. Die Qumranpraxis blieb im kultischen System verankert und begründet, zielte auf eine Wiederherstellung der "korrekten" Kultpraxis am Tempel zu Jerusalem ab und kannte auch keine ..Taufe" in dem Sinn, wie sie für Johannes den Täufer und das Christentum bezeugt ist.I22 Vorsicht ist auch in Bezug auf Vergleiche der Mahlpraxis der Essener bzw. der Qumranleute am Platz, die speziell im Blick auf das letzte Abendmahl Jesu so häufig angestellt werden. Lange Zeit wurde der Qumranbefund von llll
'1'1
'~ 0 1~1
~~~
Goodman, Note; Baumgarten, Essene; Huu. Qumran. Baumgarten. Josephus. Thomas, Mouvement Baptiste; Lupieri. Giovanni Ballista; Backhaus. Jüngerkreise. Davies. lohn. Zur Diskussions. zuletzt wieder Charlesworth. Qumran Barriers; ders .• Jesus.
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den Essenerberichten her gedeutet 123, aber dank der Tempelrolle und der durch sie möglichen Klärung des Charakters sogenannter kultischer Mahlzeiten im Zusammenhang mit dem rituellen Verzehr kultischer Abgaben hat sich gezeigt, wie gewichtig auch dabei die kultische Komponente war und dass man unterschiedliche Mahltypen unterscheiden muss.12 4 Auch die viel behandelte Gütergemeinschaft 125 war nach den Qumrantexten engstens mit der kultisch motivierten Reinheitspraxis verbunden. Und zuletzt ist auch die angebliche Ehelosigkeit der Essener zu erwähnen, die man allzu rasch auf die Qumranleute übertragen hat. Denn kein Qumrantext belegt ein solches Verhalten, wohl aber ist sexuelle Enthaltung im kultischen System ebenso wie das Vermeiden berauschender Getränke von alters her ganz selbstverständlich eine Voraussetzung für den Reinheitsstatus, der für diensthabende Priester vorausgesetzt wurde. Aufs Ganze gesehen haben die Reinheitsvorstellungen und Reinheitspraktiken sowohl integrierende als auch desintegrierende Wirkungen gezeitigt. Die integrierende Wirkung ging zur Zeit des Tempels vorrangig vom Kultsystem aus; selbst die Abgrenzung Israels nach außen erfolgt im Wesentlichen unter kultischem Vorzeichen, als Abwehr des Fremdkults. Innerhalb des Systems haben jedoch zwei Faktoren zu Akzentverschiebungen, Kontroversen und letztlich desintegrierenden Folgen geführt: innerpriesterliche Auseinandersetzungen, wobei mit komplexen Motivationen zu rechnen ist, und der Antagonismus zwischen priesterlich-kultischer Sicht und Laieninteressen. Solange die Auseinandersetzungen im Rahmen des kultisch zentrierten Systems verblieben, war die integrative Kraft des Systems in der Regel stärker als die desintegrierende Wirkung einer entstehenden Vielfalt in Vorstellungen und Praxis. Noch in der Art der Argumentation von 4QMMT und auch im Epistelteil dieser Schrift wird die Auseinandersetzung auf dem Boden des Systems geführt und eine Korrektur des vorherrschenden Kurses für möglich gehalten. Anders steht es, sobald die Überzeugung Platz greift, dass der vorherrschende Kurs die Funktion des Systems, die Erwirkung von Sühne, in Frage stellt, denn dann verkehrt sich die rituelle Werteskala völlig: Das Heilige gilt als entweiht, das Reine verunreinigt, der Kult bewirkt für das Land das Gegenteil dessen, was man ihm an heilsamer Wirkung zuschrieb. Es ist jedoch nicht möglich, die Konsequenzen dieser extremen Umwertung in ihren praktischen Auswirkungen zeitlich eindeutig zu fixieren. Die Niederschrift solcher polemischer Passagen bezeugt noch nicht ihre praktische Anwendung; außerdem ist mit einer durch die Endzeiterwartung überhöhten Rhetorik zu rechnen. Zugleich verschärfte diese Endzeiterwartung allerdings auch die reale Konfrontation, weil man mit einer relativ kurzen Krisen- und Übergangszeit rechnete, in der es zu handeln gilt. Die Richtung hinter den m Dekor, Repas cultuels; Beall, Description, 52--M. Erslaunlicherweise zu wenig berücksichligl bei Smilh, Mea/s. Die riluelle Bedeulung von tiros ("Neuwein") (parallel zu yi~hiir ["Frischöl")) für solche kuhisch bedinglen Mähler wird hier völlig verkannl und auf den möglichen Alkoholgehall reduziert. 11~ Klauck, Gütef"Remeinschaft.
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Qumrantexten scheint im Lauf ihrer Geschichte tatsächlich die Konfrontation, die zunächst unter priesterlichen Richtungen ausgetragen worden war, über ihren Laienanhang zu einem ganz Israel betreffenden und involvierenden Konflikt gemacht zu haben, wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil es sich zugleich um Orientierungen politischer Natur handelte und gegensätzliche außenpolitische Orientierungen im Spiel waren, also eine Verbindung zwischen internen und äußeren Feinden nahelag. Die Folge war selbstverständlich, dass die internen Gegner, die nach Ps 139,21f. als Feinde Gones gelten konnten, mit den äußeren Feinden Israels Ül einer Front gesehen wurden und die polemischen Etikettierungen auf äußere wie innere Feindes Israels und Gottes gleichermaßen angewendet werden konnten. Die dualistische Note dieser Konfrontation hat auch den Unterschied zwischen rituell Reinem/Reinen und Unreinem/Unreinen in einem ontologischen Sinne verschärft. 7.2. Die Gemeinschaft von Qumran Unser geläufiges Bild von der sogenannten "Qumrangemeinde" beruht vor allem auf den Befunden der Texte aus der Höhle 1 und ist inzwischen in manchen Punkten fragwürdig geworden.l26 Man darf aber mit einiger - aber keineswegs voller - Sicherheit voraussetzen, dass die Anlage von Qumran während des 1. Jh. v. Chr. und bis zum Krieg von 66-70 n. Chr. mit einer Gruppe verbunden war, die unter der Ägide von Priestern der beschriebenen extrem kultischen Orientierung mehr und mehr in Isolierung geriet und zumindest einen, aber möglicherweise nicht einzigen Anlass für die einschlägigen antiken Essenerberichte gegeben hat. Die große Bedeutung der rituellen Reinheitspraxis für die essenischen Gemeinschaften weisen in diese Richtung, obwohl man damit rechnen muss, dass es noch mehr Gruppen gegeben hat, als uns derzeit durch Qumrantexte, Josephus und das Neue Testament bekannt sind. Manche Qumrantexte setzen eine besondere Art des Gemeinschaftslebens voraus, die hebräisch als ya}Jad bezeichnet wird, ein sonst nicht geläufiges Substantiv von der Wortwurzel mit der Bedeutung "einen, vereinen". Lange schien es so, als handle es sich um ein "sektenhaftes" Merkmal der "Qumrangemeinde", aber inzwischen hat sich gezeigt, dass dieser Terminus technicus älter ist als die Qumran-Anlage. also schon zuvor für eine bestimmte Gemeinschaftsform üblich gewesen sein muss. Das passt zu der einst schon von L. Rost geäußerten Vermutung eines priesterlichen Organisationsmodells 127, und wahrscheinlich handelte es sich um die Gemeinschaftsform der diensthabenden Priesterschaft am Tempel, weil die Heiligkeilsgrade der Örtlichkeiten, der Verrichtungen und der Priesteranteile eine angemessen rituell orientierte Organisation erforderten. Die aus Jerusalem verdrängten Priester 116
Maier, Stand der Qumranforschung.
in
Rost, Qumranprobleme.
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haben dieses Modell weiterhin verwendet, und zwar zu eben dem Zweck, den nach ihrem Urteil die Jerusalemer Priesterschaft nicht mehr zu erfüllen vermochte, nämlich Sühne zu erwirken. Es ist daher anzunehmen, dass auch die entsprechenden Reinheitsvorstellungen und Reinheitspraktiken bereits mehr oder minder vorgegeben waren, und nicht erst im Rahmen einer sektenhaften Sonderentwicklung zustande gekommen sind, wie gern angenommen wird. 128 Die Ersatzfunktion für die kultische Sühne-Erwirkungscheint Aufgabe eines engeren Kreises gewesen zu sein, dessen Personal vielleicht wie die diensthabenden Priester am Tempel turnusmäßig wechselte. Jedenfalls wird eine Mindestanzahl von ,,Männern der Heiligkeit" mit höchsten Reinheitsanforderungen als Voraussetzung genannt. Im Falle einer rituellen Verunreinigung oder auch als Folge einer Disziplinarstrafe wurden einzelne Mitglieder zeitweilig aus der ,,Reinheit" der Gruppe ausgeschlossen, in die man stufenweise, also über mehrere Reinheitsstufen, aufgenommen werden konnte. Die Reinheitsstufe der Gesamtheit der Mitglieder, der rabbim (der ,,Vielen"), wies allem Anschein nach zwei bis drei Grade auf, weil manchmal vom Wasser die Rede ist, in das jemand (noch) nicht darf, und auch ein zeitweiliger Ausschluss vom masqah ("Getränk") der rabbim möglich war.129 Da allgemein galt, dass Flüssigkeiten besonders verunreinigungsanfällig sindi30, könnte der Ausschluss vom "Getränk" den Ausschluss aus der Gemeinschaft derer bedeuten, die berechtigt waren, Speisen höchsten Heiligkeilsgrades zu essen. In den Ordnungen für städtische Siedlungen und Lager, die in der Damaskusschrift enthalten sind, fehlt eine derartige Differenzierung, doch in 4Q284a taucht das "Getränk der rabbim" im Zusammenhang mit Ernte-Vorgängen und auch der Ölproduktion auf, bezieht sich also nicht auf die priesterlichen Konsumenten allein.D 1 Wie diese Gruppierungen mit ihren Funktionen sich zueinander verhielten, ist also nicht eindeutig bestimmbar, und die geläufige Rede von einer "Qumrangemeinde" verstellt manchmal eher den Blick für die sozialen Verhältnisse. Man muss annehmen, dass die Leute in Qumran nicht ohne ein gewisses Hinterland existieren konnten und dass dieses Hinterland etwas mit dem zu tun hatte, was in den Essenerberichten und in der Damaskusschrift beschrieben wird. Ein Unsicherheitsfaktor ist, dass die einzelnen Überlieferungskomplexe nicht genauer datierbar sind und somit offen bleibt. was wann und wo m Conway, Toward a Weii·Formed Subject. 11 9
~' 0 l.ll
Avemarie, Tohorat ha-Rabbim. Baumganen, Halakhic Texts (DJD XXXV), 89ff. 4Q284a Frgm. I: (2) [ ... )Kor[b ... und ni)cht hebe er sie )auf [ - ) (3) [dass] er nicht berührt das Getränk der Vollmitglieder, denn diese[ -] (4) [den ]Korb, und die Feigen und die Granatäpfel(?). [wenn) (5) ihr (trinkbarer) [S]aft herauskommt. wenn [er) sie alle [ze)rdrückt. und es sammelt sie ein (6) [ein Mann. ) der nicht hineingebracht worde[n ist in den B)und. Und presst Ul man [Oliven,] (7) [in einer Pre )sse, soll man sie nicht rituell besudeln. nach al[l) seinem [Verm)ögen. um sie zu zerstoßen, bevor er [sie in die Presse) schüttet. (8) [so dao;s) sie in Reinheit [gep]resst werden. Und ist vo[llend)et ihre Arbeit. dann ess[en sie- ).
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tatsächlich in Geltung war und durch wen es praktiziert worden ist. Diese Unsicherheit betrifft auch die "heiligen Männer" innerhalb der rabbtm, deren Vorhandensein in 1QS VIII, 1-14 und IX,3-6 als Mindestvoraussetzung für den Vollzug der Ersatz-Sühnung erwähnt wird. In jedem Fall war die ya~ad-Organisation nach priesterlichen Normen geregelt und geführt, und die Mitglieder hatten diese Normen zu respektieren. Wer dazu nicht bereit war, für den galt laut 1QS VI,S-11: Jeder. der in die Gemeinschaft der Einung eintritt, (8) trete in Gottes Bund ein vor den Augen aller Willigen. und er nehme es auf sich durch eine eidliche Verpflichtung, umzukehren zur Torah des Mose gemäß allem, was Er befohlen, mit ganzem (9) Herzen und mit ganzer Seele. zu allem. das von ihr offenbar wird den Söhnen Zadoks. den Priestern, den Wahrem des Bundes und Erteilern Seines Willens, und der Mehrheit der Männer ihres Bundes (10), die sich gemeinschaftlich als willig erweisen für Seine Wahrheit und für einen Wandel in seinem Wohlgefallen. Und er soll es durch den Bundesschluss auf sich nehmen, sich abzusondern von allen Männem des Unrechts, die da wandeln ( II) auf Wegen des Frevels.
Und weiter 1QS V,13-20: Er komme nicht ins Wasser. um die Reinheit der Männer der [He ]iligkeit zu berühren, denn man wird nicht gereinigt. ( 14) es sei denn, man kehrt um von seiner Bosheit, denn Unreines (haftet) an allen Übertretern Seines Wortes. Und so vereine man sich nicht mit ihm in Bezug auf seine Arbeit und in Bezug auf seinen Besitz. damit er einem nicht (15) Sündenschuld aufbürde 132, vielmehr halte man sich fern von ihm in jeglicher Sache. denn so steht geschrieben (Ex 23.7): Von jeder Betrugssache bleibe fern! Und so antworte keiner von den Männem (16) der Einung auf ihre Veranlassung hin irgendetwas in Bezug auf Torah und Recht. Und so esse man nicht von ihrem Besitz und trinke nicht und nehme aus ihrer Hand nichts. auch nicht das Geringste, ( 17) das nicht um einen Kaufpreis (erworben wurde), wie geschrieben steht (Jes 2.22): Lasst doch ab von dem Menschen, in dessen Nase (nur) Hauch! Wofiir ist er auch zu achten? Denn ( 18) alle. die nicht in Seinem Bund mitgezählt werden, es sind abzusondern, sie und alles, was ihnen (gehört). Und kein Mann der Heiligkeit stütze sich auf irgendwelche Werke ( 19) von Nichtigkeit, denn nichtig sind alle, die Seinen Bund nicht erkannt haben. Doch wird er alle Verächter Seines Wortes vertilgen aus der Welt, alle ihre Taten (gelten als) Menstruationsunreinheit (20) vor Ihm und Unreines (haftet) an all ihrem Besitz.
Über die Zulassungsbedingungen heißt es 1QS VI, 13-23: Und jeder. der sich als willig erweist aus Israel, ( 14) sich dem Rat der Einung anzuschließen. den soll der Mann untersuchen, der an die Spitze der Vollmitglieder gesetzt ist, (und zwar) in Bezug auf seinen Verstand und auf seine Taten. und wenn er Zucht erlangt. bringe er ihn (15) in den Bund. um umzukehren zur Wahrheit und um von allem Unrecht zu weichen. Er unterweise ihn in allen Gesetzen der Einung. und danach, wenn er vor die Vollmitglieder kommt. werden sie befragt (16), sie alle. über seine Angelegenheiten. Und so wie das Los (die 11 ~
Vgl. Lev 22.16: Die Teilhabe an rituell frdgwürdigem Gut bringt Schuld mit sich.
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Entscheidung) in Richtung des Rates der Vollmitglieder (aus)fällt, komme er näher oder entferne er sich. Und kommt er dem Rat der Vollmitglieder näher, berühre er (noch) nicht die Reinheit ( 17) der Vollmitglieder, bis dass man ihn untersucht hat in Bezug auf seinen Geist und (auO seine Taten, bis er ein volles Jahr vollendet hat, und er darf auch nicht Teilhaber sein am (rituell reinen) Besitz der Vollmitglieder. ( 18) Hat sich vollendet für ihn ein Jahr innerhalb der Einung, fragen die Vollmitglieder nach seinen Worten, seinem Verstand und seinen Taten in der Torah, und wenn ihm das Los dahin fällt, (19) der Gemeinschaft der Einung nahe zu kommen gemäß der Weisung der Priester und der Mehrheit der Männer ihres Bundes, dann bringe er auch seinen Besitz und seine Arbeit(serträge) darin ein, zu Händen des (20) Aufsehers über die Arbeit der Vollmitglieder. Und der schreibe es ihm gut auf ein Konto zu seiner Verfügung, aber er gebe es nicht für die Vollmitglieder aus. Er darf das Getränk der Vollmitglieder nicht anrühren, bis (21) er ein zweites Jahr voll gedient hat innerhalb der Männer der Einung. Und hat er das zweite Jahr voll abgedient, soll man ihn nach Weisung der Vollmitglieder mustern. Fällt das Los zu seinen Gunsten (22) aus, um der Einung näher zu kommen, schreibe man ihn ein in seine Rangfolge innerhalb der Ordnung (sarak) mitten unter seine Brüder, für Torah, für Recht, für Reinheit und für das Einbringen seines Besitzes; und sein Rat (23) sei (zugelassen) für die Einung und (so auch) sein RechtsurteiL
In 1QS VIf. wurden Regelungen zusammengefasst, die vor allem die Gruppendisziplin betreffen, wobei die Ahndung der Verstöße auch abgestufte Konsequenzen für den Reinheits-Status der Betroffenen enthält. JQS V/,24f: Falls sich unter ihnen ein Mann befindet, welcher in Bezug aufVermögenssachen lügt 133, und zwar wissentlich 134, dann sondern sie ihn von der Reinheit der Vollmitglieder ein Jahr ab und er wird bestraft mit einem Viertel seines Brotes. JQS V/1,/-3: (1) Und wenn einer geflucht hat, sei es erschrocken aus Bedrängnis oder was immer er habe [und] er liest (gerade) in einer Buchrolle oder erbenedeit, dann sondere man ihn ab (2) und er kehre nicht wieder zurück zum Rat der Einung. Und wenn er gegen einen von den Priestern. die im Buch eingeschrieben sind, im Zorn geredet hat, wird er bestraft für ein (3) Jahr und abgesondert für sich von der Reinheit von Vollmitgliedern. JQS V/1,/5-27: Und der Mann, der seinen Nächsten verleumdet, (16) den sondert man ab (für) ein Jahr von der Reinheit der Vollmitglieder, und er wird bestraft. ... ( 18) ... Und der Mann, dessen Geist abrückt von der Grundlage der Einung, um treulos zu werden gegenüber der Wahrheit ( 19) und um zu wandeln in der Verstocktheit seines Herzens, der wird, wenn er nicht umkehrt, bestraft (für) zwei Jahre; im ersten rühre er nicht an die Reinheit der Vollmitglieder, (20) und im zweiten rühre er nicht an das Getränk der Vollmitglieder, und hinter allen Männem der Einung sitze er.... (22) Und jedermann, der im Rat der Einung ist. bis sich ihm zehn Jahre vollendet haben, (23) und sein Geist kehrt sich ab. um treulos zu werden gegenüber der Einung, so dass er weggeht vor (24) den Vollmitgliedern, um in der Verstocktheit seines Herzens zu wandeln, kehre nicht wieder zum Rat der Einung zurück. Und ein Mann von den Männern der Ein[ung:
1H
1:w
IQS: hön, 4Q261: mämön. CD 14.20; vgl. Apg 5,1-11.
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dass er sich nicht]135 einlasse (25) mit ihm hinsichtlich seiner Reinheit oder seines Besitzes. JQS V/JJ,/6-19: Undjedermann von den Männem der Einung, des Bundes (17) der Einung, der irgendetwas von einem Gebot auf vorsätzliche Weise entfemt 136, berühre nicht die Reinheit der heiligen Männer ( 18) und darf nichts wissen von all ihrem Rat. bis seine Taten von allem Unrecht geläutert sind, so dass er vollkommen wandelt, und man ihn (wieder) nahebringt (19) im Rat auf Anweisung der Vollrnitglieder; darnach werde er in seine (neue) Rangposition eingeschrieben. JQS Vl/1,20f.: Das sind die Vorschriften, nach denen die Männer der vollkommenen Heiligkeit verfahren sollen, ein jeder mit seinem Nächsten, (21) jeder, der eintritt in den Rat der Heiligkeit derer, die auf vollkommenem Weg wandeln, wie Er es befohlen.
Darauf folgen in 1QS bis IX,2 noch konkrete Regelungen hinsichtlich der Verfahrensweisen mit schwersten Vergehen, das heißt wissentlichen TorahVerstößen, die zum Ausschluss aus dem ya~ad führen und damit verbunden eben auch zum endgültigen Ausschluss aus diesem Reinheitsbereich überhaupt.t37 Im Rahmen der Ordnung für das endzeitliche Israel, wie sie in 1Q28a ( 1QSa) vorliegt, ist eine Abgrenzung auf der Basis von rituellen Reinheitskriterien bezeugt, die über das hinausgeht, was ansonsten als Bedingung für den Zutritt zur Volksversammlung angegeben erscheint. 138 Der Grund dafür liegt offenbar darin, dass die Situation des Heerlagers (s.o. Abschn. 5.1.) mit vorausgesetzt ist, weshalb auch die Gegenwart von heiligen Engeln als Grund genannt wird. Doch scheint auch die Vorstellung einer heiligen Gemeinschaft eine Rolle gespielt zu haben, die ihr Vorbild in der ya~ad-Ge meinschaft hatte. Darüber hinaus kam es im Rahmen der Dämonisierung der Konfrontation mit der jüdischen und nichtjüdischen feindlichen Umwelt zu einer Überhöhung des Gegensatzes zwischen rein und unrein, wodurch die im kultischen Denken vorgegebenen ontologischen Gesichtspunkte zu dualistischen zugespitzt wurden. Der Bereich des Unreinen wird dabei zum Bereich des Gottfeindlichen überhaupt, schließt kosmische und überirdische Gegebenheiten mit ein. Daher ist auch die Aufhebung dieses Gegensatzes nicht mehr durch die kultischen Reinigungszeremonien zu erreichen, sondern durch eschatologische Reinigungsakte Gottes. Solche Vorstellungen begegnen zwar vor allem im Rahmen spekulativer oder poetischer Kontexte, sie hatten aber infolge der akuten Naherwartung in diesen Kreisen wohl auch einen aktuellen Stellenwert.'3 9
m Ergänzt nach 4Q259. nt. Andere: .,der abweicht von irgendeinem Gebot"; aber dieses Vergehen wird Z. 21-23 behandelt. Hier geht es also offenbar um ein Delikt im Sinne von Dtn 4,2 und 13.1. ll 7 Schiffman. Purity. Lll! Schiffman, Eschatological Community, 38-52. LN Janowski/Lichtenberger, Enderwartung.
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7.3. Die Gruppenpraxis der Gemeinde des neuen Bundes im Lande Damaskus Eine der Schriften aus Qumran handelt auch etwas eingehender von Lebensbereichen, in denen das Laienelement stärker in den Vordergrund tritt: die sogenannte Damaskusschrift mit ihren Parallelfassungen in 4Q (4Q266-4Q273). 140 Allerdings handelt es sich weniger um die Individuen und ihre häusliche Praxis als um Gruppen in ,,Lagern" oder in Städten. Aber auch in diesen spielen Priester eine maßgebliche Rolle, es handelt sich nicht um eine Laienbewegung, sondern um den Laienanhang einer priesterlichen, nämlich der in den anderen Qumrantexten bezeugten Richtung. Demgemäß stark vertreten ist das priesterliche Element auch in der Rechtsprechung (CD 10,4-6): Und das ist eine Ordnung für die Richter der Gemeinde: Bis zehn Männer, ausgelesen (5) aus der Gemeinde gemäß der Zeit, vier vom Stamm Levi und Aaron und aus Israel (6) sechs, beschlagen im Buch HHGJ und in den Grundlagen des Bundes.
Einige Vorschriften setzen noch die Beteiligung am Jerusalemer Kult voraus. CD 12, I ff. betrifft z.B. die Stadt des Heiligtums, wie in der Tempelrolle ein besonderer heiliger Bereich in engem Zusammenhang mit dem Heiligtum. CD 15,15-17 bietet eine Liste von Personen, die von der Gruppe ausgeschlossen sind, in Analogie zu den Listen, die die Zugehörigkeit zur Versammlung Israels überhaupt regeln. Ausgeschlossen sind: Unzurechnungsfähige, Blinde, Lahme und Hinkende, Taube und Minderjährige. Als Grund für ihren Ausschluss wird die Anwesenheit von Engeln angegeben, wie sie auch für das Militärlager und für die endzeitliche Versammlung Israels (I Q28a = I QS 3 ) vorausgesetzt wird. Die Gruppe sah sich nicht als Sekte, sondern als Repräsentantin Israels insgesamt, allerdings in einer Ausnahmesituation, vergleichbar jener in der Wüste zwischen Exodus aus Ägypten und Landnahme. Das Modell für dieses Lager-Konzept dürfte weniger das normale Militärlager auf Kriegszügen gewesen sein als die ständige Militärkolonie (vgl. Abschn. 5.1.). Die Gruppe war zu dem Schluss gekommen, dass das Jerusalemer Heiligtum rituell verunreinigt (CD 6,17) und daher zur Zeit nicht mehr in der Lage sei. die Sühnefunktion zu erfüllen. Im Rahmen des kultischen Denkens bedeutete dies einen Zustand mit desaströsen Folgen für Land und Volk. Umso mehr legte man darauf Gewicht, von den Strukturen des Kultapparats möglichst viel im eigenen, provisorischen Rahmen intakt zu erhalten. CD 6,11-21 formuliert das so: Und alle, die hineingebracht worden sind in den Bund: ( 12) dass sie nicht zum Heiligtum kommen, um Seinen Altar umsonst zu entzünden, sondern , Verschließer (13) der Tür' werden, da Gott gesagt hat (Mal 1,10): Wer von euch verschließt meine Tür, dass ihr nicht entzündet meinen Altar (I 4) für nichts! Wenn 1411
Zum Verhältnis der 4Q-Fragmcnte zu CD s. nun Stegcmann. Physica/ Reconstructions.
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sie nicht darauf achten. zu handeln nach der ausführlichen Darlegung der Torah ftir die Zeit des Frevels, um sich abzusondern ( 15) von den Söhnen des Verderbens und sich zurückzuhalten vom Frevelbesitz und vom Verunreinigten durch Gelübde und durch Bann (16) und vom Besitz des Heiligtums und vom Berauben der Armen Seines Volkes, so dass Witwen ihnen zur Beute fallen ( 17) und sie Waisen hinmorden. Um zu trennen zwischen dem Unreinen und Reinen und kundzutun, was ( 18) heilig ist und was profan, und den Sabbattag zu halten nach seiner ausführlichen Darlegung und die Festzeiten ( 19) und den Fasttag nach den Geboten der Mitglieder des neuen Bundes im Lande Damaskus. (20) Zu erheben die heiligen (Abgaben) nach ihrer vollen Darlegung, zu lieben ein jeder seiner. Bruder (21) wie sich selber, und zu unterstützen einen Elenden und Armen und Beisassen, und zu erstreben ein jeder das Wohlergehen.
Die Aufgabe, die es für die Übergangszeit des ,Frevels' zu erfüllen gilt, definiert CD 12, 19f. ausdrücklich im Blick auf Reinheitspraxis: ( 19) Sitzungs-Ordnung der Städte Israels nach diesen Gesetzen, um zu trennen zwischen (20) dem Reinen und dem Unreinen, und um kundzutun (den Unterschied) zwischen dem Heiligen und dem Profanen.
Die Entscheidung in Reinheitsfragen steht den Priestern zu, formal sogar im Fall eines in der Sache unbewanderten Priesters, wie CD 13,2-7 (4Q267 Frgm. 9,ii,14-19) feststellt: (2) Und an einem Ort von zehn soll nicht fehlen ein priesterlicher Mann, beschlagen im Buch HHGJ, nach (3) seiner Weisung sollen sie alle sich richten. Und ist der nicht erfahren in alldiesen und einer von den Leviten ist erfahren (4)
in ihnen, dann ergehe die Entscheidung für Ein- und Ausgang auf sein Geheiß hinsichtlich aller Mitglieder des Lagers. Doch wenn ein (5) Urteil nach der Aussatz-Torah in Bezug auf jemanden ansteht, dann kommt der Priester und stellt sich im Lager hin und es unterweist ihn (6) der Aufseher (m~baqqer) im genauen Wortlaut der Torah. Und selbst wenn er (der Priester) einfciltig ist, soll er ihn (den Aussätzigen) ausschließen, denn ihnen (den Priestern) steht (7) das Urteil zu.
Das Verhältnis zu den Reinheitsregeln in anderen Qumranschriften ist ein sehr enges. Dabei fallen zwei Umstände ins Auge. Zum einen erweist sich auf Grund von Vergleichen mit der Tempelrolle und mit 4QMMT, dass das gesetzliche Material dieser Schriften auf einer älteren Tradition fußt und nicht als spätes Sektenprodukt anzusehen ist.1 4 1 Zum anderen besteht im Vergleich zu 1QS und verwandten Texten ein Unterschied im Personenkreis. In 1QS geht es nicht um ,.heilige Männer" und deren Reinheit im Zusammenhang mit einer Ersatz-Sühnefunktion, sondern um Familien, die in Gruppen zusammenleben. Auch hier wird für die Gemeinschaft ein Reinheitsbereich vorausgesetzt, aus dem man für einige Zeit strafweise ausgeschlossen werden kann (CD 9,21 ), eine weitergehende Spezifizierung, wie sie für den Genuss ,.heiliger" Nahrung (aus kultischen Abgaben) erforderlich ist, fehlt in diesem für Laien bestimmten Kontext. Die meisten konkreten Reinheitsvor1-' 1
Hempel. Laws.
