· · NEULAND IN DER THEOLOGIE /
lC;espräch ::'~t'ischell (IInerika}liscIzClt lIlld europäischen Tlu.lologen HERAUSGEGEBEN VON
James M.Robinson und John B.Cobb, Jr.
BAND 3
• Offenbarung als Wort und als Geschichte • Die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth • Der Sinn der Geschichte • Offenbarung und Auferstehung • Die Eigenart der Theologie Pannenbergs • Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft • Stellungnahme zur Diskussion
James M. Robinson Wolfhart Pannenberg Martin Buss Kendrick Grobel t William Hamilton lohn B. Cobb jr. Wolfhart Pannenberg
((Neuland in der Theologie)) Der anspruchsvolle Titel der Reihe, deren dritter Band hier vorliegt, nimmt das Programm der amerikanischen Vorlage «New frontiers in theology» auf. Der Herausgeber, J ames Robinson, umschreibt dieses Programm folgendermassen: «Die Reihe will nicht der Vorbereitung längst gefestigter Positionen von emeritierten Theologen dienen, sondern dem Vorstoss in das Neuland der theologischen Zukunft, die als unerledigte Aufgabe jeweils noch vor uns liegt.» Das Besondere des Unternehmens liegt darin, dass die Erörterung aktueller theologischer Thematik im lebendigen Gespräch zwischen Europäern und Amerikanern vor sich geht. Hier bietet sich die Gelegenheit, eine zugleich rasche und gründliche Reaktion amerikanischer Theologen auf Vorstösse kontinentalen Forschens zu erfahren. Dass die Theologie der Neuen Welt zu diesem spontanen Wechselspiel originale und konstruktive Beiträge beizusteuern hat, macht die Reihe evident. Und zugleich hilft sie - es erscheint neben dieser deutschen auch eine japanische Parallelausgabe - mit, die christlich-theologische Debatte auf weltweite Dimensionen auszudehnen. ((Theologie als Geschichte)) Anfangs der sechziger Jahre unserer Zeit ist eine neue theologische Schule in Erscheinung getreten. Diese neue Bewegung, die gewöhnlich als «Pannenberg-Kreis» angesprochen wird, ist die erste theologische Schule in jüngerer Zeit in Deutschland, welche nicht in der einen oder anderen Form die dialektische Theologie der zwanziger Jahre weiter entwickelt. Die «geschichtstheologische Konzeption» dieser Gruppe wird von demjenigen, der ihr den Namen gab, Walthart Pannenberg, so eingeleitet: «Geschichte ist der umfassendste Horizont christlicher Theologie. Alle theologischen Fragen und Antworten haben ihren Sinn nur innerhalb des Rahmens der Geschichte, die Gott mit der Menschheit und durch sie mit seiner ganzen Schöpfung hat, auf eine Zukunft hin, die vor der Welt noch verborgen, an Jesus Christus jedoch schon offenbar ist. Diese Voraussetzung christlicher Theologie muss heute nach zwei Seiten innerhalb der Theo-
logie selbst verteidigt werden: einerseits gegen die Existenztheologie Bultmanns und Gogartens, die die Geschichte auflöst in die Geschichtlichkeit der Existenz ; anderseits gegen die These, dass der eigentliche Glaubensgehalt übergeschichtlich seb Damit ist eine Position markiert, die der barthianischen wie der bultmann'schen Alternative gleicherweise zu widerstehen scheint. Bereits hat sie markante Weiterführungen erfahren, und ihre Auswirkungen auf das theologische Gespräch werden allseitig mit beträchtlichen Erwartungen verfolgt. Eine Lagebestimmung bietet dieser Band, der den schon gewohnten Aufbau der Reihe aufweist: Mit Meisterschaft gibt der Herausgeber, J ames M. Robinson, seine theologiegeschichtliche und systematische Übersicht über die zur Verhandlung stehenden Probleme. Hierauf folgt als Gesprächsgrundlage der programmatische Aufsatz Wolfhart Pannenbergs, auf welchen die amerikanischen Partner in kritischem Dialog eingehen. Abgerundet wird das Symposion durch die Zusammenfassung der Ergebnisse von John B. Cobb jr., sowie die Replik Pannenbergs. Die amerikanischen Initianten der Begegnung und Herausgeber der Reihe: James M. Robinson, Professor für Neues Testament und Theologie an der Claremont Graduate School, bekannt im deutschen Sprachbereich vor allem durch seine glänzende Studie «Kerygma und historischer Jesus». John B. Cobb , Professor für systematische Theologie an der Southern California School of Theology, Claremont. Professor Cobb war für 1965 und 1966 Gastdozent an der Universität Mainz, wo auch die Grundlagengespräche für Band IV der vorliegenden Reihe geführt wurden. Als Bände I und II sind erschienen: (( Der spätere Heidegger und die Theologie )) Einleitung von J ames Robinson, Hauptreferat von Heinrich Ott. (1964) (( Die neue Hermeneutik )) Einleitung von James Robinson, Hauptreferate von Gerhard Ebeling und Ernst Fuchs. (1965) Der in Vorbereitung befindliche Band IV bringt erstmals als Leitaufsatz einen Beitrag aus Amerika, auf welchen kontinentale Theologen antworten.
Zwingli Verlag Zürich/Stuttgart
NEULAND IN DER THEOLOGIE Ein Gespräch zwischen amerikanischen und europäischen Theologen Herausgegeben von James M. Robinson und John B. Cobb. jr .
BAND III
Theologie als Geschichte
Offenbarung als Wort und
als Geschichte
1ames M. Robinson
Die Offenbarung Gottes in 1esus von N azareth
Wolfhart Pannenberg
Der Sinn der Geschichte
Martin Buss
Offenbarung und Auferstehung Kendrick Grobel t Die Eigenart der Theologie Pannenbergs
William Ilamilton
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
lohn B. Cobb, jr.
Stellungnahme zur Diskussion
Wolfhart Pannenberg
NEULAND IN DER THEOLOGIE Ein Gespräch zwischen amerikanischen und europäischen Theologen
BAND 111
THEOLOGIE ALS GESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON JAMES M. ROBINSON JOHN B. COBB. jr.
ZWINGLI VERLAG ZÜRICH/STUTTGART
Titel der amerikanischen Ausgabe: New Frontiers in Theology Discussions among Continental and American Theologians Volume 111 Theology as History Verlag: Harper & Row, Publishers New York, Evanston and London Ins Deutsche übertragen von Gustav-Alfred Picard
1967 Zwingli Verlag Zürich Alle Rechte vorbehalten Printed in Switzerland by CVB-Druck, Zürich
VORWORT
Diese Reihe ist gemäß ihrem amerikanischen und deutschen Titel (vgl. Vorwort zu Bd.1, S.7-9 oben) ein Versuch, an Hand eines Leitaufsatzes eine sich anbahnende Entwicklung in ihrem Anfangsstadium herauszustellen und durch kritische Erörterung an ihr teilzunehmen. So wird jeder Band einen solchen leitenden Aufsatz enthalten. Ihm voraus geht eine Einführung von james M. Robinson, um die Situation in der deutschsprachigen Diskussion in ihren Zusammenhängen darzustellen, in die der Aufsatz gehört und in der er seine Bedeutung hat. Es sollen ihm dann konstruktive und kritische Beiträge von amerikanischen Theologen zum gleichen Thema folgen. Am Schluß werden john B. Cobb und der europäische Autor, dessen Aufsatz zur Debatte steht, das Thema im Licht der amerikanischen Beiträge noch einmal aufnehmen und zusammenfassend würdigen. Wenn diese Reihe nicht nur in japanischer, sondern auch in deutscher Übersetzung erscheint, so setzt sie sich, was die forschungsgeschichtlichen Einführungen angeht, dem Verdikt aus, nur Eulen nach Athen zu tragen. In der Tat sind solche Darstellungen nur, aber auch dann gerade sinnvoll, wenn sie problemgeschichtlich, also im ständigen Ringen um die Sache, an der theologischen Arbeit teilnehmen. Wenn andererseits die kritischen Stimmen vor allem der jüngeren theologischen Generation Amerikas zu neue ren theologischen Strömungen in Deutschland auch in deutscher Sprache zugänglich gemacht werden, so liegt das eben in der Absicht der englischen Ausgabe, ein wirkliches Zwiegespräch zu fördern. Wir können nur wünschen, daß 7
diese von Amerika nach Europa hinein dringenden Voten nicht unbeantwortet bleiben, sondern auf eine Fortsetzung des Gesprächs hoffen dürfen, wie auch in der japanischen Übersetzung das Gespräch durch Originalbeiträge japanischer Theologen aufgenommen und fortgesetzt werden wird. Dieser Band ist aufgrund ausführlicher Gespräche unter den beteiligten Autoren entstanden. Die Divinity School der Vanderbilt University hat alle Teilnehmer zu einer Tagung eingeladen, die diesen Austausch ermöglichte. Ihr sei an dieser Stelle unser Dank ausgesprochen. Ohne die Unterstützung des Präsidenten der School of Theology in Claremont, Ernest C. Colwell, hätte kein Band dieser Reihe erscheinen können. Ihm schulden wir erneut und beständig Dank. Seine Hilfe kam unter anderem darin zum Ausdruck, daß er bei der Schule die Freistellung eines Assistenten erwirkte. Larry Rose gebührt unser Dank, dass er in der Abwesenheit der beiden Herausgeber (in Jerusalem bzw. Mainz) das Manuskript für den Druck vorbereitete. Ein Zeichen für den Widerhall, den die Reihe gefunden hat, besteht darin, daß als vierter Band ein «umgekehrter» Band geplant wird, dessen Leitaufsatz von einem jüngeren amerikanischen Theologen stammt, der schon in Band 1 ein Votum zur Theologie Heinrich Otts lieferte. Auf diesen Leitaufsatz werden Voten derjenigen deutschsprachigen Theologen folgen, die die Leitaufsätze der ersten drei Bände geschrieben haben.
