Arbeitsort Schule. Organisations- und arbeitspsychologische Perspektiven (uniscope) German

Andreas Krause | Heinz Schüpbach | Eberhard Ulich | Marc Wülser (Hrsg.) Arbeitsort Schule

Andreas Krause | Heinz Schüpbach | Eberhard Ulich | Marc Wülser (Hrsg.)

Arbeitsort Schule Organisations- und arbeitspsychologische Perspektiven

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Prof. Dr. Andreas Krause lehrt Angewandte Psychologie an der FH Nordwestschweiz. Prof. Dr. Heinz Schüpbach lehrt Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologie der Universität Freiburg. Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Ulich ist Seniorpartner des iafob in Zürich, wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Unternehmensnetzwerks „Enterprise for Health“ sowie Präsident der Stiftung Arbeitsforschung. Dr. Marc Wülser ist Mitarbeiter am Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob).

Mitglieder der SGO (Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management) erhalten auf diesen Titel einen Nachlass in Höhe von 10 % auf den Ladenpreis.

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Ulrike Lörcher | Katharina Harsdorf Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Umschlaggrafik: Giovanni Huber, Künstler, Embrach, Schweiz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0640-3

Geleitwort

Geleitwort Dieȱ gesellschaftlicheȱ undȱ volkswirtschaftlicheȱ Bedeutungȱ derȱ BilȬ dungȱ undȱ damitȱ auchȱ derjenigenȱ Institutionenȱ undȱ Personen,ȱ dieȱ sichȱdieserȱAufgabeȱstellen,ȱistȱweitgehendȱunbestritten.ȱBildungȱistȱ derȱ Wettbewerbsfaktorȱ derȱ Zukunftȱ schlechthin.ȱ Wieȱ entscheidendȱ gutȱ ausgebildeteȱ Personenȱ fürȱ dieȱ Gesellschaftȱ undȱ dieȱ Wirtschaftȱ sind,ȱzeigtȱ sichȱ heuteȱ eindrücklichȱinȱdenȱ demographischenȱ SzenaȬ rien.ȱ Daȱ dasȱ Erwerbskräftepotenzialȱ inȱ vielenȱ entwickelten,ȱ westliȬ chenȱ Industrienationenȱ zurückgeht,ȱ istȱ esȱ doppeltȱ wichtig,ȱ dieȱ verbleibendenȱPersonenȱbestmöglichȱaufȱdasȱErwerbslebenȱvorzubeȬ reiten.ȱGleichzeitigȱmitȱderȱzunehmendenȱBedeutungȱderȱBildungsȬ institutionenȱ habenȱ sichȱ dieȱ Arbeitsbedingungenȱ fürȱ Lehrendeȱ grundlegendȱ verändert.ȱ Neueȱ Familienformen,ȱ alternativeȱ ErzieȬ hungsmodelle,ȱ Diversityȱ (Vielfalt),ȱ Wirkungsorientierung,ȱ SchulȬ management,ȱ Bildungsreformȱ undȱ Evaluationȱ sindȱ nurȱ einigeȱ Stichworte,ȱ welcheȱ diesenȱ Wandelȱ symbolisieren.ȱ Derȱ Berufȱ derȱ Lehrendenȱ istȱ gleichzeitigȱ wichtigerȱ undȱ schwierigerȱ geworden.ȱ Grundȱ genug,ȱ sichȱ differenziertȱ mitȱ demjenigenȱ Systemȱ auseinanȬ derzusetzen,ȱanȱdemȱBildungȱstattfindet:ȱdemȱArbeitsortȱSchule.ȱ Mitȱ ihremȱ Sammelwerkȱ habenȱ Andreasȱ Krause,ȱ Heinzȱ Schüpbach,ȱȱ Eberhardȱ Ulichȱ undȱ Marcȱ Wülserȱ einȱ Werkȱ vorgelegt,ȱ dasȱ sichȱ diffeȬ renziertȱ ausȱ einerȱ arbeitsȬȱ undȱ organisationspsychologischenȱ PerȬ spektiveȱmitȱdenȱArbeitsbedingungenȱvonȱLehrkräftenȱauseinanderȬ setztȱundȱdieȱFrageȱthematisiert,ȱwieȱderȱArbeitsortȱSchuleȱzuȱgestalȬ tenȱ ist,ȱ damitȱ dieseȱ eineȱ bestmöglicheȱ Bildungsleistungȱ erbringenȱ können,ȱohneȱihreȱGesundheitȱundȱihrȱWohlbefindenȱzuȱbeeinträchȬ tigen.ȱ Inȱ 14ȱ Kapitelnȱ werdenȱ vonȱ ausgewiesenenȱ Fachkräftenȱ funȬ dierteȱundȱgleichzeitigȱpraxisorientierteȱBeiträgeȱvorgelegt,ȱdieȱsichȱ mitȱ derȱ Gestaltungȱ undȱ Entwicklungȱ vonȱ Schulenȱ auseinandersetȬ zen.ȱNebenȱderȱAnalyseȱdesȱArbeitsortesȱSchuleȱundȱdesȱBerufsȱderȱ Lehrenden,ȱ enthältȱ dasȱ Werkȱ auchȱ konkreteȱ Hinweise,ȱ wieȱ dieȱArȬ beitsbedingungenȱ vonȱ Lehrendenȱ zuȱ gestaltenȱ sindȱ undȱ welcheȱ mentalenȱ Modelleȱ nützlichȱ sind,ȱ umȱ denȱ Arbeitsortȱ Schuleȱ alsȱ geȬ sundheitsförderlichȱundȱnichtȱgesundheitsschädigendȱzuȱverstehen.ȱ MehrereȱAbschnitteȱ sindȱ derȱ Schulentwicklungȱ undȱ demȱ SchulmaȬ nagement,ȱ insbesondereȱ demȱ Personalmanagementȱ inȱ Schulen,ȱ geȬ widmet.ȱDieȱAutorinnenȱundȱAutorenȱlegenȱüberzeugendȱdar,ȱdassȱ einigeȱ Ansätzeȱ undȱ Instrumente,ȱ wieȱ sieȱ auchȱ imȱ UnternehmensȬ

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Geleitwort

kontextȱAnwendungȱ findenȱ (Mitarbeitergespräch,ȱ Jahresarbeitszeit,ȱ Personalentwicklungȱ etc.),ȱ mitȱ derȱ nötigenȱ Umsichtȱ undȱ ÜbersetȬ zungsleistungȱ auchȱ imȱ Schulkontextȱ nützlichȱ eingesetztȱ werdenȱ können.ȱDerȱletzteȱAbschnittȱdesȱBuchesȱwendetȱsichȱeinigenȱweiteȬ renȱinteressantenȱThemenstellungenȱzu,ȱdieȱmithelfen,ȱdenȱArbeitsȬ ortȱSchuleȱundȱseineȱAkteureȱnochȱbesserȱzuȱverstehen.ȱ Insgesamtȱ istȱ einȱ fundiertesȱ undȱ anspruchsvollesȱ Buchȱ entstanden,ȱ dasȱdieȱDiskussionȱumȱdieȱGestaltungȱundȱEntwicklungȱvonȱSchuȬ lenȱeinenȱgroßenȱSchrittȱweiterbringt.ȱEsȱistȱnichtȱnurȱfürȱLehrendeȱ selbstȱlesenswert,ȱsondernȱauchȱfürȱalleȱanderenȱAnspruchsgruppenȱ vonȱ Schulenȱ (Lernende,ȱ Eltern,ȱ Schulleitungen,ȱ Bildungsbehörden,ȱ Beratungsinstitutionenȱ imȱ Schulbereichȱ etc.),ȱ daȱ esȱ neueȱ Einsichtenȱ vermitteltȱundȱkonkreteȱHandlungenȱanregt.ȱDieȱSGOȬStiftungȱ(StifȬ tungȱderȱSchweizerischenȱGesellschaftȱfürȱOrganisationȱundȱManagement)ȱ danktȱ denȱ Herausgebernȱ sowieȱ allenȱ beteiligtenȱ Autorinnenȱ undȱ Autorenȱ fürȱ dasȱ großeȱ Engagementȱ undȱ dasȱ sehrȱ erfreulicheȱ EndȬ ergebnis.ȱ Fürȱ eineȱ Institution,ȱ dieȱ sichȱ denȱ Transferȱ vonȱ (ManageȬ mentȬ)Wissenȱ ausȱ derȱ Wissenschaftȱ inȱ dieȱ Praxisȱ (undȱ umgekehrt)ȱ zumȱ Zielȱ gesetztȱ hat,ȱ stelltȱ dieȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ demȱ ArȬ beitssystemȱSchuleȱeineȱwillkommeneȱErweitungȱdesȱAnwendungsȬ spektrumsȱdar.ȱWirȱwünschenȱdiesemȱwertvollenȱBuchȱdieȱverdienteȱ VerbreitungȱundȱinteressierteȱLeserschaft.ȱ ȱ Interlaken,ȱimȱAugustȱ2007ȱ ȱ ȱȱ ȱ

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Prof.ȱDr.ȱRobertȱJ.ȱZauggȱ VizepräsidentȱderȱSGOȱundȱȱ StiftungsratȱderȱSGOȬStiftungȱ

Vorwort

Vorwort ArbeitsortȱSchuleȱ–ȱzuȱdieserȱThematikȱwurdenȱinȱletzterȱZeitȱmehȬ rereȱ Publikationenȱ vorgelegt.ȱ Dieȱ Mehrzahlȱ beschäftigtȱ sichȱ mitȱ FragenȱderȱBelastungȱundȱBeanspruchungȱvonȱLehrkräften.ȱInȱdemȱ hierȱ vorliegendenȱ Buchȱ sollenȱ möglicheȱ Beiträgeȱ derȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologieȱ fürȱ dieȱ Analyse,ȱ Bewertungȱ undȱ GestalȬ tungȱschulischerȱArbeitȱaufgezeigtȱwerden.ȱDabeiȱgehtȱesȱnichtȱumȱ dieȱ Wirkungenȱ vonȱ Schuleȱ undȱ Unterrichtȱ aufȱ dieȱ Lernleistungenȱ vonȱSchülerinnenȱundȱSchülern,ȱsondernȱumȱFragenȱderȱGestaltbarȬ keitȱvonȱSchuleȱalsȱprofessionellerȱOrganisation.ȱZugleichȱsollȱexemȬ plarischȱ belegtȱ werden,ȱ dassȱ esȱ sinnvollȱ ist,ȱ beiȱ derȱ SchulentwickȬ lungȱkünftigȱarbeitswissenschaftlichȱfundierteȱKonzepteȱundȱInstruȬ menteȱ systematischȱ zuȱ berücksichtigen.ȱ Imȱ Zentrumȱ unsererȱ ÜberȬ legungenȱstehenȱalsoȱdieȱArbeitsorganisationȱinȱderȱSchuleȱundȱdieȱ darinȱ eingebettetenȱAufgabenȱ undȱ Tätigkeitenȱ derȱ Lehrkräfte.ȱ Eineȱ besondereȱ Rolleȱ spielenȱ inȱ diesemȱ Zusammenhangȱ dieȱ RückwirȬ kungenȱ derȱ Aufgabenausführungȱ aufȱ dieȱ Gesundheit,ȱ dieȱ LeisȬ tungsfähigkeitȱ undȱ dasȱ Wohlbefindenȱ derȱ Lehrkräfte,ȱ derenȱ TätigȬ keitȱhäufigȱunterȱschwierigenȱundȱpsychischȱbelastendenȱBedingunȬ genȱ zuȱ leistenȱ ist.ȱ Darausȱ resultierenȱ dieȱ Frageȱ nachȱ denȱ GestalȬ tungsmöglichkeitenȱ undȱ dieȱ weiterȱ gehendeȱ grundsätzlicheȱ Frage,ȱ obȱderȱBerufȱeinerȱLehrkraftȱauchȱinȱZukunftȱnotwendigerweiseȱalsȱ LebensberufȱverstandenȱwerdenȱmussȱoderȱobȱesȱzuȱdieserȱPerspekȬ tiveȱ denkbareȱAlternativenȱ gibt.ȱ Schließlichȱ handeltȱ esȱ sichȱ beiȱ dieȬ semȱ Berufȱ umȱ einenȱ derȱ wichtigsten,ȱ vielleichtȱ denȱ wichtigstenȱ üȬ berhaupt,ȱinȱunsererȱGesellschaft!ȱȱ DasȱvorliegendeȱBuchȱenthältȱzunächstȱeineȱReiheȱvonȱPositionsbeiȬ trägenȱzuȱFragenȱderȱGesundheitȱundȱBelastungȱvonȱLehrkräftenȱimȱ Kontextȱ vonȱ Schulentwicklung.ȱ Imȱ erstenȱ Kapitelȱ schlägtȱ Heinzȱ Schüpbachȱ vor,ȱ Schulenȱ verstärktȱ alsȱ soziotechnischeȱ Systemeȱ zuȱ verstehen.ȱ Hierbeiȱ wirdȱ eineȱ langeȱ arbeitspsychologischeȱ Traditionȱ aufgegriffen,ȱ derenȱ fruchtbareȱ Übertragungȱ aufȱ denȱ Schulkontextȱ hierȱerstmalsȱvorgelegtȱwird.ȱImȱzweitenȱKapitelȱzeigtȱRainerȱOesterȬ reichȱ auf,ȱ welcheȱ methodischenȱ Defiziteȱ inȱ derȱ schulbezogenenȱ BeȬ lastungsforschungȱbestehen.ȱSoȱdominierenȱpersonenbezogeneȱFraȬ gebögen,ȱ dieȱ Lehrkräfteȱ sowohlȱ zurȱ erlebtenȱ Arbeitssituationȱ alsȱ auchȱ zuȱ ihremȱ subjektivenȱ Befindenȱ befragen.ȱ Gefordertȱ wirdȱ zuȬ sätzlichȱderȱEinsatzȱbedingungsbezogenerȱErhebungsmethoden.ȱȱ

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Vorwort

Einȱ Beispielȱ fürȱ eineȱ bedingungsbezogeneȱ Vorgehensweiseȱ wirdȱ inȱ Kapitelȱ3ȱvonȱAndreasȱKrause,ȱFlorianȱBäuerleȱundȱCosimaȱDorsemagenȱ vorgestellt.ȱ Dasȱ Beobachtungsinstrumentȱ RHIAȬUnterrichtȱ ermögȬ lichtȱ eineȱ objektivierendeȱ Erhebungȱ sogenannterȱ RegulationsbehinȬ derungenȱ vonȱ Lehrkräftenȱ imȱ Unterricht.ȱ Marcȱ Wülserȱ charakteriȬ siertȱ inȱ Kapitelȱ 4ȱ denȱ Berufȱ derȱ Lehrkraftȱ überȱ dieȱ Qualitätȱ derȱ soȬ zialenȱ Austauschprozesseȱ mitȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülernȱ undȱ belegtȱhierüberȱentstehendeȱBeanspruchungen.ȱ Peterȱ Paulusȱ undȱ Lutzȱ Schumacherȱ stellenȱ inȱ Kapitelȱ 5ȱ ihrenȱ Ansatzȱ fürȱ eineȱ guteȱ gesundeȱ Schuleȱ vor,ȱ mitȱ demȱ Lehrkräfteȱ angeleitetȱ werden,ȱsichȱmitȱprototypischen,ȱkonfliktreichenȱHandlungssituatiȬ onenȱimȱArbeitsalltagȱauseinanderzusetzen.ȱȱ ZweiȱFallbeispieleȱveranschaulichenȱmöglicheȱVorgehensweisenȱzurȱ Schulentwicklung.ȱ Zunächstȱ stellenȱ Simoneȱ Inversini,ȱ Eberhardȱ Ulichȱ undȱ Marcȱ Wülserȱ einȱ schulübergreifendesȱ Projektȱ inȱ Baselȱ vor,ȱ dasȱ unterȱ demȱ Titelȱ hotȱ (helpȱ ourȱ teachers)ȱ durchgeführtȱ wurdeȱ undȱ eindrücklichȱ belegt,ȱ dassȱ esȱ möglichȱ ist,ȱ aufȱ derȱ Basisȱ einerȱ umfasȬ sendenȱAnalyseȱ entsprechendeȱ Gestaltungskonzepteȱ zuȱ entwickelnȱ (Kapitelȱ 6).ȱ Marianneȱ Reschȱ undȱ Claudiaȱ Fenzlȱ habenȱ ebenfallsȱ einȱ breitesȱMethodenȬȱundȱInterventionsspektrumȱeingesetzt;ȱsieȱberichȬ tenȱ inȱ Kapitelȱ 7ȱ exemplarischȱ überȱ eineȱ arbeitsȬȱ undȱ organisationsȬ psychologischeȱ Vorgehensweiseȱ zurȱ Unterstützungȱ derȱ SchulentȬ wicklung.ȱȱ Erfahrungenȱ ausȱ Projektenȱ zurȱ Schulentwicklungȱ inȱ derȱ Schweizȱ sindȱ dieȱ Grundlageȱ fürȱ dieȱ beidenȱ folgendenȱ Beiträgeȱ zumȱ SchulȬ management.ȱ Corinnaȱ Semlingȱ undȱ Martinaȱ Zölchȱ fokussierenȱ HuȬ manȱ Resourceȱ Managementȱ undȱ dieȱ zunehmendeȱ Bedeutungȱ derȱ Personalführungȱ anȱ Schulen.ȱ Daȱ Führungȱ vonȱ Lehrkräftenȱ nurȱ beȬ grenztȱ akzeptiertȱ wird,ȱ müssenȱ dieȱ Schulleitungenȱ besondereȱ SchwierigkeitenȱmeisternȱundȱsichȱinsbesondereȱmitȱdemȱDilemmaȱ derȱ „geführtenȱ Autonomie“ȱ auseinandersetzenȱ (Kapitelȱ 8).ȱ Oliverȱ Strohm,ȱ Ursȱ Wannerȱ undȱ Veronikaȱ Niederhauserȱ gehtȱ esȱ ebenfallsȱ umȱ Personalmanagement,ȱ wobeiȱ dieȱ Gestaltungȱ einesȱ JahresarbeitsȬ zeitmodellsȱ besondereȱAufmerksamkeitȱerhält.ȱ Sieȱ verdeutlichenȱinȱ Kapitelȱ 9,ȱ dassȱ hierüberȱ gleichzeitigȱ dieȱ Schulkulturȱ imȱ positivenȱ Sinneȱ verändertȱ undȱ eineȱ Belastungsoptimierungȱ erreichtȱ werdenȱ kann.ȱ Anschließendȱ wirdȱ imȱ Beitragȱ vonȱ Winfriedȱ Hacker,ȱ Peggyȱ Looks,ȱ Constanceȱ Winkelmann,ȱ Gordonȱ Krahlȱ undȱ Christinaȱ Krahlȱ inȱ

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Vorwort

Kapitelȱ10ȱeinȱbreitesȱSpektrumȱverschiedenerȱAnsatzmöglichkeitenȱ zurȱ gesundheitsȬȱ undȱ leistungsförderndenȱ Gestaltungȱ derȱ LehrarȬ beitȱvorgestellt.ȱ Derȱ letzteȱ Abschnittȱ desȱ Buchesȱ enthältȱ Beiträgeȱ zuȱ spezifischenȱ Themen,ȱdieȱweitere,ȱfürȱdieȱSchulentwicklungȱbedeutsameȱFacettenȱ beinhalten.ȱNicolaȱJacobshagenȱundȱThomasȱRigottiȱgebenȱinȱKapitelȱ11ȱ einenȱ umfassendenȱ Überblickȱ überȱ Erkenntnisseȱ zumȱ Stressȱ vonȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülern.ȱ Anschließendȱ stehenȱ wiederȱ dieȱ LehrȬ kräfteȱ imȱ Mittelpunkt,ȱ wennȱ Andreasȱ Krause,ȱ Anjaȱ Philipp,ȱ Feliciaȱ Baderȱ undȱ Heinzȱ Schüpbachȱ überȱ aktuelleȱ Erkenntnisseȱ zurȱ BedeuȬ tungȱderȱEmotionsarbeitȱbzw.ȱzurȱBeeinflussungȱeigenerȱEmotionenȱ imȱArbeitsalltagȱvonȱLehrkräftenȱberichtenȱ(Kapitelȱ12).ȱEvaȱBambergȱ undȱPamelaȱOstendorfȱerläuternȱinȱKapitelȱ13ȱdieȱgesundheitlichȱbeȬ dingteȱ Dienstunfähigkeitȱ vonȱ Lehrkräftenȱ anhandȱ einerȱ Reanalyseȱ personalärztlicherȱ Gutachtenȱ undȱ gebenȱ Einblicke,ȱ welcheȱ Themenȱ inȱ denȱ Gutachtenȱ imȱ Vordergrundȱ stehen.ȱ Zuletztȱ greiftȱ Sebastianȱ Stegmannȱ inȱ Kapitelȱ 14ȱ dieȱ zunehmendeȱ Forderungȱ nachȱ ZusamȬ menarbeitȱ innerhalbȱ vonȱ Kollegienȱ auf.ȱ Hierȱ findenȱ sichȱ AnregunȬ genȱundȱDenkanstößeȱzurȱFörderungȱderȱKooperationȱanȱSchulen.ȱȱ Weitereȱ geplanteȱ Beiträgeȱ zuȱ zentralenȱ Fragestellungen,ȱ etwaȱ zurȱ Förderungȱ einerȱ fürȱ dasȱ Kollegiumȱ alternsgerechtenȱ Schule,ȱ konnȬ tenȱ ausȱ Platzgründenȱ leiderȱ nichtȱ aufgenommenȱ werden.ȱ Dennochȱ hoffenȱ wir,ȱ dassȱ Leserinnenȱ undȱ Leserȱ inȱ demȱ hierȱ vorliegendenȱ Bandȱ Anregungenȱ fürȱ dieȱ Gestaltungȱ derȱ schulischenȱ Arbeitȱ undȱ derȱ Schulentwicklungȱ finden,ȱ dieȱ ihnenȱ sinnvollȱ undȱ realisierbarȱ erscheinen.ȱ Fürȱ entsprechendeȱ Rückmeldungen,ȱ aberȱ auchȱ konȬ struktiveȱkritischeȱAnmerkungenȱsindȱwirȱdankbar.ȱ DenȱAutorinnenȱ undȱAutorenȱ dankenȱ wirȱ fürȱ dieȱ –ȱ inȱ ZusammenȬ hangȱ mitȱ diversenȱ Kürzungswünschenȱ vielleichtȱ nichtȱ immerȱ ganzȱ leichteȱ –ȱ Zusammenarbeit.ȱ Einȱ speziellerȱ Dankȱ giltȱ Cosimaȱ DorseȬ magen,ȱdieȱdieȱmühsameȱAufgabeȱderȱFormatierungȱdesȱBandesȱaufȱ sichȱgenommenȱundȱvorzüglichȱerledigtȱhat.ȱ ȱ Oltenȱ–ȱFreiburgȱ–ȱZürich,ȱimȱAugustȱ2007ȱ ȱ AndreasȱKrause,ȱHeinzȱSchüpbach,ȱEberhardȱUlichȱȱ undȱMarcȱWülserȱ

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Geleitwort .............................................................................................5ȱ Vorwort .................................................................................................7ȱ Inhaltsverzeichnis..............................................................................11ȱ ȱ Kapitelȱ1ȱ SchulenȱalsȱsoziotechnischeȱSystemeȱ HeinzȱSchüpbach ..................................................................................21ȱ 1.1ȱ Einleitung:ȱWasȱistȱeineȱguteȱSchule?ȱ .................................23ȱ 1.2ȱ DieȱGrundzügeȱdesȱsoziotechnischenȱSystemansatzes .....25ȱ 1.2.1ȱ DerȱfachhistorischeȱHintergrund.................................25ȱ 1.2.2ȱ TheoretischeȱFundierungȱdesȱsoziotechnischenȱ Systemansatzes...............................................................27ȱ 1.2.3ȱ MerkmaleȱsoziotechnischerȱSystemeȱundȱderenȱ ÜbertragbarkeitȱaufȱSchulen ........................................29ȱ 1.3ȱ SchulenȱalsȱsoziotechnischeȱSysteme...................................34ȱ 1.3.1ȱ ThesenȱzurȱSchuleȱausȱsoziotechnischerȱSicht ...........34ȱ 1.3.2ȱ SoziotechnischeȱSystemanalysenȱinȱSchulen..............35ȱ 1.3.3ȱ AusgewählteȱEinzelergebnisseȱundȱderenȱ Interpretation..................................................................38ȱ 1.4ȱ Ausblick ...................................................................................42ȱ 1.5ȱ Literatur ...................................................................................43ȱ ȱ Kapitelȱ2ȱ KonstrukteȱundȱMethodenȱinȱderȱForschungȱȱ zurȱLehrerbelastungȱȱȱ RainerȱOesterreich................................................................................47ȱ 2.1ȱ Einleitung ................................................................................49ȱ 2.2ȱ EntwicklungenȱinȱderȱBurnoutȬForschung .........................49ȱ 2.2.1ȱ Eineȱ„ResearchȱAgenda“ȱausȱdemȱJahrȱ1999 ..............50ȱ 2.2.2ȱ ZurȱFolgenlosigkeitȱderȱ„ResearchȱAgenda“ .............52ȱ 2.2.3ȱ EinigeȱProblemeȱmitȱzuȱwenigȱunterschiedenenȱ Konstrukten ....................................................................54ȱ 2.3ȱ DieȱbedingungsȬȱundȱpersonbezogeneȱFragestellungȱȱ inȱderȱA&OȬPsychologie........................................................57

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Inhaltsverzeichnis

2.4ȱ 2.5ȱ 2.6ȱ 2.7ȱ

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2.8ȱ

2.3.1ȱ EntstehungȱdesȱKonzeptsȱ„Bedingungsbezogeneȱ Arbeitsanalyse“ ..............................................................57ȱ 2.3.2ȱ KonstruktlogikȱimȱBelastungsȬȱundȱ Beanspruchungskonzept:ȱBelastungȱ„vonȱaußen“ȱȱ undȱBeanspruchungȱ„imȱInneren“ ..............................60ȱ 2.3.3ȱ BezügeȱzurȱVerhältnisȬȱundȱVerhaltensprävention ...60ȱ 2.3.4ȱ ErhebungsmethodischeȱKonsequenzen ......................61ȱ ErweiterungȱdesȱKonzeptsȱ„BedingungsȬȱundȱ personbezogeneȱFragestellung“ ...........................................62ȱ VierȱArtenȱderȱPrägungȱdesȱLehrerhandelns......................64ȱ EinȱallgemeinesȱWirkmodellȱzurȱLehrerbelastungȱȱ undȱerhebungsmethodischeȱHinweise ................................66ȱ GefahrenȱdesȱMissbrauchsȱderȱwissenschaftlichenȱ ForschungȱzurȱLehrerbelastung ...........................................69ȱ Literatur ...................................................................................71ȱ

Kapitelȱ3ȱ RHIAȬUnterricht:ȱȱ PsychischeȱBelastungenȱerfassenȱundȱreduzierenȱȱȱ AndreasȱKrause,ȱFlorianȱBäuerleȱundȱCosimaȱDorsemagen ................75ȱ 3.1ȱ Einleitung ................................................................................77ȱ 3.2ȱ HandlungspsychologischeȱArbeitsanalyseverfahrenȱȱ ausȱderȱRHIA/VERAȬFamilie................................................77ȱ 3.3ȱ DasȱVerfahrenȱRHIAȬUnterricht...........................................79ȱ 3.3.1ȱ DieȱAufgabeȱderȱLehrkraftȱimȱUnterricht ...................79ȱ 3.3.2ȱ DieȱSystematikȱdesȱVerfahrensȱRHIAȬUnterricht......80ȱ 3.3.3ȱ DasȱVorgehenȱbeiȱderȱUntersuchungȱundȱdieȱ videogestützteȱAuswertung..........................................84ȱ 3.4ȱ EinsatzmöglichkeitenȱvonȱRHIAȬUnterricht ......................86ȱ 3.4.1ȱ VideogestützteȱkollegialeȱBeratung.............................87ȱ 3.4.2ȱ ThematischerȱWorkshopȱimȱRahmenȱderȱ Schulentwicklung...........................................................92ȱ 3.5ȱ Fazit ..........................................................................................96ȱ 3.6ȱ Literatur ...................................................................................97ȱ ȱ ȱ ȱ

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Kapitelȱ4ȱ BegrenzteȱResponsivitätȱundȱFehlbeanspruchungenȱȱ beiȱLehrkräftenȱȱȱ MarcȱWülser.......................................................................................101ȱ 4.1ȱ Einleitung ..............................................................................103ȱ 4.2ȱ Schulorganisation:ȱloseȱKopplungȱundȱȱ eingeschränkteȱResponsivität .............................................104ȱ 4.3ȱ KoordinationȱundȱKooperationȱanȱSchulen......................108ȱ 4.3.1ȱ SchulenȱalsȱExpertenorganisationen .........................108ȱ 4.3.2ȱ GruppenarbeitȱanȱSchulen ..........................................110ȱ 4.4ȱ UnterrichtenȱalsȱPrimäraufgabeȱderȱLehrkräfte...............112ȱ 4.5ȱ BegrenzteȱResponsivitätȱimȱUnterricht .............................114ȱ 4.5.1ȱ SozialeȱAustauschprozesseȱundȱmangelndeȱ Reziprozität:ȱErkenntnisseȱderȱȱ BurnoutȬForschung......................................................114ȱ 4.5.2ȱ MangelndeȱVerpflichtungȱzurȱReziprozität:ȱ Besonderheitenȱpersonenbezogenerȱ Dienstleistungstätigkeiten ..........................................115ȱ 4.5.3ȱ MangelndeȱReziprozität:ȱGrenzenȱdesȱȱ KonzeptsȱundȱweiterführendeȱÜberlegungen .........116ȱ 4.6ȱ EmpirischeȱErgebnisseȱausȱeinemȱSchulprojekt...............120ȱ 4.6.1ȱ SchulhausebeneȱundȱUnterrichtsebene:ȱ ZusammenhängeȱmitȱFehlbeanspruchungen ..........121ȱ 4.6.2ȱ ErgebnisseȱausȱLängsschnittuntersuchungen ..........121ȱ 4.7ȱ Literatur .................................................................................124ȱ ȱ Kapitelȱ5ȱ GuteȱgesundeȱSchuleȱ–ȱȱ LehrergesundheitȱalsȱzentraleȱRessourceȱȱȱ PeterȱPaulusȱundȱLutzȱSchumacher...................................................133ȱ 5.1ȱ Einleitung ..............................................................................135ȱ 5.2ȱ GesundheitsförderndeȱSchule ............................................136ȱ 5.3ȱ GuteȱgesundeȱSchuleȱ–ȱȱ mitȱGesundheitȱSchuleȱmachen ..........................................139ȱ 5.4ȱ GuteȱgesundeȱSchuleȱentwickeln .......................................143ȱ 5.5ȱ DieȱGesundheitȱderȱLehrkräfteȱalsȱȱ zentraleȱRessource................................................................144ȱ

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5.6ȱ 5.7ȱ

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5.8ȱ 5.9ȱ

PiSAȱ–ȱeinȱneuerȱAnsatzȱzurȱFörderungȱderȱ Lehrergesundheit..................................................................146ȱ AusgangspunkteȱundȱSchritteȱmitȱPiSAȱzurȱgutenȱ gesundenȱSchule ...................................................................151ȱ Schluss....................................................................................154ȱ Literatur .................................................................................155ȱ

Kapitelȱ6ȱ AnalyseȱundȱOptimierungȱderȱArbeitsbedingungenȱvonȱ Lehrkräftenȱȱȱ SimoneȱInversini,ȱEberhardȱUlichȱundȱMarcȱWülser ........................159ȱ 6.1ȱ Einleitung ..............................................................................161ȱ 6.2ȱ Ausgangslage ........................................................................161ȱ 6.3ȱ DasȱProjektȱ„hotȱ–ȱhelpȱourȱteachers“................................163ȱ 6.3.1ȱ ZielsetzungenȱundȱersteȱProjektaktivitäten..............163ȱ 6.3.2ȱ Projektphasen ...............................................................164ȱ 6.4ȱ Analysephase ........................................................................165ȱ 6.4.1ȱ Design ............................................................................165ȱ 6.4.2ȱ AusgewählteȱErgebnisse .............................................167ȱ 6.4.3ȱ RückmeldungȱderȱErgebnisse.....................................174ȱ 6.5ȱ MaßnahmenplanungȱundȱUmsetzungsphase ..................174ȱ 6.5.1ȱ MaßnahmenplanungȱinȱArbeitsgruppen ..................174ȱ 6.5.2ȱ UmsetzungȱderȱMaßnahmen......................................175ȱ 6.6ȱ WirkungenȱdesȱProjekts.......................................................176ȱ 6.6.1ȱ Evaluation .....................................................................176ȱ 6.6.2ȱ WeitereȱWirkungen ......................................................179ȱ 6.7ȱ KritischeȱWürdigung ...........................................................181ȱ 6.8ȱ ZusammenfassungȱundȱFazit..............................................182ȱ 6.9ȱ Literatur .................................................................................183ȱ ȱ Kapitelȱ7ȱ ExterneȱImpulseȱfürȱinterneȱVeränderungsprozesseȱ–ȱȱ dasȱSchulprojektȱAnabelȱȱȱ MarianneȱReschȱundȱClaudiaȱFenzl ...................................................185ȱ 7.1ȱ EinȱarbeitspsychologischerȱBlickȱaufȱdenȱȱ ArbeitsplatzȱSchule ..............................................................187ȱ 7.2ȱ VorgehenȱundȱMethodenȱimȱProjektȱAnabel ....................188ȱ

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7.2.1ȱ ÜberblickȱüberȱdenȱVerlauf ........................................188ȱ 7.2.2ȱ ÜberblickȱüberȱdieȱMethoden ....................................189ȱ 7.3ȱ Ergebnisse..............................................................................190ȱ 7.3.1ȱ DieȱhalbstrukturiertenȱInterviews .............................190ȱ 7.3.2ȱ DieȱBefragung...............................................................192ȱ 7.3.3ȱ DieȱTätigkeitsanalysen ................................................198ȱ 7.3.4ȱ DerȱSpiegelȱimȱSpiegel:ȱZusammenschauȱderȱ Ergebnisse .....................................................................205ȱ 7.4ȱ DiskussionȱundȱAusblick.....................................................207ȱ 7.5ȱ Literatur .................................................................................208ȱ

Kapitelȱ8ȱ HumanȱResourceȱManagementȱalsȱAufgabeȱderȱSchulleitungȱȱ CorinnaȱSemlingȱundȱMartinaȱZölch ................................................211ȱ 8.1ȱ Einführung ............................................................................213ȱ 8.2ȱ PersonalführungȱundȱInstrumenteȱdesȱHRMȱȱ anȱSchulen .............................................................................215ȱ 8.2.1ȱ PersonalführungȱanȱSchulen ......................................216ȱ 8.2.2ȱ InstrumenteȱzurȱAusgestaltungȱderȱȱ PersonalführungȱanȱSchulen ......................................221ȱ 8.3ȱ Resümee.................................................................................234ȱ 8.3.1ȱ Implementierungȱeinesȱȱ ZielvereinbarungssystemsȱanȱSchulen......................234ȱ 8.3.2ȱ NeuordnungȱundȱTransparenzȱderȱ Personalführungsaufgaben.........................................235ȱ 8.3.3ȱ AbstimmungȱvonȱSchulȬȱundȱȱ Personalentwicklung ...................................................236ȱ 8.4ȱ Literatur .................................................................................237ȱ ȱ Kapitelȱ9ȱ InnovativesȱPersonalmanagementȱalsȱeffektiverȱHebelȱzurȱ KulturentwicklungȱundȱBelastungsoptimierungȱanȱSchulenȱȱ OliverȱStrohm,ȱUrsȱWannerȱundȱVeronikaȱNiederhauser ..................241ȱ 9.1ȱ GegenstandȱundȱAusgangslage..........................................243ȱ 9.2ȱ ZieleȱundȱkonzeptionellerȱRahmen....................................245ȱ 9.3ȱ DasȱJahresarbeitszeitmodellȱamȱBGS.................................246ȱ 9.4ȱ BeurteilungȱdesȱJAZȬModellsȱamȱEndeȱderȱPilotphase ..249ȱ

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9.5ȱ

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9.6ȱ 9.7ȱ 9.8ȱ

9.4.1ȱ ErgebnisseȱausȱderȱschriftlichenȱBefragung .............249ȱ 9.4.2ȱ EmpirischeȱZeiterfassungsdaten................................251ȱ 9.4.3ȱ FazitȱausȱderȱJAZȬPilotierung.....................................252ȱ Faktorenvorgabenȱalsȱpersonalbezogenerȱ Orientierungsrahmen...........................................................253ȱ KonzeptȱundȱProzessȱderȱPersonalplanung......................254ȱ FazitȱundȱAusblick................................................................257ȱ Literatur .................................................................................259ȱ

Kapitelȱ10ȱ MöglichkeitenȱzurȱgesundheitsȬȱundȱleistungsförderndenȱ GestaltungȱderȱLehrarbeit:ȱPrimärpräventionȱȱȱ WinfriedȱHacker,ȱPeggyȱLooks,ȱConstanceȱWinkelmann,ȱȱ GordonȱKrahlȱundȱChristinaȱKrahl ....................................................261ȱ 10.1ȱ Einordnung ...........................................................................263ȱ 10.2ȱ ArbeitspsychologischeȱPrimärpräventionȱȱ beiȱLehrarbeit ........................................................................265ȱ 10.2.1ȱAnsatzmöglichkeitȱArbeitsauftrag:ȱȱ Laufbahnpfade,ȱArbeitsweisenȱ(Lehrformen)..........265ȱ 10.2.2ȱAnsatzmöglichkeitȱAusführungsbedingungen:ȱȱ EinzelȬȱvs.ȱkooperativeȱArbeitsformen;ȱ Arbeitsbedingungen ....................................................266ȱ 10.2.3ȱAnsatzmöglichkeitȱ„Arbeitsgegenstand“:ȱ UnterrichtenȱundȱErziehenȱderȱȱ Interaktionspartnerȱ„Schüler“ ....................................267ȱ 10.2.4ȱAnsatzmöglichkeitȱLeistungsvoraussetzungenȱȱ derȱLehrkräfte ...............................................................268ȱ 10.3ȱ VorstellungenȱvonȱGymnasiallehrkräftenȱzurȱArbeitȱȱ bisȱzurȱRente..........................................................................271ȱ 10.3.1ȱStichprobe......................................................................271ȱ 10.3.2ȱErgebnisse .....................................................................272ȱ 10.4ȱ PrimärpräventiveȱInhalteȱinȱderȱ Berufsschullehrerausbildung..............................................277ȱ 10.4.1ȱStichprobeȱundȱMethodik ...........................................277ȱ 10.4.2ȱErgebnisse .....................................................................277ȱ 10.5ȱ PrimärpräventionȱausȱderȱSichtȱvonȱ Berufsschullehrkräften.........................................................280ȱ 10.5.1ȱStichprobeȱundȱMethodik ...........................................280ȱ

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Inhaltsverzeichnis

ȱ

10.5.2ȱErgebnisse .....................................................................281ȱ 10.6ȱ FazitȱundȱAusblick ...............................................................282ȱ 10.6.1ȱPrimärprävention:ȱZutatȱoderȱGestaltungȱdesȱ Kernarbeitsprozesses...................................................282ȱ 10.6.2ȱPrimärpräventionȱalsȱGestaltungȱdesȱ Kernarbeitsprozesses:ȱAktuelleȱChancen .................283ȱ 10.7ȱ Literatur .................................................................................286ȱ

Kapitelȱ11ȱ VollȱderȱStress?ȱȱ StressȱbeiȱAdoleszentenȱinȱdenȱletztenȱSchuljahrenȱȱȱ NicolaȱJacobshagenȱundȱThomasȱRigotti ............................................289ȱ 11.1ȱ Einleitung ..............................................................................291ȱ 11.2ȱ StressauslösendeȱBedingungenȱbeiȱAdoleszenten ...........291ȱ 11.3ȱ StressreaktionenȱbeiȱAdoleszenten ....................................294ȱ 11.4ȱ RessourcenȱvonȱAdoleszenten ............................................295ȱ 11.5ȱ CopingȱvonȱAdoleszenten ...................................................297ȱ 11.6ȱ DiagnostikȱvonȱStressȱbeiȱAdoleszenten ...........................298ȱ 11.7ȱ MöglicheȱMaßnahmenȱzurȱPräventionȱȱ undȱIntervention...................................................................300ȱ 11.8ȱ Literatur .................................................................................301ȱ ȱ Kapitelȱ12ȱ EmotionsregulationȱvonȱLehrkräften:ȱȱ UmgangȱmitȱGefühlenȱalsȱTeilȱderȱArbeitȱȱȱ AndreasȱKrause,ȱAnjaȱPhilipp,ȱFeliciaȱBaderȱ ȱundȱHeinzȱSchüpbach........................................................................309ȱ 12.1ȱ EmotionaleȱAnforderungenȱimȱLehrberuf ........................311ȱ 12.2ȱ WelcheȱAspekteȱderȱEmotionsregulationȱsindȱzuȱ berücksichtigen? ...................................................................314ȱ 12.2.1ȱEmotionaleȱDissonanzȱ(alsȱRegulationsproblem)....314ȱ 12.2.2ȱRegulationsanforderungen .........................................315ȱ 12.2.3ȱRegulationsmöglichkeiten ..........................................316ȱ 12.2.4ȱStrategienȱderȱEmotionsregulation............................317ȱ 12.2.5ȱZwischenfazit ...............................................................317ȱ 12.3ȱ VorliegendeȱBefundeȱzurȱEmotionsregulationȱvonȱ Lehrkräften............................................................................318ȱ

17ȱ

Inhaltsverzeichnis

ȱ

12.3.1ȱRegulationsanforderungenȱanȱLehrkräfte ................319ȱ 12.3.2ȱDisplayȱRulesȱundȱRegulationsmöglichkeiten.........321ȱ 12.3.3ȱRegulationsprobleme...................................................321ȱ 12.3.4ȱStrategienȱundȱTechnikenȱȱ derȱEmotionsregulation...............................................322ȱ 12.3.5ȱZusammenhängeȱzwischenȱȱ EmotionsregulationȱundȱGesundheit ........................323ȱ 12.3.6ȱSituationsabhängigkeitȱderȱeingesetztenȱȱ Techniken ......................................................................324ȱ 12.4ȱ Ausblick .................................................................................327ȱ 12.4.1ȱEmotionsarbeitȱalsȱBestandteilȱdesȱȱ professionellenȱBerufsbildesȱundȱderȱPersonalȬȱȱ undȱOrganisationsentwicklung..................................327ȱ 12.4.2ȱForschungsstrategie:ȱEinȱPlädoyerȱfürȱdieȱȱ BetrachtungȱvonȱProzessen,ȱkonkretenȱȱ TechnikenȱderȱEmotionsregulationȱundȱderenȱ Situationsabhängigkeit................................................329ȱ 12.5ȱ Literatur .................................................................................331ȱ

Kapitelȱ13ȱ DienstunfähigkeitȱvonȱLehrerinnenȱundȱLehrernȱimȱSpiegelȱ personalärztlicherȱGutachtenȱȱȱ EvaȱBambergȱundȱPamelaȱOstendorf..................................................335ȱ 13.1ȱ Einleitung ..............................................................................337ȱ 13.2ȱ StresstheoretischeȱGrundlagen ...........................................338ȱ 13.3ȱ SozialeȱBeziehungen.............................................................343ȱ 13.4ȱ ArbeitȱundȱGesundheitȱbeiȱLehrerinnenȱundȱLehrern ....345ȱ 13.5ȱ DieȱUntersuchung ................................................................348ȱ 13.6ȱ Ergebnisse..............................................................................349ȱ 13.6.1ȱSituativeȱRessourcen....................................................350ȱ 13.6.2ȱSozialeȱRessourcen.......................................................351ȱ 13.6.3ȱPersonaleȱRessourcen ..................................................351ȱ 13.6.4ȱStressorenȱderȱArbeitssituation ..................................351ȱ 13.6.5ȱSozialeȱStressoren.........................................................352ȱ 13.6.6ȱDiskrepanzȱSituationȱ–ȱPerson ...................................353ȱ 13.6.7ȱRisikofaktorenȱ–ȱBezugȱArbeitstätigkeit ...................354ȱ 13.6.8ȱRisikofaktorenȱ–ȱBezugȱeingeschränkteȱ Leistungsfähigkeit........................................................354ȱ

18ȱ

Inhaltsverzeichnis

ȱ

13.7ȱ ZusammenfassungȱundȱFazit .............................................355ȱ 13.7.1ȱPersonalärztlicheȱGutachtenȱalsȱȱ Informationsquelle.......................................................355ȱ 13.7.2ȱDieȱKategorien..............................................................356ȱ 13.7.3ȱDieȱBedeutungȱsozialerȱBeziehungen .......................357ȱ 13.7.4ȱDerȱStellenwertȱbedingungsbezogenerȱFaktoren ....358ȱ 13.7.5ȱ(MissȬ)Verhältnisȱvonȱsituativenȱundȱȱ personalenȱBedingungen ............................................358ȱ 13.7.6ȱEinschränkungenȱderȱLeistungsfähigkeit .................359ȱ 13.7.7ȱSchlussfolgerungenȱfürȱpraktischeȱMaßnahmen .....359ȱ 13.8ȱ Literatur .................................................................................360ȱ

Kapitelȱ14ȱ EinzelkämpferȱoderȱTeamplayer?ȱȱ SozialeȱArbeitsbedingungenȱanȱSchulenȱȱȱ SebastianȱStegmann ...........................................................................365ȱ 14.1ȱ Einleitung ..............................................................................367ȱ 14.2ȱ BisherigeȱErkenntnisseȱzuȱsozialenȱȱ ArbeitsbedingungenȱanȱSchulen ........................................368ȱ 14.3ȱ WasȱsindȱeigentlichȱsozialeȱArbeitsbedingungen?...........372ȱ 14.3.1ȱSozialerȱEinflussȱdurchȱIdentifikation.......................373ȱ 14.3.2ȱSozialerȱEinflussȱdurchȱInterdependenz...................375ȱ 14.4ȱ WieȱsehenȱsozialeȱArbeitsbedingungenȱanȱȱ deutschenȱSchulenȱaus? .......................................................377ȱ 14.5ȱ Fazit ........................................................................................381ȱ 14.6ȱ Literatur .................................................................................382ȱ ȱ Autorenverzeichnis...............................................................................387ȱ ȱ

19ȱ

Einleitung: Was ist eine gute Schule?

1.1

ȱ

Schulen als soziotechnische Systeme

Kapitel 1

Heinz Schüpbach

21ȱ

Einleitung: Was ist eine gute Schule?

1.1

Einleitung: Was ist eine gute Schule?

1.1

1

Dieȱ SchulevaluationsȬȱ undȱ Schulentwicklungsforschungȱ versuchtȱ dieȱ Frage,ȱ wasȱ eineȱ guteȱ Schuleȱ istȱ undȱ wieȱ eineȱ Schuleȱ zuȱ einerȱ gutenȱSchuleȱwird,ȱimȱRahmenȱvonȱzweiȱgrundlegendȱunterschiedliȬ chenȱAnsätzenȱzuȱbeantworten.ȱ a)ȱ Derȱ erste,ȱ inȱ derȱ Forschungȱ undȱ Praxisȱ weitȱ verbreiteteȱ Ansatzȱ verstehtȱSchulenȱrationalȱundȱabstraktȱalsȱinȱsichȱabgegrenzteȱInstiȬ tutionen,ȱ welcheȱ nachȱ allgemeinȱ gültigen,ȱ vorgegebenȱ Standardsȱ undȱLehrplänenȱstrukturiertȱundȱgeleitetȱwerdenȱmüssenȱundȱkönȬ nen.ȱDieȱAufgabeȱderȱSchulentwicklungsforschungȱwirdȱdabeiȱdarinȱ gesehen,ȱ imȱSinneȱdesȱScientificȱ Managementȱ (vgl.ȱUlich,ȱ2005)ȱdieȱ allgemeinȱgültigenȱVorgabenȱbzw.ȱKriterienȱzuȱermitteln,ȱwelcheȱdieȱ Effektivitätȱ undȱ Effizienzȱ derȱ Schuleȱ gewährleisten.ȱ Vertretenȱ wirdȱ dieserȱAnsatzȱ z.B.ȱ vonȱ derȱ traditionellenȱ „Schoolȱ Effectiveness“Ȭȱ undȱ „SchoolȱImprovement“ȬForschungȱ(vgl.ȱvanȱDick,ȱWagner,ȱStellmacherȱ &ȱChrist,ȱ2001;ȱHuber,ȱ1999;ȱWenzel,ȱ2004).ȱDerȱVorteilȱdiesesȱAnsatȬ zesȱ wirdȱ darinȱ gesehen,ȱ dassȱ erȱ einerseitsȱ klareȱ PlanȬȱ bzw.ȱ SollȬ Vorgabenȱ fürȱ dieȱ imȱ wahrstenȱ Sinneȱ desȱ Wortesȱ „normale“ȱ Schuleȱ festlegt,ȱandererseitsȱdieȱEntwicklungȱvonȱEvaluationsinstrumentenȱ ermöglicht,ȱmitȱdenenȱsichȱdieȱaktuelleȱ„Qualität“ȱeinerȱSchuleȱauchȱ externȱüberprüfenȱundȱAbweichungenȱvonȱdenȱVorgabenȱermittelnȱ lassen.ȱ Problematischȱ istȱ ausȱ arbeitsȬȱ undȱ organisationspsychologiȬ scherȱ Sichtȱ zuȱ werten,ȱ dassȱ dabeiȱ nahezuȱ zwangsläufigȱ einȱ DefizitȬ modellȱdesȱMenschen,ȱd.h.ȱderȱLehrkräfte,ȱKollegienȱundȱLeitungenȱinȱ denȱ Schulen,ȱ impliziertȱ wird.ȱ Dieseȱ sind,ȱ wieȱ Evaluationsstudienȱ immerȱ wiederȱ belegen,ȱ offenbarȱ kaumȱ inȱ derȱ Lage,ȱ dieȱ Standardsȱ derȱ „normalen“ȱ Schuleȱ einzuhalten.ȱ Dieȱ LehrergesundheitsforȬ schungȱzeigtȱallerdings,ȱdassȱdieȱexterneȱVorgabeȱvonȱEffektivitätsȬȱ undȱ Effizienzkriterienȱ ohneȱ Berücksichtigungȱ derȱ konkretenȱ BeȬ lastungsȬȱ undȱ Ressourcensituationȱ dieȱ Lehrkräfteȱ aufȱ dieȱ Dauerȱ inȱ spezifischerȱWeiseȱüberfordertȱundȱauslaugt,ȱwieȱdieȱsehrȱhoheȱZahlȱ vonȱ krankheitsbedingtenȱ Frühpensionierungenȱ undȱ BurnoutȬ ErkrankungenȱvonȱLehrkräftenȱbelegtȱ(Rudow,ȱ1994;ȱKrause,ȱ2003). ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Ichȱ widmeȱ diesenȱ Beitragȱ Eberhardȱ Ulich,ȱ derȱ michȱ lehrte,ȱ soziotechnischeȱ ZuȬ

sammenhängeȱzuȱerkennenȱundȱzuȱverstehen.ȱ

23ȱ

1

24ȱ

Schulen als soziotechnische Systeme

b)ȱDerȱzweite,ȱinȱderȱForschungȱundȱPraxisȱwenigerȱverbreiteteȱAnȬ satzȱ betrachtetȱ Schulenȱ eherȱ pragmatischȱ undȱ ausȱ derȱ Erfahrungȱ herausȱ alsȱ offeneȱ undȱ komplexeȱ Systeme,ȱ welcheȱ sichȱ anȱ vielfältiȬ gen,ȱ oftȱ widersprüchlichenȱ Rahmenbedingungenȱ undȱ begrenztenȱ Ressourcenȱ orientierenȱ müssen.ȱ Derenȱ Dynamikȱ verursachtȱ Schwankungen,ȱStörungenȱundȱSpannungen,ȱwelcheȱdieȱLehrkräfteȱ undȱ Schulleitungenȱ zwingen,ȱ sehrȱ vielȱ Energieȱ undȱ Ressourcenȱ aufzubringen,ȱ umȱ ihreȱAuswirkungenȱ aufȱ denȱ Unterrichtȱ undȱ denȱ Schulbetriebȱzuȱpuffernȱundȱauszugleichen.ȱDieȱSchwankungenȱundȱ Störungenȱ bringenȱ einȱ hohesȱ Maßȱ anȱ Belastungenȱ mitȱ sich,ȱ welcheȱ nebenȱ derȱ Erfüllungȱ derȱ eigentlichenȱAufgabenȱ zuȱ verkraftenȱ sind.ȱ DasȱProblemȱderȱ(psychischen)ȱBelastungȱderȱLehrkräfteȱwirdȱdaherȱ nichtȱ primärȱ inȱ denȱ (zuȱ hohen)ȱ Anforderungenȱ desȱ „normalen“ȱ SchulȬȱ undȱ Unterrichtsbetriebsȱ gesehenȱ (derȱ sog.ȱ „Primäraufgabe“ȱ derȱ Schule),ȱ sondernȱ vielmehrȱ inȱ denȱ Aufwendungenȱ dafür,ȱ dieȱ Voraussetzungenȱ fürȱ einenȱ „normalen“ȱ SchulȬȱ undȱ UnterrichtsbeȬ triebȱüberhauptȱerstȱzuȱschaffenȱ(d.h.ȱfürȱdieȱsog.ȱ„SekundäraufgaȬ ben“).ȱ Alsȱ Vertreterȱ diesesȱ Ansatzesȱ istȱ dieȱ Forschungȱ zurȱ „gutenȱ gesundenȱSchule“ȱ(HealthȱPromotingȱSchool;ȱvgl.ȱPaulus,ȱ2003;ȱBuȬ chen,ȱHorsterȱ&ȱRolff,ȱ1999)ȱzuȱsehen.ȱAllerdingsȱistȱdieseȱnochȱeherȱ programmatischȱ ausgerichtetȱ undȱ postuliert,ȱ dassȱ nebenȱ derȱ EffekȬ tivitätȱundȱEffizienzȱdesȱUnterrichtsȱundȱdesȱSchulbetriebsȱauchȱdieȱ Gesundheitȱ nichtȱ nurȱ derȱ Schüler,ȱ sondernȱ auchȱ derȱ Lehrkräfte,ȱ berücksichtigtȱ werdenȱ müsse.ȱ Dieȱ Stärkeȱ diesesȱ Ansatzesȱ liegtȱ ausȱ arbeitsȬȱ undȱ organisationspsychologischerȱ Sichtȱ darin,ȱ dassȱ erȱ vonȱ einemȱ Ressourcenmodellȱ desȱ Menschenȱ ausgeht,ȱ d.h.ȱ einerseitsȱ dieȱ Fähigkeitȱ desȱ Menschenȱzuȱ Flexibilitätȱundȱ Kreativitätȱ herausstellt,ȱ andererseitsȱ dieseȱ Ressourceȱ alsȱ begrenztȱ erachtet.ȱ Zielȱ istȱ nichtȱ mehrȱdieȱKonzeptionȱderȱ„normalen“ȱSchule,ȱsondernȱeinerȱSchule,ȱ inȱ welcherȱ dieȱ menschlichenȱ Fähigkeitenȱ undȱ Bedürfnisseȱ vonȱ denȱ BetroffenenȱfortwährendȱmitȱdenȱformalenȱVorgabenȱderȱBildungsȬ planungȱ undȱ denȱ Erwartungenȱ derȱ Schulbehörden,ȱ Elternȱ undȱ Schülerȱ abgestimmtȱ werden.ȱ Dieȱ Aufgabeȱ derȱ SchulentwicklungsȬ forschungȱbestehtȱdabeiȱnichtȱdarin,ȱNormvorgabenȱzuȱentwickeln,ȱ sondernȱ eigentlichȱ imȱ Gegenteilȱ darin,ȱ GestaltungsȬȱ undȱ HandȬ lungsspielräumeȱ aufzuzeigen,ȱ welcheȱ fürȱ denȱ SchulȬȱ undȱ UnterȬ richtsbetriebȱ autonomȱ nutzbarȱ sind.ȱ Eineȱ „gute“ȱ Schuleȱ istȱ somitȱ eineȱinȱsichȱstimmige,ȱgutȱausbalancierteȱundȱmitȱihrenȱRahmenbeȬ dingungenȱ optimalȱ abgestimmteȱ Schule.ȱ Unklarȱ bleibtȱ inȱ diesemȱ eherȱ prozessorientiertenȱSchulentwicklungskonzept,ȱ wasȱgenauȱ dieȱ

Die Grundzüge des soziotechnischen Systemansatzes

1.2

EffektivitätȱundȱEffizienzȱderȱSchuleȱundȱderȱLehrkräfteȱeinschränktȱ undȱdieȱhoheȱBelastungȱderȱLehrkräfteȱverursacht.ȱ Mitȱ demȱ soziotechnischenȱ Systemansatzȱ verfügtȱ dieȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologieȱ überȱ einenȱ konzeptuellenȱ undȱ methodiȬ schenȱOrientierungsrahmen,ȱderȱdieȱaufgeworfenenȱFragenȱundȱdieȱ eherȱuntergründigenȱQuellenȱderȱBelastungȱderȱLehrkräfteȱaufzudeȬ ckenȱvermagȱ(vgl.ȱSchüpbachȱ&ȱZölch,ȱ2004;ȱUlich,ȱ2005).ȱErȱistȱzuȬ demȱinȱhohemȱMaßeȱvereinbarȱmitȱdenȱinȱDeutschlandȱverbreitetenȱ Programmenȱ zurȱ „Innerenȱ Schulentwicklungȱ (ISE)“.ȱ Allerdingsȱ wurdeȱ derȱ soziotechnischeȱ Systemansatzȱ ursprünglichȱ imȱ Rahmenȱ vonȱ Industrieprojektenȱ entwickeltȱ undȱ überprüft.ȱ Eineȱ unkritischeȱ ÜbertragungȱaufȱdieȱSchuleȱwäreȱdaherȱproblematisch.ȱȱ DieserȱBeitragȱzieltȱdaraufȱab,ȱdieȱkonzeptuellenȱundȱmethodischenȱ Grundzügeȱ desȱ soziotechnischenȱ Systemansatzesȱ darzustellenȱ undȱ derenȱ Übertragbarkeitȱ aufȱ dieȱ Schuleȱ bzw.ȱ aufȱ dieȱ Schulevaluationȱ undȱSchulentwicklungȱkritischȱzuȱdiskutieren.ȱDabeiȱverfolgtȱerȱeinȱ zweifachesȱInteresse:ȱZumȱeinenȱsollȱausȱarbeitsȬȱundȱorganisationsȬ psychologischerȱ Sichtȱ dieȱ Weiterentwicklungȱ desȱ soziotechnischenȱ Systemansatzesȱ vorangebrachtȱ werden.ȱ Zumȱ anderenȱ kannȱ dieȱ Schuleȱ vonȱ dieserȱ praxisorientiertenȱ Feldforschungȱ profitieren,ȱ inȬ demȱ sieȱ fundierteȱ Datenȱ zurȱ Klärungȱ derȱ Fragenȱ erhält,ȱ woȱ einerȬ seitsȱ dieȱ psychologischȱ kritischenȱ Probleme,ȱ woȱ andererseitsȱ ResȬ sourcenȱ undȱ Potentialeȱ fürȱ derenȱ Bewältigungȱ liegenȱ undȱ welcheȱ OptionenȱfürȱdieȱSchulentwicklungȱsichȱdarausȱableitenȱlassen.ȱȱ

1.2

Die Grundzüge des soziotechnischen Systemansatzes

1.2.1

Der fachhistorische Hintergrund

Ausgangspunktȱ derȱ Entwicklungȱ desȱ soziotechnischenȱ SystemanȬ satzesȱwarenȱAufsehenȱerregendeȱStudienȱimȱenglischenȱKohlebergȬ bauȱ (vgl.ȱ dieȱ ausführlichenȱ Darstellungenȱ beiȱ Cherns,ȱ 1989;ȱ vanȱ Eijnatten,ȱ 1998;ȱ Emery,ȱ 1978;ȱ Sydow,ȱ 1985;ȱ Ulich,ȱ 2005).ȱ Nachȱ derȱ VerstaatlichungȱdesȱKohlebergbausȱinȱGroßbritannienȱinȱderȱNachȬ kriegszeitȱ warȱ sehrȱ vielȱ Geldȱ inȱ dieȱ technischeȱ Entwicklungȱ undȱ Erprobungȱ desȱ sog.ȱ „Longwallȱ Systems“ȱ investiertȱ worden.ȱ Dieȱ ErȬ

25ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

gebnisseȱ warenȱ enttäuschend.ȱ Dieȱ Produktivitätȱ fielȱ wesentlichȱ geȬ ringerȱ ausȱ alsȱ erwartet,ȱ hoheȱ AbsentismusȬȱ undȱ Fluktuationsratenȱ sowieȱ eineȱ „Verringerungȱ derȱ Arbeitsmoral“ȱ wurdenȱ verzeichnet.ȱ DieȱverantwortlichenȱIngenieureȱfandenȱdafürȱkeineȱErklärung.ȱEricȱ Tristȱ alsȱ Sozialwissenschaftlerȱ undȱ Kenȱ Bamforthȱ alsȱ ehemaligerȱ Bergmann,ȱwelcheȱalsȱExpertenȱbeigezogenȱwurden,ȱinterpretiertenȱ dieȱBefundeȱwieȱfolgtȱ(nachȱCherns,ȱ1989,ȱS.ȱ483f):ȱ„Untertagearbeitȱ istȱ wegenȱ derȱ Sensibilitätȱ undȱ Unvorhersehbarkeitȱ derȱ Umgebungȱ gefährlich.ȱ Dasȱ abzubauendeȱ Rohmaterial,ȱ derȱ Kohleflöz,ȱ verhältȱ sichȱ unterschiedlich.ȱ Ständigȱ sindȱ unerwarteteȱ Schwierigkeitenȱ zuȱ erwarten.ȱ (…)ȱ WertvollsteȱStützeȱistȱ dasȱ Vertrauenȱinȱ dieȱ ZuverläsȬ sigkeitȱ derȱ Kollegenȱ (…)ȱ inȱ derȱ Arbeitsgruppe“.ȱ Imȱ altenȱ Systemȱ (ShortwallȱSystem)ȱhatteȱdieȱArbeitsgruppeȱausȱzweiȱbisȱsechsȱBergȬ leutenȱ bestanden,ȱ welcheȱ ihreȱ Löhneȱ untereinanderȱ imȱ gleichenȱ Verhältnisȱ teilten.ȱ Sieȱ arbeitetenȱ inȱ verschiedenenȱ Schichten,ȱ aberȱ immerȱ amȱ selbenȱ Ortȱ undȱ warenȱfürȱ dieȱ gesamteȱ Bergbautätigkeit,ȱ bestehendȱausȱAbbau,ȱBeladenȱderȱLoreȱundȱTransportȱverantwortȬ lich.ȱ Nachȱderȱ LongwallȬMethodeȱ wurdeȱ jederȱ Teilȱ dieserȱ Tätigkeitȱ einerȱ speziellenȱ Schichtȱ zugewiesen.ȱ Dadurchȱ wurdeȱ dasȱ sozialeȱ Unterstützungssystem,ȱwelchesȱfrüherȱzurȱVerringerungȱdesȱAngstȬ niveausȱbeigetragenȱhatte,ȱzerstückeltȱ(Cherns,ȱ1989,ȱS.ȱ484).ȱ Mitȱ ihrerȱ Interpretationȱ derȱ Befundeȱ entwickeltenȱ Tristȱ undȱ BamȬ forthȱ (1951)ȱ nichtȱ eineȱ neueȱ Theorie,ȱ sondernȱ eherȱ eineȱ neueȱ BeȬ trachtungsweiseȱ derȱ Strukturenȱ undȱ Wechselwirkungȱ vonȱ Menschȱ undȱArbeitssystem.ȱSieȱprägtenȱdafürȱdenȱBegriffȱdesȱ„soziotechniȬ schenȱSystems“.ȱȱ Derȱ soziotechnischeȱ Systemansatzȱ lässtȱ sichȱ aufȱ vierȱ GrundannahȬ menȱ zusammenfassen,ȱ welcheȱ nochȱ ausführlicherȱ dargestelltȱ undȱ begründetȱwerden:ȱ 1. Alsȱ soziotechnischeȱ Systemeȱ werdenȱ komplexeȱ Arbeitssystemeȱ bezeichnet,ȱ inȱ welchenȱ einerseitsȱ technischȬtechnologischeȱ (d.h.ȱ technischeȱ Einrichtungenȱ sowieȱ formaleȱ Strukturenȱ undȱ VorgaȬ ben),ȱ andererseitsȱ sozialeȱ (d.h.ȱ Menschenȱ undȱ Arbeitsgruppenȱ sowieȱinformelleȱStrukturen)ȱTeilsystemeȱbeiȱderȱErfüllungȱeinerȱ Aufgabeȱ zusammenwirken.ȱ Soziotechnischeȱ Systemeȱ werdenȱ zudemȱ alsȱ offeneȱ Arbeitssystemeȱ verstanden,ȱ welcheȱ sehrȱ empȬ findlichȱaufȱ„Turbulenzen“ȱinȱdenȱUmfeldernȱreagierenȱmüssen.ȱȱ

26ȱ

Die Grundzüge des soziotechnischen Systemansatzes

1.2

2. TurbulenzenȱkönnenȱinȱdenȱArbeitsabläufenȱSchwankungenȱundȱ Störungenȱverursachen,ȱwelcheȱsichȱaufȱdasȱgesamteȱArbeitssysȬ temȱ ausbreiten.ȱ Dieȱ technischȬtechnologischenȱ Komponentenȱ sindȱ kaumȱ inȱ derȱ Lage,ȱ aufȱ dieȱ Turbulenzenȱ zuȱ reagieren.ȱ Sieȱȱȱȱȱ übertragenȱ undȱ verstärkenȱ dieȱ damitȱ verbundenenȱ SchwankunȬ genȱ undȱ Störungenȱ eher.ȱ Aufȱ dasȱ sozialeȱ Teilsystemȱ bzw.ȱ dieȱ MenschenȱwirkenȱdieseȱSchwankungenȱundȱStörungenȱeinerseitsȱ bedrohlichȱ undȱ belastend,ȱ andererseitsȱ könnenȱ sieȱ sichȱ ihnenȱ nichtȱ entziehen.ȱ Esȱ gehörtȱ vielmehrȱ zuȱ ihrenȱAufgaben,ȱ sichȱ ihȬ nenȱzuȱstellen,ȱdaraufȱflexibelȱzuȱreagierenȱundȱdieȱErfüllungȱderȱ AufgabenȱtrotzȱihresȱAuftretensȱzuȱgewährleisten.ȱ 3. Ausȱ demȱ technischȬtechnologischenȱ Umfeldȱ undȱ Teilsystemȱ erȬ gebenȱsichȱzwarȱfürȱdasȱsozialeȱTeilsystemȱunumgänglicheȱRahȬ menbedingungen.ȱ Dieseȱ determinierenȱ dieȱ sozialenȱ Strukturenȱ undȱAbläufeȱjedochȱnichtȱzwingend,ȱsondernȱlassenȱinȱderȱRegelȱ GestaltungsȬȱ undȱ Handlungsspielräumeȱ fürȱ flexiblesȱ undȱ autoȬ nomesȱ Handelnȱ offen,ȱ dieȱ esȱ zuȱ erkennenȱ undȱ zuȱ nutzenȱ giltȱ (TechnologieȱalsȱOption;ȱvgl.ȱUlich,ȱ2005).ȱ 4. Selbstregulationȱ inȱ teilautonomenȱ Arbeitsgruppenȱ ermöglichtȱ einerseitsȱ einȱ flexiblesȱ Auffangenȱ undȱ Puffernȱ derȱ SchwankunȬ genȱundȱStörungenȱimȱSystem,ȱandererseitsȱunterstütztȱesȱdieȱarȬ beitendenȱMenschenȱdabei,ȱdieȱdamitȱverbundenenȱpsychischenȱ BelastungenȱundȱBeanspruchungenȱbesserȱzuȱbewältigenȱundȱzuȱ verkraften.ȱ

1.2.2

Theoretische Fundierung des soziotechnischen Systemansatzes

Vermutlichȱ wegenȱ seinemȱ ganzheitlichenȱ Ansatzȱ sowieȱ seinerȱ pragmatischenȱ Entwicklungȱ istȱ dieȱ theoretischeȱ Fundierungȱ desȱ soziotechnischenȱ Systemansatzesȱ insgesamtȱ vageȱ undȱ offenȱ geblieȬ ben:ȱ„TheȱconceptȱofȱsocioȬtechnicalȱsystemsȱinvokesȱaȱbodyȱofȱsubȬ ordinateȱ conceptsȱ andȱ hypothesesȱ toȱ describeȱ andȱ explainȱ theȱ beȬ haviourȱ ofȱ enterprisesȱ andȱ theirȱ members.ȱ (…)ȱ Thereȱ isȱ noȱ singleȱ bodyȱ ofȱ conceptsȱ thatȱ canȱ claimȱ toȱ beȱ theȱ theoryȱ ofȱ socioȬtechnicalȱ systems“ȱ(Emery,ȱ1993,ȱS.ȱ160;ȱvgl.ȱdazuȱkritischȱSydow,ȱ1985).ȱȱ

27ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

Inȱ einemȱ weiterenȱ Sinnȱ derȱ theoretischenȱ Klassifikationȱ lässtȱ sichȱ derȱ soziotechnischeȱ Systemansatzȱ amȱ ehestenȱ denȱ KontingenzȬȱ undȱ Konsistenzansätzenȱ zurechnenȱ (Mintzberg,ȱ 1979;ȱ vgl.ȱ Staehle,ȱ 1994).ȱ DieȱGrundaussageȱdieserȱAnsätzeȱlautet,ȱdassȱesȱfürȱdieȱGestaltungȱ vonȱ Arbeitssystemenȱ –ȱ vorȱ allemȱ desȱ technischȬtechnologischenȱ Teilsystemsȱ –ȱ keineȱ verallgemeinerbarȱ besteȱ Varianteȱ gibt,ȱ sondernȱ dassȱdieȱentscheidendeȱGestaltungsȬȱundȱManagementaufgabeȱdarȬ inȱ besteht,ȱ dasȱ Systemȱ inȱ sichȱ konsistentȱ undȱ nachȱ außenȱ hinȱ konȬ tingentȱzuȱgestalten.ȱEinȱBeispielȱeinesȱkonkretȱamȱsoziotechnischenȱ Systemansatzȱ orientiertenȱ Versuchs,ȱ dieȱ relevantenȱ Variablenȱ undȱ derenȱ Kontingenzenȱ zuȱ bestimmen,ȱ stammtȱ vonȱ Cummingsȱ undȱ Blumbergȱ(1987;ȱvgl.ȱUlich,ȱ2005).ȱ Theoretischȱ undȱ methodischȱ weiterführendȱ fürȱ denȱ soziotechniȬ schenȱ Systemansatzȱ inȱ derȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologieȱ warȱ vorȱ allemȱ dessenȱ Verbindungȱ mitȱ tätigkeitspsychologischenȱ Konzepten,ȱspeziellȱauchȱderȱHandlungsregulationstheorie.ȱFürȱdieȱ psychologischeȱ Arbeitsanalyseȱ ergabȱ sichȱ darausȱ dieȱ Verbindungȱ derȱ soziotechnischenȱ Systemanalyseȱ mitȱ Verfahrenȱ derȱ psychologiȬ schenȱTätigkeitsanalyseȱ(vgl.ȱUlich,ȱ2005;ȱSchüpbachȱ&ȱZölch,ȱ2004).ȱ Alsȱ zentralesȱ Bindegliedȱ zwischenȱ denȱ objektivenȱ Bedingungenȱ imȱ soziotechnischenȱSystemȱundȱderȱindividuellenȱTätigkeitȱerwiesȱsichȱ dabeiȱ inȱ vielenȱ Studienȱ derȱ Tätigkeitsspielraum,ȱ denȱ Ulichȱ inȱ denȱ Grundzügenȱ bereitsȱ 1972ȱ inȱ dieȱ Diskussionȱ einführtȱ hatteȱ (vgl.ȱȱȱ Ulich,ȱ 2005).ȱ „Derȱ Tätigkeitsspielraumȱ istȱ einȱ mehrdimensionalesȱ Konstrukt,ȱ dasȱ sichȱ ausȱ demȱ HandlungsȬ,ȱ demȱ GestaltungsȬȱ undȱ demȱ Entscheidungsspielraumȱ zusammensetzt“ȱ (ebd.,ȱ S.ȱ 183)ȱ undȱ dasȱinsgesamtȱdieȱimȱsoziotechnischenȱSystemȱmöglicheȱFlexibilität,ȱ Variabilitätȱ undȱ Autonomieȱ kennzeichnet.ȱ Tätigkeitsspielräumeȱ werdenȱ vonȱ denȱ Arbeitendenȱ nichtȱ notwendigerweiseȱ vollumȬ fänglichȱerkanntȱ(Hacker,ȱ1998,ȱS.ȱ124ff).ȱUmgekehrtȱkönnenȱHandȬ lungsȬ,ȱ GestaltungsȬȱ undȱ Entscheidungsmöglichkeitenȱ subjektivȱ wahrgenommenȱ werden,ȱ welcheȱ sichȱ inȱ derȱ soziotechnischenȱ SysȬ temanalyseȱ nichtȱ inȱ gleichemȱ Maßeȱ objektivierenȱ lassen.ȱ Dieȱ KläȬ rungȱ desȱ Verhältnissesȱ bzw.ȱ dasȱAufdeckenȱ undȱ Erklärenȱ vonȱ DisȬ krepanzenȱ zwischenȱ einerseitsȱ objektivȱ vorhandenen,ȱ andererseitsȱ subjektivȱ wahrgenommenenȱ undȱ genutztenȱ Tätigkeitsspielräumenȱ gehörtȱ daherȱ zuȱ denȱ zentralenȱ Anliegenȱ derȱ soziotechnischenȱ SysȬ temanalyseȱ undȱ derȱ psychologischenȱ Arbeitstätigkeitsanalyseȱ (Schüpbachȱ&ȱZölch,ȱ2004).ȱ

28ȱ

Die Grundzüge des soziotechnischen Systemansatzes

1.2.3

1.2

Merkmale soziotechnischer Systeme und deren Übertragbarkeit auf Schulen

Tristȱ undȱ Bamforthȱ sowieȱ ihreȱ Kollegenȱ amȱ Tavistockȱ Instituteȱ forȱ Humanȱ Relationsȱ inȱ London,ȱ welcheȱ dieȱ Studienȱ imȱ Kohlebergbauȱ durchführten,ȱ leitetenȱ ausȱ ihrenȱ Erfahrungenȱ einigeȱ Erkenntnisseȱ ab,ȱ welcheȱ nichtȱ nurȱ fürȱ industrielleȱ Arbeitsumgebungen,ȱ sondernȱ auchȱ fürȱ dasȱ Verständnisȱ derȱ psychologischenȱ Tiefenstrukturȱ vonȱ Schulenȱbedeutsamȱseinȱkönnen.ȱȱ 1. Soziotechnischeȱ Systemeȱ sindȱ komplexeȱ undȱ offeneȱ Arbeitssysteme,ȱ inȱ denenȱunvorhersehbareȱSchwankungenȱundȱStörungenȱauftreten.ȱ Inȱ vielenȱ Arbeitssystemenȱ tretenȱ oftȱ kaumȱ vorhersehbareȱ undȱ nurȱ schwerȱ durchschaubareȱ Schwankungenȱ undȱStörungenȱ auf,ȱ welcheȱ dieȱ Kontrolleȱ derȱArbeitsabläufeȱ erschwerenȱ undȱ eineȱ zuverlässigeȱ PlanungȱundȱSteuerungȱverunmöglichen.ȱTristȱundȱBamforthȱ(1951,ȱ S.ȱ 19)ȱ stellenȱ dazuȱ fest,ȱ dassȱ esȱ imȱ Kohlebergwerkȱ imȱ Gegensatzȱ zumȱ Industriebetriebȱ unmöglichȱ sei,ȱ „toȱ establishȱ theȱ kindȱ ofȱ conȬ stantȱ backgroundȱ toȱ theȱ taskȱ thatȱ isȱ grantedȱ inȱ theȱ factory.ȱAȱ veryȱ largeȱ varietyȱ ofȱ unfavourableȱ andȱ changingȱ environmentalȱ condiȬ tionsȱisȱencounteredȱatȱtheȱcoalȬface,ȱmanyȱofȱwhichȱareȱimpossibleȱ toȱpredict;ȱothers,ȱthoughȱpredictable,ȱareȱimpossibleȱtoȱalter”.ȱ Psychologischȱ relevantȱ ist,ȱ dassȱ derartigeȱ Umgebungenȱ dieȱ BetrofȬ fenenȱemotionalȱnichtȱ„kalt“ȱlassen,ȱsondernȱvonȱihnenȱalsȱbedrohȬ lichȱ undȱ belastendȱ empfundenȱ werden.ȱ Imȱ transaktionalenȱ StressȬ konzeptȱvonȱLazarusȱundȱLaunierȱ(1981;ȱvgl.ȱauchȱSemmerȱ&ȱUdris,ȱ 2004;ȱ Ulich,ȱ 2005;ȱ Weidenmann,ȱ 1981)ȱ wirdȱ diesesȱ untergründigeȱ Empfindungȱ vonȱ Bedrohlichkeitȱ (primaryȱ appraisal),ȱ inȱ Verbindungȱ mitȱ derȱ Unmöglichkeit,ȱ dieȱ Situationȱ zuȱ verlassenȱ oderȱ zuȱ vermeiȬ denȱ (secondaryȱ appraisal),ȱ alsȱ zentraleȱ Bedingungȱ fürȱ dasȱ Entstehenȱ vonȱ psychischemȱ Stressȱ benannt.ȱ Millerȱ undȱ Riceȱ (1971;ȱ zit.ȱ nachȱ Sydow,ȱ 1985)ȱ sprechenȱ daherȱ auchȱ vomȱ sozialenȱ Teilsystemȱ alsȱ eiȬ nemȱ„SentientȱSystem“.ȱȱ OhneȱZweifelȱfindenȱsichȱauchȱinȱSchulenȱvieleȱSchwankungenȱundȱ Störungen,ȱ welcheȱ aufȱ derenȱ Komplexitätȱ undȱ Offenheitȱ sowieȱ dieȱ Turbulenzȱ inȱ ihrenȱ Umfeldernȱ verweisen.ȱ Allerdingsȱ istȱ dieseȱ OfȬ fenheitȱ –ȱ undȱ Öffentlichkeitȱ –ȱ nichtȱ einȱ Mangel,ȱ sondernȱ eineȱ NotȬ wendigkeitȱ undȱ Teilȱ desȱ Auftragsȱ derȱ Schule.ȱ Schwankungenȱ undȱ StörungenȱalsȱFolgeȱvielfältiger,ȱoftȱwidersprüchlicher,ȱunerwarteter,ȱ

29ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

sichȱ raschȱ verändernderȱ situativerȱ Bedingungenȱ undȱ Erwartungenȱ müssenȱ inȱ Schulenȱ alsȱ unvermeidbarȱ angesehenȱ werden.ȱ Dieȱ notȬ wendigeȱ Offenheitȱ undȱ Responsivitätȱ gegenüberȱ vielfältigenȱ äußeȬ renȱEinflüssenȱführenȱallerdingsȱnachȱWeickȱ(1976;ȱvgl.ȱauchȱOrtonȱ &ȱ Weick,ȱ 1990;ȱ Perrow,ȱ 1984)ȱ dazu,ȱ dassȱ Schulenȱ undȱ Lehrkräfteȱ typischerweiseȱ zwarȱ vielfältige,ȱ jedochȱ nurȱ loseȱ gekoppelteȱ NetzȬ werkeȱbildenȱundȱnurȱwenigȱverbindlicheȱAbmachungenȱeingehen.ȱ DerȱGrundȱdafürȱwirdȱdarinȱgesehen,ȱdassȱVorgaben,ȱAnweisungenȱ oderȱErwartungenȱvonȱaußenȱ–ȱauchȱvonȱvorgesetztenȱSchulbehörȬ denȱoderȱSchulleitungenȱ–ȱseltenȱungebrochen,ȱsondernȱstetsȱnurȱinȱ AbwägungȱmitȱanderenȱjeweilsȱwirksamenȱBedingungenȱumgesetztȱ werdenȱkönnen.ȱPerrowȱ(1984)ȱundȱWeickȱ(1976)ȱbezeichnenȱdiesȱalsȱ looseȱ couplingȱ undȱ beschreibenȱ ihreȱ Beobachtungenȱ wieȱ folgtȱ (PerȬ row,ȱ1984,ȱS.ȱ90):ȱ„Someȱpublicȱserviceȱorganizations,ȱpublicȱschoolsȱ inȱparticular,ȱseemedȱtoȱbeȱcharacterizedȱbyȱanȱunusuallyȱlargeȱgapȱ betweenȱofficialȱprogramsȱandȱactualȱbehaviour.ȱ(…)ȱWhileȱtheȱproȬ gramsȱ andȱ goalsȱ wereȱ realȱ enough,ȱ theyȱ wereȱ onlyȱ looselyȱ conȬ nectedȱtoȱotherȱmattersȱwithȱwhichȱtheȱorganizationȱhadȱtoȱbeȱpreȬ occupated,ȱ suchȱ asȱ politicalȱ demandsȱ fromȱ theȱ environment,ȱ theȱ autonomyȱofȱprofessionalȱteachers,ȱandȱtheȱineffectiveȱmobilizationȱ ofȱparentalȱdemands”ȱ(ebd.,ȱS.ȱ90).ȱDabeiȱerscheintȱesȱsinnvoll,ȱebenȱ diesenȱ stetenȱ Abwägungsprozessȱ nichtȱ fürȱ emotionalȱ neutral,ȱ sonȬ dernȱ fürȱ konflikthaftȱ undȱ spannungsgeladen,ȱ mithinȱ potenziellȱ beȬ lastendȱzuȱhaltenȱ(Weidenmann,ȱ1981).ȱȱ 2. DasȱsozialeȱundȱdasȱtechnischeȱTeilsystemȱverhaltenȱsichȱinȱsoziotechniȬ schenȱSystemenȱzueinanderȱkomplementär.ȱ Soziotechnischeȱ Systemeȱ umfassenȱ technischeȱ undȱ sozialeȱ KompoȬ nentenȱ bzw.ȱ Teilsysteme,ȱ wobeiȱ dieȱ technischȬtechnologischenȱ Komponentenȱ nichtȱ nurȱ materiellȱ gegebenȱ sind,ȱ sondernȱ vorȱ allemȱ auchȱinȱeinemȱpsychologischenȱSinnȱaufȱdasȱsozialeȱTeilsystemȱeinȬ wirken.ȱ Tristȱ undȱ Bamforthȱ erläuternȱ diesȱ inȱ einemȱ Schlüsselsatzȱ ihrerȱ Ausführungenȱ zumȱ soziotechnischenȱ Systemverständnisȱ wieȱ folgt:ȱ „Theȱ longwallȱ methodȱ willȱ beȱ regardedȱ asȱ aȱ technologicalȱ systemȱ (…)ȱ andȱ asȱ aȱ socialȱ structureȱ consistingȱ ofȱ theȱ occupationalȱ rolesȱ thatȱ haveȱ beenȱ institutionalizedȱ inȱ itsȱ use.ȱ Theseȱ interactiveȱ technologicalȱ andȱ sociologicalȱ patternsȱ willȱ beȱ assumedȱ toȱ existȱ asȱ forcesȱ havingȱ psychologicalȱ effects.ȱ (…)ȱ Together,ȱ theȱ forcesȱ andȱ theirȱeffectsȱconstituteȱtheȱpsychoȬsocialȱwholeȱwhichȱisȱtheȱobjectȱofȱ

30ȱ

Die Grundzüge des soziotechnischen Systemansatzes

1.2

study“ȱ (Tristȱ &ȱ Bamforth,ȱ 1951,ȱ S.ȱ 5;ȱ vgl.ȱ auchȱ Glaslȱ &ȱ Lievegoed,ȱ 1996).ȱȱ DasȱVerhältnisȱvonȱtechnischȬtechnologischenȱundȱsozialemȱTeilsysȬ temȱwirdȱoftȱmissverstanden.ȱDasȱtechnischȬtechnologischeȱTeilsysȬ temȱistȱnichtȱlediglichȱalsȱstatischeȱundȱdamitȱkalkulierbareȱ„BedinȬ gung“ȱmenschlichenȱHandelnsȱzuȱverstehen,ȱsondernȱalsȱeigenstänȬ digesȱ undȱ eigendynamischesȱ „Kräftefeld“ȱ (Emeryȱ &ȱ Trist,ȱ 1973;ȱ S.214;ȱvgl.ȱauchȱEmery,ȱ1993,ȱS.ȱ159),ȱwelchesȱimȱgünstigenȱFallȱdasȱ Handelnȱ derȱ Menschenȱ unterstütztȱ undȱ verstärkt,ȱ imȱ ungünstigenȱ Fallȱ einschränktȱ undȱ behindertȱ (Ulich,ȱ 2005).ȱ „Theȱ technologicalȱ components,ȱinȱconvertingȱinputsȱintoȱoutputs,ȱplayȱaȱmajorȱroleȱinȱ determiningȱtheȱselfȬȱregulatingȱpropertiesȱofȱanȱenterprise.ȱItȱfuncȬ tionsȱasȱoneȱofȱtheȱmajorȱboundaryȱconditionsȱofȱtheȱsocialȱsystem“ȱ (Emeryȱ&ȱTrist,ȱ1973,ȱS.214).ȱDabeiȱwirdȱderȱBegriffȱderȱTechnologieȱ inȱeinemȱzweifachenȱSinnȱverwendet.ȱEinerseitsȱsindȱdamitȱimȱengeȬ renȱ Sinnȱ Maschinen,ȱ Einrichtungenȱ undȱ Arbeitsmittelȱ gemeint,ȱ imȱ weiterenȱ Sinnȱ aberȱ auchȱ alleȱ formalenȱ Regelungenȱ undȱ Vorgaben,ȱ welcheȱ beiȱ derȱ Erfüllungȱ derȱ Arbeitsaufgabenȱ eineȱ Rolleȱ spielen.ȱ Andererseitsȱ meintȱ „Technologie“ȱ –ȱ imȱ Unterschiedȱ zuȱ „Technik“ȱ –ȱ eineȱbestimmteȱBetrachtungsweiseȱeinesȱGegenstandsbereichs.ȱEineȱ „technologische“ȱ wirdȱ dabeiȱ alsȱ gleichbedeutendȱ mitȱ einerȱ reinȱ funktionalen,ȱ abstraktenȱ Betrachtungsweiseȱ verstanden.ȱ Inȱ diesemȱ zweitenȱ Sinneȱ wirdȱ hervorgehoben,ȱ dassȱ dasȱ sozialeȱ Systemȱ nichtȱ genausoȱwieȱdasȱtechnische,ȱnämlichȱ„technoȬlogisch“ȱfunktioniert,ȱ sondernȱsichȱdazuȱkomplementärȱverhältȱ(vgl.ȱGroteȱetȱal.,ȱ1999).ȱȱ NatürlichȱfindetȱsichȱinȱSchulenȱimȱVergleichȱzuȱIndustriebetriebenȱ nurȱ wenigȱ gegenständlicheȱ Technikȱimȱ Sinneȱ vonȱ Maschinen,ȱ techȬ nischenȱAnlagenȱ oderȱ Gerätenȱ undȱ esȱwäreȱ unsinnigȱ zuȱ vermuten,ȱ dassȱ dieseȱ dieȱArbeitsabläufeȱ inȱ derȱ Schuleȱ wesentlichȱ bestimmen.ȱ Andererseitsȱ darfȱ derȱ Einflussȱ derȱ technoȬlogischenȱ Gegebenheitenȱ aufȱ dasȱ sozialeȱ Teilsystemȱ derȱ Schuleȱ nichtȱ unterschätztȱ werden.ȱ Dazuȱzählenȱz.B.ȱdieȱStundenȬȱundȱStoffpläne,ȱdieȱKlasseneinteilunȬ gen,ȱdieȱräumlichenȱGegebenheiten,ȱdieȱUnterrichtsȬȱundȱPausenzeiȬ tenȱ usw.,ȱ welcheȱ denȱ SchulȬȱ undȱ Unterrichtsbetriebȱ zunächstȱ nurȱ relativȱstarkȱreglementierenȱundȱstrukturieren.ȱAngesichtsȱderȱstarȬ kenȱTurbulenz,ȱwelcheȱvonȱdenȱhohen,ȱoftȱunvereinbarenȱErwartunȬ genȱderȱEltern,ȱSchulbehördenȱundȱderȱSchulleitung,ȱimȱUnterrichtȱ auchȱderȱSchülerȱausgehenȱundȱangesichtsȱderȱOffenheit,ȱwelcheȱdieȱ Lehrkräfteȱ gegenüberȱ dieserȱ Turbulenzȱ aufbringenȱ müssen,ȱ verȬ

31ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

wundertȱ esȱ nicht,ȱ dassȱ dieȱ Bewältigungȱ derȱ damitȱ verbundenenȱ Schwankungen,ȱ Störungenȱ undȱ Spannungenȱ vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ alsȱhoheȱBelastungȱempfundenȱwird,ȱwelcheȱihnenȱsehrȱvielȱEnergieȱ abverlangt.ȱ 3. DasȱtechnischeȱTeilsystemȱlässtȱGestaltungsȬȱundȱTätigkeitsspielräumeȱ fürȱeineȱautonomeȱEntwicklungȱdesȱsoziotechnischenȱSystemsȱoffen.ȱ BamforthȱstellteȱimȱRahmenȱseinerȱStudienȱfest,ȱdassȱsichȱdieȱBedinȬ gungenȱ inȱ einemȱ bestimmtenȱ Schachtȱ deutlichȱ verbesserten,ȱ nachȬ demȱdieȱKumpelȱdortȱGelegenheitȱerhaltenȱhatten,ȱdieȱArbeitseinteiȬ lungȱ selbständigȱ weiterzuentwickelnȱ (vgl.ȱ Tristȱ &ȱ Bamforth,ȱ 1951).ȱ Dieseȱ Verbesserungenȱ tratenȱ auf,ȱ obwohlȱ anȱ denȱ technischenȱ EinȬ richtungenȱ undȱ derȱ Funktionsweiseȱ desȱ LongwallȬSystemsȱ keineȱ wesentlichenȱ Veränderungenȱ vorgenommenȱ wurden.ȱ Dieȱ Forscherȱ schlossenȱdaraus,ȱdassȱdieȱTechnologieȱzwarȱeinenȱstarkenȱEinflussȱ aufȱ dieȱArbeitstätigkeitenȱ ausübte,ȱ dassȱ derȱ Umgangȱ damitȱ jedochȱ sehrȱunterschiedlichȱgestaltetȱwerdenȱkonnte.ȱDieȱTechnikȱalleinȱerȬ zwingtȱ somitȱ nichtȱ eineȱ bestimmteȱ Arbeitsorganisation,ȱ sondernȱ lässtȱ mehrȱ oderȱ wenigerȱ weiteȱ Gestaltungsspielräumeȱ undȱ –mögȬ lichkeitenȱ (organizationalȱ choices)ȱ offen.ȱAndersȱformuliert:ȱAuchȱbeiȱ sehrȱ ähnlichenȱ technischȬfunktionalenȱ Voraussetzungenȱ könnenȱ sichȱinȱsoziotechnischenȱSystemenȱsehrȱunterschiedlicheȱorganisatiȬ onaleȱundȱsozioȬkulturelleȱGegebenheitenȱentwickelnȱ(distinctivenessȱ nachȱOrtonȱ&ȱWeick,ȱ1990).ȱȱ Gumpȱ(1980)ȱbestätigtȱdieseȱBefundeȱfürȱdasȱSettingȱSchuleȱweitgeȬ hend.ȱSoȱstellteȱerȱinȱeinerȱStudieȱzumȱVerhältnisȱvonȱoffenȱgestalteȬ tenȱ Schulgebäudenȱ zurȱ Offenheitȱ vonȱ Schulprogrammenȱ fest:ȱ „21ȱ schoolsȱ varyingȱ fromȱ minimumȱ toȱ radicalȱ physicalȱ opennessȱ showedȱ noȱ significantȱ relationȱ betweenȱ originallyȱ designedȱ openȬ nessȱ andȱ aȱ measureȱ ofȱ programȱ openness“ȱ (S.ȱ 557)ȱ undȱ dieȱ Studieȱ „didȱ notȱ showȱ anyȱ advantageȱ toȱ openȱ schoolȱ childrenȱ forȱ locusȱ ofȱ control,ȱselfȬesteem,ȱorȱverbalȱorȱfiguralȱcreativity”ȱ(S.ȱ558).ȱErstȱdieȱ spezifischeȱAbstimmungȱvonȱsozialenȱGegebenheitenȱderȱSchuleȱmitȱ denȱ technisch/technologischenȱ Rahmenbedingungenȱ führteȱ zuȱ eiȬ nemȱklarenȱZusammenhang:ȱ„Aȱsignificantȱcorrelationȱshowedȱthatȱ schoolsȱwithȱtheȱmoreȱtraditionalȱprogramsȱphysicallyȱmodifiedȱtheȱ openȱ spaceȱ milieuȱ muchȱ moreȱ heavilyȱ thanȱ didȱ theȱ lessȱ traditionalȱ schools“ȱ(S.ȱ557).ȱDasȱGleicheȱgaltȱfürȱandereȱRahmenbedingungenȱ wieȱ dieȱ SchulȬȱ undȱ dieȱ Klassengrößeȱ oderȱ dieȱ sozialeȱ ZusammenȬ

32ȱ

Die Grundzüge des soziotechnischen Systemansatzes

1.2

setzungȱ derȱ Schulklassen.ȱ Gumpȱ (1980)ȱ berichtetȱ überȱ eineȱ Studieȱ zurȱ Klassengröße,ȱ welcheȱ zeigte,ȱ dassȱ „densityȱ mayȱ notȱ resultȱ inȱ negativeȱsocialȱeffectsȱwhenȱtheȱfreeȱplayȱprogramȱisȱmadeȱlessȱfree“ȱ (S.ȱ 561).ȱ Diesȱ istȱ umsoȱ bemerkenswerter,ȱ alsȱ dieȱ Klassengrößeȱ inȱ Befragungenȱ alsȱ einȱ anȱ undȱ fürȱ sichȱ gewichtigerȱ Einzelfaktorȱ derȱ Lehrerbelastungȱgilt.ȱ 4. Selbstregulationȱ inȱ teilautonomenȱ Arbeitsgruppenȱ gewährleistetȱ einenȱ flexiblenȱUmgangȱmitȱSchwankungenȱundȱStörungen.ȱȱ DieȱErfahrungenȱmitȱdemȱLongwallȱSystemȱzeigten,ȱdassȱnichtȱmögȬ lichȱ war,ȱ dieȱArbeitsabläufeȱ zentralȱ zuȱ planenȱ undȱ zuȱ steuern.ȱ Einȱ dynamischesȱ Gleichgewichtȱ konnteȱ erstȱ hergestelltȱ werden,ȱ nachȬ demȱ denȱ Kumpelnȱ unterȱ Tagȱ einȱ hohesȱ Maßȱ anȱ Selbstregulationȱ zugestandenȱwurde.ȱDieȱErfahrungenȱzeigtenȱallerdingsȱauch,ȱdassȱ esȱ nichtȱ ausreichte,ȱ dieȱ Selbstregulationȱ anȱ denȱ individuellenȱ ArȬ beitsplätzenȱ zuȱ erhöhen.ȱ Erstȱ eineȱ Zusammenfassungȱ allerȱ TeilaufȬ gabenȱ zuȱ einemȱ ganzheitlichenȱ Rollensystem,ȱ welchesȱ dieȱ Kumpelȱ inȱdieȱLageȱversetzte,ȱalsȱsozialeȱEinheitȱ„geschlossen“ȱaufzutreten,ȱ erwiesȱsichȱalsȱwirksam.ȱ„Geschlossenȱauftreten“ȱmeintȱdabeiȱeinerȬ seitsȱeineȱBündelungȱderȱKräfteȱanȱderȱGrenzeȱzuȱdenȱAußensysteȬ men,ȱ andererseitsȱ eineȱflexibleȱVerteilungȱ derȱAufgabenȱ imȱ Innern.ȱ “Theȱconceptȱofȱrolesȱdoes,ȱhowever,ȱleadȱoneȱtoȱexpectȱworkersȱtoȱ experienceȱtasksȱnotȱinȱisolationȱbutȱasȱrolesȱthatȱgenerateȱaȱsenseȱofȱ dependency,ȱsubordinations,ȱselfȬworth,ȱtrust,ȱisolationȱetc.”ȱ(Emery,ȱ 1993,ȱS.ȱ170).ȱDieȱZusammenfassungȱderȱAufgabenȱderȱKumpelȱundȱ dieȱBildungȱvonȱteilautonomenȱArbeitsgruppenȱzieltenȱsomitȱdaraufȱ ab,ȱPufferȱgegenüberȱdenȱSchwankungenȱundȱStörungenȱsowieȱgeȬ genseitigeȱ Unterstützungȱ alsȱ Ressourceȱ imȱ Umgangȱ mitȱ Stressȱ zuȱ schaffen.ȱ “Taskȱ interdependenciesȱ areȱ correlatedȱ primarilyȱ toȱ roleȱ relationshipsȱ ratherȱ thanȱ toȱ interpersonalȱ relations,ȱ i.e.,ȱ socialȱ relaȬ tionsȱformedȱtoȱcopeȱwithȱtaskȱdemandsȱratherȱthanȱinformalȱsocialȱ relationsȱservingȱindividualȱends.ȱ(…)ȱWhatȱisȱrequiredȱareȱrelationsȱ inȱwhichȱworkersȱseeȱtheirȱtaskȱperformancesȱasȱmutuallyȱsupportȬ ing”ȱ(Emery,ȱ1993,ȱS.ȱ170ff).ȱ Lehrkräfteȱ geltenȱ imȱ Allgemeinenȱ eherȱ alsȱ „Einzelkämpfer“ȱ undȱ nichtȱ alsȱ Teamworkerȱ (Bauer,ȱ 2004;ȱ Schüpbach,ȱ 2004).ȱ Dabeiȱ stelltȱ sichȱdieȱFrage,ȱausȱwelchenȱBedingungenȱundȱAspektenȱderȱArbeitsȬ rolleȱderȱLehrkräfteȱsichȱderȱschulischeȱundȱpersönlicheȱNutzenȱvonȱ „Einzelkämpfertum“ȱgegenüberȱvermehrterȱZusammenarbeitȱableiȬ

33ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

tenȱlassenȱ(vgl.ȱWegner,ȱ2005).ȱNurȱwennȱesȱgelingt,ȱdieȱsystemischeȱ Dynamikȱ derȱ Kooperationȱ undȱ Kommunikationȱ inȱ Schulenȱ aufzuȬ decken,ȱ kannȱ esȱ gelingen,ȱ Erfolgȱ versprechendeȱAnsätzeȱ fürȱ derenȱ Weiterentwicklungȱzuȱfinden.ȱ

1.3

Schulen als soziotechnische Systeme

1.3.1

Thesen zur Schule aus soziotechnischer Sicht

Dieȱ ausȱ denȱ bisherigenȱ Ausführungenȱ abgeleiteteȱ grundlegendeȱ Theseȱ zurȱ Schulevaluationȱ undȱ Ȭentwicklungȱ ausȱ soziotechnischerȱ Sichtȱ lautet,ȱ dassȱ dieȱ Lehrkräfteȱ inȱ denȱ Schulenȱ undȱ imȱ Unterrichtȱ wenigerȱ deshalbȱ unterȱ einerȱ hohenȱ Belastungȱ undȱ FehlbeanspruȬ chungȱ leiden,ȱ weilȱ sieȱ „zuȱ viel“ȱ zuȱ tunȱ haben,ȱ sondernȱ vielmehrȱ deshalb,ȱ weilȱ dieȱ heuteȱ dominierenden,ȱ technologischȱ konzipiertenȱ Schulstrukturenȱsieȱzuȱwenigȱdarinȱunterstützen,ȱmitȱderȱTurbulenzȱ undȱdenȱdamitȱverbundenenȱErschwernissenȱfertigȱzuȱwerden,ȱwelȬ cheȱsichȱausȱderȱoffenenȱSchulumgebungȱergeben.ȱDiesȱbedeutetȱimȱ Einzelnen:ȱ Theseȱ1:ȱDasȱtechnischȬtechnologischeȱTeilsystemȱderȱSchuleȱistȱstarkȱ ausgeprägt.ȱ LehrȬȱ undȱ Stundenpläne,ȱ tendenziellȱ auchȱ SchulleitunȬ genȱ (vgl.ȱ denȱ Beitragȱ vonȱ Semlingȱ &ȱ Zölch,ȱ inȱ diesemȱ Band),ȱ sindȱ zentralistischȱ strukturiertȱ undȱ weitgehendȱ anȱ Vorgabenȱ orientiert.ȱ DieȱKontrolleȱderȱHandlungsbedingungenȱistȱsomitȱtrotzȱderȱinsgeȬ samtȱhohenȱAutonomieȱderȱLehrkräfteȱimȱFalleȱvonȱSchwankungenȱ undȱStörungen.ȱeingeschränkt.ȱLooseȱCouplingȱistȱalsȱderȱindividuȬ elleȱ Versuchȱ derȱ Lehrkräfteȱ zuȱ werten,ȱ sichȱ einenȱ Teilȱ davonȱ zuȱ wahren.ȱ Theseȱ2:ȱDieȱeherȱbürokratischeȱ„TechnoȬLogik“ȱderȱformellenȱSchulȬ strukturenȱistȱnichtȱkontingentȱzuȱdenȱgesellschaftlichȬsozialenȱUmȬ feldernȱ (v.a.ȱ auchȱ denȱ Erwartungenȱ derȱ Eltern)ȱ undȱ derenȱ TurbuȬ lenz.ȱEsȱistȱfürȱdieȱLehrkräfteȱundȱKollegienȱsehrȱschwierig,ȱdieȱsichȱ darausȱergebendenȱDiskrepanzenȱundȱWidersprücheȱzuȱbewältigen.ȱȱ

34ȱ

Theseȱ 3:ȱ Dieȱ „TechnoȬLogik“ȱ derȱ formellenȱ Schulstrukturenȱ gehtȱ einherȱ mitȱ einerȱ eherȱ geringȱ ausgeprägtenȱ Motivationȱ fürȱ dieȱ TeilȬ nahmeȱ anȱ gemeinsamenȱ Schulentwicklungsprojektenȱ undȱ mitȱ eiȬ

Schulen als soziotechnische Systeme

1.3

nemȱ wenigȱ ausgeprägtenȱ „Innovationsklima“.ȱ Dieȱ anȱ sichȱ vorhanȬ denenȱSpielräumeȱfürȱdieȱSchulentwicklungȱwerdenȱwenigȱgenutzt.ȱȱ Theseȱ4:ȱDieȱTendenzȱderȱLehrkräfte,ȱdenȱWiderspruchȱzwischenȱdenȱ Turbulenzenȱ inȱ ihremȱ SchulȬȱ undȱ Unterrichtsumfeldȱ (v.a.ȱ auchȱ ElȬ tern)ȱundȱdenȱVorgabenȱderȱLehrȬȱundȱStundenpläneȱ„einzelkämpȬ ferisch“ȱzuȱbewältigen,ȱführtȱdazu,ȱdassȱsieȱdieȱsubstanzielleȱEntlasȬ tungȱ undȱ dieȱ pufferndeȱ Wirkungȱ gegenseitigerȱ sozialerȱ UnterstütȬ zungȱ wenigȱ nutzen.ȱ Alsȱ dysfunktionaleȱ Folgeȱ davonȱ trittȱ Burnoutȱ alsȱ einȱ Syndromȱ vonȱ emotionalerȱ Erschöpfung,ȱ Depersonalisationȱ undȱreduzierterȱLeistungsfähigkeitȱinȱerhöhtemȱMaßeȱaufȱ(Semmerȱ &ȱUdris,ȱ2004).ȱ Inȱ derȱ SchulevaluationsȬȱ undȱ Schulentwicklungsforschungȱ wirdȱ eineȱ Vielzahlȱ vonȱ Einzelbefundenȱ berichtet,ȱ welcheȱ dieseȱ Thesenȱ stützen.ȱEinȱstringenterȱBezugȱdieserȱEinzelbefundeȱzumȱsoziotechȬ nischenȱSystemȱSchuleȱstehtȱdagegenȱnochȱaus.ȱ

1.3.2

Soziotechnische Systemanalysen in Schulen

Inȱ derȱ Literaturȱ zurȱ SchulȬȱ undȱ Unterrichtsforschungȱ findenȱ sichȱ bisherȱ keineȱ nennenswertenȱ Bestrebungen,ȱ denȱ soziotechnischenȱ Systemansatzȱ aufȱ dieȱ Schuleȱ anzuwenden.ȱ Ersteȱ Versuche,ȱ insbeȬ sondereȱ derenȱ Methodikȱ aufȱ personbezogeneȱ Dienstleistungenȱ imȱ Krankenhausȱ undȱ inȱ derȱ Arztpraxisȱ zuȱ übertragen,ȱ wurdenȱ vonȱ Manser,ȱ Thieleȱ undȱ Wehnerȱ (2003)ȱ sowieȱ vonȱ Schüpbachȱ undȱ MaȬ jumdarȱ(2003)ȱ unternommen.ȱ EineȱStudieȱ zuȱ denȱArbeitsbedingunȬ gen,ȱBelastungenȱundȱRessourcenȱvonȱLehrkräften,ȱwelcheȱsichȱmeȬ thodischȱ engȱ anȱ derȱ soziotechnischenȱ Systemanalyseȱ orientiert,ȱ leȬ genȱUlich,ȱInversiniȱundȱWülserȱ(2002)ȱvor.ȱȱ ErprobteȱVerfahrenȱoderȱInstrumenteȱzurȱsoziotechnischenȱSystemȬ analyseȱ inȱ Schulenȱ existierenȱ somitȱ beimȱ gegenwärtigenȱ Standȱ derȱ methodischenȱ Entwicklungȱ nicht.ȱ Dieȱ Pilotstudienȱ vonȱ Nordmannȱ (2000)ȱundȱPungeȱ(2002)ȱinȱRealschulenȱsowieȱvonȱSchüpbachȱ(2004)ȱ undȱ Wegnerȱ (2005)ȱ inȱ einemȱ Wirtschaftsgymnasiumȱ orientiertenȱ sichȱ methodischȱ anȱ denȱ beiȱ Strohmȱ undȱ Ulichȱ (1997),ȱ Schüpbachȱ undȱ Zölchȱ (2004)ȱ sowieȱ Ulichȱ (2005;ȱ vgl.ȱ auchȱ Ulich,ȱ Inversiniȱ &ȱ Wülser,ȱ 2002)ȱ beschriebenenȱ Verfahren.ȱ Anhandȱ derȱ Erfahrungenȱ

35ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

ausȱdiesenȱStudienȱlässtȱsichȱdasȱmethodischeȱGerüstȱderȱsoziotechȬ nischenȱSystemanalyseȱinȱSchulenȱwieȱfolgtȱskizzieren:ȱ 1. Gemäßȱ ihrenȱ kontingenztheoretischenȱ Annahmenȱ istȱ dieȱ sozioȬ technischeȱ Systemanalyseȱ alsȱ Mehrebenenanalyseȱ konzipiert.ȱ DaȬ beiȱ wirdȱ analysiert,ȱ obȱ undȱ inȱ welcherȱ Formȱ dieȱ Bedingungenȱ aufȱ unterenȱ Ebenenȱ zuȱ denȱ Bedingungenȱ aufȱ denȱ übergeordneȬ tenȱEbenenȱbzw.ȱUmfeldernȱpassen.ȱBeispielsweiseȱwirdȱgeklärt,ȱ obȱdieȱTurbulenzȱinȱdenȱUmfeldernȱderȱSchuleȱmitȱdemȱGradȱderȱ Offenheitȱ derȱ Schuleȱ (alsȱ obersteȱ soziotechnischeȱ Systemebene)ȱ undȱ demȱ somitȱ erforderlichenȱ großenȱ Spielraumȱ zurȱ flexiblenȱ Bewältigungȱ derȱ Schwankungenȱ undȱ Störungenȱ übereinstimȬ men.ȱ Diesȱ giltȱ analogȱ fürȱ dieȱ verschiedenenȱ Abteilungenȱ oderȱ FachbereicheȱderȱSchuleȱ(2.ȱEbene),ȱdieȱArbeitȱinȱTeamsȱ(3.ȱEbeȬ ne)ȱ sowieȱ dieȱ Tätigkeitenȱ derȱ einzelnenȱ Lehrkräfteȱ (4.ȱ Ebene).ȱ FürȱdieȱDurchführungȱderȱDatenerhebungȱempfiehltȱesȱsich,ȱvonȱ „oben“ȱ(UmfeldȱundȱSchule)ȱnachȱ„unten“ȱ(Teamstrukturenȱundȱ Einzeltätigkeiten)ȱ vorzugehenȱ (Nordmann,ȱ 2000;ȱ Punge,ȱ 2002;ȱ Schüpbachȱ&ȱMajumdar,ȱ2003).ȱ 2. AnhandȱderȱAnalysenȱinnerhalbȱderȱSchuleȱwirdȱgeklärt,ȱobȱundȱ inȱ welcherȱ Formȱ dasȱ technischȬtechnologischeȱ undȱ dasȱ sozialeȱ Teilsystemȱ gutȱ aufeinanderȱ abgestimmtȱ sind.ȱ Dabeiȱ wirdȱ insbeȬ sondereȱgeklärt,ȱobȱdieȱformalenȱStrukturenȱsoȱausgelegtȱundȱdieȱ Ressourcenȱsoȱeingesetztȱwerden,ȱdassȱsieȱdieȱLehrkräfteȱbeiȱihȬ renȱAufgabenȱunterstützenȱundȱnichtȱbehindern.ȱ 3. Dasȱ Schwergewichtȱ derȱ erstenȱ beidenȱ Schritteȱ liegtȱ darin,ȱ dasȱ soziotechnischeȱ Systemȱ Schuleȱ bedingungsorientiertȱ zuȱ analysieȬ renȱundȱdieȱAnalyseergebnisseȱobjektivierendȱdarzustellen.ȱInsbeȬ sondereȱwirdȱgeklärt,ȱobȱdieȱdurchȱdasȱtechnischȬtechnologischeȱ Teilsystemȱ eröffneten,ȱ objektivȱ vorhandenenȱ GestaltungsȬȱ undȱ Tätigkeitsspielräumeȱ vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ auchȱ tatsächlichȱ erȬ kanntȱundȱgenutztȱwerden.ȱ Imȱ drittenȱ Schrittȱ wirdȱ zusätzlichȱ geklärt,ȱ obȱ undȱ inwiefernȱ dieȱ subjektivenȱÄußerungenȱderȱLehrkräfteȱzuȱihrenȱAufgabenȱundȱdenȱ damitȱverbundenenȱErwartungenȱmitȱdenȱErgebnissenȱderȱobjekȬ tivierendenȱAnalysenȱübereinstimmen.ȱObjektivierendeȱundȱsubȬ jektiveȱDatenȱbildenȱdieȱBasisȱfürȱdasȱSurveyȬFeedback,ȱd.h.ȱdieȱ Rückmeldungȱ derȱ Ergebnisseȱ anȱ dieȱ Betroffenenȱ (Strohmȱ &ȱ UȬ lich,ȱ 1997).ȱMitȱ diesemȱ Feedbackȱ wirdȱeinȱ „Auftau“ȬProzessȱanȬ

36ȱ

Schulen als soziotechnische Systeme

1.3

gestoßen,ȱderȱdieȱLehrkräfteȱdazuȱanregt,ȱihreȱSituationȱalsȱprobȬ lemhaltigȱ zuȱ erkennenȱ undȱ ihreȱ Motivationȱ fürȱ dieȱ Beteiligungȱ anȱVeränderungȱzuȱstärkenȱ(vgl.ȱdazuȱdasȱKonzeptȱderȱ„SubjekȬ tivenȱTätigkeitsanalyse“ȱnachȱUlich,ȱ2005).ȱ DieȱDatenerhebungȱzurȱsoziotechnischenȱSystemanalyseȱinȱSchulenȱ istȱ methodischȱ sehrȱ vielfältig.ȱ Sieȱ basiertȱ aufȱ Einzelinterviewsȱ mitȱ derȱ Schulleitungȱ sowieȱ LeiterInnenȱ vonȱ SchulȬȱ undȱ SchulentwickȬ lungsprojekten,ȱ EinzelȬȱ undȱ Gruppeninterviewsȱ mitȱ Lehrkräften,ȱ eingehendenȱ Dokumentenanalysenȱ (z.B.ȱ Stundentafeln,ȱ Deputaten,ȱ Arbeitszeitorganisationȱ undȱ Pausenregelungen,ȱ KlasseneinteilunȬ gen,ȱ Sitzungsorganisation,ȱ Gebäudelayouts;ȱ vgl.ȱ Nordmann,ȱ 2000;ȱ Punge,ȱ2002;ȱWegner,ȱ2005),ȱschriftlichenȱBefragungenȱvonȱLehrkräfȬ tenȱ undȱ Elternȱ sowieȱ Beobachtungenȱ undȱ Beobachtungsinterviewsȱ (Ulich,ȱInversiniȱ&ȱWülser,ȱ2002;ȱWegner,ȱ2005).ȱȱ Alsȱ wichtigȱ hatȱ sichȱ dabeiȱ erwiesen,ȱ dassȱ dieȱ Schuleȱ dieȱ Analysenȱ undȱ dieȱ daraufȱfolgendenȱBewertungenȱ alsȱ ihrȱ eigenesȱ Projektȱ verȬ steht.ȱ Dazuȱ gehört,ȱ dassȱ sieȱ dieȱ thematischenȱ Schwerpunkteȱ ausȬ wähltȱ undȱ festlegtȱ sowieȱ dasȱ methodischeȱ Konzeptȱ mitentwickelt.ȱ ImȱSinneȱdesȱKonzeptsȱderȱpartizipativenȱArbeitsgestaltungȱ(Emeryȱ &ȱEmery,ȱ1982;ȱvgl.ȱauchȱStrohmȱ&ȱUlich,ȱ1997)ȱsollȱdabeiȱversuchtȱ werden,ȱdasȱgesamteȱKollegiumȱinȱdasȱVorhabenȱeinzubinden.ȱDiesȱ geschiehtȱamȱBestenȱdurchȱeineȱeingehendeȱInformationȱimȱRahmenȱ vonȱGesamtlehrerkonferenzen.ȱȱ Fürȱ dieȱ praktischeȱ Durchführungȱ desȱ Vorhabensȱ empfiehltȱ esȱ sich,ȱ ausȱ demȱ Kollegiumȱ herausȱ eineȱ Projektgruppeȱ mitȱ ca.ȱ fünfȱ bisȱ sieȬ benȱ Mitgliedernȱ zuȱ bilden.ȱ Darinȱ solltenȱ dieȱ verschiedenenȱ FachȬ gruppenȱ undȱ Schulstufenȱ vertretenȱ sein.ȱ Dieseȱ Projektgruppeȱ sollȱ fachlichȱundȱmethodischȱdurchȱeineȱPsychologinȱoderȱeinenȱPsychoȬ logenȱunterstütztȱwerden,ȱwelche/rȱmitȱdemȱVerfahrenȱgutȱvertrautȱ ist.ȱ Zuȱ derenȱ bzw.ȱ dessenȱ Aufgabenȱ gehörtȱ zudem,ȱ dieȱ ProjektabȬ wicklungȱ zuȱ moderieren,ȱ dieȱ objektivierendenȱ Analysenȱ durchzuȬ führen,ȱ dieȱ Datenȱ auszuwertenȱ undȱ dieȱ Ergebnisseȱ aufzubereitenȱ sowieȱ dasȱ Surveyȱ Feedbackȱ durchzuführen.ȱ Dieȱ Interpretationȱ derȱ DatenȱsowieȱdieȱAbleitungȱundȱKonkretisierungȱvonȱSchulentwickȬ lungsmaßnahmenȱ gehörtȱ wiederumȱ zuȱ denȱ Aufgabenȱ derȱ ProjektȬ gruppe.ȱInsgesamtȱmussȱfürȱdieȱDurchführungȱderȱsoziotechnischenȱ Systemanalyseȱ–ȱvonȱderȱBildungȱderȱProjektgruppeȱbisȱzumȱSurveyȱ

37ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

Feedbackȱ–ȱeineȱLaufzeitȱvonȱmindestensȱdreiȱMonatenȱveranschlagtȱ werden.ȱ

1.3.3

Ausgewählte Einzelergebnisse und deren Interpretation

ObwohlȱesȱsichȱbeiȱsoziotechnischenȱSystemanalysenȱgrundsätzlichȱ umȱ Fallstudienȱ handelt,ȱ welcheȱ strengȱ genommenȱ nurȱ aufȱ denȱ jeȬ weiligenȱ Einzelfallȱ bezogeneȱAussagenȱ erlauben,ȱ lassenȱ sichȱ einigeȱ Ergebnisseȱ undȱ Erfahrungenȱ ausȱ denȱ wenigenȱ bisherigenȱ UntersuȬ chungenȱ inȱ Schulenȱ zumindestȱ insofernȱ herausgreifen,ȱ alsȱ sieȱ zeiȬ gen,ȱdassȱesȱdurchausȱSinnȱmacht,ȱSchulenȱalsȱsoziotechnischeȱSysȬ temeȱzuȱverstehenȱ(Nordmann,ȱ2000;ȱPunge,ȱ2002;ȱSchüpbach,ȱ2004;ȱ Wegner,ȱ2005).ȱȱ 1. EinzelergebnisseȱaufȱderȱEbeneȱSchuleȱ DieȱAnalysenȱzeigen,ȱdassȱinȱallenȱSchulenȱklarȱunterschiedenȱwerȬ denȱmussȱzwischenȱTätigkeitenȱinnerhalbȱundȱaußerhalbȱderȱSchulȬ anlageȱ (v.a.ȱ zuȱ Hause)ȱ sowieȱ zwischenȱ Unterrichtȱ undȱ Tätigkeitenȱ außerhalbȱdesȱUnterrichtsȱ(VorȬȱundȱNachbereitungȱdesȱUnterrichts,ȱ Erledigungȱ vonȱ Verwaltungsaufgaben,ȱ Mitarbeitȱ inȱ Projekten,ȱ ElȬ ternkontakteȱusw.).ȱDieȱFallstudienȱergebenȱübereinstimmend,ȱdassȱ dieȱzeitlicheȱBelastungȱinȱeinerȱUnterrichtswocheȱbeiȱca.ȱ50ȱStundenȱ liegt.ȱȱ AuffälligȱistȱderȱKontrastȱderȱzeitlichenȱundȱräumlichenȱGebundenȬ heitȱdesȱUnterrichtsȱundȱderȱTätigkeitenȱaußerhalbȱdesȱUnterrichts.ȱ DerȱUnterrichtȱistȱzeitlichȱundȱräumlichȱstarkȱundȱstarrȱstrukturiert.ȱ PausenȱzwischenȱdenȱUnterrichtsstundenȱwerdenȱvonȱdenȱLehrkräfȬ tenȱnichtȱalsȱRückzugsȬȱundȱErholungsmöglichkeitenȱgesehen,ȱsonȬ dernȱalsȱorganisatorischeȱSchnittstellen.ȱDieȱLehrkräfteȱerlebenȱdenȱ Unterrichtȱ insgesamtȱ sehrȱ starkȱ alsȱ durchȱ technischȬtechnologischeȱ Vorgabenȱgeprägt,ȱihreȱStellungȱsomitȱalsȱwenigȱautonomȱundȱihreȱ Handlungskontrolleȱ alsȱ gering.ȱ Gleichzeitigȱ gebenȱ sieȱ an,ȱ dassȱ imȱ UnterrichtȱvieleȱvonȱaußenȱundȱinnenȱinduzierteȱStörungenȱauftreȬ ten,ȱ fürȱ derenȱAusgleichȱ esȱ insbesondereȱ kaumȱ zeitliche,ȱ vorȱ allemȱ aberȱkeineȱpersonellenȱPufferȱinȱFormȱvonȱkollegialerȱUnterstützungȱ gibt.ȱIngesamtȱerlebenȱdieȱLehrkräfteȱdieȱstarrenȱzeitlichen,ȱräumliȬ

38ȱ

Schulen als soziotechnische Systeme

1.3

chenȱundȱinhaltlichenȱVorgabenȱalsȱstarkȱdominant,ȱeherȱhinderlichȱ undȱwenigȱunterstützend.ȱ AußerhalbȱdesȱUnterrichtsȱgenießenȱdieȱLehrkräfteȱeineȱhoheȱzeitliȬ cheȱ Souveränitätȱ undȱ örtlicheȱ Ungebundenheitȱ ihrerȱ Tätigkeiten.ȱ DieseȱgehenȱeinherȱmitȱeinerȱgeringenȱStrukturiertheitȱderȱformalenȱ AufbauȬȱundȱAblauforganisation.ȱDieseȱMerkmaleȱdeutenȱaufȱeinenȱ großenȱ Tätigkeitsspielraumȱ undȱ einenȱ hohenȱ Gradȱ derȱAutonomieȱ derȱ Lehrkräfteȱ hin.ȱAllerdingsȱ findenȱ sichȱ immerȱ wiederȱ Hinweiseȱ darauf,ȱ dassȱ dieȱ Lehrkräfteȱ ihreȱ außerunterrichtlichenȱ Tätigkeitenȱ sehrȱstarkȱalsȱdurchȱSachzwängeȱundȱinȱhoherȱDichteȱvorgetragene,ȱ kritischȱkontrollierteȱErwartungenȱundȱAnsprücheȱvonȱEltern,ȱSchüȬ lernȱundȱderȱSchulleitungȱgeprägtȱerleben.ȱDerȱanȱsichȱhohenȱAutoȬ nomieȱ stehtȱ somitȱ offenbarȱ faktischȱ eineȱ geringeȱ Kontrolleȱ derȱ Handlungsbedingungenȱ gegenüberȱ –ȱ undȱ damitȱ einȱ insgesamtȱ geȬ ringerȱ Gradȱ anȱ Selbstregulationȱ (Grote,ȱ 1997;ȱ nachȱ Ulich,ȱ 2005,ȱ S.ȱ 199ff).ȱ Dieseȱ Feststellungȱ könnteȱ alsȱ Erklärungȱ dafürȱ dienen,ȱ dassȱ fürȱ Lehrkräfteȱ inȱ Untersuchungenȱ fastȱ durchgängigȱ eineȱ insgesamtȱ hoheȱStresssymptomatikȱnachgewiesenȱwird,ȱwasȱbeiȱeinemȱgroßenȱ Tätigkeitsspielraumȱ nichtȱ zuȱ erwartenȱ wäreȱ (Semmerȱ &ȱ Udris,ȱ 2005).ȱ Nordmannȱ (2000,ȱ S.ȱ 40)ȱ konstatiertȱ inȱ ihrerȱ Studieȱ inȱ einerȱ RealschuleȱzudemȱalsȱMerkmalȱaufȱderȱEbeneȱSchuleȱdasȱdurchgänȬ gigeȱFehlenȱgemeinsamerȱLeitlinien:ȱ„EsȱgibtȱkeineȱeindeutigȱformuȬ lierte,ȱgemeinsameȱpädagogischeȱZielorientierung,ȱkeineȱschulbezoȬ geneȱ gemeinsameȱ Qualitätsphilosophie,ȱ keineȱ klarȱ formuliertenȱ Aspekteȱ zumȱ Entwicklungsbedarf,ȱ keineȱ eindeutigeȱ Präsentationȱ nachȱaußen“.ȱDiesȱkönnteȱdaraufȱhindeuten,ȱdassȱlooseȱcoupling,ȱd.h.ȱ vielȱ Unabhängigkeitȱ undȱ Ungebundenheitȱ gegenüberȱ derȱ Schule,ȱ aufȱ derȱ Kehrseiteȱ mitȱ wenigȱ Gemeinsamkeitȱ undȱ wenigȱ innererȱ Geschlossenheitȱ imȱ Auftrittȱ nachȱ außenȱ einhergeht.ȱ Damitȱ istȱ dieȱ Frageȱ aufgeworfen,ȱ obȱ esȱ inȱ Schulenȱ auchȱ einȱ Zuvielȱ anȱ Offenheitȱ gebenȱ kann,ȱ d.h.ȱ obȱ Schulenȱ nichtȱ auchȱ inȱ Betrachtȱ ziehenȱ sollten,ȱ denȱ Erwartungenȱ derȱ Elternȱ Schülerȱ undȱ derȱ Schulbürokratieȱ geȬ genüberȱ nichtȱ nurȱ offen,ȱ sondernȱ vermehrtȱ auchȱ mitȱ gemeinsamenȱ eigenenȱKonzeptenȱundȱZielorientierungenȱentgegenȱzuȱtreten.ȱȱ 2. ȱEinzelergebnisseȱaufȱderȱEbeneȱTeamȱundȱKooperationȱ Inȱ denȱ Erläuterungenȱ zumȱ soziotechnischenȱ Systemansatzȱ wurdeȱ gezeigt,ȱdassȱSchwankungenȱundȱStörungenȱinȱArbeitssystemenȱamȱ effektivstenȱ mittelsȱ Selbstregulationȱ inȱ teilautonomenȱ ArbeitsgrupȬ

39ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

pen aufgefangen werden können. Untersuchungen in Schulen kommen dagegen immer wieder zum Schluss, dass die Kooperation innerhalb von Lehrerkollegien vergleichsweise gering ausgeprägt ist. Nach den Ergebnissen der Fallstudien ist dazu zunächst festzu stellen, dass dies für die institutionalisierte und formelle Kommuni kation nicht gilt. Nordmann (2000, S. 65) stellt für die von ihr unter suchte Realschule fest: „Insgesamt sind also 50 Konferenzen bzw. Gremien für 49 Lehrkräfte eingerichtet. Zudem muss durchschnitt lich jeder Lehrer an 2 bis 3 verschiedenen Fachkonferenzen bzw. an 6 bis 7 Klassenkonferenzen teilnehmen. Im letzten Jahr fanden 2 bis 3 Fachkonferenzen pro Fach, 2 Klassenkonferenzen pro Klasse, 6 Gesamtlehrerkonferenzen, ca. 10 bis 15 Dienstbesprechungen und 3 Haushaltskonferenzen statt“ (S. 65). Allerdings können diese Konfe renzen wegen ihres „Erledigungscharakters“ im psychologischen Sinn kaum als Kooperation bezeichnet werden. Informelle instituti onalisierte Gruppen (z.B. Projekt und Initiativgruppen) in denen die Kooperation wesentlich intensiver ist, finden sich dagegen selte ner.

Tabelle 1

Kommunikation und Kooperation im Kollegium: Antworten auf die Frage: „Wie ist es Ihrer Ansicht nach jetzt, wie sollte es sein?“ Ergebnisse der Lehrkräftebefragung in einem Wirtschaftsgymnasium (n = 93 bei einem Rücklauf von 88%); Antwortmöglichkeiten von 1: „sehr oft/regelmäßig“ bis 5: „selten/nie“ (Quelle: Schüpbach, 2004). Item

Ist

Soll

Für Arbeitstreffen stehen in der Schule Räume zur Verfügung.

3.4

1.8

KollegInnen treffen sich zur Unterrichtsvorbereitung.

4.4

2.7

Wir arbeiten im engeren Kreis in Projekten zusammen.

4.1

2.8

Fachfragen werden in Konferenzen besprochen.

3.6

2.6

Wir erarbeiten im kleinen Kreis Unterrichtsmaterialien.

4.2

2.7

Wir tauschen im kleinen Kreis Unterrichtsmaterialien aus.

3.4

2.2

Wir besuchen uns gegenseitig im Unterricht.

4.9

3.4

Probleme werden vom Kollegium gemeinsam diskutiert.

3.4

2.3

Interessant sind die subjektiven Einschätzungen der Lehrkräfte zur Kooperation. In der Lehrkräftebefragung in einem Wirtschaftsgym

40

Schulen als soziotechnische Systeme

1.3

nasiumȱ(Schüpbach,ȱ2004)ȱwurdenȱerheblicheȱDifferenzenȱzwischenȱ derȱ aktuellenȱ undȱ derȱ wünschbarenȱ Nutzungȱ vonȱ KooperationsȬ möglichkeitenȱgefunden.ȱȱ Wegnerȱ (2005)ȱ befassteȱ sichȱ imȱ Rahmenȱ einerȱ BeobachtungsȬȱ undȱ Interviewstudie,ȱ welcheȱsieȱ inȱ demȱ genanntenȱ WirtschaftsgymnasiȬ umȱdurchführte,ȱsehrȱeingehendȱmitȱdenȱfachlichȱundȱpädagogischȱ begründetenȱ Kooperationserfordernissenȱ undȱ Ȭmöglichkeiten.ȱ Sieȱ kamȱzumȱSchluss,ȱdassȱdieȱKooperationȱderȱLehrkräfteȱstarkȱdurchȱ dasȱDilemmaȱgeprägtȱwar,ȱdassȱzwarȱz.B.ȱdieȱgemeinsameȱErarbeiȬ tungȱ undȱ derȱ Austauschȱ vonȱ Unterrichtsmaterialȱ imȱ Endeffektȱ fürȱ alleȱ vonȱ Nutzenȱ ist,ȱ zunächstȱ jedochȱ einenȱ höherenȱ Aufwandȱ mitȱ sichȱ bringt.ȱ Ausȱ diesemȱ Grundȱ wurdeȱ dieȱ Kooperationȱ insgesamtȱ aufȱdasȱnotwendigeȱMinimumȱbeschränkt.ȱ„Zusammenfassendȱlässtȱ sichȱ sagen,ȱ dassȱ Zusammenarbeitȱ inȱ dieserȱ Schuleȱ eigentlichȱ nichtȱ notwendigȱ istȱ undȱ durchȱ denȱ hohenȱ Aufwandȱ wenigȱ naheȱ gelegtȱ wird,ȱ soȱ dassȱ esȱ plausibelȱ erscheint,ȱ wennȱ dieseȱ trotzȱ desȱ andersȱ lautendenȱWunschesȱkaumȱrealisiertȱwird“ȱ(Wegner,ȱ2005,ȱS.ȱ91;ȱvgl.ȱ auchȱBauer,ȱ2004).ȱUngünstigeȱräumlicheȱundȱzeitlicheȱBedingungenȱ wirkenȱalsȱzusätzlicheȱErschwernisse.ȱ 3. EinzelergebnisseȱaufȱderȱEbeneȱTätigkeitȱ Zuȱ denȱ wichtigenȱ Anliegenȱ derȱ soziotechnischenȱ Systemanalyseȱ gehörtȱ dasȱ Verhältnisȱ vonȱ unmittelbarȱ produktivenȱAufgabenȱ (d.h.ȱ denȱ Primäraufgaben)ȱ zuȱ denȱ Aufgaben,ȱ welcheȱ derȱ Sicherstellungȱ derȱ Voraussetzungenȱ fürȱ dasȱ Erfüllenȱ derȱ Primäraufgabenȱ dienenȱ (d.h.ȱdenȱSekundäraufgabenȱwieȱz.B.ȱAusgleichȱvonȱSchwankungenȱ undȱ Störungenȱ imȱ Unterricht,ȱ Beschaffungȱ vonȱ Materialien,ȱ usw.).ȱ Inȱ derȱ bereitsȱ genanntenȱ Befragungȱ derȱ Lehrkräfteȱ einesȱ WirtȬ schaftsgymnasiumsȱ(Schüpbach,ȱ2004)ȱwurdenȱdieȱBefragtenȱaufgeȬ fordert,ȱ eineȱ vonȱ derȱ Projektgruppeȱ erstellteȱ Sammlungȱ vonȱ unterȬ richtsȬȱ undȱ funktionsbezogenenȱ sowieȱ allgemeinenȱ Aufgabenȱ daȬ nachȱ zuȱ klassifizieren,ȱ obȱ sieȱ a)ȱ zuȱ denȱ wichtigstenȱ Aufgabenȱ gehören,ȱdenenȱsieȱsichȱintensivȱwidmen,ȱb)ȱauchȱzuȱdenȱwichtigenȱ Aufgabenȱgehören,ȱdieȱjedochȱzuȱkurzȱkommen,ȱc)ȱzuȱdenȱnormalenȱ Aufgabenȱ gehören,ȱ welcheȱ ohneȱ Weiteresȱ erledigtȱ werden,ȱ d)ȱ zuȱ denȱwenigerȱwichtigenȱAufgabenȱgehörenȱundȱd)ȱeigentlichȱnichtȱzuȱ denȱ Aufgabenȱ gehören,ȱ jedochȱ vorkommen.ȱ Alsȱ wichtigsteȱ AufgaȬ benȱ wurdenȱ inȱ abnehmenderȱ Reihenfolgeȱ genannt:ȱ Informationenȱ zumȱ Unterrichtsthemaȱ beschaffen,ȱ Aktivierenȱ derȱ Klasseȱ bzw.ȱ SiȬ

41ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

chernȱ derȱ Konzentration,ȱ Beschaffenȱ oderȱ Anfertigenȱ vonȱ UnterȬ richtsmaterialien.ȱFürȱdieȱPrimäraufgaben,ȱd.h.ȱdasȱVorȬȱundȱNachȬ bereitenȱ desȱ Unterrichtsȱ werdenȱ dabeiȱ 22,ȱ fürȱ dasȱAbhaltenȱ 18ȱArȬ beitsstunden,ȱ insgesamtȱ somitȱ 80%ȱ derȱ Arbeitszeitȱ einerȱ UnterȬ richtswoche,ȱaufgewendet.ȱZuȱkurzȱkommenȱdabeiȱ(Antwortwahlȱb)ȱ dasȱ Beratenȱ vonȱ SchülerInnenȱ mitȱ Problemen,ȱ dasȱ Reflektierenȱ derȱ Lernergebnisseȱ desȱ Unterrichtsȱ sowieȱ derȱ Klassensituationȱ undȱ dieȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ schwierigenȱ SchülerInnen.ȱ Interessantȱ ist,ȱ dassȱesȱsichȱdabeiȱvorȱallemȱumȱdieȱSekundäraufgabenȱhandelt,ȱd.h.ȱ umȱdiejenigenȱAufgaben,ȱwelcheȱgemäßȱdemȱsoziotechnischenȱSysȬ temkonzeptȱ eigentlichȱ unverzichtbarȱ zurȱ Kontrolleȱ derȱ ArbeitsabȬ läufeȱsind.ȱAuchȱdieserȱBefundȱdeutetȱdaraufȱhin,ȱdassȱdieȱLehrkräfȬ teȱoftȱgezwungenȱsind,ȱihreȱUnterrichtszieleȱunterȱBedingungenȱzuȱ verfolgen,ȱ dieȱ sieȱ fürȱ nichtȱ optimalȱ halten,ȱ fürȱ derenȱ Ausgleichȱ jeȬ dochȱkeineȱKapazitätenȱundȱRessourcenȱzurȱVerfügungȱhaben.ȱDieȬ serȱBefundȱbestätigtȱundȱbestärktȱdieȱbereitsȱweiterȱvorneȱgeäußerteȱ Vermutung,ȱdassȱdieȱLehrkräfteȱbezüglichȱderȱKontrolleȱderȱBedinȬ gungenȱihresȱHandelnsȱerheblicheȱEinschränkungenȱerfahren.ȱȱ

1.4

42ȱ

Ausblick

Schuleȱ undȱ Unterrichtȱ fordertȱ vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ undȱ SchulleiȬ tungenȱ sicherlichȱ mehr,ȱalsȱ dasȱAbarbeitenȱ vonȱ LehrȬȱ undȱ StudienȬ plänenȱ unterȱ „normalen“ȱ Bedingungen.ȱ Dieȱ erstenȱ Studienȱ habenȱ gezeigt,ȱdassȱderȱsoziotechnischeȱSystemansatzȱzumȱVerständnisȱderȱ „Turbulenz“ȱinȱdenȱUmfeldernȱderȱSchule,ȱwelcheȱeinȱhohesȱMaßȱanȱ Schwankungenȱ undȱ Störungenȱ induzieren,ȱ sowieȱ derȱ Starrheitȱ derȱ technischȬtechnologischenȱRahmenbedingungen,ȱwelcheȱdieȱFlexibiȬ litätȱ undȱ dieȱ Kontrolleȱ derȱ Schwankungenȱ undȱ Störungenȱ einȬ schränken,ȱ beitragenȱ kann.ȱ Damitȱ wirdȱ zunehmendȱ auchȱ verstehȬ bar,ȱ wasȱ zuȱ denȱ Fehlbeanspruchungenȱ führt,ȱ welcheȱ sichȱ beiȱ LehrȬ kräftenȱmitȱzunehmendemȱBerufsalterȱauftreten.ȱEsȱhatȱsichȱebensoȱ gezeigt,ȱ dassȱ dasȱ methodischeȱ Konzeptȱ derȱ soziotechnischenȱ SysȬ temanalyseȱdazuȱbetragenȱkann,ȱSchulevaluationȱundȱSchulentwickȬ lungȱ inȱ einerȱ Weiseȱ zuȱ betreibenȱ undȱ miteinanderȱ zuȱ verbinden,ȱ welcheȱ beiȱ denȱ Lehrkräftenȱ eineȱ hoheȱ Akzeptanzȱ undȱ Bereitschaftȱ zurȱ Mitarbeitȱ fördert.ȱ Dassȱ diesȱ nichtȱ selbstverständlichȱ ist,ȱ unterȬ streichtȱWenzelȱ(2004,ȱS.ȱ412):ȱ„WirȱbenötigenȱdringendȱtheoriegeneȬ

Literatur

1.5

rierendeȱLängsschnittstudienȱzurȱSchulentwicklung,ȱdieȱdieȱschulinȬ ternenȱ PartizipationsȬȱ undȱ Entscheidungsprozesse,ȱ dieȱ AnerkenȬ nungsverhältnisseȱ sowieȱ denȱ Umgangȱ mitȱ entstehendenȱ Krisen,ȱ Widerständenȱ undȱ Problemenȱ untersuchenȱ undȱ dabeiȱ gleichzeitigȱ derȱSpezifikȱderȱSchuleȱalsȱBildungseinrichtungȱRechnungȱtragen“.ȱȱ

1.5

Literatur

Bauer,ȱ K.ȬO.ȱ (2004).ȱ Lehrerinteraktionȱ undȱ Ȭkooperation.ȱ Inȱ W.ȱ Helsperȱ &ȱ J.ȱ Böhmeȱ (Hrsg.),ȱ Handbuchȱ derȱ Schulforschungȱ (S.ȱ 813Ȭ 831).ȱWiesbaden:ȱVerlagȱfürȱSozialwissenschaften.ȱȱ Buchen,ȱH.,ȱHorster,ȱL.ȱ&ȱRolff,ȱH.ȬG.ȱ(Hrsg.)ȱ(1999).ȱGesundheitȱundȱ Schulentwicklung.ȱStuttgart:ȱRaabe.ȱ Cherns,ȱA.ȱ(1989).ȱDieȱTavistockȬUntersuchungenȱundȱihreȱAuswirȬ kungen.ȱInȱS.ȱGreif,ȱH.ȱHollingȱ&ȱN.ȱNicholsonȱ(Hrsg.),ȱArbeitsȬȱundȱ Organisationspsychologieȱ (S.ȱ 483Ȭ488).ȱ München:ȱ Psychologieȱ Verlagsȱ Union.ȱ Cummings,ȱ T.ȱ &ȱ Blumberg,ȱ M.ȱ (1987).ȱ Advancedȱ manufacturingȱ technologyȱ andȱ workȱ design.ȱ Inȱ T.ȱ D.ȱ Wall,ȱ C.ȱ W.ȱ Cleggȱ &ȱ N.ȱ J.ȱ Kempȱ(Eds.),ȱTheȱhumanȱsideȱofȱadvancedȱmanufacturingȱtechnologyȱ(pp.ȱ 37Ȭ60).ȱChichester:ȱJohnȱWileyȱ&ȱSons.ȱ vanȱDick,ȱR.,ȱWagner,ȱU.,ȱStellmacher,ȱJ.ȱ&ȱChristȱO.ȱ(2001).ȱKennzeiȬ chenȱguterȱundȱschlechterȱSchulen.ȱSchulȬManagement,ȱ32/4,ȱ17Ȭ21.ȱ vanȱEijnatten,ȱF.ȱM.ȱ(1998).ȱDevelopmentsȱinȱsocioȬtechnicalȱsystemsȱ design.ȱ Inȱ P.ȱ J.ȱ D.ȱ Drenthȱ (Ed.),ȱ Handbookȱ ofȱ workȱ andȱ organizationalȱ psychologyȱ(pp.ȱ61Ȭ88).ȱHove:ȱPsychologyȱPress.ȱ Emery,ȱ F.ȱ E.ȱ (Ed.)ȱ (1978).ȱ Theȱ emergenceȱ ofȱ aȱ newȱ paradigmȱ ofȱ work.ȱ Canberra:ȱ Centerȱ forȱ Continuingȱ Education,ȱ Australianȱ Nationalȱ University.ȱ Emery,ȱ F.ȱ E.ȱ (1993).ȱ Characteristicsȱ ofȱ socioȬtechnicalȱ systems.ȱ Inȱ E.ȱ Tristȱ&ȱH.ȱMurrayȱ(Eds.),ȱTheȱsocialȱengagementȱofȱsocialȱscience.ȱVol.ȱII:ȱ Theȱ socioȬtechnicalȱ perspectiveȱ (pp.ȱ 157Ȭ186).ȱ Philadelphia:ȱ Universityȱ ofȱPennsylvaniaȱPress.ȱ

43ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

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44ȱ

Literatur

1.5

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45ȱ

1

Schulen als soziotechnische Systeme

Wegner,ȱE.ȱ(2005).ȱDasȱerweiterteȱLehrerzimmer.ȱKooperationȱundȱgegenȬ seitigeȱUnterstützungȱinȱderȱSchuleȱausȱderȱPerspektiveȱdesȱBehaviorȱSetȬ tingȬAnsatzes.ȱUniversitätȱFreiburg:ȱUnveröffentlichteȱDiplomarbeit.ȱ Weick,ȱK.ȱE.ȱ(1976).ȱEducationalȱsystemsȱasȱlooselyȱcoupledȱsystems.ȱ AdministrativeȱScienceȱQuarterly,ȱ21,ȱ1Ȭ19.ȱ Wenzel,ȱ H.ȱ (2004).ȱ Studienȱ zurȱ OrganisationsȬȱ undȱ SchulkulturentȬ wicklung.ȱInȱW.ȱHelsperȱ&ȱJ.ȱBöhmeȱ(Hrsg.),ȱHandbuchȱderȱSchulforȬ schungȱ(S.ȱ391Ȭ415).ȱWiesbaden:ȱVerlagȱfürȱSozialwissenschaften.ȱ Weidenmann,ȱB.ȱ(1981).ȱSchulbezogeneȱÄngsteȱvonȱLehrern.ȱInȱJ.ȱR.ȱ Nitschȱ(Hrsg.),ȱStressȱ(S.ȱ351Ȭ376).ȱBern:ȱHuber.ȱ Wolf,ȱB.ȱ&ȱvonȱSaldern,ȱM.ȱ(1989).ȱDiagnostikȱvonȱSchulumwelt.ȱInȱ R.ȱS.ȱJäger,ȱR.ȱHornȱ&ȱKh.ȱIngenkampȱ(Hrsg.),ȱJahrbuchȱderȱpädagogiȬ schenȱDiagnostik.ȱTestȱundȱTrendsȱ7ȱ(S.ȱ95Ȭ141).ȱWeinheim:ȱBeltz.ȱȱ

46ȱ

Einleitung

2.1

ȱ

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

Kapitel 2

Rainer Oesterreich

47ȱ

Einleitung

2.1

2.1

Einleitung

BurnoutȱistȱinȱderȱBerufgruppeȱderȱLehrerinnenȱundȱLehrer1ȱaußerȬ ordentlichȱhäufig.ȱIstȱdiesȱeineȱFolgeȱderȱfürȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱ typischenȱPersönlichkeitseigenschaftenȱbzw.ȱderȱbeiȱihnenȱantreffbaȬ renȱ individuellenȱ Meinungenȱ undȱ Einstellungen?ȱ Dieȱ bisherigeȱ BurnoutȬForschungȱ kannȱ dieseȱ Frageȱ nichtȱ eindeutigȱ beantworten.ȱ Dasȱ wirdȱ hierȱ ausführlichȱ dargestellt,ȱ dieȱ Gründeȱ dafürȱ werdenȱ inȱ derȱ ungenügendenȱ Ausdifferenzierungȱ vonȱ Konstruktenȱ undȱ derȱ UnangemessenheitȱvonȱverwendetenȱErhebungsmethodenȱgesehen.ȱ Esȱwirdȱgezeigt,ȱdassȱwissenschaftsimmanentȱeinigesȱdafürȱspricht,ȱ vielȱ mehrȱ alsȱ bisherȱ dieȱ inȱ objektivenȱ Umständenȱ begründetenȱ BeȬ lastungsursachenȱ zuȱ erforschen.ȱ Dasȱ wurdeȱ auchȱ schonȱ inȱ einerȱ „ResearchȱAgenda“ȱvonȱLeiterȱundȱMaslachȱ(1999)ȱgefordertȱ–ȱwennȱ auchȱvergeblich.ȱEsȱresultiertȱebensoȱausȱÜberlegungen,ȱwieȱsieȱsichȱ imȱ inȱ derȱ europäischenȱ Arbeitspsychologieȱ entstandenenȱ Konzeptȱ „bedingungsȬȱundȱpersonenbezogeneȱFragestellungȱderȱArbeitspsyȬ chologie“ȱ ergeben.ȱ Dasȱ Konzeptȱ wurdeȱ zwischenzeitlichȱ erweitertȱ undȱ wirdȱ imȱ vorliegendenȱ Beitragȱ fürȱ dieȱ Lehrertätigkeitȱ spezifiȬ ziert.ȱAbschließendȱwirdȱdaraufȱaufmerksamȱgemacht,ȱdassȱeineȱausȱ wissenschaftlicherȱ Sichtȱ bessereȱ Forschungsmethodikȱ einemȱ MissȬ brauchȱ derȱ Ergebnisseȱ ausȱ derȱ Lehrerbelastungsforschungȱ entgeȬ genwirkenȱwürde.ȱ

2.2

Entwicklungen in der BurnoutForschung

Inȱ derȱarbeitspsychologischenȱ ForschungȱhatȱdieȱberuflicheȱpsychiȬ scheȱ Belastungȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ eigentlichȱ erstȱ mitȱ demȱAufkommenȱ desȱ Konzeptsȱ Burnoutȱ anȱ Bedeutungȱ gewonnen.ȱ HierȱsollenȱkritischeȱBetrachtungenȱzuȱEntwicklungenȱausȱderȱBurnȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Anmerkung:ȱ Beiȱ allerȱ Bemühungȱ umȱ geschlechtsneutraleȱ Formulierungenȱ werȬ

denȱvieleȱSätzeȱzuȱumständlich,ȱwennȱimmerȱwiederȱstattȱ„Lehrer“ȱdieȱWortverȬ bindungȱ„LehrerinnenȱundȱLehrer“ȱgebrauchtȱwird.ȱDaherȱwirdȱdaraufȱmeistensȱ verzichtet,ȱesȱsindȱaberȱimmerȱmitȱ„Lehrer“ȱsowohlȱweiblicheȱwieȱmännlicheȱPerȬ sonenȱgemeint.ȱ

49ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

outȬForschungȱ zumȱ Ausgangspunktȱ genommenȱ werden,ȱ umȱ meȬ thodischeȱAspekteȱderȱUntersuchungȱvonȱLehrerbelastungȱzuȱdiskuȬ tierenȱ undȱ dieȱ Ergebnisseȱ derȱ Diskussionȱ besserȱ verdeutlichenȱ zuȱ können.ȱ

2.2.1

Eine „Research Agenda“ aus dem Jahr 1999

DasȱKonzeptȱBurnoutȱistȱgeprägtȱdurchȱdieȱForschungenȱvonȱChrisȬ tinaȱ Maslachȱ (z.B.ȱ bereitsȱ 1976),ȱ worinȱ Burnoutȱ alsȱ eineȱ möglicheȱ Folgeȱ vonȱ Tätigkeitenȱ inȱ sozialenȱ Berufenȱ auftritt.ȱ Burnoutȱ istȱ geȬ mäßȱ Maslachȱ undȱ Jacksonȱ (1981)ȱ durchȱ höhereȱAusprägungenȱ aufȱ dreiȱDimensionenȱgekennzeichnet:ȱEmotionaleȱErschöpfung,ȱDeperȬ sonalisationȱ undȱ fehlendeȱ persönlicheȱ Erfüllung.ȱ Auchȱ wennȱ zuȱ fragenȱ ist,ȱ obȱ Burnoutȱ beiȱ allenȱ Artenȱ vonȱ Arbeitstätigkeitenȱ vorȬ kommenȱkannȱ(Leiterȱ&ȱSchaufeli,ȱ1996),ȱvorwiegendȱanwendbarȱistȱ dasȱKonzeptȱfürȱPersonenȱmitȱBerufen,ȱinȱdenenȱeineȱhelfendeȱoderȱ AndereȱunterstützendeȱFunktionȱzentralȱistȱ–ȱundȱdamitȱebenȱauchȱ fürȱLehrkräfteȱ(Hubermanȱ&ȱVandenberghe,ȱ1999).ȱ Dieȱ BurnoutȬRateȱ istȱ beiȱ Lehrernȱ ziemlichȱ hoch,ȱ Schätzungenȱ reiȬ chenȱvonȱ20%ȱbisȱ50%,ȱandereȱBerufsgruppenȱweisenȱnichtȱsoȱhoheȱ Ratenȱ aufȱ (vgl.ȱ etwaȱ Barth,ȱ 1992;ȱ Belcastroȱ &ȱ Hays,ȱ 1984;ȱ Konenȱ &ȱ Barth,ȱ1990;ȱPines,ȱAronsonȱ&ȱKafry,ȱ1991).ȱȱ Umȱ Burnoutȱ abzumildernȱ oderȱ garȱ verhindernȱ zuȱ können,ȱ mussȱ seineȱ Entstehungȱ geklärtȱ werden.ȱ Burnoutȱ entstehtȱ alsȱ langfristigeȱ Folgeȱ vonȱ überdauerndȱ vorhandenenȱ emotionalenȱ undȱ interpersoȬ nalenȱStressoren,ȱdieȱinȱderȱArbeitstätigkeitȱauftretenȱ(z.B.ȱMaslach,ȱ 2003,ȱ S.ȱ 189).ȱ Welcheȱ Stressorenȱ inȱ derȱ Lehrerarbeitȱ sindȱ diesȱ bzw.ȱ worausȱkönnenȱsolcheȱStressorenȱentstehen?ȱȱ Hierȱ wurdeȱ vielȱ Verschiedenesȱ inȱ Betrachtȱ gezogenȱ undȱ empirischȱ untersucht,ȱ wasȱ z.B.ȱ ausȱ demȱ ReviewȬArtikelȱ vonȱ Guglielmiȱ undȱ Tatrowȱ (1998)ȱ ersichtlichȱ ist.ȱ Einflussfaktorenȱ aufȱ Burnoutȱ beiȱ LehȬ rern,ȱdieȱuntersuchtȱwerdenȱsollten,ȱkennzeichnenȱMaslachȱundȱLeiȬ terȱ(1999)ȱinȱeinemȱ„WorkingȱModelȱofȱTeacherȱBurnout“:ȱȱ 1. Politischeȱbzw.ȱschulpolitischeȱForderungen,ȱökonomischerȱKonȬ textȱundȱUmfeldȱderȱSchule,ȱȱ 2. SozialeȱUnterstützung,ȱȱ

50ȱ

Entwicklungen in der Burnout-Forschung

2.2

3. Aufgabenmerkmale,ȱȱ 4. Organisationsmerkmale,ȱȱ 5. individuelleȱMerkmaleȱdesȱLehrers,ȱȱ 6. SchülerverhaltenȱundȱSchülererfolg.ȱȱ DasȱModellȱistȱKernȱeinerȱ„ResearchȱAgenda“,ȱdieȱvonȱMaslachȱundȱ Leiterȱ(denȱführendenȱAutorenȱinȱderȱBurnoutȬForschung)ȱinȱeinemȱ Buchbeitragȱ propagiertȱ wird.ȱ Dasȱ Buchȱ –ȱ einȱ Sammelbandȱ mitȱ 21ȱ Beiträgenȱ verschiedenerȱ Autorenȱ –ȱ trägtȱ denȱ Titelȱ „Understandingȱ andȱ Preventingȱ Teacherȱ Burnout“ȱ (Vandenbergheȱ &ȱ Huberman,ȱ 1999),ȱ esȱ hatȱ denȱ Anspruch,ȱ denȱ aktuellenȱ Standȱ derȱ BurnoutȬ Forschungȱ zuȱ kennzeichnenȱ undȱ Orientierungȱ fürȱ dieȱ Praxisȱ undȱ dieȱzukünftigeȱForschungȱgebenȱzuȱkönnen.ȱLetzteresȱgeschiehtȱimȱ hierȱzitiertenȱBeitragȱvonȱMaslachȱundȱLeiterȱ(1999).ȱ Manȱbeachte:ȱInȱihremȱModellȱsindȱindividuelleȱMerkmaleȱdesȱLehȬ rersȱ selbstȱ zwarȱ einerȱ derȱ Einflussfaktorenȱ aufȱ Burnout,ȱ aberȱ ebenȱ nurȱeinerȱunterȱinsgesamtȱsechsȱEinflussfaktoren.ȱDieȱanderen,ȱteilsȱ nochȱkomplexeȱUnteraspekteȱumfassendenȱFaktorenȱsindȱsolche,ȱdieȱ vomȱ ggf.ȱ unterȱ Burnoutȱ leidendenȱ Lehrerȱ nichtȱ zuȱ verantwortenȱ sindȱ –ȱ höchstensȱ teilweise,ȱ weilȱ einȱ Lehrerȱ auchȱ Einflussȱ aufȱ seineȱ eigeneȱ sozialeȱ Unterstützungȱ undȱ aufȱ dasȱ Schülerverhaltenȱ habenȱ wird.ȱȱ Nichtȱnurȱdasȱgekennzeichneteȱ„WorkingȱModel“ȱvonȱMaslachȱundȱ Leiterȱ(1999),ȱsondernȱpraktischȱalleȱtheoretischenȱModelleȱzurȱEntȬ stehungȱvonȱBurnoutȱbeiȱLehrernȱbeinhaltenȱwesentlicheȱWirkfaktoȬ ren,ȱ dieȱ außerhalbȱ derȱ Meinungenȱ undȱ Einstellungenȱ derȱ Lehrerȱ anzusiedelnȱ sind.ȱ Deutlichȱ wirdȱ diesȱ u.a.ȱ beiȱ Byrneȱ (1999),ȱ woȱ derȱ Anspruchȱ besteht,ȱ dieȱ bisherigeȱ Forschungȱ zumȱ Burnoutȱ vonȱ LehȬ rernȱ inȱ einemȱ (StrukturgleichungsȬ)ȱ Modellȱ zusammenzufassen,ȱ inȱ demȱdann,ȱandersȱalsȱdieȱ„organizationalȱfactors“,ȱdieȱ„personalityȱ factors“ȱnurȱeineȱNebenrolleȱspielenȱ Darauf,ȱ welchenȱ Einflussȱ dieseȱ ResearchȱAgendaȱ vonȱ Maslachȱ undȱ Leiterȱ (1999)ȱ aufȱ dieȱ BurnoutȬForschungȱ gehabtȱ hat,ȱ kommenȱ wirȱ nochȱzurück.ȱZunächstȱdazu,ȱwodurchȱsieȱmotiviertȱerscheint.ȱ BeiȱeinerȱDurchsichtȱderȱBurnoutȬForschungȱimȱBereichȱLehrerarbeitȱ sowohlȱ aufȱ Grundlageȱ desȱ dieseȱ Forschungȱ resümierendenȱ SamȬ melbandesȱ vonȱ Vandenbergheȱ undȱ Hubermanȱ (1999)ȱ wieȱ desȱ ReȬ

51ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

viewsȱvonȱGuglielmiȱundȱTatrowȱ(1998)ȱistȱoffensichtlich,ȱdassȱdieseȱ ForschungȱganzȱüberwiegendȱaufȱdemȱEinsatzȱvonȱFragebogenȱbaȬ siert,ȱdieȱvonȱdenȱBurnoutȬBetroffenen,ȱalsoȱdenȱLehrernȱbeantworȬ tetȱwerden.ȱDasȱwirdȱnichtȱnurȱvonȱMaslachȱundȱLeiterȱ(1999)ȱinȱderȱ schonȱ gekennzeichnetenȱ Weiseȱ eherȱ implizitȱ kritisiertȱ –ȱ durchȱ dieȱ Forderung,ȱesȱzukünftigȱandersȱzuȱmachen.ȱSehrȱexplizitȱkritisierenȱ Guglielmiȱ undȱ Tatrowȱ (1998),ȱ dassȱ dieseȱ Forschungȱ fastȱ nurȱ aufȱ „selfȬreports“ȱberuht,ȱundȱzwarȱsowohlȱbeiȱderȱErhebungȱvonȱBurȬ noutȱ beiȱ denȱ Lehrernȱ wieȱ beiȱ derȱ Erhebungȱ derȱ Umstände,ȱ dieȱ fürȱ dieȱEntstehungȱvonȱBurnoutȱverantwortlichȱgemachtȱwerden;ȱ„selfȬ reports“ȱ vonȱ Lehrern,ȱ ihreȱ Einstellungenȱ undȱ Meinungen,ȱ werdenȱ sowohlȱfürȱdasȱKriteriumȱ(Burnout)ȱwieȱfürȱdieȱPrädiktorenȱ(FaktoȬ renȱderȱBurnoutȬEntstehung)ȱverwendet.ȱ Dieȱ „Researchȱ Agenda“ȱ vonȱ Maslachȱ undȱ Leiterȱ (1999)ȱ hatȱ daherȱ eineȱ Brisanz,ȱ dieȱ manȱ denȱ Kritikȱ eherȱ vermeidendenȱ FormulierunȬ genȱ ihrerȱ Autorenȱ nichtȱ ohneȱ weiteresȱ ansieht.ȱ Deutlicherȱ werdenȱ Guglielmiȱ undȱ Tatrowȱ (1998).ȱ Sieȱ kennzeichnenȱ dieȱ BurnoutȬ Forschungȱ alsȱ „characteristicallyȱ ofȱ veryȱ poorȱ quality“.ȱ Aufgrundȱ derȱ angreifbarenȱ Erhebungsmethodikȱ undȱ ungeeigneterȱ ForȬ schungsdesignsȱ mitȱ zuȱ wenigȱ Kontrolleȱ vonȱ Drittvariablenȱ könneȱ manȱ überȱ Kausalitätsrichtungenȱ kaumȱ etwasȱ genauesȱ sagen,ȱ angeȬ sichtsȱ derȱ inȱ derȱ Forschungȱ verbreitetenȱ inhaltlichenȱ Überlappungȱ derȱ Konstrukteȱ „Stress“,ȱ „Burnout“ȱ undȱ „Gesundheit“ȱ bestündeȱ ständigȱdieȱGefahr,ȱmitȱdenȱermitteltenȱKorrelationenȱinȱeineȱTriviaȬ litätsfalleȱ(gemäßȱKasl,ȱ1987)ȱzuȱlaufen.ȱ