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schriften gelten der Existenz unter normalen täglichen Lebensbedingungen, bei denen auch die Beziehungen zur Umwelt und die Abgrenzung davon eine Rolle spielen. So etwa nach CD 12,8-18: Keiner verkaufe Vieh (9) und reine Vögel an Nichtjuden, damit die sie nicht als Opfer schlachten. Und von seiner Tenne ( 10) und aus seiner Kelter verkaufe man ihnen nichts, um keinen Preis. Und seinen Sklaven und seine Sklavin verkaufe man nicht ( 11) an sie, sofern sie bei einem in den Abrahamsbund eingetreten sind. Niemand besudle sich rituell (12) an irgendeinem Tier und Kriechtier, um davon zu essen, von den Bienenlarven an bis zu jeglichem Lebe- (13) wesen, das im Wasser wimmelt. Und die Fische esse man nicht, es sei denn, sie wurden zerlegt. (14) als (noch) lebendige. und ihr Blut wurde weggegossen. Und alle Heuschrecken nach ihren Arten sollen (zur Zubereitung) in Feuer oder in Wasser kommen, (15) solange sie lebendig sind, denn das ist das Gesetz ihrer Schöpfung. [(leer)] Und alle die Hölzer und die Steine (16) und das Erdreich, die durch die Unreinheit des Menschen so befleckt werden. dass an ihnen schmierige Befleckungen haften: entsprechend ( 17) deren Unreinheit verunreinigt sich, der sie ber[üh]rt. Alle Geräte, ein Nagel oder ein Haken in der Wand. ( 18) wenn sie mit dem Toten im Haus sind, werden sie verunreinigt mit der Unreinheit eines der Arbeitsgeräte.
Weitere einschlägige Regelungen enthalten 4Q269 Frgm. 8 ii par. 4Q270 Frgm. 3 ii-iii und 4Q271 Frgm. 2.
7.4. Zur pharisäischen Richtung
Die schon mehrmals erwähnten laienorientierten Tendenzen haben sich spätestens unter dem Hasmonäerkönig Alexander Jannai (104/3-76 v. Chr.) in den pharisäischen Zirkeln zu einer politisch einflussreichen Richtung verdichtet. Als solche vermochte sie unter Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) und unter ihrem romfreundlichen Sohn Hyrkan II. ihre Ziele weitgehend durchzusetzen, doch blieb die sadduzäische Konkurrenz bis zum Regierungsantritt des römischen Vasallenkönigs Herodes im Jahr 37 v. Chr. im Bund mit den innerhasmonäischen Rivalen Hyrkans II. eine ernste Bedrohung. Auch späterhin, in der letzten Zeit des Zweiten Tempels und in der Folgezeit, haben für die pharisäischen Gruppen nicht so sehr die Qumranleute bzw. Essener als maßgebliche Gegner gegolten. sondern die Sadduzäer. die sich vom Heiligtum in Jerusalem nicht getrennt und somit im Ringen um die Macht ihren Platz nicht geräumt hatten. Auf der anderen Seite bemühten sich die Pharisäer mehr als diese beiden gegnerischen Richtungen darum, ihren Einfluss im Volk durchzusetzen. Und zwar mittels einer innerjüdischen Missionstätigkeit durch Ausweitung ihrer Schulen und durch intensives Engagement ihrer Gelehrten im örtlichen Rechtswesen. Sie standen also zwei Fronten gegenüber: auf der einen Seite den Repräsentanten der priesterlichkultisch orientierten Richtungen wie Qumran-Zadokiden und Sadduzäern. auf der anderen Seite dieser breiten, sachlich unbeteiligten und deshalb meist
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desinteressierten, manchmal aber auch feindselig abwehrbereiten Masse, die von den Rabbinen später als 'am hä'ärre~bezeichnet wurde.1 42 Das Verhältnis zu diesen beiden Fronten war ein nuanciertes. Politisch gesehen waren die Sadduzäer die Hauptgegner, aber ihre Positionen waren Teil des gemeinsamen kultischen Systems, die Auseinandersetzung um heilig/rein und unrein vollzog sich also im Rahmen des Systems. Gegenüber der indifferenten breiten Masse hingegen sahen sich die Pharisäer genötigt, diesbezüglich mehr auf Abgrenzungen zu achten, um das System zu schützen. Insofern hatten Reinheitsregeln als Abgrenzungs- und Schutzmechanismus innerjüdisch teilweise einen ähnlichen Stellenwert wie für das Verhältnis nach außen. Andrerseits bot sich eben diese breitere Bevölkerungsschicht als ein Terrain an, das gewonnen werden und als Machtbasis genutzt werden konnte; die Abgrenzung konnte also trotz aller Strenge nur eine bedingte sein. Ein Phänomen verdient noch besonders hervorgehoben zu werden, weil seine Erklärung umstritten ist, nämlich die Tendenz zu einer Reinheitspraxis in Bezug auf Objekte, die an sich nicht als heilig gelten. Konkret geht es um die pharisäisch-rabbinische Praxis, auch für das Essen kultisch nicht qualifizierter (also "profaner") Nahrungsmittel einen gewissen rituellen Reinheitszustand vorauszusetzen und daher vor dem Mahl eine Händewaschung vorzunehmen, was auch im Neuen Testament als Markierung der pharisäischen Gruppenzugehörigkeit bezeugt ist (Mk 7,2-5 par. Mt 15, 1-3 ). A. Büchler und andere nach ihm haben dies im Rahmen der "levitischen Reinheit" kultisch zu begründen versucht, im Sinne einer Ausweitung der Praxis bezüglich "heiliger" Dinge.1 43 Demgegenüber wurde hervorgehoben, dass die Praktiken in diesem Zusammenhang zu wenig konsistent sind, um plausibel auf diese Weise erklärt werden zu können. 144 Man kann also nicht voraussetzen, dass das Essen von Profanem "in levitischer Reinheit" die pharisäische Praxis überhaupt gewesen und als eine Ausweitung der Praxis des Kultpersonals zu erklären sei.I4S Die Speisegebote regulierten nicht in erster Linie die Zugehörigkeit zur Gesamtrichtung der pharisäischen Gruppen, die als solche schwerlich organisatorisch in Erscheinung trat, sie markierten vor Ort die Grenzen zwischen pharisäischen Zirkeln und ihrer Umgebung, vor allem gegenüber den breiteren Bevölkerungsschichten. Für die Forderung, Profanes in "levitischer Heiligkeit" zu essen, beruft man sich gern auf die lflbur6t.l46 Soweit solche in der Zeit vor 70 n. Chr. bereits vorhanden waren, was in irgendeiner Form wahrscheinlich ist1 47 und dem frühen Ursprung vieler rabbinischer Reinheits-Traditionen entspricht1 48, handelte es 142 14 ·'
144 14 ~
14fl 147 14M
Oppenheimer. "Am Ha-Aretz. Büchler, Am-ho 'are; 69-138, bes. 119-126. Siehe Alon, Studies /, 158-169 (engl.: Jews, 1~234). Anders wieder Harrington, lmpurity Systetru, 267-281 (Appendix A: Did the Phorisees Eat Ordinary Food in a Stare of Ritual Purity?, selbständig publizien unter demselben Titel) gegen Sanders, Jewish Law, 197f.209. Oppenheimer, Haberim. Neusner, Fellowship. Neusner, Mishnah.
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sich um Personen, die einander kannten und sich in rituellen Dingen als zuverlässig betrachteten, wobei bei der Organisation der Mitgliedschaft strukturell gesehen Parallelen zu der Gruppenmitgliedschaft der Damaskusschrift und des yal}ad auftauchen. Die Jtberim grenzen sich in erster Linie gegenüber der breiten Masse und gegenüber Unzuverlässigen ab, bilden insofern Reinheits- und Heiligkeitsbereiche, die aber mit den Reinheits- und Heiligkeitsbereichen identisch sind, die im kultischen System den Priestern vorbehalten waren. Es gilt aber noch einen weiteren soziologisch bedingten Umstand zu bedenken, der innerhalb der Laienbewegung gruppenmäßige Abgrenzungen veranlasst hat und Ievitische Kriterien ins Spiel brachte. Manche Regelungen waren zunächst vielleicht Sonderanliegen bestimmter Kreise, die sich als Leviten verstanden und sich auch als solche markierten. Es ist wiederholt darauf verwiesen worden, dass Ievitische Kreise auch im außerkultischen Bereich tätig waren, also im Rahmen der Administration und der Rechtspflege, und eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung eines Laien-Gelehrtenstandes gespielt haben. Auf diese Weise konnten Ievitische Reinheitspraktiken auch als Abgrenzungsinstrumente dieses Gelehrtenstandes gedient und dann in die pharisäisch-rabbinische Praxis mehr oder minder umfangreich Eingang gefunden haben, wo sie jedenfalls in Gelehrtenkreisen und Familien levitischer Herkunft auch unabhängig vom primär kultischen Bereich weitergepflegt worden sind. 149 Sie hätten also innerhalb der Laienbewegung einen bestimmten Personenkreis markiert, der sich wahrscheinlich auch durch das Tragen gewisser Kleidungsstücke kenntlich gemacht hat. Dabei handelte es sich allerdings nicht um die Nachahmung priesterlich-levitischer Praktiken, und insofern ist im Gegensatz zu einer geläufigen Meinung eben auch keine wirkliche Sachparallele zu der priesterlich orientierten Qumranrichtung gegeben. Dem entspricht auch die Besonderheit der rituellen Händewaschung, die wahrscheinlich als eine Maßnahme in den Auseinandersetzungen mit priesterlichen Ansprüchen eingeführt worden ist, zumal sie auch im Konkurrenzkampf um die Verfügung über die "Heiligen Schriften" eine prominente Rolle spielte. 150 Es ist auch möglich, dass die aufHillige Debatte über die Reinheit oder Unreinheit von Öl letzten Endes solche Rivalitäten um Kompetenz und Sachautorität spiegeln.l5l So ist abgesehen von innerpriesterlichen Differenzen in der Spätzeit auch dieser Aspekt für gewisse zentrifugale Tendenzen innerhalb des kultisch zentrierten Gesamtsystems verantwortlich gewesen. Diese dreifache Frontstellung, gegen priesterliche Ansprüche, im Bemühen um den 'am hä'ära'~ und in der Abgrenzung nach außen, hat auf der pharisäisch-rabbinischen Linie den Gesichtspunkten ritueller Reinheit letztlich eine solche Bedeutung verliehen, dass sie von außen gesehen als 149
1 ~0
1~1
Siehe dazu v.a. Meyer, Tradition, bes. 141. Maier, Jüdische Auseinandersetzung. I0-114 (1.ur Händewaschung bes. 16-18). Bar llan, Reasons.
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kennzeichnend erscheinen mussten.l52 Und weil das Alltagsleben davon so stark betroffen war, erfolgte natürlich auch die Auseinandersetzung des frühen Christentums mit den Pharisäern in erster Linie auf diesem Gebiet, freilich bald überlagert und verschärft durch die Auseinandersetzungen über die Folgen der christlichen Heidenmission einerseits und durch die zunehmende Konfrontation mit der römischen Weltmacht andrerseits, in der gerade auch rituelle Aspekte (konzentriert auf den Tempel und das Land Israel) eine besondere Rolle gespielt haben.l53 Die nach 70 n. Chr. aufstrebende rabbinische Richtung konnte trotz der Zerstörung des Tempels ihre Linie konsequent weiter verfolgen, da die Regelung des Alltagsbereichs praktisch ohnedies schon Vorrang gehabt hatte. Der Anspruch auf kultische Fachkompetenz für das Heiligtum war angesichts der sadduzäischen Widerstände bisher sowieso zu einem guten Teil nur Programm gewesen. Jetzt konnte das Programm auf den künftigen, dritten Tempel und dessen erwünschte Praxis ausgerichtet werden, um auch für die Zukunft den rabbinischen Vorrang gegenüber einer eventuell restaurierten priesterlich-institutionellen Kompetenz zu wahren.l54 Auch die Auseinandersetzungen über sadduzäische Positionenl5 5, die weithin mit der zadokidischen Tendenz in den Qumrantexten übereinstimmten, wurden nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt weitergeführt, denn die sadduzäischen Priesterfamilien versuchten natürlich, ihre Berufstradition aufrechtzuerhalten. Die rabbinische Systematisierung und Adaptierung der Reinheitstraditionen, die offiziell erstmals in der Mischna niedergelegt worden ist 156, erfolgte nach den Anforderungen der Zeit und angesichts neuer Frontstellungen, in zunehmendem Maß aber im Rahmen der Konfrontationen mit der heidnischen Umwelt, bedingt durch das Gewicht der Diaspora und speziell der babylonischen Schulen. 157 Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rabbinische Tradition auch auf diesem Gebiet weder in der Sache völlig einheitlich ausfiel noch ausschließlich auf biblischen Vorgaben fußt. Divergenzen in Bezug auf rein und unrein hat es innerhalb der pharisäisch-rabbinischen Zirkel selber sowohl damals wie auch späterhin immer wieder gegeben. Die älteren Diskrepanzen wurden später vor allem zu Differenzen zwischen den Schulen Schammais und Hilieis schematisiert. Aber sie begründeten keineswegs eine Verweigerung des Konnubiums (mJebamot 1,4 ). Anders verhielt man sich gegenüber radikalen antirabbinischen Juden, den sogenannten mfnfm. Über sie wurden Urteile gefällt, die der Qumran-Menta~~~
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Für die ältere Forschungs. Brandt, Jüdische Reinheits/ehre; für neuere Studien s. Booth, Jesus; Deines, Jüdische Steingefäße. Die letztgenannte Publikation illustriert die weitreichenden ökonomisch-gesellschaftlichen lmplikationen. Zu diesem historischen Kontexts. Wander, Trennungsprozesse. Vgl. auch Fraade, Priestly Authority. Baumgarten, Pharisaic-Sadducean Contmversies. Neusner, History of the Mishnaic Law I-XXII. Der abschließende Bd. XXII (The Mishnaic System of Uncleanness) ist in diesem Zusammenhang wegen seines systematischen Charakters von besonderer Bedeutung. Neusner. Puriry.
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lität gar nicht so femstanden, wobei ebenfalls zur inneren Konfrontation die äußere in einer dämonisierten Form hinzutrat, da man diesenminimein Nahverhältnis zur gottfeindlichen Weltmacht Rom nachsagte, als deren Völkerengel schließlich die Satansfigur Samael galt.
7.5. Christen Die Christen gingen diesbezüglich einen Weg, der aus christologisch-soteriologischen Gründen aus dem kultischen System des frühen Judentums hinausführte, aber eine theologische Verwertung nicht ausschloss. 15 8 Die abgrenzende Haltung wurde durch eine offensiv-missionierende ersetzt und dadurch wurden die Grenzen "Israels" zur Peripherie hin erweitert. Die kultisch rituelle Reinheitspraxis verlor dabei ihre systembedingte Funktion, obwohl die Konfrontation mit dem Heidentum nach wie vor als eine dämonisch und eschatologisch akzentuierte Kampfsituation verstanden wurde. Das frühe Christentum hat in der Konfrontation mit den paganen Kulten nicht viel anders reagiert als jüdische Gemeinden; der Horror vor Götzenopferfleisch z.B. war tief verankert und gab zu intensiven Disputen Anlass. 159 Die stärkste gemeinsame Basis für Juden und Christen bildete nicht die Heilige Schrift des Alten Testaments, sondern die gemeinsame profunde Verachtung des "Götzendienstes". Im organisierten Christentum, in der Kirche, ist alsbald ein Bedürfnis nach Abgrenzungsmechanismen spürbar geworden, um den eigenen Bereich als einen "heiligen" abzuschirmen. So entstand ein Ersatzsystem mit vergleichbaren Verhaltensweisen gegen außen hin. Trotz der prinzipiellen Überzeugung, dass der Ritus durch Christus überholt worden sei, hat man dafür auch auf die Bibel des "Alten Bundes" zurückgegriffen, und zwar nicht nur auf Einzelelemente, denn das aaronidische Priestertum wurde in der Alten Kirche bewusst als Modell für Struktur und Selbstverständnis des kirchlichen Klerus verwertet. Das ist um so auffälliger, als in der gleichzeitigen "Synagoge" und im rabbinisch geprägten Judentum insgesamt die Bedeutung der (nach wie vor genealogisch definierten) Priesterschaft auf einige Ehrenfunktionen beschränkt und die maßgeblichen Kompetenzen ganz und gar auf die rabbinische Gelehrtenschicht übertragen wurden. Rituelle und sakramentale Gesichtspunkte haben in der Folge in den Kirchen mehr und mehr auch das Verhältnis zu den "Ungläubigen" bestimmt. Die Anwendung der Kategorien "heilig/rein" und "unrein" hat mit zunehmender Dämonisierung der Ungläubigen und Dissidenten unter anderem auch für das Verhältnis zum Judentum verheerende Folgen nach sich gezogen.' 60 Galt die Taufe für die Christen ähnlich wie die Proselytentaufe für die Juden als ein Akt der Reinigung im Übergang von der unreinen Götzendienst-Sphäre in den Bereich des wahren 1ss Faßbeck. Tempel. 15~ 111u
Cheung. Idol Food. Siehe dazu die immer noch lesenswerten Feststellungen von Maurer. Kirrhe.
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Gottesdienstes, so sahen die Juden in der voll entfalteten Konfrontation mit dem Christentum im Taufwasser ein "Wasser der Unreinheit". Die jüdische Apologetik und Polemik konterte also auf derselben rituell-sakramentalen Ebene und sah im Christentum noch lange eine Art von Götzendienst mit entsprechend "verunreinigenden" Implikationen, gegenüber dem es für das Bekenntnis des Einen Gottes einzustehen gilt, und zwar selbst um den Preis des Martyriums.
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HEINZ-JOSEF FABRY
Qumran und die Essener Vom Beginn frühjüdischer Gruppenbildung bis zur Vielfalt der "Häresien" Es scheint ein Phänomen großer Religionen zu sein, dass sich in ihnen - besonders in den Phasen ihrer Entstehung - lebendige Dynamiken abzeichnen, die auf gewaltige kulturelle Reibungsvorgänge hindeuten. Solche gruppendynamischen Vorgänge sind uns bestens aus den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche bekannt, als gerade die Fragen der Christologie zu langwierigen Auseinandersetzungen führten, die innerkirchlich nicht beigelegt werden konnten, vielmehr durch staatliche Eingriffe durchgesetzt werden mussten, was wiederum die Separation vieler Teilkirchen, vor allem aber der Orthodoxie, zur Folge hatte. Solche Auseinandersetzungen scheinen immer nach einem bestimmten Grundmuster zu verlaufen, an dessen Ende die Durchsetzung einer starken Gruppe steht, die ihre Lehre/Ansicht durchsetzt und keinen Kompromiss zulässt, da die Wahrheit in theologischen und religiösen Fragen offensichtlich nicht mittels Kompromissen zu erzielen ist. Das Missliche an diesem Grundmuster scheint mir jedoch zu sein, dass die in diesen Auseinandersetzungen obsiegende Gruppe sich nicht notwendig deswegen durchsetzt, weil sie die besseren Argumente habe oder der Wahrheit näher stehe - wie immer man solches messen mag -, sondern dass es meistens externe Kräfte sind, die die Dominanz einer Gruppe bewirken. Das wiederum setzt die theologische Botschaft dieser jeweiligen Gruppe grundsätzlich dem Verdacht aus, in die Nähe der Häresie zu geraten oder sogar eine zu sein. Damit ist bereits der altgriechische Begriff der atQEOL<; offen für die heute gebräuchliche semantische Valenz. Von Hause aus meint dieser Begriff "Lehre", dann auch "Schule", seit Polybius die "Philosophenschule", die sich durch die Autorität des Lehrers, seine autoritative Lehre und durch ihren privaten Charakter nach außen abgrenzt. Philo kennt die Philosophenschule der "Therapeuten"; Josephus wendet diese Bezeichnung auf die Sadduzäer, Pharisäer und Essener 1 an. Diese Bezeichnung ist vorerst frei von jeder Wertung, ist aber offensichtlich offen für die Annahme einer negativen Konnotation, wenn bereits in I Kor 11, 19 der Begriff deutlich mit Spaltungstendenzen in der Gemeinde von Korinth verbunden wird. Der Begriff wird dann vollends zur Bezeichnung von häretischen Sekten bei Justin, Irenäus und Origenes 2 1 2
Josephus. Bell. 2.118. Vgl. Origines, C. Cels. 5.54,9.
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und zum Äquivalent des rabbinischen mfn, das zuerst neutral, dann aber ab Mitte des 2. Jh. n. Chr. sensu malo zur Bezeichnung einer ,,Sekte" verwendet wird. Die von Josephus genannte Einteilung des Judentums in die tQEtc; atQEouc; galt bis vor wenigen Jahrzehnten als die authentische Sicht der Hauptströmungen des Frühjudentums. Erst die Entdeckung der Schriftrollen von Qumran hat recht bald zu der Erkenntnis geführt, dass das Judentum in der damaligen Zeit weit stärker zersplittert gewesen sein muss. Es soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass dieses Phänomen keineswegs nur Randgruppen abseits des Mainstreams betrifft, dass es vielmehr hinein reicht in die für uns ganz zentralen Phänomene des Kanons und des Bibeltextes. Am Anfang steht ein kurzer Überblick über die noch erkennbaren Gruppenbildungen in alttestamentlicher Zeit (1.). Die Zeit des ausgehenden Exils und danach war besonders intensiv im Blick auf die Gruppenbildung. Schon für Josephus Flavius (2.) galt die Epoche des Hellenismus als die klassische Zeit der Gruppenbildung, in der sich ein anti-hellenistischer Widerstand über eine amorphe Zwischenphase der Chasidim in die tQEtc; atQEonc; hinein artikulierte.3 Geht man von der zwischentestamentliehen Literatur (3.) aus, dann kam es in der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. mit der Gründung der .,Gemeinde des Neuen Bundes im Lande Damaskus" und mit dem ya~ad in Qumran zu einer weiteren Formierungsphase. Die Qumranschriften (4.) vermitteln durch ihre textgeschichtliche und kanongeschichtliche Valenz ein detailliertes Bild der frühjüdischen Gruppenlandschaft
1. Gruppenbildungen in IsraeVJuda Ein Blick in die Geschichte Israels zeigt, dass diese als Ganze zusammengesetzt war aus Phasen der Bildung und Separation von Gruppen, die gefolgt werden von solchen der Verschmelzung. Ein erster großer Gruppenkonflikt in der Geschichte Israels scheint hinter der Schilderung von Exodus und Sinai-Ereignis zu stehen. Die Einwanderung der Mosesgruppe in Palästina brachte eine empfindliche Veränderung und Überlagerung der typischen Kleingruppenreligion der ansässigen Israeliten durch eine Großgruppenreligion mit sich. 4 Die Religion dieser Einwanderer war unablösbar mit dem Prozess der politischen Befreiung verbunden und begründete sich damit geschichtlich. Das Bekenntnis zu diesem einen Rettergott schuf eine kraftvolle ·' Hat man einmal den Verdacht, dass diese drei Religionsparteien wahrscheinlich nur die mit der höchsten pressure-Wirkung waren, dann weitet sich der Blick ins Uferlose; es wäre dann auch zu berücksichtigen. dass etwa die Tempelgemeinden in Elephantine, Leontopolis und Samaria im Frühjudentum noch weitgehend unerforschte Positionen einnahmen. Die jüngste Untersuchung von Jörg Frey (Temple) drückt sich sehr vorsichtig aus, wenn sie rein politische Motive für den Bau dieser Anlagen vermutet. 4 Vgl. Albertz. Religionsgeschichte I, 73ff.
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Solidarisierung dieser Gruppe nach innen, der es gelang, die im Ansatz polytheistische EI-Religion der Israeliten -entstanden wohl im Umkreis der Städte-Ellipse Penuel - Sukkot - Sichern (vgl. Gen 32f.) - zu monotheisieren. Nur eine Erkenntnis ist uns aus dieser Konstellation wichtig: die Gruppen konkurrierten politisch, argumentierten aber theologisch. In der weiteren Geschichte Israels zeigte sich eine Vielzahl von Gruppen, die - beginnend als Berufsgruppen oder Gruppen von Funktionären - allmählich zu wichtigen Fraktionen im alttestamentlichen Israel und im späteren Frühjudentum heranwuchsen. a) Die Priesterschaft stellte von Anfang an neben den Beamten der königlichen Institutionen die größte Gruppe innerhalb des israelitischen Staatsverbandes dar. Ohne Zweifel war sie nicht homogen, wie einerseits schon die Nomenklatur, andererseits die Berufung auf unterschiedliche Ahnherren (Aaron, Ebjatar, Zadok) und ihre mühsame genealogische Verknüpfung anklingen lassen. Die Haupttätigkeitsfelder des Altardienstes und der Lehrfunktion (Gesetzesverkündigung) haben innerhalb der Priesterschaft zu Spezialisierungen und Parteiungen geführt, was erklären könnte, warum sich spätestens im nachexilischen Juda die Gruppe der Schriftgelehrten herausbildete. Ob die nachexilischen Priesterklassen - benannt nach ihren Eponymen (Esr 2,36-39; Neh 7 ,39-42) - eine gruppenbildende Wirkung hatten, ist nicht näher ersichtlich. Das Amt des Hohenpriesters ist erblich. In nachexilischer Zeit wird es mehr und mehr politisiert. Ab 152 v. Chr. geht das Amt an die Priesterfamilie der Hasmonäer aus Modein, die es erst mit Antigonus (4{}-37 v. Chr.), dem letzten Hasmonäer, wieder verliert. Danach gerät das Amt in die Wirren der Herodeszeit. b) Subjekte beständiger Rivalität waren die Leviten5, die als Laien mit dem Tempeldienst beauftragt waren, aber keinerlei priesterliche Funktionen ausüben durften. Obwohl Lea-Söhne, gaben sie doch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen auf (Ex 32,25-29). Diese Bindungslosigkeit6 prädestinierte sie für den Priesterdienst (Dtn 33,8-11 ), den sie wahrscheinlich auch an Landheiligtümern ausgeübt haben 7, am Jerusalemer Heiligtum wurden sie jedoch nachhaltig marginalisiert. Aus der Priester-Theologie des Ezechiel ist ein eindeutiger Funktionseinbruch der Leviten erkennbar, und die Betroffenen konnten in den Spätwerken des AT (Chronistisches Geschichtswerk = ChruW) nur noch ihre Postulate artikulieren. Wie weit Leviten in spätalttestamentlicher und hellenistischer Zeit hinter den dort beobachtbaren Gruppenbildungen standen, lässt sich kaum noch klären. Auch hinter Ps I 06 könnte ein Abgleich der Ansprüche des zadokidischen Priestertums mit den Postulaten der Leviten stehen. "Dass ein solcher Konflikt im Psalm wieder-
~ Vgl. Dahmen, Leviten, bes. 398-408. " Wemer, Levi, bes. 624. 7 Kellerrnann, lewi, 510.
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gegeben wird, lässt schließen, dass handfeste Interessen entsprechender Lobby-Gruppen dahinter standen"s. c) "Der Untergang des judäischen Staates beendete den Zustand einer fraglos vorhandenen nationalen Identität. ... Die Exilierten lebten als ethnische Minorität, auf einige Orte verteilt, in einer fremden Mehrheitsgesellschaft; die Daheimgebliebenen bildeten zwar in einigen Gebieten noch die Mehrheit, sahen sich aber zunehmend dem Druck fremder Einwanderer ... ausgesetzt . . . . Insbesondere die Gola beschritt den Weg einer Identitätssicherung durch Einführung rituell-religiöser Bekenntniszeichen .... Damit erhielt Israel mit der Exilszeit erstmals Züge einer religiös konstituierten Gruppe".9 Ethnische (bet 'iibot) und religiöse (Sabbatbeobachtung, Beschneidung) Elemente konstituierten diese Gruppe. Unzweifelhaft kam es bald zu Gruppenkonflikten, die zu tiefgreifenden Partitionen führten, ohne dass wir diese jetzt noch als beständige Einzelgruppen ausmachen können. Shemarjahu Talmon 10 spricht von einer Bifurkation im Judentum durch rivalisierende Priestergruppen, die diese Entwicklung im Gesamtvolk verursacht haben. Eine der bedeutendsten Gruppen in dieser Zeit bildete der 'am hii'iirce~. Er begegnet uns zum ersten Mal, als er als pressure-group Joschija gegen Manasses Sohn Amon ins Königtum verhalf (2 Kön 21,23f. ). "Es handelt sich dabei um eine aktiv werdende Mittelschicht der grundbesitzenden Bauern Judas, die sich in Nachfolge der Versammlung der wehrfähigen Männer der vorstaatlichen und frühen Königszeit mit dem Königshaus gegen die destruktive Oberschicht der Hauptstadt verbündete"''· Noch in vorexilischer Zeit schien der 'am unter dem Druck der Verhältnisse unter Jojakim in zwei Lager zerfallen zu sein, in einen mit den Armen solidarischen Teil und in einen unsolidarischen Teil (von Jeremia r~'sa 'im genannt). "Weil die religiös normierte Gesetzgebung des Bundesbuches und des Deuteronomium nicht gesamtgesellschaftlich durchgesetzt werden konnte, wurde sie zu einem Kampfmittel in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und verfestigte die soziale Spaltung. Diese hier erstmals gegen Ende der vorexilischen Zeit auftretende Aufspaltung der Oberschicht wird dann in der nachexilischen Epoche zu einer bestimmenden Erscheinung der frühjüdischen Gesellschaft werden" 12 • Und in der Tat: "Die soziale Krise spaltete ... die judäische Oberschicht in zwei Lager, eines, das sie clever und unsentimental zum eigenen Vorteil nutzte und sich um den gesellschaftlichen Schaden wenig kümmerte, und eines, das die Solidarität zu den verarmenden Brüdern wahrte und ihr unter erheblichen finanziellen Opfern zu wehren versuchte. An der Frage des sozialen Engagements verlief also die Scheidelinie"' J. Von jetzt an stehen die s Ballhom. Telos. 133. Q A1benz, Folgen, bes. 130. 10 Vgl. Talmon, Dead Sea Scrolls. 13: .,the period of the Return from the Baby1onian Exile ... At that time a bifurcation in the Jewish body po1itics appears to have set in". 11 A1benz. Religionsgeschichte I, 313. 11 A1benz. Religionsge.5chichte I, 365. 1' A1bertz. Religionsgeschichte II, 543.