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INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
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1. Offenbarung als Wort und als Geschichte James M. Robinson I. Die theologische Erfahrung zeitgenössischer Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Ort der neuen Position im theologischen Spektrum ................ III. Die Debatte in der alttestamentlichen Wissenschaft IV. Die Debatte in der modernen systematischen Theologie .................
11 13 25 63 88
2. Die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth Wolfhart Pannenberg
135
Martin Buss
171
3. Der Sinn der Geschichte I. Geschichts- und Zeitbegriffe II. Biblische Geschichtsvorstellungen III. Die Gegenwart und das Unendliche
4. Offenbarung und Auferstehung
171 181 195
Kendrick Grobel t
197
5. Die Eigenart der Theologie Pannenbergs William Hamil ton 225
6. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft John B. Cobb jr.
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7. Stellungnahme zur Diskussion Wolfhart Pannenberg 285
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1. OFFENBARUNG ALS WORT UND ALS GESCHICHTE JA M ES M. R 0 BIN S 0 N
Die deutsche Theologie zwischen den beiden Weltkriegen war beherrscht von dem, was anfänglich eine einzige große Bewegung war, der «dialektischen Theologie», die sich dann aber spaltete in eine barthianische Richtung, die gewöhnlich die «Theologie des Wortes», und eine bultmannsche, die oft «kerygmatische Theologie» genannt wurde - Ausdrücke, die die gemeinsame Ausrichtung an der Auffassung des Wortes Gottes erkennen lassen. Diese glänzende theologische Epoche geht ihrem Ende entgegen, und langsam treten neue theologische Entwürfe auf. Eine der sich anbietenden Möglichkeiten liegt darin, die Herausstellung des Wortes Gottes von der dialektischen Theologie als Ausgangspunkt zu übernehmen und sie mit Sprachauffassungen zu koordinieren, die in neuerer Zeit entwikkelt wurden, so etwa dem Verständnis der Sprache als Ereignis, in dem Wirklichkeit geschieht. Das Ergebnis ist die neue Hermeneutik, die im zweiten Band der Reihe «Neuland in der Theologie)) analysiert worden ist. Eine zweite Möglichkeit ist darin zu sehen, «den Umkreis der ,Theologie des Wortes', die in der einen oder anderen Gestalt seit mehr als einem Zeitalter das theologische Denken bestimmt hat, (zu) verlassen» 1 und stattdessen den Schwerpunkt theologischen Denkens in einem Verständnis der Geschichte 1
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Wolfhart Pannenberg in «Offenbarung als Geschichte», KuD, Beiheft 1, 1961; 1963 2 , in seinem «Nachwortl> zur zweiten Auflage, S. 132. Der aufmerksame Leser wird merken, dass die Einführung von jemandem geschrieben wurde, der sich stärker der ersten Alternative verbunden weiss. Dieser Band möchte aber dem Leser eine der lebendigen Möglichkeiten heutiger Theologie 11
zu finden. Es ist diese Alternative, die in diesem Band untersucht werden soll,2 Es überrascht nicht, daß von Zeit zu Zeit Titel derjenigen Literatur, die sich mit dieser Entwicklung beschäftigt hat, die genannte Gegenüberstellung von Wort und Geschichte wiedergespiegelt haben. Ein Fürsprecher der neuen Position hat diese in einem Artikel verteidigt, der « Geschichte und Wort im Alten Testament» 8 überschrieben ist, und ein Kritiker hat seine Abhandlung «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte»4 genannt. In ähnlicher Weise hat der spiritus rector der neuen Bewegung einen Vergleich der zwei Positionen in einem Aufsatz vorgelegt, der den Titel »Hermeneutik und Universalgeschichte» 5 trägt. Die überschrift meiner Einführung soll diesen Sprachgebrauch der Diskussion selbst reflektieren. Solche Terminologie soll nicht nahelegen, es handle sich um eine Entweder-Oder-Beziehung zwischen Sprache und Geschichte. Vielmehr hat die Diskussion es mit der Frage zu tun: Welcher der beiden Entwürfe stellt die angemessenere übergreifende Kategorie bereit, um das richtige Verhältnis zwischen Sprache und Geschichte zum Ausdruck zu bringen? Indem «Hermeneutik» Sprache als Ereignis interpretiert, das in ,der fortwährenden übersetzung von Bedeutung wiederkehrt, liefert sie einen Ansatz für ein theo-
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vorstellen. Deswegen wurde der Versuch gemacht, Elemente, die möglicherweise den freien Zugang des Lesers zu dieser neuen und schöpferischen theologischen Position versperren könnten, so weit wie möglich zurückzustellen, ohne doch die Aufgeschlossenheit eines Beteiligten für die Sache und die Problematik aufzugeben. Rolf Rendtorff, «Geschichte und Wort im Alten Testament)), EvTh XXII, 1962, S.621-649. Günter Klein, «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte. Zur Auseinandersetzung mit Wolfhart Pannenberg)), Beiträge zur evangelischen Theologie, 37, München 1964. Wolfhart Pannenberg, «Hermeneutik und Universalgeschichte)), ZThK LX, 1963, S.90-121.
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logisches Verstehen der Geschichte. Und indem «Universalgeschichte» die Ereignisse im Zusammenhang der Vberlieferungsgeschichte interpretiert, unternimmt sie den Versuch eines theologischen Verstehens der Sprache. Und doch ist es nicht leicht zu vermeiden, daß jede Richtung diejenige Vorstellung vollständiger zur Sprache bringt, die sie selbst bisher als Modell für die übergreifende Auffassung verwendet hat. Deswegen ist die Debatte zwischen beiden Positionen oft einem bestimmten Schema gefolgt; der andere Diskussionspartner wurde dafür kritisiert, daß er diejenige Seite der Sache, die m'an selbst zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gemacht hatte, nicht ernst genug nahm, und in diesem Sinne behauptet man dann auch, der gesamten Wirklichkeit dadurch besser gerecht zu werden, daß man die eigene Auffassung als Modellvorstellung nehme, entweder die Sprachlichkeit aller Wirklichkeit oder die Vorstellung, die gesamte Wirklichkeit sei Geschichte.