2.2.2

Zur Folgenlosigkeit der „Research Agenda“

Nunȱ sollteȱ manȱ meinen,ȱ dass,ȱ infolgeȱ derȱ „Researchȱ Agenda“ȱ vonȱ MaslachȱundȱLeiterȱausȱdemȱJahreȱ1999,ȱsichȱvonȱdaȱanȱdieȱBurnoutȬ Forschungȱ vermehrtȱ denȱ nichtȱ inȱ derȱ Persönlichkeitȱ desȱ Lehrersȱ verankertenȱ Einflussgrößenȱ beiȱ Verwendungȱ vonȱ anderenȱ alsȱ aufȱ „selfȬreports“ȱ gestütztenȱ Erhebungsmethodenȱ zuwendet.ȱ Dieseȱ Erwartungȱ wirdȱ leiderȱ enttäuscht,ȱ auchȱ undȱ besondersȱ durchȱ denȱ aktuellenȱ Ansatzȱ zuȱ BurnoutȬUrsachenȱ vonȱ denȱ Autorenȱ derȱ „ReȬ searchȱAgenda“ȱselbst.ȱȱ LeiterȱundȱMaslachȱ(2004)ȱbeschreibenȱsechsȱAspekteȱdesȱArbeitsleȬ bensȱ („areasȱ ofȱ worklife“),ȱ dieȱ sieȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ jahrelangȱ

52ȱ

Entwicklungen in der Burnout-Forschung

2.2

erzielterȱ Forschungsergebnisseȱ fürȱ dieȱ Entstehungȱ vonȱ Burnoutȱ (bzw.ȱdemȱGegenteil,ȱnämlichȱ„Engagement“)ȱverantwortlichȱsehen:ȱȱ 1. Workload:ȱ„Peopleȱhaveȱtooȱmuchȱtoȱdoȱinȱtooȱlittleȱtimeȱwithȱtooȱ fewȱresources.“ȱȱ 2. Control:ȱ„…ȱemployees’ȱperceivedȱcapacityȱtoȱinfluenceȱdecisionsȱ thatȱaffectȱtheirȱwork,ȱtoȱexerciseȱprofessionalȱautonomy,ȱtoȱgainȱ accessȱtoȱtheȱresources”ȱ 3. Reward:ȱ„…ȱtheȱextentȱtoȱwhichȱrewardsȱ–ȱmonetary,ȱsocial,ȱandȱ intrinsicȱ–ȱareȱconsistentȱwithȱexpectations.”ȱȱ 4. Community:ȱ„Peoples’ȱsubjectiveȱappraisalȱofȱtheirȱsocialȱcontext.”ȱȱ 5. Fairness:ȱ„…ȱtheȱextentȱtoȱwhichȱdecisionsȱatȱworkȱareȱperceivedȱ asȱbeingȱfairȱandȱpeopleȱareȱtreatedȱwithȱrespect.”ȱȱ 6. Values:ȱ„…ȱtheȱgapȱbetweenȱindividualȱandȱorganizationalȱvaluesȱ …”,ȱwelcheȱdieȱIdealeȱundȱpositivenȱMotivationenȱbetreffen,ȱdieȱ eineȱPersonȱzurȱWahlȱdesȱBerufesȱbewogenȱhatten.ȱ Esȱ fälltȱ auf,ȱ dassȱ nurȱ derȱ ersteȱ dieserȱ sechsȱAspekteȱ sichȱ aufȱ GegeȬ benheitenȱ bezieht,ȱ vonȱ denenȱ manȱ annehmenȱ kann,ȱ dassȱ sieȱ dieȱ arbeitendeȱPersonȱnichtȱselbstȱmitȱzuȱverantwortenȱhat.ȱDieȱanderenȱ fünfȱAspekteȱ könnenȱ erstȱ durchȱ individuelleȱ Eigenartenȱ derȱ arbeiȬ tendenȱ Personȱ selbstȱ zurȱ Geltungȱ kommen:ȱ ihreȱArtȱ derȱ WahrnehȬ mungȱ(Aspekteȱ2ȱundȱ5),ȱihreȱErwartungȱ(Aspektȱ3),ȱihreȱBewertungȱ (Aspektȱ4),ȱihreȱWertvorstellungenȱ(Aspektȱ6).ȱȱ EmpirischȱumgesetztȱwurdeȱdasȱKonzeptȱderȱsechsȱAspekteȱinȱeinenȱ Fragebogenȱ„AreaȱofȱWorklifeȱScalesȱ(AWS)“ȱmitȱ29ȱItems.ȱDieȱAuȬ torenȱ betonenȱ inȱ derȱ Einleitungȱ zuȱ dieserȱ empirischenȱ Umsetzung,ȱ dassȱ imȱ Fragebogenȱ durchgängigȱ derȱ Gedankeȱ einesȱ „mismatch“ȱ vonȱzentralerȱBedeutungȱist,ȱihrȱModellȱistȱeinȱ„modelȱofȱjobȬpersonȱ fit“.ȱEinȱtypischesȱItemȱistȱz.B.ȱ„WorkingȱhereȱforcesȱmeȱtoȱcomproȬ miseȱmyȱvalues“.ȱ Sieȱ nehmenȱ an:ȱ „theȱ greaterȱ theȱ perceivedȱ gapȱ betweenȱ theȱ personȱ andȱ theȱ job,ȱ theȱ greaterȱ theȱ likelihoodȱ ofȱ burnout“ȱ (Leiterȱ &ȱ Maslach,ȱ 2004,ȱ S.ȱ 101).ȱ Alsȱ Ursachenȱ desȱ Burnoutȱ werdenȱ alsoȱ beȬ stimmteȱ Verhältnisseȱ vonȱ individuellenȱ Personenmerkmalenȱ undȱ ArbeitsplatzȬMerkmalenȱ gesehen.ȱ Nachȱ diesemȱ Verhältnisȱ wirdȱ imȱ Sinneȱvonȱ„match“ȱoderȱ„mismatch“ȱgefragt.ȱ

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2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

Damitȱ wirdȱ deutlich:ȱ Merkmaleȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ selbstȱ werdenȱ inȱdiesemȱAnsatzȱnichtȱunabhängigȱvonȱdenȱjeȱindividuellenȱPersoȬ nenȬMerkmalenȱgekennzeichnetȱoderȱgarȱuntersucht.ȱȱ Offensichtlichȱ lässtȱ sichȱ dasȱ Verhältnisȱ derȱ ArbeitsȬȱ undȱ PersonenȬ merkmaleȱ leichtȱ mitȱ Befragungenȱ derȱ arbeitendenȱ Personenȱ erheȬ ben.ȱ Derȱ Einsatzȱ vonȱ Fragebogenȱ –ȱ undȱ auchȱ dieȱ Entwicklungȱ vonȱ Fragebogen,ȱ wennȱ manȱ sichȱ mitȱ denȱ Grundlagenȱ derȱ klassischenȱ Testtheorieȱbegnügtȱ–ȱistȱeinȱwenigȱaufwändigesȱGeschäft.ȱSoȱwarȱesȱ dennȱ auchȱ möglich,ȱ denȱ FragebogenȱAWSȱ gemeinsamȱ mitȱ anderenȱ Fragebogenȱ inȱ umfangreichenȱ Untersuchungenȱ inȱ verschiedenenȱ Ländernȱeinzusetzen,ȱundȱinȱnurȱwenigenȱJahrenȱeineȱStichprobenȬ größeȱvonȱüberȱ8000ȱzuȱerzielenȱ(Leiterȱ&ȱMaslach,ȱ2004).ȱUntersuȬ chungenȱvonȱüberindividuellȱgültigenȱMerkmalenȱderȱArbeitstätigȬ keitȱselbstȱwärenȱdagegenȱsowohlȱinȱderȱKonzeptionȱwieȱauchȱinȱderȱ DurchführungȱumȱVielfachesȱaufwändiger.ȱ

2.2.3

Einige Probleme mit zu wenig unterschiedenen Konstrukten

ManȱkönnteȱnunȱdiesesȱVorgehenȱ–ȱnämlichȱgleichȱeinȱ„mismatch“ȱ vonȱ Konstruktenȱ zuȱ erfragenȱ undȱ dabeiȱ aufȱ eineȱ Differenzierungȱ derȱ Konstrukteȱ zuȱ verzichten,ȱ weilȱ einigeȱ derȱ Konstrukteȱ nichtȱ soȱ einfachȱzuȱerhebenȱsindȱ–ȱalsȱerfindungsreichȱansehen,ȱwirdȱsoȱdochȱ eineȱMengeȱAufwandȱerspart.ȱManȱbringtȱaberȱgravierendeȱSchwieȬ rigkeitenȱmitȱsich.ȱȱ 1. Zur Ähnlichkeit der interessierenden Konstrukte Daȱ dasȱ Konstruktȱ Burnoutȱ denȱ psychischenȱ Zustandȱ bzw.ȱ psychiȬ scheȱ Prozesseȱ mitȱ Bezugȱ zurȱ eigenenȱ Arbeitstätigkeitȱ einerȱ Personȱ kennzeichnet,ȱundȱdieȱdenȱAreasȱofȱWorklifeȱzugehörigenȱKonstrukȬ teȱ Wahrnehmungen,ȱ Erwartungen,ȱ Bewertungenȱ undȱ WertvorstelȬ lungen,ȱd.h.ȱebenfallsȱpsychischeȱZuständeȱbzw.ȱpsychischeȱProzesȬ seȱ mitȱ Bezügenȱ zurȱ eigenenȱ Arbeitstätigkeitȱ betreffen,ȱ gibtȱ esȱ eineȱ Überlappungȱ derȱ Konstrukteȱ (wasȱ z.B.ȱ Guglielmiȱ &ȱ Tatrow,ȱ 1998,ȱ fürȱ großeȱ Teileȱ derȱ aufȱ Lehrerȱ bezogenenȱ BurnoutȬȱ undȱ StressȬ Forschungȱ konstatieren).ȱ Diesȱ wirdȱ deutlicher,ȱ wennȱ manȱ daranȱ denkt,ȱ dassȱ manȱ dasȱ Konstruktȱ „Burnout“ȱ jaȱ auchȱ durchȱ entspreȬ chendeȱ Ausprägungenȱ derȱ Konstrukteȱ imȱ Sinneȱ derȱ Areasȱ ofȱ

54ȱ

Entwicklungen in der Burnout-Forschung

2.2

Worklifeȱ definierenȱ könnte.ȱ Soȱ könnteȱ manȱ z.B.ȱ denȱ BurnoutȬ Teilaspektȱ „fehlendeȱ persönlicheȱ Erfüllung“ȱ alsȱ schlechtenȱ „jobȬ personȱfit“ȱbzw.ȱ„mismatch“ȱhinsichtlichȱControl,ȱReward,ȱCommuȬ nity,ȱ Fairnessȱ undȱ Valuesȱ definieren.ȱ Manȱ wirdȱ Müheȱ haben,ȱ BeȬ gründungenȱgegenȱeinȱsolchesȱVerständnisȱvonȱBurnoutȱzuȱfinden.ȱȱ 2. Zu Annahmen über kausale Zusammenhänge DieȱAreasȱofȱWorklifeȱundȱderȱzugehörigeȱFragebogenȱAWSȱwurdenȱ konzipiert,ȱ umȱ sieȱ alsȱ hypothetischeȱ Wirkfaktorenȱ bzw.ȱ Ursachenȱ vonȱ Burnoutȱ zuȱ untersuchen.ȱ Leiterȱ undȱ Maslachȱ (2004,ȱ S.ȱ 120ȱ ff.)ȱ wertenȱmitȱdieserȱAbsichtȱLängsschnittdatenȱmitȱHilfeȱdesȱStructureȱ Equationȱ Modelingȱ ausȱ –ȱallerdingsȱ inȱwenigȱ angemessenerȱ Weise,ȱ weilȱdieȱvonȱihnenȱpostuliertenȱundȱberechnetenȱModelleȱnichtȱgeȬ eignetȱ sind,ȱ verschiedeneȱ Wirkungsrichtungenȱ gegeneinanderȱ zuȱ testenȱ(zuȱangemessenerenȱModellenȱsieheȱz.B.ȱTaris,ȱ2000,ȱS.77ȱff.).ȱ Welcheȱ Hypothesenȱ zuȱ Wirkrichtungenȱ kommenȱ hierȱ inȱ Frage?ȱ ErstensȱdieȱvonȱLeiterȱundȱMaslachȱpostulierte,ȱalsoȱ„mismatch“ȱdesȱ „jobȬpersonȱ fit“ȱ führtȱ zuȱ Burnout.ȱ Zweitensȱ eineȱ demgegenüberȱ umgekehrteȱ Wirkrichtung,ȱ weilȱ denkbarȱ ist,ȱ dassȱ Burnoutȱ zuȱ verȬ stärktemȱ„mismatch“ȱdesȱ„jobȬpersonȱfit“ȱführt.ȱDrittensȱwäreȱdenkȬ bar,ȱdassȱBurnoutȱundȱ„mismatch“ȱdesȱ„jobȬpersonȱfit“ȱmiteinanderȱ zusammenhängen,ȱ weilȱ beidesȱ gemeinsameȱ dritteȱ Ursachenȱ hat.ȱ AuchȱkämenȱviertensȱgemischteȱWirkmodelleȱinȱBetracht,ȱz.B.ȱkönnȬ teȱ „mismatch“ȱ desȱ „jobȬpersonȱ fit“ȱ inȱ einzelnenȱ Areasȱ ofȱ Worklifeȱ BurnoutȱverursachenȱundȱanschließendȱBurnoutȱaufȱandereȱAreasȱofȱ Worklifeȱwirken.ȱManȱmagȱeinwenden,ȱesȱseienȱjaȱimmerȱalleȱmögliȬ chenȱ kausalenȱ Richtungenȱ theoretischȱ gleichȱ gutȱ denkbar.ȱ Aberȱ esȱ wirdȱ nichtȱ immerȱ –ȱ soȱ offensichtlichȱ wieȱ hierȱ –ȱ bereitsȱ durchȱ KonȬ struktüberlappungȱnaheȱgelegt.ȱȱ 3. Zu Folgerungen für praktische Maßnahmen Esȱkannȱalsȱsicherȱgelten,ȱdassȱverschiedeneȱPersonenȱinȱverschiedeȬ nemȱ Maßeȱ anfälligȱ fürȱ Stressȱ undȱ Burnoutȱ sind.ȱ Mangelndenȱ oderȱ negativenȱ „jobȬpersonȱ fit“ȱ (hinsichtlichȱ derȱ Areasȱ ofȱ worklifeȬ Aspekte)ȱalsȱUrsacheȱfürȱBurnoutȱzuȱsehenȱberücksichtigtȱdies,ȱweilȱ damitȱ individuellȱ verschiedeneȱ Wahrnehmungen,ȱ Erwartungen,ȱ BewertungenȱundȱWertvorstellungenȱdieȱunterschiedlicheȱBurnoutȬ Anfälligkeitȱ erklärenȱ könnten.ȱ Woȱ aberȱ sollenȱ Maßnahmenȱ ansetȬ zen,ȱ dieȱ Burnoutȱ wenigerȱ wahrscheinlichȱ machenȱ oderȱ bereitsȱ entȬ

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2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

standenenȱ Burnoutȱ mindern?ȱ Sollenȱ sieȱ sichȱ aufȱ dieȱ Veränderungȱ derȱ individuellenȱ Wahrnehmungen,ȱ Erwartungen,ȱ Bewertungenȱ undȱ Wertvorstellungenȱ richtenȱ oderȱ aufȱ Veränderungenȱ derȱ ArȬ beitsorganisation,ȱ demȱ Verhaltenȱ vonȱ Vorgesetztenȱ undȱ Kollegen?ȱ Dieȱ Antwortȱ „beides“ȱ erscheintȱ aufȱ denȱ erstenȱ Blickȱ sympathisch,ȱ wennȱ auchȱ wenigȱ sparsam.ȱ Esȱ wirdȱ aberȱ durchausȱ vorkommen,ȱ dassȱ dieȱ individuellenȱ Einstellungenȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ BurnoutȬ Gefahrenȱ optimalȱ sindȱ –ȱ oderȱ dassȱ dieȱ Gegebenheitenȱ amȱArbeitsȬ platzȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ BurnoutȬGefahrenȱ optimalȱ sind.ȱ Manȱ sollteȱ schonȱwissen,ȱinȱwelchenȱFällenȱVerbesserungenȱwoȱamȱbestenȱanȬ setzenȱbzw.ȱwoȱVerbesserungenȱwenigerȱwichtigȱsind.ȱAmȱErgebnisȱ derȱErmittlungȱeinesȱ„jobȬpersonȱfit“ȱistȱdiesȱnichtȱablesbar.ȱȱ 4. Zu Problemen der Erhebungsmethodik Burnoutȱ istȱ durchȱ emotionaleȱ Erschöpfung,ȱ Depersonalisationȱ undȱ fehlendeȱ persönlicheȱ Erfüllungȱ gekennzeichnetȱ (nachȱ Maslachȱ &ȱ Jackson,ȱ 1981).ȱ Zweifellosȱ istȱ dieȱ hierȱ einschlägigeȱ ErhebungsmeȬ thodeȱ dieȱ Befragungȱ derȱ eventuellȱ unterȱ Burnoutȱ leidendenȱ PersoȬ nenȱ selbst,ȱ z.B.ȱ mitȱ Hilfeȱ standardisierterȱ Fragebogenȱ alsȱ „selfȬ report“.ȱ Dennȱ esȱ gehtȱ umȱ einȱ Konstrukt,ȱ dasȱ inȱ derȱ Psycheȱ (quasiȱ „imȱInneren“)ȱderȱPersonenȱzuȱverortenȱist.ȱWoȱistȱderȱ„jobȬpersonȬ fit“ȱzuȱverorten?ȱDaȱdieserȱWahrnehmungen,ȱErwartungen,ȱBewerȬ tungenȱ undȱ Wertvorstellungenȱ betrifft,ȱ istȱ erȱ offenbarȱ ebenfallsȱ inȱ derȱ Psycheȱ derȱ Personenȱ zuȱ verorten,ȱ womitȱ auchȱ hierȱ dieȱ ErheȬ bungsmethodeȱ„selfȬreport“ȱnaheȱliegt.ȱSeiȱesȱnunȱeinȱProblemȱoderȱ nicht,ȱ wennȱ hierȱ sowohlȱ dasȱ alsȱ Ursacheȱ wieȱ dasȱ alsȱ bewirktesȱ anȬ genommeneȱKonstruktȱinȱderȱPsycheȱderȱLehrerȱliegtȱ–ȱinȱjedemȱFallȱ birgtȱ dieȱ Verwendungȱ vonȱ „selfȬreports“ȱ fürȱ beideȱ Konstrukteȱ Schwierigkeiten.ȱ Diesȱ wirdȱ nochȱ deutlicher,ȱ wennȱ wirȱ einesȱ derȱ KonstrukteȱalsȱaußerhalbȱderȱPsycheȱverortetȱannehmen.ȱHierȱliegtȱ nahe,ȱ alsȱ Verursachungȱ einȱ anderesȱ Konstruktȱ anzunehmen,ȱ z.B.ȱ schlechteȱSchulorganisation.ȱWennȱnunȱbeideȱKonstrukteȱ–ȱjetztȱalsoȱ Schulorganisationȱ undȱ Burnoutȱ –ȱ überȱ „selfȬreports“ȱ derȱ potentiellȱ vonȱ Burnoutȱ Betroffenenȱ erhobenȱ werden,ȱ istȱ folgendesȱ anzunehȬ men:ȱ Auchȱ fürȱ denȱ Fall,ȱ dassȱ dieȱ Schulorganisationȱ Burnoutȱ nichtȱ bewirktȱ (Burnoutȱ alsoȱ andereȱ Ursachenȱ hat),ȱ istȱ esȱ plausibel,ȱ dassȱ unterȱ Burnoutȱ leidendeȱPersonenȱ dieȱ Schulorganisationȱ tendenziellȱ schlechterȱ beurteilenȱ alsȱ Personenȱ ohneȱ Burnout.ȱ Durchȱ „selfȬ report“ȱerhobenerȱBurnoutȱerschieneȱalsoȱalsȱeinȱWirkfaktorȱfürȱdieȱ

56ȱ

Bedingungs- und personbezogene Fragestellung

2.3

MeinungȱüberȱdieȱSchulorganisation.ȱDieseȱMöglichkeitȱbedenkendȱ wäreȱesȱunangemessen,ȱeineȱKorrelationȱvonȱSchulorganisationȱundȱ Burnoutȱ zuȱ interpretierenȱ als:ȱ chlechteȱ Schulorganisationȱ bewirktȱ mehrȱ Burnout.ȱ (Dieȱ Wirkrichtungȱ könnteȱ mitȱ Hilfeȱ vonȱ LängsȬ schnittȬDesignsȱuntersuchtȱwerden,ȱwennȱinȱderenȱAuswertung,ȱwieȱ z.B.ȱbeiȱLeitnerȱ&ȱResch,ȱ2005,ȱverschiedeneȱmöglicheȱWirkrichtunȬ genȱdirektȱmiteinanderȱverglichenȱwerdenȱ–ȱwasȱübrigensȱbeiȱLeiterȱ &ȱ Maslach,ȱ 2004,ȱ nichtȱ geschehenȱ ist.)ȱ Allȱ diesȱ wäreȱ anders,ȱ wennȱ dieȱ Schulorganisationȱ nichtȱ durchȱ „selfȬreports“ȱ derȱ BurnoutȬ Betroffenen,ȱ sondernȱ z.B.ȱ mitȱ Hilfeȱ externerȱ Beurteilerȱ erhobenȱ würde.ȱ Manȱ könnteȱ dannȱ schlechtȱ annehmen,ȱ dasȱ Burnoutȱ derȱ beȬ fragtenȱ Lehrerȱ seiȱ Ursacheȱ fürȱ eineȱ schlechtereȱ Bewertungȱ derȱ Schulorganisationȱ durchȱ externeȱ Beobachter.ȱ Esȱ istȱ alsoȱ unterȱ meȬ thodischenȱ Gesichtspunktenȱ problematisch,ȱ sowohlȱ fürȱ dieȱ ErheȬ bungȱ desȱ Burnoutȱ wieȱ fürȱ dieȱ Erhebungȱ potenziellerȱ Wirkfaktorenȱ (BurnoutȬUrsachen)ȱ Befragungenȱ imȱ Sinneȱ vonȱ „selfȬreports“ȱ zuȱ verwenden.ȱ

2.3

Die bedingungs- und personbezogene Fragestellung in der A&O-Psychologie

DieȱdargestelltenȱProblemeȱbeiȱderȱUntersuchungȱvonȱFaktorenȱderȱ BurnoutȬEntstehungȱ entsprechenȱ Problemen,ȱ dieȱ inȱ derȱ europäiȬ schenȱ arbeitspsychologischenȱ Forschungȱ schonȱ vorȱ längererȱ Zeitȱ gesehenȱwurden,ȱauchȱwennȱesȱdamalsȱnochȱnichtȱumȱLehrerarbeit,ȱ sondernȱ vorȱ allemȱ umȱArbeitstätigkeitenȱ inȱ Industriebetriebenȱ undȱ inȱ Bürosȱ ging.ȱ Wieȱ dieseȱ Problemeȱ behandeltȱ wurden,ȱ istȱ imȱ FolȬ gendenȱerläutert.ȱ

2.3.1

Entstehung des Konzepts „Bedingungsbezogene Arbeitsanalyse“

ImȱBereichȱderȱArbeitspsychologieȱwurdeȱinȱdenȱsiebzigerȱundȱachtȬ zigerȱ Jahrenȱ diskutiert,ȱ welcheȱ Anliegenȱ dieȱ arbeitspsychologischeȱ Forschungȱverfolgtȱoderȱverfolgenȱsollte.ȱSollenȱ(a)ȱKenntnisseȱdarȬ überȱ gewonnenȱ werden,ȱ wieȱ Arbeitstätigkeitenȱ aussehenȱ sollen,ȱ

57ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

damitȱdieȱBelastungenȱamȱArbeitplatzȱkeineȱnegativenȱ(anstattȱevtl.ȱ sogarȱpositive)ȱFolgenȱfürȱdieȱMenschenȱhaben,ȱoderȱ(b)ȱKenntnisseȱ darüber,ȱwieȱdieȱMenschenȱbesserȱmitȱBelastungenȱamȱArbeitsplatzȱ umgehenȱ könnten?ȱ Selbstverständlichȱ sindȱ (a)ȱ undȱ (b)ȱ keineȱ sichȱ gegenseitigȱ ausschließendenȱ Anliegen.ȱ Inȱ derȱ Forschungȱ jedochȱ erfordernȱdieȱAnliegenȱverschiedeneȱVorgehensweisen.ȱȱ Dasȱ Anliegenȱ (b)ȱ erscheintȱ zunächstȱ alsȱ dasȱ „psychologischere“.ȱ Hierȱsoll,ȱähnlichȱwieȱinȱderȱpsychologischenȱBeratungȱundȱPsychoȬ therapie,ȱ dieȱ psychologischeȱ Wissenschaftȱ demȱ Menschenȱ dabeiȱ helfen,ȱ mitȱ seinenȱ individuellenȱ Problemenȱ zurechtzukommenȱ durchȱVeränderungȱseinerȱindividuellenȱWahrnehmungȱundȱseinesȱ individuellenȱ Verhaltens.ȱDiesȱ entsprichtȱ denȱ Erwartungenȱ anȱ PsyȬ chologen,ȱ dieȱ manȱ inȱ derȱ Öffentlichkeitȱ außerhalbȱ derȱ psychologiȬ schenȱ Wissenschaftȱ hat:ȱ Psychologenȱ beschäftigenȱ sichȱ eingehendȱ mitȱ denȱ persönlichenȱ Problemenȱ einzelnerȱ Personenȱ undȱ legenȱ ihȬ nenȱErkenntnisseȱzurȱeigenenȱPersönlichkeitȱwieȱauchȱneueȱVerhalȬ tensweisenȱnahe,ȱwobeiȱdieȱPsychologenȱselbstverständlichȱamȱganzȱ individuellenȱCharakterȱeinesȱMenschenȱanzusetzenȱhaben.ȱInȱeinerȱ entsprechendenȱpsychologischenȱForschungȱstehtȱdaherȱimȱVorderȬ grund,ȱwelcheȱEigenschaftenȱMenschenȱhaben,ȱwelcheȱjeȱindividuelȬ lenȱ Problemeȱ ihrȱ Verhaltenȱ undȱ Erlebenȱ aufweisenȱ könntenȱ –ȱ undȱ wieȱ manȱ ggf.ȱ solcheȱ Problemeȱ durchȱ Beratungȱ oderȱ Behandlungȱ mildernȱkann.ȱ Dagegenȱ erscheintȱ Anliegenȱ (a)ȱ aufȱ denȱ erstenȱ Blickȱ geradezuȱ unȬ psychologisch,ȱ technisch.ȱ Hierȱ sollȱ dieȱ psychologischeȱ Forschungȱ Erkenntnisseȱ dazuȱ erzielen,ȱ wieȱ Arbeitstätigkeitenȱ auszusehenȱ haȬ ben,ȱ d.h.ȱ wieȱ dieȱArbeitȱ zuȱ gestaltenȱ ist,ȱ damitȱ sieȱ z.B.ȱ wenigerȱ zuȱ gesundheitlichenȱ Problemenȱ beimȱ arbeitendenȱ Menschenȱ führt.ȱ Diesȱentsprichtȱdemȱ„Arbeitsschutz“,ȱderȱsichȱansonstenȱmitȱDingenȱ wieȱLärmschutzȱundȱRegelungenȱzurȱSicherheitȱtechnischerȱEinrichȬ tungenȱ beschäftigt.ȱ Vonȱ Beratungȱ oderȱ garȱ Therapieȱ einzelnerȱ PerȬ sonenȱ istȱ hierȱ keineȱ Redeȱ mehr.ȱ Undȱ inȱ derȱ Forschungȱ sindȱ nichtȱ Merkmaleȱ vonȱ Personen,ȱ sondernȱ Merkmaleȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ –ȱ ihreȱ technischenȱ undȱ organisatorischenȱ Bedingungenȱ –ȱ derȱ primärȱ interessierendeȱGegenstand.ȱ Dasȱ Anliegenȱ (a)ȱ istȱ vorȱ allemȱ dannȱ vonȱ Bedeutung,ȱ wennȱ esȱ umȱ Arbeitsgestaltungȱ gehenȱ soll.ȱ Inȱ denȱ siebzigerȱ Jahrenȱ wurdenȱ inȱ derȱ Arbeitspsychologieȱ„neueȱFormenȱderȱArbeitsgestaltung“ȱdiskutiertȱ

58ȱ

Bedingungs- und personbezogene Fragestellung

2.3

(vgl.ȱGroskurthȱ&ȱVolpert,ȱ1975;ȱUlich,ȱ1972).ȱUmȱArbeitstätigkeitenȱ menschengerechterȱzuȱgestalten,ȱwurdeȱinsbesondereȱanȱdieȱFormenȱ „jobȱ rotation“,ȱ „jobȱ enlargement“,ȱ „jobȱ enrichment“ȱ undȱ „teilautoȬ nomeȱ Gruppenarbeit“ȱ gedacht.ȱ Damitȱ werdenȱ nichtȱ Merkmaleȱ derȱ arbeitendenȱPersonen,ȱsondernȱ„objektive“ȱMerkmaleȱderȱArbeitstäȬ tigkeitȱ angesprochen.ȱ Wieȱ istȱ eineȱ gegebeneȱArbeitstätigkeitȱ zuȱ beȬ urteilen,ȱ welcheȱ Maßnahmenȱ derȱ Arbeitsgestaltungȱ sindȱ jeweilsȱ angemessenȱ–ȱwelcheȱüberflüssig?ȱEineȱentsprechendeȱAnalyseȱ(UnȬ tersuchung)ȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ orientiertȱ damitȱ primärȱ aufȱ MerkȬ maleȱ derȱArbeitstätigkeitȱ –ȱ undȱ nichtȱ primärȱ aufȱ Merkmaleȱ derȱ jeȬ weiligenȱarbeitendenȱPerson.ȱ Fürȱ dieȱ beidenȱAnliegenȱ (a)ȱ undȱ (b)ȱ wurdenȱ zunächstȱ dieȱ BezeichȬ nungenȱ„objektive“ȱundȱ„subjektiveȱFragestellung“ȱverwendet,ȱnachȱ einigenȱ Diskussionenȱ zuȱ Missverständnissenȱ damitȱ wurdenȱ dieȱ Bezeichnungenȱ (a)ȱ „bedingungsbezogene“ȱ undȱ (b)ȱ „personenbezoȬ geneȱ Fragestellung“ȱ derȱ psychologischenȱ Arbeitsanalyseȱ vorgeȬ schlagenȱ (Oesterreichȱ &ȱ Volpert,ȱ 1987)ȱ undȱ geltenȱ heuteȱ alsȱ allgeȬ meinȱakzeptiertȱ(s.ȱetwaȱDunckel,ȱ1999).ȱȱ Dieȱ(a)ȱbedingungsbezogeneȱFragestellungȱbeziehtȱsichȱdarauf,ȱwieȱdasȱ Arbeitshandelnȱ durchȱ dieȱ betrieblichenȱ Vorgabenȱ fürȱ denȱ ArbeitsȬ platz,ȱ durchȱ seineȱ organisatorischenȱ undȱ technischenȱ Bedingungenȱ geprägtȱist.ȱEsȱwirdȱuntersucht,ȱwelcheȱpsychischenȱProzesseȱgeforȬ dertȱsind,ȱumȱdieȱArbeitsaufgabeȱzuȱerfüllen.ȱIstȱz.B.ȱbeiȱderȱArbeitȱ nurȱ wenigȱ oderȱ aberȱ vielesȱ zuȱ bedenken?ȱ Gibtȱ esȱ Kooperationȱ mitȱ KollegenȱanȱanderenȱArbeitsplätzen?ȱMüssenȱhinderlicheȱUmständeȱ bewältigtȱwerden?ȱStehtȱgenügendȱZeitȱzurȱVerfügung,ȱumȱdieȱArȬ beitȱinȱangemessenemȱTempoȱerledigenȱzuȱkönnen?ȱAntwortenȱaufȱ solcheȱFragenȱgeltenȱnichtȱnurȱfürȱdieȱaktuellȱamȱArbeitsplatzȱtätigeȱ Person,ȱsondernȱpotentiellȱauchȱfürȱKollegen,ȱdieȱzeitweiseȱalsȱVerȬ tretungȱ fungierenȱ oderȱ welcheȱ dieȱ gleicheȱ Tätigkeitȱ anȱ parallelenȱ ArbeitsplätzenȱoderȱinȱanderenȱSchichtenȱausführen.ȱ Dieȱ (b)ȱ personenbezogeneȱ Fragestellungȱ derȱ Arbeitsanalyseȱ dagegenȱ zieltȱ aufȱ individuelleȱ Charakteristikenȱ derȱ arbeitendenȱ Personen.ȱ Hierȱ wirdȱ gefragt,ȱ welcheȱ Einstellungenȱ undȱ Meinungenȱ eineȱ PerȬ sonȱzuȱihrerȱArbeitȱhat,ȱwieȱspeziellȱsieȱ–ȱimȱUnterschiedȱzuȱanderenȱ Personen,ȱ welcheȱ dieȱ gleicheȱArbeitȱ ausführenȱ oderȱ potentiellȱ ausȬ führenȱkönntenȱ–ȱbeiȱderȱArbeitȱvorgeht.ȱObȱsieȱz.B.ȱübergenauȱoderȱ gedankenlosȱvorgeht,ȱobȱsieȱbestimmteȱSchwierigkeitenȱinȱeinemȱihrȱ

59ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

eigenenȱ Stilȱ bewältigt,ȱ sichȱ überȱ Hemmnisseȱ inȱ besondererȱ Weiseȱ ärgertȱ usw.ȱ Auchȱ dieȱ Frageȱ nachȱ erhöhterȱ Leistungsfähigkeit,ȱ z.B.ȱ durchȱ größereȱArbeitserfahrung,ȱ undȱ verminderterȱ LeistungsfähigȬ keit,ȱwieȱz.B.ȱbeiȱBurnout,ȱgehörtȱzurȱpersonenbezogenenȱFragestelȬ lungȱderȱArbeitsanalyse.ȱ

2.3.2

Konstruktlogik im Belastungs- und Beanspruchungskonzept: Belastung „von außen“ und Beanspruchung „im Inneren“

DieȱerläuterteȱUnterscheidungȱvonȱbedingungsȬȱundȱpersonenbezoȬ generȱFragestellungȱhatȱoffensichtlichȱauchȱmitȱderȱUnterscheidungȱ vonȱ KonstruktȬArtenȱ zuȱ tun.ȱ Beiȱ derȱ bedingungsbezogenenȱ FrageȬ stellungȱ gehtȱ esȱ nichtȱ –ȱ wieȱ aberȱ beiȱ derȱ personenbezogenenȱ –ȱ umȱ Konstrukte,ȱdieȱPersonenmerkmaleȱbetreffen.ȱDiesȱwirdȱauchȱdeutȬ lichȱ durchȱ dieȱ Unterscheidungȱ derȱ Begriffeȱ Belastungȱ undȱ BeanȬ spruchungȱ imȱ BelastungsȬBeanspruchungsȬKonzeptȱ (Rohmert,ȱ 1984),ȱ welchesȱ aufȱ Überlegungenȱ zurȱ physischenȱ undȱ physiologischenȱ BelastungȱundȱBeanspruchungȱzurückgeht.ȱȱ Dasȱ BelastungsȬBeanspruchungsȬKonzeptȱ wurdeȱ ursprünglichȱ aufȱ körperlicheȱ Belastungen,ȱ dannȱ aberȱ auchȱ aufȱ psychischeȱ Prozesseȱ bezogen.ȱ Auchȱ wennȱ esȱ hierzuȱ deutlicheȱ Kritikȱ gibtȱ (insbesondereȱ vomȱAutorȱdiesesȱBeitrages,ȱs.ȱOesterreichȱ1999ȱundȱ2001):ȱEineȱUnȬ terscheidungȱ vonȱ einerseitsȱ psychischerȱ Belastung,ȱ gekennzeichnetȱ durchȱ äußere,ȱ quasiȱ „objektive“ȱ Umstände,ȱ undȱ andererseitsȱ psyȬ chischerȱ Beanspruchung,ȱ gekennzeichnetȱ durchȱ quasiȱ „subjektive“ȱ ProzesseȱimȱInnerenȱderȱarbeitendenȱPerson,ȱistȱauchȱsinnvoll,ȱwennȱ esȱimȱInnerenȱderȱarbeitendenȱPersonȱumȱpsychischeȱProzesseȱgeht.ȱ Dieȱ Unterscheidungȱ entsprichtȱ einerȱ etwasȱ anderenȱ Sichtȱ aufȱ dieȱ Unterscheidungȱ vonȱ bedingungsȬȱ undȱ personenbezogenerȱ FrageȬ stellung.ȱ

2.3.3

Bezüge zur Verhältnis- und Verhaltensprävention

Fürȱ dieȱ Unterscheidungȱ vonȱ bedingungsȬȱ undȱ personenbezogenerȱ Fragestellungȱ beiȱ derȱ Untersuchungȱ undȱ Gestaltungȱ vonȱ Arbeitȱ

60ȱ

Bedingungs- und personbezogene Fragestellung

2.3

ergebenȱsichȱdirekteȱBezügeȱzuȱderȱUnterscheidungȱvonȱVerhältnisȬȱ undȱVerhaltenspräventionȱ(z.B.ȱUlich,ȱ2005,ȱS.ȱ529).ȱ Wennȱbekanntȱist,ȱdassȱbestimmteȱArbeitsbedingungenȱmitȱgesundȬ heitlichenȱ Risikenȱ verknüpftȱ sind,ȱ sindȱ Verbesserungenȱ dieserȱ ArȬ beitsbedingungenȱ derȱ Verhältnispräventionȱ zuzurechnen.ȱ Hierȱ werȬ denȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ Arbeitsabläufeȱ mitȱ demȱ Zielȱ veränȬ dert,ȱ schädigendeȱ Bedingungenȱ zuȱ vermindernȱ oderȱ gesundheitsȬ förderlicheȱBedingungenȱzuȱverstärken.ȱȱ Wennȱ bekanntȱ ist,ȱ dassȱ bestimmteȱ dieserȱ Verhaltensweisenȱ mitȱ geȬ sundheitlichenȱ Risikenȱ verknüpftȱ sind,ȱ sindȱ Maßnahmenȱ zurȱ VerȬ änderungȱ derȱ persönlichenȱ Verhaltensweisenȱ derȱ VerhaltensprävenȬ tionȱzuzuordnen.ȱDieseȱVeränderungenȱkönnenȱdurchȱTrainingȱderȱ betreffendenȱ Personȱ zuȱ erzielenȱ versuchtȱ werden,ȱ z.B.ȱ durchȱ EntspannungsȬȱoderȱStressmanagementtraining.ȱȱ

2.3.4

Erhebungsmethodische Konsequenzen

Derȱ erhebungsmethodischeȱ Umgangȱ mitȱ derȱ personenbezogenenȱ Fragestellungȱ istȱ ohneȱ weiteresȱ imȱ Rahmenȱ derȱ inȱ derȱ gesamtenȱ Psychologieȱüblichenȱ Methodikȱ möglich,ȱ dieȱaufȱ dieȱ Untersuchungȱ vonȱPersonenmerkmalenȱzielt.ȱSoȱgehenȱpsychodiagnostischeȱLehrȬ bücherȱinȱderȱRegelȱdavonȱaus,ȱdassȱesȱumȱdieȱMessungȱvonȱ„subȬ jektiven“ȱPersonenmerkmalenȱgeht.ȱ Beiȱ derȱ bedingungsbezogenenȱ Fragestellungȱ dagegenȱ wirdȱ verȬ sucht,ȱ vonȱ Personenmerkmalenȱ zuȱ abstrahierenȱ undȱ stattdessenȱ „objektive“ȱMerkmaleȱdesȱArbeitshandelnsȱsoȱzuȱerfassen,ȱwieȱdieseȱ Merkmaleȱfürȱ alleȱ potentiellȱdiesesȱHandelnȱausführendeȱPersonenȱ geltenȱ (vorausgesetztȱ dieȱ Personenȱ sindȱ fürȱ dieȱ inȱ Frageȱ stehendeȱ Arbeitȱ entsprechendȱ qualifiziertȱ undȱ geübt).ȱ Manȱ kannȱ versuchen,ȱ dieȱMerkmaleȱdesȱArbeitshandelnsȱdurchȱBefragungenȱimȱSinneȱvonȱ „selfȬreports“ȱ zuȱ erheben,ȱ dasȱ bekanntesteȱ Beispielȱ dafürȱ istȱ dieȱ Forschung,ȱdieȱmitȱdemȱNamenȱKarasekȱverbundenȱistȱ(z.B.ȱKarasekȱ &ȱ Theorell,ȱ 1990).ȱ Angemessenerȱ sindȱ Erhebungenȱ durchȱ externeȱ Beobachter,ȱ dieȱ auchȱ Befragungenȱ durchführen,ȱ allerdingsȱ mitȱ derȱ Maßgabe,ȱ beiȱ derȱ Befragungȱ vonȱ individuellenȱ Besonderheitenȱ derȱ befragtenȱ Arbeitspersonenȱ zuȱ abstrahieren.ȱ Alsȱ „BeobachtungsinȬ terview“ȱwirdȱdiesesȱVorgehenȱbezeichnet.ȱAngemesseneȱArtenȱderȱ

61ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

Reliabilitätsprüfungȱ solcherȱ Beobachtungsinterviewsȱ werdenȱ vonȱ OesterreichȱundȱBortzȱ(1994)ȱbeschrieben.ȱ Fürȱ bedingungsbezogeneȱ Untersuchungenȱ wurdeȱ inȱ derȱ deutschȬ sprachigenȱ Arbeitspsychologieȱ eineȱ ganzeȱ Reiheȱ vonȱ ArbeitsanalyȬ seinstrumentenȱentwickelt,ȱvieleȱvonȱihnenȱsindȱbeiȱDunckelȱ(1999)ȱ dargestellt.ȱ

2.4

Erweiterung des Konzepts „Bedingungs- und personbezogene Fragestellung“

Inȱ derȱ deutschsprachigenȱ Arbeitspsychologieȱ sindȱ dieȱ NotwendigȬ keitȱ undȱ dasȱ Anliegenȱ bedingungsbezogenerȱ Arbeitsanalyseȱ weitȬ gehendȱ geläufigȱ undȱ akzeptiert,ȱ damitȱ auchȱ dasȱ Konzeptȱ derȱ GeȬ genüberstellungȱvonȱpersonenbezogenerȱundȱbedingungsbezogenerȱ Fragestellungȱ bzw.ȱ Arbeitsanalyse.ȱ Inzwischenȱ wurdeȱ diesesȱ KonȬ zeptȱ erweitertȱ (Oesterreichȱ &ȱ Resch,ȱ 2004),ȱ umȱ dasȱ Anliegenȱ desȱ Konzepts,ȱ verschiedeneȱ Fragerichtungenȱ undȱ damitȱ verbundeneȱ MethodikenȱinȱderȱArbeitsanalyseȱzuȱunterscheiden,ȱauchȱfürȱsolcheȱ Arbeitstätigkeitenȱfruchtbarȱzuȱmachen,ȱdieȱbeiȱderȱursprünglichenȱ EntwicklungȱdesȱKonzeptsȱnochȱnichtȱimȱFokusȱarbeitsanalytischerȱ Absichtenȱstanden.ȱDieȱErweiterungȱwirdȱhierȱerläutertȱanhandȱderȱ Abbildungȱ1.ȱȱ DerȱersteȱAspektȱderȱErweiterungȱbeziehtȱsichȱaufȱdieȱimȱoberenȱTeilȱ derȱAbbildungȱ stehendenȱ Begriffeȱ „bedingungsgeprägt“ȱ undȱ „perȬ sonengeprägt“.ȱ Sieȱ entsprechenȱ demȱ ursprünglichenȱ Begriffspaarȱ bedingungsȬȱundȱ personenbezogenȱ –ȱ nurȱ dassȱ hierȱnichtȱ mehrȱ vonȱ „Fragestellung“ȱdieȱRedeȱist,ȱsondernȱvomȱArbeitshandeln,ȱdasȱverȬ schiedenenȱ Prägungenȱ unterliegenȱ kann,ȱ hierȱ zunächstȱ Prägungenȱ durchȱ dieȱ technisch/organisatorischenȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ auchȱ Prägungenȱ durchȱ Charakteristikenȱ derȱ arbeitendenȱ Person.ȱ LetztereȱPrägungenȱwerdenȱerstȱdannȱinȱrelevantemȱAusmaßȱanzuȬ treffenȱ sein,ȱ wennȱ dasȱ Arbeitshandelnȱ nichtȱ weitgehendenȱ VorȬ schriftenȱ folgt,ȱ sondernȱ dieȱ arbeitendeȱ Personȱ GestaltungsmöglichȬ keitenȱ hatȱ –ȱ wieȱ z.B.ȱ beiȱ derȱ Arbeitȱ imȱ eigenenȱ Haushaltȱ (Resch,ȱ 2002).ȱȱ

62ȱ

Erweiterung des Konzepts „bedingungs- und personbezogen“

Abbildungȱ1ȱ

VierȱArtenȱderȱPrägungȱdesȱArbeitshandelnsȱ

Bedingungsgeprägt

2.4

Personengeprägt

Arbeitshandeln

Nutzergeprägt

Kollegengeprägt

ȱ

Derȱ zweiteȱ Aspektȱ derȱ Erweiterungȱ betrifftȱ dieȱ Berücksichtigungȱ desȱ Begriffesȱ „nutzergeprägt“ȱ inȱ Abbildungȱ 1.ȱ Wenn,ȱ wieȱ inȱ derȱ klassischenȱ IndustrieȬȱ undȱ Büroarbeit,ȱ dieȱ erarbeitetenȱ Produkteȱ undȱ Informationenȱ erstȱ einigeȱ Zeitȱ nachȱ Abschlussȱ derȱ Arbeitȱ vonȱ anderenȱ Personenȱ genutztȱ werden,ȱ habenȱ individuelleȱ Merkmaleȱ dieserȱNutzerȱkeinenȱdirektenȱEinflussȱaufȱdenȱAblaufȱderȱArbeitstäȬ tigkeit.ȱ Diesȱ istȱ andersȱ beiȱ „personenbezogenenȱ Dienstleistungen“ȱ (dasȱWortȱ„personenbezogen“ȱhatȱhierȱeineȱandereȱBedeutungȱalsȱinȱ derȱVerwendungȱbeiȱ„personenbezogeneȱFragestellung“).ȱBeiȱdieserȱ ArtȱvonȱArbeitstätigkeitȱwirdȱdirektȱmitȱdemȱNutzerȱderȱArbeitȱinȬ teragiert,ȱwieȱz.B.ȱbeiȱärztlichenȱTätigkeiten.ȱIndividuelleȱMerkmaleȱ derȱNutzerȱprägenȱhierȱdasȱArbeitshandelnȱsehrȱdeutlich.ȱ DerȱdritteȱAspektȱderȱErweiterungȱbetrifftȱdenȱEinflussȱindividuellerȱ Merkmaleȱ vonȱArbeitskollegen,ȱ wasȱ inȱAbbildungȱ 1ȱ mitȱ „kollegenȬ geprägt“ȱ gekennzeichnetȱ ist.ȱ Inȱ starkȱ verregeltenȱArbeitstätigkeitenȱ inȱ derȱ Industrieȱ undȱ imȱ Büroȱ sindȱ solcheȱ Einflüsseȱ oftmalsȱ kaumȱ vorhandenȱ (z.B.ȱ wurdeȱ inȱ Untersuchungenȱ mitȱ Hilfeȱ desȱ KABAȬ Leitfadensȱfestgestellt,ȱdassȱesȱanȱca.ȱeinerȱHälfteȱvonȱ119ȱuntersuchȬ tenȱArbeitsplätzenȱ währendȱ derȱArbeitsausführungȱ keineȱ relevanteȱ

63ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

Kommunikationȱgab,ȱvgl.ȱDunckelȱetȱal.,ȱ2007).ȱDiesȱistȱbeiȱArbeitsȬ tätigkeitenȱ wieȱ z.B.ȱ imȱ eigenenȱ Haushaltȱ oderȱ beiȱ personenbezogeȬ nenȱDienstleistungenȱwieȱinȱderȱKlinikȱanders.ȱ Soweitȱ dieȱ hierȱ kurzeȱ Erläuterungȱ derȱ Erweiterungȱ desȱ Konzeptesȱ „bedingungsȬȱundȱpersonenbezogeneȱFragestellungȱderȱArbeitspsyȬ chologie“.ȱAnzumerkenȱist,ȱdassȱdieȱPrägungsartenȱ„nutzergeprägt“ȱ undȱ „kollegengeprägt“ȱ imȱ ursprünglichenȱ Konzeptȱ denȱ ArbeitsbeȬ dingungenȱ zugerechnetȱ waren,ȱ alsoȱ unterȱ „bedingungsbezogen“ȱ firmierten.ȱ Dieȱ Prägungsartenȱ „nutzergeprägt“ȱ undȱ „kollegengeȬ prägt“ȱ undȱ selbstverständlichȱ auchȱ „bedingungsgeprägt“ȱ sindȱ alsoȱ Ausdifferenzierungenȱ desȱ ursprünglichenȱ Aspektesȱ „bedingungsȬ bezogen“.ȱ Demȱ ursprünglichenȱ Aspektȱ „personenbezogen“ȱ entȬ sprichtȱnunȱdieȱPrägungsartȱ„personengeprägt“.ȱ Dieȱ Doppelpfeileȱ symbolisierenȱ reziprokeȱ Beziehungenȱ zwischenȱ denȱPrägungsartenȱundȱdemȱArbeitshandeln.ȱEsȱwirdȱalsoȱnichtȱnurȱ dasȱArbeitshandelnȱgeprägt,ȱsondernȱdasȱArbeitshandelnȱprägtȱauchȱ imȱ Sinneȱ einerȱ Rückwirkungȱ dieȱ arbeitendeȱ Person,ȱ dieȱ BedingunȬ gen,ȱdieȱNutzerȱundȱKollegen.ȱȱ Insgesamtȱ verweistȱ dasȱ Konzeptȱ inȱ Abbildungȱ 1ȱ aufȱ einȱ ForȬ schungsprogrammȱ mitȱ verschiedenenȱ Forschungsfragen.ȱ Kritikerȱ mögenȱhierȱeinwenden,ȱdassȱnochȱweitereȱPfeileȱinȱdieȱAbbildungȱ1ȱ aufgenommenȱ werdenȱ können.ȱ Dasȱ istȱ richtig,ȱ zwischenȱ allenȱ EleȬ mentenȱ derȱ Abbildungȱ lassenȱ sichȱ Pfeileȱ einzeichnen,ȱ dieȱ auchȱ jeȬ weilsȱ sinnvolleȱ Bezügeȱ repräsentierenȱ würden.ȱ DieȱAbbildungȱ sollȱ jedochȱ nichtȱ dieȱ Wirklichkeitȱ vollständigȱ beschreiben,ȱ sondernȱ weȬ sentlicheȱAkzenteȱ setzen,ȱ wasȱ besserȱ gelingt,ȱ wennȱ manȱ zusätzlichȱ möglicheȱAkzenteȱauslässt.ȱ

2.5

Vier Arten der Prägung des Lehrerhandelns

DasȱimȱvorigenȱAbschnittȱerweiterteȱKonzeptȱlässtȱsichȱleichtȱfürȱdasȱ Lehrerhandelnȱspezifizieren.ȱDieȱEigenartenȱvonȱArbeitstätigkeiten,ȱ welcheȱ dieȱ Erweiterungȱ desȱ ursprünglichenȱ Konzeptsȱ derȱ bedinȬ gungsȬȱ undȱ personenbezogenenȱ Fragestellungȱ motiviertȱ haben,ȱ geltenȱeindeutigȱauchȱfürȱdieȱLehrerarbeit:ȱNichtȱnurȱtechnischeȱundȱ

64ȱ

Vier Arten der Prägung des Lehrerhandelns

2.5

organisatorischeȱ Bedingungen,ȱ auchȱ dieȱ individuellenȱ EigenschafȬ tenȱderȱLehrpersonȱprägenȱdasȱLehrerhandeln,ȱundȱesȱgibtȱNutzer,ȱ hierȱ vorȱ allemȱ dieȱ Schülerȱ (auchȱ Elternȱ lassenȱ sichȱ alsȱ zusätzlicheȱ Nutzerȱ auffassen),ȱ mitȱ denenȱ direktȱ interagiertȱ wird,ȱ undȱ dieȱ ZuȬ sammenarbeitȱmitȱKollegen,ȱseienȱesȱLeiter,ȱFachkollegenȱoderȱJahrȬ gangskollegenȱhatȱeinigeȱBedeutung.ȱȱ DasȱsichȱsoȱergebendeȱKonzeptȱistȱinȱAbbildungȱ2ȱveranschaulicht.ȱ Dieȱ vierȱ Blöckeȱ inȱ Abbildungȱ 2ȱ entsprechenȱ grobenȱ CharakterisieȬ rungenȱderȱjeweiligenȱPrägungsarten.ȱJedeȱPrägungsartȱhatȱwiederȬ umȱinȱsichȱverschiedeneȱAspekte,ȱwasȱdurchȱdasȱ„z.B.“ȱinȱdenȱBlöȬ ckenȱangedeutetȱwird.ȱ

Abbildungȱ2ȱ

VierȱArtenȱderȱPrägungȱdesȱLehrerhandelnsȱ Bedingungen der Arbeit Schulische Organisation und Ausstattung

Arbeitende Person Lehrer(in)

z.B. Lehrpläne z.B. Materialien

z.B. Kompetenz z.B. Gesundheit

Lehrer(innen)Handeln z.B. Belastungen

Nutzer(innen) Schüler(innen)

Kolleg(inn)en Leitende und Team-Kollegen

z.B. Verhalten z.B. Kenntnisse

z.B. Weisungen z.B. Unterstützung

ȱ

Nichtȱ mitȱ eingezeichnetȱ sindȱ nochȱ allgemeinereȱ prägendeȱ BedinȬ gungen,ȱ dieȱ esȱ fürȱ jedeȱArtȱ derȱ Prägungȱ gebenȱ kann.ȱ Dieseȱ wärenȱ z.B.ȱ Schulpolitik,ȱ Bildungssystem,ȱ politischeȱ Entscheidungenȱ zurȱ

65ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

Finanzierungȱ vonȱ Schulen,ȱ sozialesȱ Umfeldȱ derȱ Schule,ȱ beruflicheȱ Chancenȱ derȱ Schüler,ȱ nichtȬschulbezogeneȱ Lebensbedingungenȱ desȱ Lehrersȱ undȱ auchȱ derȱ Kollegen.ȱ Dieseȱ nochȱ allgemeinerenȱ BedinȬ gungenȱ könntenȱ überȱundȱ unterȱderȱAbbildungȱ2ȱzusätzlichȱ eingeȬ zeichnetȱwerden.ȱ Manȱbeachte,ȱdassȱdieȱ(psychische)ȱBelastungȱalsȱBeispielȱfürȱeinȱdieȱ Personȱ desȱ Lehrersȱ beeinflussendesȱ (prägendes)ȱ Konstruktȱ einȱ Merkmalȱ desȱ Handelnsȱ ist.ȱ Inȱ demȱ Konzeptȱ wirdȱ angenommen,ȱ dassȱ sichȱ potentiellȱ aufȱ Belastungȱ auswirkendeȱ andereȱ Konstrukte,ȱ z.B.ȱ Lehrpläneȱ oderȱ dasȱ Schülerverhalten,ȱ erstȱ aufȱ demȱ „Umweg“ȱ überȱ dieȱ Prägungȱ desȱ Lehrerhandelnsȱ ihreȱ ggf.ȱ belastendeȱ BedinȬ gungȱ entfaltenȱ können:ȱ Hättenȱ sieȱ keinenȱ Einflussȱ aufȱ bzw.ȱ keineȱ BedeutungȱfürȱdasȱLehrerhandeln,ȱkönntenȱsieȱauchȱkeineȱBelastungȱ erzeugen.ȱWeiteresȱdazuȱimȱnächstenȱAbschnitt.ȱ

2.6

Ein allgemeines Wirkmodell zur Lehrerbelastung und erhebungsmethodische Hinweise

Dasȱ Konzeptȱ derȱ bedingungsȬȱ undȱ personenbezogenenȱ FragestelȬ lungȱwurdeȱerweitertȱzuȱeinemȱKonzeptȱvonȱvierȱArtenȱderȱPrägungȱ desȱ Arbeitshandelns,ȱ welchesȱ hierȱ fürȱ dasȱ Lehrerhandelnȱ spezifiȬ ziertȱ wurde.ȱ Wieȱ solcheȱ Prägungsartenȱ zurȱ psychischenȱ Belastungȱ undȱ derenȱ Folgenȱ inȱ Beziehungȱ gesetztȱ werdenȱ können,ȱ istȱ imȱ linȬ kenȱ Teilȱ derȱ Abbildungȱ 3ȱ veranschaulicht.ȱ Demȱ Grundgedankenȱ nachȱ folgtȱ dieseȱ Artȱ derȱ Darstellungȱ derȱ Veranschaulichungȱ derȱ Hypothesenȱ zurȱ Auswirkungȱ vonȱ Stressȱ imȱ Konzeptȱ „Psychischerȱ StressȱamȱArbeitsplatz“ȱbeiȱGreifȱ(1991).ȱ Dieȱ Prägungsartȱ „Nutzer“ȱ bzw.ȱ „Schüler“ȱ wurdeȱ alsȱ Beispielȱ zumȱ Ausgangspunktȱgenommen,ȱesȱkönntenȱauchȱandereȱPrägungsartenȱ undȱ Kombinationenȱ verschiedenerȱ Prägungsartenȱ sein.ȱ Dieȱ jeweiliȬ geȱPrägungsartȱwirktȱaufȱdasȱLehrerhandeln,ȱimȱBeispielȱderȱAbbilȬ dungȱ3ȱvorȱallemȱimȱUnterricht.ȱDasȱLehrerhandelnȱkannȱdurchȱdieȱ jeweilsȱbetrachteteȱPrägungȱCharakteristikenȱerhalten,ȱdieȱalsȱBelasȬ tungȱ(einerȱbestimmtenȱArt)ȱanzusehenȱsind.ȱDieȱbetrachteteȱArtȱderȱ Belastungȱ führtȱ kurzfristigȱ zurȱ Beanspruchungȱ desȱ Lehrers.ȱ LangȬ

66ȱ

Erhebungsmethodische Hinweise zur Lehrerbelastung

2.6

fristigȱ kannȱ dieȱ Artȱ derȱ Belastungȱ (gemeinsamȱ mitȱ anderenȱ BelasȬ tungsarten)ȱ fürȱ denȱ Lehrerȱ gesundheitlicheȱ Folgenȱ habenȱ undȱ inȱ Burnoutȱresultieren.ȱ DieȱAbbildungȱ3ȱveranschaulichtȱHypothesenȱinȱallgemeinerȱArt.ȱSieȱ unterstellt,ȱ Gegenstandȱ derȱ Untersuchungȱ seiȱ dieȱ Arbeitstätigkeitȱ einesȱLehrersȱeinschließlichȱderȱFolgenȱfürȱdasȱkurzȬȱundȱlangfristiȬ geȱBefindenȱdesȱLehrers.ȱSieȱunterstelltȱmitȱdemȱgewähltenȱBeispiel,ȱ dassȱ Belastungȱ imȱArbeitshandelnȱ entstehtȱ undȱ dassȱ Belastungȱ neȬ gativeȱFolgenȱfürȱdieȱarbeitendeȱPersonȱhat.ȱȱ Inȱ bisherigenȱ Forschungsvorhabenȱ derȱArbeitsȬȱ undȱOrganisationsȬ psychologie,ȱspeziellȱauchȱinȱderȱBurnoutȬForschung,ȱwurdenȱmeistȱ nichtȱ alleȱ Hypothesenȱ derȱ Wirkketteȱ untersucht.ȱ Derȱ häufigsteȱ Fallȱ bestehtȱ darin,ȱ Merkmaleȱ desȱ Arbeitshandelns,ȱ dieȱ alsȱ belastendȱ vermutetȱwerden,ȱzuȱerhebenȱ(leiderȱmeistȱnurȱmitȱFragebogen)ȱundȱ nachȱ langfristigenȱ Folgenȱ imȱ Sinneȱ gesundheitlicherȱ Beschwerdenȱ oderȱ Burnoutȱ zuȱ fragenȱ (ebenfallsȱ meistȱ mitȱ Fragebogen).ȱ EntspreȬ chendeȱHypothesenȱsindȱinȱAbbildungȱ3ȱderȱVerbindungȱderȱBlöckeȱ BȱundȱDȱzuzuordnenȱ(wobeiȱBlockȱCȱübersprungenȱwird).ȱ DieȱUntersuchungȱallerȱinȱAbbildungȱ3ȱsichȱschrittweiseȱergebendenȱ Hypothesenȱ istȱ zumȱ Nachweisȱ vonȱ Belastungsauswirkungenȱ nichtȱ stetsȱ erforderlich.ȱ Soȱ könnteȱ manȱ auchȱ daranȱ denken,ȱ dieȱ AuswirȬ kungȱprägenderȱBedingungenȱimȱerstenȱBlockȱAȱaufȱdasȱlangfristigeȱ BefindenȱimȱletztenȱBlockȱDȱzuȱuntersuchen.ȱ Imȱ rechtenȱ Teilȱ derȱAbbildungȱ 3ȱ sindȱ fürȱ dieȱ imȱ linkenȱ Teilȱ aufgeȬ führtenȱ Konstruktartenȱ Hinweiseȱ zuȱ optimalenȱ ErhebungsmethoȬ denȱeingetragen,ȱdieȱsichȱeigentlichȱvonȱselbstȱverstehen.ȱNatürlichȱ istȱ esȱ auchȱ möglich,ȱ wenigerȱ optimaleȱ Methodenȱ zuȱ verwenden.ȱ Manȱbeachteȱaber:ȱDieȱBefragungȱderȱLehrpersonȱselbstȱistȱnurȱdannȱ optimal,ȱ wennȱ esȱ umȱ Belastungsfolgenȱ gehtȱ oderȱ umȱ dieȱ Prägungȱ desȱLehrerhandelnsȱdurchȱdieȱLehrpersonȱselbst.ȱȱ ȱ

67ȱ

2 Abbildungȱ3ȱ

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

HypothetischeȱWirkketteȱvonȱKonstruktenȱzurȱLehrerbelastungȱ

Wirkkette

Günstigste Erhebungsmethoden Je nach Art der Prägung

A Art der Prägung z.B. ungünstiges Schülerverhalten wie z.B. Störung des Unterrichts

B Belastung im Lehrer(innen)-Handeln z.B. erzwungene Verlängerung der Vermittlung von Unterrichtsinhalten

C kurzfristige Belastungsfolgen für den/die Lehrer(in) (entspricht „Beanspruchung“)

Bedingungen: Urteile externer Experten Arbeitende Person: Befragung der Lehrperson Kollegen: Befragung von Kollegen Nutzer: Befragung von Schülern und Eltern

Unterrichtsbeobachtung Beobachtungsinterview

Befragung der Lehrperson („self-report“)

z.B. Hilflosigkeitsgefühle

D langfristige Belastungsfolgen für den/die Lehrer(in) z.B. gesundheitliche Beschwerden z.B. Burnout

Untersuchung der Gesundheit Befragung des/der Lehrers(in) („self-report“)

ȱ

68ȱ

LeiderȱistȱinȱderȱbisherigenȱForschungȱweitȱverbreitet,ȱdieȱBefragungȱ derȱ Lehrerȱ alsȱ Erhebungsmethodeȱ fürȱ alleȱ Konstruktartenȱ zuȱ verȬ wenden,ȱ ganzȱ offenbarȱ weilȱ sichȱ aufgrundȱ vonȱ Fragebogenȱ großeȱ

Missbrauch der Forschung zur Lehrerbelastung

2.7

Mengenȱ vonȱ quantitativenȱ Untersuchungsergebnissenȱ leichtȱ erzieȬ lenȱ lassen.ȱ Demgegenüberȱ istȱ z.B.ȱ dieȱ Unterrichtsbeobachtungȱ soȱ vielfachȱ aufwändiger,ȱ dassȱ entsprechendeȱ Methodenȱ nurȱ ganzȱ selȬ tenȱanzutreffenȱsindȱ(etwaȱbeiȱUlich,ȱInversiniȱ&ȱWülser,ȱ2002ȱoderȱ Krause,ȱ 2003),ȱ obwohlȱ sieȱ anȱ prominentenȱ Stellenȱ immerȱ wiederȱ gefordertȱwerdenȱ(Rudow,ȱ1995;ȱGuglielmiȱ&ȱTatrow,ȱ1998,ȱLeiterȱ&ȱ Maslach,ȱ1999;ȱs.ȱauchȱobenȱAbschnittȱ1.1).ȱDiesȱistȱbedauerlich,ȱweilȱ aufȱ derȱ Grundlageȱ vonȱ „selfȬreports“ȱ erzielteȱ Ergebnisseȱ zurȱ Lehrerbelastungȱ leichtȱ alsȱ Fehlhaltungenȱ oderȱ Empfindlichkeitenȱ derȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ zuȱ interpretierenȱ sind.ȱ Dazuȱ nochȱ imȱ nächstenȱAbschnitt.ȱ

2.7

Gefahren des Missbrauchs der wissenschaftlichen Forschung zur Lehrerbelastung

Schullehrerinnenȱ undȱ Ȭlehrerȱ sindȱ eineȱ inȱ besonderemȱ Maßeȱ vonȱ Stressȱ betroffeneȱ Berufsgruppe,ȱ mindestensȱ 20%ȱ leidenȱ unterȱ BurȬ nout,ȱdieȱFrühpensionierungsquoteȱistȱvergleichsweiseȱhochȱ(Weber,ȱ Weltleȱ &ȱ Lederer,ȱ 2003).ȱ Andersȱ alsȱ beiȱ fastȱ allenȱ anderenȱ BerufsȬ gruppenȱ istȱ diesȱ eineȱ Gefahrȱ fürȱ alleȱ Familienȱ inȱ unsererȱ GesellȬ schaft,ȱ derenȱ Kinderȱ damitȱ wenigerȱ Chancenȱ haben,ȱ eineȱ guteȱ Schulausbildungȱzuȱerhalten.ȱAufȱdieȱständigȱwachsendenȱProblemeȱ inȱ derȱ Lehrertätigkeitȱ verweistȱ z.ȱ B.ȱ Smylieȱ (1999):ȱ „Teachersȱ faceȱ newȱ challengesȱ andȱ opportunitiesȱ fromȱ increasinglyȱ diverseȱ andȱ needyȱ studentȱ populations.ȱ Demandsȱ onȱ teachersȱ toȱ developȱ newȱ knowledgeȱandȱskillsȱandȱperformȱnewȱtasksȱareȱincreasingȱrapidly.ȱ Soȱ tooȱ areȱ expectationsȱ forȱ schoolȱ andȱ teacherȱ performanceȱ andȱ accountability.ȱ Takenȱ together,ȱ theȱ characteristicsȱ andȱ conditionsȱ ofȱ teachingȱpresentȱincreasinglyȱstressfulȱsituationsȱforȱteachers,ȱsituaȬ tionsȱ thatȱ mayȱ haveȱ positiveȱ orȱ deleteriousȱ consequencesȱ forȱ themȱ andȱforȱtheirȱworkȱwithȱstudents.”ȱ Dieȱ Tatsache,ȱ dassȱ einȱ Prozentsatzȱ vonȱ mindestensȱ 20%ȱ derȱ Lehrerȱ unterȱBurnoutȱleidetȱundȱdassȱdiesȱbeiȱanderenȱBerufenȱweitȱweniȬ gerȱ derȱ Fallȱ ist,ȱ sprichtȱ nichtȱ dafür,ȱ dassȱ jeȱ individuelleȱ PersönlichȬ keitsmerkmaleȱvonȱLehrernȱprimärȱfürȱihrenȱberuflichenȱStressȱbzw.ȱ fürȱ ihrȱ Burnoutȱ verantwortlichȱ sind.ȱ Imȱ Gegenteil,ȱ esȱ müssenȱ dieȱ

69ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

ArbeitsbedingungenȱderȱLehrerȱsein,ȱdieȱüberdiesȱdurchȱdieȱderzeitȱ schwierigenȱ Lebensperspektivenȱ ihrerȱ Schülerȱ immerȱ problematiȬ scherȱwerden.ȱ Angesichtsȱ desȱ derzeitigȱ überallȱ erkennbarenȱ Trends,ȱ organisatoriȬ scheȱ undȱfinanzielleȱ Schwierigkeitenȱ inȱdenȱ Betriebenȱ undȱ öffentliȬ chenȱ Institutionenȱ aufȱ dieȱ abhängigȱ arbeitendenȱ Teileȱ derȱ BevölkeȬ rungȱ abzuwälzenȱ (vgl.ȱ etwaȱ Müller,ȱ 2004),ȱ mussȱ auchȱ dieȱ Gefahrȱ konstatiertȱwerden,ȱdassȱdieȱderzeitȱzuȱbeobachtendeȱPerspektivloȬ sigkeitȱgroßerȱTeileȱderȱJugendlichenȱ–ȱwieȱauchȱdieȱangesichtsȱderȱ PISAȬStudieȱ erforderlichȱ erscheinendeȱ Verbesserungȱ derȱ SchulausȬ bildungȱ–ȱvorwiegendȱinȱanȱdieȱLehrerschaftȱgestellteȱForderungenȱ resultieren,ȱ ohneȱ dassȱ zugleichȱ inȱ denȱ Schulenȱ dieȱ erforderlichenȱ Ressourcenȱbereitgestelltȱwerden.ȱ Besondersȱ inȱ dieserȱ Situationȱ istȱ dieȱ wissenschaftlicheȱ Forschungȱ gefährdet,ȱmissbrauchtȱzuȱwerden.ȱ Dieȱ Verantwortungȱ derȱ Wissenschaftȱ erfordertȱ imȱ Bereichȱ derȱ Lehrerbelastungsforschungȱ klareȱ Aussagenȱ undȱ Belege,ȱ dieȱ sichȱ möglichstȱwenigȱdeutenȱlassenȱalsȱSchuldzuweisungenȱanȱdieȱdurchȱ ihreȱ beruflichenȱ Belastungenȱ betroffenenȱ Lehrer.ȱ Derȱ Missbrauchȱ wirdȱ erleichtert,ȱ wennȱ inȱ derȱ Forschungȱ dieȱ Belastungȱ individualiȬ sierendeȱ Themenȱ überwiegen,ȱ wieȱ z.B.ȱ dieȱ Frageȱ nachȱ VerhaltensȬȱ undȱ Erlebensmusternȱ oderȱ derȱ Wahrnehmungȱ beiȱ Lehrernȱ (vgl.ȱ etwaȱ Schaarschmidtȱ &ȱ Fischer,ȱ 1998,ȱ oderȱ Tiedemannȱ &ȱ BillmannȬ Mahecha,ȱ2002).ȱȱ Auchȱ wennȱ solcheȱ Individualisierungenȱ beruflicherȱ Belastungenȱ durchȱ Hinweiseȱ aufȱ objektiveȱ Hintergründeȱ begleitetȱ werden:ȱ SoȬ langeȱ inȱ denȱ Forschungsaktivitätenȱ nichtȱ ebenȱ dieseȱ Hintergründeȱ sondernȱ dieȱindividuellenȱBesonderheitenȱ derȱ belastetenȱ Lehrerȱ imȱ Vordergrundȱstehen,ȱwerdenȱinȱderȱÖffentlichkeit,ȱinȱderȱPolitikȱundȱ inȱ denȱ zuständigenȱ Verwaltungsorganenȱ dieȱ beruflichenȱ BelastunȬ genȱ vonȱ Lehrernȱ alsȱ individuelleȱ Problemeȱ gesehen,ȱ denenȱ bestenȬ fallsȱdurchȱAusbildungȱinȱEntspannungstechnikenȱu.ȱä.ȱzuȱbegegnenȱ versuchtȱ werdenȱ kann.ȱ Undȱ ganzȱ generellȱ werdenȱ Missbräucheȱ dieserȱArtȱerleichtert,ȱwennȱdieȱüberwiegendenȱTeileȱderȱForschungȱ aufȱ„selfȬreports“ȱderȱBetroffenenȱberuhenȱ(wieȱesȱfürȱdieȱBurnoutȬ ForschungȱvonȱGuglielmiȱundȱTatrow,ȱ1998,ȱkonstatiertȱwurde).ȱWieȱ leichtȱ istȱ esȱ dannȱ außerhalbȱ derȱ Wissenschaft,ȱ dieȱ inȱ selfȬreportsȱ beȬ

70ȱ

Literatur

2.8

richtetenȱ Belastungenȱ undȱ Belastungsursachenȱ derȱ individuellenȱ KlagsamkeitȱderȱBefragtenȱzuzurechnen!ȱȱ Zurȱ Erforschungȱ vonȱ Wirkursachenȱ istȱ esȱ auchȱ inȱ derȱ LehrerbelasȬ tungsforschungȱ sinnvoll,ȱ verstärktȱ Längsschnittuntersuchungenȱ durchzuführen.ȱ Vorȱ allemȱ aberȱ sollteȱ inȱ derȱ Forschungȱ zurȱ LehrerȬ belastungȱ mehrȱ alsȱ bisherȱ versuchtȱ werden,ȱ Konstrukteȱ zuȱ entȬ wickeln,ȱdieȱüberȱdieȱDefinitionȱvonȱPersonenmerkmalenȱhinausgeȬ henȱ undȱ psychischȱ relevanteȱ Merkmaleȱ objektiverȱ Umständeȱ undȱ konkretesȱHandelnȱ–ȱvorȱallemȱimȱUnterrichtȱ–ȱbetreffen.ȱUndȱmehrȱ alsȱ bisherȱ solltenȱ Erhebungsmethodenȱ konzipiertȱ undȱ eingesetztȱ werden,ȱ dieȱ nichtȱ lediglichȱ inȱ Befragungenȱ derȱ vonȱ Belastungȱ beȬ troffenenȱ Lehrer,ȱ d.h.ȱ „selfȬreports“ȱ bestehen.ȱ Diesȱ ist,ȱ wieȱ obenȱ ausgeführt,ȱ nichtȱ nurȱ ausȱ wissenschaftlicherȱ Sichtȱ erforderlich.ȱ Esȱ würdeȱ auchȱ demȱ Missbrauchȱ wissenschaftlicherȱ Ergebnisseȱ zurȱ Lehrerbelastungȱ inȱ öffentlichenȱ Medien,ȱ inȱ derȱ Politikȱ undȱ inȱ denȱ fürȱSchuleȱzuständigenȱInstitutionenȱentgegenwirken.ȱ

2.8

Literatur

Barth,ȱA.ȬR.ȱ(1992).ȱBurnoutȱbeiȱLehrern.ȱGöttingen:ȱHogrefe.ȱ Belcastro,ȱ P.ȱ A.ȱ &ȱ Hays,ȱ L.ȱ C.ȱ (1984).ȱ Ergophilia...ȱ Ergophobia...ȱ Ergo…ȱ Burnout?ȱ Professionalȱ Psychology:ȱ Researchȱ andȱ Practice,ȱ 15,ȱ 260Ȭ270.ȱ Byrne,ȱB.ȱM.ȱ(1999).ȱTheȱnomologicalȱnetworkȱofȱtheacherȱburnoutȱ:ȱ aȱ literaturȱ reviewȱ andȱ empiricallyȱ validatedȱ model.ȱ Inȱ R.ȱ VandenȬ bergheȱ &ȱ A.ȱ M.ȱ Hubermanȱ (Eds.),ȱ Understandingȱ andȱ preventingȱ teacherȱburnout.ȱAȱsourceȱbookȱofȱinternationalȱresearchȱandȱpracticeȱ(pp.ȱ 15Ȭ37).ȱCambridge,ȱUK:ȱCambridgeȱUniversityȱPress.ȱ Dunckel,ȱ H.ȱ (Hrsg.)ȱ (1999).ȱ Handbuchȱ psychologischerȱ Arbeitsanalyse.ȱ Zürich:ȱVerlagȱderȱFachvereine.ȱ Dunckel,ȱ H.ȱ &ȱ Pleiss,ȱ Cȱ (Hrsg.)ȱ (2007).ȱ Kontrastiveȱ Aufgabenanalyse.ȱ Grundlagen,ȱEntwicklungenȱundȱAnwendungserfahrungen.ȱZürich:ȱvdf.ȱ Golembiewski,ȱ R.ȱ T.ȱ &ȱ Munzenrieder,ȱ R.ȱ (1988).ȱ Phasesȱ ofȱ burnout.ȱ Developmentsȱinȱconceptsȱandȱapplications.ȱNewȱYork:ȱPraeger.ȱ

71ȱ

2

Konstrukte und Methoden in der Forschung zur Lehrerbelastung

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74ȱ

Einleitung

3.1

ȱ

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

Kapitel 3

Andreas Krause, Florian Bäuerle und Cosima Dorsemagen

75ȱ

Einleitung

3.1

3.1

Einleitung

Wieȱ auchȱ imȱ vorangegangenenȱ Beitragȱ vonȱ Oesterreichȱ kritisiertȱ wurde,ȱ beschränktȱ sichȱ dieȱ LehrerbelastungsȬȱ undȱ –gesundheitsȬ forschungȱmethodischȱweitgehendȱaufȱSelbstauskünfteȱinȱderȱFormȱ vonȱFragebogen.ȱSoȱwirdȱvonȱführendenȱBurnoutȬForschendenȱwieȱ Maslachȱ (Maslachȱ &ȱ Leiter,ȱ 1999)ȱ gefordert,ȱ verstärktȱ alternativeȱ Erhebungsmethodenȱ zuȱ entwickelnȱ undȱ einzusetzen,ȱ insbesondereȱ fürȱ Unterrichtsbeobachtungen.ȱ Imȱ vorliegendenȱ Beitragȱ sollȱ verȬ deutlichtȱwerden,ȱwelcheȱmethodischenȱMöglichkeitenȱeineȱarbeitsȬ psychologischeȱHerangehensweiseȱfürȱdieȱUntersuchungȱderȱUnterȬ richtstätigkeitȱ vonȱ Lehrkräftenȱ bietet.ȱ Dasȱ handlungstheoretischȱ fundierteȱ Arbeitsanalyseverfahrenȱ RHIAȬUnterrichtȱ istȱ einȱ InstruȬ mentȱ zurȱ Ermittlungȱ vonȱ psychischenȱ Belastungen,ȱ dieȱ aufȱ dieȱ unȬ terrichtendeȱLehrkraftȱ einwirkenȱundȱ sichȱ negativȱ aufȱ derenȱ BefinȬ denȱ auswirken.ȱ Einsatzmöglichkeitenȱ vonȱ RHIAȬUnterrichtȱ inȱ derȱ praktischenȱ Anwendungȱ inȱ Schulentwicklungsprojektenȱ werdenȱ beschrieben.ȱ Erläuterungenȱ zurȱ Qualitätȱ desȱ Verfahrens,ȱ insb.ȱ AnȬ gabenȱ zurȱ Reliabilitätȱ undȱ Validitätȱ findenȱ sichȱ inȱ Krauseȱ (2002,ȱ 2003c,ȱ2004a).ȱȱ Dieȱ Konzentrationȱ aufȱ dieȱ Untersuchungȱ derȱ Unterrichtstätigkeitȱ erscheintȱ sinnvoll,ȱ daȱ esȱ sichȱ umȱ dieȱ Kernaufgabeȱ vonȱ Lehrkräftenȱ handelt.ȱ Ausȱ derȱ Lehrerbelastungsforschungȱ istȱ zudemȱ bekannt,ȱ dassȱ Störungenȱ derȱ LehrerȬSchülerȬInteraktionȱ imȱ Unterrichtȱ –ȱ ausȱ Sichtȱ derȱ Lehrendenȱ –ȱ eineȱ Hauptbelastungsquelleȱ sindȱ (Krauseȱ &ȱ Dorsemagen,ȱ 2007a,ȱ b).ȱ Zukünftigȱ könnteȱ dasȱ methodischeȱ VorgeȬ henȱauchȱaufȱandereȱTätigkeitsbereicheȱvonȱLehrkräftenȱausgeweitetȱ werden.ȱ

3.2

Handlungspsychologische Arbeitsanalyseverfahren aus der RHIA/VERA-Familie

Handlungspsychologischeȱ Arbeitsanalysenȱ basierenȱ u.a.ȱ aufȱ derȱ Annahme,ȱ dassȱ Menschenȱ Zieleȱ alsȱ vorweggenommeneȱ Resultateȱ aktivȱundȱ bewusstȱ verfolgen;ȱ imȱHandelnȱ wirdȱ einerseitsȱeineȱVerȬ

77ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

änderungȱderȱUmweltbedingungenȱerreicht,ȱgleichzeitigȱwirdȱandeȬ rerseitsȱdasȱHandelnȱwesentlichȱdurchȱdieȱUmweltȱ(imȱArbeitskonȬ textȱetwaȱüberȱVorgabenȱundȱAusführungsbedingungen)ȱbestimmt.ȱ AusgangspunktȱderȱArbeitsanalyseȱistȱeineȱKlärungȱderȱAufgabe,ȱdieȱ vonȱ derȱ arbeitendenȱ Personȱ ausgeführtȱ wird.ȱ Welcheȱ Zieleȱ werdenȱ beiȱ derȱArbeitȱ verfolgt?ȱ WelcheȱArbeitschritteȱ dienenȱ derȱ ZielerreiȬ chung?ȱ Mitȱ Bezugȱaufȱ dieȱZieleȱ werdenȱ dieȱpsychischenȱ Prozesseȱderȱ Handlungsregulationȱ beiȱ derȱ Arbeitsausführungȱ untersuchtȱ (z.B.ȱ dieȱ notwendigenȱPlanungsȬȱundȱEntscheidungsprozesse).ȱȱ SpeziellȱdieȱAnalyseȱpsychischerȱBelastungenȱberuhtȱaufȱdemȱBelasȬ tungskonzeptȱ Regulationsbehinderungen,ȱ dasȱ durchȱ folgendeȱ GrundȬ gedankenȱ charakterisiertȱ werdenȱ kann:ȱ Jedeȱ Aufgabenerledigungȱ erfolgtȱ unterȱ bestimmtenȱ technischenȱ wieȱ organisatorischenȱ RahȬ menbedingungen.ȱ Dieseȱ Bedingungenȱ könnenȱ inȱ Widerspruchȱ zurȱ Zielerreichungȱ geratenȱ –ȱ undȱ werdenȱ damitȱ Quelleȱ psychischerȱ Belastungen.ȱ Diesȱ istȱ dannȱ derȱ Fall,ȱ wennȱ beiȱ derȱ Erledigungȱ derȱ AufgabeȱEreignisseȱoderȱZuständeȱauftreten,ȱdieȱdieȱZielerreichungȱ behindern,ȱ ohneȱ dassȱ Ressourcenȱfürȱ einenȱ effektivenȱ Umgangȱ mitȱ denȱEreignissenȱundȱZuständenȱzurȱVerfügungȱstehen.ȱ

„ DieȱeineȱFormȱsolcherȱRegulationsbehinderungenȱsindȱRegulatiȬ onshindernisse.ȱ Diesȱ sindȱ Ereignisse,ȱ dieȱ dasȱ Arbeitshandelnȱ diȬ rektȱbeeinträchtigenȱundȱinȱderenȱFolgeȱZusatzaufwandȱgeleistetȱ werdenȱ muss,ȱ d.h.ȱ esȱ wirdȱ zurȱ Bewältigungȱ derȱ Ereignisseȱ zuȬ sätzlicherȱ Arbeitsaufwandȱ notwendig,ȱ derȱ betrieblicherseitsȱ eiȬ gentlichȱnichtȱvorgesehenȱist.ȱȱ

„ Dieȱ zweiteȱ Formȱ derȱ Regulationsbehinderungenȱ sindȱ RegulaȬ tionsüberforderungen,ȱ dieȱ erstȱ beiȱ längeremȱ Andauernȱ dieȱ menschlicheȱHandlungsfähigkeitȱüberfordernȱ(wieȱz.B.ȱLärm).ȱȱ Dieȱ zurȱ Untersuchungȱ verwendeteȱ Erhebungsmethodeȱ wirdȱ alsȱ Beobachtungsinterviewȱ bezeichnet:ȱ Geschulteȱ Beobachterȱ begleitenȱ denȱArbeitsplatzinhaberȱbeimȱAusführenȱderȱArbeitsaufgabeȱunmitȬ telbarȱamȱArbeitsplatzȱundȱstellenȱanȱgeeignetenȱStellenȱNachfragenȱ hinsichtlichȱ derȱ nichtȬbeobachtbarenȱ Vorgänge.ȱ Dieȱ Untersucherȱ werdenȱdurchȱManualeȱangeleitet,ȱdieȱu.a.ȱLeitfragenȱanȱdenȱUnterȬ sucherȱ vorgeben,ȱ dieȱ dieserȱ nichtȱ direktȱ übernimmt,ȱ sondernȱ inȱ jeweilsȱ angepasster,ȱ verständlicherȱ Spracheȱ imȱ Gesprächȱ mitȱ derȱ arbeitendenȱPersonȱklärt.ȱȱ

78ȱ

Das Verfahren RHIA-Unterricht

3.3

Dieȱ bislangȱ entwickeltenȱ undȱ bewährtenȱ Instrumenteȱ werdenȱ alsȱ RHIA/VERAȬVerfahrenȱ(RHIAȱ=ȱAbkürzungȱfürȱRegulationshinderȬ nisseȱinȱderȱArbeit)ȱbezeichnetȱundȱliegenȱfürȱProduktionsȬȱ(OesterȬ reich,ȱLeitnerȱ&ȱResch,ȱ2000)ȱundȱVerwaltungstätigkeitenȱ(Leitnerȱetȱ al.,ȱ1993)ȱsowieȱspeziellȱfürȱdenȱNahverkehrȱ(z.B.ȱBusfahrer;ȱGreinerȱ etȱ al.,ȱ 1997)ȱ vor.ȱ Einȱ weiteresȱ zuȱ dieserȱ Verfahrensfamilieȱ gehörenȬ desȱInstrumentȱistȱdasȱfürȱBüroarbeitȱkonzipierteȱKABAȱ(Dunckelȱ&ȱ Pleiss,ȱ2007).ȱ Dasȱ bestehendeȱ Belastungskonzeptȱ derȱ Regulationsbehinderungenȱ wurdeȱ fürȱ dieȱ Unterrichtstätigkeitȱ weiterentwickelt,ȱ dazuȱ inȱ denȱ folgendenȱAbschnitten.ȱ

3.3

Das Verfahren RHIA-Unterricht

Beiȱ derȱ Weiterentwicklungȱ desȱ Belastungskonzeptesȱ derȱ RegulaȬ tionsbehinderungenȱwarȱfürȱdasȱUntersuchungsfeldȱ„UnterrichtstäȬ tigkeit“ȱinsbesondereȱzuȱklären:ȱ

„ WasȱistȱdieȱAufgabeȱeinerȱLehrkraftȱimȱUnterricht?ȱ „ Welcheȱ Regulationshindernisseȱ undȱ Ȭüberforderungenȱ sindȱ zuȱ berücksichtigen?ȱ

„ Wieȱ könnenȱ Untersucherȱ angeleitetȱ werden,ȱ dieseȱ RegulationsȬ hindernisseȱundȱ–überforderungenȱzuȱbestimmen?ȱ Imȱ folgendenȱ Abschnittȱ werdenȱ dieȱ Antwortenȱ aufȱ dieseȱ Fragenȱ umrissenȱ(ausführlicherȱbeiȱKrause,ȱ2002).ȱ

3.3.1

Die Aufgabe der Lehrkraft im Unterricht

DieȱUnterrichtstätigkeitȱerfordertȱeineȱgegenüberȱProduktionsȬȱbzw.ȱ Verwaltungstätigkeitenȱ andereȱ Handlungsregulation.ȱ Zurȱ ÜbertraȬ gungȱdesȱRHIAȬBelastungskonzeptsȱaufȱdieȱUnterrichtstätigkeitȱvonȱ Lehrkräftenȱ warenȱ einigeȱ konzeptionelleȱ Erweiterungenȱ erforderȬ lich.ȱ Währendȱ Arbeitsaufgabenȱ beiȱ Produktionstätigkeitenȱ inȱ derȱ zielgerichtetenȱVeränderungȱmateriellerȱGegebenheitenȱ(z.B.ȱumȱeinȱ Autoȱ zuȱ montieren)ȱ undȱ beiȱ Verwaltungstätigkeitenȱ inȱ derȱ zielgeȬ

79ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

richtetenȱ Veränderungȱ vonȱ Informationenȱ (z.B.ȱ dasȱ Bearbeitenȱ undȱ WeiterleitenȱvonȱFormularen)ȱbestehen,ȱistȱdasȱUnterrichtenȱaufȱdenȱ Wissenszuwachsȱ imȱ Schülerȱ ausgerichtet.ȱ Dieȱ Unterrichtstätigkeitȱ vonȱ Lehrkräftenȱ zieltȱ alsoȱ aufȱ eineȱ Veränderungȱ immateriellerȱ GeȬ gebenheitenȱimȱSchüler.ȱDieȱVeränderungȱinȱdenȱSchülernȱkannȱdieȱ Lehrkraftȱnichtȱunmittelbarȱbeeinflussen;ȱlernenȱmüssenȱdieȱSchüler.ȱȱ DieȱAufgabeȱderȱLehrkraftȱbestehtȱinȱderȱBereitstellungȱvonȱLernȬ situationenȱimȱUnterricht,ȱinȱdenenȱdieȱSchülerȱhinzulernenȱkönȬ nen.ȱ Dieȱ Lehrkraftȱ hatȱ denȱ Wissensstandȱ undȱ dieȱ unterschiedlichenȱ BeȬ dürfnisseȱ derȱ Schülerȱ beiȱ derȱ Planungȱ ihresȱ Unterrichtsȱ zuȱ berückȬ sichtigenȱundȱmussȱauchȱwährendȱderȱUnterrichtsdurchführungȱinȱ derȱ Lageȱ sein,ȱ flexibelȱ aufȱ unterschiedlicheȱ Schülerbedürfnisseȱ einȬ zugehen.ȱDamitȱUnterrichtȱgelingt,ȱistȱesȱnotwendig,ȱdassȱdieȱSchüȬ lerȱ ihreȱ Zielstellungenȱ aufȱ diejenigenȱ derȱ Lehrkraftȱ ausrichten.ȱ Dieȱ Arbeitstätigkeitȱ derȱ Lehrkraftȱ imȱ Unterrichtȱ vollziehtȱ sichȱ alsoȱ aufȱ derȱ Grundlageȱ einesȱ kooperativenȱ Prozessesȱ zwischenȱ Lehrkraftȱ undȱSchüler.ȱȱ Dieȱ arbeitspsychologischeȱ Bestimmungȱ derȱ Unterrichtstätigkeitȱ alsȱ kooperativerȱ bzw.ȱ alsȱ dialogischȬerzeugenderȱ Prozessȱ (vgl.ȱ Resch,ȱ 1991)ȱ schafftȱ dieȱ Grundlageȱ fürȱ eineȱ theoriegeleiteteȱ Entwicklungȱ derȱBelastungskategorien,ȱdieȱimȱFolgendenȱvorgestelltȱwerden.ȱ

3.3.2

Die Systematik des Verfahrens RHIAUnterricht

MitȱdemȱVerfahrenȱRHIAȬUnterrichtȱwirdȱzunächstȱdieȱStrukturȱderȱ Unterrichtstätigkeitȱinȱ Formȱ vonȱ Unterrichtsanteilenȱ erfasstȱ (z.B.ȱ derȱ zeitlicheȱ Anteil,ȱ derȱ fürȱ dieȱ Verfolgungȱ fachlicherȱ oderȱ überfachliȬ cherȱ Zieleȱ verwendetȱ wird).ȱAnschließendȱ werdenȱ dieȱ aufgabenbeȬ zogenenȱ Belastungsquellenȱ Regulationshindernisseȱ undȱ RegulationsȬ überforderungenȱbetrachtetȱ(vgl.ȱAbbildungȱ1).ȱ

80ȱ

Das Verfahren RHIA-Unterricht

3.3 Abbildungȱ1ȱ

SystematikȱdesȱVerfahrensȱRHIAȬUnterrichtȱ Regulationsbehinderungen Unterrichtsanteile Regulationshindernisse

Regulationsüberforderungen

x

Fachliche Ziele

x

Divergierende Zielstellungen

x

Lautstärke/ Lärmpegel

x

Überfachliche Ziele

x

Geringe Nutzerkompetenz

x

x

Lernbedingungen schaffen

x

Zeitlich konfligierende Zielstellungen

zu wenig Möglichkeit zum Abwenden

x

Administratives

x

Fremdeinfluss

x

Sonstiges

Unterrichtsstruktur

Unmittelbare Behinderungen der Zielverfolgung im Unterricht

Auf Dauer überfordernde Bedingungen

ȱ

3.3.2.1

Unterrichtsanteile

DieȱStrukturȱdesȱUnterrichtsȱwirdȱüberȱverschiedeneȱUnterrichtsanȬ teileȱ erfasstȱ (z.B.ȱ fachlicherȱ Unterrichtȱ oderȱ Administratives).ȱ Dieȱ Zuordnungȱ einerȱ Unterrichtssequenzȱ zuȱ einemȱ bestimmtenȱ UnterȬ richtsanteilȱ erfolgtȱ aufȱ derȱ Grundlageȱ derȱ jeweiligenȱ Zielstellung,ȱ welcheȱdieȱLehrkraftȱinȱderȱKlasseȱverfolgt.ȱDasȱVerfolgenȱfachlicherȱ undȱüberfachlicherȱZieleȱentsprichtȱderȱDurchführungȱvonȱeffektivemȱ Unterricht,ȱ dennȱ nurȱ inȱ diesenȱ beidenȱ Unterkategorienȱ werdenȱ Lernsituationenȱ angebotenȱ undȱ kannȱ aktivesȱ Lernenȱ durchȱ dieȱ Schülerȱ stattfinden.ȱ Währendȱ sichȱ dieȱ Verfolgungȱ fachlicherȱ Zieleȱ aufȱ dasȱ Vermittelnȱ vonȱ Wissensinhaltenȱ bezieht,ȱ wirdȱ beimȱ überȬ fachlichenȱ Unterrichtȱ dieȱ Entwicklungȱ vonȱ SozialȬȱ undȱ MethodenȬ kompetenzenȱ explizitȱ thematisiertȱ undȱ fachlicheȱ Inhalteȱ rückenȱ inȱ denȱ Hintergrund.ȱ Dasȱ Lernbedingungenȱ schaffenȱ dientȱ derȱ VorbereiȬ tungȱ desȱ Fachunterrichtsȱ (z.B.ȱAufbauȱ einesȱ physikalischenȱExperiȬ mentes);ȱderȱBezugȱzuȱdaraufȱaufbauendenȱLernprozessenȱistȱgegeȬ ben.ȱ Beiȱ Unterrichtsabschnitten,ȱ inȱ denenȱ administrativeȱ Tätigkeitenȱ ausgeübtȱ werden,ȱ istȱ derȱ Bezugȱ zuȱ Lernprozessenȱ imȱ Unterrichtȱ hingegenȱ nichtȱ vorhandenȱ (z.B.ȱ Einsammelnȱ vonȱ Geldȱ fürȱ einenȱ Schulausflug).ȱȱ

81ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

InȱderȱRegelȱsindȱdieȱZielstellungenȱderȱLehrkraftȱwährendȱdesȱgeȬ samtenȱUnterrichtsȱeindeutigȱzuȱidentifizieren.ȱInȱwenigenȱFällenȱistȱ eineȱ Nachbefragungȱ derȱ Lehrkraftȱ erforderlich.ȱ Dieȱ Ermittlungȱ derȱ Unterrichtsanteileȱ dientȱ denȱ Untersuchernȱ zurȱ Orientierungȱ überȱ dieȱ Unterrichtsstundeȱ undȱ erlaubtȱ eineȱ Beschreibungȱ desȱ UnterȬ richtsverlaufs.ȱȱ 3.3.2.2

Regulationshindernisse

Beiȱ derȱ Belastungsanalyseȱ wirdȱ auchȱ inȱ demȱ Verfahrenȱ RHIAȬ Unterrichtȱ –ȱ entsprechendȱ demȱ handlungstheoretischenȱ Konzeptȱ derȱ Regulationsbehinderungenȱ (vgl.ȱ Abschnittȱ 3.2)ȱ –ȱ zwischenȱ ReȬ gulationshindernissenȱ (überwiegendȱ Reaktionenȱ aufȱ störendesȱ Schülerverhalten)ȱ undȱ Regulationsüberforderungenȱ (hierȱ insbesonȬ dereȱdieȱLautstärkeȱimȱKlassenzimmer)ȱunterschieden.ȱȱ AlsȱRegulationshindernisseȱwerdenȱauffälligeȱEreignisseȱwährendȱderȱ Unterrichtsstundeȱ erfasst,ȱ dieȱ beiȱ derȱ Lehrkraftȱ zuȱ zusätzlichenȱ Handlungenȱ führen.ȱ Dieseȱ zusätzlichenȱ Handlungenȱ wärenȱ nichtȱ erforderlich,ȱwennȱdasȱstörendeȱEreignisȱausgebliebenȱwäre.ȱZudemȱ weisenȱ dieseȱ Handlungenȱ keinenȱ unmittelbarenȱ pädagogischenȱ Nutzenȱ auf.ȱ Dieȱ zeitlicheȱ Dauerȱ dieserȱ zusätzlichenȱ Handlungenȱ wirdȱalsȱZusatzaufwandȱbezeichnetȱundȱinȱSekundenȱbzw.ȱMinutenȱ angegeben.ȱ Dieȱ Regulationshindernisseȱ sowieȱ derȱ Zusatzaufwandȱ geltenȱalsȱIndikatorenȱfürȱdasȱAusmaßȱpsychischerȱBelastungenȱfürȱ dieȱLehrkraftȱinȱderȱbeobachtetenȱUnterrichtsstunde.ȱȱ Unterteiltȱ sindȱ dieȱ Regulationshindernisseȱ inȱ vierȱ Arten,ȱ dieȱ vierȱ typischenȱKonstellationenȱentsprechen:ȱȱ

„ divergierendeȱZielstellungenȱ(zwischenȱLehrkraftȱundȱSchüler),ȱ „ geringeȱNutzerkompetenzȱ(imȱSinneȱvonȱfehlendenȱSchülerkomȬ petenzen),ȱ

„ zeitlichȱkonfligierendeȱZielstellungen,ȱ „ Fremdeinflussȱ (durchȱ Umständeȱ außerhalbȱ desȱ KlassenzimȬ mers).ȱȱ

82ȱ

Besondersȱ häufigȱ trittȱ imȱ Unterrichtȱ Schülerverhaltenȱ auf,ȱ dasȱ mitȱ denȱ Zielstellungenȱ derȱ Lehrkraftȱ nichtȱ übereinstimmt,ȱ wasȱ derȱ Konstellationȱ divergierendeȱ Zielstellungȱ entspricht,ȱ z.B.ȱ lautstarkeȱ Nebengespräche.ȱ Inȱ derȱ Konstellationȱ geringeȱ Nutzerkompetenzȱ sindȱ

Das Verfahren RHIA-Unterricht

3.3

dieȱSchülerȱzwarȱdurchausȱzurȱMitarbeitȱbereit,ȱihnenȱfehlenȱjedochȱ dieȱ notwendigenȱ Wissensbeständeȱ zurȱ aktivenȱ undȱ effektivenȱ MitȬ arbeitȱ (z.B.ȱ fehlendeȱ Sprachkenntnisse).ȱ Dieȱ Konstellationȱ zeitlichȱ konfligierendeȱ Zielstellungenȱ istȱ dadurchȱ gekennzeichnet,ȱ dassȱ dieȱ LehrkraftȱmehrereȱsinnvolleȱZieleȱimȱUnterrichtȱgleichzeitigȱverfolȬ genȱ müssteȱ undȱ diesȱ nichtȱ möglichȱ ist.ȱ Diesȱ kannȱ sichȱ ergeben,ȱ wennȱsichȱmehrereȱSchülerȱbeiȱeinerȱGruppenarbeitȱgleichzeitigȱmitȱ FragenȱanȱdieȱLehrkraftȱwenden.ȱBisweilenȱhandeltȱesȱsichȱbeiȱzeitȬ lichȱkonfligierendenȱZielstellungenȱumȱ„pädagogischeȱProblemsituȬ ationen“,ȱ beiȱ denenȱ dieȱ Intentionȱ derȱ Lehrkraftȱ geradeȱ nichtȱ darinȱ besteht,ȱ dasȱHindernisȱ möglichstȱ schnellȱausȱ demȱ Wegȱ zuȱ räumen.ȱ DieȱLehrpersonȱnimmtȱimȱGegenteilȱdasȱHindernisȱ(z.B.ȱeineȱSchläȬ gereiȱ imȱ Pausenhof)ȱ alsȱ Anlass,ȱ vonȱ ihremȱ ursprünglichenȱ UnterȬ richtszielȱabzuweichen,ȱumȱbeispielsweiseȱdenȱUmgangȱderȱSchülerȱ miteinanderȱ zuȱ thematisieren.ȱ Dieȱ Konstellationȱ Fremdeinflussȱ giltȱ beiȱStörungenȱdesȱKlassengeschehensȱdurchȱäußereȱUmständeȱ(z.B.ȱ UmbauarbeitenȱinȱderȱSchule).ȱ 3.3.2.3

Regulationsüberforderungen

Zumȱ Bestimmenȱ vonȱ Regulationsüberforderungenȱ wirdȱ erstensȱ dieȱ Lautstärkeȱeingestuft.ȱZweitensȱwerdenȱggf.ȱzuȱgeringeȱMöglichkeitenȱ zumȱAbwendenȱerfasst.ȱȱ Schülerlärmȱ istȱ fürȱ Lehrkräfteȱ eineȱ bedeutsameȱ Fehlbelastungȱ (z.B.ȱ Schönwälder,ȱ Berndt,ȱ Ströverȱ &ȱ Tiesler,ȱ 2004).ȱ RHIAȬUnterrichtȱ verzichtetȱ zurȱ Verringerungȱ desȱAufwandsȱ beiȱ derȱ Datenerhebungȱ aufȱ eineȱ physikalischeȱ Messungȱ derȱ Lautstärkeȱ imȱ Klassenzimmer.ȱ AuchȱüberȱeinȱBeobachtungsverfahrenȱkannȱdieȱLautstärkeȱsinnvollȱ erfasstȱ werden,ȱ daȱ Unterrichtenȱ aufȱ derȱ kommunikativenȱ VerstänȬ digungȱ zwischenȱ Lehrkraftȱ undȱ Schülernȱ beruht.ȱ Beiȱ RHIAȬ Unterrichtȱ wirdȱ zwischenȱ Nutzschallȱ undȱ störendenȱ Geräuschenȱ unterschieden,ȱd.h.ȱesȱwirdȱeineȱpsychologischeȱundȱkeineȱphysikaȬ lischeȱBewertungȱderȱLautstärkeȱimȱKlassenzimmerȱvorgenommen.ȱ DassȱesȱimȱUnterrichtȱvölligȱstillȱist,ȱkannȱz.B.ȱwährendȱStillarbeitsȬ phasenȱderȱFallȱsein.ȱVonȱNutzschallȱwirdȱdannȱausgegangen,ȱwennȱ entwederȱ dieȱ Lehrpersonȱ oderȱ einȱ Schülerȱ sprichtȱ undȱ derȱ GeȬ sprächsinhaltȱ derȱ direktenȱ unterrichtsbezogenenȱ Kommunikationȱ imȱKlassenzimmerȱdient.ȱBeides,ȱalsoȱsowohlȱStilleȱalsȱauchȱdieȱdiȬ rekteȱInteraktionȱwerdenȱalsȱStille/ȱArbeitsatmosphäreȱeingeordnet.ȱInȱ

83ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

diesemȱFallȱliegtȱkeineȱBelastungȱimȱSinneȱeinerȱRegulationsüberforȬ derungȱvor.ȱDagegenȱwirdȱalles,ȱwasȱnichtȱdemȱdirektenȱInformatiȬ onsaustauschȱ mitȱ derȱ Lehrkraftȱ dient,ȱ alsȱ störendesȱ Geräuschȱ koȬ diert.ȱ Unterschiedenȱ wird,ȱ obȱ dieȱ störendenȱ Geräuscheȱ durchȱ dieȱ Schülerȱ verursachtȱ werdenȱ (mitȱ denȱ Abstufungenȱ Geräuschteppichȱ undȱLaut)ȱoderȱvonȱaußerhalbȱdesȱKlassenzimmersȱstammenȱ(NichtȬ Schülerlärm).ȱȱ Dieȱ zweiteȱ Regulationsüberforderungȱ betrifftȱ zuȱ geringeȱ MöglichkeiȬ tenȱzumȱAbwenden.ȱImȱRahmenȱeinerȱUnterrichtsstundeȱmüssenȱsichȱ Lehrkräfteȱ häufigȱ fortwährendȱ aufȱ dieȱ ablaufendenȱ Prozesseȱ imȱ Unterrichtȱ konzentrieren.ȱ Wennȱ manȱ sichȱ währendȱ derȱ gesamtenȱ Unterrichtszeitȱ nichtȱ abwendenȱ kann,ȱ sondernȱ ständigȱ aufȱ dasȱ GeȬ schehenȱeinwirktȱoderȱreagiert,ȱsoȱistȱnachȱeinemȱlängerenȱZeitraumȱ (überȱmehrereȱUnterrichtsstunden)ȱmitȱeinemȱNachlassenȱderȱKonȬ zentrationsfähigkeitȱundȱdamitȱeinerȱEinschränkungȱderȱLeistungsȬ fähigkeitȱzuȱrechnen.ȱDasȱVorliegenȱeinerȱsolchenȱRegulationsüberȬ forderungȱ lässtȱ sichȱ überȱ fehlendeȱ Möglichkeitenȱ zumȱ Abwendenȱ beobachtenȱundȱerheben.ȱDieȱentlastendeȱMöglichkeitȱzumȱAbwenȬ denȱistȱbeispielsweiseȱgegeben,ȱwennȱwährendȱeinerȱStillarbeitȱperȬ sönlicheȱEintragungenȱinȱeinemȱHeftȱvorgenommenȱwerden,ȱdieȱderȱ Lehrpersonȱ alsȱ Erinnerungsstützeȱ beiȱ Bewertungenȱ undȱ ElterngeȬ sprächenȱdienen.ȱȱ

3.3.3

Das Vorgehen bei der Untersuchung und die videogestützte Auswertung

DieȱAnwendungȱ vonȱ RHIAȬUnterrichtȱ basiertȱ aufȱ einemȱ ausführliȬ chenȱUntersuchermanual,ȱdasȱBeobachterȱanleitet,ȱpsychischeȱBelasȬ tungenȱ fürȱ Lehrkräfteȱ imȱ Unterrichtȱ zuȱ identifizierenȱ undȱ entspreȬ chendȱ arbeitswissenschaftlichȱ fundierteȱ Urteileȱ treffenȱ zuȱ können.ȱ Seinȱ Gebrauchȱ setztȱ eineȱ Einarbeitungȱ derȱ Untersucherȱ inȱ dasȱ VerȬ fahrenȱ voraus.ȱ Dasȱ Studiumȱ desȱ Manualsȱ mussȱ ergänztȱ werdenȱ durchȱ einȱ Trainingȱ sowieȱ durchȱ supervidierteȱ Probeanalysen.ȱ Mitȱ einemȱ zweitägigenȱ Trainingskonzept,ȱ welchesȱ nebenȱ ausführlichenȱ InformationenȱzumȱVerfahrenȱsowieȱzurȱeingesetztenȱAuswertungsȬ softwareȱ insbesondereȱ auchȱ Videomitschnitteȱ vonȱ UnterrichtsstunȬ denȱ zumȱ eigenständigenȱ Kodierenȱ vorsieht,ȱ habenȱ wirȱ guteȱ ErfahȬ

84ȱ

Das Verfahren RHIA-Unterricht

3.3

rungenȱ gemacht.ȱ Einȱ multimediagestütztesȱ Trainingȱ inȱ RHIAȬ UnterrichtȱzumȱSelbststudiumȱistȱaktuellȱinȱVorbereitung.ȱ EineȱBelastungsanalyseȱunmittelbarȱwährendȱdesȱUnterrichtsȱwürdeȱ Untersucherȱ überfordern,ȱ sofernȱ mehrereȱ Bewertungsdimensionenȱ desȱVerfahrensȱRHIAȬUnterrichtȱ berücksichtigtȱ werdenȱ sollen.ȱ EntȬ sprechendȱistȱeineȱvideogestützteȱAuswertungȱzuȱempfehlen.ȱ DasȱAufzeichnenȱderȱUnterrichtsstundenȱerfolgtȱmitȱzweiȱVideokaȬ meras.ȱ Eineȱ Kameraȱ richtetȱ sichȱ beständigȱ aufȱ dieȱ unterrichtendeȱ Lehrkraft.ȱDieȱzweiteȱKameraȱerfasstȱmitȱeinemȱWeitwinkelobjektivȱ möglichstȱdasȱgesamteȱKlassengeschehen.ȱDurchȱdasȱanschließendeȱ Zusammenfügenȱ beiderȱ Kameraperspektivenȱ kannȱ imȱ Nachhineinȱ dasȱ gesamteȱ Interaktionsgeschehenȱ imȱ Klassenzimmerȱ beobachtetȱ werden.ȱ Esȱ hatȱ sichȱ bewährt,ȱ dieȱ Videomitschnitteȱ digitalȱ aufzubeȬ reitenȱoderȱgleichȱdigitalȱaufzuzeichnen.ȱMitȱeinemȱentsprechendenȱ technischenȱEquipmentȱ(Mischpultȱbzw.ȱSchnittgerät)ȱistȱesȱmöglich,ȱ einenȱUnterrichtsmitschnittȱmitȱbeidenȱKameraperspektivenȱbereitsȱ unmittelbarȱ währendȱ derȱ Unterrichtsstundeȱ zuȱ erstellen.ȱ Fürȱ denȱ KaufȱderȱtechnischenȱAusrüstungȱsindȱderzeitȱca.ȱ8000ȱEuroȱzuȱverȬ anschlagen.ȱȱ Dieȱ Unterrichtsanalyse,ȱ alsoȱ dieȱ Auswertungȱ derȱ UnterrichtsmitȬ schnitte,ȱistȱsoftwaregestützt.ȱEsȱkönnenȱverschiedeneȱSoftwareproȬ grammeȱeingesetztȱwerden,ȱdieȱpreiswertȱ(z.B.ȱVideograph)ȱbisȱverȬ gleichsweiseȱ teuerȱ (z.B.ȱ Interact)ȱ sind.ȱ Inȱ derȱ jeweiligenȱ Softwareȱ könnenȱ dieȱ gewünschtenȱ Kategorienȱ desȱ Verfahrensȱ RHIAȬ Unterrichtȱdefiniertȱwerden.ȱȱ Dieȱ Analyseȱ einerȱ Unterrichtsstundeȱ hatȱ unabhängigȱ vonȱ derȱ ausȬ gewähltenȱ Softwareȱ stetsȱ folgendenȱAblauf.ȱ Zurȱ einführendenȱ OriȬ entierungȱerhaltenȱdieȱUntersucherȱeineȱkurzeȱschriftlicheȱInformaȬ tionȱseitensȱderȱLehrkraftȱüberȱdenȱgeplantenȱAblaufȱderȱUnterrichtsȬ stunde.ȱ Diesȱ beinhaltetȱ meistȱ vierȱ bisȱ sechsȱ Unterrichtsschritte,ȱ welcheȱ dieȱ geplanteȱ Stundeȱ grobȱ strukturieren.ȱ Fürȱ dieȱ kompletteȱ RHIAȬAnalyseȱ istȱ dieȱ Unterrichtsstundeȱ vomȱ Untersucherȱ viermalȱ zuȱ betrachten,ȱ d.h.ȱ esȱ ergibtȱ sichȱ einȱ verhältnismäßigȱ hoherȱ ZeitȬ aufwandȱvonȱmindestensȱvierȱZeitstundenȱfürȱdieȱAnalyseȱeinerȱ45Ȭ minütigenȱ Unterrichtsstunde.ȱ Beiȱ besondersȱ belastungsreichenȱ UnȬ terrichtsstundenȱ kannȱ derȱ Aufwandȱ auchȱ etwaȱ achtȱ Zeitstundenȱ betragen.ȱ Umȱ sichȱ nebenȱ demȱ geplantenȱ Unterrichtsablaufȱ einenȱ ÜberblickȱüberȱdieȱUnterrichtsstundeȱzuȱverschaffen,ȱwirdȱdieseȱinȱ

85ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

einemȱ erstenȱ Durchgangȱ idealerweiseȱ nurȱ betrachtet,ȱ nochȱ ohneȱ Urteileȱ abzugeben.ȱ Inȱ einemȱ zweitenȱ Schrittȱ werdenȱ dieȱ UnterȬ richtsanteileȱ zugeordnetȱ (Unterrichtsstruktur):ȱ Nebenȱ derȱ MarkieȬ rungȱ derȱ Zeitabschnitteȱ werdenȱ dieȱ einzelnenȱ Unterrichtsphasenȱ inhaltlichȱ kurzȱ beschrieben.ȱ Imȱ drittenȱ undȱ zeitlichȱ aufwändigstenȱ AnalyseschrittȱwerdenȱstörendeȱEreignisseȱimȱUnterrichtsflussȱidenȬ tifiziertȱ (Regulationshindernisse;ȱ „eventȬsampling“).ȱ Kodiertȱ wirdȱ dieȱZeitspanneȱdesȱZusatzaufwandes,ȱd.h.ȱBeginnȱundȱEndeȱderȱaufȱ einȱ störendesȱ Unterrichtsereignisȱ erfolgtenȱ Reaktionȱ derȱ Lehrkraftȱ werdenȱbestimmt.ȱErgänzendȱzuȱdieserȱQuantifizierungȱdesȱZusatzȬ aufwandesȱalsȱIndikatorȱfürȱdieȱpsychischeȱBelastungȱfürȱdieȱLehrȬ kraftȱ werdenȱ dasȱRegulationshindernisȱundȱ dieȱReaktionȱ derȱLehrȬ kraftȱqualitativȱbeschrieben.ȱImȱviertenȱDurchgangȱwirdȱschließlichȱ alleȱ10ȱSekundenȱdieȱLautstärkeȱeingestuftȱ(„timeȬsampling“).ȱParalȬ lelȱdazuȱwirdȱfestgestellt,ȱinwieweitȱMöglichkeitenȱzumȱAbwendenȱ auftreten.ȱȱ Wieȱ gesagtȱ erfolgtȱ dieȱ Unterrichtsanalyseȱ mittelsȱ RHIAȬUnterrichtȱ softwaregestütztȱ anhandȱ derȱ videoaufgezeichnetenȱ UnterrichtsȬ stunden.ȱSollteȱeinȱEinsatzȱvonȱRHIAȬUnterrichtȱdirektȱimȱKlassenȬ zimmerȱ(ohneȱVideoaufnahmen)ȱgeplantȱsein,ȱmussȱimȱVorfeldȱeineȱ ReduzierungȱaufȱeineȱinteressierendeȱVariableȱ(z.B.ȱnurȱRegulationsȬ hindernisse)ȱ proȱ Untersucherȱ vorgenommenȱ werden.ȱ Ansonstenȱ werdenȱ dieȱ Untersucherȱ überfordertȱ undȱ qualitativȱ unzureichendeȱ Urteileȱabgegeben.ȱWirȱempfehlenȱdieȱobenȱgekennzeichneteȱvideoȬ gestützteȱRHIAȬAnalyse.ȱ

3.4

Einsatzmöglichkeiten von RHIAUnterricht

Imȱ Rahmenȱ einesȱ breitȱ angelegtenȱ Forschungsprojekts1ȱ wurdeȱ RHIAȬUnterrichtȱ inȱ mehrerenȱ Studienȱ undȱ Praxisprojektenȱ erfolgȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ DasȱProjektȱwurdeȱvonȱ2004ȱbisȱ2006ȱimȱRahmenȱdesȱEliteförderprogrammsȱfürȱ

86ȱ

PostdoktorandenȱvonȱderȱLandesstiftungȱBadenȬWürttembergȱgefördert.ȱEinȱFolȬ geprojektȱ wirdȱ imȱ Programmȱ Bildungsforschungȱ vonȱ 2007ȱ bisȱ 2009ȱ unterstützt.ȱ DerȱErstautorȱdanktȱdemȱProjektfördererȱundȱspeziellȱHerrnȱDr.ȱWeberȱfürȱdieȱfiȬ nanzielleȱundȱideelleȱUnterstützung.ȱȱ

Einsatzmöglichkeiten von RHIA-Unterricht

3.4

reichȱ eingesetzt.ȱ Inȱ diesemȱ Abschnittȱ werdenȱ Beispieleȱ vorgestellt,ȱ dieȱimȱRahmenȱderȱSchulentwicklungȱrelevantȱsind.ȱAlsȱergänzendeȱ Lektüreȱ möchtenȱ wirȱ Krauseȱ undȱ Dorsemagenȱ (2007b)ȱ empfehlen:ȱ DortȱwirdȱausführlicherȱaufȱeinȱBeispielȱfürȱeineȱgrundlagenwissenȬ schaftlicheȱ Studieȱ eingegangen,ȱ dieȱ aufzeigte,ȱ dassȱ GruppenunterȬ richtȱ imȱ Vergleichȱ zumȱ Frontalunterrichtȱ nichtȱ mitȱ einerȱ ReduzieȬ rungȱdesȱBelastungsniveausȱeinherging.ȱZudemȱsindȱdortȱanschauȬ licheȱ Beispieleȱ fürȱ schriftlicheȱ Unterrichtsprofileȱ enthalten,ȱ dieȱ dieȱ beteiligtenȱ Lehrkräfteȱ alsȱ individuelleȱRückmeldungenȱ zuȱderȱ jeweiȬ ligenȱ Unterrichtsstundeȱ erhaltenȱ können.ȱ Hierüberȱ werdenȱ bereitsȱ Impulseȱ fürȱ dieȱ PersonalȬȱ undȱ Unterrichtsentwicklungȱ gegeben.ȱ Zusammenȱ mitȱ derȱ aufgezeichnetenȱ Unterrichtsstundeȱ liefertȱ einȱ UnterrichtsprofilȱeinzelnenȱLehrkräftenȱdieȱMöglichkeit,ȱBelastungsȬ spitzenȱimȱUnterrichtȱzuȱerkennenȱ(z.B.ȱbeimȱEinstiegȱinȱdieȱUnterȬ richtsstundeȱoderȱbeimȱÜbergangȱvonȱArbeitsphasenȱimȱUnterricht).ȱ Gleichzeitigȱ werdenȱ imȱ Unterrichtsprofilȱ Fragenȱ formuliertȱ (z.B.ȱ WelcheȱweiterenȱMöglichkeitenȱgibtȱes,ȱmitȱdenȱBelastungenȱumzuȬ gehen?)ȱundȱnaheȱgelegt,ȱdieȱUnterrichtsstundeȱnichtȱnurȱindividuȬ ell,ȱsondernȱimȱKollegenkreisȱzuȱbetrachten,ȱumȱfachlichesȱFeedbackȱ undȱ sozialeȱ Unterstützungȱ durchȱ Kollegenȱ zuȱ nutzen.ȱ Dannȱ beȬ schränktȱsichȱderȱNutzenȱschriftlicherȱUnterrichtsprofileȱnichtȱmehrȱ aufȱ einzelneȱ Lehrkräfte.ȱ RHIAȬBelastungsanalysenȱ könnenȱ GrundȬ lageȱundȱBausteinȱweiterführenderȱInterventionenȱmitȱLehrerteamsȱ bzw.ȱ Kollegienȱ sein.ȱ Hierzuȱ wirdȱ imȱ Folgendenȱ einȱ erprobtesȱ KonȬ zeptȱzurȱvideogestütztenȱkollegialenȱBeratungȱvorgestellt.ȱ

3.4.1

Videogestützte kollegiale Beratung

Kollegialeȱ Beratungȱ bzw.ȱ kollegialeȱ Supervisionȱ istȱ einȱ etabliertesȱ AngebotȱfürȱLehrkräfteȱ(Fiegeȱ&ȱDolasse,ȱ1998;ȱTietze,ȱ2003).ȱKolleȬ gialeȱ Beratungȱ bietetȱ einenȱ geschütztenȱ Rahmen,ȱ umȱ dieȱ eigeneȱ ArbeitȱimȱKollegenkreisȱzuȱreflektierenȱundȱdabeiȱauchȱgesundheitsȬ förderlicheȱRessourcenȱimȱUnterrichtȱzuȱthematisierenȱundȱzuȱstärȬ ken.ȱDurchȱkollegialeȱBeratungȱwerdenȱProzesseȱsozialerȱUnterstütȬ zungȱ imȱ Kollegenkreisȱ gefördert.ȱ Zudemȱ handeltȱ esȱ sichȱ umȱ einȱ niedrigschwelligesȱ undȱ kostengünstigesȱ Beratungsangebotȱ fürȱ Lehrkräfte,ȱ daȱ dieȱ Sitzungenȱ imȱ Kollegenkreisȱ undȱ ohneȱ externenȱ Moderatorȱdurchgeführtȱwerdenȱkönnen.ȱȱ

87ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

AufbauendȱaufȱbestehendenȱAnsätzenȱwurdeȱdasȱKonzeptȱzuȱeinerȱ videogestütztenȱ kollegialenȱ Unterrichtsberatungȱ erweitert.ȱ Dahinterȱ standȱ dieȱ Überlegung,ȱ dieȱ Inhalteȱ derȱ kollegialenȱ BeratungssitzunȬ genȱhandlungsorientiertȱamȱkonkretenȱUnterrichtsgeschehenȱauszuȬ richten.ȱ Mitȱ demȱ Verfahrenȱ RHIAȬUnterrichtȱ botȱ sichȱ zudemȱ dieȱ Möglichkeit,ȱ gezieltȱ belastungsrelevanteȱ Unterrichtssequenzenȱ zuȱ ermittelnȱundȱdieseȱinȱFormȱvonȱVideorückmeldungenȱȬȱzusätzlichȱ zuȱ denȱ mündlichenȱ Fallvorstellungenȱ Ȭȱ inȱ dieȱ Beratungssitzungenȱ zuȱ integrieren.ȱ Dieȱ Auswahlȱ derȱ zuȱ zeigendenȱ Videomitschnitteȱ sollteȱinȱAbspracheȱmitȱderȱLehrkraftȱundȱaufȱderȱBasisȱvorliegenderȱ Belastungsanalysenȱerfolgenȱ(z.B.ȱerhöhteȱLautstärkeȱundȱzahlreicheȱ Unterrichtsstörungenȱ beimȱ Wechselȱ vonȱ Arbeitsphasen).ȱ Diesesȱ weiterentwickelteȱ Konzeptȱ zurȱ kollegialenȱ Beratungȱ bautȱ aufȱ einȱ Phasenmodellȱ selbstȱ geleiteterȱ Problemlöseverfahrenȱ inȱ Gruppenȱ auf.ȱImȱLaufeȱdesȱBeratungsprozessesȱwerdenȱvonȱdenȱteilnehmenȬ denȱLehrkräftenȱZieleȱformuliert,ȱHandlungsmöglichkeitenȱerarbeiȬ tetȱundȱdieseȱinȱkonkretesȱUnterrichtshandelnȱumgesetzt.ȱAufȱdieseȱ WeiseȱsollȱeinȱentlastenderȱEffektȱhinsichtlichȱderȱUnterrichtsdurchȬ führungȱ erzieltȱ werden.ȱ Dieȱ achtȱ Phasenȱ desȱ Beratungskonzeptsȱ sindȱTabelleȱ1ȱzuȱentnehmen.ȱ Dasȱ strukturierteȱ Konzeptȱ zurȱ videogestütztenȱ kollegialenȱ UnterȬ richtsberatungȱ alsȱ gezielteȱ Personalentwicklungsmaßnahmeȱ wurdeȱ inȱeinerȱBeratungsgruppeȱmitȱsechsȱLehrkräftenȱeinesȱGymnasiumsȱ erprobtȱ undȱ evaluiertȱ (Böhm,ȱ 2003).ȱ Imȱ Vorfeldȱ derȱ BeratungssitȬ zungenȱwurdeȱvonȱjedemȱbeteiligtenȱLehrerȱeineȱUnterrichtsstundeȱ aufȱVideoȱaufgezeichnetȱundȱmitȱRHIAȬUnterrichtȱausgewertet.ȱDasȱ Videomaterialȱ undȱ dieȱ Ergebnisseȱ derȱ Belastungsanalysenȱ liefertenȱ dieȱinhaltlicheȱGrundlageȱfürȱdreiȱkollegialeȱBeratungssitzungen,ȱinȱ denenȱ inȱ derȱ Regelȱ zweiȱ Fälleȱ vorgestelltȱ wurden.ȱ Nebenȱ derȱ FallȬ vorstellungȱ wurdenȱ ca.ȱ 5Ȭ10Ȭminütigeȱ Schlüsselsequenzenȱ ausȱ demȱ eigenenȱ Unterrichtȱ gezeigt.ȱ Nachȱ Durchführungȱ derȱ Maßnahmeȱ wurdeȱvonȱjederȱLehrkraftȱeineȱweitereȱUnterrichtsstundeȱinȱderselȬ benȱ Klasseȱ aufgezeichnetȱ undȱ dasȱ Belastungsniveauȱ erneutȱ mitȱ RHIAȬUnterrichtȱ erhoben.ȱ Aufȱ dieseȱ Weiseȱ wurdeȱ einȱ VorherȬ NachherȬVergleichȱmöglich.ȱ

88ȱ

Einsatzmöglichkeiten von RHIA-Unterricht

AchtȱPhasenȱderȱvideogestütztenȱkollegialenȱBeratungȱ(Böhm,ȱ2003,ȱinȱ AnlehnungȱanȱFiege,ȱ1999)ȱȱ Phasen

Inhalt

Fragen

Dauer (Min)

1. Einstieg

Erfahrungen schildern (seit der letzten Sitzung)

Habe ich einen Nachtrag zum letzten Treffen?

5-10

Ziele und Erwartungen der teilnehmenden Lehrkräfte klären

Welche Rolle nehme ich bei diesem Treffen ein?

Klären der Rollenübernahme

3.4 Tabelleȱ1ȱ

Welche Ziele / Erwartungen habe ich für dieses Treffen?

Auswahl des Falls für die Sitzung 2. Videogestützte Fallvorstellung

Vorstellen der Unterrichtsstunde durch den Ratsuchenden Betrachten eines Unterrichtsausschnitts mit Erläuterungen des Moderators zu Besonderheiten, die sich aus der vorherigen RHIA-Analyse ergeben haben (z.B. Lärm)

Ratsuchender

10-20

Was möchte ich besprechen bzw. klären? Wann ist die Fallbearbeitung für mich erfolgreich gewesen? Welche Ziele habe ich in der U-Stunde verfolgt? Ko-Berater Was fällt mir auf?

3. Informatio- Ko-Berater stellen Vernen geben ständnisfragen und holen Informationen ein, um Unklarheiten aufzuheben (noch keine Interpretationen, Erfahrungen oder Lösungsvorschläge) 4. Wahrnehmungen

Ko-Berater

5-10

Welche Frage habe ich an den Ratsuchenden

Ko-Berater Wahrnehmungen der KoBerater zu dem geschilderWelche Ziele hat der Kollege ten Fall in der Situation verwirklicht? Welche Ziele wurden nicht Nachfragen des Ratsuverwirklicht? chenden

5-10

Was fällt mir auf? Ratsuchender Welche Anmerkungen / Fragen habe ich an die Gruppe? 5. Ursachen- Ä ußern von Annahmen vermutungen durch die Ko-Berater Anmerkungen des Ratsu-

Ko-Berater Welche Annahmen / Hypothesen habe ich in Bezug auf den

5-10

89ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

chenden zu diesen Annahmen

Fall? Ratsuchender Welche Anmerkungen / Fragen habe ich an die Gruppe?

6. Lösungsversuche

Vorschläge zu Handlungsund Denkmöglichkeiten durch die Gruppenmitglieder

Ko-Berater

15

Welche Handlungsmöglichkeiten hat der Ratsuchende?

Nachfragen des Ratsuchenden 7. Bewerten / Entscheiden

8. Abschluss

Auswählen von Handlungsmöglichkeiten

Ratsuchender

Konkrete Planung der Umsetzung

Welche dieser Möglichkeiten ziehe ich konkret in Betracht? Welche werde ich zum nächsten Mal umsetzen?

Klären offener Fragen

Gibt es offene Fragen?

5-10

5

Sind meine Ziele für diese Klären der persönlichen Zielerreichung, Anmerkun- Sitzung erfüllt worden? gen zum Beratungsprozess Was habe ich als besonders positiv erlebt? Planen der nächsten Sitzung Gibt es Veränderungs- oder Verbesserungsvorschläge für kommende Treffen?

ȱ Dieȱ Belastungsanalysenȱ mitȱ RHIAȬUnterrichtȱ imȱ VorherȬNachherȬ Vergleichȱ zeigten,ȱ dassȱ dieȱ videogestützteȱ kollegialeȱ UnterrichtsbeȬ ratungȱ eineȱ objektivȱ (d.h.ȱ überȱ außenȱ stehendeȱ Untersucherȱ ermitȬ telte)ȱ entlastendeȱ Funktionȱ fürȱ dieȱ beteiligtenȱ Lehrkräfteȱ hatte.ȱ ZuȬ demȱwarenȱdieȱLehrkräfteȱauchȱinȱihrenȱsubjektivenȱEinschätzungenȱ mitȱ demȱ Verlaufȱ derȱ Beratungssitzungenȱ zufrieden:ȱ Dieȱ MöglichȬ keit,ȱ mitȱ wenigenȱ Kollegenȱ inȱ Ruheȱ undȱ offenȱ überȱ denȱ eigenenȱ Unterrichtȱ sprechenȱ zuȱ können,ȱ vermittelteȱ denȱ beteiligtenȱ LehrȬ kräftenȱ nachȱ eigenenȱ Wortenȱ einenȱ neuenȱ Zugangȱ zuȱ ihrenȱ KolleȬ gen.ȱ

90ȱ

Exemplarischȱ werdenȱ imȱ Folgendenȱ einzelneȱ mitȱ RHIAȬUnterrichtȱ ermittelteȱEvaluationsergebnisseȱberichtet:ȱImȱVergleichȱzurȱVorherȬ Messungȱ erhöhteȱ sichȱ derȱ Prozentanteilȱ desȱ Fachunterrichtsȱ umȱ mehrȱ alsȱ 10%ȱ (vonȱ 70%ȱ aufȱ 82%),ȱ d.h.ȱ esȱ wurdeȱ mehrȱ Zeitȱ aufȱ dieȱ DurchführungȱeffektivenȱUnterrichtsȱverwendet,ȱbeiȱdemȱdieȱSchüȬ lerȱaktivȱdazulernenȱkönnen.ȱDieȱAnzahlȱderȱRegulationshindernisȬ

Einsatzmöglichkeiten von RHIA-Unterricht

3.4

seȱsankȱvonȱdurchschnittlichȱmehrȱalsȱ16ȱHindernissenȱbeiȱderȱVorȬ herȬMessungȱaufȱdurchschnittlichȱachtȱHindernisseȱproȱUnterrichtsȬ stunde.ȱAuchȱderȱUmgangȱmitȱdenȱUnterrichtsstörungenȱveränderteȱ sichȱ imȱ Verlaufȱ derȱ Beratungssitzungen.ȱ Einzelneȱ Lehrkräfteȱ nutzȬ tenȱ dieȱ fachlichenȱ Beiträgeȱ ihrerȱ Kollegen,ȱ umȱ mitȱ derȱ Klasseȱ beȬ stimmte,ȱ immerȱ wiederkehrendeȱ Störungenȱ desȱ Unterrichtsflussesȱ nachȱ denȱ Beratungssitzungenȱ explizitȱ zuȱ thematisieren.ȱAufȱ dieserȱ Basisȱreichtenȱbeimȱspäteren,ȱerneutenȱAuftretenȱkürzereȱInterventiȬ onenȱ aus.ȱ Diesȱ schlägtȱ sichȱ auchȱ inȱ einerȱ deutlichenȱ Verringerungȱ desȱ Zusatzaufwandesȱ niederȱ (VorherȬMessung:ȱ durchschnittlichȱ 3:08ȱ Minutenȱ Zusatzaufwandȱ proȱ Unterrichtsstunde;ȱ NachherȬ Messung:ȱ 1:49ȱ Minuten).ȱ Obwohlȱ dieȱ Werteȱ inȱ derȱ NachherȬ Messungȱ sichȱ imȱ Vergleichȱ zurȱ VorherȬMessungȱ deutlichȱ inȱ dieȱ erȬ wünschteȱ Richtungȱ veränderten,ȱ sindȱ dieȱ berichtetenȱ Ergebnisseȱ aufgrundȱ derȱ geringenȱ Stichprobengrößeȱ vorerstȱ mitȱ Vorsichtȱ undȱ lediglichȱ alsȱ ersteȱ Hinweiseȱ fürȱ denȱ Nutzenȱ einesȱ solchenȱ BeraȬ tungskonzeptsȱ zuȱ interpretieren.ȱ Aufgrundȱ derȱ kleinenȱ Stichprobeȱ konntenȱ dieseȱ deutlichenȱ Effekteȱ auchȱ nochȱ nichtȱ durchȱ SignifiȬ kanzprüfungenȱstatistischȱabgesichertȱwerden.ȱȱ InȱdenȱSitzungenȱzurȱKollegialenȱBeratungȱwurdenȱvonȱdenȱbeteiligȬ tenȱ Lehrkräftenȱ insbesondereȱ Themenȱ eingebracht,ȱ dieȱ sichȱ aufȱ dieȱ QualitätȱderȱmethodischenȱAusgestaltungȱdesȱUnterrichtsȱbeziehenȱ (z.B.ȱ dieȱ effizienteȱ Gestaltungȱ vonȱ Gruppenarbeit).ȱ Mitȱ anderenȱ Worten:ȱ Auchȱ wennȱ psychischeȱ Belastungenȱ Ausgangspunktȱ derȱ Rückmeldungȱsind,ȱstehenȱschnellȱFragenȱderȱUnterrichtsqualitätȱimȱ Vordergrund.ȱ Hierȱ zeigenȱ sichȱ Möglichkeitenȱ zurȱ sinnvollenȱ VerȬ knüpfungȱ vonȱ GesundheitsȬȱ undȱ Leistungsfragenȱ angesichtsȱ derȱ aktuellȱ raschȱ fortschreitendenȱ SelbstȬȱ undȱ Fremdevaluationȱ bzw.ȱ Qualitätssicherungȱ imȱ deutschenȱ Schulwesen.ȱ Inȱ denȱ BeratungssitȬ zungenȱzeigteȱsich:ȱDenȱbeteiligtenȱLehrkräftenȱwarenȱzwarȱzahlreiȬ cheȱ Maßnahmenȱ zumȱ Umgangȱ mitȱ Unterrichtsstörungenȱ bekannt,ȱ jedochȱ fehlteȱihnenȱ einȱsystematischerȱÜberblickȱüberȱdieȱMöglichȬ keiten,ȱdieȱihnenȱinȱeinzelnenȱUnterrichtssituationenȱzurȱVerfügungȱ stehen.ȱ Einȱ Vorteilȱ vonȱ RHIAȬUnterrichtȱ bestehtȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ darin,ȱdassȱesȱeinȱbegrifflichesȱInventarȱzurȱBeschreibungȱvonȱbelasȬ tendenȱ Unterrichtssituationenȱ liefert.ȱ Dieȱ Begrifflichkeitenȱ desȱ MaȬ nualsȱundȱdieȱVideorückmeldungenȱunterstützenȱLehrkräfteȱdabei,ȱ Situationenȱ undȱ auffälligeȱ Ereignisseȱ inȱ Worteȱ zuȱ fassen,ȱ dieȱ sieȱ

91ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

zwarȱtäglichȱerleben,ȱaberȱbisweilenȱnurȱunvollständigȱimȱKollegenȬ kreisȱkommunizieren.ȱȱ EinȱderartigesȱKonzeptȱzurȱvideogestütztenȱkollegialenȱUnterrichtsȬ beratungȱlässtȱsichȱleichtȱinȱSchulentwicklungsprozesseȱintegrieren.ȱ Ausgangspunktȱ könnenȱ z.B.ȱ vertiefendeȱ Feinanalysenȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Gefährdungsbeurteilungȱ anȱ Schulenȱ sein,ȱ welcheȱ mitȱ RHIAȬ Unterrichtȱ durchgeführtȱ werdenȱ können.ȱ Dieȱ Rückmeldungȱ derȱ BelastungsanalysenȱanȱeinȱLehrerteamȱkannȱinȱeinemȱerstenȱSchrittȱ imȱ Rahmenȱ einesȱ thematischenȱ Workshopsȱ durchgeführtȱ werden.ȱ Dieserȱ Workshopȱ kannȱ gleichzeitigȱ Ausgangspunktȱ fürȱ weiterfühȬ rendeȱkollegialeȱBeratungssitzungenȱsein.ȱ

3.4.2

Thematischer Workshop im Rahmen der Schulentwicklung

InȱweiterenȱAnwendungsprojektenȱmitȱEinzelschulenȱwurdeȱRHIAȬ UnterrichtȱalsȱmethodischerȱBausteinȱimȱRahmenȱderȱGefährdungsȬ beurteilungȱundȱSchulentwicklungȱeingesetztȱ(vgl.ȱauchȱdenȱBeitragȱ vonȱReschȱundȱFenzlȱinȱdiesemȱBand).ȱDerȱaufwändigeȱEinsatzȱvonȱ RHIAȬUnterrichtȱ empfiehltȱ sichȱ vorȱ allemȱ fürȱ SchulentwicklungsȬ projekte,ȱ beiȱ denenȱ aufȱ eineȱ sorgfältigeȱAnalyseȱ desȱ UnterrichtsgeȬ schehensȱvielȱWertȱgelegtȱwird.ȱWährendȱFragebögenȱeinȱökonomiȬ schesȱ Screeningȱ derȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ anȱ einerȱ EinzelȬ schuleȱ liefernȱ undȱ alleȱ Lehrkräfteȱ inȱ dieȱ Fragebogenerhebungȱ einbezogenȱwerdenȱkönnen,ȱistȱRHIAȬUnterrichtȱfürȱdieȱvertiefendeȱ Feinanalyseȱ einzelnerȱ Unterrichtsstundenȱ gedacht.ȱ Jeȱ nachȱ FrageȬ stellungȱ könnenȱ aufȱ Schulebeneȱ bereitsȱ zehnȱ Unterrichtsstundenȱ ausreichendȱsein:ȱDieseȱsolltenȱdasȱUnterrichtsspektrumȱderȱbetrefȬ fendenȱ Schuleȱ möglichstȱ gutȱ umfassenȱ bzw.ȱ besondersȱ schwierigeȱ Jahrgangstufenȱ oderȱ Schulzweigeȱ mitȱ einbeziehen.ȱ Repräsentativeȱ Aussagenȱ überȱ dasȱ Belastungsniveauȱ anȱ einerȱ Schuleȱ (inȱ bestimmȬ tenȱ Jahrgängen,ȱ Fächernȱ usw.)ȱ sindȱ allerdingsȱ erstȱ beiȱ größerenȱ Stichprobenȱmöglich.ȱȱ Inȱ einemȱ Schulentwicklungsprojektȱ mitȱ einerȱ Hamburgerȱ BerufsȬ schuleȱ wurdenȱ aufbauendȱ aufȱ einerȱ kollegiumsweitenȱ FragebogenȬ erhebungȱ mitȱ demȱ Fragebogenȱ zurȱ Arbeitssituationȱ anȱ Schulenȱ (FASS;ȱKaempfȱ&ȱKrause,ȱ2004)ȱvertiefendeȱBelastungsanalysenȱmitȱ RHIAȬUnterrichtȱ durchgeführt.ȱ Insgesamtȱ wurdenȱ elfȱ DoppelstunȬ

92ȱ

Einsatzmöglichkeiten von RHIA-Unterricht

3.4

denȱ analysiert.ȱ Dieȱ Ergebnisrückmeldungȱ derȱ Belastungsanalysenȱ erfolgteȱ inȱ einemȱ eintägigenȱ Workshopȱ mitȱ denȱ anȱ denȱ UnterȬ richtsaufnahmenȱbeteiligtenȱLehrkräften.ȱZielȱwarȱes,ȱbewusstȱqualiȬ fizierendeȱElementeȱzuȱintegrieren,ȱumȱdieȱbeteiligtenȱLehrkräfteȱfürȱ Belastungssituationenȱ imȱ eigenenȱ Unterrichtȱ zuȱ sensibilisieren.ȱ BeȬ gleitendȱ zurȱ moderiertenȱ Gruppendiskussionȱ wurdenȱ auchȱ beiȱ derȱ ErarbeitungȱvonȱHandlungsmöglichkeitenȱvonȱdenȱReferentenȱfachȬ licheȱ Hinweiseȱ zumȱ Umgangȱ mitȱ Schülerstörungenȱ imȱ Unterrichtȱ eingebracht,ȱ umȱ denȱ Problemlöseprozessȱ zielgerichteterȱ zuȱ gestalȬ ten.ȱTabelleȱ2ȱgibtȱAufbauȱundȱAblaufȱdesȱthematischenȱWorkshopsȱ wieder.ȱ Derȱ Vormittagȱ dienteȱ derȱ Klärungȱ derȱ Erwartungenȱ derȱ teilnehȬ mendenȱ Lehrkräfte,ȱ derȱ detailliertenȱ Vorstellungȱ desȱ Instrumentsȱ RHIAȬUnterricht,ȱderȱPräsentationȱderȱAnalyseergebnisseȱsowieȱderȱ Ursachenklärungȱ fürȱ dieȱ aktuelleȱ Belastungssituation.ȱ Beiȱ derȱ PräȬ sentationȱdesȱInstrumentsȱhatȱesȱsichȱbewährt,ȱdieȱeinzelnenȱBewerȬ tungsdimensionenȱ vonȱ RHIAȬUnterrichtȱ mitȱ Videosequenzenȱ derȱ betreffendenȱSchuleȱzuȱuntermauern.ȱAufȱdieseȱWeiseȱkannȱdieȱAkȬ zeptanzȱ fürȱ dieȱ eingesetzteȱ Methodeȱ RHIAȬUnterrichtȱ zurȱ BelasȬ tungsanalyseȱweiterȱerhöhtȱwerden,ȱdaȱdieȱLehrkräfteȱdieȱgezeigtenȱ Videomitschnitteȱ alsȱrelevantȱ fürȱdasȱ eigeneȱ Belastungserlebenȱ einȬ schätzen.ȱ Dieȱ Präsentationȱ derȱ Analyseergebnisseȱ erfolgteȱ inȱ Formȱ vonȱ ermitteltenȱ Durchschnittswertenȱ bzgl.ȱ derȱ Unterrichtsanteile,ȱ derȱ Regulationshindernisseȱ undȱ desȱ Zusatzaufwandesȱ sowieȱ derȱ Lautstärke.ȱ Zudemȱ wurdeȱ dieȱ Verteilungȱ derȱ Unterrichtsstundenȱ anhandȱeinerȱ„Ampeldarstellung“ȱgraphischȱaufbereitet,ȱd.h.ȱbelasȬ tungsintensiveȱ Stundenȱ werdenȱ rotȱ gekennzeichnet.ȱ Umȱ dieȱ BandȬ breiteȱ derȱ Belastungsniveausȱ zuȱ verdeutlichen,ȱ wurdenȱ exemplaȬ rischȱ eineȱ durchschnittliche,ȱ einȱ weitestgehendȱ belastungsarmeȱ soȬ wieȱ eineȱ besondersȱ belastungsreicheȱ Unterrichtsstundeȱ ausȱ derȱ Stichprobeȱ herausgegriffenȱ undȱ dieȱ ermitteltenȱ Belastungswerteȱ anhandȱvonȱVerlaufsgraphikenȱausführlichȱvorgestellt.ȱȱ

93ȱ

3 Tabelleȱ2ȱ

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

AblaufȱeinesȱeintägigenȱWorkshopsȱzurȱRückmeldungȱvonȱErgebnissenȱderȱ RHIAȬUnterrichtsanalysenȱanȱeinerȱSchuleȱ Zeit

Block

08:30 – 09:00 Gegenseitiges Kennenlernen, Ziele, Ablauf 09:00 – 10:15 „Mini-Qualifizierung“: Erläuterungen zu Belastungen im Unterricht und zum Vorgehen an der Schule, Erhebungsmethode RHIAUnterricht erläutern und an Ankerbeispielen (jeweils aus den Unterrichtsstunden der Schule) veranschaulichen 10:30 – 12:00 Unterrichtsanalyse: Ergebnisse vorstellen (Ergebnisse der Schule im Vergleich zu Referenzwerten;danach Unterschiede innerhalb der Schule verdeutlichen), Ursachen diskutieren 13:00 – 15:00 Unterrichtsgestaltung 1: Möglichkeiten der Belastungsreduktion im Unterricht erörtern (dabei zwischen individuellen und kollektiven Möglichkeiten unterscheiden) 15:15 – 16:00 Unterrichtsgestaltung 2: Erarbeiten von Lösungsvorschlägen auf Schulebene, Einbindung in laufende Schulentwicklung klären 16:00 – 16:30 Weiteres Vorgehen klären, Abschluss ab 16:45

Einzelgespräche (individuelle Rückmeldung zu Ergebnissen aus den RHIA-Unterrichtsanalysen)

ȱ DieȱVerlaufsgraphikȱinȱAbbildungȱ2ȱzeigtȱdieȱAbfolgeȱderȱRegulatiȬ onshindernisseȱ undȱ denȱ damitȱ verbundenenȱ Zusatzaufwandȱ einerȱ durchschnittlichȱ belastungsintensivenȱ Unterrichtsdoppelstunde.ȱ AufȱderȱxȬAchseȱistȱdieȱUnterrichtszeitȱabgetragenȱ(inȱdiesemȱFallȱinȱ Abständenȱ vonȱ zehnȱ Minuten);ȱ aufȱ derȱ yȬAchseȱ dieȱ verschiedenenȱ Konstellationenȱ fürȱ dieȱ Regulationshindernisse.ȱ Beiȱ dieserȱ Stundeȱ handeltȱ esȱ sichȱ umȱ denȱ Unterrichtȱ inȱ einerȱ Berufsfachschulklasse.ȱ Insgesamtȱ wurdenȱ imȱ Verlaufȱ derȱ Unterrichtsdoppelstundeȱ 36ȱ ReȬ gulationshindernisseȱ kodiert,ȱ welcheȱ 7.5ȱ Minutenȱ anȱ ZusatzaufȬ wandȱ erforderten.ȱ DieseȱAnzahlȱ anȱ Regulationshindernissenȱ sowieȱ derȱdamitȱverbundeneȱZusatzaufwandȱweisenȱaufȱeinȱdurchschnittȬ lichesȱ Belastungsniveauȱ fürȱ dieȱ unterrichtendeȱ Lehrerinȱ inȱ dieserȱ Unterrichtsstundeȱhin.ȱ

94ȱ

Einsatzmöglichkeiten von RHIA-Unterricht

RegulationshindernisseȱundȱZusatzaufwandȱ(5=ȱFremdeinfluss,ȱ4=ȱzeitlichȱ konfligierendeȱZielstellungen,ȱ3=geringeȱNutzerkompetenz,ȱ2=divergieȬ rendeȱZielstellungen,ȱ1=einseitigeȱReaktionȱ(Spezialfallȱderȱdivergierendenȱ Zielstellungen,ȱsehrȱkurzeȱReaktion))ȱ

3.4 Abbildungȱ2ȱ

5

Einstufung der Hindernisse

4

3

2

1

0 0

600

1200

1800

2400

3000

3600

4200

Dauer der Unterrichtsstunde in Sekunden

4800

5400

6000

ȱ

Dieȱ Schülerȱ werdenȱ inȱ unterschiedlichenȱ Berufsschulzweigenȱ (beȬ rufsvorbereitendeȱ Maßnahmen,ȱ Berufsfachschule,ȱ Berufsschuleȱ imȱ dualenȱ Ausbildungssystem)ȱ unterrichtet.ȱ Esȱ zeigteȱ sich,ȱ dassȱ sichȱ dasȱ Ausmaßȱ anȱ Belastungenȱ zwischenȱ denȱ verschiedenenȱ BerufsȬ schulzweigenȱ deutlichȱ unterschied.ȱ Derȱ Prozentanteilȱ fachlichenȱ bzw.ȱ überfachlichenȱ Unterrichtsȱ warȱ mitȱ durchschnittlichȱ 79%ȱ insȬ gesamtȱhochȱundȱlagȱnurȱbeiȱzweiȱ(vonȱelf)ȱUnterrichtsstundenȱunȬ terȱdemȱkritischenȱWertȱvonȱ70%.ȱUngünstigerȱwarenȱhingegenȱdieȱ ermitteltenȱ Werteȱ zuȱ denȱ Regulationshindernissenȱ undȱ derȱ LautȬ stärke.ȱ Gleichzeitigȱ warȱ dieȱ Spannbreiteȱ innerhalbȱ derȱ analysiertenȱ Unterrichtsstundenȱsehrȱgroßȱundȱreichteȱz.B.ȱbeiȱdenȱRegulationsȬ hindernissenȱvonȱachtȱbisȱzuȱ114ȱinȱeinerȱ90ȬminütigenȱDoppelstunȬ de.ȱAnalogȱ variierteȱauchȱderȱ Zusatzaufwandȱ vonȱ lediglichȱ1.5ȱ MiȬ nutenȱbisȱhinȱzuȱ25ȱMinuten.ȱDerȱProzentanteilȱstörenderȱGeräuscheȱ schwankteȱ zwischenȱ 37%ȱ undȱ 71%.ȱ Währendȱ dieȱ belastungsreichsȬ tenȱStundenȱinȱdenȱberufsvorbereitendenȱbzw.ȱBerufsfachschulklasȬ senȱermitteltȱwurden,ȱwarenȱdieȱUnterrichtsstundenȱinȱdenȱBerufsȬ schulklassenȱ (dualesȱ System)ȱ wesentlichȱ belastungsärmer.ȱ InsgeȬ samtȱ fielȱ auchȱ auf,ȱ dassȱ dieȱ Möglichkeitenȱ zumȱ Abwendenȱ inȱ denȱ Doppelstundenȱhäufigerȱgenutztȱwurdenȱalsȱinȱdenȱbislangȱvonȱunsȱ analysiertenȱEinzelstunden.ȱȱ

95ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

Wichtigerȱ Bestandteilȱ desȱ Workshopsȱ istȱ eineȱ ausführlicheȱ UrsaȬ chenklärungȱ fürȱ auftretendeȱ Unterrichtsstörungenȱ undȱ bestehendeȱ Unterschiedeȱ z.B.ȱ zwischenȱ Berufsschulzweigen.ȱ Wennȱ beispielsȬ weiseȱ fehlendeȱ gemeinsameȱ pädagogischeȱ Vorstellungenȱ imȱ KolleȬ giumȱ undȱ fehlendeȱ verbindlicheȱ (SanktionsȬ)Regelnȱ alsȱ Ursacheȱ anȱ einerȱSchuleȱermitteltȱwerden,ȱsoȱistȱeineȱSchlussfolgerung,ȱdassȱeineȱ Interventionȱ nichtȱ beiȱ derȱ einzelnenȱ Lehrkraftȱ ansetzenȱ darf.ȱ Wieȱ sollȱ eineȱ einzelneȱ Lehrkraftȱ imȱAlleingangȱ entscheidendeȱ VerbesseȬ rungenȱ erzielen?ȱ Beiȱ derȱ Lösungsentwicklungȱ stehtȱ inȱ einemȱ solȬ chenȱFallȱvielmehrȱdieȱArbeitȱanȱgemeinsamenȱpädagogischenȱVorȬ stellungenȱ imȱ Vordergrund.ȱ Alsȱ Ergebnisȱ desȱ Workshopsȱ undȱ alsȱ Ausgangspunktȱ fürȱ dieȱ nächstenȱ Schritteȱ derȱ Schulentwicklungȱ wurdeȱbeispielsweiseȱfestgehalten,ȱdassȱdasȱThemaȱLeitbildentwickȬ lungȱ mitȱ derȱ Schulleitungȱ eindringlichȱ auchȱ unterȱ demȱAspektȱ derȱ Belastungsreduktionȱ undȱ Gesundheitsförderungȱ zuȱ besprechenȱ ist.ȱ Umȱ denȱ ArbeitsȬȱ undȱ Gesundheitsschutz,ȱ wieȱ erȱ anȱ dieserȱ Schuleȱ auchȱ imȱ Schulprogrammȱ schriftlichȱ verankertȱ ist,ȱ weiterȱ voranzuȬ treiben,ȱ hatȱ sichȱ ausȱ demȱ Kollegiumȱ einȱ Lehrerteamȱ zusammengeȬ schlossen.ȱDieserȱArbeitskreisȱGesundheitȱerhältȱseinenȱAuftragȱvonȱ derȱ Gesamtlehrerkonferenz.ȱ Imȱ Rahmenȱ derȱ vonȱ unsȱ durchgeführȬ tenȱ Analysenȱ dienteȱ dieserȱ Arbeitskreisȱ alsȱ Steuergruppeȱ fürȱ dieȱ schulinterneȱ Informationȱ undȱ Kommunikationȱ mitȱ denȱ Kollegenȱ sowieȱmitȱderȱSchulleitung.ȱDieȱbeteiligten,ȱaufgeschlossenenȱLehrȬ kräfteȱwarenȱsehrȱzufriedenȱmitȱdemȱVorgehenȱundȱhabenȱihreȱErȬ fahrungenȱveröffentlichtȱ(Kurbjuhn,ȱ2006).ȱ

3.5

96ȱ

Fazit

Dieȱ exemplarischȱ vorgestelltenȱ Vorgehensweisenȱ zurȱ kollegialenȱ Beratungȱ undȱ zurȱ Durchführungȱ vonȱ Workshopsȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Schulentwicklungȱ belegenȱ denȱ praktischenȱ Nutzenȱ vonȱ RHIAȬ Unterricht.ȱ Wirȱ empfehlenȱ denȱ kombiniertenȱ Einsatzȱ vonȱ RHIAȬ Unterrichtȱ undȱ derȱ Videoaufnahmenȱ zurȱ Rückmeldung,ȱ dieȱ auchȱ aufȱSchulȬȱundȱTeamebeneȱgenutztȱwirdȱ(z.B.ȱgemeinsamesȱBetrachȬ tenȱvonȱUnterrichtsausschnitten)ȱundȱsichȱnichtȱalleinȱaufȱindividuȬ elleȱ Rückmeldungenȱ beschränkt.ȱ Dieȱ bisweilenȱ nochȱ bestehendenȱ Bewertungsängsteȱ inȱ Kollegienȱ giltȱ esȱzuȱüberwinden,ȱ dennȱ häufigȱ istȱesȱfürȱLehrkräfteȱsehrȱentlastend,ȱkonkreteȱRückmeldungenȱzumȱ

Literatur

3.6

eigenenȱUnterrichtȱzuȱerhaltenȱundȱv.a.ȱauchȱamȱUnterrichtȱderȱKolȬ legenȱteilhabenȱzuȱkönnen.ȱ Bislangȱ dominierenȱ inȱ derȱ Forschungȱ zuȱ psychischenȱ Belastungenȱ imȱLehrberufȱsubjektiveȱVerfahrenȱalsȱ„selfȱreports“ȱinȱderȱFormȱvonȱ Fragebogen.ȱDerȱhierȱgewählteȱZugangȱzurȱErhebungȱermöglichtȱes,ȱ dasȱ Belastungsniveauȱ vonȱ Lehrkräftenȱ imȱ Unterrichtȱ unabhängigȱ vonȱ derȱ subjektivenȱ Wahrnehmungȱ derȱ Lehrkräfteȱ zuȱ bestimmen.ȱ Aufȱ dieseȱ Weiseȱ sindȱ beispielsweiseȱ internationaleȱ VergleichsstuȬ dienȱaufȱderȱGrundlageȱvonȱVideoaufnahmenȱdesȱUnterrichtsȱmögȬ lichȱ(Bäuerle,ȱHoosȱ&ȱKrause,ȱ2006),ȱdieȱbessereȱAussagenȱerlaubenȱ alsȱ etwaȱ Fragebogenstudien,ȱ derenȱ Ergebnisseȱ aufgrundȱ sprachliȬ cherȱundȱkulturellerȱUnterschiedeȱnurȱschwerlichȱinternationalȱverȬ gleichbarȱ sindȱ (Leitnerȱ &ȱ Resch,ȱ 2005).ȱ Nunȱ lässtȱ sichȱ einwenden,ȱ dassȱ auftretendeȱ Belastungenȱ inȱ einerȱ einzelnenȱ Unterrichtsstundeȱ nichtȱ unabhängigȱ vomȱ individuellenȱ Arbeitsstilȱ sind.ȱ SelbstverȬ ständlichȱhabenȱLehrkräfteȱpädagogischenȱFreiraumȱbeiȱderȱAusgesȬ taltungȱdesȱUnterrichts.ȱEntsprechendȱistȱesȱnotwendig,ȱzurȱKlärungȱ relevanterȱFragestellungenȱ(z.B.ȱwieȱsichȱdieȱKlassengrößeȱoderȱdieȱ präferierteȱ Unterrichtsmethodeȱ aufȱ dasȱ Belastungsniveauȱ auswirȬ ken)ȱeineȱgrößereȱAnzahlȱanȱUnterrichtsstundenȱzuȱberücksichtigen.ȱ Überȱ geeigneteȱ varianzanalytischeȱ Untersuchungsdesignsȱ wirdȱ esȱ möglich,ȱ SituationsȬȱ undȱ Personeneinflüsseȱ aufȱ dasȱ BelastungsniȬ veauȱ imȱ Unterrichtȱ zuȱ trennenȱ undȱ zuȱ bestimmenȱ (Krause,ȱ 2003b).ȱ Politischȱ bedeutsameȱ Entscheidungenȱ etwaȱ überȱ denȱ Klassenteilerȱ könnenȱ derzeitȱ nurȱ unzureichendȱ aufȱ derȱ Grundlageȱ empirischerȱ Ergebnisseȱgetroffenȱwerden.ȱHierȱbestehtȱHandlungsbedarf.ȱ