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Begriffe "Gerechte" und "Frevler" für diese Parteiungen, ein semantisches Spezifikum, das sich auch in vielen Psalmen vorfindet. Gerade die solidarische Aristokratengruppe versuchte in der Folgezeit, ihre Ansicht erzieherisch durchzusetzen (Frevler-Fromme-Sprüche; Ausbau der Weisheitstraditionen, Dichtung von Lehrpsalmen), stieß aber immer wieder auf die schroffe Unsolidarität der anderen. "Das ganze Hiobbuch läßt sich als ein großer seelsorgerlicher Entwurf ansehen, mit diesen schwierigen gruppeninternen Problemen fertigzuwerden"t4. d) Als Gegenreaktion auf die Asozialität der Oberschicht traten die Propheten auf, um die sich dann prophetische Konventikel gruppierten. Eine solche Konventikelbildung könnte z.B. hinter dem Buch Maleachi stehen. Auch Jes 56,9-57,21 ist ein Beispiel dafür, wie Unterschichtszirkel sich der prophetischen Tradition bemächtigten und sie zum Zwecke ihrer Auseinandersetzung mit der Oberschicht und der eigenen Heilsvergewisserung fortschrieben.ts Solche Gruppen applizierten auf sich Begriffe wie "sein Volk" oder "heiliger Rest" als bezeichnende Identifikationen. In einer gewissen Extremsituation befand sich offensichtlich die Gruppe, die hinter Jes 29,17-24 sichtbar wird. Hier ist der Schritt zur Eschatologie vollzogen, insofern die Angehörigen dieser Gruppe ( 'tebeyfme 'iidiim) keine Hilfe mehr von Menschen erwarteten, sondern ihre Hoffnung einzig auf Gott in der Zukunft richteten. "Wir sehen, wie sich hier aus der sozialen Krise heraus eine spezielle Armenfrömmigkeit entwickelte, die über das frühe Judentum bis in das Neue Testament hinein zu einem wichtigen Strang der Jahwereligion werden sollte" 16. Man kann wohl annehmen, dass solche Gruppierungen eigene Gottesdienste abseits des Tempelkults in Häusern oder Synagogen gefeiert haben (Ps 10, 1-15), in denen spezifische Formen der gottesdienstlichen Heilsversicherung ihren Platz hatten (Ps 12,6). Die Bezeichnung "arm" erhielt einen religiösen Unterton als Kompensation eines sozialen Defizites. Weil sie nur noch von Gott Rettung erwarteten, waren sie die "Frommen" ( 'temunim, ~addiqim, ~asfdim). Ob diese Armenfrömmigkeit nun auch gruppentechnisch geradewegs nach Qumran führte, ist kaum anzunehmen. Eher diente die Armenfrömmigkeit immer wieder einzelnen Gruppen, ihren Widerstand zu artikulieren. e) Die nach hehr. 'tebyon "arm, bedürftig" 17 benannte judenchristliche Bewegung der EbionitenlR entstand wohl in Transjordanien und hat sich im 2. Jh. n. Chr. aus der urchristlichen Kirche verselbständigt. Ihr Dualismus und Adoptianismus, ihre Leugnung der Heilsbedeutung Jesu Christi und ihr Festhalten am mosaischen Gesetz ließen sie allmählich in die Heterodoxie ab-
14
~~ ln 17
1x
Albertz, ReliKionsgeschichte II, Albertz, Religionsgeschichte II, Albertz, Religionsgeschichte II, Die Ebioniten sind nicht, wie Stammvater Ebion benannt. Dazu vgl. Giesen, Ebioniten.
549. 551. 555. Tertullian und Epiphanius irrtümlich meinten, nach einem
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driften. Interessant sind ihre in vielfacher Hinsicht mit der Gemeinde von Qumran vergleichbaren Elemente: Annut, Gütergemeinschaft, Reinigungsrituale, GemeinschaftsmahL Zu fragen ist jedoch, wie sehr und wie weit die Idee dieser Gruppe in frühjüdische und alttestamentliche Zeit zurückreicht Zu denken ist in jedem Fall an die gewaltige VerarmungsweBe z.Zt. des Nehemia, die einen sozialen Abstieg der Kleinbauern mit sich brachte. Möglicherweise ist die Zufügung des Begriffes 'obed ,,Zugrundegehender" (Hiob 4,11; 29,13; 31,19) zur Armen-Terminologie ein Relikt der deutlichen Verschlechterung der sozialen Lage in jener Zeit. 19 Unsicher bleibt, ob diese Armen wirklich eine ,,Partei" gebildet haben, der Begriff "arm" also einen semantischen Umschlag erfahren hat.2o f) Die Korachiren sind ein levitisches Geschlecht und begegnen vornehmlich in späten Texten (P und ChrGW). Die ältesten Belege (Ex 6,1fr25) nennen den Stammvater Korach Nachfahre des Levisohnes Kahat (vgl. die QumranTradition!). Die Korachiten haben als Sängergilde (2 Chr 20) am Tempel ihre Positionsprobleme gehabt, wie der späte Versuch in Num 16f. zeigt, sie mit der Rotte Korach in der Mosezeit zu identifizieren und zu perhorreszieren. Möglicherweise haben die Korachiten zeitweise versucht, das Priestertum an sich zu ziehen. Die Korachpsalmen (Ps 42-49; 84f.; 87f.) stehen im Zusammenhang des elohistischen Psalters respektive seines Anhanges und bilden wohl ein ehemals selbständiges Liederbuch, dessen Thematik vom Interesse an Zion und der dort verheißenen JHWH-Präsenz beherrscht wird. Sie greifen mythische und traditionelle Motive auf (Gottesberg, Chaoskampf), was vielfach dazu geführt hat, sie für sehr alt zu halten. 21 Andererseits sind aber eschatologische Anklänge in den Texten eher geeignet, sie relativ spät anzusetzen.22 Von der Gruppe der Korachiten wissen wir nur ganz wenig, aber das Wenige genügt bereits, sie in vagen Konturen wahrzunehmen. g) Die Asafiten sind als Sängergilde bekannt aus den Psalmenüberschriften Ps 50 und Ps 73-83 23 sowie aus den Heimkehrerlisten Esr 2 = Neh 7. Nach der jüngeren Liste Neh II ,3-19 wurden sie zu den Leviten24 gerechnet, nach I Chr 25,1-3 galten sie als prophetisch begabt (vgl. 2 Chr 29,30), weswegen sie gelegentlich als Nachfahren vorexilischer Kultpropheten verstanden wer111
2o
2l 22 B 24
Albertz, Religionsgeschichte 1/, 540. Zur Diskussion der Stellen und der •.Armen-Psalmen" vgl. Albertz, Religionsgeschichte II, 570. Zu den älteren Versuchen von H. Graetz bis A. Rahlfs vgl. die Arbeiten von H. Birkeland, A. Kuschke u.a., bes. jedoch Lohfink. Anawim-Panei. Z.B. Kraus. Psalmen, 473: vorexilisch; Lutz. Jahwe. 213: "nicht allzu lange nach Jesaja"; Stolz. Strukturen, 221 f.: jebusitische Ursprunge. Wanke. Korach. Hossfeld. Das Prophetische, bes. 243; Zenger. Ps 82. bes. 280. Vgl. Zenger, Ps 82, 280: "Ich denke an eine Ievitische .Dienstgruppe', deren Aufgabenbereich im Laufe der Geschichte zwar Modifikationen erfahren haben mag. sich im ganzen aber weithin durchgehalten hat".
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den. Gegenwärtig erfreuen sich die Asafpsalmen großer Aufmerksamkeit bei den Exegeten, da sich in ihnen möglicherweise eine nordisraelitische deuteronomisch-levitische Tradition zu spiegeln scheint, die eine deutliche Nähe zur Prophetie und Weisheit erkennen lässt.25 Die Rivalitäten mit den Korachiten sowie mit den Sängerfamilien Heman, Jedutun und Etan machen deutlich, dass wir es mit einer wirklichen Gruppe zu tun haben, die in der gegenwärtigen Psalmenforschung mehr und mehr als Trägerio eines eigenen Gedankengutes wahrgenommen wird. h) Die Schafaniden stellten eine der wichtigsten Familien in der Joschija-Zeit und im Exil (2 Kön 22) dar. Aus ihr stammte Gedalja, der von den BabyIoniern als Statthalter Jerusalems eingesetzt, bald darauf aber ermordet wurde (2 Kön 25,22-26). Mit Schafan26 verbindet man das Zentrum der joschijanischen Restaurationsbewegung, denn er spielte die im Tempel gefundene Urkunde Joschija (622 v. Chr.) zu und löste dadurch die neue Verpflichtung Judas auf die Tora aus (2 Kön 22,14). Wenig später begegnet die Familie als Protektor des Propheten Jeremia. Diese Gruppe scheint auch hinter einer deuteronomistisch gefärbten Redaktion des Jeremia-Buches in Jer 26; 35 und 40 zu stehen. Möglicherweise handelte es sich um eine patrizische Oberschicht (siirim), die offensichtlich erhebliche Privilegien im Tempelbereich, zum Teil sogar Prärogative gegenüber der Priesterschaft, genoss. Im Exil war sie vielleicht eine der Trägergruppen der "deuteronomistischen Bewegung"27. In nachexilischer Zeit scheint mit dem Bau des Zweiten Tempels die Priesterschaft ihre Vorrechte zurückgewonnen zu haben. 28 Von der Grundidee her könnte diese Gruppe mit der nächst zu besprechenden Gruppe zusammen gehören. i) Die Trägergruppe der Tempelrolle ist weitestgehend unbekannt, zumal nicht einmal eine einigermaßen sichere Datierung der Rolle zu gelingen scheint. Der Verfasser der Rolle erhebt einen massiven Autoritätsanspruch, da der Text in der "Ich-Rede" Gottes die ,,Er-Rede" des Pentateuch an Unmittelbarkeit übertrifft. Die Rolle mit göttlichem Offenbarungsanspruch in deutlicher Opposition zur Tora des Pentateuchs muss aus dem Milieu des kultischen Zentrums stammen, ist also in priesterlich-levitischen Kreisen zu suchen. Angehörige dieser Kreise hatten wohl bereits in weit vorqumranischer Zeit den Tempelkult betreffende halakhische Materialien gesammelt, die aus den Diskussionen der exilisch-nachexilischen Priesterschaft Jerusalems hervorgegangen waren; ihr Kalender rückt sie in die Nähe der Henochund Jubiläen-Tradition. Nach Stegemann hat die voressenische Tempelrolle ~~
2t~ 27
2!1
Buss, Psa/ms; Wanke, Asaph. Lohfink. Schafan. Zur Problematik dieser Be1.eichnung vgl. Lohfink, Deuteronornistische Bewegung. Lohfink denkt eher an eine nationale und kultische ..Restaurationsbewegung der Joschijv.eit" und für die Exilszeit an eine ..exilische Umkehrbewegung". Zur Diskussion vgl. Stipp. Jeremia.
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(um 400 v. Chr. verfasst) den nach dem Exil wieder aufgenommenen Tempelkult gesetzlich regeln wollen, da die Bestimmungen der Tora (Zeltheiligtum in der Wüste) nicht ausreichten. 29 Diese Frühdatierung ist aber auszuschließen, da bestimmte architektonische Merkmale der Beschreibung des Heiligtums erst ab dem 3. Jh. in Palästina belegt sind.3° Das in der Tempelrolle rezipierte Königsgesetz diente mehrfach zur Begründung einer Datierung der Tempelrolle in die Zeit des Johannes Hyrkan I. (135-104 v. Chr.) und ihrer Herleitung aus essenischen Quellen. 31 Schiffman dagegen denkt an eine sadduzäische Gruppe zur Zeit der Hasmonäer (kurz vor 100 v. Chr.), da die Tempelrolle deutlich eine Personalunion von König und Hohepriester ablehne und für eine Trennung beider Ämter plädiere.3 2 Gegenwärtig entwickelt sich ein Konsens zu einer Datierung in die frühessenische Zeit des 3. Jh. v. Chr.; man wird jedoch Maier Recht geben können, der an eine z.Zt. des Seleukiden Antiochus III. einsetzende und von Zarlokiden initiierte tempeltheologische Renaissance denkt. 33
Fazit: War also das biblische Volk Israel-Juda in sich bereits keineswegs homogen, sondern in auffällig viele Gruppe zerteilt, so scheinen doch zumindest ihre Ausrichtungen auf das Glaubensgut Israels mehr oder weniger gleich gewesen zu sein. Als wesentliche und auf Dauer wirksame Differenzen sind sichtbar geworden: - die sozial bedingten Gruppierungen arm und reich, ethisiert zu gerecht und ungerecht; - die ebenfalls sozial bedingte Differenzierung zwischen Leviten und Priestern sowie den diversen Priestergruppen untereinander; - die Herausbildung einer Jerusalemer Aristokratie mit ihren Prärogativen gegenüber der Priesterschaft; - die Differenzierung zwischen tora-orientierten und eher prophetisch orientierten Gruppierungen; - die Differenzierung zwischen den Angehörigen der eher liberalen und synkretistischen Volksreligion und den Vertretern der offiziellen Religion mit ihrem exklusiven Monotheismus.
2. Der Hellenismus und die jüdische Krise unter Antiochus IV. (175-164 v. Chr.) Die zuletzt genannte Differenzierung zwischen der offiziellen Staatsreligion und der gelebten Volksreligion war so fundamental, dass alle anderen Gruppierungen im Volk sich an ihr und ihre Stellung zu ihr definieren mussten. ~<~
Stegemann, Essener. 137. w Broschi, Visionary Architecture. 11 Yadin, Temple Scro/1, bes. /, 33-39; vgl. Wise, Critical Study. bes. 155ff. ·1 ~ Schiffman, Temple Scro/1, bes. 349. H Maier, Zwischen den Testamenten, 148.
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Auf einen Nenner gebracht stehen sich hier die offizielle monotheistische Religion Israel-Judas und die integrierende Monolatrie des einfachen Volkes gegenüber. Es hat den Anschein, dass diese Konstellation unter dem Inkulturationsdruck des Hellenismus genau umkippte, als gerade die Angehörigen der verschiedenen Oberschichtgruppen und der Jerusalemer Priesterschaft sich diesem Kulturdruck, dem Geist der Modeme, öffneten, während das gläubige Volk eher in seiner konservativen Grundhaltung verblieb. a) Die historischen Ereignisse sind im Wesentlichen unbestritten: Nach dem Tod Alexanders des Großen benötigten die Seleukiden ein volles Jahrhundert zur Konsolidierung ihrer Herrschaft im nördlichen Teil des ehemaligen Großreiches. Die palästinische Landbrücke zum Ptolemäerreich blieb im Wesentlichen von beiden Seiten unbehelligt. Über Auseinandersetzungen mit dem Hellenismus in der Provinz Jehud des 3. Jh. v. Chr. wird nicht berichtet. Durch Zahlungen der Steuern an den Seleukidenhof erkauften sich die Juden politischen Respekt und kultische Autonomie. Als die Römer nach der Schlacht bei Magnesia gewaltige Tributlasten von Antiochus 111. (223-187 v. Chr.) einforderten, sah dieser sich gezwungen, die Belastungen den Satrapien abzupressen und vor allem die Schätze der vorderorientalischen Tempel zu konfiszieren. Dieser wurde dabei zwar ermordet, aber sein Sohn Seleukus IV. (187-175 v. Chr.) hielt an dieser Politik der Refundierung fest und beauftragte seinen Kanzler Heliodor mit der Konfiszierung des Jerusalemer Tempelschatzes, was zu einem Aufstand gegen die seleukidische Politik führte (2 Makk 3, 1-40). Heliodor ermordete Seleukus, dessen Sohn Antiochus als Geisel in Rom weilte und sich dort in der schöngeistigen hellenistischen Philosophie ausbilden ließ. Er erreichte in Rom seine Ersetzung durch den Kronprinzen Demetrius und eilte nach Antiochia. um den Thron seines Vaters vor Heliodor zu retten. Antiochus IV. ( 175-164 v. Chr.) plante trotz seiner Ankündigung, die Politik seines Vaters fortsetzen zu wollen, eine Eroberung des ptolemäischen Ägyptens, wozu er enorme Geldmittel benötigte und deshalb die Steuern erhöhte. War damit die Leidensschwelle bei den Judäem erreicht, so waren es doch andere Neuerungen, die das Judentum zentral trafen (2 Makk 4ff.): - der Anspruch. als Gott verehrt zu werden, und die Selbstverleihung des Titels ,,Epiphanes"; - die Prägung einer Münze mit seinem Konterfei und umgebendem Sternenkranz. War damit den konservativen Juden bereits der Fehdehandschuh entgegengeschleudert, so übertrafen die folgenden kultischen Maßnahmen alles bisher Dagewesene: - Vertreibung des Hohenpriesters Onias III. und Ersetzung durch Jason mittels Ämterkauf; - Errichtung eines Gymnasiums im Kidrontal; - Ersetzung des Hohenpriesters Jason durch Menelaos mittels Ämterkauf; - Ermordung des exilierten Hohenpriesters Onias III.
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Im Einzelnen ist es schwierig zu unterscheiden, welche Maßnahmen direkt auf Antiochus IV. oder auf seine diensteifrige Kreatur Menelaos zurückzuführen sind. 34 In jedem Fall tragen die folgenden Religionsgesetze eindeutig die Handschrift dieses Hohenpriesters: - Verbot der Beschneidung; - Androhung der Todesstrafe für den Besitz einer Torarolle; - Denomination des Jerusalemer Tempels auf den Zeus Olympios; - Ersetzung des alten priesterlichen Solarkalenders durch den Lunarkalender. Damit war innerhalb eines halben Jahrzehntes in Jerusalem ein solch tiefgreifender Hellenisierungs-Oktroi durchgesetzt worden, dass ein Leben nach der Tora in diesem Lande nicht mehr möglich war.
b) Während der extremen Zuspitzung der Lage unter Antiochus IV. Epiphanes sahen die religiösen Traditionalisten aufgrund des massiven Inkulturationsdruckes keine andere Möglichkeit als die Emigration. Die traditionell gesinnten Juden rückten zusammen und bildeten die vorerst eher amorphe Gruppe der Chnsidim (Hasidäer, 'Amöaim), die sich aber primär auch nur einig war in der Ablehnung des Hellenismus in der von Antiochus IV. und Menelaos aufoktroyierten Form. Wahrscheinlich aber war man sich bereits in der praktischen Art und Weise dieser Gegnerschaft uneins, denn angesichts der Ereignisse in Jerusalem zerfiel die Großgruppe der Chasidim in drei Einzelströmungen, die bei weitgehend gemeinsamer Grundüberzeugung zu durchaus unterschiedlichen Verhaltensregeln durchfanden: die Sadduzäer (die priesterliche Oberschicht von Jerusalem), die Pharisäer (gesetzestreue Laien) und die Essener (im Wesentlichen eine Laienbewegung), von denen Flavius Josephus berichtet.J5 Damit stoßen wir zum ersten Mal auf eine deutliche Gruppendifferenzierung, die im Sinne unserer Fragestellung noch genauer zu betrachten sein wird. Waren bisher die in alttestamentlicher Zeit erkennbaren Gruppierungen in Israel weitgehend beruflich und funktional bedingt und gab es daneben auch immer mehr lokale Gruppierungen, die bis zum Verdikt des Schismas in Spannung zum zeitgenössischen Judentum standen (Samaritaner; die jüdisch-aramäische Militärkolonie von Elephantine; später auch die Gruppe von Leontopolis), so setzt nun als Reaktion auf den Inkulturationsdruck des Hellenismus im palästinischen Judentum eine Zergliederung des jüdischen Volkes ein, die zeitweise für den Bestand des Volkes lebensbedrohlich werden sollte. Es muss damals zur Gründung vieler chasidischer Exklaven in den Wüsten außerhalb der judäischen Städte und ·14
'~
Dazu vgl. die detailreiche Studie von Keel, Maßnahmen. Die Notiz über die Aufteilung des Frühjudentums in die tQEt~ ulptou:; ist offensichtlich zeitlos. da Josephus sie zweimal verwendet: In Ant. 13,171-17 3 nennt er die drei Religionspaneien im Zusammenhang mit dem makkabäischen Hohenpriester Jonathan. in Bell. 2,119ff. nennt er diese Trias im Zusammenhang mit der Gründung einer ULQEm:; (der Zeloten) durch den Galiläer Judas (6 n. Chr.; Apg 5,37). In Bell. 1,110-112 nennt er die Pharisäer erst unter Salome Alexandra (7~7 v. Chr.). die Saddu1..äer und Essener erst nach der Umwandlung Judäas in eine römische Provinz (6 n. Chr.).
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sogar außerhalb Palästinas (z.B. Damaskus) gekommen sein. Erst ein gutes Jahrzehnt später erreichte der Makkabäische Aufstand eine vorübergehende Restitution des status quo ante, was bei den Chasidim die sichere Erwartung göttlichen Eingreifens in die Geschichte bleibend motiviert hat. c) Die Neueinweihung des Jerusalemer Tempels nach dem Makkabäischen Aufstand im Jahr 164 v. Chr., dem sich auch die Chasidim angeschlossen hatten ( 1 Makk 2,42), hätte für die Chasidim normalerweise das Ende der hellenistischen Wirren und des selbstgewählten Exils bedeuten können. Aber unter dem Hasmonäer Jonathan vollzog sich erneut ein Regress in den Hellenismus unter Ableugnung aller traditionellen Werte, nun aber in einer solch massiven Weise, dass sich die Chasidim in ihrer Lebensweise des selbstgewählten Exils bestätigt sehen mussten und sogar eine aktive Solidarisierung36 untereinander in Gang setzten. Die Berichte von Plinius und Josephus Flavius stimmen darin überein, dass oberstes Kennzeichen dieser ,,Religionsparteien" die strikte Observanz der Tora ist. Man wird sie also auch als Trägergruppen der Tora(Pentateuch)-Tradition ansehen können, wobei allerdings vorerst unklar ist, ob die Identifikation Tora = Pentateuch ungefragt übernommen werden kann. Die sog. ,,reworked-Pentateuch-Texte" zeigen, dass man in dieser Zeit noch intensiv mit (und an?) dem Pentateuch gearbeitet hat. Exkurs: Interne Gründe für die Bildung von Gruppierungen im Frühjudentum Versteht man die Ereignisse in der Regierungszeit des Antiochus IV. als äußere Gründe für die Generierung einer anti-hellenistischen Bewegung. die in der Gruppe der Chasidim konkret Gestalt annahm, in der eine weitere Ausformung von Untergruppen vielleicht vom Grad der Rigorosität der Gegnerschaft abhing, dann müssen für die Konturierung der einzelnen Gruppierungen doch weitere interne Gründe namhaft gemacht werden können: Die sog. deuteronomistische Sicht der Geschichte prägte intensiv das Denken: Heil und Erlösung galten als ein Geschenk Gottes. der Mensch aber konnte sich dieses Geschenkes durch Toraobservanz versichern. So verlief die ganze Geschichte in einem beständigen Diskurs zwischen menschlichem Verhalten und göttlicher Heilsabsicht Der hellenistische Polytheismus in Jerusalem musste dazu fUhren, an ein von Gott gesetztes vorzeitiges Ende der Geschichte zu denken (Eschatologie); die Umsetzung dieses Denkens in eine politische Pragmatik flihrte zur Apokalyptik. Die späte Prophetie mit ihren sozialen. monarchie- und kultkritischen Forderungen fand deutliche Hochschätzung in Kreisen der Unterschicht. Die Vorstellung von einem zyklischen Ablauf der Geschichte und die Typologie dienten der gruppenspezifischen Zukunftsprogrammatik und erleichterten eine
1"
Inzwischen bildet sich unter Führung von H. Stegemann ein Konsens darin aus, dass diese Solidarisierung vom ..Lehrer der Gerechtigkeit". dem Vorgänger des Jonathan im Hohenpriesteramt in Jerusalem. betrieben wurde.
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Heinz-Josef Fabry Identifizierung von Gruppierungen mit dem auserwählten Israel-Juda (Gemeindesymbolik, Tempelsymbolik, neuer Exodus etc.). In den meisten dieser Ansichten waren die Gruppen konsensfähig; weitere Unterteilungen erfolgten weniger aus grundsätzlich dogmatisch-systematischen Differenzen, als vielmehr aus der Bewältigung aktueller Streitfragen. Auch soziale Bedingungen erleichterten und beschleunigten Gruppenbildungen in dieser Zeit: die Schichtung der Bevölkerung in Priester, Leviten. Laien; unterschiedliche Anteile an Information und Entscheidungskompetenz; unterschiedliche Haltungen zur davidischen Monarchie (Messia~rwartung); Unterschiede Stadt - Land; schließlich auch die sozialen Unterschiede zwischen Reichen und Armen. Oberschicht und UnterschichtY
d) Es ist eine vielfach diskutierte Frage, ob die Sadduzäer mit den Zarlokiden am Tempel identisch sind oder ob sie in einem irgendwie gearteten Verhältnis zu diesen stehen. Gegen eine Gleichsetzung beider Bezeichnungen wird diskutiert, ob "Sadduzäer" eine Selbst- oder Fremdbezeichnung ist. Die größte Wahrscheinlichkeit hat für sich, dass nach der Abwanderung der Oniaden, der aristokratischen Führungsschicht der Zadokiden, die in Jerusalem verbliebene Priesterschaft sich mit den Hellenisten arrangierte und zu Sadduzäern (mehr oder weniger hellenisierten Zadokiden) mutierte. Nach Ernst BammeP 8 ist die Bezeichnung ein selbst zugelegter Ehrentitel zum Aufweis ihrer genealogischen Legitimation. ,,Andererseits vermutet man in dem Namen ( 1) eine abwertende Polemik pharisäischer Kreise gegen die hasmon. Hohenpriester (Wellhausen) oder (2) einen Spottnamen für die nach der Emigration der Zarlokiden nach Leontopolis am Tempel tätige priesterliche Majorität"39 • Die Sadduzäer hatten - wenn man Hippolyt und Tertullian hört - die Tora. Nur die schriftliche Tora wurde von ihnen anerkannt. Aber es ist unentschieden, ob sie die gleiche, vielleicht sogar dieselbe Tora hatten. Sollte die Tempelrolle in zadokidisch-sadduzäischen Kreisen entstanden sein, dann war zumindest für diese Gruppe die Tora nicht mit dem Pentateuch des Moses identisch:«J Die Sadduzäer verfolgten politisch die Idee eines national-partikularen Tempelstaates mit der Tora als Verfassung. Prophetisches, erst recht eschatologisches Gedankengut, das möglicherweise .n Maier, Zwischen den Testamenten, 254: ..Obwohl wegen des raschen Bevölkerungszuwachses
die Zahl der Armen ... anschwoll, kam es nicht zu vorrangig sozial motivienen Bewegungen: die sozialen Orientierungen differienen allerdings und wirkten sich religionsgeschichtlich im Maße der Breitenwirkung der jeweiligen Gruppe aus. Blieb die sadduzäische Oberschicht eher isolien, so wirkten pharisäische Zirkel von der städtischen Mittelschicht aus auf weite Bereiche ein. Bei den radikalen. endzeitlich orientienen Gruppen wurden soziale Anliegen zwar aufgegriffen, doch nicht aus den modernen Beweggründen, die manchmal unterstellt werden". -'K Bammel, Sadduzäer. w Böhl, Sadduzäer. 4u Zu diesem Problem vgl. Fabry, Be~:riff.
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geeignet war, den status quo in Frage zu stellen, hatte in ihrem Denken keinen Platz. Sie lehnten jede Art von Prädestination ab und betonten dagegen die individuelle Willensfreiheit und Verantwortung. Da sie ihr Priestertum wie auch Qumran - mit dem himmlischen Priestertum identifizierten, kamen eine Jenseitserwartung und der Glaube an die Totenauferstehung für sie nicht in Frage. e) Auch die Gruppe der Laien hat angesichts der Wirren unter Antiochus IV. eine Spaltung vollzogen in solche, die kompromisslos lieber den Auszug in die Wüste vorzogen (Essener), und solche, die kompromissbereit in Jerusalem blieben und sich so wenig wie möglich und so weit wie nötig dem Hellenisierungsprozess anschlossen: die Pharisäer, "die Abgesonderten" oder ,,Erklärer, die etwas genau wissen". Unser Bild von dieser Gruppe ist durch Mt 23 weitgehend und bleibend pejorativ bestimmt, wird aber der Wirklichkeit nicht gerecht. Auch von den Qumranern werden sie als solche, "die die glatten Dinge suchen" (IQS 2,15), abqualifiziert. Johann Maieru glaubt nicht, dass die Pharisäer sich urplötzlich als Sezessionsbewegung aus den Chasidim heraus entwickelt haben. Vielmehr vermutet er eine ältere Wurzel in der Laiengelehrsamkeit des nachexilischen Judentums, die sich beständig distanzierte von der Priestergelehrsamkeit der Tempelaristokratie. Beachtlich ist die These, die Pharisäer könnten sich letztlich aus Levitenkreisen rekrutieren, da die "levitische Reinheit" - zu diesem Zweck auch die KonventikelBildung - eines ihrer deutlichsten Sigla sei. ,.Von den Sadduzäern unterscheiden sich die P. [Pharisäer] ... in der Frage des Verhältnisses von Vorsehung und Willensfreiheit, der Unsterblichkeit der Seele bzw. der göttlichen Retribution und der Totenauferstehung"42 . Der deutlichste Dissens bestand jedoch darin, dass die Pharisäer die Gleichwertigkeit der schriftlichen Tora und der mündlichen Überlieferung vertraten, ein Unding für die Sadduzäer!
0 Über die Entstehung der Essener aus der Chasidim-Bewegung gibt es keine verlässliche Nachricht. Josephus Flavius berichtet ausführlich über sie (Ant. 15,371-397; Bell. 2,119-161) und bewundert ihren frommen und asketischen Lebenswandel. Er kennt essenische Gemeinden über das Land verstreut, aber auch abgeschlossene Sozietäten. Philo (Prob. 75-91) beschreibt sie als ehelos und in Gütergemeinschaft lebend. Plinius d. Ä. weiß von ihnen, dass sie arn Westufer des Toten Meeres in der Nähe von En Gedi leben (Nat. Hist. 5,15,4) und identifiziert damit die Gemeinde von Qumran als essenisch, wobei er historisch durchaus einer Fehlinformation aufgesessen sein kann. Schon die unterschiedlichen Benennungen 'Eaartvo( oder 'Eaaatot lassen vermuten, dass wir es nicht mit einer einheitlichen Gruppierung zu tun
4' 4~
Maier. Zwischen den Testamenten, 269. Böhl. Pharisäer. 135.