I. Die theologische Erfahrung zeitgenössischer Geschichte Wenn es zutrifft, daß die Reflexion über Geschichte im Gefolge großer geschichtlicher Ereignisse einsetzt, dann sollten umgekehrt die Weisen, in denen solche Ereignisse selbst erfahren werden, auch das Verständnis von Geschichte, das im nachfolgenden historischen Studium am Werk ist, schon spüren lassen. Die Konturen der Position Wolfhart Pannenbergs hinsichtlich der christlichen Auffassung der Geschichte können deswegen schon vorausgeahnt werden, wenn man die verschiedenen Weisen einander gegenüberstellt, in der führende deutsche Theologen die beiden Weltkriege erfuhren. Im Jahre 1920 veröffentlichte «Die christliche WeIh einen aufrüttelnden Artikel, der alles verwarf, wofür die Zeitschrift sich einsetzte, besonders das Programm des Kulturprotestantismus, das in ihrem Titel zum Ausdruck kam. Dieser Artikel 13
eines Dorfpfarrers, Friedrich Gogarten, war bezeichnenderweise überschrieben: «Zwischen den Zeiten». Er begann: «Das ist das Schicksal unserer Generation, daß wir zwischen den Zeiten stehen. Wir gehörten nie zu der Zeit, die heute zu Ende geht. Ob wir je zu der Zeit gehören werden, die kommen wird? Und wenn wir von uns aus zu ihr gehören könnten, ob sie so bald kommen wird? So stehen wir mitten dazwischen. In einem leeren Raum.»t Die Niederlage und Entthronung des Kaisers und die damals sich ausbreitende ruinierende Inflation brachten das Ende einer Kultur, die ihr Selbstverständnis stolz auf die Koppelschlösser der Soldaten geschrieben hatte: «Gott mit uns». Dieses qualvolle Halt wird von Gogarten als eine willkommene Befreiung von leerer Theologie angesehen, die nur eine falsche Sicherheit gewährt hatte. Der schließliche äußere Zusammenbruch war das einzige, was aufgrund der inneren Hohlheit erwartet werden konnte. Der dramatischen Entdeckung der apokalyptischen Eschatologie des Urchristentums durch Albert Schweitzer, die vor dem 1. Weltkrieg nur deswegen Aufsehen erregt Ihatte, weil sie zeigte, wie unbedeutend die Lehre Jesu für die modeme Theologie war, folgte eine zweite WeHe des Staunens: diese Eschatologie schien besser als die modeme liberale Theologie 2 auf die augenblickUche Situation zugeschnitten zu sein; diese Situation sah man jetzt als Interim an, das dem Zusammenbruch des «gegenwärtigen bösen Äons» folgte. Gogarten argumentierte, die Zeit sei noch nicht gekommen, um ein neues Programm für die Zukunft aufzustellen und das Vakuum auszufüllen (Kommunismus und Nazismus sind 1
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Wiederabgedruckt aus «Die christliche WeIh in «Anfänge der dialektischen Theologie» 11, hrsg. von Jürgen Moltmann (Theologische Bücherei. Neudrucke und Berichte aus dem 20. Jahrhundert, 17), München 1963, S.95-101. So verfehlte zwischen den beiden Weltkriegen die vor dem 1. Weltkrieg führende theologische Zeitschrift des Liberalismus, die «Zeitschrift für Theologie und Kirche», trotz ihrer erklärten Absicht, Theologie als ständige hermeneutische übersetzung des Evangeliums in die zeitgenössische Situation zu
die lebendigen Möglichkeiten dieser Zukunft geworden!), sondern es sei vielmehr Zeit, endlich anzuhalten, unbelastet vom handfesten Interesse einer Kultur, die auf den Errungenschaften des Menschen aufgebaut gewesen sei, und es sei nun endlich einmal auf das zu hören, was Gott zu sagen habe. Gogarten scheint es nun bezeichnend, daß die innere Hohlheit vor dem äußeren Zusammenbruch sichtbar geworden war. Seine Generation war dessen ansichtig geworden aufgrund der historisch-kritischen Methode, mittels derer die großen Historiker des Tages die theologischen Studenten gelehrt hatten, biblische Geschichte und Kirchengeschichte geradeso wie alle andere Geschichte zu verstehen, d. h. als Tun des Menschen. Heilsgeschichte war lediglich als eine Form der langen Geschichte der menschlichen Selbstbehauptung demaskiert worden. ((Alle diese Dinge sind ja längst zersetzt. Sie sind längst entwicklungsgeschichtlich erklärt, längst in den Strom der allgemeinen Geschichte hineingestellt. Sie wurden es gerade in dem Augenblick, in dem Ihr sie wissenschaftlioh bearbeitetet. Nicht einen Augenblick vorher hättet Ihr das gedurft. Das ist tot, worauf die Wissenschaft (soll ich sagen ((unsere» Wissenschaft?) ihren Blick richtet und was sie begreifen kann. Und was hat diese Zeit noch, was die Wissenschaft noch nicht bearbeiten durfte und was sie nicht begriff? ... Wir sehen heute rund um die Erde herum keine Formung des Lebens, die nicht zersetzt wäre. Habt Ihr uns nicht gelehrt, in allem und jedem das Menschenwerk zu sehen? Habt Ihr uns nicht selbst die Augen für das Menschliche treiben, genau diese Aufgabe. Vgl. den überblick über die Geschichte dieser Zeitschrift in meinem einführenden Aufsatz «For Theology and the Church», mit dem Untertitel «The BuHmann School of Biblical Interpretation: New Directions?» Journal for Theology and the Church (abgekürzt JThC) I, 1965, 1-19, bes. S.16. Vgl. auch Paul Schempp, «Randglossen zum Barthianismus», «Anfänge der dialektischen Theologie», H, 305: «Barth macht Schule, weil seine Theologie der heutigen Geisteslage mehr entspricht als andere Theologien ... » 15
geschärft, indem Ihr uns alles in die Geschichte und in die Entwicklung einstelltet? Wir danken Buch, daß Ihr es tatet. Ihr schufet uns das Werkzeug, laßt es uns nun gebrauchen. Nun ziehen wir den Schluß: Alles, was irgendwie Menschenwerk ist, entsteht nicht nur, es vergeht auch wieder. Und es vergeht dann, wenn das Menschenwerk alles andere überwuchs. Ich sagte vorhin: wenn die Wissenschaft es begriff. Eben: das kann sie in dem Augenblick, in dem der Mensch sich durchgesetzt hat. Heute ist eine Stunde des Unterganges ... Wir haben das feinste Gefühl für das Menschliche bekommen... Und wir bewegen in allem Ernst den Gedanken bei uns, ob es heute überhaupt Menschen gibt, die wirklich Gott denken können.» 3 Hier wurde diejenige Theologie ins Leben gerufen, die uns heute als Theologie der «nachchristlidhen Ära» bekannt ist, einer Ära, in der «Gott tot ist)) und in der demgemäß Theologie «honest to God)) sein muß. Diese Theologie begann in dem Augenblick, als das säkulare Verständnis der Geschichte, wie es die historisch-kritische Methode implizierte, seine dramatische Bestätigung in den Ereignissen des Tages fand: der christliche Gottesdienst des Kaisers, der Gottes Reich auf Erden baute, wurde als ein höchst typisches Beispiel für den Nationalismus, Militarismus und Kolonialismus des 20. Jahrhunderts demaskiert. 4 Es überrascht nicht, daß diese Theologie Franz Overbecks Kategorisierung des Urchristentums als «urgeschichtlich)), verglichen mit der Geschichte der hellenistischen Literatur und Kultur, nun als ein normatives Urteil dafür interpretierte, was das Christentum sein sollte 5, daß diese Theologie aus 3 4
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Gogarten, a. a. 0., 8. 97 f. Zur Analyse der «demaskierenden)) Funktion der historischkritischen Methode vgl. Robert W. Funk, «D1:ts hermeneutische Problem und die historische Kritik)) in «Die neue Hermeneutik)), Bd. 2 dieser Reihe, besonders 8. 236 ff. Karl Barth, «Unerledigte Anfragen an die heutige Theologie)), geschrieben 1920, wieder veröffentlicht in «Die Theologie und die Kirche)), Gesammelte Aufsätze H, Zollikon-Zürich 1928, 8.1-25.
der kierkegaardschen «unendlichen qualitativen Differenz» zwischen Zeit und Ewigkeit ein «System» machte 6, und den Titel von Gogartens Artikel zum Namen ihrer Zeitschrift «Zwischen den Zeiten» wählte.' Und es überrascht nicht, daß der barthianische Flügel der dialektischen Theologie aus dem Umkreis dieser Theologie selbst nach dem 2. Weltkrieg durch die Übersetzung des paulinischen Satzes aus Röm. 10,4 «Christus ist das Ende des Gesetzes» mit ((Christus ist das Ende der Geschichte» 8 herausgefordert wurde, als er sich langsam auf die Heilsgeschichte zubewegte. Aber in den entscheidenden ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg, nachdem Bonhoeffer zum Schweigen gebracht worden war 9, die Nachkriegstheologie kaum begonnen hatte 19 und die gelegentlichen Versuche, zur Situation zu sprechen, 6
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Karl Barth, «Der Römerbrief)), Zollikon-Zürich, 1947, 2. Auf!., 8. Neudruck, S. XIII. Das Zitat stammt aus dem September 1921 geschriebenen Vorwort zur 2. Auf!. Karl Barth, Friedrich Gogarten und Eduard Thurneysen zeichneten für dieses Organ ihrer Schule von 1922-1933 verantwortlich. Es wurde herausgegeben von Georg Merz. Rudolf Bultmann, «Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen)), Zürich 1949, S.209. Ähnlich äußert sich Bultmann in New Testament Studies, I, 1954/55, S.13, wieder abgedruckt in «Glauben und Verstehen)) 111, Tübingen 1960, S. 103. Ebenso Ernst Fuchs, «Christus das Ende der Geschichte)) (Besprechung von Oscar Cullmann, «Christus und die Zeit))), EvTh VIII, 1948/49, S. 447-461; wieder abgedruckt in «Zur Frage nach dem historischen Jesus)), Gesammelte Aufsätze 11, Tübingen 1960, S.79-99. Bonhoeffer wurde im April 1945 gehängt und begann erst wieder posthum auf die Theologie einzuwirken mit der Veröffentlichung von «Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft)), München 1951. Die Währungsreform von 1948 markierte stärker als das Jahr 1945 den Beginn deutscher Nachkriegsaktivität. Erst seit diesem Ereignis kann man wirklich Zeichen neuer theologischer Energie bemerken, so etwa 1948 die Veröffentlichung der ersten Lieferung der «Theologie des Neuen Testamentes)) von Rudolf Bultmann und 1950 die Wiederaufnahme der Veröffentlichung der ZThK. 17
oft eher gut gemeint als wirklich angemessen waren 11, zeigten sich viele bereit, auf jemanden zu hören, der einen neuen Anhaltspunkt geben konnte. Als die Universität Heidelberg nach dem Kriege wiedereröffnet wurde, legte der erste aus der Theologischen Fakultät gewählte Rektor in seiner Rektoratsrede den Versuch einer theologischen Neu-Interpretation derjenigen Geschichte vor, die sich gerade ereignete. Hans von Campenhausen sprach über «Augustin und der Fall von Rom)) .12 Seine Beschreibung des Endes des ersten Römischen Reiches, angefangen von der Vergewaltigung und Plünderung, die die Ewige Stadt in Schutt und Asche versinken ließ (wie die meisten deutschen Städte im Jahre 1945) bis hin zu dem Strom erbarmungswürdiger Flüchtlinge, die in solchen Regionen (wie Heidelberg) Schutz und Heimat suchten, die nicht vom Krieg verwüstet worden waren, dies alles warf gewiß ein grelles Licht auf die Parallele zum Fall des Dritten Reiohes. Dann skizzierte von Campenhausen in eindrücklichen Worten, wie Augustin angesichts der Katastrophe, die ad oculos zu demonstrieren schien, daß die Geschichte keinen Sinn und das Christentum keinen Wert habe, in «De civitate Deü) , der «letzten, größten Apologie des christlichen Altertums» 13, «eine Neubegründung des christlichen Glaubens selbst in der Entfaltung einer kon11
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Günther Bornkamms Broschüre von 1946, die Jean Pauls «Rede des toten Christus, vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei)) zitierte, gelang es, zum Ausdruck zu bringen, was viele Deutsche zu jener Zeit fühlten. Sein eigenes «Nachwort» mag ganz ähnlich wie die Sprache Kanaans geklungen haben, die man gehört hatte, als man das letzte Mal zur Kirche gegangen war. Wieder abgedruckt in «Studien zu Antike und Urchristentum», Gesammelte Aufsätze 11 (Beiträge zur evangelischen Theologie, 28), München 1959, S.245-252'. «Augustin und der Fall von Rom», zuerst veröffentlicht in «Weltgeschichte und Gottesgericht)) (Lebendige Wissenschaft I), Stuttgart 1947, S.2-18; wieder abgedruckt in «Tradition und Leben. Kräfte der Kirchengeschichte», Aufsätze und Vorträge, Tübingen 1960, S.253-271. A. a. 0., S.256.