3.6

Literatur

Bäuerle,ȱ F.,ȱ Hoos,ȱ C.ȱ &ȱ Krause,ȱ A.ȱ (2006).ȱ Nurȱ dieȱ Leistungȱ zählt?ȱ Psychischeȱ Belastungenȱ vonȱ Lehrkräftenȱ imȱ internationalenȱ VerȬ gleich.ȱ Inȱ E.ȱ Mittag,ȱ E.ȱ Stickerȱ &ȱ K.ȱ Kuhlmannȱ (Hrsg.),ȱ Leistungȱ Ȭȱ Lustȱ undȱ Last.ȱ Impulseȱ fürȱ eineȱ Schuleȱ zwischenȱ Aufbruchȱ undȱ WiderȬ standȱ(S.ȱ395Ȭ399).ȱBonn:ȱDeutscherȱPsychologenȱVerlag.ȱȱ Böhm,ȱG.ȱ(2003).ȱEntwicklungȱundȱEvaluationȱeinesȱKonzeptsȱfürȱkolleȬ gialeȱ Beratungȱ –ȱ Psychischeȱ Belastungȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ imȱ Unterricht.ȱUniversitätȱFreiburg:ȱUnveröffentlichteȱDiplomarbeit.ȱ

97ȱ

3

RHIA-Unterricht: Psychische Belastungen erfassen und reduzieren

Dunckel,ȱH.ȱ&ȱPleiss,ȱC.ȱ(Hrsg.)ȱ(2007).ȱKontrastiveȱAufgabenanalyseȱȬȱ Grundlagen,ȱEntwicklungenȱundȱAnwendungserfahrungen.ȱZürich:ȱvdf.ȱ Fiege,ȱ B.ȱ &ȱ Dolasse,ȱ R.ȱ (1998).ȱ Evaluationȱ kollegialerȱ Beratungȱ inȱ GruppenȱvonȱLehrernȱundȱLehrerinnen.ȱZeitschriftȱfürȱPädagogik,ȱ44,ȱ 379Ȭ395.ȱ Greiner,ȱB.ȱA.,ȱRagland,ȱD.ȱR.,ȱKrause,ȱN.,ȱSyme,ȱS.ȱL.ȱ&ȱFisher,ȱJ.ȱM.ȱ (1997).ȱ Objectiveȱ measurementȱ ofȱ occupationalȱ stressȱ factorsȱ Ȭȱ Anȱ exampleȱwithȱSanȱFranciscoȱurbanȱtransitȱoperators.ȱJournalȱofȱOccuȬ pationalȱHealthȱPsychology,ȱ2,ȱ325Ȭ342.ȱ Kaempf,ȱS.ȱ&ȱKrause,ȱA.ȱ(2004).ȱGefährdungsbeurteilungenȱzurȱAnaȬ lyseȱ psychischerȱ Belastungenȱ amȱ Arbeitsplatzȱ Schule.ȱ Inȱ W.ȱ BunȬ gard,ȱB.ȱKoopȱ&ȱC.ȱLiebigȱ(Hrsg.),ȱPsychologieȱundȱWirtschaftȱlebenȱȬȱ Aktuelleȱ Themenȱ derȱ Wirtschaftspsychologieȱ inȱ Forschungȱ undȱ Praxisȱ (S.314Ȭ319).ȱMünchen:ȱRainerȱHampp.ȱȱ Krause,ȱ A.ȱ (2002).ȱ Psychischeȱ Belastungenȱ imȱ Unterrichtȱ –ȱ Einȱ aufgaȬ benbezogenerȱ Untersuchungsansatz:ȱ Analyseȱ derȱ Tätigkeitȱ vonȱ LehrerinȬ nenȱundȱLehrern.ȱUniversitätȱFlensburg:ȱDissertation.ȱ Krause,ȱ A.ȱ (2003a).ȱ Lehrerbelastungsforschung:ȱ Erweiterungȱ durchȱ einȱ handlungspsychologischesȱ Belastungskonzept.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ Pädagogik,ȱ49,ȱ254Ȭ273.ȱȱ Krause,ȱ A.ȱ (2003b).ȱ Untersuchungsdesignsȱ zurȱ Trennungȱ bedinȬ gungsȬȱ undȱ personenbezogenerȱ Einflüsseȱ imȱ Kontextȱ psychologiȬ scherȱArbeitsanalyseverfahren.ȱInȱH.ȱStrasser,ȱK.ȱKluth,ȱH.ȱRauschȱ&ȱ H.ȱBubbȱ(Hrsg.),ȱQualitätȱvonȱArbeitȱundȱProduktȱinȱUnternehmenȱderȱ Zukunftȱ(S.ȱ737Ȭ740).ȱStuttgart:ȱErgonomia.ȱ Krause,ȱA.ȱ(2003c).ȱBedingungsbezogeneȱAnalyseȱpsychischerȱBelasȬ tungenȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ –ȱ Zurȱ Validitätȱ einesȱ neuenȱ Untersuchungskonzepts.ȱWirtschaftspsychologie,ȱ5,ȱ132Ȭ134.ȱ Krause,ȱA.ȱ(2004a).ȱErhebungȱaufgabenbezogenerȱpsychischerȱBelasȬ tungenȱ imȱ Unterrichtȱ –ȱ einȱ Untersuchungskonzept.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ ArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologie,ȱ48,ȱ139Ȭ147.ȱ Krause,ȱ A.ȱ (2004b).ȱ Arbeitsanalyseȱ undȱ Organisationsdiagnoseȱ inȱ Schulen:ȱ Analyseȱ psychischerȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ vonȱ LehrerinnenȱundȱLehrernȱalsȱGrundlageȱfürȱSchulentwicklungsproȬ zesse.ȱ Inȱ W.ȱ Böttcherȱ &ȱ E.ȱ Terhartȱ (Hrsg.),ȱ Organisationstheorieȱ inȱ

98ȱ

Literatur

3.6

pädagogischenȱ Feldernȱ Ȭȱ Analyseȱ undȱ Gestaltungȱ (S.ȱ 123Ȭ141).ȱ WiesbaȬ den:ȱVSȱVerlagȱfürȱSozialwissenschaften.ȱȱ Krause,ȱ A.ȱ &ȱ Dorsemagen,ȱ C.ȱ (2007a).ȱ Ergebnisseȱ derȱ LehrerbelasȬ tungsforschung.ȱOrientierungȱimȱForschungsdschungel.ȱInȱM.ȱRothȬ landȱ (Hrsg.),ȱ Belastungȱ undȱ Beanspruchungȱ imȱ Lehrerberufȱ (S.ȱ 52Ȭ80).ȱ Wiesbaden:ȱVSȱVerlag.ȱ Krause,ȱ A.ȱ &ȱ Dorsemagen,ȱ C.ȱ (2007b).ȱ Psychischeȱ Belastungenȱ imȱ Unterricht.ȱ Inȱ M.ȱRothlandȱ (Hrsg.),ȱ Belastungȱundȱ Beanspruchungȱ imȱ Lehrerberufȱ(S.ȱ99Ȭ118).ȱWiesbaden:ȱVSȱVerlag.ȱ Kurbjuhn,ȱS.ȱ(2006).ȱUnterrichtsbelastungȱistȱmessbar!ȱEinȱerfolgreiȬ cherȱVersuchȱanȱderȱW4.ȱhlzȱ–ȱZeitschriftȱderȱGEWȱHamburg,ȱ1Ȭ2,ȱ44Ȭ 46.ȱ Leitner,ȱ K.,ȱ Lüders,ȱ E.,ȱ Greiner,ȱ B.,ȱ Ducki,ȱ A.,ȱ Niedermeier,ȱ R.ȱ &ȱ Volpert,ȱW.ȱ(1993).ȱAnalyseȱpsychischerȱAnforderungenȱundȱBelastungenȱ inȱ derȱ Büroarbeit.ȱ Dasȱ RHIA/VERAȬBüroȬVerfahren.ȱ Handbuch.ȱ GöttinȬ gen:ȱHogrefe.ȱ Leitner,ȱK.ȱ&ȱResch,ȱM.ȱG.ȱ(2005).ȱDoȱtheȱeffectsȱofȱjobȱstressorsȱonȱ healthȱ persistȱ overȱ time?ȱ Aȱ longitudinalȱ studyȱ withȱ observationalȱ stressorȱmeasures.ȱJournalȱofȱOccupationalȱHealthȱPsychology,ȱ10,ȱ18Ȭ30.ȱȱ Maslach,ȱ C.ȱ &ȱ Leiter,ȱ M.ȱ P.ȱ (1999).ȱ Teacherȱ burnout:ȱ Aȱ researchȱ aȬ genda.ȱInȱR.ȱVandenbergheȱ&ȱA.ȱM.ȱHubermanȱ(Eds.),ȱUnderstandingȱ andȱ preventingȱ teacherȱ burnout.ȱ Aȱ sourceȱ bookȱ ofȱ internationalȱ researchȱ andȱ practiceȱ (pp.ȱ 295Ȭ303).ȱ Cambridge,ȱ UK:ȱ Cambridgeȱ Universityȱ Press.ȱ Oesterreich,ȱ R.,ȱ Leitner,ȱ K.ȱ &ȱ Resch,ȱ M.ȱ (2000).ȱ Analyseȱ psychischerȱ AnforderungenȱundȱBelastungenȱinȱderȱProduktionsarbeit.ȱDasȱVerfahrenȱ RHIA/VERAȬProduktion.ȱHandbuch.ȱGöttingen:ȱHogrefe.ȱȱ Resch,ȱ M.ȱ G.ȱ (1991).ȱ Haushaltȱ undȱ Familie:ȱ Derȱ zweiteȱ Arbeitsplatz.ȱ Bern:ȱHuber.ȱ Schönwälder,ȱH.ȬG.,ȱBerndt,ȱJ.,ȱStröver,ȱF.ȱ&ȱTiesler,ȱG.ȱ(2004).ȱLärmȱ inȱ Bildungsstättenȱ Ȭȱ Ursachenȱ undȱ Minderung.ȱ Bremerhaven:ȱ NWȬ Verlag.ȱ Tietze,ȱ K.ȬO.ȱ (2003).ȱ Kollegialeȱ Beratung.ȱ Problemlösungenȱ miteinanderȱ entwickeln.ȱReinbekȱbeiȱHamburg:ȱRowohlt.ȱȱ

99ȱ

Einleitung

4.1

ȱ

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

Kapitel 4

Marc Wülser

101ȱ

Einleitung

4.1

4.1

Einleitung

Einȱ großerȱ Teilȱ derȱ Tätigkeitȱ derȱ Volksschullehrkräfteȱ findetȱ imȱ Klassenzimmerȱ statt.ȱ Nebenȱ unterrichtsȬȱ undȱ schulbezogenenȱAufȬ gabenȱ nimmtȱ dementsprechendȱ derȱ Kontaktȱ mitȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülernȱ quantitativȱ einenȱ großenȱ Raumȱ einȱ undȱ auchȱ qualitativȱ kommtȱ demȱ Unterrichtȱ einigeȱ Bedeutungȱ zu.ȱ Lehrkräfteȱ bewertenȱ ihreȱTätigkeitȱundȱihreȱberuflicheȱZufriedenheitȱnichtȱzuletztȱdanachȱ obȱ sieȱ hinsichtlichȱ ihrerȱ pädagogischenȱ Arbeitȱ Anerkennungȱ undȱ Erfolgȱ erfahrenȱ (K.ȱ Ulich,ȱ 2001).ȱ Inȱ verschiedenenȱ Beiträgenȱ wurdeȱ allerdingsȱ daraufȱ hingewiesen,ȱ dassȱ derȱ Unterrichtȱ zwarȱ einerseitsȱ dasȱ größteȱ Potenzialȱ fürȱ derartigeȱ „Gratifikationen“ȱ aufweist,ȱ dassȱ erȱ aberȱ andererseitsȱ auchȱ dieȱ stärksteȱ Quelleȱ fürȱ Schwierigkeitenȱ undȱFrustrationenȱdarstelltȱ(Barth,ȱ1992;ȱFarber,ȱ1999;ȱE.ȱUlichȱetȱal.,ȱ 2002;ȱWoods,ȱ1999).ȱDerȱUnterrichtȱimȱKlassenverband,ȱalsȱRahmenȱ fürȱ dieȱ damitȱ zusammenhängendenȱ schulischenȱ Prozesse,ȱ findetȱ hinterȱ verschlossenenȱ Türenȱ statt.ȱ Dieȱ resultierendeȱ Intransparenzȱ desȱ Geschehensȱ imȱ Klassenzimmerȱ kannȱ alsȱ typischȱ fürȱ dieȱ LehrȬ kräftetätigkeitȱ bezeichnetȱ werden,ȱ hierȱ ergebenȱ sichȱ auchȱ UnterȬ schiedeȱzuȱanderenȱpersonenbezogenenȱDienstleistungstätigkeiten.ȱ DieȱprimäreȱBeschäftigungȱmitȱSchülerinnenȱundȱSchülern,ȱverbunȬ denȱ mitȱ derȱ relativenȱ Abgeschlossenheitȱ desȱ Geschehensȱ imȱ KlasȬ senzimmer,ȱ prägtȱ dieȱ Lehrkräftetätigkeit.ȱ Lehrkräfteȱ verstehenȱ sichȱ alsȱ Fachexpertenȱ fürȱ pädagogischeȱ Prozesse,ȱ dieȱ organisationalenȱ RahmenbedingungenȱwerdenȱdemgegenüberȱalsȱeherȱwenigerȱwichȬ tigȱ eingestuft.ȱ Dieȱ Organisationȱ bietetȱ lediglichȱ denȱ Rahmenȱ zurȱ Ausübungȱ derȱ Tätigkeit,ȱ zuweilenȱ begegnenȱ ihrȱ dieȱ Lehrkräfteȱ soȬ garȱ mitȱ Skepsis,ȱ weilȱ bürokratischeȱ Einschränkungenȱ befürchtetȱ werden.ȱ Besonderheitenȱ schulischerȱ Organisationsformenȱ habenȱ aberȱdurchausȱAuswirkungenȱaufȱdieȱTätigkeitȱderȱLehrkräfte.ȱTraȬ ditionelleȱ OrganisationsȬȱ undȱ Führungsstrukturenȱ anȱ Schulenȱ erȬ schwerenȱ u.U.ȱ dieȱ Möglichkeitenȱ zurȱ aufgabenbezogenenȱ kollegiaȬ lenȱ Unterstützung.ȱ Schulenȱ könnenȱ alsȱ Expertenorganisationenȱ verstandenȱ werden,ȱ wasȱ mitȱ typischenȱ KoordinationsȬȱ undȱ KoopeȬ rationsformenȱ (Mintzberg,ȱ 1979)ȱ undȱ möglicherweiseȱ darausȱ resulȬ tierendenȱKonsequenzenȱverbundenȱist.ȱȱ Imȱ vorliegendenȱ Beitragȱ werdenȱ zunächstȱ Besonderheitenȱ vonȱ SchulorganisationenȱundȱvonȱKoordinationsȬȱundȱKooperationsmeȬ

103ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

chanismenȱanȱSchulenȱsowieȱÜberlegungenȱzumȱUnterrichtȱalsȱPriȬ märaufgabeȱ derȱ Lehrkräfteȱ dargestellt.ȱ Inȱ diesemȱ Zusammenhangȱ wirdȱderȱFrageȱnachgegangen,ȱobȱmitȱdenȱBesonderheitenȱderȱLehrȬ kräftetätigkeitȱ einȱ spezifischesȱ Risikoȱ fürȱ dieȱ Entstehungȱ vonȱ FehlȬ beanspruchungenȱ verbundenȱ ist.ȱ Soȱ istȱ z.B.ȱ denkbar,ȱ dassȱ dieȱ BeȬ rufssituationȱ vonȱ Lehrkräftenȱ zuȱ einemȱ erhöhtenȱ Risikoȱ fürȱ dieȱ EntwicklungȱvonȱBurnoutȱführtȱ(Richterȱ&ȱHacker,ȱ1998).ȱ

4.2

Schulorganisation: lose Kopplung und eingeschränkte Responsivität

Inȱ diesemȱ Abschnittȱ werdenȱ einigeȱ Überlegungenȱ zumȱ Verhältnisȱ verschiedenerȱ Schulsystemebenenȱ gemacht.ȱ Alsȱ Systemgrenzeȱ fürȱ dieȱvorliegendeȱAnalyseȱdientȱdieȱSchulhausebene.ȱHistorischeȱundȱ gesellschaftlicheȱ Einflüsseȱ sowieȱ bildungspolitischeȱ RahmenbedinȬ gungenȱ werdenȱ hierȱ alsȱ Kontextfaktorenȱ verstanden,ȱ obwohlȱ sieȱ natürlichȱ Einflussȱ aufȱ dasȱ Geschehenȱ imȱ Schulhausȱ habenȱ könnenȱ (Helmkeȱ&ȱWeinert,ȱ1997).ȱ Barrȱ undȱ Dreebenȱ (1983,ȱ S.ȱ 7)ȱ sprechenȱ imȱ Zusammenhangȱ mitȱ Schulsystemenȱ vonȱ „nestedȱ hierarchicalȱ layers“.ȱ Entsprechendȱ dieȬ serȱMetapherȱverstehenȱsieȱSchulenȱalsȱhierarchischeȱSysteme,ȱderenȱ Systemebenenȱ miteinanderȱ verbundenȱ bzw.ȱ ineinanderȱ verschachȬ teltȱ sind.ȱ Auchȱ Purkeyȱ undȱ Smithȱ (1983)ȱ kommenȱ inȱ ihremȱ ÜberȬ sichtsbeitragȱzuȱ„effectiveȱschools“ȱzumȱFazit,ȱdassȱSchulenȱalsȱSysȬ temeȱ mitȱ verschiedenen,ȱ engȱ aufeinanderȱ bezogenenȱ Ebenen,ȱ verȬ standenȱwerdenȱsollten.ȱȱ DieȱAnnahmeȱengȱaufeinanderȱbezogenerȱSystemebenenȱbliebȱallerȬ dingsȱnichtȱunwidersprochen.ȱWeickȱ(1976)ȱbetrachtetȱBildungsinstiȬ tutionenȱ z.B.ȱ alsȱ loseȱ gekoppelteȱ Systemeȱ („looselyȱ coupledȱ sysȬ tems“).ȱDamitȱistȱdieȱAnnahmeȱverbunden,ȱdassȱinȱBildungsinstituȬ tionenȱ traditionellȱ keineȱ konsistentenȱ undȱ klarȱ definiertenȱ Zielsetzungenȱ vorhandenȱ sind1,ȱ keineȱ verbindlichenȱ Standardsȱ beȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Inȱ derȱ Schweizȱ werdenȱ allerdingsȱ imȱ Zugeȱ derȱ Einführungȱ vonȱ Schulleitungenȱ

104ȱ

imȱ Rahmenȱ derȱ (TeilȬ)Autonomisierungȱ vonȱ Einzelschulenȱ zunehmendȱ gemeinȬ sameȱZielsetzungenȱerarbeitet.ȱȱ

Schulorganisation: lose Kopplung und eingeschränkte Responsivität

4.2

züglichȱVerfahrenȱundȱTechnologienȱbestehenȱundȱEntscheidungenȱ durchȱwechselndeȱAkteureȱmitȱunterschiedlichenȱInteressenȱgetrofȬ fenȱwerden2.ȱAktivitätenȱundȱStrukturelementeȱinȱBildungsorganisaȬ tionenȱ weisenȱ zwarȱ Interdependenzenȱ auf,ȱ dieȱ verschiedenenȱ SysȬ temebenenȱ undȱ Akteureȱ funktionierenȱ aberȱ gleichzeitigȱ relativȱ auȬ tonomȱ undȱ unabhängig,ȱ womitȱ organisationaleȱ Unbestimmtheitenȱ entstehenȱ könnenȱ (Ortonȱ &ȱ Weick,ȱ 1990).ȱ Dasȱ Ausmassȱ derȱ losenȱ KoppelungȱergibtȱsichȱnachȱOrtonȱundȱWeickȱdurchȱdasȱVerhältnisȱ derȱ Ansprechbarkeitȱ bzw.ȱ Empfindlichkeitȱ (responsiveness)ȱ vonȱ Systemelementenȱ fürȱ äussereȱ Einflüsseȱ einerseitsȱ undȱ derenȱ EigenȬ ständigkeitȱ (distinctiveness)ȱ bzw.ȱ derenȱ Möglichkeitenȱ zumȱ unabȬ hängigenȱHandelnȱandererseits.ȱDasȱKonzeptȱloserȱKoppelungȱweistȱ Berührungspunkteȱ zurȱ Annahmeȱ derȱ Existenzȱ lokalerȱ Theorienȱ inȱ Organisationenȱ aufȱ (Baitsch,ȱ 1993;ȱ Elden,ȱ 1983).ȱ Formalisierteȱ ArȬ beitsstrukturenȱ findenȱ ihrenȱ Niederschlagȱ inȱ materiellerȱ Form,ȱ z.B.ȱ inȱOrganigrammenȱundȱArbeitspapieren.ȱAlsȱPendantȱzurȱmaterielȬ lenȱAusformulierungȱderȱArbeitsorganisationȱsiehtȱBaitschȱ(1993,ȱS.ȱ 26)ȱ lokaleȱ Theorienȱ –ȱ z.B.ȱ imȱ Sinneȱ gemeinsamerȱ Regelnȱ undȱ BeȬ zugssystemeȱ –ȱ alsȱ „Verkörperungȱ einesȱ Konsensbereiches.ȱ ExplikaȬ tionsgradȱ undȱ Bewusstheitȱ Lokalerȱ Theorienȱ könnenȱ unterschiedȬ lichȱsein.ȱInȱjedemȱFallȱaberȱwirdȱaufȱdieȱLogikȱdiesesȱReferenzsysȬ temsȱ rekurriert,ȱ wennȱ esȱ umȱ dieȱ Ergänzungȱ oderȱ Komplettierungȱ desȱ Systemsȱ geht“.ȱ Werdenȱ Lehrkräfteȱ z.B.ȱ mitȱ Zielenȱ oderȱ VorȬ schlägenȱ ausȱ derȱ Umweltȱ Ȭȱ z.B.ȱ imȱ Rahmenȱ vonȱ VeränderungsproȬ jektenȱderȱBildungsverwaltungȱȬȱkonfrontiert,ȱdieȱihrenȱlokalenȱTheȬ orienȱ widersprechen,ȱ legitimierenȱ sieȱ ihreȱ Reaktionenȱ möglicherȬ weiseȱ „durchȱ Hinweiseȱ aufȱ bislangȱ Bewährtes,ȱ mitȱ Verweisenȱ aufȱ fehlendeȱAlternativen“ȱ (Baitsch,ȱ1993,ȱS.ȱ 27)ȱ oderȱ durchȱ spezifischeȱ Besonderheitenȱ desȱSubsystemsȱ Unterricht.ȱ Loseȱ Koppelungȱinȱ BilȬ dungsinstitutionenȱführtȱdamitȱtendenziellȱzurȱAbwehrȱorganisatioȬ nalerȱ Veränderungenȱ (Borman,ȱ 2002).ȱ Durchȱ dieȱ relativȱ starkeȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 2ȱȱ Vgl.ȱ auchȱ Modelleȱ zurȱ begrenztenȱ Rationalitätȱ vonȱ Entscheidungsprozessenȱ inȱ

Organisationenȱ (Cohen,ȱ Marchȱ &ȱ Olsen,ȱ 1972).ȱ Nachȱ Cohenȱ etȱ al.ȱ liegenȱ z.B.ȱ anȱ Universitätenȱ oftȱ keineȱ wohlȱ strukturiertenȱ Entscheidungsprozesseȱ vor.ȱ EntȬ scheidungsprozesseȱ hängenȱ gemäßȱ diesemȱ Modellȱ vonȱ Interessen,ȱ Forderungenȱ undȱ Ansprüchenȱ derȱ Einzelgruppen,ȱ demȱ Potentialȱ anȱ Lösungsmöglichkeiten,ȱ z.B.ȱ Ideen,ȱ Technologienȱ undȱ Produkten,ȱ vonȱ Entscheidungsgelegenheitenȱ undȱ denȱbeteiligtenȱAkteurenȱab.ȱ

105ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

„Grenze“ȱ zwischenȱ demȱ Geschehenȱ imȱ Unterrichtȱ undȱ derȱ Schuleȱ alsȱOrganisationȱwirdȱdieseȱTendenzȱmöglicherweiseȱverstärkt.ȱ DenȱModellvorstellungenȱloserȱKoppelungȱbzw.ȱlokalerȱTheorienȱistȱ gemeinsam,ȱdassȱdamitȱ„eineȱAbkehrȱvonȱderȱVorstellung,ȱSystemeȱ seienȱ primärȱ außengesteuert“ȱ (Baitsch,ȱ 1993,ȱ S.ȱ 12)ȱ verbundenȱ ist.ȱ „VielmehrȱwirdȱdemȱSystemȱgeradeȱhinsichtlichȱderȱaußengerichteȬ tenȱ Aktivitätenȱ Autonomieȱ zugesprochen.ȱ Einȱ Systemȱ interagiertȱ mitȱjenenȱAusschnittenȱderȱUmwelt,ȱdieȱfunktionalȱfürȱdieȱSystemȬ erhaltungȱsind“ȱ(ebd.).ȱ InȱBezugȱaufȱdenȱBildungskontextȱlassenȱsichȱElementeȱloserȱKoppeȬ lungȱ„insbesondereȱimȱZusammenhangȱmitȱdemȱLehrerhandelnȱimȱ KlassenraumȱundȱdemȱVerhältnisȱvonȱLehrkräftenȱundȱSchulleitungȱ oderȱ vonȱ Schulleitungȱ undȱ Schulaufsicht“ȱ identifizierenȱ (Fuchs,ȱ 2004,ȱS.ȱ218).ȱȱ Fuchsȱ (2004)ȱ weistȱ jedochȱ zurechtȱ daraufȱ hin,ȱ dassȱ vorȱ allemȱ inȱ staatlichenȱSchulenȱnachȱwieȱvorȱeineȱVielzahlȱvorgegebenerȱHandȬ lungsanweisungenȱ existiert.ȱ Schuleȱ seiȱ nochȱ immerȱ inȱ erheblichemȱ Masseȱ bürokratischȱ reguliert.ȱ „Diesȱ verweistȱ aufȱ dieȱ Beobachtung,ȱ dassȱ derȱ Schulalltagȱ vielerȱ Akteureȱ undȱ ihreȱ Wahrnehmungȱ vonȱ SchuleȱheuteȱdurchȱeinȱscheinbarȱwidersprüchlichesȱNebeneinanderȱ vonȱ bürokratischerȱ (ÜberȬ)Regulierungȱ undȱ gleichzeitigȱ existierenȬ denȱFreiräumenȱimȱschulischenȱAlltagȱbestimmtȱsind.ȱInsofernȱkannȱ angenommenȱ werden,ȱ dassȱ dieȱ Organisationȱ Schuleȱ durchȱ einȱ Spannungsfeldȱ zugleichȱ loserȱ undȱ festerȱ Koppelungȱ geprägtȱ ist“ȱ (vgl.ȱ Bormannȱ 2002,ȱ S.ȱ 36).ȱ Hierȱ mussȱ berücksichtigtȱ werden,ȱ dassȱ möglicherweiseȱ dieȱ Regelungsdichteȱ inȱ Deutschlandȱ nochȱ beiȱ weiȬ temȱausgeprägterȱistȱalsȱinȱderȱSchweiz.ȱ DasȱAusmaß,ȱ inȱ demȱ Teileȱ desȱ Schulsystemsȱ offenȱ sindȱ fürȱ Inputsȱ bzw.ȱ fürȱ Verhaltenserwartungenȱ undȱ Änderungsvorschlägeȱ vonȱ außen,ȱ wirdȱ alsoȱ durchȱ lokaleȱ Interessen,ȱ Zieleȱ undȱ Erwartungenȱ begrenzt.ȱ Andersȱ ausgedrücktȱ zeichnenȱ sieȱ sichȱ durchȱ „begrenzteȱ Responsivität“ȱaus.ȱLehrkräfteȱkönnenȱz.B.ȱgemeinsamȱKonzepteȱzurȱ Elternarbeitȱ entwickeln,ȱ sieȱ müssenȱ diesȱ aberȱ nichtȱ tun.ȱ Lehrkräfteȱ könnenȱ Anregungenȱ vonȱ Elternȱ annehmen,ȱ sieȱ müssenȱ dieseȱ aberȱ nichtȱvollumfänglichȱumsetzen.ȱUmgekehrtȱkönnenȱLehrkräfteȱElternȱ aufȱ Defiziteȱ derȱ Schüler,ȱ z.B.ȱ imȱ Sozialverhalten,ȱ hinweisen.ȱ Ihreȱ MöglichkeitenȱderȱEinflussnahmeȱaufȱdasȱprivateȱUmfeldȱsindȱaberȱ begrenzt,ȱ Elternȱ müssenȱ Ratschlägeȱ vonȱ Lehrkräftenȱ nichtȱ annehȬ

106ȱ

Schulorganisation: lose Kopplung und eingeschränkte Responsivität

4.2

men.ȱ Schülerȱ könnenȱ dieȱ Anweisungenȱ derȱ Lehrkräfteȱ umsetzen,ȱ aberȱsieȱwerdenȱauchȱMöglichkeitenȱfinden,ȱdieseȱAnweisungenȱzuȱ umgehen,ȱsieȱmüssenȱsichȱalsoȱnichtȱvollumfänglichȱdenȱZielenȱundȱ ErwartungenȱderȱLehrkräfteȱunterordnen.ȱ DurchȱMerkmaleȱloserȱKoppelungȱsindȱTeileȱdesȱtäglichenȱHandelnsȱ vonȱ Lehrkräftenȱ durchȱ Unsicherheitȱ bzw.ȱ durchȱ Ungewissheitȱ geȬ prägt.ȱSystemtheoretischȱausgedrücktȱistȱdieȱUngewissheitȱmitȱSysȬ temschwankungenȱbzw.ȱȬstörungenȱverbundenȱ(Alioth,ȱ1980),ȱwobeiȱ fürȱ dieȱ Lehrkraftȱ nurȱ eingeschränktȱ vorhersehbarȱ ist,ȱ wannȱ undȱ inȱ welchemȱ Ausmaßȱ dieseȱ Schwankungenȱ auftauchenȱ werden.ȱ Beiȱ Lehrkräftenȱ gehtȱ esȱ insbesondereȱ umȱ Schwankungenȱ inȱ denȱ AusȬ tauschbeziehungen,ȱdieȱaufȱ dieȱ eingeschränkteȱResponsivitätȱandeȬ rerȱAkteureȱ zurückzuführenȱ sind.ȱ Loseȱ Koppelungȱ kannȱ inȱ diesemȱ SinneȱaufȱdreiȱEbenenȱbelastungsrelevantȱwerden:ȱ(1)ȱaufȱderȱEbeneȱ derȱ Einzelschule,ȱ zwischenȱ Lehrkräftenȱ undȱ demȱ Kollegiumȱ bzw.ȱ derȱSchulleitung,ȱ(2)ȱaufȱderȱEbeneȱdesȱUnterrichts,ȱzwischenȱLehrȬ kräftenȱundȱSchülernȱ(3)ȱsowieȱaufȱderȱEbeneȱderȱElternarbeit,ȱzwiȬ schenȱ Lehrkräftenȱ undȱ Eltern.ȱ Lehrkräfte,ȱ dieȱ aufȱ Schulebeneȱ oderȱ imȱ Unterrichtȱ vielȱ inȱ ihreȱ Arbeitȱ investieren,ȱ sindȱ aufgrundȱ diverȬ genterȱ Zieleȱ undȱ Verhaltenserwartungenȱ verschiedenerȱ Akteureȱ damitȱ konfrontiert,ȱ dassȱ ihreȱ Ideen,ȱAnregungenȱ oderȱ Zieleȱ mögliȬ cherweiseȱkeinenȱAnklangȱfindenȱoderȱgarȱzurückgewiesenȱwerden.ȱ InterpretiertȱmanȱdieseȱVorkommnisseȱalsȱSchwankungenȱoderȱStöȬ rungen,ȱ resultiertȱ möglicherweiseȱ objektiverȱ Zusatzaufwand,ȱ derȱ dannȱ belastungsrelevantȱ wird,ȱ wennȱ dieȱ Lehrkraftȱ keineȱ angemesȬ senenȱ organisationalenȱ Ressourcenȱ zurȱ Verfügungȱ hat,ȱ umȱ mitȱ ihȬ nenȱumzugehenȱ(Leitner,ȱVolpert,ȱGreiner,ȱWeberȱ&ȱHennes,ȱ1987).ȱ Andererseitsȱ kannȱ ausȱ Sichtȱ derȱ Lehrkraftȱ mittelfristigȱ dasȱ Gefühlȱ entstehen,ȱ nichtȱ inȱ ausreichendemȱ Masseȱ fürȱ ihreȱArbeitȱ einenȱ GeȬ genwertȱ zuȱ erhalten,ȱ z.B.ȱ durchȱ Anerkennungȱ ihrerȱ Arbeit,ȱ durchȱ konstruktivesȱFeedbackȱoderȱdurchȱdasȱEngagementȱderȱSchülerinȬ nenȱ undȱ Schüler.ȱ Inȱ derȱ BurnoutȬForschungȱ wirdȱ inȱ diesemȱ ZuȬ sammenhangȱ vonȱ mangelnderȱ Reziprozitätȱ gesprochen,ȱ verschieȬ dentlichȱwurdenȱdiesbezüglichȱdeutlicheȱZusammenhängeȱmitȱBurȬ noutȱgefundenȱ(Bakker,ȱSchaufeliȱetȱal.,ȱ2000;ȱvanȱHorn,ȱSchaufeliȱ&ȱ Taris,ȱ 2001;ȱ Taris,ȱ vanȱ Horn,ȱ Schaufeliȱ &ȱ Schreurs,ȱ 2004;ȱ Taris,ȱ PeeȬ ters,ȱLeȱBlanc,ȱSchreursȱ&ȱSchaufeli,ȱ2001).ȱ Imȱ vorliegendenȱ Beitragȱ werdenȱ dieȱ Themenȱ „begrenzteȱ ResponsiȬ vität“ȱ undȱ möglicherweiseȱ darausȱ resultierendeȱ „mangelndeȱ ReȬ

107ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

ziprozität“ȱ aufȱ zweiȱ Ebenenȱ betrachtet:ȱ aufȱ derȱ Ebeneȱ derȱ EinzelȬ schule,ȱunterȱBezugnahmeȱzuȱKoordinationsȬȱundȱKooperationsmeȬ chanismenȱ anȱ Schulenȱ undȱ aufȱ derȱ Unterrichtsebene;ȱ hierȱ gehtȱ esȱ insbesondereȱ umȱ Besonderheitenȱ sozialerȱ Austauschprozesseȱ beiȱ personenbezogenenȱDienstleistungstätigkeiten.ȱ

4.3

Koordination und Kooperation an Schulen

4.3.1

Schulen als Expertenorganisationen

DieȱbisherigenȱAusführungenȱmachenȱdeutlich,ȱdassȱbegrenzteȱResȬ ponsivitätȱ undȱ darausȱ resultierendeȱ Konsequenzenȱ aufȱ verschiedeȬ nenȱ Systemebenenȱ vorliegenȱ können.ȱ U.a.ȱ sindȱ möglicherweiseȱ aufȱ derȱ Ebeneȱ derȱ Einzelschuleȱ Merkmaleȱ begrenzterȱ Responsivitätȱ zuȱ verzeichnen.ȱ Hierȱ dürftenȱ typischeȱ KoordinationsȬȱ undȱ KooperatiȬ onsmechanismenȱeineȱwichtigeȱRolleȱspielen.ȱ Mintzbergȱ (1979)ȱ unterscheidetȱ fünfȱ grundlegendeȱ Mechanismenȱ derȱ Koordination,ȱ sieȱ beruhenȱ aufȱ (a)ȱ gegenseitigerȱ Abstimmung,ȱ (b)ȱ persönlichenȱ Weisungen,ȱ (c)ȱ derȱ Standardisierungȱ vonȱ ArbeitsȬ prozessen,ȱ (d)ȱ derȱ Standardisierungȱ vonȱ Arbeitsergebnissenȱ sowieȱ (e)ȱ einerȱ Standardisierungȱ derȱ beiȱ denȱ Mitarbeiternȱ vorauszusetȬ zendenȱ Qualifikationen.ȱ Damitȱ zusammenhängendȱ kannȱ vermutetȱ werden,ȱdassȱMerkmaleȱloserȱKoppelungȱauchȱmitȱtypischenȱKoorȬ dinationsmechanismenȱinȱBildungssystemenȱverbundenȱsind.ȱ Eineȱ Besonderheitȱ derȱ Schuleȱ ist,ȱ wieȱ dargestellt,ȱ darinȱ zuȱ sehen,ȱ dassȱ dieȱ Qualitätȱ derȱ Primäraufgabeȱ durchȱ Unterrichtȱ hinterȱ verȬ schlossenenȱ Türenȱ geprägtȱ wirdȱ (Rolff,ȱ 1993).ȱ Sieȱ wirdȱ wesentlichȱ beeinflusstȱ durchȱ dieȱ Expertiseȱ derȱ Lehrkräfte.ȱ Dasȱ „Produkt“ȱ UnȬ terrichtȱkommtȱprimärȱaufȱderȱBasisȱgegenseitigȱanerkannterȱFähigȬ keitenȱ undȱ Kompetenzenȱ derȱ Lehrkräfteȱ zustande.ȱ Darüberȱ hinausȱ wirdȱ derȱ Abstimmungsbedarfȱ alsȱ relativȱ geringȱ angesehenȱ (Böttcher,ȱ2002).ȱZudemȱsindȱdieȱZieleȱschulischenȱHandelnsȱmehrȬ deutigȱ (Helmkeȱ &ȱ Weinert,ȱ 1997),ȱ Erfolgskriterienȱ sindȱ nichtȱ ohneȱ weiteresȱ zuȱ bestimmen.ȱ Damitȱ istȱ dieȱ Tätigkeitȱ derȱ Lehrkräfteȱ vonȱ außenȱnurȱbedingtȱsteuerȬȱbzw.ȱkontrollierbar.ȱMintzbergȱbezeichnetȱ

108ȱ

Koordination und Kooperation an Schulen

4.3

Bildungsinstitutionenȱ inȱ diesemȱ Zusammenhangȱ alsȱ „professionalȱ bureaucracy“ȱ(Mintzberg,ȱ1979,ȱS.ȱ372).ȱ Mitarbeitendeȱ inȱ Expertenorganisationenȱ sindȱ zudemȱ gemässȱ Mintzbergȱ stärkerȱ ihrerȱ Professionȱ verbundenȱ alsȱ derȱ jeweiligenȱ Organisation.ȱ Dementsprechendȱ werdenȱ organisationaleȱ Aufgabenȱ nichtȱzwingendȱalsȱimmanenterȱTeilȱderȱLehrkräftetätigkeitȱbetrachȬ tet.ȱ Derȱ ausgeprägtesteȱ Koordinationsmechanismusȱ inȱ Schulenȱ istȱ deshalbȱgemäßȱMintzbergȱeineȱStandardisierungȱderȱbeiȱdenȱMitarȬ beitendenȱvorauszusetzendenȱQualifikationen,ȱKenntnisseȱundȱproȬ fessionellenȱ Normen.ȱ Koordinationȱ wirdȱ dadurchȱ gewährleistet,ȱ dassȱ aufȱ derȱ Basisȱ einerȱ langenȱ undȱ anspruchsvollenȱ Ausbildungȱ sicherȱ gestelltȱ wird,ȱ dassȱ dieȱ Lehrkräfteȱ alltäglicheȱ Anforderungenȱ professionellȱmeisternȱkönnen.ȱȱ Wennȱ manȱ sichȱ bezüglichȱ derȱ Frageȱ derȱ Koordinationȱ primärȱ aufȱ dieȱ Expertiseȱ derȱ Lehrkräfteȱ verlässt,ȱ hatȱ diesȱ i.d.R.ȱ auchȱ KonseȬ quenzenȱ fürȱ dieȱ organisationalenȱ Rahmenbedingungen.ȱ Mintzbergȱ weistȱinȱdiesemȱZusammenhangȱdaraufȱhin,ȱdassȱExpertenorganisaȬ tionenȱ inȱ derȱ Regelȱ sehrȱ flacheȱ OrganisationsȬȱ undȱ FührungsstrukȬ turenȱ aufweisen.ȱ Eineȱ mittlereȱ Führungsebeneȱ warȱ z.B.ȱ inȱ Schulenȱ überȱlangeȱZeitȱkaumȱexistent,ȱeineȱProfessionalisierungȱvonȱManaȬ gementaufgabenȱ nichtȱ zuȱ beobachten.ȱ Derȱ aktuelleȱ Trendȱ inȱ derȱ Schweizȱ zurȱ Einführungȱ vonȱ Schulleitungenȱ wirdȱ ebenfallsȱ durchȱ schultypischeȱ Koordinationsmechanismenȱ beeinflusst.ȱ Dieȱ neuȱ einȬ gesetztenȱSchulleitungenȱverfügenȱfaktischȱ(noch)ȱnichtȱimmerȱüberȱ dieȱ notwendigeȱ Macht,ȱ umȱ ihreȱ Führungsaufgabenȱ adäquatȱ wahrȬ nehmenȱzuȱkönnen.ȱSieȱsindȱnochȱimmerȱinȱhohemȱMasseȱdemȱKolȬ legialitätsprinzipȱverbundenȱundȱbefindenȱsichȱinȱderȱheiklenȱLage,ȱ einerseitsȱ demȱ Kollegiumȱ anzugehören,ȱ dessenȱ KoordinationsmeȬ chanismenȱ undȱ Kommunikationswegeȱ weitgehendȱ nachȱ informelȬ lenȱ Kriterienȱ funktionierenȱ (Rüegg,ȱ 2000),ȱ andererseitsȱ aberȱ gleichȬ zeitigȱ gegenüberȱ demȱ Kollegiumȱ eineȱ Führungsfunktionȱ wahrnehȬ menȱ zuȱ müssen.ȱ Allerdingsȱ gibtȱ esȱ auchȱ Hinweiseȱ darauf,ȱ dassȱ Schulleitungenȱ imȱ Verlaufȱ derȱ Zeitȱ zunehmendȱ mehrȱ Aufgabenȱ verantwortlichȱ übernehmen,ȱ „fürȱ dieȱ sieȱ –ȱ undȱ nurȱ sieȱ –ȱ zuständigȱ sind“ȱ(Oelkers,ȱ2004).ȱ Letztlichȱ werdenȱ durchȱ schultypischeȱ Koordinationsmechanismenȱ auchȱ dieȱ Möglichkeitenȱ zuȱ kooperativerȱ Arbeitȱ imȱ Schulkontextȱ eingeschränkt.ȱ Mitȱ Bezugȱ zurȱ Annahmeȱ begrenzterȱ Responsivitätȱ

109ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

werdenȱinȱSchulenȱauchȱMöglichkeitenȱdesȱkooperativenȱHandelnsȱ alsȱ freiwilligȱ undȱ optionalȱ wahrgenommenȱ (Blutner,ȱ 2004).ȱ Damitȱ sindȱ inȱ Schulenȱ möglicherweiseȱ ähnlicheȱ Kooperationshindernisseȱ zuȱ verzeichnen,ȱ wieȱ sieȱ Weberȱ (1999,ȱ S.ȱ 47ff.)ȱ fürȱ industrielleȱ ArȬ beitsgruppenȱ beschriebenȱ hat.ȱ Beispielsweiseȱ werdenȱ erforderlicheȱ ZeitkapazitätenȱfürȱgemeinsameȱTätigkeitenȱnichtȱbereitgestellt,ȱd.h.ȱ fürȱdieȱPlanungȱundȱDurchführungȱindividuellerȱArbeitsgängeȱsindȱ dieȱ erforderlichenȱ Ressourcenȱ vorhanden,ȱ aberȱ nurȱ eingeschränktȱ fürȱ dieȱ Durchführungȱ vonȱ Regulationsfunktionenȱ gemeinsamerȱ Entscheidungsbereiche.ȱ Planungsmittelȱ fehlenȱ oderȱ sindȱ ungenüȬ gend.ȱDerȱInformationsflussȱistȱmangelhaft,ȱInformationenȱsindȱz.B.ȱ fehlerhaftȱ oderȱ verspätetȱ verfügbar.ȱ Dieȱ Entwicklungȱ undȱ UmsetȬ zungȱ vonȱ Verbesserungsvorschlägenȱ wirdȱ behindert.ȱ Weberȱ hatȱ gezeigt,ȱ dassȱ dieseȱ Kooperationshindernisseȱ mitȱ FehlbeanspruȬ chungenȱverbundenȱseinȱkönnen.ȱ Eineȱ empirischeȱ Überprüfungȱ derȱ vonȱ Mintzbergȱ postuliertenȱ KoȬ ordinationsmechanismenȱinȱ30ȱschwedischenȱSchulenȱ(Jacobssonȱ&ȱ Pousette,ȱ2001)ȱzeigteȱtatsächlich,ȱdassȱinȱderȱMehrzahlȱderȱSchulenȱ derȱ vonȱ Mintzbergȱ angenommeneȱ primäreȱ KoordinationsmechaȬ nismus,ȱalsoȱeineȱStärkungȱprofessionellerȱAutonomie,ȱmitȱAbstandȱ amȱ häufigstenȱ zuȱ verzeichnenȱ warȱ (54.9%).ȱ Derȱ zweitwichtigsteȱ KoordinationsmechanismusȱbezogȱsichȱaufȱdieȱErarbeitungȱgemeinȬ samerȱZieleȱ(30.2%).ȱImȱVergleichȱdazuȱseltenȱwurdenȱgemeinsameȱ Absprachenȱgenanntȱ(11.7%),ȱamȱwenigstenȱwichtigȱwarenȱpersönliȬ cheȱ Weisungenȱ undȱ standardisierteȱ Arbeitprozesse.ȱ Interessantȱ istȱ dasȱ Ergebnis,ȱ wonachȱ derȱ Koordinationsmechanismusȱ „StandardiȬ sierungȱ durchȱ Qualifikation“ȱ nichtȱ nurȱ mitȱ größerenȱ KoordinatiȬ onsproblemenȱalsȱ„KoordinationȱdurchȱgemeinsameȱZiele“ȱsondernȱ ebensoȱ mitȱ stärkererȱ emotionalerȱ Erschöpfungȱ derȱ Lehrkräfteȱ verȬ bundenȱwar.ȱ

4.3.2

Gruppenarbeit an Schulen

Aufgrundȱ derȱ relativȱ isoliertenȱ Ausübungȱ derȱ Primäraufgabeȱ undȱ schultypischerȱ KoordinationsȬȱ undȱ Kooperationsmechanismenȱ beȬ stehenȱ aufȱ Schulhausebeneȱ i.d.R.ȱ keineȱ Gruppenarbeitsstrukturen.ȱ Hinsichtlichȱ derȱ Primäraufgabe,ȱ demȱ Unterricht,ȱ istȱ keineȱ gemeinȬ sameȱ Aufgabeȱ vorhanden,ȱ dieȱ einzelneȱ Lehrkraftȱ istȱ imȱ Unterrichtȱ

110ȱ

Koordination und Kooperation an Schulen

4.3

üblicherweiseȱ aufȱ sichȱ gestellt.ȱ Inȱ verschiedenenȱ arbeitspsychologiȬ schenȱ Konzepten,ȱ z.B.ȱ imȱ soziotechnischenȱ Systemansatzȱ (vgl.ȱ AliȬ oth,ȱ1980;ȱEmeryȱ&ȱTrist,ȱ1960;ȱUlich,ȱ2005)ȱundȱdemȱdaraufȱaufbauȬ endenȱ MTOȬKonzeptȱ (Ulich,ȱ 1997),ȱ wirdȱ derȱ Gruppenarbeitȱ beȬ trächtlicheȱBedeutungȱbeigemessen.ȱȱ DaȱanȱSchulenȱundȱinsbesondereȱinȱBezugȱaufȱdenȱUnterrichtȱGrupȬ penarbeitsstrukturenȱ weitgehendȱ fehlenȱ undȱ damitȱ verbundenȱ dieȱ verschiedenenȱ Teilaufgabenȱ keinenȱ Zusammenhangȱ aufweisen,ȱ werdenȱ nichtȱ nurȱ arbeitsbezogeneȱ Kooperation,ȱ Kommunikationȱ undȱLernprozesseȱerschwert,ȱauchȱMöglichkeitenȱgegenseitigerȱUnȬ terstützungȱ werdenȱ behindertȱ (Ulich,ȱ 2005). Schwankungenȱ undȱ Störungenȱ mussȱ dieȱ Lehrkraftȱ weitgehendȱ selberȱ auffangenȱ undȱ regulieren.ȱ Durchȱ unterstützendeȱAktivitätenȱ desȱ Kollegiumsȱ kannȱ sieȱ zwarȱ anȱ Sicherheitȱ gewinnen,ȱ zumalȱ wenigȱ allgemeinverbindliȬ cheȱ Kriterienȱ fürȱ denȱ Umgangȱ mitȱ Schwankungenȱ undȱ Störungenȱ imȱ Unterrichtȱ bestehen.ȱ Steffensȱ undȱ Bargelȱ (1993,ȱ S.ȱ 66)ȱ nennenȱ dennȱ auchȱ alsȱ wichtigesȱ Prinzipȱ gelingenderȱ ProblemlösungsproȬ zesseȱinȱSchulenȱ„dieȱErwartungȱvonȱSolidaritätȱinȱKonfliktsituatioȬ nenȱ beiȱ gleichzeitigerȱ Kritikfähigkeitȱ derȱ Kollegenȱ untereinander“.ȱ Dasȱ Kollegiumȱ kannȱ alsoȱ durchausȱ alsȱ Ressourceȱ dienen,ȱ eineȱ geȬ meinsameȱ Aufgabeȱ undȱ kollektiveȱ Regulationsmöglichkeitenȱ aufȱ derȱ Ebeneȱ derȱ Primäraufgabeȱ Unterrichtȱ existierenȱ dennochȱ nicht.ȱ Andererseitsȱ sindȱ „Erfahrungsaustausch,ȱ Abstimmungȱ untereinanȬ der,ȱdieȱErörterungȱfachlicher,ȱdidaktischerȱundȱerzieherischerȱProbȬ lemeȱwieȱauchȱdieȱKlärungȱgrundsätzlicherȱpädagogischerȱFragenȱ...ȱ ohneȱKooperationȱnichtȱmöglich“ȱ(Aurin,ȱ1994,ȱS.ȱ123).ȱSoȱkamȱAuȬ rinȱ (1994)ȱ inȱ einerȱ Untersuchungȱ anȱ fünfȱ Gymnasienȱ zumȱ Schluss,ȱ dassȱ dieȱ Lehrkräfteȱ aufgabenbezogeneȱ Kooperationȱ durchausȱ alsȱ wichtigȱbetrachten.ȱAndererseitsȱfandȱerȱauch,ȱ„dassȱdieȱimȱSchulallȬ tagȱ tatsächlichȱ praktizierteȱ Zusammenarbeitȱ nachȱ Meinungȱ derȱ Mehrzahlȱ derȱ Lehrerȱ manchesȱ zuȱ wünschenȱ übrigȱ lässtȱ ...ȱ Fastȱ alleȱ Lehrerȱ beklagen,ȱ dassȱ inȱ derȱ Praxisȱ fürȱ Kooperationȱ zuȱ wenigȱ Zeitȱ bleibeȱundȱdieȱorganisatorischenȱRegelungenȱnichtȱimmerȱkooperaȬ tionsförderndȱseien“ȱ(Aurin,ȱ1994,ȱS.ȱ126).ȱ

111ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

4.4

Unterrichten als Primäraufgabe der Lehrkräfte

Auchȱ aufȱ derȱ Unterrichtsebeneȱ bestehenȱ Merkmaleȱ begrenzterȱ Responsivität.ȱHierȱgehtȱesȱinsbesondereȱumȱBesonderheitenȱsoziaȬ lerȱAustauschprozesseȱbeiȱpersonenbezogenenȱDienstleistungstätigȬ keiten.ȱ ZunächstȱstelltȱsichȱdieȱFrage,ȱinwiefernȱLehrkräfteȱinȱderȱErfüllungȱ ihrerȱ alltäglichenȱ Aufgabenȱ durchȱ Merkmaleȱ wieȱ loseȱ Koppelungȱ undȱbegrenzteȱResponsivitätȱbehindertȱwerdenȱundȱinwiefernȱdamitȱ verbundenȱGefühleȱmangelnderȱReziprozitätȱentstehenȱkönnen.ȱDieȱ AuswahlȱderȱAufgabeȱalsȱAnalyseeinheitȱerfolgteȱdabeiȱnichtȱzufälȬ lig.ȱ Inȱ arbeitspsychologischenȱ Konzeptenȱ erhältȱ dieȱ Aufgabeȱ eineȱ wichtigeȱRolle,ȱandersȱausgedrücktȱgehenȱsieȱ„vomȱPrimatȱderȱAufȬ gabeȱaus“ȱ(Ulich,ȱ1997,ȱS.ȱ9;ȱ vgl.ȱauchȱHacker,ȱ 1986;ȱ Volpert,ȱ1987).ȱ UnterschiedenȱwirdȱzwischenȱderȱPrimäraufgabe,ȱd.h.ȱderȱAufgabe,ȱ dieȱzuȱ erfüllenȱ dasȱ Systemȱ bzw.ȱSubsystemȱ geschaffenȱ wurde,ȱundȱ denȱ Sekundäraufgaben,ȱ dieȱ derȱ Systemerhaltungȱ (Unterhalt,ȱ WarȬ tung,ȱ Schulung)ȱ undȱ derȱ Systemsteuerungȱ (Steuerungȱ desȱ Inputs,ȱ Koordination)ȱdienenȱ(Ulich,ȱ2005).ȱ Dieȱ Primäraufgabeȱ derȱ Lehrkräfte,ȱ dieȱ hierȱ schwerpunktmäßigȱ beȬ trachtetȱ werdenȱ soll,ȱ istȱ derȱ alltäglicheȱ Unterricht3.ȱ Quantitativȱ nimmtȱderȱUnterricht,ȱundȱdamitȱderȱKontaktȱmitȱSchülerinnenȱundȱ Schülern,ȱ inȱ derȱ Lehrkräftetätigkeitȱ einenȱ großenȱ Raumȱ einȱ undȱ auchȱ qualitativȱ kommtȱ ihmȱ einigeȱ Bedeutungȱ zu:ȱ „Lehrer/innenȱ bewertenȱ dieȱ eigeneȱ Tätigkeitȱ undȱ ihreȱ beruflicheȱ Zufriedenheit“ȱ nichtȱzuletztȱdanach,ȱobȱihreȱBeziehungenȱzuȱdenȱSchülerinnenȱundȱ Schülernȱ positivȱ oderȱ belastetȱ sindȱ undȱ obȱ sieȱ „inȱ derȱ pädagogiȬ schenȱ Arbeitȱ mitȱ ihnenȱ Anerkennungȱ undȱ Erfolgȱ erfahren“ȱ (K.ȱ UȬ lich,ȱ2001,ȱS.ȱ76).ȱȱ Dieȱ Primäraufgabeȱ derȱ Lehrkräfteȱ istȱ mitȱ demȱ Zielȱ einerȱ VerändeȬ rungȱinȱdenȱSchülerinnenȱundȱSchülernȱverbunden,ȱz.B.ȱdurchȱWisȬ sensaufbauȱ bzw.ȱ eineȱ Erweiterungȱ vonȱ Handlungsmöglichkeitenȱ undȱdamitȱderȱRegulationsgrundlagenȱ(Resch,ȱ1991)ȱderȱKinderȱundȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 3ȱȱ ÜberlegungenȱzurȱUnterscheidungȱzwischenȱPrimärȬȱundȱSekundäraufgabenȱimȱ

112ȱ

SchulkontextȱfindenȱsichȱbeiȱWülserȱ(2006).ȱ

Unterrichten als Primäraufgabe der Lehrkräfte

4.4

Jugendlichen.ȱDabeiȱwirkenȱdieȱLehrkräfteȱ„direktȱaufȱdasȱintellekȬ tuelleȱoderȱemotionaleȱBefinden“ȱ(Nerdinger,ȱ1994,ȱS.ȱ50)ȱderȱSchüȬ lerinnenȱ undȱ Schülerȱ ein,ȱ wobeiȱ i.d.R.ȱ einȱ unmittelbarerȱ Kontaktȱ zwischenȱdenȱLehrkräftenȱundȱdenȱSchülernȱbesteht4.ȱDaȱmitȱHilfeȱ vonȱ interaktivenȱ Prozessenȱ eineȱ Veränderungȱ inȱ derȱ Personȱ derȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱ angestrebtȱ wird,ȱ kannȱ dieȱ Tätigkeitȱ alsȱ dialogischȬerzeugendȱ bezeichnetȱ werdenȱ (Resch,ȱ 1991).ȱ Einȱ wichtiȬ gesȱZielȱderȱLehrkraftȱbeziehtȱsichȱdabeiȱaufȱdieȱBereitstellungȱvonȱ Lernsituationen,ȱinnerhalbȱdererȱdieȱzuȱunterrichtendenȱKinderȱundȱ Jugendlichenȱ lernenȱ könnenȱ (Krause,ȱ 2002).ȱ Dieȱ Aneignungȱ derȱ Lerninhalte,ȱ dieȱ Integrationȱ inȱ bestehendeȱ Wissensbestände,ȱ dieȱ Erschließungȱ vonȱ Bedeutungenȱ usw.ȱ erfolgtȱ allerdingsȱ inȱ hohemȱ Masseȱ durchȱ Eigenaktivitätenȱ derȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱ (BöttȬ cher,ȱ 2002).ȱ Dasȱ heißt,ȱ Unterrichtȱ kannȱ nurȱ dannȱ gelingen,ȱ „wennȱ dieȱZielstellungenȱvonȱLehrerȱundȱSchülerȱaufȱgemeinsameȱAktiviȬ tätenȱ ausgerichtetȱ werden.ȱ Insofernȱ mussȱ Unterrichtȱ alsȱ kooperatiȬ verȱ Prozessȱ verstandenȱ werden“ȱ (Krause,ȱ 2002,ȱ S.ȱ 4).ȱ Damitȱ wirdȱ deutlich,ȱdassȱdieȱSchülerinnenȱundȱSchülerȱzwarȱeinerseitsȱObjekteȱ derȱ Leistungserbringungȱ sind,ȱ dassȱ sieȱ aberȱ andererseitsȱ beiȱ derȱ Erstellungȱ derȱ Dienstleistungȱ mitarbeitenȱ müssen,ȱ damitȱ sieȱ gelinȬ genȱ kannȱ (Nerdinger,ȱ 1994).ȱ Mitȱ Bezugȱ zurȱ soȱ genanntenȱ KoȬ Produktionstheseȱ(Grossȱ&ȱBadura,ȱ1977)ȱheißtȱdies,ȱdassȱSchülerInȬ nenȱ nichtȱ einfachȱ nurȱ Dienstleistungenȱ konsumieren;ȱ hierȱ bestehenȱ GemeinsamkeitenȱmitȱDienstleistungstätigkeitenȱimȱGesundheitsbeȬ reich.ȱ Büssingȱ undȱ Glaserȱ (2003)ȱ weisenȱ z.B.ȱ daraufȱ hin,ȱ dassȱ einȱ Patientȱ „KoȬAkteurȱ inȱ einerȱ komplexenȱ Beziehung“ȱ ist,ȱ „undȱ seineȱ Rolleȱ...ȱinȱBezugȱaufȱQualitätȱundȱErfolgȱebensoȱwichtig“ȱist,ȱ„wieȱ dieȱ desȱ Dienstleistersȱ selbst“ȱ (Büssingȱ &ȱ Glaser,ȱ 2003,ȱ S.ȱ 133;ȱ vgl.ȱ auchȱ Rieder,ȱ 1999).ȱ Darausȱ folgt,ȱ dassȱ derȱ Prozessȱ derȱ Interaktionȱ einenȱimmanentenȱBestandteilȱdesȱProduktsȱdarstelltȱ(Brucks,ȱ1998).ȱ Dieȱ Interaktionȱ zwischenȱ Leistungserbringerȱ undȱ Ȭempfängerȱ hatȱ direktenȱ Einflussȱ aufȱ dieȱ Qualitätȱ desȱArbeitsergebnissesȱ undȱ auchȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 4ȱȱ Wesentlichȱ andersȱ kannȱ diesȱ natürlichȱ imȱ Rahmenȱ vonȱ Konzeptenȱ desȱ EȬ

Learningȱ undȱ vonȱ computerbasiertenȱ Trainingsmaßnahmenȱ aussehen.ȱ Dieseȱ LernformenȱspielenȱimȱSettingȱ derȱVolksschuleȱ undȱanȱGymnasienȱzwarȱzunehȬ mendȱeineȱRolle,ȱtraditionelleȱUnterrichtsformenȱdürftenȱaberȱnochȱimmerȱüberȬ wiegen.ȱ

113ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

aufȱ dieȱ Qualitätȱ desȱ Arbeitslebensȱ derȱ Dienstleistendenȱ (Büssing,ȱ 1999).ȱ

4.5

Begrenzte Responsivität im Unterricht

MitȱdenȱAussagenȱdesȱletztenȱAbschnittsȱwirdȱdeutlich,ȱdassȱUnterȬ richtȱ ohneȱ Mitarbeitȱ derȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱ nichtȱ gelingenȱ kann.ȱAndererseitsȱwurdeȱdieȱHypotheseȱformuliert,ȱdassȱu.a.ȱinȱderȱ Austauschbeziehungȱ zwischenȱ Lehrkräftenȱ undȱ Schülerinnenȱ bzw.ȱ Schülernȱ„begrenzteȱResponsivität“ȱzuȱverzeichnenȱist,ȱinsbesondeȬ reȱwennȱsichȱZieleȱundȱVerhaltenserwartungenȱnichtȱvollumfänglichȱ decken.ȱAufȱGrundȱdamitȱverbundenerȱqualitativerȱundȱquantitatiȬ verȱ Besonderheitenȱ derȱ sozialenȱ Austauschprozesseȱ erhöhtȱ sichȱ möglicherweiseȱdasȱRisiko,ȱFehlbeanspruchungenȱzuȱentwickeln.ȱ

4.5.1

Soziale Austauschprozesse und mangelnde Reziprozität: Erkenntnisse der BurnoutForschung

Basierendȱ aufȱ theoretischenȱ Annahmenȱ derȱ Equitytheorieȱ (Adams,ȱ 1965;ȱ Homans,ȱ 1958;ȱ Walster,ȱ Walsterȱ &ȱ Berscheid,ȱ 1965)ȱ hatȱ dieȱ niederländischeȱ Forschungsgruppeȱ umȱ Buunkȱ undȱ Schaufeliȱ (BakȬ ker,ȱ Schaufeli,ȱ Sixma,ȱ Bosveldȱ &ȱ vanȱ Dierendonck,ȱ 2000;ȱ Buunkȱ &ȱ Schaufeli,ȱ1993,ȱ1999;ȱvanȱDierendonckȱ&ȱSixma,ȱ1994)ȱeinenȱsozialȬ psychologischenȱ Bezugsrahmenȱ fürȱ dieȱ Erklärungȱ vonȱ Burnoutȱ vorgelegt.ȱȱ Inȱ einemȱ fürȱ dieȱ vorliegendeȱ Frageȱ besondersȱ bedeutendenȱ ForȬ schungsstrangȱuntersuchtenȱBuunkȱundȱKollegen,ȱobȱbeiȱPersonen,ȱ dieȱvielȱinȱihreȱArbeitȱinvestieren,ȱbeiȱdenenȱaberȱdenȱdamitȱverbunȬ denenȱ Anstrengungenȱ keineȱ entsprechendenȱ Belohnungenȱ bzw.ȱ Gratifikationenȱ gegenüberȱ stehen,ȱ vermehrtȱ mitȱ derȱ Entwicklungȱ vonȱ Burnoutȱ zuȱ rechnenȱ ist.ȱ Tatsächlichȱ fandenȱ sichȱ inȱ verschiedeȬ nenȱ Studienȱ deutlicheȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ einemȱ Gefühlȱ mangelnderȱ Reziprozitätȱ undȱ insbesondereȱ denȱ BurnoutdimensioȬ nenȱemotionaleȱErschöpfungȱundȱDepersonalisationȱ(Bakker,ȱSchauȬ feliȱetȱal.,ȱ2000;ȱvanȱHornȱetȱal.,ȱ2001;ȱTarisȱetȱal.,ȱ2001,ȱ2004).ȱȱ

114ȱ

Begrenzte Responsivität im Unterricht

4.5

Ausȱ derȱ Annahmeȱ einerȱ tätigkeitsimmanentenȱ Asymmetrieȱ resulȬ tiertȱallerdingsȱdieȱFrage,ȱwarumȱsichȱBurnoutȱnichtȱbeiȱallenȱMitarȬ beitendenȱpersonenbezogenerȱDienstleistungstätigkeitenȱentwickelt.ȱ DieȱAutorenȱverweisenȱhierȱrelativȱunbestimmtȱaufȱinterindividuelleȱ Unterschiedeȱ(Schaufeliȱ&ȱBuunk,ȱ1998).ȱAllerdingsȱistȱebensoȱdenkȬ bar,ȱdassȱstrukturelleȱMerkmaleȱwieȱderȱSchultyp,ȱdieȱKlassengrößeȱ undȱȬzusammensetzungȱsowieȱdieȱQualitätȱlokalerȱUnterstützungsȬ systemeȱeineȱwesentlicheȱRolleȱspielen.ȱ Dassȱ insbesondereȱ dieȱ Primäraufgabenȱ personenbezogenerȱ DienstȬ leistungstätigkeitenȱBesonderheitenȱaufweisen,ȱwelcheȱdieȱEntwickȬ lungȱdesȱGefühlsȱmangelnderȱReziprozitätȱunterstützen,ȱwurdeȱvonȱ Brucksȱ (1998,ȱ 1999),ȱ unterȱ besondererȱ Berücksichtigungȱ desȱ SpitalȬ kontexts,ȱumfassendȱdargestellt.ȱ

4.5.2

Mangelnde Verpflichtung zur Reziprozität: Besonderheiten personenbezogener Dienstleistungstätigkeiten

FürȱBrucksȱ(1998,ȱS.ȱ9)ȱistȱdenȱTätigkeitenȱvonȱÄrztinnenȱundȱÄrzȬ ten,ȱ Pflegepersonal,ȱ Lehrkräften,ȱ Erzieherinnenȱ undȱ Therapeutenȱ gemeinsam,ȱ dassȱ „ihreȱ Tätigkeitȱ einenȱ Kooperationspartnerȱ hatȱ –ȱ denȱPatienten,ȱSchüler,ȱKlientenȱusw.ȱ–ȱdemȱwesentlicheȱMerkmaleȱ einesȱ echtenȱ Kooperationspartnersȱ fehlen,ȱ insbesondereȱ dieȱ VerȬ pflichtungȱzurȱReziprozität“.ȱSieȱstelltȱfest,ȱdassȱProzesseȱderȱSelbstȬ veränderung,ȱ wieȱ etwaȱ Gesundungȱ oderȱ Lernzuwachsȱ beiȱ denȱ BeȬ troffenenȱ eineȱ hoheȱ Konzentrationȱ aufȱ sichȱ selbstȱ erfordern.ȱ Diesȱ führtȱ dazu,ȱ dassȱ ihnenȱ „durchȱ gesellschaftlicheȱ Normenȱ ...ȱ einȱ Schonraumȱ zugestanden“ȱ wird.ȱ Diesȱ verweistȱ wiederumȱ aufȱ dasȱ Dilemma,ȱdassȱdieȱDienstleistungstätigkeitȱeinerseitsȱohneȱMitarbeitȱ derȱSchülerinnenȱundȱSchülerȱnichtȱgelingenȱkann,ȱdassȱaberȱandeȬ rerseitsȱaufȱderȱSeiteȱderȱSchülerinnenȱundȱSchülerȱkeineȱumfassenȬ deȱVerpflichtungȱzurȱReziprozitätȱvorhandenȱist.ȱȱ NichtȬReziprozitätȱ impliziertȱ imȱ vorliegendenȱ Fallȱ aberȱ auchȱ einȱ Machtungleichgewicht.ȱ Dieȱ Beziehungȱ zwischenȱ Lehrkräftenȱ undȱ Schülerinnenȱ bzw.ȱ Schülernȱ kannȱ insofernȱ alsȱ asymmetrischȱ beȬ zeichnetȱ werden,ȱ alsȱ dieȱ Lehrkraftȱ einenȱ großenȱ WissensȬȱ undȱ ErȬ fahrungsvorsprungȱ aufweist.ȱ Dieȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱ verfüȬ genȱ überȱ wenigerȱ Wissenȱ undȱ Handlungsmöglichkeiten,ȱ dieȱ BezieȬ

115ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

hungȱ kannȱ inȱ diesemȱ Sinneȱ nichtȱ alsȱ gleichberechtigtȱ bezeichnetȱ werden.ȱ Zudemȱ stehenȱ demȱ Schonraumȱ derȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱ auchȱ Einschränkungenȱ gegenüber.ȱ Dieȱ Schülerȱ müssenȱ amȱ Unterrichtȱ teilnehmen,ȱ habenȱ einenȱ vorgegebenenȱ Stundenplanȱ einzuhalten,ȱkönnenȱsichȱdieȱLehrkräfteȱi.d.R.ȱnichtȱaussuchenȱundȱ auchȱihreȱMitbestimmungsrechteȱsindȱbegrenzt.ȱDiesesȱSystemȱvonȱ RechtenȱundȱPflichtenȱbedeutetȱimȱÜbrigenȱauchȱeinenȱqualitativenȱ Unterschiedȱ zurȱ Beziehungȱ zwischenȱ Firmenȱ undȱ Kundenȱ andererȱ Dienstleistungszweigeȱ (Brucks,ȱ 1999);ȱ „währendȱ Verkäuferinȱ undȱ Käuferin,ȱKellnerȱundȱGastȱzwarȱmitȱjeȱspezifischemȱInteresse,ȱaberȱ dochȱaufȱgleicherȱEbeneȱüberȱeinenȱdrittenȱGegenstandȱundȱdessenȱ Qualitätȱverhandeln,ȱistȱeineȱKrankheitȱoderȱeinȱWissensdefizitȱnichtȱ alsȱunabhängigerȱdritterȱGegenstandȱaufzufassen“ȱ(S.ȱ183).ȱWissensȬ aufbauȱ undȱ Rekonvaleszenzȱ könnenȱ alsȱ Aufgabenȱ dementspreȬ chendȱ nichtȱ vonȱ Drittpersonenȱ übernommenȱ werden,ȱ sieȱ liegenȱ letztlichȱimmerȱinȱderȱVerantwortungȱderȱbetroffenenȱPerson.ȱ Zunächstȱkönnteȱmanȱnunȱargumentieren,ȱdassȱdieȱmangelndeȱVerȬ pflichtungȱ zurȱ Reziprozitätȱ einenȱ immanentenȱ Bestandteilȱ derȱ TäȬ tigkeitȱpersonenbezogenerȱDienstleistungenȱausmachtȱundȱinsofernȱ vonȱ denȱ Dienstleistungstätigenȱ durchausȱ alsȱ legitimerȱ Teilȱ ihrerȱ Arbeitsaufgabeȱ interpretiertȱ werdenȱ kann.ȱ Zudemȱ sindȱ sowohlȱ BeȬ rufeȱdesȱGesundheitsȬȱalsȱauchȱdesȱBildungswesensȱselbstverständȬ lichȱ nichtȱ inȱ jedemȱ Fallȱ durchȱ mangelndeȱ Reziprozitätȱ geprägt;ȱ sieȱ bringenȱ auchȱ „Belohnungen“ȱ mitȱ sich,ȱ seiȱ esȱ durchȱ dieȱ Genesungȱ einesȱ Patientenȱ undȱ derȱ damitȱ verbundenenȱ Dankbarkeit,ȱ seiȱ esȱ durchȱ Lernfortschritte,ȱ dieȱ einȱ Schülerȱ erzielt.ȱ Empirischeȱ UntersuȬ chungenȱ deutenȱ allerdingsȱ daraufȱ hin,ȱ dassȱ dieȱ Realitätȱ oftȱ andersȱ aussieht.ȱSoȱsindȱz.B.ȱÄrztinnen,ȱKrankenschwesternȱundȱLehrkräfteȱ regelmäßigȱ mitȱ Patientenȱ oderȱ Schülernȱ konfrontiert,ȱ dieȱ ihreȱ Ratschlägeȱnichtȱbefolgen,ȱdieȱüberhöhteȱAnforderungenȱstellen,ȱdieȱ sogarȱ mogeln,ȱ manipulierenȱ oderȱ destruktivesȱ Verhaltenȱ zeigenȱ (Bauer,ȱ2004;ȱCherniss,ȱ1995).ȱ

4.5.3

Mangelnde Reziprozität: Grenzen des Konzepts und weiterführende Überlegungen

Demeroutiȱ(1999)ȱmachtȱunterȱBezugȱzuȱdenȱErgebnissenȱderȱBurnȬ outȬForschungȱ daraufȱ aufmerksam,ȱ dassȱ esȱ sinnvollȱ wäre,ȱ dasȱ mitȱ

116ȱ

Begrenzte Responsivität im Unterricht

4.5

mangelnderȱ Reziprozitätȱ verbundeneȱ Ungleichgewichtȱ genauerȱ zuȱ beschreibenȱ undȱ zuȱ operationalisieren.ȱ Inȱ derȱ GerechtigkeitsforȬ schungȱ existierenȱ z.B.ȱ nebenȱ derȱ Equitytheorieȱ MehrprinzipienanȬ sätze,ȱ dieȱ davonȱ ausgehen,ȱ dassȱ Menschenȱ aufȱ derȱ Basisȱ unterȬ schiedlicherȱPrinzipienȱzuȱGerechtigkeitsurteilenȱkommenȱ(Deutsch,ȱ 1975).ȱ Nebenȱ demȱ EquityȬPrinzipȱ werdenȱ damitȱ weitereȱ idealtypiȬ scheȱGerechtigkeitsprinzipienȱdifferenziert.ȱDieȱwichtigstenȱsindȱdasȱ EqualityȬPrinzipȱ(GleichverteilungȱzwischenȱallenȱbeteiligtenȱPersoȬ nenȱ unabhängigȱ vonȱ individuellenȱ Unterschieden)ȱ undȱ dasȱ NeedȬ Prinzipȱ(VerteilungȱaufȱderȱGrundlageȱderȱindividuellenȱBedürfnisȬ se)ȱ (Hupfeld,ȱ 2000).ȱ Dasȱ EquityȬPrinzipȱ wirdȱ idealtypischȱ v.a.ȱ aufȱ Geschäftsbeziehungenȱ angewendet.ȱ Verteilungsregelnȱ stützenȱ sichȱ hierbeiȱ aufȱ dasȱ Proportionalitätsprinzip.ȱ Dasȱ NeedȬPrinzipȱ beziehtȱ sichȱ stärkerȱ aufȱ FreundschaftsȬȱ undȱ Liebesbeziehungen.ȱ Manȱ gibtȱ freiwilligȱ undȱ gerne,ȱ wasȱ manȱ kann,ȱ erhältȱ dafürȱ aberȱ auch,ȱ wasȱ manȱbraucht.ȱAllerdingsȱwirdȱdasȱNeedȬPrinzipȱderȱTheorieȱzufolgeȱ auchȱdannȱangewendet,ȱwennȱeineȱindividuelleȱFörderungȱundȱdieȱ persönlicheȱ Entwicklungȱ derȱ Beteiligtenȱ imȱ Vordergrundȱ stehtȱ (Deutsch,ȱ1975).ȱBeiȱLehrkräftenȱhandeltȱesȱsichȱeinerseitsȱdurchausȱ umȱ Geschäftsbeziehungen,ȱ v.a.ȱ inȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ Beziehungȱ zuȱ denȱ Schulbehörden.ȱ Aufȱ derȱ anderenȱ Seiteȱ sollenȱ Lehrkräfteȱ Rücksichtȱ aufȱ dieȱ Bedürfnisseȱ derȱ Schülerȱ nehmenȱ (NeedȬprinzip),ȱ ohneȱ dassȱ sieȱ imȱ Gegenzugȱ dazuȱ auchȱ ihreȱ Bedürfnisseȱ gleichberechtigtȱ einȬ bringenȱkönnenȱ(Brucks,ȱ1998),ȱwieȱdiesȱimȱNeedȬPrinzipȱpostuliertȱ wird.ȱ Auchȱ zwischenȱ demȱ EqualityȬȱ undȱ demȱ NeedȬPrinzipȱ kannȱ esȱ beiȱ Lehrkräftenȱ zuȱ Dilemmasituationenȱ kommen.ȱ Soȱ kannȱ z.B.ȱ einȱ WiȬ derspruchȱentstehen,ȱwennȱeineȱLehrkraftȱdieȱBedürfnisseȱeinzelnerȱ Schülerȱ ernstȱ nehmenȱ willȱ (Need)ȱ undȱ gleichzeitigȱ allenȱ SchülerinȬ nenȱundȱSchülernȱgleichvielȱAufmerksamkeitȱwidmenȱwillȱ(EqualiȬ ty).ȱ Wennȱ sieȱ zumȱ Beispielȱ einemȱ Schülerȱ mitȱ Lernschwierigkeitenȱ beiȱ einerȱ Aufgabeȱ hilft,ȱ hatȱ sieȱ u.U.ȱ gleichzeitigȱ einȱ schlechtesȱ GeȬ wissenȱgegenüberȱdemȱKlassenverband,ȱderȱwenigerȱAufmerksamȬ keitȱerhält.ȱ Weiterhinȱ stelltȱ sichȱ dieȱ Frage,ȱ warumȱ z.B.ȱ professionelleȱ Normenȱ oderȱ monetäreȱ Belohnungenȱ alsȱ „Outcome“ȱ nichtȱ ausreichen,ȱ umȱ Reziprozitätȱ herzustellen.ȱ Gemäßȱ derȱ Ressourcentheorieȱ sozialerȱ Beziehungenȱ vonȱ Foaȱ undȱ Foaȱ (1980;ȱ Foa,ȱ Converse,ȱ Törnblomȱ &ȱ Foa,ȱ 1993)ȱ lassenȱ sichȱ beiȱ denȱ jeweilsȱ ausgetauschtenȱ Ressourcenȱ

117ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

(Inputsȱ undȱ Outcomes)ȱ verschiedeneȱ Klassenȱ unterscheiden,ȱ z.B.ȱ Liebeȱ (inkl.ȱ Zuwendung,ȱ Wärme,ȱ Trost,ȱ Beistand),ȱ Statusȱ (Prestige,ȱ Achtung,ȱAnsehen),ȱ Informationen,ȱ Geld,ȱ Güterȱ undȱ DienstleistunȬ gen.ȱZwischenmenschlichesȱVerhaltenȱ(sozialeȱInteraktion)ȱistȱdabeiȱ charakterisiertȱ durchȱ denȱ Austauschȱ einerȱ oderȱ mehrererȱ RessourȬ cen,ȱdieȱdenȱbeteiligtenȱIndividuenȱimȱVerlaufeȱderȱInteraktionȱzurȱ Verfügungȱstehenȱbzw.ȱinȱihremȱVerlaufeȱdefiniertȱwerden.ȱȱ Foaȱ etȱ al.ȱ (1993)ȱ konntenȱ z.B.ȱ zeigen,ȱ dassȱ einȱAustauschȱ zwischenȱ GüternȱunterschiedlicherȱKlassenȱumsoȱunwahrscheinlicherȱwird,ȱjeȱ unähnlicherȱsieȱsichȱhinsichtlichȱderȱzuȱGrundeȱliegendenȱDimensiȬ onenȱsind.ȱInȱvielenȱFällenȱwirdȱsogarȱeinȱAustauschȱinnerhalbȱderȱ gleichwertigenȱ Ressourcenklasseȱ oderȱ zumindestȱ zwischenȱ gleichȱ bewertetenȱ Ressourcenȱ vorgezogen.ȱ Übertragenȱ aufȱ dieȱ Situationȱ vonȱÄrztenȱundȱLehrkräftenȱkönnteȱdiesȱheißen,ȱdassȱz.B.ȱorganisaȬ tionaleȱ „Belohnungen“,ȱ wieȱ Geldȱ oderȱ WeiterbildungsmöglichkeiȬ ten,ȱaufȱdieȱDauerȱnichtȱausreichen,ȱumȱeinȱGefühlȱderȱReziprozitätȱ aufrechtzuerhalten,ȱ dasȱ durchȱ Merkmaleȱ derȱ Interaktionȱ zwischenȱ Dienstleistendenȱ undȱ Klientenȱ bedrohtȱ wird.ȱ Interessantȱ istȱ auchȱ derȱ Befundȱ vonȱ Foaȱ etȱ al.ȱ (1993),ȱ wonachȱ beiȱ einemȱ RessourcenȬ tauschȱ dieȱ angewendetenȱ „Verrechnungsregeln“ȱ jeȱ nachȱ RessourȬ cenklasseȱ variieren.ȱ Hupfeldȱ (2001,ȱ S.12)ȱ machtȱ konformȱ mitȱ derȱ TheorieȱvonȱFoaȱdaraufȱaufmerksam,ȱdassȱdiesȱu.a.ȱdarinȱbegründetȱ liegt,ȱ „dassȱ nichtȱ soȱ sehrȱ denȱ Güternȱ immanenteȱ Eigenschaftenȱ dieȱ Austauschregelnȱ bestimmen,ȱ alsȱ vielmehrȱ dieȱ demȱ jeweiligenȱAusȬ tauschȱbeigelegteȱBedeutung“.ȱȱ

118ȱ

Schaufeli,ȱvanȱDierendonckȱundȱvanȱGorpȱ(1996;ȱBuunkȱ&ȱSchaufeli,ȱ 1999)ȱbietenȱeinenȱAnsatz,ȱderȱdenȱEinbezugȱsowohlȱinterpersonalerȱ alsȱ auchȱ organisationalerȱ Reziprozitätseinschätzungenȱ inȱ dieȱ BurnȬ outȬDiskussionȱauchȱausȱaustauschtheoretischerȱSichtȱunterstützt.ȱInȱ ihremȱ ZweiebenenȬAustauschmodellȱ zurȱ Entstehungȱ vonȱ Burnoutȱ („dualȱlevelȱexchangeȱmodelȱofȱburnout“)ȱgehenȱsieȱdavonȱaus,ȱdassȱ mangelndeȱReziprozitätȱaufȱverschiedenenȱEbenenȱbeobachtetȱwerȬ denȱ undȱ zuȱ jeweilsȱ unterschiedlichenȱ Konsequenzenȱ führenȱ kann.ȱ ZumȱeinenȱaufȱderȱinterpersonalenȱEbene,ȱhierȱfandenȱsieȱkorrelatiȬ veȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ derȱ Einschätzungȱ mangelnderȱ ReȬ ziprozitätȱundȱBurnout,ȱzumȱanderenȱaufȱderȱorganisationalenȱEbeȬ ne,ȱ woȱ sieȱ nebenȱ Zusammenhängenȱ mitȱ Burnoutȱ auchȱ bedeutsameȱ Korrelationenȱ mitȱ organisationalerȱ Verbundenheitȱ undȱ mitȱ demȱ AuftretenȱvonȱFehlzeitenȱfandenȱ(ebd.).ȱTarisȱetȱal.ȱ(2004)ȱfandenȱinȱ

Begrenzte Responsivität im Unterricht

4.5

einerȱ Untersuchungȱ mitȱ Lehrkräften,ȱ dassȱ mangelndeȱ Reziprozitätȱ inȱ Bezugȱ aufȱ (1)ȱ Schülerinnenȱ undȱ Schüler,ȱ (2)ȱ Kolleginnenȱ undȱ Kollegenȱ sowieȱ (3)ȱ dieȱ Organisationȱ unterschiedlicheȱ ZusammenȬ hängeȱ mitȱ denȱ verschiedenenȱ BurnoutȬDimensionenȱ undȱ derȱ VerȬ bundenheitȱ mitȱ derȱ Organisationȱ aufwiesen,ȱ wobeiȱ emotionaleȱ ErȬ schöpfungȱmitȱallenȱdreiȱReziprozitätsebenenȱdieȱdeutlichstenȱposiȬ tivenȱZusammenhängeȱzeigte.ȱȱ EinȱModell,ȱdassȱebenfallsȱReziprozitätsüberlegungenȱaufȱorganisaȬ tionalerȱEbeneȱbetont,ȱdasȱaberȱursprünglichȱnichtȱfürȱdenȱLehrkräfȬ tekontextȱ entwickeltȱ wordenȱ ist,ȱ istȱ dasȱ Modellȱ beruflicherȱ GratifiȬ kationskrisenȱ vonȱ Siegristȱ (1996,ȱ 2002).ȱ Dasȱ Modellȱ gehtȱ inȱ seinenȱ Annahmenȱ überȱ dieȱ unmittelbareȱ Arbeitstätigkeitȱ hinausȱ undȱ theȬ matisiertȱdieȱorganisationalenȱRahmenbedingungen.ȱInȱdiesemȱMoȬ dellȱ wirdȱ aberȱ ebenfallsȱ angenommen,ȱ dassȱ einȱ Ungleichgewichtȱ zwischenȱberuflicherȱVerausgabungȱundȱalsȱGegenwertȱdafürȱerhalȬ tenerȱBelohnungenȱzuȱStressreaktionenȱführt.ȱ Siegristȱ unterscheidetȱ zwischenȱ situativenȱ (extrinsischen)ȱ undȱ perȬ sonalenȱ (intrinsischen)ȱ Verausgabungsquellen.ȱ Sozialȱ vermittelteȱ Belohnungenȱ bzw.ȱ Gratifikationenȱ werdenȱ überȱ dreiȱ „TransmitterȬ systeme“ȱvermittelt:ȱGeld,ȱWertschätzungȱundȱberuflicheȱStatuskonȬ trolleȱ (Arbeitsplatzsicherheit,ȱ Aufstiegschancen,ȱ ausbildungsadäȬ quateȱBeschäftigung).ȱȱ Alsȱstressauslösendȱundȱschlussendlichȱkrankheitsrelevantȱwirdȱimȱ Modellȱ beruflicherȱ Gratifikationskrisenȱ eineȱ Kombinationȱ starker,ȱ langȱ anhaltenderȱ Verausgabungȱ mitȱ imȱ Vergleichȱ dazuȱ bescheideȬ nenȱ Gratifikationenȱ angesehen.ȱ Diesȱ widerspiegeltȱ eineȱ mangelndeȱ Reziprozitätȱ zwischenȱ individuellenȱ Kostenȱ undȱ Nutzenȱ imȱ Sinneȱ vonȱGratifikationenȱ(Siegrist,ȱ1996).ȱ Empirischȱ zeigtenȱ sichȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ GratifikationsȬ krisenȱ undȱ erhöhtenȱ Risikenȱ fürȱ psychiatrischeȱ Störungenȱ (Stansfeld,ȱ Fuhrer,ȱ Shipleyȱ &ȱ Marmot,ȱ 1999),ȱ Depressionenȱ (Tsutsumi,ȱ Ishitake,ȱ Peter,ȱ Siegristȱ &ȱ Matoba,ȱ 2001),ȱ Burnoutȱ (Bakker,ȱ Killmer,ȱ Siegristȱ &ȱ Schaufeli,ȱ 2000)ȱ undȱAlkoholabhängigȬ keitȱ (Head,ȱ Stansfeldȱ &ȱ Siegrist,ȱ 2004).ȱ Insbesondereȱ wurdeȱ aberȱ gefunden,ȱ dassȱ Gratifikationskrisenȱ mitȱ einemȱ erhöhtenȱ Risikoȱ fürȱ koronareȱ Herzkrankheitenȱ undȱ Bluthochdruckȱ verbundenȱ sindȱ (Bosma,ȱPeter,ȱ Siegristȱ &ȱMarmot,ȱ1998;ȱ Kivimäkiȱetȱ al.,ȱ 2002;ȱ SiegȬ rist,ȱ1990).ȱ

119ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

DieȱÜberlegungenȱzurȱReziprozitätȱinȱAustauschprozessenȱundȱdesȱ ModellsȱberuflicherȱGratifikationskrisenȱkönnenȱschließlichȱauchȱalsȱ FragenȱderȱVerteilungsgerechtigkeitȱundȱdamitȱimȱRahmenȱderȱForȬ schungȱ zurȱ distributivenȱ Gerechtigkeitȱ betrachtetȱ werden.ȱ Beiȱ denȱ imȱletztenȱAbschnittȱvorgestelltenȱModellenȱstelltȱsichȱletztlichȱalsoȱ dieȱFrage,ȱobȱdieȱDienstleistendenȱfürȱihreȱAnstrengungenȱangemesȬ senȱ „belohnt“ȱ werden.ȱ Forschungsarbeitenȱ zurȱ prozeduralenȱ GeȬ rechtigkeitȱzeigenȱaber,ȱdassȱz.B.ȱEntscheidungenȱzurȱVerteilungȱvonȱ Gratifikationenȱ nichtȱ nurȱ nachȱ ihremȱ Ergebnisȱ beurteiltȱ werdenȱ können,ȱ sondernȱ auchȱ nachȱ ihremȱ Zustandekommen.ȱ Dieȱ Qualitätȱ vonȱEntscheidungsprozessenȱkannȱfürȱdasȱGerechtigkeitsempfindenȱ unterȱUmständenȱsogarȱwichtigerȱseinȱalsȱdasȱErgebnisȱselbst.ȱDieseȱ „Gerechtigkeitsperspektive“ȱ wirdȱ fürȱ denȱ Schulkontextȱ beiȱ DorseȬ magenȱundȱKrauseȱ(inȱDruck)ȱvertieftȱbehandelt.ȱ

4.6

Empirische Ergebnisse aus einem Schulprojekt

DieȱbisȱhierȱdargestelltenȱÜberlegungenȱwurdenȱanhandȱeinesȱProȬ jektsȱ ausȱ demȱ Schweizerischenȱ Schulkontextȱ überprüftȱ (vgl.ȱ Ulich,ȱ Trachsler,ȱWülserȱ&ȱInversini,ȱ2003).ȱDerȱBildungsbereichȱdesȱunterȬ suchtenȱLandȬKantonsȱbefindetȱsichȱseitȱeinigenȱJahrenȱinȱeinerȱPhaȬ seȱ großerȱ Veränderungen.ȱ Dasȱ Reformprogrammȱ umfassteȱ zumȱ Zeitpunktȱ derȱ Erhebungȱ imȱ Sommerȱ2003ȱz.B.ȱ nichtȱ wenigerȱ alsȱ23ȱ Entwicklungsprojekte,ȱ vonȱ denenȱ alleinȱ 13ȱ aufȱ dieȱ Volksschulstufeȱ entfielen.ȱ Umȱ dieȱ Frageȱ nachȱ denȱ aktuellenȱ undȱ zukünftigenȱ ArȬ beitsbedingungen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ derȱ Lehrkräfteȱ anȬ gesichtsȱ derȱ vielfältigenȱ Veränderungenȱ systematischȱ zuȱ beantworȬ ten,ȱ wurdeȱ dieȱ Durchführungȱ einerȱ Längsschnittstudieȱ inȱ Auftragȱ gegeben,ȱdieȱdreiȱ Erhebungenȱ innerhalbȱ vonȱ sechsȱ Jahrenȱ vorsieht.ȱ DieȱersteȱErhebungȱwurdeȱimȱJahrȱ2003ȱabgeschlossen.ȱNachfolgendȱ werdenȱ ausgewählteȱ Ergebnisseȱ ausȱ denȱ entsprechendenȱAnalysenȱ berichtetȱ(fürȱdetaillierteȱErgebnisseȱvgl.ȱWülser,ȱ2006).ȱWeiterȱwerȬ denȱersteȱErgebnisseȱausȱLängsschnittanalysenȱberichtet,ȱdieȱzusätzȬ lichȱ aufȱ denȱ Ergebnissenȱ derȱ zweitenȱ Erhebungȱ ausȱ demȱ Jahrȱ 2005ȱ beruhen.ȱ Dabeiȱ interessierenȱ insbesondereȱ Zusammenhängeȱ zwiȬ

120ȱ

Empirische Ergebnisse aus einem Schulprojekt

4.6

schenȱ Merkmalenȱ derȱ Schulorganisation,ȱ derȱ Unterrichtstätigkeitȱ undȱdenȱFehlbeanspruchungen.ȱ

4.6.1

Schulhausebene und Unterrichtsebene: Zusammenhänge mit Fehlbeanspruchungen

Umȱ zuȱ überprüfen,ȱ obȱ Merkmaleȱ derȱ Schulorganisationȱ undȱ derȱ Unterrichtsebeneȱ imȱ Zusammenhangȱ mitȱ Fehlbeanspruchungenȱ stehen,ȱwurdenȱpfadanalytischeȱAuswertungenȱvorgenommenȱ(vgl.ȱ Wülser,ȱ2006).ȱ InȱBezugȱaufȱdieȱorganisationaleȱEbeneȱzeigteȱsichȱz.B.,ȱdassȱinsbesonȬ dereȱ beiȱ Gratifikationskrisenȱ (vgl.ȱ Siegrist,ȱ 1996,ȱ 2002)ȱ überȱ allgeȬ meineȱÜberȬȱundȱUnterforderungsmerkmaleȱhinausȱdeutlicheȱposiȬ tiveȱ Zusammenhängeȱ mitȱ emotionalerȱ Erschöpfungȱ undȱ aversivenȱ Gefühlenȱ gegenȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱ zuȱ verzeichnenȱ waren.ȱ Auchȱ (mangelnde)ȱ kollektiveȱ Selbstwirksamkeitserwartungenȱ stanȬ denȱ inȱ einemȱ positivenȱ Zusammenhangȱ mitȱ diesenȱ FehlbeanspruȬ chungen,ȱ allerdingsȱ etwasȱ wenigerȱ deutlichȱ alsȱ dieȱ GratifikationsȬ krisen.ȱ InȱBezugȱaufȱdieȱPrimäraufgabeȱUnterrichtȱzeigtenȱsichȱv.a.ȱfürȱReguȬ lationshindernisseȱ imȱ Sinneȱ vonȱ häufigenȱ ungeplantenȱ unterrichtsȬ bezogenenȱ Arbeitsunterbrechungenȱ sowieȱ fürȱ einȱ belastendesȱ MerkmalȱderȱEmotionsregulation,ȱdieȱemotionaleȱDissonanz,ȱdeutliȬ cheȱ Zusammenhängeȱ mitȱ denȱ Fehlbeanspruchungenȱ emotionaleȱ Erschöpfungȱ undȱ Aversionȱ gegenȱ Schülerinnenȱ undȱ Schüler.ȱ Dieȱ ReziprozitätseinschätzungenȱinȱBezugȱaufȱSchülerinnenȱundȱSchülerȱ bzw.ȱ aufȱ Eltern,ȱ alsȱ Indikatorenȱ fürȱ begrenzteȱ Responsivitätȱ aufȱ diesenȱ Ebenen,ȱ standenȱ ebenfallsȱ inȱ einemȱ signifikantenȱ ZusamȬ menhangȱmitȱdenȱFehlbeanspruchungen,ȱallerdingsȱvergleichsweiseȱ etwasȱwenigerȱdeutlich.ȱȱ

4.6.2

Ergebnisse aus Längsschnittuntersuchungen

Dieȱ zweiteȱ Erhebungȱ (t2)ȱ desȱ Lehrkräfteprojektsȱ fandȱ 28ȱ Monateȱ nachȱ derȱ erstenȱ Erhebungȱ (t1)ȱ statt.ȱ Imȱ Rahmenȱ derȱ LängsschnittȬ auswertungenȱ wurdenȱ u.a.ȱ hierarchischeȱ lineareȱ RegressionsanalyȬ

121ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

senȱ vorgenommen.ȱ Folgendenȱ Fragenȱ wurdeȱ dabeiȱ nachgegangenȱ (vgl.ȱWülser,ȱ2006):ȱ

„ Stehenȱ dieȱ durchȱ dieȱ Lehrkräfteȱ berichtetenȱ Belastungen,ȱ erhoȬ benȱinȱderȱerstenȱBefragungȱ(t1),ȱmitȱdenȱFehlbeanspruchungen,ȱ erhobenȱinȱderȱzweitenȱBefragungȱ(t2),ȱunterȱKontrolleȱderȱFehlȬ beanspruchungenȱ t1ȱ inȱ einemȱ signifikantenȱ Zusammenhangȱ (Längsschnitteffekte)?ȱ

„ Ergebenȱ sichȱ zwischenȱ denȱ Belastungenȱ t2ȱ undȱ denȱ FehlbeanȬ spruchungenȱt2ȱsignifikanteȱZusammenhänge,ȱwennȱdasȱNiveauȱ derȱFehlbeanspruchungenȱt1ȱkontrolliertȱwirdȱ(synchroneȱEffekte)?ȱ Durchȱ dieȱ Kontrolleȱ desȱ Fehlbeanspruchungsniveausȱ t1ȱ wurdeȱ hierȱ alsoȱ untersucht,ȱ obȱ dieȱ Veränderungȱ inȱ denȱ FehlbeanspruȬ chungenȱ zwischenȱ denȱ beidenȱ Erhebungsperiodenȱ mitȱ denȱ BeȬ lastungenȱt2ȱimȱZusammenhangȱstehen.ȱ

„ Theoretischeȱ Überlegungenȱ wieȱ auchȱ empirischeȱ Ergebnisseȱ deutenȱdaraufȱhin,ȱdassȱBelastungenȱimȱVerlaufȱderȱZeitȱzuȱFehlȬ beanspruchungenȱführenȱkönnen.ȱEsȱistȱallerdingsȱauchȱdenkbar,ȱ dassȱ umgekehrtȱ Personenȱ mitȱ hohenȱ Fehlbeanspruchungenȱ zuȬ nehmendȱ mehrȱ Belastungenȱ berichtenȱ (vgl.ȱ Sonnentagȱ &ȱ Frese,ȱ 2002;ȱ Zapfȱ &ȱ Semmer,ȱ 2004).ȱ Inȱ diesemȱ Zusammenhangȱ wurdeȱ untersuchtȱ obȱ sichȱ empirischȱ eineȱ inȱ diesemȱ Sinneȱ „umgekehrte“ȱ Kausalrichtungȱidentifizierenȱlässt.ȱ AlleȱRegressionsanalysenȱerfolgtenȱunterȱKontrolleȱdesȱGeschlechts,ȱ desȱAlters,ȱdesȱDienstaltersȱsowieȱdesȱAnstellungsgrads.ȱ Untersuchtȱ wurdenȱ u.a.ȱ dieȱ längsschnittlichenȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱdenȱ„Gratifikationskrisen“,ȱderȱ„mangelndenȱReziprozitätȱ SchülerInnen“ȱ undȱ derȱ „mangelndenȱReziprozitätȱ Eltern“ȱ(t1)ȱ bzw.ȱ denȱFehlbeanspruchungenȱ„emotionaleȱErschöpfung“ȱundȱ„AversiȬ onȱgegenȱSchülerinnenȱundȱSchüler“ȱ(t2).ȱDasȱheißt,ȱesȱwurdeȱüberȬ prüft,ȱ obȱ verschiedeneȱ Belastungsquellenȱ imȱ Verlaufȱ derȱ Zeitȱ mitȱ FehlbeanspruchungenȱimȱZusammenhangȱstehen.ȱ Eineȱ Überprüfungȱ derȱ Längsschnitteffekteȱ erbrachteȱ inȱ diesenȱ AnalȬ yenȱkaumȱsignifikanteȱErgebnisse.ȱȱ

122ȱ

HinsichtlichȱsynchronerȱEffekteȱzeigtenȱsichȱdeutlichȱsignifikanteȱZuȬ sammenhängeȱ zwischenȱ denȱ Gratifikationskrisen,ȱ derȱ mangelndenȱ Reziprozitätȱ inȱ Bezugȱ aufȱ SchülerInnenȱ sowieȱ derȱ emotionalenȱ ErȬ schöpfung.ȱDasȱgleicheȱMusterȱfandȱsichȱimȱZusammenhangȱmitȱderȱ

Empirische Ergebnisse aus einem Schulprojekt

4.6

SchülerInnenaversion.ȱKeineȱsynchronenȱEffekteȱfandenȱsichȱfürȱdieȱ mangelndeȱReziprozitätȱinȱBezugȱaufȱEltern.ȱ Entgegenȱ demȱ Ausbleibenȱ längsschnittlicherȱ Ergebnisseȱ konntenȱ Hinweiseȱaufȱ„umgekehrte“ȱKausaleffekteȱgefundenȱwerden.ȱDieȱemoȬ tionaleȱ Erschöpfungȱ (t1)ȱ standȱ inȱ einemȱ positivȱ signifikantenȱ ZuȬ sammenhangȱmitȱdenȱGratifikationskrisenȱ(t2)ȱundȱderȱmangelndenȱ ReziprozitätȱElternȱ(t2).ȱZwischenȱderȱSchülerInnenaversionȱ(t1)ȱundȱ derȱmangelndenȱReziprozitätȱElternȱ(t2)ȱfandenȱsichȱebenfallsȱsigniȬ fikanteȱZusammenhänge.ȱKeineȱHinweiseȱaufȱderartigeȱEffekteȱfanȬ denȱsichȱbeiȱderȱReziprozitätȱinȱBezugȱaufȱSchülerInnen.5ȱȱ DieȱErgebnisseȱzeigenȱnurȱschwacheȱEvidenzȱfürȱLängsschnitteffekȬ te,ȱrelativȱdeutlicheȱsynchroneȱEffekteȱundȱtendenzielleȱEvidenzȱfürȱ „umgekehrte“ȱKausaleffekte.ȱ Interessantȱist,ȱdassȱsichȱdieȱBelastungseinschätzungenȱderȱzweitenȱ Erhebungȱ deutlichȱ mitȱ derȱ Entwicklungȱ derȱ Fehlbeanspruchungenȱ zwischenȱdenȱbeidenȱErhebungenȱinȱZusammenhangȱbringenȱlässt.ȱ DerȱBefund,ȱwonachȱsynchroneȱgegenüberȱlängsschnittlichenȱEffekȬ tenȱ überwiegen,ȱ istȱ allerdingsȱ z.B.ȱ inȱ derȱ Stressforschungȱ nichtȱ unȬ üblich.ȱ EtwasȱüberraschendȱüberwogenȱinȱdenȱvorliegendenȱAnalysenȱ„umȬ gekehrte“ȱ Kausaleffekteȱ gegenüberȱ Längsschnitteffekten.ȱ TraditioȬ nellȱ werdenȱ derartigeȱ Effekteȱ mitȱ derȱ soȱ genanntenȱ „driftȬ Hypothese“ȱerklärtȱ(vgl.ȱKohnȱ&ȱSchooler,ȱ1973).ȱDamitȱistȱgemeint,ȱ dassȱ gesundheitlichȱ beeinträchtigteȱ Personenȱ evtl.ȱ vergleichsweiseȱ wenigerȱ Chancenȱ habenȱ sichȱ einenȱ gutenȱ Arbeitsplatzȱ zuȱ sichernȱ undȱ stattdessenȱ tendenziellȱ zunehmendȱ Arbeitstätigkeitenȱ nachgeȬ henȱ müssen,ȱ dieȱ sogarȱ mitȱ einerȱ größerenȱ Gefährdungȱ fürȱ dieȱ GeȬ sundheitȱ verbundenȱ sind.ȱ Evtl.ȱ fürȱ dieȱ vorliegendeȱ Analyseȱ sogarȱ nochȱ plausiblerȱ istȱ dieȱ soȱ genannteȱ „stressorȬcreation“ȬHypotheseȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 5ȱȱ WennȱallerdingsȱdieȱInvestitionsȬȱbzw.ȱdieȱGratifikationseinschätzungenȱ(SchülerȬ

Innen)ȱ nichtȱinȱFormȱeinesȱQuotientenȱ (Investitionenȱ/ȱGratifikationen),ȱsondernȱ durchȱEinsatzȱdesȱjeweiligenȱMittelwertsȱeingeführtȱwurdenȱ(Haupteffekte),ȱfandȱ sichȱ Evidenzȱ dafür,ȱ dassȱ dieȱ Erschöpfungȱ (t1)ȱ tendenziellȱ positivȱ signifikantȱ mitȱ derȱEinschätzungȱderȱInvestitionenȱinȱdieȱArbeitȱmitȱSchülerInnenȱ(t2),ȱbzw.ȱdassȱ dieȱ SchülerInnenaversionȱ (t1)ȱ negativȱ signifikantȱ mitȱ derȱ Einschätzungȱ dazuȱ imȱ Zusammenhangȱ stand,ȱ wieȱ starkȱ dieȱ Lehrkräfteȱ durchȱ dieȱArbeitȱ mitȱ SchülerInȬ nenȱprofitiertenȱ(t2).ȱ

123ȱ

4

Begrenzte Responsivität und Fehlbeanspruchungen bei Lehrkräften

(Spector,ȱ Zapf,ȱ Chenȱ &ȱ Frese,ȱ 2000).ȱ Mitȱ dieserȱ Hypotheseȱ istȱ dieȱ Annahmeȱ verbunden,ȱ dassȱ Personenȱ mitȱ Fehlbeanspruchungenȱ selbstȱ zurȱ Entwicklungȱ vonȱ Belastungenȱ beitragen,ȱ indemȱ sieȱ z.B.ȱ Konflikteȱprovozieren.ȱȱ Wennȱ esȱ sichȱ tatsächlichȱ bestätigenȱ sollte,ȱ dassȱ sichȱ beiȱ belastetenȱ Lehrkräftenȱ relativȱ schnellȱ Fehlbeanspruchungenȱ entwickelnȱ undȱ dieseȱFehlbeanspruchungenȱwiederumȱdazuȱführen,ȱdassȱBelastunȬ genȱ verstärktȱ auftreten,ȱ bestehtȱ dieȱ Gefahr,ȱ dassȱ mittelfristigȱ einȱ Teufelskreisȱentsteht,ȱbeiȱdemȱsichȱFehlbeanspruchungenȱundȱBelasȬ tungenȱ gegenseitigȱ verstärken.ȱ Damitȱ zusammenhängendȱ könntenȱ möglicherweiseȱauchȱdieȱteilweiseȱhohenȱFluktuationsratenȱ(fürȱdieȱ Schweizȱ vgl.ȱ z.B.ȱ Bundesamtȱ fürȱ Statistik,ȱ 2004)ȱ bzw.ȱ dieȱ geringeȱ VerweildauerȱvonȱLehrkräftenȱanȱeinerȱArbeitsstelleȱerklärtȱwerden.ȱ

4.7

Literatur

Adams,ȱ J.ȱ S.ȱ (1965).ȱ Inequityȱ inȱ socialȱ exchange.ȱ Inȱ L.ȱ Berkowitzȱ (Ed.),ȱAdvancesȱinȱExperimentalȱSocialȱPsychology,ȱVol.ȱ2ȱ(pp.ȱ267Ȭ299).ȱ NewȱYork:ȱAcademicȱPress.ȱ Alioth,ȱA.ȱ (1980).ȱ Entwicklungȱ undȱ Einführungȱ alternativerȱ ArbeitsforȬ men.ȱBern:ȱHuber.ȱ Aurin,ȱK.ȱ(1994).ȱGemeinsamȱSchuleȱmachen.ȱSchüler,ȱLehrer,ȱElternȱȬȱistȱ Konsensȱmöglich?ȱStuttgart:ȱKlettȬCotta.ȱ Baitsch,ȱ C.ȱ (1993).ȱ Wasȱ bewegtȱ Organisationen?ȱ Selbstorganisationȱ ausȱ psychologischerȱPerspektive.ȱFrankfurtȱa.M.:ȱCampus.ȱ Bakker,ȱ A.ȱ B.,ȱ Killmer,ȱ C.ȱ H.,ȱ Siegrist,ȱ J.ȱ &ȱ Schaufeli,ȱ W.ȱ B.ȱ (2000).ȱ EffortȬrewardȱ imbalanceȱ andȱ burnoutȱ amongȱ nurses.ȱ Journalȱ ofȱ AdȬ vancedȱNursing,ȱ31,ȱ884Ȭ891.ȱ Bakker,ȱA.ȱB.,ȱSchaufeli,ȱW.ȱB.,ȱDemerouti,ȱE.,ȱJanssen,ȱP.ȱP.ȱM.,ȱvanȱ derȱ Hulst,ȱ R.ȱ &ȱ Brouwer,ȱ J.ȱ (2000).ȱ Usingȱ equityȱ theoryȱ toȱ examineȱ theȱ differenceȱ betweenȱ burnoutȱ andȱ depression.ȱ Anxiety,ȱ Stress,ȱ &ȱ Coping,ȱ13,ȱ247Ȭ268.ȱ Bakker,ȱA.ȱB.,ȱSchaufeli,ȱW.ȱB.,ȱSixma,ȱH.ȱJ.,ȱBosveld,ȱW.ȱ&ȱvanȱDierȬ endonck,ȱ D.ȱ(2000).ȱ Patientȱ demands,ȱ lackȱ ofȱ reciprocity,ȱandȱ burnȬ

124ȱ

Literatur

4.7

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131ȱ

Einleitung

5.1

ȱ

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

Kapitel 5

Peter Paulus und Lutz Schumacher

133ȱ

Einleitung

5.1

5.1

Einleitung

Imȱ Jahrȱ 2005ȱ wurdenȱ 30ȱ Prozentȱ allerȱ inȱ denȱ Ruhestandȱ versetzterȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ aufgrundȱ einerȱ krankheitsbedingtenȱ Dienstunfähigkeitȱ frühpensioniertȱ (Statistischesȱ Bundesamt,ȱ 2006).ȱ Imȱ Vergleichȱ zuȱ denȱ Vorjahrenȱ istȱ hierȱ einȱ deutlicherȱ Rückgangȱ zuȱ verzeichnenȱȬȱimȱJahrȱ2000ȱlagȱdieȱQuoteȱnochȱbeiȱ64ȱProzentȱȬ,ȱderȱ sichȱwahrscheinlichȱaufȱdieȱneuȱeingeführtenȱVersorgungsabschlägeȱ beiȱ Frühpensionierungenȱ wegenȱ Dienstunfähigkeitȱ zurückführenȱ lässt.ȱ 56ȱ Prozentȱ derȱ krankheitsbedingtenȱ Frühpensionierungenȱ imȱ Jahrȱ 2002ȱ erfolgtenȱ aufgrundȱ vonȱ psychischenȱ undȱ psychosomatiȬ schenȱ Erkrankungenȱ (Bundesministeriumȱ desȱ Inneren,ȱ 2005;ȱ vgl.ȱ auchȱWeber,ȱWeltleȱ&ȱLederer,ȱ2003).ȱStudienȱzurȱLehrergesundheitȱ belegenȱ ebenfallsȱ dieȱ starkeȱ psychischeȱ Beanspruchungȱ durchȱ dieȱ Lehrertätigkeitȱ(z.B.ȱJehle,ȱ1997;ȱSchönwälder,ȱBernd,ȱStröverȱ&ȱTiesȬ ler,ȱ 2003).ȱ Schaarschmidtȱ (2004)ȱ konstatiert,ȱ dassȱ sichȱ fürȱ denȱ LehȬ rerberufȱ beiȱ denȱ psychischenȱ Beanspruchungenȱ imȱ Vergleichȱ mitȱ anderenȱ Berufenȱ dieȱ kritischstenȱ Beanspruchungsverhältnisseȱ finȬ den.ȱ Zusammenfassendȱ zeigenȱ dieȱ Befunde,ȱ dassȱ beiȱ vielenȱ LehrȬ kräftenȱdieȱBerufsausübungȱaufȱDauerȱzuȱerheblichenȱBeeinträchtiȬ gungenȱ derȱ Gesundheitȱ undȱ Leistungȱ führt.ȱ Dieseȱ Befundeȱ sindȱ inȱ vielerleiȱ Hinsichtȱ alarmierend.ȱ Dieȱ betroffenenȱ Lehrkräfteȱ büßenȱ LebensqualitätȱeinȱundȱsindȱoftȱnichtȱmehrȱinȱderȱLage,ȱihrenȱberufȬ lichenȱAnforderungenȱgerechtȱzuȱwerden.ȱDiesȱhatȱnegativeȱFolgenȱ fürȱdieȱSchülerinnenȱundȱSchülerȱundȱletztlichȱfürȱdieȱgesamteȱGeȬ sellschaft:ȱ Eineȱ Wissensgesellschaft,ȱ derenȱ wesentlichesȱ Gutȱ dieȱ Innovationskraftȱ ihrerȱ Bürgerinnenȱ undȱ Bürgerȱ ist,ȱ benötigtȱ leisȬ tungsfähigeȱ Schulen,ȱ dieȱ wiederumȱ ohneȱ gesunde,ȱ leistungsstarkeȱ undȱgutȱausgebildeteȱLehrkräfteȱnichtȱdenkbarȱsind.ȱȱ WieȱGesundheit,ȱLeistungsfähigkeitȱundȱFachlichkeitȱfürȱLehrkräfteȱ gesichertȱundȱentwickeltȱwerdenȱkönnen,ȱdazuȱwurdenȱinȱdenȱletzȬ tenȱ 15ȱ Jahrenȱ nationalȱ undȱ internationalȱ verschiedeneȱAnsätzeȱ entȬ wickeltȱundȱzumȱTeilȱumgesetzt.ȱNachfolgendȱwirdȱaufgezeigt,ȱwieȱ ausȱ derȱ Perspektiveȱ derȱ schulischenȱ Gesundheitsförderungȱ hierzuȱ einȱwirkungsvollerȱBeitragȱaussehenȱkann.ȱAusgehendȱvonȱdemȱsichȱ Anfangȱ derȱ 90erȱ Jahreȱ entwickelndenȱ Ansatzȱ derȱ GesundheitsförȬ derndenȱ Schuleȱ wirdȱ dasȱ Konzeptȱ derȱ „gutenȱ gesundenȱ Schule“ȱ vorgestellt.ȱ Mitȱ demȱ „PersonȬinȬSituationenȬAnsatz“ȱ (PiSA)ȱ wirdȱ zudemȱ einȱ Instrumentȱ eingeführt,ȱ dasȱ sowohlȱ zurȱ Diagnostikȱ alsȱ

135ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

auchȱ zurȱ Anbahnungȱ vonȱ Veränderungsprozessenȱ inȱ Schulenȱ geȬ nutztȱwerdenȱkann.ȱDasȱInstrumentȱPiSAȱermöglichtȱausgehendȱvonȱ prototypischenȱ Anforderungssituationenȱ desȱ Lehrersȱ dieȱ VerknüpȬ fungȱ einerȱ IndividualȬȱ undȱ Systemdiagnose,ȱ dieȱ Möglichkeitenȱ derȱ VerhaltensȬȱ undȱ Verhältnismodifikationȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ EntȬ wicklungȱeinerȱguten,ȱgesundenȱSchuleȱaufzeigt.ȱ

5.2

Gesundheitsfördernde Schule

Aufȱderȱ1.ȱInternationalenȱKonferenzȱderȱWeltgesundheitsorganisaȬ tionȱ (WHO)ȱ zurȱ Gesundheitsförderung,ȱ dieȱ 1986ȱ inȱ Ottawaȱ (KanaȬ da)ȱ stattfand,ȱ istȱ dieȱ sog.ȱ „OttawaȬCharta“ȱ verabschiedetȱ worden,ȱ dieȱeineȱbisȱheuteȱRichtungȱweisendeȱKonzeptionȱderȱGesundheitsȬ förderungȱenthältȱ(WHO,ȱ1992).ȱHierzuȱhatȱesȱetwaȱabȱ1990ȱauchȱimȱ Bildungsbereichȱ inȱ derȱ Bundesrepublikȱ Deutschlandȱ nebenȱ vielenȱ anderenȱ Aktivitätenȱ undȱ Initiativenȱ insbesondereȱ dreiȱ vonȱ derȱ BundȬLänderȬKommissionȱfürȱBildungsforschungȱundȱBildungsförȬ derungȱ(BLK)ȱunterstützteȱSchulmodellversucheȱderȱKultusministeȬ rienȱ undȱ oberstenȱ Senatsbehördenȱ gegeben.ȱ Beiȱ demȱ letztenȱ warenȱ gegenȱEndeȱca.ȱ500ȱSchulenȱbeteiligt:ȱ

„ „Gesundheitsförderungȱ imȱ schulischenȱ Alltag“ȱ (1990Ȭ1993,ȱ beȬ grenztȱaufȱSchleswigȬHolstein;ȱBarkholzȱ&ȱHomfeldt,ȱ1993)ȱ

„ „NetzwerkȱGesundheitsförderndeȱSchulen“ȱ(1993Ȭ1997;ȱBarkholzȱ &ȱPaulus,ȱ1998)ȱ

„ „OPUSȱ –ȱ Offenesȱ Partizipationsnetzȱ undȱ Schulgesundheit.ȱ GeȬ sundheitsförderungȱ durchȱ vernetztesȱ Lernen“ȱ (1997Ȭ2000;ȱ BarkȬ holz,ȱGabriel,ȱJahnȱ&ȱPaulus,ȱ2001)ȱ Deutschlandȱhatȱseitȱ1993ȱmitȱdenȱbeidenȱletztgenanntenȱModellverȬ suchenȱalsȱMitgliedȱimȱ43ȱLändernetzwerkeȱumfassendenȱ„EuropeȬ anȱNetworkȱofȱHealthȱPromotingȱSchools“ȱ(ENHPS)ȱanȱderȱVerwirkȬ lichungȱ derȱ zuȱ dieserȱ Zeitȱ innovativenȱ Ideeȱ einerȱ GesundheitsförȬ derndenȱSchuleȱmitgearbeitet.ȱȱ Dieserȱ auchȱ heuteȱ nochȱ weitȱ verbreiteteȱ undȱ propagierteȱ Ansatzȱ weistȱ aberȱ immerȱ deutlicherȱ sichtbareȱ Schwächenȱ auf,ȱ dieȱ Anlassȱ gebenȱmüssen,ȱnichtȱmehrȱnurȱdarüberȱnachzudenken,ȱwieȱderȱAnȬ

136ȱ

Gesundheitsfördernde Schule

5.2

satzȱ verbessertȱ werdenȱ kann,ȱ sondernȱ auchȱ vorȱ allemȱ darüber,ȱ obȱ sichȱnichtȱneueȱPerspektivenȱanbieten,ȱdieȱlangfristigȱeinenȱgrößerenȱ Erfolgȱ schulischerȱ Gesundheitsförderungȱ imȱ SettingȬAnsatzȱ verȬ sprechen,ȱohneȱallerdingsȱdieȱErrungenschaftenȱderȱbisherigenȱEntȬ wicklungenȱaufgebenȱzuȱmüssen.ȱȱ DieȱSchwächenȱlassenȱsichȱinȱzweiȱPunktenȱzusammenfassen:ȱ GeringeȱVerbreitungȱderȱGesundheitsförderndenȱSchulen:ȱZwarȱhabenȱbisȱ aufȱ Bayernȱ alleȱ Bundesländerȱ anȱ denȱ letztenȱ beidenȱ BLKȬ Modellversuchenȱ teilgenommen,ȱ mitȱ Ausnahmeȱ derȱ Schulenȱ desȱ OPUSȬNetzwerksȱ inȱ NordrheinȬWestfalenȱ habenȱ aberȱ erstȱ wenigeȱ dasȱ SettingȬKonzeptȱ systematischȱ aufgegriffen.ȱ Auchȱ wennȱ manȱ davonȱausgeht,ȱdassȱdieȱUmsetzungȱdesȱKonzeptesȱinȱseinerȱGanzȬ heitȱeinenȱsehrȱhohenȱAnspruchȱbeinhaltetȱundȱvieleȱSchulenȱdamitȱ überfordertȱsind,ȱistȱesȱdennochȱbemerkenswert,ȱdassȱvieleȱSchulenȱ diesesȱKonzeptȱauchȱnochȱnichtȱansatzweiseȱaufgegriffenȱhabenȱundȱ esȱ zuȱ einerȱ „Dimension“ȱ ihresȱ Selbstverständnissesȱ vonȱ Schuleȱ geȬ machtȱhaben.ȱFestzuhaltenȱbleibtȱdeshalb,ȱdassȱdasȱKonzeptȱbislangȱ nichtȱ dieȱ gewünschteȱ Wirkungȱ erzielenȱ konnte.ȱ Esȱ istȱ bisherȱ nichtȱ gelungen,ȱ wasȱ programmatischȱ inȱ derȱ Resolutionȱ vonȱ Thessalonikiȱ (1997),ȱ dieȱ aufȱ derȱ erstenȱ Konferenzȱ desȱ „Europeanȱ Networkȱ ofȱ Healthȱ Promotingȱ Schools“ȱ verabschiedetȱ wurde,ȱ gefordertȱ wird:ȱ Jedesȱ Kindȱ inȱ Europaȱ sollȱ einȱAnrechtȱ daraufȱ haben,ȱ eineȱ GesundȬ heitsförderndeȱ Schuleȱ zuȱ besuchenȱ (WHO,ȱ 1997b;ȱ Paulus,ȱ 2000).ȱ Angesichtsȱ derȱ Gesundheitsproblematik,ȱ dieȱ anȱ Schulenȱ herrscht,ȱ aufȱdieȱhierȱaberȱnurȱverwiesenȱwerdenȱkannȱ(s.ȱz.B.ȱBundeszentraleȱ fürȱ gesundheitlicheȱ Aufklärung,ȱ 1998;ȱ Etschenberg,ȱ 2001;ȱ EuropäiȬ scheȱ Kommission,ȱ 2000;ȱ Hurrelmann,ȱ Klocke,ȱ Melzerȱ &ȱ RavensȬ Sieberer,ȱ2003),ȱistȱderȱerreichteȱEntwicklungsstandȱunbefriedigend.ȱ ҏBedeutungslosigkeitȱinȱderȱaktuellenȱDiskussionȱumȱdieȱ“Neuvermessungȱ desȱ pädagogischenȱ Sinns“ȱ derȱ Schuleȱ (Flitner,ȱ 1996):ȱ Esȱ istȱ auchȱ zurȱ Kenntnisȱ zuȱ nehmen,ȱ dassȱ dieȱaktuelleȱ schulpädagogischeȱundȱ bilȬ dungspolitischeȱDiskussionȱumȱdieȱErneuerungȱderȱSchuleȱ(z.B.ȱvonȱ Hentig,ȱ1993;ȱVoß,ȱ1996)ȱȬȱdieȱFragenȱnachȱderȱVerwirklichungȱeinerȱ leistungsfähigeren,ȱ moderneren,ȱ innovativerenȱ oderȱ gutenȱ Schuleȱ aufwirftȱundȱhierzuȱkonkreteȱKonzeptionenȱentwickeltȱundȱmodellȬ haftȱ umsetztȱ Ȭȱ weitestgehendȱ ohneȱ Rückgriffȱ aufȱ Erkenntnisseȱ derȱ schulischenȱ Gesundheitsförderungȱ geführtȱ wirdȱ (z.B.ȱ Eikenbusch,ȱ

137ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

1998;ȱ Rolff,ȱ Buhren,ȱ LindauȬBankȱ &ȱ Müller,ȱ 1999;ȱ Schratz,ȱ Ibyȱ &ȱ Radnitzky,ȱ2000).ȱȱ Dieseȱ bedauerlicheȱ Entwicklung,ȱ dieȱ hierȱ inȱ zweiȱ Punktenȱ knappȱ beschriebenȱ ist,ȱ istȱ nichtȱ aufȱ oberflächlicheȱ Phänomeneȱ zurückzuȬ führen,ȱ wieȱ z.B.ȱ mangelndesȱ Marketingȱ oderȱ ungenügendȱ ausgeȬ bauteȱUnterstützungsstrukturen.ȱDieȱGründeȱliegenȱtiefer.ȱSieȱhabenȱ hauptsächlichȱ damitȱ zuȱ tun,ȱ dassȱ derȱ Ansatzȱ derȱ GesundheitsförȬ derndenȱ Schuleȱ originärȱ keinȱAnsatzȱ ist,ȱ derȱ ausȱ derȱ Schuleȱ selbst,ȱ d.h.ȱ ausȱ ihrenȱ Entwicklungsnotwendigkeitenȱ heraus,ȱ entwickeltȱ wordenȱ ist,ȱ sondernȱ vonȱ außen,ȱ vonȱ außerschulischenȱ bzw.ȱ –pädaȬ gogischenȱ Interessenȱ geleitet,ȱ anȱ dieȱ Schuleȱ herangetragenȱ wordenȱ istȱundȱwird.ȱWesentlicherȱMotorȱsindȱgesundheitspolitischeȱAnlieȬ gen,ȱdenenȱesȱimȱKernȱumȱeineȱbessereȱgesundheitlicheȱVersorgungȱ derȱBevölkerungȱgeht.ȱSoȱsindȱdennȱauchȱdieȱtreibendenȱundȱunterȬ stützendenȱ Kräfteȱ aufȱ europäischerȱ Ebeneȱ dieȱ WeltgesundheitsorȬ ganisationȱ (WHO),ȱ dieȱ dasȱ Technischeȱ Sekretariatȱ desȱ „Europeanȱ Networkȱ ofȱ Healthȱ Promotingȱ Schools“ȱ inȱ Kopenhagenȱ beiȱ derȱ WHOȬEUROȱ unterhältȱ (WHO,ȱ 1997a),ȱ undȱ dieȱ Europäischeȱ KomȬ mission,ȱ dieȱ überȱ dieȱAktionsprogrammeȱ derȱ Gemeinschaftȱ imȱ BeȬ reichȱderȱöffentlichenȱGesundheitȱdasȱinternationaleȱNetzwerkȱundȱ Projekteȱ fördert.ȱ ZentraleȱZieleȱsindȱ hierȱ Gesundheitsziele,ȱ dieȱ sichȱ anȱ epidemiologischenȱ Erkenntnissenȱ überȱ denȱ Gesundheitsstatusȱ vonȱKindernȱundȱJugendlichenȱorientierenȱbzw.ȱanȱdenȱErgebnissenȱ undȱ Herausforderungenȱ derȱ PräventionsȬȱ undȱ GesundheitsfördeȬ rungsforschungȱ(z.B.ȱInternationalȱUnionȱforȱHealthȱPromotionȱandȱ Education,ȱ 1999).ȱ Schuleȱ wirdȱ inȱ dieserȱ Perspektiveȱ nachȱ wieȱ vorȱ eherȱalsȱeineȱInstitutionȱgesehen,ȱinȱderȱdieȱwichtigeȱZielgruppeȱderȱ nachwachsendenȱ Generationȱ schichtȬȱ undȱ milieuübergreifendȱ erȬ reichtȱwerdenȱkann.ȱSozialeȱRandgruppen,ȱdieȱinȱderȱRegelȱauchȱmitȱ höherenȱ gesundheitlichenȱ Risikenȱ belastetȱ sind,ȱ könnenȱ aufȱ dieseȱ WeiseȱohneȱkontraproduktiveȱStigmatisierungȱerreichtȱwerdenȱ(PauȬ lus,ȱ 2002;ȱ s.ȱ hierzuȱ auchȱ denȱ Leitfadenȱ Präventionȱ derȱ SpitzenverȬ bändeȱderȱGesetzlichenȱKrankenkassenȱvomȱ10.ȱFebruarȱ2006).ȱEineȱ solcheȱ Sichtweiseȱ verkürztȱ aberȱ dasȱ Selbstverständnisȱ undȱ denȱ ErȬ ziehungsȬȱ undȱ Bildungsauftragȱ vonȱ Schule.ȱ Nichtȱ immerȱ wirdȱ klarȱ gesehen,ȱ dassȱ Schuleȱ eineȱ Institutionȱ desȱ BildungsȬȱ undȱ nichtȱ desȱ Gesundheitswesensȱ ist,ȱ wasȱ bedeutet,ȱ dassȱ dieȱ Gesundheitszieleȱ immerȱ reflektiertȱ werdenȱ müssenȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ desȱ ErzieȬ hungsȬȱundȱBildungsauftragsȱderȱSchule.ȱ

138ȱ

Gute gesunde Schule – mit Gesundheit Schule machen

5.3

HierȱdrängtȱsichȱderȱGedankeȱauf,ȱdassȱdieȱinȱdenȱletztenȱ16ȱJahrenȱ entwickelteȱ Konzeptionȱ derȱ Gesundheitsförderndenȱ Schuleȱ nichtȱ Schrittȱ gehaltenȱ hatȱ mitȱ denȱ Herausforderungen,ȱ vorȱ denenȱ Schuleȱ heuteȱ steht.ȱ Sieȱ warȱ zuȱ sehrȱ mitȱ derȱ Entwicklungȱ ihresȱ SelbstverȬ ständnissesȱbeschäftigt,ȱhatȱsichȱzuȱsehrȱalleinȱaufȱdieȱgesundheitliȬ chenȱ Problemlagenȱ derȱ Schülerinnenȱ undȱ Schüler,ȱ derȱ Lehrkräfteȱ undȱ derȱ Schuleȱ alsȱ Organisationȱ konzentriert.ȱ Dabeiȱ hatȱ sieȱ fastȱ üȬ bersehen,ȱdassȱihrȱ„Setting“,ȱdieȱSchule,ȱinȱeineȱtiefeȱLegitimationsȬ kriseȱgeratenȱist,ȱdieȱsieȱdazuȱzwingt,ȱihrenȱpädagogischenȱSinnȱneuȱ anȱ BildungsȬȱ undȱ Erziehungszielenȱ auszurichten,ȱ fürȱ derenȱ VerȬ wirklichungȱ dieȱ pädagogischeȱ Schulentwicklungȱ mitȱ neuenȱ StrukȬ turenȱundȱProzessenȱdenȱRahmenȱbildet.ȱDiesȱistȱeineȱandereȱSituaȬ tionȱalsȱEndeȱderȱ1980er/ȱAnfangȱderȱ1990erȱJahre,ȱalsȱdieȱGesundȬ heitsförderungȱ mitȱ ihrenȱ Konzeptenȱ desȱ Settings,ȱ derȱ Salutogeneseȱ undȱ derȱ „LifeȬSkills“ȱ dieȱ traditionelleȱ defizitorientierteȱ GesundȬ heitserziehungȱ überwindenȱ undȱ fürȱ dasȱ Themaȱ Gesundheitȱ imȱ schulischenȱKontextȱeineȱneueȱundȱfruchtbareȱPerspektiveȱeröffnenȱ konnte:ȱ „Schuleȱ imȱ Diensteȱ derȱ Förderungȱ derȱ Gesundheit“,ȱ dasȱ warȱeinȱwichtigerȱundȱverdienstvollerȱImpuls.ȱ

5.3

Gute gesunde Schule – mit Gesundheit Schule machen

Dieȱ guteȱ gesundeȱ Schuleȱ nimmtȱ hierȱ ihrenȱ Ausgangspunktȱ undȱ kehrtȱdieȱPerspektiveȱumȱ(s.ȱAbbildungȱ1).ȱSieȱgehtȱvonȱdenȱQualiȬ tätsdimensionenȱ schulischerȱ BildungsȬȱ undȱ Erziehungsarbeitȱ ausȱ undȱfragtȱnachȱdenȱBeiträgen,ȱdieȱschulischeȱGesundheitsförderungȱ zurȱ Schulqualitätȱ undȱ damitȱ z.B.ȱ auchȱ zurȱ gesundheitsgerechtenȱ Gestaltungȱ desȱArbeitsplatzesȱ Schuleȱ leistenȱ kann:ȱ „Gesundheitȱ imȱ DienstȱderȱSchulqualitätsentwicklung“,ȱdasȱistȱjetztȱdieȱPerspektive.ȱ „MitȱGesundheitȱguteȱSchuleȱmachen“ȱdasȱMotto.ȱȱ Dieȱ traditionelleȱ schulischeȱ Gesundheitsförderung,ȱ dieȱ sichȱ inȱ derȱ Folgeȱ derȱ Diskussionȱ zuȱ denȱ Ergebnissenȱ derȱ (interȬ)nationalenȱ Schulvergleichsuntersuchungenȱ(PISAȱu.a.)ȱjetztȱauchȱaufȱdieseȱQuaȬ litätsdimensionenȱundȱȬmerkmaleȱausrichtet,ȱgreiftȱhierbeiȱzuȱkurz.ȱ Umȱ einenȱ substantiellenȱ Beitragȱ zurȱ Schulentwicklungȱ leistenȱ undȱ sichȱ damitȱ inȱ derȱ Schuleȱ legitimierenȱ zuȱ können,ȱ mussȱ dieȱ schuliȬ

139ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

scheȱ Gesundheitsförderungȱ ihreȱ Beiträgeȱ vielmehrȱ konsequentȱ vonȱ denȱBildungsȬȱundȱErziehungsaufträgenȱderȱSchuleȱherȱbegründen.ȱ Esȱ gehtȱ umȱeinenȱ neuenȱ Standpunkt:ȱNichtȱ mehrȱ dieȱ GesundheitsȬ förderndeȱSchuleȱistȱimȱBlick,ȱsondernȱdieȱguteȱgesundeȱSchule.1ȱ

Abbildungȱ1ȱ

DieȱguteȱgesundeȱSchuleȱ(nachȱBrägger,ȱPaulusȱ&ȱPosse,ȱ2005)ȱ „Eine gute gesunde Schule verständigt sich über ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag, setzt ihn erfolgreich um und leistet damit einen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. Sie weist gute Qualitäten in folgenden Bereichen aus und sorgt für deren stetige und nachhaltige Verbesserung durch Schulentwicklung: 1. Pädagogische Wirkungen und Bildungs- und Erziehungserfolg: Sie fördert bei den Schülerinnen und Schülern Kompetenzen und Haltungen, die ihre Bereitschaft zum lebenslangen Lernen stärken und sie befähigen, in einer sich verändernden Gesellschaft ein erfolgreiches und gesundes Leben zu führen. 2. Qualitätsentwicklung von Schule und Unterricht: Sie wendet bei der Gestaltung der Strukturen und Prozesse von Schule und Unterricht konsequent Erkenntnisse der Gesundheits- und Bildungswissenschaften an und leistet damit gezielt einen integralen Beitrag zur Qualität der Schul- und Unterrichtsprozesse, zur Förderung der Lern- und Leistungsfähigkeit der Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler, zur Zufriedenheit und zum Wohlbefinden der Beteiligten. 3. Gesundheitsbildung und –erziehung: Sie fördert das Gesundheits- und Sicherheitsbewusstsein und die Gesundheitskompetenzen von Schülerinnen und Schülern: Gesundheitsfördernde Unterrichtsprinzipien Integration gesundheits- und sicherheitsbezogener Inhalte in den Unterricht und in das Schulleben Kurse und Programme der pädagogischen Prävention und Gesundheitsförderung.“

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ InȱdemȱProgrammȱ„Anschub.de“ȱ(„AllianzȱfürȱnachhaltigeȱSchulgesundheitȱundȱ

140ȱ

Bildung“),ȱinitiiertȱdurchȱdieȱBertelsmannȬStiftung,ȱwirdȱdiesesȱKonzeptȱinȱeinemȱ ModellvorhabenȱinȱmehrerenȱBundesländernȱinȱkommunalenȱSchullandschaftenȱ umgesetztȱ undȱ weiterentwickeltȱ (www.anschub.de;ȱ Paulus,ȱ Gröschellȱ &ȱ BockȬ horst,ȱ2002).ȱ

Gute gesunde Schule – mit Gesundheit Schule machen

5.3

ȱ Dieȱ guteȱ gesundeȱ Schuleȱ istȱ eineȱ Schule,ȱ dieȱ sichȱ inȱ ihrerȱ EntwickȬ lungȱalsoȱklarȱdenȱQualitätsdimensionenȱderȱgutenȱSchuleȱverpflichȬ tetȱhatȱundȱdieȱbeiȱderȱVerwirklichungȱihresȱsichȱdarausȱergebendenȱ BildungsȬȱ undȱ Erziehungsauftragesȱ gezieltȱ GesundheitsinterventioȬ nenȱ einsetzt.ȱ Zielȱ istȱ dieȱ nachhaltigȱ wirksameȱ Steigerungȱ derȱ BilȬ dungsȬȱundȱErziehungsqualitätȱderȱSchuleȱ(vgl.ȱauchȱPaulus,ȱ2003).ȱȱ

QualitätsdimensionenȱundȱKriterienȱderȱgutenȱSchuleȱimȱSEISȬKonzeptȱȱ Bildungs- & Erziehungsauftrag

Lernen & Lehren

Führung & Management

Schulklima & Schulkultur

Zufriedenheit

Fach- und Sachkompetenz

Lern- und Lehrstrategien

Leitbild und Entwicklungsvorstellungen

Schulklima

Erfüllung der Bedürfnisse der Schüler (Schülerwahrnehmung)

Sozialkompetenz

Ausgewogener Unterricht

Entscheidungsfindung

Beziehungen innerhalb der Schule

Erfüllung der Bedürfnisse der Schüler (Elternwahrnehmung)

Lern- und Methodenkompetenz

Bewertungen von Kommunikation Schülerleistungen

Beziehungen der Schule nach auȕen

Zufriedenheit der Lehrer

Selbstkompetenz und Fähigkeit zum kreativen Denken

Operatives Management

Förderung positiven Verhaltens

Praktische Kompetenz

Motivation und Unterstützung

Unterstützungssysteme für Schüler

Erfüllung der Anforderungen aufnehmender Schulen

Planung, Implementation und Evaluation

Erfüllung der Anforderungen der Berufswelt

Personalentwicklung

Tabelleȱ1ȱ

ȱ FasstȱmanȱdieȱinzwischenȱumfangreichenȱErgebnisseȱderȱinternatioȬ nalenȱ Forschungȱ zurȱ Frageȱ derȱ BildungsȬȱ undȱ Erziehungsqualitätȱ vonȱ Schulenȱ zusammen,ȱ ergebenȱ sichȱ teilweiseȱ überlappende,ȱ aberȱ

141ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

dennochȱ gutȱ voneinanderȱ abgrenzbareȱ Qualitätsdimensionenȱ einerȱ gutenȱ Schule,ȱ dieȱ durchȱ Kriterienȱ undȱ Indikatorenȱ näherȱ bestimmtȱ werdenȱkönnen.ȱȱ Tabelleȱ 1ȱ enthältȱ alsȱ Beispielȱ eineȱ Übersichtȱ derȱ QualitätsdimensioȬ nenȱundȱKriterien,ȱdieȱdemȱweitȱverbreitetenȱundȱetabliertenȱ„SEISȬȱ Konzept“ȱ derȱ BertelsmannȬStiftungȱ zuȱ Grundeȱ liegenȱ („SelbstȬ EvaluationȱinȱSchulen“).ȱ Fürȱ eineȱ ersteȱ Orientierungȱ überȱ dieseȱ Systematikȱ werdenȱ dieȱ einȬ zelnenȱ Dimensionenȱ nachfolgendȱ kurzȱ charakterisiertȱ (Stern,ȱ Mahlmann,ȱ Vaccaroȱ &ȱ Wilbert,ȱ 2002):ȱ (1)ȱ BildungsȬȱ undȱ ErziehungsȬ auftrag:ȱHierȱgehtȱesȱumȱdieȱErgebnisseȱderȱLehrȬȱundȱLernȬProzesseȱ undȱ somitȱ umȱ dieȱ wichtigsteȱ Dimensionȱ fürȱ dieȱ Evaluationȱ schuliȬ scherȱArbeit.ȱ Grundsätzlichȱ wirdȱ daraufȱ geachtet,ȱ dassȱ dieȱ LernerȬ gebnisseȱ undȱ pädagogischeȱ Wirkungenȱ derȱ Schuleȱ imȱ Mittelpunktȱ allerȱ Qualitätsbemühungenȱ stehen.ȱ Dabeiȱ istȱ wichtig,ȱ dassȱ esȱ nichtȱ alleinȱ umȱ fachlicheȱ Lernergebnisseȱ geht,ȱ sondernȱ auchȱ umȱ andereȱ Kompetenzen.ȱ(2)ȱLernenȱundȱLehren:ȱDasȱLernenȱundȱLehrenȱistȱdasȱ zentraleȱ Tätigkeitsfeldȱ derȱ Schulen.ȱ Dieȱ istȱ ihrȱ Kerngeschäftȱ undȱ hierȱ liegtȱ ihreȱ Kompetenz.ȱ Dennȱ Erziehungȱ undȱ Bildungȱ sindȱ dieȱ HauptzieleȱderȱSchule,ȱdieȱmaßgeblichȱimȱundȱdurchȱdenȱUnterrichtȱ erreichtȱwerdenȱsollen.ȱ(3)ȱFührungȱundȱManagement:ȱProfessionellesȱ Führungsverhaltenȱ sorgtȱ fürȱ eineȱ kooperativeȱ Wahrnehmungȱ derȱ GesamtverantwortungȱundȱdamitȱfürȱdieȱGesamtzufriedenheitȱallerȱ anȱSchuleȱBeteiligten.ȱDurchȱplanvolleȱAufgabendelegationȱwerdenȱ dieȱ Selbstwirksamkeitȱ derȱ Mitarbeiterȱ undȱ ihreȱ Identifikationȱ mitȱ derȱ Schuleȱ gestärkt.ȱ (4)ȱ Schulklimaȱ undȱ Schulkultur:ȱ Dasȱ Klimaȱ oderȱ dieȱ Kulturȱ einerȱ Schuleȱ istȱ eineȱ derȱ wichtigstenȱ RahmenbedingunȬ genȱfürȱdasȱKerngeschäftȱdesȱLernens.ȱEinȱangenehmesȱSchulklimaȱ bietetȱ emotionaleȱ undȱ physischeȱ Sicherheit,ȱ dieȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülerȱbrauchen,ȱdennȱdieȱSchuleȱistȱnichtȱnurȱeinȱLernort,ȱsondernȱ einȱ Lebensraumȱ fürȱ Schülerinnenȱ undȱ Schüler.ȱ (5)ȱ Zufriedenheit:ȱ Nebenȱ derȱ Dimensionȱ „BildungsȬȱ undȱ Erziehungsauftrag“ȱ beziehtȱ sichȱdieseȱDimensionȱauchȱaufȱErgebnisseȱderȱinȱderȱSchuleȱstattfinȬ dendenȱProzesse.ȱSieȱbildetȱeineȱAmpelfunktion,ȱdaȱsieȱStörungenȱinȱ anderenȱ Feldernȱ aufzeigt.ȱ Zufriedenheitȱ liegtȱ deshalbȱ auchȱ „quer“ȱ zuȱ denȱ anderenȱ Qualitätsdimensionenȱ undȱ istȱ immerȱ inȱ Bezugȱ aufȱ sieȱzuȱreflektieren.ȱ

142ȱ

Gute gesunde Schule entwickeln

5.4

5.4

Gute gesunde Schule entwickeln

Zweiȱ strategischeȱAnsatzpunkte,ȱ umȱ guteȱ gesundeȱ Schulenȱ zuȱ entȬ wickeln,ȱ bietenȱ sichȱ an,ȱ dieȱ mitȱ „Qualifizierungȱ vonȱ Gesundheitȱ durchȱ Bildung“ȱ undȱ mitȱ „Qualifizierungȱ vonȱ Bildungȱ durchȱ GeȬ sundheit“ȱ umschriebenȱ werdenȱ können.ȱ Sieȱ seienȱ hierȱ kurzȱ erläuȬ tert.ȱMitȱ„QualifizierungȱvonȱGesundheitȱdurchȱBildung“ȱistȱumfasȬ sendȱdieȱschulischeȱGesundheitserziehungȱundȱ–bildungȱangesproȬ chen,ȱ wieȱ sieȱ inȱ Deutschlandȱ grundlegendȱ inȱ demȱ immerȱ nochȱ gültigenȱ „Berichtȱ derȱ Kultusministerkonferenzȱ zurȱ Situationȱ derȱ Gesundheitserziehungȱ inȱ Schulenȱ inȱ Deutschland“ȱ vomȱ Novemberȱ 1992ȱ festgeschriebenȱ wordenȱ ist.ȱ Dortȱ werdenȱ nebenȱ methodischȬ didaktischenȱ Fragenȱ undȱ Fragenȱ einerȱ ganzheitlichenȱ Konzeptionȱ vorȱallemȱauchȱinhaltlicheȱThemenȱbenannt,ȱdieȱSchuleȱaufzugreifenȱ hat.ȱEsȱsind:ȱErnährungserziehung,ȱHygiene/ȱZahngesundheitspfleȬ ge,ȱ Sexualerziehungȱ undȱ AIDSȬPrävention,ȱ Suchtprävention,ȱ Ersteȱ HilfeȱsowieȱSportȱundȱBewegungserziehung.ȱInȱderȱPerspektiveȱderȱ gutenȱgesundenȱSchuleȱistȱzuȱfragen,ȱwieȱdieseȱThemenȱaufbereitetȱ seinȱ müssen,ȱ damitȱ dieȱ Qualitätȱ erreichtȱ werdenȱ kann,ȱ dieȱ dasȱ Spektrumȱ derȱ Qualitätsdimensionenȱ derȱ gutenȱ Schuleȱ aufspannt:ȱ Gibtȱ esȱ hierzuȱ schonȱ hinreichendȱ gutesȱ Materialȱ fürȱ dieȱ Schulen?ȱ FürȱwelcheȱBereiche,ȱfürȱwelcheȱSchulformenȱundȱ–stufenȱbestehenȱ nochȱEntwicklungsbedarfe?ȱȱ Mitȱ„QualifizierungȱvonȱBildungȱdurchȱGesundheit“ȱwirdȱderȱWegȱ zurȱEntwicklungȱeinerȱguten,ȱgesundenȱSchuleȱbezeichnet,ȱbeiȱdemȱ eineȱ Verbesserungȱ derȱ Bildungsarbeitȱ derȱ Schuleȱ durchȱ GesundȬ heitsinterventionenȱ erreichtȱ werdenȱ soll.ȱ Damitȱ istȱ auchȱ dieȱ unterȬ richtlicheȱ Ebeneȱ angesprochen,ȱ nurȱ beziehtȱ sieȱ sichȱ diesmalȱ nichtȱ nurȱaufȱdieȱGesundheitserziehung.ȱImȱWesentlichenȱgehtȱesȱhierȱumȱ dieȱSchuleȱalsȱArbeitsȬȱundȱLernplatzȱbzw.ȱumȱdieȱSchuleȱalsȱBetrieb.ȱ DasȱZielȱistȱes,ȱpersonaleȱRessourcen,ȱdieȱunmittelbarȱfürȱdieȱLehrerȬ tätigkeitȱrelevantȱsind,ȱzuȱstärkenȱundȱArbeitsȬ,ȱLernȬȱundȱOrganisaȬ tionsbedingungenȱzuȱschaffen,ȱdieȱdieȱGesundheitȱundȱLeistungsfäȬ higkeitȱ allerȱ Beteiligtenȱ fördernȱ undȱ soȱ eineȱ Erreichungȱ desȱ BilȬ dungsȬȱundȱErziehungsauftragsȱderȱSchuleȱermöglichen.ȱȱ EineȱwichtigeȱRolleȱspielenȱinȱdiesemȱZusammenhangȱdieȱPräventiȬ onsaufträgeȱ derȱ Gesetzlichenȱ Krankenversicherungenȱ (§ȱ 20,ȱ SozialȬ gesetzbuchȱ V)ȱ undȱ derȱ Gemeindeunfallversicherungsverbändeȱ (§ȱ

143ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

14,ȱ Sozialgesetzbuchȱ VII).ȱ Vonȱ großerȱ Bedeutungȱ istȱ auchȱ dasȱ ArȬ beitsschutzgesetz,ȱ dasȱ betriebsmedizinischeȱ Diensteȱ auchȱ fürȱ BilȬ dungsinstitutionenȱ wieȱ z.B.ȱ Schulenȱ vorsieht.ȱ Dieseȱ gesetzlichenȱ Aufträgeȱ zielenȱ aufȱ denȱ Erhaltȱ undȱ dieȱ Förderungȱ derȱ Gesundheitȱ derȱ anȱ Schuleȱ Beschäftigten,ȱ vorȱ allemȱ derȱ Lehrkräfte.ȱ Zielȱ istȱ es,ȱ allenȱ Lehrkräftenȱ undȱ Schulleitungenȱ Kompetenzenȱ fürȱ dieȱ Bewältigungȱ beruflicherȱ Anforderungenȱ undȱ GestaltungsȬ kompetenzenȱ fürȱ dieȱ Veränderungȱ beeinträchtigenderȱ ArbeitsȬ bedingungenȱzuȱvermitteln.ȱGesundheitȱistȱunterȱdieserȱPerspektiveȱ dieȱzentraleȱRessourceȱfürȱdenȱErfolgȱvonȱSchulen.ȱ

5.5

Die Gesundheit der Lehrkräfte als zentrale Ressource

Empirischeȱ Studienȱ zurȱ Lehrergesundheitȱ belegen,ȱ dassȱ Lehrkräfteȱ Unterrichtsstörungen,ȱ DisziplinȬȱ undȱ Motivationsdefiziteȱ beiȱ denȱ SchülerinnenȱundȱSchülern,ȱKorrekturtätigkeitenȱundȱNotengebungȱ alsȱ belastendȱ erleben.ȱ Nebenȱ diesenȱ unmittelbarȱ mitȱ derȱ KerntätigȬ keitȱ desȱ Unterrichtensȱ verbundenenȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ ArȬ beitsmerkmalenȱ werdenȱ oftȱ auchȱ dieȱ Kooperationȱ mitȱ Kolleginnenȱ undȱKollegenȱsowieȱderȱSchulleitung,ȱdieȱSchulorganisationȱundȱdasȱ Klimaȱ anȱ derȱ Schuleȱ alsȱ belastendȱ erlebtȱ (vanȱ Dick,ȱ 1999;ȱ Schaarschmidt,ȱ2004).ȱGleichzeitigȱkönnenȱaberȱdieseȱElementeȱauchȱ Ressourcenȱ darstellen:ȱ Erlebteȱ sozialeȱ Unterstützungȱ undȱ WertȬ schätzungȱ vonȱ Kolleginnenȱ undȱ Kollegenȱ undȱ Schulleitung,ȱ einȱ hoherȱZusammenhaltȱimȱKollegiumȱsowieȱeineȱeffizienteȱOrganisaȬ tionȱkönnenȱzuȱeinerȱMinderungȱvonȱBeanspruchungenȱführenȱundȱ zurȱFörderungȱvonȱWohlbefindenȱundȱGesundheitȱbeitragen.ȱAbbilȬ dungȱ 2ȱ zeigt,ȱ welcheȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationsbedingungenȱ z.B.ȱ Berufsschullehrkräfteȱalsȱbelastendȱerleben.ȱ DieseȱErgebnisseȱzeigenȱdeutlich,ȱdassȱdasȱWohlbefindenȱvonȱLehrȬ kräftenȱ undȱ derenȱ psychischeȱ undȱ physischeȱ Beanspruchungȱ nichtȱ alleinȱvonȱdenȱspezifischenȱAnforderungenȱderȱUnterrichtstätigkeitȱ bestimmtȱ werden.ȱ Vielmehrȱ nimmtȱ auchȱ dieȱ Qualitätȱ desȱ sozialenȱ SystemsȱSchuleȱwesentlichenȱEinflussȱaufȱdasȱErlebenȱundȱVerhaltenȱ undȱsomitȱaufȱdieȱGesundheitȱderȱLehrkräfte.ȱ

144ȱ

Die Gesundheit der Lehrkräfte als zentrale Ressource

ErlebteȱBelastungenȱvonȱBerufsschullehrkräftenȱ(n=507,ȱ9ȱSchulen,ȱErgebȬ nisseȱ ausȱ demȱ Modellprojektȱ „Betrieblicheȱ Gesundheitsförderungȱ inȱ BeȬ rufsbildendenȱ Schulenȱ –ȱ Entwicklungȱ vonȱ Maßnahmenȱ undȱ Strategien“;ȱ Schumacher,ȱ2006)ȱ

Durchführen von Unterricht

5.5 Abbildungȱ2ȱ

43.2%

Planung und Ausführung von Unterricht

39.7%

Korrigieren von Schülerarbeiten

64.9%

49.3%

Benoten Durchführen von Elternabenden, -beratung und -betreuung

25.4%

Beaufsichtigen von Schüler/innen

eher belastend - sehr belastend (Angaben in Prozent)

23.9%

Betreuung und Beratung von Schüler/innen

20.7%

Mitarbeit an Richtlinien, Umsetzung von Erlassen und Schulprogrammen

58.9%

Arbeiten für die Schulorganisation und das Schulmanagement

44.4%

Teilnahme an Konferenzen

44.0%

Mitarbeit an Innovationen in der Schule und ihrer Evaluation

44.3%

35.4%

Mitarbeit in Ausschüssen Kooperation mit Kolleg/innen

14.2%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

ȱ

Gehtȱ esȱ umȱ dieȱ Förderungȱ derȱ Gesundheitȱ vonȱ Lehrkräften,ȱ sehenȱ sowohlȱdieȱBetroffenenȱalsȱauchȱAußenstehendeȱdarinȱoftȱeineȱAufȬ gabeȱderȱeinzelnenȱLehrkraft.ȱDurchȱeineȱÄnderungȱdesȱLebensstils,ȱ denȱErwerbȱvonȱKompetenzenȱzurȱbesserenȱBewältigungȱberuflicherȱ AnforderungenȱoderȱdieȱStärkungȱderȱphysischenȱKonstitutionȱsollȱ sichȱdieȱeinzelneȱPersonȱwappnen,ȱumȱdenȱAnforderungenȱdesȱLehȬ rerberufsȱgewachsenȱzuȱsein.ȱUnterȱdieserȱPerspektiveȱträgtȱdieȱeinȬ zelneȱ Lehrkraftȱ dieȱ alleinigeȱ Verantwortungȱ fürȱ dieȱ Erhaltungȱ derȱ eigenenȱGesundheitȱundȱLeistungsfähigkeit.ȱDiesȱistȱeineȱeinseitigeȱ Sichtweise,ȱ dieȱ nichtȱ ausreichendȱ berücksichtigt,ȱ dassȱ auchȱ eineȱ

145ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

Veränderungȱ derȱ Verhältnisseȱ inȱ Schulenȱ notwendigȱ ist.ȱ Sicherlichȱ sollteȱ jedeȱ Lehrerinȱ undȱ jederȱ Lehrerȱ darüberȱ nachdenken,ȱ inwieȬ fernȱsieȱoderȱerȱdieȱeigenenȱZiele,ȱErwartungenȱundȱVerhaltensweiȬ senȱimȱKontextȱderȱAnforderungenȱeinerȱqualitätsvollenȱberuflichenȱ Arbeitȱ soȱ modifizierenȱ kann,ȱ dassȱ gesundheitlicheȱ BeanspruchunȬ genȱ reduziertȱ werdenȱ undȱ persönlicheȱ Gesundheitsressourcenȱ beȬ ruflichesȱ Handelnȱ unterstützenȱ können.ȱAberȱ esȱ darfȱ nichtȱ überseȬ henȱwerden,ȱdassȱdieȱSchuleȱalsȱOrganisationȱAnforderungen,ȱaberȱ auchȱ Ressourcenȱ beinhaltet,ȱ dieȱ dieȱ Gesundheitȱ derȱ Mitgliederȱ desȱ Systemsȱ mitbestimmenȱ (Schumacher,ȱ Nieskens,ȱ Bräuerȱ &ȱ Sieland,ȱ 2005).ȱ Imȱ Folgendenȱ wirdȱ einȱ neuerȱAnsatzȱ vorgestellt,ȱ derȱ ausgeȬ hendȱvonȱprototypischenȱAnforderungssituationenȱdesȱLehrerberufsȱ eineȱ integrierteȱ Diagnoseȱ sowohlȱ derȱ individuumsȬȱ undȱ systembeȬ zogenenȱgesundheitlichenȱBeanspruchungenȱundȱRessourcenȱsowieȱ derenȱ wechselseitigerȱ Beeinflussungȱ erlaubtȱ undȱ soȱ eineȱ Basisȱ fürȱ erfolgreicheȱInterventionsȬȱundȱPräventionsmaßnahmenȱbietet.ȱ

5.6

PiSA – ein neuer Ansatz zur Förderung der Lehrergesundheit

Imȱ Rahmenȱ desȱ Konzeptsȱ derȱ gutenȱ gesundenȱ Schuleȱ sindȱ unterȱ BerücksichtigungȱderȱempirischenȱKenntnisseȱzurȱLehrergesundheitȱ inȱ demȱ Pilotprogrammȱ „Anschub.de“ȱ mitȱ derȱ Modulentwicklungȱ „Lehrkräftegesundheit“ȱ ersteȱ Schritteȱ unternommenȱ worden,ȱ aufȱ neuartigeȱWeiseȱalltagsnahȱundȱalltagstauglichȱMaterialienȱbereitȱzuȱ stellen,ȱ dieȱ Lehrkräfteȱ jedenȱ Alters,ȱ jederȱ beruflichenȱ Entwicklungsstufeȱ undȱ jederȱ Schulformȱ dabeiȱ unterstützenȱ sollen,ȱ ihreȱ Arbeitsfähigkeitȱ zuȱ erhalten,ȱ zuȱ verbessernȱ undȱ dieȱ Arbeitsbedingungenȱ mitȱ ihrenȱ AnȬȱ undȱ Herausforderungenȱ zuȱ optimieren.ȱ Damitȱ sollȱ derȱ Gefahrȱ psychomentalerȱ FehlbeanȬ spruchungen,ȱ psychischerȱ Störungenȱ undȱ damitȱ demȱ Risikoȱ derȱ Langzeiterkrankungenȱ imȱ Lehrberufȱ wirksamȱ begegnetȱ werden.ȱ Dasȱ Modulȱ „Lustȱ aufȱ Schule“,ȱ dasȱ hierȱ ansetzt,ȱ gehtȱ vonȱ demȱ innovativenȱ theoretischenȱ „Personenȱ inȱ SituationenȬAnsatzȱ (PiSA)“ȱ aus.ȱDieserȱAnsatzȱträgtȱderȱErkenntnisȱRechnung,ȱdassȱBelastungenȱ undȱ Beanspruchungenȱ vonȱ Lehrkräftenȱ nichtȱ durchȱ eineȱ isolierteȱ BetrachtungȱvonȱentwederȱeinzelnenȱsituativenȱAspektenȱoderȱaberȱ

146ȱ

PiSA – ein neuer Ansatz zur Förderung der Lehrergesundheit

5.6

personalenȱ Dispositionenȱ erklärtȱ werdenȱ können,ȱ sondernȱ alsȱ Resultatȱ desȱ Erlebensȱ undȱ Verhaltensȱ vonȱ Personenȱ inȱ komplexenȱ beruflichenȱ Situationenȱ verstandenȱ werdenȱ müssen.ȱ Lehrkräfteȱ müssenȱ uneindeutige,ȱ vielschichtigte,ȱ oftȱ konfliktäreȱ undȱ dynaȬ mischeȱ Anforderungssituationenȱ mitȱ ihrenȱ Kompetenzen,ȱ FähigȬ keitenȱ undȱ Eigenschaftenȱ bewältigenȱ undȱ hierbeiȱ dieȱ verschiedenȬ artigenȱ situativenȱ Rahmenbedingungenȱ undȱ Setzungenȱ berückȬ sichtigen.ȱSolcheȱfürȱdenȱLehrerberufȱtypischenȱSituationenȱkönnenȱ mitȱ Bezugȱ aufȱ dieȱ Qualitätsdimensionenȱ guterȱ Schulenȱ (z.B.ȱ nachȱ demȱ vorgestelltenȱ SEISȬKonzept)ȱ sytematisiertȱ undȱ verdichtetȱ werden.ȱ Dieseȱ herausgearbeitetenȱ „PersonȬinȬSituation“ȬVignettenȱ heißenȱ „prototypischeȱ Situationenȱ desȱ Lehrerberufs“.ȱ Zusammenȱ genommenȱergebenȱsieȱeineȱ„TopographieȱdesȱLehrerberufs“.ȱSieȱistȱ allerdingsȱ jeȱ nachȱ Ausbildungsstandȱ derȱ Lehrkräfte,ȱ ihremȱ Dienstalterȱ undȱ derȱ Schulformȱ unterschiedlich.ȱ Bislangȱ sindȱ erstȱ wenigeȱ prototypischeȱ Situationenȱ fürȱ dieȱ einzelnenȱ Merkmaleȱ derȱ Qualitätsdimensionenȱentwickeltȱworden.ȱȱ Solcheȱ„PersonenȬinȬSituationen“ȬPrototypenȱstellenȱeineȱWeiterentȬ wicklungȱ gängigerȱ Ansätzeȱ dar,ȱ dieȱ entwederȱ dieȱ personalenȱ oderȱ situativenȱBelastungsȬȱbzw.ȱBeanspruchungsmerkmaleȱoderȱȬmusterȱ identifizieren,ȱ auflistenȱ undȱ zumȱ Ausgangspunktȱ vonȱ Veränderungsstrategienȱmachen.ȱȱ DerȱPiSAȱbeziehtȱbeideȱAspekte,ȱPersonȱundȱSituation,ȱsystematischȱ aufeinanderȱ undȱ nimmtȱ sieȱ gemeinsamȱ zumȱ Ausgangspunktȱ vonȱ Analyse,ȱPlanungȱundȱVeränderung.ȱDieȱAnalyseȱderȱempirischȱzuȱ ermittelndenȱ prototypischenȱ Situationenȱ geschiehtȱ aufȱ mehrerenȱ Ebenen.ȱ Denȱ Einstiegȱ bildenȱ alltagsȬȱ bzw.ȱ naivȬpsychologischeȱ Analysenȱ derȱ Prototypen.ȱ Sieȱ werdenȱ angereichertȱ undȱ überformtȱ durchȱ schulbedeutsameȱ psychologischeȱ Perspektiven,ȱ wieȱ persönlichkeitsȬ,ȱ sozialȬ,ȱ entwicklungsȬȱ undȱ pädagogischȬ psychologischeȱ sowieȱ medizinischeȱ Analyseraster.ȱ Diesȱ istȱ dieȱ zweiteȱ Ebene.ȱ Eineȱ weitereȱ Ebeneȱ bildetȱ dieȱ arbeitsȬ,ȱ betriebsȬȱ undȱ organisationswissenschaftlicheȱ einschließlichȱ derȱ arbeitsmediȬ zinischenȱ Analyseȱ derȱ prototypischenȱ Situationen.ȱ Dieȱ politische,ȱ insbesondereȱdieȱbildungspolitischeȱEbeneȱbildetȱdenȱAbschlussȱderȱ Analysesystematik.ȱȱ Fürȱ jedeȱ dieserȱ Ebenenȱ werdenȱ fürȱ dieȱ jeweiligenȱ prototypischenȱ Situationenȱ generischȱ PlanungsȬȱ undȱ Handlungsstrategienȱ

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5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

vorgestellt,ȱ dieȱ aufȱ dieȱ jeweilsȱ individuellenȱ Situationenȱ derȱ LehrkräfteȱundȱSchulenȱmitȱUnterstützungȱvonȱProzessmoderatorenȱ gemeinsamȱmitȱdenȱBetroffenenȱzugeschnittenȱwerdenȱmüssenȱ(z.B.ȱ dieȱ wechselndeȱ Bedeutungȱ vonȱ sozialenȱ Stützsystemen).ȱ Denȱ Kontextȱ fürȱ dieȱ Entwicklungȱ vonȱ Handlungsstrategienȱ bildenȱ gesundheitswissenschaftlicheȱ Erkenntnisseȱ zurȱ Bedeutungȱ derȱ salutogenetischenȱ Perspektiveȱ sensuȱ Antonovskyȱ u.a.,ȱ dieȱ vonȱ einemȱRessourcenmodellȱmenschlicherȱEntwicklungȱ(Kohärenzsinn,ȱ Resilienz)ȱ ausgehenȱ (Antonovsky,ȱ 1997;ȱ Bengel,ȱ Strittmatterȱ &ȱ Willmann,ȱ2002).ȱȱ IndemȱPiSAȱsowohlȱeineȱIstȬAnalyseȱalsȱauchȱdieȱPlanungȱmöglicherȱ Veränderungȱ beinhaltet,ȱ istȱ esȱ einȱ Instrument,ȱ dasȱ sowohlȱ zurȱ Diagnostikȱ alsȱ auchȱ zumȱ Training,ȱ zurȱ AusȬ,ȱ FortȬȱ undȱ Weiterbildungȱ sowieȱ zurȱ Schulentwicklungȱ genutztȱ werdenȱ kann.ȱ LehrkräfteȱkönnenȱsichȱmitȱdenȱvorgebenenenȱSituationenȱalsȱeinerȱ realistischenȱWiderspieglungȱihrerȱberuflichenȱPraxisȱidentifizieren,ȱ denȱStudierendenȱdesȱLehramtsȱdienenȱsieȱalsȱrealistischeȱAbbilderȱ beruflicherȱ Wirklichkeit,ȱ mitȱ denenȱ sieȱ sichȱ unterȱ wechselndenȱ Perspektivenȱbzw.ȱmultiperspektivischȱauseinanderȱsetzenȱkönnen.ȱ Einigeȱ Aspekteȱ diesesȱ Konzeptsȱ sindȱ imȱ Modulȱ zurȱ Lehrkräftegesundheitȱ „Lustȱ aufȱ Schule“ȱ imȱ Pilotprogrammȱ Anschub.deȱschonȱentwickeltȱworden.ȱUmȱeinenȱEinblickȱzuȱgeben,ȱ istȱ dieȱ folgendeȱ „PersonȬinȬSituation“ȱ ausgewähltȱ wordenȱ (s.ȱ AbȬ bildungȱ3).ȱIhrȱTitelȱlautet:ȱ„IchȱmöchteȱeinmalȱeinenȱTagȱerleben,ȱanȱ demȱ allesȱ soȱ läuft,ȱ wieȱ ichȱ esȱ mirȱ vorstelle“.ȱ Sieȱ gehörtȱ zumȱ Themenfeldȱ„DiskrepanzȱzwischenȱPlanungȱundȱWirklichkeit“ȱundȱ wirdȱ derȱ Qualitätsdimensionȱ „Lernenȱ undȱ Lehren“ȱ imȱ SEISȬ Konzeptȱ zugeordnet.ȱ Insgesamtȱ sindȱ bisherȱ vonȱ einerȱ Gruppeȱ vonȱ Wissenschaftlernȱ undȱ Lehrkräftenȱ achtȱ prototypischeȱ Situationenȱ entwickeltȱ worden.ȱ Eineȱ ausführlicheȱ Beschreibungȱ dieserȱ Situationenȱ undȱ derȱ Analysezugängeȱ findetȱ sichȱ inȱ einerȱ vonȱ derȱ BertelsmannȬStiftungȱ undȱ derȱ Gewerkschaftȱ Erziehungȱ undȱ WissenschaftȱherausgegebenenȱPublikationȱ(2006).ȱ

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PiSA – ein neuer Ansatz zur Förderung der Lehrergesundheit

PrototypischeȱSituationȱ„IchȱmöchteȱeinmalȱeinenȱTagȱerleben,ȱanȱdemȱallesȱ soȱ läuft,ȱ wieȱ ichȱ esȱ mirȱ vorstelle“ȱ (BertelsmannȬStiftungȱ &ȱ Gewerkschaftȱ ErziehungȱundȱWissenschaft,ȱ2006,ȱS.ȱ10ȱff)ȱ

5.6 Abbildungȱ3ȱ

Person-in-Situation: Diskrepanz zwischen Planung und Wirklichkeit Szenario 1: In der Freistunde muss die Vertretung in einer fremden Klasse übernommen werden. Geplant war für diese Zeit eigentlich, für die Folgestunde notwendige Kopien zu machen und Vorbereitungen (z.B. Versuchsaufbau) zu treffen. Szenario 2: Der sorgfältig geplante Unterricht läuft nicht, die Klasse blockiert den Unterricht, die vorgesehenen didaktisch-methodischen Schritte scheitern bzw. können gar nicht angewendet werden. Die Stunde droht hoffnungslos zu scheitern. Szenario 3: Am Ende der Pause wird ein Schüler verletzt, die Lehrkraft muss sich um ihn kümmern, weiß aber zugleich, dass sie mit Beginn der Stunde auch in ihrer Klasse sein müsste, die sonst unbeaufsichtigt wäre. Gemeinsam ist allen Szenarios, dass die Lehrkraft mit etwas Unvorhergesehenem konfrontiert wird, auf das sie angemessen reagieren muss. Die unerwartete Vertretungsstunde, das drohende Fiasko im Unterricht, die Entscheidung, wo man zuerst sein muss – all das erfordert Flexibilität in vielerlei Hinsicht. Es ist zudem eine Vielzahl von Kompetenzen gefordert, die das fachlich-unterrichtliche Vorgehen ebenso betreffen wie das didaktischmethodische Repertoire oder die erzieherische Haltung. Zudem ist diese geforderte Flexibilität immer auch mit Zeitdruck verbunden, es muss rasch eine Entscheidung getroffen werden, was man in der Vertretungsstunde macht, wie man die für Anderes eingeplante Zeit einholt, wie man den Unterricht retten kann, wie man der doppelten Verpflichtung, dem Schüler zu helfen und zugleich die Aufsichtspflicht gegenüber der Klasse nicht zu vernachlässigen, nachkommen kann. Diese Diskrepanz zwischen Planung und Wirklichkeit ist prototypisch für den Lehrerberuf. Wer hat noch nicht eine Lehrkraft seufzen hören „Ich möchte einmal einen Tag erleben, an dem alles so läuft, wie ich es mir vorstelle!“, und wenn auch nur in Gedanken. Er entspringt einer immer wieder erlebten Erfahrung, dass im Schulalltag in der Regel nichts so läuft, wie man es gedacht und geplant hat. Unterrichten wie generell schulische Arbeit ist in hohem Maße Beziehungsarbeit. Die veränderten Bedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche heute aufwachsen, verstärken die Notwendigkeit dazu und bestimmen das Berufsbild des Lehrers immer mehr. Das drückt sich in der hier gewählten prototypischen Situation aus. Zugleich erinnert der oben zitierte Seufzer auch an Belastungssituationen, die für die Aufgabenfelder von Führungskräften im Managementbereich typisch sind. Die Lehrkräfte sind auf diese beruflichen Anforderungen in der Regel unzureichend vorbereitet. Sie erhalten weder in ihrer Ausbildung ein entsprechendes Rüstzeug noch bleibt in der Berufseingangsphase genügend Raum, sich mit diesen Aspekten des Berufes konstruktiv auseinander zu setzen. Im beruflichen Alltag wird für viele Lehrer und Lehrerinnen das Erfordernis permanenter Flexibilität zu einer besonderen Belastung. Sie leiden zunehmend unter dem Druck, rasch Entscheidungen treffen und angemessen reagieren zu müssen, in Situationen, die als unangenehm, bedrohlich oder gar krisenhaft empfunden werden.