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haben, wie auch die Auskünfte einer komplizierten Quellenlage entstammen.43 Nach dem Makkabäischen Aufstand boten die Seleukiden den Aufständischen einen Kompromiss an, zu dem die Einsetzung des Zadok.iden Alkimos zum Hohenpriester gehörte (l Makk 7,12ff.). Diese Besetzung des Hohepriesteramtes durch einen Zadokiden vermochte nach dem ,,hellenistischen Trauerspiel" des Menelaos viele traditionell gesinnte Juden zu beruhigen, was zu einer vermehrten Rückwanderung von chasidischen Familien nach Jerusalem führte; sie endete schließlich aber in einem Blutbad. Die von Hause aus selbst priesterliche Familie der Hasmonäer sah in diesem Hohenpriester einen nicht kontrollierbaren Machtfaktor, beanspruchte doch bereits Judas Makkabäus möglicherweise das Hohepriesteramt für sich. 44 160/159 v. Chr. starb Alkimos. Die Hohepriester-Liste von 2 Makk endet mit der Einsetzung des Alkimos zum Hohenpriester durch Demetrius (2 Makk 14,13), enthält aber auch die völlig rätselhafte Notiz, Alkimos sei schon einmal Hoherpriester gewesen (V. 3). Die daran anschließende Hohepriester-Liste von I Makk setzt aber erst mit dem Makkabäer Jonathan im Jahr 1531152 v. Chr. ein. Schon Flavius Josephus hatte diese Diskrepanz bemerkt und deutete seine Quellen so, dass es in dieser Zeit keinen Hohenpriester in Jerusalem gegeben habe (Ant. 20,237).
3. Von den Essenern zur "Gemeinde des Neuen Bundes im Lande Damaskus" und zum yaiJ.ad von Qumran a) Die Essener-Hypothese stützt sich auf die antiken Berichte über die Essener, vor allem auf die Naturgeschichte von Plinius (geschrieben 77 n. Chr.), und sieht in vielem bemerkenswerte Übereinstimmungen mit Angaben aus den Qumrantexten. 45 Ergo setzt sie konsequent auf eine Identität der Essener und der Gemeinschaft von Qumran. Gab es seit Beginn der Hellenisierung gewisse chasidische Exklaven in den Städten als eigene Stadtviertel ("Lager''46), so brachten die Selbstexilierungen zur Zeit des Antiochus IV. die Gründungen vieler chasidischer Exklaven in den Wüstengebieten und in Transjordanien mit sich. Mit dem Postulat, IJasidim, 'Amöatm, 'Eaaatot und 'Ea<JT}Vo( seien semantisch identische Bezeichnungen, wird die Identifikation zusätzlich gestützt. Interessanterweise tauchen diese Bezeichnungen weder in den Schriften von Qumran noch im Neuen Testament auf4 7 , es sei denn, die Bezeichnung geht zurück auf eine Namensform, wie sie noch dem Epiphanius von Salamis im 4. Jh. n. Chr. bekannt war: 'EaaTtvo( (Haer. 10,1.3), 4~
44 4~
4"
47
Vgl. Bergmeier, Essener·Berichte. Josephus, Ant. 13.434. Vgl. die Anfange dieser Hypothese bereits bei E.L. Sukenik in seinen Arbeiten zur Gemeinderegel (ab 1947). Dazu vgl. den Beitrag von J. Maier in diesem Band. Zum Problem vgl. VanderKam, Einführung, 113f.
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'Oooatm (Haer. 19,l,1f.10) oder 'OoOT)vo( (Haer. 19,5,1); letztere sind vom hebr.'ose hattorlih "Täter (des Gesetzes)" abzuleiten (lQpHab 7,11; 8,1; 12,4; vgl. lQS 1,5; 5,3f.; 8,2 u.ö.). Als Begründer der essenischen Niederlassung in Qumran gilt der ,,Lehrer der Gerechtigkeit"48 , der Jerusalem verlassen hatte oder vertrieben worden war. Eindeutig wird er in den Qumrantexten als ein hochrangiger Priester verstanden, der er wohl einmal in Jerusalem gewesen war, der aber aus den nicht enden wollenden Wirren der Hasmonäerzeit seine Folgerungen zog, Jerusalem verließ und Laien und Priester (die "Willigen") aus den chasidischen Exklaven zusammenzog, um sie zu einer "Gemeinschaft" (ya~ad) zusammenzuführen. Aus den antiken Berichten ist uns aber kein hochrangiger Priester bekannt, der solches getan haben könnte. Es muss zudem angenommen werden, dass konservative Essener und ehemalige Angehörige des Jerusalemer zadokidischen Priesteradels kaum einen dem Hohenpriester nachrangigen Priester als Führungsfigur akzeptiert hätten. Dann aber bietet sich nur der Hohepriester an, dessen Amtszeit jetzt als "Intersacerdotium" zwischen den Hohepriester-Listen der beiden Makkabäerbücher rangiert. Er ist der "Lehrer der Gerechtigkeit", der Gründer Qumrans und seiner Gemeinschaft. Die Essener-Hypothesebildete lange Zeit den Konsens in der Qurnranwissenschaft, da die Fülle der Vergleichbarkeilen geradezu erdrückend ist, z.B. Lage der Niederlassung in der Nähe von En Gedi am Toten Meer, übereinstimmende Glaubens- und Lebensweisen bis hin zur Annahme einer Auferstehung von den Toten, Ehelosigkeit, Gütergemeinschaft, Gemeinschaftsmahl und tägliche Verhaltensweisen, etwa Spucken oder die Beseitigung der Notdurft. Wenn nun aber die Fülle an Vergleichbarem so groß ist, sind die Bewohner von Qurnran nicht nur Essener, sie sind zugleich auch die Verfasser und Schreiber der gefundenen Texte. Spätestens hier setzen aber die Fragen an die Essener-Hypothese an: Nach Ausweis der Archäologie ist Qumran als Gemeinschaftssiedlung gegen Ende des 2. Jh. v. Chr. erbaut worden. Der in Aussicht genommene "Lehrer" muss zu dieser Zeit ein fast 1OOjähriger Greis gewesen sein. Wenn er aber - seine Wertschätzung in den Schriften lässt keine andere Möglichkeit zu - für die Gemeinde von Qumran eine im wahrsten Sinne des Wortes fundamentale Bedeutung hatte, dann muss es "Qumran" bereits vor Qumran gegeben haben, d.h. die Gemeinde und Niederlassung von Qumran sind ein Zeugnis für eine Bewegung, die es bereits vorher gab und die in irgendeiner Weise mit dem Lehrer verbunden war. Sollten die Qumraner Essener gewesen sein, dann müssen sie sich von solchen Essenern unterschieden und getrennt haben, die für sich eine solche Zentralisierung nicht akzeptierten. In der Tat 411
J. Maier setzt in seinem Beitrag zu diesem Band das Auftreten des ,J_.ehrers der Gerechtigkeit" schon weit früher an, nämlich gegen 178 v. Chr. (s. S. 80). Er habe beim Übergang von der ptolemäischen zur seleukidischen Herrschaft einer strengeren Priesterrichtung zum Durchbruch verholfen. eine Entwicklung. die dann wenige Jahre später unter Antiochus IV. ganz außer Kontrolle geraten sei, aber insgesamt das Priestertum so geschwächt habe, dass den Hasmonäem eine Übernahme leicht fiel. Der Vorschlag von Maier ist beachtlich. kann sich aber auf keine Quelle stützen.
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,,hat H. Stegemann (Entstehung) jedoch nachgewiesen, dass der Lehrer der Gerechtigkeit nicht als Gründer der Gemeinde auftrat, sondern als durch Jonathan vertriebener Hohepriester in eine bereits bestehende Gemeinde kam und dort den Führungsanspruch erhob"49 • Diese Erkenntnis verlängert sogar den Werdegang der Qumran-Bewegung nach rückwärts: aus den Chasidim waren bereits Essener geworden, bevor der Lehrer zu ihnen stieß und den Anspruch erhob, der in Dtn 18,18 verheißene Toraprophet zu sein. Da dieser Anspruch nicht einhellig akzeptiert wurde, führte dies zu einer Spaltung der Gemeinde, wobei sich ein Teil der Gemeinde einem "Lügenmann" anschloss.so Eine erste Gemeinde im Sinne des Lehrers war wohl die "Gemeinde des neuen Bundes im Lande Damaskus". Erst ungefähr ein halbes Jahrhundert später entstand dann die Gemeinde von Qumran. Auch die große Heterogenität in den Schriften von Qumran zeigt, dass die Gemeinde auf eine längere, von der Rezeption unterschiedlicher Traditionen geprägte Geschichte zurückblicken konnte. Aus der Großgruppe der Chasidim haben sich unter Einfluss der Apokalyptik die Essener gebildet. Die Qumranessener (Laien und zadokidische Priester) waren eine Spielart der Essener, die sich aufgrund ihrer apokalyptischen Naherwartung eigenständig machten und die Selbstexilierung noch weiter intensivierten. Wenn also die Qumraner Essener waren, dann waren sie dies nicht nur und auch nicht alle. b) Die "Groningen-Hypothese" 51 geht ebenfalls von der Lücke in der Hohepriester-Liste aus, die sich mit Hilfe der vorhandenen Quellen nicht schließen lässt. Es ist aber auch nicht mit einer siebenjährigen Sedisvakanz zu rechnen, zumal der regierende Seleukide Demetrius I. den Hohenpriester als Machtfaktor konsequent einzusetzen wusste. In dieser Zeit des "Intersacerdotiums" sieht diese Hypothese einen uns namentlich unbekannten Zadokiden pontifizieren, der durch die politischen Schachereien zwischen Demetrius und Jonathan für sich Gefahr im Verzug sah und Jerusalem verließ. Statt seiner trat Jonathan das Hohepriesteramt an und requirierte es damit für die Hasmonäer. Der Abgang des rechtmäßigen zadokidischen Hohenpriesters vollzog sich wahrscheinlich recht geräuschvoll, auch wenn die Quellen nichts darüber berichten, denn hier verortet Josephus Flavius die genannte (s.o.) Spaltung in die tQEic; aiQEOELc;. Der entsprechende Abschnitt Ant. 13,171 wirkt zwar im Kontext befremdlich, ist aber von Josephus nicht absichtslos aus Bell. 2,119 hierher transferiert worden. Der uns namentlich unbekannte entmachtete Zadokide begab sich in die chasidischen Exklaven in der Judäischen Wüste, von dort in die Exklave nach Damaskus. Er hatte wohl die Hoffnung auf eine bleibende Restauration des Jerusalemer Kultes aufgegeben, so dass die alten Emigrationsgründe nun um so deutlicher in den Vordergrund traten. Er rekrutierte aus den chasidischen Gemeinden Gefolgsleute, die "Essener". 49
Lange/Lichtenberger, Qumran. 66.
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IQ14 Fragm. 8-10; 4Ql77 IX. Garda Martinez/van der Woude, .. Groningen" Hypothesis.
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Obwohl von den Essenern keine Schriften erhalten sind, kann man sie aufgrund der Schilderungen bei den antiken Schriftstellern in die literarische Tradition der spät-alttestamentlichen Apokalyptik stellen, die in das 3. Jh. v. Chr. zurückreicht Aus dieser apokalyptischen Großbewegung haben sich schon vor Antiochus IV. die Essener abgespalten, die dann die Ermordung des Hohenpriesters Onias 111. (ca. 170 v. Chr.) als Beginn der letzten 100 Jahre5 2 vor dem eschatologischen Weltgericht ansahen (Dan 9,25f.; 2 Makk 4,30-38). Aus dieser apokalyptisch-essenischen Bewegung hat sich dann zur Zeit des Johannes Hyrkan I. die Gruppe von Qumran abgespalten. Gründe für die Abspaltung lagen primär im halakhischen Bereich: in Fragen des Kalenders, der Reinheit, des Kultdienstes. Ansonsten lebt die "Groningen-Hypothese" ganz aus den Schriftzeugnissen von Qumran, indem sie mutig dort genannte Personen und Ereignisse zum soeben geschilderten Bild der Entstehung der essenischen Bewegung komponiert. Auch hier wird der Lehrer ursächlich mit Qumran in Verbindung gebracht, eher als fortwirkender spiritus rector denn als Gründer. Der "Lügenmann" ist nun im Gegensatz zur Essener-Hypothesekeine konkrete Gestalt, sondern Chiffre für den jeweiligen Hohenpriester in Jerusalem. c) Die Existenz einer Sadduzäer-Hypothese zeigt an, dass sich offensichtlich im Denken, Handeln und in den Schriften der Qumranessener überraschend viele sadduzäische Elemente finden. L.H. Schiffman53 vermutet gerade wegen der Tempelrolle ( 11 Q 19) und des großen halakhischen Sendschreibens 4QMMT (4Q394-399) eine sadduzäische Herkunft der Gemeinde. In der Tat vertritt der Autor von 4QMMT in seiner Disputation mit dem Jerusalemer Hohenpriester sadduzäische Positionen. Muss das aber bedeuten, dass die Qumranessener Sadduzäer waren? Schon allein die gemeinsame Herkunft aus der Großgruppe der Chasidim wie der starke zadokidische Anteil der Gemeinschaft von Qumran kann sadduzäisches Gedankengut ausreichend erklären. Umgekehrt finden sich in den Qumranschriften ausreichend Lehren (z.B. Angelologie, Prädestinationslehre), die betont antisadduzäisch sind und deshalb eine Zugehörigkeit der Qumranessener zu den Sadduzäern definitiv ausschließen. d) Viel Aufmerksamkeit findet gegenwärtig54 die Enochic-Essene-Hypothesis, die davon ausgeht, dass es im Frühjudentum eine Richtung gegeben habe, die sich besonders der Tradition der Henoch-Literatur verpflichtet wuss-
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Die Rechnung begründet sich wie folgt: Nach Ez 4,5 musste Israel 390 Jahre Schuldenlast tragen. Das stimmt ungefähr mit der Zeit von der Zerstörung Jerusalems bis zur Ermordung des Onias 111. überein. Dan 9 spricht nun von den 70 Jahrwochen (= 490 Jahre), .,bis ewige Gerechtigkeit gebracht wird" (V. 24). Dieser Zeitraum muss dann ca. 70 v. Chr. enden. Schließlich geht aus Dan 9.25 und 26 (.. Nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter umgebrdcht ... ") eine ähnliche Rechnung hervor. Schiffman. New Halakhic Letter. Vgl. dazu den Vortrag von van Peursen, Qumran Origins.
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te, der •.Enochic Judaism"5 5. Die Qumrangruppe ist als eine Essenergruppe anzusehen, die sich aus diesem ,.Enochic Judaism" heraus entwickelt hat und damit mit dem Hauptessenerstrom zumindest nicht (mehr) identisch ist. Für Boccaccini ist die bislang geltende Essener-Hypothese defizitär, da sie die Qumrangemeinde bzw. -bewegung zwar allgemein als Teil der Bewegung der Essener versteht, das wirkliche Verhältnis dieser Gruppen zueinander bzw. ihre wechselseitigen Bezüge bisher jedoch nicht eindeutig klären konnte. Die Unterschiede in den antiken Darstellungen selbst und die Selbstdarstellungen in den Qumrantexten lassen eine einfache Gleichsetzung von Essenem und Qumrangruppe nicht zu. Irgendwann in nachexilischer Zeit muss es im Bereich der Zadokiden ein Schisma gegeben haben, das aus der Diskussion um die Frage nach der Herkunft des Bösen in der Welt entbrannt war. Eine nonkonformistische Priestergruppe spaltete sich ab; sie verblieb zwar auch weiterhin im Hauptstrom der zadokidischen Traditionen, aber sie legte ihr Hauptaugenmerk fortan auf die Traditionen der Ur- und Pariarchenzeit, allen voran auf die Henoch-Tradition. Ihre priesterliche Identität legitimierte sie im Rückgriff auf uralte Levi-(Kahat-, Hur-, Mirjam-)Traditionen und wahrscheinlich geht auch eine Renaissance der Melchisedek-Traditionen auf ihr Konto. Diese Traditionen waren allesamt älter als die Zadok-Tradition, beanspruchten also für sich eine höhere Legitimität. Wie sehr die Gemeinschaft von Qumran sich dieser Gruppe verbunden wusste, zeigt sich darin, dass in ihrer Bibliothek die gesamte Henoch-Literatur ("Enochic chain") archiviert war: Wächter-Buch; TestLevi (4Q213-214); Astronomisches Buch; Traumbuch. Zu diesem Traditions-Konvolut rechnet Boccaccini weiter das Jubiläenbuch, die Tempelrolle, die Proto-Epistel des Henoch, 4QMMT und die sog. "Sektenliteratur", d.h. die in der Gemeinde selbst entstandenen Schriften. Auffällig ist nun, dass diese Henoch-Rezeption ungefähr um 100 v. Chr. plötzlich abbricht, denn es fehlen der Brief des Henoch, die Testamente der Patriarchen 56 und das Gleichnisbuch des Henoch. Das ist nun kein Zufall, sondern muss auf eine Inkompatibilität von Theologie, Anthropologie, Soteriologie und Eschatologie dieser Schriften mit dem qumranischen radikalen Denken zurückgeführt werden. Hier muss es also wiederum zu einem Schisma zwischen der Traditionslinie der Henoch-Literatur und der Qumrangemeinde gekommen sein. Die Quellen sagen darüber jedoch nichts. Ohne Zweifel ergänzt diese Hypothese die "Groningen-Hypothese" in ausgezeichneter Weise, lässt dann aber auch wieder eine ganze Menge Frage offen. Sie klärt uns auf über die Rezeption alter Traditionen in Qumran, sagt uns aber nichts über Gründe, Anlässe und Umstände der beiden für die Hypothese angenommenen Schismen, erst recht nichts über die Gründung von Qumran. ~~ ~6
Boccaccini, Beyond the Essene Hypothesis. Vgl. dazu meine Besprechung (Re::.. G. Boccaccini). Gegen Boccaccini ist hier einzuwenden, dass offensichtlich doch solche Testamenten-Literatur in Qurnran archiviert war: 1Q21 (TestLevi); 3Q7 (Tesi.Juda?); 4Q215 (TestNaphtali); 4Q537 (Tesi.Jakob); 4Q538 (TestJuda); 4Q542 (TestKahat).
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e) Die "Gemeinde des Neuen Bundes im Lande Damaskus"57 scheint zu den ersten und damit ältesten essenischen Exklaven zu gehören, deren Ausbau wenn man eine freie Kombination aus Angaben von 4QpNah und CD ("Cairo-Document", Damaskusrolle) versucht - auf den "Lehrer" selbst zurückgehen könnte. Ihre Konstitution findet sich in den mittelalterlichen Handschriften des "Cairo-Documents", von dem sich in Qumran weitere 10 Exemplare (4Q266--273; 5Q12; 6Q15) befinden. Diese Regel nennt sich "die letzte Promulgation der Tora"58, versteht sich also als Grundgesetz einer apokalyptisch orientierten Gemeinde, die sich 390 Jahre nach der Zerstörung Jerusalems (vgl. Ez 4) als BuBbewegung konstitutierte, um dann nach 20 Jahren des Suchens und Tastens (CD 1,1 0) in der Gestalt des "Anweisers der Gerechtigkeit", auch "Lehrer der Gerechtigkeit" genannt, endlich die qualifizierte und autorisierte Führungspersönlichkeit zu erhalten (CD 7,18-20 mit messianischen Vorzeichen!). Es spricht nichts dagegen, diese Gestalt mit dem Hohenpriester des Intersacerdotium zu identifizieren. Dieser Lehrer erhob den Anspruch, der in Dtn 18,18 angekündigte Tora-Prophet zu sein. Dadurch vermochte er dieser Bewegung eine entscheidende Orientierung in der konservativ-zadokidischen Tora-Observanz zu vermitteln. Es ist nicht auszumachen, ob er einen dauernden Bruch mit Jerusalem anstrebte. Die geplante, dann aber doch zurückgehaltene Sendung einer Grußbotschaft an Jonathan (4Q448) und die ausführliche halakhische Disputation (4QMMT) sprechen deutlich gegen eine Absicht, ein Schisma zu erstreben. Allerdings wurde dieser Versuch des Dialogs von den Ereignissen selbst überrollt, wenn man aus 4Q171 4,7-9 und 1QpHab 11,2-8 einen Mordversuch an dem Lehrer rekonstruieren kann. Dies mag ihn dazu getrieben haben, die essenischen Kräfte zu sammeln und zu konzentrieren. Sein Ziel war die Konstituierung eines "Neuen Israel", das in der "Urzeit" gründet5 9 , mit seinen zwölf Stammvätern, seiner strikten Lebensweise im Tora-Gehorsam und gemäß prophetisch verlangter Umkehr. Die Gemeinde sollte das "Neue Jerusalem"60 mit der Gemeinde als Heiligtum in ritueller Reinheit und mit Gebeten statt Opfer sein. Und schließlich stand hinter der Konstituierung der Gemeinschaft von Damaskus - wie auch später in Qumran - ein grundlegend neuer ekklesiologischer Gesamtentwurf als konsequente Auslegung des kosmischen und ethischen Dualismus unter der Perspektive der apokalyptischen Naherwartung. Und doch war es auch Opposition gegen Jerusalem. Das Priestertum war der traditionsreichen Erblinie der Zarlokiden von Jonathan im Jahr 152 v. Chr. ein für alle Mal genommen und als politische Verhandlungsmasse den
Zur Be1.eichnung vgl. CD 6,19; 8,21; 19,34; 20,12. 4Q266(1Y) 18,V,20; 4Q270(0C) 11,11,15. w Vgl. die Vorliebe für die prädiluviale Gestalt des Noach (4Q252; 254a; 369; 370; 499; 577) und des Henoch. 1111 Vgl. dazu die aramäischen Handschriften IQ32; 2Q24; 4Q5541555; 5Q15; IIQIS und die hebräische Handschrift 4Q232. die wohl alle in die vorqumranische Zeit zurückreichen. Zu den Datierungsvorschlägen vgl. die Diskussion bei Maier. Tempel rolle, 317. 57
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Hasmonäern zugespielt worden; ergo war es illegitim und kultisch unrein. So verstand sich natürlich die Gruppe um den Lehrer als das legitime, zum Priesterdienst am Jerusalemer Heiligtum berufene Priestergeschlecht Das Gesamtkonzept des Lehrers in dieser Grundsätzlichkeil und mit Absolutheitsanspruch fand aber offensichtlich nicht ungeteilte Gefolgschaft, vielmehr muss es in der Gemeinschaft von Damaskus zu Spannungen gekommen sein, die eine Novellierung der Gemeindeordnung erforderlich machten (CD 1,12f.). Ein erster Versuch, die Gemeinde aus Syrien zurückzuführen und diesseits des Jordans anzusiedeln, gelang nur teilweise. Es kam zu einer Spaltung. CD 19,33-20,1 hat noch die Frische dieses Ereignisses eingefangen, wenn der großen Apostatengruppe ein für alle Mal die Rekonziliation verweigert wird( ... bis der Messias kommt!). Die Gemeinderegel CD in der erhaltenen Fonn (novellierte Fassung)61 entstammt dem ausgehenden 2. Jh. v. Chr. Sie hat Gemeinden im Blick, die noch nicht strikt isoliert leben, sondern auch in Städten bestehen können. Das Eherecht gestattete Heirat und Familienbildung. Die Regeln zur Gütergemeinschaft zeigten eine gewisse Flexibilität. In dieser Zeit entstanden viele der Qumrantexte, die bisher vielfach als qumranisches Eigengut betrachtet wurden, vor allem die Disziplinarordnung (4Q259[Sc] als älteste Fassung) und der Großteil der Pesher-Literatur, die das neue Konzept aus der Prophetenliteratur zusätzlich begründen und stützen sollte.
0 Die ya~ad-Bewegung Qumrans ist aus den Chasidim über die Brücke der Essener und der Damaskusgemeinde als letztes Ziel der integrativen Anstrengungen des .,Lehrers der Gerechtigkeit" zu verstehen. Für ein Gründungsdarum um 130 v. Chr. (50 Jahre nach der Ennordung des Onias III. und 50 Jahre vor dem errechneten Tennin des Weltgerichts) oder kurz vor I 00 v. Chr. (Alexander Jannai habe sie wegen seiner Dauerstreitigkeiten mit den Pharisäern als Sympathisanten gewinnen wollen und ihnen deshalb Priesterland in der Gegend von Jericho als Bauland angeboten) sprechen jeweils gute Gründe. Aus Gründen der apokalyptischen Endzeitberechnungen ist die Errichtung der Siedlung um I00 v. Chr. wahrscheinlicher, denn nach CD 20,15 galt der Tennin "vierzig Jahre nach dem Tod des Anweisers der Tora" als Endzeit-Tennin. Daraus ergibt sich ungefähr das erste Jahrzehnt des 1. Jh. v. Chr. als der Zeitraum für das erwartete Weltgericht. In einer beispiellosen Anstrengung sollte die Regel der essenischen Gemeinden noch einmal im Blick auf die sich nun dramatisch zuspitzende Naherwartung durchgesehen und rigoros novelliert werden. Neben dem Regelwerk des Damaskus-Dokumentes entstand ein umfangreiches Sammelwerk aus einer Gemeinderegel (I Q28[S ]), einer "Regel für die Versammlung Israels am Ende der Tage" (I QSa) und aus Segensworten (I QSb ). Die einzelnen Teilabschnitte stammen aus unterschiedlichen Zeiten: Den ältesten Bestandteil bilr.1
Vgl. Stegemann. Essener, 212: "Der Autor der Damaskusschrift hat um I00 v. Chr. erstmals und endgültig alles zusammengefasst, was über die biblischen Schriften hinaus für die Essener in rechtlicher Hinsicht bleibende Gültigkeit haben sollte".
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det die ursprünglich nicht-essenische Zwei-Geister-Lehre (I QS 3, 13-4,26) vom Beginn des 2. Jh. v. Chr., die als Traditionsstück mit einer jüngeren Bundesfest-Liturgie (1 QS I, 1-3, 12) als Präambel verbunden wurde (nach 150 v. Chr.). Das eigentliche Gesetzeskorpus bildet die Gemeinderegel (IQS 5,1-9,26), die z.T. schon in der Zeit vor dem Eintreffen des Lehrers formuliert war6 2 und an der - so zeigen es die späteren Rezensionen aus 4Q immer weiter gearbeitet worden ist. Die jetzigen Anhänge I QSa und I QSb stammen noch aus der Gründungsphase der essenischen Gemeinden und sind massiv eschatologisch orientiert. In der jetzigen Gesamtkomposition stellen sie die gesamte Regel noch einmal abschließend intensiv unter den Aspekt der apokalyptischen Naherwartung. Nach der Gründung Qumrans hat sich diese rigorose Regel wohl nur einige Jahrzehnte gehalten, um dann die novellierte Fassung der Damaskusschrift zugleich als umfassende Novellierung der Gemeinderegel durchzusetzen, wobei I QS in Qumran selbst möglicherweise als Lehrbuch erhalten blieb. In Qumran sollte das Exempel einer konsequent apokalyptischen und von der übrigen Welt strikt abgetrennten Gemeinschaft statuiert werden. Hier sollte die Erwählung der wenigen für das Heil bestimmten Menschen sichtbar werden. Dies wurde durch ein kompliziertes dreijähriges Aufnahmeverfahren zusätzlich abgesichert. Die Rigorosität des Gemeindelebens im Blick auf (zeitweiligen) Eheverzicht, Gütergemeinschaft, Torastudium, kultische Reinheit u. v.a. ist an anderen Stellen ausreichend abgehandelt worden. Die Leitungshierarchie zeigt eine Mischung der Gemeinde aus essenischen Laien und zadokidischen (und aaronidischen) Priestern im Verhältnis 3: I. Entsprechend treffen wir auf eine klare Tara-Observanz - typisch für Iaikaie Chasidim- und auf zadokidische Kult- (Reinheit, Kalender, Opfertheologie, Berakhot) und Rechtstraditionen (Halakhot). Aufgrund des hohen Anteiles an legitimen Zarlokiden verstand sich die Gemeinschaft auch weiterhin als das legitime - auf seinen endgültigen Einsatz - wartende Tempelpriestertum. Sie hatten den richtigen Kalender mit den richtigen Dienstplänen (4Q320-330); sie hatten die richtige Tora (4QMMT) und den verheißenen und berufenen Tora-Anweiser in ihren Reihen; sie hatten die richtige Gebetsliteratur (Psalmen in einer eigenen Sammlung: II Q5[Psa]; die Hodajot) und die richtigen Manuale und Rituale (Tempelrolle und die Sabbatopferlieder: 4Q400-407). Und doch lässt die hohe Wertschätzung der priesterlichen Traditionen von Aaron und Zadok, dann aber auch des Kahat und Hur und besonders des Melchisedek, letztere sonst nur noch an wenigen Stellen (Gen 14; Ps I 10: Hebr 7) sichtbar, erahnen, dass sich in diesem qumranischen Priestertum der Konflux einer Traditionsvielfalt niederschlägt, deren Reibungspunkte vielleicht nur noch durch textliche Feinziselierungen hindurchschimmern mögen.
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Vgl. dazu die Bemerkungen von Lange/Lichtenberger, Qumran, 57 und Fabry. Qumran. bes. 240f.