kreten, die aktuellen Sorgen und Nöte nennenden Theodizee» 14 vorgelegt habe. Diese Apologie sei nicht eigentlich ein Versuch, die Wahrheit und Notwendigkeit des Christentums zu beweisen; vielmehr sei sie ein Appell zu glauben, daß es trotz der offensichtlichen Willkür und der sich daraus ergebenden Sinnlosigkeit des Geschehens am Jüngsten Tage vor Gottes Thron eine Auflösung des Rätsels, eine Bestätigung der Gerechtigkeit Gottes und des christlichen Glaubens geben werde. 15 Von Campenhausens Anliegen ist es, ein «pietistisches und individualistisches)) Augustin-Verständnis zu korrigieren 16, demzufolge Augustins Erwiderung «wie ein schlechthin resignierter Rückzug aus der Welt der Wirklichkeit und ihrer politischen Entscheidungen verstanden werden (könnte), als die endgültige Begründung einer rein individualistischen asketisdhen Einstellung zum Leben, die auf die Gestaltung der Weltgeschichte im großen verzichtet und sie, im Grunde kampflos, den nur noch irdischen, dämonischen Gewalten überläßb .17 Vielmehr konfrontiert Augustin die civitas terrena mit der civitas dei, mit «Wirklichkeit und wirklicher Gemeinschaft».18 «Augustin fühlt, daß mit der Beschwörung der nationalen Größe und Vergangenheit eine sittliche Macht und eine Leidenschaft auf 14
A. a. 0., S,259.
15 A. a. 0., S. 261. Dies sind auch die Worte, mit denen von Campenhausen in seiner Ansprache an der Universität Heidelberg aus Anlaß des 400. Todestages Martin Luthers (18. Februar 1946) die Position beschrieben hatte, die «seit Augustin" fälschlicherweise mit der christlichen identifiziert worden sei. Die Ansprache stand unter dem Thema «Gottesgericht und Menschengerechtigkeit in der Geschichte)), in «Vom neuen Geist der Universität. Dokumente, Reden und Vorträge 1945-4611,hrsg. von K. H. Bauer (Schriften der Universität Heidelberg, 2), Berlin und Heidelberg 1947, S. 64-73, besonders S. 65. Die Position Luthers, wie sie in dieser Ansprache dargelegt wird, ist derjenigen Augustins verwandt, wie sie in der Rektoratsrede entfaltet wurde. 17 «Tradition und Leben)), S.262. 18 A. a. O.
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den Plan gerufen ist, an der auch die Kirche nicht vorübergehen, die sie nicht einfach den heidnischen Gegnern überlassen und ungeprüft verdammen kann. Es gilt, Rede zu stehen, und die religiöse Apologie wird damit zur kritischen Revision des herrschenden geschichtlichen Bewußtseins, zu einem Kampf um den rechten Besitz der eigenen Vergangenheit und der politischen Geschichte überhaupt.» 1" Augustin widersetzt sich «der herrschenden nationalen Ideologie der heidnischen Historiker und Philosophen)) und erkennt im Hochmut, der das Individuum von Gott trennt, die treibende Kraft im römischen Staat, die zu seinem Untergang geführt hat. 20 In dieser Weise erarbeitete Augustin ein christliches Verständnis der Geschichte Roms vom Mord des Romulus an seinem Bruder angefangen bis hin zur Degeneration seiner eigenen Zeit. Und dieser vergangenen Geschichte steht nun eine neue christliche Gesellschaft der Zukunft gegenüber, in der «politische Tugenden in einem neuen Geiste wiedererstehen)).21 Auf diese Weise zeigte sich Augustin der Lage gewachsen, die durch den Untergang Roms geschaffen worden war, legte das Evangelium in der Sprache der Situation aus, die er vorfand, und wurde so «zum ersten Universal'historiker und Geschichtstheologen des Abendlandes)).22 Von Campenhausen schloß seine Rede mit einem Programm, wie sich zeitgenössische Theologie an Augustins christlicher Gesohichtsphilosophie orientieren könne. «Der Kirchenhistoriker hat jedenfalls keine Veranlassung, die Aufgabe, die ihm Augustin gestellt hat, heute fahren zu lassen; er hat sie nur mit neuen Mitteln wieder zu ergreifen. Es ist freilich ein weiter Weg, bis wir eine modemen religions geschichtlichen und historischen Ansprüchen genügende Gesamtgeschidhte der Kirche besitzen werden, in der, wie es ihr Sinn fordert, jede Epoche trotzdem unmit19
A. a. 0., S. 263.
20 A. a. 0., S. 263 f. 21 A. a. 0., S. 266. 22 A. a. 0., S. 270. 20
telbar auf Christus bezogen und an der ursprünglichen Verkündigung Jesu gemessen ist. Sie verlangt überdies auch, um ein wirkliches Ganzes zu bilden, immer noch eine entsprechende theolo1gische Erfassung der israelitisch-vorderasiatischen Geschichte als eine Bewegung auf Christus hin und in ihrem Zentrum natürlich die nach rückwärts und vorwärts weisende Darstellung des Urchristentums und ]esu selbst. Erst so würden die Fächer der historischen Theologie in ihrer Einheit und Gesamtheit theologisch das wieder leisten können, was Augustin einst als einzelner sowohl gefordert wie erfüllt hat.))23 Es könnte scheinen, als habe dieses Programm zur selben Zeit seine Durchführung in einem Werk wie Oscar Cullmanns «Christus und die Zeit)) 24 gefunden. Von Campenhausen hatte von Heilsgeschichte gesprochen, und obwohl Bultmann und Hans von Soden seine Lehrer gewesen waren, konnte er seine Auffassung in einer an Cullmann erinnernden Sprache darlegen. «Alle Linien der Geschichte laufen seit Anbeginn auf einen Punkt in der Zeit zu und münden bei J esus Christus, in dem sich Sinn und Ziel der ganzen Bewegung geheimnisvoll enthüllen. Hier beginnt die Geschichte unserer Gegenwart, die wieder demselben Christus unaufhaltsam entgegenwallt, nämlich seiner Wiederkunft am Ende der Tage zur Vollendung und zum Gericht.))25 Aber diese Heilsgesohichte wurde doch bald durch Rudolf Bultmanns Konzeption des «Heilsgeschehens)) ersetzt, und die erwachende Geschichtsphilosophie machte dem Existentialismus mit der von ihm behaupteten Geschichtlichkeit der Existenz als dem angemessenen Partner der Theologie Platz. 23 A. a. 0., S. 271. 24
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«(Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung)), Zollikon-Zürich 1946. Der objektive Wert dieser Arbeit in ihren historischen Aspekten schien in gewisser Weise bestätigt zu werden durch den Gebrauch, den Kar! Löwith, wenn auch mit anderer ideologischer Ausrichtung, von ihr machte, ((Weltgeschichte und HeilsgeschehenlI, Stuttgart 1953. Tradition und Lebenn, S.271.