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Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

DieserȱAnsatz,ȱderȱdemȱ„problemȬbasiertenȱLernen“ȱentlehntȱist,ȱhatȱ dasȱ Potentialȱ zuȱ einerȱ nachhaltigenȱ Beeinflussungȱ derȱ gesundȬ heitlichenȱSituationȱderȱLehrkräfte.ȱDadurch,ȱdassȱdieȱAnalyseȱundȱ dieȱ sichȱ daranȱ anschließendeȱ Planungȱ undȱ Veränderungȱ vonȱ konkretenȱundȱtypischenȱSituationenȱdesȱLehrerberufsȱausgehen,ȱistȱ eineȱ unmittelbareȱ Verbindungȱ mitȱ denȱ vonȱ Lehrkräftenȱ selbstȱ erlebtenȱ Anforderungenȱ undȱ Beanspruchungenȱ gegeben.ȱ Derȱ Transferȱ inȱ dieȱ Planungȱ undȱ Realisierungȱ vonȱ gesundheitsȬ förderndenȱ Maßnahmenȱ istȱ sehrȱ naheȱ liegendȱ undȱ vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ leichtȱ nachvollziehbar.ȱ Dieseȱ prototypischenȱ SituaȬ tionenȱerlaubenȱAnalysenȱaufȱverschiedenenȱEbenenȱ–ȱIndividuum,ȱ Gruppe,ȱ Organisationȱ –ȱ unterȱ Einbezugȱ derȱ Erkenntnisseȱ verschieȬ denerȱ wissenschaftlicherȱ Disziplinen.ȱ Hierdurchȱ wirdȱ denȱ betroffenenȱ Lehrkräften,ȱ Schulleiternȱ etc.ȱ dieȱ Relevanzȱ derȱ wissenȬ schaftlichenȱ Erkenntnisseȱ unmittelbarȱ deutlich.ȱ Jedeȱ derȱ AnalyseȬ ebenenȱ eröffnetȱ einȱ neuesȱ Handlungsfeldȱ fürȱ möglicheȱ VerändeȬ rungen,ȱ dieȱ inȱ demȱ PiSAȱ perspektivischȱ aufgezeigtȱ werden.ȱ ZuȬ sammengenommenȱ erschließenȱ sichȱ Möglichkeitenȱ wirksamerȱ undȱ nachhaltigerȱ Veränderungen,ȱ dieȱ oftmalsȱ vorȱ allemȱ dannȱ nichtȱ inȱ denȱBlickȱgeraten,ȱwennȱalleinȱdieȱLehrkraftȱmitȱihremȱErlebenȱundȱ VerhaltenȱimȱFokusȱderȱBetrachtungȱsteht.ȱErstȱausȱderȱKombinationȱ vonȱ individuellen,ȱ gruppenbezogenenȱ undȱ systemischenȱ ErkläȬ rungsansätzenȱ könnenȱ wirksameȱ Veränderungsprogrammeȱ beȬ stimmtȱwerden.ȱȱ WennȱinȱZukunftȱgenügendȱprototypischeȱSituationenȱvorliegen,ȱdieȱ z.B.ȱ dieȱ Prozessdimensionenȱ „Lehrenȱ undȱ Lernen“,ȱ „Führungȱ undȱ Management“ȱ sowieȱ „Schulklimaȱ undȱ Schulkultur“ȱ desȱ SEISȬ Konzeptsȱ repräsentieren,ȱ dannȱ könnenȱ Schulen,ȱ dieȱ fürȱ sichȱ VeränderungsȬȱ bzw.ȱ Entwicklungsbedarfeȱ inȱ einzelnenȱ Qualitätsmerkmalenȱ identifiziertȱ haben,ȱ dieȱ prototypischenȱ SituationenȱalsȱMusterȱheranziehen,ȱmitȱdenenȱsieȱdieȱBedingungenȱ anȱihrerȱSchuleȱanalysierenȱundȱplanendȱverändernȱkönnen.ȱȱ

150ȱ

Einȱ Commitmentȱ derȱ Lehrkräfteȱ zurȱ Partizipationȱ anȱ solchenȱ Verfahrenȱ derȱ Diagnostikȱ undȱ Förderungȱ derȱ Lehrergesundheitȱ istȱ eherȱ wahrscheinlich,ȱ weilȱ hierȱ ganzȱ konkretȱ dieȱ beruflichenȱ Situationen,ȱ alsoȱ dasȱ Kerngeschäftȱ ihresȱ pädagogischenȱ Handelns,ȱ inȱ denȱ Mittelpunktȱ gestelltȱ werden.ȱ Dadurch,ȱ dassȱ derȱAnsatzȱ z.B.ȱ auchȱgegenüberȱdemȱDienstalterȱoffenȱist,ȱkannȱerȱfürȱdieȱSituationȱ derȱ dienstälterenȱ Lehrkräfteȱ spezifischȱ ausgestaltetȱ werden,ȱ indemȱ

Ausgangspunkte und Schritte mit PiSA zur guten gesunden Schule

5.7

besondersȱ solcheȱ PersonȬinȬSituationȬPrototypenȱ herausgearbeitetȱ werden,ȱ dieȱ fürȱ dieȱ Personengruppeȱ derȱ dienstälterenȱ Lehrkräfteȱ relevantȱ sind.ȱ Gleichesȱ giltȱ imȱ übrigenȱ auchȱ fürȱ andereȱ möglicheȱ zielgruppenspezifischeȱ Vorgaben,ȱ z.B.ȱ fürȱ weiblicheȱ Lehrkräfte,ȱ fürȱ Referendare,ȱ fürȱ Lehrkräfteȱ inȱ sozialenȱ Brennpunktenȱ oderȱ fürȱ Junglehrer.ȱ Derȱ PiSAȱ istȱ prinzipiellȱ auchȱ offenȱ fürȱ Projekteȱ zurȱ Präventionȱ arbeitsbedingterȱErkrankungenȱbeiȱanderenȱBerufsgruppen.ȱHierfürȱ müsstenȱ nurȱdieȱ prototypischenȱ Situationenȱ entsprechendȱ ermitteltȱ werden.ȱȱ

5.7

Ausgangspunkte und Schritte mit PiSA zur guten gesunden Schule

Nachfolgendȱ werdenȱ wichtigeȱ Ausgangspunkteȱ undȱ Schritteȱ zurȱ erfolgreichenȱUmsetzungȱdesȱKonzeptsȱderȱgutenȱgesundenȱSchuleȱ kurzȱskizziert.ȱȱ SchulenȱmüssenȱaufȱdieȱBewältigungȱihrerȱpädagogischenȱAufgaȬ benȱ undȱ Herausforderungenȱ zugeschnitteneȱ GesundheitsinterȬ ventionenȱentwickeln:ȱȱ Schulenȱ unterscheidenȱ sichȱ hinsichtlichȱ ihrerȱ Stärkenȱ undȱ SchwäȬ chenȱ undȱ spezifischenȱ Bedingungen.ȱ Daherȱ sindȱ StandardintervenȬ tionenȱoftȱnichtȱsinnvollȱundȱErfolgȱversprechend.ȱJedeȱSchuleȱsollteȱ eineȱ differenzierteȱ Diagnoseȱ zuȱ demȱ Gesundheitsstatusȱ ihrerȱ MitȬ gliederȱ undȱ denȱ beeinflussendenȱ Faktorenȱ (Anforderungenȱ undȱ Ressourcen)ȱ durchführen.ȱ Basierendȱ aufȱ denȱ Ergebnissenȱ dieserȱ Diagnoseȱ könnenȱ schulspezifischeȱ Maßnahmenȱ entwickeltȱ werden,ȱ umȱdieȱSchwächenȱderȱSchuleȱzuȱmindernȱundȱStärkenȱauszubauen.ȱ Dieȱ Verwirklichungȱ derȱ gutenȱ gesundenȱ Schuleȱ istȱ eineȱ gemeinȬ sameȱAufgabeȱderȱLehrkräfteȱundȱSchulleitungȱeinerȱSchule:ȱȱ Vieleȱ derȱ dieȱ pädagogischeȱ Arbeitȱ beeinträchtigendenȱ Faktorenȱ inȱ Schulenȱ sindȱ nurȱ durchȱ gemeinsameȱAnstrengungenȱ zuȱ beseitigenȱ (z.B.ȱineffizienteȱArbeitsȬȱundȱKommunikationsprozesse,ȱmangelndeȱ Kooperation).ȱGleichzeitigȱkönnenȱdurchȱdasȱgemeinsameȱArbeitenȱ anȱ pädagogischenȱ Themenȱ hilfreicheȱ Gesundheitsaspekteȱ entdecktȱ

151ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

werden.ȱ Kooperation,ȱ gegenseitigeȱ Unterstützungȱ sowieȱ dasȱ ErleȬ benȱvonȱGemeinsamkeitȱkönnenȱalsȱElementeȱpsychischerȱGesundȬ heitȱzurȱFörderungȱderȱpädagogischenȱArbeitȱderȱBeteiligtenȱbeitraȬ gen.ȱ Breiteȱ Partizipationȱ derȱ Lehrkräfteȱ istȱ fürȱ eineȱ umfassendeȱ EntȬ wicklungȱderȱgutenȱgesundenȱSchuleȱnotwendig:ȱȱ Tiefȱgreifende,ȱmitȱAnstrengungenȱverbundeneȱVeränderungenȱvonȱ Arbeitsprozessenȱundȱ Organisationsstrukturenȱ könnenȱ nichtȱ gegenȱ denȱ Widerstandȱ einerȱ Mehrheitȱ derȱ Mitgliederȱ derȱ Organisationȱ durchgesetztȱ werden.ȱ Nurȱ durchȱ eineȱ breiteȱ Partizipationȱ könnenȱ StrategienȱundȱLösungenȱentwickeltȱwerden,ȱdieȱkonsensfähigȱsind.ȱ Zudemȱ engagierenȱ sichȱ Menschenȱ stärkerȱ fürȱ dieȱ Realisierungȱ vonȱ Maßnahmen,ȱ anȱ derenȱ Entwicklungȱ sieȱ mitgewirktȱ haben.ȱ Dieseȱ PrämissenȱliegenȱauchȱdemȱKonzeptȱderȱOrganisationsentwicklungȱ zugrunde,ȱwelchesȱinȱWirtschaftsunternehmenȱgenausoȱwieȱinȱNonȬ ProfitȬOrganisationenȱ zurȱ Gestaltungȱ vonȱ tiefȱ greifendenȱ undȱ umȬ fassendenȱEntwicklungsprozessenȱgenutztȱwird.ȱInȱdemȱhierȱvertreȬ tenenȱ Konzeptȱ derȱ Entwicklungȱ derȱ gutenȱ gesundenȱ Schuleȱ wirdȱ deshalbȱ davonȱ ausgegangen,ȱ dassȱ fürȱ denȱ Erfolgȱ vonȱ OrganisatiȬ onsentwicklungsprozessenȱ inȱ derȱ Schuleȱ eineȱ breiteȱ Partizipationȱ derȱ betroffenenȱ Lehrkräfte,ȱ Schülerinnenȱ undȱ Schüler,ȱ Elternȱ undȱ desȱ nichtȬunterrichtendenȱ Personalsȱ notwendigȱ ist.ȱ Dieseȱ sollenȱ weitgehendȱselbstȱgesteuertȱinȱGruppenȱ(z.B.ȱinȱGesundheitsteams)ȱ Lösungenȱ fürȱ bestehendeȱ Problemeȱ entwickelnȱ undȱ z.B.ȱ derȱ SchulȬ konferenzȱ zurȱ Beschlussfassungȱ vorschlagen.ȱ Aufȱ diesemȱ Wegeȱ sollenȱ dieȱ Problemlösekompetenzenȱ derȱ Mitgliederȱ derȱ Schuleȱ geȬ nutztȱ undȱ tragfähige,ȱ denȱ spezifischenȱ Bedingungenȱ derȱ Schuleȱ angepassteȱ Lösungenȱ entwickeltȱ werden.ȱ Gleichzeitigȱ wirdȱ durchȱ dasȱgemeinsameȱArbeitenȱanȱProblemenȱdieȱBereitschaftȱzurȱVeränȬ derungȱeigenenȱVerhaltens,ȱaberȱauchȱzurȱVeränderungȱvonȱOrganiȬ sationsbedingungenȱderȱSchuleȱerhöht.ȱȱ Umȱ zielgerichteteȱ undȱ systematischeȱ Entwicklungsprozesseȱ zuȱ erȬ möglichen,ȱ wirdȱ hierȱ exemplarischȱ aufȱ einȱ Konzeptȱ derȱ SchulproȬ grammentwicklungȱ zurückgegriffen,ȱ dasȱ imȱ Rahmenȱ desȱ Projektsȱ Anschub.deȱ entwickeltȱ wordenȱ istȱ (Nilshonȱ &ȱ Schminder,ȱ 2005,ȱ S.ȱ 5).ȱ Folgendeȱ Stationenȱ sindȱ danachȱ aufȱ demȱ Wegȱ derȱ Gestaltungȱ einerȱgutenȱgesundenȱSchuleȱwichtig:ȱ

152ȱ

Ausgangspunkte und Schritte mit PiSA zur guten gesunden Schule

Stationenȱ derȱ Gestaltungȱ derȱ gutenȱ gesundenȱ Schuleȱ (nachȱ Nilshonȱ &ȱ Schminder,ȱ2005,ȱS.ȱ5)ȱ

5.7 Abbildungȱ4ȱ

1. Den Einstieg bewusst gestalten 2. Eine Steuergruppe (z.B. Gesundheitsteam) bilden 3. Die Bestandsaufnahme durchführen 4. Das Leitbild der guten gesunden Schule entwickeln 5. Entwicklungsvorhaben auswählen – Ziel festlegen 6. Die Umsetzung der Vorhaben planen 7. Die Vorhaben überprüfen 8. Die Textfassung des Schulprogramms erstellen 9. Das Schulprogramm fortschreiben

ȱ JedeȱderȱeinzelnenȱStationenȱistȱnachȱeinemȱgleichenȱSchemaȱgeglieȬ dert,ȱ dasȱ dieȱ notwendigenȱ Schritteȱ fürȱ einenȱ schließlichȱ erfolgreiȬ chenȱWegȱvorgibtȱ(Abbildungȱ5).ȱ Dieseȱ hierȱ vorgestellteȱ Pragmatikȱ istȱ insofernȱ imȱ Vergleichȱ mitȱ vieȬ lenȱähnlichȱkonzipiertenȱAnsätzenȱeineȱBesonderheit,ȱalsȱdassȱsieȱdieȱ Gesundheitsperspektiveȱ explizitȱ mitȱ einbindetȱ mitȱ derȱ Frage,ȱ welȬ chenȱ Beitragȱ Gesundheitȱ jeweilsȱ zumȱ Gelingenȱ derȱ initiiertenȱ ProȬ zesseȱleistenȱkann.ȱ

Stationenȱ aufȱ demȱ Wegȱ derȱ gutenȱ gesundenȱ Schuleȱ (nachȱ Nilshonȱ &ȱ Schminder,ȱ2005,ȱS.ȱ22)ȱ

Abbildungȱ5ȱ

1. Worum geht es? Kennzeichnet den Gegenstand, der anschließend behandelt wird. 2. Was trägt Gesundheit dazu bei? Geht auf das „Wie“ der Prozesssteuerung in der guten gesunden Schule ein und gibt vor dem Hintergrund des Setting-Ansatzes und der Q uerthemen (Empowerment, Partizipation, Salutogenese, Gender, soziale Ungleichheit, Vernetzung) Hinweise. 3. Was ist zu tun?

153ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

Gibt die konkrete Abfolge von Schritten an, die zur Steuerung des Prozesses empfohlen werden. 4. Worauf ist zu achten? Geht auf prägnante Stolpersteine ein und gibt unter Nennung von „Gelingensbedingungen“ Hinweise zu deren Ü berwindung. 5. Wie findet Selbstvergewisserung statt? Enthält im Rahmen der internen Evaluation Hinweise zur Selbstbeobachtung, zum Aufbau von Kommunikationsstrukturen und zur Reflexion des Prozesses. 6. Was sagt die Erfahrung? Bezieht sich auf Erfahrungen aus Pilotschulen, aus verwandten Projekten, der Beratungspraxis und empirische Studien.

ȱ

5.8

Schluss

DieȱguteȱgesundeȱSchuleȱhatȱnachȱJahrenȱderȱDominanzȱderȱaufȱdieȱ FörderungȱderȱGesundheitȱausgerichtetenȱschulischenȱGesundheitsȬ förderungȱ eineȱ neueȱ Perspektiveȱ fürȱ dieȱ Lehrergesundheitȱ imȱ SetȬ tingȱSchuleȱentwickelt.ȱStattȱdieȱFörderungȱderȱGesundheitȱalsȱletztȬ endlichesȱ Zielȱ zuȱ begreifen,ȱ wirdȱ jetztȱ Gesundheitȱ alsȱ Motor,ȱ alsȱ Vehikelȱ fürȱ dieȱ Steigerungȱ derȱ Kompetenzȱ derȱ Lehrkräfteȱ inȱ derȱ Schuleȱgesehen.ȱEsȱgehtȱumȱdieȱLeistungsförderungȱdesȱLehrpersoȬ nalsȱ inȱ derȱ Schuleȱ durchȱ Gesundheit.ȱ Dieȱ Qualitätskonzepteȱ guterȱ Schulen,ȱ vonȱ denenȱ hierȱ dasȱ SEISȬKonzeptȱ vorgestelltȱ wurde,ȱ beȬ schreiben,ȱ welcheȱ StrukturȬ,ȱ ProzessȬȱ undȱ Ergebnisqualitätȱ vonȱ derȱ Schuleȱ erwartetȱ werden.ȱ Dieȱ Lehrkräfteȱ alsȱ zentralȱ handelndeȱ PerȬ sonenȱimȱSettingȱSchuleȱkönnenȱvonȱdortȱherȱableiten,ȱwelchesȱihreȱ zentralenȱ Aufgabenȱ inȱ derȱ Schuleȱ sind.ȱ Sieȱ inȱ derȱ kompetentenȱ Wahrnehmungȱ dieserȱ Aufgabenȱ zuȱ unterstützen,ȱ istȱ dasȱ Anliegenȱ vonȱ FortȬȱ undȱ Weiterbildungskonzeptionen,ȱ dieȱ imȱ Rahmenȱ derȱ gutenȱgesundenȱSchulenȱentwickeltȱwerden.ȱEinȱerstesȱBeispielȱeinerȱ neuenȱGenerationȱvonȱFortbildungsmodulenȱwurdeȱhierȱvorgestellt.ȱ Weitereȱwerdenȱfolgen.ȱZugleichȱwerdenȱneueȱFragebogenverfahrenȱ entwickeltȱ undȱ erprobt,ȱ dieȱ denȱ „PersonȬinȬSituationȬAnsatz“ȱ fürȱ dieȱLehrergesundheitsforschungȱfruchtbarȱmachen.ȱ

154ȱ

Literatur

5.9

5.9

Literatur

Antonovsky,ȱ A.ȱ (1997).ȱ Salutogenese.ȱ Zurȱ Entmystifizierungȱ derȱ GeȬ sundheit.ȱ (Dt.ȱ erw.ȱ Herausgabeȱ vonȱ A.ȱ Franke).ȱ Tübingen:ȱ dgvtȬ Verlag.ȱ Barkholz,ȱU.,ȱGabriel,ȱR.ȱJahn,ȱH.ȱ&ȱPaulus,ȱP.ȱ(2001).ȱOffenesȱPartiziȬ pationsnetzȱundȱSchulgesundheit.ȱGesundheitsförderungȱdurchȱvernetztesȱ Lernen.ȱNorderstedt:ȱLibri.ȱ Barkholz,ȱU.ȱ&ȱHomfeldt,ȱH.ȬG.ȱ(1993).ȱGesundheitsförderungȱimȱschuȬ lischenȱAlltag.ȱWeinheim:ȱJuventa.ȱ Barkholz,ȱ U.ȱ &ȱ Paulus,ȱ P.ȱ (1998).ȱ Gesundheitsförderndeȱ Schulen.ȱ KonȬ zept,ȱProjektergebnisse,ȱMöglichkeitenȱderȱBeteiligung.ȱHamburg:ȱVerlagȱ fürȱGesundheitsförderung.ȱ Bengel,ȱ J.,ȱ Strittmatter,ȱ R.ȱ &ȱ Willmann,ȱ H.ȱ (2002).ȱ Wasȱ erhältȱ MenȬ schenȱ gesund?ȱ Antonovskysȱ Modellȱ derȱ Salutogeneseȱ Ȭȱ Diskussionsstandȱ undȱStellenwertȱ(2.ȱerw.ȱAufl.).ȱKöln:ȱBundeszentraleȱfürȱgesundheitȬ licheȱAufklärung.ȱ BertelsmannȬStiftungȱ &ȱ Gewerkschaftȱ Erziehungȱ undȱ Wissenschaftȱ (Hrsg.)ȱ(2006).ȱLustȱaufȱSchule.ȱModulȱLehrkräftegesundheit.ȱGütersloh:ȱ Bertelsmann.ȱ Brägger,ȱG.,ȱPaulus,ȱP.ȱ&ȱPosse,ȱP.ȱ(2005).ȱGuteȱgesundeȱSchule.ȱDefiniȬ tionȱ Sigriswilȱ Septemberȱ 2005.ȱ Verfügbarȱ unterȱ http://www.anȬ schub.deȱ[20.04.06].ȱ BundesministeriumȱdesȱInnerenȱ(2005).ȱDritterȱVersorgungsberichtȱderȱ Bundesregierung.ȱ Berlin.ȱ Verfügbarȱ unterȱ http://www.bmi.bund.deȱ [20.04.06].ȱ Bundeszentraleȱ fürȱ gesundheitlicheȱ Aufklärungȱ (Hrsg.)ȱ (1998).ȱ GeȬ sundheitȱ vonȱ Kindernȱ Ȭȱ Epidemiologischeȱ Grundlagen.ȱ Köln:ȱ BundesȬ zentraleȱfürȱgesundheitlicheȱAufklärung.ȱ vanȱDick,ȱR.ȱ(1999).ȱStressȱundȱArbeitszufriedenheitȱimȱLehrerberuf.ȱEineȱ AnalyseȱvonȱBelastungȱundȱBeanspruchungȱimȱKontextȱsozialpsychologiȬ scher,ȱ klinischȬpsychologischerȱ undȱ organisationspsychologischerȱ KonzepȬ te.ȱMarburg:ȱTectum.ȱ Eikenbusch,ȱG.ȱ(1998).ȱPraxishandbuchȱSchulentwicklung.ȱBerlin:ȱCorȬ nelsen.ȱȱ

155ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

Etschenberg,ȱ K.ȱ (2001).ȱ Chronischeȱ Erkrankungenȱ alsȱ einȱ Problemȱ undȱ ThemaȱinȱSchuleȱundȱUnterricht.ȱKöln:ȱBundeszentraleȱfürȱgesundheitȬ licheȱAufklärung.ȱ EuropäischeȱKommissionȱ(2000).ȱBerichtȱüberȱdieȱgesundheitlicheȱSituȬ ationȱ derȱ jungenȱ Menschenȱ inȱ derȱ Europäischenȱ Union.ȱ Arbeitspapierȱ derȱKommissionsstellen,ȱDGȱ5,ȱF3.ȱLuxembourg:ȱEuropäischeȱKomȬ mission.ȱ Flitner,ȱ A.ȱ (1996).ȱ Schule.ȱ Inȱ H.ȬH.ȱ Krügerȱ &ȱ W.ȱ Helsperȱ (Hrsg.),ȱ Einführungȱ inȱ Grundbegriffeȱ undȱ Grundfragenȱ derȱ ErziehungswissenȬ schaftȱ(S.ȱ167Ȭ176).ȱBerlin:ȱSpringer.ȱ vonȱ Hentig,ȱ H.ȱ (1993).ȱ Dieȱ Schuleȱ neuȱ denken.ȱ Eineȱ Übungȱ inȱ praktiȬ scherȱVernunftȱ(2.ȱerw.ȱAufl.).ȱMünchen:ȱHanser.ȱ Hurrelmann,ȱ K.,ȱ Klocke,ȱ A.,ȱ Melzer,ȱ W.ȱ &ȱ RavensȬSieberer,ȱ U.ȱ (Hrsg.)ȱ (2003).ȱ Jugendgesundheitssurvey.ȱ Internationaleȱ Vergleichsstudieȱ imȱAuftragȱderȱWeltgesundheitsorganisationȱWHO.ȱWeinheim:ȱJuventa.ȱ InternationalȱUnionȱforȱHealthȱPromotionȱandȱEducationȱ(1999).ȱTheȱ evidenceȱofȱhealthȱpromotionȱeffectiveness.ȱPartȱtwo.ȱEvidenceȱbook.ȱBrusȬ sels:ȱECSC.ȱ Jehle,ȱP.ȱ(1997).ȱVorzeitigeȱPensionierungȱvonȱLehrerinnenȱundȱLehȬ rernȱ–ȱBefundeȱundȱDesiderateȱderȱForschung.ȱInȱS.ȱBuchen,ȱU.ȱCarȬ le,ȱP.ȱDöbrich,ȱH.ȱD.ȱHoierȱ&ȱH.ȱG.ȱSchönwälderȱ(Hrsg.),ȱJahrbuchȱfürȱ Lehrerforschung,ȱBd.ȱ1ȱ(S.ȱ203Ȭ226).ȱWeinheim:ȱBeltz.ȱ Kultusministerkonferenzȱ (1992).ȱ Zurȱ Situationȱ derȱ GesundheitserzieȬ hungȱinȱderȱSchule.ȱBerichtȱderȱKultusministerkonferenzȱvomȱ5.ȱȬȱ6.ȱNoȬ vemberȱ1992.ȱBonn:ȱKultusministerkonferenz.ȱ Nilshon,ȱI.ȱ&ȱSchminder,ȱCh.ȱ(2005).ȱDieȱguteȱgesundeȱSchuleȱgestalten.ȱ StationenȱaufȱdemȱWegȱderȱSchulprogrammentwicklung.ȱGütersloh:ȱBerȬ telsmannȬVerlag.ȱ Paulus,ȱP.ȱ(2000).ȱGesundheitsförderndeȱSchulenȱalsȱGegenpotentialȱ zumȱ Leben?ȱ Inȱ Th.ȱ Altgeldȱ &ȱ P.ȱ Hofrichterȱ (Hrsg.),ȱ Reichesȱ Landȱ –ȱ krankeȱKinder?ȱ(S.ȱ235Ȭ259).ȱFrankfurtȱa.M.:ȱMabuseȬVerlag.ȱ Paulus.ȱ P.ȱ (2002).ȱ Gesundheitsförderungȱ imȱ Settingȱ Schule.ȱ BundesȬ gesundheitsblatt,ȱGesundheitsforschung,ȱGesundheitsschutz,ȱ45,ȱ970Ȭ975.ȱ

156ȱ

Paulus,ȱP.ȱ(2003).ȱSchulischeȱGesundheitsförderungȱ–ȱvomȱKopfȱaufȱ dieȱFüßeȱgestellt.ȱVonȱderȱGesundheitsförderndenȱSchuleȱzurȱ„gutenȱ

Literatur

5.9

gesundenȱ Schule“.ȱ Inȱ K.ȱ Areggerȱ &ȱ U.ȱ Lattmannȱ (Hrsg.),ȱ GesundȬ heitsförderndeȱSchuleȱ–ȱeineȱUtopie?ȱKonzepte,ȱPraxisbeispiele,ȱPerspektiȬ venȱ(S.ȱ93Ȭ114).ȱLuzern:ȱSauerländer.ȱ Paulus,ȱP.,ȱGröschell,ȱM.ȱ&ȱBockhorst,ȱR.ȱ(2002).ȱAnschub.deȱ–ȱAlliȬ anzȱ fürȱ nachhaltigeȱ Schulgesundheitȱ undȱ Bildung.ȱ Prävention,ȱ 25,ȱ 75Ȭ77.ȱ Rolff,ȱ H.ȬG.,ȱ Buhren,ȱ C.ȬG.,ȱ LindauȬBank,ȱ D.ȱ &ȱ Müller,ȱ S.ȱ (1999).ȱ Manualȱ Schulentwicklung.ȱ Handlungskonzeptȱ zurȱ pädagogischenȱ SchulȬ entwicklungsberatungȱ(SchuB).ȱWeinheim:ȱBeltz.ȱ Schaarschmidt,ȱ U.ȱ (Hrsg.)ȱ (2004).ȱ Halbtagsjobber?ȱ Psychischeȱ GesundȬ heitȱ imȱ Lehrerberufȱ –ȱ Analyseȱ einesȱ veränderungsbedürftigenȱ Zustandes.ȱ Weinheim:ȱBeltz.ȱ Schönwälder,ȱH.G.,ȱBerndt,ȱJ.,ȱStröver,ȱF.ȱ&ȱTiesler,ȱG.ȱ(2003).ȱBelasȬ tungenȱundȱBeanspruchungȱvonȱLehrerinnenȱundȱLehrern.ȱBremerhaven:ȱ NWȬVerlag.ȱ Schratz,ȱ M.,ȱ Iby,ȱ M.ȱ &ȱ Radnitzky,ȱ E.ȱ (2000).ȱ Qualitätsentwicklung.ȱ Verfahren,ȱMethoden,ȱInstrumente.ȱWeinheim:ȱBeltz.ȱ Schumacher,ȱL.,ȱNieskens,ȱB.,ȱBräuer,ȱH.ȱ&ȱSieland,ȱB.ȱ(2005).ȱNachȬ haltigeȱFörderungȱderȱGesundheitȱvonȱBerufsschullehrkräftenȱdurchȱ Organisationsentwicklung.ȱ Inȱ Bundesanstaltȱ fürȱArbeitsschutzȱ undȱ Arbeitsmedizinȱ(Hrsg.),ȱLehrergesundheitȱȬȱPraxisrelevanteȱModelleȱzurȱ nachhaltigenȱGesundheitsförderungȱvonȱLehrernȱaufȱdemȱPrüfstandȱ(S.ȱ75Ȭ 90).ȱBremerhaven:ȱNWȬVerlag.ȱ Schumacher,ȱL.ȱ(2006).ȱWegeȱzuȱeinerȱgutenȱgesundenȱSchuleȱȬȱGeȬ sundheitsförderungȱ durchȱ Organisationsentwicklung.ȱ Inȱ DAK,ȱ BUK,ȱ GUVVȱ WȬLȱ (Hrsg.),ȱ Lehrergesundheitȱ Ȭȱ Bausteinȱ einerȱ gutenȱ geȬ sundenȱ Schule.ȱ Impulseȱ fürȱ eineȱ gesundheitsförderndeȱ OrganisationsentȬ wicklungȱ(S.ȱ51Ȭ74).ȱHamburg:ȱDAK.ȱȱ Spitzenverbändeȱ derȱ Krankenkassenȱ (2006).ȱ Leitfadenȱ Prävention.ȱ GemeinsameȱundȱeinheitlicheȱHandlungsfelderȱundȱKriterienȱderȱSpitzenȬ verbändeȱderȱKrankenkassenȱzurȱUmsetzungȱvonȱ§ȱ20ȱAbs.ȱ1ȱundȱ2ȱSGBȱVȱ vomȱ10.ȱFebruarȱ2006ȱ[Typoskript].ȱ Statistischesȱ Bundesamtȱ (2006).ȱ Finanzenȱ undȱ Steuern.ȱ VersorgungsȬ empfängerȱ desȱ öffentlichenȱ Dienstes.ȱ Fachserieȱ 14,ȱ Reiheȱ 6.1.ȱ WiesbaȬ den:ȱStatistischesȱBundesamt.ȱ

157ȱ

5

Gute gesunde Schule – Lehrergesundheit als zentrale Ressource

Stern,ȱC.,ȱMahlmann,ȱJ.,ȱVaccaro,ȱE.ȱ&ȱWilbert,ȱK.ȱ(2002).ȱSchulqualiȬ tät:ȱ Dimensionen,ȱ Kriterienȱ undȱ Indikatoren.ȱ Inȱ Internationalȱ NetȬ workȱ ofȱ Innovativeȱ Schoolȱ Systemsȱ (Ed.),ȱ Qualityȱ developmentȱ ofȱ schoolsȱ basedȱ onȱ internationalȱ qualityȱ comparisons.ȱ Informationȱ materialȱ (pp.ȱ1Ȭ7).ȱGütersloh:ȱBertelsmannȬStiftung.ȱ Voß,ȱ R.ȱ (Hrsg.)ȱ (1996).ȱ Dieȱ Schuleȱ neuȱ erfinden.ȱ SystemischȬ konstruktivistischeȱ Annäherungenȱ anȱ Schuleȱ undȱ Pädagogik.ȱ Neuwied:ȱ Luchterhand.ȱ Weber,ȱA.,ȱ Weltle,ȱ D.ȱ &ȱ Lederer,ȱ P.ȱ (2003).ȱ Frühpensionierungȱ stattȱ Prävention?ȱ –ȱ Zurȱ Problematikȱ derȱ Frühinvaliditätȱ imȱ Schuldienst.ȱ ArbeitsmedizinȱSozialmedizinȱUmweltmedizin,ȱ38,ȱ376Ȭ384.ȱ WHOȱ (1992).ȱ Dieȱ OttawaȬChartaȱ zurȱ Gesundheitsförderung.ȱ Inȱ P.ȱ Paulusȱ (Hrsg.),ȱ Präventionȱ undȱ Gesundheitsförderung.ȱ Perspektivenȱ fürȱ dieȱpsychosozialeȱPraxisȱ(S.ȱ17Ȭ22).ȱKöln:ȱGwGȬVerlag.ȱ WHOȱ (1997a).ȱ Europäischesȱ Netzwerkȱ Gesundheitsfördernderȱ Schulen.ȱ Kopenhagen:ȱWHO.ȱ WHOȱ(1997b).ȱTheȱhealthȱpromotingȱschoolȱ–ȱanȱinvestmentȱinȱeducation,ȱ healthȱandȱdemocracy.ȱConferenceȱreport.ȱCopenhagen:ȱWHO.ȱ

158ȱ

Einleitung

6.1

ȱ

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

Kapitel 6

Simone Inversini, Eberhard Ulich und Marc Wülser

159ȱ

Einleitung

6.1

6.1

Einleitung

Inȱ diesemȱ Beitragȱ wirdȱ einȱ analysegesteuertesȱ ForschungsȬȱ undȱ BeratungsprojektȱinȱdenȱSchulenȱdesȱKantonsȱBaselȬStadtȱmitȱseinenȱ wichtigstenȱ Ergebnissenȱ undȱ Wirkungenȱ dargestellt.ȱ Imȱ Zentrumȱ desȱ Projektsȱ standȱ dieȱ Absicht,ȱ dieȱ Arbeitsbedingungenȱ derȱ LehrȬ kräfteȱ unterȱ Zugrundelegungȱ arbeitspsychologischerȱ Konzepteȱ zuȱ analysieren,ȱ Gestaltungsvorschlägeȱ zuȱ erarbeitenȱ undȱ damitȱ einenȱ BeitragȱzurȱSchulentwicklungȱzuȱleisten.ȱ Dieȱ arbeitspsychologischeȱ Perspektiveȱ aufȱ dieȱ Schuleȱ warȱ fürȱ dieȱ Lehrkräfteȱ undȱ Schulleiterinnen/Ȭleiterȱ zunächstȱ eineȱ irritierendeȱ OptikȱaufȱsieȱalsȱArbeitspersonenȱundȱdieȱSchuleȱalsȱihrenȱArbeitsȬ ort.ȱ Eineȱ mehrfachȱ geäußerteȱ Bemerkungȱ inȱ denȱ mitȱ Lehrkräftenȱ geführtenȱ Gesprächenȱ warȱ dennȱ auch:ȱ „...undȱ wasȱ nütztȱ dasȱ demȱ Kind?“.ȱ Dieȱ Frageȱ nachȱ demȱ Kindeswohlȱ zeigt,ȱ dassȱ bisherȱ vorȱ alȬ lemȱ pädagogischeȱAspekteȱ undȱ Kriterienȱ fürȱ dieȱ Schulentwicklungȱ alsȱ relevantȱ erachtetȱ wurden.ȱ Ausgehendȱ vonȱ derȱ Prämisse,ȱ dassȱ letztlichȱ nurȱ gesundeȱ Lehrkräfteȱ mitȱ gutenȱ Arbeitsbedingungenȱ langfristigȱ umȱ dasȱ Kindeswohlȱ besorgtȱ seinȱ können,ȱ wurdeȱ nunȱ aberȱ mitȱ einemȱ arbeitspsychologischenȱAnsatzȱ dasȱ Wohlȱ derȱ LehrȬ kräfteȱundȱsomitȱdieȱFrageȱnachȱderenȱpersönlichkeitsȬȱundȱgesundȬ heitsförderlichenȱArbeitsbedingungenȱinȱdenȱVordergrundȱgerückt.ȱ DamitȱlagȱderȱFokusȱstärkerȱaufȱderȱSchuleȱalsȱArbeitsortȱundȱOrgaȬ nisationȱanstattȱaufȱderȱSchuleȱalsȱBildungsinstitution.ȱȱ Mitȱ diesemȱ Projektȱ gelangȱ demȱ Erziehungsdepartementȱ desȱ KanȬ tonsȱBaselȬStadtȱinȱeinemȱdreiȱJahreȱdauerndenȱProzessȱaufȱderȱBaȬ sisȱ einerȱ fundiertenȱ Analyseȱ dieȱ Erarbeitungȱ undȱ Umsetzungȱ vonȱ MaßnahmenȱzurȱgezieltenȱschrittweisenȱOptimierungȱderȱArbeitssiȬ tuationȱderȱLehrkräfte.ȱȱ

6.2

Ausgangslage

Imȱ Jahrȱ 2001ȱ starteteȱ dasȱ Erziehungsdepartementȱ desȱ Kantonsȱ BaȬ selȬStadtȱdasȱProjektȱ„hotȱ–ȱhelpȱourȱteachers“.ȱEsȱwarȱdasȱerklärteȱ Anliegen,ȱ systematischȱ Maßnahmenȱ fürȱ dieȱ Verbesserungȱ derȱ ArȬ beitssituationȱderȱbaselstädtischenȱLehrkräfteȱzuȱrealisieren.ȱ

161ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

ZuȱdiesemȱZeitpunktȱbefandȱsichȱdasȱSchulsystemȱdesȱKantonsȱzuȬ sehendsȱimȱSpannungsfeldȱvonȱinneremȱDruckȱundȱäußererȱKritik.ȱ Dieȱ Schulenȱ undȱ ihreȱ Lehrkräfteȱ hattenȱ eineȱ Phaseȱ permanenterȱ Veränderungenȱhinterȱsich.ȱSeitȱ1994ȱwarȱdieȱUmsetzungȱderȱSchulȬ reformȱimȱGange.ȱDieseȱbrachteȱalsȱwesentlicheȱVeränderungenȱeineȱ binnendifferenzierteȱ Oberstufeȱ inȱ Formȱ derȱ Orientierungsschuleȱ undȱ dieȱ soȱ genannteȱ Weiterbildungsschuleȱ alsȱAlternativeȱ zurȱ MitȬ telschuleȱ (Gymnasialstufe)ȱ hervor.ȱ Dieȱ Überlastungȱ derȱ Lehrkräfteȱ warȱbereitsȱseitȱlängeremȱeinȱunüberhörbaresȱThema.ȱGründeȱwarenȱ dieȱvielfältigenȱReformaufgabenȱderȱletztenȱJahreȱsowieȱderȱständigȱ gestiegeneȱundȱweiterȱsteigendeȱDruckȱaufȱdieȱLehrkräfte.ȱMitȱdenȱ erhöhtenȱ Erwartungenȱ undȱ Anforderungenȱ anȱ dieȱ Erfüllungȱ ihresȱ BerufsauftragsȱwarȱeineȱschleichendeȱErweiterungȱdesȱAufgabenbeȬ reichsȱderȱLehrkräfteȱverbunden.ȱDieserȱumfassteȱnebstȱdemȱUnterȬ richtȱ dieȱ Mitarbeitȱ inȱ ProjektȬȱ undȱArbeitsgruppenȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Schulentwicklungȱ sowieȱ eineȱ großeȱ Zunahmeȱ anȱ schulȬȱ undȱ schüȬ lerinnenbezogenerȱAdministration.ȱImȱWeiterenȱgehörtenȱdazuȱAufȬ gaben,ȱdieȱangesichtsȱderȱgesellschaftlichenȱEntwicklungenȱausȱderȱ zunehmendenȱNotwendigkeitȱerwuchsen,ȱinȱderȱSchuleȱErziehungsȬȱ undȱSozialarbeitȱzuȱleisten.ȱGleichzeitigȱerfuhrȱderȱLehrberufȱeinenȱ laufendenȱ AutoritätsȬȱ bzw.ȱ Imageverlustȱ inȱ derȱ Öffentlichkeit.ȱ Dieȱ Schuleȱ standȱzusehendsȱinȱ derȱ öffentlichenȱ Kritikȱalsȱ eineȱ InstitutiȬ on,ȱ dieȱ ihrenȱ Auftragȱ nichtȱ zufriedenȱ stellendȱ erfüllte.ȱ Vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ wurdeȱ hingegenȱ beklagt,ȱ esȱ bleibeȱ angesichtsȱ derȱ geȬ nanntenȱ Erweiterungȱ desȱAufgabenspektrumsȱ immerȱ wenigerȱ Zeitȱ fürȱdasȱeigentlicheȱ„Kerngeschäft“,ȱnämlichȱdenȱUnterricht.ȱȱ DerȱneueȱVorsteherȱdesȱErziehungsdepartementsȱzeigteȱsichȱsensibelȱ fürȱ dieseȱ anspruchsvolleȱ Situationȱ undȱ warȱ inȱ derȱ Folgeȱ treibendeȱ KraftȱbeiȱdemȱVorhaben,ȱmitȱ„hot“ȱdieȱVerbesserungȱderȱArbeitsbeȬ dingungenȱderȱLehrkräfteȱvoranȱzuȱbringen.ȱ ȱ

162ȱ

Das Projekt „hot – help our teachers“

6.3

Das Projekt „hot – help our teachers“

6.3.1

Zielsetzungen und erste Projektaktivitäten

6.3

DasȱProjektȱ„hot“ȱsollteȱderȱobenȱbeschriebenenȱSituationȱderȱbaselȬ städtischenȱ Lehrkräfteȱ Rechenschaftȱ tragen.ȱ Dieȱ DepartementsleiȬ tungȱ undȱ dieȱ fürȱ dasȱ Projektȱ gebildeteȱ Steuergruppeȱ formuliertenȱ dafürȱdieȱfolgendenȱProjektziele:ȱ

„ VerbesserungȱderȱBefindlichkeitȱderȱLehrkräfteȱimȱBeruf,ȱ „ EliminierungȱdemotivierenderȱEinflüsse,ȱ „ Optimierungȱ derȱ Voraussetzungenȱ zurȱ Ausübungȱ desȱ KerngeȬ schäfts,ȱ

„ VerbesserungȱdesȱImagesȱdesȱLehrberufs.ȱ Alsȱ erstesȱ wurdeȱ eineȱ „hotȬline“ȱ eingerichtet,ȱ dieȱ denȱ Lehrkräftenȱ dieȱ Möglichkeitȱ bot,ȱ Problemeȱ undȱ Verbesserungsvorschlägeȱ hinȬ sichtlichȱihrerȱArbeitssituationȱderȱDepartementsleitungȱaufȱschriftȬ lichemȱWegeȱdirektȱvorzulegen.ȱDieȱAuswertungȱderȱ182ȱüberȱdieseȱ „hotȬline“ȱeingetroffenenȱMeldungenȱdurchȱdasȱInstitutȱfürȱArbeitsȬ forschungȱ undȱ Organisationsberatungȱ (iafob)ȱ ergabȱ schwerpunktȬ mäßigȱ folgendeȱ Problemfelder:ȱ Belastungenȱ durchȱ gestiegeneȱ AnȬ forderungen,ȱ diverseȱ nichtȱ adäquateȱ Regelungenȱ imȱ Schulsystem,ȱ mangelhafteȱ Infrastruktur,ȱ knappeȱ Zeitressourcen.ȱ VerbesserungsȬ vorschlägeȱ wurdenȱ insbesondereȱ fürȱ dieȱ Bereicheȱ Regelungȱ vonȱ Kerngeschäftȱ undȱ Zusatzaufgaben,ȱ Führungȱ sowieȱ dieȱ unterrichtliȬ chenȱSpezialbetreuungsangeboteȱgemacht.ȱ Inȱ derȱ Konsequenzȱ wurdenȱ dreiȱ zentraleȱ Maßnahmenȱ geplantȱ undȱ umgesetzt:ȱȱ 1. Einrichtungȱ einerȱ Beratungsstelleȱ fürȱ dieȱ psychologischeȱ BeraȬ tungȱvonȱLehrkräften.ȱȱ 2. ErstellungȱeinerȱelektronischenȱAustauschplattformȱfürȱdieȱLehrȬ kräfte.ȱȱ 3. Vertiefteȱ Analyseȱ derȱ Arbeitsbedingungenȱ derȱ Lehrkräfteȱ alsȱ BasisȱfürȱdieȱMaßnahmenplanung.ȱ ȱ ȱ

163ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

ȱ

6.3.2

Projektphasen

DasȱProjektȱ„hot“ȱgliederteȱsichȱinȱdieȱPhasenȱVorbereitung,ȱSofortȬ maßnahmen,ȱAnalyse,ȱMaßnahmenplanungȱundȱȬumsetzungȱsowieȱ Evaluationȱ(vgl.ȱTabelleȱ1).ȱDieȱletzterenȱdreiȱsindȱKernȱdieserȱFallȬ studie.ȱ

Tabelleȱ1ȱ

DieȱPhasenȱdesȱProjektsȱ„hotȱ–ȱhelpȱourȱteachers“ȱ(kursiv:ȱArbeitsschritteȱ inȱHauptverantwortungȱdesȱiafob)ȱ Jahr Projektphasen

Arbeitsschritte

2001 Vorbereitung

Projektvorbereitung Einrichtung und Auswertung hot-line

Sofortmaßnahmen

Einrichtung Beratungsstelle Einrichtung Austauschplattform Planung Lehrkräftebefragung

Analyse

Durchführung der Lehrkräftebefragung Rückmeldung der Analyseergebnisse an Steuergruppe

2002

Kommunikation der Analyseergebnisse an Lehrkräfte und Öffentlichkeit

Maßnahmenplanung Erarbeitung von Maßnahmen in Arbeitsgruppen und –umsetzung Umsetzung ausgewählter Maßnahmen 2003 2004 Evaluation

ȱ ȱ ȱ

164ȱ

Evaluation der Maßnahmen

Analysephase

6.4

6.4

Analysephase

DasȱiafobȱübernahmȱimȱFrühjahrȱ2001ȱdenȱAuftrag,ȱdieȱArbeitssituaȬ tionȱderȱLehrkräfteȱinȱdenȱSchulenȱvonȱBaselȬStadtȱsystematischȱzuȱ analysierenȱ (fürȱ eineȱ ausführlicheȱ Beschreibungȱ derȱ Untersuchungȱ sieheȱUlich,ȱInversiniȱ&ȱWülser,ȱ2002;ȱweitereȱBerichteȱüberȱdasȱProȬ jektȱfindenȱsichȱinȱUlich,ȱ2005;ȱUlichȱ&ȱWülser,ȱ2005ȱsowieȱPeterȱ&ȱ Dangel,ȱ2005ȱ).1ȱ

6.4.1

Design

ZweckȱderȱAnalyseȱwarȱdieȱsystematischeȱErfassungȱvonȱArbeitsbeȬ dingungen,ȱBelastungenȱundȱRessourcenȱderȱLehrkräfte,ȱSchulhausȬ leiterinnen/Ȭleiter2ȱ undȱ Rektorinnen/Rektorenȱ mitȱ demȱ Ziel,ȱ empiȬ rischȱbegründbareȱMaßnahmenȱzurȱVerbesserungȱihrerȱArbeitssituaȬ tionȱ zuȱ erarbeiten.ȱ Angesichtsȱ derȱ Komplexitätȱ derȱ Ausgangslage,ȱ derȱ Zieleȱ undȱ derȱ damitȱ verbundenenȱ Fragestellungenȱ wurdeȱ einȱ Vorgehenȱ gewählt,ȱ dasȱ verschiedeneȱ Untersuchungsmethodenȱ beȬ rücksichtigteȱ (vgl.ȱ Tabelleȱ 2).ȱ Alleȱ Schultypenȱ desȱ Kantonsȱ BaselȬ Stadtȱ wurdenȱ einbezogen,ȱ namentlichȱ Kindergarten,ȱ Primarschule,ȱ Orientierungsschule,ȱ Weiterbildungsschuleȱ I,ȱ Weiterbildungsschuleȱ II,ȱ Diplommittelschule,ȱ Mittelschulenȱ (Gymnasialstufe),ȱ KleinklasȬ sen,ȱBerufsschulen,ȱKV/Handelsschule.ȱ EineȱBegleitgruppeȱunterstützteȱdieȱFormulierungȱvonȱergänzendenȱ ZusatzfragenȱfürȱdieȱInstrumenteȱundȱdieȱKoordinationȱderȱDatenȬ erhebung.ȱ Sieȱ bestandȱ ausȱ Vertreterinnen/Vertreternȱ allerȱ SchultyȬ pen,ȱ derȱ „hot“ȬProjektleiterinȱ ausȱ demȱ Erziehungsdepartementȱ soȬ wieȱdemȱiafob.ȱ ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ DieȱUntersuchungȱfandȱunterȱderȱLeitungȱvonȱProf.ȱDr.ȱEberhardȱUlichȱstatt.ȱFürȱ

dieȱDurchführungȱderȱAnalyseȱoperativȱverantwortlichȱwarȱSimoneȱInversini,ȱdieȱ AuswertungenȱerfolgtenȱunterȱMitwirkungȱvonȱMarcȱWülser,ȱfürȱdieȱEvaluationȱ warenȱSandraȱPeterȱundȱCorinneȱDangelȱzuständig.ȱ 2ȱȱ Schulhausleitungenȱ führtenȱ zumȱ Zeitpunktȱ derȱ Analyseȱ einzelneȱ Schulhäuserȱ administrativ.ȱSieȱhattenȱimȱGegensatzȱzuȱdenȱRektorinnen/RektorenȱkeineȱWeiȬ sungsrechteȱ undȱ übernahmenȱ keinerleiȱ Personalführungsaufgaben.ȱ Ihrȱ KompeȬ tenzbereichȱ hatȱ sichȱ bisȱ zumȱ heutigenȱ Zeitpunktȱ insbesondereȱ imȱ Bereichȱ derȱ Personalführungȱvergrößert.ȱ

165ȱ

6 Tabelleȱ2ȱ

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

Inhalte,ȱUntersuchungsinstrumenteȱundȱBefragteȱderȱAnalyseȱ Fragebogenerhebung

Expert/inneninterviews

Inhalte Arbeitsbezogene Wertvorstellun- Information über die Organisation (Verfahren) gen (Rimann, 1999; eigene Items) des jeweiligen Schultyps und allgemeine Arbeitsbedingungen Subjektives Erleben der Arbeit: Anforderungen, Belastungen und Aufgaben Ressourcen (SALSA, Rimann & Arbeitsbezogene Belastungen Udris, 1997) und Beanspruchungen Spezifische Belastungen (AVEM, Individuelle, soziale und organisaSchaarschmidt & Fischer, 1997; tionale Ressourcen eigene Items) Zufriedenheit mit der Arbeit (Rimann, 1999; eigene Items)

Kooperation und Kommunikation

Erlebte Beanspruchungen (BHD, Hacker & Reinhold, 1999)

Verbesserungsvorschläge

Arbeitsmittel und Räumlichkeiten

Psychosomatische Beschwerden (eigene Items) Erlebte berufliche Selbstwirksamkeit (BSW-Skala, Abele, Stief & Andrä, 2000) Distanzierungsfähigkeit und Verausgabungsbereitschaft (AVEM, Schaarschmidt & Fischer, 1997) Delegationsvorschläge (eigene Items) Verbesserungsbereiche (eigene Items) Befragte

Alle Lehrkräfte, Schulhausleitungen, (Kon-)Rektorate

Lehrkräfte, Schulhausleitungen, (Kon-)Rektorate

Anzahl

Versandte Fragebögen: 3029

Gruppeninterviews Lehrkräfte: 22

Ausgefüllte Fragebögen: 1578

Einzelinterviews Schulhausleitungen: 7

Rücklauf: 51%

Gruppen-/Einzelinterviews (Kon-)Rektorate: 13

ȱ

166ȱ

Analysephase

6.4.2

6.4

Ausgewählte Ergebnisse

Derȱ Rücklaufȱ auswertbarerȱ Fragebogenȱ lagȱ mitȱ 1578ȱ ausgefülltenȱ Fragebogenȱbeiȱ51%.ȱDieȱAntwortendenȱwarenȱhinsichtlichȱderȱKriȬ terienȱ Alter,ȱ Geschlechtȱ undȱ Anstellungsgradȱ repräsentativȱ fürȱ dieȱ Grundgesamtheit.ȱ Imȱ Folgendenȱ werdenȱ ausgewählte,ȱ hinsichtlichȱ derȱ späterenȱ GesȬ taltungsphaseȱ relevanteȱ Ergebnisseȱ dargestellt.ȱ Dieseȱ umfassenȱ arȬ beitsbezogeneȱWertvorstellungenȱundȱZufriedenheitȱmitȱderenȱReaȬ lisierungȱ imȱAlltag,ȱ organisationaleȱ undȱ sozialeȱ Ressourcen,ȱ BelasȬ tungen,ȱ Beanspruchungen,ȱ Delegationswünsche,ȱ VerbesserungsȬ vorschlägeȱ undȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ denȱ FragebogenȬ ergebnissen.ȱ Imȱ Folgendenȱ istȱ mitȱ ‚Funktionsgruppen’ȱ dieȱ UnterȬ teilungȱderȱBefragtenȱinȱLehrkräfte,ȱSchulhausleiterinnen/Ȭleiterȱundȱ Rektorinnen/Rektorenȱ gemeint.ȱ Aufȱ dieȱ Mitteilungȱ derȱ InterviewȬȱ undȱ Beobachtungsdatenȱ wirdȱ verzichtetȱ (vgl.ȱ dazuȱ Ulich,ȱ Inversiniȱ &ȱWülser,ȱ2002).ȱ 6.4.2.1

Arbeitsbezogene Wertvorstellungen und Zufriedenheit

DieȱLehrkräfteȱwurdenȱnachȱderȱWichtigkeitȱverschiedenerȱarbeitsȬ bezogenerȱ Werteȱ sowieȱ nachȱ ihrerȱ Zufriedenheitȱ mitȱ derenȱ ErfülȬ lungȱinȱihremȱArbeitsalltagȱgefragtȱundȱdieȱAntwortenȱdieserȱbeidenȱ Kategorienȱ miteinanderȱ verglichenȱ (Vergleichȱ derȱMittelwerte).ȱ Dieȱ Fragenȱ nachȱ derȱ Wichtigkeitȱ arbeitsbezogenerȱ Werteȱ ermöglichenȱ beiȱderȱInterpretationȱderȱZufriedenheitenȱdieȱFokussierungȱaufȱdieȱ fürȱ dieȱ Befragtenȱ tatsächlichȱ zentralenȱ bzw.ȱ „wichtigen“ȱ Aspekteȱ ihrerȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ damitȱ aufȱ dieȱ Planungȱ adäquaterȱ Maßnahmen.ȱ Vonȱinsgesamtȱ32ȱerfragtenȱarbeitsbezogenenȱWertenȱnanntenȱLehrȬ kräfteȱ undȱ Schulhausleiterinnen/Ȭleiterȱ imȱ Durchschnittȱ überȱ alleȱ Schultypenȱhinwegȱdieȱfolgendenȱzehnȱalsȱwichtigste:ȱ

„ EineȱKulturȱderȱOffenheitȱundȱToleranz,ȱȱ „ einȱgutesȱVerhältnisȱzuȱdenȱArbeitskolleginnen/Ȭkollegen,ȱ „ interessanteȱAufgaben,ȱ „ verständnisvolleȱVorgesetzte,ȱ

167ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

„ dieȱMöglichkeit,ȱneueȱDingeȱzuȱlernen,ȱȱ „ eineȱklareȱFührung,ȱȱ „ Mitspracheȱbzw.ȱMitbestimmungȱinȱwichtigenȱAngelegenheiten,ȱ „ guteȱUmgebungsbedingungen,ȱ „ stimulierendeȱSchulkultur,ȱ „ guteȱBezahlung.ȱ Dieȱ siebenȱ erstgenanntenȱ Werteȱ geltenȱ –ȱ inȱ unterschiedlicherȱ ReiȬ henfolgeȱ–ȱfürȱalleȱSchultypen.ȱDieȱdreiȱzuletztȱgenanntenȱhingegenȱ rangierenȱnichtȱinȱallenȱSchultypenȱunterȱdenȱerstenȱzehn.ȱMitȱAusȬ nahmeȱderȱWerteȱ‚guteȱUmgebungsbedingungen‘ȱundȱ‚guteȱBezahȬ lung‘,ȱ anȱ derenȱ Stelleȱ ‚vielȱ Verantwortung‘ȱ undȱ ‚imȱ Teamȱ arbeiten‘ȱ treten,ȱ geltenȱ fürȱ dieȱ Rektorinnen/Rektorenȱ dieȱ gleichenȱ WertvorȬ stellungenȱ alsȱ dieȱ wichtigsten.ȱ Esȱ zeigtȱ sichȱ eineȱ deutlicheȱ DomiȬ nanzȱ wichtigerȱ Werte,ȱ dieȱ unterȱ dasȱ Themaȱ ‚Kulturȱ undȱ Führung’ȱ subsumiertȱwerdenȱkönnen.ȱ Dieȱ größtenȱ Differenzenȱ zwischenȱ derȱ Bedeutsamkeitȱ einesȱ Wertesȱ undȱderȱZufriedenheitȱmitȱderȱimȱAlltagȱdiesbezüglichȱerlebtenȱReaȬ litätȱ(hierȱalsȱDefizitȱbezeichnet)ȱfindenȱsichȱfürȱalleȱbefragtenȱFunkȬ tionsgruppenȱ beiȱ denȱ Wertenȱ ‚Kulturȱ derȱ Offenheitȱ undȱ Toleranz‘ȱ undȱ‚klareȱFührung‘,ȱfürȱLehrkräfteȱundȱSchulhausleiterinnen/Ȭleiterȱ außerdemȱ beimȱ Wertȱ ‚Mitspracheȱ beiȱ wichtigenȱ Dingen‘.ȱAuchȱ beiȱ denȱ Defizitenȱ dominiertȱ somitȱ dasȱ Themaȱ ‚Kulturȱ undȱ Führung’.ȱ DieȱgeringstenȱDefiziteȱfindenȱsichȱfürȱLehrkräfteȱundȱSchulhausleiȬ terinnen/Ȭleiterȱ beiȱ denȱ Wertenȱ ‚interessanteȱAufgaben‘,ȱ ‚gutesȱ VerȬ hältnisȱzuȱKolleginnen/Kollegen‘ȱundȱderȱ‚Möglichkeit,ȱneueȱDingeȱ zuȱlernen‘.ȱFürȱdieȱRektorinnen/RektorenȱliegenȱdieȱkleinstenȱDefiziȬ teȱinȱderȱTeamarbeitȱundȱebenfallsȱinȱderȱ‚Möglichkeit,ȱneueȱDingeȱ zuȱlernen’.ȱBeimȱAspektȱ‚vielȱVerantwortung’ȱgabȱesȱkeinȱDefizit.ȱ RektoratsmitgliederȱerlebenȱimȱUnterschiedȱzuȱdenȱLehrkräftenȱeinȱ größeresȱDefizitȱimȱAspektȱderȱ‚KulturȱderȱOffenheitȱundȱToleranz’,ȱ jedochȱgeringereȱDefiziteȱinȱdenȱAspektenȱ‚beruflicheȱZukunftsperȬ spektive’,ȱ ‚Mitspracheȱ beiȱ wichtigenȱ Dingen’ȱ sowieȱ ‚guteȱ UmgeȬ bungsbedingungen’.ȱ

168ȱ

Analysephase

6.4.2.2

6.4

Organisationale und soziale Ressourcen

AlsȱRessourcenȱwerdenȱEntlastungsfaktorenȱverstanden,ȱdieȱmithelȬ fen,ȱBelastungenȱzuȱbewältigenȱoderȱermöglichen,ȱBelastungenȱbesȬ serȱ zuȱ ertragen.ȱ Esȱ wirdȱ zwischenȱ organisationalenȱ undȱ sozialenȱ Ressourcenȱunterschieden.ȱȱ Dieȱ Trendsȱ imȱ subjektivenȱ Erlebenȱ derȱ vorhandenenȱ Ressourcenȱ sindȱ inȱ allenȱ Schultypenȱ ähnlich.ȱ Dieȱ Lehrkräfteȱ undȱ SchulhausleiȬ terinnen/Ȭleiterȱ bewertenȱ vorȱ allemȱ dieȱ Anforderungsvielfaltȱ undȱ denȱ vorhandenenȱ Tätigkeitsspielraumȱ derȱ eigenenȱ Arbeitȱ positiv.ȱ Beiȱ derȱ erlebtenȱ sozialenȱ Unterstützungȱ rangierenȱ dieȱ LebenspartȬ nerinnen/Ȭpartnerȱ vorȱ denȱ Vorgesetztenȱ undȱ denȱ ArbeitskolleginȬ nen/Ȭkollegen.ȱ Knappȱ 70%ȱ derȱ Lehrkräfteȱ undȱ SchulhausleiterinȬ nen/Ȭleiterȱ fühlenȱ sichȱ durchȱ ihreȱ Vorgesetztenȱ einigermaßenȱ bisȱ ziemlichȱ gutȱ unterstützt.ȱ Durchȱ dieȱ Arbeitskolleginnen/Ȭkollegenȱ wirdȱdieȱUnterstützungȱvonȱgutȱ70%ȱalsȱeinigermaßenȱbisȱziemlichȱ gutȱerlebt.ȱ ImȱVergleichȱderȱFunktionenȱzeigtȱsich,ȱdassȱdieȱRektorinnen/RektoȬ renȱgesamthaftȱdenȱBereichȱderȱorganisationalenȱRessourcenȱpositiȬ verȱ erlebenȱalsȱ dieȱ Lehrkräfteȱundȱ Schulhausleiterinnen/Ȭleiter.ȱ Dasȱ giltȱ insbesondereȱ fürȱ denȱ wahrgenommenenȱ Tätigkeitsspielraumȱ undȱfürȱPartizipationsmöglichkeiten.ȱȱ 6.4.2.3

Belastungen

Vonȱ42ȱerfragtenȱschulspezifischenȱBelastungsbedingungenȱerachtenȱ Lehrkräfteȱ undȱ Schulhausleiterinnen/Ȭleiterȱ überȱ alleȱ Schultypenȱ hinwegȱ (inȱ unterschiedlicherȱ Reihenfolge)ȱ dieȱ folgendenȱ alsȱ dieȱ größten:ȱ

„ Verhaltenȱ„schwieriger“ȱSchülerinnen/Schüler,ȱ „ HeterogenitätȱderȱKlasse,ȱ „ administrativeȱPflichten,ȱ „ außerunterrichtlicheȱVerpflichtungen,ȱ „ beruflichesȱImageȱundȱPrestige,ȱ „ Koordinationȱ vonȱ beruflichenȱ undȱ außerberuflichenȱ VerpflichȬ tungen,ȱ

169ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

„ ZeitdruckȱbeiȱderȱArbeit,ȱ „ Klassengröße,ȱ „ Neuerungen,ȱVeränderungenȱimȱSchulsystem.ȱ Mitȱ Ausnahmeȱ derȱ beidenȱ letztgenanntenȱ gebenȱ dieȱ RektorinȬ nen/RektorenȱdieselbenȱAspekteȱalsȱdieȱbelastendstenȱan.ȱ ÜbereinstimmendȱberichtenȱdieȱLehrkräfteȱallerȱSchultypenȱdieȱvierȱ erstgenanntenȱ Aspekteȱ alsȱ dieȱ belastendsten:ȱ 71%ȱ allerȱ Lehrkräfteȱ berichtenȱeherȱstarkeȱbisȱsehrȱstarkeȱBelastungȱdurchȱdasȱVerhaltenȱ „schwieriger“ȱ Schülerinnen/Schüler,ȱ 55%ȱ fühlenȱ sichȱ starkȱ bisȱ sehrȱ starkȱbelastetȱdurchȱdieȱHeterogenitätȱderȱKlasse,ȱ54%ȱdurchȱaußerȬ unterrichtlicheȱ Pflichtenȱ undȱ 53%ȱ durchȱ administrativeȱ Pflichten.ȱ DieȱBelastungenȱderȱLehrkräfteȱliegenȱdamitȱzwarȱeinerseitsȱimȱBeȬ reichȱderȱeingangsȱerwähntenȱZusatzaufgaben,ȱaberȱebenfallsȱdeutȬ lichȱimȱsoȱgenanntenȱKerngeschäft,ȱdemȱUnterricht.ȱ 6.4.2.4

Beanspruchungen

Alsȱ Beanspruchungenȱ werdenȱ dieȱ Auswirkungenȱ verstanden,ȱ dieȱ Belastungenȱ aufȱ dieȱ Personȱ haben.ȱ Alsȱ zentralesȱ BeanspruchungsȬ kriteriumȱ wurdeȱ zumȱ einenȱ dieȱ emotionaleȱ Erschöpfungȱ erhoben.ȱ Dieseȱ äußertȱ sichȱ inȱ einemȱ Gefühlȱ ausgepumptȱ zuȱ seinȱ oderȱ nichtȱ allesȱschaffenȱzuȱkönnen.ȱDieȱdarüberȱhinausȱerfassteȱbeeinträchtigȬ teȱ Zuwendungsbereitschaft3ȱ gehtȱ mitȱ aversivenȱ Tendenzenȱ gegenȬ überȱdenȱSchülerinnen/Schülernȱeinher.ȱBeideȱKriterienȱsindȱTeilȱdesȱ BurnoutȬSyndroms.ȱȱ Annäherndȱ einȱ Drittelȱ allerȱ Lehrkräfteȱ undȱ Schulhausleiterinnen/ȱȱȱȱȱ Ȭleiterȱ zeigtȱ ausgeprägteȱ Merkmaleȱ emotionalerȱ Erschöpfung.ȱ Beiȱ derȱ allerdingsȱ sehrȱ kleinenȱ Stichprobeȱ derȱ Rektorinnen/Rektorenȱ sindȱesȱhingegenȱ8.3%.ȱRundȱ21%ȱderȱLehrkräfteȱundȱSchulhausleiȬ terinnen/Ȭleiterȱ weisenȱ kritischeȱ Werteȱ fürȱ beeinträchtigteȱ ZuwenȬ dungsbereitschaftȱ auf.ȱ Dieȱ Rektorinnen/Rektorenȱ zeigenȱ hierȱ keineȱ kritischenȱWerte.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 3ȱȱ InȱdemȱderȱschulinternenȱundȱȬexternenȱÖffentlichkeitȱvorgelegtenȱBerichtȱwurdeȱ

170ȱ

derȱ Fachterminusȱ „Klientenaversion“ȱ durchȱ denȱ Begriffȱ „Eingeschränkteȱ ZuȬ wendungsbereitschaft“ȱersetzt.ȱDieseȱBenennungȱschienȱaufgrundȱderȱFormulieȬ rungenȱderȱentsprechendenȱItemsȱverantwortbar.ȱ

Analysephase

6.4.2.5

6.4

Delegationsmöglichkeiten

ImȱZusammenhangȱmitȱihremȱKerngeschäftȱundȱdenȱüberȱdieȱJahreȱ hinzugekommenenȱZusatzaufgabenȱwurdenȱdieȱLehrkräfteȱgefragt,ȱ fürȱ welcheȱ Aufgabenȱ sieȱ ausȱ welchenȱ Gründenȱ Möglichkeitenȱ derȱ Delegationȱsehenȱundȱfürȱwelcheȱnicht.ȱȱ DieȱLehrkräfteȱundȱSchulhausleiterinnen/ȬleiterȱwürdenȱadministraȬ tiveȱ Verpflichtungenȱ außerhalbȱ desȱ Unterrichtsȱ delegieren.ȱ Alsȱ Gründeȱ werdenȱ vorȱ allemȱ dieȱ starkeȱ Zusatzbelastungȱ angegebenȱ sowieȱ dieȱ Tatsache,ȱ dassȱ Lehrkräfteȱ dieseȱ Tätigkeitenȱ nichtȱ alsȱ ihreȱ Aufgabenȱbetrachten.ȱEineȱAusnahmeȱbildenȱdieȱschülerinnenbezoȬ genenȱ Verwaltungstätigkeiten,ȱ dieȱ wegenȱ derȱ Ganzheitlichkeitȱ derȱ Tätigkeitȱnichtȱabgegebenȱwerdenȱmöchten.ȱ Gleichesȱ giltȱ fürȱ denȱ Wunschȱ nachȱ Beibehaltungȱ derȱ Aufgabenȱ imȱ Bereichȱ Unterricht,ȱ aberȱ auchȱ fürȱ Aufgabenȱ wieȱ Elternarbeit,ȱ dieȱ TeilnahmeȱanȱSitzungenȱundȱKonferenzen,ȱPrüfungsabnahmenȱundȱ Integrationsarbeit.ȱ Somitȱ zeigtȱ sichȱ deutlich,ȱ dassȱ Lehrkräfteȱ dieȱ Aufgabenȱ rundȱ umȱ dasȱ Kerngeschäft,ȱ alsoȱ denȱ Unterricht,ȱ nichtȱ abgebenȱmöchten.ȱȱ 6.4.2.6

Verbesserungsvorschläge

Verbesserungsmöglichkeitenȱ mitȱ großenȱAuswirkungenȱ aufȱ ZufrieȬ denheitȱ undȱ Wohlbefindenȱ siehtȱ dieȱ Mehrheitȱ allerȱ Lehrkräfteȱ hauptsächlichȱimȱBereichȱfinanziellerȱundȱzeitlicherȱRessourcenȱu.ȱa.ȱ hinsichtlichȱZusatzaufgaben:ȱ

„ zeitlicheȱEntlastungȱfürȱaußerunterrichtlicheȱAufgabenȱ(85%),ȱ „ mehrȱfinanzielleȱMittelȱfürȱdieȱSchulenȱ(81%),ȱ „ ReduktionȱderȱPflichtstundenzahlȱ(76%),ȱ „ klareȱ Regelungenȱ bezüglichȱ Kerngeschäftȱ undȱ Zusatzaufgabenȱ (75%),ȱ

„ EntschädigungȱfürȱaußerunterrichtlicheȱAufgabenȱ(74%).ȱ Ebenfallsȱ häufigȱ werdenȱ Verbesserungsvorschlägeȱ imȱ Bereichȱ derȱ Führungȱgemacht:ȱ

„ KlareȱUnterstützungȱderȱLehrkräfteȱ(76%),ȱ „ VerbesserungȱdesȱImagesȱderȱSchuleȱ(68%),ȱ

171ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

„ VerbesserungȱdesȱUmgangsȱvonȱBehördenȱundȱFührungskräftenȱ mitȱVorschlägenȱvonȱLehrkräftenȱ(65%).ȱ Dieȱ Vorschlägeȱ werdenȱ überȱ alleȱ Schultypenȱ hinwegȱ inȱ ähnlicherȱ Weiseȱbeurteilt.ȱ 6.4.2.7

Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen

DieȱimȱFolgendenȱbeschriebenenȱZusammenhängeȱgeltenȱfürȱLehrȬ kräfteȱundȱSchulhausleiterinnen/ȬleiterȱüberȱalleȱSchultypenȱhinweg.ȱȱ Einenȱ negativenȱ Zusammenhangȱ weisenȱ dieȱ Defiziteȱ imȱ Bereichȱ Kulturȱ undȱ Führung4ȱ mitȱ Partizipationsmöglichkeiten,ȱ mitarbeiterȬ orientiertemȱ Vorgesetztenverhaltenȱ undȱ sozialerȱ Unterstützungȱ durchȱ Vorgesetzteȱ auf,ȱ einenȱ positivenȱ Zusammenhangȱ mitȱ belasȬ tendemȱVorgesetztenverhaltenȱ(vgl.ȱTabelleȱ3).ȱȱ

Tabelleȱ3ȱ

ZusammenhängeȱmitȱDefizitenȱinȱKulturȱundȱFührenȱ(N=1517)ȱ Partizipationsmöglichkeiten

Defizite in Kultur und Führung

-.48

Mitarbeiter/Soziale Unter- Belastendes innenorientiertes stützung durch VorgesetztenVorgesetztenVorgesetzte verhalten verhalten -.46

-.49

.47

Alle Korrelationen sind hochsignifikant: p<.001

ȱ Deutlichȱ erkennbarȱ sindȱ imȱ weiterenȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ emotionalerȱ Erschöpfungȱ sowieȱ beeinträchtigterȱ ZuwendungsbeȬ reitschaftȱ einerseitsȱ undȱ Merkmalenȱ wieȱ mengenmäßigerȱ bzw.ȱ inȬ haltlicherȱ Überforderung,ȱ belastendemȱ Sozialklimaȱ sowieȱ berufliȬ chemȱSelbstwirksamkeitserlebenȱandererseitsȱ(vgl.ȱTabelleȱ4).ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 4ȱȱ Zuȱ denȱ Defizitenȱ imȱ Bereichȱ Kulturȱ undȱ Führungȱ gehörenȱ z.B.ȱ ‚klareȱ Führung‘,ȱ

172ȱ

‚MitspracheȱbeiȱwichtigenȱDingen‘,ȱKulturȱderȱOffenheitȱundȱToleranz‘ȱu.a.ȱ

Analysephase

Zusammenhänge mit emotionaler Erschöpfung und beeinträchtigter Zu wendungsbereitschaft (N=1517) Mengenmäßi- Inhaltliche ge Überforde- Überforderung rung

Belastendes Sozialklima

6.4 Tabelle 4

Berufliche Selbstwirksamkeit

Emotionale Erschöpfung

.62

.45

.34

-.53

Beeinträchtigte Zuwendungsbereitschaft

.35

.39

.30

-.41

Alle Korrelationen sind hochsignifikant: p<.001

6.4.2.8

Rekapitulation der Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen ein Belastungsmuster, demzufolge Lehrkräfte sich am stärksten durch unterrichts und schülerinnenbezogene Aspekte, dann durch so genannte „Zusatzaufgaben“ ihres Berufs und schließlich durch Reformaufgaben als belastet beschreiben. Mengenmäßig fühlen sich die Lehrkräfte moderat, inhaltlich jedoch eher wenig überfordert. Ein Drittel der Lehrkräfte zeigt ausgeprägte Symptome emotionaler Erschöpfung sowie beeinträchtigter Zu wendungsbereitschaft. Zwischen mengenmäßiger und inhaltlicher Überforderung einerseits und emotionaler Erschöpfung sowie be einträchtigter Zuwendungsbereitschaft andererseits ergeben sich bemerkenswerte signifikante Zusammenhänge. Betrachtet man demgegenüber die von den Lehrkräften geäußerten Delegations wünsche, wird deutlich, dass sie insbesondere so genannte Zusatz aufgaben abgegeben wollen, keinesfalls hingegen schul , schülerin nen und unterrichtsbezogene Aufgaben. Damit halten die Lehrkräf te an dem Aufgabenbereich fest, der die größten Belastungen mit sich bringt. Hinsichtlich organisationaler Rahmenbedingungen sind vor allem Aspekte im Bereich Führung und Kultur defizitär. Die vorgebrachten Verbesserungsvorschläge gehen, konsistent mit den Delegationswünschen, in Richtung inhaltlicher, finanzieller und zeitlicher Regelungen für Zusatzaufgaben. Weiter wünschen die Lehrkräfte, passend zu den Defiziten in Führung und Kultur, eine Optimierung der Führungsprozesse.

173

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

6.4.3

Rückmeldung der Ergebnisse

DieȱErgebnisseȱderȱAnalyseȱwurdenȱimȱDezemberȱ2001ȱderȱDeparȬ tementsleitungȱ undȱ derȱ Steuergruppe,ȱ derȱ Projektleitungȱ undȱ derȱ Begleitgruppeȱrückgemeldet.ȱImȱJanuarȱ2002ȱludȱdieȱDepartementsȬ leitungȱ sämtlicheȱ Lehrkräfteȱ zurȱ Präsentationȱ derȱ Ergebnisseȱ imȱ RahmenȱeinerȱGroßveranstaltungȱein.ȱMehrȱalsȱ1000ȱLehrkräfteȱfolgȬ tenȱdieserȱEinladung.ȱÜberȱdieȱErgebnisseȱwurdeȱaußerdemȱinȱeinerȱ Pressekonferenzȱinformiert.ȱ DieȱErgebnisseȱerschienenȱinȱBerichtformȱ(Ulich,ȱInversiniȱ&ȱWülser,ȱ 2002)ȱ undȱ wurdenȱ allenȱ Lehrkräften,ȱ Behördenȱ sowieȱ derȱ interesȬ siertenȱÖffentlichkeitȱzugänglichȱgemacht.ȱȱ

6.5

Maßnahmenplanung und Umsetzungsphase

6.5.1

Maßnahmenplanung in Arbeitsgruppen

AufgrundȱderȱErgebnisseȱderȱAnalyseȱwurdenȱdieȱzentralenȱHandȬ lungsfelderȱ identifiziertȱ undȱ dieȱ Maßnahmenplanungȱ eingeleitet.ȱ Dieȱ Handlungsfelderȱ wurdenȱ durchȱ folgendeȱ vomȱ DepartementsȬ vorsteherȱbeauftragtenȱthematischenȱArbeitsgruppenȱbearbeitet:ȱ

„ FührungȱundȱKultur,ȱ „ KerngeschäftȱundȱZusatzaufgaben,ȱ „ InformationȱundȱKommunikation,ȱ „ Weiterbildung,ȱ „ Verhaltenȱ„schwieriger“ȱSchülerinnen/Schüler.ȱ Übergreifendȱ solltenȱ alleȱ Arbeitsgruppenȱ dieȱ Thematikȱ derȱ BelasȬ tungȱ undȱ Beanspruchungȱ alsȱ integralenȱ Bestandteilȱ inȱ dieȱ ÜberleȬ gungenȱ einbeziehen.ȱ Fachpersonenȱ bzw.ȱ Verantwortlicheȱ ausȱ demȱ ErziehungsdepartementȱleitetenȱdieȱArbeitsgruppen.ȱȱ Fürȱ dieȱ Maßnahmenplanungȱ wurdeȱ aufȱ dieȱ kontinuierlicheȱ ZuȬ sammenarbeitȱ mitȱ Beratendenȱ bzw.ȱ Fachexpertinnen/Ȭexpertenȱ verȬ zichtet.ȱ Jedeȱ Arbeitsgruppeȱ bekamȱ jedochȱ dieȱ finanzielleȱ RessourȬ cenausstattungȱfürȱdenȱbedarfsbezogenenȱBeizugȱvonȱBeratung.ȱDasȱ

174ȱ

Maßnahmenplanung und Umsetzungsphase

6.5

iafobȱnahmȱEinsitzȱinȱderȱSteuergruppeȱundȱwurdeȱinsbesondereȱbeiȱ derȱ Prüfungȱ derȱ Maßnahmenȱ betreffendȱ Belastungenȱ undȱ BeanȬ spruchungenȱberatendȱwirksam.ȱ

6.5.2

Umsetzung der Maßnahmen

DieȱSteuergruppeȱpriorisierteȱdieȱvonȱdenȱArbeitsgruppenȱerarbeiteȬ tenȱVorschlägeȱundȱprüfteȱsieȱaufȱFinanzierbarkeit.ȱDieȱpriorisiertenȱ Vorschlägeȱwurdenȱschließlichȱumgesetzt.ȱImȱFolgendenȱwerdenȱdieȱ wichtigstenȱumgesetztenȱMaßnahmenȱkurzȱbeschrieben:ȱ AusȱdemȱMaßnahmenkatalogȱderȱArbeitsgruppeȱ„VerhaltenȱschwieȬ rigerȱSchülerinnen/Schüler“ȱgingȱinȱderȱPrimarȬȱundȱOrientierungsȬ schuleȱ dieȱ Einrichtungȱ vonȱ Kriseninterventionsstellenȱ (KIS)ȱ mitȱ professionellerȱBesetzungȱhervor.ȱȱ InȱdenȱOrientierungsschulenȱwurdeȱeinȱ„KoordinatorinnenȬModell“ȱ eingerichtet.ȱ Dasȱ heißt,ȱ esȱ wurdenȱ inȱ denȱ Schulhäusernȱ Lehrkräfteȱ bezeichnetȱ undȱ qualifiziert,ȱ dieȱ imȱ Umgangȱ mitȱ anspruchsvollenȱ Schulsituationenȱ bedarfsbezogenȱ dieȱ Koordinationȱ mitȱ externenȱ Ressourcensystemenȱ undȱ Fachpersonenȱ übernehmen.ȱ Vomȱ ErzieȬ hungsdepartementȱ wurdeȱ dieȱ Vernetzungȱ derȱ bestehendenȱ UnterȬ stützungsangeboteȱ ausȱ denȱ verschiedenenȱ Departementenȱ verbesȬ sert.ȱImȱWeiterenȱwurdenȱBeratungsbudgetsȱfürȱLehrkräftekollegienȱ bereitgestellt.ȱ Dieȱ Arbeitsgruppeȱ „Weiterbildung“ȱ erarbeiteteȱ einȱ Angebotȱ vonȱ Weiterbildungsmodulenȱ zumȱ Themaȱ Gesundheitsförderungȱ imȱ Beruf.ȱ Außerdemȱ wurdeȱ einȱ Budgetȱ zurȱ individuellenȱ WeiterbilȬ dungȱderȱLehrkräfteȱbewilligt.ȱ DieȱArbeitsgruppeȱ „Kerngeschäftȱ undȱ Zusatzaufgaben“ȱ erarbeiteteȱ eineȱ Vorlageȱ zurȱ Schaffungȱ einesȱ soȱ genanntenȱ EntlastungslektioȬ nendachsȱ (ELD).ȱ Aufȱ diesesȱ könnenȱ dieȱ Schulenȱ beiȱ besonderenȱ Belastungenȱ einzelnerȱ Lehrkräfteȱ zurückgreifen.ȱ Imȱ Rahmenȱ desȱ vomȱErziehungsdepartementȱbewilligtenȱELDȱwirdȱderȱUmfangȱanȱ Entlastungenȱ undȱ Entschädigungenȱ fürȱ Leistungenȱ festgelegt,ȱ dieȱ vonȱ Lehrkräftenȱ zusätzlichȱ zumȱ Unterrichtȱ undȱ denȱ damitȱ zusamȬ menhängendenȱAufgabenȱerbringen.ȱȱ

175ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

Inȱ denȱ Primarschulenȱ wurdenȱ dieȱ Schulhausleiterinnen/Ȭleiterȱ zeitȬ lichȱ leichtȱ entlastet.ȱ Außerdemȱ wurdeȱ eineȱ „SchulleitungsausbilȬ dung“ȱangeboten.ȱȱ AufgrundȱderȱVorschlägeȱderȱArbeitsgruppeȱ„FührungȱundȱKultur“ȱ führtenȱDepartementsvorsteherȱundȱRektorinnen/Rektorenȱmehrereȱ Tagungenȱ zumȱ Themaȱ Führungȱ durch.ȱ Esȱ entstandȱ einȱ CoachingȬ angebotȱ zurȱ Unterstützungȱ beiȱ derȱ Erarbeitungȱ derȱ gefordertenȱ FührungskonzepteȱanȱdenȱSchulenȱsowieȱeinȱallgemeinesȱCoachingȬ angebotȱfürȱRektorinnen/Rektoren.ȱ

6.6

Wirkungen des Projekts

6.6.1

Evaluation

Zweckȱ derȱ Evaluationȱ warȱ dieȱ systematischeȱ Erfassungȱ vonȱ ErfahȬ rungenȱ mitȱ denȱ imȱ Projektȱ bewilligtenȱ Maßnahmenȱ sowieȱ eineȱ BeȬ urteilung,ȱ obȱ undȱ inȱ welcherȱ Weiseȱ dieȱ Maßnahmenȱ zurȱ VerbesseȬ rungȱ derȱ Arbeitssituationȱ derȱ Lehrkräfteȱ imȱ Kantonȱ BaselȬStadtȱ beitragen.ȱ Dieȱ Evaluationȱ wurdeȱ vonȱ Oktoberȱ bisȱ Dezemberȱ 2004ȱ durchȱ dasȱ iafobȱ durchgeführt.ȱ Dieȱ Verantwortlichenȱ warenȱ –ȱ umȱ eineȱ gewisseȱ Unabhängigkeitȱ zuȱ gewährleistenȱ –ȱ amȱ Projektȱ nichtȱ beteiligtȱgewesenȱ(fürȱeineȱausführlicheȱBeschreibungȱderȱErgebnisȬ seȱ vgl.ȱPeterȱ&ȱ Dangel,ȱ2005).ȱEsȱ wurdeȱ einȱFragebogenȱ eingesetzt,ȱ derȱallenȱLehrkräftenȱundȱSchulhausleiterinnen/Ȭleiternȱelektronischȱ oderȱ inȱ Papierformȱ zurȱ Verfügungȱ gestelltȱ wurde.ȱ Erȱ umfassteȱ folȬ gendeȱFragebereiche:ȱ

„ AllgemeineȱProjektbeurteilung,ȱ „ BeurteilungȱderȱbewilligtenȱMaßnahmen,ȱ „ Beurteilungȱ derȱArbeitsbedingungenȱ undȱ Zufriedenheitȱ mitȱ derȱ ArbeitȱsowieȱDefiziterleben,ȱ

„ BelastungenȱundȱBeanspruchungenȱbeiȱderȱArbeit,ȱ „ erlebteȱDelegation:ȱVeränderungȱvonȱtätigkeitsbezogenenȱZeitanȬ teilen,ȱ

„ erlebteȱUmsetzungȱvonȱVerbesserungsvorschlägen.ȱ

176ȱ

Wirkungen des Projekts

6.6

Vonȱ denȱ insgesamtȱ 3378ȱ verschicktenȱ Fragebogenȱ kamenȱ 700ȱ verȬ wertbarȱzurück.ȱDamitȱbetrugȱderȱRücklaufȱ21%,ȱwasȱalsȱniedrigȱzuȱ bezeichnenȱist.ȱDafürȱwurdenȱdemȱEvaluationsteamȱfolgendeȱGrünȬ deȱangegeben:ȱȱ

„ Vonȱdenȱ„hot“ȬMaßnahmenȱkonnteȱnochȱnichtȱprofitiertȱwerden.ȱ „ DerȱAufwandȱ fürȱ eineȱ Beteiligungȱ wurdeȱ relativȱ zurȱ bisherigenȱ InanspruchnahmeȱderȱMaßnahmenȱfürȱzuȱgroßȱgehalten.ȱ

„ DieȱArtȱderȱBefragungȱmittelsȱgeschlossenerȱFragenȱwurdeȱnichtȱ unterstützt.ȱ DreiȱViertelȱderȱAntwortendenȱhabenȱauchȱanȱderȱerstenȱBefragungȱ teilgenommenȱundȱsindȱnochȱimmerȱimȱgleichenȱSchultypȱtätigȱwieȱ beiȱ derȱ Erstbefragungȱ undȱ 10%ȱ derȱ Antwortendenȱ sindȱ alsȱ SchulȬ hausleiterinnen/Ȭleiterȱtätig.ȱ DieȱEvaluationȱderȱkonkretenȱMaßnahmenȱergibtȱfolgendesȱBild:ȱ

„ Dieȱ Kriseninterventionsstellenȱ werdenȱ alsȱ entlastendȱ fürȱ dieȱ Lehrkräfteȱbeurteilt.ȱNurȱgeradeȱ6%ȱderȱNutzerinnen/NutzerȱerȬ lebtenȱdadurchȱkeineȱEntlastung.ȱ

„ Dasȱ KoordinatorenȬModellȱ derȱ Orientierungsschuleȱ wirdȱ vonȱ seinenȱNutzerinnen/NutzernȱebenfallsȱmehrheitlichȱpositivȱbeurȬ teilt.ȱEinȱFünftelȱderȱAntwortendenȱempfindetȱdasȱAngebotȱnichtȱ alsȱentlastend.ȱ

„ Dieȱ Maßnahme,ȱ proȱ Schuleȱ Informationsverantwortlicheȱ zuȱ bestimmen,ȱ wurdeȱ nichtȱ konsequentȱ realisiert.ȱ Woȱ vorhanden,ȱ wirdȱsieȱjedochȱvonȱeinemȱDrittelȱderȱAntwortendenȱalsȱvertrauȬ ensbildendeȱ Maßnahmeȱ zwischenȱ Schulenȱ undȱ ErziehungsdeȬ partementȱbeurteilt.ȱ

„ Dasȱ Entlastungslektionendachȱ wirdȱ vonȱ zweiȱ Drittelnȱ derȱ LehrȬ kräfteȱ alsȱ wirkungsvollȱ empfunden,ȱ vonȱ 21%ȱ derȱ NutzerinȬ nen/NutzerȱwirdȱkeineȱzeitlicheȱEntlastungȱerlebt.ȱȱ

„ Hinsichtlichȱ derȱ Optimierungȱ vonȱ FührungsȬȱ undȱ kulturellenȱ AspektenȱbestätigenȱzweiȱDrittelȱderȱBefragtenȱdieȱExistenzȱeinesȱ FührungskonzeptsȱinȱihrerȱSchule.ȱ39%ȱgebenȱan,ȱdassȱLehrkräfȬ teȱ beiȱ derȱ Erarbeitungȱ desȱ jeweiligenȱ Führungskonzeptsȱ mitgeȬ wirktȱhaben.ȱ16%ȱhingegenȱäußern,ȱdassȱkeinȱpartizipativerȱProȬ

177ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

zessȱ stattgefundenȱ hat.ȱ 89%ȱ derȱ Schulhausleiterinnen/Ȭleiterȱ nahmenȱanȱderȱdurchgeführtenȱ„Schulleitungsausbildung“ȱteil.ȱ

„ Beinaheȱ dreiȱViertelȱ derȱ befragtenȱ Nutzerinnen/Nutzerȱ erfahrenȱ dieȱpsychologischeȱBeratungsstelle,ȱdieȱalsȱSofortmaßnahmeȱeinȬ führtȱwordenȱwar,ȱalsȱwirksameȱUnterstützung.ȱȱ

„ Dieȱ zusätzlichȱ eingesetztenȱ Schulhausleiterinnen/Ȭleiterȱ inȱ denȱ Primarschulenȱ werdenȱ mehrheitlichȱ alsȱ Entlastungȱ erlebt.ȱ AuȬ ßerdemȱ werdenȱ diesbezüglichȱ vonȱ zweiȱ Drittelnȱ derȱ Befragtenȱ VerbesserungenȱimȱBereichȱKommunikationȱberichtet.ȱ Nebenȱ derȱ Beurteilungȱ derȱ konkretenȱ Maßnahmenȱ wurdenȱ inȱ derȱ Evaluationsbefragungȱ ausgewählteȱ Variablenȱ ausȱ derȱ erstenȱ BefraȬ gungȱ nochmalsȱ erhoben.ȱ Eineȱ statistischeȱ Überprüfungȱ derȱ VeränȬ derungenȱ istȱnichtȱ möglich,ȱ daȱ dieȱ einzelnenȱAntwortendenȱ inȱdenȱ beidenȱ Befragungszeitpunktenȱ nichtȱ erfasstȱ wurdenȱ undȱ somitȱ dieȱ Ergebnisseȱ nichtȱ aufȱ Personenebeneȱ inȱ Beziehungȱ zueinanderȱ geȬ setztȱ werdenȱ können.ȱ Dennochȱ sindȱ gewisseȱ Musterȱ derȱ VerändeȬ rungȱerkennbar.ȱ ImȱVergleichȱzurȱerstenȱBefragungȱliegenȱalleȱWerteȱfürȱarbeitsbezoȬ geneȱ Zufriedenheitsaspekteȱ zumȱ Zeitpunktȱ derȱ zweitenȱ Befragungȱ tendenziellȱ höher.ȱ Dieȱ wahrgenommenenȱ Defiziteȱ zwischenȱ derȱ Wichtigkeitȱ vonȱ Wertenȱ undȱ derȱ Zufriedenheitȱ mitȱ derȱ diesbezügȬ lichȱerlebtenȱRealitätȱfallenȱfürȱdieȱ10ȱwichtigstenȱWertvorstellungenȱ geringerȱaus.ȱȱ Hinsichtlichȱ erfahrenerȱ spezifischerȱ Belastungsbedingungenȱ zeigtȱ sich,ȱdassȱdasȱAusmaßȱderȱBelastungenȱzumȱZeitpunktȱderȱEvaluaȬ tionsbefragungȱmitȱAusnahmeȱdesȱAspektesȱ‚BelastungȱdurchȱNeuȬ erungenȱ imȱ Schulsystem,ȱ Reformen’ȱ tendenziellȱ geringerȱ wahrgeȬ nommenȱwird.ȱȱ Imȱ Bereichȱ derȱ Beanspruchungenȱ zeigtȱ sich,ȱ dassȱ derȱ Anteilȱ derȱ Befragtenȱ mitȱ kritischenȱ Wertenȱ fürȱ emotionaleȱ Erschöpfungȱ undȱ beeinträchtigteȱZuwendungsbereitschaftȱtendenziellȱgeringerȱist.ȱ

178ȱ

WeiterȱwurdeȱnachȱderȱVeränderungȱderȱZeitanteileȱfürȱTätigkeitenȱ gefragt,ȱderenȱDelegationȱvonȱderȱMehrheitȱderȱTeilnehmendenȱderȱ erstenȱ Befragungȱ alsȱ wünschenswertȱ angegebenȱ wordenȱ war:ȱ Zumȱ Evaluationszeitpunktȱ setztenȱ mehrȱ Befragteȱ wenigerȱ Zeitȱ fürȱ dieȱ folgendenȱ Tätigkeitenȱ ein:ȱ ‚Verwaltung/Pflegeȱ vonȱ Infrastrukturȱ außerhalbȱdesȱUnterrichts’,ȱ‚ErledigungȱvonȱTransporten’,ȱ‚außerunȬ

Wirkungen des Projekts

6.6

terrichtlicheȱ Schülerinnenbetreuung’,ȱ ‚Protokollführungȱ beiȱ LehrȬ kräfteȬKonferenzen’,ȱ ‚Verwaltungȱ vonȱ Sonderräumen’,ȱ ‚Verwaltungȱ Geräte/Werkzeuge’ȱsowieȱ‚Öffentlichkeitsarbeit’.ȱGeradeȱumgekehrtȱ istȱ dasȱ Musterȱ beiȱ denȱ Tätigkeitenȱ ‚Korrespondenzȱ mitȱ Behörden’,ȱ ‚außerunterrichtlicheȱ pädagogischeȱ Tätigkeiten’,ȱ ‚schulpolitischeȱ Aktivitäten’,ȱ ‚Zusammenarbeitȱ mitȱ Behörden’ȱ undȱ ‚Mitarbeitȱ inȱ Kommissionen’.ȱ Hierȱ setzenȱ zwischenȱ 18ȱ undȱ 32%ȱ derȱ Befragtenȱ nachȱihrenȱAngabenȱnochȱmehrȱZeitȱeinȱalsȱzumȱZeitpunktȱderȱersȬ tenȱBefragung.ȱ Hinsichtlichȱ erlebterȱ Verbesserungenȱ werdenȱ imȱ Bereichȱ vonȱ ResȬ sourcenȱ fürȱ Schuleȱ undȱ Unterrichtȱ vonȱ derȱ Mehrheitȱ derȱ Befragtenȱ positiveȱ Veränderungenȱ betreffendȱ ‚Entschädigungȱ fürȱ ZusatzaufȬ gaben’,ȱ ‚zeitlicheȱ Entlastungȱ fürȱ Zusatzaufgaben’ȱ undȱ ‚QualifizieȬ rungȱ undȱ Weiterbildung’ȱ wahrgenommen.ȱ Dieȱ Veränderungenȱ beȬ züglichȱderȱ‚finanziellenȱMittelȱfürȱdieȱSchule’ȱwerdenȱunterschiedȬ lich,ȱ jedochȱ vonȱ einemȱ Drittelȱ derȱ Befragtenȱ deutlichȱ negativȱ eingeschätzt.ȱImȱBereichȱderȱFührungȱwerdenȱvomȱgrößerenȱAnteilȱ derȱBefragtenȱtendenziellȱpositiveȱVeränderungenȱwahrgenommen.ȱ Besondersȱ hervorzuhebenȱ istȱ dieȱ positiveȱ Beurteilungȱ betreffendȱ Veränderungenȱ inȱ derȱ Informationspolitik.ȱ Veränderungenȱ bezügȬ lichȱ Unterstützungsangebotenȱ würdigenȱ dieȱ Mehrheitȱ derȱ BefragȬ ten.ȱ Dieȱ Meinungenȱ bezüglichȱ wahrnehmbarerȱ Veränderungenȱ imȱ Bereichȱ Verwaltung,ȱ Infrastrukturȱ undȱ Räumenȱ fallenȱ sehrȱ unterȬ schiedlichȱaus.ȱ

6.6.2

Weitere Wirkungen

Dasȱ Projektȱ „hot“ȱ hatteȱ lautȱ derȱ Projektleiterinȱ desȱ ErziehungsdeȬ partementsȱ überȱ dieȱ Projektzielsetzungenȱ hinausȱ weitereȱ bemerȬ kenswerteȱWirkungen:ȱ EineȱersteȱsolcheȱWirkungȱwarȱdieȱEinsichtȱderȱVerantwortlichenȱimȱ Departement,ȱdassȱkünftigeȱweitereȱEntwicklungsprojekteȱnurȱdannȱ erfolgreichȱseinȱkönnen,ȱwennȱderȱBelastungssituationȱderȱLehrkräfȬ teȱbeiȱderȱPlanungȱderȱProjekteȱRechnungȱgetragenȱwerde.ȱSoȱwurȬ denȱ bereitsȱ inȱ einemȱ daraufȱ folgendenȱ Projektȱ Umfangȱ undȱ VerteiȬ lungȱ vonȱ Projektaufgabenȱ derȱ Lehrkräfteȱ definiert,ȱ genauerȱ abgeȬ schätztȱundȱwoȱnötigȱEntlastungenȱinȱdieȱWegeȱgeleitet.ȱȱ

179ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

Weiterȱhatȱsichȱaufgrundȱvonȱ„hot“ȱdasȱVerhältnisȱzwischenȱSchulȬ synode5ȱ undȱ Erziehungsdepartementȱ imȱ Sinneȱ derȱ VertrauensbilȬ dungȱ starkȱ verbessert.ȱ Dasȱ belegenȱ auchȱ dieȱ Voten,ȱ dieȱ vonȱ denȱ Verantwortlichenȱ derȱ Schulsynodeȱ undȱ denȱ Rektoratenȱ schonȱ aufȬ grundȱderȱRückmeldungȱderȱAnalyseergebnisseȱabgegebenȱwordenȱ warenȱ(vgl.ȱGiger,ȱ2002).ȱGrundtenorȱdieserȱAussagenȱist,ȱdassȱsichȱ dieȱ Lehrkräfteȱ „endlichȱ ernstȱ genommen“ȱ fühlten.ȱ Dieȱ „hot“Ȭ Projektleiterinȱberichtetȱaußerdem,ȱdassȱsichȱbereitsȱinȱeinemȱnachȬ folgendenȱProjektȱeineȱneueȱKulturȱdesȱKooperierensȱetabliertȱhabe:ȱ EsȱgelangȱerstmalsȱeineȱgemeinsameȱProjektträgerschaftȱvonȱDeparȬ tementȱundȱSchulsynodeȱundȱdieȱ„Lehrerschaft“ȱhabeȱdadurchȱpariȬ tätischȱinȱdasȱProjektȱeingebundenȱwerdenȱkönnen.ȱDasȱwirdȱdaraufȱ zurückgeführt,ȱ dassȱ sichȱ dieȱ Departementsleitungȱ undȱ mitȱ ihrȱ dieȱ Verantwortlichenȱ ausȱ demȱ Erziehungsdepartementȱ durchȱ „hot“ȱ positionierenȱ konnten:ȱ „Mitȱ vielȱ Kommunikation“ȱ habeȱ sichtbarȱ gemachtȱ werdenȱ können,ȱ dassȱ einȱ authentischerȱ Willeȱ niemandenȱ zuȱ übergehenȱ vorhandenȱ warȱ undȱ dasȱ Möglichsteȱ zugunstenȱ derȱ Lehrerschaftȱzuȱtunȱversuchtȱwordenȱsei.ȱ Imȱ Bereichȱ ‚Führungȱ undȱ Kultur’ȱ konntenȱ lautȱ derȱ Projektleitungȱ nurȱ ungenügendȱ konkreteȱ Maßnahmenȱ zurȱ Verbesserungȱ derȱ FühȬ rungssituationȱinȱdenȱSchulenȱlanciertȱwerden.ȱDieȱFührungskulturȱ seiȱ nochȱ immerȱ starkȱ personengebundenȱ gewesenȱ undȱ mitȱ demȱ ProjektȱseiȱerstȱeinȱlangfristigerȱProzessȱdesȱKulturwandelsȱangestoȬ ßenȱworden.ȱEsȱseiȱaberȱeinȱneuesȱBewusstseinȱentstanden,ȱdassȱmitȱ denȱ vorhandenenȱ Führungsstrukturenȱ eineȱ Schuleȱ nichtȱ zuȱ führenȱ sei.ȱ Nichtȱ direktȱ inȱ derȱ Folgeȱ vonȱ „hot“,ȱ aberȱ dochȱ alsȱ Folgeȱ desȱ neuenȱ Bewusstseinsȱ seienȱ nunȱ neueȱ Führungsgrundsätzeȱ entstanȬ denȱ undȱ u.a.ȱ dieȱ Führungsstrukturenȱ undȱ –prozesseȱ angepasstȱ worden.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 5ȱȱ Dieȱ Staatlicheȱ Schulsynodeȱ istȱ dieȱ imȱ Schulgesetzȱ verankerteȱ Vereinigungȱ allerȱ

180ȱ

Lehrpersonen,ȱderenȱprimäreȱAufgabeȱesȱist,ȱzuȱsämtlichenȱFragenȱderȱBildung,ȱ ErziehungȱundȱSchuleȱStellungȱzuȱbeziehenȱ

Kritische Würdigung

6.7

6.7

Kritische Würdigung

Dieȱ Erfolgsfaktorenȱ desȱ stattgefundenenȱ OrganisationsentwickȬ lungsprozessesȱinȱdenȱSchulenȱvonȱBaselȬStadtȱwerdenȱaufȱderȱBasisȱ einesȱ Interviewsȱ mitȱ derȱ „hot“ȬProjektleiterinȱ imȱ Folgendenȱ kurzȱ bilanziertȱundȱergänzendȱkommentiert.ȱ DieȱBeurteilungȱderȱProjektgeschehnisseȱundȱȬergebnisseȱfälltȱinsgeȬ samtȱ positivȱ aus.ȱ Alsȱ klarerȱ Erfolgsfaktorȱ wirdȱ zunächstȱ dieȱ Rolleȱ derȱ Departementsleitungȱ alsȱ Projektpromotorȱ genannt.ȱ Derȱ DeparteȬ mentsvorsteherȱfüllteȱseineȱRolleȱalsȱMachtpromotorȱstarkȱaus.ȱDasȱ Projektȱ erfuhrȱ dadurchȱ eineȱ Planungȱ undȱ Steuerungȱ vonȱ obersterȱ Ebene.ȱ Mitȱ demȱ Ergreifenȱ vonȱ Sofortmaßnahmen,ȱ namentlichȱ derȱ Einrichtungȱ derȱ „hotȬline“ȱ alsȱ einerȱ erstenȱ MeinungsäußerungsȬ PlattformȱfürȱdieȱLehrkräfteȱsowieȱderȱBeratungsstelleȱfürȱLehrkräfȬ teȱ konntenȱ wichtigeȱ Zeichenȱ imȱ Sinneȱ einerȱ DialogȬȱ undȱ HandȬ lungsbereitschaftȱ seitensȱ desȱ Departementsvorstehersȱ gesetztȱ werȬ den.ȱWeiterȱstellteȱdieȱDepartementsleitungȱtrotzȱdesȱknappenȱBudȬ getsȱ undȱ derȱ angespanntenȱ finanziellenȱ Situationȱ desȱ Kantonsȱ dieȱ notwendigenȱpersonellenȱRessourcenȱzurȱVerfügung.ȱȱ DieȱBefragungȱsämtlicherȱLehrkräfteȱimȱRahmenȱeinerȱwissenschaftliȬ chenȱ Analyseȱ generierteȱ eineȱ Datenbasis,ȱ welcheȱ dieȱ begründeteȱ ErȬ arbeitungȱ undȱ Umsetzungȱ vonȱ Maßnahmenȱ ermöglichteȱ undȱ denȱ entsprechendenȱ Mitteleinsatzȱ fürȱ derenȱ Umsetzungȱ legitimierte.ȱ AllerdingsȱweckteȱdieȱAnalyseȱhoheȱErwartungenȱbeiȱdenȱLehrkräfȬ ten,ȱ denenȱ letztendlichȱ nichtȱ imȱ erhofftenȱ Ausmaßȱ genügtȱ werdenȱ konnte.ȱ Esȱ bestehtȱ aberȱ derȱ Eindruck,ȱ dassȱ dasȱ Erreichteȱ vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ„wohlwollend“ȱentgegengenommenȱwurde.ȱ MitȱseinerȱproaktivenȱInformationspolitikȱschaffteȱderȱDepartementsȬ vorsteherȱbereitsȱwährendȱdesȱVeränderungsprozessesȱTransparenzȱ vonȱobersterȱFührungsebeneȱundȱgewannȱdamitȱvielȱGlaubwürdigȬ keit.ȱ Alleinȱ dadurchȱ schriebenȱ dieȱ Lehrkräfteȱ demȱ Projektȱ „hot“ȱ positiveȱ Veränderungenȱ derȱ Informationskulturȱ derȱ baselstädtiȬ schenȱ Schulenȱ zu,ȱ obwohlȱ dieȱ eigentlichenȱ Maßnahmenȱ ausȱ derȱ entsprechendenȱArbeitsgruppeȱnichtȱvollständigȱumgesetztȱwordenȱ waren.ȱ Inȱ ähnlicherȱ Weiseȱ ermöglichteȱ dasȱ Vorgehenȱ währendȱ derȱ Gestaltungsphaseȱ eineȱ neueȱ Formȱ derȱZusammenarbeitȱ zwischenȱDeȬ partementȱ undȱ Synode.ȱ Indemȱ inȱ derȱ Steuergruppeȱ VertreterinȬ nen/VertreterȱderȱSynodeȱundȱdesȱDepartementsȱzusammenarbeiteȬ

181ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

ten,ȱ wurdeȱ klarȱ vermittelt,ȱ dassȱ alleȱ Interessengruppenȱ ernstȱ geȬ nommenȱwurden.ȱDerȱEinbezugȱderȱLehrkräfteȱimȱRahmenȱderȱVollbeȬ fragungȱ sowieȱ inȱ dieȱ Maßnahmenplanungȱ inȱ denȱ Arbeitsgruppenȱ warȱinȱeinerȱdezentralisiertenȱundȱwenigȱhierarchischȱstrukturiertenȱ Organisationȱ wieȱ derȱ Schuleȱ vonȱ großerȱ Bedeutung.ȱ Einȱ machtoriȬ entiertesȱ undȱ ausschließlichȱ vonȱ obersterȱ Ebeneȱ bestimmtesȱ VorgeȬ henȱwäreȱkaumȱanschlussfähigȱgewesen.ȱ

6.8

Zusammenfassung und Fazit

AufȱBasisȱderȱausführlichenȱAnalyseȱwurdenȱmitȱdenȱzurȱVerfügungȱ stehendenȱ finanziellenȱ undȱ zeitlichenȱ Ressourcenȱ imȱ Bereichȱ derȱ unterrichtsȬȱundȱschülerinnenbezogenenȱProblemeȱundȱderȱZusatzȬ aufgabenȱwesentlicheȱSchritteȱzurȱVerbesserungȱderȱArbeitssituationȱ derȱ Lehrkräfteȱ getan.ȱ Dieȱ Arbeitsgruppenȱ „Verhaltenȱ schwierigerȱ Schülerinnen/Schüler“ȱ sowieȱ „Kerngeschäftȱ undȱ Zusatzaufgaben“ȱ reagiertenȱ aufȱ dieseȱ Entwicklungsfelder.ȱ Dieȱ erarbeitetenȱ MaßnahȬ menȱzurȱEntlastungȱderȱLehrkräfteȱgriffenȱu.a.ȱmitȱderȱEinrichtungȱ einerȱ psychologischenȱ Beratungsstelleȱ undȱ KriseninterventionsstelȬ len,ȱdenȱKoordinationsstellenȱfürȱUnterstützungssysteme,ȱdemȱEinȬ satzȱ vonȱambulantenȱ Heilpädagoginnen/Ȭpädagogenȱ undȱ demȱ EntȬ lastungslektionendachȱ dieȱ genanntenȱ Problemeȱ gezieltȱ auf.ȱ Dieȱ BeȬ arbeitungȱ derȱ organisationalenȱ Defiziteȱ imȱ Bereichȱ Führungȱ undȱ Kulturȱ oblagȱ denȱArbeitsgruppenȱ „Führungȱ undȱ Kultur“ȱ undȱ „InȬ formationȱundȱKommunikation“.ȱHierȱwurdeȱdeutlich,ȱdassȱimȱBeȬ reichȱ derȱ organisationalenȱ Rahmenbedingungenȱ demȱ Themaȱ FühȬ rungȱ undȱ Kulturȱ mittelsȱ Einzelmaßnahmenȱ nichtȱ genügendȱ RechȬ nungȱ getragenȱ werdenȱ konnte.ȱ Esȱ wärenȱ tieferȱ greifendeȱ strukturelleȱVeränderungenȱnotwendigȱgewesen,ȱdieȱ–ȱaufgrundȱeiȬ nesȱneuȱentstandenenȱBewusstseinsȱ–ȱjedochȱinȱeinemȱnachgeordneȬ tenȱEntwicklungsschrittȱinȱAngriffȱgenommenȱwurden.ȱ Dieȱ genanntenȱ Erfolgsfaktorenȱ zeigen,ȱ wieȱ wichtigȱ ausȱ organisatiȬ onsentwicklerischerȱSichtȱgeradeȱbeiȱProjektenȱimȱSchulkontextȱdieȱ Prozessorientierung,ȱalsoȱdasȱ„Wie“ȱderȱVeränderungȱist.ȱDieȱtranspaȬ renteȱundȱbeteiligendeȱArtȱundȱWeise,ȱwieȱimȱProjektȱ„hot“ȱgeführt,ȱ informiert,ȱ kommuniziertȱ undȱ kooperiertȱ wurde,ȱ warȱ nebstȱ derȱ inhaltlichenȱ Ausrichtungȱ derȱ Maßnahmenȱ erfolgskritisch.ȱ MögliȬ

182ȱ

Literatur

6.9

cherweiseȱhätteȱeineȱkontinuierlicheȱBegleitungȱdurchȱexterneȱBeraȬ tungȱ imȱ Sinneȱ einesȱ prozessorientiertenȱ Changeȱ Managementsȱ inȱ ErgänzungȱzumȱgewähltenȱModellȱbedarfsbezogenerȱFachberatungȱ zuȱ einemȱ nochȱ integrativerenȱ undȱ wirkungsvollerenȱ EntwicklungsȬ prozessȱgeführt.ȱȱ Dasȱ zuȱ Beginnȱ fürȱ dieȱ Lehrkräfteȱ nochȱ fremdeȱ Verständnisȱ derȱ Schuleȱ alsȱArbeitsortȱ undȱ Organisationȱ –ȱ imȱ Gegensatzȱ zurȱ Schuleȱ alsȱ Bildungsinstitutionȱ –ȱ erfuhrȱ beiȱ denȱ Betroffenenȱ zunehmendeȱ Akzeptanz.ȱ Mitȱ derȱ arbeitspsychologischenȱ Perspektiveȱ fokussierteȱ dasȱ Projektȱ aufȱ dieȱ Verbesserungȱ derȱArbeitsbedingungenȱ undȱ –verȬ hältnisseȱ (stattȱ schwergewichtigȱ derȱ Lehrpersonen,ȱ ihremȱ Verhaltenȱ undȱdessenȱpädagogischerȱWirkung).ȱDasȱistȱinȱderȱSchuleȱmitȱihrenȱ spezifischenȱ Wissensbeständen,ȱ denȱ damitȱ verbundenenȱ professioȬ nellenȱ Normenȱ undȱ Standardsȱ sowieȱ angesichtsȱ derȱ gesellschaftliȬ chenȱÜberzeugungenȱzumȱFunktionierenȱderȱSchuleȱnichtȱselbstverȬ ständlich.ȱDasȱProjektȱ„hot“ȱzeigtȱexemplarischȱdieȱunternommenenȱ Schritteȱ inȱ Richtungȱ vonȱ persönlichkeitsȬȱ undȱ gesundheitsförderliȬ chenȱ Arbeitsbedingungenȱ inȱ derȱ Schuleȱ undȱ derenȱ Beitragȱ zurȱ Schulentwicklung.ȱ

6.9

Literatur

Abele,ȱA.ȱE.,ȱStief,ȱM.ȱ&ȱAndrä,ȱM.ȱS.ȱ(2000).ȱZurȱökonomischenȱErȬ fassungȱberuflicherȱSelbstwirksamkeitserwartungenȱȬȱNeukonstrukȬ tionȱeinerȱBSWȬSkala.ȱZeitschriftȱfürȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychoȬ logie,ȱ18,ȱ145Ȭ151.ȱ Giger,ȱH.ȱ(2002).ȱNeuerȱInformationsstilȱimȱED.ȱBaslerȱSchulblattȱ3/02.ȱ Hacker,ȱ W.ȱ &ȱ Reinhold,ȱ S.ȱ (1999).ȱ Beanspruchungsscreeningȱ beiȱ HuȬ mandienstleistungenȱ (BHDȬSystem).ȱ Frankfurtȱ a.ȱ M.:ȱ Swetsȱ Testȱ SerȬ vices.ȱ Peter,ȱ S.ȱ &ȱ Dangel,ȱ C.ȱ (2005).ȱ Maßnahmenevaluationȱ „hot“.ȱ Zürich:ȱ EvaluationsberichtȱdesȱInstitutsȱfürȱArbeitsforschungȱundȱOrganisaȬ tionsberatung.ȱ Rimann,ȱM.ȱ(1999).ȱWerteorientierungȱundȱdieȱBeziehungȱzumȱComputerȱ inȱ derȱ beruflichenȱ Tätigkeit:ȱ Implikationenȱ fürȱ dasȱ Verhältnisȱ zuȱ Arbeitȱ

183ȱ

6

Analyse und Optimierung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

undȱBerufȱimȱberuflichenȱEinstieg.ȱZürich:ȱZentralstelleȱderȱStudentenȬ schaftȱderȱUniversitätȱZürich.ȱ Rimann,ȱM.ȱ&ȱUdris,ȱI.ȱ(1997)ȱSubjektiveȱArbeitsanalyse:ȱDerȱFrageȬ bogenȱSALSA.ȱInȱO.ȱStrohmȱ&ȱE.ȱUlichȱ(Hrsg.),ȱUnternehmenȱarbeitsȬ psychologischȱbewertenȱ(S.ȱ281Ȭ298).ȱZürich:ȱvdfȱHochschulverlag.ȱ Schaarschmidt,ȱ U.ȱ &ȱ Fischer,ȱ A.ȱ W.ȱ (1997).ȱ AVEMȱ Ȭȱ einȱ diagnostiȬ schesȱ Instrumentȱ zurȱ Differenzierungȱ vonȱ Typenȱ gesundheitsreleȬ vantenȱVerhaltensȱundȱErlebensȱgegenüberȱderȱArbeit.ȱZeitschriftȱfürȱ DifferentielleȱundȱDiagnostischeȱPsychologie,ȱ18,ȱ151Ȭ163.ȱ Ulich,ȱ E.ȱ (2005).ȱ Arbeitspsychologie.ȱ (6.ȱAufl.).ȱ Zürich:ȱ vdf;ȱ Stuttgart:ȱ SchäfferȬPoeschel.ȱ Ulich,ȱE.,ȱInversini,ȱS.ȱ&ȱWülser,ȱM.ȱ(2002).ȱArbeitsbedingungen,ȱBelasȬ tungenȱundȱRessourcenȱderȱLehrkräfteȱdesȱKantonsȱBaselȬStadt.ȱErgebnisseȱ derȱ Analyse.ȱ Zürich:ȱ Forschungsberichtȱ desȱ Institutsȱ fürȱ ArbeitsforȬ schungȱundȱOrganisationsberatung.ȱ Ulich,ȱ E.ȱ &ȱ Wülser,ȱ M.ȱ (2005).ȱ Gesundheitsmanagementȱ inȱ UnternehȬ men.ȱArbeitspsychologischeȱPerspektivenȱ(2.ȱAufl.).ȱWiesbaden:ȱGabler.ȱ

184ȱ

Ein arbeitspsychologischer Blick auf den Arbeitsplatz Schule

7.1

ȱ

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse – das Schulprojekt Anabel

Kapitel 7

Marianne Resch und Claudia Fenzl

185ȱ

Ein arbeitspsychologischer Blick auf den Arbeitsplatz Schule

7.1

7.1

Ein arbeitspsychologischer Blick auf den Arbeitsplatz Schule

AngesichtsȱderȱseitȱJahrenȱbekanntenȱDatenȱzumȱKrankenstandȱundȱ zurȱFrühpensionierungȱvonȱLehrkräftenȱbeschäftigenȱsichȱvermehrtȱ Ansätzeȱ mitȱ Fragenȱ gesundheitlicherȱ Risikenȱ desȱ Lehrerberufs.ȱ HierbeiȱzeigenȱvorliegendeȱUntersuchungen,ȱdassȱSchülerinnenȱundȱ Schüler1ȱ sowohlȱ alsȱ Quelleȱ positiverȱ Arbeitserlebnisseȱ alsȱ auchȱ alsȱ Ursacheȱ arbeitsbedingterȱ Belastungenȱ gesehenȱ werden.ȱ Soȱ nennenȱ LehrkräfteȱalsȱhäufigeȱundȱbelastendeȱProblemeȱvorȱallemȱFaktorenȱ wieȱ Klassengröße,ȱ schülerbedingtenȱ Lärmȱ inȱ derȱ Schule,ȱ denȱ UmȬ fangȱ ihresȱ Unterrichtsdeputatsȱ oderȱ verhaltensauffälligeȱ Schüler.ȱ Offensichtlichȱ sollteȱ dieȱ Sucheȱ nachȱ spezifischenȱ Belastungenȱ undȱ Risikenȱ desȱ Lehrerberufsȱ mitȱ Fragenȱ derȱ Organisationȱ vonȱ Schuleȱ undȱUnterrichtȱverbundenȱwerden:ȱEinȱBelastungsabbauȱdientȱzwarȱ zunächstȱ unmittelbarȱ demȱ Gesundheitsschutzȱ derȱ Lehrkräfte,ȱ istȱ aberȱ ohneȱ Thematisierungȱ derȱ schulischenȱAbläufeȱ undȱ desȱ UnterȬ richtsgeschehensȱ nichtȱ möglich.ȱ Schulentwicklungsprogrammeȱ hingegenȱ sindȱ ohneȱ eineȱ gleichzeitigeȱ präventiveȱ Gestaltungȱ derȱ Arbeitsbedingungenȱkaumȱnachhaltigȱumzusetzen.ȱȱ DieȱVerständigungȱaufȱeinenȱintegriertenȱAnsatzȱvonȱSchulentwickȬ lungȱ undȱ Gesundheitsförderungȱ warȱ dennȱ auchȱ Ausgangspunktȱ einerȱKooperationȱzwischenȱeinerȱGesamtschuleȱmitȱüberȱ100ȱLehrȬ kräftenȱundȱdemȱFachgebietȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱ anȱderȱUniversitätȱFlensburg.ȱDieȱSchuleȱhatteȱinȱderȱVergangenheitȱ bereitsȱ mehrereȱ Initiativenȱ verfolgt,ȱ umȱ internȱ oderȱ mitȱ externerȱ Unterstützungȱ einenȱ Prozessȱ derȱ Organisationsentwicklungȱ anzuȬ stoßen,ȱdieȱzumȱTeilȱausȱfinanziellenȱGründen,ȱaberȱauchȱausȱmanȬ gelnderȱAkzeptanzȱ allerȱ Beteiligtenȱ nichtȱ zuȱ Endeȱ verfolgtȱ wurdenȱ oderȱkaumȱErfolgȱzeigten.ȱFürȱdieȱZusammenarbeitȱmitȱderȱUniverȬ sitätȱ Flensburgȱ wurdeȱ gemeinsamȱ mitȱ Eltern,ȱ Schülernȱ undȱ LehrȬ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Imȱ Folgendenȱ wirdȱ –ȱ zuȱ Gunstenȱ derȱ Lesbarkeitȱ desȱ Textesȱ –ȱ aufȱ dieȱ Nennungȱ

derȱweiblichenȱundȱmännlichenȱFormȱverzichtet.ȱ Wirȱhabenȱversucht,ȱmöglichstȱ häufigȱgeschlechtsneutraleȱFormulierungenȱzuȱverwenden.ȱWennȱsichȱPersonenȬ bezeichnungenȱ alleinȱ inȱ derȱ männlichenȱ Formȱ finden,ȱ sindȱ dennochȱ sowohlȱ FrauenȱwieȱMännerȱgemeint.ȱȱ

187ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

kräftenȱ dasȱ Projektȱ Anabel2ȱ vereinbart,ȱ dasȱ aufȱ einerȱ sorgfältigenȱ undȱanȱ Kriterienȱ gesundheitsgerechterȱArbeitȱ orientiertenȱ systemaȬ tischenȱ Bestandsaufnahmeȱ derȱ Arbeitssituationȱ inȱ derȱ Schuleȱ baȬ siert.ȱ Dieȱ Analyseergebnisseȱ solltenȱ inȱ mehrerenȱ Stufenȱ zurückgeȬ meldetȱ werdenȱ undȱ alsȱ Grundlageȱ fürȱ dieȱ Ableitungȱ vonȱ HandȬ lungsempfehlungenȱ sowieȱ fürȱ dieȱ beteiligungsorientierteȱ MaßnahȬ menentwicklungȱdienen.ȱ InȱdiesemȱBeitragȱsollȱdasȱmethodischeȱVorgehenȱ–ȱinsbesondereȱinȱ HinblickȱaufȱdieȱErfahrungenȱinȱderȱKombinationȱderȱarbeitsanalyȬ tischenȱMethodenȱInterview,ȱschriftlicheȱBefragungȱundȱAnalyseȱderȱ LehrertätigkeitenȱinȱundȱaußerhalbȱdesȱUnterrichtsȱ–ȱvorgestelltȱundȱ seineȱ Bedeutungȱ alsȱ externerȱ Impulsȱ fürȱ interneȱ Veränderungenȱ diskutiertȱwerden.ȱImȱnachfolgendenȱAbschnittȱwerdenȱderȱVerlaufȱ undȱdieȱeingesetztenȱMethodenȱdesȱProjektsȱimȱÜberblickȱerläutert.ȱ Danachȱ werdenȱ beispielhaftȱ Ergebnisseȱ berichtet.ȱ Abschließendȱ erfolgtȱ eineȱ Diskussionȱ desȱ Beitragsȱ solcherȱ Untersuchungenȱ fürȱ VeränderungenȱinȱderȱSchule,ȱaberȱauchȱderȱGrenzenȱundȱderȱNotȬ wendigkeitȱweitererȱfundierterȱMethodenentwicklung.ȱ

7.2

Vorgehen und Methoden im Projekt Anabel

Grundlageȱ desȱ Vorgehensȱ imȱ Projektȱ Anabelȱ sindȱ dieȱ Einheitȱ vonȱ Analyseȱ undȱ darausȱ abgeleiteterȱ Maßnahmenentwicklungȱ sowieȱ dasȱPrinzip,ȱinȱjederȱProjektphaseȱRückmeldungȱderȱErgebnisseȱundȱ BeteiligungȱderȱLehrkräfteȱmiteinanderȱzuȱverbinden.ȱ

7.2.1

Überblick über den Verlauf

Demȱ Projektstartȱ gingȱ dieȱ Diskussionȱ desȱ vorgeschlagenenȱ KonȬ zeptsȱ u.a.ȱ innerhalbȱ derȱ Schulleitungȱ undȱ derȱ Schulkonferenzȱ vorȬ aus.ȱDasȱeigentlicheȱProjektȱbegannȱimȱJanuarȱ2004ȱmitȱderȱBildungȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 2ȱȱ Anabelȱ stehtȱ fürȱ „Analyseȱ derȱ Arbeitsbedingungen,ȱ Belastungenȱ undȱ RessourȬ

188ȱ

cen“.ȱ

Vorgehen und Methoden im Projekt Anabel

7.2

einerȱProjektlenkungsgruppe,ȱderȱVertreterȱderȱSchuleȱundȱderȱUniȬ versitätȱ Flensburgȱ angehörten.ȱ Inȱ denȱ daraufȱ folgendenȱ Monatenȱ wurdenȱ zunächstȱ Interviewsȱ undȱ eineȱ schriftlicheȱ Befragungȱ allerȱ Lehrkräfteȱ durchgeführt,ȱ imȱAnschlussȱ folgtenȱ dieȱArbeitsanalysenȱ innerhalbȱ undȱ außerhalbȱ desȱ Unterrichts.ȱ Jeweilsȱ zeitnahȱ zuȱ denȱ Erhebungenȱ wurdenȱ dieȱ einzelnenȱ Ergebnisseȱ denȱ unmittelbarȱ anȱ denȱUntersuchungenȱbeteiligtenȱLehrkräftenȱrückgemeldet.ȱ Dieȱ Gesamtergebnisseȱ derȱ Bestandsaufnahmeȱ wurdenȱ imȱ Augustȱ 2004ȱ imȱ Rahmenȱ einerȱ Dienstversammlungȱ vorgestelltȱ undȱ inȱ Kleingruppenȱ diskutiert.ȱ Zusätzlichȱ fandenȱ dreiȱ Workshopsȱ mitȱ einerȱ Dauerȱ vonȱ fünfȱ bisȱ sechsȱ Stundenȱ statt.ȱ Einȱ Workshopȱ betrafȱ dieȱ Rückmeldungȱ derȱ Unterrichtsanalysen.ȱ Dieȱ anderenȱ beidenȱ Workshopsȱ dientenȱ derȱ weiterenȱ Diskussionȱ derȱ Gesamtergebnisseȱ sowieȱderȱGewichtungȱundȱKonkretisierungȱderȱHandlungsempfehȬ lungen.ȱ Sieȱ fandenȱ imȱ Oktoberȱ undȱ Novemberȱ 2004ȱ statt.ȱ Zudemȱ wurdenȱ weitereȱ Meilensteintreffenȱ vereinbart,ȱ umȱ denȱ UmsetȬ zungsprozessȱzuȱunterstützenȱbzw.ȱverstetigen.ȱ

7.2.2

Überblick über die Methoden

Dieȱ Bestandsaufnahmeȱ beinhalteteȱ dreiȱ Teile:ȱ halbstrukturierteȱ InȬ terviewsȱ mitȱ Vertreternȱ derȱ Schulleitungȱ sowieȱ weiterenȱ zufälligȱ ausgewähltenȱ Lehrkräften,ȱ eineȱ schriftlicheȱ Befragungȱ allerȱ LehrȬ kräfteȱ sowieȱAnalysenȱ desȱ Belastungsniveausȱ verschiedenerȱ UnterȬ richtsstundenȱ undȱ derȱ außerunterrichtlichenȱ Aktivitäten.ȱ Zielȱ warȱ es,ȱArbeitstätigkeitenȱzuȱerfassen,ȱimȱHinblickȱaufȱgesundheitsbeeinȬ trächtigendeȱundȱȬförderndeȱBedingungenȱzuȱbewertenȱundȱGestalȬ tungsoptionenȱaufzuzeigen.ȱHierbeiȱkonnteȱzumȱTeilȱaufȱinȱderȱArȬ beitspsychologieȱ bereitsȱ entwickelteȱ Methodenȱ zurückgegriffenȱ werden;ȱdarüberȱhinausȱwurdenȱvorliegendeȱAnsätzeȱadaptiert.ȱ ErläuterungenȱzuȱdenȱeingesetztenȱMethoden,ȱihrenȱjeweiligenȱUnȬ tersuchungsgegenständenȱundȱderȱZahlȱderȱuntersuchtenȱPersonenȱ findenȱsichȱinȱderȱErgebnisdarstellung.ȱ

189ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

7.3

Ergebnisse

Imȱ Folgendenȱ werdenȱ exemplarischȱ Ergebnisseȱ zuȱ denȱ verschiedeȬ nenȱ Teilenȱ derȱ Bestandsaufnahmeȱ vorgestelltȱ (ausführlicherȱ vgl.ȱ Reschȱ&ȱFietze,ȱ2004).ȱ

7.3.1

Die halbstrukturierten Interviews

ZielȱderȱInterviewsȱwarȱes,ȱsichȱeinenȱÜberblickȱüberȱdieȱArbeitsorȬ ganisationȱ derȱ Schuleȱ zuȱ verschaffenȱ undȱ darüberȱ hinausȱ ersteȱ Hinweiseȱ sowohlȱ aufȱ persönlichkeitsförderlicheȱ Aspekteȱ wieȱ auchȱ aufȱ Beeinträchtigungenȱ vonȱ Arbeitsabläufenȱ zuȱ bekommen.ȱ Denȱ Interviews,ȱ dieȱ sowohlȱ mitȱ Mitgliedernȱ derȱ Schulleitungȱ alsȱ auchȱ mitȱ einerȱ Reiheȱ vonȱ Lehrkräftenȱ ausȱ demȱ Kollegiumȱ geführtȱ wurden,ȱ lagȱ einȱLeitfadenȱmitȱfünfȱThemenbereichenȱzugrunde.ȱ

Abbildungȱ1ȱ

ThemenbereicheȱderȱhalbstrukturiertenȱInterviewsȱ Der erste Themenbereich betraf Fragen zur Organisation, Struktur und Geschichte der Schule. Erfasst werden sollten – aus Sicht der befragten Person – die besonderen Kennzeichen der Schule, wesentliche Veränderungen in den letzten Jahren sowie die Organisation und Kompetenzverteilung innerhalb der Schule. Der Interviewteil zum eigenen Arbeits- und Aufgabenbereich beschäftigte sich mit Fragen zu den Funktionen (wie z.B. Klassenlehrer, Stufenlehrer usw.) und Arbeitsbereichen der befragten Person. Darüber hinaus wurden die interviewten Personen der Schulleitung speziell zu ihren Aufgaben als Leitungsperson befragt. Die dritte Gesprächsphase konzentrierte sich auf den Aspekt der Kooperation und Kommunikation mit anderen Personen bzw. Dienststellen. Hierbei wurde erfragt, ob in der Tätigkeit der befragten Person eine Abstimmung mit anderen schulinternen oder -externen Personen erforderlich ist. Im Fragenbereich zu Stärken und Schwächen wurden die Personen nach ihrer Meinung zu vorhandenen Ressourcen und Potenzialen, aber auch nach Belastungen und Reibungspunkten der Schule und ihres Arbeitsbereichs gefragt. Im letzten Interviewteil ging es um Verbesserungsvorschläge, konkrete Erwartungen sowie Änderungswünsche.

ȱ Esȱ wurdenȱ Interviewsȱ mitȱ 20ȱ Personenȱ durchgeführt.ȱ Fünfȱ vonȱ ihȬ nenȱ gehörtenȱ derȱ Schulleitungȱ an,ȱ dieȱ übrigenȱ 15ȱ wurdenȱ zufälligȱ ausȱdemȱKollegiumȱausgewählt.ȱDieȱTeilnahmeȱwarȱfreiwillig.ȱBeteiȬ ligtȱ warenȱ Lehrkräfte,ȱ dieȱ entwederȱ anȱ einerȱ derȱ dreiȱ Schulartenȱ HauptȬȱundȱRealschuleȱsowieȱGymnasiumȱoderȱanȱzweiȱverschiedeȬ

190ȱ

Ergebnisse

7.3

nenȱSchulartenȱparallelȱunterrichteten.ȱNeunȱvonȱihnenȱwarenȱKlasȬ senlehrerinȱ bzw.ȱ Klassenlehrerȱ oderȱ unterrichtenȱ einenȱ LeistungsȬ kursȱinȱderȱgymnasialenȱOberstufe.ȱDieȱdurchschnittlicheȱDauerȱderȱ Tätigkeitȱ anȱ derȱ Schuleȱ betrugȱ knappȱ 20ȱ Jahreȱ undȱ variierteȱ zwiȬ schenȱ einemȱ halbenȱ Jahrȱ undȱ 31ȱ Jahren.ȱ Dieȱ befragtenȱ SchulleiȬ tungsmitgliederȱwarenȱdurchschnittlichȱ17.7ȱJahreȱinȱverschiedenenȱ FunktionenȱinȱderȱSchulleitungȱtätig.ȱEinȱGroßteilȱderȱBefragtenȱgabȱ an,ȱ nebenȱ demȱ Unterrichtȱ zusätzlicheȱ Aufgabenȱ auszuführen,ȱ vonȱ denenȱ einȱ Teilȱ gegenȱ dieȱ Gewährungȱ vonȱ Entlastungsstundenȱ ausȬ geführtȱwurde.ȱ DieȱInterviewsȱdauertenȱinȱderȱRegelȱetwaȱeineȱStunde.ȱSieȱwurdenȱ mitȱ Einwilligungȱ derȱ Befragtenȱ aufgezeichnet.ȱ Imȱ Anschlussȱ wurȬ denȱ Protokolleȱ derȱ fürȱ dieȱ abgefragtenȱ Themenbereicheȱ relevantenȱ Aussagenȱ erstelltȱ undȱ denȱ Befragtenȱ mitȱ derȱ Bitteȱ umȱ Ergänzungȱ bzw.ȱKorrekturȱübergeben.ȱȱ Imȱ Folgendenȱ sollȱ vorrangigȱ aufȱ Ergebnisseȱ eingegangenȱ werden,ȱ dieȱAnknüpfungspunkteȱfürȱdasȱProjektȱAnabelȱalsȱVerbindungȱvonȱ Schulentwicklungȱ undȱ präventiverȱ Gestaltungȱ desȱ Arbeitsplatzesȱ seinȱkonnten3.ȱAufȱInformationen,ȱdieȱimȱRahmenȱdesȱProjektsȱdemȱ Verständnisȱ derȱ Strukturȱ undȱ derȱArbeitsorganisationȱ derȱ betroffeȬ nenȱGesamtschuleȱdienten,ȱwirdȱnurȱamȱRandeȱeingegangen.ȱ Fürȱ Organisation,ȱ Strukturȱ undȱ Geschichteȱ derȱ Schuleȱ wurdenȱ alsȱ beȬ sondereȱ Kennzeichenȱ vorȱ allemȱ dasȱ Systemȱ derȱ kooperativenȱ GeȬ samtschuleȱ sowieȱ dieȱ räumlicheȱ undȱ personelleȱ Größeȱ derȱ Schuleȱ gesehen.ȱ Dieȱ Hälfteȱ derȱ Befragtenȱ wiesȱ aufȱ bedeutsameȱ VerändeȬ rungenȱimȱZusammenhangȱmitȱVorgabenȱdesȱBildungsministeriumsȱ hin,ȱ dieȱ u.a.ȱ zuȱ Mehrarbeitȱ inȱ Formȱ neuerȱ Aufgabenȱ undȱ zudemȱ zumȱWegfallȱvonȱEntlastungsstundenȱführten.ȱȱ InȱHinblickȱaufȱKooperationȱundȱKommunikationȱmitȱanderenȱPersonenȱ fielȱ auf,ȱ dassȱeinȱ Großteilȱderȱ internenȱ undȱ externenȱ ZusammenarȬ beitȱnichtȱformalisiertȱimȱRahmenȱvonȱKonferenzen,ȱSitzungenȱoderȱ Elternsprechtagen,ȱsondernȱ„zwischendurch“,ȱd.h.ȱinȱdenȱPausen,ȱinȱ FreistundenȱoderȱamȱNachmittagȱundȱAbendȱstattfindet.ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 3ȱȱ InȱdieȱAuswertungȱkonntenȱ19ȱderȱInterviewsȱeingehen,ȱdaȱeinesȱaufgrundȱzeitliȬ

cherȱVerzögerungenȱderȱRückmeldungȱausgeschlossenȱwerdenȱmusste.ȱ

191ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

MehrȱalsȱdieȱHälfteȱderȱbefragtenȱPersonenȱnanntenȱalsȱpositiveȱAsȬ pekteȱdasȱEngagementȱundȱPotenzialȱdesȱKollegiumsȱsowieȱdenȱSpaßȱ beiȱderȱArbeitȱundȱauchȱdieȱausȱderȱGrößeȱderȱSchuleȱresultierendenȱ Möglichkeiten.ȱ Einȱ Teilȱ derȱ Befragtenȱ wiesȱ darüberȱ hinausȱ aufȱ denȱ hohenȱ Entscheidungsspielraumȱ derȱ einzelnenȱ Lehrkräfteȱ sowieȱ aufȱ einȱ positivesȱ Sozialklimaȱ hin.ȱ Esȱ beschriebȱ aberȱ auchȱ mehrȱ alsȱ dieȱ Hälfteȱ derȱ Befragtenȱ beiȱ derȱ Frageȱ nachȱ denȱ Schwächenȱ einȱ beeinȬ trächtigendesȱ sozialesȱ Klima,ȱ insbesondereȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ eineȱ Gruppenbildungȱ zwischenȱ denȱ Schularten.ȱ Auchȱ dieȱ Größeȱ derȱ Schuleȱ wurdeȱ –ȱ u.a.ȱ imȱ Zusammenhangȱ mitȱ demȱ damitȱ verbundeȬ nenȱ Lärmȱ –ȱ mehrheitlichȱ alsȱ belastendȱ eingestuft.ȱ Alsȱ weitereȱ Schwächenȱ wurdeȱ aufȱ ineffizienteȱ Konferenzenȱ undȱ dasȱ Fehlenȱ gemeinsamerȱ pädagogischerȱ Vorstellungenȱ undȱ Zielstellungenȱ hinȬ gewiesen.ȱ Darüberȱ hinausȱ wurdenȱ Schwächenȱ inȱ Bezugȱ aufȱ EffiȬ zienzȱ undȱ Entscheidungsfindungȱ innerhalbȱ desȱ SchulleitungsgreȬ miumsȱ wahrgenommen.ȱ Dieȱ inȱ derȱ abschließendenȱ Interviewphaseȱ genanntenȱ schulbezogenenȱ Veränderungswünscheȱ beziehenȱ sichȱ inȱ derȱ Regelȱ aufȱ dieȱ Verbesserungȱ derȱ hierȱ genanntenȱ Schwächenȱ undȱ werdenȱ daherȱnichtȱnochȱeinmalȱgesondertȱaufgeführt.ȱȱ DieȱInterviewsȱdecktenȱmitȱ20ȱBefragtenȱnurȱeinenȱTeilȱderȱüberȱ100ȱ Lehrkräfteȱ ab.ȱ Dieȱ schriftlicheȱ Befragungȱ richteteȱ sichȱ dagegenȱ anȱ alleȱLehrkräfteȱderȱSchule.ȱSieȱwirdȱimȱFolgendenȱdargestellt.ȱ

7.3.2

Die Befragung

Fürȱ dieȱ Befragungȱ wurdeȱ einȱ anȱ dieȱ Schuleȱ angepassterȱ „FrageboȬ genȱzurȱBeurteilungȱderȱArbeitssituation“ȱzusammengestellt.ȱȱ Ausgeteiltȱ wurdeȱ derȱ Fragebogenȱ anȱ etwaȱ 110ȱ Lehrkräfte,ȱ abgegeȬ benȱ wurdenȱ80ȱExemplare,ȱ vonȱ denenȱ78ȱausgefülltȱwarenȱ undȱsoȬ mitȱ fürȱ dieȱAuswertungȱ herangezogenȱ werdenȱ konnten.ȱ Dieȱ RückȬ laufquoteȱbeträgtȱdamitȱetwaȱ71ȱ%ȱundȱistȱalsȱbefriedigendȱeinzustuȬ fen.ȱȱ ȱ

192ȱ

Ergebnisse

Derȱ„FragebogenȱzurȱBeurteilungȱderȱArbeitssituation“ȱ

7.3 Abbildungȱ2ȱ

Die Zusammenstellung der Fragebogenteile ist angelehnt an den „Fragebogen zur Beurteilung der Arbeitssituation“, der im Jahr 2003 für eine Befragung der Mitarbeitenden einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie eingesetzt wurde (Resch & Resch, 2003). Weitere Anregungen für den Aufbau lieferte ein Fragebogen aus dem Jahr 2001 zur Analyse der Arbeitsbedingungen, Belastungen und Ressourcen der Lehrkräfte des Kantons Basel-Stadt (Ulich, Inversini & Wülser, 2002; vgl. auch den Beitrag von Inversini, in diesem Band). Im ersten Teil des Fragebogens werden die Lehrkräfte dazu befragt, wie wichtig ihnen verschiedene Aspekte des Lehrerberufes und ihrer persönlichen Arbeitssituation sind. Ergänzend zu diesen Einschätzungen werden die Lehrkräfte in einem späteren Abschnitt des Fragebogens darum gebeten, ihre Zufriedenheit mit diesen Aspekten anzugeben. Der Fragebogen „Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse“ (SALSA) von Rimann & Udris (1997) sowie der „Fragebogen zur Arbeitssituation an Schulen“ (FASS) von Krause und Kollegen (vgl. Kaempf & Krause, 2004) bilden die Grundlage für den zweiten Abschnitt des Fragebogens, in dem eine Bewertung der Arbeitsbedingungen aus Sicht der Lehrkräfte in Hinblick auf Belastungen sowie organisationale und soziale Ressourcen erfasst wird. Um Aussagen über das Befinden der Lehrkräfte zu machen, werden verschiedene Aspekte psychosozialer Gesundheit erhoben. Verwendet werden Teile des „Fragebogens zur Beanspruchung durch Humandienstleistungen“ (FBH) (vgl. hierzu das BHD-System „Beanspruchungserfassung bei Humandienstleistungen“, Hacker & Reinhold, 1999). Gefragt wird nach dem Zustand emotionaler Erschöpfung sowie nach aversiven Gefühlen gegenüber Schülerinnen und Schülern („beeinträchtigte Zuwendungsbereitschaft“). Des Weiteren werden Vorkommen und Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden erhoben (vgl. Fahrenberg, 1975; Leitner, 1999; Mohr, 1986). Im letzten Teil des Fragebogens werden die Lehrkräfte um Angaben zu ihrer Person gebeten. Den Abschluss des Fragebogens bildet eine offene Frage nach Verbesserungswünschen der Lehrkräfte.

ȱ AusȱSichtȱderȱSchuleȱwarenȱvorȱallemȱeinȱÜberblickȱüberȱdieȱsubjekȬ tiveȱBewertungȱderȱBelastungenȱundȱRessourcenȱsowieȱFragenȱnachȱ denȱZusammenhängenȱzwischenȱdenȱverschiedenenȱBereichenȱ(z.B.ȱ erfragteȱ Arbeitsbelastungenȱ undȱ Befinden)ȱ relevant.ȱ Dieȱ BefraȬ gungsergebnisseȱ solltenȱ fürȱ dieȱ untersuchteȱ Schuleȱ denȱ Blickȱ aufȱ bestimmteȱ Sachverhalteȱ lenkenȱ undȱ einenȱ Diskussionsprozessȱ inȱ Gangȱ setzen.ȱ Nichtȱ angestrebtȱ warȱ mitȱ derȱ schriftlichenȱ Befragungȱ eineȱ systematischeȱ Analyseȱ derȱ Ursachenȱ –ȱ dieseȱ istȱ aufgrundȱ derȱ AnlageȱderȱvorliegendenȱStudieȱnichtȱmöglich.ȱȱ UnterȱdemȱGesichtspunktȱeinesȱÄnderungsbedarfsȱerschienȱesȱsinnȬ voll,ȱsolcheȱAspekteȱzuȱidentifizieren,ȱdieȱvonȱderȱMehrheitȱderȱBeȬ schäftigtenȱalsȱproblematischȱangesehenȱbzw.ȱnegativȱbeurteiltȱwerȬ den.ȱ Beiȱ denȱ Fragebogenteilen,ȱ dieȱ eineȱ Bewertungȱ derȱ positivenȱ Aspekteȱ –ȱ alsoȱ organisationalenȱ undȱ sozialenȱ Ressourcenȱ –ȱ betrefȬ

193ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

fen,ȱ wurdenȱ daherȱ Antwortenȱ imȱ unterenȱ Skalenbereichȱ alsȱ „kriȬ tisch“,ȱ Werteȱ imȱ mittlerenȱ Bereichȱ alsȱ „leichtȱ bedenklich“ȱ undȱ alleȱ Werteȱ imȱ oberenȱ Bereichȱ alsȱ „positiv“ȱ eingestuft.ȱ Entsprechendȱ wurdeȱ beiȱ denȱ Belastungenȱ derȱ obereȱ Skalenbereichȱ alsȱ „kritisch“,ȱ Werteȱ imȱ mittlerenȱ Bereichȱ alsȱ „leichtȱ bedenklich“ȱ undȱ Werteȱ imȱ unterenȱBereichȱalsȱ„positiv“ȱbezeichnetȱ(genauerȱvgl.ȱReschȱ&ȱFietȬ ze,ȱ 2004).ȱ Dieȱ nachfolgendeȱ Tabelleȱ zeigtȱ eineȱ Übersichtȱ überȱ dieȱ ErgebnisseȱdieserȱAuswertung.ȱInȱderȱerstenȱSpalteȱwerdenȱdieȱResȬ sourcenȱundȱBelastungenȱ genannt.ȱ DieȱSpaltenȱ zweiȱbisȱ vierȱ gebenȱ an,ȱ welcherȱ Anteilȱ derȱ Befragtenȱ jeweilsȱ Angabenȱ imȱ kritischen,ȱ mittlerenȱ undȱ positivenȱ Bereichȱ gemachtȱ hat.ȱ Dieȱ Anzahlȱ derȱ ausȬ wertbarenȱAngabenȱistȱjeweilsȱderȱletztenȱSpalteȱzuȱentnehmen.ȱȱ

Tabelleȱ1ȱ

ÜbersichtȱüberȱdieȱBeurteilungȱderȱArbeitsbedingungenȱ Belastungen

kritisch mittel

positiv N

Schülerstörungen im Unterricht

30%

52%

18%

77

Soziale Konflikte im Kollegium

26%

47%

27%

77

Fehlende materielle Schulausstattung

14%

62%

23%

77

Organisatorische Ressourcen

kritisch mittel

positiv N

Entscheidungsspielraum

0%

26%

74%

77

Partizipationsmöglichkeiten

26%

62%

12%

77

Soziale Ressourcen

kritisch mittel

positiv N

Feedback durch die Schulleitung

45%

44%

11%

75

Gemeinsame pädagogische Vorstellungen

43%

43%

14%

77

Unterstützende Konferenzen

30%

61%

9%

77

Anerkennung

29%

49%

22%

77

Mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten der Schulleitung

19%

51%

30%

Positives Sozialklima

13%

52%

35%

77

Soziale Unterstützung durch KollegInnen

7%

21%

72%

74

Soziale Unterstützung durch Personen aus der Schulleitung

10%

39%

51%

77

75

ȱ

194ȱ

Stärkenȱ inȱ derȱ eigenenȱ Arbeitssituationȱ sahenȱ dieȱ befragtenȱ LehrȬ kräfteȱ insbesondereȱ inȱ derȱ Autonomieȱ derȱ eigenenȱ Tätigkeitȱ sowieȱ

Ergebnisse

7.3

inȱ derȱ sozialenȱ Unterstützungȱ durchȱ andereȱ Lehrkräfteȱ undȱ PersoȬ nenȱausȱderȱSchulleitung,ȱmitȱetwasȱAbstandȱgefolgtȱvonȱderȱmitarȬ beiterorientiertenȱFührungȱundȱdemȱSozialklima.ȱSchwächenȱbetraȬ fenȱ lautȱ Auskunftȱ derȱ Befragtenȱ insbesondereȱ dieȱ Bereicheȱ „FeedȬ backȱ durchȱ dieȱ Schulleitung“ȱ „Gemeinsameȱ pädagogischeȱ Vorstellungen“ȱ sowieȱ „Unterstützendeȱ Konferenzen“ȱ undȱ „AnerȬ kennung“.ȱAuchȱ fürȱ dieȱ organisationaleȱ Ressourceȱ „PartizipationsȬ möglichkeiten“ȱlagȱeinȱViertelȱderȱAntwortenȱimȱkritischenȱBereich.ȱ EbenfallsȱkritischȱbewertetȱwurdenȱdieȱBelastungsfaktorenȱSchülerȬ störungenȱ undȱ sozialeȱ Konflikte.ȱ Gefragtȱ nachȱ einzelnenȱ BelastunȬ genȱgabenȱüberȱdieȱHälfteȱderȱLehrkräfteȱan,ȱdassȱihreȱArbeitȱdurchȱ folgendeȱFaktorenȱziemlichȱoderȱsehrȱstarkȱbelastetȱwird:ȱZeitdruckȱ (66ȱ%ȱ kritischeȱ Werte),ȱ Lärmȱ (56ȱ%ȱ kritischeȱ Werte),ȱ Klassenstärkeȱ (53ȱ%ȱkritischeȱWerte)ȱsowieȱVorgabenȱdesȱKultusministeriumsȱundȱ Erlasseȱ (51ȱ%ȱ kritischeȱ Werte).ȱ „Konflikte/Auseinandersetzungenȱ mitȱ Eltern“ȱ wurdeȱ demgegenüberȱ nurȱ vonȱ 6ȱ%ȱ derȱ Befragtenȱ alsȱ ziemlichȱoderȱsehrȱstarkȱbelastendȱeingestuft.ȱȱ Dieȱ Auswertungȱ derȱ Befindensdatenȱ zeigtȱ ebenfallsȱ einȱ durchausȱ kritischesȱ Bild:ȱ Dieȱ angegebeneȱ Häufigkeitȱ psychosomatischerȱ BeȬ schwerdenȱwarȱimȱSchnittȱetwasȱhöherȱalsȱ„alleȱpaarȱMonate“.ȱHierȬ beiȱ spielenȱ erhöhteȱ Müdigkeit,ȱ Nervositätȱ undȱ Rückenschmerzenȱ dieȱgrößteȱRolle.ȱȱ

DasȱBHDȬSystemȱvonȱHackerȱundȱReinholdȱ(1999)ȱ

Abbildungȱ3ȱ

Im BHD-System von Hacker und Reinhold (1999) werden Bewertungsmaßstäbe vorgegeben, anhand derer die Antworten der Personen über alle Items einer Skala hinweg einem neutralen, positiven oder kritischem Bereich zugeordnet werden können.