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4. Die Bibliothek von Qumran als "Brennglas" der Gruppenvielfalt Allein schon die Vielfalt der divergierenden Texttraditionen in der Bibliothek von Qumran lässt in der Retrospektive den Schluss zu, dass die schon in frühnachexilischer Zeit erkennbare Aufteilung des Judentums in eine noch weitgehend unerforschte Gruppenvielfalt in Qumran beachtet und geachtet wurde. Das Faktum, dass in dieser Bibliothek mindestens fünf unterschiedliche hebräische und zwei griechische Texttraditionen einträchtig nebeneinander in den Regalen lagen, verleiht dieser Gemeinschaft bei aller Abgrenzung nach außen einen zutiefst integrierenden Charakter. Sie hat die überkommenen Traditionen in ihrer Gesamtheit geschätzt und nicht durch Selektion ,.wichtige Akten vernichtet". Schließlich wirft die Bibliothek ein helles Licht auf die innere Vielfalt dieser Gemeinde, insofern die mehr als 200 biblischen Handschriften nicht nur aus paläographischen Gründen einen Zeitraum von nahezu vier Jahrhunderten abdecken, sondern auch die Pflege divergierender Texttraditionen bezeugen. Etwa 60% der Handschriften sind einer protomasoretischen Texttradition zuzurechnen, 5% stehen der samaritanischen Texttradition nahe; weitere 5% der Handschriften sind als protoseptuagintisch zu bezeichnen. Ein knappes Viertel der Handschriften zeigt deutliche Besonderheiten in Orthographie und Morphologie und sie werden deshalb als qumranspezifische Texte angesehen. Die in Qumran (7Q) gefundenen griechischen Handschriften bezeugen einmal die Texttradition der Septuaginta, scheinen daneben aber auch noch eine zweite griechische Texttradition zu kennen, die uns sonst unbekannt ist. Dieser Befund ist meines Erachtens bisher weder ausreichend gewürdigt noch erklärt worden. Die Gemeinschaft von Qumran musste allein schon aus ihrer endzeitliehen Perspektive heraus daran interessiert sein, alle theologisch relevanten Traditionen zu sammeln und zu kennen. Das aber ist neu im Vergleich zum bis dahin bekannten Selektionsverfahren und lässt sich verstehen als jüdischer Gegenentwurf gegen die philosophischen Schulen und Bibliotheken der damaligen hellenistischen Welt, vielleicht auch als priesterlicher Gegenentwurf gegen eine wachsende pharisäische Laiengelehrsamkeit mit ihrer Konzentration auf die Tora. Trotz seiner Abschottung nach außen hielt sich Qumran offensichtlich bereit zu einer umfassenden Disputation und Auseinandersetzung mit den geistigen Eliten der damaligen Zeit. Die Vielfalt der archivierten Texttraditionen zeigt eine ungezwungene Variationsbreite der Bibeltexte. Erst in Kanonfragen 63 zeigt die Gemeinschaft von Qumran, dass sie keine Einengungen, wie sie im zeitgenössischen Judentum durchgesetzt worden waren, zu akzeptieren bereit war. Sie hat die volle Breite64 der biblischen Schriften übernommen, daneben auch die großen
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Dazu vgl. Fabry. Qumrantexte. Die Diskussion um Esther in Qumran ist noch nicht abgeschlossen.
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Schriften des zwischentestamentliehen Judentums beachtet und sich keineswegs der Apokalyptik verschlossen. Sie hat keinerlei Setzung eines Inspirationszeitraumes anerkannt, vielmehr in ihren Reihen neue Schriften (Hodajot, Pescharim u.a.) entstehen lassen, die sehr wohl für sich in Anspruch nahmen, inspiriert zu sein. Sie hat mit den biblischen Texten weiter gearbeitet, sie z.T. neu geschrieben (Pentateuch-Paraphrasen) oder neu komponiert (Psalmenrolle). Eins hat Qurnran jedenfalls nicht mitgemacht: sich die Zwangsjacke einer allmählichen Einengung der Texttraditionen auf die protomasoretische Textlinie anziehen zu lassen. Die Gemeinde von Qurnran hat die Vielheit der Strömungen im Frühjudentum respektiert. Sie hat ihre unterschiedlichen Traditionen gesammelt. Aus der Bestandsaufnahme dieser Sammlung geht hervor, dass diese Vielheit weit umfanglicher war, als uns aus den bisherigen Quellen erkennbar war. Das möge aus der Retrospektive heraus den wissenschaftlichen Forscherdrang intensivieren, sich erneut den biblischen Texten zuzuwenden und diese auf Indizien neu durchzusehen. Der Forscher muss sich nicht durch Kanones und ihre Abgrenzungen hindem lassen. Die Gemeinde von Qurnran vermag zu zeigen, dass die Schätzung auch divergierender Traditionen der Redlichkeit im Glauben und Wissen dienen kann, eine Gemeinde zwar strapaziert, sie aber nicht zerreißt. Bibliographie Albertz, R., Die sozial- und religionsgeschichtlichen Folgen der Exilszeit, BiKi 55 (2000) 127-131. -,Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde., Göttingen 1992 (GAT 8.1-2). Ballhom, E., ,,Zum Telos des Psalters". Der Textzusammenhang des vierten und fünften Psalmenbuches, Diss. Theol. Bonn 2000. Bammel, E., Sadduzäer und Sadokiden, EThL 55 ( 1979) 107-115. Bergmeier, R., Die Essener-Berichte des Flavius Josephus. Quellenstudien zu den Essenertexten im Werk des jüdischen Historiographen, Kampen 1993. Boccaccini, G .. Beyond the Essene Hypothesis. The Parting of the Ways Between Qumran and Enochic Judaism. Grand Rapids 1998. Böhl. F., Art. Pharisäer, NBL 3 (2001) 134-136. -. Art. Sadduzäer. NBL 3 (2001) 399f. Broschi. M., Visionary Architecture and Town Planning in the Dead Sea Scrolls. in: D. Dimant/L.H. Schiffman (Hg.). Time to Prepare the Way in the Wildemess. Papers on the Qumran Scrolls by Fellows of the Institute for Advanced Studies of the Hebrew University. Jerusalem, 1989-1990, Leiden u.a. 1995 (StTDJ 16). 9-22. Buss, M.J .• The Psalms of Asaph and Korach. JBL 82 (1963) 382-392. Dahmen, U .• Leviten und Priester im Deuteronomium. Literark.ritische und redaktionsgeschichtliche Studien. Bodenheim 1996 (BBB 11 0). Fabry. H.-J., Art. Qumran, NBL 3 (2001) 230--259. -.Der Begriff ..Tora" in der Tempelrolle. RdQ 18 (1997/98) 63-72. -. Die Qumrantexte und das biblische Kanonproblem, in: S. Beyerle/G. Mayer/ H. Strauß (Hg.), Recht und Ethos im Alten Testament - Gestalt und Wirkung. FS H. Seebass. Neukirchen-Vluyn 1999, 251-271.
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Heinz-Josef Fabry
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CATHERINE HEZSER
Einheit und Vielfalt in der rabbinischen Halakhah In der Vergangenheit wurde die in den verschiedenen rabbinischen Sammelwerken überlieferte rabbinische Halakhah meist als homogene Einheit verstanden, die die Meinung aller Rabbinen jener Zeit widerspiegelte. Durch die Zusammenstellung rabbinischer Texte zu einem bestimmten Sachverhalt glaubte man feststellen zu können, welche Ansicht die Rabbinen schlechthin vertraten. Unterschiede zwischen Palästina und Babylonien, zwischen frühen und späten Traditionen und zwischen verschiedenen literarischen Gattungen wurden nicht weiter berücksichtigt. Ebenso wurden individuelle Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche mit Hinweis auf die angeblich immer vorhanden gewesene Mehrheitsmeinung für unwichtig oder nur vorläufig erachtet. Dass dieser Ansatz auch in neueren Lehrbüchern noch vertreten wird, zeigt Shmuel Safrais Beitrag zum Thema "Halakha" im dritten Band der Compendia Rerum ludaicarum ad Novum Testamentum, der 1987 erschien. Dort definiert Safrai Halakhah als "the sum total of rules and laws - derived from the Bible, from religious thought and teaching, from jurisprudence and custom - that govem all aspects of Jewish life" 1• Als solche umfasse die Halakhah sowohl die durch die Rabbinen festgelegten Regeln als auch lokale Bräuche, "the ways of life of the Jewish people" 2• Als ein das gesamte Leben regelndes System war die Halahkah, Safrai zufolge, eine organische Einheit und ermöglichte es den Rabbinen, sie auf verschiedene Lebenssituationen anzuwenden.J Der Sanhedrin und die ihm unterstehenden rabbinischen Akademien waren angeblich für konkrete Entscheidungen und Innovationen zuständig.4 Allerdings wurden zuweilen auch lokale Sitten und Gebräuche respektiert.:'\ Widersprüche und Meinungsverschiedenheiten werden von Safrai der Entstehungsphase der Halakhah, d.h. der Zeit vor ihrer endgültigen Festlegung, zugeschrieben. 6 Sobald eine halakhische Frage durch Mehrheitsentscheidung entschieden worden war, hatten die von dieser Meinung abweichenden Meinungen angeblich bloße antiquarische Bedeutung. Die einmal festgelegte Halakhah wird diesem Modell zufolge als von allen damaligen Juden akzeptiertes und befolgtes Gesetz verstanden. I
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Safrai, Halakhah, 121. Ebd. Siehe Safrai, Halakhah, 127. Siehe Safrdi, Halakhah. 128. Ebd. Siehe Safrai, Halakhah, 171-174.
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Carherine Hezser
Die Betonung der Vorläufigkeit und rein theoretischen Relevanz von Disputen und Widersprüchen, ihre Ansiedlung in der Vorbereitungsphase, die letztendlich zu autoritativen Mehrheitsentscheidungen führte, ist auch in anderen traditionell ausgerichteten Abhandlungen zum rabbinischen Recht anzutreffen. So schreibt z.B. Mendell Lewittes: "Disputation is the means; the goal is decision"7 • Die theoretische Diskussion verschiedener Lehrmeinungen wurde zwar gefördert, da nur auf diese Weise die "korrekte" und allgemein akzeptierte Lösung gefunden werden konnte. Aber das Ziel war die endgültige halakhische Entscheidung, über die es dann keine Diskussionen mehr geben konnte, die vielmehr in der Praxis von allen befolgt werden musste. Sonst würde es notwendigerweise zu Zwietracht und Streitereien kommen. Wie Safrai glaubt auch Lewittes, dass der Sanhedrin für die Festsetzung der Halakhah verantwortlich war. s Es könnten in diesem Zusammenhang noch zahlreiche weitere Beispiele angeführt werden. In Fortführung dieses Ansatzes glaubt Ze'ev Falk, dass die von den Rabbinen festgelegte Halakhah dem Volk öffentlich bekannt gegeben werden musste, um rechtskräftig zu sein. 9 Er verweist auf eine Stelle im Babylonischen Talmud (b.Ket. 7b), derzufolge der babylonische Amoräer Samuel das Volk versammelte, um halakhische Regeln zu verkündigen. 10 Wie Falk weisen auch die anderen bereits genannten Gelehrten stets auf Stellen des Babylonischen Talmuds hin. Dass es große Unterschiede zwischen der Stellung und Funktion der Rabbinen in Palästina und Babylonien gegeben hat, wie zuletzt Richard Kalmin in seinem Buch The Sage in Jewish Society of Late Antiquity gezeigt hat 11 , wird dabei gar nicht erst vermutet, sondern es wird von einem überall einheitlichen und einmütigen Rabbinat ausgegangen, welches an die Orthodoxie der Moderne erinnert, in der Antike aber keineswegs vorhanden gewesen zu sein scheint. Alle diese Darstellungen des jüdischen Rechts gehen davon aus, dass es bereits in den ersten Jahrhunderten nach der Tempelzerstörung eine rabbinische Orthodoxie gegeben hat, die sich in Jamnia unter Yochanan b. Zakkai neu konstituierte und als Fortsetzung des Sanhedrins der Zeit vor 70 zu verstehen ist. Der jüdische Patriarch wird als Vorsitzender eines rabbinischen Gerichtshofs gesehen, der verbindliche halakhische Rechtsregeln erlassen und ihre Befolgung autoritativ durchsetzen konnte. Man stellte sich vor, dass die Rabbinen als Gemeindeleiter die Einhaltung der Halakhah überwachten und denjenigen, die ihr zuwiderhandelten, bestimmte Strafen auferlegten, ja sie sogar mit dem Bann belegen und aus der jüdischen Gemeinschaft ausschließen konnten. Diese historische Basis der traditionellen Sicht der Halakhah ist aber durch neuere Untersuchungen zum Sanhedrin, zum Patriarchen und zu den Rabbi7 K 4
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Lewittes, Jewish Law, 68. Siehe ebd. Siehe Falk, lntroduction I. 18f. Siehe Falk. lntroduction I. 19. Siehe Kalmin, Sage, 110.
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nen erschüttert worden. So hat unlängst David Goodblatt die Existenz eines Sanhedrins oder obersten Gerichtshofs nach 70 bestritten. 12 Es scheint stattdessen neben den lokalen, öffentlichen Gerichtshöfen einerseits und der informellen Rechtsprechung durch einzelne Rabbinen andererseits einige private Gerichtshöfe kleineren Formats, die mit Rabbi Yehuda ha-Nasi und ein paar anderen Rabbinen assoziiert werden, gegeben zu haben. Diese kleinen privaten Gerichte dienten aber nicht der regelmäßigen Zusammenkunft aller in Palästina lebenden Rabbinen zum Zweck der Festlegung der Halakhah. Für die Annahme solcher Treffen eines obersten rabbinischen Gerichtshofs fehlt also jegliche institutionelle Basis. Einen jüdischen Patriarchen scheint es außerdem erst mit R. Yehudah haNasi am Ende des zweiten Jahrhunderts gegeben zu haben. 13 Seine Autorität war auf innerjüdische Angelegenheiten beschränkt und auch in dieser Hinsicht keineswegs unangefochten. 14 Der Patriarch war kaum in der Lage, alle Rabbinen auf seine Lehrmeinung zu verpflichten, geschweige denn das ganze Volk. Er mag zwar den Anspruch erhoben haben, die einzig gültige Meinung zu vertreten, aber einen ähnlichen Anspruch vertraten zahlreiche Rabbinen. Da der Patriarch weder vom Volk noch von Rom eingesetzt worden zu sein scheint, sondern seine Position in erster Linie auf seiner Herkunft, seinem Reichtum und seinen guten Beziehungen beruhte 15, kann er keine offizielle Autorität zur Durchsetzung seiner Ansichten besessen haben. Seine Autorität beruhte vielmehr - wie auch diejenige der Rabbinen - auf seinem Ansehen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. In dieser Hinsicht mag er, Seth Schwartz zufolge, in der Diaspora einflussreicher als in Palästina gewesen sein.lfl Eine rabbinische Orthodoxie, die auf einer hierarchisch organisierten rabbinischen Bewegung mit dem Patriarchen an der Spitze beruhte, scheint es in römisch-byzantinischer Zeit nicht gegeben zu haben. Die Rabbinen sind vielmehr als locker zusammenhängendes und über ganz Palästina verstreutes Netzwerk gleichgesinnter Torahgelehrter zu verstehen, die in vielen An~elegenheiten ganz unterschiedliche Meinungen vertraten.l 7 Gelegentliche Ubereinkünfte scheinen auf natürlichem Wege, durch Torahstudium und ähnlichen Lebensstil, zustande gekommen zu sein. Die Hauptfrage, die man sich stellen muss, ist, wo solche Übereinkünfte liegen könnten. Und was könnten die Gründe für die Entwicklung halakhischer Einheit und Vielfalt gewesen sein? Bei der Beantwortung dieser Fragen sind eine Reihe von Aspekten zu berücksichtigen, die im folgenden Teil näher analysiert werden sollen.
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Siehe Goodblatt, Monarchie Principle, 232ff. Siehe Jacobs. Institution, 115. Siehe Jacobs. Institution. 344f. Siehe Hezser. Social Structure. 411. Siehe Schwartz. Patriarch. Siehe Hezser, Social Structure, 228-239.
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1. Der unsystematische Charakter antiken Rechtsdenkens 18 Das antike Rechtsdenken war nicht an der Herstellung eines einheitlichen, überall anwendbaren Rechtssystems interessiert. Insofern ist es unangemessen, unsere am modernen Rechtssystem orientierten Vorstellungen von Einheitlichkeit und Kohärenz auf die Antike zu übertragen. Wenn man sich römische Rechtssammlungen ansieht, fällt auf, dass auch in ihnen, ähnlich wie in der rabbinischen Literatur, unterschiedliche Meinungen oft unausgeglichen nebeneinanderstehen. Das Traditionsmaterial ist nicht systematisch, nach Themen oder Fragestellungen, eingeteilt. Diese Unausgeglichenheit wurde aber nicht als Mangel angesehen, sondern entsprach dem antiken Rechtsdenken, für welches der einzelne Fall ausschlaggebend war. So schreibt Mario Bretone: Die sich nicht selten widersprechenden Normen haben eine topische Funktion ftir ein im Grunde ,,rhetorisches" Ziel. Stets steht das Urteil über den Einzelfall im Mittelpunkt, nicht das Recht als Ganzes. Man verzichtet auf eine konzeptionelle Arbeit und auf die Dogmatik; die Stabilität der Entscheidungen und die Gleichheit der juristischen Behandlung sind (wenn sie es sind) ein schwer erreichbares Ideal.l9
Das kasuistisch ausgerichtete römische Recht orientierte sich an Einzelfällen und ganz spezifischen Fragestellungen. Allgemein gültige Regeln und Prinzipien wurden selten aufgestellt. Falls es sie gab, waren sie aus konkreten Fall- entscheidungen entwickelt. Diese Art von Rechtsdenken herrschte in der gesamten Antike vor und reichte bis in die byzantinische Zeit hinein. Man nahm Abstand von jeglicher Dogmatik und versuchte, so flexibel wie möglich zu bleiben. Dies bedeutete aber auch, dass nur Rechtsgelehrte in der Lage waren, rechtliche Entscheidungen zu treffen. Nur sie waren imstande, aus dem Wirrwarr früherer Rechtsentscheide und Beispielfälle die für die jeweils neue Situation geeigneten Anhaltspunkte zu finden und auf dieser Basis neue Entscheidungen zu treffen. Der Nachteil dieser Art von Rechtsdenken war also seine Unübersichtlichkeit und schwierige Anwendbarkeit. Das rabbinische Rechtsdenken ist ebenfalls als kasuistisches Denken zu bezeichnen. Ausgangspunkt waren der konkrete Streitfall oder das theoretische halakhische Problem, für das verschiedene Lösungen angeboten wurden. Die Widersprüchlichkeil und Unausgeglichenheit der Lösungsansätze scheint die Rabbinen genauso wenig gestört zu haben wie die römischen Juristen. Im Gegenteil: Sie erlaubte es den Rabbinen, individuell auf unterschiedliche Situationen einzugehen und sich ihre eigene Autonomie und Unabhängigkeit zu bewahren. In der theoretischen Diskussion praktischer Fälle im Kreis rabbinischer und juristischer Kollegen werden die Einzelheiten des Falls variiert und alIR '9
Siehe hierzu auch Hezser, Codification. 629--631. Brelone, Geschichte, 261.
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ternative Lösungen vorgeschlagen worden sein. Manchmal mögen auch aus Fallentscheidungen abgeleitete Regeln formuliert worden sein. Die Gültigkeit dieser Regeln war aber wohl beschränkt. So schreibt Söllner im Hinblick auf das römische Recht: Solche Regeln, Grundsätze und Prinzipien werden mit äußerster Vorsicht formuliert. Sie betrafen immer nur abgegrenzte Fallgruppen. Die römische Jurisprudenz befasste sich mit Einzelfallen und deren sachgerechter Lösung. Gegen eine allzu abstrakte Begrifflichkeil und gegen das Argumentieren mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen bestand eine starke Abneigung.2°
So scheinen auch die Rabbinen nur ansatzweise Regeln formuliert zu haben, und diese Regeln hatten keine allgemeine Gültigkeit. Befreundete Rabbinen, die sich regelmäßig zu halakhischen Diskussionen trafen, mögen in der einen oder anderen Frage ähnliche Meinungen entwickelt und die ihnen vorgetragenen Fälle im Laufe der Zeit auf ähnliche Art und Weise entschieden haben. 21 Aber sie hatten keine Möglichkeit, ihre Fallentscheidungen und davon abstrahierten halakhischen Regeln für alle in Palästina lebenden Rabbinen verbindlich zu machen.22
2. Der Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Überlieferung 23 Die Vielfalt und Unausgeglichenheit der Lehrmeinungen ist ein Charakteristikum des mündlichen Stadiums von Traditionen. So hat bereits Werner Kelber auf die Heterogenität der mündlichen Jesus-Traditionen hingewiesen. In der mündlichen Überlieferungsphase ist mit einer unbegrenzten Anzahl von differierenden Versionen, Kombinationen von Motiven und Themenvarianten zu rechnen. Die Traditionen werden ständi~. verändert und der jeweiligen Aussagesituation angepasst. Das mündliche Oberlieferungsmaterial ist also äußerst flexibel and variabel. Erst mit der Verschriftlichung tritt eine diesbezügliche Änderung ein: Unattached to material surfaces, words flow freely, are repeated and adjusted, spoken one next to another, and yes, even set against each other ... It is, we shall see. a function of the written gospel to "implode" this oral heterogeneity and to linearize oral randomness. 24
Auch hinter den synoptischen Evangelien steht also, Kelber zufolge, eine Vielfalt von sich teilweise widersprechenden Jesus-Traditionen. Das Bedürfnis, diese heterogenen Traditionen zu vereinheitlichen, gab es im mündlichen
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Söllner, Einführung. 106. Siehe Hezser. Social Structure, 245-254. Zur Frage der Autorität der Rabbinen s. Hezser. Social Structure. 450-466. Eine ausfilhrlichere Behandlung dieses Themas findet sich in Hezser. Jewish Literacy.
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Kelber, Oral Go.fpel. 31.
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Stadium noch nicht. Es ist anzunehmen, dass Unterschiede und Widersprüche selten bemerkt wurden und Bestrebungen, allgemeinverbindliche Anschauungen und Normen durchzusetzen - falls es solche Bestrebungen überhaupt gab -, erfolglos blieben: No universally binding norm can assert itself in speaking actuality, for oral life escapes ownership by any single authority. In orality, one must allow for pluralism, as weil as for a certain randornness.25
So werden auch die Rabbinen nur durch Hörensagen von abweichenden oder gar widersprüchlichen Meinungen ihrer Kollegen erfahren haben. Wenn diese Kollegen in entfernten Gebieten, außerhalb ihrer Einflusssphäre, lebten, mag sie dies nicht weiter bekümmert haben. Da anzunehmen ist, dass die rabbinische Bewegung auch im dritten und vierten Jahrhundert noch relativ klein und geographisch weit verstreut war2 6 , wird an vielen Orten selten mehr als ein Rabbi angesiedelt gewesen sein. In Städten mit einer größeren rabbinischen Bevölkerung wie Sepphoris, Tiberias und Caesarea war die Sache allerdings anders. Die hier lebenden Rabbinen werden eher mit den abweichenden Meinungen ihrer Kollegen konfrontiert worden sein. Andererseits hatten sie auch die Gelegenheit, ihre Kollegen öfter zu treffen und Lehrmeinungen mit ihnen zu diskutieren. Bei dieser Gelegenheit werden Meinungsverschiedenheiten ausgeglichen worden sein. Das Phänomen, dass Menschen, die sich häufig treffen, ähnliche Ansichten entwickeln, wird in der Soziologie "opinion clusters" genannt: Diese "opinion clusters" entwickeln sich dort, wo "social clusters" entstehen.27 So ist es nicht verwunderlich, wenn Rabbinen außerhalb Caesareas bestimmte halakhische Meinungen im Namen der "Rabbinen von Caesarea" (Rabbanan de-Qisrin), also als Kollektivmeinungen, überlieferten. Unter den in kleineren Städten und Dörfern verstreut lebenden Rabbinen konnten sich solche Kollektivmeinungen dagegen kaum entwickeln. Nur ein kleiner Teil der damals zirkulierenden mündlichen Traditionen wird jemals verschriftlicht worden sein. Die Verschriftlichung ist also immer schon als eine Auswahl von Traditionen aus einer Vielzahl von Möglichkeiten zu verstehen. Die nicht-verschriftlichten Traditionen werden im Laufe der Zeit verloren gegangen sein. Erst bei der Verschriftlichung wird man sich der Meinungsvielfalt und Widersprüchlichkeit des Traditionsmaterials wirklich bewusst geworden sein. Man konnte dieses heterogene Material nun entweder einfach unausgeglichen nebeneinander stehen lassen oder es völlig verändern und systematisieren. Die rabbinischen Redaktoren der Sammelwerke schlugen auf je unterschiedliche Art und Weise einen Mittelweg ein.
Kelber. Oral Gospel, 80. Siehe Hezser. Social Structure. 157ff. n Siehe He1ser. Social Structure. 183. mit bibliographischen Angaben. !5
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3. Die literarische Form der Kontroverse Die literarische Form der halakhischen Kontroverse ist sowohl in Mischnah und Tosefta als auch im Talmud zu finden. Dabei werden zwei oder mehr alternative und zum Teil widersprüchliche rabbinische Meinungen einander gegenübergestellt. Am bekanntesten sind die tannaitischen Kontroversen zwischen den Schulen Hilieis und Schammais. So heißt es z.B. in M. Shab. 1,6: Die Schule Schammais .sagt: "Man spannt [am Freitag Nachmittag, vor Beginn des Sabbaths] keine Netze aus für wilde Tiere, Vögel oder Fische, es sei denn, [die Zeit reicht aus], um sie noch während des Tages zu fangen [d.h. bevor der Sabbathangefangen hat]." Aber die Schule Hilieis erlaubt es [.solche Netze vor Sabbathbeginn auszubreiten].
Der Gegensatz der Lehrmeinungen wird hier unausgeglichen stehen gelassen, wie es auch sonst für die Mischnah üblich ist. Widersprüchliche Meinungen werden nicht nur Hillel und Schammai zugeschrieben, sondern auch späteren Rabbinen. So wird in M. Ber. 1,1 gefragt: Von welcher Zeit an darf man das Shema am Abend rezitieren? Von der Stunde an. in der die Priester [in ihre Häuser] eintreten, um ihre Hebe zu essen, bis zum Ende der ersten Nachtwache [d.h. des ersten Drittels der Nacht], die Worte R. Eliezers. Aber Weise sagen: Bis Mitternacht. Rahban Gamliel sagt: Bis zum Morgengrauen.
In den drei hier repräsentierten Meinungen wird also die Zeitgrenze, bis zu der das Rezitieren des Shema erlaubt ist, kontinuierlich ausgeweitet. Derjenige, der R. Gamliels Meinung Folge leistet und das Shema des Abends am frühen Morgen, kurz vor Aufgang der Morgenröte, rezitiert, würde der Ansicht R. EHezers und anderer Rabbinen zuwiderhandeln. Nichtdestoweniger wird diese Kontroverse von den Redaktoren der Mischnah nicht eindeutig entschieden. Selbst Rabbi Yehudah ha-Nasi, dem angeblichen Redaktor der Mischnah, wird nicht automatisch Recht gegeben. In M. Shab. 6,5 geht es um die Dinge, mit denen man am Sabbath auf die Straße gehen darf, ohne damit das Verbot des Tragens von Gegenständen am Sabbath zu übertreten: Ein falscher Zahn und ein Goldzahn, Rabbi erlaubt es, [damit am Sabbath das Haus zu verlassen.) aber Weise verbieten es.
Die den Weisen (IJakiimfm) zugeschriebene Meinung sowie anonym überlieferte Lehrsätze werden oft als Mehrheitsmeinung aller damaligen Rabbinen angesehen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es sich bei diesen Meinungen wirklich um Mehrheitsmeinungen handelte. Denn erstens werden auch diesen Meinungen oft andere, bestimmten Rabbinen zugeschriebene Meinungen gegenübergestellt, d.h. sie bleiben nicht immer unwidersprochen. Zweitens sind die Meinungen nicht ausdrücklich als Mehrheitsmeinungen gekennzeichnet. sondern lediglich als Meinung "vieler" Rabbinen (Gegen-
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Überstellung von dibre hayii~fd und dibre hariibbfm). Drittens ist es aus den bereits erwähnten Gründen historisch unwahrscheinlich, dass alle Rabbinen einer Generation sich trafen und halakhische Meinungen festlegten. Wenn es wirklich Mehrheitsmeinungen zu halakhischen Detailfragen gegeben hat, ist unerklärlich, warum die Mischnah eine so große Anzahl von nicht geschlichteten Kontroversen überliefert, statt halakhische Regeln in der Form eines Schulchan Arukh mitzuteilen. Die halakhischen Kontroversen sind als literarische Konstruktionen anzusehen. Die Redaktoren der Mischnah werden die ihnen überlieferten Einzelmeinungen einander gegenübergestellt haben. 28 Im Falle der anonymen oder kollektiv den "Weisen" zugeschriebenen Meinungen mag es sich um Ansichten handeln, deren Tradenten den Redaktoren nicht bekannt waren oder die sie selbst vertraten. Diese Meinungen werden aber nicht benutzt, um andere Ansichten zu unterdrücken, obwohl sie manchmal am Ende einer Diskussion stehen und damit die den Redaktoren einleuchtende Lösung eines Problems andeuten mögen. Die Meinung dieses Redaktorenkreises wird manchmal auch mit der Formel "die Halahkah entspricht der Meinung von Rabbi X." ausgedrückt. Die Form der Kontroverse lässt sich am besten als "written speech" verstehen, womit wir wieder zum Aspekt der Verschriftlichung von ursprünglich mündlichen Überlieferungen zurückkehren. Die formale Struktur der Mischnah weist auf eine ursprünglich mündliche Komposition der Textabschnitte hin. Peter Denny zufolge ist der Gebrauch von sogenannten "networks of binary opposites" im Unterschied zu einer hierarchischen Strukturierung des Traditionsmaterials als "Aspekt der Kontextualisierung" anzusehen, der typisch für mündliche Kompositionen ist.2 9 Kontextualisierung bedeutet, dass Beziehungen zu anderen Gedankeneinheiten bzw. zwischen den Traditionen untereinander hergestellt werden. Die Argumente werden miteinander konfrontiert und stellen füreinander einen Kontext dar, ohne dass die in ihnen thematisierte Fragestellung letztendlich entschieden wird. So ist es möglich, viele voneinander abweichende Lehrmeinungen zu kombinieren. Dieses integrative Denken scheint der sozialen Integration gedient zu haben und ist nach Denny besonders in Agrargesellschaften mittlerer Komplexität anzutreffen. Das Verständnis der Mischnah als "written speech", "geschriebener Rede", ist auch noch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Es ist nämlich nicht nur anzunehmen, dass die Mischnah mündlich kompiliert wurde und auf mündlichem Überlieferungsmaterial beruht, sie wird auch als schriftlich vorliegender Text weiter mündlich überliefert worden sein.-~0 Die dialogische Redeform des mischnaischen Diskurses weist also in beide Richtungen auf mündliche Überlieferung hin. Auch in der griechisch-römischen Literatur sind Texte, die die Form von verschriftlichter Kommunikation haben, des öfSiehe dazu z.B. Neusner. Formative Judaism. 109ff. (..The Mishnah As Literature""). Denny. Rational Thought. '«> Siehe Hezser, Jewish literacy. 427-432.