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Mittlerweile wirkte die Anregung der von campenhausensahen Rektoratsrede unter den tlheologischen Studenten weiter, die in solchen Scharen nach Heidelberg strömten, dass in den Lesesälen der Universitätsbibliothek und des Theologischen Seminars bald nur noch Stehplätze frei waren. Die systematischen Theologen Peter Brunner und Edmund Schlink mit ihrer streng lutherischen Dogmatik schienen zeitgemäß zu sein, als sie ein mutiges Christentum vertraten, das sich nicht bei Kulturmoden und dem modernen Geist einsahmeicheln wollte, sondern sich damit zufrieden gab, ein unzweideutiges Zeugnis abzulegen. Und die alttestamentliche Theologie Gerhard von Rads begann, in grandiosem Entwurf den grundlegenden alttestamentlichen Beitrag zu der These auszuarbeiten, daß Theologie letztlich eine Interpretation der Geschichte sei. Aus einer Gruppe junger Studenten, die sich aufgrund solcher Einflüsse zusammengefunden hatten, wurde schließlich eine kleine, aber zusammenbleibende Diskussionsgruppe, die langsam sichtbar wurde, als Dissertationen und Habilitationsschriften im Druck zu erscheinen begannen. Wolfhart Pannenberg 26 , jetzt Professor für systematische l'heologie an der Universität Mainz, veröffentlichte seine
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Pannenberg, geboren im Jahre 1928, kam im Jahre 1951 nach Heidelberg, nachdem er ein Jahr in Basel studiert hatte, wo er stark von Barth beeinflußt worden war, aber an zwei Punkten gegen ihn Stellung genommen hatte: er erkannte, wie Barth es nicht tat, die konstitutive Notwendigkeit historisch-kritischen Studiums der Bibel (mit einer modifizierten Methodologie) an und wurde so auf die historischen Disziplinen in Heidelberg verwiesen; und im Unterschied zu Barth erkannte er, daß es notwendig war, sich ernsthafter mit nicht-theologischen Gedanken im allgemeinen zu befassen. Er hatte 1948/49 in Göttingen bei Nicolai Hartmann und 1950/51 bei Karl Jaspers in Basel Philosophie studiert, und er setzte diese Studien 1951/53 in Heidelberg bei Karl Löwith fort. Pannenbergs eigener Weg zum Christentum war mehr ein Weg rationaler Reflektion als ein Weg christlicher Erziehung oder der einer Bekehrungserfahrung gewesen.
«Prädestinationslehre des Duns Scotus» 27 im Jahre 1954, in demselben Jahr, als RoIf Rendtorff, jetzt Professor für Altes Testament an der Universität Heidelberg, seine, Schrift «Das Gesetz in der Priesterschrift. Eine gattungsgeschichtliehe Untersuchung» 28 vorlegte. Sein Bruder Trutz, jetzt Dozent für systematische Theologie an der Universität Münster, publizierte im Jahre 1958 «Die soziale Struktur der Gemeinde. Die kirchlichen Lebensformen im gesellschaftlichen Wandel der Gegenwart».211 1959 ließ Klaus Kom, jetzt Professor für Altes Testament an der Universität Hamburg, RoIf Rendtorffs Arbeit über die Priesterschrift seine eigene folgen: «Die Priesterschrift von Exodus 25 bis Leviticus 16)).30 Ulrich Wilckens, jetzt Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule in Berlin, veröffentliohte im selben Jahr seine Dissertation «Weisheit und Torheit. Eine exegetisclt-religionsgeschichtlidhe Untersuchung zu 1. Kor. 1 und 2)) 31 und zwei Jahre später seine Habilitationsschrift mit dem Titel «Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen)). 32 Mittlerweile hatte Dietrich R6ssler im Jahre 1960 seine in der Neutestamentlichen Abteilung der Hei'delberger Theologisohen Fakultät angefertigte Dissertation unter dem Titel «Gesetz und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie der jüdisahen Apokalyptik und der pharisäischen Orthodoxie)) 33 veröffentlioht; und im gleichen Jahr legte Martin Elze, jetzt Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen, seine Dissertation «Tatian ,und seine Theologie)) 34 vor. Rössler wechselte hin27 FKDG 4, Göttingen. 28 FRLANT 62, Göttingen. Studien zur evangelischen Sozialtheologie und Sozialethik I, Hamburg. 30 FRLANT 71, Göttingen. 31 BHTh 26, Tübingen. 32 Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, abgekürzt WMANT, 5, Neukirchen 1961, 19612. 33 WMANT 3, Neukirchen, 1962 2• 84 FKDG 9, Göttingen. 29
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über in die praktische Theologie mit einem kleinen Band «Der ,ganze' Mensch. Das Menschenbild der neueren Seelsorgelehre und des modernen medizinischen Denkens im Zusammenhang der allgemeinen Anthropologie» 35 und ist jetzt Professor für praktische Theologie an der Universität Tübingen. Damit man die innere Einheit in dieser Serie nicht unmittelbar zusammenhängender Monographien, die sich mit Problemen des Alten Testaments bis hin zu solchen der sozialen Struktur der Kirche und der Psychiatrie der Gegenwart beschäftigen, nicht übersehe, erschien auf dem Höhepunkt dieser Welle von Monographien im Jahre 1959 Pannenbergs programmatischer Aufsatz «Heilsgeschehen und Gesohichte»36, mit der folgenden Anmerkung zur Überschrift: «Die nachstehenden Ausführungen geben in etwas überarbeiteter Gestalt einen Vortrag wieder, der am 5.1. 1959 bei einer Zusammenkunft der Dozentenkollegien der Kirchlichen Hochschulen Bethel und Wuppertal in Wuppertal gehalten wurde. Sie berühren sich, besonders im ersten Teil, mit dem Thema, dem seit sieben Jahren die regelmäßigen Bemühungen eines ursprünglich Heidelberger theologischen Kreises gewidmet sind. So liegt es in der Natur der Sache, daß vieles an den folgenden Erwägungen, obwohl alles auf eigene Verantwortung gesagt ist, so nicht gesagt werden könnte ohne das ständige Gespräch mit M. Elze, K. Koch, R. Rendtorff, D. Rössler und U. Wilckens».s7 55
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Göttingen 1962. Vgl. Anm.1 zu Abschnitt 2, unten. Vgl. die erste Anmerkung des Aufsatzes von Ulrich Wilckens «Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem», ZThK LVI, 1959, S.273: «Antrittsvorlesung, gehalten am 10. Dezember 1958 in Heidelberg und am 12. Dezember 1958 in Marburg/Lahn. Die hier absichtlich nur skizzierte These ist entstanden aus dem Zusammenhang jahrelanger gemeinsamer theologischer Arbeit mit Martin Elze, Klaus Koch, Wolfhart Pannenberg, RoIf Rendtorff und Dietrich Rössler.» Robert 1. Wilken, «Who is Wolfhart Pannenberg?» Dialogue IV, 1965, S.140, sagt, die Gruppe habe ursprünglich nur aus
Eine neue Schule war ins Leben getreten. Diese neue Bewegung, die gewöhnlich als «Pannenberg-Kreis» 38 angesprochen wird, ist die erste, die aus der Generation heraus entstand, die in Deutschland eine gute Zeit nach dem 1. Weltkrieg geboren wurde, die zur Zeit des Aufstiegs des Dritten Reiches, des 2. Weltkrieges und des Zusammenbruohes 1945 aufwuchs und die in der Bundesrepublik erwachsen wurde. Es ist auch die erste theologische Schule in neuerer Zeit in Deutschland, die nicht in der einen oder anderen Form die dialektische Theologie der zwanziger Jahre weiter entwickelt.