ȱ Tabelleȱ 2ȱ zeigt,ȱ dassȱ darüberȱ hinausȱ fastȱ dieȱ Hälfteȱ derȱAntwortenȱ derȱ Lehrkräfteȱ zuȱ denȱ Aspektenȱ „Emotionaleȱ Erschöpfung“ȱ undȱ „Beeinträchtigteȱ Zuwendungsbereitschaft“ȱ imȱ kritischenȱ Bereichȱ liegen.ȱȱ Dieseȱ Ergebnisseȱ zuȱ denȱ Befindensdatenȱ stießenȱ aufȱ erheblicheȱ BeȬ troffenheitȱ unterȱ denȱ Lehrkräftenȱ undȱ ließenȱ eineȱ eingehendeȱ BeȬ trachtungȱ notwendigȱ erscheinen.ȱ Unterȱ anderemȱ wurdeȱ derȱ Frageȱ

195ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

nachgegangen,ȱ worinȱ sichȱ dieȱ Personenȱ mitȱ hoherȱ „Emotionalerȱ Erschöpfung“ȱ bzw.ȱ „Beeinträchtigerȱ Zuwendungsbereitschaft“ȱ vonȱ denenȱmitȱpositiverȱundȱneutralerȱAusprägungȱunterscheiden.ȱEineȱ möglicheȱErklärungȱbeziehtȱsichȱaufȱunterschiedlicheȱArbeitsbedinȬ gungenȱinȱAbhängigkeitȱvonȱderȱSchulartȱ(HauptȬ,ȱRealschuleȱoderȱ Gymnasium).ȱ Dieȱ hierȱ auftretendenȱ Befindensunterschiedeȱ sindȱ jedochȱzuȱvernachlässigen.ȱȱ

Tabelleȱ2ȱ

Anteileȱkritischer,ȱneutralerȱundȱpositiverȱAusprägungȱbeiȱdenȱSkalenȱ„EmotiȬ onaleȱErschöpfung“ȱundȱ„BeeinträchtigteȱZuwendungsbereitschaft“ȱ kritisch neutral

positiv

N

Emotionale Erschöpfung

49%

38%

13%

71

Beeinträchtigte Zuwendungsbereitschaft

43%

41%

16%

76

ȱ Weitereȱ möglicheȱ Erklärungenȱ beziehenȱ sichȱ aufȱ Personmerkmaleȱ wieȱ Alterȱ oderȱ Dauerȱ derȱ Lehrtätigkeitȱ undȱ aufȱ dieȱ konkretenȱ ArȬ beitsbedingungen.ȱHierzuȱwurdenȱjeweilsȱZusammenhängeȱmitȱdenȱ dreiȱ Skalenȱ zumȱ Befindenȱ berechnetȱ (vgl.ȱ Tabelleȱ 3).ȱ Dieȱ ZusamȬ menhängeȱ mitȱ denȱ Personmerkmalenȱ sindȱ durchwegȱ alsȱ niedrigȱ einzustufen.ȱ Dieȱ unterȱ statistischenȱ Gesichtspunktenȱ leichtȱ auffälliȬ geȱBeziehungȱzwischenȱAlterȱundȱBefindenȱzeigtȱeinȱüberraschendesȱ Vorzeichen:ȱDerȱTendenzȱnachȱsinkenȱmitȱdemȱLebensalterȱdieȱAnȬ gabenȱzumȱAuftretenȱvonȱBeschwerden,ȱd.ȱh.ȱdieȱälterenȱLehrkräfteȱ gabenȱdurchschnittlichȱseltenerȱan,ȱpsychosomatischeȱBeschwerdenȱ zuȱhaben.ȱ Dieȱ Zusammenhängeȱ zwischenȱ Belastungsmerkmalenȱ derȱ ArbeitsȬ bedingungenȱ undȱ demȱ Befindenȱ sindȱ dagegenȱ deutlich.ȱ Hoheȱ ZuȬ sammenhängeȱ bestehenȱ zwischenȱ demȱ Belastungsfaktorȱ „SchülerȬ störungen“ȱundȱdenȱbeidenȱMerkmalenȱ„EmotionaleȱErschöpfung“ȱ undȱ„BeeinträchtigteȱZuwendungsbereitschaft“:ȱPersonen,ȱdieȱüberȬ durchschnittlichȱ starkȱ durchȱ Schülerstörungenȱ imȱ Unterrichtȱ beȬ lastetȱsind,ȱhabenȱimȱSchnittȱhöhereȱErschöpfungswerteȱundȱhöhereȱ WerteȱinȱderȱSkalaȱ„BeeinträchtigteȱZuwendungsbereitschaft“.ȱ

196ȱ

Ergebnisse

Zusammenhängeȱ zwischenȱ Befindenȱ undȱ Personmerkmalenȱ bzw.ȱ subjektiverȱ BewertungȱderȱArbeitsbedingungen4ȱȱ Emotionale Erschöpfung

Beeinträchtigte Zuwendungsbereitschaft

Beschwerden

Alter

-.20

-.12

-.24*

Dauer Lehrtätigkeit

-.22

-.01

-.13

Schülerstörungen

.33*

.53*

.20

Partizipationsmöglichkeiten

-.43*

-.17

-.29*

Anerkennung

-.31*

-.30*

-.13

Gemeinsame pädagogische Vorstellungen

-.36*

-.18

-.20

7.3 Tabelleȱ3ȱ

ȱ Aufȱ derȱ anderenȱ Seiteȱ gehenȱ fehlendeȱ Ressourcenȱmitȱ schlechterenȱ Befindenswertenȱ einher.ȱ Diesȱ giltȱ besondersȱ auffälligȱ fürȱ denȱ ZuȬ sammenhangȱ zwischenȱ „Partizipationsmöglichkeiten“,ȱ „AnerkenȬ nung“,ȱ„pädagogischenȱVorstellungen“ȱundȱ„EmotionalerȱErschöpȬ fung“.ȱFürȱ„Anerkennung“ȱzeigteȱsichȱdieserȱZusammenhangȱauchȱ bezüglichȱ derȱ Skalaȱ „beeinträchtigteȱ Zuwendungsbereitschaft“;ȱ ebensoȱ ergabȱ sichȱ einȱ statistischȱ überzufälligerȱ Zusammenhangȱ zwischenȱ„Partizipationsmöglichkeiten“ȱundȱ„Beschwerden“.ȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 4ȱȱ Angegebenȱ sindȱ Korrelationskoeffizienten,ȱ dieȱ denȱ Zusammenhangȱ zweierȱ

Merkmaleȱ anzeigen.ȱ Dieȱ Engeȱ desȱ Zusammenhangsȱ wirdȱ durchȱ denȱ Betragȱ anȬ gegeben,ȱdieserȱkannȱzwischenȱ0ȱundȱ1ȱliegen.ȱJeȱweiterȱderȱWertȱsichȱvonȱNullȱ entfernt,ȱ umsoȱ stärkerȱ istȱ derȱ Zusammenhangȱ zwischenȱ denȱ Merkmalen.ȱ Dasȱ VorzeichenȱderȱKorrelationȱgibtȱdieȱRichtungȱdesȱZusammenhangsȱan.ȱEinȱposiȬ tivesȱ Vorzeichenȱ bedeutet,ȱ dassȱ hoheȱ Werteȱ einesȱ Merkmalsȱ mitȱ hohenȱ Wertenȱ desȱanderenȱMerkmalsȱeinhergehenȱundȱumgekehrt;ȱeineȱKorrelationȱistȱnegativ,ȱ wennȱPersonenȱmitȱhohenȱWertenȱinȱderȱeinenȱVariablenȱeherȱniedrigeȱWerteȱinȱ derȱanderenȱVariablenȱhaben.ȱDarüberȱhinausȱwirdȱgeprüft,ȱobȱdieȱHöheȱderȱKorȬ relationȱüberzufälligȱist.ȱDiesȱwirdȱinȱTabelleȱ4ȱmitȱeinemȱSternchenȱ(*)ȱangezeigt.ȱ ZugunstenȱderȱÜbersichtlichkeitȱsindȱbeiȱdenȱArbeitsbedingungenȱnurȱdieȱSkalenȱ wiedergegeben,ȱfürȱdieȱmindestensȱeineȱstatistischȱüberzufälligeȱ(„signifikante“)ȱ Korrelationȱermitteltȱwurde.ȱ

197ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

7.3.3

Die Tätigkeitsanalysen

GrundlageȱfürȱdieȱdurchgeführtenȱTätigkeitsanalysenȱistȱdieȱOrienȬ tierungȱ amȱ Leitbildȱ humanerȱ Arbeitȱ (vgl.ȱ Ulich,ȱ 2005,ȱ S.ȱ 149).ȱ ArȬ beitsaufgaben,ȱdieȱdiesemȱLeitbildȱentsprechen,ȱfordernȱundȱfördernȱ dieȱ persönlicheȱ Weiterentwicklungȱ undȱ dasȱ psychosozialeȱ WohlbefinȬ den.ȱBeeinträchtigungenȱbzw.ȱBelastungenȱinȱderȱArbeitȱhingegenȱfühȬ renȱ zuȱ ineffizientemȱArbeitenȱ undȱ erhöhenȱ dasȱ Risikoȱ psychosomatiȬ scherȱKrankheitenȱundȱBeschwerden.ȱImȱMittelpunktȱderȱimȱProjektȱ Anabelȱ durchgeführtenȱ arbeitspsychologischenȱ Arbeitsanalysenȱ stehtȱ daherȱ dieȱ Bewertungȱ derȱ konkretȱ ausgeübtenȱArbeitstätigkeiȬ tenȱ bzw.ȱ derȱ Arbeitsaufgabenȱ undȱ ihrerȱ Bedingungenȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ gesundheitsförderlicheȱ undȱ Ȭbeeinträchtigendeȱ Kriterienȱ („AnȬ forderungen“ȱundȱ„Belastungen“).ȱ ZuȱdenȱpositivenȱAnforderungenȱeinerȱTätigkeitȱzählenȱHumankriȬ terienȱ wieȱ Entscheidungsspielraum,ȱ KommunikationsȬȱ undȱ KoopeȬ rationsmöglichkeiten,ȱZeitspielraumȱsowieȱAuftragsvielfaltȱ(vgl.ȱz.B.ȱ Dunckelȱ &ȱ Pleiss,ȱ 2007).ȱ Darüberȱ hinausȱ sollȱ erfasstȱ werden,ȱ inȱ welȬ chemȱ Umfangȱ Belastungenȱ vorliegen.ȱ Grundlageȱ istȱ einȱ Konzeptȱ aufȬ gabenbezogenerȱBelastungenȱdurchȱRegulationsbehinderungen.ȱ

Abbildungȱ4ȱ

DasȱaufgabenbezogeneȱBelastungskonzeptȱ Es wird zwischen Regulationshindernissen und Regulationsüberforderungen unterschieden. Belastungen vom Typ der Regulationshindernisse entstehen, wenn die Aufgabenerfüllung durch organisatorisch festgelegte oder organisatorisch/technisch entstandene Bedingungen (z.B. unzureichende Informationen) erschwert, behindert oder sogar blockiert wird. Die Person muss das Arbeitsergebnis trotz dieser Behinderung innerhalb der vorgegebenen Zeit erreichen. Dies ist ihr nur auf zwei Wegen möglich: Entweder betreibt sie zusätzlichen Aufwand, z.B. führt sie zusätzliche Telefonate, um die Informationen zu erhalten. Wenn ihr dieser zusätzliche Aufwand nicht möglich ist, kann die Person auf riskantes Handeln ausweichen, indem sie z.B. trotz unzureichender Informationen entscheidet. Daneben können Zustände oder Situationen auftreten, die das Handeln nicht direkt, sondern vermittelt behindern. Dies ist bei den so genannten Regulationsüberforderungen der Fall, bei denen die Ausführung der Arbeitsaufgabe unter den gegebenen Bedingungen die menschliche Leistungsfähigkeit auf Dauer überfordert. Unterschieden wird hier zwischen (1) aufgabenimmanenten Regulationsüberforderungen wie Zeitdruck oder monotonen Arbeitsbedingungen und (2) aufgabenunspezifischen Regulationsüberforderungen wie z.B. Lärm oder ergonomisch schlecht gestalteten Arbeitsmitteln (vgl. ausführlicher z.B. bei Leitner et al., 1993).

198ȱ

ȱ

Ergebnisse

7.3

AufȱderȱGrundlageȱdesȱhierȱdargestelltenȱKonzeptsȱhumanerȱArbeitȱ wurdenȱ zahlreicheȱ Verfahrenȱ zurȱ Arbeitsanalyseȱ inȱ verschiedenenȱ BranchenȱundȱTätigkeitsfeldernȱentwickelt.ȱImȱRahmenȱdesȱProjektsȱ AnabelȱsolltenȱsowohlȱdieȱUnterrichtstätigkeitȱalsȱauchȱweitereȱAkȬ tivitätenȱ derȱ Lehrkräfteȱ inȱ denȱ Blickȱ genommenȱ werden.ȱ Hierfürȱ warȱ jeweilsȱ einȱ gesonderterȱ methodischerȱ Zugangȱ erforderlich.ȱ Imȱ FolgendenȱwirdȱzunächstȱaufȱdieȱUnterrichtsanalysen,ȱdannȱaufȱdieȱAnaȬ lyseȱderȱaußerunterrichtlichenȱAktivitätenȱeingegangen.ȱ 7.3.3.1

Die Unterrichtsanalysen

Beiȱ denȱAnalysenȱ desȱ Unterrichtsȱ lagȱ derȱ Fokusȱ aufȱ derȱ Erhebungȱ derȱBelastung.ȱZuȱihrerȱErfassungȱwurdeȱdasȱarbeitswissenschaftliȬ cheȱ Beobachtungsinstrumentȱ RHIAȬUnterrichtȱ (vgl.ȱ Krause,ȱ 2002,ȱ 2004;ȱKrause,ȱBäuerleȱ&ȱDorsemagen,ȱinȱdiesemȱBand)ȱeingesetzt.ȱ

DasȱBeobachtungsinstrumentȱRHIAȬUnterrichtȱ

Abbildungȱ5ȱ

Das Verfahren leitet Beobachter an, anhand von Videoaufnahmen von Unterrichtsstunden auftretende Belastungen im Unterricht zu identifizieren und das Belastungsniveau zu bestimmen. Es erfolgt zunächst eine orientierende Analyse der Oberflächenstruktur der Unterrichtstätigkeit. Bestimmt werden die Zeitanteile verschiedener Unterrichtsphasen. Im Unterricht müssen zu einem bestimmten Anteil fachliche und überfachliche Ziele verfolgt werden, damit ausreichend Lernprozesse ermöglicht werden (in der Regel über 70 % der Unterrichtszeit). Zu niedrige Zeitanteile können auf einen belastungsreicheren Unterricht für die arbeitende Person hindeuten. Die weitere Analyse dient der Erfassung der psychischen Belastung. Grundlage ist die bereits beschriebene Unterscheidung von Regulationshindernissen und –überforderungen. Regulationshindernisse werden nach ihren Ursachen unterschieden (vgl. Krause et al., in diesem Band). Sie kosten Zusatzaufwand im Sinne zusätzlich notwendiger, aber organisatorisch nicht vorgesehener Handlungen. So muss eine Lehrkraft beispielsweise um Ruhe bitten und warten, bis sich der Lärm in der Klasse gelegt hat. Die negative Auswirkung auf die Lehrkräfte resultiert vor allem aus der Arbeitsorganisation, da innerhalb der 45minütigen Unterrichtsstunden nur begrenzt auf die Schüleraktivitäten eingegangen werden kann und zum anderen die Pausen zwischen den Unterrichtsstunden häufig nicht zur notwendigen Erholung genutzt werden können, da Arbeitsaktivitäten nachgegangen wird. In Hinblick auf die Regulationsüberforderungen werden zum einen „Lautstärke/Lärmpegel“ und zum anderen die „(fehlende) Möglichkeit zum Abwenden“ betrachtet. Bei „Lautstärke/Lärmpegel“ wird Schülerlärm in drei Abstufungen unterschieden,

199ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

zusätzlich wird „Nicht-Schülerlärm“ etwa durch Bau- oder Verkehrsgeräusche erhoben. Die zweite Regulationsüberforderung betrifft die (fehlenden) Möglichkeiten zum Abwenden. Im Rahmen einer Unterrichtsstunde müssen sich Lehrkräfte häufig fortwährend auf die ablaufenden Prozesse im Unterricht konzentrieren. Wenn man sich während der gesamten Unterrichtszeit nicht abwenden kann, so ist nach einem längeren Zeitraum (über mehrere Unterrichtsstunden) mit einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit zu rechnen (vgl. ausführlicher Krause et al., in diesem Band).

Im Rahmen des Projekts Anabel wurden jeweils zwei Unterrichtsstun den von acht Lehrkräften aufgenommen und analysiert5. Die Aus wahl der an den Unterrichtsanalysen teilnehmenden Lehrkräfte erfolgte zufällig, erforderte allerdings deren Einverständnis. Auf grund der Stichprobengröße sind keine verallgemeinernden Aussagen über die gesamte Schule möglich. Einbezogen waren sieben unter schiedliche Schulfächer, die in den Klassenstufen 5 bis 8 an den Schul formen Haupt und Realschule sowie am Gymnasium unterrichtet wurden. Die Unterrichtsstunden wurden mit zwei Videokameras auf genommen und anschließend von geschulten Beobachtern ausge wertet. Vor und nach dem Unterricht erfolgte jeweils eine kurze Befra gung der Lehrkraft. Gefragt wurde nach den Unterrichtszielen und dem geplanten Ablauf der Stunde sowie nach einer Bewertung der Unterrichtsstunde und der Klasse. Die Analyse der Oberflächenstruktur der Unterrichtsstunden ergab, dass in drei von 16 Unterrichtsstunden der fachliche Anteil unter 70 % lag. Im Durchschnitt lag der fachliche Unterrichtsanteil bei 76 % und variierte zwischen 47 % und 99 %. Der auffallend niedrige Wert von 47 % in einer Stunde hing mit einer langen Bewertungsphase zusammen und ist deshalb als unkritisch einzustufen. Kritisch sind vielmehr Unterrichtsstunden, in denen zu einem großen Zeitanteil „Lernbe dingungen geschaffen“ werden müssen. In Hinblick auf die Belastungen wurde zunächst die Anzahl der aufgetretenen Regulationshindernisse pro Unterrichtsstunde ermittelt. Hierbei wird ein Auftreten von mehr als 25 Hindernissen als kritisch betrachtet, es resultiert Erholungsbedarf. In den 15 ausgewerteten

5

200

Eine der insgesamt 16 Unterrichtsstunden konnte aufgrund einer zu geringen techni schen Qualität der Videoaufzeichnung bei den Analysen nur in Teilen berück sichtigt werden.

Ergebnisse

7.3

Unterrichtsstundenȱtratenȱzwischenȱvierȱundȱ50ȱRegulationshinderȬ nisseȱ auf,ȱ imȱ Durchschnittȱ warenȱ esȱ 20.5.ȱ Sechsȱ derȱ insgesamtȱ 15ȱ untersuchtenȱ Unterrichtsstundenȱ wiesenȱ mehrȱ alsȱ 25ȱ Hindernisseȱ auf.ȱ Einȱ zweiterȱ Indikatorȱ fürȱ dieȱ Belastungȱ istȱ dieȱ Dauerȱ desȱ ZuȬ satzaufwands,ȱ derȱ ausȱ denȱ aufgetretenenȱ Hindernissenȱ resultiert,ȱ indemȱ dieȱ Lehrkraftȱ vomȱ geplantenȱ Unterrichtsverlaufȱ abweichenȱ undȱ aufȱ dieȱ entsprechendeȱ Unterrichtsstörungȱ reagierenȱ muss.ȱ Inȱ denȱ analysiertenȱ Unterrichtsstundenȱ betrugȱ dieȱ Dauerȱ anȱ beobachȬ tetemȱ Zusatzaufwandȱ zwischenȱ 43ȱ Sekundenȱ undȱ knappȱ neunȱ MiȬ nuten.ȱ Imȱ Durchschnittȱ wurdenȱ vierȱ Minutenȱ Zusatzaufwandȱ beoȬ bachtet.ȱAlsȱkritischȱwirdȱZusatzaufwandȱvonȱmehrȱalsȱfünfȱMinutenȱ proȱ Unterrichtsstundeȱ betrachtet;ȱ diesȱ warȱ beiȱ fünfȱ UnterrichtsstunȬ denȱderȱFall.ȱ

Beispiel:ȱ Lautstärkeȱ inȱ einerȱ Unterrichtsstundeȱ (4=NichtȬSchülerlärm,ȱ 3=Lärm,ȱ2=Geräuschteppich,ȱ1=Stille/Arbeitsatmosphäre)ȱ

Abbildungȱ6ȱ

ȱ

Beiȱ derȱ Regulationsüberforderungȱ „Lautstärke/Lärm“ȱ wurdeȱ inȱ elfȱ UnterrichtsstundenȱeinȱAnteilȱvonȱüberȱ50ȱ%ȱstörendenȱGeräuschenȱ („Laut“ȱ oderȱ „Geräuschteppich“)ȱ anȱ derȱ Unterrichtszeitȱ ermittelt.ȱ Derȱ Durchschnittȱ allerȱ untersuchtenȱUnterrichtsstundenȱlagȱbeiȱ63ȱ%ȱ (Laut/Geräuschteppich)ȱ bzw.ȱ 37ȱ%ȱ (Stille).ȱ Abbildungȱ 1ȱ zeigtȱ beiȬ spielhaftȱdieȱEinstufungȱderȱLautstärkeȱinnerhalbȱeinerȱUnterrichtsȬ stunde.ȱDieȱErfassungȱerfolgteȱinȱEinheitenȱvonȱjeweilsȱ10ȱSekundenȱ(xȬ Achse),ȱsoȱdassȱ300ȱEinheitenȱ50ȱMinutenȱentsprechen.ȱImȱdargestelltenȱ Beispielȱistȱhervorzuheben,ȱdassȱ100ȱ%ȱderȱUnterrichtsstundeȱinȱ„Laut/Ȭ

201ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

Geräuschteppich“ȱeingestuftȱwurden,ȱd.h.ȱdassȱununterbrochenȱStörȬ geräuscheȱauftraten.ȱ Dieȱ zweiteȱ potenzielleȱ Regulationsüberforderungȱ betrifftȱ dieȱ (fehȬ lende)ȱ Möglichkeitȱ zumȱ Abwenden.ȱ Inȱ denȱ Analysenȱ wurdeȱ dieȱ Dauerȱ bestimmt,ȱ inȱ derȱ solcheȱ Möglichkeitenȱ genutztȱ wurden.ȱ Dieȱ kamȱ lediglichȱ inȱ fünfȱ vonȱ 16ȱ Unterrichtsstundenȱ vor,ȱ dieȱ Dauerȱ beȬ trugȱimȱDurchschnittȱ42ȱSekunden.ȱGutȱvierȱMinutenȱwurdenȱalsȱmaȬ ximalerȱWertȱinȱeinerȱUnterrichtsstundeȱermittelt.ȱ Insgesamtȱ weisenȱ dieȱ imȱ Rahmenȱ desȱ ProjektsȱAnabelȱ analysiertenȱ UnterrichtsstundenȱeinȱrechtȱhohesȱBelastungsniveauȱauf.ȱBesondersȱ auffälligȱ istȱ dieȱ Anzahlȱ derȱ Stundenȱ mitȱ einemȱ mittlerenȱ oderȱ sogarȱ hohenȱ Lärmpegel.ȱ Ebensoȱ zeigtȱ sich,ȱ dassȱ derȱ Umgangȱ mitȱ denȱ imȱ RHIAȬUnterrichtȱ ermitteltenȱ Hindernissenȱ insgesamtȱ vielȱ Zeitȱ inȱ FormȱvonȱZusatzaufwandȱinȱAnspruchȱnimmt.ȱInȱfünfȱUnterrichtsȬ stundenȱ lagȱ dieserȱ Zusatzaufwandȱ beiȱ überȱ fünfȱ Minuten.ȱ Dieȱ UnȬ terrichtsanalysenȱ konkretisierenȱ damitȱ dieȱ inȱ derȱ Befragungȱ sichtbarȱ gewordenenȱProblembereicheȱ„UmgangȱmitȱSchülerstörungen“ȱsowieȱ Lärm.ȱZugleichȱbietenȱsieȱAnsatzpunkteȱfürȱdieȱgemeinsameȱSucheȱnachȱ Problemlösungenȱ bzw.ȱ Ressourcenȱ imȱ Umgangȱ mitȱ solchenȱ BelastunȬ gen.ȱDiesȱwarȱInhaltȱeinesȱWorkshopsȱfürȱdieȱanȱdenȱUnterrichtsanalyȬ senȱteilnehmendenȱLehrkräfte.ȱ 7.3.3.2

Die Analyse weiterer Aktivitäten

Fürȱ dieȱ außerunterrichtlichenȱ Aktivitäten,ȱ dieȱ sowohlȱ imȱ schuliȬ schenȱ alsȱ auchȱ beispielsweiseȱ imȱ häuslichenȱ Umfeldȱ durchgeführtȱ wurden,ȱkonnteȱnichtȱaufȱeinȱexistierendesȱArbeitsanalyseverfahrenȱ zurückgegriffenȱ werden.ȱ Esȱ wurdenȱ daherȱ Teileȱ einesȱ Verfahrensȱ zurȱAnalyseȱvonȱArbeitȱimȱHaushaltȱ(AVAH,ȱvgl.ȱResch,ȱ1999)ȱsowieȱ insbesondereȱeinerȱverkürztenȱVersionȱdesȱLeitfadensȱzurȱKontrastiȬ venȱArbeitsanalyseȱ(KABA,ȱvgl.ȱDunckelȱ&ȱPleiss,ȱ2007)ȱadaptiert.ȱZielȱ warȱ dieȱ detaillierteȱ Erfassungȱ undȱ Beschreibungȱ vonȱArbeitsaufgabenȱ derȱ Lehrkräfteȱ jenseitsȱ desȱ Unterrichtsȱ sowieȱ eineȱ ersteȱ Einstufungȱ derȱ obenȱ dargestelltenȱ Humankriterienȱ (eineȱ ausführlichereȱ Darstellungȱ undȱDiskussionȱdesȱVorgehensȱfindetȱsichȱbeiȱSchulz,ȱ2004).ȱ Imȱ Rahmenȱ desȱ ProjektsȱAnabelȱ wurdenȱ achtȱ solcheȱAnalysenȱ derȱ außerunterrichtlichenȱ Aktivitätenȱ durchgeführt.ȱ Dieȱ Auswahlȱ derȱ fürȱ dieȱ Analysenȱ angesprochenenȱ Lehrkräfteȱ erfolgteȱ zufällig,ȱ dieȱ

202ȱ

Ergebnisse

7.3

Teilnahme setzte wiederum Freiwilligkeit der Untersuchten voraus. Aufgrund der Stichprobengröße sind keine verallgemeinernden Aussa gen möglich. Einbezogen waren sieben Lehrkräfte mit Vollzeitstellen und eine Lehrkraft mit einer halben Stelle. Die Gruppe der am Gymnasium unterrichtenden Lehrkräfte war deutlich überrepräsen tiert – nur eine Lehrkraft unterrichtete vollständig an der Haupt schule. Die Klassenstufen (mit insgesamt elf unterschiedlichen Fä chern) waren vollständig vertreten, die Mehrheit der befragten Lehrkräf te unterrichtet in der Oberstufe. Die befragten Lehrkräfte hatten zwischen zwei und sechs außer unterrichtliche Aufgaben. Insgesamt wurden 29 Aufgaben ermittelt; zu ihnen zählten neben verschiedenen Arten der Unterrichtsvor und –nachbereitung Aufgaben wie die Vorbereitung und Begleitung von Exkursionen, Gremientätigkeit und Teilnahme an Konferenzen, Ausbildung von Referendaren, Verwaltungstätigkeiten oder Klas senlehrertätigkeit. Die Einstufung der Humankriterien für die verschiedenen Aufgaben ergibt ein recht unterschiedliches Bild. Bezüglich des Entschei dungsspielraums wurden überwiegend hohe Anforderungen ermit telt, lediglich bei drei von 29 Aufgaben ergab sich Gestaltungsbe darf.

Die Analyse außerunterrichtlicher Aktivitäten

Abbildung 7

Voraussetzung für die Anwendung der adaptierten Kurzversion ist eine detaillierte Kenntnis der theoretischen Grundlagen, Definitionen und Manualanweisungen des KABA-Leitfadens. Dieser leitet dazu an, anhand von Befragung und Beobachtung der Arbeitstätigkeit und ihrer Bedingungen eine Einschätzung der Arbeitstätigkeit in Hinblick auf acht Humankritierien vorzunehmen. Die Kurzversion beschränkt sich auf fünf dieser Kriterien und nimmt zum Teil eine gröbere Einstufung vor als der Originalleitfaden. Darüber hinaus konnten lediglich Befragungen durchgeführt werden. Es fanden etwa zweistündige Interviews mit den Lehrkräften statt, in denen zunächst die Abgrenzung von Arbeitsaufgaben außerhalb des eigentlichen Unterrichts im Mittelpunkt stand. Als unterschiedliche Aufgaben werden solche Teile der Arbeitstätigkeit unterschieden, die verschiedenen Zielen zuzuordnen sind. Jede Arbeitsaufgabe wird durch die ihr zugehörigen Arbeitseinheiten beschrieben. Im zweiten Schritt wurde jede einzelne Aufgabe in Hinblick auf die Positivmerkmale Entscheidungsspielraum, Kommunikation, Zeitspielraum und Variabilität sowie auf das Negativmerkmal Belastungen in Form von Regulationshindernissen und -überforderungen gekenn-

203

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

zeichnet. Hierzu waren in der Regel Fragen zum üblichen Ablauf oder Erläuterungen zu typischen Vorgehensweisen erforderlich6. Die Auswertung der Analyse erfolgte zeitnah und unter Rückgriff auf die vollständige Version des KABA-Leitfadens. Für die Positivmerkmale erfolgte jeweils eine Einschätzung des ggf. notwendigen Gestaltungsbedarfs, für die Belastungen wurden Vorschläge zur Vermeidung bzw. zum Abbau der benannten Mängel entwickelt. Die Ergebnisse wurden in einer Kurzdarstellung an die beteiligten Lehrkräfte zurückgemeldet und sollten von diesen auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft werden. Darüber hinaus wurden sie gebeten, die in Hinblick auf den Abbau von Belastung genannten Gestaltungsvorschläge auf ihre Wichtigkeit und Erwünschtheit zu bewerten. Die mit diesem Vorgehen möglichen „Rückmeldungen der Rückmeldungen“ vermitteln einen Eindruck über den subjektiv empfundenen Handlungsbedarf hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsbedingungen.

Ähnlich war das Bild bei der Kennzeichnung der Variabilität. Dem gegenüber wurde ein deutlicher Gestaltungsbedarf bezüglich des Humankriteriums Kooperations und Kommunikationsmöglichkei ten ermittelt. Insbesondere der Aufgabentyp „Unterrichtsvor und nachbearbeitung“ ist durch sehr geringe interne Kommunikation mit anderen Lehrkräften gekennzeichnet – je nach Klassenstufe gibt es bei diesen Aufgaben auch nur in geringem Umfang Kommunikation mit externen Stellen (z.B. Eltern oder Schüler). Auch einige der er mittelten Verwaltungsaufgaben erfolgen weitgehend mit mittlerer bis geringer arbeitsbezogener Kooperation und Kommunikation. Darüber hinaus wurde in diesem Zusammenhang deutlich, dass die in den Analysen ermittelten Abstimmungsprozesse häufig der Verfol gung eigener Aufgabenziele dienen und nur in wenigen Ausnahmen aus der Bewältigung einer gemeinsamen Arbeitsaufgabe bzw. gemeinsa mer Zielstellungen mit anderen Personen resultieren. Für die Ausprägung des Zeitspielraums spielten vor allem zeitliche Bindungen durch Fristen, wie etwa Abgabetermine für Klausuren, eine Rolle. Hierdurch waren Aufgaben im Bereich der Unterrichts vor und nachbereitung in der Regel durch eine mittlere Ausprägung

6

204

Der Ermittlung von Regulationsbehinderungen im Rahmen von Interviews sind Grenzen gesetzt: Zum einen lassen sich diese besser erheben, wenn die Befra gung mit Beobachtungen verbunden ist, da manche behindernde Ereignisse auf grund von Gewöhnungsprozessen nicht (mehr) wahrgenommen werden. Zum anderen sind außerunterrichtliche Aktivitäten wesentlich stärker durch persönli che Entscheidungen und Arbeitsstile geprägt als etwa Aufgaben in der Verwal tung oder in der Produktion (zur Diskussion vgl. Schulz, 2004, S. 96ff.).

Ergebnisse

7.3

desȱ Zeitspielraumsȱ gekennzeichnet.ȱ Hoheȱ Zeitspielräumeȱ sindȱ beiȱ dieȬ semȱAufgabentypȱ nurȱ dannȱ durchgängigȱ gegeben,ȱ wennȱ derȱ KorrekȬ turaufwandȱ sehrȱ geringȱ istȱ oderȱ keineȱ Klausurenȱ geschriebenȱ werȬ den.ȱ Fürȱ dieȱ anderenȱ Aufgabentypenȱ variierenȱ dieȱ Ausprägungenȱ desȱ Zeitspielraumsȱzwischenȱ„mittel“ȱundȱ„hoch“,ȱsoȱdassȱdurchschnittȬ lichȱeinȱeingeschränkterȱGestaltungsbedarfȱermitteltȱwurde,ȱderȱsichȱ vorȱ allemȱ aufȱ dieȱ phasenweiseȱ deutlicheȱ Einschränkungȱ desȱ ZeitȬ spielraumsȱbezieht.ȱ DieȱAnalyseȱderȱ Belastungȱ ergabȱ–ȱüberȱ alleȱAufgabenȱ hinwegȱ–ȱ29ȱ Regulationshindernisse.ȱ Hierzuȱ gehörenȱ unvollständigȱ ausgefüllteȱ Listen,ȱunklareȱAnfangsȬȱundȱAuftragsinformationȱbeiȱneuenȱProjekȬ ten,ȱ nichtȱ zurȱ Verfügungȱ stehendeȱ gemeinsamȱ genutzteȱ UnterȬ richtsmaterialienȱ oderȱ defekteȱ Arbeitsmittelȱ sowieȱ häufigeȱ UnterȬ brechungenȱ durchȱ Kollegenȱ oderȱ Schüler.ȱ Darüberȱ hinausȱ wurdenȱ nochȱ 16ȱ weitere,ȱ alsȱ belastendȱ eingestufteȱ Ereignisseȱ undȱ Zuständeȱ benannt,ȱdieȱnichtȱalsȱRegulationshindernisseȱeinzustufenȱsind,ȱhierzuȱ gehörenȱbeispielsweiseȱfehlendeȱUnterstützung,ȱausbleibendesȱLobȱderȱ geleistetenȱArbeit,ȱ Problemeȱ mitȱ demȱ eigenenȱ PCȱ sowieȱ derȱ zuȱ geȬ ringeȱEtatȱfürȱArbeitsmittel.ȱAlsȱHauptursacheȱfürȱRegulationsüberȬ forderungenȱ wurdeȱ Zeitdruckȱ angegeben.ȱ Darüberȱ hinausȱ gabȱ esȱ HinweiseȱaufȱLärmȱundȱungünstigeȱRaumklimabedingungen.ȱ Fürȱ dieȱ genanntenȱ Hindernisseȱ undȱ Überforderungenȱ konntenȱ inȱ derȱ Regelȱ Gestaltungsvorschlägeȱ formuliertȱ werden,ȱ dieȱ überwieȬ gendȱ aufȱ Zustimmungȱ derȱ untersuchtenȱ Lehrkräfteȱ stießen.ȱ Zumȱ Teilȱ gingenȱ dieseȱ inȱ dieȱ Vorbereitungȱ undȱ Durchführungȱ derȱ Workshopsȱein.ȱ

7.3.4

Der Spiegel im Spiegel: Zusammenschau der Ergebnisse

ZielȱderȱBestandsaufnahmeȱwarȱes,ȱdieȱArbeitstätigkeitenȱderȱLehrȬ kräfteȱzuȱerfassen,ȱsieȱimȱHinblickȱaufȱgesundheitsbeeinträchtigendeȱ undȱ Ȭförderndeȱ Bedingungenȱ zuȱ bewertenȱ undȱ GestaltungsmögȬ lichkeitenȱ aufzuzeigen.ȱ Dieȱ dreiȱ Methodenȱ –ȱ halbstrukturiertesȱ InȬ terview,ȱschriftlicheȱBefragungȱundȱTätigkeitsanalyseȱ–ȱspiegelnȱdieȱ Arbeitstätigkeitenȱ undȱ Ȭbedingungenȱ jeweilsȱ ausȱ unterschiedlichenȱ Blickwinkelnȱzurück,ȱdieȱsichȱgegenseitigȱergänzenȱundȱsoȱeinȱvollȬ ständigeresȱBildȱergeben.ȱDiesȱsollȱimȱFolgendenȱbeispielhaftȱanȱdenȱ

205ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

zweiȱ Aspektenȱ Zeitdruckȱ undȱ Kooperationȱ deutlichȱ gemachtȱ werȬ den.ȱ 66ȱ%ȱ derȱ Lehrkräfteȱ gebenȱ imȱ Fragebogenȱ an,ȱ dassȱ sieȱ sichȱ durchȱ Zeitdruckȱ starkȱ oderȱ ziemlichȱ belastetȱ fühlen.ȱ Inȱ ihrerȱ subjektivenȱ Einschätzungȱ istȱ Zeitdruckȱ somitȱ fürȱ einenȱ Großteilȱ derȱ Lehrkräfteȱ einȱProblem.ȱAusȱdenȱInterviewsȱergabenȱsichȱ–ȱwennȱauchȱnurȱalsȱ Aussagenȱ vonȱ einemȱ geringenȱ Teilȱ derȱ Lehrkräfteȱ –ȱ konkretereȱ BeȬ schreibungenȱ desȱ auftretendenȱ Zeitdrucksȱ undȱ ersteȱ Hinweiseȱ aufȱ Ursachen,ȱsoȱwurdenȱetwaȱVorgabenȱdesȱBildungsministeriumsȱundȱ darausȱ resultierendeȱ Mehrarbeitȱ beiȱ Wegfallȱ vonȱ EntlastungsstunȬ denȱgenannt.ȱErstȱdieȱArbeitsanalysenȱermöglichenȱjedoch,ȱdieȱEntȬ stehungȱvonȱZeitdruckȱausȱdenȱkonkretenȱArbeitsbedingungenȱundȱ Ȭtätigkeitenȱzuȱverstehen.ȱSoȱzeigteȱsichȱzumȱeinen,ȱdassȱimȱRahmenȱ derȱ Unterrichtsstundenȱ durchschnittlichȱ vierȱ Minutenȱ zusätzlichenȱ AufwandesȱdurchȱHindernisseȱzuȱkompensierenȱwaren.ȱDieȱAnalyȬ seȱ derȱ außerunterrichtlichenȱ Aktivitätenȱ ergabȱ Schwankungenȱ desȱ Zeitdrucks,ȱ dieȱ vorȱ allemȱ imȱ Zusammenhangȱ mitȱ derȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ Erstellungȱ undȱ Korrekturȱ vonȱ Klausurenȱ verbundenenȱ hohenȱ Zeitbindungȱauftreten.ȱEinȱweiteresȱErgebnisȱderȱAnalysenȱwarȱdieȱ hoheȱ Dichteȱ vonȱ inȱ denȱ Pausenȱ zuȱ erledigendenȱ Aktivitäten.ȱ Sieȱ dienenȱdazu,ȱdieȱdurchȱdieȱGrößeȱderȱSchuleȱerheblichenȱWegeȱzuȬ rückzulegen,ȱsichȱinȱdieȱThemenȱderȱnächstenȱStundeȱeinzudenken,ȱ Absprachenȱ bezüglichȱ gemeinsamȱ genutzterȱ Räumeȱ oderȱ MateriaȬ lienȱzuȱtreffenȱusw.ȱHäufigeȱgegenseitigeȱUnterbrechungenȱerhöhenȱ denȱ Zeitdruckȱ noch.ȱ Dieseȱ Ergebnisseȱ erlaubenȱ dasȱ Ableitenȱ vonȱ Gestaltungsempfehlungen.ȱ Zuȱ ihnenȱ zählenȱ eineȱ Erhöhungȱ vonȱ ZeitspielräumenȱdurchȱVerlängerungȱvonȱFristen,ȱeineȱReduzierungȱ derȱArbeitsmenge,ȱ eineȱ Reduzierungȱ vonȱ Belastungenȱ zurȱ VermeiȬ dungȱvonȱZusatzaufwandȱsowieȱräumlicheȱVeränderungenȱdesȱLehȬ rerzimmers,ȱ umȱ konzentriertesȱ Arbeitenȱ undȱ auchȱ tatsächlicheȱ „Pausen“ȱzuȱermöglichen.ȱDieseȱEmpfehlungenȱgingenȱmitȱinȱeinenȱ derȱ durchgeführtenȱ Workshopsȱ ein,ȱ inȱ demȱ sichȱ eineȱ derȱ ArbeitsȬ gruppenȱ mitȱ derȱ „Entschleunigungȱ derȱ Zeit“ȱ beschäftigteȱ undȱ insȬ gesamtȱ39ȱmöglicheȱMaßnahmenȱableitete.ȱ

206ȱ

AlsȱzweitesȱBeispielȱsollȱdieȱKooperationȱzwischenȱdenȱLehrkräftenȱ betrachtetȱ werden.ȱ Imȱ Rahmenȱ derȱ Interviewsȱ wurdenȱ eherȱ allgeȬ meineȱ Aussagenȱ zumȱ sozialenȱ Klimaȱ gemacht,ȱ dieȱ vonȱ positivenȱ Beschreibungenȱ bisȱ zuȱ derȱ Darstellungȱ einesȱ eherȱ beeinträchtigenȬ denȱ Klimasȱ reichten.ȱ Diesesȱ uneinheitlicheȱ Bildȱschärfteȱ sichȱinȱ derȱ

Diskussion und Ausblick

7.4

schriftlichenȱ Befragung:ȱ Hierȱ ergabenȱ sichȱ sozialeȱ Unterstützungȱ undȱpositivesȱSozialklimaȱalsȱwahrgenommeneȱStärkenȱderȱSchule,ȱ währendȱinȱHinblickȱaufȱdieȱkonkreteȱZusammenarbeitȱimȱRahmenȱ vonȱ Konferenzenȱ oderȱ imȱ Umgangȱ mitȱ Schülerverhaltenȱ undȱ denȱ zugrundeȱ liegendenȱ pädagogischenȱ Vorstellungenȱ eherȱ Schwächenȱ gesehenȱ wurden.ȱ Dieȱ Tätigkeitsanalysenȱ verknüpfenȱ dieseȱ ErgebȬ nisseȱmitȱdenȱkonkretenȱArbeitstätigkeitenȱderȱLehrkräfte.ȱSieȱmachȬ tenȱ deutlich,ȱ dassȱ dieȱ erforderlicheȱ Kooperationȱ inȱ derȱ Regelȱ geȬ trennteȱAufgabenȱ derȱ jeweiligenȱ Personenȱ betrifft,ȱd.h.ȱ Situationen,ȱ inȱdenenȱzweiȱLehrkräfteȱjeweilsȱihrȱeigenesȱZielȱverfolgenȱundȱsichȱ beispielsweiseȱ überȱ vonȱ beidenȱ genutzteȱ Materialenȱ oderȱ RessourȬ cenȱabstimmenȱmüssen.ȱAufgaben,ȱbeiȱdenenȱmehrereȱPersonenȱeineȱ gemeinsameȱ Kernaufgabeȱ (vgl.ȱ Weber,ȱ 1997)ȱ verfolgenȱ undȱ sichȱ inȱ Hinblickȱ aufȱ dasȱ Erreichenȱ einesȱ gemeinsamenȱ Zielsȱ verständigen,ȱ tretenȱ dagegenȱ kaumȱ auf.ȱ Hierausȱ ergibtȱ sichȱ dieȱ GestaltungsempȬ fehlung,ȱdurchȱdasȱSchaffenȱgemeinsamerȱKernaufgabenȱinȱVerbinȬ dungȱmitȱeinerȱDezentralisierungȱderȱSchulstrukturenȱmehrȱKoopeȬ rationȱ inȱ Hinblickȱ aufȱ gemeinsameȱ Zieleȱ zuȱ ermöglichen.ȱ Dieȱ DisȬ kussionȱ überȱ einenȱ solchenȱ Prozessȱ wurdeȱ imȱ Rahmenȱ derȱ Workshopsȱbegonnen.ȱ

7.4

Diskussion und Ausblick

Dieȱ Erfahrungenȱ imȱ ProjektȱAnabelȱ zeigen:ȱ Fürȱ dasȱAnliegenȱ einesȱ integriertenȱAnsatzesȱvonȱSchulentwicklungȱundȱGesundheitsfördeȬ rungȱistȱ dieȱverwendeteȱ Methodenkombinationȱ gutȱ geeignet.ȱWähȬ rendȱ dieȱ schriftlicheȱ Befragungȱ eineȱ subjektiveȱ Einschätzungȱ allerȱ Lehrkräfteȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ inȱ ihrerȱ ArbeitȱerlaubtȱundȱsomitȱdenȱBlickȱaufȱbestimmteȱProblembereicheȱ lenkt,ȱ erlaubenȱ dieȱ Interviewsȱ eineȱ detailliertereȱ Betrachtungȱ derȱ subjektivȱ wahrgenommenenȱ Probleme,ȱ aberȱ auchȱ derȱ vermutetenȱ Ursachen.ȱ Dieȱ anschließendenȱ Tätigkeitsanalysenȱ ermöglichenȱ es,ȱ dieȱ Vielfaltȱ derȱ Tätigkeitenȱ vonȱ Lehrkräftenȱ auchȱ überȱ denȱ UnterȬ richtȱ hinausȱ zuȱ erfassenȱ undȱ basierendȱ aufȱ theoretischȱ fundiertenȱ Kriterienȱ humanerȱArbeitȱ zuȱ bewerten.ȱ Dieseȱ Bewertungȱ verankertȱ dieȱvonȱdenȱLehrkräftenȱwahrgenommenenȱProblembereicheȱobjekȬ tivȱ inȱ ihremȱ arbeitsorganisatorischenȱ Kontextȱ undȱ erlaubtȱ somitȱ unmittelbarȱdieȱAbleitungȱvonȱGestaltungsvorschlägen.ȱ

207ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

Grenzenȱ diesesȱ Vorgehensȱ betreffenȱ notwendigeȱ methodischeȱ WeiȬ terentwicklungenȱ insbesondereȱ imȱ Bereichȱ derȱ Analyseȱ derȱ außeȬ runterrichtlichenȱ Tätigkeiten.ȱ Inȱ Ermangelungȱ einesȱ geeignetenȱ arbeitswissenschaftlichenȱ Analyseverfahrensȱ mussteȱ imȱ Rahmenȱ desȱ Projektsȱ Anabelȱ eineȱ adaptierteȱ Versionȱ derȱ Verfahrenȱ KABAȱ undȱAVAHȱzumȱEinsatzȱkommen,ȱdieȱnichtȱimmerȱgeeignetȱwar,ȱdieȱ fürȱ denȱ Lehrerberufȱ charakteristischenȱAspekteȱ zuȱ erfassen.ȱ InsbeȬ sondereȱdieȱVerschmelzungȱvonȱprivatenȱundȱberuflichenȱTätigkeiȬ tenȱ außerhalbȱ desȱ Schulgeländesȱ erschwertȱ denȱ kombiniertenȱ EinȬ satzȱvonȱBeobachtungȱundȱBefragung,ȱsoȱdassȱimȱRahmenȱdesȱProȬ jektsȱaufȱeineȱBeobachtungȱverzichtetȱwerdenȱmusste.ȱDiesȱbegrenztȱ vorȱ allemȱ dieȱ Analyseȱ vonȱ Belastungen,ȱ daȱ mancheȱ behinderndeȱ Ereignisseȱ aufȱ Grundȱ vonȱ Gewöhnungsprozessenȱ nichtȱ (mehr)ȱ wahrgenommenȱ werden.ȱ Darüberȱ hinausȱ erfordertȱ dieȱ VerschmelȬ zungȱ vonȱ beruflichemȱ undȱ privatemȱ Handelnȱ –ȱ etwaȱ imȱ ZusamȬ menhangȱ mitȱ derȱ Diskussionȱ umȱ eineȱ soȱ genannteȱ „WorkȬLifeȱ BaȬ lance“ȱ–ȱeigeneȱAnalysenȱsolcherȱBalancierungsprozesseȱ(vgl.ȱhierzuȱ z.B.ȱFenzlȱ&ȱResch,ȱ2005).ȱ ImȱProjektȱAnabelȱmündetenȱdieȱBestandsaufnahmeȱundȱdieȱdaraufȱ aufbauendenȱ Workshopsȱ inȱ Gestaltungsempfehlungenȱ fürȱ dieȱ BeȬ reicheȱ (1)ȱ Umgangȱ mitȱ Schülerverhalten,ȱ (2)ȱ Abbauȱ vonȱ Zeitdruckȱ undȱ Lärm,ȱ (3)ȱ Verbesserungȱ derȱ Konferenzenȱ sowieȱ Stärkungȱ geȬ meinsamerȱ (pädagogischer)ȱ Vorstellungenȱ undȱ (4)ȱ DezentralisieȬ rung.ȱDieseȱgiltȱesȱsowohlȱdurchȱeineȱsystematischeȱVerfolgungȱderȱ inȱ denȱ Workshopsȱ erarbeitetenȱ Einzelvorschlägeȱ alsȱ auchȱ durchȱ umfangreichereȱWeiterentwicklungȱderȱSchuleȱimȱRahmenȱvonȱFolȬ geprojektenȱvoranȱzuȱbringen.ȱAnliegenȱbleibtȱes,ȱdurchȱdieȱEinheitȱ vonȱSchulentwicklungȱundȱpräventiverȱArbeitsgestaltungȱeineȱ(weiȬ tere)ȱVerschlechterungȱderȱpsychosozialenȱGesundheitȱderȱLehrkräfȬ teȱvorausschauendȱzuȱvermeiden.ȱ

7.5

Literatur

Dunckel,ȱ H.ȱ&ȱ Pleiss,ȱ C.ȱ (Hrsg.)ȱ (2007).ȱ Kontrastiveȱ Aufgabenanalyse.ȱ Grundlagen,ȱEntwicklungenȱundȱAnwendungsverfahren.ȱZürich:ȱvdf.ȱ

208ȱ

Fahrenberg,ȱJ.ȱ(1975).ȱDieȱFreiburgerȱBeschwerdelisteȱFBL.ȱZeitschriftȱ fürȱklinischeȱPsychologie,ȱ79Ȭ100.ȱ

Literatur

7.5

Fenzl,ȱC.ȱ&ȱResch,ȱM.ȱG.ȱ(2005).ȱZurȱAnalyseȱderȱKoordinationȱvonȱ Tätigkeitssystemen.ȱZeitschriftȱfürȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsycholoȬ gie,ȱ49,ȱ220Ȭ231.ȱ Hacker,ȱ W.ȱ &ȱ Reinhold,ȱ S.ȱ (1999).ȱ Beanspruchungsscreeningsȱ beiȱ HuȬ mandienstleistungenȱ(BHD).ȱFrankfurtȱa.ȱM.:ȱSwetsȱTestȱServices.ȱ Kaempf,ȱS.ȱ&ȱKrause,ȱA.ȱ(2004).ȱGefährdungsbeurteilungenȱzurȱAnaȬ lyseȱ psychischerȱ Belastungenȱ amȱ Arbeitsplatzȱ Schule.ȱ Inȱ W.ȱ BunȬ gard,ȱ B.ȱ Koopȱ &ȱ C.ȱ Liebigȱ (Hrsg.),ȱ Psychologieȱ undȱ Wirtschaftȱ leben.ȱ AktuelleȱThemenȱderȱWirtschaftspsychologieȱinȱForschungȱundȱPraxisȱ(S.ȱ 281Ȭ286).ȱMünchen:ȱHampp.ȱ Krause,ȱA.ȱ(2002).ȱPsychischeȱBelastungenȱimȱUnterricht.ȱEinȱaufgabenȬ bezogenerȱ Untersuchungsansatz.ȱ Analyseȱ derȱ Tätigkeitȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱLehrern.ȱUniversitätȱFlensburg:ȱDissertation.ȱ Krause,ȱ A.ȱ (2004).ȱ Erhebungȱ aufgabenbezogenerȱ Belastungenȱ imȱ Unterricht.ȱ Einȱ Untersuchungskonzept.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologie,ȱ48,ȱ139Ȭ147.ȱ Leitner,ȱ K.ȱ (1999).ȱ Kriterienȱ undȱ Befundeȱ zuȱ gesundheitsgerechterȱ Arbeit.ȱWasȱschädigt,ȱwasȱfördertȱdieȱGesundheit?ȱInȱR.ȱOesterreichȱ &ȱ W.ȱ Volpertȱ (Hrsg.),ȱ Psychologieȱ gesundheitsgerechterȱ ArbeitsbedinȬ gungenȱ(S.ȱ63Ȭ139).ȱBern:ȱHuber.ȱ Leitner,ȱ K.,ȱ Lüders,ȱ E.,ȱ Greiner,ȱ B.,ȱ Ducki,ȱ A.,ȱ Niedermeier,ȱ R.ȱ &ȱ Volpert,ȱW.ȱ(1993).ȱAnalyseȱpsychischerȱAnforderungenȱundȱBelastungenȱ inȱderȱBüroarbeit.ȱDasȱRHIA/VERAȬBüroȬVerfahren.ȱGöttingen:ȱHogreȬ fe.ȱ Mohr,ȱG.ȱ(1986).ȱDieȱErfassungȱpsychischerȱBefindensbeeinträchtigungenȱ beiȱIndustriearbeitern.ȱFrankfurtȱa.ȱM.:ȱPeterȱLang.ȱ Resch,ȱM.ȱG.ȱ(1999).ȱArbeitsanalyseȱimȱHaushalt.ȱErhebungȱundȱBewerȬ tungȱ vonȱ Tätigkeitenȱ außerhalbȱ derȱ Erwerbsarbeitȱ mitȱ demȱ AVAHȬ Verfahren.ȱZürich:ȱvdf.ȱ Resch,ȱM.ȱG.ȱ&ȱFietze,ȱS.ȱ(2004).ȱAnabel.ȱAnalyseȱvonȱArbeitsbedingunȬ gen,ȱBelastungenȱundȱRessourcenȱderȱLehrkräfte.ȱUniversitätȱFlensburg.ȱ Resch,ȱ M.ȱ G.ȱ &ȱ Resch,ȱ M.ȱ E.ȱ (2003).ȱ Arbeitsorganisationsbezogeneȱ SuȬ pervisionȱ(AOS).ȱUniversitätȱFlensburg:ȱUnveröffentlichterȱProjektbeȬ richt.ȱ

209ȱ

7

Externe Impulse für interne Veränderungsprozesse

Rimann,ȱM.ȱ&ȱUdris,ȱI.ȱ(1997).ȱSubjektiveȱArbeitsanalyse:ȱDerȱFrageȬ bogenȱSALSA.ȱInȱO.ȱStrohmȱ&ȱE.ȱUlichȱ(Hrsg.),ȱUnternehmenȱarbeitsȬ psychologischȱ bewerten.ȱ Einȱ MehrȬEbenenȬAnsatzȱ unterȱ besondererȱ BeȬ rücksichtigungȱvonȱMensch,ȱTechnikȱundȱOrganisationȱ(S.ȱ281Ȭ298).ȱZüȬ rich:ȱvdf.ȱ Schulz,ȱA.ȱ(2004).ȱAnforderungenȱundȱBelastungenȱvonȱLehrern.ȱAnalyseȱ derȱ Lehrertätigkeitȱ außerhalbȱ desȱ Unterrichts.ȱ Universitätȱ Flensburg:ȱ UnveröffentlichteȱBachelorarbeit.ȱ Ulich,ȱ E.ȱ (2005).ȱ Arbeitspsychologieȱ (6.ȱ Aufl.).ȱ Zürich:ȱ vdf;ȱ Stuttgart:ȱ SchäfferȬPoeschel.ȱ Ulich,ȱE.,ȱInversini,ȱS.ȱ&ȱWülser,ȱM.ȱ(2002).ȱArbeitsbedingungen,ȱBelasȬ tungenȱundȱRessourcenȱderȱLehrkräfteȱdesȱKantonsȱBaselȬStadt.ȱErgebnisseȱ derȱ Analyse.ȱ Zürich:ȱ Institutȱ fürȱ Arbeitsforschungȱ undȱ OrganisatiȬ onsberatung.ȱ Weber,ȱW.ȱG.ȱ(1997).ȱAnalyseȱvonȱGruppenarbeit.ȱKollektiveȱHandlungsȬ regulationȱinȱsoziotechnischenȱSystemen.ȱBern:ȱHuber.ȱ

210ȱ

Einführung

8.1

ȱ

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

Kapitel 8

Corinna Semling und Martina Zölch

211ȱ

Einführung

8.1

8.1

Einführung

Ebensoȱ wieȱ inȱ anderenȱ Ländernȱ wurdeȱ auchȱ Schweizerȱ Schulenȱ inȱ denȱvergangenenȱJahrenȱeineȱhöhereȱEigenverantwortungȱbeiȱihrenȱ PlanungsȬȱundȱVerwaltungsprozessenȱzugestanden.ȱȱ Flankierendȱ zuȱ derȱ damitȱ verbundenenȱ größerenȱ Autonomieȱ wurȬ denȱeinerseitsȱInstrumenteȱentwickelt,ȱdieȱdieȱQualitätsentwicklungȱ anȱ denȱ Schweizerȱ Schulenȱ unterstützenȱ sollen.ȱ Zuȱ denȱ wichtigstenȱ Instrumentenȱ gehörenȱ dasȱ Formativeȱ Qualitätssystemȱ (FQS)ȱ desȱ Dachverbandesȱ Schweizerȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ (Strittmatter,ȱ 1997)ȱ undȱ dasȱ 2QȬSystemȱ vonȱ Freyȱ (Erziehungsdirektionȱ Bern,ȱ 2003),ȱ dieȱ imȱ weitestenȱ Sinneȱ dieȱ Ansätzeȱ desȱ QualitätsmanageȬ mentsȱausȱdemȱbetrieblichenȱBereichȱfürȱSchulenȱadaptierten.ȱ AndererseitsȱrücktenȱvermehrtȱdieȱverändertenȱRollenȱvonȱSchulleiȬ tungen,ȱ Lehrpersonenȱ undȱ Elternȱ insȱ Blickfeldȱ derȱ Diskussion,ȱ dieȱ sichȱalsȱFolgeȱderȱdezentralisiertenȱEntscheidungsprozesseȱanȱSchuȬ lenȱergeben.ȱVonȱbesonderemȱInteresseȱsindȱhierbeiȱdieȱzukünftigenȱ Anforderungen,ȱdieȱanȱdieȱKompetenzenȱeinerȱSchulleitungȱgestelltȱ werden,ȱ umȱ eineȱ kontinuierlicheȱ Schulentwicklungȱ sicherzustellenȱ (vgl.ȱWagner,ȱSantiago,ȱThiemeȱ&ȱZay,ȱ2004).ȱDennȱwieȱMaagȱMerkiȱ undȱ Büelerȱ (2002)ȱ festhalten,ȱ istȱ inȱ Folgeȱ dieserȱ Dezentralisierungȱ zwarȱeineȱnotwendigeȱaberȱnochȱkeineȱhinreichendeȱBedingungȱfürȱ eineȱ kontinuierlicheȱ Schulentwicklungȱ entstanden.ȱ Hierbeiȱ stelltȱ sichȱ auchȱ dieȱ Frage,ȱ wieȱ dieȱ Schulleitungenȱ durchȱ Instrumenteȱ derȱ Personalführungȱ resp.ȱ desȱ Humanȱ Resourceȱ Managementȱ (HRM)ȱ angemessenȱunterstütztȱwerdenȱkönnen.ȱ Personalführungsinstrumenteȱwieȱz.B.ȱBeurteilungsȬȱundȱFeedbackȬ instrumenteȱsindȱmittlerweileȱanȱSchulenȱeinigerȱSchweizerȱKantoneȱ (Schwyz,ȱSolothurn,ȱSt.ȱGallen,ȱThurgauȱundȱZürich)ȱinȱdenȱschuliȬ schenȱAlltagȱintegriert.ȱUndȱdieȱLeistungsbeurteilungȱvonȱLehrkräfȬ tenȱ wurdeȱ anȱ diesenȱ Schulenȱ anȱ dieȱ individuelleȱ Lohnentwicklungȱ gekoppeltȱ oderȱ sogarȱ anȱ dieȱ Vergabeȱ einesȱ jährlichenȱ LeistungsboȬ nusȱangebundenȱ(vgl.ȱPekruhl,ȱSchreier,ȱSemlingȱ&ȱZölch,ȱ2005). AllerdingsȱliegenȱbislangȱnurȱwenigeȱempirischȱbelegteȱErkenntnisȬ seȱ überȱ denȱ Stellenwertȱ vonȱ Personalführungȱ undȱ dieȱ Steuerungȱ vonȱ Personalführungsprozessenȱ mithilfeȱ verschiedenerȱ HRMȬ Instrumenteȱ anȱ Schulenȱ vor.ȱ Dieȱ Diskussionȱ zuȱ Möglichkeitenȱ undȱ Grenzenȱ solcherȱ Instrumenteȱ wirdȱ oftȱ heftigȱ undȱ häufigȱ ideologiȬ

213ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

siertȱ geführt,ȱ dennȱ Schulenȱ werdenȱ geradeȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrern,ȱaberȱauchȱinȱderȱForschungsdiskussion,ȱalsȱOrganisationenȱ mitȱ eigenenȱ Gesetzenȱ undȱ Rahmenbedingungenȱ beschrieben.ȱ EntȬ sprechendȱwirdȱinȱZweifelȱgezogen,ȱobȱdieȱimȱbetrieblichenȱKontextȱ entstandenenȱ Personalführungsinstrumenteȱ aufȱ denȱ schulischenȱ Kontextȱohneȱweiteresȱübertragbarȱsind.ȱHierȱzeigtȱsichȱeinȱneuralȬ gischerȱPunkt:ȱSchulenȱsindȱ„looselyȱcoupledȱsystems“,ȱderenȱSubȬ systemeȱ undȱAkteureȱ überȱ einȱ hohesȱ Maßȱ anȱAutonomieȱ verfügenȱ undȱdieȱdeshalbȱgewohntȱsind,ȱsichȱviaȱFachkonferenzenȱundȱandeȬ rerȱbasisdemokratischerȱGremienȱanȱderȱOrganisationȱundȱEntwickȬ lungȱ ihrerȱ Schuleȱ zuȱ beteiligen.ȱ Esȱ istȱ vonȱ daherȱ nichtȱ verwunderȬ lich,ȱ dassȱ eineȱ Professionalisierungȱ derȱ Schulleitungsrolleȱ aufȱ WiȬ derstandȱ stößt,ȱ daȱ Eingriffeȱ inȱ dieȱ Autonomieȱ derȱ Lehrpersonenȱ befürchtetȱwerden. DieȱErfahrungenȱdesȱKantonsȱSolothurnȱstellenȱdazuȱeinenȱinteresȬ santenȱFallȱdar.ȱBereitsȱEndeȱderȱ90erȱJahreȱwurdeȱfürȱdieȱkantonaȬ lenȱ Angestellten,ȱ zuȱ denenȱ auchȱ dieȱ Lehrkräfteȱ anȱ KantonsȬȱ undȱ Berufsschulenȱ zählen,ȱ eineȱ regelmäßigeȱ Mitarbeitendenbeurteilungȱ (MAB)ȱ eingeführt.ȱ Dasȱ Beurteilungsergebnisȱ wurdeȱ zurȱ Grundlageȱ fürȱdieȱVergabeȱeinesȱLeistungsbonusȱ(LEBO)ȱgemacht,ȱderȱmaximalȱ 5%ȱ desȱ Bruttojahresgehaltsȱ einerȱ Lehrkraftȱ betragenȱ konnte.ȱ Dieȱ TeilnahmeȱamȱPilotprojektȱzurȱEinführungȱdesȱMABȬLEBOȬSystemsȱ wurdeȱ denȱ Schulenȱ freigestellt.ȱ Nachȱ Ablaufȱ einesȱ Zeitraumsȱ vonȱ fünfȱ Jahrenȱ solltenȱ dieȱ Pilotprojekteȱ anȱ denȱ Schulenȱ evaluiertȱ werȬ den.ȱ Insgesamtȱ beteiligtenȱ sichȱ achtȱ vonȱ elfȱ BerufsȬȱ undȱ KantonsȬ schulenȱanȱderȱPilotdurchführung.ȱDavonȱwarenȱzweiȱKantonsschuȬ len1,ȱdieȱrestlichenȱberuflichȬgewerblicheȱSchulen. ȱ Anhandȱ derȱ Ergebnisseȱ derȱ Evaluationsstudieȱ vonȱ Pekruhlȱ etȱ al.ȱ (2005) zeigtȱsichȱdasȱDilemmaȱderȱ„geführtenȱAutonomie“,ȱmitȱdemȱ Schulleitungenȱ konfrontiertȱ sind,ȱ wennȱ sieȱ mitȱ PersonalführungsȬ konzeptenȱ undȱ Ȭinstrumenten,ȱ wieȱ Zielvereinbarungen,ȱ MitarbeiȬ tendenbeurteilung,ȱMitarbeitendengesprächenȱsowieȱleistungsbezoȬ genenȱ Honorierungssystemenȱ arbeiten.ȱ Auchȱ wennȱ dieȱ befragtenȱ Lehrkräfteȱ inzwischenȱ Vorzügeȱ vonȱ einigenȱ Instrumentenȱ erkanntȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Dieȱ schweizerischenȱ Kantonsschulenȱ entsprechenȱ derȱ Sekundarstufe,ȱ dieȱ mitȱ

214ȱ

Erwerbȱ derȱ Hochschulreifeȱ bzw.ȱ Maturaȱ oderȱ desȱ DiplommittelschulȬDiplomsȱ abgeschlossenȱwird.ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

haben,ȱzeigtȱsichȱgegenüberȱeinerȱAusweitungȱderȱRolleȱderȱSchulȬ leitungȱhinȱzuȱeinerȱstärkerȱdasȱPersonalȱführendenȱRolleȱdochȱdeutȬ licheȱ Skepsis.ȱ Diesȱ wirktȱ sichȱ wiederumȱ aufȱ dieȱ Akzeptanzȱ sowieȱ dieȱwahrgenommeneȱQualitätȱundȱWirkungȱderȱzumȱEinsatzȱkomȬ mendenȱInstrumenteȱaus.ȱ ImȱfolgendenȱBeitragȱwerdenȱausgewählteȱErgebnisseȱdieserȱEvaluȬ ationsstudie2ȱ (ebd.)ȱ vorgestelltȱ undȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ aktuellerȱ theoretischerȱ undȱ empirischerȱ Erkenntnisseȱ zuȱ Personalführungȱ anȱ Schulenȱdiskutiert.ȱDabeiȱwirdȱderȱFrageȱnachgegangen,ȱwieȱPersoȬ nalführungȱ inȱ einemȱ hochȱ autonomenȱ undȱ selbstȱ bestimmtenȱ ArȬ beitskontextȱwahrgenommenȱundȱrealisiertȱwerdenȱkann,ȱbzw.ȱwelȬ cheȱHerausforderungenȱesȱfürȱdieȱSchulleitungȱdabeiȱzuȱbewältigenȱ gilt.ȱ Abschließendȱ werdenȱ Gestaltungsmöglichkeitenȱ fürȱ denȱ EinȬ satzȱ vonȱ PersonalführungsȬȱ undȱ HRMȬInstrumentenȱ anȱ Schulenȱ aufgezeigt.ȱ

8.2

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

NichtȱnurȱdieȱGestaltungȱderȱAufgabenȱundȱArbeitssystemeȱ(wieȱinȱ denȱ vorherigenȱ Beiträgenȱ ausgeführt),ȱ auchȱ dieȱ Personalführungȱ sowieȱ derȱ Einsatzȱ vonȱ HRMȬȱ undȱ Personalführungsinstrumentenȱ habenȱmaßgeblichenȱEinflussȱaufȱdieȱGestaltungȱdesȱArbeitsplatzesȱ undȱtragenȱwesentlichȱzurȱZufriedenheitȱundȱMotivationȱderȱLehrȬ kräfteȱ undȱ zurȱ Gestaltungȱ desȱ Gesamtsystemsȱ Schuleȱ bei.ȱ Denȱ SchulleitungenȱkommtȱbeiȱallenȱReformbemühungenȱundȱVerändeȬ rungenȱ desȱ Arbeitsplatzesȱ Schuleȱ eineȱ Schlüsselrolleȱ zuȱ (vgl.ȱ BonȬ sen,ȱ vonȱ derȱ Gathen,ȱ Iglhautȱ &ȱ Pfeiffer,ȱ 2002).ȱ Oderȱ wieȱ esȱ Dalinȱ undȱ Rolffȱ pointiertȱ formulieren,ȱ gibtȱ „esȱ inȱ derȱ Regelȱ keineȱ gutenȱ Schulenȱ mitȱ schlechtenȱ Leitungen“ȱ (1990,ȱ S.ȱ 145).ȱ Dieȱ folgendenȱ Ausführungenȱ greifenȱ dieseȱ Diskussionenȱ auf.ȱ Inȱ Abschnittȱ 8.2.1ȱ werdenȱ zunächstȱ dieȱ verändertenȱ Anforderungenȱ undȱ Aufgabenȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 2ȱȱ FürȱdieȱschriftlicheȱBefragungȱwurdenȱinsgesamtȱ455ȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱanȱ

achtȱ Schulenȱ postalischȱ angeschrieben.ȱ Beteiligtȱ habenȱ sichȱ 205ȱ Personen.ȱ Dasȱ entsprichtȱeinemȱRücklaufȱvonȱ45.1%.ȱ

215ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

derȱ Personalführungȱ anȱ Schulenȱ aufgezeigt.ȱAbschnittȱ 8.2.2ȱ behanȬ deltȱ „Managementȱ byȱ Objectives“ȱ (MbO)ȱ undȱ Zielvereinbarung,ȱ MitarbeitendenbeurteilungȱundȱdasȱMitarbeitendengespräch,ȱwobeiȱ ausgewählteȱErgebnisseȱderȱEvaluationsstudieȱ(Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005)ȱ mitȱBezugȱzuȱdenȱvorgestelltenȱPersonalinstrumentenȱberichtetȱundȱ diskutiertȱwerden.3

8.2.1

Personalführung an Schulen

8.2.1.1

Schulleitung im Kontext der Schulforschung

Inȱ derȱ Literaturȱ lassenȱ sichȱ zweiȱ Forschungsrichtungenȱ unterscheiȬ den,ȱ dieȱ sichȱ mitȱ derȱ Bedeutungȱ derȱ Schulleitungȱ undȱ demȱ FühȬ rungshandelnȱimȱKontextȱderȱSchuleȱauseinandersetzen.ȱDieȱSchulȬ wirkungsforschungȱbeschreibtȱdieȱSchulleitungȱalsȱeineȱbedeutendeȱ Variable,ȱ dieȱ zurȱ besserenȱ Wirksamkeitȱ derȱ Schuleȱ beiträgt,ȱ häufigȱ gemessenȱalsȱZunahmeȱderȱkognitivenȱLeistungenȱderȱSchülerȱundȱ Schülerinnenȱ (vgl.ȱ Huber,ȱ 1999a).ȱ Imȱ deutschsprachigenȱ Kontextȱ liegenȱ bisherȱ nurȱ wenigeȱ Untersuchungenȱ vor,ȱ dieȱ sichȱ mitȱ derȱ Wirksamkeitȱ vonȱ Schulleitungshandelnȱ oderȱ derȱ Personalführungȱ anȱ Schulenȱ auseinandersetzen.ȱ Wieȱ Bonsenȱ etȱ al.ȱ (2002)ȱ festhalten,ȱ sindȱ zwarȱ Ergebnisseȱ vorȱ allemȱ ausȱ demȱ amerikanischenȱ Raumȱ verfügbar.ȱ Dieseȱ lassenȱ sichȱ jedochȱ nurȱ eingeschränktȱ aufȱ denȱ deutschsprachigenȱRaumȱübertragen.ȱInȱderȱGesamtschauȱlässtȱsichȱ festhalten,ȱ dassȱ inȱ denȱ verschiedenenȱ Untersuchungenȱ unterȱ wirkȬ samemȱSchulleitungshandelnȱähnlicheȱAspekteȱverstandenȱwerden.ȱ InȱderȱRegelȱzielenȱsieȱaufȱeineȱvermehrteȱDelegationȱvonȱFührungsȬ aufgabenȱ undȱ aufȱ eineȱ grundsätzlicheȱ Professionalisierungȱ desȱ Handelnsȱ derȱ Schulleitungen,ȱ insbesondereȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ PersoȬ nalführungsprozesseȱabȱ(vgl.ȱHuber,ȱ1999a).ȱȱ Dieȱ zweiteȱ Forschungsrichtung,ȱ dieȱ SchulentwicklungsȬȱ oderȱ VerȬ besserungsforschung,ȱ fokussiertȱ zumȱ einenȱ aufȱ dieȱ Verbesserungȱ derȱ SchülerInnenleistung,ȱ zumȱ anderenȱ aufȱ dieȱ Zunahmeȱ desȱ VerȬ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 3ȱȱ DieȱausführlichenȱErgebnisseȱzurȱQualitätȱundȱAkzeptanzȱderȱeinzelnenȱBeurteiȬ

216ȱ

lungsinstrumenteȱ(SchülerInnenfeedback,ȱUnterrichtsbesucheȱdurchȱdieȱSchulleiȬ tungȱ undȱ externeȱ ExpertInnen,ȱ Honorierungȱ besondererȱ Leistungen)ȱ undȱ zurȱ Ausschüttungȱ einesȱ Leistungsbonusȱ fürȱ dieȱ Lehrkräfteȱ könnenȱ Pekruhlȱ etȱ al.ȱ (2005)ȱentnommenȱwerden.ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

änderungsvermögensȱ derȱ Schuleȱ selbst.ȱ Wirksameȱ Schulführungȱ sollȱ gemäßȱ dieserȱ Forschungsrichtungȱ inȱ ersterȱ Linieȱ dieȱ Aufgabeȱ wahrnehmen,ȱVeränderungsprozesseȱzuȱinitiierenȱundȱvoranzutreiȬ ben;ȱsieȱbehältȱdenȱBlickȱaufȱdenȱGesamtprozessȱundȱkoordiniertȱdieȱ Einzelaktivitätenȱ(vgl.ȱHuber,ȱ1999b).ȱDieȱErgebnisseȱderȱStudieȱvonȱ Bonsenȱ etȱ al.ȱ (2002)ȱ unterstützenȱ ebenfallsȱ dieseȱ Ansichten:ȱ LehrȬ kräfteȱanȱ„guten“ȱSchulenȱschätzenȱihreȱSchulleitungenȱalsȱverändeȬ rungsbereiterȱundȱzielgerichteterȱinȱderȱFührungȱsowieȱalsȱfördernȬ derȱfürȱdieȱFortȬȱundȱWeiterbildungenȱdesȱKollegiumsȱein.ȱȱ Auchȱ wennȱ derȱ empirischeȱ Nachweisȱ einerȱ Kausalitätȱ zwischenȱ demȱ Handelnȱ derȱ Schulleitungspersonenȱ undȱ denȱ Auswirkungenȱ aufȱ dieȱ Schulentwicklungȱ oderȱ SchülerInnenleistungȱ bisherȱ nochȱ aussteht,ȱ wirdȱ indesȱ kaumȱ inȱ Frageȱ gestellt,ȱ dassȱ dieȱ Aktivitätenȱ dieserȱ Personenȱ einenȱ gewichtigenȱ Aspektȱ desȱ Gesamtsystemsȱ Schuleȱ darstellenȱ undȱ seineȱ Entwicklungȱ sowohlȱ negativȱ alsȱ auchȱ positivȱbeeinflussenȱkönnen.ȱȱ 8.2.1.2

Konzepte der schulspezifischen Personalführung: Von der Administration zum Management

Mitȱ derȱ erhöhtenȱ Eigenverantwortungȱ anȱ Schulenȱ inȱ ihrenȱ PlaȬ nungsȬȱundȱVerwaltungsprozessenȱhatȱsichȱnichtȱnurȱdieȱOrganisaȬ tionȱSchuleȱselbst,ȱsondernȱauchȱihrȱorganisationalesȱUmfeldȱveränȬ dert.ȱ Damitȱ wirdȱ deutlich,ȱ dassȱ dasȱAnforderungsprofilȱ derȱ SchulȬ leitungenȱ heuteȱ anderenȱ Anforderungenȱ genügenȱ muss.ȱ Dennȱ Schulen,ȱdieȱinȱderȱAusgestaltungȱundȱSteuerungȱihrerȱHauptaufgaȬ benȱmehrȱFreiheitsgradeȱerhalten,ȱbrauchenȱauchȱeineȱFührung,ȱdieȱ dieseȱgewonneneȱAutonomieȱzuȱnutzenȱversteht.ȱBuhrenȱundȱRolffȱ (2002)ȱnennenȱdazuȱdreiȱAufgabenbereicheȱvonȱSchulleitungenȱ(vgl.ȱ Tabelleȱ1).ȱ DieȱgenanntenȱAufgabenȱfindenȱsichȱauchȱinȱdenȱgängigenȱKonzepȬ tenȱ zurȱ Ausgestaltungȱ vonȱ Personalführungȱ anȱ Schulenȱ wieder:ȱ Nebenȱ derȱ LehrplanȬȱ undȱ Unterrichtsgestaltungȱ bzw.ȱ Ȭentwicklungȱ werdenȱdenȱSchulleitungenȱdortȱzudemȱdieȱAufgabenȱderȱOrganisaȬ tionsgestaltungȱ undȱ Ȭentwicklungȱ sowieȱ dieȱ derȱ PersonalentwickȬ lungȱzugeordnetȱ(Buhrenȱ&ȱRolff,ȱ2002).ȱȱ

217ȱ

8 Tabelleȱ1ȱ

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

KonzeptȱderȱPersonalführungȱanȱSchulenȱ(nachȱBuhrenȱ&ȱRolff,ȱ2002)ȱ Aufgabenbereiche

Die Schulleitung…

1. Unterstützung und Aufbau einer Lernkultur

… stellt Zeitressourcen zur gemeinsamen Planung und Entwicklung des Unterrichts zur Verfügung … kommuniziert und diskutiert eigene Vorstellungen zum Leitbild mit den Lehrpersonen

2. Förderung der Personalentwicklung

… etabliert Feedbackstrukturen innerhalb des Kollegiums … bietet Unterstützung und Hilfe durch individuelle Zielsetzungsgespräche

3. Finden von gemeinsamen Problemlösungsstrategien

… moderiert Problemlösungsprozesse

ȱ Auchȱ Dubsȱ (2005)ȱ kommtȱ aufȱ Basisȱ vorliegenderȱ empirischerȱ ErȬ kenntnisseȱzuȱähnlichenȱHandlungsfeldern:ȱȱ

„ langfristigeȱOrientierung:ȱVisionenȱbekanntȱmachen,ȱRahmenbeȬ dingungenȱschaffen,ȱ

„ Zielfindung:ȱProfilȱderȱSchuleȱentwickeln,ȱ „ Erwartungen:ȱHerausforderungenȱschaffen,ȱȱ „ Unterstützung:ȱpersönlicheȱEntwicklungȱderȱLehrkräfteȱfördern,ȱȱ „ Einstellungen:ȱklareȱWertvorstellungenȱhaben.ȱ Jedochȱ bettetȱ erȱ seinȱ Konzeptȱ desȱ Führungshandelnsȱ vonȱ SchulleiȬ tungenȱ stärkerȱ inȱ einenȱ „LeadershipȬAnsatz“ȱ ein,ȱ derȱ einenȱ koopeȬ rativȬsituativenȱ Führungsstilȱ alsȱ wünschenswertȱ fürȱ eineȱ SchulleiȬ tungȱbeschreibt.ȱ Huberȱ undȱ Niederhuberȱ (2004)ȱ konntenȱ überȱ mehrereȱ qualitativeȱ Fallstudienȱ hinwegȱ zeigen,ȱ dassȱ dasȱ Bildȱ derȱ idealenȱ Schulleitungȱ ausȱ Sichtȱ derȱ Lehrkräfteȱ durchȱ verschiedeneȱ zentraleȱ Merkmaleȱ geprägtȱwirdȱwieȱbeispielsweiseȱdasȱVorhandenseinȱeinerȱpädagogiȬ schenȱ Vision,ȱ eineȱ hoheȱ Identifikationȱ mitȱ derȱ Schuleȱ sowieȱ FühȬ rungsstärke,ȱdieȱsichȱinȱMutȱundȱEntschlussfreudigkeit,ȱKooperationȱ undȱWertschätzungȱzeigt.ȱUndȱHuberȱ(2005,ȱS.ȱ4)ȱhältȱdazuȱfest,ȱdassȱ „Schulleiterhandelnȱ (…)ȱ vonȱ Lehrernȱ alsȱ bedeutsamȱ eingeschätztȱ (wird)“.ȱGanzȱsoȱeindeutigȱkönnenȱdieȱimȱRahmenȱderȱEvaluationsȬ

218ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

studieȱanȱSolothurnerȱSchulenȱgewonnenenȱErgebnisseȱdieȱSchlussȬ folgerungȱvonȱHuberȱnichtȱunterstützenȱ(vgl.ȱTabelleȱ2).ȱ

ErwartungenȱderȱLehrpersonenȱderȱSchulenȱdesȱKantonsȱSolothurnȱanȱdieȱ Personalführungȱ(inȱProzent)ȱ(Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005)4ȱ trifft überhaupt nicht zu

trifft eher nicht zu

teilsteils

trifft eher zu

trifft völlig zu

Der Rat meiner KollegInnen ist mir wichtiger als der Rat der Schulleitung (SL).

2

7

23

37

32

Die SL sollte mit Lehrerinnen und Lehrern über geeignete Weiterbildungsmöglichkeiten sprechen

4

5

23

43

26

Die SL sollte die Möglichkeit haben, Lehrerinnen und Lehrer, die bestimmte Defizite haben, zu Weiterbildungsmaßnahmen zu verpflichten.

6

13

23

37

22

Ich wünsche mir eine kontinuierliche Beratung durch die SL, wie ich meine persönlichen Leistungen verbessern kann.

21

33

25

18

3

Ich weiß selbst am besten, welche Schwächen ich noch im Unterricht habe und wie diese behoben werden können.

1

11

36

37

15

Die SL sollte persönliche Entwicklungsziele mit den Lehrerinnen und Lehrern vereinbaren, deren Erreichung kontrolliert und bewertet wird.

18

25

25

26

6

Die SL sollte sich darauf beschränken, einen guten Rahmen für den Unterricht zu schaffen.

5

20

21

35

20

Aufgabe der SL ist es, aus den Schulentwicklungszielen individuelle Ziele abzuleiten.

9

24

33

29

6

Eine Leistungsbeurteilung durch die SL kann helfen, den Unterricht zu verbessern.

12

22

33

28

5

Die SL sollte Einfluss darauf nehmen können, wie der Unterricht fachlich gestaltet wird.

46

22

22

9

1

Die SL sollte Einfluss darauf nehmen können, wie der Unterricht didaktisch gestaltet wird.

28

43

22

6

1

Tabelleȱ2ȱ

ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 4ȱȱ ZurȱOperationalisierungȱderȱForschungsfragenȱaufȱEbeneȱderȱEinzelitemsȱwurdeȱ

auchȱaufȱtypischeȱZitateȱausȱdenȱvorangegangenenȱInterviewsȱundȱGruppendisȬ kussionenȱ zurückgegriffen.ȱ Sofernȱ nichtȱ andersȱ vorgegebenȱ (beispielsweiseȱ beiȱ denȱ Angabenȱ zurȱ Person)ȱ bestandenȱ dieȱ Antwortmöglichkeitenȱ inȱ einerȱ 5Ȭ stufigenȱSkalaȱmitȱunterschiedlichenȱAntwortformatenȱ(beispielsweiseȱvonȱ„trifftȱ völligȱzu“ȱbisȱ„trifftȱüberhauptȱnichtȱzu“ȱoderȱvonȱ„(fast)ȱnie“ȱbisȱ„(fast)ȱimmer“).ȱ

219ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

SoȱzeigenȱsichȱdieȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱbeiȱdenȱErwartungenȱanȱ dieȱ Personalführungȱ durchȱ dieȱ Schulleitungȱ wenigȱ aufgeschlossen,ȱ wennȱ esȱ umȱ dieȱ Beratungȱ zurȱ Verbesserungȱ derȱ persönlichenȱ LeisȬ tungȱgeht;ȱdieȱMehrheitȱ(54%)5ȱäußertȱsichȱdazuȱablehnend.ȱHingeȬ genȱ sehenȱ überȱ zweiȱ Drittelȱ (68%)ȱ esȱ alsȱAufgabeȱ derȱ Schulleitungȱ an,ȱ sichȱ mitȱ denȱ Lehrkräftenȱ überȱ Weiterbildungsmöglichkeitenȱ zuȱ unterhaltenȱ undȱ überȱ dieȱ Hälfteȱ (59%)ȱ derȱ befragtenȱ Personenȱ erȬ wartet,ȱdassȱLehrkräfteȱzuȱsolchenȱMaßnahmenȱverpflichtetȱwerdenȱ können.ȱ Andererseitsȱ solltenȱ nachȱ Meinungȱ vonȱ lediglichȱ rundȱ eiȬ nemȱDrittelȱ(33%)ȱderȱBefragtenȱSchulentwicklungszieleȱaufȱindiviȬ duelleȱZieleȱherunterȱgebrochenȱundȱdieseȱimȱSinneȱvonȱZielvereinȬ barungenȱauchȱkontrolliertȱwerdenȱ(32%).ȱNochȱdeutlicherȱwirdȱdieȱ eherȱablehnendeȱHaltungȱgegenüberȱeinerȱEinflussnahmeȱderȱSchulȬ leitung,ȱ wennȱ esȱ darumȱ geht,ȱ obȱ dieȱ Schulleitungȱ dieȱ didaktischeȱ oderȱ dieȱ fachlicheȱ Gestaltungȱ desȱ Unterrichtsȱ mitbestimmenȱ sollte:ȱ 71%ȱlehnenȱdieȱMitbestimmungȱbeiȱderȱUnterrichtsdidaktikȱab,ȱ68%ȱ beiȱ derȱ fachlichenȱ Ausgestaltungȱ desȱ Unterrichts.ȱ Demgegenüberȱ siehtȱüberȱdieȱHälfteȱderȱbefragtenȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱ(55%)ȱesȱ alsȱ dieȱ Hauptaufgabeȱ derȱ Schulleitungȱ an,ȱ organisatorischeȱ RahȬ menbedingungenȱfürȱdenȱUnterrichtȱzuȱschaffen.ȱ Dieȱ Ergebnisseȱ derȱ Evaluationsstudieȱ machenȱ deutlich,ȱ dassȱ eineȱ Schulleitung,ȱ dieȱ dieȱ Rolleȱ derȱ Personalführungȱ wahrnimmtȱ undȱ sichȱnebenȱadministrativenȱAufgabenȱauchȱumȱdieȱEntwicklungȱderȱ Mitarbeitendenȱ sorgt,ȱ nurȱ vonȱ einemȱ Teilȱ derȱ befragtenȱ LehrpersoȬ nenȱakzeptiertȱwird.ȱDieȱMehrheitȱbestätigtȱeherȱdenȱEindruck,ȱdassȱ sichȱeinȱkulturellerȱWandelȱanȱdenȱSchulenȱhinȱzuȱeinemȱneuenȱFühȬ rungsverständnisȱ beimȱ Lehrkörperȱ nochȱ nichtȱ vollzogenȱ hat.ȱ Zwarȱ sollȱ dieȱ Schulleitungȱ aufȱ dieȱ schulischeȱ Gesamtentwicklung,ȱ undȱ damitȱ auchȱ aufȱ dieȱ Personalentwicklungȱ undȱ dieȱ Arbeitsprozesseȱ Einflussȱ nehmen,ȱ dieȱ Selbstbestimmtheitȱ derȱ Lehrpersonenȱ darfȱ dabeiȱjedochȱnichtȱeingeschränktȱwerden,ȱundȱsogarȱeineȱberatendeȱ Rolleȱ wirdȱ vielfachȱ nichtȱ akzeptiert.ȱ Dieȱ Rolle,ȱ dieȱ Lehrkräfteȱ derȱ Schulleitungȱ zugestehenȱ bestehtȱ darin,ȱ zuȱ moderieren,ȱ dasȱ Systemȱ Schuleȱ nachȱ außenȱ hinȱ zuȱ vertretenȱ undȱ denȱ Umgangȱ mitȱ AnȬ spruchsgruppenȱ zuȱ regulieren,ȱ denȱ Einflussȱ aufȱ dieȱ Arbeitsinhalteȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 5ȱȱ AngabenȱinȱKlammernȱentsprechenȱdenȱprozentualenȱAnteilenȱderȱAngabenȱvonȱ

220ȱ

„trifftȱ eherȱ nichtȱ zu“ȱ undȱ „trifftȱ überhauptȱ nichtȱ zu“ȱ resp.ȱ „trifftȱ eherȱ zu“ȱ undȱ „trifftȱvölligȱzu“.ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

undȱ Ȭverfahrenȱ jedochȱ möglichstȱ geringȱ halten.ȱ Hierȱ zeigtȱ sichȱ dasȱ bereitsȱ zitierteȱ Dilemmaȱ derȱ „geführtenȱAutonomie“,ȱ dasȱ denȱ FühȬ rungsalltagȱ vonȱ Schulleitungenȱ maßgeblichȱ prägt.ȱ HandlungsstraȬ tegienȱ zurȱ Stärkungȱ derȱ Schulleitungsrolleȱ müssenȱ deshalbȱ anȱ denȱ gewohntenȱArbeitskontextȱderȱLehrpersonenȱanknüpfenȱundȱgeradeȱ durchȱ einȱ hohesȱ Maßȱ anȱ Partizipationȱ demȱ Autonomieverständnisȱ derȱLehrkräfteȱRechnungȱtragen.ȱDiesȱistȱauchȱbeiȱderȱAusgestaltungȱ undȱImplementierungȱvonȱHRMȬInstrumentenȱzuȱberücksichtigen.ȱȱ

8.2.2

Instrumente zur Ausgestaltung der Personalführung an Schulen

Diskutiertȱ manȱ überȱ dieȱ Ausgestaltungȱ vonȱ Führungsprozessenȱ bzw.ȱ dieȱAnwendungȱ vonȱ Personalführungsinstrumentenȱ anȱ SchuȬ len,ȱ stelltȱ sichȱ unweigerlichȱ dieȱ Frage,ȱ obȱ sichȱ dieseȱ –ȱ ursprünglichȱ imȱ betrieblichenȱ Kontextȱ entstandenȱ –ȱ aufȱ denȱ Schulkontextȱ überȬ tragenȱlassen.ȱZwarȱhabenȱmittlerweile,ȱinitiiertȱdurchȱVerwaltungsȬ reformenȱundȱDiskussionenȱzurȱQualitätȱdesȱBildungssystems,ȱPerȬ sonalführungsinstrumenteȱ auchȱ anȱ Schulenȱ Einzugȱ gehalten.ȱ Aberȱ geradeȱ beiȱ starkȱ ideologisiertenȱ Instrumentenȱ wieȱ beispielsweiseȱ demȱMbOȬAnsatzȱ(vgl.ȱDrucker,ȱ1954)ȱoderȱderȱleistungsabhängigenȱ EntlohnungȱwirdȱprinzipiellȱinȱFrageȱgestellt,ȱobȱdieseȱmitȱdenȱWerȬ tenȱ undȱ demȱArbeitsverständnisȱ vonȱ Lehrkräftenȱ kompatibelȱ sind.ȱ NachȱBuhrenȱundȱRolffȱ(2002,ȱS.ȱ62ȱff)ȱhebenȱsichȱSchulenȱvonȱandeȬ renȱOrganisationenȱdadurchȱab,ȱdassȱȱ

„ einȱ hoherȱ Qualifikationsstandȱ undȱ fastȱ ausschließlichȱ akadeȬ mischȱausgebildeteȱPersonenȱvorzufindenȱsind;ȱ

„ sichȱdieȱSchulleitungenȱinȱihrerȱFührungsrolleȱhäufigȱalsȱGleicheȱ unterȱGleichenȱverstehen;ȱ

„ sichȱ dieȱ Lehrpersonenȱ alsȱ homogeneȱ Gruppeȱ wahrnehmen,ȱ dieȱ

Unterschiedeȱ z.B.ȱ inȱ derȱ Leistungsbereitschaftȱ oderȱ Ȭfähigkeitȱ kaumȱsichtbarȱwerdenȱlässt;ȱ

„ einȱhohesȱMaßȱanȱAutonomieȱinȱderȱArbeitsgestaltungȱauchȱeineȱ „Vereinzelung“ȱderȱLehrpersonenȱinȱderȱErfüllungȱihrerȱTätigkeiȬ tenȱ bedeutet,ȱ wasȱ dieȱ „strukturelleȱ Voraussetzungȱ dafürȱ bietet,ȱ dassȱ sichȱ Lehrerarbeitȱ schwerȱ vergleichenȱ lässtȱ undȱ derȱ GleichȬ heitsmythosȱaufrechtȱerhaltenȱwerdenȱkann“ȱ(ebd.,ȱS.ȱ62);ȱ

221ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

„ dieȱ Kooperationȱ undȱ Zusammenarbeitȱ innerhalbȱ desȱ LehrkolleȬ giumsȱbisherȱkaumȱgefördertȱundȱgefordertȱwerden;ȱ

„ offizielleȱGremienȱexistieren,ȱdieȱdurchȱhochȱritualisierteȱAbläufeȱ undȱ Inhalteȱ dazuȱ beitragen,ȱ dassȱ relevanteȱ Themenȱ häufigȱ imȱ RahmenȱinformellerȱKommunikationsräumeȱbehandeltȱwerden.ȱȱ Dubsȱ (2005)ȱ spezifiziertȱ denȱ Schulkontextȱ weiterȱ undȱ zeigtȱ anhandȱ vonȱvierȱAnnahmenȱauf,ȱwarumȱSchulenȱinȱderȱProfessionalisierungȱ ihrerȱPersonalprozesseȱerstȱamȱAnfangȱstehen.ȱErstensȱwirdȱinȱSchuȬ lenȱ beiȱ derȱ Lösungȱ vonȱ Personalfragenȱ eherȱ improvisiertȱ undȱ esȱ existierenȱsomitȱkeineȱsystematischenȱundȱgeordnetenȱPersonalproȬ zesse,ȱ auchȱ ausȱ derȱ Befürchtungȱ heraus,ȱ dassȱ dieseȱ Schulleitungenȱ undȱLehrkräfteȱeinschränkenȱkönnten.ȱImȱVerständnisȱderȱLehrperȬ sonenȱ istȱ zweitensȱ zuȱ beobachten,ȱ dassȱ Personalarbeitȱ alsȱ adminisȬ trativesȱ Aufgabenfeldȱ verstandenȱ undȱ somitȱ alsȱ vermeintlicheȱ zuȬ sätzlicheȱBürokratisierungȱeherȱgemiedenȱwird.ȱDieȱdritteȱAnnahmeȱ schließtȱanȱdieȱvorherigeȱAnnahmeȱanȱundȱbesagt,ȱdassȱfürȱdieȱLöȬ sungȱ allfälligerȱ personalorientierterȱ Problemeȱ dasȱ individuelleȱ GeȬ sprächȱ zwischenȱ demȱ Lehrkörperȱ undȱ denȱ vorgesetztenȱ Personenȱ bevorzugtȱwird.ȱUndȱviertensȱzeigtȱdieȱpersonalpolitischeȱSituationȱ derȱ Schulenȱ nochȱ immerȱ eingeschränkteȱ Kompetenzenȱ beiȱ denȱ Schulleitungenȱ aufgrundȱ verwaltungsȬȱ undȱ personalrechtlicherȱ Vorschriften.ȱȱ Dieseȱ schwierigenȱ Ausgangsbedingungenȱ sprechenȱ zunächstȱ nichtȱ fürȱ dieȱ Einführungȱ vonȱ HRMȬInstrumentenȱ anȱ Schulen.ȱ Jedochȱ konntenȱ beispielsweiseȱ Bonsenȱ etȱ al.ȱ (2002)ȱ amȱ Beispielȱ desȱ „FühȬ rensȱmitȱZielen“ȱaufzeigen,ȱdassȱdessenȱEinsatzȱauchȱimȱSchulkonȬ textȱ zurȱ Verbesserungȱ derȱ Schulqualitätȱ beitragenȱ kann.ȱ Welcheȱ HerausforderungenȱsichȱmitȱderȱImplementierungȱvonȱPersonalfühȬ rungsinstrumentenȱ stellen,ȱ wirdȱ inȱ denȱ folgendenȱ Abschnittenȱ amȱ Beispielȱ desȱ (a)ȱ MbOȬAnsatzesȱ bzw.ȱ demȱ „Führenȱ mitȱ Zielen“,ȱ (b)ȱ derȱ Mitarbeitendenbeurteilungȱ sowieȱ (c)ȱ demȱ MitarbeitendengeȬ sprächȱ dargestelltȱ undȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ Ergebnisseȱ derȱ EvaluationsstudieȱausȱdemȱKantonȱSolothurnȱdiskutiert.ȱ a) Managementȱ byȱ ObjectivesȬAnsatzȱ undȱ ZielvereinbarunȬ genȱimȱSchulkontextȱ DerȱManagementȱbyȱObjectivesȬAnsatzȱ(MbO)ȱmachtȱsichȱdieȱmittȬ lerweileȱ empirischȱ gutȱ fundierteȱ Annahmeȱ derȱ handlungssteuernȬ

222ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

denȱundȱmotivierendenȱWirkungȱvonȱZielvereinbarungenȱzuȱnutze.ȱ Erȱzieltȱdaraufȱab,ȱZiele,ȱdieȱaufȱEbeneȱderȱGesamtorganisationȱforȬ muliertȱ wurden,ȱ aufȱ andereȱ Hierarchieebenenȱ zuȱ übertragen,ȱ umȱ dabeiȱ „dieȱ Steuerungȱ derȱ Mitarbeitenden,ȱ v.a.ȱ mittlererȱ HierarchieȬ ebenen,ȱdurchȱZieleȱumzusetzen“ȱ(Marcusȱ&ȱSchuler,ȱ2001,ȱS.ȱ416).ȱ Inȱ derȱ Umsetzungȱ werdenȱ durchȱ dieȱ Führungskräfteȱ AnforderunȬ genȱdesȱOrganisationsumfeldesȱ–ȱinȱderȱRegelȱdesȱMarktesȱ–ȱsowieȱ interneȱAnforderungenȱanȱdieȱMitarbeitendenȱimȱRahmenȱvonȱZielȬ vereinbarungsgesprächenȱweitergegeben.ȱDiesȱerfordertȱdieȱFormuȬ lierungȱ vonȱ Beurteilungsgrößenȱ sowieȱ dieȱ Zielüberprüfungȱ oderȱ BeurteilungȱderȱerbrachtenȱLeistungenȱüberȱeinenȱbestimmtenȱZeitȬ raumȱhinwegȱundȱrichtetȱsomitȱdasȱHandelnȱderȱOrganisationsmitȬ gliederȱaufȱgemeinsameȱLeistungszieleȱaus.ȱȱ WieȱsolcheȱZielsetzungenȱsichȱaufȱdieȱArbeitsmotivationȱauswirkenȱ undȱ aufgrundȱ welcherȱ psychologischerȱ Mechanismenȱ sieȱ wirken,ȱ lässtȱsichȱimȱRahmenȱderȱempirischenȱForschungȱzurȱZielsetzungsȬ theorieȱ vonȱ Lockeȱ undȱ Lathamȱ (u.a.ȱ 1990)ȱ erklären.ȱ Beschaffenheitȱ undȱ konkreteȱ Inhalteȱ menschlicherȱ Leistungszieleȱ spielenȱ beiȱ derȱ Aufklärungȱ vonȱ interȬȱ undȱ intraindividuellenȱ LeistungsunterschieȬ denȱ eineȱ wichtigeȱ Rolle:ȱ schwierige,ȱ herausfordernde,ȱ spezifischeȱ undȱmessbareȱZieleȱtragenȱzurȱErhaltungȱoderȱVerbesserungȱindiviȬ duellerȱ Leistungenȱ bei.ȱAktuelleȱ Forschungsergebnisseȱ zurȱ ZielsetȬ zungstheorieȱgebenȱauchȱHinweiseȱzurȱ Umsetzungȱvonȱ ZielvereinȬ barungen.ȱ Soȱ hatȱ beispielsweiseȱ dieȱ Partizipationȱ derȱ MitarbeitenȬ denȱ beiȱ derȱ Zielbildungȱ einenȱ positivenȱ Einflussȱ aufȱ dieȱ Leistungȱ (vanȱDickȱ&ȱWegge,ȱ2004).ȱȱ Fürȱ dieȱ Anwendungȱ desȱ MbOȬAnsatzesȱ resp.ȱ desȱ Instrumentsȱ derȱ ZielvereinbarungȱimȱSchulkontextȱliegenȱbislangȱnurȱwenigeȱUnterȬ suchungenȱ vor.ȱ Dubsȱ (2005)ȱ weistȱ daraufȱ hin,ȱ dassȱ sichȱ BemühunȬ genȱ inȱ denȱ 70erȱ Jahrenȱ anȱ amerikanischenȱ Schulenȱ ZielvereinbaȬ rungssystemeȱeinzuführen,ȱnichtȱdurchsetzenȱkonnten.ȱDasȱVerfahȬ renȱempfandenȱdieȱLehrpersonenȱalsȱzuȱbürokratischȱundȱ„solangeȱ alsȱüberflüssig,ȱalsȱdieȱSchulbehördenȱdenȱSchulenȱkeineȱZieleȱvorȬ gabenȱundȱderenȱErfüllungȱnichtȱüberwachten“ȱ(ebd.,ȱS.ȱ142).ȱNeuȬ erdingsȱ werdenȱ Zielvereinbarungenȱ anȱ Schulenȱ jedochȱ wiederȱ inȱ Zusammenhangȱ mitȱ einerȱ Professionalisierungȱ derȱ PersonalentȬ wicklungȱanȱSchulenȱdiskutiertȱ(vgl.ȱBuhrenȱ&ȱRolff,ȱ2002).ȱZudemȱ werdenȱ inȱ Zielvereinbarungenȱ undȱ derȱ Visionsentwicklungȱ zweiȱ zentraleȱAufgabenȱderȱSchulleitungȱgesehen.ȱ

223ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

InȱderȱLiteraturȱgibtȱesȱbislangȱjedochȱnurȱwenigeȱHinweise,ȱwieȱeinȱ aufȱ denȱ Schulkontextȱ abgestimmtesȱ Zielsystemȱ formuliertȱ werdenȱ kann.ȱ Allenfallsȱ wirdȱ vonȱ einerȱ „leitbildorientiertenȱ Zielsetzung“ȱ (ebd.,ȱ S.ȱ 35)ȱ gesprochen.ȱ Beiȱ einemȱ Leitbildȱ handeltȱ esȱ sichȱ imȱ GeȬ gensatzȱzumȱMbOȬAnsatzȱjedochȱnichtȱumȱeinȱausformuliertesȱZielȬ system,ȱ sondernȱ umȱ Aussagenȱ zumȱ Selbstverständnisȱ desȱ KollegiȬ umsȱ sowieȱ derȱ SchülerInnenȱ undȱ Eltern.ȱ Vonȱ hohemȱ Stellenwertȱ sindȱ dabeiȱ dieȱ soȱ genanntenȱ Schulprogramme,ȱ inȱ denenȱ dieȱ pädaȬ gogischeȱ Leitidee,ȱ v.a.ȱ dieȱ UnterrichtsȬȱ undȱ CurriculumsentȬ wicklungȱ festgehaltenȱ werden.ȱAufgabeȱ derȱ Schulleitungȱistȱ es,ȱ dieȱ inȱdenȱSchulprogrammenȱformuliertenȱZieleȱzuȱüberprüfenȱundȱdenȱ ProzessȱderȱZielkontrolleȱzuȱkoordinierenȱundȱzuȱlenken.ȱ SoȱrarȱundȱwenigȱkonkretȱdieȱHinweiseȱinȱderȱLiteraturȱzuȱadäquaȬ tenȱZielvereinbarungssystemenȱfürȱSchulenȱsind,ȱsoȱgeringȱistȱauchȱ dieȱAnzahlȱderȱSchulenȱimȱKantonȱSolothurn,ȱdieȱbereitsȱZielvereinȬ barungenȱinȱdieȱjährlichenȱMitarbeitendengesprächeȱintegrieren.ȱAnȱ zweiȱ derȱ insgesamtȱ achtȱ untersuchtenȱ Schulenȱ wurdenȱ ZielvereinȬ barungenȱbereitsȱeingeführtȱundȱknappȱeinȱDrittelȱderjenigenȱLehrȬ kräfte,ȱ dieȱ einenȱ Leistungsbonusȱ beziehen,ȱ gibtȱ an,ȱ Zieleȱ mitȱ derȱ Schulleitungȱzuȱvereinbaren.ȱȱ BetrachtetȱmanȱdieȱArtȱvonȱZielen,ȱdieȱinȱdenȱGesprächenȱvereinbartȱ werden,ȱ soȱ zeigtȱ sichȱ jedoch,ȱ dassȱ lediglichȱ einȱ kleinerȱ Anteilȱ derȱ Personen,ȱ dieȱ Zielvereinbarungenȱ treffen,ȱ auchȱ Leistungszieleȱ verȬ einbartȱ (26%).ȱ Beiȱ derȱ Hälfteȱ derȱ befragtenȱ Lehrpersonenȱ werdenȱ eherȱallgemeineȱVereinbarungenȱoderȱpersönlicheȱEntwicklungszieȬ leȱ festgehalten.ȱ Weiterhinȱ wurdenȱ dieseȱ Personenȱ zurȱ Akzeptanzȱ undȱ Qualitätȱ derȱ Zielvereinbarungenȱ befragt.ȱ Auchȱ wennȱ nurȱ beiȱ einerȱMinderheitȱderȱBefragtenȱklareȱLeistungsȬȱoderȱEntwicklungsȬ zieleȱ vereinbartȱ werden,ȱ zeigenȱ dieȱ folgendenȱ Ergebnisse,ȱ dassȱ dieȱ ZieleȱinȱeinigenȱwichtigenȱMerkmalenȱdenjenigenȱvonȱhandlungsleiȬ tendenȱZielsetzungenȱzuȱentsprechenȱscheinenȱ(vgl.ȱTabelleȱ3).ȱ SoȱkönnenȱdieȱvereinbartenȱZieleȱvonȱnahezuȱallenȱLehrerinnenȱundȱ Lehrernȱ(92%)ȱakzeptiertȱwerden.ȱDieȱmeistenȱderȱBefragtenȱfindenȱ dieȱVereinbarungenȱkonkretȱbzw.ȱspezifischȱgenug,ȱumȱdarausȱkonȬ kreteȱVerhaltensweisenȱfürȱsichȱabzuleitenȱ(74%).ȱEindeutigȱfeststelȬ lenȱ zuȱ können,ȱ obȱ dieȱ gestecktenȱ Zieleȱ erreichtȱ wurdenȱ oderȱ nicht,ȱ trifftȱfürȱ47%ȱderȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱeherȱoderȱvollständigȱzu.ȱ Beiȱ einemȱ Drittelȱ istȱ diesȱ zumindestȱ teilweiseȱ derȱ Fall.ȱ Einȱ großerȱ

224ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

Teilȱ derȱ Befragtenȱ bestätigt,ȱ dassȱ dieȱ mitȱ ihnenȱ vereinbartenȱ Zieleȱ herausforderndȱ undȱ interessantȱ sowieȱrealistischȱsind.ȱ Geradeȱaberȱ dieȱKontrolleȱderȱZielerreichungȱfindetȱnurȱbeiȱknappȱzweiȱDrittelnȱ derȱLehrkräfteȱstatt,ȱwasȱeineȱentscheidendeȱEinschränkungȱbedeuȬ tet,ȱwennȱmanȱbedenkt,ȱdassȱdiesȱeinȱwesentlicherȱTeilȱdesȱZielverȬ einbarungsprozessesȱist.ȱ

Qualitätȱ derȱ Zielvereinbarungenȱ anȱ zweiȱ Schulenȱ desȱ Kantonsȱ Solothurnȱ (inȱProzent)ȱ(Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005)ȱ trifft überhaupt nicht zu

trifft eher nicht zu

teilsTeils

trifft eher zu

trifft völlig zu

Ich kann die Ziele und Vereinbarungen akzeptieren.

2

2

4

52

40

Die Ziele und Vereinbarungen sind realistisch.

2

2

6

54

35

Die Ziele und Vereinbarungen sind so konkret formuliert, dass ich weiß, was ich zu tun habe.

8

10

8

49

25

Die Erreichung der Ziele und das Einhalten der Vereinbarungen werden in der nachfolgenden Mitarbeitendenbeurteilung thematisiert.

2

9

28

37

24

Ich finde es interessant und herausfordernd, die Ziele zu erreichen und die Vereinbarungen einzuhalten.

4

2

21

62

11

Es kann eindeutig festgestellt werden, ob ich die Ziele erreicht und die Vereinbarungen eingehalten habe oder nicht.

6

16

31

37

10

Tabelleȱ3ȱ

ȱ Zusammenfassendȱkannȱfestgehaltenȱwerden,ȱdassȱtrotzȱderȱImpleȬ mentierungȱ vonȱ Systemenȱ derȱ Mitarbeitendenbeurteilung,ȱ ZielverȬ einbarungssystemeȱanȱdenȱuntersuchtenȱSchulenȱbislangȱnurȱzögerȬ lichȱ umgesetztȱ werden.ȱ Dortȱ woȱ dieseȱ umgesetztȱ werden,ȱ werdenȱ eherȱ allgemeineȱ oderȱ persönlicheȱ Entwicklungszieleȱ alsȱ LeistungsȬ zieleȱvereinbart,ȱwasȱdemȱAutonomieverständnisȱderȱLehrpersonenȱ entgegenkommenȱdürfte.ȱEinȱbesonderesȱDefizitȱzeigteȱsichȱbeiȱderȱ KontrolleȱderȱZielerreichung.ȱȱ b) Mitarbeitendenbeurteilungȱ Dieȱ Beurteilungȱ vonȱ Mitarbeitendenȱ istȱ inȱ Wirtschaftsunternehmenȱ undȱanderenȱOrganisationenȱmittlerweileȱselbstverständlichȱgeworȬ

225ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

den.ȱAlsȱ systematisiertesȱ Verfahrenȱ findetȱ sieȱ inȱ derȱ Regelȱ imȱ RahȬ menȱvonȱMitarbeitendengesprächenȱstatt,ȱwobeiȱmeistȱderȱoderȱdieȱ Vorgesetzteȱ dieȱ Beurteilungȱ aufgrundȱ vorabȱ festgelegterȱ Kriterienȱ formuliertȱ(vgl.ȱMarcusȱ&ȱSchuler,ȱ2001).ȱ Ziele,ȱdieȱmitȱsolchȱeinemȱ Verfahrenȱverfolgtȱwerden,ȱsindȱinȱersterȱLinieȱderȱbzw.ȱdemȱMitarȬ beitendenȱ Feedbackȱ zuȱ denȱ erbrachtenȱArbeitsleistungenȱ zuȱ gebenȱ undȱ PersonalentwicklungsȬȱ oderȱ Qualifizierungsbedarfȱ fürȱ dieȱ betreffendeȱPersonȱabzuleiten.ȱFernerȱkannȱsieȱzurȱFestsetzungȱeinesȱ zusätzlichen,ȱ leistungsbezogenenȱ variablenȱ Vergütungsanteilsȱ oderȱ zurȱBeförderungȱeinerȱPersonȱherangezogenȱwerden.ȱȱ Schulen,ȱ dieȱ sichȱ alsȱ lernendeȱ Organisationȱ verstehen,ȱ überprüfenȱ ihreȱ Erfolgeȱ oderȱ Misserfolgeȱ kontinuierlichȱ undȱ planenȱ vorȱ demȱ HintergrundȱdieserȱErgebnisseȱihrȱweiteresȱVorgehenȱ(Bonsenȱetȱal.,ȱ 2002).ȱ Hierausȱ resultierenȱ auchȱ Hinweiseȱ fürȱ unmittelbareȱ MaßȬ nahmenȱ derȱ Schulentwicklungȱ sowieȱ fürȱ denȱ wirkungsvollenȱ undȱ bedürfnisorientiertenȱEinsatzȱweitererȱInstrumenteȱderȱPersonalfühȬ rungȱ oderȱ desȱ HRMȱ wieȱ beispielsweiseȱ dieȱ Personalentwicklungȱ undȱ Organisationsgestaltungȱ (vgl.ȱ Ritzȱ &ȱ Steiner,ȱ 2000).ȱ LehrerinȬ nenȬȱ undȱ Lehrerbeurteilungȱ sindȱ fürȱ dieȱ Schulentwicklungȱ somitȱ eineȱrelevanteȱInformationsquelle,ȱdaȱsieȱderȱSchulleitungȱHinweiseȱ zurȱ Erfüllungȱ derȱ arbeitsplatzbezogenenȱAnforderungenȱ durchȱ dieȱ Lehrkräfteȱgeben.ȱAusȱderȱSichtȱdesȱHRMȱlässtȱsichȱeineȱsystematiȬ scheȱ Mitarbeitendenbeurteilungȱ anȱ Schulenȱ folglichȱ damitȱ begrünȬ den,ȱdassȱsieȱȱ

„ dieȱWeiterentwicklungȱderȱUnterrichtspraxisȱfördert,ȱȱ „ individuellenȱ Personalentwicklungsbedarfȱ sichtbarȱ machtȱ undȱ dadurchȱȱ

„ dieȱ Professionalisierungȱ desȱ Lehrberufsȱ undȱ derȱ Schuleȱ unterȬ stützt.ȱȱ Dieȱ Verfahren,ȱ durchȱ dieȱdieȱ Beurteilendenȱ zuȱ ihrenȱ Beurteilungenȱ kommen,ȱ könnenȱ geradeȱ imȱ Schulkontextȱ breitȱ gefächertȱ sein.ȱ NeȬ benȱ einerȱ Selbsteinschätzungȱ könnenȱ beiȱ derȱ Fremdbeurteilungȱ unterschiedlicheȱVerfahrenȱzumȱEinsatzȱkommen,ȱbeispielsweiseȱdieȱ Unterrichtsbeobachtungȱ durchȱ dieȱ Schulleitung,ȱ externeȱ Personenȱ (ExpertenȱundȱExpertinnen,ȱSchulaufsicht)ȱoderȱdurchȱKollegenȱundȱ Kolleginnen,ȱ dasȱ standardisierte/systematischeȱ oderȱ nichtȬstandȬ ardisierte/unsystematischeȱ SchülerInnenfeedback,ȱ dasȱ Peerȱ Reviewȱ

226ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

überȱUnterrichtsmaterialȱsowieȱdieȱBeurteilungȱdesȱEngagementsȱinȱ Projekten,ȱ dieȱ außerhalbȱ desȱ Unterrichtsȱ stattfindenȱ (vgl.ȱ Dubs,ȱ 2002).ȱ Dieȱ Diskussionȱ zuȱ denȱ empirischenȱ Befundenȱ verschiedenerȱ Beurteilungsquellenȱ sollȱ hierȱ nichtȱ geführtȱ werden.ȱ Einenȱ umfasȬ sendenȱ Überblickȱ dazuȱ gibtȱ Dubsȱ (ebd.).ȱ Esȱ kannȱ jedochȱ festgehalȬ tenȱ werden,ȱ dassȱ sichȱ imȱ Schulkontextȱ ähnlicheȱ Problemstellungenȱ zeigenȱwieȱinȱderȱbetrieblichenȱPraxis,ȱz.B.ȱeineȱgeringeȱValiditätȱderȱ Vorgesetztenurteileȱ oderȱ eineȱ geringeȱ Korrelationȱ inȱ denȱ EinschätȬ zungenȱ derȱ Beurteilerȱ undȱ Beurteilerinnen.ȱ Eineȱ neuereȱ UntersuȬ chungȱ derȱ LehrerInnenbeurteilungȱ anȱ denȱ Zürcherȱ Volksschulenȱ weistȱ daraufȱ hin,ȱ dassȱ imȱ Schulkontextȱ dieȱ Kriterienȱ derȱ sozialenȱ Validitätȱ beiȱ derȱ Bewertungȱ desȱ Verfahrensȱ durchȱ dieȱ Lehrkräfteȱ evidentȱ sind:ȱ dieȱ Güteȱ derȱ Ergebniskommunikationȱ undȱ dieȱ TransȬ parenzȱderȱBeurteilungȱwirkenȱsichȱförderndȱaufȱdieȱAkzeptanzȱdesȱ PersonalinstrumentsȱbeiȱdenȱLehrkräftenȱausȱ(Legler,ȱ2006).ȱ Beurteilungskriterienȱ könnenȱ dahingehendȱ unterschiedenȱ werden,ȱ obȱsieȱsichȱaufȱdasȱPotenzial,ȱdasȱVerhaltenȱoderȱdieȱErgebnisseȱderȱ zuȱ beurteilendenȱ Personȱ beziehenȱ (Marcusȱ &ȱ Schuler,ȱ 2001).ȱ Aufȱ empirischemȱWegeȱkonnteȱbislangȱallerdingsȱkeinȱeinheitlicherȱKriȬ terienkatalogȱ formuliertȱ werden,ȱ derȱ „dieȱ guteȱ Lehrperson“ȱ beȬ schreibt.ȱVielleichtȱwerdenȱgeradeȱdeshalbȱauchȱBeurteilungsverfahȬ renȱimȱSchulkontextȱalsȱsehrȱkritischȱdiskutiertȱbzw.ȱalsȱinkompatiȬ belȱ zumȱ Arbeitskontextȱ undȱ Ȭverständnisȱ derȱ Lehrkräfteȱ erlebt.ȱ Daherȱ betonenȱAutorInnen,ȱ dieȱ sichȱ mitȱ derȱ Beurteilungȱ vonȱ LehrȬ personenȱ auseinandersetzen,ȱ häufigȱ denȱ „zweckentsprechendenȱ Einsatz“ȱ derȱ Kriterien.ȱ Soȱ fordernȱ Ritzȱ undȱ Steinerȱ (2000),ȱ dassȱ dieȱ Leistungȱ aufgrundȱ aufgabenbezogenerȱ Verhaltensweisenȱ (z.B.ȱ UnȬ terrichtsvorbereitungȱ oderȱ Ȭgestaltung)ȱ undȱ Arbeitsergebnisseȱ (z.B.ȱ vermittelterȱ Stoffȱ oderȱ durchgeführteȱ Projekte)ȱ beurteiltȱ werdenȱ sollte,ȱdieȱsichȱanȱvorabȱvereinbartenȱ(QualitätsȬ)Zielenȱausrichten.ȱȱ Inȱ denȱ untersuchtenȱ Schulenȱ desȱ Kantonsȱ Solothurnȱ kamenȱ zurȱ Durchführungȱ derȱ jährlichenȱ LehrerinnenȬȱ undȱ Lehrerbeurteilungȱ eineȱ großeȱ Bandbreiteȱ anȱ Beurteilungsinstrumentenȱ bzw.ȱ Ȭquellenȱ zurȱ Anwendung,ȱ u.a.ȱ SchülerInnenfeedback,ȱ Unterrichtsbesucheȱ durchȱ externeȱ FachexpertInnen,ȱ Unterrichtsbesucheȱ durchȱ dieȱ Schulleitungȱ undȱ dieȱ Bewertungȱ derȱ Erbringungȱ besondererȱ LeisȬ tungenȱ (Projekte,ȱ dieȱ außerhalbȱ desȱ Unterrichtsȱ stattfinden,ȱ ÜberȬ nahmeȱ bestimmterȱ Ämterȱ z.B.ȱ Bibliotheksaufsicht).ȱ Vorgeschriebenȱ warȱ vonȱ Seitenȱ derȱ kantonalenȱ Verwaltungȱ dieȱ Durchführungȱ vonȱ

227ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

SchülerInnenfeedbacksȱalsȱ Basiselementȱ desȱ Beurteilungsprozesses.ȱ Vorgegebenȱ warȱ zudemȱ dieȱ Beurteilungsskalaȱ (Aȱ bisȱ E),ȱ dieȱ zurȱ abschließendenȱFestlegungȱdesȱGesamturteilsȱverwendetȱwirdȱ(vgl.ȱ Pekruhlȱ etȱal.,ȱ 2005).ȱ Gestaltungsspielräumeȱ hattenȱ dieȱ SchulenȱdaȬ hingehend,ȱdassȱihnenȱu.a.ȱfreiȱgestelltȱwurde,ȱanhandȱwelcherȱKriȬ terienȱdieȱGesamtbeurteilungȱgetroffenȱwird,ȱwieȱdasȱSchülerInnenȬ feedbackȱdurchgeführtȱwirdȱundȱwelcheȱweiterenȱBewertungskriteȬ rienȱmitȱwelcherȱGewichtungȱinȱdieȱGesamtbeurteilungȱeingehen.ȱSoȱ wurdeȱ z.B.ȱ anȱ einerȱ Schuleȱ alsȱ zentralesȱ Bewertungskriteriumȱ dieȱ Teilnahmeȱ anȱ soȱ genanntenȱ Qualitätsgruppenȱ (vgl.ȱ Strittmatter,ȱ 1997)ȱzurȱMitarbeitendenbeurteilungȱherangezogen.ȱ Dieȱ Ergebnisseȱ derȱ Evaluationȱ machenȱ deutlich:ȱ Trotzȱ großerȱ VorȬ behalteȱ zuȱ Beginnȱ derȱ Einführungȱ werdenȱ alleȱ BeurteilungsinstruȬ menteȱ vonȱ denȱ Lehrkräftenȱ mittlerweileȱ gutȱ akzeptiertȱ undȱ alsȱ wichtigeȱ Feedbackquellenȱ geschätzt.ȱ Soȱ könnenȱ 85%ȱ derȱ Befragtenȱ derȱ Aussageȱ zustimmen,ȱ dassȱ sieȱ dieȱ Beurteilungȱ durchȱ dieȱ SchüȬ lerInnenȱhäufigȱoderȱfastȱimmerȱakzeptierenȱkönnen.ȱ ZweiȱDrittelȱ(64%)ȱderȱLehrpersonenȱerhaltenȱdurchȱdasȱSchülerInȬ nenfeedbackȱ wertvolleȱ Hinweise,ȱ wieȱ sieȱ ihrenȱ Unterrichtȱ verbesȬ sernȱ können.ȱ Auchȱ dieȱ Besucheȱ derȱ Expertinnenȱ undȱ Experten,ȱ meistȱ Fachpersonen,ȱ dieȱ außerhalbȱ desȱ Schulkontextesȱ tätigȱ sind,ȱ werdenȱvonȱdenȱLehrkräftenȱalsȱwertvollȱerlebt.ȱSieȱschätzenȱdabeiȱ vorȱallemȱdenȱfachlichenȱAustauschȱundȱdieȱQualitätȱderȱRückmelȬ dungenȱ zuȱ ihremȱ Unterricht.ȱ Allerdingsȱ findenȱ aufgrundȱ derȱ RückmeldungenȱderȱExpertinnenȱundȱExpertenȱlediglichȱbeiȱeinemȱ Fünftelȱ derȱ Antwortendenȱ Veränderungenȱ häufigȱ oderȱ fastȱ immerȱ statt,ȱbeiȱ44%ȱabȱundȱzu.ȱEinȱähnlichesȱBildȱzeigtȱsichȱbeiȱdenȱUnterȬ richtsbesuchenȱ derȱ Schulleitungen.ȱ Sieȱ sindȱ ausȱ Sichtȱ derȱ LehrperȬ sonenȱ fairȱ undȱ nachvollziehbar.ȱAllerdingsȱ würdigtȱ nurȱ einȱ Drittelȱ dieseȱ alsȱ Möglichkeit,ȱ amȱ eigenenȱ Unterrichtȱ etwasȱ zuȱ verändernȱ (Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005).ȱ Dasȱ Grosȱ derȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ schätztȱ esȱ somitȱ zwar,ȱ eineȱ regelmäßigeȱ Rückmeldungȱ undȱ Orientierungȱ überȱ dieȱ persönlichȱ erbrachteȱLeistungȱzuȱerhaltenȱundȱsiehtȱdieȱInstrumenteȱalsȱGrundȬ lageȱ fürȱ dieȱ persönlicheȱ undȱ fachbezogeneȱ Weiterentwicklungȱ an.ȱ EineȱkonsequenteȱAbleitungȱvonȱVerhaltensänderungenȱbzw.ȱÄndeȬ rungenȱ inȱ derȱ Unterrichtsgestaltungȱ aufȱ Basisȱ diesesȱ Feedbacksȱ findetȱjedochȱbeiȱdenȱmeistenȱnichtȱstatt.ȱȱ

228ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

c)

8.2

DurchführungȱderȱMitarbeitendengesprächeȱ

Eineȱ allgemeineȱ Definitionȱ desȱ „Mitarbeitendengesprächs“ȱ (MAG)ȱ existiertȱ nicht.ȱ Inȱ derȱ Praxisȱ werdenȱ unterȱ diesemȱ Begriffȱ gleicheȱ oderȱ zumindestȱ ähnlicheȱ Personalinstrumenteȱ subsumiertȱ wieȱ beiȬ spielsweiseȱ FörderȬ,ȱ JahresȬ,ȱ EntwicklungsȬȱ oderȱ BeurteilungsgeȬ spräche.ȱ Inȱ derȱ Regelȱ bildetȱ dasȱ MAGȱ einenȱ institutionalisiertenȱ RahmenȱfürȱdenȱAustauschȱzwischenȱVorgesetztem/rȱundȱMitarbeiȬ tenden,ȱ beiȱ dessenȱ Durchführungȱ dreiȱ Zielsetzungenȱ zuȱ erfüllenȱ sind:ȱRückmeldungȱdurchȱdieȱVorgesetztenȱzuȱdenȱerbrachtenȱLeisȬ tungenȱinȱderȱVergangenheit,ȱAufzeigenȱvonȱEntwicklungserforderȬ nissenȱ undȱ Ȭmöglichkeitenȱ undȱ dieȱ Festlegungȱ verbindlicherȱ ZielȬ setzungenȱfürȱdenȱkommendenȱBeurteilungszeitraumȱ(vgl.ȱz.B.ȱFieȬ ge,ȱMuckȱ&ȱSchuler,ȱ2001;ȱSchulerȱ&ȱProchaska,ȱ1999).ȱDesȱWeiterenȱ könnenȱ dieseȱ formalenȱ Gesprächeȱ inȱ derȱ Regelȱ dafürȱ genutztȱ werȬ den,ȱdieȱSichtweiseȱderȱbeurteiltenȱPersonȱzuȱihrerȱerbrachtenȱLeisȬ tungȱ einzuholenȱ sowieȱ denȱ Zusammenhangȱ zwischenȱ (lohnwirkȬ samer)ȱ Beurteilungȱ undȱ denȱ erbrachtenȱ Leistungenȱ transparentȱ zuȱ machen.ȱȱ DieȱQualitätȱbeiȱderȱDurchführungȱeinesȱMAGȱwirdȱvonȱmehrerenȱ Einflussfaktorenȱbestimmt,ȱwieȱdiesȱauchȱinȱderȱAlltagskommunikaȬ tionȱderȱFallȱist.ȱSoȱbeeinflussenȱErwartungenȱundȱEinstellungenȱderȱ GesprächspartnerInnen,ȱ aberȱ auchȱ dieȱ GesprächsführungskompeȬ tenzenȱderȱBeteiligtenȱdenȱVerlaufȱdesȱMAG.ȱAlsȱPersonalführungsȬ instrumentȱistȱdasȱMAGȱjedochȱzunächstȱeineȱbesondereȱKommuniȬ kationsform,ȱ beiȱ derȱ dasȱ interpersonelleȱ Feedbackȱ imȱ Vordergrundȱ steht.ȱȱ DieȱBewertungȱvergangenerȱLeistungenȱdurchȱdenȱFeedbackgebenȬ denȱ sollteȱ idealerweiseȱ Lernprozesseȱ beimȱ Feedbacknehmendenȱ anstoßen,ȱdieȱdannȱwiederȱzuȱeinerȱVerbesserungȱderȱLeistungȱfühȬ ren.ȱEineȱschwierigeȱHerausforderungȱistȱes,ȱzuȱeinerȱobjektiviertenȱ Beurteilungȱ undȱ richtigenȱ Interpretationȱ desȱ Verhaltensȱ zuȱ komȬ men,ȱdaȱdieȱZielgrößenȱoftȱvageȱsindȱ(Jöns,ȱ2000).ȱAuchȱdieȱAkzepȬ tanzȱdesȱFeedbacksȱistȱausschlaggebend,ȱumȱLernprozesseȱanstoßenȱ zuȱ können.ȱ Verschiedeneȱ Einflussfaktorenȱ könnenȱ aufȱ dieȱ AkzepȬ tanzȱdesȱFeedbacksȱnegativenȱoderȱpositivenȱEinflussȱnehmenȱ(vgl.ȱ Tabelleȱ4).ȱDieȱPersoneneinflüsseȱundȱdieȱArtȱdesȱFeedbacksȱwerdenȱ zudemȱbeeinflusstȱdurchȱdieȱAusgestaltungȱdesȱFeedbackprozessesȱ (z.B.ȱ inȱ Formȱ vonȱ Wertschätzung,ȱ Empathie,ȱ demȱ zeitlicherȱ AbȬ

229ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

stand,ȱderȱHäufigkeit)ȱsowieȱdieȱBeurteilungȱdesȱFeedbacksȱ(KonsisȬ tenzȱvonȱFremdȬȱundȱSelbstbild,ȱGlaubwürdigkeitȱetc.).ȱ

Tabelleȱ4ȱ

Akzeptanzrelevanteȱ Variablenȱ desȱ interpersonellenȱ Feedbackprozessesȱ (inȱ AnlehnungȱanȱJöns,ȱ2000)ȱ Merkmale der Quelle / des Art des Feedbacks Senders

Merkmale des Empfängers

z.B. (Urteils-)Kompetenz, Macht (Position), Attraktivität (Ähnlichkeit mit dem Gegenüber), Status, Prestige

z.B. Selbstwertgefühl

z.B. positiv – negativ, informativ (verhaltensbezogen) – bewertend (emotional), allgemein – spezifisch

ȱ Formalisierteȱ Mitarbeitendengesprächeȱ zwischenȱ derȱ Schulleitungȱ undȱdenȱLehrkräftenȱwerdenȱmittlerweileȱanȱvielenȱderȱSolothurnerȱ Pilotschulenȱumgesetzt.ȱBeiȱeinemȱgroßenȱTeilȱderȱLehrerinnenȱundȱ Lehrerȱ findenȱ dieȱ Gesprächeȱ regelmäßigȱ einmalȱ imȱ Jahrȱ undȱ beiȱ etwasȱ überȱ derȱ Hälfteȱ alleȱ zweiȱ Jahreȱ statt.ȱ Rundȱ einȱ Drittelȱ derȱ Lehrpersonenȱ bestätigteȱ inȱ derȱ Befragung,ȱ dassȱ dasȱ MAG,ȱ trotzȱ andererȱ informellerȱ Gesprächsmöglichkeitenȱ einȱ wesentlichesȱ Kommunikationsgefäßȱ istȱ undȱ dadurchȱ regelmäßigesȱ Feedbackȱ durchȱ dieȱ Schulleitungȱ verankertȱ wurde.ȱ Fürȱ dieȱ Qualitätȱ derȱ GeȬ sprächsführungȱ sindȱ dieȱ Schulleitungenȱ ganzȱ wesentlichȱ verantȬ wortlich,ȱdaȱsieȱalsȱFeedbackgebendeȱeineȱguteȱGesprächsatmosphäȬ reȱschaffenȱmüssenȱundȱdenȱFeedbackprozessȱimȱGesprächȱsteuern.ȱ EineȱüberwiegendȱpositiveȱBewertungȱerfahrenȱdieȱgrundsätzlichenȱ Rahmenbedingungenȱ derȱ Durchführungȱ vonȱ MitarbeitendengeȬ sprächenȱ anȱ denȱ untersuchtenȱ Schulen:ȱ ausreichendȱ langeȱ GeȬ sprächsdauer,ȱVorbereitungȱdurchȱdieȱSchulleitung,ȱoffene,ȱehrlicheȱ undȱ partizipativeȱ Gesprächsatmosphäre,ȱ nachvollziehbareȱ RückȬ meldungenȱundȱLeistungsbegründungenȱ(vgl.ȱPekruhlȱetȱal.,ȱ2005).ȱ Demgegenüberȱ fälltȱ dieȱ Einschätzungȱ derȱ Qualitätȱ desȱ Feedbacksȱ imȱRahmenȱdesȱMAGȱwenigerȱpositivȱausȱ(vgl.ȱTabelleȱ5).ȱ

230ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

Wahrgenommeneȱ Qualitätȱ derȱ Feedbacksȱ durchȱ dieȱ Schulleitungȱ anȱ dieȱ LehrpersonenȱimȱRahmenȱdesȱMAGȱ(inȱProzent)ȱ(Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005)ȱ (fast) nie

selten

ab und zu

häufig

(fast) immer

Ich erhalte in den MAG konkrete Hinweise, welche zusätzlichen Aufgaben ich noch übernehmen könnte oder sollte.

30

31

27

10

2

Ich erhalte im MAG konkrete Hinweise, wie ich mein Arbeits- und Sozialverhalten verbessern kann.

34

40

17

8

1

Ich erhalte im MAG konkrete Hinweise, wie ich meinen Unterricht verbessern kann.

26

36

26

11

1

8.2 Tabelleȱ5ȱ

Zwarȱlehnenȱ31.5%ȱderȱBefragtenȱdieȱAussageȱab,ȱbereitsȱnachȱmehȬ rerenȱ Gesprächenȱ zuȱ wissen,ȱ woȱ sieȱ inȱ ihrerȱ Entwicklungȱ stehen.ȱ DennochȱgenügtȱdieȱQualitätȱdesȱFeedbacksȱinȱdenȱMAGȱnachȱMeiȬ nungȱderȱLehrpersonenȱnurȱzumȱTeil,ȱumȱalsȱUnterstützungȱfürȱihreȱ Arbeitȱzuȱdienen.ȱAlsȱnichtȱrelevantȱundȱwenigȱhilfreichȱbzw.ȱunterȬ stützendȱfürȱdieȱeigeneȱArbeitȱerlebtȱeinȱViertelȱ(26%)ȱderȱLehrperȬ sonenȱdieȱGesprächsthemen.ȱZudemȱnehmenȱ62%ȱderȱBefragtenȱdasȱ Feedbackȱ alsȱ zuȱ undifferenziertȱ oderȱ nurȱ alsȱ partiellȱ ausreichendȱ differenziertȱ wahr.ȱ Entsprechendȱ niedrigȱ fallenȱ auchȱ dieȱ SchätzunȬ genȱ aus,ȱ wieȱ häufigȱ dieȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ vonȱ ihrenȱ VorgeȬ setztenȱkonkreteȱVerbesserungsvorschlägeȱfürȱihrenȱUnterrichtȱoderȱ ihrȱ Verhaltenȱ imȱ Arbeitskontextȱ erhalten:ȱ 9%ȱ bzw.ȱ 12%ȱ erhaltenȱ solcheȱHinweiseȱhäufigȱoderȱ(fast)ȱimmerȱundȱ17%ȱbzw.ȱ27%ȱnurȱabȱ undȱ zu.ȱ Ähnlichȱ zeigtȱ sichȱ dieȱ Verteilungȱ beiȱ denȱ Hinweisenȱ zurȱ Unterrichtsgestaltung:ȱ nurȱ 12%ȱ erhaltenȱ immerȱ oderȱ häufigȱ AnreȬ gungenȱ vonȱ ihrer/ihremȱ Vorgesetztenȱ undȱ 26%ȱ abȱ undȱ zu.ȱ AllerȬ dingsȱgestehenȱauchȱnurȱ42%ȱderȱBefragtenȱdenȱSchulleitungenȱzu,ȱ imȱ Rahmenȱ desȱ MAGȱ Einflussȱ aufȱ dieȱ Unterrichtsgestaltungȱ zuȱ nehmen.ȱ Vergleichtȱ manȱ dieȱ Einschätzungȱ derȱ Qualitätȱ desȱ MAGȱ nachȱGeschlecht,ȱsoȱzeigenȱsichȱdeutlicheȱUnterschiede:ȱnurȱ64%ȱderȱ FrauenȱnehmenȱeineȱhoheȱQualitätȱbeiȱdenȱdurchgeführtenȱGespräȬ chenȱ wahr,ȱ währendȱ esȱ beiȱ denȱ Männernȱ immerhinȱ 81%ȱ sindȱ (Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005).ȱȱ Beeinträchtigtȱ wirdȱ dieȱ Qualitätȱ desȱ Feedbacksȱ derȱ Schulleitungenȱ auchȱ durchȱ dieȱ Organisationȱ derȱ Schulen.ȱAnȱ denȱ meistenȱ Schulenȱ

231ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

habenȱSchulleitungenȱaufgrundȱflacherȱHierarchienȱeineȱgroßeȱFühȬ rungsspanneȱ zuȱ bewältigen.ȱ Hierausȱ resultierenȱ fehlendeȱ ZeitresȬ sourcen,ȱumȱmehrereȱUnterrichtsbesucheȱabzuhalten.ȱEntsprechendȱ könnenȱ vorgesetzteȱ Personenȱ nurȱ aufȱ eineȱ geringeȱAnzahlȱ vonȱ unȬ mittelbarenȱUnterrichtsbeobachtungenȱzurȱindividuellenȱLeistungsȬ rückmeldungȱ zurückgreifen,ȱ soȱ dassȱ ergänzendȱ weitereȱ FeedbackȬ quellenȱeinbezogenȱwerdenȱmüssen.ȱ Dieȱ Funktionȱ desȱ Feedbacksȱ innerhalbȱ einesȱ MAGȱ beschreibtȱ zugleichȱseinenȱNutzen:ȱRückmeldungenȱanȱdieȱFeedbackȱnehmenȬ deȱPersonȱsolltenȱsichȱzukünftigȱaufȱderenȱHandelnȱauswirkenȱ(vgl.ȱ Fiegeȱetȱal.,ȱ2001).ȱImȱRahmenȱderȱEvaluationsstudieȱwurdeȱdeshalbȱ danachȱ gefragt,ȱ welchenȱ Niederschlagȱ dieȱ Rückmeldungenȱ derȱ Schulleitungȱ beiȱ denȱ Lehrkräftenȱ gefundenȱ haben:ȱ obȱ z.B.ȱ derȱ UnȬ terrichtȱ durchȱ dieȱ Lehrkraftȱ verändertȱ wurde,ȱ obȱ eineȱ PersonalentȬ wicklungsȬ/Weiterbildungsmaßnahmeȱ besuchtȱ wurdeȱ oderȱ obȱ zuȬ mindestȱ einȱ persönlicherȱ Nutzenȱ wahrgenommenȱ wird.ȱ Dieȱ wahrȬ genommeneȱ Wirkungȱ wirdȱ vonȱ denȱ befragtenȱ Lehrkräftenȱ desȱ KantonsȱSolothurnȱimȱHinblickȱaufȱdieȱgenanntenȱAspekteȱalsȱeherȱ geringȱeingeschätztȱ(vgl.ȱTabelleȱ6).ȱ

Tabelleȱ6ȱ

WahrgenommeneȱWirkungȱderȱMitarbeitendengesprächeȱbeiȱdenȱbefragtenȱ Lehrkräftenȱ(inȱProzent)ȱ(Pekruhlȱetȱal.,ȱ2005)ȱ trifft überhaupt nicht zu

trifft eher nicht zu

teilsteils

trifft eher zu

trifft völlig zu

Diese Gespräche bringen mir persönlich nur sehr wenig.

18

40

16

18

8

Ich nehme als Folge des MAB-Gesprächs an speziellen Weiterbildungen teil.

35

40

20

5

0

Ich habe meinen Unterricht aufgrund von Hinweisen der Schulleitung in diesen Gesprächen verändert.