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teren anzutreffen. Platons Dialoge haben zum Beispiel die Form eines Lehrer-Schüler-Gesprächs. Da Bücher in der Antike gewöhnlich laut gelesen oder vorgetragen wurden3 1, ist diese mündliche Redeform besonders angemessen. Im Falle der Mischnah wird der tanna die Texte aus seinem Gedächtnis rezitiert haben. Die vorgetragenen Texte dienten als Basis für die weitere Diskussion der halakhischen Fragen innerhalb der Lehrer- und Schülerkreise. Die Dialogform und prinzipielle Unabgeschlossenheit des Diskurses wird seine Fortsetzung in späteren Gelehrtengenerationen gefördert haben.
4. Redaktionelle Hannonisierung Erst im Talmud kommt es ansatzweise zu redaktionellen Harmonisierungen widersprüchlicher Traditionen. Im späteren Babylonischen Talmud ist diese redaktionelle Arbeit viel weiter fortgeschritten als im Talmud Yerushalmi. Dies weist darauf hin, dass die Entwicklung von der unausgeglichenen Gegenüberstellung divergenter Lehrmeinungen, die noch am besten in der Mischna zu erkennen ist, über die ansatzweise Harmonisierung im Yerushalmi bis zur vereinheitlichenden Überarbeitung im Bavli verläuft. Aber auch im Babylonischen Talmud kommt es nicht zu einer völligen Systematisierung und Vereinheitlichung der Halakhah. Die Unterschiede zwischen den traditionellen Ansichten werden nicht völlig unterdrückt. In dieser Hinsicht bleibt man weiter dem Vorbild des Palästinischen Talmud verpflichtet, der wie die römischen Rechtscodices am kasuistischen Rechtsdenken ausgerichtet ist (s.o.). Ein Beispiel für die talmudische Harmonisierungstendenz findet sich in y. Peah 1,1 [ 15d]: (A] R. Yonathan und R. Yannai saßen [einmal] zusammen. Da kam ein Mann und küsste die Füße von R. Yonathan. R. Yannai sagte zu ihm: Welche gute Tat vergilt er dir heute? Er [d.h. R. Yonathan] sagte zu ihm: Er kam einmal [zu mir] und klagte über seinen Sohn, dass er ihn ernähren solle. Da habe ich zu ihm gesagt: Geh, versammele die Gemeinde gegen ihn und beschäme ihn. Er [d.h. R. Yannai] sagte zu ihm (d.h. zuR. Yonathan]: Und warum hast du ihn nicht [durch einen Gerichtsbeschluss] zur Ernährung des Sohnes gezwungen? Er sagte zu ihm: Aber kann man ihn denn zwingen? Er (d.h. R. Yannai] sagte zu ihm: Aber ist dir das noch fraglich? [B] Da änderte R. Yonathan [seine Meinung] und setzte die Halakhah in seinem (d.h. R. Yannais] Namen fest.
In der von den Redaktoren übernommenen amoräischen Geschichte wird eine Meinungsverschiedenheit zwischen R. Yannai und R. Yonathan überliefert. Bei den beiden handelt es sich um Amoräer der ersten Generation, d.h. um rabbinische Kollegen. Sie vertraten angeblich unterschiedliche Meinun" Siehe Hezser. Jewish Lireracy. 451-473.
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genhinsichtlich der Frage, ob man einen Sohn rechtlich zwingen kann, seinen alten Vater zu ernähren. R. Yonathan zufolge war dies nicht möglich. Deshalb versuchte er, den Sohn auf andere Art und Weise dazu zu motivieren. Er ließ ihn durch die Gemeinde beschämen. Aus Scham angesichs der schlechten öffentlichen Meinung über ihn entschied sich der Sohn dann, seinem Vater zu helfen. Deshalb küsste der Vater R. Yonathan aus Dank für seine nicht rechtliche, sondern rein menschliche Unterstützung die Füße. R. Yannai ist andererseits der Ansicht, dass der Sohn rechtlich zum Unterhalt des Vaters gezwungen werden kann. Man hätte ihn also durch einen Gerichtsbeschluss dazu verpflichten können. Am Ende der Geschichte stehen die beiden Meinungen nebeneinander, obwohl bereits dadurch, dass R. Yannai das letzte Wort hat, seiner Meinung der Vorzug gegeben zu sein scheint. Der sich an die Geschichte anschließende Satz "Da änderte R. Yonathan [seine Meinung] und setzte die Halakhah in seinem [d.h. R. Yannais] Namen fest" (IJiizar beh R. Yoniitan uqbe'ah se'mu' ah min se'meh) wird von den Redaktoren des Yerushalmi an die Geschichte angefügt worden sein. Diese Formel findet sich auch in anderen Zusammenhängen in verschiedenen Traktaten des Yerushalmi, ist also eine wiederkehrende redaktionelle Formulierung, die dem Zweck der Vereinheitlichung und Harmonisierung von Widersprüchen dient. 32 Sie ist nicht die einzige Art und Weise, in der die Redaktoren versuchen, halakhische Übereinstimmungen herzustellen. Eine andere aramäische Formel lautet sera' mfniih ("Er widerrief seine Meinung"), die einem der Kontrabenden attestiert wird, so dass am Ende nur noch eine der widersprüchlichen Meinungen erhalten bleibt. Oder eine Meinung wird mit käl 'ama' mode ("alle stimmen überein") oder dibre hakol hu' ("Die Meinung von allen ist es ... ") eingeleitet.33 Nicht immer ist der Vorzug dieser Meinung bereits in der überlieferten Tradition angedeutet wie in der zitierten Geschichte. Immer scheint es sich dabei jedoch um die Meinung zu handeln, die die Redaktoren selbst bevorzugten und deren Überzeugungskraft sie mit besagten Formeln unterstützen wollten. So schreibt auch John Rayner, dass die Entwicklung der Halahkah von der ursprünglichen Vielfalt und Uneinheitlichkeit zur immer größeren Vereinheitlichung und Verfestigung verlief, die ihren Abschluss im Schulchan Arukh fand. 34 Außer der zeitlichen Komponente ist aber auch der bereits erwähnte Übergang von der mündlichen Überlieferung zur Verschriftlichung in rabbinischen Sammelwerken zu berücksichtigen. Nicht nur in tannaitischer, sondern auch in amoräischer Zeit, d.h. in der gesamten Spätantike scheint es eine Vielfalt rabbinischer Meinungen zu allen nur erdenklichen halakhischen Fragen gegeben zu haben. In den literarischen Werken, in denen eine Auswahl dieser Meinungen ihren Niederschlag fand, gab es ansatzweise Tendenzen zur Harmonisierung und Vereinheitlichung. Aber zu einer wirklichen Systematisierung und Festlegung der Halakhah kam es wohl erst in gaonäin Siehe Hezser, Social Structure, 246. ~3 '14
Siehe dazu Hezser, Social Structure. 247f. Siehe Rayner. Jewish Relixious l.aw. 38.
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scher Zeit, d.h. im Mittelalter, wohl unter islamischem Einfluss und auf der Basis einer hierarchischen Gemeindeorganisation.
5. Grenzen der Pluralität Lassen sich in der rabbinischen Literatur auch abgesehen von redaktionellen Harmonisierungen Grenzen der halak.hischen Meinungsvielfalt erkennen, d.h. gab es bestimmte Regeln und Praktiken, von denen man annehmen kann, dass alle Rabbinen sie akzeptierten und einhielten? Was könnten die Gründe für diese Übereinstimmungen sein, wenn man regelmäßig stattfindende Treffen aller Rabbinen zur Festsetzung der Halak.hah in tannaitischer und amoräischer Zeit für historisch unwahrscheinlich hält? Als erstes wird man in diesem Zusammenhang auf die Torah als Basis rabbinischer Rechtsfindung hinweisen. So ist bereits in der Diskussion um die sogenannte Indeterminiertheil des rabbinischen Midrasch wiederholt auf die Torabtreue aller Rabbinen hingewiesen worden. Die Rabbinen würden keine Regeln aufstellen, die der Torah widersprächen. So hat David Stern betont, dass die von den Rabbinen als göttliche Offenbarung angesehene Torah kein offener Text war, der eine unbegrenzte Anzahl von Interpretationen erlaubte.J5 Exegetische Regeln, die angeblich von allen Rabbinen eingehalten wurden, führten zu einer einheitlichen Auslegungsweise der Bibel. Es sei deshalb unter den auf den ersten Blick different erscheinenden Auslegungen eine gemeinsame Tiefenstruktur ("underlying deep structure") zu erkennen.36 William Scott Green geht sogar noch weiter und behauptet, dass in rabbinischer Zeit ein geschlossenes halak.hisches System existierte, welches über die ,.korrekte" Schriftauslegung wachte.37 Allerdings handelte es sich dabei um ein innerrabbinisches System, welches erst nachträglich auf die Schrift bezogen wurde.3s D.h. die Torah wurde benutzt, um das von den Rabbinen entwickelte halak.hische System zu unterstützen. Grundsätzlich haben Stern und Green sicher recht. Die Hauptbeschäftigung aller Rabbinen war das Studium der Torah, für deren Auslegung und Anwendung in praktischen Fragen des täglichen Lebens sie eine Monopolstellung einnahmen. So waren wohl alle Rabbinen in bestimmten grundsätzlichen, bereits in der Torah thematisierten Fragen einer Meinung. Alle Rabbinen werden zum Beispiel der Ansicht gewesen sein, dass es am Sabbat verboten ist, Arbeit zu verrichten, oder dass Frauen bestimmte rituelle Reinheitsvorschriften einhalten müssen. Für die alltägliche Praxis eigentlich wichtig war aber die Frage, welche Tätigkeiten am Sabbat als Arbeit angesehen wurden und welche Reinheitsvorschriften Frauen in welchem Alter zu welcher Zeit einzuhalten hatten, und zu diesen Detailfragen gab es un~~
Siehe Srem, Midrash, 137. Srem. Midrash, 147 . .n Siehe Green, Romancing the Tome, 160. ' 11 Green. Romancing the Tome, 162. 1 ~>
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zählige Antwortmöglichkeiten, was schon bei einem kurzen Blick auf die Traktate Shabbat und Niddah, in denen diese Probleme diskutiert werden, deutlich wird. In den halakhischen Auslegungen konnte die biblische Grundlage auch so weit gedehnt werden, dass sie kaum wiederzuerkennen ist. Dies wird z.B. in rabbinischen Sabbatregeln deutlich, die gerade dazu dienten, Tätigkeiten am Sabbat zu ermöglichen. So heißt es in Ex 16,29 ausdrücklich, dass man am Sabbat seine Wohnung nicht verlassen darf. Die rabbinische Diskussion um die Definition des privaten und öffentlichen Bereichs und das Konzept des sogenannten Erubs zeigen, das die Rabbinen die strenge biblische Regelung für unanwendbar hielten. 39 Sie schlugen deshalb eine Vielzahl von Möglichkeiten vor, um sie teilweise beizubehalten und teilweise zu umgehen. Dies betraf z.B. auch das Verbot des Anzündens von Feuer am Sabbat. Alle Rabbinen würden dieses Verbot grundsätzlich akzeptieren. Im täglichen Leben ergaben sich daraus aber zahlreiche Probleme, die etwa die Verwendung von Licht, die Erhitzung von Lebensmitteln und die Beibehaltung der Temperatur eines Bades betrafen. Und was die Lösungsmöglichkeiten für diese alltäglichen Probleme betraf, waren die Rabbinen keineswegs einer Meinung. So muss man also mit William Scott Green die eigentliche Bedeutung der Torabgrundlage für die Entwicklung der rabbinischen Halakhah als begrenzt ansehen. Bei der Entstehung rabbinischer Lehrmeinungen spielte die Torah nur eine untergeordnete Rolle. Sie gab weder die aktuellen Fragestellungen vor noch lieferte sie einheitlich anwendbare Lösungen. Die bereits erwähnte Orientierung der Rabbinen am spezifischen Einzelfall spielt in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle. Die biblischen Regeln waren viel zu allgemein und antiquiert, um in aktuellen Problemlagen Antworten zu bieten. Sie dienten lediglich der allgemeinen Orientierung. Nur die vielfältigen, auf die jeweiligen Probleme Bezug nehmenden rabbinischen Entscheidungen und Lehrmeinungen konnten konkrete und zeitgemäße Antworten geben. Die Pluralität und Flexibilität der rabbinischen Halakhah war durch ihre kasuistische Orientierung, den aktuellen Problembezug bedingt. Dieser Problembezug forderte immer wieder neue, alternative Lösungsvorschläge. Abgesehen vom grundsätzlichen, aber nur beschränkt relevanten Torahbezug werden sich rabbinische Übereinstimmungen in halakhischer Theorie und Praxis auf ganz natürliche Art und Weise ergeben haben. Befreundete Rabbinen, die sich regelmäßig trafen, um halakhische Fragen zu diskutieren, werden im Laufe der Zeit ähnliche Ansichten entwickelt haben. 40 In seiner Untersuchung zur Entwicklung der Halakhah unterscheidet Moshe Koppel zwischen einem "pattemed part" und einem .,seemingly random part" menschlicher Verhaltensweisen. 4 ' Ähnlich werden sich unter den Rabbinen der Antike bestimmte Verhaltensmuster gebildet haben, denen einige Rabbinen entsprachen, nicht weil sie sich bewusst dazu entschlossen hätten, sonw Siehe hierzu He1.ser• . Privat' und .öffentlich'. Siehe Hezser. Social Structurr. 251 f. 41 Koppel. Meta·Halakhah. l6f.
40
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dem rein zufallig oder weil sie einen ähnlichen Lebensstil pflegten. Diese hier und dort sicher vorhandenen Übereinstimmungen in halakhischer Theorie und Praxis sollten aber nicht als Ausdruck rabbinischer Orthodoxie oder als Konsequenz autoritativer Lehrfestsetzung verstanden werden.
6. Soziologische Erklärungen Einheit und Vielfalt, Übereinstimmung und Meinungsverschiedenheit sind Bestandteile aller sozialen Gruppenbildungen. Im Hinblick auf die rabbinische Halakhah schreibt Moshe Koppel: "By its very nature, autonomy combines coherence with unpredictability. Coherence suggests a guiding principle; unpredictability suggests the absence of any such principle"42. Diese scheinbar widersprüchlichen Sätze werden verständlich, wenn man sie auf dem Hintergrund von Edward Shils' soziologischen Überlegungen zum Verhältnis von Konsens und Dissens sieht. 43 Shils zufolge gibt es in allen Gesellschaften eine Mischung von Übereinstimmung und Meinungsverschiedenheit.44 Soziale Gruppen unterscheiden sich allerdings voneinander im Hinblick auf die Angelegenheiten, in denen sie einer Meinung sind oder differieren, das jeweilige proportionale Verhältnis dieser beiden Aspekte zueinander und die Bewertung von Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten.45 Dabei werden auch kleine Personengruppen, z.B. Verwandte, Freunde und Kollegen untereinander in einigen Punkten übereinstimmen, in anderen aber unterschiedlicher Meinung sein. Für wie wichtig man die Einheit der Meinungen und Praktiken hält und inwieweit Differenz und Vielfalt toleriert werden, auch darin gibt es Unterschiede. Wie bereits erwähnt schließt das Fehlen eines normativen halakhischen Systems nicht aus, dass die einen oder anderen Rabbinen in bestimmten Punkten übereinstimmten und dass es bestimmte grundlegende Übereinstimmungen aller Rabbinen gab. Pierre Bourdieus Rede vom "Habitus" und Niklas Luhmanns Theorie der ,,regulierten Konflikte" mögen in diesem Zusammenhang aufschlussreich sein. Der "Habitus" ist nach Pierre Bourdieu nicht als Folge eines tatsächlichen Übereinkommens anzusehen, sondern entwickelt sich im Laufe der Zeit automatisch aufgrund einer ähnlich verlaufenden Sozialisation und Lebenspraxis. 46 Gerade die Abweichung vom Habitus, "das Universum konkurrierender Diskurse", weist hin auf "die komplementäre Klasse dessen, was als selbstverständlich hingenommen wird" 47 • Konflikte entwickeln sich auf der Basis desjenigen, welches als selbstverständlich hingenommen wird. Niklas Luhmann 41 4'
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47
Koppel. Meta·Halakhah, 15. Siehe Shils, Center. Siehe Shils, Center, 168. Siehe ebd. Siehe Bourdieu, Entwuif, 178-186. Bourdieu, Entwuif, 331.
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zufolge muss jede Gesellschaft oder soziale Gruppe in der Lage sein, solche ,.regulierten Konflikte" zu tolerieren.48 Gerade darin zeigt sich ihre Stabilität und Flexibilität: "Regulierte Konflikte haben eine latente Funktion für die Festigung einer gemeinsamen Ordnung. Alle Gegensätze sind so strukturiert, daß nicht gegen das System, sondern um Einfluß im System gekämpft wird."49 Shaye Cohen hat die rabbinische Gesellschaft im Unterschied zu den vor der Tempelzerstörung existierenden Sekten als "große Koalition" bezeichnet, die Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten tolerierte. 50 Das ist sicher grundsätzlich richtig. Dieses Aushalten von Unterschieden förderte die grundsätzliche halakhische Autonomie jedes einzelnen Rabbinen und erlaubte es ihm, auf konkrete Problemfälle einzugehen. Die Gefahr einer solchen äußerst flexiblen Ordnung war die soziale Desintegration. Um diese Gefahr zu vermeiden, gab es ansatzweise Versuche, Harmonie und Einheit zu stiften, die in den rabbinischen Quellen ihren literarischen Niederschlag gefunden haben. Dass solche einheitstiftenden Versuche nur sporadisch begegnen, zeigt gerade, wie stabil die rabbinische Gesellschaft auch ohne sie war. Bibliographie Bourdieu, P., Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1976. Bretone, M .• Geschichte des römischen Rechts. Von den AnHingen bis zu Justinian, aus dem ltal. übers. v. 8. Galsterer, München 1992. Cohen, S.J.D .• The Significance ofYavneh: Pharisees, Rabbis, and the End of Jewish Sectarianism, HUCA 55 (1984) 27-53. Denny, P.J., Rational Thought in Oral Culture and Literale Decontextualization, in: D.R. Olsen/N. Torrance (Hg.). Literacy and Orality, Cambridge u.a. 1991,66-86. Falk, Z. W.• Introduction to Jewish Law of the Second Commonwealth I. Leiden 1972 (AGJU I 1.1). Goodblatt, D .• The Monarchie Principle. Studies in Jewish Self-Government in Antiquity, Tübingen 1994 (TSAJ 38). Green. W.S., Romancing the Tome: Rabbinie Henneneulies and the Theory of Literalure, Semeia 40 (1987) 147-168. Hezser, C., The Codification of Legal Knowledge in Late Antiquity. The Talmud Yerushalmi and Roman Law Codes, in: P. Schäfer (Hg.). The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998 (TSAJ 71), 581-641. -. Jewish Literacy in Roman Palestine, Tübingen 2001 (TSAJ 81 ). -. The Social Structure of the Rabbinie Movement in Roman Palestine, Tübingen 1997 (TSAJ 66). -. ,Privat' und ,öffentlich' im Talmud Yerushalmi und in der griechisch-römischen Antike. in: P. Schäfer (Hg.). The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, Tübingen 1998 (TSAJ 71 ). 438-451. 4M
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DANIEL
R.
SCHWARTZ
Should Josephus Have lgnored the Christians? This paper has two points of departure. The first is the recent appearance of Etienne Nodet's monograph on the Slavonic version of Josephus' Bellum Judaicum. 1 Although the scholarly consensus has for seventy years been that that version is not authentically Josephan, 2 Nodet now urges us to reconsider the possibility that it is. Since that version contains various passages about John the Baptist, Jesus and their followers, not found in the usual Greek version, the question of Josephus' allusions to the early Christians is now back on the table. 3 The second issue is, at flrst glance, a much more restricted one: the proper translation of the Greek term qrüA.ov, which Josephus uses here and there for the Jewish entity, just as he uses ciA.A.6qmA.m to denote non-Jews. As I shall indicate, I am not at all satisfied by the usual translation of cpiiA.ov; and given the fact that Josephus uses it here and there of the Jews, just as he uses ciA.A.6cpuA.m to denote non-Jews, it is obvious that its proper translation will have everything to do with our understanding of Josephus' understanding of the Jews, and of the distinction between them and others. The two points of departure are linked together by the most famous passage in Josephus: the Testimonium Flavianum to Jesus, found in Ant. 18.63f. For that text about Jesus concludes with the Statement that "even until now the CJlUAov of the Christians, named after him, has not ceased to exist". So any discussion of Josephus' view of Christians must perforce deal with the meaning of CJlUAOV. Let us stipulate, at the outset, that whatever we think about the muchvexed question of the authenticity of the Testimonium in general, the last line, which refers to the continued existence of the qJ\li..ov of Christians, is probably to be accepted as authentic; it usually is. As Kurt Lincke once wrote, breathing easily after working bis way at length through all the difficulties in the preceding lines: "Haec verba nihil habent difficultatis". 4 This is generally admitted, even by those who are skeptical about other parts of the Testimonium and view them as Christian interpolations. The usual reason given
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Nodet, Version slavone, 129-247. See, e.g .• such handbooks as Schürer, History I, 60f.; Bilde, Flavius Josephus, 64. Several detailed studies which created the consensus by the I930s are mentioned in my Review of E. Nodet. For English translations of twenty-two main "plusses" of the Slavonic version, see H.St.J. Thackeray's appendix at the end of LCL-Josephus, vol. lß (Additional Passages); for French see Nodet, Version slavone. 168-247. Ofthese. nos. 2. 9, 11-13.20-22 are ofthe most direct Christian interest. Lincke, De antiquissimis testimoniis, 29.
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for this is that examination of early Christian Iiterature shows that Christians did not, and would not, term themselves a
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should be expected from a worthless "Römling" like him. 10 But this is far from convincing.) So here we have two objections which urge that a Christian could have been responsible for the
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Bienen. Jesusbericht, 251. Bienen cites others who agree that the Testimonium 's use of lfl'A.ov is derogatory. Eisler, 'IT/001~ I, 82. One may compare to Josephus' statement the obviously hostile remark of Tacitus, Ann. 15.44.3, that the execution of Jesus only temporarily checked the disease (ma/um), which later broke out again in Rome itself. Of course, one might contemplate responding that a Christian might have attributed such "Groll" and "Feindschaft" to Josephus in order to make the passage Iook convincingly Josephan. However. this founders on the fact that the rest of the Testimonium is so positive. Sec Rengstorf (ed.), Complete Concordance IV, 335f.
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vestigate the possibility that Josephus was indeed thinking of something broader. 13 That such a broader nuance is in fact warranted seems, in fact, to be indicated by two considerations. The first pertains to our passage in particular and the second comes from a broader survey of Josephus' usage. First of all, given the fact that the preceding sentence of the Testimonium (Ant. 18.63) emphasizes that both Jews and Greeks were among Jesus' followers, and went on believing in him after bis execution, it is clear that they constitute the cpOA.ov of the Cbristians. But this means that the cpOA.ov of Christians cannot be defined by common race, for Jews and Greeks are not of the same race. Secondly, other passages in Josephus support the assumption that in interpreting qrüA.ov it is the volitional, religious, element which is to be emphasized, not that of descent. For this claim we offer four examples from the last half of the Antiquitates, which should be a good guide to Josephus' diction in Book 18. I. At the outset of Ant. 12, Josephus paraphrases the Letter of Aristeas, which tells the story of the translation of the Septuagint into Greek. At Ant. 12.23, in a Josephan addition to the Letter, Aristeas, an Alexandrian courtier, is made to emphasize, in a Ietter to Ptolemy II urging that the Jewish slaves be liberated, that he is making the suggestion although he neither is of the Jews' yf.vor; nor is he their 6J.l{>cpuA.or;. Here, alongside of yf.vor;, which clearly refers to birth, 14 it is obvious that cpüA.ov refers to something eise. For some reason translators tend to see that something else as a matter of territory; Whiston rendered "one of the same country with them" and Marcus rendered "countryman". However, the reference to "country" does not take us very far, for there were many non-Jews in Palestine but it is obviously Aristeas' intention to say that he was not Jewish. So it seems we should prefer to take 6J.l{>
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For the genem1 nature of cpOA.ov as opposed to more specifical1y descent-oriented terms such as ytvoc; or E'6voc;, note e.g. a) Luke's use of cilloyfVIic; to refer to the Samaritan who observes Jewish law although not of Jewish descent (Luke 17: 18). as opposed to his use of cill6qro).oc; for non-Jews plain and simple (Acts 10:28); b) Polybius' comment (11.19.3f.) that Hannibal's anny had units which were .,neither of the same [9vo~ nor even of the same
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as a reference to Jews even if not by race; i.e., the Jewish cpüA.ov is composed of people bom Jewish and of others- proselytes. Aristeas' pointisthat he is not a Jew by birth nor has in any other way joined the Jewish cpüA.ov. For want of a better term, we would suggest "community", a word which does not commit as to whether the members are there by birth or by choice. That is, Josephus' Aristeas is saying that he was neither a Jew by birth nor had he joined the Jews' community. 2. The same is shown by Ant. 14.115, where Josephus wants to justify his claim that the whole oL xouJ.liVTJ was filled by Jews. He accomplishes this by quoting Strabo, who states that there is hardly any place in the world which has not received this cpüA.ov and been overpowered by it (bttxQ<XtEiv im' airroü ). Although various translators have attempted to avoid this harsh sense of the verb, I wou1d follow here my 1ate teacher, Menahem Stern, who wrote in this connection that "we may assume that bnxeaniv in our passage has its common meaning of ruling, and that Strabo exaggerates in order to emphasize the pervasiveness of Jewish influence". 15 Now, since Josephus' point is the great number of Jews in the world, it must be that the "overpowering" to which Strabo refers is, or at least prominently includes, the making of prose1ytes. In other words, Strabo is referring to what Josephus bimself cites in C. Ap. 2.282, and what Philo cites in Vit. Mos. 2.20--22, where they point to the pervasive success of the Jews in winning proselytes all over the inhabited world. The on1y difference isthat while Josephus and Philo are proud of this, Strabo decries it by calling it a case of "overpowering". One way or the other, what is important for us is that the reference to prose1ytes excludes the racial sense of cpüA.ov here and leaves us with a more volitional religious community. 3. Again, at the outset of Ant. 16 Josephus complains about Herod's law which mandated the punishment of thieves by selling them as slaves to foreign owners, abroad. Josephus underlines just how hard it is for Jews tobe made to serve in the households of people who are
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Stern (ed.). Greek and Larin Aurhors I. 280.
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a gesture to the Jews, proclaimed as follows: "no aA.A.6qmA.o~ shall be allowed to enter the enclosure of the temple ... ", just as at Bell. 5.194 Josephus reports that in his day too there were thirteen Greek and Latin inscriptions around the Temple which announced that no ... Etmtvm and the inscriptions in Josephus' day began, he reports, as follows: J.lflÖEVa aA.A.6qmA.ov EVTO~ ... 1taQtEvm. Now, two copies (one whole and one fragmentary) of these inscriptions have been found, and while one breaks off right where we need it, the other (OGIS 598) shows quite clearly that while Josephus basically remembered the text weil, he nevertheless deviated in one important respect: although the inscription begins with J.ln6Eva and continues with Ei.oJtoQEUE06m Evt6~ it refers not to the aA.A.6qJUAO~ but, rather, to the aA.A.oyEviJ~. That is, the inscriptions posted around the Temple courts excluded people according to a purely racial consideration, their birth (ytvo~). but Josephus, although - as we would expect from a priest who grew up in Jetusalern - obviously familiar with these prominently-displayed inscriptions, told bis readers that entry was allowed or denied not on the basis of one 's ytvo~. but on the basis of one's qJüA.ov. Whether or not Josephus' deviation from the diction of the inscriptions was deliberate, it seems clear that he is again bespeaking his preferencetothink of the Jews as a group defined not so much by common descent as by common religion. This group he terms a qJüA.ov, a community; outsiders are, accordingly, aA.A.6
Forthis paragraph. see my Agrippa I. 126-130.
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founders of Christianity quite a Iot of attention. Or to put it more baldly, it seems that a good bit of the impetus behind the attempt to rehabilitate the Slavonic Josephus comes from a fear that if Josephus did not mention the early Christians, the alternative explanation must be that they were not very important. lndeed, while some scholars have been willing to accept that conclusion (thus, for example, Martin Dibelius: "Für Historiker wie Tacitus und Josephus waren Johannes der Täufer, Jesus und Paulus unwesentlich, denn die Begebenheiten ihres Lebens spielten sich in einer Schicht ab, die der historischen Bearbeitung nicht wert schien" 17), others have found that unacceptable, whether due to Christian sensitivities (for who would like to admit that Jesus and the apostles drew little interest and attention?) or to the plain recognition that Josephus does teil us a Iot about all sorts of less important figures and movements. Hitherto this line of thought has led only to a bewilderment and frustration in the face of Josephus' Iack of interest in the Christians, or to the conclusion that Josephus was afraid to associate them with the Jews, or to a willingness to accept the authenticity of the Slavonic Bellum, which has so much on John, Jesus and their followers. 18 After our investigation of the sense of
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Dibelius, Urchristliche Geschichte, 224. Dibelius· comments come in the context of his rejection of the authenticity of both the Testimonium and the Slavonic Bell um. Note too, with L.H. Feldman (F/avius Josephus, esp. 825f.), that neither Velleius Paterculus nor Tacitus, despite their lengthy treatments of Tiberius, makes any reference to Christians in that connection (and Tacitus' reference to them. at Ann. 15.44, comes only in the context of the great fire in Rome; see Dibelius. Urchristliche Geschichte, 216f.. for the observation that the fact that Tacitus mentions the Christians only in this context points up his general Iack of interest in Jesus, the apostles and the first Christian communities). For an especially candid Statement of the move from the premise that Josephus had no good reason not to deal with Jesus to the a priori probability that he did. and thence to optimism about the authenticity of the Testimonium and the Slavonic materials. see Brandon. Jesus, 359-368 (Appendix: Josephus on Jesus). lt is set out most clearly in his study's first page (Sur Ia version. 129).