ll. Der Ort der neuen Position im theologischen Spektrum Die Position, die aus dieser neuen Bewegung hervorging, wurde zuerst als solche vorgelegt in dem programmatischen Aufsatz Pannenbergs, der den Titel «Heilsgeschehen und
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Wilckens, Rössler, Koch und Rendtorff bestanden. Lothar Steiger, «Offenbarungsgeschichte und theologische Vernunft. Zur Theologie W. Pannenbergs)), ZThK LIX, 1962, S.89, kommentiert: «Weniger deutlich lassen ihre Zugehörigkeit zu diesem Kreis bisher der Alttestamentler Klaus Koch und auf kirchengeschichtlichem Gebiet Martin Elze erkennen.)) Trotzdem sind Kochs Aufsätze, uSpätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches Danieh, Historische Zeitschrift CXCL, 1961, S.1-32, und uDer Tod des Religionsstifters)), KuD VIII, 1954, S. 100-123, und Elzes Aufsatz, uDer Begriff des Dogmas in der Alten Kirche)), ZThK LXI, 1964, S. 421-438, an Pannenbergs Position orientiert. Der Bruder Rolf Rendtorffs, Trutz Rendtorff, identifizierte sich mit der Gruppe mit seinem Aufsatz uDas Offenbarungsproblem im Kirchenbegriff)), «Offenbarung als Geschichte)), KuD Beiheft 1, Göttingen 1961, S.115-131. August Strobels Buch, uDie apokalyptische Sendung Jesu. Gedanken zur Neuorientierung in der kerygmatischen Frage, Rothenburg o. d. Tauber 1962, weist darauf hin, daß er die neue Position mit dem unkritischen Eifer, der für den Konvertiten bezeichnend ist (vgl. Ulrich Wilckens' etwas kühle Besprechung, ThLZ LXXXIX, 1964, Sp. 670-672) übernommen hat. Pannenberg nennt die Bewegung einen uArbeitskreis)) und ihre gemeinsame Position eine ugeschichtstheologische Konzeption)), uGrundzüge der Christologie)), Gütersloh 1964, S.9. 25
Geschichte» 1 trägt. Dieser Aufsatz enthält sowohl eine kritische Prüfung der gegenwärtigen theologischen Richtungen in Deutschland wie auch die Hauptlinien einer möglichen Alternative zu ihnen. Und man kann eine Beurteilung der neuen Bewegung und der Rolle, die sie augenblicklich in der deutschen theologischen Diskussion spielt, wirklich am besten dadurch versuchen, daß man klärt, wo sie, verglichen mit diesen anderen Positionen, ihre Akzente setzt. Die Diskussion wurde in dieser Hinsiciht anfänglich durch vorschnelle Vermutungen auf beiden Seiten behindert. Denn die älteren Positionen verfügen über gewisse von ihnen abgewiesene Kategorien, mit denen es allzu einfach ist, jede abweichende Meinung zu klassifizieren und abzuwerten. Und die jüngere Bewegung, die die älteren Auffassungen nicht in ihrer ursprüngliclhen Kraft und Entdeckerfreude, sondern als weitergereichte und verwässerte «sichere Lehre» kennengelernt hat, mag den Theologien, gegen die sie opponiert, nicht wirklich Gerechtigkeit widerfa/hren lassen. Deswegen kann es die Absicht dieses Abschnittes nur sein, solche anfängliahe Einschätzung hinter sich zu lassen und eine zutreffendere Erkundung der abweichenden Meinungen zu versuclhen. Der programmatische Aufsatz begann damit, seinen eigenen Ort im Spektrum folgendermaßen zu bestimmen: «Gesclhiahte ist der umfassendste Horizont christlicher Theologie. Alle theologischen Fragen und Antworten haben ihren Sinn nur innerhalb des Rahmens der Geschichte, die Gott mit der Mensahheit und durch sie mit seiner ganzen 1
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«Heils geschehen und Geschichte)), KuD V, 1959, S.218-237, 259 -288. Der erste Teil in leicht gekürzter Form in «Probleme alttestamentlicher Hermeneutik)), hrsg. v. Claus Westermann, München 1960, S.295-318, wieder abgedruckt. (Es ist merkwürdig, daß die Seiten 233-235 des ursprünglichen Aufsatzes, in denen Pannenberg die meiste übereinstimmung mit der anderen Seite, in diesem Fall mit Kierkegaard und Gogarten, ausdrückt, im Nachdruck ausgelassen worden sind, der dort wieder einsetzt, wo die Kritik, in diesem Fall an BuHmann, wiederaufgenommen wird.)
Schöpfung hat, auf eine Zukunft hin, die vor der Welt noch verborgen, an Jesus Christus jedoch schon offenbar ist. Diese Voraussetzung christlicher Theologie muß heute nach zwei Seiten innerhalb der Theologie selbst verteidigt werden: einerseits gegen die Existenztheologie Bultmanns und Gogartens, die die Geschichte auflöst in die Geschichtlichkeit der Existenz; andererseits gegen die These, daß der eigentliche Glaubensgehalt übergesdhichtlich sei, eine Auffassung, die innerhalb der heilsgeschichtlichen Tradition von Martin Kähler entwickelt wurde. Diese Annahme eines übergeschichtlichen Kernes der Gesohichte, die sachlich schon in der gegen die Historie abgegrenzten heilsgeschidhtliohen Theologie Hofmanns vorliegt und heute besonders in der Gestalt von Barths Deutung der Inkarnation als ,Urgeschichte' lebendig ist, muß ähnlich wie die Reduktion der Geschichte auf Geschichtlichkeit die eigentliche Gesclhichte entwerten. Beide theologisohen Positionen, die der reinen Geschiohtlicihkeit und die des übergeschichtlichen Glaubensgrundes, haben aber ein gemeinsames außertheologisches Motiv. Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt ist darin zu erblicken, daß die historisch-kritische Forschung als wissenschaftliche Feststellung des Geschehens für das Heilsgeschehen keinen Raum mehr zu lassen schien: Darum flüchtete die heilsgesclhichtliche Theologie in den vermeintlich vor der historisch-kritischen Flut sicheren Hafen einer Übergeschichte, oder - mit Barvh - einer Urgeschichte. Aus dem gleichen Grunde zog sich die Existenztheologie zurück von dem sinn- und heillosen ,objektiven' Geschehensablauf auf die Erfahrung der Bedeutsamkeit der Gesohichte in der ,Geschichtlichkeit' des Einzelnen. So muß die Geschichtshaftigkeit des Heilsgeschehens heute in Auseinandersetzung mit der Existenztheologie, der heilsgeschichtlicihen Theologie und mit den methodischen Grundsätzen der historischkritischen Forschung behauptet werden.))2 2
KuD V, 1959, S.218. Neudruck in «Probleme alttestamentlicher Hermeneutik)), S. 295 f.
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Diese Position scheint der barthianischen wie der bultmannsehen Alternative gleicherweise zu widersprechen. Aber der Begriff der «Urgeschichte» war auf den frühen Barth beschränkt, so daß das Zitat keine direkte Kritik an den Barthianern von heute darstellt, wie es zunächst scheinen könnte. Allerdings scheint wirklich auch der spätere Barth noch so etwas wie einen übernatürlichen Bereich zu kennen. 3 Aber das Schwergewicht der Überlegungen hat sich in der barthianischen Bewegung doch in Richtung auf eine Sicht der Offenbarungsgeschichte hin verschoben, die derjenigen nähersteht, aus der die Pannenberg-Bewegung hervorgegangen ist. In diesem Sinne konnte Barth seine Zustimmung zu den Ansichten «der heutigen alttestamentlichen Gelehrten» hinsichtlich «GlaJUben und Geschichte» 4 zum Ausdruck bringen. Nun geht Pannenbergs Geschichtskonzeption zurück auf von Rad, und Zimmerli trug wesentliche Gedanken bei zur Theologie der Pannenberg-Gruppe
3
4
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Vgl. Bornkamm, «Die Theologie Rudolf Bultmanns in der neueren Diskussion. Zum Problem der Entmythologisierung und Hermeneutikl>, ThR NF XXIX, 1963, S. 88 f.: «Bei Barth dagegen hat es den Anschein, als verlange die Offenbarung von uns nicht nur den Glauben, sondern eine andere Vorgabe, nämlich die vorgängige Aussparung eines Bereiches geheimnisvoller Dinge, die ich, wie in der orthodoxen Tradition ja allerdings üblich, mit Hilfe eines formalen Schrift- und Kanonbegriffes zuvor ausgrenze und nicht mehr zum Gegenstand kritischen Fragens machen darb. Auf S.89, Anm.1 bemerkt er, daß er diesen kritischen Punkt schon im Jahre 1951 registriert habe und daß in der Zwischenzeit seine Hoffnung, Barth mißverstanden zu haben, «blasser geworden» sei. Pannenberg spürt in Barths Vernachlässigung der historisch-kritischen Methode eine Fortsetzung der Position der «Urgeschichte». Vgl. Barth, «How My Mind Has Changed», in «The Christian Century» LXXVII, 1960, S.75: «Ich finde es bezeichnend, daß die heutigen alttestamentlichen Gelehrten besonders hinsichtlich der alten, aber immer neuen Frage nach dem Verhältnis zwischen ,Glauben und Geschichte' im ganzen auf viel besserem Grund stehen als die maßgebenden Menschen des Neuen Testamentes» .