21

37

28

14

1

ȱ Diesȱ betrifftȱ zumȱ einenȱ denȱ persönlichenȱ Nutzen,ȱ aberȱ auchȱ dieȱ TeilnahmeȱanȱspeziellenȱWeiterbildungen,ȱdieȱausȱdemȱMAGȱresulȬ tierenȱkönnen:ȱfürȱ75%ȱderȱBefragtenȱspieltȱdieserȱAspektȱkeineȱRolȬ le.ȱDemgegenüberȱgebenȱ43%ȱderȱBefragtenȱalsȱFolgeȱdesȱMAGȱmitȱ

232ȱ

Personalführung und Instrumente des HRM an Schulen

8.2

derȱSchulleitungȱan,ȱamȱUnterrichtȱetwasȱzuȱverändern.ȱDabeiȱhänȬ genȱ dieȱ Aussagenȱ zurȱ wahrgenommenenȱ Wirkungȱ auchȱ vomȱ AnȬ stellungspensumȱ derȱ Lehrpersonȱ ab:ȱ Personenȱ mitȱ einemȱ 50%Ȭ Pensumȱ oderȱ wenigerȱ berichtenȱ eherȱ vonȱ einerȱ wahrgenommenenȱ WirkungȱderȱMAGȱalsȱPersonenȱmitȱhöherenȱPensen.ȱ Esȱkannȱfestgehaltenȱwerden,ȱdassȱMAGȱanȱdenȱevaluiertenȱSchulenȱ mittlerweileȱgutȱakzeptiertȱ werden.ȱ Daȱ inȱ denȱ Gesprächenȱdieȱ vorȬ geschlageneȱ Beurteilungȱ derȱ Lehrpersonȱ diskutiertȱ undȱ anschlieȬ ßendȱ definitivȱ festgelegtȱ wird,ȱ hängtȱ dieȱAkzeptanzȱ derȱ MAGȱ engȱ mitȱ derȱ Transparenzȱ desȱ Verfahrensȱ zusammen,ȱ mittelsȱ dessenȱ dieȱ Leistungsbeurteilungȱ zustandeȱ kommt.ȱ Währendȱ dieȱ RahmenbeȬ dingungenȱ fürȱ dieȱ Durchführungȱ desȱ MAGȱ überwiegendȱ positivȱ beurteiltȱ werden,ȱ zeigtȱ sichȱ inȱ derȱ Qualitätȱ desȱ Feedbacksȱ nochȱ deutlichesȱ Verbesserungspotential.ȱ Dieȱ geringeȱ wahrgenommeneȱ Wirkungȱlässtȱdaraufȱschließen,ȱdassȱdieȱMAGȱnebenȱderȱKommuȬ nikationȱ derȱ Beurteilungȱ bislangȱ vornehmlichȱ eineȱ psychosozialeȱ Funktionȱzuȱerfüllenȱerscheinen.ȱȱ Erwähnenswertȱ istȱ inȱ diesemȱ Zusammenhangȱ einȱ weitererȱ Befund:ȱ AnȱSchulenȱohneȱLeistungsbonusȱsindȱkeineȱentsprechendenȱPersoȬ nalführungsȬȱoderȱHRMȬInstrumenteȱeingeführtȱwordenȱoderȱdieseȱ sindȱdeutlichȱwenigerȱelaboriertȱundȱumfassend.ȱUndȱdieȱbefragtenȱ Lehrpersonenȱvermuten,ȱdassȱohneȱeinenȱBonusȱdieȱErnsthaftigkeitȱ undȱ dieȱ Regelmäßigkeitȱ derȱ MAGȱ nachlassenȱ würdenȱ (ebd.).ȱ Dieȱ Kopplungȱ derȱ Mitarbeitendenbeurteilungȱ mitȱ derȱ Ausschüttungȱ einesȱ jährlichenȱ Leistungsbonusȱ scheintȱ dieȱ Implementierungȱ vonȱ Mitarbeitendengesprächenȱ anȱ denȱ Solothurnerȱ BerufsȬȱ undȱ KanȬ tonsschulenȱoffensichtlichȱgefördertȱzuȱhaben.ȱ Zusammenfassendȱ zeigtȱ sichȱ inȱ derȱ Beurteilungȱ undȱ wahrgenomȬ menenȱ Wirkungȱ derȱ einzelnenȱ HRȬInstrumenteȱ dasȱ Dilemmaȱ derȱ „geführtenȱ Autonomie“.ȱ Zwarȱ werdenȱ dieȱ Vorzügeȱ vonȱ einzelnenȱ Verfahrenȱ mittlerweileȱ geschätzt,ȱ diesȱ jedochȱ vorȱ allemȱ wegenȱ derȱ damitȱverbundenenȱWertschätzungȱundȱAnerkennungȱderȱLehrkräfȬ teȱ durchȱ dieȱ Schulleitungȱ imȱ Sinneȱ einerȱ nachträglichenȱ HonorieȬ rung.ȱ Verbindlicheȱ Vereinbarungenȱ inȱ Bezugȱ aufȱ Zieleȱ undȱ MaßȬ nahmenȱ mitȱ derȱ Schulleitungȱ begegnenȱ Lehrpersonenȱ demgegenȬ überȱ eherȱ mitȱ einerȱ ablehnendenȱ Haltung,ȱ daȱ Eingriffeȱ inȱ ihreȱ Autonomieȱ undȱ Selbstbestimmtheitȱ befürchtetȱ werden.ȱ Inȱ diesemȱ

233ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

Spannungsfeldȱ eineȱ ausgewogeneȱ Balanceȱ zuȱ finden,ȱ stelltȱ eineȱ zentraleȱHerausforderungȱvonȱSchulleitungenȱdar.ȱ

8.3

Resümee

Ausȱ denȱ Ergebnissenȱ derȱ Evaluationsstudieȱ derȱ MABȬLEBOȬ Systemeȱ desȱ Kantonsȱ Solothurnȱ sowieȱ denȱ Konzeptenȱ undȱ empiriȬ schenȱ Ergebnissenȱ derȱ vorliegendenȱ Literaturȱ lassenȱ sichȱ einigeȱ Handlungsempfehlungenȱableiten,ȱdieȱbeiȱderȱImplementierungȱvonȱ PersonalführungsȬȱbzw.ȱHRMȬInstrumentenȱimȱschulischenȱKontextȱ zuȱberücksichtigenȱsind.ȱȱ

8.3.1

234ȱ

Implementierung eines Zielvereinbarungssystems an Schulen

Buhrenȱ undȱ Rolffȱ (2002,ȱ S.ȱ 71)ȱ konkretisierenȱ dasȱ Instrumentȱ derȱ Zielvereinbarungenȱ undȱ unterscheidenȱ dreiȱ schulspezifischeȱ Artenȱ vonȱ Zielen:ȱ Einzelarbeitszieleȱ (mitȱ Bezugȱ zuȱAufgabenȱ undȱ täglicherȱ Zusammenarbeit),ȱSystemzieleȱ(zurȱEntwicklungȱdesȱSystemsȱSchuleȱ oderȱ einzelnerȱ Teilbereiche)ȱ sowieȱ persönlicheȱ Entwicklungszieleȱ (dieȱ derȱ individuellenȱ Förderungȱ derȱ Lehrkräfteȱ dienen).ȱ Geradeȱ beimȱ AspektȱderȱSelbstbestimmtheitȱwirdȱdeutlich,ȱdassȱsichȱderȱArbeitsȬ kontextȱ vonȱ Lehrpersonenȱ mitȱ seinemȱ hohenȱ Maßȱ anȱ HandlungsȬ spielraumȱ fürȱ dieȱ Setzungȱ sinnvollerȱ undȱ wirksamerȱ Zieleȱ eignet.ȱ MitȱBezugȱzurȱWeiterentwicklungȱderȱSchulqualitätȱistȱjedochȱauchȱ zuȱdefinieren,ȱwelchesȱdieȱrelevantenȱLeistungszieleȱfürȱeineȱSchuleȱ sind.ȱ Dieȱ individuellenȱ Zielinhalteȱ sindȱ dannȱ wiederumȱ aufȱ dieȱ LeistungszieleȱderȱSchuleȱabzustimmen.ȱZiele,ȱdieȱdurchȱdieȱSchulȬ leitungenȱvorgegebenȱwerden,ȱkönnenȱalsȱChanceȱzurȱpersönlichenȱ Entwicklungȱoderȱ aberȱauchȱ alsȱ Einmischungȱ inȱ persönlicheȱAngeȬ legenheitenȱ verstandenȱ werden.ȱ Eineȱ partizipativeȱ Einbindungȱ derȱ Lehrkräfteȱ beiȱ derȱ Ausformulierungȱ undȱ Definitionȱ vonȱ Zielenȱ istȱ fürȱdieȱAkzeptanzȱdiesesȱInstrumentsȱentscheidend.ȱZudemȱsolltenȱ dieȱvereinbartenȱZieleȱmöglichstȱrepräsentativȱfürȱdenȱAufgabenbeȬ reichȱ derȱ Lehrpersonȱ seinȱ undȱ mitȱ weiterenȱ Zielenȱ nichtȱ konfligieȬ ren.ȱ Weitereȱ Herausforderungenȱ bestehenȱ darin,ȱ dassȱ dieȱ AnsprüȬ cheȱ undȱ Vorgabenȱ derȱ Schulbehördenȱ mitȱ denȱ selbstȱ gesetztenȱ

Resümee

8.3

Schulentwicklungszielenȱ abzugleichenȱ sind.ȱ Zudemȱ sindȱ langfristiȬ geȱ Entwicklungenȱ undȱ kurzfristigeȱ Aufträgeȱ beiȱ derȱ ZielformulieȬ rungȱ zuȱ berücksichtigen.ȱ Soȱ müssenȱ Zielvereinbarungenȱ zwarȱ mitȱ derȱ Planungȱ desȱ Schuljahresȱ synchronisiertȱ werden,ȱ aberȱ auchȱ geȬ nügendȱ Flexibilitätȱ beinhalten,ȱ umȱ Zieländerungenȱ undȱ –korrektuȬ renȱ ausȱ demȱ „Alltagsgeschäft“ȱ berücksichtigenȱ zuȱ können.ȱ Daȱ dieȱ Führungsspannenȱ anȱ denȱmeistenȱ Schulenȱ großȱsindȱ undȱ dasȱ FühȬ renȱ vonȱ Zielvereinbarungsgesprächenȱ fürȱ dieȱ Schulleitungenȱ einenȱ hohenȱZeitaufwandȱbedeutet,ȱsollteȱauchȱdieȱMöglichkeitȱüberprüftȱ werden,ȱ obȱ Mitarbeitendengesprächeȱ undȱ Zielvereinbarungenȱ anȱ Stellvertretungen,ȱStufenȬȱoderȱAbteilungsleitendeȱdelegiertȱwerdenȱ können.ȱSowohlȱunterȱzeitwirtschaftlichenȱalsȱauchȱunterȱpsycholoȬ gischenȱ Gesichtspunktenȱ ließeȱ sichȱ fürȱ Schulenȱ dasȱ Konzeptȱ vonȱ ZielvereinbarungenȱaufȱGruppenebeneȱweiterentwickeln.ȱKollegialeȱ Beratungenȱ sindȱ gruppenorientierteȱ Konzepte,ȱ dieȱ zumȱ einenȱ eineȱ unterstützendeȱ Funktionȱ fürȱ dieȱ Lehrkräfteȱ selbstȱ habenȱ können.ȱ Zumȱ anderenȱ würdenȱ sieȱ inȱ Verbindungȱ mitȱ Zielvereinbarungenȱ zurȱ Entwicklungȱ derȱ Kooperationskulturȱ innerhalbȱ derȱ Schulenȱ beitragen.ȱKollegialeȱKonzepteȱkönntenȱsomitȱnichtȱnurȱdieȱgemeinȬ sameȱ Qualitätsentwicklungȱ unterstützen,ȱ sondernȱ auchȱ dieȱ Kulturȱ derȱZusammenarbeitȱanȱdenȱSchulenȱfördern.ȱ

8.3.2

Neuordnung und Transparenz der Personalführungsaufgaben

Dieȱ Ergebnisseȱ derȱ Untersuchungȱ zeigenȱ eineȱ breiteȱ Skepsisȱ derȱ Lehrkräfteȱ gegenüberȱ einerȱ Schulleitung,ȱ dieȱ inȱ verstärktemȱ Masseȱ dieȱRolleȱderȱPersonalführungȱübernimmtȱresp.ȱübernehmenȱmöchȬ te.ȱ Mitȱ demȱ „Dilemmaȱ derȱ geführtenȱAutonomie“ȱ lässtȱ sichȱ dieȱ SiȬ tuationȱ derȱ Schulleitungenȱ wohlȱ treffendȱ beschreiben.ȱ Hierȱ istȱ einȱ WandelȱimȱDenkenȱundȱHandelnȱallerȱMitgliederȱdesȱSystemsȱSchuȬ leȱ inȱ Gangȱ zuȱ bringen,ȱ derȱ nurȱ durchȱ ausreichendȱ Zeit,ȱ reflektierteȱ Prozessgestaltungȱ undȱ Ȭbegleitungȱ sowieȱ transparenteȱ Strukturenȱ zuȱ bewältigenȱ ist.ȱ Hierbeiȱ liegtȱ esȱ nachȱ Nakamura,ȱ Leemannȱ undȱ Hollenwegerȱ(2005,ȱS.ȱ208)ȱauchȱimȱAufgabenkreisȱderȱSchulleitung,ȱ dieȱ hoheȱ Gruppenkohäsion,ȱ dieȱ sichȱ beiȱ Lehrkollegienȱ beobachtenȱ lässt,ȱalsȱeineȱwichtigeȱRessourceȱimȱZugeȱvonȱReformbemühungenȱ anȱSchulenȱzuȱnutzen.ȱȱ

235ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

Dasȱ Führungshandelnȱ vonȱ Schulleitungenȱ bewegtȱ sichȱ inȱ einemȱ Spannungsfeldȱ zwischenȱ Moderationȱ undȱ EntscheidungskompeȬ tenz.ȱUmȱeineȱangemesseneȱBalanceȱzuȱfinden,ȱistȱesȱeinerseitsȱwichȬ tig,ȱFeedbacksystemeȱzuȱimplementierenȱundȱzuȱnutzen,ȱumȱrechtȬ zeitigȱ steuerndȱ eingreifenȱzuȱ können.ȱAndererseitsȱ solltenȱ FunktioȬ nen,ȱ Aufgabenȱ undȱ Entscheidungskompetenzenȱ derȱ Schulleitung,ȱ derȱ stellvertretendenȱ Personen,ȱ besondererȱ Funktionsträgerȱ sowieȱ desȱ übrigenȱ Lehrpersonalsȱ klarȱ definiertȱ sein.ȱ Hierfürȱ istȱ unterȱ BeȬ teiligungȱdesȱLehrpersonalsȱzuȱdiskutieren,ȱwasȱgenauȱunterȱPersoȬ nalführungsaufgabenȱ derȱ Schulleitungȱ zuȱ verstehenȱ ist:ȱ Welcheȱ Personalführungspraxisȱ passtȱ zurȱ jeweiligenȱ Schule,ȱ zumȱ SchulkliȬ ma,ȱzumȱLeitbildȱderȱSchule?ȱDiesȱinȱderȱPraxisȱumzusetzenȱerforȬ dertȱsowohlȱdieȱsystematischeȱQualifizierungȱderȱSchulleitungenȱfürȱ PersonalführungsȬȱ undȱ HRMȬAufgabenȱ alsȱ auchȱ dieȱ Einführungȱ vonȱ Fachfunktionen,ȱ dieȱ dieȱ Planungȱ undȱ Konzeptualisierungȱ vonȱ HRMȬInstrumentenȱgemeinsamȱmitȱderȱSchulleitungȱübernehmen.ȱ

8.3.3

Abstimmung von Schul- und Personalentwicklung

EinȱleitbildbezogenerȱAnsatzȱkannȱdieȱDiskussionȱumȱdieȱerwünschȬ tenȱ Leistungskriterienȱ unterstützenȱ undȱ zurȱ Akzeptanzȱ durchȱ dieȱ Betroffenenȱbeitragen:ȱGuteȱQualitätȱistȱdas,ȱwasȱdieȱSchuleȱfürȱsichȱ alsȱguteȱQualitätȱdeklariert.ȱȱ Personalentwicklungȱ vonȱ Lehrpersonenȱ anȱ Schulenȱ mussȱ aufȱ dieȱ EntwicklungsȬȱ undȱ Qualitätszieleȱ derȱ Schuleȱ hinȱ abgestimmtȱ werȬ den.ȱWieȱempirischȱgutȱbelegt,ȱzeichnenȱsichȱwirksameȱSchulleitunȬ genȱ u.a.ȱ durchȱ dieȱ Erstellungȱ vonȱ Bildungsplänenȱ fürȱ dasȱ LehrkolȬ legiumȱaus.ȱȱ Personalentwicklungsmaßnahmenȱ derȱ Lehrerschaftȱ tragenȱ damitȱ maßgeblichȱ zurȱ Qualitätsverbesserungȱ anȱ Schulenȱ beiȱ undȱ solltenȱ folgendeȱZieleȱumfassen:ȱȱ 1. dieȱSelbstreflexionȱderȱeigenenȱProfessionalität,ȱȱ 2. derȱ Wissenszuwachsȱ inȱ denȱ Fachbereichenȱ sowieȱ denȱ ErzieȬ hungswissenschaftenȱbzw.ȱderȱUnterrichtspädagogikȱsowieȱȱ

236ȱ

Literatur

8.4

3. derȱZuwachsȱanȱMethodenkompetenz,ȱumȱdieȱgemeinsameȱQuaȬ litätsentwicklungȱimȱKollegiumȱbegleitenȱzuȱkönnenȱ(vgl.ȱDubs,ȱ 2005,ȱS.ȱ315).ȱ UndȱschließlichȱzeichnetȱsichȱdieȱberuflicheȱEntwicklungȱvonȱLehrȬ personenȱvorȱallemȱdurchȱeinȱMerkmalȱaus:ȱvertikaleȱKarrierewegeȱ sindȱnurȱwenigenȱLehrpersonenȱvorbehalten.ȱAndereȱMöglichkeitenȱ liegenȱu.a.ȱimȱBereichȱderȱfachlichenȱWeiterbildungȱundȱderȱPersönȬ lichkeitsentwicklung.ȱ Demȱ mussȱ dieȱ Personalentwicklungȱ RechȬ nungȱ tragen,ȱ indemȱ sieȱ Laufbahnmodelleȱ anbietet,ȱ dieȱ solcheȱ EntȬ wicklungsperspektivenȱ berücksichtigen.ȱ Eineȱ Schweizerȱ Studieȱ beȬ legt,ȱdassȱsolcheȱLaufbahnkonzepteȱbeiȱLehrpersonenȱaufȱeineȱhoheȱ Akzeptanzȱstoßenȱ(Leutwyler,ȱSieberȱ&ȱDiebold,ȱ2005).ȱ

8.4

Literatur

Bonsen,ȱM.,ȱvonȱderȱGathen,ȱJ.,ȱIglhaut,ȱC.ȱ&ȱPfeiffer,ȱH.ȱ(2002).ȱDieȱ WirksamkeitȱvonȱSchulleitung.ȱWeinheim:ȱJuventaȱVerlag.ȱȱ Buhren,ȱ C.ȱ G.ȱ &ȱ Rolff,ȱ H.ȬG.ȱ (2002).ȱ Personalentwicklungȱ inȱ Schulen.ȱ Weinheim:ȱBeltzȱVerlag.ȱȱ Dalin,ȱ P.ȱ &ȱ Rolff,ȱ H.ȬG.ȱ (1990).ȱ Dasȱ institutionelleȱ SchulentwicklungsȬ programm.ȱSoest:ȱLandesinstitutȱfürȱSchule.ȱ vanȱDick,ȱR.ȱ&ȱWegge,ȱJ.ȱ(2004).ȱArbeitsgestaltung,ȱZielvereinbarungȱ undȱ beruflicheȱ Identifikation:ȱ Dreiȱ zentraleȱ Ansatzpunkteȱ zurȱ FörȬ derungȱvonȱArbeitsmotivation.ȱInȱJ.ȱWeggeȱ&ȱK.H.ȱSchmidtȱ(Hrsg.),ȱ Förderungȱ vonȱ Arbeitsmotivationȱ undȱ Gesundheitȱ inȱ Organisationenȱ (S.ȱ 213Ȭ238).ȱGöttingen:ȱHogrefe.ȱ Dubs,ȱR.ȱ(2005).ȱDieȱFührungȱeinerȱSchule.ȱZürich:ȱVerlagȱSKV.ȱȱ Dubs,ȱ R.ȱ (2002).ȱ Dieȱ Honorierungȱ vonȱ Lehrkräften.ȱ GerechteȱAnerȬ kennungȱvonȱLeistungȱundȱEngagementȱ–ȱUtopieȱoderȱrealistischesȱ Ziel?ȱInȱH.ȱBuchen,ȱL.ȱHorsterȱ&ȱH.ȬG.ȱRolffȱ(Hrsg.),ȱSchulleitungȱundȱ Schulentwicklungȱ(Cȱ5.5).ȱBerlin:ȱRaabe.ȱ Drucker,ȱP.ȱF.ȱ(1954).ȱTheȱpracticeȱofȱmanagement.ȱNewȱYork:ȱHarper.ȱȱ

237ȱ

8

Human Resource Management als Aufgabe der Schulleitung

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238ȱ

Literatur

8.4

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239ȱ

Gegenstand und Ausgangslage

9.1

ȱ

Innovatives Personalmanagement als effektiver Hebel zur Kulturentwicklung und Belastungsoptimierung an Schulen

Kapitel 9

Oliver Strohm, Urs Wanner und Veronika Niederhauser

241ȱ

Gegenstand und Ausgangslage

9.1

9.1

Gegenstand und Ausgangslage

Staatlicheȱ undȱ privateȱ NonȬProfitȬOrganisationenȱ sindȱ vorȱ demȱ HintergrundȱerweiterterȱAnforderungenȱȬȱparallelȱzurȱKürzungȱoderȱ bestenfallsȱbeiȱzeitgleichemȱErhaltȱderȱpersonellenȱundȱfinanziellenȱ Ressourcenȱ Ȭȱ zunehmendȱ dazuȱ aufgefordert,ȱ ihreȱAusrichtungȱ undȱ Organisationsgestaltungȱ zuȱ optimieren.ȱ Damitȱ sindȱ strategische,ȱ strukturelleȱundȱkulturelleȱHerausforderungenȱverbunden,ȱdieȱhäuȬ figȱauchȱmitȱderȱFrageȱeinhergehen,ȱobȱeinȱAlleingangȱoderȱeinȱZuȬ sammenschlussȱ mitȱ anderenȱ Organisationenȱ z.B.ȱ imȱ Rahmenȱ einesȱ FusionsprozessesȱdieȱnachhaltigereȱStrategieȱdarstellen.ȱImȱRahmenȱ diesesȱ Artikelsȱ wirdȱ amȱ Beispielȱ derȱ Integrationȱ vonȱ vierȱ BerufsȬ schulenȱ aufgezeigt,ȱ wieȱ einȱ Fusionsprozessȱ überȱ angepassteȱ undȱ vereinheitlichteȱ Formenȱ desȱ Personalmanagementsȱ sinnvollȱ unterȬ stütztȱwerdenȱkann.ȱ ImȱKantonȱGraubündenȱwurden,ȱdurchȱdasȱErgebnisȱeinerȱAbstimȬ mungȱ derȱ Bürgerinnenȱ undȱ Bürgerȱ legitimiert,ȱ dreiȱ bislangȱ unabȬ hängigȱ voneinanderȱ agierendeȱ Pflegeschulenȱ sowieȱ dreiȱ AbteilunȬ genȱ einerȱ weiterenȱ Fachschuleȱ fusioniertȱ undȱ inȱ dasȱ BildungszentȬ rumȱfürȱGesundheitȱundȱSozialesȱ(BGS)ȱintegriert.ȱAnȱdiesenȱSchrittȱ sindȱ EffektivitätsȬ,ȱ EffizienzȬȱ undȱ Qualitätszieleȱ geknüpft.ȱ Derȱ InȬ tegrationsprozessȱ verlangtȱ dabeiȱ nebenȱ strategischen,ȱ strukturellenȱ undȱ kulturellenȱ Konsequenzenȱ auchȱ infrastrukturelleȱ bzw.ȱ stanȬ dortbezogeneȱ Maßnahmen.ȱ Bezüglichȱ desȱ zuletztȱ genanntenȱ AsȬ pektsȱheißtȱdies,ȱdassȱz.B.ȱfürȱdasȱBGSȱinȱderȱStadtȱChurȱeinȱneuerȱ Ausbildungsstandortȱ bestimmtȱ wurde.ȱ Vonȱ derȱ Integrationȱ inȱ dasȱ BGSȱwarenȱinsgesamtȱ75ȱMitarbeitendeȱbetroffen.ȱȱ BislangȱwurdenȱanȱdenȱeinzelnenȱAusbildungsstättenȱzumȱTeilȱsehrȱ unterschiedlicheȱ Schulstrukturenȱ undȱ Ȭkulturenȱ praktiziertȱ undȱ gepflegt.ȱ Diesȱ zeigteȱ sichȱ u.a.ȱ inȱ derȱ Formȱ desȱ PersoȬ nalmanagements.ȱ Bedeutsameȱ Unterschiedeȱ betrafenȱ inȱ diesemȱ Zusammenhangȱu.a.ȱdieȱfolgendenȱAspekte:ȱ

„ FormȱundȱSystematikȱderȱPersonalplanung,ȱ „ AusgestaltungȱvonȱTätigkeitsprofilenȱimȱAusbildungsbereich,ȱ „ GewichtungȱverschiedenerȱTätigkeiten,ȱ „ HandhabungȱundȱErfassungȱderȱArbeitszeiten,ȱ

243ȱ

9

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

„ TransparenzȱbezüglichȱderȱArbeitszeiten,ȱ „ HandhabungȱvonȱÜberzeiten.ȱ ImȱRahmenȱdesȱIntegrationsprozessesȱwurdeȱdaherȱnebenȱspezifischȱ strategischen,ȱ strukturellenȱ undȱ kulturellenȱ Maßnahmenȱ auchȱ eineȱ VereinheitlichungȱdesȱPersonalmanagementsȱvorangetrieben.ȱDabeiȱ wurdenȱ dieȱ Personalplanung,ȱ derȱ Personaleinsatz,ȱ dasȱ ArbeitszeitȬ modellȱ sowieȱ dieȱ Arbeitszeiterfassungȱ undȱ Ȭbewirtschaftungȱ alsȱ zentraleȱProjektthemenȱdefiniertȱundȱweiterentwickelt.ȱ MitȱeinemȱBeschlussȱderȱRegierungȱdesȱKantonsȱGraubündenȱwurȬ deȱ dieȱ Projektgruppeȱ bestehendȱ ausȱ Vertreterinnenȱ undȱ Vertreternȱ derȱ verschiedenenȱ Schulenȱ u.a.ȱ damitȱ beauftragt,ȱ einȱ einheitlichesȱ Arbeitszeitmodellȱ aufȱ derȱ Basisȱ einesȱ Jahresarbeitszeitkonzeptsȱ zuȱ spezifizierenȱ undȱ zuȱ pilotieren.ȱ Dieȱ Projektarbeitenȱ wurdenȱ durchȱ dasȱInstitutȱfürȱArbeitsforschungȱundȱOrganisationsberatungȱZürichȱ (iafob)ȱberatendȱbegleitet.ȱ

Tabelleȱ1ȱ

ZieleȱdesȱerweitertenȱPersonalmanagementsȱamȱBildungszentrumȱfürȱGeȬ sundheitȱundȱSozialesȱ(BGS)ȱ Mitarbeitendenbezogene Ziele

BGS-bezogene Ziele

Möglichkeiten zur individuellen und flexiblen Arbeitszeitgestaltung

Realistische und effektive Personalplanung

Belastungsoptimierung

Transparenz bezüglich der Aufgaben und Aktivitäten der Mitarbeitenden

Abstimmung der beruflichen, familiären und sozialen Bedürfnisse und Verpflichtungen der Mitarbeitenden Möglichkeiten und Freiheitsgrade zur beruflichen Entwicklung und Weiterbildung

Konsistenz im Arbeitseinsatz der Mitarbeitenden Erweiterte Basis für Mitarbeitendengespräche und systematische Führungsprozesse

Orientierungsrahmen für einen effektiven Förderung einer offenen und vertrauensArbeitszeiteinsatz in den verschiedenen orientierten Kultur Tätigkeitsbereichen Erhöhung der Attraktivität des BGS als Arbeitgeber Transparenz über den eigenen Arbeitseinsatz

ȱ

244ȱ

Ziele und konzeptioneller Rahmen

9.2

9.2

Ziele und konzeptioneller Rahmen

Mitȱ derȱVereinheitlichungȱundȱ Weiterentwicklungȱ desȱ PersonalmaȬ nagementsȱ wurdenȱ dieȱ inȱ Tabelleȱ 1ȱ festgehaltenenȱ Zieleȱ verfolgt.ȱ Dabeiȱ wurdeȱ aufȱ eineȱ möglichstȱ ausgewogeneȱ Einlösungȱ vonȱ miȬ tarbeitendenbezogenenȱundȱBGSȬbezogenenȱZielenȱgeachtet.ȱ Imȱ Sinneȱ dieserȱ Zielsetzungenȱ wurdeȱ einȱ Rahmenmodellȱ definiert,ȱ dasȱinȱAbbildungȱ1ȱdargestelltȱist.ȱDasȱArbeitszeitmodellȱsollȱdabeiȱ überȱ dieȱ Erfassungȱ vonȱ effektivenȱ IstȬZeitenȱ Ȭȱ undȱ ebenȱ nichtȱ wieȱ häufigȱimȱSchulbereichȱpraktiziertȱüberȱteilweiseȱwillkürlicheȱFaktoȬ renvorgabenȱ imȱ Sinneȱ einerȱ „Planwirtschaft“ȱ ohneȱ Transparenzȱ überȱ dieȱ realenȱArbeitszeitenȱ Ȭȱ eineȱ realistischeȱ undȱ faireȱ Formȱ derȱ PersonalplanungȱundȱdesȱPersonaleinsatzesȱunterstützen.ȱȱ

Abbildungȱ1ȱ

KonzeptionellerȱRahmenȱfürȱdasȱerweiterteȱPersonalmanagementȱamȱBGSȱ

xPersonalplanung xSoll-Orientierung für Arbeitseinsatz

Individuelle, effektive Arbeitszeiterfassung

xArbeitszeitadministration xArbeitszeitcontrolling

Ist- und Soll-Vergleich im Rahmen des Führungsprozesses

Systematische Optimierung des Arbeitseinsatzes und der individuellen und betrieblichen Arbeitszeiten

Transfer der Zeit-Saldi sowie empirisch fundierte Anpassung des Arbeitszeitmodells

Empirisch fundierte Verfeinerung der Faktorenvorgaben

Faktorenvorgaben

ȱ

Inȱ diesemȱ Sinneȱ dientȱ dieȱ Erfassungȱ derȱ effektivenȱ Arbeitszeitenȱ (rechteȱProzessseiteȱinȱAbbildungȱ1)ȱeinerseitsȱderȱArbeitszeitadmiȬ

245ȱ

9

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

nistrationȱ undȱ demȱ Arbeitszeitcontrolling.ȱ Dieseȱ Datenȱ bildenȱ aufȱ derȱ anderenȱ Seiteȱ jedochȱ auchȱ dieȱ Basisȱ fürȱ dieȱ Personalplanungȱ (linkeȱ Prozessseite),ȱ dieȱ aufȱ empirischȱ abgeleitetenȱ undȱ kontinuierȬ lichȱ angepasstenȱ Faktorenvorgabenȱ basiert.ȱ Imȱ Rahmenȱ desȱ FühȬ rungsprozessesȱwerdenȱdieȱIstȬȱundȱdieȱSollȬZeitenȱeinanderȱgegenȬ übergestelltȱ undȱ auchȱ imȱ Rahmenȱ vonȱ Mitarbeitendengesprächenȱ regelmäßigȱthematisiert.ȱDamitȱsollȱu.a.ȱeineȱsystematischeȱEffektiviȬ tätssteigerungȱ desȱ Arbeitseinsatzesȱ sowieȱ eineȱ Optimierungȱ derȱ individuellenȱ undȱ betrieblichenȱ Arbeitszeitenȱ sichergestelltȱ undȱ zugleichȱ derȱ Gefahrȱ einerȱ „kontinuierlichenȱ Selbstausbeutung“ȱ soȬ wieȱ möglichenȱ BurnoutȬProzessenȱ entgegengewirktȱ werdenȱ (vgl.ȱ vanȱDick,ȱ1999;ȱForneckȱ&ȱSchriever,ȱ2001;ȱKramisȬAebischer,ȱ1995).ȱ Imȱ Rahmenȱ derȱ Pilotphaseȱ desȱ JahresarbeitszeitȬModellsȱ wurdenȱ dieȱ effektivenȱArbeitszeitenȱ überȱ einȱJahrȱ vonȱ allenȱMitarbeitendenȱ individuellȱerfasstȱundȱalsȱBasisȱfürȱdieȱAbleitungȱvonȱerstenȱFaktoȬ renvorgabenȱgenutzt.ȱ

9.3

Das Jahresarbeitszeitmodell am BGS

Jahresarbeitszeitȱ (JAZ)ȱ repräsentiertȱ einȱ Arbeitszeitmodell,ȱ dasȱ vorȱ allemȱ auchȱ fürȱ Lehrpersonenȱ dazuȱ beitragenȱ kann,ȱ (1)ȱ typischeȱ SchwankungenȱimȱArbeitseinsatzȱüberȱdasȱJahrȱsinnvollȱabzubildenȱ undȱdabeiȱauchȱ(2)ȱimȱSinneȱerhöhterȱZeitsouveränitätȱalsȱeineȱwichȬ tigeȱpsychosozialeȱRessourceȱwirksamȱzuȱwerdenȱ(Ulich,ȱInversiniȱ&ȱ Wülser,ȱ 2002;ȱ Ulich,ȱ Trachsler,ȱ Wülserȱ &ȱ Inversini,ȱ 2003).ȱ Modelleȱ mitȱ festenȱ Arbeitszeitenȱ sindȱ inȱ Situationenȱ unterschiedlicherȱ ArȬ beitsauslastungȱ zuȱ unflexibelȱ undȱ habenȱ daherȱ häufigȱ eineȱ eherȱ kontraproduktiveȱ Wirkung.ȱ Modelleȱ derȱ Vertrauensarbeitszeitȱ –ȱ jederȱ undȱ jedeȱ erfülltȱ seinenȱArbeitsauftragȱ ohneȱ Berücksichtigungȱ derȱ darausȱ resultierendenȱ Arbeitszeitenȱ –ȱ könnenȱ dagegenȱ zuȱ InȬ konsistenzenȱ undȱ Ungerechtigkeitenȱ imȱ Arbeitseinsatzȱ führen,ȱ dieȱ u.a.ȱ dieȱ Kulturȱ imȱ Schulbetriebȱ erheblichȱ strapazierenȱ können.ȱ JahȬ resarbeitszeitȱmitȱklarenȱRahmenbedingungenȱundȱdemȱPrinzipȱderȱ Selbstaufschreibungȱ kannȱ daherȱ auchȱ fürȱ denȱ Schulbetriebȱ einenȱ gutenȱ Kompromissȱ zwischenȱ diesenȱ beidenȱ Extremformenȱ derȱArȬ beitszeitgestaltungȱdarstellen.ȱ

246ȱ

Das Jahresarbeitszeitmodell am BGS

9.3

InȱTabelleȱ2ȱsindȱdieȱamȱBGSȱausgearbeitetenȱRahmenbedingungenȱ fürȱdasȱJahresarbeitszeitmodellȱdokumentiert.ȱ

Tabelleȱ2ȱ

RahmenbedingungenȱdesȱJahresarbeitszeitmodellsȱamȱBGSȱ Rahmenbedingungen

JAZ-Modell

Geltungsbereich

Sämtliche Mitarbeitende des BGS mit Ausnahme von Dozentinnen und Dozenten im Honorarverhältnis sowie Referentinnen und Referenten

JAZ-Periode

1 Kalenderjahr

JAZ-Einheit

Stunde (h)

JAZ-Zeiterfassung

Selbstaufschreibung durch Mitarbeitende mittels einheitlichem Erfassungsinstrument bis jeweils Ende eines Monats

JAZ-Zeit und übertragbare Zeitguthaben (bei 100% Beschäftigungsgrad) Tätigkeitsklassen für Zeiterfassung

maximal Minus

normal

maximal Plus

-80h

ca. 1830h (Nettokapazität)

+80h

Differenzierte Tätigkeitserfassung für den Lehrkörper und das administrativ-technische Personal 10 Tätigkeitskategorien beim Lehrkörper; 15 beim administrativ-technischen Personal

Zeitvorgaben für Zeiterfassung

Nur für Unterrichten bzw. Lektionen (0.75h)

Präsenzzeiten

Nur wo zwingend und/oder vereinbart

Alle anderen Tätigkeiten nach effektivem Aufwand

ȱ DieȱNormalarbeitszeitȱumfasstȱ8.4ȱStundenȱproȱTagȱundȱeineȱ5ȬTageȬȱ bzw.ȱ42ȱStundenwoche.ȱDerȱÜbertragȱderȱJAZȬSaldiȱundȱderȱFerienȬ guthabenȱ aufsȱ Folgejahrȱ istȱ aufȱ 80ȱ PlusȬȱ undȱ Minusstundenȱ undȱ 5ȱ Ferientageȱlimitiert.ȱȱ Derȱ individuelleȱ Arbeitseinsatzȱ richtetȱ sichȱ nachȱ denȱ UnterrichtsȬȱ undȱ Schulverpflichtungen.ȱ Präsenzzeitenȱ beschränkenȱ sichȱ aufȱ dieȱ AufgabenȱundȱAktivitäten,ȱdieȱeineȱAnwesenheitȱamȱBGSȱerforderȬ lichȱ machen,ȱ ohneȱ dassȱ damitȱ eineȱ kohäsiveȱ Schulkulturȱ verlorenȱ gehenȱ sollte.ȱ DieserȱAnsatzȱ erweiterterȱAutonomie,ȱ derȱ sowohlȱ inȬ dividuellenȱalsȱauchȱschulischenȱInteressenȱRechnungȱtragenȱkann,ȱ istȱsicherlichȱnichtȱimmerȱeinfachȱeinzulösenȱundȱmussȱdaherȱeinerȱ regelmäßigenȱReflexionȱunterliegen.ȱ

247ȱ

9

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

Einȱ wichtigerȱ Bestandteilȱ desȱ Modellsȱ istȱ dieȱ Formȱ derȱ ZeiterfasȬ sung,ȱ dieȱ aufȱ einerȱ eigenverantwortlichenȱ Selbstaufschreibungȱ derȱ Mitarbeitendenȱ basiert.ȱ Dabeiȱ werdenȱ dieȱ effektivenȱ ZeitaufwenȬ dungenȱ fürȱ definierteȱ Tätigkeitskategorienȱ durchȱ dieȱ MitarbeitenȬ denȱerfasst.ȱDasȱimȱRahmenȱderȱPilotphaseȱeingesetzte,ȱITȬgestützteȱ Instrumentȱ warȱ zunächstȱ aufȱ einenȱ Wochenfokusȱ ausgerichtet.ȱ Mitȱ diesemȱ Instrumentȱ wirdȱ aufȱ derȱ Basisȱ desȱ Anstellungsgrades,ȱ geȬ setzlicherȱFeiertageȱundȱsonstigerȱAbsenzenȱdieȱSollȬArbeitszeitȱproȱ Wocheȱ errechnet.ȱ InȱAbhängigkeitȱ vonȱdenȱ geleistetenȱArbeitsstunȬ denȱ zeigtȱ sichȱ jeweilsȱ aktuellȱ derȱ Standȱ desȱ Zeitkontosȱ sowieȱ desȱ Ferienguthabens.ȱ Dieȱ Tätigkeitskategorienȱ wurdenȱ imȱ Vorfeldȱ durchȱeineȱArbeitsgruppeȱfestgelegt.ȱNachȱderȱHälfteȱdesȱPilotjahresȱ wurdenȱ dieȱ Tätigkeitskategorienȱ geringfügigȱ angepasstȱ undȱ inȱ derȱ inȱAbbildungȱ2ȱdokumentiertenȱFormȱerprobt.ȱ

Abbildungȱ2ȱ

AuszugȱausȱdemȱFormblattȱzurȱZeiterfassungȱ Ressourceneinsatz

Total Wochen Anstellungsgrad

Januar

100.0%

1 100%

2 100%

3 100%

4 100%

5 100%

Kapazität für AZ nach Anstellungsprozent in Tagen Feiertage nach Anstellungsprozent in Tagen

261.00 9.25

4.00 1.00

5.00 0.00

5.00 0.00

5.00 0.00

5.00 0.00

Ferienbezug in Tagen weitere (Krankheit, Militär, Mutterschaft) in Tagen Nettokapazität in Tagen Nettokapazität in Stunden

0.00 0.00 251.75

3.00

5.00

5.00

5.00

5.00

1988.80

23.70

39.50

39.50

39.50

39.50

80.25 9.00 132.00 12.00

9.00 16.00

12.00 19.00

7.50 17.00

9.00 10.00 3.00

Aktivitäten Unterrichten Unterrichtsvor- /-nachbearbeitung Ausserunterrichtliche pädagogische / schülerbetreuende Tätigkeiten Administration / Verwaltung / Infrastruktur Schulbezogene Tätigkeiten: Abstimmung, Koordination, Kooperation Elternarbeit (Vorbereitung und Durchführung) Projektarbeiten (Schulentwicklung, Innovation) Persönliche Aus- und Weiterbildung Beratung Qualitätssicherungsaufgaben Sonstiges Gesamtsumme

248ȱ

34.00

2.00

5.00

4.00

4.00

19.00

3.00

2.00

4.00

4.00

3.00

1.00

15.00 4.00 6.00 31.60 22.00 0.00 0.00 343.85 26.00

2.00 2.00 3.00 4.00

2.00 4.00

1.00

6.00

41.00

41.00

32.50

39.00

Saldo Stunden -1644.95

2.30

1.50

1.50

-7.00

-0.50

JAZ-Saldo in Stunden -1644.95 Feriensaldo in Tagen 20.00

2.30 20.0

3.80 20.0

5.30 20.0

-1.70 20.0

-2.20 20.0

ȱ

Beurteilung des JAZ-Modells am Ende der Pilotphase

9.4

9.4

Beurteilung des JAZ-Modells am Ende der Pilotphase

Dasȱ JAZȬModellȱ undȱ dieȱ damitȱ verbundenenȱ Erfahrungenȱ wurdenȱ nachȱsechsȱMonatenȱundȱamȱEndeȱderȱeinjährigenȱPilotphaseȱevaluȬ iert.ȱInȱdiesemȱAbschnittȱwerdenȱdieȱErgebnisseȱderȱEvaluationȱamȱ EndeȱderȱPilotphaseȱvorgestellt.ȱ Imȱ Rahmenȱ derȱ Evaluationȱ wurdenȱ Dokumentenanalysen,ȱ dieȱ ErȬ gebnisseȱausȱEinzelinterviewsȱmitȱdenȱSchulleitungen,ȱdieȱErgebnisȬ seȱeinerȱschriftlichenȱBefragungȱsämtlicherȱanȱderȱPilotierungȱbeteiȬ ligtenȱMitarbeitendenȱsowieȱdieȱDatenȱausȱdenȱZeitaufschreibungenȱ derȱMitarbeitendenȱvonȱJanuarȱbisȱDezemberȱberücksichtigt.ȱInȱdenȱ folgendenȱ beidenȱ Abschnittenȱ werdenȱ dieȱ Ergebnisseȱ ausȱ derȱ schriftlichenȱ Befragungȱ sowieȱ dieȱ Datenȱ derȱ Zeitaufschreibungenȱ ausführlicherȱdargestellt.ȱ

9.4.1

Ergebnisse aus der schriftlichen Befragung

Überȱ alleȱ Schulenȱ hinwegȱ brachtenȱ dieȱ Mitarbeitendenȱ tendenziellȱ eineȱ höhereȱ Flexibilität,ȱ Steigerungȱ derȱ Selbständigkeit,ȱ SelbstverȬ antwortungȱ undȱ Motivationȱ sowieȱ eineȱ verbesserteȱ Abstimmungȱ derȱberuflichen,ȱfamiliärenȱundȱsozialenȱBedürfnisseȱundȱVerpflichȬ tungenȱdurchȱdasȱJAZȬModellȱzumȱAusdruckȱ(vgl.ȱdazuȱAbbildungȱ 3).ȱInȱdenȱErgebnissenȱderȱschriftlichenȱBefragungȱzuȱdenȱMöglichȬ keitenȱ undȱ Grenzenȱ desȱ JAZȬModellsȱ spiegeltenȱ sichȱ jedochȱ auchȱ dieȱunterschiedlichenȱSchulsystemeȱundȱȬkulturenȱzumȱTeilȱdeutlichȱ wider.ȱLehrpersonen,ȱdieȱbisherȱnachȱfestenȱPensenȱbzw.ȱPflichtlekȬ tionenȱ eingesetztȱ warenȱ undȱ überȱ keineȱ eigenenȱ Arbeitsplätzeȱ anȱ derȱ Schuleȱ verfügten,ȱ sahenȱ imȱ JAZȬModellȱ auchȱ eingeschränktereȱ MöglichkeitenȱfürȱeineȱpersönlicheȱArbeitszeitflexibilisierung.ȱȱ Dieȱ Befragtenȱ erlebtenȱ insgesamtȱ jedochȱ tendenziellȱ auchȱ eineȱ ErȬ höhungȱ derȱ Transparenzȱ hinsichtlichȱ ihrerȱ Aufgaben,ȱ Aktivitätenȱ undȱZeiteinsätzeȱsowieȱeinenȱBeitragȱzurȱErhöhungȱderȱAttraktivitätȱ desȱ Lehrerberufsȱ durchȱ dasȱ JAZȬModell.ȱ Inȱ denȱ Kommentarenȱ gaȬ benȱverschiedeneȱderȱBefragtenȱauchȱan,ȱpositiveȱAuswirkungenȱderȱ neuenȱMöglichkeitenȱaufȱihrenȱAlltagȱzuȱerleben.ȱȱ

249ȱ

9 Abbildungȱ3ȱ

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

Antwortenȱ zuȱ denȱ Möglichkeitenȱ undȱ Grenzenȱ derȱ flexiblenȱ ArbeitszeitȬ gestaltungȱ mitȱ demȱ JAZȬModellȱ (Mittelwerteȱ undȱ Häufigkeitenȱ derȱ EndȬ evaluation,ȱN=59)ȱ

ȱ

250ȱ

Beurteilung des JAZ-Modells am Ende der Pilotphase

9.4

AlsȱNachteilȱwurdeȱanȱersterȱStelleȱdieȱMehrarbeitȱdurchȱdieȱZeiterȬ fassungȱgenannt.ȱZumȱTeilȱwurdeȱinȱdenȱKommentarenȱjedochȱauchȱ aufȱ erschwerteȱ Teamprozesseȱ hingewiesen,ȱ daȱ einzelneȱ MitarbeiȬ tendeȱ vorȱ undȱ nachȱ demȱ Unterrichtȱ nichtȱ mehrȱ soȱ häufigȱ anȱ denȱ Schulenȱ anwesendȱ waren,ȱ wodurchȱ sichȱ z.B.ȱ dieȱ Kommunikationȱ zwischenȱdenȱLehrkräftenȱsowieȱzwischenȱdenȱLehrkräftenȱundȱderȱ Administrationȱteilweiseȱaufwendigerȱgestaltete.ȱ Dasȱ ITȬgestützteȱ Instrumentȱ zurȱ Zeiterfassungȱ wurdeȱ mehrheitlichȱ positivȱ beurteilt.ȱ Denȱ größtenȱ Verbesserungsbedarfȱ sahenȱ dieȱ BeȬ fragtenȱ inȱ einerȱ Anpassungȱ derȱ Tätigkeitskategorien.ȱ Teilweiseȱ beȬ standenȱauchȱUnsicherheitenȱbeiȱderȱZuordnungȱeinzelnerȱTätigkeiȬ tenȱ inȱ dieȱ richtigeȱ Tätigkeitskategorie.ȱ Dieseȱ Votenȱ führtenȱ Ȭȱ wieȱ bereitsȱ besprochenȱ Ȭȱ schonȱ nachȱ derȱ Zwischenevaluationȱ dazu,ȱ TäȬ tigkeitskategorienȱgeringfügigȱanzupassen.ȱ

9.4.2

Empirische Zeiterfassungsdaten

Imȱ Rahmenȱ derȱ Pilotphaseȱ ergabenȱ sichȱ Ȭȱ erwartungsgemäßȱ Ȭȱ zwiȬ schenȱ denȱ einzelnenȱ Schulenȱ zumȱ Teilȱ großeȱ Unterschiedeȱ inȱ denȱ ZeitaufwendungenȱfürȱdieȱverschiedenenȱTätigkeitskategorienȱ(vgl.ȱ Abbildungȱ 4).ȱ Dieseȱ Unterschiedeȱ ergabenȱ sichȱ vorȱ allemȱ inȱ denȱ Bereichenȱ Unterrichten,ȱ UnterrichtsvorȬȱ undȱ Ȭnachbearbeitungȱ soȬ wieȱ Weiterbildung.ȱ Auchȱ inȱ denȱ vonȱ derȱ SollȬArbeitszeitȱ abweiȬ chendenȱ Zeitsaldiȱ ergabenȱ sichȱ zwischenȱ denȱ Lehrpersonenȱ undȱ denȱ Schulsystemenȱ zumȱ Teilȱ erheblicheȱ Differenzen.ȱ Derȱ durchȬ schnittlicheȱ Zeitanteilȱ fürȱ dasȱ Unterrichtenȱ lagȱ gesamthaftȱ inȱ allenȱ Schulenȱ fürȱ Lehrpersonenȱ ohneȱ Führungsaufgabenȱ beiȱ 20.9%,ȱ fürȱ dieȱ UnterrichtsvorȬȱ undȱ Ȭnachbereitungȱ beiȱ 31.1%.ȱ Umgerechnetȱ inȱ Zeitfaktorenȱ beanspruchteȱ dieȱ UnterrichtsvorȬȱ undȱ Ȭnachbereitungȱ dasȱ 1.6Ȭfacheȱ derȱ Unterrichtszeit.ȱ Dieserȱ Faktorȱ streuteȱ zwischenȱ einzelnenȱ Lehrkräftenȱ vonȱ minimalȱ 0.4Ȭȱ bisȱ maximalȱ dasȱ 7.7Ȭfacheȱ derȱ Unterrichtszeit.ȱ Gründeȱ dafürȱ sindȱ –ȱ wieȱ schonȱ ausȱ früherenȱ Untersuchungenȱ bekanntȱ Ȭȱ dieȱ unterschiedlicheȱ VorȬȱ undȱ NachbeȬ reitungsintensitätȱderȱFächerȱundȱUnterrichtsthemen,ȱDifferenzenȱinȱ denȱErfahrungenȱderȱLehrpersonen,ȱaberȱauchȱsichȱänderndeȱUnterȬ richtskonzepteȱ undȱ Ȭanforderungenȱ undȱ derȱ damitȱ verbundeneȱ Aufwandȱ fürȱ dieȱ Umgestaltungȱ desȱ Unterrichts.ȱ Dieȱ empirischȱ erȬ mitteltenȱ Faktorenȱ fürȱ dieȱ anderenȱ Tätigkeitskategorienȱ streutenȱ

251ȱ

9

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

zwischenȱdemȱ0,1Ȭȱundȱ0,7ȬfachenȱderȱUnterrichtszeit.ȱDerȱZeitsaldoȱ betrugȱ nachȱ einemȱ Jahrȱ durchschnittlichȱ 10.1%ȱ Plusstundenȱ zurȱ SollȬArbeitszeitȱ undȱ streuteȱ zwischenȱ denȱ Schulenȱ vonȱ 0.8%ȱ bisȱ 43.4%.ȱ

Abbildungȱ4ȱ

ZeitaufwandȱinȱdenȱverschiedenenȱTätigkeitskategorienȱbeimȱLehrpersonalȱ

ȱ

9.4.3

Fazit aus der JAZ-Pilotierung

Grundsätzlichȱ konnteȱ ausȱ denȱ Ergebnissenȱ undȱ Erfahrungenȱ derȱ JAZȬPilotierungȱdasȱfolgendeȱFazitȱgezogenȱwerden:ȱ

„ DasȱJAZȬModellȱundȱdieȱdamitȱverbundenenȱRahmenbedingunȬ genȱwerdenȱsowohlȱvonȱdenȱSchulleitungenȱalsȱauchȱvomȱLehrȬ körperȱweitgehendȱpositivȱbeurteilt.ȱ

„ Dieȱ historischȱ gewachsenenȱ Schulstrukturenȱ undȱ Ȭkulturenȱ unȬ terstützenȱ inȱ sehrȱ unterschiedlicherȱ Ausprägungȱ dieȱ Nutzungȱ derȱFlexibilitätspotentialeȱdesȱJAZȬModellsȱimȱRahmenȱderȱPilotȬ Phase.ȱ

252ȱ

Faktorenvorgaben als personalbezogener Orientierungsrahmen

9.5

„ Dieȱ empirischȱ ermitteltenȱ Arbeitszeitenȱ undȱ dieȱ dabeiȱ transpaȬ rentȱ gewordenenȱ Unterschiedeȱ imȱ Zeiteinsatzȱ fürȱ verschiedeneȱ Tätigkeitenȱ alsȱ auchȱ beiȱ denȱ Zeitsaldiȱ verlangenȱ einenȱ verȬ bindlicherenȱ Orientierungsrahmenȱ fürȱ denȱ PersonalȬȱ undȱ ArȬ beitszeiteinsatz.ȱ Derȱ zuletztȱ genannteȱ Aspektȱ warȱ amȱ BGSȱ vorȱ allemȱ auchȱ deshalbȱ wichtig,ȱweilȱüberȱmehrȱKonsistenzȱinȱdiesemȱBereichȱauchȱeinȱweȬ sentlicherȱBeitragȱzurȱHarmonisierungȱderȱverschiedenenȱSchulkulȬ turenȱerreichtȱwerdenȱsollte.ȱ

9.5

Faktorenvorgaben als personalbezogener Orientierungsrahmen

AufȱderȱBasisȱderȱErgebnisseȱderȱJAZȬErprobungȱwurdenȱdaherȱdieȱ inȱ Tabelleȱ 3ȱ dargestelltenȱ Faktorenvorgabenȱ fürȱ dieȱ PersonalplaȬ nung,ȱ sowieȱ fürȱ denȱ PersonalȬȱ undȱ Arbeitszeiteinsatzȱ abgeleitet.ȱ Danachȱsindȱdurchschnittlichȱ720ȱLektionenȱproȱLehrkraftȱȬȱ15ȱLekȬ tionenȱ proȱ Wocheȱ beiȱ 48ȱ Unterrichtswochenȱ Ȭȱ imȱ Jahrȱ zuȱ absolvieȬ ren.ȱ Fürȱ dieȱ VorȬȱ undȱ Nachbereitungȱ vonȱ Lektionenȱ sowieȱ ausbilȬ dungsȬȱ undȱ unterrichtsbezogeneȱ Tätigkeitenȱ wirdȱ proȱ Lektionȱ derȱ Faktorȱ 2ȱ vorgegeben.ȱ Zudemȱ wirdȱ mitȱ demȱ Faktorȱ 0.24ȱ fürȱ allgeȬ meineȱ Tätigkeitenȱ sowieȱ demȱ Faktorȱ 0.15ȱ fürȱ dieȱ persönlicheȱ AusȬȱ undȱ Weiterbildungȱ geplant.ȱ Gemäßȱ diesemȱ Tätigkeitsprofilȱ resulȬ tiertȱ einȱ Arbeitseinsatzȱ vonȱ 1830.6ȱ Jahresstunden,ȱ wasȱ derȱ SollȬ Arbeitszeitȱeinerȱ 100%ȱAnstellungȱentspricht.ȱ Dieȱ durchschnittlicheȱ Erhöhungȱ derȱ Zeitanteileȱ fürȱ dasȱ Unterrichtenȱ warȱ dabeiȱ eineȱ AnȬ forderungȱdesȱSchulrates,ȱdieȱauchȱvorȱdemȱHintergrundȱpolitischerȱ Vorgabenȱ entstand.ȱ Dieȱ Mitarbeitendenȱ wurdenȱ überȱ dieseȱ FaktoȬ renvorgabenȱ informiert;ȱ dieseȱ wurdenȱ mitȱ weitȱ reichenderȱ AkzepȬ tanzȱaufgenommen.ȱ

253ȱ

9 Tabelleȱ3ȱ

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

FaktorenȱalsȱOrientierungsrahmenȱfürȱdieȱPersonalplanungȱsowieȱdenȱ PersonalȬȱundȱArbeitszeiteinsatzȱ Faktor

Prozent

Nettokapazität bei 100%-Anstellung

1'831.00 h

Lektionen pro Woche (bei 48 Unterrichtswochen im Jahr)

15

Total Lektionen im Jahr

720

Unterricht in Zeit-Stunden (bei 0.75h pro Lektion) Unterrichtsbezogene Tätigkeiten (Unterrichtsvor-/nachbereitung; ausbildungsbezogene Tätigkeiten; Beratung)

1.0

540.00 h

29%

2.0

1'080.00 h

59%

1'620.00 h

88%

Zwischensumme Allgemeine Tätigkeiten (Administration, Verwaltung, Schulentwicklung; Sonstiges)

0.24

129.60 h

7%

Persönliche Aus- und Weiterbildung

0.15

81.00 h

4%

1'830.60 h

100%

geplante Jahresarbeitszeit

ȱ

9.6

254ȱ

Konzept und Prozess der Personalplanung

Aufȱ derȱ Basisȱ derȱ inȱ Abschnittȱ 9.5ȱ skizziertenȱ Faktorenvorgabenȱ wurdeȱfürȱdasȱBGSȱauchȱeinȱneuesȱKonzeptȱfürȱdieȱPersonalplanungȱ entwickelt.ȱ Abbildungȱ 5ȱ zeigtȱ denȱ dafürȱ vorgesehenenȱ PlanungsȬ prozess,ȱderȱjeweilsȱvonȱderȱAbteilung,ȱüberȱdenȱAusbildungsgang,ȱ überȱdieȱFächerȱaufȱdieȱeinzelnenȱLehrpersonenȱheruntergebrochenȱ wird.ȱDamitȱwirdȱsichergestellt,ȱdassȱimȱRahmenȱderȱAusbildungsȬ angeboteȱ fürȱ dasȱ Planungsjahrȱ eineȱ Abdeckungȱ derȱ erforderlichenȱ Personalressourcenȱ undȱ einȱ fairerȱ Personaleinsatzȱ erreichtȱ werdenȱ können.ȱ ÜberȬȱ undȱ Unterkapazitätenȱ fürȱ Ausbildungsgängeȱ undȱ LehrpersonenȱkönnenȱmitȱdiesemȱAnsatzȱerkanntȱundȱdaraufȱabgeȬ stimmteȱAnpassungsmaßnahmenȱlanciertȱwerden.ȱVorȱdiesemȱHinȬ tergrundȱ sindȱ dieȱ Führungskräfteȱ mitȱ Planungsverantwortungȱ amȱ BGSȱangehalten,ȱihreȱPlandatenȱfürȱdasȱnächsteȱKalenderjahrȱjeweilsȱ imȱJuniȱdesȱlaufendenȱJahresȱzurȱVerfügungȱzuȱstellen.ȱȱ

Konzept und Prozess der Personalplanung

9.6

Nebenȱ denȱ Faktorenvorgabenȱ werdenȱ beiȱ derȱ Planungȱ FührungsȬ funktionenȱ mitȱ 20%ȱ sowieȱ außerordentlicheȱ Projekteȱ alsȱ weitereȱ Tätigkeitsbereicheȱberücksichtigt.ȱ

Abbildungȱ5ȱ

Curricula mit Stundentafeln und Lektionenzuteilung pro Jahr

Anpassung der Lektionenzahl

Umrechnung der Lektionen in Soll-Arbeitsstunden (mittels Faktoren) Funktionsspezifische Zusatztätigkeiten (nur Führungsfunktionen (20 %) und temporäre Projektfunktionen)

Anpassung der Kapazität für Projektfunktionen

= geplante JAZ Anpassung

Vergleich geplante JAZ mit Nettokapazität

Über- bzw. Unterkapazität

Anpassungen im Rahmen des Führungsprozesses

Planungsprozess jeweils bis Ende Juni des Vorjahres abgeschlossen

ProzessȱderȱPersonalplanungȱundȱdesȱKapazitätsabgleichsȱamȱBGSȱ

des Anstellungsgrads

ȱ

Fürȱ diesenȱ Planungsprozessȱ stehtȱ amȱ BGSȱ einȱ ITȬgestütztesȱ WerkȬ zeugȱ zurȱ Verfügung,ȱ inȱ demȱ dieȱ skizziertenȱ Prinzipienȱ undȱ FaktoȬ renvorgabenȱhinterlegtȱsind.ȱDabeiȱerfassenȱdieȱAbteilungsleitungenȱ fürȱ jedenȱAusbildungsgangȱ undȱ jedeȱ Lehrpersonȱ dieȱ geplanteȱ LekȬ tionenzahlȱ(obererȱTeilȱinȱAbbildungȱ6).ȱAufȱderȱBasisȱderȱhinterlegȬ tenȱ Faktorenvorgabenȱ werdenȱ dieseȱ Lektionenzahlenȱ inȱ ArbeitsȬ stundenȱfürȱdieȱunterschiedlichenȱTätigkeitskategorienȱumgerechnetȱ (untererȱTeilȱinȱAbbildungȱ6).ȱDadurchȱwirdȱjeweilsȱdieȱindividuelleȱ Situationȱ derȱ Kapazitätsauslastungȱ sichtbarȱ gemachtȱ undȱ wieȱ beȬ reitsȱerwähntȱeinȱoptimalerȱAbgleichȱderȱKapazitätssituationȱunterȬ stützt.ȱ

255ȱ

9 Abbildungȱ6ȱ

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

FormblattȱausȱdemȱPlanungsinstrumentȱ

Lehrpersonen

Anstellungsgrad (in %)

<––– <––– <––– <–––

Pflege Hygiene Psychologie Soziologie Anatomie / Physiologie Lernen Musische Aktivitäten Bewegung Diplomexamen Gesamt für diesen Ausbildungsgang (Lektionen)

B

C

Summe Lehrpersonen

60%

70%

100%

230%

Lektionen

Fächer, Kurse, Themen, Praktika X Y 3 20

A

Abteilung Bezeichnung des Aus- und Weiterbildungsg. Dauer des Aus- und Weiterbildungsgangs Anzahl Auszubildende (durchschn.) 300 150 450 900 60 300 360 100 100 50 50 20 30 50 30 30 5 65

390 500 Faktor 1 Lektion = 50 Minuten

635

1'525

Lektionen in Arbeitsstunden umgerechnet

1

323.70

415.00

527.05

1'265.75

Unterrichtsbezogene Tätigkeiten (Unterrichtsvorund nachbereitung; schulbezogene Tätigkeiten; Beratung)

2

647.40

830.00

1'054.10

2'531.50

971.10

1'245.00

1'581.15

3'797.25

Zwischensumme "Unterricht" Allgemeine Tätigkeiten (Administration, Verwaltung, Infrastruktur; Projektarbeiten; Qualitätssicherungsaufgaben; Sonstiges)

0.24

77.69

99.60

126.49

303.78

Persönliche Aus- und Weiterbildung

0.15

48.56

62.25

79.06

189.86

= geplante Jahresarbeitszeit (JAZ)

1'097.34

1'406.85

1'786.70

4'290.89

geplante JAZ in % der Sollkapazität

100%

Funktionsspezifische Zusatztätigkeiten

Sollkapazität bei 100 % Anstellungsgrad

ȱ ȱ

256ȱ

98%

102%

1'281.70

1'831.00

4'211.30

44.30

79.59

1'831 1'098.60

Sollkapazität nach Anstellungsgrad Differenz zwischen Sollkapazität und geplanter Jahresarbeitszeit

110%

-

1.26

125.15 -

ȱ

Fazit und Ausblick

9.7

9.7

Fazit und Ausblick

Amȱ Bildungszentrumȱ fürȱ Gesundheitȱ undȱ Sozialesȱ (BGS)ȱ desȱ KanȬ tonsȱ Graubündenȱ wurdeȱ überȱ dieȱ Entwicklungȱ undȱ Umsetzungȱ einesȱkonsistentenȱundȱinnovativenȱPersonalkonzeptesȱeineȱwichtigeȱ Maßnahmeȱ zurȱ Integrationȱ vonȱ vierȱ Schulenȱ lanciert.ȱ Wesentlicheȱ BestandteileȱdesȱneuenȱPersonalkonzeptesȱsindȱeinȱModellȱzurȱJahȬ resarbeitszeit,ȱ Faktorenvorgabenȱ fürȱ dieȱ Personalplanung,ȱ denȱ PerȬ sonalȬȱ undȱ Arbeitszeiteinsatzȱ sowieȱ einȱ systematischesȱ PersonalȬ planungskonzept.ȱȱ DieȱbisherȱvorliegendenȱErfahrungenȱsindȱermutigendȱundȱbelegenȱ vorȱallemȱauch,ȱdassȱderȱneueȱAnsatzȱvonȱdenȱbetroffenenȱMitarbeiȬ tendenȱ ebenfallsȱ mehrheitlichȱ unterstütztȱ wird.ȱ Dieȱ Gründeȱ dafürȱ liegenȱu.a.ȱinȱderȱausgewogenenȱZielsetzung,ȱinȱderȱBeteiligungȱderȱ Mitarbeitendenȱ amȱ EntwicklungsȬȱ undȱ Umsetzungsprozessȱ sowieȱ auchȱ dieȱ geteilteȱ Erkenntnis,ȱ dassȱ konsistenteȱ Formenȱ desȱ PersoȬ nalmanagementsȱ wichtigeȱ Voraussetzungenȱ fürȱ eineȱ gemeinsameȱ undȱnachhaltigeȱKulturentwicklungȱdarstellen,ȱdieȱsichȱnichtȱnurȱanȱ Lippenbekenntnissenȱ undȱ Glaubenssätzenȱ zumȱ Teamgedankenȱ festmachen.ȱ InȱdiesemȱZusammenhangȱerwiesȱsichȱdieȱPilotierungȱderȱJahresarȬ beitszeitȱ undȱ desȱ neuenȱ Zeiterfassungssystemsȱ alsȱ sehrȱ wichtig,ȱdaȱ dadurchȱaufȱderȱBasisȱerfahrbarerȱRealitätenȱundȱErkenntnisseȱeineȱ fundierteȱ Konkretisierungȱ desȱ Personalkonzeptesȱ vorgenommenȱ werdenȱkonnte.ȱ Einȱ systematischerȱ undȱ professionellerȱ Führungsprozessȱ stelltȱ einȱ KernelementȱfürȱdenȱErfolgȱdiesesȱKonzeptesȱdarȱȬȱeinȱSachverhalt,ȱ derȱ schließlichȱ auchȱ imȱ Schulbereichȱ mehrȱ undȱ mehrȱ erkanntȱ undȱ akzeptiertȱwird.ȱ Konkretȱ lassenȱ sichȱ dieȱ Erfolgsfaktorenȱ fürȱ dasȱ neueȱ PersonalkonȬ zeptȱamȱBGSȱfolgendermaßenȱzusammenfassen:ȱ

„ Derȱ Führungskreisȱ trägtȱ dieȱ Innovationenȱ undȱ istȱ sichȱ seinerȱ Vorbildfunktionȱbewusst.ȱ

„ Dieȱ Vorgabenȱ undȱ Instrumenteȱ bildenȱ einenȱ verbindlichenȱ RahȬ men.ȱ

257ȱ

9

Schulentwicklung durch innovatives Personalmanagement

„ Derȱ Führungskreisȱ führtȱ imȱ Rahmenȱ seinerȱ Führungsprozesseȱ regelmäßigȱeinȱControllingȱzuȱdenȱPlanungsȬȱundȱArbeitszeitdaȬ tenȱdurch.ȱȱ

„ Imȱ Führungskreisȱ wirdȱ einȱ offenerȱ undȱ konstruktiverȱ ErfahȬ rungsaustauschȱüberȱdieȱHandhabungȱderȱPersonalplanung,ȱdesȱ PersonaleinsatzesȱundȱdesȱJAZȬModellsȱpraktiziert.ȱ

„ Eineȱ zentraleȱ Stelleȱ inȱ derȱ Administrationȱ stelltȱ dieȱ konsistenteȱ AufbereitungȱderȱPlanungsȬȱundȱArbeitszeitdatenȱsicher.ȱ

„ Derȱ Führungskreisȱ spezifiziertȱ undȱ setztȱ Szenarienȱ um,ȱ damitȱ eineȱ umsichtigeȱ Umsetzungȱ derȱ neuenȱ Vorgabenȱ auchȱ aufȱ derȱ EbeneȱvonȱAnstellungenȱzumȱTragenȱkommt.ȱ Derȱ zuletztȱ genannteȱ Aspektȱ istȱ einȱ zentralerȱ undȱ zugleichȱ besonȬ dersȱ schwierigȱ zuȱ realisierenderȱ Erfolgsfaktor.ȱ Dennȱ damitȱ istȱ derȱ Sachverhaltȱ verknüpft,ȱ dassȱ dieȱ Integrationȱ derȱ vierȱ Schulenȱ wieȱ auchȱdieȱerhöhteȱTransparenzȱdurchȱdasȱPersonalkonzeptȱdazuȱbeiȬ tragen,ȱ dassȱ Redundanzenȱ imȱ Lehrangebotȱ undȱ möglicheȱ ÜberkaȬ pazitätenȱ imȱ Personalbereichȱ sichtbarȱ werden.ȱ Inȱ diesemȱ ZusamȬ menhangȱ sindȱ dieȱ folgendenȱ Maßnahmenȱ grundsätzlichȱ inȱ ErwäȬ gungȱzuȱziehen:ȱ

„ AufbauȱneuerȱAusbildungsgängeȱ(Angebotserweiterung),ȱ „ ÜbernahmeȱvonȱLektionenȱexternerȱDozentinnenȱbzw.ȱDozenten,ȱ „ Einsatzȱ derȱ Lehrkräfteȱ inȱ verschiedenenȱ Abteilungenȱ undȱ AusȬ bildungsgängenȱdesȱBGSȱ(ErhöhungȱderȱEinsatzflexibilität),ȱ

„ Reduktionȱ desȱ Anstellungsgradesȱ vonȱ Lehrkräftenȱ (Abbauȱ derȱ Personalkapazität).ȱ Dieȱ vorliegendenȱ Erfahrungenȱ zeigen,ȱ dassȱ inȱ einerȱ kohäsivenȱ Schulkulturȱ konstruktiveȱ undȱ umsichtigeȱ Lösungenȱ fürȱ solcheȱ anȬ spruchsvollenȱ Problemstellungenȱ möglichȱ sind.ȱ Amȱ BildungszentȬ rumȱ fürȱ Gesundheitȱ undȱ Sozialesȱ (BGS)ȱ inȱ Churȱ wurdeȱ mitȱ demȱ beschriebenenȱ Projektȱ einȱ wichtigerȱ Schrittȱ zurȱ Kulturentwicklungȱ inȱdieseȱRichtungȱrealisiert.ȱ

258ȱ

Literatur

9.8

9.8

Literatur

vanȱ Dick,ȱ R.ȱ (1999).ȱ Stressȱ undȱ Arbeitszufriedenheitȱ imȱ Lehrerberuf.ȱ Marburg:ȱTectumȱVerlag.ȱ Forneck,ȱ H.J.ȱ &ȱ Schriever,ȱ F.ȱ (2001).ȱ Dieȱ individualisierteȱ Profession.ȱ BelastungenȱimȱLehrerberuf.ȱBern:ȱh.e.p.ȱVerlag.ȱ KramisȬAebischer,ȱK.ȱ(1995).ȱStress,ȱBelastungenȱundȱBelastungsverarȬ beitungȱimȱLehrerberuf.ȱBern:ȱPaulȱHaupt.ȱ Ulich,ȱE.,ȱInversini,ȱS.ȱ&ȱWülser,ȱM.ȱ(2002).ȱArbeitsbedingungen,ȱBelasȬ tungenȱ undȱ Ressourcenȱ derȱ Lehrkräfteȱ desȱ Kantonsȱ BaselȬStadt.ȱ Basel:ȱ ErziehungsdepartementȱdesȱKantonsȱBaselȬStadt.ȱ Ulich,ȱ E.,ȱ Trachsler,ȱ E.,ȱ Wülser,ȱ M.ȱ &ȱ Inversini,ȱ S.ȱ (2003).ȱ ArbeitsbeȬ dingungen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ derȱ Thurgauerȱ VolksschullehrȬ kräfteȱ angesichtsȱ derȱ laufendenȱ Bildungsoffensive.ȱ Frauenfeld:ȱ Amtȱ fürȱ VolksschuleȱundȱKindergarten.ȱ

259ȱ

Einordnung

10.1

Möglichkeiten zur gesundheits- und leistungsfördernden Gestaltung der Lehrarbeit: Primärprävention

Kapitel 10

Winfried Hacker, Peggy Looks, Constance Winkelmann, Gordon Krahl und Christina Krahl

261

Einordnung

10.1

10.1

Einordnung

DasȱErhaltenȱundȱFördernȱderȱGesundheitȱundȱdamitȱauchȱderȱLeisȬ tungsfähigkeitȱ vonȱ Lehrkräftenȱ lässtȱ sichȱ langfristigȱ nurȱ präventivȱ erreichenȱ (Landauerȱ Empfehlungenȱ zurȱ Lehrergesundheit,ȱ sieheȱ dazuȱ Konsensuspapierȱ derȱ Expertengruppeȱ Lehrergesundheit,ȱ 2005).ȱDieȱNotwendigkeitȱvonȱPräventionsmaßnahmenȱfürȱLehrkräfȬ teȱ allerȱ Schultypenȱ wurdeȱ vielfachȱ begründet,ȱ fürȱ berufsbildendeȱ Schulenȱ beispielsweiseȱ imȱ DAKȬReportȱ „Berufsschullehrer“ȱ (GehrȬ ke,ȱ2002).ȱȱ Präventionȱ umfasstȱ alsȱ Primärpräventionȱ Maßnahmen,ȱ dieȱ demȱ EntstehenȱundȱWirkenȱvonȱkritischenȱBelastungenȱvorbeugen.ȱMaßȬ nahmenȱ derȱ Sekundärpräventionȱ zielenȱ aufȱ dasȱ Bewältigenȱ auftreȬ tenderȱ Belastungenȱ inȱ einerȱ Weise,ȱ dieȱ dasȱ Entstehenȱ vonȱ GesundȬ heitsschädenȱ verhindert.ȱ Maßnahmenȱ derȱ tertiärenȱ Präventionȱ betreffenȱ dieȱ Wiederherstellungȱ beiȱ eingetretenenȱ GesundheitsbeȬ einträchtigungen.ȱȱ OrganisationsȬȱ undȱ arbeitspsychologischeȱ Vorschlägeȱ zurȱ gesundȬ heitserhaltendenȬȱ undȱ gesundheitsförderndenȱ OrganisationsȬȱ undȱ Arbeitsgestaltungȱ imȱ Bildungssystemȱ betreffenȱ –ȱ beiȱ fließendenȱ Übergängenȱ zurȱ Sekundärpräventionȱ –ȱ vorzugsweiseȱ dieȱ PrimärȬ prävention,ȱ dieȱ verhältnisȬȱ undȱ verhaltenspräventiveȱ Aspekteȱ einȬ schließen.ȱȱ DieȱinȱdenȱArbeitswissenschaftenȱundȱimȱArbeitsȬȱundȱGesundheitsȬ schutzȱumfassendȱbegründeteȱKernaussageȱistȱeinfach:ȱȱ Primäreȱ VerhältnisȬȱ undȱ Verhaltenspräventionȱ istȱ nichtȱ wirksamȱ –ȱ undȱ ethischȱ nichtȱ vertretbarȱ –ȱ alsȱ Zusatzforderungȱ nebenȱ unveränȬ dertȱbeeinträchtigendenȱArbeitsbedingungenȱundȱArbeitsprozessen,ȱ sondernȱwirklichȱnachhaltigȱnurȱalsȱVerbesserungȱebenȱdieserȱbeeinȬ trächtigendenȱArbeitsbedingungenȱ undȱArbeitsprozesseȱ selbst.ȱ Dasȱ entsprichtȱ Forderungenȱ derȱ EUȬRahmenrichtlinienȱ zumȱ ArbeitsȬ schutz,ȱdieȱauchȱfürȱLehrarbeitȱgilt.ȱAmȱBeispiel:ȱAuchȱwirkungsvolȬ leȱ undȱ dauerndȱ genutzteȱ Stressbewältigungstechnikenȱ (d.h.ȱ MaßȬ nahmenȱ derȱ Sekundärpräventionȱ alsȱ Verhaltensprävention)ȱ beseitiȬ genȱ nichtȱ dieȱ Stressursachen;ȱ sieȱ sindȱ zusätzlicheȱ Forderungenȱ anȱ dieȱArbeitendenȱbeiȱunveränderterȱGefährdungsursache.ȱ ȱ

263ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

Dieȱ Landauerȱ Empfehlungenȱ zurȱ Lehrergesundheitȱ betonenȱ dieȱ unerlässlicheȱ Integrationȱ derȱ Maßnahmenȱ zurȱ VerhältnisȬȱ undȱ VerȬ haltensoptimierung,ȱ dieȱ einȱ Qualitätsmanagementȱ insgesamtȱ vorȬ aussetzen,ȱdasȱalsoȱauchȱdieȱMaßnahmenȱderȱzuständigenȱMinisteȬ rienȱundȱSchulaufsichtsbehördenȱeinbezieht.ȱȱ Fürȱ Berufsschulenȱ hatȱ unterȱ anderemȱ dasȱ Lüneburgerȱ ModellproȬ jektȱ Interventionsmaßnahmenȱ verhältnispräventiverȱ Artȱ hervorgeȬ hobenȱ(inȱhttp://lehrergesundheit.uniȬlueneburg.de).ȱȱ Dieȱ seitȱ Längeremȱ inȱ zentralenȱ Vorschlägenȱ übereinstimmendenȱ Empfehlungenȱ undȱ Modellprojekteȱ vonȱ Bildungsforschern,ȱ SchulȬ praktikern,ȱ Medizinernȱ undȱ Psychologenȱ zurȱ leistungsȬȱ undȱ geȬ sundheitsförderndenȱ Reorganisationȱ desȱ Bildungswesensȱ zeitigtenȱ bislangȱnurȱwenigȱsichtbareȱbreiteȱUmsetzungsmaßnahmen.ȱDasȱistȱ angesichtsȱ desȱ bekanntenȱ sozialpsychologischenȱ Phänomensȱ desȱ Veränderungswiderstandesȱ inȱ weisungsbefugtenȱ bürokratischenȱ Organisationenȱ nichtȱ verwunderlich.ȱ Inȱ Deutschlandȱ könntenȱ dieȱ Empfehlungenȱ derȱ Kultusministerkonferenzȱ (KMKȬBeschlussȱ vomȱ 16.12.2004)ȱ sowieȱ dieȱ Umstellungenȱ aufȱ BachelorȬȱ undȱ MasterstuȬ diengängeȱMöglichkeitenȱpräventiverȱVerbesserungenȱimȱSinneȱderȱ leistungsȬȱundȱgesundheitsförderlichenȱLehrarbeitȱbieten.ȱȱ Fürȱ Bildungssystemeȱ mitȱ denȱ erforderlichenȱ Freiheitsgradenȱ istȱ esȱ nützlich,ȱzunächstȱhypothetischȱzusammenzustellen,ȱwelcheȱprinziȬ piellenȱAnsatzstellenȱleistungsȬȱundȱgesundheitsförderlicheȱPrimärȬ präventionȱinȱderȱBildungsarbeitȱhabenȱkönnte.ȱ Ausȱ arbeitspsychologischerȱ Sichtȱ kannȱ dabeiȱ nachȱ Ansatzstellenȱ geordnetȱ gesuchtȱ werdenȱ beiȱ allenȱ vierȱ Komponentenȱ desȱArbeitsȬ prozesses,ȱalsoȱbeiȱ

„ demȱArbeitsauftragȱundȱdenȱauszuführendenȱArbeitsprozessen,ȱ „ denȱAusführungsbedingungenȱdieserȱArbeitsprozesse,ȱ „ demȱ„Arbeitsgegenstand“,ȱhierȱdenȱSchülernȱundȱ „ derȱAusbildungȱderȱLeistungsvoraussetzungenȱderȱArbeitenden,ȱ alsoȱderȱBeamtenȱimȱKultusȬȱundȱSchulbehördenbereichȱundȱdenȱ Lehrern.ȱ Eineȱ Verkürzungȱ imȱ Sinneȱ „neueȱ Lehrerȱ brauchtȱ dasȱ Land“ȱ (BluȬ menthalȱ&ȱSentker,ȱ2005)ȱwäreȱalsoȱzumindestȱvoreilig.ȱ

264ȱ

Arbeitspsychologische Primärprävention bei Lehrarbeit

10.2

Ausȱ organisationspsychologischerȱ Sichtȱ mussȱ auchȱ dieȱ vorrangigeȱ DeterminationȱvonȱArbeitsprozessenȱausȱübergeordnetenȱSystemenȱ beachtetȱ werden:ȱ Bildungsprozesseȱ sindȱ soȱ wenigȱ verkürzbarȱ aufȱ einzelneȱSchulenȱoderȱgarȱeinzelneȱLehrpersonenȱwieȱdieȱwirtschaftȬ licheȱProsperitätȱeinesȱUnternehmensȱnichtȱaufȱdieȱArbeitȱeinerȱAbȬ teilungȱ oderȱ einesȱ Konstrukteursȱ oderȱ Anlagenfahrersȱ reduzierbarȱ ist.ȱ LeistungsȬȱ undȱ Gesundheitsförderlichkeitȱ inȱ derȱ Bildungsarbeitȱ fordertȱ dasȱ Bildungssystemȱ insgesamt.ȱ Einzelneȱ Schulenȱ oderȱ einȬ zelneȱLehrpersonenȱdürftenȱausȱorganisationspsychologischerȱSichtȱ kaumȱ leistungsfähigȱ undȱ gesundȱ denȱ Sysiphusauftragȱ derȱ ReparaȬ turȱgesellschaftsȬȱbzw.ȱbildungspolitischerȱDefiziteȱmeisternȱkönnen.ȱ

10.2

Arbeitspsychologische Primärprävention bei Lehrarbeit

10.2.1

Ansatzmöglichkeit Arbeitsauftrag: Laufbahnpfade, Arbeitsweisen (Lehrformen)

EinȱprimärpräventiverȱAnsatzpunktȱbetrifftȱdenȱArbeitsauftragȱundȱ seineȱAbwicklungsformen:ȱ Fürȱ Lehrerȱ istȱ derȱ Arbeitsauftragȱ dasȱ Unterrichtenȱ undȱ Erziehen:ȱ Einmalȱ Lehrerȱ immerȱ Lehrerȱ oderȱ aberȱ Frühpensionär.ȱ Wechselȱ nochȱ währendȱ derȱAusbildungȱ oderȱ späterȱ inȱ andereȱArbeitsfelderȱ sindȱ durchȱ dieȱAusbildungȱ undȱ gegebenenfallsȱ durchȱ dieȱ zusätzliȬ cheȱVerbeamtungȱerschwert.ȱȱ Eineȱ Möglichkeitȱ zurȱ Präventionȱ derȱ Berufsunfähigkeitȱ derȱ Lehrerȱ beimȱEntdeckenȱoderȱEntwickelnȱeinerȱSchülerphobieȱwäreȱalsoȱdieȱ Reorganisationȱ derȱ Ausbildungȱ undȱ derȱ Arbeitsrechtsverhältnisseȱ so,ȱ dassȱ verschiedenartigeȱ beruflicheȱ Entwicklungsfadeȱ anstattȱ derȱ alleinigenȱ Alternativeȱ derȱ Arbeitsunfähigkeitȱ undȱ FrühpensionieȬ rungȱmöglichȱwürden.ȱDasȱbetrifftȱWechselȱzwischenȱSchwerpunktȬ fächern,ȱSchultypen,ȱArbeitsortenȱ(inȱverschiedenenȱBundesländern)ȱ sowieȱ Berufstätigkeitenȱ außerhalbȱ desȱ Bildungssystems,ȱ beispielsȬ weiseȱ inȱ derȱ Personalentwicklungȱ derȱ Wirtschaftȱ (Schaarschmidt,ȱ 2004;ȱUlich,ȱ2005).ȱ DieȱpotentiellenȱVorgehensweisenȱbeimȱErfüllenȱvonȱArbeitsaufträgenȱ sindȱvielfältig.ȱBeiȱgegebenemȱTätigkeitsspielraumȱkannȱeinȱgleichȬ

265ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

artigesȱ Arbeitsergebnisȱ mitȱ unterschiedlichȱ beanspruchendenȱ VorȬ gehensweisenȱerreichtȱwerden.ȱȱ Dasȱ –ȱ unterȱ Umständenȱ zeitweiligeȱ –ȱ Ausnutzenȱ beanspruchungsȬ günstigerȱArbeitsweisenȱwirktȱprimärpräventiv.ȱArbeitsweisenȱbeimȱ Unterrichtenȱ undȱ Erziehenȱ betreffenȱ denȱ Einsatzȱ verschiedenerȱ Lehrformenȱ(beispielsweiseȱFrontalunterrichtȱoderȱaktiveȱMethodenȱ wieȱ selbstreguliertesȱ und/oderȱ kooperativesȱ Lernen;ȱ vgl.ȱ Klippert,ȱ 2006).ȱVoraussetzungenȱdesȱNutzensȱdieserȱprimärpräventivenȱResȬ sourceȱ sindȱ reglementierungsȬȱ undȱ ausstattungsabhängigeȱ MethoȬ dikspielräumeȱ undȱ eineȱ ausbildungsabhängigeȱ MethodikbeherrȬ schung.ȱ

10.2.2

Ansatzmöglichkeit Ausführungsbedingungen: Einzel- vs. kooperative Arbeitsformen; Arbeitsbedingungen

DieȱwirkungsvollstenȱAusführungsbedingungenȱvonȱArbeitsprozesȬ senȱauchȱmitȱpräventiverȱPotenzȱschafftȱdieȱArbeitsorganisation,ȱimȱ Bildungssystemȱ alsoȱ dieȱAusbildungsorganisationȱ generellȱ undȱ dieȱ SchulorganisationȱimȱSpeziellen.ȱȱ BeispielsweiseȱbestehenȱfließendeȱÜbergängeȱzwischenȱdenȱerwähnȬ tenȱ „frontalen“ȱ vs.ȱ „aktiven“ȱ Lehrformenȱ mitȱ belastungsgünstigerenȱ Alternativenȱ alsȱ derȱ abwechslungsloseȱ Frontalunterrichtȱ bietet,ȱ soȬ wieȱ zwischenȱ kooperativenȱ Arbeitsprozessenȱ undȱ Einzelarbeitȱ bzw.ȱ einemȱanforderungsabhängigenȱWechselȱzwischenȱEinzelarbeitȱundȱ kooperativerȱ Arbeitȱ (Klippert,ȱ 2006).ȱ Lehrerarbeitȱ istȱ nichtȱ naturȬ notwendigȱ Einzelkämpferarbeit.ȱ Beiȱ Lehrerarbeitȱ istȱ anȱ dasȱ „ZweiȬ Lehrerprinzip“,ȱanȱwechselseitigeȱSupervisionenȱundȱHospitationenȱ undȱanȱgeeigneteȱFormenȱeinerȱArbeitsteilungȱundȱArbeitskombinaȬ tionȱ zwischenȱ Lehrerteam,ȱ Sozialarbeiternȱ bzw.ȱ Schulpsychologenȱ zuȱdenken.ȱȱ EineȱweitereȱGruppeȱvonȱAusführungsbedingungenȱdesȱArbeitsproȬ zessesȱmitȱpotentiellȱpräventivenȱleistungsȬȱundȱgesundheitsförderȬ lichenȱWirkungenȱsindȱdieȱmateriellȬräumlichenȱArbeitsbedingungen.ȱȱ FürȱLehrerarbeitȱistȱanȱdieȱSchulausstattungȱgenerellȱ(beispielsweiseȱ mitȱ Lehrmitteln,ȱ Werkstätten,ȱ Laboratorien,ȱ ComputerarbeitsplätȬ zen),ȱdieȱLärmdämmungȱderȱSchulräume,ȱdieȱTemperaturregulationȱ

266ȱ

Arbeitspsychologische Primärprävention bei Lehrarbeit

10.2

auchȱ inȱ Hitzeperiodenȱ oderȱ anȱ störungsfreieȱ außerunterrichtlicheȱ EinzelarbeitsräumeȱfürȱdieȱLehrkräfteȱamȱGanztagsarbeitsortȱ„SchuȬ le“ȱ zuȱ denken.ȱ Letztereȱ sindȱ präventivwirksamȱ unterȱ anderemȱ alsȱ Vorraussetzungȱ einerȱ erholungsbegünstigendenȱ Trennungȱ vonȱ ArȬ beitslebenȱ(Arbeitsplatz)ȱundȱPrivatlebenȱ(bzw.ȱWohnung)ȱimȱSinneȱ derȱ WorkȬLifeȬBalance.ȱ Berufsschullehrerȱ (wirȱ verwendenȱ zurȱ AbȬ kürzungȱ„Lehrer“ȱalsȱOberbegriffȱfürȱLehrerinnenȱundȱLehrer)ȱempȬ findenȱ bedenkenswerterweiseȱ nichtȱ dasȱ interaktiveȱ (dialogische)ȱ Unterrichtenȱ amȱ häufigstenȱ alsȱ belastend,ȱ sondernȱ dasȱ monologiȬ scheȱKorrigierenȱvonȱSchülerarbeitenȱ(Gehrke,ȱ2002),ȱdassȱvorzugsȬ weiseȱ mangelsȱ geeigneterȱ Arbeitsräumeȱ mitȱ Computerausstattungȱ fürȱ denȱ Lehrerȱ inȱ derȱ Schuleȱ inȱ mehrȱ oderȱ minderȱ störungsfreierȱ undȱ familienfreundlicherȱ Heimarbeitȱ erfolgt.ȱ Präventionsbezogenȱ giltȱ also:ȱ Dasȱ Bildungssystemȱ bietetȱ seinenȱ leistungsbestimmendenȱ Mitarbeiternȱ höchstensȱ fürȱ dieȱ Hälfteȱ ihrerȱ Arbeitszeitȱ einenȱ arȬ beitswissenschaftlichȱ fürȱ anspruchsvolleȱ geistigeȱ Arbeitȱ geeignetenȱ Arbeitsplatz.ȱȱ Dieȱ Ausführungsbedingungenȱ betreffenȱ auchȱ eineȱ medizinischȬ psychologischeȱ Berufsbegleitungȱ imȱ Sinneȱ vonȱ fakultativenȱ berufsspeȬ zifischenȱReihenuntersuchungen,ȱerforderlichenfallsȱmitȱpräventiverȱ BeratungȱzurȱArbeitsȬȱundȱLebensgestaltung.ȱ

10.2.3

Ansatzmöglichkeit „Arbeitsgegenstand“: Unterrichten und Erziehen der Interaktionspartner „Schüler“

Derȱ herausragendeȱ Anteilȱ vorzeitigȱ pensionierterȱ Lehrerȱ aufgrundȱ vonȱ psychosomatischenȱ Pensionierungsbegründungenȱ legtȱ nahe,ȱ dassȱ inȱ Deutschlandȱ dieȱ Hauptnoxeȱ imȱ interaktivenȱ Prozessȱ desȱ Lehrensȱ ihrȱ Arbeitsgegenstand,ȱ alsoȱ dieȱ Schülerȱ sind.ȱ Einȱ primärȬ präventiverȱHauptansatzpunktȱwäreȱdemzufolgeȱdasȱSchülerverhalȬ ten.ȱ Daȱ Schülerauswahlȱ alsȱ grundsätzlicheȱ Lösungsmöglichkeitȱ fürȱ alleȱSchulenȱentfällt,ȱverbleibenȱparadoxerweiseȱnochȱumfassendereȱ (beispielsweiseȱ auchȱ außerunterrichtliche)ȱ sowieȱ inhaltlichȱ andereȱ (dieȱtatsächlichenȱLebensperspektivenȱberücksichtigende)ȱBefassunȬ genȱmitȱdenȱSchülernȱalsȱeineȱprimärpräventiveȱAnsatzmöglichkeit.ȱ DieȱvergrößerteȱLebensbedeutsamkeitȱschulischerȱAngeboteȱkönnteȱ

267ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

alsȱ Mittelȱ zurȱ Verbesserungȱ derȱ engagiertenȱ Mitarbeitȱ derȱ Schülerȱ wirken.ȱȱ Außerunterrichtlichȱ sindȱ unterȱ anderemȱ unterstützteȱ AufgabenbearȬ beitung,ȱ Bewerbungsunterstützung,ȱ Kompetenzenermittlungȱ (vgl.ȱ hierzuȱdasȱTirolerȱModellȱderȱKompetenzwerkstättenȱvonȱLangȬvonȱ WinsȱundȱMitarbeitern,ȱ2005)ȱbekannteȱLösungen.ȱȱ ImȱUnterrichtȱistȱdasȱParadoxonȱzuȱlösen,ȱdassȱmehrheitlichȱLebensȬ zeitbeamteȱJugendlicheȱbisȱhinȱzuȱStudierendenȱfürȱihrȱzukünftigesȱ Bewältigenȱ deregulierterȱ Arbeitsbiographienȱ mitȱ Mischungenȱ ausȱ prekärenȱ (beispielsweiseȱ befristeten,ȱ TeilzeitȬ)ȱArbeitsverhältnissen,ȱ EigenȬ,ȱ Ehrenamtsarbeitȱ undȱ Arbeitslosigkeitȱ möglicherweiseȱ beȬ reitsȱ nachȱ derȱ Schulzeitȱ motivierenȱ undȱ ausbildenȱ sollen.ȱ BekanntȬ lichȱ sindȱ EUȬweitȱ 18%ȱ derȱ potenziellenȱ Berufsanfängerȱ bereitsȱ arȬ beitslos.ȱ Umȱ denȱ „Arbeitsgegenstand“ȱ bzw.ȱ Interaktionspartnerȱ SchülerȱtatsächlichȱfürȱdieȱInteraktionȱbegeisternȱundȱdenȱUnterrichtȱ somitȱ belastungsarmȱ zuȱ machenȱ –ȱ einȱ unumgänglichesȱ primärpräȬ ventivesȱZielȱ–,ȱmüssteȱderȱUnterrichtȱmithinȱbegreifbarȱfürȱArbeitsȬ biographienȱ inȱ derȱ globalisiertenȱ undȱ derȱ hyperkompetitivenȱ ArȬ beitsweltȱmotivierenȱundȱbefähigen.ȱ

10.2.4

Ansatzmöglichkeit Leistungsvoraussetzungen der Lehrkräfte

Leistungsvoraussetzungenȱ sindȱ vergröberndȱ teilsȱ ausbildungsabȬ hängig,ȱteilsȱrelativȱausbildungsunabhängig.ȱDieȱrelativȱumweltstaȬ bilenȱ Leistungsvoraussetzungenȱ müssenȱ –ȱ sofernȱ sieȱ nachweislichȱ Vorrausetzungȱ nachhaltigerȱ Berufsausübungȱ sindȱ –ȱ mithinȱ inȱ ZuȬ gangsȬ(EignungsȬ)Prüfungenȱ alsȱ Zulassungskriteriumȱ primärpräȬ ventivȱeingesetztȱwerden.ȱȱ 10.2.4.1

Eignungsprüfungen als Primärprävention

Bekanntȱ sindȱ Voraussetzungenȱ imȱ StimmȬ/Sprechapparatȱ desȱ LehȬ rers,ȱ dieȱ zeitweiligȱ Bestandteilȱ vonȱ Zulassungsprüfungenȱ inȱ Teilenȱ Deutschlandsȱ waren.ȱ Desȱ Weiterenȱ belegenȱ umfassendeȱ UntersuȬ chungenȱ anȱ Tausendenȱ vonȱ Lehrernȱ verschiedenerȱ Länderȱ undȱ Schultypenȱ (Gehrke,ȱ 2002;ȱ Schaarschmidt,ȱ 2005)ȱimȱ Bereichȱ psychiȬ scherȱ Vorraussetzungenȱ dieȱ Existenzȱ relativȱ stabilerȱ kritischerȱ UmȬ

268ȱ

Arbeitspsychologische Primärprävention bei Lehrarbeit

10.2

gangsweisenȱ mitȱ Arbeitsbelastungenȱ (sogenannterȱ Risikotypenȱ desȱ AVEMȬVerfahrens;ȱ Schaarschmidtȱ &ȱ Fischer,ȱ 2001).ȱ Dieseȱ RisikotyȬ penȱprädiktierenȱpsychosomatischȱbedingtesȱfrühzeitigesȱAusscheiȬ denȱausȱdemȱLehrerberuf.ȱȱ Derartigeȱ Leistungsvoraussetzungen,ȱ beispielsweiseȱ alsoȱ VerausgaȬ bungsbereitschaftȱoderȱDifferenzierungsfähigkeitȱ(Ulich,ȱ2005),ȱsollȬ tenȱ vorȱ Ausbildungsbeginn,ȱ hierȱ alsoȱ vorȱ Studienbeginnȱ ermitteltȱ werden.ȱ Daȱ jedochȱ auchȱ weitereȱ Personenvariablen,ȱ insbesondereȱ dieȱ Berufsvorstellungen,ȱ dieȱ spätereȱ Leistungsfähigkeit,ȱ BerufszuȬ friedenheitȱ undȱ damitȱ dasȱ Wohlbefindenȱ alsȱ GesundheitskompoȬ nenteȱ mitbestimmen,ȱ istȱ eineȱ wiederholteȱ Eignungsüberprüfungȱ undȱ Berufsberatungȱ ausbildungsbegleitendȱ ausȱ derȱ Sichtȱ derȱ PräȬ ventionȱunerlässlich.ȱȱ 10.2.4.2

Sichern ausbildungsabhängiger Leistungsvoraussetzungen als Primärprävention

Dasȱ leistungsstarkeȱ undȱ gesundheitserhaltendeȱAusübenȱ vielerȱArȬ beitsprozesseȱ setztȱ eineȱ angemesseneȱAusȬȱ undȱ Weiterbildungȱ vorȬ aus.ȱ Insofernȱ istȱ dieȱ berufsbezogeneȱ AusȬȱ undȱ Weiterbildungȱ einȱ ausschlaggebenderȱBeitragȱzurȱPrimärprävention.ȱ BeiȱdenȱAnforderungenȱderȱLehrerarbeitȱhatȱdieseȱprimärpräventiveȱ Ausbildungsfunktionȱ imȱ Einzelnenȱ dreiȱ Ansatzbereiche,ȱ dieȱ denȱ AnforderungenȱdiesesȱAufgabentypsȱgeschuldetȱsind:ȱ ȱ a.ȱ Lehrerarbeitȱ betrifftȱ Fachgebieteȱ mitȱ ihrenȱ EntwicklungstenȬ denzenȱ Lehrtätigkeitenȱ sindȱ mentaleȱ Doppeltätigkeiten,ȱ weilȱ gleichzeitigȱ Stoffgebieteȱ darzulegenȱ undȱ größereȱ Lernergruppenȱ inȱ ihrerȱ ZuȬ wendungȱ unterbrechungsminimierendȱ zuȱ steuernȱ sind.ȱ DoppeltäȬ tigkeitenȱ sindȱ beanspruchend.ȱ Eineȱ derȱ Möglichkeitenȱ zurȱ BeanȬ spruchungsreduktionȱ bestehtȱ imȱ weitgehendenȱ psychischenȱ AutoȬ matisierenȱ einerȱ derȱ Teiltätigkeitenȱ imȱ Interesseȱ derȱ kontrolliertenȱ Bearbeitungȱ derȱ anderenȱ undȱ derȱ Reduktionȱ derȱ DoppelȬȱ aufȱ EinȬ fachtätigkeit.ȱ Vereinfacht:ȱ Jeȱ angemessenerȱ dasȱ Fachgebietȱ beȬ herrschtȱwird,ȱdestoȱmehrȱMentalkapazitätȱistȱfreiȱfürȱVermittlungsȬȱ undȱ Disziplinierungsaktivitäten.ȱ Imȱ Interesseȱ hypothetischȱ entlasȬ tenderȱschülergetragenerȱaktiverȱVermittlungsformen,ȱbeispielsweiȬ

269ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

seȱ desȱ selbstentdeckendenȱ Lernens,ȱ sindȱ fachspezifischeȱ (ForȬ schungsȬ)ȬMethodikenȱ wieȱ dasȱ Experimentierenȱ eineȱ AnsatzmögȬ lichkeitȱzuȱeinerȱLehrformȱmitȱprimärpräventivemȱNutzen.ȱ Desȱ Weiterenȱ müssenȱ fachlicheȱ Inhalteȱ inȱ derȱ inȱ derȱ Zukunftȱ derȱ Schülerȱ nützlichenȱ Formȱ vermitteltȱ werden,ȱ umȱ glaubwürdigȱ zuȱ lehrenȱundȱdamitȱeinȱSchülerengagementȱfreizusetzen.ȱDamitȱistȱdasȱ perspektivenbezogeneȱ Vermittelnȱ derȱ Fachgebieteȱ primärpräventivȱ vonȱ Bedeutung.ȱ Sofernȱ beispielsweiseȱ dieȱ Selbstgestaltungȱ derȱ ArȬ beitsabläufeȱimȱZusammenhangȱmitȱvirtuellerȱKommunikationȱoderȱ Telearbeitȱ erforderlichȱ wird,ȱ wäreȱ eineȱ dafürȱ befähigendeȱ AusbilȬ dungȱ fürȱ Schülerȱ überzeugenderȱ alsȱ eineȱ Ausbildungȱ fürȱ hergeȬ brachteȱStrukturen.ȱȱ ȱ b.ȱ Lehrerarbeitȱ erfordertȱ pädagogischeȱ undȱ psychologischeȱ BefäȬ higungenȱ Vereinfachendȱ istȱ zuȱ erwarten,ȱ dassȱ imȱ Maßeȱ derȱ didaktischȬ methodischenȱ Kompetenzȱ einschließlichȱ derȱ Beherrschungȱ unterȬ schiedlicherȱ Lehrformenȱ wieȱ demȱ Anleitenȱ eigenverantwortlicherȱ Lernarbeitȱ derȱ Schülerȱ oderȱ derȱ Beherrschungȱ derȱ DeeskalationsȬȱ bzw.ȱ Konfliktbewältigungstechnikenȱ dieȱ Wahrscheinlichkeitȱ derȱ BelastungenȱdurchȱproblematischesȱStörverhaltenȱsinkt.ȱȱ DemzufolgeȱwäreȱdasȱEntwickelnȱdidaktischer,ȱsozialȬȱundȱlernpsyȬ chologischerȱBefähigungenȱ zumȱ Vermittelnȱ derȱ Inhalteȱ –ȱalsoȱ nichtȱ lediglichȱvonȱKenntnissenȱalsȱschweigendesȱWissenȱ–ȱeinȱBestandteilȱ derȱPrimärprävention.ȱ ȱ c.ȱ Lehrerarbeitȱ istȱ inȱ wesentlichenȱ Teilenȱ selbstorganisiertȱ undȱ benötigtȱSelbstmanagement.ȱWorkȬLifeȬBalanceȱ Lehrerȱ arbeitenȱ inȱ einemȱ wesentlichenȱ Teilȱ ihrerȱ Arbeitszeitȱ inȱ selbstorganisierterȱ (Heim)ȬArbeit.ȱ Dasȱ Zeitmanagement,ȱ dieȱ ArȬ beitsorganisationȱ nachȱ leistungsȬȱ undȱ gesundheitsförderlichenȱ AsȬ pektenȱ undȱ dasȱ beiȱ Heimarbeitȱ problematischeȱ Erholungsregimeȱ obliegenȱihnenȱdabeiȱselbst.ȱȱ

270ȱ

DaȱErholungȱnachȱgeistigerȱBelastungȱstörungsanfälligerȱistȱalsȱnachȱ körperlicherȱ undȱ weilȱ beiȱ Heimarbeitȱ eineȱ hilfreicheȱ Trennungȱ vonȱ ArbeitsȬȱ undȱ FamilienȬȱ bzw.ȱ Lebensbereichȱ fehlt,ȱ sindȱ erhöhteȱ AnȬ

Vorstellungen von Gymnasiallehrkräften zur Arbeit bis zur Rente

10.3

forderungenȱ anȱ einȱ leistungsȬȱ undȱ gesundheitsförderlichesȱ SelbstȬ managementȱimȱSinneȱderȱWorkȬLifeȬBalanceȱgestellt.ȱȱ EineȱBefähigungȱdazuȱeinschließlichȱderȱBefähigungȱzumȱEinsetzenȱ geeigneterȱ Unterstützungstechnikenȱ (beispielsweiseȱ EntspannungsȬ techniken)ȱinȱderȱAusbildungȱvonȱspäterenȱLehrkräftenȱwäreȱmithinȱ einȱBeitragȱzurȱPrimärprävention.ȱȱ DieȱfolgendenȱAbschnitteȱberichtenȱüberȱdieȱMeinungenȱundȱWünȬ scheȱ berufserfahrenerȱ Lehrkräfteȱ zuȱ diesenȱ Möglichkeitenȱ sowieȱ überȱ Untersuchungenȱ zurȱ Nutzungȱ dieserȱ hypothetischenȱ primärȬ präventivenȱMöglichkeitenȱinȱdenȱLehrangebotenȱderȱBildungswisȬ senschaftenȱimȱuniversitärenȱLehramtsstudiengang.ȱ

10.3

Vorstellungen von Gymnasiallehrkräften zur Arbeit bis zur Rente

10.3.1

Stichprobe

Anȱ derȱ Untersuchungȱ nahmenȱ insgesamtȱ 142ȱ Gymnasiallehrerȱ vonȱ sechsȱGymnasienȱundȱeinerȱgymnasialenȱOberstufenschuleȱausȱfünfȱ verschiedenenȱ hessischenȱ Kleinstädtenȱ (ca.ȱ 13.000Ȭ53.000ȱ EinwohȬ ner)ȱ teil.ȱ Diesȱ entsprichtȱ einerȱ Gesamtbeteiligungȱ allerȱ Lehrerȱ vonȱ 27%.ȱReferendareȱwurdenȱvonȱderȱUntersuchungȱausgeschlossen.ȱȱ VerglichenȱmitȱanderenȱAltersverteilungenȱvonȱLehrernȱundȱspeziellȱ auchȱ vonȱ Gymnasiallehrernȱ istȱ unsereȱ Stichprobeȱ signifikantȱ älterȱ (Durchschnittȱ 49ȱ Jahre).ȱ 39%ȱ Lehrerinnenȱ (n=56)ȱ undȱ 61%ȱ Lehrerȱ (n=86)ȱnahmenȱanȱderȱUntersuchungȱteil.ȱȱ DieȱMehrheitȱderȱbefragtenȱLehrerȱgabenȱan,ȱnochȱnieȱeinenȱanderenȱ Berufȱ alsȱ denȱ Lehrerberufȱ ausgeübtȱ zuȱ haben,ȱ wohingegenȱ 32%ȱ schonȱ einmalȱ einenȱ anderenȱ Berufȱ ausgeübtȱ haben,ȱ davonȱ 23%ȱ eiȬ nenȱBerufȱaußerhalbȱdesȱpädagogischenȱSektors.ȱȱ ZurȱweiterführendenȱBeschreibungȱderȱStichprobeȱwurdenȱdieȱsubȬ jektivenȱ Beanspruchungsreaktionenȱ mitȱ Hilfeȱ derȱ Skalaȱ „ErhoȬ lungsunfähigkeit“ȱ (FABA;ȱ Richter,ȱ Rudolphȱ &ȱ Schmidt,ȱ 1996)ȱ undȱ derȱ Skalenȱ „Emotionaleȱ Erschöpfung“ȱ (BHD,ȱ Hackerȱ &ȱ Reinhold,ȱ 1999)ȱsowieȱ„ReaktivesȱAbschirmen“ȱ(BHD)ȱerfasst.ȱKaumȱeinȱFünfȬ telȱ derȱ Lehrerȱ zeigteȱ auffälligeȱ oderȱ sehrȱ auffälligeȱ Werteȱ beiȱ derȱ

271ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

Skalaȱ „Erholungsunfähigkeit“.ȱ Demgegenüberȱ wiesȱ nahezuȱ jederȱ zweiteȱLehrerȱaufȱderȱSkalaȱ„EmotionaleȱErschöpfung“ȱundȱnahezuȱ jederȱdritteȱLehrerȱaufȱderȱSkalaȱ„ReaktivesȱAbschirmen“ȱdesȱBHDȱ eineȱkritischeȱAusprägungȱauf.ȱȱ Mittelsȱ offenerȱ Fragebögenȱ wurdenȱ dieȱ Lehrerȱ unterschiedlichenȱ BerufsaltersȱzuȱdenȱgegebenenȱwieȱauchȱgewünschtenȱArbeitsanforȬ derungenȱundȱArbeitsbedingungenȱsowieȱzurȱeigenenȱArbeitsȬȱundȱ Lebensweiseȱbefragt.ȱȱ

10.3.2

Ergebnisse

10.3.2.1

Beruflicher Weg bis zum Rentenalter

82ȱLehrerȱmachtenȱAngabenȱdarüber,ȱwieȱihrȱWegȱbisȱzumȱRentenalȬ terȱgestaltetȱwerdenȱsollte.ȱHiervonȱgabenȱ57%ȱderȱLehrerȱan,ȱbisȱzurȱ Renteȱweiterȱarbeitenȱzuȱwollen,ȱdemgegenüberȱgabenȱ43%ȱderȱLehȬ rerȱ an,ȱ vorherȱ „aussteigen“ȱ zuȱ wollen.ȱ Mitȱ demȱ vorzeitigemȱ AusȬ stiegȱ ausȱ demȱ Berufȱ istȱ v.a.ȱ gemeint,ȱ Altersteilzeitmodelleȱ inȱ AnȬ spruchȱ zuȱ nehmenȱ bzw.ȱ frühzeitigȱ inȱ Pensionȱ zuȱ gehen.ȱ Zwischenȱ diesenȱ beidenȱ Gruppenȱ bestehtȱ hinsichtlichȱ derȱ Häufigkeitȱ keinȱ signifikanterȱ Unterschied,ȱ allerdingsȱ unterscheidenȱ sichȱ dieseȱ beiȬ denȱGruppenȱhinsichtlichȱihresȱLebensalters.ȱDiejenigeȱLehrergrupȬ pe,ȱ dieȱ bisȱ zurȱ Renteȱ arbeitenȱ möchte,ȱ istȱ durchschnittlichȱ jünger.ȱ Zwischenȱ denȱ Geschlechternȱ gibtȱ esȱ diesbezüglichȱ keinenȱ UnterȬ schied.ȱ 10.3.2.2

Übereinstimmung der Vorstellungen mit der Wirklichkeit

BeiȱdenȱmeistenȱLehrernȱbestehtȱeineȱDiskrepanzȱzwischenȱdenȱVorȬ stellungenȱüberȱdenȱBerufȱundȱderȱWirklichkeitȱderȱLehrertätigkeit.ȱ MehrȱalsȱdieȱHälfteȱ(62%)ȱderȱ120ȱLehrer,ȱdieȱzuȱdieserȱFrageȱAngaȬ benȱ machten,ȱ habenȱ sichȱ ihreȱ Berufstätigkeitȱ nichtȱ soȱ vorgestellt,ȱ wohingegenȱgutȱeinȱDrittelȱ(38%)ȱderȱLehrerȱsichȱdieȱBerufstätigkeitȱ durchausȱsoȱvorgestelltȱhat,ȱwieȱsieȱist.ȱȱ Zuȱdiskutierenȱwäreȱhierbei,ȱobȱmittelsȱgeeigneterȱMaßnahmenȱz.B.ȱ durchȱ bereitsȱ frühzeitigeȱ Praktikaȱ undȱ Hospitationenȱ einȱ realistiȬ schesȱBildȱvomȱgegenwärtigenȱLehrerberufȱvermitteltȱwerdenȱkönnȬ

272ȱ

Vorstellungen von Gymnasiallehrkräften zur Arbeit bis zur Rente

10.3

teȱ undȱ durchȱ eineȱ polyvalenteȱ Berufsausbildungȱ rechtzeitigeȱ BeȬ rufswechselȱermöglichtȱwerdenȱkönnen.ȱ 10.3.2.3

Darstellung des Erlebens gegenwärtiger Bedingungen

1. Ist-Zustand bezüglich erfahrener Arbeitsanforderungen AnnäherndȱdreiȱViertelȱderȱLehrerȱmeinen,ȱdassȱdieȱAnforderungenȱ ihremȱ derzeitigenȱ Leistungsvermögenȱ entsprechenȱ undȱ nurȱ einȱ Viertelȱ hältȱ sieȱ fürȱ höher.ȱ Insgesamtȱ haltenȱ fastȱ alleȱ Lehrerȱ dieȱArȬ beitsanforderungenȱ fürȱ mindestensȱ teilweiseȱ bewältigbar.ȱ Dieȱ geȬ zeigteȱ Diskrepanzȱ zwischenȱ derȱ subjektivenȱ Beanspruchungȱ (45%ȱ erlebenȱ sichȱ alsȱ emotionalȱ erschöpft)ȱ undȱ derȱ Einschätzungȱ derȱ eiȬ genenȱ Leistungsfähigkeitȱ unterȱ gegebenenȱ Arbeitsanforderungenȱ lässtȱ Spielraumȱ fürȱ Maßnahmenȱ derȱ Verhaltensprävention,ȱ mögliȬ cherweiseȱalsȱBestandteilȱderȱAusȬȱundȱWeiterbildung.ȱ Bezogenȱ aufȱ dieȱ Verhältnisse,ȱ inȱ denenȱ derȱ Lehrerberufȱ ausgeführtȱ wird,ȱzeigteȱsich,ȱdassȱderȱZeitfaktorȱeineȱentscheidendeȱRolleȱspielt.ȱ Vonȱ denȱ 74ȱ Lehrern,ȱ dieȱ Angabenȱ dazuȱ machten,ȱ obȱ derȱ zeitlicheȱ Anforderungsumfangȱ überȱ derȱ inȱ anderenȱ Berufenȱ üblichenȱ Normȱ liegt,ȱ berichtenȱ signifikantȱ mehrȱ Lehrerȱ (70%)ȱ einenȱ zeitlichenȱ AnȬ forderungsumfangȱüberȱderȱNorm.ȱȱ Dieȱ Mehrzahlȱ derȱ Lehrerȱ (90%),ȱ dieȱAngabenȱ zuȱ denȱArbeitsanforȬ derungenȱ machten,ȱ vertratenȱ dieȱAuffassung,ȱ dassȱ sieȱ zuȱ vieleȱ adȬ ministrativeȱ oderȱ andereȱ zusätzlicheȱ Tätigkeitenȱ zuȱ verrichtenȱ haȬ ben.ȱ 84%ȱ derȱ Lehrerȱ sehenȱ ihreȱ SelbstgestaltungsȬȱ sowieȱ EntscheiȬ dungsmöglichkeitenȱalsȱangemessenȱan,ȱnurȱannäherndȱjederȱzehnteȱ LehrerȱwünschteȱsichȱinȱdiesemȱBereichȱmehrȱFreiheiten.ȱ AusȱverhältnispräventiverȱSichtȱistȱzuȱsagen,ȱdassȱderȱzeitlicheȱAnȬ forderungsumfangȱreduziertȱwerdenȱmüsste.ȱVieleȱLehrerȱberichteȬ tenȱ beispielsweise,ȱ dassȱ sieȱ Tätigkeitenȱ (z.B.ȱ Korrekturen)ȱ inȱ WoȬ chenendarbeitȱ verrichtenȱ müssen,ȱ umȱ dasȱ Arbeitspensumȱ bewältiȬ genȱ zuȱ können.ȱ Nachȱ demȱ unterȱ Abschnittȱ 10.2.4.2.ȱ beschriebenenȱ primärpräventivenȱAnsatzȱderȱWorkȬLifeȬBalanceȱbeeinträchtigtȱdieȱ VerlagerungȱderȱArbeitȱinȱdieȱFreizeitȱdieȱErholung.ȱDieȱBedeutungȱ dieserȱ Balanceȱ zwischenȱ Arbeitȱ undȱ ausreichendenȱ ErholungsphaȬ senȱ undȱ dieȱ damitȱ verbundeneȱ beruflicheȱ Leistungsfähigkeitȱ i.ȱ S.ȱ einesȱ engagiertenȱ Mitarbeitersȱ wurdeȱ bereitsȱ mehrfachȱ bestätigtȱ (vgl.ȱz.B.ȱFritzȱ&ȱSonnentag,ȱ2005).ȱ

273ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

Derȱ beklagteȱ zeitlicheȱ Arbeitsanforderungsumfangȱ ergibtȱ sichȱ v.ȱ a.ȱ ausȱ derȱ Vielzahlȱ derȱ zuȱ verrichtendenȱ schülerfernenȱ Tätigkeiten,ȱ wozuȱinȱderȱMehrheitȱKorrekturenȱzählen.ȱEsȱerscheintȱdaherȱsinnȬ voll,ȱaufȱeinȱausgewogenesȱVerhältnisȱinȱderȱKombinationȱsowieȱderȱ Anzahlȱ derȱ zuȱ unterrichtendenȱ Fächerȱ undȱ Klassenȱ zuȱ achten.ȱ Sprachfächerȱ bedürfenȱ inȱ derȱ Regelȱ durchȱ denȱ hohenȱ KorrekturȬ aufwandȱ erheblichȱ längererȱ Arbeitszeiten.ȱ Eineȱ belastungsgünstigeȱ Kombinationȱ derȱ Fächerȱ sollteȱ bereitsȱ durchȱ Vorgabenȱ inȱ derȱ LehȬ rerausbildungȱangestrebtȱwerden.ȱ 2. Ist-Zustand bezüglich Arbeitsweise Zuȱ derȱ Frage,ȱ welcheȱ eigeneȱ Arbeitsweiseȱ Lehrerȱ haben,ȱ umȱ dieȱ derzeitȱ vorherrschendenȱ Bedingungenȱ optimalȱ bewältigenȱ zuȱ könȬ nen,ȱ hatȱ sichȱ derȱ größteȱ Teilȱ derȱ Lehrerȱ (87%)ȱ geäußert.ȱAllerdingsȱ streuenȱ dieȱ Ergebnisseȱ sehrȱ breit.ȱAmȱ häufigstenȱ sagtenȱ dieȱ Lehrerȱ aus,ȱ dassȱ sieȱeinȱ konsequentesȱ Zeitmanagementȱ haben,ȱ umȱ dieȱArȬ beitsanforderungenȱ bewältigenȱ zuȱ könnenȱ (20%).ȱ Relativȱ häufigȱ wurdenȱ zudemȱ nochȱ genannt:ȱ dieȱ Inanspruchnahmeȱ vonȱ Hilfenȱ seitensȱ derȱ Kollegenȱ (8%),ȱ dasȱ Reduzierenȱ desȱ Arbeitsumfangsȱ durchȱdasȱSetzenȱvonȱPrioritätenȱbzw.ȱAbgabeȱvonȱArbeitȱ(13%).ȱ BezogenȱaufȱdieȱVerhaltenspräventionȱistȱzuȱsagen,ȱdassȱdieȱbefragȬ tenȱ Lehrerȱ zwarȱ eineȱ Vielfaltȱ vonȱ Möglichkeitenȱ benennen,ȱ aberȱ inȱ derȱRegelȱnichtȱüberȱeineȱsystematischeȱArbeitsweiseȱverfügen.ȱDaȬ rausȱ lässtȱ sichȱ schließen,ȱ dassȱ generellȱ Maßnahmen,ȱ dieȱ aufȱ dasȱ Verhaltenȱ abzielen,ȱ notwendigȱ wären,ȱ umȱ gesundȱ undȱ leistungsfäȬ higȱ imȱBerufȱaltȱzuȱ werden.ȱ Solcheȱ Maßnahmenȱ könntenȱ beispielsȬ weiseȱaufȱdieȱVermittlungȱundȱdasȱTrainingȱvonȱeffektivenȱArbeitsȬ weisenȱ(inkl.ȱSelbstȬȱundȱZeitmanagement)ȱabzielen.ȱ 3. Ist-Zustand bezüglich Lebensweise Befragtȱ nachȱ derȱ Zufriedenheitȱ mitȱ demȱ FreizeitȬȱ undȱ ErholungsȬ verhaltenȱ gebenȱ 84%ȱ derȱ Lehrerȱ dieserȱ Stichprobeȱ an,ȱ mittelmäßigȱ bisȱsehrȱzufriedenȱzuȱsein.ȱLediglichȱ12%ȱderȱLehrerȱgebenȱan,ȱeineȱ ungesundeȱ Lebensführungȱ zuȱ haben.ȱ 92%ȱ derȱ befragtenȱ Lehrerȱ berichten,ȱ mittelmäßigȱ bisȱ sehrȱ zufriedenȱ mitȱ ihrerȱ Lebensführungȱ zuȱsein.ȱAmȱhäufigstenȱerholenȱsichȱdieȱLehrerȱinȱihrerȱFreizeitȱeherȱ passivȱ bzw.ȱ gebenȱ an,ȱ Aktivitätenȱ inȱ derȱ Familieȱ bzw.ȱ imȱ Sportȱ nachzugehen.ȱȱ

274ȱ

Vorstellungen von Gymnasiallehrkräften zur Arbeit bis zur Rente

10.3.2.4

10.3

Soll-Zustand der Arbeitsanforderungen, Arbeits- und Lebensweise

Inȱ diesemȱ Abschnittȱ werdenȱ dieȱ Vorstellungenȱ geschildert,ȱ dieȱ Gymnasiallehrerȱ zuȱ denȱ Veränderungenȱ ihrerȱ ArbeitsanforderunȬ gen,ȱArbeitsweiseȱundȱLebensweiseȱ habenȱ bzw.ȱ wieȱ ausȱihrerȱSichtȱ derȱIdealzustandȱinȱdiesenȱdreiȱBereichenȱaussieht,ȱumȱeinȱgesundesȱ undȱleistungsfähigesȱErreichenȱdesȱRentenaltersȱzuȱermöglichen.ȱ 1. Soll-Zustand bezüglich Arbeitsanforderungen BezüglichȱderȱFrage,ȱwelcheȱIdealvorstellungenȱGymnasiallehrerȱzuȱ denȱ Arbeitsanforderungenȱ haben,ȱ sehenȱ 91%ȱ derȱ 120ȱ Lehrerȱ einenȱ Änderungsbedarfȱundȱ9%ȱgebenȱan,ȱkeineȱÄnderungȱzuȱbenötigen.ȱ 93%ȱderȱsichȱhierzuȱäußerndenȱLehrerȱwünschenȱsichȱeineȱSenkungȱ desȱzeitlichenȱAnforderungsumfangs.ȱ Mehrȱ alsȱ dreiȱ Viertelȱ derȱ Lehrerȱ sindȱ derȱ Meinung,ȱ dassȱ dieȱ Höheȱ derȱ gegenwärtigenȱ Arbeitsanforderungenȱ nichtȱ demȱ gewünschtenȱ SollȬZustandȱentspricht.ȱ39%ȱderȱGymnasiallehrerȱdieserȱStichprobeȱ äußertenȱ sichȱ mindestensȱ einmalȱ zurȱ Verbesserungȱ derȱ aktuellenȱ RahmenbedingungȱfürȱLehrenȱinȱderȱSchuleȱ(z.B.ȱzuȱhoheȱKlassenȬ stärken,ȱ zuȱ vielȱ „Bürokratie“ȱ anȱ denȱ Schulen,ȱ hoheȱ ReglementieȬ rung,ȱschlechteȱAusstattung).ȱȱ 2. Soll-Zustand bezüglich Arbeitsweise Gehtȱ manȱ davonȱ aus,ȱ dassȱ dieȱArbeitsbedingungenȱsoȱ bleiben,ȱ wieȱ sieȱderzeitȱsindȱundȱfragtȱdanach,ȱwasȱjederȱeinzelneȱLehrerȱanȱseiȬ nerȱ persönlichenȱ Arbeitsweiseȱ ändernȱ müsste,ȱ umȱ denȱ Berufȱ bisȱ zumȱ gesetzlichenȱ Rentenalterȱ gesundȱ undȱ leistungsfähigȱ ausübenȱ zuȱkönnen,ȱzeigenȱsichȱfolgendeȱErgebnisse:ȱ89%ȱderȱGymnasiallehȬ rerȱ äußertenȱ sichȱ zuȱ einerȱ möglichenȱ Änderungȱ derȱ Arbeitsweise.ȱ Nurȱ ca.ȱ 20%ȱ derȱ Lehrerȱ derȱ Gesamtstichprobeȱ sindȱ derȱ Meinung,ȱ dassȱ sieȱ keineȱ Änderungȱ derȱ Arbeitsweiseȱ benötigen,ȱ umȱ gesundȱ undȱleistungsfähigȱdasȱRentenalterȱzuȱerreichen.ȱȱ DieȱAngabenȱzuȱdenȱVorstellungenȱbezüglichȱderȱArbeitsweiseȱwaȬ renȱ allerdingsȱ wenigȱ konkretȱ undȱ sehrȱ heterogen.ȱ Amȱ häufigstenȱ wurdenȱ Aussagenȱ zuȱ denȱ folgendenȱ Kategorienȱ getätigt:ȱ ReduzieȬ rungȱ derȱ eigenenȱ Arbeitszeitȱ (19%),ȱ einȱ verbessertesȱ persönlichesȱ Managementȱ (i.S.ȱ vonȱ lockerȱ lassen/ȱ Abstandȱ nehmenȱ (21%))ȱ undȱ

275ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

eineȱ Einstellungsänderungȱ (i.S.ȱ manȱ erledigtȱ genauȱ das,ȱ wasȱ manȱ machenȱmuss,ȱaberȱnichtȱmehrȱ(18%)).ȱȱ Esȱistȱjedochȱauchȱbemerkenswert,ȱdassȱvonȱ108ȱLehrern,ȱdieȱzuȱdenȱ Vorstellungenȱ bezüglichȱ derȱ Arbeitsweiseȱ Angabenȱ machten,ȱ 26%ȱ keineȱÄnderungȱfürȱnötigȱbefinden.ȱAlsȱKonsequenzȱfürȱpräventiveȱ Maßnahmenȱwäreȱzunächstȱnotwendig,ȱMöglichkeitenȱfürȱeinȱeffekȬ tiveresȱundȱzugleichȱbelastungsreduzierendesȱArbeitenȱaufzuzeigen.ȱ 3. Soll-Zustand bezüglich Lebensweise Einȱ Drittelȱ derȱ Lehrerȱ machteȱ mindestensȱ eineȱ Aussageȱ zurȱ ErhöȬ hungȱderȱFreizeitaktivitäten.ȱInsbesondereȱgebenȱdieȱmeistenȱLehrerȱ an,ȱdassȱsieȱinȱihrerȱFreizeitȱstärkerȱsportlichenȱAktivitätenȱnachgeȬ henȱ sollten,ȱ umȱ gesundȱ undȱ leistungsfähigȱ bisȱ zumȱ gesetzlichenȱ Rentenalterȱarbeitenȱzuȱkönnen.ȱȱ InsgesamtȱwirdȱanȱdenȱAussagenȱderȱuntersuchtenȱStichprobenȱvonȱ Lehrkräftenȱ erkennbar,ȱ dassȱ einigeȱ derȱ prinzipiellenȱ Möglichkeitenȱ zurȱ Primärpräventionȱ auchȱ vonȱ ihnenȱ alsȱ sinnvolleȱ Möglichkeitenȱ wahrgenommenȱ werden.ȱ Auffälligȱ ist,ȱ dassȱ Ressourcenȱ inȱ derȱ OrȬ ganisationȱ derȱ Lehrarbeitȱ sowieȱ inȱ derȱ Lehrmethodikȱ undȱ damitȱ derȱeigenenȱArbeitsweiseȱ(z.B.ȱbeanspruchungsgünstigeȱUnterrichtsȬ formen)ȱkaumȱthematisiertȱwerden.ȱ Dasȱ legtȱ naheȱ zuȱ prüfen,ȱ inwieweitȱ Lehrerbildnerȱ dieȱ späterenȱ Lehrkräfteȱ undȱ Bildungsbeamtenȱ angemessenȱ aufȱ dieȱ Vielfaltȱ priȬ märpräventiverȱ Möglichkeitenȱ vorbereitenȱ undȱ obȱ berufserfahreneȱ Lehrkräfteȱ bezüglichȱ dieserȱ Möglichkeitenȱ Lehrangeboteȱ erwartenȱ undȱ wahrnehmen,ȱ sowieȱ selbstȱ Verbesserungenȱ einzuleitenȱ vermöȬ gen.ȱ Imȱ Zusammenhangȱ mitȱ einemȱ laufendenȱ Untersuchungsvorhabenȱ betreffenȱdieseȱDatenȱLehrkräfteȱberufsbildenderȱSchulen.ȱ

276ȱ

Primärpräventive Inhalte in der Berufsschullehrerausbildung

10.4

Primärpräventive Inhalte in der Berufsschullehrerausbildung

10.4.1

Stichprobe und Methodik

10.4

Inȱ dieserȱ Untersuchungȱ wurdenȱ Professorenȱ undȱ wissenschaftlicheȱ Mitarbeiterȱ (N=13)ȱ derȱ Technischenȱ Universitätenȱ Dresdenȱ undȱ Chemnitzȱ sowieȱ derȱUniversitätȱ Leipzigȱ zuȱ Inhaltenȱ desȱ LehramtsȬ studiumsȱbefragtȱ(PhaseȱI).ȱDabeiȱwurdeȱaufȱeinenȱMixȱvonȱExperȬ tenȱ ausȱ erziehungswissenschaftlichenȱ Fachgebietenȱ (Methodik,ȱ DiȬ daktik,ȱPädagogik,ȱPsychologie)ȱundȱderȱFachdidaktikȱgeachtet.ȱȱ Außerdemȱ wurdenȱ Lehrbeauftragteȱ desȱ Referendariatsȱ desȱ StaatliȬ chenȱ Seminarsȱ inȱ Dresdenȱ (N=3)ȱ zuȱ Inhaltenȱ derȱ Lehrangeboteȱ imȱ Referendariatȱinterviewtȱ(PhaseȱII).ȱȱ Zielȱ dieserȱ anderthalbȱ bisȱ zweistündigenȱ halbstandardisiertenȱ EinȬ zelinterviewsȱwarȱes,ȱȱ

„ InhalteȱderȱderzeitȱrealisiertenȱAusbildungȱzuȱermitteln,ȱdieȱnachȱ Meinungȱ derȱ Ausbildnerȱ präventivȱ (IstȬZustand)ȱ zumȱ Vermeidenȱ undȱ Bewältigenȱ berufsbedingterȱ Belastungenȱ vonȱ Lehrernȱ beiȬ tragenȱ undȱ herauszuarbeiten,ȱ welcheȱ Inhalteȱ vermitteltȱ werdenȱ solltenȱ(SollȬZustand),ȱumȱeinȱgesundesȱLehrenȱzuȱgewährleistenȱ sowieȱȱ

„ zuȱ ermitteln,ȱ wasȱ Lehramtstudenten/Referendareȱ hinsichtlichȱ einesȱ arbeitslebenslangenȱleistungsstarkenȱundȱgesundenȱLehrensȱvonȱ ihrerȱAusbildungȱerwarten.ȱ

10.4.2

Ergebnisse

10.4.2.1

Analyse des Ist-Zustands primärpräventiver Inhalte

DieȱErgebnisseȱzeigenȱeinerseits,ȱdassȱinȱdenȱBeruflichenȱFachrichtunȬ genȱ sowieȱ derȱ Berufspädagogikȱ kaumȱ Inhalteȱ vermitteltȱ werden,ȱ dieȱ zumȱ Vermeidenȱ undȱ Bewältigenȱ berufsbedingterȱ Belastungenȱ vonȱ Lehrernȱbeitragen:ȱȱ Seitensȱ derȱ universitärenȱAusbildnerȱ wirdȱ bemängelt,ȱ dassȱ dieȱ BeȬ rufsschullehrerȱdenȱAuszubildendenȱaufgrundȱderȱgeringenȱpraktiȬ schenȱErfahrungȱoftmalsȱnichtȱgewachsenȱsind,ȱworausȱStresssituaȬ

277ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

tionenȱfürȱdenȱLehrerȱentstehen.ȱDaherȱwerdenȱBerufspraktikaȱempȬ fohlen;ȱ dieseȱ sindȱ bislangȱ fakultativ.ȱ Dieȱ steigendenȱ StudentenzahȬ lenȱerlaubenȱallerdings,ȱeineȱAuswahlȱunterȱdenȱLehramtskandidaȬ tenȱ zuȱ treffen.ȱ EinȱAuswahlkriteriumȱ istȱ einȱ Facharbeiterabschluss;ȱ istȱ dieserȱ nichtȱ vorhanden,ȱ wirdȱ einȱ 51Ȭwöchigesȱ Berufspraktikumȱ vorȱoderȱwährendȱdesȱStudiumsȱverlangt.ȱȱ Dieȱ Psychologie,ȱ vonȱ derȱ amȱ ehestenȱ einȱ primärpräventiverȱ Beitragȱ zuȱerwartenȱwäre,ȱkannȱderȱgroßenȱNachfrageȱmitȱsechsȱzurȱVerfüȬ gungȱ stehendenȱ Semesterwochenstundenȱ imȱ untersuchtenȱ Falleȱ kaumȱgerechtȱwerden.ȱDieȱangebotenenȱSeminareȱsindȱüberfüllt,ȱsoȱ dassȱ dieȱ Studierendenȱ gezwungenȱ sind,ȱ beispielsweiseȱ aufȱ VeranȬ staltungenȱ derȱ VerkehrsȬȱ oderȱ Gerontopsychologieȱ auszuweichen,ȱ umȱdenȱfürȱdasȱStudiumȱzuȱerbringendenȱNachweisȱfürȱdenȱBesuchȱ einesȱpsychologischenȱSeminarsȱzuȱerhaltenȱundȱdasȱStudiumȱzügigȱ fortsetzenȱ zuȱ können.ȱ Zudemȱ handeltȱ esȱ sichȱ umȱ Veranstaltungen,ȱ dieȱsichȱausȱPsychologieȬStudentenȱundȱLehramtstudentenȱmitȱstarkȱ differierendenȱVoraussetzungenȱundȱBerufszielenȱzusammensetzen.ȱ Beiȱ derȱ Ausbildungȱ zumȱ DiplomȬHandelslehrerȱ wurdeȱ derȱ Anteilȱ derȱ Psychologieȱ sogarȱ vonȱ sechsȱ aufȱ zweiȱ Semesterwochenstundenȱ verkürzt;ȱ derȱ zuȱ vermittelndeȱ Stoffȱ kannȱ nurȱ angerissenȱ werden,ȱ weswegenȱ dieȱ Studierendenȱ nichtȱ hinreichendȱ aufȱ ihrȱ Berufslebenȱ vorbereitetȱseinȱkönnen.ȱȱ FernerȱwirdȱseitensȱderȱPädagogenȱdasȱmangelhafteȱWissenȱderȱLehȬ rerȱ umȱ dieȱ Bedeutungȱ derȱ Schuleȱ alsȱ sozialenȱ Raum,ȱ alsȱ Ortȱ derȱ Anerkennungȱkritisiert.ȱWegenȱzuȱgeringerȱAnerkennungȱverschafȬ fenȱsichȱnachȱdieserȱAuffassungȱdieȱSchülerȱoftȱüberȱMobbingȱoderȱ Gewaltȱ Aufmerksamkeit.ȱ Alsȱ primärpräventiveȱ Maßnahmenȱ werȬ denȱ Vorlesungenȱ undȱ Seminareȱ gehaltenȱ zuȱ „Abweichendemȱ VerȬ halten“.ȱȱ InȱderȱzweitenȱPhaseȱberichtenȱdieȱLehrbeauftragtenȱvonȱThemenȱzurȱ Kommunikation,ȱUmgangȱmitȱStörungenȱundȱVerhaltenȱinȱKonfliktȬ situationen.ȱDieseȱThemenȱfindenȱgroßesȱInteresseȱbeiȱdenȱReferenȬ daren,ȱjedochȱliegtȱnachȱAuskunftȱderȱLehrbeauftragtenȱkaumȱVorȬ wissenȱseitensȱderȱReferendareȱdazuȱvor:ȱFachlichȱseienȱsieȱgutȱausȬ gebildet,ȱ aberȱ Lehrergesundheit,ȱ StressȬȱ oderȱ Konfliktbewältigungȱ undȱdiagnostischeȱVerfahrenȱseienȱnurȱwenigȱbehandelt.ȱȱ DasȱGrundproblemȱbesteheȱdarin,ȱdassȱeinȱGroßteilȱderȱangehendenȱ Studierendenȱ eineȱ diffuseȱ Vorstellungȱ vomȱ Studiengangȱ bzw.ȱ überȱ

278ȱ

Primärpräventive Inhalte in der Berufsschullehrerausbildung

10.4

ihrenȱspäterenȱTätigkeitsbereichȱhabe:ȱ„DerȱzukünftigeȱArbeitsplatzȱistȱ ihnenȱ nichtȱ vertraut.“ȱ Dasȱ führtȱ dazu,ȱ dassȱ sichȱ dieȱ Studierendenȱ kaumȱmitȱdemȱStudiumȱidentifizieren.ȱ 10.4.2.2

Analyse des Soll-Zustands primärpräventiver Inhalte

Wieȱ bereitsȱ inȱ denȱ eingangsȱ aufgeführtenȱ hypothetischenȱ VorüberȬ legungenȱ zuȱ primärpräventivenȱ Möglichkeitenȱ inȱ denȱ LehrangeboȬ tenȱ wirdȱ auchȱ vonȱ denȱAusbildnernȱ dieȱ Einführungȱ vonȱ ZugangsȬ voraussetzungenȱzurȱErfassungȱdesȱSelbstbildesȱempfohlen.ȱȱ Zurȱ Schaffungȱ einerȱ beruflichenȱ Identitätȱ istȱ esȱ ausȱ Sichtȱ derȱ AusȬ bildnerȱ dringendȱ erforderlich,ȱ denȱ Studierendenȱ früherȱ undȱ häufiȬ gerȱdasȱSammelnȱschulpraktischerȱErfahrungȱzuȱermöglichen,ȱdennȱ „ohneȱ eigeneȱ Erfahrungȱ istȱ esȱ schwer,ȱ sichȱ inȱ bestimmteȱ Situationenȱ hiȬ neinzudenkenȱundȱsichȱtheoretischȱdaraufȱvorzubereiten“.ȱPraxiseinsätzeȱ bereitsȱ imȱ erstenȱ undȱ zweitenȱ Semesterȱ sollenȱ denȱ Studierendenȱ nichtȱ nurȱ einenȱ Einblickȱ inȱ ihrenȱ späterenȱ Tätigkeitsbereichȱ geben,ȱ sieȱ sollenȱ auchȱ dazuȱ dienen,ȱ erforderlicheȱ Kompetenzenȱ insbesonȬ dereȱmethodischerȱundȱdidaktischerȱArtȱinȱihrerȱBedeutungȱerfahrȬ barȱzuȱmachen.ȱȱ WeitereȱEmpfehlungenȱbeziehenȱsichȱaufȱdasȱTrainierenȱdesȱBewälȬ tigensȱvonȱStressȬȱundȱKonfliktsituationenȱalsȱWegeȱderȱsekundärenȱ Prävention.ȱȱ DesȱWeiterenȱwirdȱeineȱAbstimmungȱzwischenȱderȱerstenȱundȱzweiȬ tenȱ Phaseȱ derȱ Lehrerausbildungȱ sowohlȱ vonȱ denȱ Ausbildnernȱ derȱ erstenȱPhaseȱalsȱauchȱvonȱdenȱLehrbeauftragtenȱderȱzweitenȱPhaseȱ alsȱ unerlässlichȱ erachtet:ȱ „Derzeitȱ erfolgtȱ dieȱ Verabschiedungȱ vonȱ derȱ Universitätȱ undȱ derȱ Studentȱ gehtȱ dannȱ inȱ eineȱ andereȱ Welt.“ȱ „Inȱ derȱ 2.ȱ PhaseȱwerdenȱandereȱMaßstäbeȱgesetzt,ȱz.B.ȱbeiȱderȱLeistungsbewertung.“ȱ Eineȱ Verknüpfungȱ beiderȱ Phasenȱ sollteȱ imȱ Sinneȱ einerȱ inhaltlichenȱ Abstimmungȱ erfolgen,ȱ wobeiȱ Themenȱ aufeinanderȱ aufbauen.ȱ Dasȱ seiȱ einȱ Beitragȱ zuȱ einerȱ präventivenȱ Ausbildungȱ derȱ Studierendenȱ undȱReferendare.ȱȱ Zusammenfassendȱ betreffenȱ dieȱ nichtȱ verallgemeinerbarenȱ vorwieȬ gendȱ selbstkritischenȱ Aussagenȱ derȱ Lehrerbildnerȱ Defiziteȱ inȱ denȱ insbesondereȱprimärpräventivenȱAusbildungsangebotenȱundȱȬresulȬ taten.ȱDieseȱDefiziteȱbetreffenȱsowohlȱdenȱUmfangȱalsȱauchȱdieȱInȬ halteȱ derȱ Lehrangeboteȱ sowieȱ derenȱ Abstimmungȱ zwischenȱ StudiȬ

279ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

umȱundȱderȱ–ȱverspätetenȱ–ȱAusbildungȱimȱsog.ȱReferendariat,ȱd.h.ȱ derȱberuflichenȱEinstiegsphase.ȱDerȱinȱAbschnittȱ10.2ȱerwähnteȱUmȬ stellungsprozessȱ entsprechendȱ derȱ sog.ȱ BolognaȬEmpfehlungenȱ dürfteȱgeeignetȱsein,ȱdieseȱDefiziteȱzuȱreduzieren.ȱȱ Inȱ einerȱ weiterenȱ Untersuchungȱ interessierenȱ leistungsȬȱ undȱ geȬ sundheitsförderndeȱ sowieȱ Ȭerhaltendeȱ Ansatzmöglichkeitenȱ inȱ derȱ AusȬȱundȱWeiterbildungȱausȱSichtȱderȱBerufsschullehrer.ȱ

10.5

Primärprävention aus der Sicht von Berufsschullehrkräften

10.5.1

Stichprobe und Methodik

AnȱvierȱsächsischenȱberufsbildendenȱSchulenȱinȱöffentlicherȱTrägerȬ schaftȱ wurdenȱ Gruppendiskussionenȱ imȱ Sinneȱ desȱ aufgabenbezoȬ genenȱ Informationsaustauschsȱ (Neubertȱ &ȱ Tomczyk,ȱ 1986;ȱ WetzȬ stein,ȱ 2004)ȱ mitȱ Lehrkräftenȱ durchgeführtȱ mitȱ demȱ Ziel,ȱ VerändeȬ rungserfordernisseȱ inȱ derȱ SchulȬȱ undȱArbeitsorganisationȱ imȱ Sinneȱ einerȱ effizientenȱ undȱ beanspruchungsgünstigenȱ Berufstätigkeitȱ zuȱ identifizierenȱ undȱ möglicheȱ Veränderungsmaßnahmenȱ zuȱ erarbeiȬ tenȱundȱumzusetzen.ȱDieȱTeilnahmeȱwarȱfreiwillig.ȱ BeiȱdiesemȱAufgabenbezogenenȱInformationsaustauschȱ(AI)ȱhandeltȱ esȱ sichȱ umȱ moderierteȱ Gruppendiskussionenȱ mitȱ heterogenerȱ ZuȬ sammensetzungȱ desȱ Teilnehmerkreisesȱ undȱ mehrmaligemȱ ZusamȬ mentreffenȱderȱTeilnehmer/Ȭinnen.ȱȱ ProȱSchuleȱnahmenȱca.ȱ3Ȭ9ȱLehrer/ȬinnenȱanȱdenȱGruppensitzungen,ȱ dieȱ überȱ mehrereȱ Wochenȱ einmaligȱ proȱ Wocheȱ oderȱ 14Ȭtägigȱ stattȬ fanden,ȱ teil.ȱ Beiȱ denȱ Lehrern/Ȭinnenȱ (N=25)ȱ handelteȱ esȱ sichȱ umȱ Lehrkräfteȱ verschiedenerȱ Fächerȱ undȱ Berufsgruppenȱ sowieȱ unterȬ schiedlicherȱ Berufserfahrung.ȱAnȱ zweiȱ Schulenȱ beteiligtenȱ sichȱ derȱ Schulleiterȱbzw.ȱderȱstellvertretendeȱSchulleiter.ȱ Darüberȱ hinausȱ wurdenȱ inȱ halbstandardisiertenȱ Einzelinterviewsȱ weitereȱLehrer/Ȭinnenȱ(N=31;ȱ58%ȱweiblich,ȱmittleresȱAlter:ȱ52ȱJahre)ȱ zuȱ ihrerȱArbeitssituation,ȱ möglichenȱ Belastungen,ȱ Zusammenarbeitȱ mitȱKollegen/ȬinnenȱsowieȱInteraktionȱmitȱSchülernȱbefragt.ȱ

280ȱ

Primärprävention aus der Sicht von Berufsschullehrkräften

10.5.2

10.5

Ergebnisse

Imȱ Folgendenȱ sollenȱ dieȱ Ergebnisseȱ derȱ Gruppensitzungenȱ sowieȱ derȱEinzelinterviewsȱvorgestelltȱwerdenȱsoweitȱsieȱprimärpräventiveȱ Ansätzeȱbetreffen.ȱÜbereinstimmendȱwurdenȱfolgendeȱBereicheȱvonȱ Veränderungserfordernissenȱgenannt:ȱȱ Arbeitsbedingungen,ȱArbeitsȬ/ȱSchulorganisation,ȱFührungstätigkeitȱ derȱ Schulleitungenȱ undȱ Schulbehörden,ȱ unerfüllbareȱ ArbeitsanforȬ derungen,ȱ Schülerverhalten,ȱ Zusammenarbeitȱ mitȱ Kollegen,ȱ sowieȱ dieȱMethodikȱundȱDidaktikȱimȱeigenenȱLehrprozess.ȱ Beiȱ denȱ Arbeitsbedingungenȱ wurdenȱ alsȱ veränderungsbedürftigȱ genanntȱdieȱüberfülltenȱKlassenȱ(teilweiseȱbisȱzuȱ32ȱSchüler/Ȭinnen),ȱ dasȱHinzutretenȱneuerȱKlassenȱmittenȱimȱSchuljahr,ȱdieȱAusstattungȱ derȱ Klassen,ȱ LehrerȬȱ undȱ Vorbereitungszimmer,ȱ dieȱ Qualitätȱ derȱ Arbeitsmittelȱ (Lehrbücherȱ nichtȱ ausreichendȱ oderȱ nichtȱ fachspeziȬ fisch),ȱ dieȱ fehlendeȱ Schulungȱ derȱ Lehrerȱ zurȱ Einführungȱ derȱ LernȬ felder,ȱdieȱkaumȱrealisierbarenȱLehrpläne,ȱdasȱunterschiedlicheȱLeisȬ tungsniveauȱinnerhalbȱeinerȱKlasse.ȱBezüglichȱderȱArbeitsorganisaȬ tionȱ werdenȱ derȱ Wechselȱ zwischenȱ denȱ Schulgebäudenȱ undȱ dieȱ Arbeitszeitgestaltungȱ (FreiȬȱ undȱ Vertretungsstunden,ȱ StundenumȬ fangȱvonȱbisȱzuȱ8ȱUnterrichtsstundenȱproȱTag)ȱangesprochen.ȱ BeiȱdenȱAnforderungenȱwerdenȱalsȱveränderungsbedürftigȱdieȱUnȬ überschaubarkeitȱ derȱ Aufgabenȱ oderȱ derȱ Zeitdruckȱ genannt.ȱ HinȬ sichtlichȱderȱZusammenarbeitȱwirdȱUnterstützungȱdurchȱKollegen/ȱ Ȭinnenȱ nurȱ seltenȱ erfahrenȱ bzw.ȱ wirdȱ nurȱ beiȱ ausgewähltenȱ KolȬ legen/Ȭinnenȱ Ratȱ eingeholt,ȱ ausȱ Angst,ȱ alsȱ schwachȱ zuȱ gelten.ȱ Schließlichȱ werdenȱ fehlendeȱ eigeneȱ methodischeȱ undȱ didaktischeȱ Kompetenzenȱ beiȱ fehlenderȱ Supervisionȱ undȱ einemȱ praxisfernenȱ Weiterbildungsangebotȱalsȱveränderungsbedürftigȱeingeschätzt.ȱ Derȱ umfangreichenȱ Sammlungȱ veränderungsbedürftigerȱ SachverȬ halteȱdurchȱdieȱLehrkräfteȱstehenȱeinȱbegrenzterȱUmfangȱvonȱprinȬ zipiellenȱ Lösungsvorschlägenȱ undȱ eineȱ nochȱ kleinereȱ Anzahlȱ vonȱ Maßnahmenȱ gegenüber,ȱ welcheȱ dieȱ Gruppenȱ anȱ ihrenȱ Schulenȱ selbstȱplanenȱbzw.ȱbereitsȱeinleiten:ȱ DieȱErarbeitungȱvonȱLösungsvorschlägenȱfürȱdieȱArbeitsbedingunȬ genȱundȱ–organisationȱstellteȱsichȱalsȱsehrȱschwierigȱheraus,ȱdaȱdieȱ Lehrer/Ȭinnenȱ undȱ dieȱ Schulleiterȱkaumȱ selbstȱ Einflussȱ daraufȱ nehȬ menȱ können.ȱ Dasȱ betrifftȱ dasȱ Hinzutretenȱ vonȱ weiterenȱ Klassenȱ

281ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

währendȱ desȱ laufendenȱ Schuljahres,ȱ dieȱ überfülltenȱ Lehrpläne,ȱ dieȱ mangelndeȱAusstattungȱ derȱ Schulen.ȱ DiesbezüglicheȱIdeenȱ werdenȱ gesammeltȱ undȱ demȱ Regionalschulamtȱ bzw.ȱ Kultusministeriumȱ vorgelegt.ȱȱ Amȱ klarstenȱ wurdenȱ Lösungsvorschlägeȱ fürȱ dieȱ eigenenȱ Schulenȱ entwickeltȱundȱteilweiseȱbereitsȱinȱAngriffȱgenommen.ȱSieȱbetreffenȱ dieȱ kooperativeȱ Verbesserungȱ derȱ eigenenȱ methodischenȱ KompeȬ tenzenȱdesȱLehrpersonalsȱinȱderȱWeiterbildungȱundȱstimmenȱdarinȱ mitȱ denȱ darüberȱ hinausgehendenȱ Vorschlägenȱ überein,ȱ dieȱ Ulichȱ (2005)ȱfürȱschweizerischeȱSchulenȱaufȱderȱBasisȱumfassenderȱUnterȬ suchungenȱimȱKantonȱBaselȬStadtȱberichtetȱ(Ulich,ȱTrachsler,ȱWülserȱ &ȱInversini,ȱ2003).ȱ Dieȱ entwickeltenȱ Lösungen,ȱ u.a.ȱ einȱ regelmäßigerȱ Austauschȱ derȱ Lehrkräfteȱ zurȱ Methodikȱ imȱ sog.ȱ Berufsvorbereitendenȱ Jahrȱ (BVJ),ȱ werdenȱ derzeitȱ eingeführt;ȱ eineȱ formativeȱ Evaluationȱ istȱ vorgeseȬ hen.ȱ Dasȱ Entscheidendeȱ sindȱ wenigerȱ dieȱ unspektakulärenȱ VerändeȬ rungsansätze,ȱsondernȱderȱÜbergangȱzurȱgemeinsamenȱSelbstgestalȬ tungȱderȱLehrerarbeitȱimȱInteresseȱsowohlȱderȱBelastungsreduktionȱ derȱ einzelnenȱ Lehrkraftȱ alsȱ auchȱ derȱ Lernerfolgeȱ insbesondereȱ beȬ nachteiligterȱ(BVJȬ)Schüler.ȱ Wirȱ vermuten,ȱ dassȱ auchȱ Lehrerȱ zunächstȱ lernenȱ müssen,ȱ ihreȱArȬ beitssituationȱ selbstȱ aktivȱ zuȱ gestalten.ȱ Dieȱ Hoffnungȱ ist,ȱ dassȱ imȱ VerlaufȱdiesesȱProzessesȱdieȱBereitschaftȱbzw.ȱderȱMutȱzuȱMaßnahȬ menȱauchȱverhältnispräventiverȱArtȱbeiȱdemȱLehrpersonalȱundȱdenȱ Schulbehördenȱwächst.ȱ

10.6

Fazit und Ausblick

10.6.1

Primärprävention: Zutat oder Gestaltung des Kernarbeitsprozesses

Nichtȱ wenigeȱ Präventionsangeboteȱ –ȱ beispielsweiseȱ vonȱ KrankenȬ kassenȱ–ȱverengenȱPräventionsmaßnahmenȱaufȱAngeboteȱzusätzlichȱ zumȱ Arbeitsprozessȱ –ȱ hierȱ desȱ Unterrichtensȱ undȱ Erziehensȱ –,ȱ dieȱ zudemȱ isolierendȱ aufȱ eineȱ gesundeȱ Lebensweiseȱ zielen:ȱ Gesundeȱ

282ȱ

Fazit und Ausblick

10.6

Ernährung,ȱ Fitness,ȱ Raucherentwöhnung,ȱ Entspannungstechnikenȱ oderȱWiderstandȱgegenȱDrogenȬȱundȱGenussmittelmissbrauch.ȱDieȬ seȱMaßnahmenȱkönnenȱGesundheitsbeeinträchtigungenȱvorbeugen,ȱ jedochȱ folgenȱ sieȱ keinerȱ spezifischenȱ Verhütungsintentionȱ vonȱ beȬ rufsspezifischenȱ Ursachenȱ psychosomatischerȱ Beeinträchtigungenȱ vonȱLehrern,ȱderȱHauptursacheȱvonȱderenȱFrühverrentungen.ȱȱ Desȱ Weiterenȱ kannȱ Primärpräventionȱ fürȱ Lehrerȱ nichtȱ aufȱ derenȱ Lehrtätigkeitȱ undȱ Lebensführungȱ verkürztȱ werdenȱ undȱ dasȱ BilȬ dungssystemȱeinerseitsȱundȱdieȱInteraktionspartner,ȱdieȱSchüler,ȱmitȱ ihrenȱproblematischenȱBerufsperspektivenȱ(z.B.ȱimȱBVJ)ȱandererseitsȱ alsȱ wesentlicheȱ Bestimmungsfaktorenȱ vonȱ Belastungenȱ unbeachtetȱ lassen.ȱȱ Primärpräventionȱ mussȱ sichȱ konzentrierenȱ aufȱ dieȱ leistungsȬȱ undȱ gesundheitsförderlicheȱGestaltungȱdesȱErziehensȱundȱUnterrichtensȱ fürȱ eineȱ (ArbeitsȬ)ȱ Biographieȱ inȱ einerȱ globalisiertenȱ undȱ hyperȬ kompetitivenȱWelt.ȱȱ

10.6.2

Primärprävention als Gestaltung des Kernarbeitsprozesses: Aktuelle Chancen

Zahlreicheȱ Analysenȱ desȱ Bildungsprozessesȱ führtenȱ inȱ letzterȱ Zeitȱ zuȱ Veränderungsvorschlägen,ȱ dieȱ hauptsächlichȱ dasȱ künftigeȱ BeȬ rufsbildȱundȱdieȱAusȬȱundȱWeiterbildungȱvonȱLehrernȱbetreffenȱ(z.B.ȱ OECD,ȱ 2004;ȱ Beschlüsseȱ derȱ Kultusministerkonferenz,ȱ 2004).ȱ Dieseȱ VorschlägeȱhabenȱzumȱEinleitenȱersterȱMaßnahmenȱbeiȱGelegenheitȱ derȱ Umstellungȱ derȱ Lehrerausbildungȱ imȱ Sinneȱ desȱ BolognaȬ Prozessesȱ (BachelorȬȱ undȱ Masterabschlüsse)ȱ geführtȱ (Beispieleȱ bieȬ tenȱdasȱZLLȱderȱTUȱMünchen:ȱModellstudiengangȱBachelor/Masterȱ fürȱ dasȱ Lehramtȱ anȱ Gymnasien,ȱ 2006;ȱ dasȱ ZLSBȱ derȱ TUȬDresden:ȱ Lehrerbildungȱ anȱ derȱ TUȬDresden,ȱ Konzeptȱ BildungswissenschafȬ ten,ȱ2005).ȱȱ Dieseȱ eingeleitetenȱ sowieȱ geplantenȱ Maßnahmenȱ erscheinenȱ imȱ FalleȱihrerȱangemessenenȱUmsetzungȱgeeignet,ȱeinigeȱderȱeingangsȱ hypothetischȱ hergeleitetenȱ Möglichkeitenȱ zurȱ Primärpräventionȱ sowieȱderȱvonȱdenȱLehrerbildnernȱsowieȱvonȱdenȱLehrernȱdargelegȬ tenȱMöglichkeitenȱzuȱverwirklichen.ȱ

283ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

10.6.2.1

Primärpräventiv wirksame Veränderungen in der Lehrerbildung

DenȱderzeitȱinȱAngriffȱgenommenenȱundȱgeplantenȱVeränderungenȱ inȱ derȱ Lehrerbildungȱ istȱ ausȱ arbeitspsychologischerȱ Sichtȱ gemeinȬ sam,ȱdassȱsieȱzweiȱschwierigȱvereinbare,ȱaberȱunerlässlicheȱZieleȱzuȱ integrierenȱ versuchen:ȱ Einerseitsȱ sollȱ derȱ Lehrerberufȱ mehrȱ (oderȱ überhaupt)ȱ beruflicheȱ Polyvalenzȱ erhaltenȱ undȱ andererseitsȱ sollȱ erȱ fürȱ dasȱ Unterrichtenȱ undȱ Erziehenȱ vonȱ Kindernȱ undȱ Jugendlichenȱ alsȱ Kernaufgabeȱ professionalisiertȱ werdenȱ –ȱ anstattȱ FachwissenȬ schaftlerȱmitȱeinemȱnachgetragenenȱdidaktischenȱMinimumȱzuȱverȬ sehenȱ(z.B.ȱBeschlüsseȱderȱKultusministerkonferenz,ȱ2004).ȱȱ Mehrereȱ derȱ eingangsȱ hypothetischȱ abgeleitetenȱ primärpräventivȱ wirksamenȱ Veränderungenȱ –ȱ dieȱ teilweiseȱ auchȱ erfahreneȱ LehrerȬ bildnerȱ undȱ Lehrerȱ fordernȱ –ȱ sollenȱ damitȱ erfülltȱ werden.ȱ Imȱ EinȬ zelnenȱbetrifftȱdas:ȱȱ a)ȱ Berufsspezifischeȱ Eignungsfeststellungenȱ vorȱ Berufsbeginn,ȱ dieȱ unterȱ anderemȱ Ersterfahrungenȱ inȱ derȱ KinderȬȱ undȱ Jugendarbeitȱ einbeziehen.ȱ Inwieweitȱ berufsspezifischeȱ medizinischeȱ (z.B.ȱ phoniȬ atrische)ȱ undȱ psychischeȱ (z.B.ȱ Belastungsbewältigungsstile)ȱ VorȬ raussetzungenȱberücksichtigtȱwerden,ȱistȱnichtȱerkennbar.ȱȱ b)ȱ Mehrfacheȱ Korrekturmöglichkeitenȱ derȱ Berufsentscheidungȱ imȱ Studiumȱ mitȱ Beratungsangebotenȱ nachȱ erstenȱ Praxiserfahrungenȱ werdenȱvorgesehen.ȱȱ c)ȱ Berufsbezogene,ȱ d.h.ȱ erziehungsȬȱ undȱ bildungswissenschaftlicheȱ Inhalteȱ einbeziehendeȱ Ausbildungsgängeȱ vonȱ Studienbeginnȱ anȱ anstelleȱderȱNachlieferungȱdieserȱLeistungsvoraussetzungȱnachȱderȱ fachwissenschaftlichenȱAusbildungȱsindȱvorgesehen.ȱ d)ȱ Dabeiȱ wirdȱ dieȱ Verbesserungȱ derȱ Verbindungȱ zwischenȱ theoreȬ tischȱ fundierterȱ –ȱ undȱ damitȱ zukunftsoffenerȱ undȱ polyvalenterȱ –ȱ bildungswissenschaftlicherȱ Ausbildungȱ undȱ derenȱ praktischȱ übenȬ derȱ Umsetzungȱ vonȱ Studienbeginnȱ anȱ betont.ȱ Dasȱ gehtȱ einherȱ mitȱ Vorschlägenȱ zurȱ Vernetzungȱ zwischenȱ derȱ universitärenȱ AusbilȬ dungȱundȱdenȱSchulenȱmitȱSchulpraktikaȱbereitsȱimȱerstenȱStudienȬ abschnitt,ȱteilweiseȱimȱerstenȱSemester.ȱȱ

284ȱ

e)ȱÜbendeȱAusbildungsteileȱsollenȱverstärktȱinȱdieȱuniversitäreȱAusȬ bildungȱ eingebautȱ werdenȱ mitȱ demȱ Zielȱ desȱ Entwickelnsȱ vonȱ FerȬ tigkeitenȱ undȱ Fähigkeitenȱ imȱ fachwissenschaftlichenȱ Bereichȱ (beiȬ

Fazit und Ausblick

10.6

spielsweiseȱExperimentierenȱoderȱModellbau)ȱundȱimȱbildungswisȬ senschaftlichenȱ Sektorȱ (Übenȱ unterȱ anderemȱ vonȱ LehrȬ,ȱ PräsentatiȬ onsȬ,ȱGruppenarbeitsȬ,ȱKonfliktbewältigungstechniken).ȱȱ f)ȱ Dasȱ Bemühenȱ umȱ Integrationȱ vonȱ fachwissenschaftlichenȱ undȱ erziehungsȬȱ bzw.ȱ bildungswissenschaftlichenȱ Inhaltenȱ bisȱ hinȱ zuȱ denȱ Abschlussarbeitenȱ wirdȱ betont.ȱ Beispielsweiseȱ kannȱ GegenȬ standȱ derȱ Masterarbeitȱ fürȱ spätereȱ Lehrerȱ dieȱ Aufarbeitungȱ erzieȬ hungswissenschaftlicherȱAspekteȱeinesȱfachwissenschaftlichenȱProbȬ lemsȱseinȱ(vgl.ȱauchȱStern,ȱ2006).ȱȱ g)ȱQualitätskontrollenȱderȱLehrangeboteȱderȱbildungsȬȱundȱfachwisȬ senschaftlichenȱ Lehrstühleȱ derȱ Universitätenȱ bezüglichȱ ihrerȱAngeȬ messenheitȱfürȱdieȱLehrerausbildungȱwerdenȱalsȱMöglichkeitȱangeȬ sprochen.ȱȱ h)ȱDieȱLehrerausbildungȱsollȱfürȱunterschiedlicheȱBerufsbiographienȱ durchlässigȱ werdenȱ undȱ damitȱ einenȱ Wechselȱ derȱ SchwerpunktfäȬ cher,ȱderȱSchultypenȱsowieȱauchȱzurȱArbeitȱinȱderȱWirtschaftȱvorseȬ hen.ȱȱ Derȱ Bezugȱ desȱ BolognaȬProzessesȱ aufȱ dieȱAusbildungsorganisationȱ bedingt,ȱ dassȱ weitereȱ primärpräventivȱ nutzbareȱ Möglichkeitenȱ unȬ berücksichtigtȱbleiben,ȱderenȱFehlenȱzumȱTeilȱdieȱvonȱunsȱbefragtenȱ LehrerȱundȱLehrerbildnerȱbeklagen.ȱ 10.6.2.2

Ungenutzte Ansatzmöglichkeiten zur Primärprävention

Wenigerȱ erkennbarȱ erscheint,ȱ inwieweitȱ denkbareȱ inhaltlicheȱ undȱ bildungsorganisatorischeȱRessourcenȱ fürȱ dasȱ Gestaltenȱ vonȱ LehrerȬ arbeitsprozessenȱ erschlossenȱ werdenȱ sollen,ȱ dieȱ gesundȱ undȱ leisȬ tungsfähigȱerhalten.ȱBezogenȱaufȱdieȱeingangsȱhypothetischȱabgeleiȬ tetenȱ Möglichkeitenȱ betrifftȱ dasȱ bezüglichȱ derȱ UnterrichtsȬȱ undȱ Erziehungsinhalteȱinsbesondereȱ

„ dieȱ (AusȬ)Bildungȱ fürȱ künftigeȱ PatchworkȬArbeitsbiographienȱ derȱ Schüler,ȱbeispielsweiseȱ inȱ Weiterentwicklungȱ desȱ berufsvorȬ bereitendenȱJahresȱfürȱJugendlicheȱohneȱLehrstellenȱ(BVJ)ȱmitȱeiȬ nemȱ Befähigenȱ zurȱ Selbstmotivierungȱ undȱ zumȱ SelbstmanageȬ mentȱauchȱinȱAbschnittenȱbevorstehenderȱErwerbslosigkeitȱoderȱ

285ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

„ dieȱ außerunterrichtlicheȱ Arbeitȱ mitȱ Jugendlichenȱ anȱ derȱ Schuleȱ beispielsweiseȱimȱSinneȱderȱerwähntenȱKompetenzwerkstätten.ȱ Inȱ Hinblickȱ aufȱ bildungsorganisatorischeȱ Präventionsressourcenȱ solltenȱeingehenderȱgeprüftȱwerdenȱunterȱanderemȱ

„ personalwirtschaftlichȬschulorganisatorischeȱ

Voraussetzungenȱ

desȱkooperativenȱArbeitensȱimȱLehrprozess,ȱ

„ dieȱ schulorganisatorischeȱundȱ arbeitswissenschaftlicheȱ OptimieȬ rungȱvonȱVoraussetzungenȱeinerȱGanztagsarbeitȱvonȱLehrkräftenȱ anȱoptimiertenȱArbeitsplätzenȱinȱderȱSchule,ȱ

„ dasȱ Schaffenȱ verbesserterȱ räumlichȬmateriellerȱ Voraussetzungenȱ zurȱRealisierungȱalternativerȱLehrformen,ȱ

„ deutschlandsspezifischeȱ verwaltungsrechtlicheȱ Voraussetzungenȱ polyvalenterȱ Arbeitȱ nachȱ einerȱ Lehrerausbildungȱ (Prüfenȱ derȱ SinnhaftigkeitȱderȱVerbeamtung;ȱNutzenȱundȱGrenzenȱföderalerȱ RealisierungenȱderȱfürȱeuropaweitenȱEinsatzȱkonzipiertenȱBacheȬ lorȬ/Masterstudiengänge).ȱ DerȱNutzenȱvonȱPräventionȱinȱdenȱKernarbeitsprozessenȱdesȱUnterȬ richtensȱ undȱ Erziehensȱ dürfteȱ langfristigȱ („nachhaltig“)ȱ erkennbarȱ werden:ȱ Dieȱ Schülerȱ vonȱ heuteȱ sindȱ dieȱ Elternȱ vonȱ morgenȱ („Manȱ könnt`ȱ erzogeneȱ Kinderȱ gebären,ȱ wennȱ dieȱ Elternȱ erzogenȱ wären“,ȱ J.W.ȱvonȱGoethe,ȱZahmeȱXenienȱIV).ȱMöglicherweiseȱistȱgeradeȱdieseȱ LangfristigkeitȱeinȱGrundȱfürȱeineȱpessimistischeȱPrognoseȱüberȱdieȱ offenenȱ Präventionsmöglichkeiten,ȱ weilȱ sieȱ gesellschaftspolitischeȱ Aktivitätenȱdarstellen.ȱ

10.7

Literatur

Blumenthal,ȱU.ȱ&ȱSentker,ȱA.ȱ(2005,ȱ21.ȱApril).ȱNeueȱLehrerȱbrauchtȱ dasȱLand.ȱDieȱZeit,ȱ41ȱ(17).ȱ Expertengruppeȱ Lehrergesundheitȱ (2005).ȱ Landauerȱ Empfehlungenȱ zurȱLehrergesundheitȱȬȱLehrergesundheitȱfördertȱQualitätȱvonȱSchuȬ le.ȱDasȱGesundheitswesen,ȱ67,ȱ56Ȭ58.ȱ

286ȱ

Literatur

10.7

Fritz,ȱC.ȱ&ȱSonnentag,ȱC.ȱ(2005).ȱRecovery,ȱhealth,ȱandȱjobȱperformȬ ance:ȱ Effectsȱ ofȱ weekendȱ experiences.ȱ Journalȱ ofȱ Occupationalȱ Healthȱ Psychology,ȱ10,ȱ187Ȭ199.ȱ Gehrke,ȱ J.ȱ (2002).ȱ DAKȬReportȱ Berufsschullehrer.ȱ Einȱ Beitragȱ zurȱ ZuȬ kunftsfähigkeitȱ desȱ Standortsȱ Deutschland.ȱ Hamburg:ȱ DAKȱ HauptgeȬ schäftsstelle.ȱ Hacker,ȱ W.ȱ &ȱ Reinhold,ȱ S.ȱ (1999).ȱ Beanspruchungsscreeningȱ fürȱ HuȬ mandienstleistungenȱ(BHDȬSystem).ȱFrankfurtȱa.ȱM.:ȱSwets.ȱ Klippert,ȱH.ȱ(2006).ȱLehrerentlastung.ȱWeinheim:ȱBeltz.ȱ Kultusministerkonferenzȱ(2004).ȱVereinbarungȱzuȱdenȱStandardsȱfürȱdieȱ Lehrerbildung:ȱBildungswissenschaftenȱ(Beschlussȱvomȱ16.12.2004).ȱ LangȬvonȱWins,ȱT.,ȱGruberȬHattheier,ȱM.,ȱNiederstrasser,ȱB.,ȱPasser,ȱ C.,ȱ Thelen,ȱ N.,ȱ Triebel,ȱ C.ȱ &ȱ Vogelsberger,ȱ P.ȱ (2005).ȱDieȱ KompetenzȬ werkstattȱ –ȱ Eineȱ Orientierungshilfeȱ fürȱ Jugendliche.ȱ Innsbruck:ȱ ZuȬ kunftszentrumȱTirol.ȱ Neubert,ȱJ.ȱ&ȱTomczyk,ȱR.ȱ(1986).ȱGruppenverfahrenȱderȱArbeitsanalyseȱ undȱArbeitsgestaltung.ȱBerlin:ȱDeutscherȱVerlagȱderȱWissenschaften.ȱ OECDȱ (2004).ȱ Anwerbung,ȱ beruflicheȱ Entwicklungȱ undȱ Verbleibȱ vonȱ qualifiziertenȱLehrerinnenȱundȱLehrern.ȱLänderbericht:ȱDeutschland.ȱVerȬ fügbarȱ unterȱ http://www.kmk.org/aktuell/Germany%20Countryȱ %20Note_Endfassung_deutsch.pdfȱ[7.8.2007].ȱ Richter,ȱP.,ȱRudolph,ȱM.ȱ&ȱSchmidt,ȱC.ȱF.ȱ(1996).ȱHandanweisungȱzumȱ Fragebogenȱ zurȱ Analyseȱ belastungsrelevanterȱ Anforderungsbewältigungȱ (FABA).ȱFrankfurtȱa.ȱM.:ȱSwetsȱundȱZeitlinger.ȱȱ Schaarschmidt,ȱ U.ȱ (Hrsg.)ȱ (2004).ȱ Halbtagsjobber?ȱ Psychischeȱ GesundȬ heitȱvonȱLehrerinnenȱundȱLehrernȱ–ȱAnalyseȱeinesȱveränderungsbedürftiȬ genȱZustands.ȱWeinheim:ȱBeltz.ȱ Schaarschmidt,ȱU.ȱ(2005).ȱHeuteȱLehrerȱ–ȱmorgenȱPatient?ȱDieȱproȬ blematischeȱGesundheitssituationȱimȱLehrerberufȱundȱwasȱdagegenȱ zuȱtunȱist.ȱInȱU.ȱRoseȱ&ȱA.ȱBräunlichȱ(Hrsg.),ȱLehrergesundheitȱ(S.ȱ38Ȭ 56).ȱBremerhaven:ȱNWȬVerlag.ȱ Schaarschmidt,ȱ U.ȱ &ȱ Fischer,ȱ H.W.ȱ (2001).ȱ Bewältigungsmusterȱ imȱ Beruf.ȱGöttingen:ȱVandenhoeckȱ&ȱRuprecht.ȱ

287ȱ

10

Primärpräventive Gestaltung der Lehrarbeit

Stern,ȱ E.ȱ (2006,ȱ 20.ȱ April).ȱ Inhaltȱ stattȱ Methode.ȱ Durchȱ LehrertraiȬ ningȱalleinȱwirdȱderȱUnterrichtȱnichtȱbesser.ȱDieȱZeit,ȱ43ȱ(17).ȱ Ulich,ȱ E.ȱ (2005).ȱ Arbeitspsychologieȱ (6.ȱ Aufl).ȱ Zürich:ȱ vdf;ȱ Stuttgart:ȱ SchäfferȬPoeschel.ȱ Ulich,ȱE.,ȱTrachsler,ȱE,ȱWülser,ȱM.ȱ&ȱInversini,ȱS.ȱ(2003).ȱArbeitsbedinȬ gungen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ derȱ Thurgauerȱ Volksschullehrkräfteȱ angesichtsȱ derȱ laufendenȱ Bildungsoffensive.ȱ Ergebnisseȱ derȱ Analyseȱ derȱ erstenȱTeilstudie.ȱFrauenfeld:ȱAmtȱfürȱVolksschuleȱundȱKindergarten.ȱ Wetzstein,ȱ A.ȱ (2004).ȱ Unterstützungȱ derȱ Innovationsentwicklung.ȱ EinȬ flussȱ vonȱ wissensbezogenenȱ Interaktionenȱ insbesondereȱ imȱ kooperativenȱ Problemlösenȱ undȱ fragenbasierterȱ Reflexion.ȱ Regensburg:ȱ S.ȱ Rodererȱ Verlag.ȱ