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polished book as we know it;2° 3. Josephus made sure the assistants omitted the passages about John and Jesus; but 4. at least one copy of the original rudimentary Greek version survived and made its way, eventually, to the medieval Slavonic translator.21 The obvious question for us is: Why would Josephus have omitted the passages about John, Jesus and their followers, which he bad in bis Aramaie original, from the second Greek version of bis work? Nodet argues that Josephus discovered, in Rome, the link between Jesus and the Christians, and that given the Christians' reputation - they were accused of all sorts of terrible things, from immorality and revolutionary tendencies in generat to responsibility for the great Roman frre of 64 CE in particular- it was dangerous to associate the Jews with them.22 However, this explanation will not do. For it is difficult to imagine that Josephus discovered the association of John and Jesus with Christianity only after producing the Aramaie original and the first Greek version, 23 and in any case it was perfectly possible for Josephus to write about Christianity and condemn it, if he was afraid of associating it with true-blue Judaism, just as he wrote freely about Sicarii, "false prophets" and other villainous Jews. Moreover, whatever we think may have been Josephus' reason not to write about the Christians in bis Bellum, it is quite difficult to think that such a reason appeared only between the second and third versions ofthat work. Recall that Nodet's theory requires that we posit not only an Aramaie version, but also a Greek translation of it, with the materials on John and Jesus,
il n'est pas deraisonnable de supposer que ce slavon derive assez fidelement d'une premiere edition de Ia Guerre par Josephe lui-meme" (Nodet, Version slavone, 157). The attribution of the first Greek translation to Josephus hirnself is based on a Iiterat reading of Bell. 1.3 (Nodet, Version slavone, 129). ln fact, however, it would not matter for Nodet's theory if the Greek link of the Aramaic-Greek-Siavonic chain was produced not by Josephus but, rather, by someone else. In a summary table on p. 158, Nodet lists the first edition as "Prise de Jirusalem- version semitique (slavon)". This might seem to indicate that the Slavonic version was based on the original Semitic text. In fact, however, Nodet clearly holds, as do apparently all scholars, that it was based on a Greek text; see Nodet, Version slavone, 129. Nodet, Version slavone, esp. 162f. Nodet's defense of this thesisbegins (Version slavone, 163) with the admission that "II peut semhier etonnant que de Judeeil n'ait pas fait de Iien entre les disciples du thaumaturge (as Jesus is called in the Slavonic Bellum- D.R.S.] et les chretiens", and the rest of his discussion hardly allays that. His case rests on two main arguments: a) the name "Christian" came into use after the days of Jesus (see Acts II :26); and b) Roman writers on the persecution of Christians show that it was considered a deplorable variety of Judaism, so Josephus too could or should have considered it as part of his bailiwick (cf. our discussion of Tacitus and Suetonius, below). However, the question is whether the Christians Josephus knew of- and Nodet admits here that it is "tres possible" that Josephus heard of them already in Judaea - did not themselves have Jesus at the center of their teaching. I see no reason to doubt they did, hence no probability for the notion that anyone could hear of the Christians without linking them to Jesus. lndeed, Nodet (ibid.) assumes that Josephus discovered that link "peut-etre assez vite" in Rome; is there any reason to imagine the Christians Josephus met, or heard of, before arriving in Rome made any less clearly such a connection between their religion and Jesus?
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and then also a new Greek edition of the work without them, all of these produced in the nine years between the destruction of the Temple (70 CE) and the death of Vespasian (to whom Josephus presented a copy of the finished work- C. Ap. 1.50f.; Vita 361). 24 We should expect some more evidence before accepting the hypothesis that one and the same decade saw Josephus including the passages in two versions of his work and omitting them in the third. Thus, just as in generat I remain unconvinced about the authenticity of the Slavonic version, as I have explained at length in a review of Nodet25 , so too am I unconvinced, in particular, about its passages about John, Jesus and their followers. Rather than explaining why Josephus would have omitted them after writing them, I believe we should rather adhere to the standard explanation that someone later than Josephus added them. As for Josephus himself, it is enough if we underline that his Bellum Judaicum is not a chronicle of events in Judaea. It is a monograph about the Jewish War of 6fr73 CE. Indeed, it is a very well-built narrative26, and were it not for the Slavonic material no one would ever have thought that materials about John, Jesus and their followers were somehow lacking and apposite to its narrative. Furthennore, the Bellum is a book which is meant to show that the Jews were themselves to blame for the war and the ensuing destruction. Accordingly, the very first lines of the story, after the prologue, open with Jewish otam; (Bell. 1.31 ), and the book ends with more Jewish otam; in Egypt and Cyrene. Josephus' apologetic point in this book is that while Jewish rebels against Rome brought about the war, they have now all been destroyed, so the Jews and the Romans can retum to a peaceable and respectful ruler-subject relationship. Dealing with Christian origins in this work would not only have been irrelevant to the theme of the monograph; it would also have undermined the work's claim that there were now no more Jewish trouble-makers for Romans, or Jews, to worry about. In other words, if various scholars have argued that Josephus must have talked about Jesus and his followers in the Bellum, since he spoke about lesser Jewish movements, the fact isthat it was easier to talk about lesser movements because they now posed no threat. In Rome of the 70s, just a few years after the Great Fire of 64 which was blamed on the Christians, Christians did pose a threat, and Josephus had no reason to belabor the point that this threat was of Jewish origin. If we were to summarize our argument until now, we would say that Josephus was, on his own premises, right to ignore the Christians, for they had no useful place in his Bellum, and anyway he considered them another qJüA.ov, hence hardly his business. At this point, however, we must Iift up our heads from Josephus and his premises and ask if we think he was right. That is: if Josephus took his man24 25 26
On the date of the Bellum. see Stern, Josephus, esp. 72. See Schwartz, Review. See Bilde. Flavius Josephus, 10f.
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datetobe the narration of the history of the Jewish c:püA.ov, should his book have covered the history of the Christians? Were the Christians Josephus knew a type of Jews? There are a few ways to go about answering this, and, in my opinion, they all culminate in a negative answer. Or, to put it otherwise, they all culminate in a rather early answer to the traditional question of how to date "the parting of the ways", at least as far as Rome itself is concemed. The first and sirnplest way is that of Roman literature: by the days of Nero Romans could talk about Jews and Christians as separate entities. Thus, this is the age in which we find Seneca, Persius, Petronius, Quintilian, Martial and Juvenal all referring to the Jews and none of them referring to Christians.27 Similarly, if we Iook at two younger contemporaries and colleagues of Josephus, we find that although Tacitus does refer to Christians, he does not do so in his long account of the Jews (Hist. 5.1-13), and when he refers to the Christians, in connection with the fire of 64 CE, he does not characterize them as Jews, apart from mentioning that the sect's origin had been in Judaea (Ann. 15.44.2-5). Suetonius does the same: although in connection with 49 CE he speaks of ludaeos impulsore Chresto (Claudius 25.4) he makes no more specific reference to Christians, and when in connection with Nero he refers to the Christians they are a "genus hominum" which adheres to a "new superstition" (Nero 16) and he in no way connects them to the Jews. lndeed, that Christians were not Jews is also the basic statement of LukeActs, another contemporary work often compared, with good reason, with Josephus' Antiquitates. It is important for us to emphasize three things about this work. First, it does not attempt to claim that the Church constitutes the true Israel. Rather, it claims that there is an abiding difference between Jews and Gentiles, and denies that Gentiles in any way become- or should become- Jews by becoming Christians. That is the point of Acts lOf. and 15: non-Jews tuming to God need not go the Moses route, they need not become Jews. Second, this work documents the use of the name "Christians". Whatever we think of the interminable dispute over the question, whether XQTJ!!at(am in Acts 11 :26 means that the Christians of Antioch called themselves by that name or were called by that name, it is clear that name-giving is a basic element of distinguishing identity. Third, Luke-Acts claims very strongly, through words ascribed to Paul not only at Acts 13:46 and 18:6 but also, and very prominently and finally, in the last lines of the work (28:25ff.), that while it was for some reason necessary that the Gospel first be preached to the Jews, since they rejected it its preachers must now turn away from the Jews, to the Gentiles. All of which means that for Luke, the most historically-minded of the Christian writers, the community of Christians was not a community of Jews. If Josephus leamed about the Christians from writers like Luke, he would have concluded that they were a different c:püA.ov- not his business.
27
See Stern (ed.). Greek and Latin Authors I.
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If, however, Josephus learned about Christianity from on-site inspection of the Christian community of Rome and the way it was treated by the Roman authorities, what would he have learned? Here we may point especially to Paul's Epistle to the Romansand to Tacitus' report conceming the punishment of Christians charged with arson in 64 CE. For, as Peter Lampe has shown, the Epistle to the Romans points primarily to a Gentile Christian community in Rome, and the types of punishment imposed upon the Christians in 64 indicate that they did not enjoy civil rights and so were not freedmen, as most Roman Jews were, but were, rather, of pagan ancestry. 28 Accordingly, Roman literature, Christian literature, and the facts of the matter seem all to converge in the conclusion that by the last third of the first century CE, when Josephus wrote, there was no need for a writer on Jewish history, in Rome, to spend much time on the Christians. By way of comparison, it is interesting to consider what is left of the reasons the great Emil Schürer once gave for continuing his Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi all the way down to 135, i.e., for his decision that Christian history remained bound up with Jewish history for more than a generation after Josephus wrote, until the days of Hadrian. I have no difficulty, on the one hand, with Schürer's decision to begin the "Zeitalter Jesu Christi" in 175 BCE, with the beginning of intense and institutionalized Hellenism in Jerusalem. It is perfectly reasonable to trace the rise of Christianity to the appearance of Hellenism; on this score, it seems that nothing which has been discovered since 1940 undermines, and much reinforces, William F. Albright's decision to entitle "In the Fulness of Time" the chapter on Hellenism which serves as the ttA.oc; of his From the Stone Age to Christianity, which appeared that year.29 But I see next to nothing to justify bringing the "Zeitalter Jesu Christi" down to 135 CE, the end of the Bar Kokhba rebellion. In his preface, Schürer cites two reasons for considering the period of Hadrian the beginning of a new era not only from the point of view of political circumstances but also from that of "inner development", hence the proper place to end the era of religious history which saw the appearance of Christianity. But it seems that already thirty years ago it was recognized, if not explicitly admitted, that neither reason holds much water any more, as may be shown by comparing this paragraph of the 190 I preface in its German original to its 1973 English update. 30
28
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lu
Lampe. Stadtrömische Christen. 53-56.65-67. On the clear distinction between Christians and Jews in Rome already by the days of Nero. see also - in the wake of Lampe - Lichtenberger, Jews. esp. 2168. For my version of this standard thesis. see my Studies. 10-19. Left: Schürer. Geschichte I. 2f. Right: Schürer. History I. 2. I introduced the two Roman numerals for the two reasons.
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Wenn es sich sonach empfiehlt, die Darstellung bis zur Zeit Hadrian's fortzuführen, so spricht eben dafür auch der Gang der inneren Entwickelung. [I] Denn gerade zur Zeit Hadrian's haben die jüdischen Gelehrten zum ersten Male das bisher nur mündlich fortgepflanzte traditionelle Recht schriftlich aufgezeichnet und dadurch den Grund zum Codex des talmudischen Rechtes gelegt. Mit der Zeit Hadrian's beginnt also auch für die innere Entwickelung eine neue Epoche, die talmudische, in welcher nicht mehr die Thora Mosis, sondern der Talmud die Grundlage für die weitere juristische Discussion bildet. [II] Zugleich ist dies auch diejenige Periode, in welcher der Pharisäismus infolge des Untergangs des jüdische Staatswesens zu einer rein geistigen Grösse wird, eben damit aber nur noch unbeschränkter die Herrschaft erlangt. Denn mit dem Untergang des Tempels ist die sadducäische Priesterschaft beseitigt; und in der Diaspora vennag das inconsequente hellenistische Judenthum sich nicht auf die Dauer gegenüber dem consequenteren pharisäischen zu behaupten.
But if political considerations warrant the extension of the "age of Jesus" to the reign of Hadrian, the intemal evolution of Judaism does the same, for [I] it was precisely the second century A.D. that saw the commencement of the systematic recording of laws till then transmitted mainly orally, the foundation, in other words, of the Talmudic code.
[0] It was, moreover, the period in which
Pharisaism, as a result of the downfall of Jewish institutions, acquired decisive influence, both as a spiritual power and as a secular authority. For the Sadducee priesthood disappeared with the destruction of the Temple; and in the Diaspora, inconsistent Hellenistic Judaism was unable to hold its own in face of the greater consistency of the Pharisees.
Here, conceming the first reason, we see the English editors have given up the notions that Jewish laws were written down in the second century, 31 and that the Talmud then replaced the Torah. Moreover, the emphasis on Hadrian is gone; "gerade zur Zeit Hadrian 's" has been fudged into "precisely the second century", which Iets us push back toward the generation in which Josephus wrote. Similarly, the modern Schürer, quite rightly, no Ionger claims that Pharisaism in the second century became purely spiritual, nor that the rahbis lacked all secular authority. Thus, the only elements left intact in the new Schürer, as the old, are the twin claims about the Pharisees' trabbis' competitors, namely, that the destruction of the Second Temple saw the demise of the Sadducee priesthood, and that Hellenistic Judaism could no Ionger go on competing with Pharisaism in the Diaspora. Of these two claims no one, today, should go on subscribing to the Iatter, which implies a second-century date for the demise of Hellenistic Judaism in the Diaspora; in fact, it continued to thrive in many areas long after the second century, centuries after what anyone might term Jl
For the non-written nature of r.tbbinic lradilion until a much laler dale, see also C. Hezser's contribution to this volume.
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the "Zeitalter Jesu Christi".J2 The fonner assertion, about the Sadducees, does seem basically right33- but the Temple was destroyed in 70, not in 135, just as in generat it seems clear, from various points of view, that the destruction of the Second Temple was the major watershed in ancient Judaism, with the conclusion of the Bar-Kokhba rebellion in 135, as the fall of Masada in 73, being only aftershocks. 34 That is, a review of Schürer's discussion should Iead us to the conclusion that from the point of view of intemal developments anyone writing a new Schürer today would be weil advised to end with the Destruction of the Second Temple in 70 CE, or, perhaps, with the tirst post-Destruction generation, the one which saw the New Testament books fonnulating the distinction between Jews and "us" just as the rabbis, for their part, were fonnulating a prayer directed against Jews who became Christians.J5 In any case, it was certainly clear to such rahbis that Christians who had never been Jews, such as those who were increasingly becoming the rule in the Christi an world, as they were in Josephus' Rome, were not at all part of the Jewish story. Bibliography Bienert, W.. Der älteste nichtchristliche Jesusbericht. Josephus über Jesus unter besonderer Berücksichtigung des altrussischen ,,Josephus", Halle 1936. Bilde, P., Flavius Josephus Between Jerusalem and Rome, Sheffield 1988. Brandon, S.G.F., Jesus and the Zealots. A Study of the Political Factor in Primitive Christianity, Manchester 1967. Burkitt, F.C., Josephus and Christ, ThT 47 (1913) 135-144. Dibelius, M., Urchristliche Geschichte und Weltgeschichte, ThBl 6 ( 1927) 213-224. Eisler, R., 'I"ao~ ßaatA.E~ ou ßamA.n)oac;. Die messianische Unabhängigkeitsbewegung vom Auftreten Johannes des Täufers bis zum Untergang Jakob des Gerechten nach der neuerschlossenen Eroberung von Jerusalem des Flavius Josephus und den christlichen Quellen I, Heidelberg 1929 (RWB 9). Feldman, L.H., Flavius Josephus Revisited, ANRW II 21.2 (1984) 763-862. Goodman, M., Sadducees and Essenes After 70 CE, in: S.E. Porter (ed.), Crossing the Boundaries: Essays in Biblical Interpretation in Honour of Michael D. Goulder, Leiden et al. 1994 (Biblical Interpretation Series 8), 347-356. Herr, M.D., A Problem of Periodization: The Second Temple and the Mishna and Talmud Periods in Jewish History, in: A. Mirsky/A. Grossmann/Y. Kaplan (eds.), Exile and Diaspora. Studies in the History of the Jewish People. FS H. Beinart, Jerusalem 1988, 64-74 (in Hebrew). Kimelman, R., Birkat HaMinim and the Lack of Evidence for an Anti-Christian Jewish Prayer in Antiquity, in: E.P. Sanders/A.I. Baumgarten/A. Mendelson (eds.), Jewish and Christian Self-Definition II. Aspects of Judaism in the Graeco-Roman World, London 1981, 22fr244. 12 See Rutgers, Hidden Heritage. _n For the almost totally empty dossier, see Goodman, Sadducees. 14 For a more generat discussion, which from various points of view concludes by preferring 70 over 135, see Herr, Problem. -15 See Kimelman, Birkat HaMinim.
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MICHEL BOLLAG
Einheit und Vielfalt des Judentums an der Schwelle zum 21. Jahrhundert Das jüdische Bewusstsein der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurde maßgebend von zwei Ereignissen geprägt, ja man könnte sogar sagen neu konstituiert, nachdem dieses nach der Emanzipation der europäischen Juden von assimilatorischen Tendenzen bedroht wurde. Das eine dramatische Ereignis war die Shoah, der Untergang des europäischen Judentums, das andere die Entstehung und Fortexistenz des Staates Israel. Die Behauptung, dass die Erinnerung an die Shoah und die materielle wie ideologische Solidarisierung mit dem Staat Israel für eine Mehrheit der jüdischen Weltbevölkerung die Funktion eines Religionsersatzes einnahm, ist sicherlich keine Übertreibung und wurde von verschiedener Seite bereits betont. 1 Höhepunkte im Leben der jüdischen Gemeinden in der freien Welt waren - um es ein wenig krass zu formulieren- bis in die späten siebziger Jahre die Jahresfeiern zum Aufstand des Warschauer Ghettos und der Unabhängigkeitstag Israels. Der Rhythmus des jüdischen Lebens gestaltete sich individuell und kollektiv weitgehend rund um die Misserfolge und Erfolge (diese hatten damals Vorrang) des Staates Israel: angefangen mit dessen Gründung, dann den übeiWältigenden Sieg im Sechstagekrieg, das Engagement der Juden in aller Welt um die russische Aliah (Einwanderung}, die spektakulären Erfolge israelischer militärischer Kommandoaktionen wie Entebbe oder später die Aliah der äthiopischen Juden, um nur einige wenige Beispiele herauszugreifen. Im Religionsunterricht und der Jugendarbeit waren diese Themen so dominant, dass manchmal der Eindruck entstehen konnte, das Judentum sei 1945 oder 1948 entstanden. In der Tat: Juden fühlten und definierten ihr Judentum in der zweiten Hälfte des 20. Jh. vornehmlich in Funktion der Shoah und der Existenz eines unabhängigen Staates. Die Erinnerung an eine über dreitausendjährige als Heilsgeschichte interpretierte Traditionskette reduzierte sich, pointiert formuliert, auf die Erinnerung an 50, im besten Falle I 00 Jahre Ereignisgeschichte. Wie prägend die Aktualität der unmittelbaren Vergangenheit des jüdischen Volkes für das jüdische Bewusstsein war, zeigt sich für mich besonders einleuchtend in der Tatsache, dass in der Synagoge meiner Gemeinde in Zürich links und rechts des Almemors zwei Lichtsäulen an der Wand aufgehängt sind, jeweils an diejenigen Juden erinnernd, die in der Shoahermordet oder im Kampf um die Existenz Israels gefallen sind.
I
Vgl. v.a. Hanman, Heart, 259ff.; LeibowitzJShashar, Gespräche, 98.
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Diese Behauptungen mögen übertrieben erscheinen. Es handelt sich dabei m.W. nicht um wissenschaftlich erhärtete Fakten, aber um einen Eindruck, der erhärtet ist durch das, was ich in meiner Jugend, aber auch im Verlauf meiner beruflichen Tätigkeit als Religionslehrer erlebt habe. Vielleicht ließe sich dieser Eindruck am ehesten belegen, wenn man die Vorherrschaft der genannten Ereignisse und Themen in den schriftlichen Publikationen (Presse, Bücher) jener Zeit betrachtet. Wenn der Eindruck nicht täuscht, so ist die bewusstseinsbildende und integrative Kraft dieser beiden Ereignisse seit den frühen achtziger Jahren ins Wanken geraten. Dieser Prozess setzte sich in den neunziger Jahren mit deutlicher Beschleunigung fort. Das vor allem deshalb, weil es sich um einseitig reaktive Muster der Identitäts- und Gemeinschaftsbildung handelte. Sowohl die permanente Ideologisierung der Shoah und der damit verbundene Kampf gegen das Aufkommen antisemitischer Tendenzen als raison d'etre des Judentums als auch die einseitige Verknüpfung jüdischer Identität mit dem Existenzkampf des Staates Israels ließen das Judentum fast ausschließlich als eine von äußeren Ereignissen bestimmte Schicksalsgemeinschaft erscheinen. Gemeinsame positive Inhalte, die für die Bildung einer gesunden, selbstbewussten kulturellen Identität als Bestandteil der Ich-Identität entscheidend sind, ließen und lassen sich dabei nicht erkennen. Zwischen der Ideologie der permanenten Bedrohung des jüdischen Volkes durch äußere Feinde und den Problemen, mit denen der moderne Jude in der gesellschaftlichen Realität von heute konfrontiert wird, besteht eine Diskrepanz, welche die Tradierung des Judentums allein auf der Basis der Erinnerung an die unmittelbare Vergangenheitsgeschichte im Laufe der Zeit zunehmend erschwert. Damit entsteht ein Vakuum, ein identitätsverunsichernder Definitionsnotstand, der die Attraktivität von traditionalistischen und fundamentalistischen Modellen des Judentums seit dreißig Jahren anwachsen lässt. Auf diesem Hintergrund sind die zunehmende Polarisierung und die desintegrativen Tendenzen zu betrachten, welche die gegenwärtige Situation des jüdischen Volkes kennzeichnen. In ihnen lassen sich weder eine Einheit noch eine tolerierte Vielfalt des Judentums erkennen. Sie sind vielmehr Ausdruck einer gefährlichen Zerrissenheit, die besonders im Staate Israel zu einer besorgniserregenden Kulturkampfsituation geführt hat, die ihrerseits auch auf die Gemeinden der Diaspora übertragen wird und nicht ohne negative Folgen bleibt. Besonders manifest wurde diese schon lange unterschwellig bestehende Zerrissenheit mit dem Mord an Yzchaq Rabin 1995. Der Ausgangspunkt der nun folgenden Erläuterungen und des Versuches. die gegenwärtigen Probleme des jüdischen Volkes zu verstehen, bildet die gewiss nicht ganz neue und originelle, aber dennoch in maßgebend führenden Schichten der jüdischen Gemeinden immer noch zu wenig bekannte und internalisierte These, dass die erst am Ende des 20. Jh. mit voller Wucht an die Oberfläche getretene Kluft zwischen den verschiedenen Auffassungen dessen, was Judentum ist, bereits unmittelbar nach der Aufklärung und der daraus hervorgegangenen Emanzipation der europäischen Juden entstanden ist. Diese Kluft ist in zwei sich von vornherein radikal unterscheidenden Reaktionsmustem begründet, mit denen der sich anbahnenden Modeme begeg-
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net wurde. Der Druck des Antisemitismus, das Trauma der Shoah und die Angst vor deren Wiederholung, haben über ein Jahrhundert diese Kluft verdrängen lassen und die desintegrativen Tendenzen im jüdischen Volk weitgehend aufgehalten. Auf dem Hintergrund des gesellschaftlichen Klimas der Postmoderne, welche das Geschichtsbewusstsein in Frage stellt und die Bindungen an die Vergangenheit zu Gunsten des Kultes der Gegenwart auflöst, scheint die Frage nach dem Selbstverständnis des Judentums nicht mehr sehr lange aufgeschoben werden zu können, auch dann nicht, wenn immer wieder oder immer noch antisemitische Rückfälle einer ausschließlichen Fremddeterminierung der jüdischen Identität Vorschub leisten. Die Darstellung des Wandels des jüdischen Selbstverständnisses im Übergang zur Modeme und der sich daran anschließenden Bildung von zwei verschiedenen, typischen Reaktionsmustern bildet den Hauptteil der folgenden Erläuterungen. Einige persönliche Gedanken zu den sich daraus ergebenden Optionen zur Bewältigung der heutigen Zerrissenheit stehen am Schluss des Vortrages. Die Aufklärung und die mit ihr für das Judentum beginnende Modeme hat einen radikalen Wandel des jüdischen Bewusstseins verursacht. Gab es vor der Aufklärung ein Judentum, dessen Wesen sich klar definieren ließ, so wird in Folge der Aufklärung der Begriff ,Judentümer', d.h. die Realität verschiedener sich voneinander unterscheidender jüdischer Selbstverständnisse, gerechter als derjenige des Judentums als einer Größe, die sich durch einheitliche Merkmale definieren lässt, die für alle Juden seit der Aufklärung bis zum heutigen Tage Geltung haben . .,Das jüdische Volk von heute, ist nicht mehr das Volk der Thora"2, betonte Jeshajahu Leibowitz bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit. Mit der Aufklärung hat in der Tat jene Definition des Judentums für die Mehrheit der westlichen Juden ihre Gültigkeit verloren, gemäß der das jüdische Volk, wie der Religionsphilosoph Saadia Gaon es formulierte, nur mittels seiner religiösen Lehren ein Volk sei ( 'en 'umiitenu 'umiih 'elii' b"torotehii).J• Diese Definition des Judentums als Glaubensgemeinschaft finden wir in einer extremen Form auch bei der zentralen rabbinischen Figur des Mittelalters, dem Gesetzesgelehrten und Philosophen Maimonides, der am Schluss seiner Formulierung der 13 Grundlehren des Judentums postuliert: Wenn nun ein Mensch alle diese Grundlehren vollständig annimmt und sein Glauben an sie lauter ist, dann gehört er zur Gesamtheit Israels, und es ist Pflicht ihn zu lieben und mit ihm so zu verfahren, wie Gott es geboten hat, in Bezug auf den Menschen und seinen Nächsten im Hinblick auf Liebe und brüderliche Solidarität. Und wenn er von den Übertretungen auch soviel verübt hat, als er infolge der Begierde und der Übermacht der bösen Natur imstande war, wird er zwar gemäß seiner Sünden bestraft. hat aber Anteil an der kommenden Welt und zählt zu den Sündern Israels.
1
Leibowitz/Shashar, Gesprtiche, 107. Saadja b. Josef al-Fajjumi (882-942 n. Chr.). Se[lu ha'amunöt
w~hade"ot.
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Michel Bollag Wenn aber bei einem Menschen eine von diesen Grundlehren erschüttert worden ist, dann ist er aus der Gesamtheit Israels ausgeschieden, hat die Grundlehre schlechthin geleugnet und wird Häretiker, Epikureer und einer, der Pflanzungen abschlägt, genannt. Es ist Pflicht ihn zu hassen und ihn zugrunde zu richten. Über ihn heißt es in Ps 139,31 : "Sollte ich die nicht hassen Herr, die dich hassen! " 4
Sowohl Saadia Gaon als auch Maimonides blenden in diesen dogmatischen Formulierungen einen Aspekt der jüdischen Selbstdefinition aus, den sie sehr wohl kannten und anerkannten, der von der Halacha selbst, der Regel für die Praxis der Tora, betont wird. Diese definiert jüdische Identität nach objektiven, zunächst als ethnisch biologisch zu bezeichnenden Kriterien: Jüdisch ist, wer eine jüdische Mutter hat oder wer zum jüdischen Volk übertritt und mit diesem Schritt automatisch verpflichtet ist, die Gebote der Tora zu erfüllen. Ein Jude, der die Gebote übertritt, bleibt gemäß talmudischer Definition ein Jude, auch wenn bestimmte Verfehlungen oder häretische Ansichten sein Anteil am Heil zu schmälern vermögen. Die Pflicht, die Gebote der Thora gemäß den Auslegungen durch die Rabbiner zu erfüllen, ist eine Folge des Jüdisch-Seins. Es bedarf zunächst keinerlei persönlichen Bekenntnisses, um dazuzugehören. Diese Forderung wurde erst als Folge der Aufklärung laut und ist eine Erscheinung, die im orthodoxen Judentum während des 19. Jh. erhoben wurde.s Diese ethnisch-biologische Definition des Judentums, wie sie Zvi Zohar und Avraham Sagi in einer Untersuchung über jüdische Identität und Übertritt zum Judentum charakterisieren, wird im Mittelalter selbst religiös gedeutet und als Teil der alle Lebensbereiche umfassenden Religion der Tora verstanden. Anders formuliert: zwischen ethnisch-biologischer, nationaler und religiöser Definition des Judentums besteht eine Einheit. Erst mit der durch die Aufklärung eingeleiteten Loslösung und Ausdifferenzierung der Lebensbereiche aus dem Bereich des Religiösen scheinen sich die rein juridisch-halachische Definition und die dogmatische eines Saadia Gaon oder Maimonides zu widersprechen. Dabei wird deutlich, dass jüdische Identität von vomherein ein komplexes, d.h. vielschichtiges Phänomen ist. Von eigener Relevanz, so darf hier schon angemerkt werden, dürfte hier die Tatsache sein, dass es bereits das juristische Korpus des traditionellen Judentums selbst ist, das diese Vielschichtigkeit dokumentiert. Bis zur Aufklärung jedoch bestimmte das religiöse Deutungsmodell allein. was jüdische Identität ist oder zu sein hat. Die Einheit und das Spezifikum des jüdischen Volkes beruhte von innen wie von außen her betrachtet auf der Treue zur Thora als der für den Einzelnen verpflichtenden Lebensweise wie auch als der für das Kollektiv geltenden religiös-rechtlichen Grundlage des Gemeindelebens. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Jude äußerte seine selbstverständliche fraglose Zugehörigkeit zum jüdischen Volk durch die Erfüllung der religiösen Gebote, der Mizvot, die als gottgegeben verstanden wurden. Abweichungen von der allgemein gültigen Norm wurden von der 4
~
Moses Maimonides, Einführung zum 10. Kapitel des Traktates Sanhedrin (hebr.). Vgl. Zohar/Sagi. Conversion, 213ff.