und fand es schwer, seine eigene Position von ihr zu unterscheiden, wie das nächste Kapitel dieser Einführung zeigen wird. Als die barthianische Zeitschrift «Evangelische Theologie» im September 1961 eine Sitzung ihres Herausgeberkreises einberief, um eine Reorganisation nach wissenschaftlichen Grundsätzen durchzuführen und kritisch Stellung zu nehmen zu «einer wieder in neuer Gestalt auftauohenden Theologie der Geschichte und Geschichtstheologie» 5, ließen die dort vorgetragenen Diskussionsbeiträge eher erkennen, bis zu welchem Grade die zwei Bewegungen konvergierten 6. Der wichtigste theologische Beitrag war der von Jürgen Moltmann, der als Herausgeber der Sammlung wichtiger Artikel aus den zwanziger Jahren, die unter dem Titel «Anfänge der dialektischen Theologie» wieder abgedruckt wurden, und aufgrund seines eigenen Buches «Theologie der Hoffnung» bekannt 5
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Vgl. EvTh XXI, 1961, 8.529 f. Der Herausgeber, Ernst Wolf, brachte die persönliche Unzufriedenheit der Barthianer mit dieser neuen Bewegung zum Ausdruck, indem er in dieser Weise eine Parallele zu der Geschichtstheologie zog, die von den Deutschen Christen vertreten worden war, eine Unterstellung, die er später zurückzog, EvTh XXII, 1962, 8.22'3 f. Die reorganisierte Zeitschrift begann mit einem Doppelheft im Januar/Februar 1962, das die Referate enthielt, die auf der Tagung diskutiert worden waren: Bornkamm, der sich nicht direkt mit der Auffassung Pannenbergs beschäftigte, referierte über «Geschichte und Glaube im Neuen Testament. Ein Beitrag der ,historischen' Begründung theologischer Aussagen», XXII, 8.1-15; Walter Zimmerli, «,Offenbarung' im Alten Testament. Ein Gespräch mit R. Rendtorffn, XXII, 8.15-31; dieser Beitrag wird im nächsten Abschnitt diskutiert; Jürgen Moltmann, «Exegese und Eschatologie der Geschichte», XXII, 8.31-66; Rudolf Bohren, «Die Krise der Predigt als Frage an die Exegese», XXII, 8.66-92. Nur ein zusätzlicher Artikel eines weiteren Tagungsteilnehmers, Hans Georg Geyers, brachte überhaupt eine weitgehende Abweichung von Pannenberg: «Geschichte als theologisches Problem. Bemerkungen zu W. Pannenbergs Geschichtstheologie», XXII, 8.92-104. In seinem «Nachwort» zu «Offenbarung als Geschichte» relativiert Pannenberg die Verschiedenheit ihrer bei den Positionen. 29
geworden ist. Sein Beitrag läuft weithin den Gedanken PannenbeJlgs parallel, und er gibt «die Theologie des Wortes Gottes» nur in etwas peripherer Weise wieder. 7 Und Bohren, der die moltmannsahen Gedanken auf das homiletische Problem anwendete, während er in Pannenbergs Betonung der Tatsachen, die für sich selbst sprechen, einen «völligen Niedergang der Predigt» 8 sieht, stellt im weiteren Verlauf seiner Arbeit fest, ,daß diese Herausarbeitung des Schwerpunktes, wie sie Pannenberg bietet, «einfach befreiend» 9 ist, und er skizziert dann eine Predigtlehre, die am Erinnern und Erzählen von Geschichte orientiert ist und die sehr wohl eine homiletische Ausführung der pannenbergsahen Theologie sein könnte. Die dialektische Theologie hatte sich ursprünglich in ihrer Polemik mit einer objektivierenden idealistischen Interpretation der Geschichte derart auseinandergesetzt, daß sie sich selbst für eine Begegnung mit der Geschichte aussprach, in der die Geschiohte letztlich nicht vom Menschen kontrollierbar ist, sondern vielmehr den Zugang zu dem eröffnet, was ihm nicht verfügbar ist und ihm deswegen als reales, unersetzbares und autoritatives Ereignis 7
8 9
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In seinem Vorwort zu «Anfänge der dialektischen Theologie» behauptet Moltmann, daß die «Theologie des Wortes 11 die einzig «angemessene» Bezeichnung für die dialektische Theologie sei. Auf S. 58 in EvTh XXII findet man ein schwindendes Echo dieser Theologie: «Die Offenbarung der speziellen glaubenbegründenden Geschichte in Christus geschieht in dem geschichtswirkenden Wort ... damit wird die Geschichte nicht zur Offenbarung, wohl aber zum Spielraum der Offenbarung ... » Aber das wird dann in eine stärker auf Pannenberg zuführende Richtung gelenkt, S.59: «Die eschatologische Verkündigung bewirkt und provoziert die Erfahrung der Wirklichkeit als Geschichte ... macht die Wirklichkeit, in der Menschen miteinander leben, zum Geschichtsprozeß ... 1I Moltmann verteidigt in seiner «Theologie der Hoffnung», München 1964, 19652 , S. 49, Barth gegen Pannenberg, der Barths Verständnis des Wortes Gottes mit Gnosis und Personalismus in Verbindung bringt. EvTh XXII, 1962, S. 78. A. a. 0., S. 82 f.
begegnet. 1o Es war dieses neue Verständnis der Geschiohte, das in den Begriffen einer geschichtlichen Auffassung des Wortes noch angemessener zum Ausdruck kam, mit der es dann auch. koordiniert wurde. l l Es scheint, als schwinde diese Koordination nunmehr unter den Barthianern, mit dem Ergebnis, daß die Auffassung des Wortes in der mit der Tradition gegebenen Geschlchtsauffassung aufgeht also in dem, was Pannenberg in seiner Gescihiohtsauffassung aufnimmt. Deswegen neigt der Barthianer dazu zu verkennen, wie stark seine eigene Position der Pannenbergs ähnlich geworden ist, mit dem Ergebnis, daß er den Unterschied nur dadurch kenntlich machen kann, daß er Pannenbergs Auffassung in größere Nähe zum Positivismus stellt, als es eigentlich möglich ist. Zum Beispiel faßt Eduard Schweizer kritisch zusammen: «Dem (pannenbergkreis) nach muß die Offenbarung Gottes ausschließlich 10
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Vgl. z. B. Bultmanns Kritik an seinen Vorgängern, «Das Problem einer theologischen Exegese des Neuen Testaments», in «Zwischen den Zeiten)) 111, 1925, S.334-357, wieder abgedruckt in «Anfänge der dialektischen Theologie)) I, S. 51: «Die Koordination des existentiellen Subjekts zur Geschichte findet gar nicht statt-wenigstens wenn die Existenz des Menschen nicht im Allgemeinen, in der Vernunft, sondern im Individuellen, in den konkreten Momenten des Hier und Jetzt liegt. Eben deshalb sieht der idealistische Betrachter in der Geschichte nichts, was in dem Sinne Anspruch auf ihn macht, daß ihm hier Neues gesagt würde, das er nicht schon potentiell hat, über das er nicht, vermöge seines Anteils an der allgemeinen Vernunft, schon verfügt. Er findet nichts, was ihm als Autorität begegnet, er findet in der Geschichte immer nur sich selbst, indem der Gehalt der Geschichte auf die Bewegung der Ideen reduziert wird, die in der Vernunft des Menschen angelegt sind. Er verfügt also von vornherein über alle Möglichkeiten des geschichtlichen Geschehens)). A. a. 0., S. 53: «In all diesen Fällen (sc. der idealistischen Exegese) vermag das Wort des Textes nicht im eigentlichen Sinne zwn Interpreten zu sprechen, da er von vornherein und grundsätzlich über alle Möglichkeiten dessen, was gesagt werden kann, verfügt, nämlich mittels des Prinzips seiner Betrachtungsweise. Nun ist aber zweifellos der ursprüngliche und echte Sinn des Wortes ,Wort' der, daß es auf einen außerhalb des 31
in der Geschicihte gefunden werden. Es ist nioht das interpretierende Wort des Propheten oder das Zeugnis in (der) frühen Kirche; es ist der Gang der Geschichte selbst, der Gott jedem, der nicht blind ist, offenbart. Wir können uns nicht ausführlich mit dieser (Position) auseinandersetzen. Es mag genügen zu sagen, daß nach dem Alten und Neuen Testament die Taten Gottes (in) der Geschichte durchaus nicht jedem sichtbar sind. Es ist das Wort des Propheten; es ist die Predigt der Apostel; es ist die spezielle Weisung, wie sie Jesus den Jüngern gewährte, die die Rätsel löst; und es ist vor allem immer das Wunder des Geistes Gottes, der die verhärteten Herzen öffnet. Bei Pannenberg wird der fundamentale Unterschied zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Glauben als einem Geschenk Gottes verwischt ... Wenn wir mit Pannenberg ausschließlich die bloßen Tatsachen betonen, werden wir in die Irre geführt. Die bloße Tatsache ist eine Geburt, und niemand könnte ihre Bedeutung, ihren wirklichen Sinn sehen ohne die Interpretation des Glaubens.))12 In Wirklichkeit aber vertritt Redenden liegenden Sachverhalt hinweisen, diesen dem Hörer erschließen und damit dem Hörer· zum Ereignis werden will. Der etwaige Einwand einer idealistischen Exegese, daß sie dieser Forderung genüge, beruht auf der Tatsache, daß sie das redende Individuum zwar nicht als psychisches oder zeitgeschichtlich bestimmtes Subjekt auffaßt, und also seine Aussagen als Hinweise' auf transsubjektiveSachverhalte deuten kann. Aber diese Sachverhalte sind nicht die hier gemeinten, da sie ja dem Hörer gar nicht zum Ereignis werden können. Vielmehr da ihr Inhalt das System der Vernunft, das Wesen des vernünftigen Geistes ist, enthalten sie nur das, worüber der Interpret als vernünftiges Subjekt von vornherein verfügt. Die Sachexegese will also mit dem ursprünglichen und echten Sinn des Wortes ,Wort' ernst machen, indem sie es verstehen will als Hinweis auf Sachverhalte ••. 12 «Some Trends in European New Testament Research of Today •• , «The Chicago Theological Seminary Register •• LIV, 1963, S.5, n. Für das Ausmaß, in dem Schweizers Auffassung mit der Rendtorffs tatsächlich übereinstimmt, vgl. unten Abschnitt 3, Anm. 65. Hinsichtlich des Grades, in dem die Barthianer sich im allgemeinen vom ursprünglichen Verständnis des Wortes, 32