288ȱ

Einleitung

11.1

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

Kapitel 11

Nicola Jacobshagen und Thomas Rigotti

289

Einleitung

11.1

11.1

Einleitung

DieȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱsetztȱtypischerweiseȱerstȱ beimȱ Übergangȱ inȱ dasȱ Erwerbslebenȱ an.ȱ Soȱ werdenȱ beispielsweiseȱ jungeȱMenschenȱuntersucht,ȱdieȱsichȱnachȱihrerȱAusbildungȱinsȱArȬ beitslebenȱ begebenȱ undȱ derenȱ weitereȱ Entwicklungȱ inȱ denȱ erstenȱ JahrenȱderȱErwerbstätigkeitȱstudiertȱ(z.B.ȱProjektȱÆUQASȱȬȱSemmer,ȱ Tschan,ȱ Elfering,ȱ Kälinȱ &ȱ Grebner,ȱ 2005).ȱ Stressȱ beiȱ Schülernȱ undȱ SchülerinnenȱinȱderȱAdoleszenzȱwirdȱeherȱvonȱanderenȱDisziplinenȱ untersuchtȱ (z.B.ȱ Pädagogik,ȱ Erziehungswissenschaftenȱ undȱ MediȬ zin)ȱ oderȱ anderenȱ psychologischenȱ Teildisziplinenȱ (z.B.ȱ EntȬ wicklungsȬȱ undȱ Gesundheitspsychologie,ȱ Klinischeȱ undȱ PädagogiȬ scheȱPsychologie).ȱWelchenȱBeitragȱkannȱdieȱArbeitsȬȱundȱOrganisaȬ tionspsychologieȱ zumȱ Themaȱ Stressȱ beiȱ Adoleszentenȱ leisten?ȱ Ausgehendȱ vonȱ arbeitspsychologischenȱ Stresskonzeptenȱ werdenȱ wirȱinȱdiesemȱKapitelȱdieserȱFrageȱnachgehenȱundȱstressauslösendeȱ Bedingungen,ȱmöglicheȱRessourcen,ȱStressreaktionenȱundȱexemplaȬ rischȱ Ansätzeȱ zurȱ Diagnostikȱ undȱ Interventionȱ beiȱ Adoleszentenȱ vorstellen.1ȱ

11.2

Stressauslösende Bedingungen bei Adoleszenten

Stressorenȱ kannȱ manȱ definierenȱ alsȱ Ereignisseȱ oderȱ Merkmaleȱ derȱ Umgebung,ȱ welcheȱ dieȱ Wahrscheinlichkeitȱ vonȱ Stressreaktionenȱ erhöhenȱ(Zapfȱ&ȱSemmer,ȱ2004).ȱBeiȱderȱspezifischenȱAuseinanderȬ setzungȱ mitȱ Stressȱ imȱ Jugendalterȱ sollteȱ beachtetȱ werden,ȱ dassȱ beȬ reitsȱ dieȱAdoleszenzȱ alsȱ Phasenübergangȱ einenȱ bedeutendenȱ StresȬ sorȱ darstellenȱ kannȱ (Compas,ȱ Slavin,ȱ Wagnerȱ &ȱ Vannatta,ȱ 1986;ȱ SeiffgeȬKrenke,ȱ 1995).ȱ Inȱ derȱ Übergangsphaseȱ zumȱ ErwachsenenalȬ terȱ sindȱ diverseȱ Entwicklungsaufgabenȱ zuȱ meistern,ȱ zumȱ Beispielȱ bezüglichȱ Berufsvorbereitung,ȱ Identitätsfindungȱ undȱ Aufbauȱ derȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Aufȱ Wunschȱ derȱ Herausgeberȱ wurdenȱ dasȱ Literaturverzeichnisȱ sowieȱ dieȱ Zitateȱ

imȱ Textȱ deutlichȱ gekürzt.ȱ Dieȱ nichtȱ mehrȱ enthaltenenȱ Literaturangabenȱ sindȱ beiȱ [email protected]ȱerhältlich.ȱ

291ȱ

11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

BeziehungȱzuȱGleichaltrigenȱ(z.B.ȱDreherȱ&ȱDreher,ȱ1985;ȱFlammer,ȱ 1991).ȱ Inȱ derȱArbeitspsychologieȱ werdenȱ mehrereȱ Stressorengruppenȱ disȬ kutiert:ȱ Aufgabenbezogeneȱ Bedingungenȱ (z.B.ȱ qualitativeȱ UnterȬȱ oderȱ Überforderung),ȱ arbeitsorganisatorischeȱ Bedingungenȱ (z.B.ȱ hoherȱZeitdruckȱoderȱhoheȱKonzentration),ȱphysischeȱBedingungenȱ (z.B.ȱ Umgebungsbedingungenȱ wieȱ Lärm,ȱ Hitze,ȱ Staub),ȱ sozialeȱ BeȬ dingungenȱ (z.B.ȱ zuȱ großeȱ Abhängigkeitenȱ oderȱ Konflikte)ȱ undȱ orȬ ganisatorischeȱ Bedingungenȱ (z.B.ȱ mangelndeȱ Anerkennungȱ oderȱ Informationspolitik).ȱDieȱZuordnungȱeinzelnerȱStressorenȱzuȱdiesenȱ Kategorienȱistȱnichtȱimmerȱganzȱeindeutigȱvorzunehmen.ȱInȱletzterȱ Zeitȱ rückenȱ sozialeȱ undȱ organisatorischeȱ Bedingungenȱ inȱ denȱ VorȬ dergrundȱ arbeitspsychologischerȱ Stressforschung,ȱ beispielsweiseȱ mitȱ demȱ Konzeptȱ derȱ Gratifikationskriseȱ (wahrgenommenesȱ UnȬ gleichgewichtȱ zwischenȱ Anstrengungenȱ undȱ dafürȱ erhaltenenȱ BeȬ lohnungenȱamȱArbeitsplatzȱȬȱvgl.ȱSiegrist,ȱ1996)ȱsowieȱsozialeȱStresȬ sorenȱamȱArbeitsplatzȱ(vgl.ȱDormannȱ&ȱZapf,ȱ2002)ȱoderȱsehrȱstarkeȱ interpersonaleȱ Konfliktsituationenȱ wieȱ Mobbingȱ (Zapf,ȱ 1999).ȱ Oderȱ Stressȱ durchȱ Selbstwertbedrohung,ȱ dieȱ aufgrundȱ vonȱ mangelnderȱ Wertschätzung,ȱ vermeidbarerȱ Stressorenȱ oderȱ Misserfolgeȱ amȱ ArȬ beitsplatzȱ verursachtȱ seinȱ kannȱ (SOSȬKonzeptȱ Ȭȱ Semmerȱ &ȱ JacobsȬ hagen,ȱ2003;ȱSemmer,ȱJacobshagenȱ&ȱMeier,ȱ2006).ȱȱ Übertragenȱaufȱdieȱ(ArbeitsȬ)SituationȱvonȱAdoleszentenȱimȱschuliȬ schenȱKontext,ȱlassenȱsichȱfürȱdieȱebenȱgenanntenȱBereicheȱfolgendeȱ Beispieleȱnennen:ȱȱ 1. Aufgabenbezogeneȱ undȱ arbeitsorganisatorischeȱ Bedingungenȱ –ȱ z.B.ȱ Leistungsdruck,ȱ Machtbehauptung,ȱ Konformitätszwang,ȱ Disziplindruck,ȱBevormundung,ȱleistungsbezogeneȱDiskriminieȬ rung,ȱSchulausstattungȱ 2. PhysischeȱBedingungenȱ–ȱz.B.ȱLärmpegel,ȱBeleuchtungȱȱ 3. Sozialeȱ Bedingungenȱ –ȱ z.B.ȱ Anonymität,ȱ Konkurrenzkampf,ȱ Mobbing,ȱUnterrichtsȬȱundȱKlassenklimaȱȱ 4. Organisatorischeȱ Bedingungenȱ –ȱ z.B.ȱ Beteiligungschancen,ȱ perȬ sonelleȱAusstattung,ȱInformationspolitik,ȱKlassengrößeȱ

292ȱ

OftȱstehenȱLeistungsdruckȱundȱPrüfungsangst,ȱaberȱauchȱProblemeȱ inȱ denȱ Beziehungenȱ zuȱ Mitschülernȱ undȱ Lehrpersonenȱ imȱ VorderȬ grundȱundȱkönnenȱdieȱJugendlichenȱdieȱSchuleȱalsȱstressreichȱerleȬ

Stressauslösende Bedingungen bei Adoleszenten

11.2

benȱ lassenȱ (z.B.ȱ BuddebergȬFischer,ȱ Klaghofer,ȱ Leutholdȱ &ȱ BuddeȬ berg,ȱ2000;ȱNitschȱ&ȱHackfort,ȱ1981;ȱSatow,ȱ1999a;ȱTorsheimȱ&ȱWoldȱ 2001a;ȱ Ystgaard,ȱ 1997).ȱ Weiterȱ erlebenȱ Jugendlicheȱ wieȱ auchȱ ErȬ wachseneȱ imȱ Berufsalltagȱ dieȱ Hinderungȱ anȱ einerȱ erfolgreichenȱ Aufgabenerfüllungȱ alsȱ stressend.ȱ Soȱ kannȱ esȱ zumȱ Beispielȱ aufȱ Grundȱ mangelnderȱ Schulausstattungȱ oderȱ Ausfällenȱ vonȱ UnterȬ richtsstundenȱ dazuȱ kommen,ȱ dassȱ einmalȱ inȱ Angriffȱ genommeneȱ Aufgabenȱ oderȱ Lernzieleȱ nichtȱ optimalȱ verfolgtȱ werdenȱ könnenȱ (Ulber,ȱ 1998).ȱ Zuȱ denȱ physischenȱ Bedingungenȱ könnenȱ z.B.ȱ akustiȬ scheȱ Bedingungenȱ vonȱ Klassenräumenȱgezähltȱ werdenȱ (z.B.ȱ Klatte,ȱ Meis,ȱNockeȱ&ȱSchick,ȱ2003).ȱBuddebergȬFischerȱundȱandereȱ(2000)ȱ zeigtenȱ beiȱ 15Ȭ20jährigenȱ Gymnasiastenȱ signifikanteȱ ZusammenȬ hängeȱzwischenȱUnterrichtsklimaȱundȱsubjektivȱerlebtenȱSchulstressȱ auf.ȱEsȱgibtȱauchȱHinweise,ȱdassȱsichȱdasȱUnterrichtsklimaȱmitȱsteiȬ genderȱ Klassenstufeȱ verschlechternȱ kannȱ (BuddebergȬFischer,ȱ Gnam,ȱKlaghoferȱ&ȱBuddeberg,ȱ1996).ȱȱ Mobbingȱ oderȱ Bullyingȱ alsȱ Phänomenȱ wirdȱ heuteȱ bereitsȱ beiȱ KinȬ dernȱ imȱ Kindergartenȱ undȱ inȱderȱ Grundschuleȱuntersuchtȱ(z.B.ȱAlȬ saker,ȱ 2003).ȱ Unterȱ Mobbingȱ wirdȱ eineȱ starkeȱ interpersonaleȱ KonȬ fliktsituationȱ verstanden,ȱ inȱ derȱ einȱ oderȱ mehrereȱ Täterȱ überȱ einenȱ längerenȱ Zeitraumȱ gezieltȱundȱ regelmäßigȱeinȱ Opferȱ mitȱ MobbingȬ handlungenȱ (z.ȱ B.ȱ verbaleȱ oderȱ physischeȱ Gewaltȱ oderȱ aberȱ auchȱ bewusstesȱIgnorierenȱoderȱlächerlichȱmachenȱvorȱanderen)ȱdrangsaȬ lieren.ȱDassȱMobbingȱauchȱinȱderȱAdoleszenzȱeinȱverbreitetesȱProbȬ lemȱzuȱseinȱscheint,ȱzeigteȱeineȱrepräsentativeȱSchweizerȱBefragungȱ vonȱ überȱ 7000ȱ Jugendlichenȱ zwischenȱ 16ȱ undȱ 20ȱ Jahren:ȱ 10%ȱ derȱ Mädchenȱundȱ14%ȱderȱJungenȱgabenȱan,ȱ„dassȱsieȱregelmäßigȱ(minȬ destensȱeinmalȱproȱWoche)ȱGespöttȱoderȱandereȱverletzendeȱverbaleȱ Angriffeȱ ihrerȱ Umgebungȱ überȱ sichȱ ergehenȱ lassenȱ müssen“ȱ (NarȬ ringȱ etȱ al.,ȱ 2003,ȱ S.ȱ 17).ȱ Allerdingsȱ sindȱ dieseȱ Betroffenheitsratenȱ nichtȱ direktȱ mitȱ Studienȱ ausȱ demȱ Erwerbslebenȱ vergleichbar.ȱ Jeȱ nachdemȱwelcheȱDefinitionȱvonȱMobbingȱverwendetȱwirdȱundȱwelȬ cheȱKriterienȱbenutztȱwerden,ȱvariierenȱdieȱAngabenȱerheblichȱ(vgl.ȱ Jacobshagen,ȱ 2004).ȱ Prinzipiellȱ konnteȱ jedochȱ einȱ langfristigerȱ ZuȬ sammenhangȱ zwischenȱ Mobbingȱ undȱ psychischerȱ Gesundheitȱ beiȱ Adoleszentenȱnachgewiesenȱwerdenȱ(z.B.ȱMohr,ȱ1999).ȱȱ Bedingtȱ durchȱ Veränderungenȱ inȱ derȱ Arbeitswelt,ȱ scheinenȱ inȱ denȱ letztenȱ Jahrenȱ auchȱ verstärktȱ Sorgenȱ umȱ dieȱ beruflicheȱ Zukunftȱ bereitsȱbeiȱSchülerinnenȱundȱSchülerȱeineȱRolleȱzuȱspielenȱ(vgl.ȱNarȬ

293ȱ

11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

ringȱ etȱ al.,ȱ 2003).ȱ Inȱ derȱ arbeitspsychologischenȱ Forschungȱ wirdȱ diesesȱPhänomenȱmitȱdemȱBegriffȱderȱArbeitsplatzunsicherheitȱumȬ schrieben.ȱ Währendȱ esȱ dortȱ zumeistȱ umȱ denȱ potentiellenȱ Verlustȱ oderȱ umȱ gravierendeȱ Veränderungenȱ desȱ aktuellenȱ Arbeitsplatzesȱ geht,ȱstehtȱbeiȱAdoleszentenȱdieȱallgemeineȱUngewissheitȱderȱberufȬ lichenȱ Zukunftȱ imȱ Vordergrund.ȱ Beideȱ könnenȱ alsȱ bedeutendeȱ Stressorenȱ verstandenȱ werden.ȱ Zahlreicheȱ Studienȱ berichtenȱ überȱ negativeȱAuswirkungenȱerlebterȱArbeitsplatzunsicherheitȱaufȱWohlȬ befindenȱundȱGesundheitȱvonȱErwerbstätigenȱ(z.B.ȱDeȱWitte,ȱ1999).ȱ Deutschsprachigeȱ Instrumente,ȱ dieȱ sichȱ zurȱ Erhebungȱ vonȱ StressoȬ renȱ(undȱRessourcen)ȱbeiȱAdoleszentenȱanbieten,ȱsindȱbeispielsweiȬ seȱ derȱ ODASȱ (Instrumentȱ zurȱ Organisationsdiagnoseȱ anȱ Schulenȱ Ȭȱ Ulber,ȱ1998),ȱdasȱInstrumentȱausȱderȱKonstanzerȱLängsschnittstudieȱ „Entwicklungȱ imȱ Jugendalter“ȱ (Fend,ȱ 1997)ȱ oderȱ dieȱ Skalenȱ zurȱ Erfassungȱ vonȱ Schülermerkmalenȱ (beinhaltetȱ auchȱ BefindensbeeinȬ trächtigungenȱȬȱSchwarzerȱ&ȱJerusalem,ȱ1999).ȱ

11.3

Stressreaktionen bei Adoleszenten

EsȱgibtȱinzwischenȱeinigeȱStudienȱzuȱStressȱundȱStressreaktionenȱbeiȱ Schülernȱ undȱ Schülerinnen.ȱ Nebenȱ biologischenȱ undȱ physiologiȬ schenȱStressreaktionenȱbeiȱakutemȱStress,ȱkannȱesȱbeiȱanhaltendemȱ Belastungsdruckȱ zuȱ einerȱ Dauermobilisierungȱ physiologischer,ȱ hormonellerȱ undȱ immunologischerȱ Prozesseȱ imȱ Körperȱ kommen,ȱ dieȱohneȱkorrektiveȱMaßnahmenȱimȱLaufeȱderȱZeitȱzuȱReaktionsbilȬ dungenȱ mitȱ Krankheitswertȱ führenȱ können.ȱ Engȱ mitȱ denȱ körperliȬ chenȱ Reaktionenȱ verzahntȱ sindȱ emotionaleȱ Erlebensinhalte,ȱ wieȱ SchulangstȱundȱGefühleȱdesȱKontrollverlusts.ȱHinzuȱkommenȱkannȱ eineȱ ständigeȱ kognitiveȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Problemenȱ inȱ derȱ Schuleȱ(kognitiveȱIrritation,ȱbzw.ȱRumination),ȱwelcheȱhinderlichȱfürȱ dieȱ Erholungȱ undȱ Leistungsfähigkeitȱ ist.ȱ Soȱ kannȱ einȱ Teufelskreisȱ ausȱ Stressȱ undȱ schlechterȱ Schulleistungȱ entstehenȱ (z.B.ȱ Waligora,ȱ 2003).ȱ Zahlreicheȱ Befundeȱ sprechenȱ dafür,ȱ dassȱ schulbezogenerȱ Stressȱ mitȱ subjektivemȱ Gesundheitserlebenȱ zusammenhängtȱ (z.B.ȱ Torsheimȱ&ȱWold,ȱ2001b;ȱvgl.ȱauchȱSeiffgeȬKrenkeȱ&ȱLohaus,ȱ2007).ȱ HoherȱSchulstressȱkorreliertȱauchȱmitȱeinerȱhöherenȱAnzahlȱpsychiȬ atrischerȱ Diagnosen:ȱ vorȱ allemȱ undifferenzierteȱ somatoformeȱ undȱ

294ȱ

Ressourcen von Adoleszenten

11.4

affektiveȱStörungenȱsowieȱSchmerzstörungenȱsindȱmitȱhohemȱSchulȬ stressȱassoziiertȱ(Rubinȱetȱal.,ȱ1992).ȱȱ Esȱ istȱ daherȱ vonȱ Bedeutungȱ frühzeitigȱ Stressreaktionenȱ wahrzuȬ nehmenȱ undȱ präventivȱ oderȱ korrektivȱ einzugreifen.ȱ Imȱ Rahmenȱ einerȱ schulischenȱ Gesundheitsanalyseȱ empfiehltȱ sichȱ hierfürȱ beiȬ spielsweiseȱdieȱfürȱSchülerȱadaptierteȱSkalaȱIrritationȱ(Jacobshagen,ȱ Rigotti,ȱ Semmerȱ &ȱ Mohr,ȱ inȱ Review;ȱ sieheȱ auchȱ Mohr,ȱ Rigottiȱ &ȱ Müller,ȱ 2005).ȱ Dieseȱ beschreibtȱ psychischeȱ BefindensbeeinträchtiȬ gungenȱ undȱ beinhaltetȱ sowohlȱ Rumination,ȱ imȱ Sinneȱ vonȱ Grübelnȱ überȱProblemeȱinȱderȱSchuleȱ(kognitiveȱIrritation),ȱalsȱauchȱGereiztȬ heitsreaktionenȱ (emotionaleȱ Irritation).ȱ Esȱ konnteȱ gezeigtȱ werden,ȱ dassȱ Irritationȱ beiȱ Adoleszentenȱ denȱ Zusammenhangȱ zwischenȱ schulbezogenenȱ Stressorenȱ undȱ psychosomatischenȱ Beschwerdenȱ sowieȱdepressiverȱStimmungȱmediiertȱ(vgl.ȱauchȱDormannȱ&ȱZapf,ȱ 2002).ȱWeitereȱInstrumente,ȱdieȱsichȱfürȱdieȱErfassungȱvonȱStressreȬ aktionenȱ undȱ Stressfolgenȱeignen,ȱ sindȱbeispielsweiseȱ derȱFrageboȬ genȱzurȱAbschätzungȱdesȱpsychosomatischenȱKrankheitsgeschehensȱ (abȱ 16ȱ Jahre;ȱ Koch,ȱ 1996),ȱ dieȱ Freiburgerȱ Beschwerdenlisteȱ (abȱ 16ȱ Jahre;ȱ Fahrenberg,ȱ 1994),ȱ derȱ Angstfragebogenȱ fürȱ Schülerȱ (3.Ȭ10.ȱ Klasse;ȱ Wieczerkowski,ȱ Nickel,ȱ Janowski,ȱ Fittkauȱ &ȱ Rauer,ȱ 1981),ȱ dasȱ DifferentielleȬLeistungsangstȬInventarȱ (8.Ȭ13.ȱ Klasse;ȱ Rostȱ &ȱ Schermer,ȱ 1997)ȱ sowieȱ dieȱ Erfassungȱ Psychosomatischerȱ BeschwerȬ denȱ(Mohrȱ&ȱMüller,ȱ2005).ȱȱ

11.4

Ressourcen von Adoleszenten

Alsȱ Ressourcenȱ werdenȱ personaleȱ (auch:ȱ innere)ȱ sowieȱ situativeȱ (auch:ȱ äußere,ȱ organisatorische,ȱ tätigkeitsbezogene)ȱ Potentialeȱ beȬ zeichnet,ȱ welcheȱ einenȱ direktenȱ Effektȱ aufȱ Gesundheitȱ undȱ psychiȬ schesȱBefindenȱhabenȱkönnenȱoderȱauchȱdabeiȱhelfenȱmitȱStressorenȱ besserȱumzugehenȱ(vgl.ȱZapfȱ&ȱSemmer,ȱ2004).ȱȱ SituativeȱRessourcenȱsindȱalsȱMerkmaleȱderȱTätigkeitȱundȱderȱsoziaȬ lenȱ Umgebung,ȱ welcheȱ dieȱ Beziehungȱ zwischenȱ Stressorenȱ undȱ Stressreaktionenȱ verändernȱ können,ȱ inȱ derȱ arbeitspsychologischenȱ Stressforschungȱ sehrȱ wichtig.ȱ Vieleȱ Untersuchungenȱ konntenȱ zeiȬ gen,ȱ dassȱ Handlungsspielraumȱ (manȱ kannȱ entscheidenȱ wannȱ undȱ wieȱ Arbeitsaufgabenȱ erledigtȱ werdenȱ –ȱ ZeitȬȱ undȱ MethodenspielȬ

295ȱ

11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

raum)ȱ undȱ sozialeȱ Unterstützungȱ (durchȱ Vorgesetzte,ȱ Kollegen,ȱ Familie,ȱ Lebenspartnerȱ undȱ Freunde)ȱ wichtigeȱ Rollenȱ zukommenȱ (z.B.ȱVanȱderȱDoefȱ&ȱMaes,ȱ1999).ȱHoheȱLeistungsanforderungenȱinȱ derȱ Schuleȱ gepaartȱ mitȱ alsȱ geringȱ wahrgenommeneȱ sozialeȱ UnterȬ stützungȱkannȱbeiȱAdoleszentenȱzuȱeinemȱchronischenȱStresserlebenȱ führen,ȱinȱdessenȱFolgeȱsichȱphysischeȱ/ȱpsychischeȱSymptomeȱoderȱ sogarȱ psychischeȱ Störungenȱ entwickeln,ȱ währendȱ hoheȱ sozialeȱ UnȬ terstützungȱdurchȱLehrerȱundȱKlassenkameradenȱprotektivȱwirken,ȱ daȱsieȱdabeiȱhelfenȱkönnenȱwenigerȱAnforderungenȱwahrzunehmenȱ oderȱ Stressorenȱ besserȱ zuȱ bewältigenȱ (z.B.ȱ Ystgaard,ȱ 1997).ȱ Neuereȱ Forschungsergebnisseȱ zeigenȱ aber,ȱ dassȱ sozialeȱ Unterstützung,ȱ wennȱsieȱalsȱaufgezwungenȱerlebtȱwird,ȱauchȱnegativeȱKonsequenȬ zenȱnachȱsichȱziehenȱkann.ȱSoȱberichtenȱDeelstraȱundȱandereȱ(2003)ȱ inȱihrerȱStudieȱmitȱErwachsenenȱbeispielsweiseȱvonȱnegativenȱEffekȬ tenȱ empfangenerȱ instrumentalerȱ sozialerȱ Unterstützungȱ aufȱ dieȱ Stimmung,ȱ aufȱ physiologischeȱ Parameterȱ sowieȱ aufȱ Selbstwert,ȱ wennȱ dasȱ Problemȱ auchȱ hätteȱ alleineȱ gelöstȱ werdenȱ können.ȱ Sieȱ begründenȱ diesȱ mitȱ derȱ Bedrohungȱ desȱ Selbstwertgefühls,ȱ dieȱ mitȱ derȱ Hilfestellungȱ einhergehenȱ kannȱ (vgl.ȱ Fisher,ȱ Nadler,ȱ &ȱ WhitȬ cherȬAlagna,ȱ 1982).ȱ Inȱ derȱ Adoleszenzȱ scheintȱ zudemȱ dieȱ sozialeȱ UnterstützungȱinnerhalbȱderȱPeerȬGruppeȱimȱVergleichȱzurȱfamiliäȬ renȱ Unterstützungȱ anȱ Bedeutungȱ zuȱ gewinnenȱ (BuddebergȬFischerȱ etȱal.,ȱ2000).ȱEineȱbesondereȱFunktionȱinȱderȱAdoleszenzȱnimmtȱdieȱ UnterstützungȱundȱFörderungȱderȱSelbständigkeitȱein:ȱSoenensȱundȱ Vansteenkisteȱ (2005)ȱ berichtenȱ beispielsweiseȱ überȱ positiveȱ Effekteȱ vonȱ wahrgenommenerȱ Unterstützungȱ vonȱ Lehrernȱ undȱ Elternȱ zurȱ Selbständigkeitȱ aufȱ Schulleistungȱ undȱ Kompetenzeinschätzungȱ imȱ Jugendalter.ȱȱ Auchȱ personaleȱ Ressourcenȱ werdenȱ inȱ derȱ arbeitspsychologischenȱ Stressforschungȱ vielȱ diskutiert,ȱ wobeiȱ Gesundheit,ȱ Erfahrungȱ undȱ PersönlichkeitseigenschaftenȱeineȱzentraleȱRolleȱspielen.ȱBeiȱAdolesȬ zentenȱ werdenȱ beispielsweiseȱ dieȱ Persönlichkeitseigenschaftenȱ SelbstwertȱundȱSelbstwirksamkeitȱhäufigerȱinȱStressanalysenȱaufgeȬ nommen.ȱ Selbstwirksamkeitȱ umschreibtȱ denȱ Glaubenȱ inȱ schwieriȬ genȱSituationenȱadäquatȱreagierenȱzuȱkönnenȱ(Bandura,ȱ1986;ȱJeruȬ salemȱ &ȱ Schwarzer,ȱ 1992).ȱ Obwohlȱ dieȱ Konzepteȱ Selbstwertȱ undȱ SelbstwirksamkeitȱeineȱEvaluationȱvonȱErfolgȱundȱMisserfolgȱbeinȬ halten,ȱ beinhaltetȱ Selbstwirksamkeit,ȱ imȱ Gegensatzȱ zuȱ Selbstwert,ȱ keineȱ Evaluationȱ derȱ eigenenȱ Person.ȱ Inȱ derȱ Fachliteraturȱ geltenȱ

296ȱ

Coping von Adoleszenten

11.5

Selbstwirksamkeitserwartungenȱ alsȱ wichtigeȱ Ressourceȱ imȱ Prozessȱ derȱ subjektivenȱ Einschätzungȱ vonȱ Anforderungssituationenȱ undȱ Ereignissenȱ(z.B.ȱSatow,ȱ1999b).ȱSelbstwertȱundȱSelbstwirksamkeitsȬ erwartungenȱsindȱdabeiȱnichtȱalsȱstabileȱEigenschaftenȱzuȱbegreifen,ȱ sondernȱ könnenȱ durchȱ gezielteȱ Förderungȱ überȱ dieȱ Zeitȱ verändertȱ werden.ȱ Eineȱ Studieȱ vonȱ Jacobshagenȱ undȱ anderenȱ (inȱ Review)ȱ zeigt,ȱ dassȱ dieȱ Höheȱ desȱ Selbstwertesȱ zwischenȱ verschiedenenȱ schulspezifischenȱStressorenȱundȱBefindenȱmoderiert,ȱalsoȱdieȱWirȬ kungȱ vonȱ denȱ Stressorenȱ abpuffert.ȱAndereȱ personelleȱ Ressourcen,ȱ dieȱinȱStudienȱerhobenȱwerden,ȱsindȱbeispielsweiseȱKohärenzgefühlȱ (BuddebergȬFischerȱ etȱ al.,ȱ 2000),ȱ Besorgtheitȱ (Satowȱ &ȱ Schwarzer,ȱ 2000)ȱ undȱ Optimismusȱ (Schwarzerȱ &ȱ Jerusalem,ȱ 1999).ȱ MessinstruȬ menteȱfürȱSelbstwirksamkeitȱwurdenȱbeispielsweiseȱentwickeltȱvonȱ Krampenȱ(1991)ȱundȱSchwarzerȱundȱJerusalemȱ(1999),ȱfürȱSelbstwertȱ vonȱ Rosenbergȱ (1965),ȱ fürȱ Kohärenzerlebenȱ vonȱ Schumacherȱ etȱ al.ȱ (2000)ȱundȱfürȱOptimismusȱvonȱSchwarzerȱundȱJerusalemȱ(1999).ȱ

11.5

Coping von Adoleszenten

Unterȱ Copingȱ (Strategienȱ undȱ Verhaltenȱ zurȱ Bewältigungȱ vonȱ Stress)ȱ verstehtȱ manȱ denȱ Versuchȱ mitȱ schwierigenȱ Situationenȱ undȱ Ereignissenȱumzugehenȱ(Lazarusȱ&ȱFolkmann,ȱ1984).ȱProblemorienȬ tiertesȱCopingȱsetztȱsichȱausȱkognitivenȱStrategien,ȱVerhaltensstrateȬ gienȱ undȱ Informationssucheȱ zusammenȱ undȱ hatȱ zumȱ Ziel,ȱ dieȱ Stressursacheȱaktivȱzuȱbekämpfen.ȱEmotionsorientiertesȱundȱPalliaȬ tivesȱCopingȱbeziehtȱsichȱaufȱdieȱRegulationȱstressvollerȱEmotionenȱ (Lazarusȱ &ȱ Folkman,ȱ 1984).ȱ Währendȱ beiȱ jüngerenȱ Kindernȱ Stressȱ mitȱEntwicklungsdefizitenȱimȱLeistungsȬ,ȱWahrnehmungsȬ,ȱGefühlsȬȱ oderȱKontaktbereichȱassoziiertȱistȱ(Palentien,ȱ1997),ȱtrittȱbeiȱAdolesȬ zentenȱ ungünstigesȱ Bewältigungsverhaltenȱ stärkerȱ inȱ denȱ VorderȬ grund.ȱDazuȱsindȱbeispielsweiseȱVermeidungsverhaltenȱwieȱSchuleȱ schwänzen,ȱaberȱauchȱderȱMissbrauchȱpsychotroperȱSubstanzenȱzuȱ rechnenȱ (Engel,ȱ 1989).ȱ SeiffgeȬKrenkeȱ (1984,ȱ zitiertȱ nachȱ SeiffgeȬ Krenkeȱ 1988)ȱ konnteȱ inȱ einerȱ Untersuchungȱ anȱ 2000ȱ Jugendlichenȱ aberȱ aufzeigen,ȱ dassȱ sichȱ Jugendlicheȱ bezüglichȱ derȱ entwicklungsȬ bezogenenȱ Problemeȱ eherȱ alsȱ kompetenteȱ Bewältigerȱ darstellen.ȱ Dabeiȱ wurdenȱ aktiveȱ Bewältigungsformenȱ undȱ dieȱ Nutzungȱ desȱ sozialenȱ Stützsystemsȱ gegenüberȱ demȱ problemmeidendenȱ VerhalȬ

297ȱ

11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

tenȱ eindeutigȱ vorgezogen.ȱ Untersuchungenȱ machenȱ deutlich,ȱ dassȱ bezüglichȱCopingstrategienȱbeiȱErwachsenenȱ(Lazarusȱ&ȱFolkmann,ȱ 1984)ȱ wieȱ auchȱ beiȱ Jugendlichenȱ (Compasȱ etȱ al.,ȱ 1986)ȱ dieȱ GeȬ schlechtszugehörigkeitȱ einbezogenȱ werdenȱ sollte,ȱ daȱ sichȱ UnterȬ schiedeȱergeben.ȱMessinstrumenteȱsindȱbeispielsweiseȱdasȱ„Copingȱ Inventoryȱ forȱ Stressfulȱ Situations“ȱ (CISS,ȱ Endlerȱ &ȱ Parker,ȱ 1990,ȱ deutscheȱVersion:ȱKälin,ȱ1995),ȱCOPEȱ(Carver,ȱScheierȱ&ȱWeintraub,ȱ 1989;ȱdeutscheȱVersion:ȱKälin,ȱ1994)ȱundȱderȱStressverarbeitungsfraȬ gebogenȱ angepasstȱ fürȱ Kinderȱ undȱ Jugendlicheȱ SVFȬKJ,ȱ bisȱ zumȱ Alterȱvonȱ14ȱJahrenȱ(Hampel,ȱPetermannȱ&ȱDickow,ȱ2001).ȱ

11.6

Diagnostik von Stress bei Adoleszenten

EsȱgibtȱverschiedeneȱZugängeȱzurȱDiagnostikȱdesȱStressgeschehens,ȱ alsoȱzurȱAnalyseȱundȱ Bewertungȱ vorhandenerȱStressoren,ȱRessourȬ cen,ȱ Bewältigungsstilenȱ sowieȱ Stressreaktionen.ȱ Semmer,ȱ Grebnerȱ undȱJacobshagenȱ(2006)ȱbenennenȱdieȱfolgendenȱfünfȱMethoden,ȱdieȱ fürȱalleȱBereicheȱderȱDiagnostikȱgelten:ȱ 1. Physikalischeȱ Methodenȱ (z.B.ȱ Messungȱ vonȱ Temperaturȱ oderȱ Lärm)ȱ 2. Einschätzungenȱdurchȱandereȱ(z.B.ȱArbeitsanalyse)ȱ 3. NichtȬreaktiveȱ Messungenȱ (z.B.ȱ Anzahlȱ Fehltageȱ ausȱ ArchivdaȬ ten)ȱȱ 4. PhysiologischeȱMethodenȱ(z.B.ȱHormonausschüttung,ȱBlutdruck,ȱ Herzrate)ȱ 5. Selbstberichteȱ(z.B.ȱFragebogen,ȱTagebücherȱoderȱInterviews)ȱ Physikalischeȱ Methodenȱ würdenȱ sichȱ beiȱ Schülernȱ undȱ SchülerinȬ nenȱ beispielsweiseȱ aufȱ dieȱ Schulräumlichkeitenȱ alsȱ potentiellenȱ Stressorȱbeziehen.ȱVerfahrenȱzurȱArbeitsanalyse,ȱauchȱimȱUnterricht,ȱ sindȱ inzwischenȱ gutȱ aufbereitetȱ (z.B.ȱ Krause,ȱ 2004).ȱ NichtȬreaktiveȱ Messungenȱ würdenȱ sichȱ beispielsweiseȱ aufȱ dieȱ Anzahlȱ vonȱ FehlȬ stundenȱoderȱVerweisenȱbeziehen.ȱȱ

298ȱ

Diagnostik von Stress bei Adoleszenten

11.6

Esȱ gibtȱ bislangȱ eherȱ wenigȱ Evidenzȱ dafür,ȱ obȱ sichȱ physiologischeȱ Methodenȱ fürȱ Adoleszenteȱ eignenȱ oderȱ nicht.ȱ Dieȱ postpubertäreȱ Adoleszenzȱ wirdȱ beispielsweiseȱ mitȱ einerȱ erhöhtenȱ Ausschüttungȱ desȱ Stresshormonsȱ Cortisolȱ inȱ Verbindungȱ gebrachtȱ (Cicchettiȱ &ȱ Walker,ȱ 2001).ȱ Ausȱ neurowissenschaftlicherȱ Perspektiveȱ werdenȱ typischeȱ Verhaltensweisenȱ Adoleszenter,ȱ beispielsweiseȱ eineȱ ZuȬ nahmeȱ anȱ risikoreichemȱ Verhalten,ȱ aberȱ wenigerȱ aufȱ hormonelleȱ Veränderungenȱ währendȱ derȱ Pubertät,ȱ sondernȱ eherȱ aufȱ EntwickȬ lungenȱ imȱ Gehirnȱ zurückgeführt,ȱ bspw.ȱ Veränderungȱ imȱ PräfronȬ talkortex,ȱimȱlimbischenȱSystemȱundȱdessenȱDopaminzufuhrȱ(Spear,ȱ 2000).ȱ Obȱ physiologischeȱ Methodenȱ sichȱ eignen,ȱ hängtȱ vonȱ derȱ jeȬ weiligenȱ Fragestellungȱ abȱ undȱ esȱ empfiehltȱ sichȱ vorȱ demȱ Einsatzȱ solcherȱMethodenȱdieȱneuestenȱForschungsergebnisseȱzuȱkonsultieȬ ren.ȱ Physiologischeȱ Messungenȱ sindȱ allerdingsȱ auchȱ beimȱ Einsatzȱ beiȱErwachsenenȱartefaktanfällig,ȱsoȱreagiertȱdieȱHerzratenvariabiliȬ tätȱbeispielsweiseȱnichtȱnurȱaufȱmentaleȱBelastungen,ȱsondernȱauchȱ aufȱkörperlicheȱBewegungȱ(vgl.ȱBoucsein,ȱ1991).ȱ Derȱ Selbstberichtȱ istȱ sicherlichȱ dieȱ amȱ häufigstenȱ verwendeteȱ MeȬ thodeȱ beiȱ Untersuchungenȱ vonȱ Stress.ȱ Fragebögenȱ ermöglichenȱ einenȱEinblickȱinȱeineȱVielzahlȱvonȱeventuellenȱchronischenȱStressoȬ ren,ȱ aberȱ auchȱ Ressourcen,ȱ Copingstilenȱ undȱ Wohlbefinden.ȱ Dieȱ Verwendungȱ vonȱ Fragebögenȱ istȱ besserȱ alsȱ ihrȱ Ruf,ȱ soȱ langeȱ dieȱ verwendetenȱ Skalenȱ sauberȱ konstruiertȱ undȱ evaluiertȱ wurden.ȱ InȬ terviewsȱ ermöglichenȱ einenȱ vertieftenȱ Einblickȱ inȱ eineȱ bestimmteȱ Fragestellung,ȱ beispielsweiseȱ Veränderungenȱ imȱ letztenȱ Schuljahrȱ undȱ dessenȱ Konsequenzen.ȱ Tagebücherȱ eignenȱ sichȱ beispielsweiseȱ fürȱeinenȱsituativenȱAnsatzȱumȱschwierige,ȱärgerliche,ȱundȱstressigeȱ SituationenȱüberȱeinenȱZeitraumȱ(z.ȱB.ȱeineȱWoche)ȱzuȱerhebenȱumȱ damitȱdieȱhäufigstenȱStressorenȱundȱderenȱAuswirkungenȱdifferenȬ ziertȱ zuȱ analysieren.ȱ Insgesamtȱ sollteȱ –ȱ jeȱ nachȱ Fragestellungȱ undȱ wennȱ realisierbarȱ –ȱ eineȱ Kombinationȱ verschiedenerȱ Verfahrenȱ (multimodalesȱVorgehen)ȱzumȱEinsatzȱkommen.ȱ

299ȱ

11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

11.7

Mögliche Maßnahmen zur Prävention und Intervention

Dieȱ vorherȱ diskutiertenȱ Inhalteȱ liefernȱ bereitsȱ Hinweiseȱ fürȱ mögliȬ cheȱ Ansatzpunkteȱ derȱ primärenȱ oderȱ sekundärenȱ Präventionȱ zuȱ Verhinderungȱ vonȱ gesundheitlichenȱ Langzeitschädenȱ imȱ ZusamȬ menhangȱmitȱStressȱvonȱAdoleszenten.ȱImȱAllgemeinenȱzählenȱhierȬ zuȱ dieȱ Verminderungȱ vonȱ Stressorenȱ (verhältnisorientierteȱ PrävenȬ tion),ȱ aberȱ auchȱ dieȱ Stärkungȱ vonȱ situativenȱ undȱ personalenȱ ResȬ sourcenȱ sowieȱ einȱ verbesserterȱ Umgangȱ mitȱ Stressorenȱ (verhaltensorientierteȱ Prävention).ȱ Dieȱ zentraleȱ Rolleȱ derȱ Schuleȱ inȱ derȱErlebensweltȱJugendlicher,ȱdieȱraumȬzeitlicheȱBindung,ȱderȱwöȬ chentlicheȱ Arbeitsaufwand,ȱ ErfolgsȬȱ undȱ Misserfolgserlebenȱ lassenȱ dieȱSituationȱvonȱSchülerinnenȱundȱSchülernȱdurchausȱmitȱderȱvonȱ abhängigerȱErwerbsarbeitȱvergleichenȱ(vgl.ȱBerndt,ȱ1982).ȱDieȱSchuȬ leȱ istȱ einȱ Ortȱ desȱ Lernensȱ undȱ derȱ persönlichenȱ Entwicklung.ȱ GeȬ meisterteȱAnforderungen,ȱwelcheȱdieȱpersönlicheȱLeistungsfähigkeitȱ ausschöpfen,ȱ könnenȱ förderlichȱ undȱ mitȱ positivenȱ Gefühlenȱ undȱ demȱAufbauȱvonȱSelbstwertȱundȱSelbstwirksamkeitȱverbundenȱsein.ȱ EsȱsollteȱdaherȱimȱschulischenȱKontextȱauchȱZielȱseinȱRaumȱfürȱinȬ dividuelleȱLeistungsunterschiedeȱzuȱlassen,ȱwieȱesȱauchȱimȱKonzeptȱ derȱ differentiellenȱ Arbeitsgestaltungȱ gefordertȱ wirdȱ (vgl.ȱ Ulich,ȱ 2005).ȱTrotzȱunterschiedlicherȱVulnerabilitätȱistȱStressȱundȱdieȱdamitȱ verbundenenȱ gesundheitlichenȱ Folgenȱ keinȱ individuellesȱ Problem.ȱ StressȱentstehtȱinȱderȱAuseinandersetzungȱundȱWechselwirkungȱderȱ PersonȱmitȱderȱUmwelt.ȱEinȱnachhaltigesȱPräventionskonzeptȱsollteȱ daherȱ auchȱ einenȱ systemischenȱ Zugangȱ wählenȱ undȱ strukturelle,ȱ organisatorische,ȱ sozialeȱ undȱ individuelleȱ Faktorenȱ einbeziehen.ȱ DadurchȱwirdȱdieȱSchuleȱidealerweiseȱvomȱOrtȱdesȱLernensȱzuȱeinerȱ lernendenȱOrganisationȱ(vgl.ȱFullan,ȱ1999),ȱwelcheȱsichȱimȱständigenȱ Wandelȱ undȱinȱ Wechselwirkungȱ mitȱ derȱ gesellschaftlichenȱUmweltȱ befindet.ȱȱ

300ȱ

Eineȱ Vielzahlȱ vonȱ Projektenȱ undȱ Einzelprogrammenȱ zumȱ Umgangȱ mitȱStressȱinȱderȱSchuleȱundȱGesundheitsförderungȱwurdenȱinȱdenȱ letztenȱ Jahrenȱ entwickeltȱ undȱ erprobtȱ (vgl.ȱ auchȱ SeiffgeȬKrenkeȱ &ȱ Lohaus,ȱ 2007),ȱ beispielsweiseȱ Trainingȱ sozialerȱ Kompetenzenȱ (z.B.ȱ Jugert,ȱ Rehder,ȱ Notzȱ &ȱ Petermann,ȱ 2001),ȱ Entspannungsverfahrenȱ fürȱ Schülerȱ bzw.ȱ fürȱ Lehrerȱ undȱ Schülerȱ (z.B.ȱ Stück,ȱ 1998),ȱ EinbinȬ dungȱ vonȱ Entspannungstechnikenȱ inȱ denȱ Sportunterrichtȱ (z.B.ȱ

Literatur

11.8

Brunner,ȱ 2002),ȱ Konfliktmanagementȱ anȱ Schulen,ȱ Mobbingȱ undȱ Gewaltpräventionȱ(z.B.ȱAlsaker,ȱ2003;ȱGlattacker,ȱEngel,ȱGrüner,ȱHiltȱ &ȱ Käppler,ȱ 2002;ȱ Hanewinkelȱ &ȱ Eichler,ȱ 1999).ȱ Umfassendereȱ ProȬ jekteȱ derȱ Gesundheitsförderungȱ anȱ Schulenȱ wurdenȱ beispielsweiseȱ vonȱ Lattmannȱ undȱ Rüediȱ (2003),ȱ Paulusȱ (2004),ȱ Paulusȱ undȱ BrückȬ nerȱ(2000)ȱundȱWindelȱ(2005)ȱbeschrieben.ȱȱ Beiȱ schulspezifischerȱ Organisationsentwicklungȱ istȱ esȱ hilfreich,ȱ wennȱ eineȱ solideȱAnalyseȱ derȱ eventuellenȱ Stärkenȱ undȱ Schwächenȱ einerȱSchuleȱerfolgt.ȱDazuȱeignenȱsichȱbeispielsweiseȱdieȱgenanntenȱ diagnostischenȱ Zugänge.ȱ Ergebnisseȱ dieserȱ Analyseȱ könnenȱ dann,ȱ wieȱ beiȱ einerȱ arbeitspsychologischenȱ Betriebsanalyse,ȱ anȱ alleȱ BeteiȬ ligtenȱ kommuniziertȱ werdenȱ umȱ Maßnahmenȱ beiȱ eventuellenȱ Schwächenȱ zuȱ vereinbaren.ȱ Derȱ Einbezugȱ allerȱ Beteiligten,ȱ alsoȱ Schulleitung,ȱ Schülerschaft,ȱ Lehrerschaft,ȱ Schulpsychologen,ȱ Elternȱ undȱ Verwaltungȱ erweistȱ sichȱ alsȱ hilfreichȱ (vgl.ȱ Weistȱ etȱ al.,ȱ 2005).ȱ SchulklimaȱundȱsozialerȱRückhaltȱdurchȱLehrpersonenȱkönnenȱWirȬ kungȱ vonȱ Interventionsprogrammenȱ beiȱ Adoleszentenȱ positivȱ verȬ stärkenȱ(z.B.ȱLeppin,ȱ1999).ȱEventuelleȱInteressenskonflikteȱgehörenȱ zuȱ einemȱ solchenȱ Prozessȱ undȱ solltenȱ nichtȱ alsȱ Hindernis,ȱ sondernȱ alsȱ Chanceȱ desȱ gemeinsamenȱ Wachstumsȱ aufgefasstȱ werden.ȱ Eineȱ kontinuierlicheȱ Evaluationȱ undȱ beiȱ Bedarfȱ Anpassungȱ vonȱ MaßȬ nahmenȱanȱveränderteȱBedingungenȱsindȱempfehlenswert.ȱ

11.8

Literatur

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301ȱ

11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

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11

Voll der Stress? Stress bei Adoleszenten in den letzten Schuljahren

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308ȱ

Emotionale Anforderungen im Lehrberuf

12.1

Emotionsregulation von Lehrkräften: Umgang mit Gefühlen als Teil der Arbeit

Kapitel 12

Andreas Krause, Anja Philipp, Felicia Bader und Heinz Schüpbach

309

Emotionale Anforderungen im Lehrberuf

12.1

12.1

Emotionale Anforderungen im Lehrberuf

Derȱ Lehrberufȱ gehörtȱ zuȱ denȱ personenbezogenenȱ DienstleistungsȬ berufen,ȱ dieȱ sichȱ durchȱ häufigenȱ direktenȱ Kontaktȱ mitȱ anderenȱ Menschenȱ währendȱ derȱ Arbeitȱ auszeichnenȱ (Nerdinger,ȱ 1994).ȱ Dieȱ Interaktionenȱ sindȱ notwendigȱ zurȱ Aufgabenerledigungȱ undȱ gehenȱ mitȱ einerȱ unmittelbarenȱ Bereitstellungȱ einerȱ Dienstleistungȱ einher.ȱ Währendȱ dieȱ Nutznießerȱ derȱ Dienstleistungȱ inȱ anderenȱ Branchenȱ alsȱKunden,ȱKlientenȱoderȱPatientenȱbezeichnetȱwerden,ȱsindȱsolcheȱ FormulierungenȱimȱSchulbereichȱunangemessen.ȱDennochȱgilt,ȱdassȱ Schülerȱ undȱ Elternȱ Nutznießerȱ vonȱ Dienstleistungenȱ sind,ȱ dieȱ vonȱ Lehrkräftenȱerbrachtȱwerden.ȱDiesȱbetrifftȱsowohlȱdenȱdirektenȱKonȬ taktȱ mitȱ denȱSchülernȱ imȱUnterrichtȱ alsȱ auchȱ dieȱaußerunterrichtliȬ cheȱSchülerinteraktionenȱ(z.B.ȱwährendȱderȱPausenaufsichtȱoderȱbeiȱ Klassenfahrten)ȱ oderȱ denȱAustauschȱ mitȱ denȱ Eltern.ȱ Inȱ denȱ letztenȱ JahrenȱhatȱsichȱdieȱSichtweiseȱverbreitet,ȱdassȱbeiȱsolchenȱpersonenȬ bezogenenȱ Dienstleistungsberufenȱ derȱ Umgangȱ mitȱ denȱ eigenenȱ Gefühlen,ȱ derenȱ Beeinflussungȱ („Regulation“)ȱ undȱ auchȱ dieȱ BeeinȬ flussungȱderȱGefühleȱdesȱGegenübersȱ(z.B.ȱderȱSchüler)ȱalsȱbesondeȬ reȱArbeitsanforderungenȱzuȱbetrachtenȱsind.ȱHäufigȱwirdȱnichtȱvonȱ Emotionsregulation,ȱsondernȱvonȱEmotionsarbeitȱgesprochen,ȱumȱzuȱ betonen,ȱ dassȱ dieȱ Emotionsregulationȱ Teilȱ derȱAufgabenerledigungȱ istȱ undȱ dieȱ ausführendeȱ Personȱ dafürȱ entlohntȱ wird.1ȱ EmotionsarȬ beitȱ istȱ dieȱ bezahlteȱ Arbeit,ȱ beiȱ derȱ einȱ Managementȱ derȱ eigenenȱ Gefühleȱ notwendigȱ ist,ȱ umȱ nachȱ außenȱ hinȱ inȱ Mimik,ȱ Stimmeȱ undȱ GestikȱeinȱbestimmtesȱGefühlȱzumȱAusdruckȱzuȱbringen,ȱunabhänȬ gigȱ davon,ȱ obȱ diesȱ mitȱ denȱ innerenȱ Empfindungenȱ übereinstimmtȱ oderȱnichtȱ(Hochschild,ȱ1990).ȱ Wieȱ sollteȱ eineȱ Lehrkraftȱ aufȱ Unterrichtsstörungen,ȱ aufȱ zuȱ spätȱ kommendeȱ Schülerȱ oderȱ Nebengesprächeȱ reagieren?ȱ Mitȱ welchemȱ GesichtsausdruckȱundȱwelcherȱStimmlageȱsollteȱeineȱLehrkraftȱeineȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ Ausgeschlossenȱ wirdȱ Emotionsregulationȱ imȱ Umgangȱ mitȱ Arbeitskollegenȱ undȱ

Vorgesetzten.ȱ Solcheȱ Interaktionenȱ findenȱ inȱ allenȱ Berufenȱ statt.ȱ Nichtȱ berückȬ sichtigtȱ werdenȱ Emotionen,ȱ dieȱ zwarȱ inȱ derȱArbeitȱ ausgelöstȱ werden,ȱ bisweilenȱ sogarȱextremȱbelastendȱundȱtraumatischȱseinȱkönnen,ȱaberȱnichtȱaufȱeinerȱdirekȬ tenȱ Interaktionȱ beruhenȱ (z.B.ȱ wennȱ einȱ Rettungssanitäterȱ anȱ einenȱ Unfallortȱ mitȱ zahlreichenȱTotenȱkommt).ȱ

311ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

Unterrichtsstundeȱ beginnen,ȱ durchführenȱ undȱ beenden?ȱ EmotionsȬ regulationȱistȱnötig,ȱwennȱvonȱSeitenȱderȱOrganisationȱ(beiȱLehrkräfȬ tenȱ seitensȱ derȱ Schuleȱ oderȱ weiterȱ gefasstȱ derȱ Gesellschaft)ȱ ErwarȬ tungenȱ anȱ Lehrkräfteȱ bezüglichȱ derȱ imȱ Unterrichtȱ zuȱ zeigendenȱ Emotionenȱ gestelltȱ werdenȱ („displayȱ rules“)ȱ undȱ vonȱ derȱ Lehrkraftȱ erwartetȱ wird,ȱ sichȱ diesenȱ Regelnȱ zuȱ fügen,ȱ auchȱ wennȱ dieȱ zuȱ zeiȬ gendenȱ Gefühleȱ nichtȱ denȱ innerlichȱ empfundenenȱ Gefühlenȱ entȬ sprechen.ȱ Displayȱ rulesȱ müssenȱ nichtȱ unbedingtȱ explizitȱ vonȱ einerȱ Schuleȱgeäußertȱundȱschriftlichȱfestgelegtȱsein,ȱsondernȱkönnenȱsichȱ auchȱimplizitȱausȱderȱgängigenȱPraxisȱundȱderȱKulturȱdesȱUmgangsȱ anȱeinerȱSchuleȱoderȱausȱderȱAusbildungȱundȱSozialisationȱergeben.ȱ Dasȱ Zeigenȱ erwarteterȱ Emotionenȱ (z.B.ȱ desȱ entsprechendenȱ GeȬ sichtsausdrucks)ȱ istȱ notwendigȱ zurȱ erfolgreichenȱ undȱ professionelȬ lenȱAufgabenerledigungȱundȱsomitȱTeilȱderȱLehrtätigkeit.ȱȱ DieȱemotionalenȱAnforderungenȱwurdenȱinȱderȱArbeitsȬȱundȱOrgaȬ nisationspsychologieȱ langeȱ Zeitȱ wenigȱ beachtetȱ (Zapf,ȱ Isic,ȱ FischȬ bachȱ &ȱ Dormann,ȱ 2003).ȱ Alsȱ wegweisendȱ geltenȱ dieȱ Studienȱ vonȱ Hochschildȱ (1979).ȱ Sieȱ zeigteȱ insbesondereȱ amȱ Beispielȱ vonȱ FlugȬ begleiterinnenȱ dieȱ Bedeutungȱ emotionalerȱ Arbeitsanforderungenȱ aufȱundȱbelegte,ȱdassȱderȱUmgangȱmitȱdenȱFluggästenȱundȱdieȱdaȬ beiȱ notwendigeȱ Beeinflussungȱ derȱ eigenenȱ Gefühleȱ negativeȱ AusȬ wirkungenȱ aufȱ dasȱ Befindenȱ derȱ Flugbegleiterinnenȱ hatten.ȱ InzwiȬ schenȱ liegenȱ ersteȱ Studienȱ vor,ȱ welcheȱ dieȱ Emotionsregulationȱ vonȱ Lehrkräftenȱuntersuchenȱ(vgl.ȱAbschnittȱ12.3).ȱȱ

312ȱ

Aberȱ istȱ dieȱ Emotionsregulationȱ vonȱ Lehrkräftenȱ überhauptȱ einȱ wichtigesȱ Thema?ȱ Auffälligȱ istȱ beiȱ dieserȱ Berufsgruppeȱ einȱ verȬ gleichsweiseȱ hoherȱ Anteilȱ anȱ Personenȱ mitȱ BurnoutȬSymptomen.ȱ Zentralesȱ Merkmalȱ derȱ BurnoutȬSymptomatikȱ sindȱ emotionaleȱ ErȬ schöpfungszustände,ȱ dieȱ meistȱ mitȱ einemȱ Gefühlȱ derȱ reduziertenȱ LeistungsfähigkeitȱundȱeinerȱzynischenȱDistanzierungȱ(„DepersonaȬ lisierung“)ȱ vonȱ denȱ Bedürfnissenȱ derȱ Personen,ȱ umȱ dieȱ manȱ sichȱ kümmernȱsoll,ȱeinhergehen.ȱScheinbarȱgelingtȱesȱvielenȱLehrkräftenȱ nicht,ȱ mitȱ denȱ bestehendenȱ hohenȱ emotionalenȱ ArbeitsȬ anforderungenȱsoȱumzugehen,ȱdassȱdieȱeigeneȱArbeitsfähigkeitȱaufȬ rechterhaltenȱ wirdȱ undȱ dieȱ eigenenȱ Energiereservenȱ ausreichendȱ aufgefülltȱ werdenȱ könnenȱ –ȱ insbesondereȱ wennȱ ohnehinȱ eineȱ hoheȱ ArbeitsmengeȱzuȱbewältigenȱistȱundȱunzureichendeȱErholungsmögȬ lichkeitenȱ bestehen.ȱ Dieȱ Fähigkeit,ȱ eigeneȱ Anstrengungenȱ imȱ ArȬ beitsalltagȱ unterȱ Berücksichtigungȱ derȱ Arbeitsbedingungen,ȱ derȱ

Emotionale Anforderungen im Lehrberuf

12.1

Erwartungenȱ vonȱ Schülern,ȱ Eltern,ȱ Kollegenȱ undȱ Schulleitungȱ undȱ auchȱ derȱ eigenenȱ Fähigkeitenȱ undȱ Kompetenzenȱ zuȱ beeinflussen,ȱ kannȱ alsȱ Selbstregulationȱ bezeichnetȱ werden.ȱ Sollȱ dieȱ notwendigeȱ BeeinflussungȱderȱeigenenȱGefühleȱundȱdesȱGefühlsausdrucksȱnachȱ außenȱ hervorgehobenȱ werden,ȱ soȱ istȱ derȱ Begriffȱ Emotionsregulationȱ (alsȱTeilaspektȱderȱSelbstregulation)ȱzuȱverwenden.ȱLehrkräfteȱsindȱ ausgeprägtenȱ emotionalenȱ Arbeitsanforderungenȱ ausgesetztȱ undȱ müssenȱ dieseȱ durchȱ Regulationsstrategienȱ bewältigen.ȱ Dabeiȱ sindȱ Lehrkräfteȱ ihrenȱ Emotionenȱ nichtȱ hilflosȱ ausgeliefert,ȱ sondernȱ esȱ gilt,ȱgünstigeȱMöglichkeitenȱdesȱUmgangsȱmitȱauftretendenȱEmotiȬ onenȱ(insbesondereȱnegativenȱEmotionen)ȱzuȱentwickelnȱundȱeinzuȬ setzen.ȱSoȱkönntenȱidealerweiseȱsowohlȱpositivesȱBefinden,ȱArbeitsȬ zufriedenheitȱ alsȱ auchȱ Leistungsfähigkeitȱ dauerhaftȱ erhaltenȱ bleiȬ ben.ȱ „Wirksameȱ Emotionsbewältigungȱ sichertȱ damitȱ nachȱ allgemeinemȱ Verständnisȱ denȱ Erhaltȱ derȱ Gesundheitȱ undȱ hatȱ denȱ StellenwertȱeinerȱRessource“ȱ(Weber,ȱ1997,ȱS.ȱ291).ȱInȱderȱRatgeberliȬ teraturȱfürȱLehrkräfteȱfindenȱsichȱbereitsȱzahlreicheȱpraktischeȱTippsȱ zurȱ Emotionsregulation,ȱ etwaȱ dieȱ Empfehlungenȱ vonȱ Lohmannȱ (2003)ȱ zurȱ Vermeidungȱ negativerȱ Emotionen.ȱ Kaiserȱ (2003)ȱ legtȱ eiȬ nenȱ komplettenȱ Übungskursȱ vorȱ fürȱ „emotionalȱ fundierteȱ LehrȬ kompetenz“,ȱ soȱ dieȱ Bezeichnungȱ imȱ Untertitelȱ desȱ Buches.ȱ EnthalȬ tenȱsindȱbeispielsweiseȱÜbungenȱzumȱ„Kinderȱliebȱhabenȱlernen“ȱ(S.ȱ 39ȱ ff.).ȱ Auchȱ wennȱ inȱ dieȱ anregendeȱ Ratgeberliteraturȱ vielȱ ErfahȬ rungswissenȱ einfließt,ȱ soȱ mangeltȱ esȱ dochȱ nochȱ anȱ einerȱ wissenȬ schaftlichȱ fundiertenȱ Konzeptionȱ undȱ einerȱ daraufȱ aufbauendenȱ Evaluationȱ zurȱ Wirksamkeitȱ vonȱ Trainingsȱ zurȱ Emotionsregulationȱ vonȱLehrkräften.ȱȱ Inȱ diesemȱ Beitragȱ sollȱ dasȱ Phänomenȱ derȱ Emotionsregulationȱ bzw.ȱ Emotionsarbeitȱ imȱ Lehrberufȱ beleuchtetȱ werden.ȱ Zentraleȱ Begriffeȱ werdenȱinȱAbschnittȱ12.2ȱerläutert.ȱInȱAbschnittȱ12.3ȱwerdenȱvorlieȬ gendeȱ Forschungsergebnisseȱ speziellȱ zumȱ Lehrberufȱ zusammengeȬ fasstȱ undȱ auchȱ Studienȱ unsererȱArbeitsgruppenȱ vorgestellt.ȱ Zuletztȱ werdenȱinȱAbschnittȱ12.4ȱSchlussfolgerungenȱhinsichtlichȱanstehenȬ derȱ weitererȱ Untersuchungenȱ sowieȱ praktischerȱ Interventionenȱ zurȱ PersonalȬȱundȱOrganisationsentwicklungȱimȱSchulbereichȱabgeleitet.ȱ

313ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

12.2

Welche Aspekte der Emotionsregulation sind zu berücksichtigen?

Umȱ Emotionsarbeitȱ zuȱ untersuchenȱ undȱ zuȱ verstehen,ȱ bedarfȱ esȱ einerȱ Klärung,ȱ aufȱ welcheȱAspekteȱ derȱ Emotionsregulationȱ zuȱ achȬ tenȱistȱ(Ashkanasy,ȱHärtelȱ&ȱZerbe,ȱ2000;ȱLord,ȱKlimoski,ȱ&ȱKanfer,ȱ 2002;ȱ Morrisȱ &ȱ Feldman,ȱ 1996).ȱ Einȱ hilfreicherȱ Vorschlagȱ stammtȱ vonȱZapfȱ(2002),ȱderȱmitȱBezugȱaufȱHackerȱ(z.B.ȱ2005)ȱdreiȱAspekteȱ derȱEmotionsarbeitȱunterscheidet:ȱRegulationsproblemeȱ(EmotionaȬ leȱ Dissonanz;ȱ Abschnittȱ 12.2.1),ȱ Regulationsanforderungenȱ (AbȬ schnittȱ12.2.2)ȱundȱRegulationsmöglichkeitenȱ(Abschnittȱ12.2.3).ȱDieȱ Betonungȱ derȱ Regulationȱ verweistȱ aufȱ denȱ handlungstheoretischenȱ Hintergrund:ȱDemnachȱsetzenȱsichȱarbeitendeȱPersonenȱmitȱdenȱausȱ derȱ Arbeitsaufgabeȱ resultierendenȱ Anforderungenȱ aktivȱ auseinanȬ derȱundȱ„regulieren“ȱihrȱHandeln,ȱetwaȱinȱdemȱZieleȱgesetzt,ȱHandȬ lungsschritteȱgeplantȱundȱbeiȱSchwierigkeitenȱgeändertȱwerden.ȱDieȱ emotionalenȱ Anforderungenȱ inȱ derȱ Arbeitȱ führenȱ nachȱ Zapfȱ etȱ al.ȱ (2003)ȱzumȱEinsatzȱvonȱvierȱStrategienȱderȱEmotionsregulationȱ(AbȬ schnittȱ12.2.4).ȱȱ

12.2.1

Emotionale Dissonanz (als Regulationsproblem)

Emotionaleȱ Anforderungenȱ inȱ derȱ Arbeitȱ führenȱ nichtȱ perȱ seȱ zuȱ negativenȱAuswirkungenȱaufȱdasȱBefindenȱwieȱetwaȱzuȱemotionalerȱ Erschöpfung.ȱ Jedochȱ wurdenȱ inȱ Metaanalysenȱ stabileȱ ZusammenȬ hängeȱ zwischenȱ Emotionalerȱ Dissonanzȱ undȱ emotionalerȱ ErschöpȬ fungȱ fürȱ verschiedeneȱ Berufsgruppenȱ nachgewiesenȱ (Bonoȱ &ȱ Vey,ȱ 2005;ȱZapf,ȱ2002).ȱMitȱemotionalerȱDissonanzȱwirdȱeinȱZustandȱbeȬ schrieben,ȱ inȱ demȱ dieȱ arbeitendeȱ Personȱ eineȱ Diskrepanzȱ („DissoȬ nanz“)ȱzwischenȱgefühltenȱEmotionenȱundȱdemȱzurȱAufgabenerfülȬ lungȱeigentlichȱnotwendigenȱGefühlenȱerlebtȱ(Rubin,ȱStaeblerȱTardiȬ no,ȱ Dausȱ &ȱ Munz,ȱ 2005).ȱ Lewigȱ undȱ Dollardȱ (2003)ȱ betonen,ȱ dassȱ Emotionsarbeitȱ fürȱ dieȱAufgabenerledigungȱ zwarȱ nützlichȱ ist,ȱ aberȱ speziellȱ dieȱ emotionaleȱ Dissonanzȱ negativeȱAuswirkungenȱ aufȱ dasȱ Befindenȱ habenȱ kann:ȱ „Emotionalȱ laborȱ makesȱ interactionsȱ withȱ customersȱmoreȱpredictable,ȱandȱallowsȱtheȱserviceȱworkerȱtoȱmainȬ

314ȱ

Welche Aspekte der Emotionsregulation sind zu berücksichtigen?

12.2

tainȱobjectivityȱandȱemotionalȱequilibriumȱbyȱcognitivelyȱdistancingȱ him/herselfȱfromȱtheȱimplicatedȱemotion.ȱ...ȱOnȱtheȱotherȱhand,ȱemoȬ tionalȱ laborȱ canȱ becomeȱ dysfunctionalȱ forȱ theȱ workerȱ whenȱ dissoȬ nanceȱ betweenȱ theȱ feltȱ emotionsȱ andȱ theȱ displayedȱ emotionsȱ isȱ exȬ perienced”ȱ(S.ȱ368).ȱȱ Emotionaleȱ Dissonanzȱ giltȱ alsȱ zentralesȱ Konstrukt,ȱ umȱ negativeȱ Auswirkungenȱ derȱ organisationalȱ erwünschtenȱ undȱ fürȱ dieȱ erfolgȬ reicheȱ Aufgabenerledigungȱ notwendigenȱ Emotionsregulationȱ verȬ stehenȱzuȱkönnen.ȱKritischȱfürȱdieȱGesundheitȱvonȱDienstleistungsȬ gebendenȱundȱdaherȱauchȱvonȱLehrkräftenȱistȱdemnachȱdasȱhäufigeȱ ErlebenȱemotionalerȱDissonanz,ȱdasȱinsbesondereȱzumȱUnterdrückenȱ vonȱ Gefühlenȱ führt.ȱ Emotionsunterdrückungȱ (Suppression)ȱ hatȱ nichtȱ nurȱ Auswirkungenȱ aufȱ dasȱ Befinden,ȱ sondernȱ auchȱ aufȱ dieȱ Leistungsfähigkeitȱ (Butlerȱ etȱ al.,ȱ 2003).ȱ Kognitiveȱ Kostenȱ bestehenȱ etwaȱdarin,ȱdassȱdasȱAufnehmenȱundȱSpeichernȱvonȱInformationenȱ erschwertȱ undȱ inȱ derȱ Folgeȱ dieȱ Qualitätȱ derȱ Interaktionenȱ beeinȬ trächtigtȱwerden.ȱEmotionsunterdrückungȱführtȱalsoȱzuȱAblenkungȱ inȱderȱsozialenȱInteraktionȱundȱsomitȱzuȱgesenkterȱResponsivität.ȱZuȱ betonenȱistȱallerdings,ȱdassȱmitȱemotionalerȱDissonanzȱzunächstȱderȱ subjektiveȱ Zustandȱ desȱ Erlebensȱ vonȱ Diskrepanzenȱ umschriebenȱ wirdȱ –ȱ undȱ nochȱ nichtȱ derȱ darausȱ resultierendeȱ konkreteȱ Umgangȱ mitȱdiesenȱDiskrepanzenȱbzw.ȱDissonanzenȱ(vgl.ȱAbschnittȱ12.2.4).ȱ

12.2.2

Regulationsanforderungen

Dasȱ Auftretenȱ derȱ Emotionalenȱ Dissonanzȱ hängtȱ mitȱ bestehendenȱ RegulationsanforderungenȱinȱderȱArbeitȱzusammen,ȱdieȱinsbesondereȱ aufȱdenȱbereitsȱangesprochenenȱdisplayȱrulesȱ(Organisationȱgibtȱvor,ȱ welchesȱ Verhaltenȱ undȱ welcheȱ Gefühleȱ gezeigtȱ werdenȱ sollen)ȱ undȱ ggf.ȱauchȱFeelingȱRulesȱ(Organisationȱgibtȱvor,ȱwelcheȱGefühleȱerlebtȱ werdenȱ sollen)ȱ beruhen.ȱ Insbesondereȱ gehtȱ esȱ umȱ dieȱ Frage,ȱ wieȱ häufigȱbestimmte,ȱfürȱdenȱKlientenȱpositiveȱEmotionenȱ(z.B.ȱFreude)ȱ undȱ ggf.ȱ auchȱ wieȱ häufigȱ bestimmte,ȱ fürȱ denȱ Klientenȱ negativȬ aversiveȱ Emotionenȱ (z.B.ȱ Ärger)ȱ auszudrückenȱ sind.ȱ Inȱ eineȱ solcheȱ grobeȱ Unterteilungȱ (positivȱ versusȱ negativ)ȱ nichtȱ eindeutigȱ einzuȬ ordnenȱ sindȱ Neutralitätȱ (z.B.ȱ notwendigȱ imȱArbeitsalltagȱ vonȱ PoliȬ zistenȱ undȱ Richtern)ȱ sowieȱ derȱ Ausdruckȱ vonȱ Anteilnahme.ȱ Dieȱ FrankfurterȱArbeitsgruppeȱ umȱ Zapfȱ hatȱ alsȱ weitereȱ RegulationsanȬ

315ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

forderung die Notwendigkeit, die Gefühle der Klienten erkennen zu müssen („Sensitivitätsanforderung“), aufgenommen und die in Tabel le 1 enthaltene Übersicht erstellt.

Tabelle 1

Regulationsanforderungen und Beispiele für Aussagen zu deren Messung (entnommen aus Zapf et al., 2003, S.272) Regulationsanforderung

Beispielaussage (Fragebogen)

Ausdruck positiver Gefühle

Kommt es bei Ihrer Tätigkeit vor, dass Sie angenehme Gefühle gegenüber Kunden zum Ausdruck bringen müssen?

Ausdruck negativer Gefühle, Umgang mit negativen Gefühlen

Kommt es bei Ihrer Tätigkeit vor, dass Sie unangenehme Gefühle gegenüber Kunden zum Ausdruck bringen müssen?

Ausdruck von Anteilnahme (Ausdruck von positiven Gefühlen in einer für den Interaktionspartner negativen Situation)

Kommt es bei Ihrer Tätigkeit vor, dass Sie Mitgefühl zum Ausdruck bringen müssen?

Ausdruck von Neutralität (weder positive noch negative Gefühle)

Kommt es bei Ihrer Tätigkeit vor, dass Sie keine Gefühle ausdrücken, um nach außen hin neutral zu erscheinen?

Sensitivitätsanforderungen (Wahrnehmung von Ist es für Ihre Tätigkeit von Bedeutung Gefühlen anderer) zu wissen, wie sich Kunden momentan fühlen?

12.2.3

Regulationsmöglichkeiten

Generell haben Handlungsspielraum, Autonomie und Kontrolle in der Arbeit positive Auswirkungen auf die Gesundheit der arbeiten den Person (Ulich, 2005). Übertragen auf die Emotionsarbeit wird erwartet, dass auch hier positiv wirkende Regulationsmöglichkeiten bestehen. Nach Zapf et al. (2003) geht es erstens um das Ausmaß an Kontrolle über die Abläufe bei der Interaktion mit den Klienten (Interaktionsspielraum) und zweitens um das Ausmaß, inwiefern die zu zeigenden Emotionen exakt vorgeschrieben sind oder durchaus auch nach eigenem Ermessen darüber entschieden werden kann (Emotionsbezogene Kontrolle).

316

Welche Aspekte der Emotionsregulation sind zu berücksichtigen?

12.2.4

12.2

Strategien der Emotionsregulation

Dieȱ obenȱ angeführtenȱ emotionalenȱ Regulationsanforderungenȱ fühȬ renȱ zurȱ Emotionsregulationȱ beiȱ arbeitendenȱ Personen.ȱ Dieȱ EmotiȬ onsregulationȱ kannȱ sehrȱ unterschiedlichȱ verlaufen.ȱ Soȱ kannȱ eineȱ CallȬCenterȬAgentinȱihreȱaufkommendeȱWutȱimȱUmgangȱmitȱeinemȱ aggressivenȱ undȱ unzufriedenenȱ Kundenȱ unterdrückenȱ –ȱ oderȱ verȬ suchen,ȱ sichȱ inȱ dieȱ tatsächlichȱ ärgerlichȱ Situationȱ desȱ Kundenȱ hinȬ zuversetzenȱ(Perspektivenübernahme)ȱ–ȱoderȱsichȱinnerlichȱ„Stopp“ȱ sagen,ȱ tiefȱ durchatmenȱ undȱ anȱ einȱ positivesȱ Urlaubsereignisȱ denȬ ken,ȱumȱwiederȱinȱeineȱpositiveȱStimmungȱzuȱkommen.ȱNachȱZapfȱ etȱ al.ȱ (2003)ȱ istȱ esȱ möglich,ȱ dieȱ Vielfaltȱ möglicherȱ Technikenȱ zurȱ EȬ motionsregulationȱdenȱfolgendenȱvierȱStrategienȱzuzuordnen:ȱȱ

„ AutomatischeȱRegulation:ȱDieȱgeforderteȱEmotionȱtrittȱspontanȱauf,ȱ ohneȱdassȱesȱbesondererȱAnstrengungȱbedarf.ȱȱ

„ Surfaceȱ acting:ȱ Dieȱ arbeitendeȱ Personȱ gibtȱ nachȱ außenȱ hinȱ überȱ Mimik,ȱ Gestikȱ undȱ Stimmeȱ vor,ȱ dieȱ erwarteteȱ Emotionȱ zuȱ empȬ finden,ȱobwohlȱdiesȱinnerlichȱgarȱnichtȱderȱFallȱist.ȱ

„ Deepȱ Acting:ȱ Dieȱ arbeitendeȱ Personȱ bemühtȱ sichȱ erfolgreich,ȱ dieȱ erwartetenȱundȱerwünschtenȱGefühleȱtatsächlichȱzuȱempfinden.ȱ

„ EmotionaleȱDevianz:ȱ Dasȱ gewünschteȱ Gefühlȱ wirdȱ vonȱ derȱarbeiȬ tendenȱ Personȱ nichtȱ gezeigt,ȱ z.B.ȱ weilȱ sieȱ dieȱ organisationalenȱ Regelnȱ nichtȱ anerkennt.ȱ Ganzȱ imȱ Gegenteilȱ wirdȱ eineȱ Emotionȱ gezeigt,ȱdieȱseitensȱderȱOrganisationȱsogarȱunerwünschtȱistȱ(z.B.ȱ Wutausbruchȱ imȱ telefonischenȱ Kundenkontakt).ȱ Dieseȱ Varianteȱ kannȱzuȱSanktionenȱführen.ȱȱ Denȱ Strategienȱ könnenȱ konkreteȱ Technikenȱ zugeordnetȱ werden.ȱ Soȱ wäreȱ Unterdrückenȱ derȱ Strategieȱ surfaceȱ actingȱ undȱ PerspektivenȬ übernahmeȱderȱStrategieȱDeepȱActingȱzuzuordnen.ȱȱ

12.2.5

Zwischenfazit

DerȱVorschlagȱvonȱZapfȱ(2002)ȱistȱhilfreich,ȱdaȱverschiedeneȱAnsätzeȱ integriertȱwerdenȱundȱdabeiȱeineȱhandlungstheoretischeȱPerspektiveȱ eingenommenȱwird,ȱwelcheȱEmotionsregulationȱalsȱTeilȱdesȱArbeitsȬ handelnsȱversteht.ȱEsȱwirdȱauchȱmöglichȱzuȱerklären,ȱdassȱEmotionsȬ arbeitȱ nichtȱ nurȱ negativeȱ (insb.ȱ beimȱ Vorliegenȱ vonȱ RegulationsȬ

317ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

problemen),ȱ sondernȱ auchȱ positiveȱ (Voraussetzungȱ sindȱ z.B.ȱ hoheȱ Regulationsmöglichkeiten)ȱAuswirkungenȱhabenȱkann.ȱȱ Jedochȱ sollȱ auchȱ aufȱ weiterenȱ Entwicklungsbedarfȱ hingewiesenȱ werden.ȱ Eineȱ Schwachstelleȱ istȱ dieȱ fehlendeȱ klareȱ UnterscheidbarȬ keitȱ vonȱ Emotionalerȱ Dissonanzȱ (alsȱ Regulationsproblemȱ undȱ ZuȬ stand)ȱ undȱ surfaceȱ actingȱ (alsȱ Strategieȱ derȱ Emotionsregulation),ȱ insbesondereȱwennȱmanȱdieseȱinȱStudienȱgetrenntȱerhebenȱmöchten.ȱ Zudemȱerscheintȱesȱbedeutsamȱbeimȱsurfaceȱactingȱzuȱunterscheiden,ȱ obȱ dasȱ Simulierenȱ vonȱ Gefühlenȱ ausȱ Sichtȱ derȱ arbeitendenȱ Personȱ einemȱ gutenȱ Zweckȱ dientȱ undȱ alsȱ sinnvollȱ erachtetȱ wirdȱ (fakingȱ inȱ goodȱ faith)ȱ oderȱ obȱ dieȱ arbeitendeȱ Personȱ dieȱ Regelnȱ zumȱ Zeigenȱ bestimmterȱGefühleȱinnerlichȱablehntȱ(fakingȱinȱbadȱfaith)ȱ(vgl.ȱauchȱ Nerdingerȱ&ȱRöper,ȱ1999;ȱRafaeliȱ&ȱSutton,ȱ1987).ȱȱ

12.3

Vorliegende Befunde zur Emotionsregulation von Lehrkräften

ZahlreicheȱerziehungswissenschaftlicheȱBeiträgeȱhabenȱsichȱmitȱderȱ Emotionalitätȱ vonȱ Lehrkräftenȱ beschäftigt.ȱ Dieȱ Mehrheitȱ lässtȱ sichȱ nichtȱ derȱ aktuellenȱ Emotionsarbeitsforschungȱ zuordnen.ȱ EntspreȬ chendȱ werdenȱ inȱ solchenȱ Beiträgenȱ nichtȱ dieȱ inȱ Abschnittȱ 12.2ȱ beȬ handeltenȱ Aspekteȱ fokussiert,ȱ stattdessenȱ werdenȱ z.B.ȱ ausführlichȱ dieȱ Ursachenzuschreibungenȱ beiȱ derȱ Entstehungȱ vonȱ Emotionenȱ (Prawat,ȱ Byersȱ &ȱ Anderson,ȱ 1983)ȱ oderȱ derȱ Einflussȱ emotionalerȱ Betroffenheitȱ aufȱ Wahrnehmungenȱ vonȱ Problemsituationenȱ (ThieȬ nel,ȱ 1989)ȱ beleuchtet.ȱ Eineȱ umfangreicheȱ Darstellungȱ allerȱ Beiträgeȱ zurȱ Emotionalitätȱ vonȱ Lehrkräftenȱ würdeȱ denȱ Rahmenȱ desȱ vorlieȬ gendenȱ Buchbeitragsȱ sprengenȱ (vgl.ȱ z.B.ȱ Gerdjikova,ȱ 1999;ȱ Kessel,ȱ 1989;ȱ Mearnsȱ &ȱ Caine,ȱ 2003;ȱ Müllerȱ &ȱ Sauter,ȱ 1978),ȱ gleichwohlȱ stehtȱeineȱIntegrationȱderȱverschiedenenȱAnsätzeȱnochȱausȱundȱwäreȱ sicherȱ gewinnbringend.ȱ Zumindestȱ kannȱ anȱ dieserȱ Stelleȱ festgehalȬ tenȱ werden:ȱ Dieȱ umfangreicheȱ Lehrerforschungȱ belegt,ȱ dassȱ fürȱ LehrkräfteȱdieȱdirekteȱInteraktionȱmitȱSchülernȱeineȱgroßeȱpersönliȬ cheȱ Bedeutungȱ hatȱ undȱ mitȱ intensivenȱ emotionalenȱ Prozessenȱ einȬ hergeht,ȱdieȱauchȱausȱpädagogischenȱGründenȱbedeutsamȱsind.ȱ

318ȱ

Vorliegende Befunde zur Emotionsregulation von Lehrkräften

12.3

Arbeitswissenschaftlichȱ orientierte,ȱ empirischeȱ Studienȱ zurȱ EmotiȬ onsarbeitȱvonȱLehrkräftenȱliegenȱu.a.ȱvonȱBaderȱ(2006),ȱBergȱ(2005),ȱ Englerȱ (2005),ȱ Fischbachȱ (2003;ȱ vgl.ȱ auchȱ Retzlaffȱ &ȱ Fischbach,ȱ inȱ Begutachtung)ȱ undȱ Jochumȱ (2005)ȱ vor.ȱ Inȱ denȱ Studienȱ wurdenȱ Lehrkräfteȱ verschiedenerȱ Schulartenȱ berücksichtigtȱ undȱ zudemȱ weitereȱ Berufsgruppenȱ aufgenommen,ȱ soȱ dassȱ interessanteȱ BerufsȬ gruppenvergleicheȱmöglichȱwerden.ȱBeiȱBaderȱ(2006)ȱhandeltȱesȱsichȱ insbesondereȱumȱApotheker,ȱbeiȱJochumȱ(2005)ȱumȱPflegekräfteȱundȱ beiȱFischbachȱ(2003)ȱumȱPolizistenȱundȱReisekaufleute.ȱȱ

12.3.1

Regulationsanforderungen an Lehrkräfte

Lehrkräfteȱ verbringenȱ ca.ȱ 40ȱ %ȱ ihrerȱArbeitszeitȱ imȱ Unterrichtȱ undȱ damitȱ imȱ direktenȱ Kontaktȱ mitȱ Schülernȱ (Mummertȱ &ȱ Partner,ȱ 1999).ȱ Esȱ gibtȱ eineȱ Reiheȱ vonȱ Berufsgruppenȱ mitȱ wesentlichȱ längeȬ renȱKundenkontakten,ȱz.B.ȱgabenȱApothekerȱan,ȱ75%ȱihrerȱArbeitsȬ zeitȱimȱdirektenȱKundenkontaktȱzuȱverbringenȱ(Bader,ȱ2006).ȱAllerȬ dingsȱzeigtȱsichȱbeimȱVergleichȱmitȱdenȱApothekern,ȱdassȱdieȱKonȬ takteȱmitȱSchülernȱkonfliktreicherȱsindȱalsȱdieȱKundenkontakteȱderȱ Apotheker.ȱȱ Inȱ Abbildungȱ 1ȱ wirdȱ deutlich,ȱ welcheȱ Emotionenȱ Lehrkräfteȱ nachȱ eigenenȱ Angabenȱ besondersȱ häufigȱ zeigenȱ müssenȱ (Bader,ȱ 2006).ȱ Dominierendȱ istȱ Freundlichkeit,ȱ danachȱ Neutralität/ȱ Sachlichkeitȱ (Mittelwertȱ M=4.1)ȱ undȱ Freudeȱ (M=3.9).ȱ Weiterhinȱ folgenȱ Strengeȱ (M=3.6),ȱMitgefühlȱ(M=3.3),ȱÄrgerȱ(M=3),ȱBetroffenheitȱ(M=2.9)ȱundȱ Enttäuschungȱ (M=2.5).ȱ Vergleichbareȱ Ergebnisseȱ ergabȱ dieȱ Studieȱ vonȱ Retzlaffȱ undȱ Fischbachȱ (inȱ Begutachtung),ȱ wonachȱ besondersȱ häufigȱpositiveȱsowieȱneutraleȱEmotionenȱgezeigtȱwerden,ȱwährendȱ negativeȱEmotionenȱwesentlichȱseltenerȱgezeigtȱwerden.ȱȱ

319ȱ

12 Abbildungȱ1ȱ

Emotionsregulation von Lehrkräften

Häufigkeitȱ verschiedenerȱ imȱ Unterrichtȱ zuȱ zeigenderȱ Emotionenȱ (nachȱ Bader,ȱ2006):ȱSkalaȱvonȱ1=“sehrȱselten/nie“ȱbisȱ5=“sehrȱoftȱ(mehrmalsȱproȱ Stunde)“.ȱAngegebenȱistȱderȱMittelwertȱüberȱalleȱLehrkräfteȱhinweg.ȱ

1

2

3

4

5

Freundlichkeit Neutralität/Sachlichkeit Freude/Mitfreude Strenge Mitgefühl Ärger Betroffenheit Enttäuschung

ȱ

Derȱ Vergleichȱ mitȱ anderenȱ Berufsgruppenȱ ergabȱ statistischȱ signifiȬ kanteȱ Unterschiede.ȱ Soȱ zeigtenȱ Apothekerȱ nochȱ häufigerȱ alsȱ LehrȬ kräfteȱ Freundlichkeit,ȱ Betroffenheitȱ undȱ Mitgefühl,ȱ währendȱ ApoȬ thekerȱimȱdirektenȱVergleichȱseltenerȱÄrgerȱundȱEnttäuschung,ȱalsoȱ wenigerȱnegativeȱEmotionenȱangabenȱ(Bader,ȱ2006).ȱEsȱfandenȱsichȱ ersteȱ Hinweiseȱ aufȱ Unterschiedeȱ zwischenȱ denȱ Lehrkräftenȱ verȬ schiedenerȱ Schularten.ȱ Grundschullehrkräfteȱ zeigenȱ häufigerȱ FreuȬ deȱalsȱGymnasialehrkräfteȱ(ebd.).ȱ Fischbachȱ (2003)ȱ verglichȱ Lehrkräfteȱ mitȱ Polizistenȱ undȱ ReisekaufȬ leuten.ȱLehrkräfteȱzeigenȱinȱihremȱBerufsalltagȱimȱVergleichȱzuȱPoliȬ zistenȱ undȱ Reisekaufleutenȱ mehrȱ negativeȱ Emotionen,ȱ aberȱ auchȱ mehrȱ Sympathieȱ gegenüberȱ ihrenȱ Schülernȱ undȱ müssenȱ inȱ besonȬ dersȱ hochȱ ausgeprägtemȱ Maßȱ dieȱ Gefühleȱ ihrerȱ Schülerȱ erkennen.ȱ Beiȱ Baderȱ (2006)ȱ gabenȱ Pharmazeutenȱnochȱ häufigerȱ alsȱ Lehrkräfteȱ an,ȱ dassȱ beimȱ Kundenȱ bzw.ȱ Schülerȱ positiveȱ Emotionenȱ ausgelöstȱ werdenȱsollen.ȱȱ

320ȱ

Vorliegende Befunde zur Emotionsregulation von Lehrkräften

12.3.2

12.3

Display Rules und Regulationsmöglichkeiten

DieȱMehrzahlȱderȱvonȱunsȱbefragtenȱLehrkräfteȱgabȱan,ȱdassȱesȱdisȬ playȱrulesȱgibt,ȱd.h.ȱErwartungenȱbezüglichȱimȱUnterrichtȱzuȱzeigenȬ derȱ Emotionenȱ werdenȱ vonȱ Lehrkräftenȱ wahrgenommenȱ undȱ sindȱ imȱArbeitsalltagȱrelevant.ȱAllerdingsȱverneinteȱfastȱjedeȱdritteȱLehrȬ kraftȱ derenȱ Existenzȱ (Bader,ȱ 2006).ȱ Fernerȱ zeigteȱ sichȱ einȱ auffälligȱ hohesȱAusmaßȱanȱRegulationsmöglichkeiten.ȱInsbesondereȱdieȱemoȬ tionsbezogeneȱ Kontrolleȱ istȱ hochȱ ausgeprägtȱ (Retzlaffȱ &ȱ Fischbach,ȱ inȱBegutachtung).ȱLehrkräfteȱhabenȱdemnachȱimȱVergleichȱzuȱandeȬ renȱ Berufsgruppenȱ imȱ personenbezogenenȱ Dienstleistungssektorȱ mehrȱSpielraumȱbeimȱZeigenȱvonȱEmotionen.ȱȱ Generellȱ gilt,ȱ dassȱ dieȱ expliziteȱ Anforderungȱ inȱ einerȱ unangenehȬ menȱ Situationȱ freundlichȱ zuȱ bleiben,ȱ zuȱ mehrȱ Emotionalerȱ DissoȬ nanzȱ führtȱ imȱ Vergleichȱ zurȱAnforderung,ȱ sichȱ authentischȱ zuȱ verȬ haltenȱ (Fischbach,ȱ 2003).ȱ Entsprechendȱ sindȱ dieȱ erstenȱ Hinweiseȱ positivȱ zuȱ bewerten,ȱ dassȱ Lehrkräfteȱ imȱ Vergleichȱ zuȱ anderenȱ Dienstleistungsberufenȱ inȱ derȱ direktenȱ Interaktionȱ mehrȱ Spielraumȱ habenȱ undȱ sichȱ möglicherweiseȱ auchȱ eherȱ authentischȱ verhaltenȱ können.ȱȱ

12.3.3

Regulationsprobleme

LehrkräfteȱberichtenȱimȱVergleichȱzuȱPolizistenȱundȱReisekaufleutenȱ überȱ wenigerȱ Emotionaleȱ Dissonanz.ȱ Retzlaffȱ undȱ Fischbachȱ (inȱ Begutachtung)ȱfandenȱzudemȱeinenȱnegativenȱZusammenhangȱzwiȬ schenȱ emotionsbezogenerȱ Kontrolleȱ undȱ Emotionalerȱ Dissonanz,ȱ d.h.ȱwennȱeineȱLehrkraftȱeherȱselbstȱentscheidenȱkann,ȱwelcheȱEmoȬ tionȱ sieȱ zeigt,ȱ dannȱ empfindetȱ sieȱ wenigerȱ Emotionaleȱ Dissonanz.ȱ Baderȱ(2006)ȱbestätigte,ȱdassȱemotionaleȱDissonanzȱbeiȱPharmazeuȬ ten,ȱ welcheȱ einenȱ geringerenȱ Interaktionsspielraumȱangeben,ȱsigniȬ fikantȱhäufigerȱauftrittȱalsȱbeiȱLehrkräften.ȱInȱdenȱvorliegendenȱStuȬ dienȱ zeigtȱ sichȱ übereinstimmend,ȱ dassȱ einȱ eherȱ geringerȱAnteilȱ derȱ Lehrkräfteȱangibt,ȱhäufigȱemotionaleȱDissonanzȱzuȱerleben.ȱȱ Dieȱ hochȱ ausgeprägtenȱ Regulationsmöglichkeitenȱ imȱ Lehrberufȱ erklären,ȱwarumȱdieȱAngabenȱzurȱEmotionalenȱDissonanzȱtrotzȱderȱ hohenȱ emotionalenȱ Anforderungenȱ eherȱ geringȱ ausgeprägtȱ sind.ȱ Gleichwohlȱgilt:ȱInsbesondereȱSchüleraktivitäten,ȱdieȱnegativeȱEmoȬ

321ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

tionenȱ beiȱ derȱ Lehrkraftȱ hervorrufen,ȱ könnenȱ zuȱ RegulationsprobȬ lemenȱ bzw.ȱ zuȱ Emotionalerȱ Dissonanzȱ führen.ȱ Inȱ eigenenȱ Studienȱ zeigteȱsich,ȱdassȱinsbesondereȱRegulationshindernisse,ȱdieȱdasȱzielȬ gerichteteȱHandelnȱderȱLehrkraftȱundȱdenȱFortgangȱdesȱUnterrichtsȱ unterbrechen,ȱemotionaleȱDissonanzȱauslösenȱ(Berg,ȱ2005).ȱȱ

12.3.4

Strategien und Techniken der Emotionsregulation

Dieȱ Strategienȱ derȱ Emotionsregulationȱ werdenȱ nachȱ Zapfȱ etȱ al.ȱ (2003)ȱ inȱ automatischeȱ Regulation,ȱ surfaceȱ acting,ȱ Deepȱ Actingȱ undȱ Emotionaleȱ Devianzȱ unterschiedenȱ (s.ȱ Abschnittȱ 12.2.4).ȱ Welcheȱ StrategienȱwerdenȱvonȱLehrkräftenȱbesondersȱhäufigȱeingesetzt?ȱBeiȱ Baderȱ(2006)ȱzeigteȱsich,ȱdassȱLehrkräfteȱvorȱallemȱeineȱVarianteȱdesȱ surfaceȱ actingȱ angeben,ȱ beiȱ derȱ dasȱ Simulierenȱ vonȱ Gefühlenȱ ausȱ SichtȱderȱarbeitendenȱPersonȱeinemȱgutenȱZweckȱdient,ȱalsȱBestandȬ teilȱ desȱ Berufsȱ akzeptiertȱ undȱ auchȱ alsȱ sinnvollȱ erachtetȱ wirdȱ („faȬ kingȱinȱgoodȱfaith“).ȱAuchȱDeepȱActingȱwirdȱrechtȱhäufigȱpraktiziert,ȱ d.h.ȱ dieȱ vonȱ außenȱ erwartetenȱ Gefühleȱ werdenȱ auchȱ tatsächlichȱ erlebt.ȱ Hierbeiȱ zeigenȱ sichȱ keineȱ signifikantenȱ Unterschiedeȱ zuȱ derȱ Berufsgruppeȱ derȱ Pharmazeuten.ȱ Bedeutsameȱ Differenzenȱ ergebenȱ sichȱallerdingsȱzwischenȱdenȱbeidenȱGruppenȱhinsichtlichȱ„fakingȱinȱ badȱfaith“.ȱHierbeiȱwirdȱebenfallsȱsurfaceȱactingȱpraktiziert,ȱjedochȱalsȱ Zwangȱ erlebtȱ undȱ innerlichȱ nichtȱ akzeptiert,ȱ dassȱ dieȱ Gefühleȱ geȬ zeigtȱ werdenȱ sollen.ȱ Dieȱ alsȱ potenziellȱ gesundheitsgefährdendȱ einȬ gestufteȱStrategieȱwurdeȱvonȱApothekernȱsignifikantȱhäufigerȱangeȬ gebenȱ alsȱ vonȱ Lehrkräftenȱ (ebd).ȱ Solcheȱ Ergebnisseȱ belegen,ȱ dassȱ eineȱ alleinigeȱ Erhebungȱ vonȱ surfaceȱ actingȱ nichtȱ sinnvollȱ ist.ȱ VielȬ mehrȱ solltenȱ dieȱ damitȱ verbundenenȱ Prozesseȱ geklärtȱ werdenȱ undȱ zumindestȱ zwischenȱ „fakingȱ inȱ goodȱ faith“ȱ undȱ „fakingȱ inȱ badȱ faith“ȱ unterschiedenȱwerden.ȱ Zuȱ beachtenȱ ist,ȱ dassȱ dieȱ Strategienȱ derȱ Emotionsregulationȱ beiȱ Lehrkräftenȱ bislangȱ grobȱ erfasstȱ wurden,ȱ soȱ dassȱ keineȱ empirischȱ fundiertenȱAussagenȱ überȱ denȱ Einsatzȱ konkreterȱ Technikenȱ (wieȱ PerȬ spektivenübernahme)ȱmöglichȱsind.ȱHierȱbestehtȱKlärungsbedarf.ȱ

322ȱ

Vorliegende Befunde zur Emotionsregulation von Lehrkräften

12.3.5

12.3

Zusammenhänge zwischen Emotionsregulation und Gesundheit

Grundsätzlichȱ gilt:ȱEinȱ höheresȱAusmaßȱ anȱ Emotionalerȱ Dissonanzȱ gehtȱ tendenziellȱ mitȱ negativenȱ Auswirkungenȱ aufȱ dasȱ Befindenȱ einher,ȱ etwaȱ emotionalerȱ Erschöpfung.ȱ Emotionaleȱ Dissonanzȱ wirdȱ vonȱ Zapfȱ etȱal.ȱ(2003)ȱalsȱRegulationsproblemȱ betrachtet,ȱ alsoȱ nichtȱ alsȱ Strategieȱ derȱ Emotionsregulation.ȱ Esȱ istȱ allerdingsȱ theoretischȱ undȱauchȱbeiȱderȱMessungȱbzw.ȱOperationalisierungȱnurȱschwerȱzuȱ unterscheidenȱ zwischenȱ emotionalerȱ Dissonanzȱ undȱ derȱ Strategieȱ surfaceȱacting.ȱGleichwohlȱlohntȱsichȱeinȱdetaillierterȱBlickȱaufȱsurfaceȱ acting,ȱderȱzwischenȱfakingȱinȱgoodȱfaithȱundȱfakingȱinȱbadȱfaithȱunterȬ scheidet.ȱDieȱStudieȱvonȱBaderȱ(2006)ȱbelegtȱu.a.ȱfürȱLehrkräfte,ȱdassȱ einȱ höheresȱ Ausmaßȱ anȱ fakingȱ inȱ goodȱ faithȱ dieȱ Wahrscheinlichkeitȱ desȱAuftretensȱvonȱemotionalerȱErschöpfungȱreduziert,ȱd.h.ȱhierȱhatȱ surfaceȱ actingȱ protektiveȱ Auswirkungen,ȱ obwohlȱ Gefühleȱ gezeigtȱ werden,ȱ dieȱ innerlichȱ nichtȱ erlebtȱ werden.ȱ Bedeutsamȱ istȱ dasȱ ErleȬ benȱ derȱ Sinnhaftigkeitȱ dieserȱ „Täuschung“ȱ fürȱ pädagogischeȱ ZielȬ stellungen.ȱ DieȱAuswirkungenȱvonȱfakingȱinȱbadȱfaithȱsindȱentgegengesetzt.ȱEineȱ hoheȱ Ausprägungȱ vonȱ fakingȱ inȱ badȱ faithȱ führtȱ zuȱ emotionalerȱ ErȬ schöpfungȱimȱArbeitsalltag.ȱAusȱdiesenȱErgebnissenȱlässtȱsichȱableiȬ ten,ȱ dassȱ dasȱ Vortäuschenȱ vonȱ Emotionenȱ (surfaceȱ acting)ȱ höchstȱ unterschiedlicheȱ Auswirkungenȱ hat,ȱ jeȱ nachdem,ȱ obȱ dieȱ Lehrkraftȱ diesesȱVortäuschenȱalsȱsinnvollȱansiehtȱ(fakingȱinȱgoodȱfaith)ȱoderȱesȱ innerlichȱablehntȱ(fakingȱinȱbadȱfaith).ȱEntsprechendȱhatȱdieȱIdentifiȬ kationȱvonȱLehrkräftenȱmitȱihremȱBeruf,ȱihrerȱRolleȱundȱderȱprofesȬ sionellenȱAnnahmeȱ derȱ damitȱ verbundenenȱAnforderungenȱ anȱ dieȱ Emotionsregulationȱ voraussichtlichȱ eineȱ gesundheitsförderlicheȱ Auswirkung.ȱDiesȱgiltȱesȱinȱLängsschnittstudienȱzuȱprüfen.2ȱ WeitereȱStudienȱbestätigen,ȱdassȱnichtȱpauschalȱvonȱnegativenȱAusȬ wirkungenȱ derȱ emotionalenȱ Regulationsanforderungenȱ aufȱ dasȱ Befindenȱ vonȱ Lehrkräftenȱ geschlossenȱ werdenȱ darf.ȱ Soȱ hatȱ dieȱAnȬ forderung,ȱ positiveȱ Emotionenȱ zuȱ zeigen,ȱ günstigeȱ Auswirkungenȱ aufȱ dieȱ dreiȱ Burnoutȱ Ȭȱ Dimensionenȱ reduzierteȱ Leistungsfähigkeit,ȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 2ȱȱ Aktuelleȱ Studienȱ (insb.ȱ dieȱ geforderteȱ Längsschnittstudie)ȱ unsererȱ ArbeitsgrupȬ

penȱzurȱEmotionsregulationȱvonȱLehrkräftenȱwerdenȱgefördertȱvonȱderȱDFGȱimȱ RahmenȱdesȱSchwerpunktprogrammsȱAltersdifferenzierteȱArbeitssysteme.ȱȱ

323ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

Depersonalisationȱ undȱ emotionaleȱ Erschöpfungȱ (Retzlaffȱ &ȱ FischȬ bach,ȱ inȱ Begutachtung).ȱ Esȱ bestehtȱ weiterhinȱ einȱ positiverȱ ZusamȬ menhangȱzwischenȱderȱAnforderungȱzumȱZeigenȱpositiverȱEmotioȬ nenȱundȱArbeitszufriedenheitȱalsȱIndikatorȱfürȱWohlbefindenȱ(ebd.).ȱ DieȱAnforderungȱ zumȱ Zeigenȱ positiverȱ Gefühleȱ kannȱ durchausȱ alsȱ RessourceȱimȱLehrberufȱbetrachtetȱwerden.ȱ Darzustellendeȱ Neutralitätȱ istȱ hingegenȱ keineȱ Ressource.ȱ Dieȱ AnȬ forderung,ȱneutraleȱEmotionenȱzuȱzeigenȱhängtȱbeiȱLehrkräftenȱmitȱ emotionalerȱ Erschöpfungȱ undȱ reduzierterȱ Leistungsfähigkeitȱ zuȬ sammen.ȱ Hierȱ zeigenȱ sichȱ interessanteȱ Berufsgruppenunterschiede,ȱ dennȱ beiȱ Polizeibeamtenȱ hatȱ darzustellendeȱ Neutralitätȱ durchausȱ positiveȱAuswirkungenȱaufȱdasȱBefindenȱ(ebd.).ȱ

12.3.6

Situationsabhängigkeit der eingesetzten Techniken

EinȱMankoȱderȱEmotionsarbeitsforschungȱistȱdieȱnochȱunzureichenȬ deȱ Berücksichtigungȱ derȱ konkretenȱ Situationsmerkmale,ȱ dieȱ denȱ Einsatzȱ verschiedenerȱ Strategienȱ derȱ Emotionsregulationȱ naheȱ leȬ gen.ȱ Inȱ derȱ Lehrerforschungȱ liegenȱ erfreulicherweiseȱ bereitsȱ einigeȱ interessanteȱStudienȱvor,ȱdieȱhierȱHinweiseȱliefernȱkönnenȱ(z.B.ȱMülȬ lerȱ&ȱSauter,ȱ1978).ȱWirȱsindȱderȱAuffassung,ȱdassȱdieȱstärkereȱAusȬ einandersetzungȱmitȱdemȱkonkretenȱUnterrichtsgeschehenȱnotwenȬ digȱ ist,ȱ umȱ dieȱ Emotionsregulationȱ vonȱ Lehrkräftenȱ zuȱ verstehen.ȱ EinȱBelegȱfürȱdieseȱAnnahmeȱliefertȱEnglerȱ(2005).ȱInȱeinerȱvideogeȬ stütztenȱPilotstudieȱzumȱVergleichȱgesunderȱundȱwenigerȱgesunderȱ ältererȱ beruflichȱ aktiverȱ LehrkräfteȱanȱGesamtschulenȱ undȱ GymnaȬ sienȱwurdeȱüberprüft,ȱwasȱÄltereȱimȱSchuldienstȱgesundȱhält.ȱȱ Beiȱ jederȱ Lehrkraftȱ wurdenȱ jeweilsȱ zweiȱ Unterrichtsstundenȱ mitȱ Videokamerasȱ aufgezeichnetȱ undȱ anschließendȱ mitȱ demȱ BeobachȬ tungsverfahrenȱ RHIAȬUnterrichtȱ ausgewertetȱ (vgl.ȱ Krause,ȱ Bäuerleȱ &ȱ Dorsemagen,ȱ inȱ diesemȱ Band).ȱ Anschließendȱ wurdenȱ dieȱ LehrȬ kräfteȱ imȱ Rahmenȱ einerȱ Videokonfrontationȱ zuȱ RegulationshinderȬ nissenȱimȱUnterrichtȱbefragt.ȱRegulationshindernisseȱsindȱpsychischȱ belastendeȱ Ereignisseȱ imȱ Unterrichtȱ („Unterrichtsstörungen“),ȱ dieȱ dasȱ zielgerichteteȱ Handelnȱ derȱ Lehrkraftȱ unterbrechen.ȱAlsȱ Stimuliȱ wurdenȱunterschieden:ȱ

324ȱ

Vorliegende Befunde zur Emotionsregulation von Lehrkräften

12.3

(a) Einfache Regulationshindernisse [RH], die im aufgezeichneten Unterricht eher kurze Reaktionen bei der Lehrkraft auslösen (z.B. Ermahnen, Auffordern). (b) Problematischere Regulationshindernisse, die länger andauernde Interaktionen mit dem Schüler auslösen. (c) Erinnerte Regulationshindernisse, die die Lehrkraft abschließend selbst berichtet und die sich auf besonders eindringliche Konflikte beziehen. Die Lehrkräfte wurden bei der Videokonfrontation zu den einzelnen Hindernissen ausführlich befragt, u.a. hinsichtlich ausgelöster emo tionaler Reaktionen. Es zeigte sich hypothesenkonform, dass die emotionalen Anforderungen über die drei Untersuchungsbedin gungen hinweg jeweils statistisch signifikant anstiegen (Einfache RH < problematischere RH < erinnerte RH). Ein anderes Bild ergab sich bei surface acting. In der Pilotstudie zeigte sich ein überraschen der, statistisch signifikanter und inhaltlich starker Interaktionseffekt (vgl. Abbildung 2).

Ausprägung von surface acting (Beeinflussung des Gesichtsausdrucks) in Folge verschiedener Regulationshindernisse und in Abhängigkeit vom Gesundheitszustand Gesunde Ausmaß Surface Acting

Abbildung 2

Weniger Gesunde

4

3

2

1 einfache RH

problematische RH

erinnerte RH

325

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

Dieȱ Beeinflussungȱ desȱ eigenenȱ Gesichtsausdrucksȱ istȱ einȱ Indikatorȱ fürȱ surfaceȱ acting.ȱAuffälligȱ istȱ derȱ Unterschiedȱ zwischenȱ gesundenȱ undȱ wenigerȱ gesundenȱ älterenȱ Lehrkräftenȱ beiȱ einfachenȱ RegulatiȬ onshindernissen:ȱ Gesundeȱ Lehrkräfteȱ unterdrückenȱ ihrenȱ GeȬ sichtsausdruckȱstärkerȱalsȱihreȱwenigerȱgesundenȱKollegenȱ(linksȱinȱ Abbildungȱ2).ȱSieȱgabenȱzusätzlichȱauchȱan,ȱihreȱGefühleȱbeiȱdiesenȱ einfachenȱStörungenȱwesentlichȱstärkerȱzuȱunterdrücken.ȱBeiȱeinfaȬ chenȱ Unterrichtsstörungenȱ erlebenȱ gesundeȱ ältereȱ Lehrkräfteȱ somitȱ mehrȱ surfaceȱ actingȱ undȱ auchȱ emotionaleȱ Dissonanzȱ alsȱ wenigerȱ gesundeȱ ältereȱ Lehrkräfte.ȱ Dieseȱ differenziertenȱ Ergebnisseȱ weisenȱ aufȱdieȱBedeutungȱvonȱsurfaceȱactingȱbeiȱLehrkräftenȱhin,ȱdieȱmitȱderȱ bisherigenȱForschungȱnichtȱerklärtȱwerdenȱkann.ȱDieȱErgebnisseȱvonȱ Englerȱ(2005)ȱlegenȱnahe,ȱdassȱesȱlohnenswertȱist,ȱdieȱStrategienȱderȱ Emotionsregulationȱ nichtȱ nurȱ situationsübergreifendȱ zuȱ erfassen,ȱ sondernȱdifferenzierterȱjeȱnachȱSituationȱdieȱeingesetztenȱTechnikenȱ zuȱ erfragen.ȱ Möglicherweiseȱ gelingtȱ esȱ gesundenȱ Lehrkräftenȱ beȬ sondersȱ gut,ȱ beiȱ denȱ zahlreichenȱ einfachenȱ Unterrichtsstörungenȱ eineȱsinnvolleȱBeeinflussungȱeigenerȱGefühleȱzuȱerreichen,ȱauchȱumȱ dasȱUnterrichtsgeschehenȱpositivȱzuȱbeeinflussen.ȱ Baderȱ (2006)ȱ befragteȱ Lehrkräfteȱ mitȱ üblichenȱ EmotionsarbeitsfraȬ gebögen,ȱumȱhabituelleȱ(situationsübergreifende)ȱAngabenȱzuȱStraȬ tegienȱ derȱ Emotionsregulationȱ zuȱ ermitteln.ȱ Zusätzlichȱ befragteȱ sieȱ dieȱ Lehrkräfteȱ auchȱ zuȱ ihrenȱ Strategienȱ inȱ konkretȱ vorgegebenenȱ konfliktreichenȱ Unterrichtssituationen.ȱ Entgegenȱ derȱ Vorannahmeȱ zeigtenȱsichȱnurȱmittlereȱZusammenhänge:ȱLehrkräfte,ȱdieȱangeben,ȱ generellȱ häufigȱ z.B.ȱ fakingȱ inȱ goodȱ faithȱ zuȱ praktizieren,ȱ gebenȱ beiȱ konkretenȱUnterrichtskonfliktenȱnurȱunwesentlichȱhäufigerȱan,ȱdieȬ seȱ Strategieȱ einzusetzen.ȱ Solcheȱ Ergebnisseȱ bestätigen,ȱ dassȱ eineȱ situationsspezifischeȱ Erfassungȱ vonȱ Technikenȱ undȱ Strategienȱ derȱ EmotionsregulationȱandereȱAspekteȱerfassenȱalsȱinȱdenȱallgemeinen,ȱ situationsunspezifischenȱ Fragebögen,ȱ dieȱ derzeitȱ dieȱ EmotionsarȬ beitsforschungȱdominieren.ȱ

326ȱ

Ausblick

12.4

Ausblick

12.4.1

Emotionsarbeit als Bestandteil des professionellen Berufsbildes und der Personal- und Organisationsentwicklung

12.4

Derȱ Lehrberufȱ lässtȱ sichȱ hinsichtlichȱ derȱ Emotionsregulationȱ zuȬ sammenfassendȱfolgendermaßenȱcharakterisieren:ȱLehrkräfteȱgebenȱ an,ȱsehrȱhäufigȱpositiveȱGefühleȱwieȱFreundlichkeitȱundȱSympathieȱ sowieȱ einenȱ neutralenȱ Emotionsausdruckȱ (Sachlichkeit)ȱ zeigenȱ zuȱ müssen.ȱ Negativeȱ Emotionenȱ wieȱ Strengeȱ werdenȱ zwarȱ seltenerȱ gezeigtȱ alsȱ positiveȱ Gefühle,ȱ aberȱ dennochȱ häufigerȱ alsȱ inȱ anderenȱ Berufsgruppen.ȱDiesȱhängtȱauchȱdamitȱzusammen,ȱdassȱdieȱAnzahlȱ derȱkonfliktreichenȱInteraktionenȱimȱUnterrichtȱrechtȱgroßȱist.ȱLehrȬ kräfteȱ habenȱ imȱ Vergleichȱ zuȱ anderenȱ personenbezogenenȱ DienstȬ leistungsberufenȱ dieȱ Möglichkeitȱ undȱ teilweiseȱ auchȱ dieȱ VerpflichȬ tung,ȱnegativeȱGefühleȱinȱkonfliktreichenȱSituationenȱzuȱzeigenȱ(undȱ nichtȱ unbedingtȱ zuȱ unterdrücken).ȱ Insgesamtȱ ergibtȱ sichȱ eineȱ sehrȱ großeȱVariabilitätȱanȱzuȱzeigendenȱEmotionenȱimȱLehrberuf.ȱȱ Gesundheitsförderlichȱ istȱ derȱ vergleichsweiseȱ hoheȱ Spielraumȱ beiȱ derȱ Entscheidung,ȱ welcheȱ Gefühleȱ gezeigtȱ undȱ wieȱ dieȱ InteraktioȬ nenȱ mitȱ denȱ Schülernȱ gestaltetȱ werden.ȱ Fastȱ jedeȱ dritteȱ Lehrkraftȱ gabȱerstaunlicherweiseȱan,ȱdassȱesȱkeineȱdisplayȱrulesȱgebenȱwürde.ȱ Inȱ derȱ Folgeȱ führenȱ dieȱ hohenȱ emotionalenȱ Anforderungenȱ imȱ Lehrberufȱ nichtȱ unmittelbarȱ zuȱ emotionalerȱ Dissonanz.ȱ Wennȱ denȬ nochȱ Gefühleȱ gezeigtȱ werden,ȱ dieȱ manȱ innerlichȱ nichtȱ empfindet,ȱ dannȱsiehtȱmanȱdieseȱEmotionsarbeitȱüberwiegendȱimȱEinklangȱmitȱ seinenȱpersönlichenȱundȱberuflichenȱÜberzeugungenȱ(fakingȱinȱgoodȱ faith).ȱȱ Insgesamtȱzeigtȱsich,ȱdassȱLehrkräfteȱhoheȱemotionaleȱArbeitsanforȬ derungenȱerfüllenȱmüssen.ȱHierzuȱgehörenȱauchȱhoheȱSensitivitätsȬ anforderungen,ȱd.h.ȱLehrkräfteȱmüssenȱzurȱAufgabenerledigungȱdieȱ innerenȱ Zuständeȱ ihrerȱ Schülerȱ wahrnehmenȱ undȱ berücksichtigen.ȱ Dieȱ Anforderungenȱ führenȱ angesichtsȱ derȱ bestehendenȱ Freiräumeȱ fürȱLehrkräfteȱnichtȱautomatischȱzuȱRegulationsproblemenȱ(EmotioȬ nalerȱ Dissonanz).ȱ Gleichwohlȱ sahenȱ dieȱ befragtenȱ Lehrkräfteȱ einenȱ hohenȱ Trainingsbedarfȱ (Bader,ȱ 2006).ȱ Einȱ Trainingȱ erfolgreicherȱ EȬ motionsregulationȱistȱvorȱdiesemȱHintergrundȱnichtȱalleinȱalsȱMaßȬ nahmeȱzurȱGesundheitsförderungȱzuȱsehen,ȱsondernȱalsȱInterventiȬ

327ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

onȱ zurȱ Steigerungȱ derȱ Leistungsfähigkeitȱ undȱ Kompetenzenȱ vonȱ Lehrkräften,ȱdieȱEmotionsregulationȱalsȱBestandteilȱihresȱprofessioȬ nellenȱSelbstverständnissesȱannehmen.ȱ Aufbauendȱ aufȱ denȱ vorliegendenȱ Erkenntnissenȱ undȱ weitererȱ StuȬ dieȱ planenȱ dieȱAutorenȱ dieȱ Entwicklungȱ undȱ Evaluationȱ speziellerȱ Personalentwicklungsmaßnahmenȱ zurȱ Emotionsregulationȱ beiȱ Lehrkräften.ȱ Dabeiȱ sollȱ Lehrkräftenȱ dieȱ Möglichkeitȱ gegebenȱ werȬ den,ȱ dieȱ vonȱ ihnenȱ imȱ Unterrichtȱ bisherȱ eingesetztenȱ Technikenȱ hinsichtlichȱ ihrerȱ Gesundheitsförderlichkeitȱ zuȱ überprüfenȱ undȱ gegebenenfallsȱ dysfunktionaleȱ durchȱ gesundheitsförderlicheȱ zuȱ ersetzen.ȱSomitȱwirdȱdasȱHandlungsrepertoireȱderȱLehrkräfteȱerweiȬ tertȱ undȱ esȱ wirdȱ ihnenȱ dieȱ Möglichkeitȱ geboten,ȱ angemessenerȱ aufȱ BelastungenȱimȱUnterrichtȱzuȱreagieren.ȱDabeiȱspieltȱderȱAspektȱderȱ sozialenȱ Unterstützungȱ durchȱ dasȱ Kollegiumȱ eineȱ großeȱ Rolleȱ undȱ sollȱalsȱwesentlicheȱRessourceȱfürȱdasȱWohlbefindenȱderȱLehrkräfteȱ genutztȱwerden.ȱEntsprechendȱrichtenȱsichȱdieȱMaßnahmenȱjeweilsȱ anȱ kompletteȱ Kollegienȱ oderȱ zumindestȱ Teileȱ desȱ Kollegiumsȱ einerȱ einzigenȱSchule.ȱ DieȱEntwicklungȱvonȱTrainingskonzeptenȱsetztȱallerdingsȱeineȱweiȬ tergehendeȱ Klärungȱ derȱ erfolgreichenȱ Emotionsregulationȱ vonȱ LehrkräftenȱvorausȱundȱauchȱeineȱtheoretischȱfundierteȱKlärungȱderȱ Kompetenzen,ȱ dieȱ trainiertȱ werdenȱ sollen.ȱ Zwarȱ liegenȱ ersteȱ pragȬ matischeȱundȱmehrȱoderȱwenigerȱplausibleȱVorschlägeȱvor.ȱSoȱempȬ fiehltȱ beispielsweiseȱ Sielandȱ (2006),ȱ folgendeȱ siebenȱ Formenȱ derȱ Emotionsarbeitȱ zuȱ unterscheiden,ȱ dieȱ dieȱ emotionaleȱ Kompetenzȱ vonȱLehrkräftenȱausmachenȱsollen:ȱ

„ PositiveȱEmotionenȱzeigenȱundȱbewirkenȱ(Freundlichkeit)ȱ „ NegativeȱEmotionenȱzeigenȱundȱbewirkenȱ(Betroffenheit)ȱ „ Neutralitätȱzeigenȱundȱbewirkenȱ(sachlichȱundȱruhigȱbleiben)ȱ „ EigeneȱGefühleȱumkehrenȱ(trotzdemȱfreundlichȱsein)ȱ „ Sensibelȱseinȱ(GefühleȱderȱSchülerȱlaufendȱregistrieren)ȱ „ Anteilȱnehmenȱ(Mitgefühlȱspürenȱundȱglaubhaftȱzeigen)ȱ „ Humorȱzeigenȱundȱbewirkenȱ(gemeinsamȱlachen)ȱ SolcheȱdurchausȱhilfreichenȱVorschlägeȱsolltenȱüberȱdasȱnochȱbesteȬ hendeȱErkenntnisdefizitȱnichtȱhinwegtäuschen:ȱInȱwelchenȱSituatioȬ

328ȱ

Ausblick

12.4

nenȱsindȱwelcheȱTechnikenȱderȱEmotionsregulationȱalsȱprofessionellȱ bzw.ȱ alsȱ leistungsȬȱ undȱ gesundheitsförderlichȱ zuȱ empfehlen?ȱ Dieȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologieȱ sollteȱ zurȱ Klärungȱ solcherȱ Fragenȱverstärktȱbeitragen.ȱȱ

12.4.2

Forschungsstrategie: Ein Plädoyer für die Betrachtung von Prozessen, konkreten Techniken der Emotionsregulation und deren Situationsabhängigkeit

WelcheȱStrategienȱoderȱTechnikenȱkannȱeineȱLehrkraftȱzurȱRegulatiȬ onȱihrerȱGefühleȱnutzen?ȱWelcheȱStrategienȱundȱTechniken,ȱdieȱdaȬ beiȱ zumȱ Einsatzȱ kommen,ȱ sindȱ gesundheitsförderlich?ȱ Solcheȱ FraȬ genȱ könnenȱ derzeitȱ nochȱ nichtȱ befriedigendȱ beantwortetȱ werden.ȱ Einȱ Defizitȱ aktuellerȱ Untersuchungenȱ zurȱ Emotionsarbeitȱ bestehtȱ darin,ȱ dassȱ sichȱ dieseȱ häufigȱ aufȱ standardisierteȱ Fragebögenȱ beȬ schränken,ȱ dieȱAspekteȱ derȱ Emotionsarbeitȱ berufsgruppenunspeziȬ fischȱ erhebenȱ (vgl.ȱ alsȱ Beispielȱ Tabelleȱ 1).ȱ Eineȱ detaillierteȱ Analyseȱ derȱRegulationsprozesseȱfindetȱdabeiȱnichtȱstatt.ȱHandelnȱundȱauchȱ Emotionsregulationȱ findenȱ jedochȱ stetsȱ situationsspezifischȱ stattȱ –ȱ undȱ einȱ Kennzeichnenȱ ausgeprägterȱ sozialerȱ Kompetenzenȱ bestehtȱ geradeȱ darin,ȱ dassȱ nichtȱ stetsȱ dieȱ gleichenȱ Verhaltensweisen,ȱ sonȬ dernȱ dieseȱ vielmehrȱ situationsabhängigȱ ausgewähltȱ werden.ȱ EntȬ sprechendȱ giltȱ esȱ stärkerȱ zuȱ klären,ȱ inȱ welchenȱ Situationenȱ welcheȱ Technikenȱ derȱ Emotionsregulationȱ eingesetztȱ werdenȱ sollten.ȱ Dieȱ TechnikenȱderȱEmotionsregulationȱgiltȱesȱinȱderȱEmotionsarbeitsforȬ schungȱ wesentlichȱ detaillierterȱ zuȱ betrachten.ȱ Hierbeiȱ könnenȱ dieȱ Vorgehensweisenȱ ausȱ benachbartenȱ Fächern,ȱ dieȱ sichȱ generellȱ mitȱ Emotionsregulationȱ(d.h.ȱnichtȱspeziellȱimȱArbeitskontext)ȱbeschäftiȬ gen,ȱ verstärktȱ berücksichtigtȱ werden.ȱ Grossȱ (2001)ȱ schlägtȱ einȱ ProȬ zessmodellȱ zumȱ Verständnisȱ vonȱ Emotionsregulationȱ vorȱ (AbbilȬ dungȱ3).ȱ EmotionsregulationȱwirdȱstetsȱinȱkonkretenȱSituationenȱnotwendig.ȱ Dieȱ Emotionsregulationȱ lässtȱ sichȱ nachȱ ihremȱ zeitlichenȱ Verlaufȱ einordnen.ȱ Erstensȱ kannȱ eineȱ Personȱ bewusstȱ undȱ antizipierendȱ frühzeitigȱ durchȱ dieȱ aktiveȱ Auswahlȱ vonȱ Situationen,ȱ durchȱ eineȱ aktiveȱ Veränderungȱ derȱ Situationȱ selbstȱ oderȱ durchȱ Veränderungȱ derȱ eigenenȱ Bewertungȱ derȱ Situationȱ dieȱ entstehendenȱ Emotionenȱ

329ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

beeinflussen.ȱ Diesȱ wirdȱ imȱ Modellȱ nachȱ Grossȱ (2001)ȱ alsȱ AntezenȬ denzȬfokussierteȱ Emotionsregulationȱ bezeichnet.ȱ Zweitensȱ kannȱ dieȱ Personȱ aufȱ bereitsȱ ausgelösteȱ Emotionenȱ reagieren.ȱ Sieȱ kannȱ beiȬ spielsweiseȱversuchen,ȱdieȱphysiologischenȱAnzeichenȱeinerȱEmotiȬ onȱ oderȱ dieȱ bereitsȱ empfundenenȱ Emotionenȱ zuȱ modulierenȱ (AntȬ wortȬfokussierteȱEmotionsregulation),ȱz.B.ȱdurchȱUnterdrückung.ȱȱ

Abbildungȱ3ȱ

ProzessmodellȱnachȱGrossȱ(entnommenȱausȱJohnȱ&ȱGross,ȱ2004,ȱS.ȱ1303)ȱ

ȱ

330ȱ

Grandeyȱ (2000)ȱ stelltȱ einenȱ Zusammenhangȱ zwischenȱ AntwortȬ fokussierterȱEmotionsregulationȱundȱsurfaceȱactingȱher,ȱdaȱesȱjeweilsȱ umȱ dieȱ Modifizierungȱ derȱ äußerenȱ Erscheinungȱ geht.ȱ Imȱ Gegensatzȱ dazuȱ bringtȱ sieȱ deepȱ actingȱ inȱ Zusammenhangȱ mitȱ AntezendenzȬ fokussierterȱ Emotionsregulation,ȱ daȱ jeweilsȱ dieȱ Modifizierungȱ derȱ tatsächlichȱ empfundenenȱ Emotionȱ angestrebtȱ wird.ȱ Dieseȱ erstenȱ VorȬ schlägeȱ zurȱ Übertragungȱ desȱ Modellsȱ vonȱ Grossȱ aufȱ denȱ ArbeitsȬ kontextȱvonȱGrandeyȱ(2000)ȱgreifenȱwirȱderzeitȱauf,ȱumȱamȱBeispielȱ desȱLehrberufsȱempirischȱaufzuzeigen,ȱwelcheȱkonkretenȱTechnikenȱ vor,ȱwährendȱundȱnachȱdemȱUnterrichtȱeingesetztȱwerden.ȱAufȱdieȬ serȱGrundlageȱistȱeineȱempirischeȱZuordnungȱderȱtatsächlichȱeingeȬ setztenȱ Technikenȱ zuȱ denȱ generellenȱ Strategienȱ möglich.ȱ Zudemȱ werdenȱ Aussagenȱ zurȱ Häufigkeitȱ undȱ Bedeutungȱ derȱ einzelnenȱ Technikenȱmöglich.ȱDieseȱAnsätzeȱgiltȱesȱnachȱunsererȱAnsichtȱweiȬ terzuverfolgen.ȱInsbesondereȱsolltenȱdieȱProzesseȱbeiȱderȱEmotionsȬ regulationȱ ausführlicherȱ analysiertȱ undȱ verstandenȱ werden.ȱ Sofernȱ

Literatur

12.5

imȱ nächstenȱ Schrittȱ Zusammenhängeȱ zurȱ effektivenȱ UnterrichtsȬ durchführungȱ undȱ zumȱ Befindenȱ derȱ Lehrkräfteȱ nachgewiesenȱ werden,ȱbestehtȱeineȱempirischeȱGrundlage,ȱumȱTrainingsȱzurȱEmoȬ tionsregulationȱ fundiertȱ anbietenȱ undȱ durchführenȱ zuȱ können.ȱ Inȱ denȱ angestrebtenȱ Studienȱ werdenȱ explizitȱ Bezügeȱ zurȱ pädagogiȬ schenȱ Ratgeberliteraturȱ hergestellt.ȱ Inȱ Ratgebernȱ wieȱ Lohmannȱ (2003)ȱoderȱKaiserȱ(2003)ȱwerdenȱdenȱLehrkräftenȱbereitsȱinteressanȬ teȱEmpfehlungenȱundȱTechnikenȱzurȱEmotionsregulationȱvermittelt,ȱ jedochȱ fehlenȱ bislangȱ nochȱ empirischeȱ Überprüfungenȱ derȱ WirkȬ samkeitȱ undȱ zurȱ Situationsabhängigkeitȱ solcherȱ Techniken.ȱ Dieseȱ Lückeȱgiltȱesȱzuȱschließen.ȱ

12.5

Literatur

Ashkanasy,ȱN.ȱM.,ȱHärtel,ȱC.ȱE.ȱJ.ȱ&ȱZerbe,ȱW.ȱJ.ȱ(Eds.)ȱ(2000).ȱEmoȬ tionsȱ inȱ theȱ workplace:ȱ Research,ȱ theory,ȱ andȱ practice.ȱ Westport:ȱ QuoȬ rum.ȱ Bader,ȱF.ȱ(2006).ȱPersonȬȱundȱSituationseinflüsseȱaufȱdieȱEmotionsregulaȬ tionȱ inȱ derȱ Arbeitȱ –ȱ einȱ Vergleichȱ verschiedenerȱ Dienstleistungsberufe.ȱ UniversitätȱFreiburg:ȱUnveröffentlichteȱDiplomarbeit.ȱ Berg,ȱ J.ȱ (2005).ȱ CopingȬStrategienȱ vonȱ Lehrkräftenȱ Ȭȱ eineȱ Untersuchungȱ vonȱemotionsauslösendenȱSituationenȱimȱSchulunterrichtȱundȱresultierenȬ derȱ Emotionsregulation.ȱ Universitätȱ Flensburg:ȱ Unveröffentlichteȱ BaȬ chelorarbeit.ȱ Bono,ȱ J.ȱ E.ȱ &ȱ Vey,ȱ M.ȱ A.ȱ (2005).ȱ Towardȱ understandingȱ emotionalȱ managementȱ atȱ work:ȱAȱ quantitativeȱ reviewȱ ofȱ emotionalȱ laborȱ reȬ search.ȱInȱC.ȱE.ȱJ.ȱHärtel,ȱW.ȱJ.ȱZerbeȱ&ȱN.ȱM.ȱAshkanasyȱ(Eds.),ȱEmoȬ tionsȱ inȱ organizationalȱ behaviorȱ (pp.ȱ 213Ȭ234).ȱ Mahwah:ȱ Lawrenceȱ ErlbaumȱAssociates.ȱ Butler,ȱE.ȱA.,ȱEgloff,ȱB.,ȱWilhelm,ȱF.ȱH.,ȱSmith,ȱN.ȱC.,ȱErickson,ȱE.ȱA.ȱ &ȱGross,ȱJ.ȱJ.ȱ(2003).ȱTheȱsocialȱconsequencesȱofȱexpressiveȱsuppresȬ sion.ȱEmotion,ȱ3,ȱ48Ȭ67.ȱ Engler,ȱ M.ȱ (2005).ȱ „Wasȱ hältȱ ältereȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ imȱ SchulȬ dienstȱ gesund?“ȱ –ȱ eineȱ salutogenetischeȱ Studieȱ zurȱ Unterrichtssituation.ȱ

331ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

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332ȱ

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12.5

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333ȱ

12

Emotionsregulation von Lehrkräften

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334ȱ

Einleitung

13.1

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern im Spiegel personalärztlicher Gutachten

Kapitel 13

Eva Bamberg und Pamela Ostendorf

335

Einleitung

13.1

13.1

Einleitung

Einȱ hoherȱ Anteilȱ derȱ Erwerbstätigenȱ scheidetȱ vorzeitigȱ ausȱ demȱ Erwerbslebenȱ aus.ȱ Soȱ betrugȱ 2004ȱ dasȱ Durchschnittsalterȱ beiȱ RenȬ tenbeginnȱ 61ȱ Jahre.ȱ Beiȱ Rentenȱ wegenȱ verminderterȱ ErwerbsfähigȬ keitȱlagȱdasȱdurchschnittlicheȱZugangsalterȱsogarȱnurȱbeiȱ50ȱJahrenȱ (RentenversicherungȱinȱZeitreihen,ȱ2004).ȱAuchȱbeiȱLehrerinnenȱundȱ LehrernȱistȱdieȱGruppeȱderjenigen,ȱdieȱdasȱPensionsalterȱnichtȱerreiȬ chen,ȱ vergleichsweiseȱ hoch.ȱ Imȱ Schuldienstȱ lagȱ 2003ȱ derȱAnteilȱ derȱ wegenȱ Dienstunfähigkeitȱ frühzeitigȱ Pensioniertenȱ beiȱ 41%ȱ (Dritterȱ VersorgungsberichtȱderȱBundesregierung,ȱ2005).ȱImȱJahrȱ2005ȱwarenȱ dieȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱzumȱZeitpunktȱihrerȱPensionierungȱimȱ Durchschnittȱknappȱ62ȱJahreȱaltȱ(StatistischesȱBundesamt,ȱ2007).ȱ FürȱdieȱBetroffenenȱistȱErwerbsȬȱundȱDienstunfähigkeitȱhäufigȱeineȱ Etappeȱ inȱ einerȱ langenȱ Leidensgeschichte,ȱ dieȱ durchȱ eingeschränkȬ tesȱ Leistungsvermögen,ȱ Krisenȱ undȱ Erkrankungenȱ gekennzeichnetȱ ist.ȱ Umȱ diesenȱ Prozessȱ derȱ schwindendenȱ Handlungsfähigkeitȱ zuȱ durchbrechen,ȱ istȱ esȱ erforderlich,ȱ dieȱ Beteiligtenȱ frühzeitigȱ durchȱ Maßnahmenȱ derȱ Gesundheitsförderungȱ zuȱ unterstützen.ȱ Eineȱ zielȬ gerichteteȱHilfeȱsetztȱaberȱvoraus,ȱdassȱderȱProzessȱderȱEntwicklungȱ vonȱ ErwerbsȬȱ undȱ Dienstunfähigkeitȱ bekanntȱ ist.ȱ Erforderlichȱ istȱ gesichertesȱ Wissenȱ überȱ dieȱ Faktoren,ȱ dieȱ Erwerbsunfähigkeitȱ beȬ günstigenȱ oderȱ dieȱ einȱ möglicherȱ Schutzȱ vorȱ Erwerbsunfähigkeitȱ seinȱkönnen.ȱȱ Esȱ gibtȱ zahlreicheȱ Untersuchungenȱ zumȱ Zusammenhangȱ zwischenȱ Arbeitȱ undȱ Gesundheitȱ undȱ damitȱ auchȱ überȱ Determinantenȱ derȱ Gesundheit.ȱ Studienȱ überȱ Erwerbsunfähigkeitȱ liegenȱ jedochȱ kaumȱ vor;ȱ überȱ dieȱ Einflussfaktorenȱ vonȱ Erwerbsunfähigkeitȱ istȱ damitȱ wenigȱ bekannt.ȱ Hierȱ setztȱ dieȱ vorliegendeȱ Untersuchungȱ an.ȱ KonȬ kreterȱ Ausgangspunktȱ warȱ einȱ Anliegenȱ desȱ Personalamtesȱ derȱ Freienȱ undȱ Hansestadtȱ Hamburg:ȱ Angestoßenȱ durchȱ eineȱ Anfrageȱ inȱ derȱ Bürgerschaftȱ solltenȱ vonȱ einerȱ Gruppeȱ vonȱ Wissenschaftlernȱ undȱ Wissenschaftlerinnenȱ Ursachenȱ derȱ Dienstunfähigkeitȱ vonȱ Hamburgerȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ untersuchtȱ werden,ȱ umȱ vorȱ diesemȱ Hintergrundȱ Handlungsmöglichkeitenȱ zuȱ entwickeln.ȱ Derȱ ArbeitsbereichȱArbeitsȬ,ȱBetriebsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱdesȱ FachbereichesȱPsychologieȱderȱUniversitätȱHamburgȱhatteȱdenȱAufȬ trag,ȱ eineȱ Literaturrechercheȱ zumȱ Themaȱ Arbeitȱ undȱ Gesundheitȱ

337ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

sowieȱ zuȱ Dienstunfähigkeitȱ beiȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ durchzuȬ führen.ȱ Desȱ Weiterenȱ solltenȱ vonȱ personalärztlichenȱ Gutachternȱ benannteȱEinflussfaktorenȱvonȱDienstunfähigkeitȱanalysiertȱwerdenȱ (Harms,ȱ 2000a,ȱ 2000b).ȱ Arbeitsbezogeneȱ Einflussfaktorenȱ vonȱ Dienstunfähigkeitȱ standenȱ imȱ Vordergrund.ȱ Sieȱ werdenȱ auchȱ imȱ vorliegendenȱ Artikelȱ besondersȱ gewichtet.ȱ Wirȱ werdenȱ nachȱ einerȱ Zusammenfassungȱ derȱ theoretischenȱ Grundlagenȱ undȱ einigerȱ UnȬ tersuchungsergebnisseȱ zuȱ demȱ Themaȱ überȱ dieȱ Ergebnisseȱ derȱ inȬ haltsanalytischenȱAuswertungȱderȱGutachtenȱzurȱDienstunfähigkeitȱ berichten.ȱȱ

13.2

Stresstheoretische Grundlagen

Wennȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ Arbeitstätigkeitȱ inȱ ihrenȱ AuswirȬ kungenȱ aufȱ Krankheit,ȱ Wohlbefinden,ȱ Persönlichkeitsentwicklungȱ etc.ȱ systematisiertȱ undȱ beschriebenȱ werden,ȱ soȱ kannȱ diesȱ aufȱ demȱ Hintergrundȱ unterschiedlicherȱ theoretischerȱ Modelleȱ erfolgen.ȱ Wirȱ unterscheidenȱ imȱ Folgendenȱ dreiȱ Merkmalsbereiche:ȱ AnforderunȬ gen,ȱBelastungenȱundȱRessourcenȱ(vgl.ȱZapf,ȱ1993).ȱ Anforderungenȱ betreffenȱ dieȱ Merkmale,ȱ dieȱ beiȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ gefordertȱoderȱverlangtȱwerden.ȱSieȱbeziehenȱsichȱaufȱLeistungsvorȬ aussetzungen,ȱ dieȱ fürȱ eineȱ Ausführungȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ erforȬ derlichȱsind.ȱAnforderungenȱwerdenȱdurchȱdieȱArbeitsaufgabeȱundȱ derenȱAusführungsbedingungenȱbestimmt.ȱSieȱkönnenȱetwaȱFertigȬ keiten,ȱ Problemlösekompetenzenȱ undȱ sozialeȱ Kompetenzenȱ betrefȬ fen.ȱȱ Anforderungenȱ sindȱ vonȱ besondererȱ Bedeutungȱ fürȱ Lernprozesseȱ undȱPersönlichkeitsentwicklung.ȱSieȱsindȱentscheidend,ȱwennȱesȱumȱ dieȱ Entwicklungȱ vonȱ Fähigkeitenȱ undȱ Kompetenzenȱ durchȱ dieȱArȬ beitstätigkeitȱgeht.ȱIndemȱdieȱArbeitendenȱmitȱAnforderungenȱkonȬ frontiertȱ sind,ȱ indemȱ sieȱ Anforderungenȱ nachkommen,ȱ setzenȱ sieȱ ihreȱFähigkeiten,ȱFertigkeitenȱundȱKompetenzenȱeinȱundȱentwickelnȱ dieseȱweiter.ȱHoheȱAnforderungenȱbietenȱhoheȱLernpotentiale.ȱSindȱ Anforderungenȱ beiȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ geringȱ ausgeprägt,ȱ dannȱ könnenȱFähigkeitenȱundȱKompetenzenȱverkümmern.ȱȱ

338ȱ

Stresstheoretische Grundlagen

13.2

Arbeitstätigkeitenȱ unterscheidenȱ sichȱ nichtȱ nurȱ darin,ȱ welcheȱ AnȬ forderungenȱgegebenȱsind,ȱsondernȱauchȱdarin,ȱinwieweitȱAnfordeȬ rungenȱspezifiziertȱvorgegebenȱsind.ȱEineȱsolcheȱSpezifikationȱkannȱ etwaȱdurchȱeinȱdifferenziertesȱRegelsystem,ȱdurchȱrelativȱallgemeiȬ neȱKriterienȱoderȱNormenȱundȱdurchȱ(impliziteȱundȱexplizite)ȱStanȬ dardsȱ derȱ Professionȱ gegebenȱ sein.ȱ Soȱ sindȱ beiȱ unterschiedlichenȱ Berufsgruppenȱ wieȱ Verkäufern,ȱ Zahntechnikerinnen,ȱ Lehrernȱ undȱ WissenschaftlerinnenȱAnforderungenȱjeweilsȱandersȱspezifiziert.ȱȱ Wenngleichȱ Anforderungenȱ durchȱ dieȱ Arbeitsaufgabeȱ undȱ dieȱ ArȬ beitstätigkeitȱ gegebenȱ sindȱ undȱ damitȱ denȱ bedingungsbezogenenȱ Faktorenȱ zugerechnetȱ werdenȱ können,ȱ soȱ spielenȱ Merkmaleȱ derȱ PersonȱdochȱauchȱeineȱwichtigeȱRolle:ȱArbeitendeȱredefinierenȱihreȱ Arbeitsaufgaben,ȱ sieȱ formulierenȱ Ansprüche,ȱ sieȱ entwickelnȱ KriteȬ rienȱ oderȱ verändernȱ diese.ȱ Dasȱ Ausmaßȱ derȱ Redefinitionȱ wirdȱ daȬ durchȱbeeinflusst,ȱinwieweitȱUmfangȱundȱDetailȱderȱArbeitsaufgabeȱ vorgegebenȱundȱspezifiziertȱsind.ȱȱ Unterȱ Belastungenȱ oderȱ Stressorenȱ (dieȱ Begriffeȱ werdenȱ synonymȱ verwendet)ȱ verstehenȱ wirȱ Bedingungen,ȱ dieȱ mitȱ erhöhterȱ WahrȬ scheinlichkeitȱStressȱauslösenȱ(Greif,ȱ1991).ȱHandlungstheoretischenȱ KonzeptenȱfolgendȱsindȱBelastungenȱdannȱgegeben,ȱwennȱdieȱReguȬ lationȱ vonȱ (ArbeitsȬ)Handelnȱ beeinträchtigtȱ ist.ȱ Unterȱ dieserȱ PerȬ spektiveȱkönnenȱBelastungenȱentstehenȱdurchȱ(vgl.ȱSemmer,ȱ1984):ȱȱ

„ BeeinträchtigungȱübergreifenderȱBedürfnisse,ȱNormenȱundȱWerȬ te,ȱ

„ mangelndeȱ Möglichkeitȱ Zieleȱ zuȱ entwickelnȱ oderȱ zuȱ modifizieȬ ren,ȱ

„ unklareȱundȱwidersprüchlicheȱZiele,ȱ „ unklareȱoderȱeingeschränkteȱWegeȱderȱZielerreichung,ȱ „ Störungenȱ undȱ Behinderungen,ȱ dieȱ kompensiertȱ werdenȱ müsȬ sen.ȱȱ Dieȱ Begrenzungȱ vonȱ Belastungenȱ aufȱArbeitsbedingungenȱ undȱ daȬ mitȱaufȱsituativeȱFaktorenȱwirdȱvonȱGreifȱ(1991)ȱinȱFrageȱgestellt,ȱdaȱ auchȱ personaleȱ Faktoren,ȱ dieȱ z.B.ȱ durchȱ Krankheitȱ gegebenȱ seinȱ können,ȱalsȱBelastungenȱgesehenȱwerdenȱkönnen.ȱInȱderȱTatȱspielenȱ personaleȱ Größenȱ alsȱ Einflussfaktorenȱ vonȱ Gesundheitȱ auchȱ imȱ Kontextȱ derȱ Arbeitȱ eineȱ großeȱ Rolle.ȱ Umȱ dieȱ Begriffsverwirrungȱ

339ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

nichtȱweiterȱzuȱsteigern,ȱwerdenȱsieȱhierȱalsȱpersonenbezogeneȱRisiȬ kofaktorenȱ bezeichnet.ȱ Zapfȱ undȱ Semmerȱ (2004)ȱ verweisenȱ inȱ ihremȱ Überblicksartikelȱ insbesondereȱ aufȱ dieȱ Risikofaktorenȱ TypȬAȬ Verhalten,ȱFeindseligkeitȱundȱMisstrauenȱsowieȱNegativeȱAffektiviȬ tät.ȱ DieȱAutorenȱ konzentrierenȱ sichȱ damitȱ aufȱ relativȱ stabileȱ PersoȬ nenmerkmale.ȱWenigerȱthematisiertȱwerdenȱtemporäreȱRisikofaktoȬ ren,ȱetwaȱdurchȱErmüdungȱoderȱÄrgerzustände.ȱȱ Dieȱ Unterscheidungȱ zwischenȱ (situativen)ȱ Belastungenȱ undȱ (persoȬ nalen)ȱ Risikofaktorenȱ istȱ nichtȱ immerȱ eindeutig.ȱ Amȱ Beispielȱ derȱ vonȱ Semmerȱ (1984)ȱ genanntenȱ Belastungen,ȱ dieȱ durchȱ eineȱ BeeinȬ trächtigungȱübergreifenderȱBedürfnisse,ȱNormenȱundȱWerteȱentsteȬ hen,ȱ lässtȱ sichȱ diesȱ verdeutlichen:ȱ Esȱ könnteȱ argumentiertȱ werden,ȱ dassȱnurȱdannȱeineȱBeeinträchtigungȱübergreifenderȱWerteȱvorliegt,ȱ wennȱ dieȱ entsprechendenȱ Werteȱ fürȱ dieȱ Betroffenenȱ vonȱ Relevanzȱ sind.ȱ Auchȱ könntenȱ unrealistischeȱ individuelleȱ Bedürfnisseȱ oderȱ rigideȱ Normenȱ beeinträchtigtȱ sein.ȱ Dieȱ subjektiveȱ Bewertungȱ spieltȱ alsoȱinȱdiesemȱZusammenhangȱeineȱgroßeȱRolle.ȱEineȱBeeinträchtiȬ gungȱvonȱübergreifendenȱBedürfnissen,ȱNormenȱundȱWertenȱkönnȬ teȱ demnachȱ keineȱ Belastung,ȱ sondernȱ einȱ Risikofaktorȱ sein.ȱ Esȱ istȱ jedochȱ auchȱ zuȱ berücksichtigen,ȱ dassȱ vieleȱ Normenȱ undȱ Werteȱ aufȱ einemȱgesellschaftlichenȱKonsensȱberuhen.ȱWenngleichȱdieserȱKonȬ sensȱ durchausȱ vieleȱ Spielräumeȱ eröffnet,ȱ soȱ gibtȱ esȱ dochȱ geteilteȱ NormenȱundȱWerteȱhinsichtlichȱganzȱunterschiedlicherȱAspekte,ȱwieȱ z.B.ȱeinerȱästhetischenȱGestaltungȱderȱUmwelt,ȱderȱInteraktionȱzwiȬ schenȱ Personenȱ etc.ȱ Esȱ istȱ demnachȱ unangemessen,ȱ dieȱ Frustrationȱ übergreifenderȱ Normenȱ undȱ Werteȱ ausschließlichȱ denȱ RisikofaktoȬ renȱzuzurechnen.ȱDennochȱbleibtȱdasȱProblemȱderȱAbgrenzungȱvonȱ Belastungenȱ undȱ Risikofaktoren.ȱ Diesȱ istȱ einȱ Verweisȱ darauf,ȱ dassȱ derȱ Interaktionȱ zwischenȱSituationȱundȱPersonȱAufmerksamkeitȱzuȱ schenkenȱist.ȱWeiterȱuntenȱwerdenȱwirȱdaraufȱzurückkommen.ȱȱ

340ȱ

Salutogenetischenȱ Konzeptenȱ folgendȱ werdenȱ Gesundheitȱ undȱ Wohlbefindenȱ vorȱ allemȱ durchȱ Ressourcenȱ beeinflusst.ȱ Krankheitȱ entstehtȱ demnachȱ durchȱ einenȱ Mangelȱ anȱ Ressourcen.ȱ Ressourcenȱ umfassenȱ dieȱ Merkmaleȱ undȱ Bedingungen,ȱ dieȱ eineȱ erfolgreicheȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Anforderungenȱ undȱ Belastungenȱ unterȬ stützen.ȱ Ressourcenȱ sindȱ damitȱ Hilfsmittelȱ imȱ Umgangȱ mitȱAnforȬ derungenȱundȱBelastungen.ȱZuȱdenȱzentralenȱsituativenȱRessourcenȱ gehörenȱ Handlungsspielraumȱ undȱsozialeȱUnterstützung.ȱ Wichtigeȱ personaleȱRessourcenȱsindȱetwaȱKompetenz,ȱSelbstwertȱundȱSelbstȬ

Stresstheoretische Grundlagen

13.2

wirksamkeitȱ (vgl.ȱ Semmer,ȱ 2003).ȱ Eineȱ weitereȱ vieldiskutierteȱ perȬ sonaleȱ Ressourceȱ istȱ Kohärenzsinn.ȱ Kohärenzsinnȱ umfasstȱ dieȱ VerȬ stehbarkeit,ȱ Handhabbarkeitȱ undȱ Sinnhaftigkeitȱ vonȱ Prozessen,ȱ BedingungenȱundȱEreignissenȱ(Antonovsky,ȱ1987).ȱ Anforderungen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ verweisenȱ aufȱ unterȬ schiedlicheȱPerspektivenȱdesȱZusammenhangsȱzwischenȱArbeitȱundȱ Gesundheit:ȱaufȱlernȬȱundȱentwicklungsförderlicheȱAspekteȱ(AnforȬ derungen),ȱ aufȱ Gefährdungenȱ fürȱ Gesundheitȱ undȱ Wohlbefindenȱ (Belastungen/Risikofaktoren)ȱ sowieȱ aufȱ Möglichkeitenȱ derȱ UnterȬ stützungȱ derȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Anforderungenȱ undȱ BelasȬ tungenȱ(Ressourcen).ȱEsȱgibtȱjedoch,ȱwieȱauchȱobenȱgezeigtȱwurde,ȱ durchausȱÜberschneidungenȱundȱWechselwirkungenȱzwischenȱdenȱ dreiȱMerkmalsbereichen.ȱȱ ÜberschneidungenȱbestehenȱvorȱallemȱzwischenȱAnforderungenȱaufȱ derȱeinenȱSeiteȱundȱBelastungenȱsowieȱRessourcenȱaufȱderȱanderenȱ Seite.ȱ Überschneidungenȱ könnenȱ dadurchȱ gegebenȱ sein,ȱ dassȱ AnȬ forderungenȱ einȱ bestimmtesȱ Ausmaßȱ überȬȱ bzw.ȱ unterschreiten.ȱ Diesȱwirdȱz.B.ȱdurchȱdieȱhäufigȱgenanntenȱBelastungsfaktorenȱÜberȬȱ bzw.ȱ Unterforderungȱ zumȱ Ausdruckȱ gebracht.ȱ Überschneidungenȱ zwischenȱ Anforderungenȱ undȱ Ressourcenȱ könnenȱ insofernȱ besteȬ hen,ȱ dassȱ durchȱ Ressourcenȱ (z.B.ȱ Handlungsspielraum)ȱ auchȱ AnȬ forderungenȱ gegebenȱ sindȱ (z.B.ȱ denȱ Handlungsspielraumȱ zuȱ nutȬ zen).ȱȱ Nachȱ salutogenetischenȱ Konzeptenȱ führenȱ vorȱ allemȱ fehlendeȱ ResȬ sourcenȱ zurȱ Entstehungȱ vonȱ Krankheit.ȱ Weitereȱ Unterscheidungenȱ bestehenȱ damitȱ zwischenȱ fehlendenȱ Ressourcenȱ undȱ Belastungenȱ bzw.ȱ Risikofaktoren.ȱ Geringerȱ Kohärenzsinnȱ z.B.ȱ könnteȱ auchȱ einȱ Risikofaktorȱ imȱ Stressgeschehenȱ sein.ȱ Ähnlichesȱ giltȱ fürȱ geringenȱ Handlungsspielraum,ȱ derȱ sichȱ z.B.ȱ inȱ engenȱ zeitlichenȱ Vorgabenȱ realisiert.ȱSchließlichȱseiȱnochȱaufȱWechselwirkungenȱzwischenȱAnȬ forderungen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ verwiesen:ȱ Soȱ kannȱ z.B.ȱ eineȱ erfolgreicheȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ Anforderungenȱ undȱ BeȬ lastungenȱ zurȱ Förderungȱ personalerȱ Ressourcenȱ (z.B.ȱ Selbstwertȱ oderȱSelbstwirksamkeit)ȱbeitragen.ȱȱ Anforderungen,ȱBelastungenȱundȱRessourcenȱsindȱalsȱMerkmaleȱderȱ ArbeitsbedingungenȱundȱderȱArbeitstätigkeitȱsituativeȱFaktoren.ȱSieȱ habenȱ personaleȱ Äquivalente.ȱ Dasȱ damitȱ thematisierteȱ Verhältnisȱ zwischenȱ (situativen)ȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ (personalen)ȱ MerkȬ

341ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

malenȱ derȱ Personȱ wirdȱ inȱ jüngerenȱ arbeitspsychologischenȱ StressȬ modellenȱ aufgegriffenȱ (vgl.ȱ z.B.ȱ Bamberg,ȱ Buschȱ &ȱ Ducki,ȱ 2003).ȱ Dieseȱ basierenȱ weitgehendȱ aufȱ transaktionalenȱ Stresskonzeptenȱ (z.B.ȱ Lazarusȱ undȱ Launier,ȱ 1981)ȱ undȱ derenȱ arbeitspsychologischerȱ Erweiterung.ȱȱ Dieȱ Wirkungȱ vonȱ Stressorenȱ undȱ Ressourcenȱ aufȱ dieȱ Gesundheitȱ wirdȱ demnachȱ vermitteltȱ überȱ BewertungsȬȱ undȱ BewältigungsproȬ zesse.ȱBewertungsprozesseȱbetreffenȱdieȱaktuellenȱund/oderȱzukünfȬ tigenȱ stressauslösendenȱ Bedingungenȱ (primaryȱ appraisal,ȱ primäreȱ Bewertung),ȱ derenȱ Bewältigungsmöglichkeitenȱ (secondaryȱ appraiȬ sal,ȱsekundäreȱBewertung)ȱsowieȱeineȱNeubewertungȱderȱstressausȬ lösendenȱSituationȱnachȱerfolgterȱBewältigungȱ(reappraisal).ȱBewälȬ tigungsprozesseȱ umfassenȱ dieȱ Veränderungȱ desȱ stressauslösendenȱ Problemsȱ (problembezogeneȱ Bewältigung)ȱ und/oderȱ dieȱ RegulieȬ rungȱderȱEmotionenȱ(emotionsbezogeneȱBewältigung).ȱBewertungsȬȱ undȱ Bewältigungsprozesseȱ beeinflussenȱ dieȱ Folgenȱ vonȱ Stressȱ aufȱ dieȱGesundheit.ȱȱ VergleichsweiseȱgutȱbelegtȱsindȱFolgenȱvonȱStressȱaufȱderȱphysioloȬ gischȬsomatischenȱ Ebeneȱ (z.B.ȱ HerzȬKreislaufȬErkrankungen)ȱ undȱ aufȱ derȱ kognitivȬemotionalenȱ Ebeneȱ (z.B.ȱ Depressivität,ȱ Angst).ȱ HinsichtlichȱderȱVerhaltensebeneȱverweisenȱeineȱReiheȱvonȱStudienȱ aufȱ eingeschränktesȱ Freizeitverhalten,ȱ gesundheitsschädigendesȱ Verhaltenȱ undȱ Leistungseinschränkungenȱ alsȱ Folgenȱ vonȱ Stress.ȱ Wirkungenȱ fürȱ dieȱ Bezugsgruppeȱ betreffenȱ Partner,ȱ Familieȱ undȱ Freundeskreis.ȱFolgenȱfürȱdieȱOrganisationȱbeziehenȱsichȱaufȱAbsenȬ tismus,ȱFluktuationȱundȱorganisationsschädigendesȱVerhalten.ȱȱ Weiterȱ obenȱ wurdeȱ aufȱ Wechselwirkungenȱ zwischenȱ AnforderunȬ gen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ verwiesen.ȱ Anhandȱ derȱ hierȱ beȬ schriebenenȱFolgenȱvonȱStressȱlässtȱsichȱdiesȱgutȱverdeutlichen.ȱBeȬ einträchtigungenȱ vonȱ Gesundheit,ȱ Wohlbefindenȱ undȱ vonȱ FreizeitȬ aktivitätenȱ sindȱ auchȱ eineȱ Beeinträchtigungȱ derȱ Ressourcenȱ imȱ Umgangȱ mitȱ Stress.ȱ Durchȱ eingeschränkteȱ Freizeitaktivitätenȱ etwaȱ bestehenȱ wenigerȱ Möglichkeitenȱ derȱ Kompensationȱ vonȱ BelastunȬ genȱ inȱ derȱ Freizeit.ȱ Risikofaktorenȱ imȱ Stressgeschehenȱ werdenȱ daȬ durchȱgefördert.ȱFürȱdieȱBetroffenenȱbestehtȱdieȱGefahrȱeinerȱStressȬ spirale.ȱ DasȱtransaktionaleȱStressmodellȱlenktȱdieȱAufmerksamkeitȱaufȱzweiȱ Relationen:ȱdasȱVerhältnisȱvonȱBelastungenȱzuȱRessourcenȱsowieȱvonȱ

342ȱ

Soziale Beziehungen

13.3

SituationȱzuȱPerson.ȱ Inȱ einerȱ Reiheȱ vonȱ Konzeptenȱ wirdȱ diesȱ weiterȱ ausgeführt.ȱDasȱhäufigȱzitierteȱdemandȬcontrolȬModellȱvonȱKarasekȱ (1979)ȱ istȱ einȱ prominentesȱ Beispielȱ fürȱ dieȱ Betonungȱ derȱ Relationȱ vonȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcen.ȱ Nachȱ demȱ demandȬcontrolȬ ModellȱistȱdasȱVerhältnisȱvonȱjobȱdemandȱundȱjobȱdecisionȱlatitudeȱ (beideȱwerdenȱsehrȱbreitȱdefiniert)ȱwesentlichȱfürȱGesundheit.ȱEineȱ hoheȱ Ausprägungȱ derȱ beidenȱ Merkmaleȱ wirdȱ alsȱ „activeȱ job“,ȱ dieȱ Kombinationȱ ausȱ hoherȱAusprägungȱ fürȱ jobȱ demandȱ undȱ geringerȱ Ausprägungȱ beiȱ jobȱ decisionȱ latitudeȱ alsȱ „highȱ strainȱ job“ȱ bezeichȬ net.ȱDasȱModellȱvonȱKarasekȱdienteȱinȱdenȱletztenȱJahrenȱalsȱGrundȬ lageȱ vonȱ zahlreichenȱ Untersuchungenȱ zuȱ Arbeitȱ undȱ Gesundheitȱ (vgl.ȱauchȱdeȱJongeȱ&ȱKompier,ȱ1997;ȱKarasekȱ&ȱTheorell,ȱ1990).ȱȱ NichtȱwenigerȱpopulärȱistȱdasȱpersonȬenvironmentȬfitȱmodelȱ(HarriȬ son,ȱ1978).ȱHierȱwirdȱdasȱVerhältnisȱvonȱAnforderungenȱderȱSituatiȬ onȱzuȱFähigkeitenȱderȱPersonȱundȱvonȱMöglichkeitenȱderȱSituationȱ zuȱBedürfnissenȱderȱPersonȱinȱdenȱVordergrundȱgestellt.ȱStressȱundȱ gesundheitlicheȱBeeinträchtigungenȱentstehenȱdemnachȱdann,ȱwennȱ einȱMisfitȱzwischenȱAnforderungenȱsowieȱMöglichkeitenȱderȱSituaȬ tionȱ undȱ Fähigkeitenȱ sowieȱ Bedürfnissenȱ derȱ Personȱ bestehen.ȱ Dasȱ ModellȱderȱberuflichenȱGratifikationskrisenȱvonȱSiegristȱ(1996)ȱgehtȱ vonȱ einerȱ ähnlichenȱ Überlegungȱ ausȱ wieȱ dasȱ peȬeȬfitȬmodel.ȱ Hierȱ werdenȱ dieȱ beruflichenȱ Anforderungenȱ inȱ Bezugȱ gesetztȱ zuȱ denȱ Gratifikationen.ȱ Stressȱ entsteht,ȱ wennȱ dasȱ Verhältnisȱ zwischenȱ beiȬ denȱimȱUngleichgewichtȱist.ȱ