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nach innen autonom organisierten Gemeinschaft sanktioniert. Durch seinen Glauben und seinen Erwählungsauftrag verstand sich das jüdische Volk als außerhalb der Völkergemeinschaft und außerhalb der gewöhnlichen Geschichte stehend. Der objektiven gesellschaftlichen Trennung zwischen Juden und Nichtjuden entsprechend, war die Welt auch seelisch subjektiv in zwei Bereiche gespalten, einen jüdischen und einen nichtjüdischen, wobei die Existenz der eigenen Nation als Achse galt, um die herum sich die ganze Wirklichkeit drehte. Die Erhaltung dieses Weltbildes sowie der damit verbundenen Werte und Nonnen ist seit Beginn der Modeme nicht mehr durch die in einem traditionsorientierten Gesellschaftssystem üblichen Sozialisationsträger, wie Familie, religiöse Institutionen und erzieherische Institutionen, von vomherein sichergestellt. Dies bedeutet, dass sich das Judentum den Modemisierungsprozessen in einer immer pluraler werdenden Gesellschaft radikal ausgesetzt sieht. Die Frage nach dem Wesen des jüdischen Volkes wurde somit zum ersten Mal seit der Definition von Saadia Gaon ('en 'umiitenu 'umiih 'elii' betorotehii "Unser Volk ist nur durch seine Lehren/religiösen Gesetze ein Volk") nicht mehr eindeutig und einheitlich beantwortet. Diese grundsätzliche Infragestellung bildet die Wurzel aller innerjüdischen Konflikte seit der Aufklärung und bis zum heutigen Tag. Mit dem Fall der Ghettomauem und mit der politischen Emanzipation der europäischen Juden verschwand auch weitgehend die jüdische Gemeindeautonomie, wie sie bis dahin hinter den Ghettomauem existiert hatte. Damit verschwand auch jene gesellschaftliche Struktur, welche die Glaubwürdigkeit der in ihr gelebten Werte und Normen untermauerte und deren konfliktfreie Tradierung ermöglichte. Der objektive gesellschaftliche Säkularisierungsprozess im 19. Jh. und die im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jh. sich beschleunigende Säkularisierung des Bewusstseins schufen den Rahmen, in welchem der moderne Jude/die moderne Jüdin kontinuierlich vor die Aufgabe gestellt werden, ihre Identität zu definieren. Aus spezifisch jüdischer Perspektive beschreibt Elieser Schweid Säkularisierung "als ein Eindringen der umfassenden, nicht-religiösen allgemeinen Kultur in das kulturelle Leben des Volkes Israel, und die Entstehung eines Kontrastes ... zwischen dem orthodox-religiösen Fokus der eigenen Kultur und dem nicht-religiösen Charakter der umgebenden Kultur"6 . Im Zuge der Modemisierung wurde die Fraglosigkeit und Eindeutigkeit des Selbstbildes des Judentums aufgehoben "zugunsten einer internen Pluralisierung und Abkehr vom orthodoxen Verständnis des Judentums, die einerseits zwar zur weiteren schöpferischen Entfaltung befreite und von Begrenzungen durch eine Juden-diskriminierende Umwelt und ,eine strenge Einhaltung des halachischen Lebensstils' löste, andererseits aber die Spezifika und Kennzeichen des Judentums unscharf werden zu lassen drohte." 7 Anders formuliert: Jüdische Identität wird heute nicht fraglos konstituiert und tradiert, das h
E. Schweid, HaJahadut wehaTarbut hachi/onit (Das Judentum und die weltliche Kultur), Tel Aviv 1981, 15, hier zitiert nach: Schröder, Elieser Schweid, 202. Schröder, Elieser Schweid, 203.
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Gegenteil war und ist seit der Emanzipation meistens der Fall. Ein fragloses Judentum droht unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Modeme in die Assimilation zu führen. Bei aller Vielfalt jüdischer Bewegungen und Selbstdefinitionen seit den Anfängen der Emanzipationen bis hin zur Gegenwart stehen sich zwei, sich voneinander radikal unterscheidende Grundkonzeptionen des Judentums in der Modeme gegenüber. (Modeme wird hier verstanden als Epoche, in welcher der fortschreitende Wandel zum Orientierungsprinzip menschlichen Denkens und Handeins geworden ist.) Die beiden Grundkonzeptionen stellen zugleich die zwei Grundoptionen für den Umgang des Judentums mit der Modeme dar: Die eine ist die grundsätzliche Ablehnung der Modeme - bis hin zur Verwerfung - und selbstgewählte Ghettoexistenz; die andere bejaht die Modeme und versucht, sich ohne Identitätsverlust in die Modeme zu integrieren. Dies gilt sowohl für den modernen Staat Israel als auch für die Juden der Diaspora. Wie jede Typologisierung ihre Grenzen und Gefahren hat, hat es auch diejenige, die zwischen der Orthodoxie als grundsätzlich die Modeme ablehnend und religiösen nichtorthodoxen oder säkulär-nationalen Bewegungen als die Modeme bejahend unterscheidet. Sowohl zwischen und innerhalb der modernen zionistischen und der sich von der Modeme radikal distanzierenden Orthodoxie, als auch zwischen und innerhalb der nationalen, zionistischen Strömung und den religiösen Bewegungen, die das Judentum als eminenten Vertreter der rationalistisch-humanistischen Ideale der Aufklärung verstanden haben (Reformbewegung und Conservativ Judaism 8 ), bestehen sehr wohl relevante ideelle Unterschiede. Wenn ich dennoch auf diese Typologisierung zurückgreife, so deshalb, weil sie sich als Deutungsraster eignet, um die Desintegrations- und Polarisierungsphänomäne der Gegenwart besser zu verstehen. Beide Modelle enthalten Defizite, die noch aufgezeigt werden sollen. Im Hinblick auf eine positive Identitätstindung des Judentums im 21. Jh. jenseits von Fundamentalismus und Assimilation führen diese Defizite in eine Sackgasse. Darüber hinaus stellt die Tatsache der Nichtkompatibilität dieser Modelle, der Tatsache also, dass ein vernünftiger Diskurs zwischen Exponenten dieser Modelle nicht geführt werden kann, ein für die Zukunft des jüdischen Volkes gefährliches Konfliktpotential dar. Wir beginnen mit dem Modell der Ablehnung der Modeme. Die grundsätzliche Option der Orthodoxie, jeden Wandel und damit das Grundprinzip der Modeme überhaupt abzulehnen, geht davon aus, dass das Judentum eine vollkommen abgesonderte Welt, ein geschlossenes System von Überzeugungen und Anschauungen ist, welches in einer unabänderlichen religiösen Praxis und Lebensart mündet. Zur Untermauerung dieser These wird immer wieder gerne Num 23,9 zitiert: "Siehe da, ein Volk, gesondert R
Die in den USA als ..conservativ judaism'' und in Israel als .,masorti" bezeichnete Bewegung hält sich enger an die Halacha als das Reformjudentum. legt sie jedoch freier aus. Sie setzt sich im Gegensatz zur Orthodoxie auch mit der historisch-kritischen Bibelforschung ausein· ander.
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ist sein Sitz, zu den Nationen rechnet es sich nicht." Diese Welt fundiert auf ewigen, unabänderlichen, göttlichen Fundamenten, die in der Thora offenbart sind, deren Autorität weder hinterfragt werden kann, noch hinterfragt werden darf. Zu diesen Fundamenten gehört auch die prinzipielle schicksalshafte und deshalb unumstößliche Feindschaft der Völker gegenüber dem jüdischen Volk. Am schärfsten formuliert ist diese ablehnende Haltung gegenüber der Modeme in einer berühmt geworden Formel des in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Pressburg (Bratislava) wirkenden rabbinischen Gelehrten Moses Sofer, besser bekannt unter dem Namen Chatam Sofer. Diese Formel lautet ~iidiis 'iisur min hatoriih ("Das Neue/Modeme wird von der Thora verboten"). 9 Diese Haltung ist insofern modern und keineswegs eine bruchlose Fortführung der Tradition, als dass sie bereits in bewusster, d.h. reflektierter Reaktion zur neuen gesellschaftlichen Situation eingenommen und begründet wird. Die Tradierung dieser Haltung setzt die Herausbildung neuer Sozialisationsträger und -abläufe voraus. Solche begannen sich im Verlaufe des 19. Jh. herauszubilden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh., infolge der Shoah, gelang es ihnen, in breiten Kreisen der Orthodoxie Fuß zu fassen. Tief erschüttert vom Niedergang des traditionellen Judentums sah der Chatam Sofer die einzige Möglichkeit, den Gefahren der Modemisierung zu entgehen, im absoluten Festhalten an sämtlichen traditionellen Bräuchen, denen - ungeachtet ihrer historischen Bedingtheiten - ein heiliger. den Geboten der Thora selbst äquivalenter Status gegeben wurde. Unter der Inspiration des Chatam Sofer wurde die Pressburger Jeschiva eine Urquelle der militanten Orthodoxie der nächsten Generation in Ungarn, deren Einfluss die Entwicklung der Orthodoxie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und im 20. Jh. maßgebend geprägt hat. Bei dem Slogan "die Thora verbietet das Neue" geht es primär nicht darum, den Gebrauch von technologischen Errungenschaften, die ab dem 19. Jh. die Lebensgewohnheiten immer schneller und tiefgreifender veränderten, zu verbieten. Vielmehr erkannte der Chatam Sofer sehr präzise und zutreffend, dass diese Änderungen auch zu einem Bewusstseinswandet führen würden. Die tiefere Bedeutung von ~iidiis 'iisur min hatoriih ("Das Neue/Modeme wird von der Thora verboten"), und damit auch vielleicht ein Teil des Geheimnisses des Erfolgs der Ultraorthodoxie gerade im zweiten Teil des 20. Jh., liegt in der Kritik der Grundprinzipien der Modeme. Nicht auf die Inhalte des Wandels kommt es primär an, sondern auf die Grundorientierung der Modeme selbst, in der Wandel zum geltenden Prinzip von Denken und Handeln geworden ist. All dem gegenüber postulierte Chatam Sofer, dass die Thora (und das heißt für ihn nicht nur schriftliche und mündliche Überlieferung, sondern auch alle später durch die Gelehrten eingeführten Bräuche) dem historischen Wandel nicht unterworfen ist. Die Thora ist nicht nur. was deren Prinzipien betrifft, sondern auch in all ihren formalen Bestimmungen ahistorisch. Der
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Moses Sofer. lYra.fOt (Reden).
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theologische Satz toriih min hasiimayim ("Die Tora ist vom HirnmeVvon Gott offenbart") 10, der die Göttlichkeit der Thora zum Ausdruck bringt, wird aufgrund dieser wörtlichen Deutung als historische Tatsache postuliert. Diese Auffassung ist im Prinzip allen orthodoxen Richtungen der Modeme gemeinsam, wenn sie auch in dieser Radikalität und Konsequenz nur von Chatam Sofer formuliert wurde. Im Gegensatz dazu, haben die verschiedenen Strömungen innerhalb dessen, was als moderne Orthodoxie bezeichnet wird, versucht, die zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften der Moderne in die Welt der Thora zu integrieren, angefangen mit der vom Rabbiner der Frankfurter Austrittsgemeinde Samson Raphael Hirsch in der zweiten Hälfte des 19. Jh. geprägten Formeltoriih 'im d~r~k ·~,~~ ("Thora verbunden mit weltlichem Wissen") bis hin zum Rabbiner Joseph Dov Soloveyczik in den USA unmittelbar nach der Shoah. Besonders hervorzuheben ist dabei die Haltung des religiösen Zionismus, der sich von Beginn an am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufbau des jüdischen Staates beteiligt hat. So betrachtet enthält der religiöse Zionismus mit seinem Grundsatz des Aktivismus ganz bestimmt ein revolutionäres Potential, was seine Vordenker auch klar erkannten und formulierten und was dieser Bewegung die scharfe Opposition der klassischen Orthodoxie einbrachte. Trotz dieser prinzipiellen Offenheit ist es jedoch auch in diesen modem-orthodoxen Strömungen nie zu einer Integration von Thora und Modeme gekommen. Denn auch die moderne Orthodoxie geht davon aus, dass das Judentum eine abgesonderte Welt darstellt und dass alles aus der Thora selbst erklärbar ist bzw. dass alle Phänomene auf die Thora zurückgeführt werden müssen. Obwohl das modem-orthodoxe Judentum in der säkularisierten Welt stärker integriert ist als das ultra-orthodoxe, charedische 11 Judentum, gilt auch für es, dass die Säkularisierung im Prinzip illegitim und reversibel ist. Die besonders seit 1967 als nah geglaubte Ankunft des Messias werde, wenn man so sagen darf, die wahre Religion über die Säkularisierung triumphieren lassen. Diese Feststellung erklärt, weshalb es in letzter Zeit zur Annäherung zwischen ultraorthodoxen und modem-orthodoxen, national-religiösen Strömungen insbesondere in Israel gekommen ist. In alarmierendem Maße zum Ausdruck gekommen ist diese Haltung zum Beispiel im deklarierten Widerstand extremer Gruppierungen zu eventuellen demokratischen Entscheiden, was die Siedlungspolitik Israels betrifft. Diese grundsätzliche Opposition droht um so militanter zu werden, als die Diskrepanz zwischen dem postulierten Weltbild und den politischen und sozialen Realitäten wächst. Welches gemeinsame Konzept, so müssen wir nun fragen, stellen die die Modeme bejahenden Strömungen dem klar definierten Selbstverständnis der to
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Bereits im 10. Kapitel des Traktates Sanhedrin hält die Mischna fest, dass wer sage, die .,Tora sei nicht vom Himmel". keinen Anteil an der ,.Weh. die komme" habe. Mit dieser Formel begründen die Rabbinen die Verbindlichkeit der religiösen Gesetze. sowohl der darin wonwönlich enthaltenen als auch derjenigen, die von der Schrift abgeleitet wurden. Mit dem Ausdruck .Charedi • oder .Charedim • bezeichnen sich die Ultra-Onhodoxen selbst. Er ist abgeleitet von dem hebräischen Verb .zittern. bangen") und kommt beispielsweise in Jes 66,5 oder Esra 9,14 vor.
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Orthodoxie entgegen, welches das Judentum als eine monolithische Einheit versteht? Als erstes gilt es festzuhalten, dass wir es innerhalb der modernitätsbejahenden Option mit einer Vielfalt von jüdischen Selbstverständnissen zu tun haben, deren gemeinsamer Nenner nicht so eindeutig festzulegen ist. Die gemeinsamen Grundannahmen der Befürworter der Modeme beruhen nicht so sehr auf jüdischen Motiven als vielmehr auf der grundsätzlichen Akzeptanz von Prinzipien, die seit der Aufklärung Allgemeingut der westlichen Gesellschaft geworden sind. Sowohl für den säkularen Zionismus als auch für die religiösen nichtorthodoxen Strömungen des Judentums gilt die implizite oder explizite Annahme, dass die voraufklärerische, religiöse Bestimmung des Judentums nicht die einzig legitime ist- oder, wie extreme Exponenten dieser Bewegungen behaupten, dass sie überwunden werden und der Pluralismus der westlichen Gesellschaft eins zu eins auf das Judentum übertragen werden müsse. Die moderne Erkenntnis, dass die Weh sich in einem permanenten Wandel befindet, wird auch auf das Verständnis des Judentums übertragen. Diese Postulate münden in einem Selbstverständnis des Judentums, das Eliezer Schweid wie folgt umschreibt: Das Judentum ist eine offene Kultur, welche gegenseitige Beziehungen zu den Kulturen pflegt, inmitten derer es lebt. Zwischen der jüdischen Kultur und den Kulturen, in denen diese organisch eingebettet ist, haben nicht erst seit der Aufklärung, sondern in allen Epochen gegenseitige Beeinflussungen stattgefunden.12
Geht man davon aus, dass Eliezer Schweids These durch die wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Geschichte erhärtet ist und dass die Bejahung der Modeme ohne Dissolution der jüdischen Identität die besondere Herausforderung der Gegenwart und der nahen Zukunft ist, so stellen sich eine Reihe von Fragen, die ich hier darlege, ohne den Anspruch zu erheben, es seien damit schon alle Fragen gestellt. Wie lässt sich, so lautet eine erste existenzielle und deshalb auch bedrohliche Frage, insbesondere mit Blick auf die Situation in Israel, eine Vielfalt von Judentümem aufrechterhalten, die miteinander leben und kommunizieren und sich gegenseitig respektieren? Anders formuliert, wie kann das de facto pluralistische Judentum mit seinen religiösen, ethnischen, kulturellen und sozialen Gegensätzen in der pluralistischen Gesellschaft von heute in Israel und auch in der Diaspora dennoch als eine Einheit wahrgenommen werden, welche die Diversität und den Dialog erst ermöglicht? Welche Definition von Judentum vermag über alle verschiedenen jüdischen Selbstverständisse hinweg das Bewusstsein zu vermitteln. eine gemeinsame kollektive Identität zu haben? Und, um es auf den Punkt zu bringen, wie lässt sich eine jüdische Identität jenseits des religiös formulierten Glaubens und des Gefühls, einer verfolgten Schicksalsgemeinschaft anzugehören, konstituieren? Nimmt man zudem die bereits erwähnte Tatsache ernst, dass die Halacha den Glauben und das Praktizieren der Gebote als Verpflichtung betrachtet, 12
E. Schweid in: Sagi (Hg.). Judaism.
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die sich aus dem Jüdisch-Sein ergibt, und nicht dieses als erstes und einziges Kriterium der Zugehörigkeit zum Judentum postuliert, sondern die Tatsache, von einer jüdischen Mutter geboren zu sein, so ergibt sich daraus die logische Konsequenz, dass der in seinem Bewusstsein säkulare Jude halachisch gesehen legitimerweise jüdisch ist. Diese Feststellung verschärft die Frage nach der Suche von ldentifikationsmodellen, die für diesen modernen säkularisierten Menschen genauso plausibel sind wie für den religiösen. Patentantworten auf und Rezepte für diese Grundfragen und Probleme gibt es nicht. Bereits oberflächliche Kenntnisse in jüdischer Geschichte lehren uns, dass Konflikte im jüdischen Volk insbesondere auch dann, wenn die Identitätsfrage damit verbunden war, gewalttätig ausgetragen wurden. Eine Garantie dafür, dass uns dies in Zukunft erspart bleiben wird, kann leider niemand geben. Religiöser Militantismus messianistischer oder ultra-orthodoxer Prägung, aber auch säkularistischer Militantismus in Israel haben bereits in der jüngeren Vergangenheit angedeutet, mit welchen antidemokratischen Mitteln sie ihre Ideologie durchzusetzen gedenken. Diese innere Gefahr ist ganz eng mit den Optionen verknüpft, die sich in den Beziehungen zu den palästinensischen Nachbarn Israels ergeben werden. Nicht zum ersten Mal in der jüdischen Geschichte stellt der Aufbau eines selbständigen jüdischen Gemeinwesens, sprich eines unabhängigen Staates, einen Prüfstein dar, an dem auch ein Scheitern in Kauf genommen werden muss. Dennoch oder gerade deshalb und jetzt erst recht sind Visionen und Hoffnungen, ein Glaube ohne Illusionen und Phantasmen erlaubt - Hoffnungen, die aber zwingend an ein Handeln geknüpft sind, das aus einer Verantwortung für die Gemeinschaft, für das Kollektiv wahrgenommen werden soll. Diese Verantwortung ist geradezu das Gebot der Stunde. Jene selbstlose Verantwortung für den anderen ist damit gemeint, die die Voraussetzung des Seins ist und im Mittelpunkt jüdischer Existenz steht. Diese hat sich, wenn man sich auf deren literarische Quellen beruft, stets sowohl als irdisch historisch als auch als metahistorisch verstanden. Israel ist ein konkretes irdisches Volk, das sein Schicksal existenziell an ein Jenseits knüpft. Mit dem Begriff ,Jenseits· ist hier freilich nicht eine übersinnliche Realität gemeint, die örtlich und zeitlich getrennt von diesem konkreten Leben existiert, sondern jener Bereich geistiger Wahrheiten, dem sich das jüdische Bewusstsein verpflichtet fühlt. Diese Verpflichtung einem Absoluten gegenüber bedingt zugleich die Bindung an das konkrete Hier und Jetzt, an die reale konkrete Welt, in der diese Wahrheiten vertreten werden müssen. Ohne diesen Bezug auf eine sich per definitionem wandelnde Welt, die auch das Bewusstsein jüdischer Menschen verändert, kann das jüdische Volk auch seine metaphysische Dimension nicht wirklich, d.h. weltbezogen, leben. Die Verantwortung für das Ganze, das Kollektiv, nicht bloß für das Segment eines vermeintlichen Restjudentums bzw. für das Judentum allein, verpflichtet zum Engagement im Aufbau und in der Gestaltung einer Gemeinschaft, aber auch einer ganzen Gesellschaft. Ein solches Engagement, eine Teilnahme von Innen und nicht bloß eine Kritik von Außen, ist in einem genuin jüdischen Denken, in dessen Mittelpunkt die Halacha steht, verankert.
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Erlauben Sie mir zur Untermauerung dieses Standpunktes den Bibelvers aus Gen 18,19 zu zitieren: "Denn ich hab ihn ersehen, dass er hinterlasse seinen Söhnen und seinem Hause nach ihm, dass sie wahren den Weg des Ewigen, zu tun Gebühr und Recht, damit der Ewige kommen lasse auf Abraham, was er über ihm ausgesprochen hat." Die Notwendigkeit, für das Wohl des Ganzen und damit auch für Gerechtigkeit und solidarisches Einstehen für den anderen zu sorgen, ist eine Aufgabe, die sowohl genuin religiös als auch humanistisch säkular verstanden werden kann. Die Notwendigkeit eines innerweltlich durch und durch politischen Handeins kann ein Aspekt der Tradition sein, der noch zu wenig eingelöst wurde. Darauf haben verschiedene Denker wie Emmanuel Levinas oder David Hartmann hingewiesen. Diesen beiden, von so verschiedenen Denktraditionen herkommenden Persönlichkeiten ist gemeinsam, dass sie in ihrem Werk den in den apologetischen Tendenzen des 19. Jh. wurzelnden Gegensatz von Universalismus und Partikularismus überwinden. Vielmehr suchen sie nach dem genuin Universellen, Rationalen, ja Aufklärerischen gerade in den partikularen Dimensionen jüdischer Existenz - sei dieses Partikulare nun die rabbinische Hermeneutik, die sogenannten rituellen Gebote oder die Hartnäckigkeit des Glaubens an einen Messias, der nur so lang der wahre ist, als er der noch zu kommende ist. Sowohl eine religiöse als auch eine humanistisch fundierte Verantwortung tendieren dazu, den Ist-Zustand einer Gesellschaft transzendieren zu wollen und einen Soll-Zustand anzustreben, bei dem ein Mehr an Humanität, an Gerechtigkeit und Menschlichkeit realisiert werden kann. Gerade die säkulare, pluralistische, demokratische Gesellschaft, die sich den Prinzipien der Aufklärung verpflichtet fühlt, bleibt, wenn sie ihren freiheitlichen, die Menschenwürde bewahrenden Charakter aufrechterhalten will, darauf angewiesen, den, wie Eliezer Schweid es formuliert, "Horizont der weltlichen Kultur durch deren Sichöffnen für Inhalte, die jenseits ihrer Selbst liegen, zu erweitern"13. An dieser Stelle kann m.E. ein innerjüdischer Dialog zwischen der Vielfalt der Judentümer stattfinden, eine fruchtbare Begegnung zwischen halachisch und nicht halachisch bestimmten Identitätsverständnissen des Judentums. Gewiss stehen einige Auswüchse des postmodernen Zeitgeistes im schroffen Gegensatz zu diesen Anliegen, Stichworte dafür sind z.B. Individualismus, Rückzug ins Private, Ende der Geschichte. Gerade an diesem Punkt, so denke ich, kann, ja vielleicht muss das Judentum ein Eigenes, Spezifisches wiederentdecken, das es, verzeihen Sie mir hier diesen Ausdruck, attraktiv macht, positive Identifikationen generiert. Dieses, das Hier und Jetzt transzendierende Element, welches das Sein erst fundiert, ist in den Texten der jüdischen Tradition verankert: in Thora, Mischna, Talmud, Midraschim, deren Kommentaren und Suprakommentaren und in jeder sich darauf beziehenden Literatur. In ihnen hat Israel seine Wurzeln, mit ihnen lernt es seine Existenz zu verstehen und mit ihnen erwirbt es sich sein Geschichtsbewusstsein, wel-
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E. Schweid in: Sagi (Hg.). Judaism.
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ches auf geistigen Werten beruht, deren existenzielle Bedeutung jenseits der partikularen religiösen Praxis liegt. Nur die je verschieden begründete Verankerung der verschiedenen heute existierenden Judentümer in diesen Quellen und das Bezogenbleiben auf sie bieten Gewähr für die Kommunikationsfähigkeit bzw. Einheitsstiftung unter den sehr verschieden geprägten und Subkulturen bildenden Juden in Israel und in der Diaspora.
Bibliographie Hartman, D., A Heart of Many Rooms. Celebrating the Many Voices Within Judaism, Woodstock 1999. Leibowitz, J./Shashar, M., Gespräche über Gott und die Welt, übers. v. M. Schmidt, Frankfurt a.M. 1990. Sagi, A. (Hg.), Judaism. A Dialogue Between Cultures (hehr.), Jerusalem 1999. Schröder, B., Elieser Schweid: Judentum als Kultur. Eine moderne israelische Selbstdefinition und ihre (religions-)pädagogischen Implikationen. Eine Skizze, Jud. 54 (1998) 201-213. Zohar, Z./Sagi, A., Conversion to Judaism and the Meaning of Jewish ldentity (hehr.), Jerusalem 1994.
Autorenverzeichnis JoHN M.G. BARCLAY ist Professor of New Testament and Christian Origins an der Universität Glasgow. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Paulinische Christentum (Obeying the Truth. A Study of Paul's Ethics in Galatians, 1988) und das antike Diasporajudentum (Jews in the Mediterranean Diaspora from Alexander to Trajan, 1996). Eine kommentierte Übersetzung zu Josephus' Contra Apionem ist in Vorbereitung. MICHEL BoLLAG ist Co-Leiter des Züricher Lehrhauses. Zudem ist er als Dozent in der Erwachsenenbildung tätig. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die jüdische Spiritualität. Gebetspraxis und Religionsphilosophie. JoHN J. CoLUNS ist Holmes Professor of Old Testament Criticism and Interpretation an der Yale University in New Haven (CT). Forschungsschwerpunkte sind die frühjüdische Apokalyptik und Weisheit sowie das hellenistische Diasporajudentum. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen gehören ein Kommentar zum Buch Daniel (1993), The Scepter and the Star (zum Messianismus in Qumran, 1995), Jewish Wisdom in the Hellenistic Age ( 1997), Apocalypticism in the Dead Sea Scrolls ( 1997), The Apocalyptic Imagination (21998) und Between Athens and Jerusalem. Jewish ldentity in the Hellenistic Diaspora (22000). HEINZ-JOSEF FABRY ist Professor für Einleitung in das Alte Testament und alttestamentliche Zeitgeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er ist Herausgeber des Theologischen Wörterbuches zum Alten Testament (ThWAT) und des Theologischen Wörterbuches zu den Qumrantexten (ThWQ) (zus. mit der Hebrew University in Jerusalem) sowie Mitglied im Advisory Board des internationalen Lexikon-Projektes Semanlies of Ancient Hebrew Dictionary (SAHD). Zudem ist er Mitherausgeber in dem Septuaginta-Projekt der Rheinischen Landeskirche. CATHERINE HEZSER ist Professor of Jewish Studies am Trinity College in Dublin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das rabbinische Judentum. Publiziert hat sie die Monographien Form, Function and Historical Sigtrificance of the Rabbinie Story in Yerushalmi Neziqin (1993), The Social Structure ofthe Rabbinie Movement in Roman Palestine (1997) und Jewish Literacy in Roman Palestine (2001). An den Bänden The Talmud Yerushalmi and Greco-Roman Culture 1-11 ist sie mit zahlreichen Aufsätzen sowie als Mitherausgeberio (II, zus. mit P. Schäfer) beteiligt. JOHANN MAlER war Professor für Judaistik an der Universität zu Köln. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte und Religion des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels, insbesondere Qumran. Zu seinen zahlreichen Publikationen gehören die Monographien Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des ::.weiten Tempels ( 1990), Die Kabbalah. Einführung - Klassische Texte und Erläuterungen ( 1995). Der Lehrer der Gerechtigkeit ( 1996), Kriegsrecht und Friedensordnung in jüdischer Tradition (2000) und Judentum von A-Z (2001 ). Grundlegend sind auch seine Publikationen der Texte aus Qumran: Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer
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Autorenverzeichnis
1-111 (1995/1996) und die Tempelrolle vom Toten Meer und das ,Neue Jerusalem' (31997).
KARL-WtLHELM NtEBUHR ist Professor für Neues Testament an der Friedrich-SchillerUniversität in Jena. Sein Forschungsschwerpunkt ist das frühe Christentum in seinem flühjüdischen Kontext. Veröffentlicht hat er u.a. die Monographien Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur ( 1987) und Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen ( 1992). Er ist Herausgeber und Mitautor der Grundinformation Neues Testament (2000) sowie Mitherausgeber der Theologischen Literatuneitung, der New TestamentStudiesund der Reihen Neues Testament Deutsch/Grundrisse zum Neuen Testament. DANtEL R. ScHWARTZ ist Professor of Jewish History an der Hebrew University in Jerusalem. In seinen Forschungen beschäftigt er sich mit der Geschichte und Religion des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels. Publiziert hat er eine Monographie zu Agrippa I ( 1990) sowie Studies in the Jewish Background of Christianity ( 1992). Ein Kommentar zum 2. Makkabäerbuch ist im Druck.