13.3

Soziale Beziehungen

InȱpopulärwissenschaftlichenȱVeröffentlichungen,ȱinȱwissenschaftliȬ chenȱStudienȱsowieȱinȱstressȬȱundȱressourcenbezogenenȱInterventioȬ nenȱ wirdȱ dieȱ Bedeutungȱ vonȱ sozialenȱ Beziehungenȱ fürȱ Gesundheitȱ undȱ Wohlbefindenȱ hervorgehoben.ȱ Sozialeȱ Beziehungenȱ zwischenȱ KolleginnenȱundȱKollegen,ȱzuȱVorgesetztenȱundȱMitarbeiternȱsowieȱ zuȱ Schülernȱ undȱ Elternȱ könnenȱ eineȱ Quelleȱ vonȱ Ressourcen,ȱ vonȱ AnforderungenȱundȱvonȱBelastungenȱsein.ȱSoȱzeigenȱUntersuchunȬ gen,ȱ dassȱ sozialeȱ Unterstützungȱ beiȱ derȱ Arbeitstätigkeitȱ zuȱ denȱ wichtigstenȱ Ressourcenȱ zählt.ȱ Unterȱ demȱ Stichwortȱ InteraktionsarȬ beitȱ wirdȱ aufȱ unterschiedlicheȱ Anforderungenȱ verwiesen,ȱ dieȱ mitȱ

343ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

sozialenȱ Bezügenȱ einhergehen.ȱ Sozialeȱ Belastungenȱ wieȱ Konflikteȱ mitȱKollegenȱoderȱAngriffeȱvonȱKundenȱsindȱverbreiteteȱProblembeȬ reicheȱdesȱArbeitslebens.ȱȱ Trotzȱ großerȱ Popularitätȱ desȱ Themasȱ wirdȱ jedochȱ kaumȱ diskutiert,ȱ dassȱ sozialeȱ Belastungenȱ durchȱ ganzȱ unterschiedlicheȱ BedingungsȬ konstellationenȱ gegebenȱ sind.ȱ Dreiȱ Gruppenȱ sollenȱ hierȱ angesproȬ chenȱwerdenȱ(vgl.ȱBamberg,ȱBuschȱ&ȱDucki,ȱ2003;ȱZapfȱ&ȱSemmer,ȱ 2004).ȱȱ EineȱersteȱGruppeȱvonȱBelastungenȱistȱaufȱdivergierendeȱinnereȱModelȬ leȱ derȱ Beteiligtenȱ zurückzuführen.ȱ Dieȱ Beteiligtenȱ habenȱ unterȬ schiedlicheȱ Vorstellungenȱ überȱ dieȱArbeitsaufgabe,ȱ überȱ Zieleȱ oderȱ Kriterienȱ derȱ Zielerfüllung.ȱ Sieȱ verfolgenȱ unterschiedlicheȱ Ziele,ȱ KriterienȱoderȱHandlungsstrategienȱundȱbehindernȱoderȱstörenȱsichȱ dadurchȱ gegenseitig.ȱ Soȱ habenȱ z.B.ȱ Kundenȱ oftȱ andereȱ VorstellunȬ genȱ vonȱ Dienstleistungenȱ alsȱ Mitarbeiter;ȱ Kollegenȱ unterscheidenȱ sichȱinȱderȱEinhaltungȱvonȱTerminvorgaben.ȱ DieȱdivergierendenȱinnerenȱModelleȱderȱAkteureȱkönnenȱdieȱweiterȱ obenȱ genanntenȱ Belastungsursachenȱ wieȱ Beeinträchtigungenȱ überȬ greifenderȱ Ziele,ȱ mangelndeȱ Möglichkeitenȱ derȱ Entwicklungȱ vonȱ Zielen,ȱ unklareȱ Zieleȱ oderȱ unklareȱ Wegeȱ derȱ Zielerreichungȱ zurȱ Folgeȱhaben.ȱȱ Eineȱ zweiteȱ Gruppeȱ vonȱ Belastungenȱ entstehtȱ dadurch,ȱ dassȱ dieȱ sozialeȱSituation,ȱdieȱdieȱArbeitsaufgabeȱkonstituiert,ȱmitȱeinerȱBeeinȬ trächtigungȱübergreifenderȱNormenȱundȱWerte,ȱmitȱZielunsicherheitȱoderȱ mitȱStörungenȱverbundenȱist.ȱDieseȱBelastungenȱwerdenȱinȱderȱLiteȬ raturȱ häufigȱ alsȱ emotionaleȱ Belastungenȱ bezeichnet.ȱ Derȱ alltäglicheȱ Umgangȱ mitȱ schwerkrankenȱ Patientenȱ kannȱ mitȱ derȱ Frustrationȱ übergreifenderȱZieleȱundȱWerteȱverbundenȱsein,ȱUnterrichtȱinȱeinerȱ Klasseȱ höchstȱ unterschiedlicherȱ Schülerȱ magȱ mitȱ Zielunsicherheitȱ verbundenȱsein.ȱ Eineȱ dritteȱ Gruppeȱ istȱ durchȱ persönlicheȱ Angriffeȱ aufȱ Personen,ȱ aufȱ derenȱ Normen,ȱ Werteȱ undȱ Handlungsmöglichkeitenȱ gegeben.ȱ Dasȱ populäreȱ Themaȱ Mobbing,ȱ aberȱ auchȱ Aggressionȱ undȱ sexuelleȱ BeȬ lästigungȱsindȱdieserȱGruppeȱzuzurechnen.ȱȱ Häufigȱ wirdȱ aufȱ dieȱ besondereȱ Bedeutungȱ vonȱ sozialenȱ Stressorenȱ verwiesen.ȱZuȱberücksichtigenȱistȱaber,ȱdassȱdieseȱnichtȱunabhängigȱ vonȱanderenȱBelastungsfaktorenȱsind.ȱArbeitsorganisatorischeȱProbȬ

344ȱ

Arbeit und Gesundheit bei Lehrerinnen und Lehrern

13.4

leme,ȱ Zeitdruckȱ undȱ hoheȱ Arbeitsintensitätȱ oderȱ unklareȱ VerantȬ wortlichkeitenȱ sindȱ mitȱ Folgenȱ aufȱ dieȱ Interaktionȱ derȱ Beteiligtenȱ verbunden.ȱ Esȱ bleibtȱ wenigerȱ Zeitȱ fürȱ Absprachen,ȱ fürȱ AushandȬ lungsprozesse,ȱ fürȱ dieȱ Entwicklungȱ geteilterȱ mentalerȱ Modelle.ȱ SoȬ zialeȱ Belastungenȱ dürftenȱ damitȱ häufigȱ Folgeproblemeȱ vonȱ anderenȱ Belastungenȱ sein.ȱ Hinzuȱ kommt,ȱ dassȱ Belastungen,ȱ dieȱ durchȱ dieȱ Arbeitstätigkeitȱ undȱ dieȱ Arbeitsbedingungenȱ gegebenȱ sind,ȱ häufigȱ überȱsozialeȱBeziehungenȱvermitteltȱwerden.ȱDiesȱistȱetwaȱdannȱderȱ Fall,ȱ wennȱ Zeitdruckȱ überȱ Kolleginnenȱ oderȱ Kundinnenȱ vermitteltȱ wird,ȱetwaȱindemȱdieseȱaufȱdieȱEinhaltungȱvonȱTerminenȱdrängen.ȱ InȱdiesenȱFällenȱkannȱeineȱZuschreibungȱvonȱBelastungsursachenȱzuȱ Personenȱerfolgen.ȱ Esȱzeigtȱsich,ȱdassȱbeiȱsozialenȱBeziehungenȱentsprechendȱderȱobenȱ genanntenȱSystematikȱunterschiedlicheȱKategorienȱgetrenntȱwerdenȱ können.ȱ Eineȱ solcheȱ Trennungȱ scheintȱ nichtȱ zuletztȱ deshalbȱ drinȬ gendȱ geboten,ȱ daȱ dieȱ verschiedenenȱ Gruppenȱ sozialerȱ Belastungenȱ auchȱunterschiedlicheȱInterventionenȱerforderlichȱmachen.ȱȱ

13.4

Arbeit und Gesundheit bei Lehrerinnen und Lehrern

Eineȱ Analyseȱ möglicherȱ Einflussfaktorenȱ derȱ Gesundheit,ȱ dieȱ aufȱ derȱ Grundlageȱ derȱ obenȱ beschriebenenȱ Unterscheidungȱ zwischenȱ Anforderungen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ erfolgt,ȱ setztȱ einȱ UnȬ tersuchungsinstrumentariumȱ voraus,ȱ dasȱ zwischenȱ diesenȱ MerkȬ malsbereichenȱ trennt.ȱ Einschlägigeȱ Untersuchungsinstrumenteȱ lieȬ genȱ vor.ȱ Dazuȱ gehörtȱ etwaȱ dasȱ Instrumentȱ zurȱ Stressbezogenenȱ Tätigkeitsanalyseȱ (ISTA,ȱ vgl.ȱ Semmer,ȱ Zapfȱ &ȱ Dunckel,ȱ 1999)ȱ oderȱ dieȱ Instrumenteȱ zumȱ RessourcenȬAnforderungenȬStresssorenȬ ModellȱvonȱIwanowaȱ(2004).ȱ Erforderlichȱ istȱ fernerȱ dieȱ Unterscheidungȱ zwischenȱ einerȱ bedinȬ gungsbezogenenȱ undȱ einerȱ personenbezogenenȱ Analyseȱ vonȱ Merkmalen.ȱ Wennȱ esȱ z.B.ȱ umȱ Belastungenȱ geht,ȱ dieȱ durchȱ dieȱ ArȬ beitstätigkeitȱ undȱ dieȱ Arbeitsbedingungenȱ gegebenȱ sind,ȱ dannȱ istȱ eineȱAnalyseȱ vorzunehmen,ȱ dieȱ aufȱ Bedingungen,ȱ unabhängigȱ vonȱ subjektivenȱ BewertungsȬȱ undȱ Bewältigungsprozessen,ȱ abzielt.ȱ Gehtȱ

345ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

esȱ dagegenȱ umȱ dieȱ personenbezogeneȱ Perspektive,ȱ dannȱ sindȱ subȬ jektivenȱBewertungsȬȱundȱBewältigungsprozessenȱgezieltȱAufmerkȬ samkeitȱ zuȱ schenken.ȱ Fürȱ dieseȱ personenbezogeneȱ Analyseȱ sindȱ andereȱMethodenȱgeeignetȱalsȱfürȱdieȱbedingungsbezogeneȱAnalyse.ȱ Inȱ vielenȱ derȱ untenȱ aufgeführtenȱ Untersuchungenȱ mitȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ werdenȱ dieȱ Unterscheidungenȱ zwischenȱ AnforderunȬ gen,ȱ Belastungenȱ undȱ Ressourcenȱ nichtȱ vorgenommen.ȱ Zwischenȱ situativenȱ undȱ personalenȱ Merkmalenȱ wirdȱ inȱ wenigenȱ Fällenȱ geȬ trennt.ȱ Eineȱ systematischeȱ Erhebungȱ derȱ Arbeitsbedingungenȱ vonȱ LehrerinnenȱundȱLehrernȱerfolgtȱselten.ȱAuchȱbetreffenȱwenigeȱStuȬ dienȱgezieltȱdieȱEinflussfaktorenȱderȱErwerbsunfähigkeit.ȱȱ DennochȱgibtȱesȱeineȱReiheȱvonȱStudien,ȱdieȱHinweiseȱaufȱmöglicheȱ Gründeȱ vonȱ Dienstunfähigkeitȱ erlauben.ȱAufȱ sieȱsollȱ imȱ Folgendenȱ näherȱ eingegangenȱ werdenȱ (vgl.ȱ ausführlicherȱ Harms,ȱ 2000aȱ sowieȱ Krauseȱ&ȱDorsemagen,ȱ2007).ȱWirȱwerdenȱnachȱeinemȱkurzenȱBlickȱ aufȱUntersuchungenȱzuȱLeistungȱundȱAlterȱzunächstȱdieȱ(wenigen)ȱ StudienȱzuȱErwerbsȬȱundȱDienstunfähigkeitȱanführen.ȱImȱAnschlussȱ werdenȱ Ergebnisseȱ vonȱ Studienȱ dargestellt,ȱ dieȱ sichȱ mitȱ ArbeitstäȬ tigkeitȱundȱGesundheitȱvonȱLehrerinnenȱundȱLehrernȱbeschäftigen.ȱȱ DieȱimȱerstenȱAbschnittȱgenanntenȱZahlenȱzeigen,ȱdassȱeinȱerhebliȬ cherȱ Teilȱ derȱ erwerbstätigenȱ Bevölkerungȱ frühzeitigȱ ausȱ derȱ ErȬ werbsarbeitȱausscheidet.ȱDiesȱgiltȱauchȱfürȱLehrerinnenȱundȱLehrer.ȱ Nunȱ könnteȱ derȱ vorzeitigeȱ Ausstiegȱ ausȱ derȱ Erwerbsarbeitȱ damitȱ erklärtȱ werden,ȱ dassȱ Arbeitsmotivation,ȱ Leistungsbereitschaftȱ undȱ Gesundheitȱ mitȱ zunehmendemȱ Alterȱ geringerȱ werden.ȱ Einigeȱ StuȬ dienȱ widmenȱ sichȱ diesemȱ Thema.ȱ Dieȱ aufgeführteȱ Erklärungȱ lässtȱ sichȱ danachȱ nichtȱ bestätigenȱ –ȱ imȱ Gegenteil.ȱ Bochynekȱ (1994)ȱ undȱ Gudjonsȱ(1994)ȱhebenȱhervor,ȱdassȱAlternȱbeiȱLehrernȱnichtȱmitȱLeisȬ tungsabbauȱ verbundenȱ seinȱ muss.ȱSchönwälderȱ (1994)ȱfindetȱunterȱ denȱälterenȱLehrkräftenȱmotiviertere,ȱzufriedenereȱundȱprofessionelȬ lereȱPersonenȱalsȱunterȱdenȱJüngeren.ȱAuchȱLowther,ȱGillȱundȱCopȬ pardȱ (1985)ȱ stellenȱ fest,ȱ dassȱ dieȱ Arbeitszufriedenheitȱ beiȱ älterenȱ LehrkräftenȱhöherȱistȱalsȱbeiȱJüngeren.ȱEsȱistȱplausibelȱanzunehmen,ȱ dassȱ vorȱ allemȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ mitȱ guterȱ Gesundheitȱ undȱ Leistungsfähigkeitȱ bisȱ zumȱ Pensionsalterȱ imȱ Schuldienstȱ bleiben.ȱ Vonȱ daherȱ könntenȱ dieȱ genanntenȱ Befundeȱ aufȱ Selektionseffekteȱ zurückzuführenȱsein.ȱDiesȱlässtȱsichȱhierȱnichtȱausschließen.ȱEsȱkannȱ jedochȱ festgehaltenȱ werden,ȱ dassȱ keineȱ empirischenȱ Hinweiseȱ fürȱ

346ȱ

Arbeit und Gesundheit bei Lehrerinnen und Lehrern

13.4

eineȱ Verursachungȱ vonȱ Erwerbsunfähigkeitȱ durchȱ eingeschränkteȱ LeistungsbereitschaftȱmitȱzunehmendemȱAlterȱvorliegen.ȱȱ Nachȱ Studienȱ zurȱ Dienstunfähigkeitȱ sindȱ dieȱ häufigsteȱ KrankheitsforȬ menȱ beiȱ derȱ Frühpensionierungȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ psyȬ chiatrischeȱ Erkrankungenȱ bzw.ȱ psychischȬvegetativeȱ undȱ psychoȬ somatischeȱ Krankheiten.ȱ Dieȱ zweithäufigsteȱ Krankheitsformȱ sindȱ Erkrankungenȱ derȱ Muskeln,ȱ desȱ Skelettsȱ undȱ desȱ Bindegewebes,ȱ gefolgtȱvonȱErkrankungenȱdesȱKreislaufsystemsȱ(Jehle,ȱ1997;ȱSchmaȬ cke,ȱ1993).ȱȱ DieȱStudienȱzumȱThemenbereichȱArbeitsbedingungenȱundȱGesundȬ heitȱ beiȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrernȱ erlaubenȱ Hinweiseȱ aufȱ möglicheȱ UrsachenȱderȱFrühpensionierung.ȱDerȱThemenkreisȱsozialeȱInteraktioȬ nenȱ stehtȱ inȱ diesenȱ Untersuchungenȱ anȱ ersterȱ Stelle.ȱ Genanntȱ werȬ denȱ Faktoren,ȱ dieȱ dieȱ Lehrtätigkeitȱ störenȱ oderȱ beeinträchtigen;ȱ aufgeführtȱwerdenȱfernerȱBedingungen,ȱdieȱübergreifendenȱZielsetȬ zungenȱ(z.B.ȱeinesȱgutenȱUnterrichts)ȱwidersprechen.ȱDieȱBeziehunȬ genȱzuȱSchülerinnenȱundȱSchülern,ȱstörendesȱSchülerverhaltenȱoderȱ schülerbezogeneȱ Stressorenȱ (Brennerȱ etȱ al.,ȱ1985;ȱBurkeȱ etȱal.,ȱ1996;ȱ Gerwing,ȱ1994)ȱsindȱgesundheitsbeeinträchtigendenȱFaktorenȱebenȬ soȱ zuzurechnenȱ wieȱ Konflikteȱ mitȱ Schulleiternȱ (z.B.ȱBeckerȱ &ȱ GonȬ schorek,ȱ1990)ȱundȱmitȱdenȱElternȱ(Shiromȱ&ȱMazer,ȱ1993).ȱDesȱWeiȬ terenȱwerdenȱArbeitsklimaȱ(Wegnerȱetȱal.,ȱ1998)ȱundȱfehlendeȱsoziaȬ leȱ Unterstützungȱ bemängeltȱ (BehrensȬTönnies,ȱ 1985;ȱ Bochynek,ȱ 1994;ȱ Burkeȱ etȱ al.,ȱ 1996).ȱ Auchȱ dasȱ Arbeitsvolumenȱ wirdȱ inȱ einigenȱ Untersuchungenȱ angeführtȱ (z.B.ȱ Schönwälder,ȱ 1998;ȱ Shirom,ȱ 1993;ȱ Wattsȱetȱal.,ȱ1990).ȱ WeiterȱobenȱwurdeȱaufȱmöglicheȱBelastungenȱdurchȱdieȱFrustrationȱ übergreifenderȱ Zieleȱ undȱ Motiveȱ (Semmer,ȱ 1984)ȱ verwiesen.ȱ Esȱ wurdeȱ beschrieben,ȱ dassȱ Stressȱ durchȱ einȱ Ungleichgewichtȱ zwiȬ schenȱ Möglichkeitenȱ derȱ Situationȱ undȱ Erwartungenȱ derȱ Personȱ entstehenȱkann.ȱEineȱReiheȱvonȱStudienȱbehandeltȱdieȱausȱSichtȱderȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ geringeȱ Wertschätzung.ȱ Fehlendeȱ AnerkenȬ nungȱdesȱLehrerberufsȱundȱeinȱniedrigerȱBerufsstatus,ȱunangemesȬ seneȱ Entlohnungȱ sowieȱ frustrierteȱ Bedürfnisseȱ nachȱ Selbstachtungȱ undȱ Anerkennungȱ (Bochynek,ȱ 1994;ȱ Gerwing,ȱ 1994;ȱ Littȱ &ȱ Turk,ȱ 1985)ȱ sindȱ dieserȱ Gruppeȱ zuzurechnen.ȱ Schließlichȱ gibtȱ esȱ einigeȱ Studien,ȱdieȱBürokratieȱalsȱkritischenȱProblembereichȱbenennenȱ(BeȬ ckerȱ&ȱGonschorek,ȱ1990;ȱBurkeȱetȱal.ȱ1996;ȱSeidelȱ&ȱJehle,ȱ1998).ȱȱ

347ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

Eineȱ weitereȱ Gruppeȱ vonȱ Untersuchungenȱ betrifftȱ (fachliche)ȱ ÜberȬ forderungȱbzw.ȱfehlendeȱRessourcen,ȱumȱAnforderungenȱzuȱerfüllen.ȱ Problematischȱ istȱ demnach,ȱ beruflicheȱ Anforderungenȱ adäquatȱ zuȱ meistern.ȱ Pädagogischeȱ Problemeȱ (Wegnerȱ etȱ al.,ȱ 1998),ȱ mangelndeȱ FähigkeitenȱundȱQualifikationenȱ(Beckerȱ&ȱGonschorek,ȱ1990;ȱSeidelȱ &ȱJehle,ȱ1998)ȱoderȱProblemeȱmitȱpädagogischerȱLeistungsmessungȱ (Bochynek,ȱ1994)ȱsindȱdieserȱGruppeȱzuzuordnen.ȱȱ InȱeinigenȱStudienȱwirdȱaufȱRessourcenȱalsȱmöglicheȱEinflussfaktorenȱ derȱ Gesundheitȱ verwiesenȱ (Scheuchȱ etȱ al.,ȱ 1989;ȱ Vogelȱ etȱ al.,ȱ 1988).ȱ DieȱVerwirklichungȱeigenerȱAnsprücheȱundȱBedürfnisse,ȱLeistungsȬȱ undȱHandlungskompetenzȱhabenȱdemnachȱpositiveȱWirkungenȱaufȱ dieȱGesundheit.ȱȱ Zusammenfassendȱbleibtȱfestzuhalten:ȱSozialenȱBeziehungenȱkommenȱ beiȱ derȱ Entwicklungȱ vonȱ Gesundheitȱ undȱ Wohlbefindenȱ eineȱ beȬ sondereȱ Bedeutungȱ zu.ȱ Anȱ ersterȱ Stelleȱ stehenȱ Belastungenȱ undȱ fehlendeȱ Ressourcen,ȱ dieȱ durchȱ Schülerverhaltenȱ gegebenȱ sind.ȱ Frustrationȱ übergreifenderȱ Zieleȱ undȱ Motive,ȱ besondersȱ imȱ Sinneȱ mangelnderȱWertschätzung,ȱistȱeinȱweitererȱkritischerȱFaktor.ȱHinzuȱ kommtȱ dieȱ Einschätzung,ȱ denȱ Anforderungenȱ desȱ Berufsalltagsȱ mangelsȱRessourcenȱnichtȱgewachsenȱzuȱsein.ȱȱ Wennȱ dieseȱ Faktorenȱ Wirkungenȱ aufȱ dieȱ Gesundheitȱ haben,ȱ dannȱ müsstenȱ sieȱ auchȱ dieȱ Dienstunfähigkeitȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ LehȬ rernȱbeeinflussen.ȱInȱunsererȱStudieȱsollȱgeprüftȱwerden,ȱinwieweitȱ inȱderȱBegutachtungȱvonȱDienstunfähigkeitȱBelastungen,ȱRisikofakȬ torenȱundȱRessourcenȱvonȱBedeutungȱsind.ȱȱ

13.5

Die Untersuchung

Inȱ derȱ vorliegendenȱ Studieȱ erfolgtȱ eineȱ inhaltsanalytischeȱ AuswerȬ tungȱ vonȱ 60ȱ Gutachtenȱ desȱ personalärztlichenȱ Dienstesȱ derȱ Freienȱ undȱ Hansestadtȱ Hamburg.ȱ Esȱ wurdenȱ Gutachtenȱ einbezogen,ȱ dieȱ bescheinigen,ȱdassȱdieȱzuȱbegutachtendeȱPersonȱnichtȱmehrȱdienstȬ fähigȱundȱdamitȱzuȱpensionierenȱsei.ȱDaȱesȱumȱdieȱarbeitspsycholoȬ gischeȱ Perspektiveȱ derȱ Dienstunfähigkeitȱ geht,ȱ erfolgteȱ eineȱ BeȬ schränkungȱ aufȱ nervenärztlicheȱ Gutachten,ȱ d.h.ȱ BerufsunfähigkeiȬ tenȱ aufgrundȱ reinȱ körperlicherȱ Krankheitenȱ sindȱ inȱ dieserȱ

348ȱ

Ergebnisse

13.6

Stichprobeȱnichtȱenthalten.ȱUmȱeventuelleȱspezifischeȱBedingungenȱ einesȱ Zeitraumsȱ zuȱ kompensieren,ȱ wurdenȱ überȱ vierȱ Jahrgängeȱ hinwegȱjeȱ15ȱGutachtenȱeinesȱJahrgangs,ȱdasȱentsprichtȱca.ȱ10%ȱderȱ Gesamtzahlȱ derȱ einschlägigenȱ Gutachtenȱ einesȱ Jahres,ȱ einbezogen.ȱ Beiȱ derȱAuswahlȱ derȱ Gutachtenȱ wurdeȱ aufȱ ungefähreȱ GleichverteiȬ lungȱderȱbeidenȱnervenärztlichenȱGutachterȱgeachtet.ȱAuchȱGutachȬ tenȱvonȱExternenȱwurdenȱinȱdieȱAuswertungȱeinbezogen.ȱ Dieȱ begutachtetenȱ Personenȱ lassenȱ sichȱ wieȱ folgtȱ beschreiben1:ȱ Dieȱ Lehrkräfteȱwarenȱzwischenȱ50ȱundȱ60ȱJahreȱalt,ȱihrȱDurchschnittsalȬ terȱbetrugȱ55ȱJahre,ȱihrȱdurchschnittlichesȱDienstalterȱ23ȱJahre.ȱ36%ȱ warenȱgeschieden,ȱ34%ȱverheiratet,ȱ28%ȱledig,ȱ2%ȱwarenȱverwitwet.ȱ 66%ȱhattenȱeinȱoderȱmehrereȱKinder.ȱ26%ȱderȱLehrkräfteȱhattenȱanȱ einemȱGymnasiumȱunterrichtet,ȱ24%ȱanȱeinerȱGesamtschule,ȱjeweilsȱ 10%ȱ anȱ einerȱ Grundschuleȱ bzw.ȱ Sonderschule,ȱ jeȱ 8%ȱ anȱ einerȱ GeȬ werbeschuleȱ bzw.ȱ HauptȬȱ undȱ Realschule,ȱ 6%ȱ anȱ einerȱ HandelsȬ schuleȱundȱ4%ȱamȱAbendgymnasiumȱoderȱStudienkolleg.ȱZumȱUmȬ fangȱderȱArbeitszeitȱsindȱkeineȱAussagenȱmöglich;ȱinȱvielenȱGutachȬ tenȱwurdeȱdaraufȱnichtȱeingegangen.ȱ Fürȱ dieȱ inhaltsanalytischeȱ Auswertungȱ wurdenȱ dieȱ Gutachtenȱ inȱ KoȬ diereinheitenȱ unterteilt.ȱ Inȱ weiterenȱ Schrittenȱ wurdenȱ dieȱ KodierȬ einheitenȱ zusammengefasst.ȱ Dreiȱ Gutachtenȱ wurdenȱ doppeltȱ koȬ diert;ȱesȱergabȱsichȱeineȱIntraȬKodiererȬReliabilitätȱvonȱ0.87.ȱImȱFolȬ gendenȱ werdenȱ nurȱ Ergebnisseȱ zuȱ denȱ Kategorienȱ dargestellt,ȱ dieȱ sichȱaufȱBelastungen,ȱRisikofaktorenȱundȱRessourcenȱbeziehen.ȱ

13.6

Ergebnisse

Tabelleȱ1ȱgibtȱeinenȱÜberblickȱzuȱdenȱKategorien,ȱzuȱderenȱHäufigȬ keitenȱ sowieȱ zurȱ Anzahlȱ derȱ Gutachten,ȱ inȱ denenȱ dieȱ Kategorienȱ kodiertȱwurdenȱ(modifiziertȱnachȱHarms,ȱ2000).ȱȱ

ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ ȱ 1ȱȱ DieȱAngabenȱbeziehenȱsichȱaufȱca.ȱ40ȱBegutachtete,ȱdaȱnichtȱalleȱGutachtenȱdieseȱ

personenbezogenenȱInformationenȱenthielten.ȱ

349ȱ

13 Tabelle 1

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

Kategorien Kategorie

N Gutachten

N Kodierung

Situative Ressourcen

22

31

Soziale Ressourcen

16

17

Personale Ressourcen

13

16

(Situative) Stressoren

14

26

Soziale Stressoren

23

47

Diskrepanz Situation – Person

20

23

Risikofaktoren – Bezug Arbeitstätigkeit

13

24

Risikofaktoren – Bezug eingeschränkte Leistungsfähigkeit

29

56

13.6.1

Situative Ressourcen

Ressourcen sind diejenigen Merkmale und Bedingungen, die eine Auseinandersetzung mit Anforderungen und mit Belastungen un terstützen. Zu der Gruppe der situativen Ressourcen gehören durch die Arbeits und Lebensbedingungen gegebene Ressourcen, die von den Begutachteten genutzt wurden und durch die eine Förderung der Gesundheit erwartet wird. Bei den 31 Kodierungen in 22 Gut achten findet sich eine Konzentration auf utilitaristische Ressourcen (27 Angaben/87%); diese umfassen vor allem geplante oder bereits durchgeführte Heilmaßnahmen wie Therapien und Klinikaufenthal te. Aber auch finanzielle Ressourcen wurden angeführt. Des Weite ren werden hier Handlungsspielraum (2/7%), Freizeit und Ressourcen, die durch Versetzung (je 1/3%) gegeben waren, benannt. Beispielhafte Aussagen sind in Abbildung 1 wiedergegeben.

Abbildung 1

Situative Ressourcen „Sanatoriumsbehandlung brachte zwischenzeitliche Besserung“ „Hat Geld von ihrer Mutter geerbt, die die Beurlaubung ermöglichte“

350

Ergebnisse

13.6.2

13.6

Soziale Ressourcen

17ȱ Kodierungenȱ inȱ 16ȱ Gutachtenȱ beziehenȱ sichȱ aufȱ Ressourcen,ȱ dieȱ durchȱ sozialeȱ Beziehungenȱ gegebenȱ sind.ȱ Mitȱ Abstandȱ anȱ ersterȱ StelleȱstehtȱhierȱeineȱguteȱBeziehungȱzuȱKollegInnenȱ(11/65%),ȱzuȱPartȬ nerInnenȱ(4/24%)ȱundȱzuȱFreundInnenȱ(2/12%).ȱInȱeinigenȱFällenȱwirdȱ explizitȱaufȱsozialeȱUnterstützungȱverwiesen.ȱ

SozialeȱRessourcenȱ

Abbildungȱ2ȱ

„Kommt mit Kollegen gut zurecht“ „Seine Frau hält alles Anstrengende von ihm fern“

ȱ

13.6.3

Personale Ressourcen

MerkmaleȱderȱPerson,ȱdieȱdenȱUmgangȱmitȱBelastungenȱerleichtern,ȱ werdenȱ denȱ personalenȱ Ressourcenȱ zugeordnet.ȱ Dieȱ 16ȱ KodierunȬ genȱ inȱ13ȱ Gutachtenȱ betreffenȱinȱ ersterȱ Linieȱ Bewältigungskompetenzȱ (12ȱAussagen/75%).ȱHierȱfindenȱsichȱAngaben,ȱwieȱLehrerinnenȱundȱ Lehrerȱ mitȱ schwierigenȱ Situationenȱ umgehen.ȱ Bedeutendȱ geringerȱ sindȱAussagenȱzuȱSelbstwertȱ(3/19%)ȱundȱzuȱallgemeinerȱArbeitszufrieȬ denheitȱ(1/6%)ȱvertreten.ȱȱ

PersonaleȱRessourcenȱ

Abbildungȱ3ȱ

„Sieht sich als ‚Stehaufmännchen’ und ‚Kämpfernatur’“ „Ist stolz auf ihren Unterricht“ „Sehr zufrieden mit dem Beruf“

13.6.4

Stressoren der Arbeitssituation

UnterȱStressorenȱwerdenȱFaktorenȱzusammengefasst,ȱdieȱdurchȱdieȱ ArbeitstätigkeitȱundȱdieȱArbeitsbedingungenȱgegebenȱsindȱundȱvonȱ

351ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

denenȱangenommenȱwird,ȱdassȱsieȱnegativeȱWirkungenȱaufȱdieȱGeȬ sundheitȱhabenȱkönnen.ȱAufȱdieseȱGruppeȱentfallenȱ26ȱKodierungenȱ inȱ 14ȱ Gutachten.ȱ Zweiȱ Kategorienȱ stehenȱ hierȱ anȱ ersterȱ Stelle.ȱ ZuȬ satzregulationȱ (6ȱ Kodierungen/23%)ȱ umfasstȱ zusätzlichenȱ ArȬ beitsaufwand,ȱ derȱ außerhalbȱ derȱ normalenȱ UnterrichtsvorbereitunȬ genȱ anfälltȱ sowieȱ Disziplinierungsmaßnahmen,ȱ d.h.ȱ Verhalten,ȱ dasȱ daraufȱ ausgerichtetȱ ist,ȱ dieȱ LernȬȱ undȱ Arbeitsfähigkeitȱ derȱ SchüleȬ rinnenȱundȱSchülerȱzuȱgewährleisten.ȱȱ Arbeitsumgebungȱ (6ȱ Kodierungen/23%)ȱ betrifftȱ Bedingungenȱ wieȱ Lärmȱ undȱ sehrȱ großeȱ Klassen.ȱ Weitereȱ Angabenȱ beziehenȱ sichȱ aufȱ Belastungen,ȱ dieȱ durchȱ dieȱ Arbeitssituationȱ imȱ Allgemeinenȱ (5/19%),ȱ durchȱBehördenȱ(4/14%),ȱdurchȱdieȱArbeitsmengeȱ(3/11%),ȱdurchȱChaȬ rakteristikaȱderȱSchüler,ȱsowieȱdurchȱKoordinationsproblemeȱ(jeȱ1/4%)ȱ gegebenȱsind.ȱȱ

Abbildungȱ4ȱ

StressorenȱderȱArbeitssituationȱ „Der sehr hohe Zusatzaufwand für die allgemeinen Normregularien in dieser Klasse sei zu hoch gewesen“ „Probleme der derzeitigen Tätigkeit lägen darin, dass sie häufig mehrere Dinge gleichzeitig erledigen müsste“

13.6.5

Soziale Stressoren

Sozialeȱ Stressorenȱ betreffenȱ Konflikteȱ undȱ Auseinandersetzungenȱ mitȱunterschiedlichenȱPersonen.ȱDieseȱAussagenȱwerdenȱinȱ23ȱGutȬ achtenȱ(47ȱKodierungen)ȱaufgeführt.ȱSieȱbildenȱdamitȱdieȱzweitgrößȬ teȱGruppeȱvonȱKodierungen.ȱSozialeȱStressorenȱdurchȱKollegInnenȱ(19ȱ Angaben/40%)ȱwerdenȱbesondersȱhäufigȱbenannt,ȱgefolgtȱvonȱsoziaȬ lenȱKonfliktenȱmitȱSchülerinnenȱ(8ȱAngaben/17%)ȱundȱmitȱderȱSchulleiȬ tungȱ(7ȱAngaben/15%).ȱ6ȱKodierungenȱ(13%)ȱbeziehenȱsichȱaufȱeineȱ nichtȱ näherȱ spezifizierteȱ Personengruppe.ȱ Inȱ weiterenȱ Aussagenȱ wirdȱaufȱPartnerInnenȱundȱFamilieȱ(4/9%),ȱaufȱdieȱSchulbehördeȱ(2/4%)ȱ sowieȱaufȱFreunde/Bekannteȱeingegangenȱ(1/2%).ȱ

352ȱ

Weiterȱ obenȱ wurdenȱ unterschiedlicheȱ Gruppenȱ vonȱ sozialenȱ StresȬ sorenȱgetrennt:ȱSozialeȱStressorenȱkönnenȱdemnachȱdurchȱdivergieȬ rendeȱHandlungsregulationȱderȱBeteiligtenȱgegebenȱsein,ȱdurchȱeineȱ

Ergebnisse

13.6

Verletzungȱ übergreifenderȱ Normenȱ undȱ Motive,ȱ dieȱ durchȱ dieȱArȬ beitsaufgabeȱgegebenȱistȱsowieȱdurchȱpersönlicheȱAngriffe.ȱEinȱBlickȱ aufȱ dieȱAussagenȱ zeigt,ȱ dassȱ persönlicheȱAngriffeȱ beiȱ denȱ sozialenȱ Stressorenȱ durchȱ KollegInnen,ȱ SchülerInnenȱ undȱ Schulleitungȱ beiȱ weitemȱüberwiegen.ȱȱ

SozialeȱStressorenȱ

Abbildungȱ5ȱ

„Kollegen hätten die Schüler ermuntert, ihren Ruf zu schädigen“ „Es kommt Druck von den Kollegen“ „Kinder beschimpfen sie häufig“

13.6.6

Diskrepanz Situation – Person

Inȱ20ȱGutachtenȱ(23ȱKodierungen)ȱwerdenȱInhalteȱbenannt,ȱdieȱsichȱ entwederȱaufȱeinȱMissverhältnisȱzwischenȱAnforderungenȱderȱSituaȬ tionȱundȱHandlungsmöglichkeitenȱderȱPersonȱbeziehenȱoderȱVerhalȬ tensweisenȱ betreffen,ȱ dieȱ eineȱ Reduktionȱ situativerȱ Ressourcenȱ imȬ plizieren.ȱ Esȱ stehenȱ keineȱ (vorwiegendȱ situativen)ȱ Ressourcenȱ zurȱ Verfügung,ȱ umȱ Anforderungenȱ zuȱ entsprechen.ȱ Fehlenderȱ HandȬ lungsspielraumȱführtȱdazu,ȱdassȱVorgabenȱvonȱaußenȱerfülltȱwerden,ȱ auchȱ wennȱ sieȱ widersinnigȱ erscheinenȱ (10ȱAngaben/44%),ȱ dassȱ dieȱ Freizeitȱ eingeschränktȱ istȱ (8/35%)ȱ undȱ dassȱ utilitaristischeȱ Ressourcenȱ (5/22%)ȱnichtȱzurȱVerfügungȱstehen.ȱȱ

DiskrepanzȱSituationȱȬȱPersonȱ

Abbildungȱ6ȱ

„Bei Notengebung Einmischung und Druck von Schülern und Schulbehörde“ „Isoliere sich zunehmend und nehme keine Außenkontakte mehr wahr“ „Probleme und Auseinandersetzungen wegen Unterhaltszahlungen“

ȱ

353ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

13.6.7

Risikofaktoren – Bezug Arbeitstätigkeit

Dieseȱ Gruppeȱ derȱ Risikofaktorenȱ umfasstȱ Haltungenȱ undȱ EinstelȬ lungenȱ derȱ Person,ȱ dieȱ sichȱ aufȱ dieȱ Arbeitstätigkeitȱ beziehen,ȱ vonȱ denenȱ angenommenȱ werdenȱ kann,ȱ dassȱ sieȱ dieȱ Wahrscheinlichkeitȱ vonȱ Stressȱ erhöhenȱ undȱ negativeȱ Wirkungenȱ aufȱ dieȱ Gesundheitȱ haben.ȱAufȱdieseȱKategorieȱwirdȱinȱ24ȱKodierungenȱinȱ13ȱGutachtenȱ eingegangen.ȱȱ VonȱdenȱinhaltlichenȱAussagenȱherȱfindenȱsichȱmitȱAbstandȱanȱersȬ terȱStelleȱRollenproblemeȱ(16ȱAussagen/67%).ȱDieȱLehrkräfteȱberichtenȱ hierȱ überȱ Anforderungen,ȱ dieȱ nichtȱ mitȱ demȱ eigenenȱ Berufsbildȱ übereinstimmen;ȱsieȱkönnenȱdemȱBerufȱnichtȱsoȱnachgehen,ȱwieȱsieȱ esȱfürȱrichtigȱhalten;ȱesȱwirdȱberichtet,ȱdassȱdieȱElternȱvonȱSchülernȱ ihrenȱErziehungsaufgabenȱnichtȱmehrȱnachkommenȱundȱdassȱdieseȱ vonȱdenȱLehrkräftenȱübernommenȱwerdenȱmüssen.ȱAuchȱqualitativeȱ Überforderungȱ durchȱ mangelndeȱ Handlungskompetenzȱ (5ȱ AussaȬ gen/21%)ȱimȱSinneȱvonȱDisziplinierungsproblemenȱwirdȱhierȱmehrȬ fachȱ genannt.ȱ Weitereȱ Nennungenȱ beziehenȱ sichȱ aufȱ selbstgesetzteȱ Leistungserwartungenȱ (2ȱAussagen/8%)ȱ undȱ aufȱ persönlicheȱ UnzufrieȬ denheitȱ(1/4%)ȱmitȱdemȱLehrerberuf.ȱȱ

Abbildungȱ7ȱ

Risikofaktorenȱ–ȱBezugȱArbeitstätigkeitȱ „Fühlt sich als Dompteur, nicht als Lehrer“ „Eindruck, dass die Gesellschaft keine Achtung mehr vor der Arbeit des Lehrers hat“ „Kann Schüler nicht disziplinieren“ „Eigentlich habe sie nie Lehrerin werden wollen“

13.6.8

Risikofaktoren – Bezug eingeschränkte Leistungsfähigkeit

EineȱReiheȱvonȱAussagenȱbeschreibtȱdasȱScheiternȱmitȱAnforderunȬ genȱ undȱ Belastungen,ȱ wobeiȱ auchȱ Ressourcen,ȱ dieȱ StressbewältiȬ gungȱ unterstützenȱ könnten,ȱ nichtȱ zurȱ Verfügungȱ stehenȱ oderȱ „verȬ braucht“ȱ sind.ȱ Währendȱ beiȱ denȱ obenȱ aufgeführtenȱ Risikofaktorenȱ derȱ Bezugȱ zurȱ Arbeitstätigkeitȱ formuliertȱ wird,ȱ stehtȱ inȱ dieserȱ

354ȱ

Zusammenfassung und Fazit

13.7

GruppeȱdieȱeigeneȱPersonȱimȱVordergrund.ȱManȱkönnteȱdieȱAussaȬ genȱ dieserȱ Gruppeȱ auchȱ alsȱ eingeschränkteȱ Leistungsfähigkeitȱ beȬ zeichnen.ȱInȱ29ȱGutachtenȱ(56ȱAussagen)ȱwirdȱdaraufȱeingegangen.ȱ DieseȱRisikofaktorenȱwerdenȱalsoȱinȱdenȱGutachtenȱbesondersȱhäuȬ figȱangesprochen.ȱEsȱwirdȱvorȱallemȱaufȱfehlendeȱBewältigungskompeȬ tenzȱ (27ȱ Aussagen/48%)ȱ verwiesen.ȱ Auchȱ Angabenȱ zuȱ fehlendemȱ Selbstwertgefühlȱsindȱvergleichsweiseȱhäufigȱ(16/29%).ȱAussagen,ȱdieȱ sichȱaufȱfehlendenȱKohärenzsinnȱbeziehenȱ(13/23%)ȱbetreffenȱinȱersterȱ Linieȱ Handhabbarkeit.ȱ Verstehbarkeitȱ undȱ vorȱ allemȱ Sinnhaftigkeitȱ werdenȱdemgegenüberȱseltenerȱangesprochen.ȱȱ

Risikofaktorenȱ–ȱeingeschränkteȱLeistungsfähigkeitȱ

Abbildungȱ8ȱ

„Sie habe das Gefühl gehabt, jetzt reiche es, sie könne nicht mehr“ „Schämt sich ihrer Unfähigkeit“ „Fühlt sich wertlos“

13.7

Zusammenfassung und Fazit

Inȱ derȱ vorliegendenȱ Studieȱ wurdenȱ Gutachtenȱ inhaltsanalytischȱ ausgewertet.ȱ Vorȱ einerȱ zusammenfassendenȱ Diskussionȱ derȱ ErgebȬ nisseȱ sollȱ imȱ Folgendenȱ aufȱ Möglichkeitenȱ undȱ Grenzenȱ einerȱ solȬ chenȱUntersuchungȱeingegangenȱwerden.ȱȱ

13.7.1

Personalärztliche Gutachten als Informationsquelle

Gegenstandȱ derȱ vorliegendenȱ Studieȱ sindȱ Einflussfaktorenȱ vonȱ Dienstunfähigkeit,ȱ dieȱ inȱ personalärztlichenȱ Gutachtenȱ benanntȱ werden.ȱDamitȱsindȱBesonderheitenȱdesȱDatenmaterialsȱzuȱberückȬ sichtigen.ȱ Gutachtenȱ basierenȱ aufȱ Unterlagenȱ zurȱ Berufsbiographieȱ undȱzurȱKrankheitsgeschichte.ȱAuchȱInformationen,ȱdieȱderȱGutachȬ terȱ imȱ Laufeȱ desȱ Gesprächsȱ mitȱ derȱ zuȱ begutachtendenȱ Personȱ erȬ hält,ȱ sindȱ vonȱ Bedeutung.ȱ Derȱ Gutachterȱ steuertȱ dasȱ Gesprächȱ mitȱ derȱzuȱbegutachtendenȱPerson.ȱSeinȱGesprächsverhalten,ȱseineȱFraȬ

355ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

gen,ȱ Hinweiseȱ undȱ Zusammenfassungen,ȱ seineȱ Empathieȱ undȱ AnȬ teilnahmeȱsindȱhierȱvonȱBedeutung.ȱBeiȱderȱErstellungȱeinesȱGutachȬ tensȱ spielenȱ Professionalitätȱ desȱ Gutachters,ȱ seinȱ Wissen,ȱ seineȱ WahrnehmungȱundȱBewertungȱderȱzuȱbegutachtendenȱPerson,ȱseineȱ Alltagstheorienȱ überȱ Arbeitȱ undȱ Gesundheitȱ sowieȱ überȱ dieȱ UrsaȬ chenȱundȱAnlässeȱvonȱFrühpensionierung,ȱseineȱNormenȱundȱWerteȱ eineȱwichtigeȱRolle.ȱEsȱkönnteȱsein,ȱdassȱGutachterȱeinȱBildȱderȱEntȬ stehungȱ derȱ Dienstunfähigkeitȱ haben,ȱ soȱ dassȱ sieȱ dieȱ diesemȱ Bildȱ entsprechendenȱ Kategorienȱ oderȱ Einflussfaktorenȱ imȱ Gesprächȱ thematisieren,ȱ dieseȱ imȱ Gutachtenȱ berücksichtigenȱ undȱ dassȱ sieȱ allȱ das,ȱwasȱnichtȱihremȱBildȱentspricht,ȱimȱGesprächȱundȱimȱGutachtenȱ nichtȱ oderȱ wenigerȱ berücksichtigen.ȱ Esȱ könnteȱ auchȱ sein,ȱ dassȱ sieȱ gegenüberȱdenȱAussagenȱderȱBegutachtetenȱsehrȱoffenȱsind.ȱWelcheȱ Interpretationȱzutrifft,ȱkannȱhierȱnichtȱendgültigȱgeklärtȱwerden.ȱ Dieȱ zuȱ begutachtendeȱ Personȱ hatȱ imȱ Begutachtungsprozessȱ ErwarȬ tungen,ȱ Wünscheȱ undȱ Befürchtungen.ȱ Sieȱ hatȱ einȱ Bildȱ ihresȱ GeȬ sundheitszustandesȱ undȱ ihrerȱ Leistungsfähigkeit.ȱAuchȱ sieȱ hatȱAllȬ tagstheorienȱ darüber,ȱ wieȱ ihreȱArbeitsbedingungenȱ Gesundheitȱ beȬ einflussen.ȱ Sieȱ hatȱ imȱ Begutachtungsprozessȱ mehrȱ oderȱ wenigerȱ klareȱ Ziele.ȱ Sieȱ wirdȱ bemühtȱ sein,ȱ demȱ Gutachterȱ einȱ bestimmtesȱ BildȱüberȱdieȱeigeneȱPersonȱzuȱvermitteln,ȱdenȱGesprächsverlaufȱzuȱ beeinflussen.ȱȱ Dieȱ Inhaltsanalyseȱ wirdȱ darüberȱ hinausȱ beeinflusstȱ vomȱ VerständȬ nisȱ undȱ denȱ (implizitenȱ undȱ expliziten)ȱ Theorienȱ derȱAuswerterin.ȱ DieȱErgebnisseȱderȱvorliegendenȱStudieȱsindȱsomitȱbestimmtȱdurchȱ dieȱ Gutachter,ȱ dieȱ begutachteteȱ Person,ȱ dieȱ Interaktionȱ zwischenȱ beidenȱsowieȱdurchȱdieȱAuswerterin.ȱFürȱdieȱForschungȱergibtȱsichȱ damitȱ dieȱ reizvolleȱ Aufgabe,ȱ inȱ weiterenȱ Untersuchungenȱ undȱ durchȱ andereȱ Methodenȱ zuȱ überprüfen,ȱ inwieweitȱ dieȱ inȱ denȱ GutȬ achtenȱgenanntenȱundȱinȱderȱInhaltsanalyseȱsystematisiertenȱBelasȬ tungenȱundȱRessourcenȱwesentlicheȱEinflussfaktorenȱvonȱDienstunȬ fähigkeitȱsind.ȱȱ

13.7.2

Die Kategorien

BeiȱderȱzusammenfassendenȱDiskussionȱderȱKonzepteȱundȱStudienȱ zuȱ Stressȱ sowieȱ zuȱArbeitȱ undȱ Gesundheitȱ wurdeȱ aufȱ dieȱ NotwenȬ digkeitȱ derȱ Trennungȱ zwischenȱ Anforderungen,ȱ Belastungenȱ undȱ

356ȱ

Zusammenfassung und Fazit

13.7

Ressourcenȱ sowieȱ zwischenȱ situativenȱ undȱ personalenȱ Merkmalenȱ verwiesen.ȱDasȱfürȱdieȱAuswertungȱderȱpersonalärztlichenȱGutachȬ tenȱ entwickelteȱ Kategoriensystemȱ greiftȱ dieseȱ Unterscheidungenȱ weitgehendȱauf.ȱEsȱtrenntȱsituative,ȱsozialeȱundȱpersonaleȱRessourȬ cenȱ sowieȱ Stressoren,ȱ dieȱ durchȱ dieȱ Arbeitstätigkeitȱ gegebenȱ sindȱ undȱ sozialeȱ Stressorenȱ sowieȱ Risikofaktoren.ȱAufȱ einigeȱ dieserȱ KaȬ tegorienȱwirdȱimȱFolgendenȱetwasȱausführlicherȱeingegangen.ȱ

13.7.3

Die Bedeutung sozialer Beziehungen

Inȱ derȱ Literaturȱ zuȱArbeitȱ undȱ Gesundheitȱ wirdȱ immerȱ wiederȱ aufȱ dieȱ Bedeutungȱ sozialerȱ Beziehungenȱ verwiesen.ȱ Dieseȱ habenȱ auchȱ inȱ denȱGutachtenȱeinenȱhohenȱStellenwert.ȱEineȱderȱdreiȱGruppenȱvonȱ Ressourcenȱ beziehtȱ sichȱ aufȱ sozialeȱ Ressourcen.ȱ Dieȱ Anzahlȱ derȱ KoȬ dierungenȱ zuȱ sozialenȱ Ressourcenȱ istȱ zwarȱ gering,ȱ esȱ istȱ aberȱ zuȱ berücksichtigen,ȱ dassȱ insgesamtȱ inȱ denȱ Gutachtenȱ nurȱ vergleichsȬ weiseȱseltenȱaufȱRessourcenȱBezugȱgenommenȱwirdȱ(wasȱnichtȱverȬ wunderlichȱ ist,ȱ immerhinȱ gehtȱ esȱ umȱ Dienstunfähigkeitȱ undȱ nichtȱ umȱWohlbefinden).ȱImmerhinȱca.ȱ25%ȱderȱAussagenȱzuȱRessourcenȱ betreffenȱsozialeȱRessourcen.ȱ SozialeȱStressorenȱwerdenȱinȱdenȱGutachtenȱrelativȱhäufigȱaufgeführt.ȱ Sieȱ bildenȱ mitȱ 47ȱ Kodierungenȱ inȱ 23ȱ Gutachtenȱ dieȱ zweitgrößteȱ Gruppe.ȱ Weiterȱ obenȱ wurdenȱ unterschiedlicheȱ Variantenȱ sozialerȱ Stressorenȱ (durchȱ divergierendeȱ Handlungsregulation,ȱ durchȱ ArȬ beitssituation,ȱ durchȱ Angriffe)ȱ getrennt.ȱ Inȱ denȱ Gutachtenȱ stehenȱ sozialeȱStressorenȱdurchȱKolleginnenȱundȱKollegenȱmitȱAbstandȱanȱ ersterȱStelle.ȱEsȱwerdenȱvorȱallemȱsozialeȱStressorenȱderȱletztenȱVaȬ riante,ȱ d.h.ȱ Angriffeȱ aufȱ dieȱ Personȱ („Kollegenȱ versuchen,ȱ ihnȱ läȬ cherlichȱ zuȱ machen“),ȱ aberȱ auchȱ derȱ anderenȱ Varianten,ȱ wieȱ etwaȱ AuseinandersetzungenȱumȱArbeitsaufgaben,ȱbenannt.ȱNebenȱKolleȬ ginnenȱ undȱ Kollegenȱ sindȱ Schülerȱ undȱ Schulleitungȱ eineȱ Quelleȱ sozialerȱ Stressoren.ȱ Angriffeȱ sindȱ hierȱ ebenfallsȱ besondersȱ häufigȱ („Schulleiterȱ machtȱ sieȱ imȱ Kollegiumȱ schlechtȱ undȱ kritisiertȱ ihrenȱ Unterricht“).ȱ

357ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

13.7.4

Der Stellenwert bedingungsbezogener Faktoren

Bemerkenswertȱist,ȱdassȱinȱdenȱGutachtenȱbedingungsbezogeneȱFaktoȬ renȱ vergleichsweiseȱ seltenȱ benanntȱ werden.ȱ Belastungen,ȱ dieȱ durchȱ dieȱ Arbeitsaufgabeȱ undȱ dieȱ Arbeitssituationȱ gegebenȱ sind,ȱ werdenȱ nurȱ inȱ 14ȱ vonȱ 60ȱ Gutachten,ȱ d.h.ȱ lediglichȱ inȱ 25%ȱ derȱ Gutachtenȱ angeführt.ȱ26ȱKodierungenȱbeziehenȱsichȱaufȱdieseȱKategorie.ȱSituaȬ tiveȱ Ressourcenȱ sindȱ mitȱ 31ȱ Kodierungenȱ inȱ 22ȱ Gutachtenȱ etwasȱ häufigerȱvertreten.ȱEsȱhandeltȱsichȱdabeiȱjedochȱkaumȱumȱRessourȬ cenȱderȱArbeitssituation.ȱDerȱgrößteȱTeilȱbetrifftȱTherapienȱundȱBeȬ ratung,ȱalsoȱMöglichkeitenȱundȱAngeboteȱderȱsekundärenȱundȱtertiȬ ärenȱPrävention.ȱ FastȱimmerȱwerdenȱinȱdenȱGutachtenȱdieȱsituativenȱRessourcenȱimȱ KontextȱihrerȱNutzungȱbeschriebenȱ(z.B.ȱ„TherapieangebotȱwahrgeȬ nommen“,ȱ„QualifikationȱüberȱdiverseȱLehrgängeȱerhalten“).ȱWichȬ tigȱ istȱ demnachȱ nichtȱ nur,ȱ obȱ Ressourcenȱ vorhandenȱ sind,ȱ sondernȱ auch,ȱobȱsieȱvonȱdenȱAkteurenȱgenutztȱwerdenȱȬȱinwieweitȱalsoȱperȬ sonaleȱRessourcenȱbestehen,ȱdieȱeineȱNutzungȱsituativerȱRessourcenȱ unterstützen.ȱDieȱdamitȱformulierteȱBeziehungȱzwischenȱsituativenȱ Ressourcenȱ undȱ Realisierungȱ bzw.ȱ Nutzungȱ derȱ Ressourcenȱ wirdȱ auchȱinȱderȱStressliteraturȱimmerȱwiederȱhervorgehoben.ȱ

13.7.5

(Miss-)Verhältnis von situativen und personalen Bedingungen

Beiȱ derȱ Inhaltsanalyseȱ derȱ Gutachtenȱ hatȱ sichȱ gezeigt,ȱ dassȱ immerȱ wiederȱmitȱdemȱ(MissȬ)VerhältnisȱzwischenȱsituativenȱundȱpersonaȬ lenȱ Bedingungenȱ sowieȱ mitȱ mangelndenȱ Ressourcenȱ imȱ Umgangȱ mitȱAnforderungenȱ undȱ Belastungenȱargumentiertȱ wird.ȱUnterȱ derȱ Bezeichnungȱ „Diskrepanzȱ Situationȱ –ȱ Person“ȱ werdenȱ Aussagenȱ zusammengefasst,ȱ dieȱ beinhalten,ȱ dassȱ Absichten,ȱ Vorstellungenȱ oderȱWünscheȱbeiȱderȱArbeitstätigkeitȱnichtȱmitȱdenȱAnforderungenȱ oderȱBedingungenȱderȱSituationȱübereinstimmenȱ(„führtȱalsȱeinzigeȱ offenenȱUnterrichtȱdurchȱundȱwirdȱdafürȱstarkȱkritisiert“).ȱEsȱbesteȬ henȱ keineȱ Kompensationsmöglichkeitenȱ durchȱ Freizeitaktivitätenȱ undȱ keineȱ utilitaristischenȱ Ressourcen,ȱ dieȱ einenȱ Umgangȱ mitȱ derȱ Situationȱerleichtern.ȱȱ

358ȱ

Zusammenfassung und Fazit

13.7

Inȱ einerȱ weiterenȱ Gruppeȱ vonȱAussagenȱ stehenȱ Risikofaktorenȱ derȱ Personȱ imȱ Vordergrund,ȱ dieȱ eineȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ beȬ ruflichenȱ Anforderungenȱ erschweren.ȱ Inȱ einigenȱ Argumentenȱ gehtȱ esȱauchȱumȱmangelndeȱWertschätzungȱderȱeigenenȱTätigkeit,ȱsowieȱ umȱdasȱScheiternȱanȱdenȱeigenenȱAnforderungenȱ(„versuche,ȱseinenȱ Schülernȱ möglichstȱ vielȱ beizubringen,ȱ scheitereȱ aberȱ anȱ derȱ manȬ gelndenȱLernmotivationȱderȱSchüler“).ȱ

13.7.6

Einschränkungen der Leistungsfähigkeit

InȱderȱgrößtenȱGruppeȱderȱKategorienȱ(29ȱGutachten,ȱ56ȱAussagen)ȱ wirdȱebenfallsȱaufȱRisikofaktoren,ȱhierȱbezogenȱaufȱfehlendeȱpersoȬ naleȱ Ressourcen,ȱ verwiesen.ȱ Inȱ fastȱ allenȱ Aussagenȱ werdenȱ EinȬ schränkungenȱ derȱ Leistungsfähigkeitȱ angesprochenȱ („Gefühlȱ desȱ Versagens“).ȱ DieȱAussagenȱ dieserȱ Gruppeȱ verweisenȱ aufȱ einenȱ auȬ ßerordentlichȱ hohenȱ Leidensdruck,ȱ demȱ dieȱ Lehrerinnenȱ undȱ LehȬ rerȱ ausgesetztȱ sind.ȱ Bezügeȱ zumȱ BurnoutȬSymptomȱ werdenȱ hierȱ deutlichȱ („siehtȱ sichȱ aufȱ verlorenemȱ Posten“,ȱ „träumtȱ regelmäßigȱ vonȱberuflichemȱVersagen“).ȱȱ DieȱAussagenȱlassenȱsichȱalsȱBelegȱfürȱdenȱtransaktionalenȱProzessȱ zwischenȱBelastungenȱderȱSituationȱundȱHandlungsbereitschaftȱderȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ interpretieren.ȱ Dieȱ Einschränkungenȱ derȱ LeistungsfähigkeitȱsindȱaufȱderȱeinenȱSeiteȱFolgenȱvonȱBelastungenȱ bzw.ȱ vonȱ fehlgeschlagenenȱ Bewältigungsversuchenȱ („istȱ BelastunȬ genȱ nichtȱ mehrȱ gewachsen“,ȱ „wirdȱ nichtȱ fertigȱ mitȱ gegenwärtigerȱ Problematik“)ȱundȱaufȱderȱanderenȱSeiteȱsindȱsieȱRisikofaktoren,ȱdieȱ eineȱ adäquateȱ Auseinandersetzungȱ mitȱ denȱ Anforderungenȱ desȱ Berufsalltagsȱunmöglichȱmachen.ȱSoȱentstehtȱeineȱStressspirale.ȱDieȱ DienstunfähigkeitȱerscheintȱalsȱeinzigerȱWeg,ȱdieserȱStressspiraleȱzuȱ entkommen.ȱȱ

13.7.7

Schlussfolgerungen für praktische Maßnahmen

Wennȱ wirȱ derȱ Argumentationȱ inȱ denȱ Gutachtenȱ folgen,ȱ könntenȱ Maßnahmenȱ zurȱ Förderungȱ vonȱ Gesundheitȱ anȱ unterschiedlichenȱ Faktorenȱanknüpfen.ȱSoȱwäreȱesȱz.B.ȱmöglich,ȱdurchȱCoachingȱoderȱ

359ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

Supervisionȱ personaleȱ Ressourcenȱ zuȱ erhöhen,ȱ durchȱ Mediationȱ undȱTeamtrainingȱsozialeȱKohärenzȱzuȱfördern.ȱDiesȱbietetȱsichȱbeȬ sondersȱan,ȱdaȱEinschränkungenȱderȱLeistungsfähigkeitȱundȱsozialeȱ StressorenȱdieȱinȱdenȱGutachtenȱamȱhäufigstenȱbenanntenȱProblemȬ felderȱ sind.ȱ Auchȱ Stressmanagementinterventionenȱ (Bambergȱ &ȱ Busch,ȱ 2006)ȱ könntenȱ dazuȱ dienen,ȱ Ressourcenȱ zuȱ erhöhen.ȱ Hierȱ liegenȱ aktuelleȱ Konzepteȱ vor,ȱ dieȱ speziellȱ fürȱ dieȱ Zielgruppeȱ derȱ Lehrerȱentwickeltȱwurdenȱ(Stück,ȱRigottiȱ&ȱMohr,ȱ2004).ȱ DieȱGutachtenȱverweisenȱaufȱweitereȱMöglichkeitenȱfürȱInterventioȬ nen.ȱ Aussagenȱ derȱ Begutachtetenȱ wie:ȱ sieȱ seienȱ zwangsversetztȱ wordenȱ undȱ wüsstenȱ dieȱ Gründeȱ dafürȱ nicht;ȱ dieȱ pädagogischenȱ Konferenzenȱzeugtenȱdavon,ȱdassȱdieȱSchuleȱeinerȱGeneralverdächȬ tigungȱ ausgesetztȱ sei;ȱ sieȱ seienȱ ständigȱ gezwungen,ȱ Dingeȱ zuȱ tun,ȱ dieȱ sieȱ nichtȱ vertretenȱ könntenȱ (Harms,ȱ 2000a),ȱ lassenȱ vermuten,ȱ dassȱeineȱIntegrationȱderȱBegutachtetenȱinȱdasȱSystemȱSchuleȱnichtȱ (mehr)ȱ gegebenȱ ist.ȱ Dieȱ Begutachtetenȱ sehenȱ sichȱ einerȱ feindlichenȱ Weltȱ gegenüberȱ gestellt;ȱ derȱ Verbindungsfadenȱ istȱ gerissen;ȱ dieȱ SiȬ tuationȱ istȱ fürȱ sieȱ intransparentȱ undȱ nichtȱ begründbar.ȱ Beimȱ Lesenȱ derȱ Gutachtenȱ drängtȱ sichȱ immerȱ wiederȱ dieȱ Frageȱ auf,ȱ wieȱ eineȱ solcheȱ Entwicklungȱ überhauptȱ möglichȱ warȱ undȱ obȱ nichtȱ durchȱ frühzeitigeȱ Klärungenȱ undȱ Konfliktlösungenȱ vieleȱ Problemeȱ hättenȱ verhindertȱoderȱzumindestȱverringertȱwerdenȱkönnen.ȱVonȱdaherȱistȱ PersonalȬȱ undȱ Organisationsentwicklungȱ inȱ derȱ Schule,ȱ verbundenȱ mitȱeinemȱprofessionellenȱundȱniedrigschwelligenȱAngebotȱanȱKonȬ fliktmoderation,ȱ erforderlich,ȱ umȱ Dienstunfähigkeitȱ sowieȱ dasȱ daȬ mitȱverbundeneȱindividuelleȱLeidȱundȱdieȱgesellschaftlichenȱKostenȱ zuȱverringern.ȱȱ

13.8

Literatur

Antonovsky,ȱ A.ȱ (1987).ȱ Unravelingȱ theȱ mysteryȱ ofȱ health.ȱ Howȱ peopleȱ manageȱstressȱandȱstayȱwell.ȱSanȱFrancisco:ȱJosseyȱBass.ȱȱ Bamberg,ȱ E.ȱ &ȱ Busch,ȱ C.ȱ (2006).ȱ Stressbezogeneȱ Interventionenȱ inȱ derȱ Arbeitswelt.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologie,ȱ 50,ȱ215Ȭ226.ȱ

360ȱ

Literatur

13.8

Bamberg,ȱ E.,ȱ Busch,ȱ C.ȱ &ȱ Ducki,ȱA.ȱ (2003).ȱ Stressȱ undȱ RessourcenȬ management.ȱStrategienȱundȱMethodenȱfürȱdieȱneueȱArbeitswelt.ȱInȱ E.ȱ Bambert,ȱ G.ȱ Mohrȱ &ȱ M.ȱ Rummelȱ (Hrsg.),ȱ Praxisȱ derȱ ArbeitsȬȱ undȱ Organisationspsychologieȱ(S.ȱ188Ȭ201).ȱBern:ȱHuber.ȱȱ Becker,ȱG.ȱE.ȱ&ȱGonschorek,ȱG.ȱ(1990).ȱDasȱBurnoutȬSyndrom.ȱUrsaȬ chenȱ–ȱInterventionenȱ–ȱKonsequenzen.ȱPädagogik,ȱ42/10,ȱ10Ȭ14.ȱȱ BehrensȬTönnies,ȱU.ȱ&ȱTönnies,ȱS.ȱ(1985).ȱDieȱBedeutungȱdesȱKolleȬ giumsȱ beiȱ psychosozialerȱ Belastungȱ undȱ Stressȱ vonȱ Lehrern.ȱ Inȱ H.ȱ Heyseȱ (Hrsg.),ȱ Erziehungȱ inȱ derȱ Schule.ȱ Eineȱ Herausforderungȱ fürȱ dieȱ Sozialpsychologieȱ(S.ȱ146Ȭ152).ȱBonn:ȱDeutscherȱPsychologenȱVerlag.ȱȱ Bochynek,ȱ B.ȱ (1994).ȱ Wasȱ machtȱ Schuleȱ soȱ anstrengend,ȱ wennȱ manȱ älterȱwird?ȱPädagogik,ȱ46/2,ȱ14Ȭ17.ȱȱ Brenner,ȱS.,ȱSörbom,ȱD.ȱ&ȱWallius,ȱE.ȱ(1985).ȱTheȱstressȱchain:ȱAȱlonȬ gitudinalȱ confirmatoryȱ studyȱ ofȱ teacherȱ stress,ȱ copingȱ andȱ socialȱ support.ȱJournalȱforȱOccupationalȱPsychology,ȱ58,ȱ1Ȭ13.ȱ Burke,ȱ R.ȱ J.,ȱ Greenglass,ȱ E.ȱ R.ȱ &ȱ Schwarzer,ȱ R.ȱ (1996).ȱ Predictingȱ teacherȱburnoutȱoverȱtime:ȱEffectsȱofȱworkȱstress,ȱsocialȱsupport,ȱandȱ selfȬdoubtsȱ onȱ burnoutȱ andȱ itsȱ consequences.ȱ Anxiety,ȱ Stress,ȱ &ȱ CoȬ ping,ȱ9,ȱ261Ȭ275.ȱ Deutscherȱ Bundestagȱ (2005).ȱ Dritterȱ Versorgungsberichtȱ derȱ BundesreȬ gierung.ȱDeutscherȱBundestag,ȱDrucksacheȱ15/5821.ȱȱ Gerwing,ȱ C.ȱ (1994).ȱ Stressȱ inȱ derȱ Schule.ȱ Belastungswahrnehmungȱ vonȱLehrerinnenȱundȱLehrern.ȱZeitschriftȱfürȱPädagogischeȱPsychologie,ȱ 8,ȱ41Ȭ53.ȱȱ Greif,ȱS.ȱ(1991).ȱStressȱinȱderȱArbeitȱȬȱEinführungȱundȱGrundbegriffe.ȱ Inȱ S.ȱ Greif,ȱ E.ȱ Bambergȱ &ȱ N.ȱ Semmerȱ (Hrsg.),ȱ Psychischerȱ Stressȱ amȱ Arbeitsplatzȱ(S.ȱ1Ȭ28).ȱGöttingen:ȱHogrefe.ȱȱ Gudjons,ȱ H.ȱ (1994).ȱ Jenseitsȱ derȱ Illusionen.ȱAlsȱ Lehrer/inȱ älterȱ werȬ den.ȱPädagogik,ȱ46/2,ȱ6Ȭ9.ȱȱ Harms,ȱ P.ȱ (2000a).ȱ Dienstunfähigkeitȱ vonȱ Lehrkräften.ȱ Möglicheȱ UrsaȬ chenȱderȱpsychischȱbedingtenȱDienstunfähigkeitȱvonȱHamburgerȱLehrerinȬ nenȱundȱLehrern.ȱUniversitätȱHamburg:ȱDiplomarbeit.ȱ Harms,ȱ P.ȱ (2000b).ȱ Dienstunfähigkeitȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrern.ȱ LiȬ teraturrecherche.ȱ Universitätȱ Hamburg:ȱ Unveröffentlichtesȱ ManusȬ kript.ȱ

361ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

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362ȱ

Literatur

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363ȱ

13

Dienstunfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern

StatistischesȱBundesamtȱ(2007).ȱPressemeldung:ȱLehrerinnenȱundȱLehrerȱ gehenȱ imȱ Schnittȱ mitȱ 62ȱ Jahrenȱ inȱ Pension.ȱ Verfügbarȱ unterȱ http://www.presseportal.de/pm/32102/954303/statistisches_bundesȬ amtȱ[13.03.ȱ2007].ȱ Stück,ȱ M.,ȱ Rigotti,ȱ T.ȱ &ȱ Mohr,ȱ G.ȱ (2004).ȱ Untersuchungȱ derȱ WirkȬ samkeitȱeinesȱBelastungsbewältigungstrainingsȱfürȱdenȱLehrerberuf.ȱ PsychologieȱinȱErziehungȱundȱUnterricht,ȱ51,ȱ234ȱȬȱ242.ȱ Vogel,ȱH.,ȱScheuch,ȱK.,ȱNaumann,ȱW.ȱ&ȱKoch,ȱR.ȱ(1988).ȱEinflussfakȬ torenȱaufȱdenȱGesundheitszustandȱvonȱPädagogen.ȱZeitschriftȱfürȱdieȱ GesamteȱHygiene,ȱ34,ȱ642Ȭ643.ȱȱ Watts,ȱD.ȱW.ȱ&ȱShort,ȱA.ȱP.ȱ(1990).ȱTeacherȱdrugȱuse:ȱAȱresponseȱtoȱ occupationalȱstress.ȱJournalȱofȱȱDrugȱEducation,ȱ20,ȱ47Ȭ65.ȱȱ Wegner,ȱR.,ȱLadendorf,ȱB.,ȱMindtȬPrüfert,ȱS.ȱ&ȱPoschadel,ȱB.ȱ(1998).ȱ Psychomentaleȱ Belastungȱ undȱ Beanspruchungȱ imȱ Lehrerberuf,ȱ ErȬ gebnisseȱ einerȱ Fragebogenerhebung.ȱ Arbeitsmedizin,ȱ Sozialmedizin,ȱ Umweltmedizin,ȱ33,ȱ248Ȭ259.ȱȱ Zapf,ȱ D.ȱ (1993).ȱ StressȬorientedȱ jobȱ analysisȱ ofȱ computerizedȱ officeȱ work.ȱTheȱEuropeanȱWorkȱandȱOrganizationalȱPsychologist,ȱ3,ȱ85Ȭ100.ȱȱ Zapf,ȱD.ȱ&ȱSemmer,ȱN.ȱ(2004).ȱStressȱundȱGesundheitȱinȱOrganisatiȬ onen.ȱ Inȱ H.ȱ Schulerȱ (Hrsg.),ȱ Enzyklopädieȱ derȱ Psychologie,ȱ ThemenbeȬ reichȱD,ȱSerieȱIII,ȱBandȱ3ȱOrganisationspsychologieȱ(S.ȱ1007Ȭ1112).ȱGötȬ tingen:ȱHogrefe.ȱ

364ȱ

Einleitung

14.1

Einzelkämpfer oder Teamplayer? Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

Kapitel 14

Sebastian Stegmann

365

Einleitung

14.1

14.1

Einleitung

EineȱSchuleȱistȱeinȱsozialesȱGebilde,ȱeinȱZusammenschlussȱmehrererȱ Personenȱ –ȱ Lehrkräfte,ȱ Schüler,ȱ Schulleitungȱ etc.ȱ Dieseȱ Personenȱ sindȱ überȱ eineȱ komplexeȱAufgabenteilungȱ mitȬȱ undȱ nebeneinanderȱ tätig.ȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrerȱ könnenȱ zumȱ Beispielȱ miteinanderȱ kooperieren,ȱ indemȱ sieȱ gemeinsamȱ unterrichtenȱ oderȱ indemȱ sieȱ ErfahrungenȱimȱUmgangȱmitȱschwierigenȱKlassenȱaustauschen.ȱSieȱ könnenȱ Unterrichtsmaterialienȱ austauschenȱ oderȱ gemeinsameȱ ResȬ sourcenȱnutzen.ȱSieȱkönnenȱaberȱauchȱallȱdiesȱgeradeȱnichtȱtunȱundȱ weitgehendȱ alleineȱ arbeiten.ȱ Sieȱ könnenȱ sichȱ gegenseitigȱ inȱ KonfeȬ renzenȱ nichtȱ zuȱ Wortȱ kommenȱ lassen,ȱ sieȱ könnenȱ sichȱ hinsichtlichȱ derȱ richtigenȱ Lehrphilosophieȱ uneinsȱ seinȱ undȱ unterȱ einerȱ gemeinȬ samenȱAufgabeȱetwasȱvölligȱanderesȱverstehen.ȱDiesȱsindȱnurȱeinigeȱ wenigeȱ Beispiele,ȱ dieȱ zeigen,ȱ wieȱ Lehrkräfteȱ eineȱ besondereȱ Formȱ vonȱBedingungȱfürȱihreȱArbeitȱerschaffen:ȱsozialeȱArbeitsbedingunȬ gen.ȱDieseȱBedingungenȱsindȱfürȱdeutscheȱSchulenȱderzeitȱimȱHinȬ blickȱaufȱzweiȱDingeȱbesondersȱrelevant:ȱdieȱQualitätȱderȱArbeitȱundȱ dieȱBelastungȱderȱLehrkräfte.ȱAusȱanderenȱPraxisfeldernȱistȱbekannt,ȱ dassȱ sozialeȱArbeitsbedingungenȱ dieȱ Effektivitätȱ undȱ Effizienzȱ derȱ Arbeitȱsignifikantȱbeeinflussenȱkönnenȱ–ȱundȱzwarȱimȱnegativenȱwieȱ imȱ positivenȱ Sinnȱ (z.B.ȱ Hackman,ȱ 1992;ȱ West,ȱ Brodbeckȱ &ȱ Richter,ȱ 2004;ȱWest,ȱTjosvoldȱ&ȱSmith,ȱ2003).ȱGleichesȱgiltȱfürȱdasȱpsychischeȱ undȱ somatischeȱ Wohlbefindenȱ (z.B.ȱ Kahnȱ &ȱ Byosiere,ȱ 1992;ȱ Leȱ Blanc,ȱ deȱ Jongeȱ &ȱ Schaufeli,ȱ 2000;ȱ Sonnentagȱ &ȱ Frese,ȱ 2003).ȱAuchȱ fürȱSchulenȱbestehenȱbereitsȱvereinzelteȱHinweiseȱdarauf,ȱwieȱwichȬ tigȱsozialeȱFaktoren,ȱwieȱzumȱBeispielȱsozialeȱUnterstützungȱdurchȱ Kollegen,ȱ fürȱ dieȱ Belastungȱ derȱ Lehrkräfteȱ undȱ dieȱ Effektivitätȱ derȱ Arbeitȱsindȱ(vanȱDick,ȱWagnerȱ&ȱPetzel,ȱ1999;ȱGrivaȱ&ȱJoekes,ȱ2003;ȱ Kittelȱ&ȱLeynen,ȱ2003;ȱNeuenschwander,ȱ2003).ȱ Sozialeȱ Arbeitsbedingungenȱ anȱ Schulenȱ zuȱ gestaltenȱ magȱ alsoȱ zuȬ nächstȱ verlockendȱ klingen.ȱ Beiȱ näheremȱ Hinschauenȱ erweisenȱ sichȱ vieleȱ derȱ Zusammenhängeȱ jedochȱ alsȱ rechtȱ komplex,ȱ soȱ dassȱ dieȱ Ableitungȱ einfacherȱ Handlungsregelnȱ nichtȱ immerȱ möglichȱ ist.ȱ Auchȱ istȱ fraglich,ȱ obȱ bisherigeȱ Erkenntnisseȱ ausȱ anderenȱ Bereichenȱ aufȱdieȱSchuleȱübertragenȱwerdenȱkönnen.ȱZumȱBeispielȱsindȱLehrȬ kräfte,ȱ imȱ Gegensatzȱ zuȱ vielenȱ Arbeitendenȱ imȱ industriellenȱ KonȬ text,ȱgewöhnlichȱnichtȱnurȱinȱeinerȱeinzelnenȱGruppeȱtätig,ȱsondernȱ arbeitenȱ sowohlȱ alleineȱ alsȱ auchȱ inȱ verschiedenenȱ Gruppen,ȱ dieȱ

367ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

zudemȱineinanderȱverschachteltȱseinȱkönnenȱ(Stegmann,ȱ2004).ȱDieȬ sesȱ Kapitelȱ möchteȱ einenȱ Wegȱ aufzeigen,ȱ wieȱ dasȱ Themaȱ sozialeȱ Arbeitsbedingungenȱ anȱ Schulenȱ zukünftigȱ fürȱ Interventionenȱ undȱ Forschungȱzugänglichȱgemachtȱwerdenȱkann.ȱȱ

14.2

Bisherige Erkenntnisse zu sozialen Arbeitsbedingungen an Schulen

VorȱdemȱHintergrundȱderȱlangenȱForschungstraditionȱumȱdieȱsoziaȬ lenȱ Aspekteȱ derȱ Arbeitȱ istȱ esȱ nichtȱ verwunderlich,ȱ dassȱ auchȱ anȱ Schulenȱ schonȱ vorȱ einigerȱ Zeitȱ versuchtȱ wurde,ȱ überȱ derenȱ GestalȬ tungȱ eineȱ bessereȱ Arbeitsumgebungȱ zuȱ erreichen.ȱ Inȱ diesemȱ ZuȬ sammenhangȱstehtȱvorȱallemȱdieȱForderungȱnachȱmehrȱundȱintensiȬ vererȱZusammenarbeitȱunterȱdenȱLehrern.ȱHargreavesȱ(1994)ȱnenntȱ dieȱdamitȱverbundenenȱHoffnungen:ȱ Zusammenarbeitȱ

„ erzeugtȱ moralischeȱ Unterstützungȱ (z.B.ȱ beiȱ Schwierigkeitenȱ imȱ ZusammenhangȱmitȱVeränderungsprozessen),ȱ

„ erhöhtȱdieȱEffizienzȱindemȱRedundanzenȱwegfallen,ȱ „ verbessertȱdieȱEffektivität,ȱ „ reduziertȱ dieȱ Belastungȱ derȱ Lehrer,ȱ indemȱ sieȱ aufȱ mehreȱ SchulȬ ternȱverteiltȱwird,ȱ

„ setztȱ Standardsȱ fürȱ guteȱ Arbeitȱ undȱ reduziertȱ dadurchȱ UnsicherȬ heitȱ undȱ Schuldgefühle,ȱ indemȱ geteilteȱAnsichtenȱ darüberȱ erarȬ beitetȱwerden,ȱwasȱvernünftigerweiseȱerreichtȱwerdenȱkann,ȱ

„ fördertȱ dieȱ Zuversichtȱ externȱ vorgeschlageneȱ Innovationenȱ umȬ setzenȱzuȱkönnen,ȱdieȱWeisheitȱsieȱggf.ȱzuȱverzögernȱundȱdieȱmoȬ ralischeȱStärkeȱihnenȱzuȱwiderstehen,ȱ

„ fördertȱ dieȱ Reflexion.ȱ Zusammenarbeitȱ inȱ Wortȱ undȱ Tatȱ istȱ eineȱ guteȱQuelleȱfürȱFeedbackȱundȱfürȱVergleiche.ȱBeidesȱhilftȱdabei,ȱ dieȱeigeneȱUnterrichtspraxisȱzuȱüberdenken,ȱ

368ȱ

Bisherige Erkenntnisse zu sozialen Arbeitsbedingungen an Schulen

14.2

„ fördertȱ dieȱ Weiterentwicklung,ȱ indemȱ sieȱ Lehrkräfteȱ ermutigt,ȱ Veränderungȱ nichtȱ alsȱ zuȱ erledigendeȱ Aufgabeȱ zuȱ begreifen,ȱ sondernȱalsȱanhaltendenȱProzessȱstetigerȱVerbesserung.ȱ Diesenȱ erhofftenȱ Vorteilenȱ einerȱ kooperativenȱ Arbeitsweiseȱ stehenȱ jedochȱ auchȱ Befürchtungenȱ gegenüber.ȱ Johnsonȱ (2003)ȱ fasstȱ einigeȱ davonȱzusammen:ȱDaȱsindȱzunächstȱdieȱgruppendynamischenȱRisiken,ȱ wieȱz.B.ȱGroupȱThinkȱ–ȱeineȱunkritischeȱKonformitätȱgegenüberȱderȱ Mehrheit,ȱ gekoppeltȱ mitȱ derȱ Unterdrückungȱ abweichenderȱ indiviȬ duellerȱ Ansichten.ȱ Auchȱ wirdȱ eineȱ Politisierungȱ derȱ Interaktionenȱ befürchtetȱ –ȱ d.h.ȱ sieȱ drehenȱ sichȱ zunehmendȱ umȱ Machtȱ undȱ EinȬ fluss,ȱ wasȱ zuȱ Spannungenȱ führenȱ kannȱ undȱ dieȱ Gefahrȱ beinhaltet,ȱ dassȱ dieȱ Reformenȱ hinterȱ ihremȱ eigentlichenȱ Potenzialȱ zurückbleiȬ ben.ȱ Letztlichȱ könntenȱ auchȱ widersprüchlicheȱ Rollenanforderungenȱ anȱ Schulleiterȱ undȱ Lehrerȱ entstehen,ȱ derenȱ klassischeȱ Rollenȱ überȱ einȱ striktȱ hierarchischesȱ Linienmanagementȱ definiertȱ sindȱ undȱ damitȱ zumȱ Teilȱ neuȱ eingeführten,ȱ demokratischȬkollaborativenȱ ArbeitsȬ formenȱ widersprechen.ȱ Einigeȱ Kritikerȱ vermutenȱ sogarȱ hinterȱ derȱ gängigenȱ KollaborationsȬRhetorikȱ denȱ Versuch,ȱ einȱ manipulativesȱ Managementinstrumentȱ aufȱ Basisȱ gegenseitigerȱ Kontrolleȱ zuȱ etablieȬ ren.ȱ Vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ erhofftenȱ Vorteileȱ undȱ befürchtetenȱ GeȬ fahrenȱderȱvermehrtenȱZusammenarbeitȱführteȱJohnsonȱ(2003)ȱeineȱ Fragebogenstudieȱ undȱ begleitendeȱ Interviewsȱ anȱ verschiedenenȱ australischenȱSchulenȱdurch.ȱAnȱjederȱderȱvierȱSchulenȱhattenȱzuvorȱ MaßnahmenȱzurȱEinführungȱkollaborativerȱArbeitsprozesseȱstattgeȬ funden.ȱDieȱErgebnisseȱzeigten,ȱdassȱinfolgeȱderȱMaßnahmenȱmehrȱ alsȱ85%ȱderȱbefragtenȱLehrerȱinȱbeträchtlichemȱAusmaßȱinȱkollaboȬ rativeȱArbeitsstrukturenȱ integriertȱ waren.ȱ Mehrȱ alsȱ 90%ȱ derȱ Lehrerȱ gabenȱ an,ȱ inȱ beträchtlichemȱ Ausmaßȱ vonȱ ihrenȱ Kollegenȱ imȱ Teamȱ unterstütztȱzuȱwerden.ȱAuchȱpositiveȱEffekteȱaufȱPartizipation,ȱAbȬ sentismus,ȱ Selbstbewusstseinȱ derȱ Lehrer,ȱ Zugehörigkeitsgefühl,ȱ „Senseȱofȱownership“,ȱVertrauen,ȱOffenheitȱundȱSelbstȬOffenbarungȱ unterȱKollegenȱwurdenȱvonȱdenȱLehrernȱberichtet.ȱMehrȱalsȱ80%ȱderȱ Lehrerȱ fühltenȱ sichȱ alsȱ Teilȱ einerȱ Learningȱ Communityȱ undȱ gabenȱ an,ȱdassȱsieȱjetztȱmehrȱvonȱKollegenȱlernenȱalsȱzuvor.ȱDiesȱtrafȱinsȬ besondereȱfürȱjungeȱundȱunerfahreneȱLehrerȱzu.ȱTraditionelleȱFachȬ barrierenȱ konntenȱ überwundenȱ werden.ȱ Dieȱ neuenȱArbeitsstruktuȬ renȱwurdenȱalsȱdeutlichesȱPlusȱerlebt,ȱsowohlȱinȱBezugȱaufȱdieȱReȬ flektionsfähigkeitȱderȱeigenenȱTätigkeitȱalsȱauchȱaufȱdieȱLokalisationȱ

369ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

desȱ eigenenȱ Unterrichtensȱ inȱ einerȱ breiteren,ȱ kohärentenȱ UnterȬ richtsphilosophie.ȱ Dieȱ Qualitätȱ derȱ interpersonellenȱ Beziehungenȱ wurdeȱalsȱSchlüsselfaktorȱbeimȱkritischenȱundȱoftmalsȱfürȱdenȱeinȬ zelnenȱ Lehrerȱ bedrohlichenȱ Hinterfragenȱ derȱ eigenenȱ UnterrichtsȬ praxisȱimȱTeamȱgesehen.ȱEinȱGroßteilȱderȱLehrerȱberichteteȱzudem,ȱ dassȱ dieȱArbeitȱ imȱ Teamȱ zuȱ einerȱ Verringerungȱ derȱArbeitslastȱ geȬ führtȱhat.ȱȱ TrotzȱdieserȱerfreulichenȱErgebnisseȱzeigtenȱsichȱauchȱeinigeȱnegatiȬ veȱ Effekteȱ derȱ neuenȱArbeitsorganisation.ȱ Beiȱ überȱ 40%ȱ derȱ Lehrerȱ führtenȱ dieȱ neuenȱ Strukturenȱ nichtȱ zuȱ einerȱ Verringerungȱ derȱ ArȬ beitslast.ȱ Imȱ Gegenteil,ȱ einȱ beträchtlicherȱ Anteilȱ berichteteȱ vonȱ zuȬ sätzlichenȱ Belastungenȱ durchȱ Absprachenȱ undȱ Koordination.ȱ GraȬ vierendȱwarȱauchȱderȱVerlustȱanȱpersönlicherȱAutonomie,ȱdenȱnaheȬ zuȱ einȱ Viertelȱ derȱ Lehrerȱ alsȱ Mankoȱ derȱ neuenȱ Arbeitsweiseȱ angaben.ȱ Einschränkungen,ȱ Anpassungsdruckȱ undȱ dieȱ Vermutungȱ „hinterȱdemȱGanzenȱsteckeȱeineȱKontrollstrategieȱderȱSchulleitung“ȱ wurdenȱ ebenfallsȱ genannt.ȱ Esȱ gabȱ Konflikteȱ zwischenȱ jenenȱ KolleȬ gen,ȱdieȱbereitwilligȱzurȱneuenȱArbeitsweiseȱwechselten,ȱundȱjenen,ȱ dieȱ alsȱ „Abweichler“,ȱ „Widerständler“,ȱ „Blockierer“ȱ undȱ „Backȱ Stabbers“ȱ stigmatisiertȱ undȱ zumȱ Teilȱ marginalisiertȱ wurden.ȱ DarȬ überȱhinausȱgabȱesȱWettstreitȱundȱKonflikteȱzwischenȱdenȱneuȱetabȬ liertenȱ Gruppen.ȱ Dasȱ Kollegiumȱ wurdeȱ alsȱ uneinsȱ erlebt,ȱ eineȱ geȬ meinsameȱLinieȱfehlteȱteilweise.ȱȱ DamitȱzeigtȱdieȱStudie,ȱwieȱvielfältigȱdieȱsozialenȱArbeitsbedingunȬ genȱ anȱ Schulenȱ seinȱ könnenȱ undȱ welcheȱ Dynamikȱ darinȱ bisweilenȱ zuȱ findenȱ ist.ȱ Dieȱ Ergebnisseȱ lassenȱ auchȱ fürȱ deutscheȱ Schulenȱ aufȱ eineȱ positiveȱ Auswirkungȱ verstärkterȱ Bemühungenȱ umȱ mehrȱ KoȬ operationȱ hoffen,ȱ sieȱ zeigenȱ aberȱ zugleich,ȱ dassȱ Kooperationȱ nichtȱ selbstverständlich,ȱ anȱ jederȱ Schuleȱ undȱ beiȱ allenȱ Lehrernȱ positiveȱ Effekteȱ hervorruft.ȱ KooperativesȱArbeitenȱ kannȱ erstaunlichȱ vorteilȬ haftȱsein,ȱistȱesȱaberȱbeiȱweitemȱnichtȱautomatisch,ȱfürȱjedenȱundȱinȱ jederȱForm.ȱ Inȱ Deutschlandȱ gibtȱ esȱ unterȱ Lehrernȱ schonȱ seitȱ einigerȱ Zeitȱ eineȱ durchausȱ positiveȱ Grundstimmungȱ gegenüberȱ Kooperation.ȱ KontȬ rärȱzuȱdieserȱEinstellungȱfindetȱEsslingerȬHinzȱ(2003)ȱinȱeinerȱInterȬ viewstudieȱ mitȱ badenȬwürttembergischenȱ Lehrern,ȱ dassȱ nurȱ jedeȱ elfteȱ Lehrkraftȱ jemalsȱ tatsächlichȱ gemeinsamȱ mitȱ einemȱ Kollegenȱ unterrichtetȱundȱnurȱeinȱViertelȱgemeinsamȱMaterialienȱangefertigtȱ

370ȱ

Bisherige Erkenntnisse zu sozialen Arbeitsbedingungen an Schulen

14.2

oderȱ Unterrichtȱ gemeinsamȱ vorbereitetȱ hat.ȱ Insgesamtȱ werdeȱ dieȱ Kooperationsbereitschaftȱ umsoȱ zurückhaltender,ȱ jeȱ mehrȱ derȱ indiȬ viduelleȱUnterrichtȱbetroffenȱsei.ȱDerȱAustauschȱvonȱMaterialienȱseiȱ dementsprechendȱ wesentlichȱ beliebterȱ alsȱ dasȱ gemeinsameȱ UnterȬ richten.ȱ Dieȱ vorherrschendeȱ Formȱ derȱ Zusammenarbeitȱ bezeichnetȱ EsslingerȬHinzȱ alsȱ „Kooperationȱ alsȱ Austausch“:ȱ „Ausgetauschtȱ werdenȱ Informationenȱ (z.B.ȱ überȱ dasȱ Verhaltenȱ vonȱ Schülerinnenȱ undȱ Schülern),ȱ Einschätzungenȱ (z.B.ȱ hinsichtlichȱ derȱ AngemessenȬ heitȱ vonȱ Beurteilungen)ȱ undȱ Materialienȱ (z.B.ȱArbeitsblätter)“ȱ (EssȬ lingerȬHinz,ȱ 2003,ȱ S.ȱ 15).ȱ Alsȱ größteȱ Hindernisseȱ fürȱ Kooperationȱ werdenȱ vonȱ denȱ Befragtenȱ dieȱ Wahrungȱ individuellerȱ Autonomie,ȱ Vorbehalteȱ imȱ zwischenmenschlichenȱ Bereich,ȱ eineȱ beruflicheȱAusȬ bildungȱ undȱ Sozialisation,ȱ dieȱ kaumȱ zurȱ Kooperationȱ anregtȱ undȱ befähigt,ȱ sowieȱ mangelndeȱ räumlicheȱ undȱ zeitlicheȱ VoraussetzunȬ genȱgenannt.ȱ Dergestaltȱ zurückhaltendeȱ Kooperationȱ löstȱ häufigȱ Missfallenȱ aus,ȱ da,ȱangeheiztȱdurchȱPISA,ȱderȱKooperationȱanȱSchulenȱderzeitȱeineȱ hoheȱ Wertigkeitȱ zugeschriebenȱ wird.ȱ Inȱ derȱ Diskussionȱ umȱ SchulȬ entwicklungȱ wirdȱ gemeinhinȱ zuȱ intensivererȱ Kooperationȱ aufgeruȬ fen,ȱ dennȱ Schulentwicklungȱ ohneȱ gemeinschaftlichȬkooperativeȱ AnstrengungenȱdesȱKollegiumsȱseiȱvonȱvornhereinȱeineȱaussichtsloȬ seȱAngelegenheitȱ(EsslingerȬHinz,ȱ2003;ȱKlippert,ȱ2000;ȱSeitz,ȱ2005).ȱ Gerneȱwirdȱauchȱdaraufȱverwiesen,ȱdassȱKooperationȱunterȱLehrernȱ eineȱ wichtigeȱ Voraussetzungȱ fürȱ dieȱ Vermittlungȱ vonȱ kooperativenȱ Kompetenzenȱ anȱ dieȱ Schülerȱ darstellt,ȱ wasȱ letztlichȱ unterȱ demȱ Dachbegriffȱ „Vermittlungȱ vonȱ Schlüsselqualifikationen“ȱ ganzȱ zentȬ ralȱ imȱ Interesseȱ derȱ deutschenȱ Bildungslandschaftȱ stehtȱ (Klippert,ȱ 1998).ȱEsȱfindenȱsichȱdementsprechendȱbereitsȱinteressanteȱPraxisbeȬ richteȱ ausȱ Schulenȱ (z.B.ȱ Gerstlauer,ȱ 2003;ȱ Paulsen,ȱ 2003)ȱ undȱ auchȱ sehrȱ detaillierteȱ Konzepteȱ zurȱ breitenȱ Umsetzungȱ vonȱ Teamarbeitȱ imȱ Rahmenȱ vonȱ Schulentwicklungsmaßnahmenȱ (Klippert,ȱ 1998,ȱ 2000).ȱ Inȱ diesemȱ Punktȱ istȱ dieȱ Praxisȱ anȱ deutschenȱ Schulenȱ derȱ WissenȬ schaftȱ umȱ Meilenȱ voraus.ȱAbgesehenȱ vonȱ einigenȱ wenigenȱ empiriȬ schenȱArbeitenȱ zumȱ Themaȱ Kooperationȱ anȱ Schulen,ȱ derenȱ methoȬ discheȱQualitätȱzudemȱnichtȱimmerȱvollȱzuȱüberzeugenȱvermag,ȱgibtȱ esȱbislangȱnurȱwenigeȱStudienȱdieȱaufzeigen,ȱwieȱsozialeȱArbeitsbeȬ dingungenȱanȱSchulenȱtatsächlichȱaussehen,ȱwelcheȱVeränderungenȱ derȱsozialenȱArbeitsbedingungenȱzuȱwelchenȱKonsequenzenȱgeführtȱ

371ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

habenȱ oderȱ dieȱ garȱ versuchen,ȱ dieȱ Übertragbarkeitȱ bisherigerȱ ErȬ kenntnisseȱ ausȱ anderenȱ Tätigkeitsfeldernȱ aufȱ dieȱ Schuleȱzuȱ prüfen.ȱ Derzeitȱ existierenȱ deutlichȱ mehrȱ Praxisberichteȱ undȱ RatgeberliteraȬ turȱzumȱThemaȱalsȱwissenschaftlichȱgesicherteȱErkenntnisse,ȱaufȱdieȱ sieȱsichȱberufenȱkönntenȱ–ȱeineȱinȱgewissemȱSinneȱgefährlicheȱSituaȬ tion.ȱ Dieȱ daherȱ dringendȱ notwendigeȱ Forschungȱ –ȱ u.a.ȱ auchȱ zumȱ Designȱ undȱ zurȱ Evaluationȱ vonȱ Interventionenȱ –ȱ mussȱ aufȱ einemȱ möglichstȱ klarenȱ Verständnisȱ davonȱ aufbauen,ȱ wasȱ unterȱ sozialenȱ Arbeitsbedingungenȱeigentlichȱzuȱverstehenȱist.ȱ

14.3

Was sind eigentlich soziale Arbeitsbedingungen?

Dieȱ wesentlicheȱ Eigenschaftȱ sozialerȱ Arbeitsbedingungenȱ istȱ derenȱ EinflussȱaufȱdieȱeingebundenenȱPersonenȱ(undȱsomitȱauchȱaufȱsichȱ selbst).ȱ Vereinfachendȱ kannȱ manȱ zweiȱ Wegeȱ aufführen,ȱ überȱ dieȱ MenschenȱvonȱihremȱsozialenȱUmfeldȱbeeinflusstȱwerdenȱ(vgl.ȱTurȬ ner,ȱ1991):ȱ 1. MenschenȱwerdenȱvonȱGruppenȱ(oderȱPersonen)ȱbeeinflusst,ȱweilȱ sieȱ bezüglichȱ ihrerȱ Zieleȱ undȱ Arbeitsaufgabenȱ interdependentȱ sindȱ (zumȱ Beispielȱ wennȱ verschiedeneȱ Lehrerȱ dasȱ Zielȱ haben,ȱ ihrenȱ UnterrichtȱmitȱmodernerȱTechnologieȱzuȱunterfüttern,ȱdieȱSchuleȱ aberȱ nurȱ einenȱ Computerraumȱ mitȱ entsprechendenȱArbeitsplätȬ zenȱhat).ȱȱ 2. MenschenȱwerdenȱvonȱeinerȱGruppeȱ(oderȱPersonen)ȱbeeinflusst,ȱ weilȱdieseȱfürȱihreȱeigeneȱIdentitätȱeineȱBedeutungȱhatȱ(zumȱBeispielȱ wirdȱsichȱeinȱLehrer,ȱderȱsichȱsehrȱmitȱdemȱFachbereichȱMatheȬ matikȱ seinerȱ Schuleȱ identifiziert,ȱ fürȱ diesenȱ einsetzen,ȱ selbstȱ wennȱdiesȱfürȱihnȱalsȱIndividuumȱkeineȱdirektenȱVorteileȱbringtȱ–ȱ wieȱetwaȱeinȱhöheresȱGehalt).ȱȱ DieȱAuswahlȱ theoretischerȱ Konzepteȱzurȱ Beschreibungȱ sozialerȱArȬ beitsbedingungenȱ anȱ Schulenȱ sollteȱ folgerichtigȱ entlangȱ derȱ beidenȱ obenȱ beschriebenenȱ EinflussȬWegeȱ erfolgen.ȱ Sowohlȱ zurȱ Identität,ȱ wieȱauchȱzumȱinterdependentenȱHandelnȱbestehenȱbereitsȱbewährteȱ theoretischeȱAnsätze,ȱ mitȱ denenȱ sichȱ auchȱ komplexereȱ sozialeȱ SysȬ

372ȱ

Was sind eigentlich soziale Arbeitsbedingungen?

14.3

teme,ȱ dieȱ mehrereȱ Gruppenȱ undȱ hierarchischeȱ Ebenenȱ umfassen,ȱ beschreibenȱlassen.ȱ

14.3.1

Sozialer Einfluss durch Identifikation

BezüglichȱderȱSozialenȱIdentitätȱstehtȱmitȱdemȱSocialȱIdentityȱApproȬ achȱ(SIA,ȱHaslam,ȱ2004)ȱeinȱsozialpsychologischerȱAnsatzȱzurȱVerfüȬ gung,ȱ derȱ sichȱ bereitsȱ seitȱ einigerȱ Zeitȱ imȱ organisationspsychologiȬ schenȱ Kontextȱ bewährtȱ hatȱ (Ashforthȱ &ȱ Mael,ȱ 1989;ȱ Haslam,ȱ 2004;ȱ Hoggȱ &ȱ Terry,ȱ 2001).ȱ Alsȱ Kernstückȱ desȱ Ansatzesȱ fungiertȱ dieȱ AnȬ nahme,ȱdassȱMenschenȱeinenȱTeilȱihrerȱIdentitätȱdurchȱdieȱZugehöȬ rigkeitȱzuȱeinerȱoderȱmehrerenȱGruppenȱ(sozialenȱKategorien)ȱerhalȬ tenȱ–ȱihreȱSozialeȱIdentität.ȱInȱdemȱMaßeȱwieȱdieseȱSozialeȱIdentitätȱinȱ einerȱ spezifischenȱ Situationȱ anȱ subjektiverȱ Bedeutungȱ (Salienz)ȱ geȬ winnt,ȱwirdȱdieȱjeweiligeȱKategoriezugehörigkeitȱdasȱDenken,ȱFühȬ lenȱundȱHandelnȱderȱbetreffendenȱPersonȱweitgehendȱbeeinflussen.ȱ DerȱSIAȱgehtȱdavonȱaus,ȱdassȱwirȱgrundsätzlichȱnachȱeinerȱpositivenȱ Identitätȱstreben.ȱDaherȱmöchtenȱwir,ȱwennȱeineȱbestimmteȱKategoȬ rieȱ unserȱ Selbstverständnisȱ bestimmt,ȱ unsereȱ Gruppeȱ imȱ Vergleichȱ zuȱ anderenȱ Gruppenȱ möglichstȱ positivȱ dastehenȱ lassen.ȱ Innerhalbȱ derȱ Gruppeȱ versuchenȱ wirȱ möglichstȱ denȱ gültigenȱ Idealenȱ derȱ Gruppeȱ näherȱ zuȱ kommen.ȱ Wennȱ aberȱ dieȱ Gruppenzugehörigkeitȱ keineȱBedeutsamkeitȱfürȱunsȱhat,ȱwirdȱunsȱwederȱdasȱAbschneidenȱ derȱGruppeȱinteressieren,ȱnochȱwerdenȱwirȱunsȱbemühen,ȱeinȱgutesȱ Gruppenmitgliedȱ zuȱ sein.ȱ Gehtȱ dasȱ vielenȱ Gruppenmitgliederȱ so,ȱ dannȱ hörtȱ dieȱ Gruppeȱ inȱ gewisserȱ Hinsichtȱ aufȱ zuȱexistieren.ȱ Grobȱ formuliertȱ kannȱ manȱ deshalbȱ auchȱ sagen,ȱ dassȱ „Individuen“ȱ (oderȱ „Einzelkämpfer“)ȱ alleineȱ undȱ „Gruppenmitglieder“ȱ imȱ Teamȱ dieȱ bessereȱ Leistungȱ erbringen.ȱ Alleȱ anderenȱ Kombinationenȱ sindȱ aufȱ dieȱ Leistungȱ bezogenȱ suboptimalȱ undȱ wahrscheinlichȱ auchȱ belasȬ tendȱ (vgl.ȱ Haslam,ȱ 2004).ȱ Beispielsweiseȱ wäreȱ anzunehmen,ȱ dassȱ Lehrer,ȱfürȱdieȱihreȱUnterrichtstätigkeitȱganzȱklarȱeineȱEinzelaufgabeȱ ist,ȱkeineȱFreudeȱhabenȱwerden,ȱwennȱsieȱinȱeinemȱUnterrichtsteamȱ gemeinsamȱvorȱderȱKlasseȱstehenȱsollen.ȱEbensoȱistȱeinȱbegeisterterȱ Verfechterȱ desȱ TeamȬUnterrichtensȱ anȱ einerȱ Schule,ȱ anȱ derȱ IndiviȬ dualunterrichtȱdieȱNormȱist,ȱvermutlichȱbaldȱfrustriert.ȱȱ Dieseȱ Bedeutsamkeitȱ einerȱ sozialenȱ Kategorieȱ kannȱ überȱ verschieȬ deneȱSituationenȱhinwegȱbeträchtlichȱschwanken.ȱDennochȱsindȱfürȱ

373ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

jedeȱ Personȱ bestimmteȱ Kategorienȱ bedeutsamerȱundȱwerdenȱ häufiȬ gerȱ relevant,ȱ weilȱ sieȱ imȱ Selbstkonzeptȱ derȱ Personȱ eineȱ besondersȱ wichtigeȱRolleȱeinnehmen.ȱInȱempirischenȱStudienȱwirdȱdaherȱmeistȱ dieseȱzeitlichȱstabilereȱIdentifikationȱerhobenȱ(zurȱMessungȱsieheȱz.B.ȱ Haslam,ȱ 2004;ȱ Stegmann,ȱ 2004).ȱ Dieȱ Identifikationȱ istȱ einȱ wesentliȬ cherȱ Faktor,ȱ derȱ bestimmt,ȱ obȱ wirȱ unsȱ inȱ einerȱ konkretenȱ Situationȱ alsȱMitgliedȱeinerȱbestimmtenȱGruppeȱfühlen.ȱ EinȱweitererȱwesentlicherȱFaktor,ȱderȱdieȱBedeutsamkeitȱeinerȱsoziaȬ lenȱ Kategorieȱ inȱ einerȱ Situationȱ bestimmt,ȱ istȱ dieȱ wahrgenommeneȱ Ähnlichkeitȱ derȱ Mitgliederȱ imȱ Vergleichȱ zuȱ denȱ NichtȬMitgliedernȱ (TurȬ ner,ȱHogg,ȱOakes,ȱReicherȱ&ȱWetherell,ȱ1987).ȱFürȱdasȱFunktionierenȱ einerȱArbeitsgruppeȱistȱdaherȱderȱUmgangȱmitȱUnterschiedenȱzwiȬ schenȱ denȱ Mitgliedernȱ zentral.ȱ Empirischȱ erweistȱ esȱ sichȱ dabeiȱ alsȱ überlegen,ȱ dieȱ wahrgenommenenȱ Unterschiedeȱ (z.B.ȱ inȱ denȱ pädaȬ gogischenȱ Vorstellungenȱ zwischenȱ älterenȱ undȱ jüngerenȱ LehrkräfȬ ten)ȱ nichtȱ alleinȱ durchȱ dieȱ Betonungȱ derȱ Gemeinsamkeitenȱ auszuȬ blendenȱ (z.B.ȱ durchȱ Betonungȱ desȱ gemeinsamenȱ Zielsȱ einerȱ gutenȱ Schulbildungȱ fürȱ alleȱ Schüler).ȱ Vielmehrȱ erweistȱ esȱ sichȱ alsȱ effektiȬ ver,ȱ wennȱ derartȱ heterogeneȱ Gruppenȱ eineȱ gemeinsameȱ sozialeȱ IȬ dentitätȱ entwickeln,ȱ dieȱ dieȱ Unterschiedeȱ beinhaltet,ȱ ihnenȱ Sinnȱ verleihtȱundȱsieȱnützlichȱerscheinenȱlässtȱ(OrganischerȱPluralismus,ȱ Haslam,ȱ 2004).ȱ Einȱ Beispielȱ hierfürȱ wäreȱ einȱ Lehrerkollegium,ȱ dasȱ sichȱ darüberȱ definiert,ȱ dassȱ altȱ bewährtesȱ Erfahrungswissen,ȱ geȬ wonnenȱdurchȱjahrelangeȱPraxis,ȱmitȱaktuellenȱAnsätzenȱdirektȱausȱ derȱ Hochschuleȱ kombiniertȱ werden.ȱ Ältereȱ undȱ jüngereȱ Lehrkräfteȱ ergänzenȱsich,ȱsoȱdassȱsieȱgemeinsamȱmehrȱerreichenȱalsȱeineȱGrupȬ peȱalleinȱesȱjeȱgekonntȱhätteȱ–ȱnichtȱtrotzȱderȱUnterschiede,ȱsondernȱ geradeȱwegenȱihnen.ȱȱ

374ȱ

Derȱ Socialȱ Identityȱ Approachȱ istȱ bislangȱ inȱ Schulenȱ nurȱ vereinzeltȱ zurȱ Anwendungȱ gekommen.ȱ Vanȱ Dickȱ undȱ Wagnerȱ (2002)ȱ fandenȱ zumȱBeispielȱbeträchtlicheȱZusammenhängeȱzwischenȱIdentifikationȱ undȱ einemȱ anerkanntenȱ Verfahrenȱ zurȱ subjektivenȱ Arbeitsanalyseȱ (JDS,ȱ vgl.ȱ vanȱ Dick,ȱ Schnitger,ȱ Schwartzmann,ȱ Bucheltȱ &ȱ Wagner,ȱ 2001).ȱ Lehrerȱ mitȱ einerȱ hohenȱ Identifikationȱ mitȱ demȱ Lehrberufȱ erlebtenȱ demnachȱ ihrenȱ Berufȱ alsȱ bedeutungsvollerȱ undȱ motivieȬ render,ȱ hattenȱ eineȱ höhereȱ allgemeineȱ Arbeitszufriedenheit,ȱ eineȱ höhereȱ Zufriedenheitȱ mitȱ denȱ Entfaltungsmöglichkeitenȱ undȱ eineȱ höhereȱ intrinsischeȱ Arbeitsmotivation.ȱ Darüberȱ hinausȱ gingȱ dieȱ IdentifikationȱmitȱdemȱBerufȱinȱdieserȱStichprobeȱeinherȱmitȱgerinȬ

Was sind eigentlich soziale Arbeitsbedingungen?

14.3

gerenȱphysischenȱProblemenȱ(Kopfschmerzenȱetc.).ȱInȱeinerȱzweitenȱ StudieȱfandenȱvanȱDickȱundȱWagnerȱ(2002)ȱaußerdem,ȱdassȱIdentifiȬ kationȱmitȱmehrȱEngagementȱ(OrganizationalȱCitizenshipȱBehavior,ȱ z.B.ȱOrgan,ȱ1997),ȱwenigerȱphysischenȱProblemen,ȱeinerȱgeringerenȱ Absichtȱ vorzeitigȱ inȱ Pensionȱ zuȱ gehenȱ undȱ auchȱ tendenziellȱ mitȱ geringerenȱ Fehlzeitenȱ zusammenhängt.ȱ Demȱ Zusammenhangȱ zwiȬ schenȱOrganizationalȱCitizenshipȱBehaviorȱ(OCB)ȱundȱIdentifikationȱ widmetenȱsichȱauchȱChristȱundȱKollegenȱ(Christ,ȱvanȱDick,ȱWagnerȱ &ȱ Stellmacher,ȱ 2003).ȱ Sieȱ konntenȱ zeigen,ȱ dassȱ dieȱ Beziehungȱ zwiȬ schenȱ OCBȱ undȱ Identifikationȱ spezifischȱ fürȱ einenȱ bestimmtenȱ orȬ ganisationalenȱ Fokusȱ istȱ –ȱ d.h.ȱ höhereȱ Identifikationȱ mitȱ derȱ ArȬ beitsgruppeȱführtȱauchȱzuȱarbeitsgruppenȬbezogenemȱOCB,ȱIdentiȬ fikationȱmitȱderȱeigenenȱKarriereȱlöstȱindividuellesȱOCBȱausȱundȱdieȱ Identifikationȱ mitȱ derȱ Schuleȱ steigertȱ dasȱ OCBȱ bezogenȱ aufȱ dieȱ Schule.ȱ

14.3.2

Sozialer Einfluss durch Interdependenz

ZurȱBeschreibungȱvonȱAufgaben,ȱZielenȱundȱderenȱInterdependenzȱ hatȱsichȱinsbesondereȱimȱdeutschsprachigenȱRaumȱdieȱHandlungsreȬ gulationstheorieȱ(HRT,ȱz.B.ȱFreseȱ&ȱZapf,ȱ1994)ȱetabliert.ȱNebenȱindiȬ viduellen,ȱ handlungspsychologischenȱ Konzeptenȱ (z.B.ȱ Oesterreich,ȱ 1981)ȱ sindȱ imȱ Zusammenhangȱ mitȱ sozialenȱ Arbeitsbedingungenȱ insbesondereȱdieȱErweiterungenȱderȱTheorieȱaufȱkollektiveȱHandlunȬ genȱ vonȱ Interesseȱ (Mühlfelder,ȱ 2003;ȱ Oesterreichȱ &ȱ Resch,ȱ 1985;ȱ Pleiss,ȱ2003;ȱStegmann,ȱ2004).ȱ AlsȱHandlungȱwirdȱbewusstesȱ(oderȱzumindestȱbewusstseinsfähiges)ȱ menschlichesȱVerhaltenȱbezeichnet,ȱdasȱaufȱeinȱZielȱgerichtetȱist.ȱEinȱ Zielȱ wiederumȱ istȱ einȱ spezifischer,ȱ gedanklichȱ vorweggenommenerȱ ZustandȱderȱobjektivenȱUmgebungȱ(Oesterreich,ȱ1981).ȱHandlungenȱ verändernȱsomitȱeinenȱTeilȱderȱobjektivenȱUmgebungȱ–ȱdenȱGegenȬ standȱ derȱ Handlungȱ –ȱ vonȱ einemȱ Zustandȱ inȱ denȱ nächsten.ȱ Dieserȱ ZustandȱkannȱdannȱwiederȱAusgangspunktȱfürȱweitereȱHandlungenȱ sein,ȱ dieȱ zuȱ ganzȱ unterschiedlichenȱ weiterenȱ Zuständenȱ führenȱ könnenȱundȱsoȱweiter.ȱDerȱHandelndeȱplantȱvorwegnehmend,ȱwelȬ cheȱ Handlungenȱ nacheinanderȱ ausgeführtȱ werdenȱ müssen,ȱ umȱ einȱ bestimmtesȱ Zielȱ zuȱ erreichen.ȱ Große,ȱ abstrakteȱ Zieleȱ (z.B.ȱ eineȱ erȬ folgreicheȱGesamtlehrerkonferenzȱabhalten)ȱwerdenȱdabeiȱrealisiert,ȱ

375ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

indemȱ sieȱ inȱkleinereȱ Teilzieleȱ„zerlegt“ȱ werdenȱ (z.B.ȱ fürȱRuheȱ sorȬ gen,ȱ Abstimmungsregelnȱ aufstellen,ȱ Diskussionsbeiträgeȱ zeitlichȱ begrenzen).ȱJedesȱdieserȱTeilzieleȱkannȱwiederȱinȱkleinereȱZieleȱzerȬ legtȱ werden.ȱ Nachȱ jederȱ Teilhandlungȱ wirdȱ überprüft,ȱ obȱ dasȱ Zielȱ oderȱ Teilzielȱ auchȱ erreichtȱ wurde,ȱ umȱ dieȱ Gesamtplanungȱ gegebeȬ nenfallsȱanpassenȱzuȱkönnenȱ(sequentiellȬhierarchischeȱHandlungsȬ regulation,ȱz.B.ȱOesterreich,ȱ1981).ȱKollektivȱwirdȱdieseȱHandlungsȬ regulationȱdort,ȱwoȱmehrereȱPersonenȱeinenȱgemeinsamenȱGegenstandȱ bewegenȱ(Oesterreich,ȱ1981;ȱStegmann,ȱ2004).ȱ MitȱdiesenȱundȱweiterenȱAnnahmenȱliefertȱdieȱHRTȱeinȱrelativȱausȬ führlichesȱ Bildȱ davon,ȱ wieȱ menschlichesȱ Handelnȱ imȱ Allgemeinenȱ abläuft.ȱ Arbeitsbedingungenȱ könnenȱ diesesȱ Handelnȱ mehrȱ oderȱ wenigerȱ begünstigen.ȱ Inȱ diesemȱ Sinnȱ könnenȱ sieȱ besserȱ oderȱ schlechterȱsein,ȱwasȱwiederumȱdieȱHRTȱzuȱeinerȱnormativenȱTheoȬ rieȱmacht,ȱmitȱderȱmanȱbewertenȱkann,ȱwieȱmenschengerechtȱArbeitsȬ bedingungenȱsindȱ(vgl.ȱLeitner,ȱ1999;ȱOesterreich,ȱ1999).ȱMerkmale,ȱ dieȱinȱdiesemȱSinneȱdieȱArbeitȱmenschengerechterȱmachen,ȱwerdenȱ alsȱ Anforderungenȱ bezeichnetȱ (z.B.ȱ wennȱ Arbeitsaufgabenȱ umfangȬ reichesȱ Planenȱ undȱ denȱ Einsatzȱ verschiedensterȱ Kompetenzenȱ erȬ fordern),ȱ solcheȱ dieȱ demȱ entgegenstehenȱ alsȱ Belastungenȱ (z.B.ȱ fehȬ lendeȱ Ressourcenȱ dieȱ aufgrundȱ vonȱ Zeitdruckȱ nichtȱ beschafftȱ werȬ denȱ können,ȱ weshalbȱ dieȱAufgabeȱ mehrȱAnstrengungȱ erfordertȱ alsȱ eigentlichȱnotwendigȱoderȱgarȱmöglichȱwäre)ȱ(Leitner,ȱ1999;ȱOesterȬ reich,ȱ1999).ȱEmpirischȱzeigtȱsich,ȱdassȱAnforderungenȱgenerellȱposiȬ tivȱ aufȱ dasȱWohlbefindenȱ undȱ dieȱ Leistungsfähigkeitȱ derȱ HandelnȬ denȱwirken,ȱwohingegenȱdieȱBelastungenȱeherȱzuȱKrankheitȱführenȱ undȱdieȱArbeitȱineffizientȱwerdenȱlassenȱ(Leitner,ȱ1993,ȱ1999;ȱLeitnerȱ etȱ al.,ȱ 1993).ȱ Fürȱ dieȱ Unterrichtstätigkeitȱ einzelnerȱ Lehrerȱ konnteȱ Krauseȱ (2002)ȱ zeigen,ȱ dassȱ sichȱ Belastungenȱ negativȱ aufȱ dieȱ GeȬ sundheitȱ derȱ Lehrkräfteȱ undȱ dieȱ Qualitätȱ desȱ Unterrichtsȱ auswirkȬ ten.ȱ Vorȱ diesemȱ Hintergrundȱ erscheintȱ esȱ zentralȱ fürȱ denȱ Erfolgȱ einerȱ Arbeitsgruppeȱ ausȱ Lehrkräften,ȱ dassȱ dieȱ Gruppeȱ alsȱ Ganzeȱ undȱauchȱdieȱeinzelnenȱMitgliederȱausreichendȱAnforderungenȱundȱ soȱwenigeȱBelastungenȱwieȱnurȱirgendȱmöglichȱerfahren.ȱ

376ȱ

Wie sehen soziale Arbeitsbedingungen an deutschen Schulen aus?

14.4

14.4

Wie sehen soziale Arbeitsbedingungen an deutschen Schulen aus?

Ausgehendȱ vonȱ Socialȱ Identityȱ Approachȱ undȱ kollektiverȱ HandȬ lungsregulationstheorieȱ wurdenȱ inȱ einerȱ Pilotstudieȱ 16ȱ Lehrerȱ vonȱ fünfȱSchulenȱausȱverschiedenenȱBundesländern,ȱdarunterȱzweiȱgröȬ ßereȱ Berufsschulkomplexe,ȱ eineȱ Sonderschule,ȱ eineȱ Realschuleȱ undȱ einȱGymnasium,ȱmitȱHilfeȱvonȱhalbstrukturiertenȱInterviewsȱbefragtȱ (Stegmann,ȱ 2004).ȱ Insgesamtȱ warenȱ dieȱ 16ȱ Lehrerȱ inȱ 126ȱ Gruppenȱ tätig.ȱ Alsȱ Gruppeȱ wurdeȱ eineȱ Mengeȱ vonȱ Personenȱ betrachtet,ȱ dieȱ sichȱ alsȱ Gruppeȱ identifizierenȱ undȱ hinsichtlichȱ einesȱ bestimmtenȱ Zwecksȱ interdependentȱ sind.ȱ Dieȱ Gruppenȱ wurdenȱ aufȱ Kärtchenȱ gesammeltȱ undȱ hinsichtlichȱ derȱ Hierarchieȱ ihrerȱAufgabenbereicheȱ geordnetȱ (z.B.ȱ „Wirȱ erledigenȱ einenȱ Teilȱ derȱ Aufgabenȱ desȱ LehrerȬ kollegiums.“,ȱsieheȱAbbildungȱ1).ȱȱ

Abbildungȱ1ȱ

GruppenȱeinesȱLehrersȱ

Schule Gesamtlehrerkonferenz

Schulübergreifende Fortbildung

Erweiterte Schulleitung

Projektgruppe Schulentwicklung Fachschaft Deutsch Unterrichtsvorbereitung mit Kollege M.

Jahrgangsstufenteam

Fachschaft Mathematik

Lehrersportgruppe

Klassenteam

Gruppentätigkeiten innerhalb der Schule

Gruppentätigkeiten außerhalb der Schule

ȱ

Dieȱ befragtenȱ Lehrerȱ warenȱ inȱ durchschnittlichȱ siebenȱ subjektivȱ relevantenȱGruppenȱMitglied.ȱSieȱunterschiedenȱsichȱinȱderȱAnzahlȱ

377ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

ihrerȱGruppenmitgliedschaftenȱjedochȱrelativȱstarkȱ(Min:ȱ5,ȱMax:ȱ14ȱ Gruppen).ȱDiesȱalleinȱsagtȱnurȱwenigȱüberȱdasȱSelbstverständnisȱderȱ befragtenȱLehrerȱaus.ȱDaherȱistȱesȱinteressantȱzuȱerfahren,ȱdassȱdieȱ Lehrerȱ sichȱ imȱ Durchschnittȱ vergleichsweiseȱ hochȱ mitȱ ihrenȱ GrupȬ penȱ identifizierten.ȱ Aufȱ einerȱ Skalaȱ vonȱ 1=„garȱ nichtȱ identifiziert“ȱ bisȱ 7=„völligȱ identifiziert“ȱ lagȱ derȱ Durchschnittȱ überȱ alleȱ Gruppenȱ beiȱ 5.ȱ Dieȱ durchschnittlicheȱ Identifikationȱ mitȱ allenȱ eigenenȱ GrupȬ penȱ lagȱ beiȱ überȱ 80%ȱ derȱ Befragtenȱ deutlichȱ überȱ demȱ SkalenmitȬ telwert.ȱ Vonȱ denȱ 126ȱGruppenȱ konntenȱ inȱ denȱ Interviewsȱ 53ȱvertiefendȱ beȬ trachtetȱ werdenȱ undȱ zwarȱjeneȱ Gruppen,ȱ inȱ denenȱ dieȱ Lehrerȱ nachȱ eigenerȱ Einschätzungȱ dieȱ meisteȱ Zeitȱ verbringen.ȱ Diesenȱ EinschätȬ zungenȱ zufolgeȱ verbringenȱ dieȱ Lehrerȱ inȱ einemȱ Jahrȱ durchschnittȬ lichȱ 640ȱ Stundenȱ inȱ ihrenȱ wichtigstenȱ Gruppenȱ –ȱ wasȱ etwaȱ demȱ Drittelȱ einerȱ hypothetischenȱ Gesamtarbeitszeitȱ vonȱ 2000h/Jahrȱ entȬ spräche.ȱ Wieȱ schonȱ beiȱ derȱ Anzahlȱ derȱ Gruppenȱ zeigteȱ sichȱ aberȱ auchȱ hierȱ eineȱ großeȱ Streubreiteȱ (Min:ȱ 89ȱ h/Jahr,ȱ Max:ȱ 950ȱ h/Jahr).ȱ NachȱhandlungsregulationstheoretischenȱMaßstäbenȱsindȱdieȱTätigȬ keiten,ȱ dieȱ inȱ denȱ Gruppenȱ verrichtetȱ werden,ȱ durchausȱ anfordeȬ rungsreichȱundȱnurȱeinȱkleinerȱTeilȱderȱGruppenȱwarȱbeimȱHandelnȱ deutlichenȱBelastungenȱausgesetztȱ(Stegmann,ȱ2004).ȱJedochȱbestandȱ auchȱ hinsichtlichȱ derȱ Zeit,ȱ dieȱ dieȱ Lehrerȱ inȱ belastetenȱ Gruppenȱ verbringen,ȱeineȱgroßeȱSpannbreiteȱ(Min:ȱ0,ȱMax:ȱ671ȱh/Jahr).ȱ

378ȱ

DieȱIdentifikationȱmitȱeinerȱGruppeȱkorrelierteȱwieȱerwartetȱpositivȱ mitȱverschiedenenȱMaßenȱdesȱ„Funktionierens“ȱeinerȱGruppeȱ(sieheȱ Tabelleȱ 1),ȱ dieȱ auchȱ untereinanderȱ signifikantȱ undȱ deutlichȱ miteinȬ anderȱkorreliertenȱ(rȱzwischenȱ.55ȱundȱ.80).ȱInȱdieserȱStichprobeȱgabȱ esȱdaherȱgewissermaßenȱnurȱ„gute“ȱundȱ„schlechte“ȱGruppenȱundȱ Identifikationȱ konnteȱ alsȱ Globalkriteriumȱ fürȱ dasȱ Funktionierenȱ einerȱ Gruppeȱ dienen.ȱ Diesȱ istȱ auchȱ theoretischȱ sinnvoll,ȱ dennȱ nurȱ eineȱ Gruppe,ȱ derenȱ Mitgliederȱ sichȱ mitȱ ihrȱ identifizieren,ȱ hatȱ eineȱ überdauerndeȱ psychischeȱ Realität.ȱ Dortȱ woȱ dieȱ Lehrkräfteȱ bedeutȬ sameȱ Unterschiedeȱ zwischenȱ denȱ Mitgliedernȱ einerȱ Gruppeȱ wahrȬ nahmen,ȱkonnteȱüberȱdieȱEffekteȱeinerȱstarkenȱIdentifikationȱmitȱderȱ Gruppeȱ hinausȱ auchȱ einȱ Gruppenklima,ȱ dasȱ Unterschiedeȱ schätztȱ undȱnütztȱ(OrganischerȱPluralismus,ȱBeispielitem:ȱ„DieȱunterschiedȬ lichenȱ Beiträgeȱ allerȱ Teilgruppenȱ sindȱ alleȱ wichtig,ȱ damitȱ dasȱ geȬ meinsameȱZielȱerreichtȱwerdenȱkann.“)ȱdeutlichȱzumȱFunktionierenȱ derȱGruppeȱbeitragenȱ(sieheȱTabelleȱ1).ȱ

Wie sehen soziale Arbeitsbedingungen an deutschen Schulen aus?

Zusammenhänge von Identifikation und Organischem Pluralismus mit Effektivitätsmaßen (Produkt Moment Korrelation nach Pearson) Identifikation

Organischer Pluralismus

Intrinsische Arbeitsmotivation (individuell)

.68**

.23

Kommunikationsqualität (Gruppe)

.58**

.08

Koordinationsqualität (Gruppe)

.56**

.71**

Soziale Unterstützung (Gruppe)

.56**

.64**

Effektivität (Gruppe)

.57**

.65**

** p<.001 (einseitiger Test)

Cronbachs

= .72

Cronbachs

14.4 Tabelle 1

= .90

Da es ein nachvollziehbares Interesse gibt, Gruppen, wo sie denn existieren, in ihrem Funktionieren zu unterstützen, ist es von großer praktischer Relevanz, dass Identifikation signifikant mit dem Vor handensein von handlungstheoretisch konzeptualisierten Belastun gen zusammenhing (r= .33). Ein Teil dieser Belastungen bezog sich auf zu einem bestimmten Zeitpunkt eintretende behindernde Ereig nisse („Regulationshindernisse“), also relativ objektive Merkmale der Arbeitsbedingungen, die im Vergleich zu persönlichen Antipa thien einer Intervention zugänglicher sein könnten. Sie ließen sich in folgende Kategorien einteilen: 1. Erschwerte zeitlich räumliche Koordination: Umstände, in denen nicht klar ist, wer zu welcher Zeit wo anzutreffen ist. Hierunter fallen auch Umstände, bei denen die räumlichen und zeitlichen Arbeitsplätze der beteiligten Lehrer stark auseinander liegen, oder diese Verhältnisse starken Schwankungen ausgesetzt sind. 2. Inkongruenz zwischen Handlungsvoraussetzungen und Zielvorgaben: Prinzipielles Fehlen von notwendigen Ressourcen, wie etwa Zeit und Geld, aber auch Handlungsspielraum oder Ressourcen, die zu einer bestimmten Zeit nicht zur Verfügung stehen. 3. Dauerhafter Dissens: Überdauernde Konflikte um Werte, Normen, Ziele und Arbeitsweisen verhindern eine gemeinsame Ausrich tung der Arbeit und somit die Nutzung von Synergieeffekten. 4. Störungen und Unterbrechungen: Diese können durch gruppen interne wie auch externe Personen erfolgen.

379

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

5. Individualistentum:ȱ Kollegenȱ oderȱ Vorgesetzteȱ verfolgenȱ indiviȬ duelleȱ Interessenȱ außerhalbȱ derȱ eigentlichenȱ Gruppenaufgabeȱ aufȱKostenȱderȱRessourcenȱderȱGruppe.ȱ 6. NichtȬintegrativerȱ Konformitätsdruck:ȱ Verhindert,ȱ dassȱ einzelneȱ MeinungenȱeineȱChanceȱerhalten,ȱinȱdieȱArbeitȱderȱGruppeȱeinȬ zufließen.ȱ Diesȱ produziertȱ riskantesȱ Verhaltenȱ derȱ Gruppe,ȱ weilȱ soȱrelevanteȱAspekteȱunterȱUmständenȱunbeachtetȱbleiben.ȱ 7. MangelndeȱTeamfähigkeit/Ȭkompetenz:ȱMangelhafteȱFähigkeitenȱundȱ Kompetenzenȱ einzelner,ȱ sowieȱ ungünstigeȱ Konstellationenȱ derȱ KompetenzenȱinȱderȱGruppe.ȱ 8. Unstimmigkeitȱ desȱ kollektivenȱ Handlungsfeldes:ȱ Hierbeiȱ gehtȱ esȱ umȱ dieȱ Zuordnungȱ vonȱ Personenȱ undȱ Gruppenȱ zuȱ ZuständigkeitsȬ bereichenȱ undȱ derenȱ sequentiellȬhierarchischeȱ Beziehungen.ȱ Esȱ gibtȱdreiȱFormenȱderȱUnstimmigkeit.ȱȱ a.) Abgrenzungsdifferenzen:ȱ Dieȱ Grenzeȱ zwischenȱ VerantworȬ tungsbereichenȱ wirdȱ vonȱ denȱ Kooperationspartnernȱ unterȬ schiedlichȱwahrgenommen.ȱ b.) Abgrenzungsversäumnisse:ȱHierȱwerdenȱGegenständeȱgemeinȬ samȱbetrachtet,ȱdieȱeinenȱgeringenȱAufgabenzusammenhangȱ haben.ȱ Meistȱ habenȱ zudemȱ nichtȱ alleȱ beteiligtenȱ Personenȱ entsprechendeȱKompetenzenȱoderȱZuständigkeiten.ȱ c.) Integrationsversäumnisse:ȱAufgabenteilbereicheȱmitȱengemȱseȬ quentiellȬhierarchischenȱ Zusammenhangȱ werdenȱ nichtȱ geȬ meinsamȱbearbeitet.ȱ DieseȱRegulationshindernisseȱinȱbestehendenȱGruppenȱaufzuspürenȱ undȱ zuȱ beseitigenȱ könnteȱ zuȱ einerȱ Effizienzsteigerungȱ derȱ GrupȬ penarbeitȱführen,ȱwasȱwiederumȱnichtȱnurȱfürȱdieȱGruppeȱalsȱGanzeȱ erstrebenswertȱwäre,ȱsondernȱauchȱfürȱdieȱeinzelnenȱLehrerȱpositiveȱ Konsequenzenȱhabenȱkann.ȱEsȱgibtȱersteȱAnzeichenȱdafür,ȱdassȱdieȱ Arbeitȱ inȱ Gruppen,ȱ dieȱ gutȱ funktionierenȱ undȱ mitȱ denenȱ sichȱ dieȱ Lehrkräfteȱidentifizieren,ȱinȱderȱSummeȱzuȱeinerȱhöherenȱIdentifikaȬ tionȱ mitȱ derȱ Schuleȱ insgesamtȱ undȱ zuȱ einemȱ deutlichȱ gesteigertenȱ Wohlbefindenȱführenȱkann.ȱWieȱbeiȱjederȱquerschnittlichenȱBetrachȬ tungȱ stehtȱ jedochȱ derȱ Nachweisȱ derȱ Kausalitätȱ nochȱ ausȱ undȱ aufȬ grundȱ derȱ sehrȱ kleinenȱ Stichprobeȱ istȱ dieȱ Repräsentativitätȱ fürȱ dieȱ PopulationȱallerȱLehrkräfteȱanȱdeutschenȱSchulenȱzweifelhaft.ȱ

380ȱ

Fazit

14.5

BeiȱallerȱVorsichtȱlässtȱsichȱjedochȱklarȱfesthalten,ȱdassȱdieȱAussageȱ „LehrerȱsindȱEinzelkämpfer“ȱinȱdieserȱAllgemeinheitȱnichtȱgemachtȱ werdenȱkann.ȱVielmehrȱexistierenȱbezüglichȱderȱsozialenȱEingebunȬ denheitȱamȱArbeitsplatzȱgroßeȱUnterschiedeȱzwischenȱdenȱLehrkräfȬ tenȱ–ȱimȱBezugȱaufȱdasȱAusmaßȱderȱGruppentätigkeiten,ȱdieȱIdentiȬ fikationȱ mitȱ denȱ Gruppen,ȱ wieȱ auchȱ imȱ Hinblickȱ aufȱ dieȱ Vielzahlȱ unterschiedlicherȱ Spielformenȱ vonȱ Arbeitsgruppen,ȱ Teams,ȱ KonfeȬ renzenȱoderȱinformellerenȱKontakten.ȱ Ebensoȱ wieȱ dieȱ Umfrageȱ anȱ australischenȱ Schulenȱ (Johnson,ȱ 2003)ȱ weistȱauchȱdieȱobenȱbeschriebeneȱPilotstudieȱmitȱdeutschenȱLehrernȱ daraufȱ hin,ȱ dassȱ Kooperationȱ funktionierenȱ kann,ȱ esȱ aberȱ beiȱ weiȬ temȱnichtȱimmerȱundȱfürȱjedenȱmuss.ȱInȱÜbereinstimmungȱmitȱdenȱ StudienȱvonȱvanȱDickȱundȱWagnerȱ(2002)ȱsowieȱChristȱundȱKollegenȱ (2003)ȱ lässtȱ sichȱ sagen,ȱ dassȱ nurȱ dort,ȱ woȱ Lehrkräfteȱ sichȱ mitȱ ihrenȱ Gruppenȱ identifizieren,ȱ inȱ diesenȱ auchȱ effektivȱ gearbeitetȱ werdenȱ wird.ȱEinȱWegȱdieseȱIdentifikationȱundȱdieȱEffektivitätȱderȱArbeitȱinȱ denȱGruppenȱzuȱfördern,ȱkönnteȱdasȱErkennenȱundȱBeseitigenȱvonȱ Regulationshindernissenȱsein.ȱZudemȱweisenȱdieȱErgebnisseȱdaraufȱ hin,ȱdassȱderȱsinnvollenȱIntegrationȱbestehenderȱUnterschiedeȱzwiȬ schenȱ Lehrkräften,ȱ dieȱ zusammenȱ arbeitenȱ sollen,ȱ einigesȱ anȱ AufȬ merksamkeitȱgewidmetȱwerdenȱsollte.ȱ

14.5

Fazit

DieȱsozialenȱBedingungenȱamȱArbeitsplatzȱsindȱseitȱlangemȱGegenȬ standȱ arbeitsȬȱ undȱ organisationspsychologischerȱ Forschung.ȱ Dieȱ bisherȱvorliegendenȱallgemeinenȱErkenntnisseȱsprechenȱdafür,ȱdassȱ esȱ sichȱ vorȱ demȱ Hintergrundȱ derȱ aktuellenȱ QualitätsȬȱ undȱ BelasȬ tungsproblematikȱanȱdeutschenȱSchulenȱlohnenȱwürde,ȱsichȱgenauȬ erȱ mitȱ diesenȱ Themenȱ auseinanderzusetzen.ȱ Dieseȱ Erkenntnisȱ hatȱ sichȱ inȱ derȱ Praxisȱ undȱ unterȱ Schulentwicklernȱ auchȱ herumgesproȬ chenȱ undȱ findetȱ regenȱ Anklang,ȱ wobeiȱ dieȱ wissenschaftlicheȱ FunȬ dierungȱ undȱ Evaluationȱ desȱ „KooperationsȬImperativs“ȱ häufigȱ aufȱ derȱStreckeȱbleibt.ȱDiesȱistȱeineȱgefährlicheȱaberȱdurchausȱzuȱversteȬ hendeȱSituation,ȱwennȱmanȱdieȱbeachtlicheȱKomplexitätȱderȱbisheriȬ genȱ Erkenntnisseȱ bedenkt.ȱ Hinzuȱ kommtȱ dasȱ fastȱ völligeȱ Fehlenȱ wissenschaftlicherȱ Studienȱ zuȱ denȱ sozialenȱ Arbeitsbedingungenȱ wieȱ

381ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

sieȱspezifischȱanȱSchulenȱanzutreffenȱsind.ȱUmȱnunȱdiesenȱAufholbeȬ darfȱderȱForschungȱgegenüberȱdenȱBedürfnissenȱderȱPraxisȱzuȱfüllenȱ undȱ dabeiȱ nichtȱ nurȱ mitȱ einzelnenȱ isoliertenȱ Konstruktenȱ anȱ derȱ Oberflächeȱ derȱ Zusammenhängeȱ zuȱ kratzen,ȱ bedarfȱ esȱ dringendȱ einerȱ theoriegeleitetenȱ Konzeptualisierungȱ derȱ sozialenȱ ArbeitsbeȬ dingungenȱ anȱ Schulen,ȱ dieȱ breitȱ genugȱ ist,ȱ umȱ alleȱ potenziellȱ releȬ vantenȱ Faktorenȱ zuȱ integrieren.ȱ Eineȱ Möglichkeitȱ diesȱ zuȱ tun,ȱ istȱ sichȱaufȱsozialenȱEinflussȱalsȱQuintessenzȱsozialerȱArbeitsbedingunȬ genȱzuȱkonzentrierenȱundȱdiesenȱüberȱdieȱbeidenȱdargestelltenȱAnȬ satzpunkteȱ(ZielȬInterdependenzȱ undȱSozialeȱ Identität),ȱ bzw.ȱ TheoȬ rietraditionenȱ (kollektiveȱ Handlungsregulationstheorieȱ undȱ Socialȱ IdentityȱApproach)ȱzuȱerfassen.ȱÜberȱdiesenȱWegȱsindȱdieȱvielgestalȬ tigenȱ Kooperationsformenȱ anȱ Schulenȱ sowohlȱ Forschungȱ alsȱ auchȱ Evaluationȱ zugänglichȱ –ȱ einȱ erster,ȱ notwendigerȱ Schrittȱ aufȱ demȱ WegȱzurȱGestaltungȱvonȱKooperation,ȱdieȱdenȱSchülernȱeineȱbessereȱ Ausbildungȱ ermöglichtȱ undȱ denȱ Lehrernȱ mehrȱ undȱ längerȱ Freudeȱ anȱihremȱBerufȱbereitet.ȱ

14.6

Literatur

Ashforth,ȱB.ȱE.ȱ&ȱMael,ȱF.ȱ(1989).ȱSocialȱidentityȱtheoryȱandȱtheȱorȬ ganization.ȱAcademyȱofȱManagementȱReview,ȱ14,ȱ20Ȭ39.ȱ Christ,ȱ O.,ȱ vanȱ Dick,ȱ R.,ȱ Wagner,ȱ U.ȱ &ȱ Stellmacher,ȱ J.ȱ (2003).ȱ Whenȱ teachersȱ goȱ theȱ extraȱ mile:ȱ Fociȱ ofȱ organisationalȱ identificationȱ asȱ determinantsȱofȱdifferentȱformsȱofȱorganisationalȱcitizenshipȱbehavȬ iourȱ amongȱ schoolteachers.ȱ Britishȱ Journalȱ ofȱ Educationalȱ Psychology,ȱ 73,ȱ329Ȭ341.ȱ vanȱDick,ȱR.,ȱSchnitger,ȱC.,ȱSchwartzmann,ȱBuchelt,ȱC.ȱ&ȱWagner,ȱU.ȱ (2001).ȱ Derȱ Jobȱ Diagnosticȱ Surveyȱ imȱ Bildungsbereich:ȱ Eineȱ ÜberȬ prüfungȱ derȱ Gültigkeitȱ desȱ Jobȱ Characteristicsȱ Modelȱ beiȱ LehrerinȬ nenȱ undȱ Lehrern,ȱ Hochschulangehörigenȱ undȱ Erzieherinnenȱ mitȱ berufsspezifischenȱ Weiterentwicklungenȱ desȱ JDS.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ ArȬ beitsȬȱundȱOrganisationspsychologie,ȱ45,ȱ74Ȭ92.ȱ vanȱDick,ȱR.ȱ&ȱWagner,ȱU.ȱ(2002).ȱSocialȱidentificationȱamongȱschoolȱ teachers:ȱDimensions,ȱfoci,ȱandȱcorrelates.ȱEuropeanȱJournalȱofȱWorkȱ&ȱ OrganizationalȱPsychology,ȱ11,ȱ129Ȭ149.ȱ

382ȱ

Literatur

14.6

vanȱ Dick,ȱ R.,ȱ Wagner,ȱ U.ȱ &ȱ Petzel,ȱ T.ȱ (1999).ȱArbeitsbelastungȱ undȱ gesundheitlicheȱ Beschwerdenȱ vonȱ Lehrerinnenȱ undȱ Lehrern:ȱ EinȬ flüsseȱ vonȱ Kontrollüberzeugungen,ȱ Mobbingȱ undȱ Sozialerȱ UnterȬ stützung.ȱPsychologieȱinȱErziehungȱundȱUnterricht,ȱ46,ȱ269Ȭ280.ȱ EsslingerȬHinz,ȱ I.ȱ (2003).ȱ Kooperationȱ istȱ nichtȱ gleichȱ Kooperation.ȱ Qualitativeȱ Unterschiedeȱ beiȱ Kooperationshandlungen.ȱ SchulȬ Management,ȱ34,ȱ14Ȭ17.ȱ Frese,ȱM.ȱ&ȱZapf,ȱD.ȱ(1994).ȱActionȱasȱtheȱcoreȱofȱworkȱpsychology:ȱ Aȱ germanȱ approach.ȱ Inȱ H.ȱ C.ȱ Triandis,ȱ M.ȱ D.ȱ Dunnetteȱ &ȱ L.ȱ M.ȱ Houghȱ (Eds.),ȱ Handbookȱ ofȱ industrialȱ andȱ organizationalȱ psychology,ȱ Vol.4ȱ(2ndȱed.,ȱpp.ȱ271Ȭ340).ȱPaloȱAlto,ȱCA:ȱConsultingȱPsychologistsȱ Press,ȱInc.ȱ Gerstlauer,ȱG.ȱ(2003).ȱImȱTeamȱarbeiten.ȱPraxisberichtȱausȱderȱSichtȱ einerȱProzessbegleiterin.ȱSchulȬManagement,ȱ34,ȱ12Ȭ13.ȱ Griva,ȱK.ȱ&ȱJoekes,ȱK.ȱ(2003).ȱUKȱteachersȱunderȱstress:ȱCanȱweȱpreȬ dictȱwellnessȱonȱtheȱbasisȱofȱcharacteristicsȱofȱtheȱteachingȱjob?ȱPsyȬ chologyȱ&ȱHealth,ȱ18,ȱ457Ȭ471.ȱ Hackman,ȱJ.ȱR.ȱ(1992).ȱGroupȱinfluencesȱonȱindividualsȱinȱorganizaȬ tions.ȱInȱM.ȱD.ȱDunnetteȱ&ȱL.ȱM.ȱHoughȱ(Eds.),ȱHandbookȱofȱindustrialȱ andȱ organizationalȱ psychology,ȱ Vol.3ȱ (2ndȱ ed.,ȱ pp.ȱ 199Ȭ267).ȱ Paloȱ Alto,ȱ CA:ȱConsultingȱPsychologistsȱPress,ȱInc.ȱ Hargreaves,ȱ A.ȱ (1994).ȱ Changingȱ teachers,ȱ changingȱ times:ȱ Teachersȇȱ workȱandȱcultureȱinȱtheȱpostmodernȱage.ȱLondon:ȱCassell.ȱ Haslam,ȱ S.ȱ A.ȱ (2004).ȱ Psychologyȱ inȱ organizationsȱ Ȭȱ theȱ socialȱ identityȱ approachȱ(2ndȱed.).ȱLondon:ȱSage.ȱ Hogg,ȱ M.ȱ A.ȱ &ȱ Terry,ȱ D.ȱ J.ȱ (Eds.)ȱ (2001).ȱ Socialȱ identityȱ processesȱ inȱ organizationalȱcontexts.ȱPhiladephia:ȱPsychologyȱPress.ȱ Johnson,ȱ B.ȱ (2003).ȱ Teacherȱ collaboration:ȱ Goodȱ forȱ some,ȱ notȱ soȱ goodȱforȱothers.ȱEducationalȱStudies,ȱ29,ȱ337Ȭ350.ȱ Kahn,ȱ R.ȱ L.ȱ &ȱ Byosiere,ȱ P.ȱ (1992).ȱ Stressȱ inȱ organizations.ȱ Inȱ M.ȱ D.ȱ Dunnetteȱ&ȱL.ȱM.ȱHoughȱ(Eds.),ȱHandbookȱofȱindustrialȱandȱorganizaȬ tionalȱpsychology,ȱVol.3ȱ(2ndȱed.,ȱpp.ȱ571Ȭ650).ȱPaloȱAlto,ȱCA:ȱConsultȬ ingȱPsychologistsȱPress,ȱInc.ȱ

383ȱ

14

Soziale Arbeitsbedingungen an Schulen

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384ȱ

Oesterreich,ȱ R.ȱ (1999).ȱ Konzepteȱ zuȱ Arbeitsbedingungenȱ undȱ GeȬ sundheitȱȬȱFünfȱErklärungsmodelleȱimȱVergleich.ȱInȱR.ȱOesterreichȱ&ȱ

Literatur

14.6

W.ȱ Volpertȱ (Hrsg.),ȱ Psychologieȱ gesundheitsgerechterȱ ArbeitsbedingunȬ genȱȬȱKonzepte,ȱErgebnisseȱundȱWerkzeugeȱzurȱArbeitsgestaltungȱ(S.ȱ141Ȭ 215).ȱBern:ȱHuber.ȱ Oesterreich,ȱR.ȱ&ȱResch,ȱM.ȱ(1985).ȱZurȱAnalyseȱaufgabenbezogenerȱ Kommunikation.ȱ Zeitschriftȱ fürȱ Sozialisationsforschungȱ undȱ ErzieȬ hungssoziologie,ȱ5,ȱ271Ȭ290.ȱ Organ,ȱ D.ȱ W.ȱ (1997).ȱ Organizationalȱ citizenshipȱ behavior:ȱ Itȇsȱ conȬ structȱcleanȬupȱtime.ȱHumanȱPerformance,ȱ10,ȱ85Ȭ97.ȱ Paulsen,ȱW.ȱ(2003).ȱTeamarbeitȱistȱMannschaftsarbeit.ȱAusȱderȱPraxisȱ derȱGeschwisterȬSchollȬSchule.ȱSchulȬManagement,ȱ34,ȱ18Ȭ19.ȱ Pleiss,ȱC.ȱ(2003).ȱWissensdivergenzȱinȱderȱkooperativenȱArbeit.ȱUniversiȬ tätȱFlensburg:ȱDissertation.ȱ Seitz,ȱS.ȱ(2005).ȱAktivȱfürȱdieȱSchule.ȱDieȱBeteiligungȱvonȱLehrkräfȬ tenȱanȱderȱschulischenȱGestaltung.ȱSchulȬManagement,ȱ36,ȱ28Ȭ30.ȱ Sonnentag,ȱ S.ȱ &ȱ Frese,ȱ M.ȱ (2003).ȱ Stressȱ inȱ organizations.ȱ Inȱ W.ȱ C.ȱ Borman,ȱD.ȱR.ȱIlgenȱ&ȱR.ȱJ.ȱKlimoskiȱ(Eds.),ȱHandbookȱofȱpsychology:ȱ Industrialȱ andȱ organizationalȱ psychology,ȱ Vol.12ȱ (pp.ȱ 453Ȭ491).ȱ Newȱ York:ȱJohnȱWileyȱ&ȱSons,ȱInc.ȱ Stegmann,ȱS.ȱ(2004).ȱAbbildungȱsozialerȱArbeitsbedingungenȱanȱSchulenȱ Ȭȱ kollektivesȱ Handelnȱ imȱ Systemȱ sozialerȱ Kategorien.ȱ Universitätȱ FreiȬ burg:ȱUnveröffentlichteȱDiplomarbeit.ȱ Turner,ȱJ.ȱC.ȱ(1991).ȱSocialȱinfluence.ȱBelmont,ȱCA:ȱBrooks/ColeȱPubȬ lishingȱCo.ȱ Turner,ȱJ.ȱC.,ȱHogg,ȱM.ȱA.,ȱOakes,ȱP.ȱJ.,ȱReicher,ȱS.ȱD.ȱ&ȱWetherell,ȱM.ȱ S.ȱ (1987).ȱ Rediscoveringȱ theȱ socialȱ group:ȱ Aȱ selfȬcategorizationȱ theory.ȱ Cambridge,ȱMA:ȱBasilȱBlackwell,ȱInc.ȱ West,ȱ M.ȱA.,ȱ Brodbeck,ȱ F.ȱ C.ȱ &ȱ Richter,ȱA.ȱ W.ȱ (2004).ȱ Doesȱ theȱ ȇroȬ manceȱ ofȱ teamsȇȱ exist?ȱ Theȱ effectivenessȱ ofȱ teamsȱ inȱ experimentalȱ andȱfieldȱsettings.ȱJournalȱofȱOccupationalȱ&ȱOrganizationalȱPsychology,ȱ 77,ȱ467Ȭ473.ȱ West,ȱ M.ȱA.,ȱ Tjosvold,ȱ D.ȱ &ȱ Smith,ȱ K.ȱ G.ȱ (Eds.)ȱ (2003).ȱ Internationalȱ handbookȱ ofȱ organizationalȱ teamworkȱ andȱ cooperativeȱ working.ȱ ChichesȬ ter:ȱWiley.ȱ

385ȱ

Autorenverzeichnis

Autorenverzeichnis ȱ Dipl.ȬPsych.ȱFeliciaȱBaderȱ DeutscheȱHochgebirgsklinikȱ HermanȬBurchardȬStr.1ȱ CHȬ7265ȱDavosȬWolfgangȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Prof.ȱDr.ȱEvaȱBambergȱ UniversitätȱHamburgȱ FakultätȱfürȱErziehungswissenschaft,ȱPsychologieȱundȱBewegungsȬ wissenschaftȱ FachbereichȱPsychologieȱ ArbeitsȬ,ȱBetriebsȬȱu.ȱUmweltpsychologieȱ VonȬMelleȬParkȱ11ȱ DȬ20146ȱHamburgȱ EȬMail:ȱbamberg@uniȬhamburg.deȱ ȱ Dipl.ȬPsych.ȱFlorianȱBäuerleȱ FachhochschuleȱNordwestschweizȱ HochschuleȱfürȱAngewandteȱPsychologieȱ InstitutȱfürȱKooperationsforschungȱundȱ–entwicklungȱ(ifk)ȱ Riggenbachstr.ȱ16ȱ CHȬ4600ȱOltenȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Dipl.ȬPsych.ȱCosimaȱDorsemagenȱ FachhochschuleȱNordwestschweizȱ HochschuleȱfürȱAngewandteȱPsychologieȱ InstitutȱMenschȱinȱkomplexenȱSystemenȱ(MikS)ȱ Riggenbachstr.ȱ16ȱ CHȬ4600ȱOltenȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ

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ClaudiaȱFenzl,ȱMBAȱ UniversitätȱFlensburgȱ ProfessurȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱȱ Munketoftȱ3bȱ DȬ24937ȱFlensburgȱ EȬMail:ȱfenzl@uniȬflensburg.deȱ ȱ Prof.ȱ(em.)ȱDr.ȱDr.ȱh.c.ȱWinfriedȱHackerȱ TechnischeȱUniversitätȱDresdenȱ FachrichtungȱPsychologieȱ ArbeitsgruppeȱȈWissenȬDenkenȬHandelnȈȱ DȬ01062ȱDresdenȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭdresden.deȱ ȱ Dr.ȱSimoneȱInversiniȱ InstitutȱfürȱArbeitsforschungȱundȱOrganisationsberatungȱ(iafob)ȱ ObereȱZäuneȱ14ȱ CHȬ8001ȱZürichȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Dr.ȱNicolaȱJacobshagenȱ UniversitätȱBernȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱ AbteilungȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱ Muesmattstr.ȱ45ȱ CHȬ3000ȱBernȱ9ȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ ChristinaȱundȱGordonȱKrahlȱ BerufsgenossenschaftlicheȱUnfallklinikȱFrankfurtȱȱ FriedbergerȱLandstraßeȱ430ȱ DȬ60389ȱFrankfurtȱamȱMainȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ

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Prof.ȱDr.ȱAndreasȱKrauseȱ FachhochschuleȱNordwestschweizȱ HochschuleȱfürȱAngewandteȱPsychologieȱ InstitutȱMenschȱinȱkomplexenȱSystemenȱ(MikS)ȱ Riggenbachstr.ȱ16ȱ CHȬ4600ȱOltenȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Dr.ȱPeggyȱLooksȱ TechnischeȱUniversitätȱDresdenȱ FachrichtungȱPsychologieȱ ArbeitsgruppeȱȈWissenȬDenkenȬHandelnȈȱ DȬ01062ȱDresdenȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭdresden.deȱ ȱ VeronikaȱNiederhauserȱ BildungszentrumȱGesundheitȱundȱSozialesȱ(BGS),ȱDirektorinȱ Tittwiesenstrasseȱ66ȱ CHȬ7000ȱChurȱȱ EȬMail:ȱveronika.niederhauser@bgsȬchur.chȱ ȱ PDȱDr.ȱRainerȱOesterreichȱ TechnischeȱUniversitätȱBerlinȱ FakultätȱIVȱElektrotechnikȱundȱInformatikȱ InstitutȱfürȱWirtschaftsinformatikȱundȱQuantitativeȱMethodenȱ FachgebietȱArbeitspsychologieȱundȱArbeitspädagogikȱ Franklinstr.ȱ28Ȭ29ȱ DȬ10587ȱBerlinȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭberlin.deȱ ȱ Dipl.ȬPsych.ȱPamelaȱOstendorfȱ AmȱMaisfeldȱ39ȱ DȬ22941ȱBargteheideȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ

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Prof.ȱDr.ȱPeterȱPaulusȱ LeuphanaȱUniversitätȱLüneburgȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱ Scharnhorststraßeȱ1ȱ DȬ21335ȱLüneburgȱ EȬMail:ȱpaulus@uniȬlueneburg.deȱ ȱ Dipl.ȬPsych.ȱAnjaȱPhilippȱ AlbertȬLudwigsȬUniversitätȱFreiburgȱȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱȱ ArbeitsgruppeȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱȱ Engelbergerstrasseȱ41ȱȱ DȬ79085ȱFreiburgȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭfreiburg.deȱ ȱ Prof.ȱDr.ȱMarianneȱReschȱ UniversitätȱFlensburgȱ ProfessurȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱȱ Munketoftȱ3bȱ DȬ24937ȱFlensburgȱ EȬMail:ȱm.resch@uniȬflensburg.deȱ ȱ Dipl.ȬPsych.ȱThomasȱRigottiȱ UniversitätȱLeipzigȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱIIȱ ArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱ Seeburgstr.ȱ14Ȭ20ȱ DȬ04103ȱLeipzigȱ EȬMail:ȱrigotti@uniȬleipzig.deȱ ȱ Juniorprof.ȱDr.ȱLutzȱSchumacherȱ LeuphanaȱUniversitätȱLüneburgȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱ Scharnhorststraßeȱ1ȱ DȬ21335ȱLüneburgȱ EȬMail:ȱschumacher@uniȬlueneburg.deȱ

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Prof.ȱDr.ȱHeinzȱSchüpbachȱ AlbertȬLudwigsȬUniversitätȱFreiburgȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱ ArbeitsgruppeȱArbeitsȬȱundȱOrganisationspsychologieȱ Engelbergerstrasseȱ41ȱ DȬ79085ȱFreiburgȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭfreiburg.deȱ ȱ CorinnaȱSemlingȱ IABGȱmbHȱ VGȱ63ȱȬȱHumanȱFactorsȱTeamȱ Einsteinstr.ȱ20ȱ DȬ85521ȱOttobrunnȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Dipl.ȬPsych.ȱSebastianȱStegmannȱ JohannȱWolfgangȱGoetheȬUniversitätȱFrankfurtȱamȱMainȱ InstitutȱfürȱPsychologieȱ AbteilungȱSozialpsychologieȱ Kettenhofwegȱ128ȱ DȬ60054ȱFrankfurtȱamȱMainȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭfrankfurt.deȱ ȱ Dr.ȱOliverȱStrohmȱ InstitutȱfürȱArbeitsforschungȱundȱOrganisationsberatungȱ(iafob)ȱ ObereȱZäuneȱ14ȱ CHȬ8001ȱZürichȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Prof.ȱDr.ȱDr.ȱh.ȱc.ȱEberhardȱUlichȱ InstitutȱfürȱArbeitsforschungȱundȱOrganisationsberatungȱ(iafob)ȱ ObereȱZäuneȱ14ȱ CHȬ8001ȱZürichȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ

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UrsȱWannerȱ StabstelleȱOrganisationsentwicklungȱ PsychiatrischeȱDiensteȱSchaffhausenȱ Breitenaustrasseȱ124ȱ CHȬ8200ȱSchaffhausenȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Dr.ȱConstanceȱWinkelmannȱ TechnischeȱUniversitätȱDresdenȱ FachrichtungȱPsychologieȱ ArbeitsgruppeȱȈWissenȬDenkenȬHandelnȈȱ DȬ01062ȱDresdenȱ EȬMail:ȱ[email protected]Ȭdresden.deȱ ȱ Dr.ȱMarcȱWülserȱ InstitutȱfürȱArbeitsforschungȱundȱOrganisationsberatungȱ(iafob)ȱ ObereȱZäuneȱ14ȱ CHȬ8001ȱZürichȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ ȱ Prof.ȱDr.ȱMartinaȱZölchȱ FachhochschuleȱNordwestschweizȱ HochschuleȱfürȱWirtschaftȱȱ InstitutȱfürȱPersonalmanagementȱundȱOrganisationȱ(PMO)ȱ Riggenbachstrasseȱ16ȱ CHȬ4600ȱOltenȱ EȬMail:ȱ[email protected]ȱ

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