die Pannenberg-Gruppe keine 13 Offenbarung im historischen Faktum, abgesehen von dem Überlieferungs- und Interpretationszusammenhang, in dem dieses sich ereignete. Ihr Unterschied zur dialektischen Theologie liegt in der Auffassung der Geschichte als gegenwärtiger Anrede, und wenn der Barthianer über dieses Thema, ganz ähnlich wie der traditionelle Lutheraner Althaus 14, einfach über «das Wunder des Geistes Gottes» spricht, so kann Pannenberg mit einiger Berechtigung empfinden, solche Sicht bedürfe dringend der Entmythologisierung. Das heißt, seine Gedanken müssen wenigstens teilweise als Reaktion verstanden werden, die er auf seine Weise, d. h., im Sinne der Theologie der Geschichte, gegen die Verfallserscheinungen innerhalb der «Theologie des Wortes» vorträgt, so wie Ebeling es in seiner Weise, d. h., mit den Begriffen eines hermeneutischen Sprachverständnisses, ebenfalls tut. Auf der anderen Seite ist Cullmann in gewisser Weise berechtigt, eine Konvergenz zwischen seiner eigenen und
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wie es für die dialektische Theologie charakteristisch war, entfernt haben, mag man einen Gedankenaustausch zwischen Heinrich Ott und Bultmann vergleichen: in seiner Broschüre «Die Frage nach dem historischen Jesus und die Ontologie der Geschichte», Theologische Studien 62, Zürich 1960, S.40, beruft sich Ott in seiner Opposition zu positivistischer brutum-facturn-Geschichtsschreibung auf Martin Buber, um zu zeigen, daß «Saga)), die Bedeutung des Ereignisses, auf die Eingebung zurückgeht, mit der die Ereignisse selbst erfahren wurden. Bultmann antwortete darauf in einem Brief: «Die Zitate, die Sie aus B(uber) anführen, zeigen, wie sehr er noch im Historismus steckt. Denn der Enthusiasmus, dessen Funktion er in der historischen überlieferung wahrnimmt, ist ja ein Phänomen, das dem positivistischen Historiker durchaus sichtbar ist. Diejenige Betroffenheit, die die Voraussetzung echten Verstehens der geschichtlichen Wirklichkeit ist, ist doch je meine Betroffenheit, der ich die Geschichte befrage, der ich mich ihr aussetze; aber es ist nicht die Betroffenheit von jeweiligen Berichterstattern» . Abgesehen von einer gelegentlichen Bemerkung, die später implizit zurückgenommen wird. Vgl. unten S. 88 ff. Vgl. unten, S. 60. 33
Pannenbergs Geschichtsauffassung zu bemerken. Denn obwohl Cullmann kaum ein dialektischer Theologe ist, stellt seine eigene Position tatsächlich die Richtung dar, in die sich die barthianische Schule entwickelt hat. In seinem «Rückblick auf die Wirkung des Buches in der Theologie der Nachkriegszeit», den Cullmann anstelle eines Vorworts zur dritten deutschen Auflage seines Buches «Christus und die Zeit» (1962) gibt, findet er sich in dem glücklichen Augenblick, «wo die theologische Lage sich so weiterzubilden scheint, daß in der Zukunft vielleicht doch auch in Deutschland wieder mit etwas mehr Verständnis für das, worauf es mir ankam, gerechnet werden darf als in der mit dem Eindringen der existentialistischen Philosophie in die neutestamentliche Exegese bezeichneten, unmittelbar hinter uns liegenden Periode». Diese Hoffnung wird in einer Fußnote mit der Bemerkung belegt: «Ich denke etwa an den Kreis um W. Pannenberg (ohne bereits Stellung zu nehmen») 15. Dieser Vorbehalt wird in Cullmanns neuem Buch, dessen Titel «Heil als Geschichte» 16 eine auffällige Parallele zu dem des Symposions der Pannenberg-Gruppe, «Offenbarung als Gesohichte» 17 darstellt, sogar aufgegeben, und er sagt von diesem: «Zwar (rückt es) den Ausdruck ,Heilsgeschichte' nicht in den Vordergrund, aber bei aller Abweichung im einzelnen kommt (es) in der Sache doch der von mir in ,Christus und die Zeit' vertretenen Sicht nahe».18 15 «Christus und die Zeit)), 3. Auflage, S. 9 f. 16 «(Heil als Geschichte». Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 1965.
17 «Offenbarung als Geschichte)), KuD Beiheft 1, Göttingen 1961, 1963 2 • Da dies das erste Beiheft zu KuD ist, wird ihm eine kurze Bemerkung der «Herausgeber» der Zeitschrift, deren einer Cullmann ist, vorangestellt, die besagt, daß die Qualität der Aufsätze in diesem Band sie dazu anregte, für dieses Symposion und ähnliche Themen eine Beiheftserie zu beginnen. 18 «Heil als Geschichte)), S.39. Cullmann erkennt hier, daß seine soteriologische Perspektive eine von der Pannenberg-Gruppe mit ihrer Betonung der Offenbarung «ganz verschiedene Per34
Wenn trotzdem kaum eine scharfe Demarkationslinie zwischen der Pannenberg-Gruppe und dem Ort, an dem die barthianische Bewegung tatsächlich im großen und ganzen angekommen ist, zu ziehen ist, so daß die Pannenberg-Gruppe im Rückblick eher deren Erbe als ihr Gegenspieler zu sein saheint, so besteht offenbar eine klarere Alternative hinsichtlich der bultmannschen Position; denn diese hat mehr von der ursprünglichen Beziehung zwischen Geschichte und Wort beibehalten, wodurch die dialektische Theologie sich von der ihr vorausgehenden idealistischen Geschichtsauffassung abgesetzt hatte. Unglücklicherweise war diejenige Version dieser Auffassung, die in Heidelberg vorherrschte 19 und die offenbar sanktioniert wurde durch die Tatsache, daß sie vom Bultmannianer der Fakultät ver-
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spektive» bedeutet, eine Unterscheidung, die ganz ausdrücklich in Pannenbergs «Grundzüge der Christologie», vor allem im 2. Kapitel über «Christologie und Soteriologie» genannt wird. Das cullmannsche Konzept des Christus ereignisses als «des Zentrums der Heilsgeschichte)) taucht auch auf in der Pannenberg-Gruppe, z. B. bei Dietrich Rößler, in «Göttinger Predigtmeditationen)) XVI, 1962, S.159, obwohl Pannenberg es der Zukünftigkeit der Eschatologie unterordnet, «Grundzüge der Christologie», S. 405 f., und lieber von Jesus als dem «proleptischen Ende» der Geschichte spricht, KuD V, 1959, S.224. Das Interesse der Besprechung von «Offenbarung als Geschichte» durch Ernst Fuchs, die den Titel «Theologie oder Ideologie? Bemerkungen zu einem heilsgeschichtlichen Programm)), ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp.257-260, trägt, ist es, eine Parallele zwischen dem Pannenberg-Kreis und Cullmann zu ziehen. Zu dem allgemeinen Zusammenbruch wirklicher Begegnung zwischen den führenden Positionen in Deutschland, den sich verhärtenden Fronten, der Fehldarstellung und zum daraus sich ergebenden allgemeinen Bedeutungsschwund der Diskussion zwischen den Gruppen (im Gegensatz zu der genaueren und tiefgehenden Interpretation und Diskussion vor allem Bultmanns, die augenblicklich aus der römisch-katholischen und der englischsprachigen Theologie kommt) vgl. G. Bornkamms übersicht «Die Theologie Rudolf Bultmanns in der neueren Diskussion. Zum Problem der Entmythologisierung und Hermeneutikn, ThR NF XXIX, 1963, S. 33-141. 35
breitet worden war 20, irreführend. Doch beruft sich Pannenberg auf Bornkamms Kritik an Bultmann 21, die «überzeugend darlege, es gehe Paulus nicht nur um ein neues Selbstverständnis, sondern um eine ,neue Geschichte und Existenz', in der icfu in die Geschichte Christi aufgenommen werde».22 Johannes Körner hatte die Gültigkeit dieser BultmannInterpretation, die in dieser Entweder-Oder-Formulierung enthalten war, bestritten. Denn wenn sie keiner dualistischen Gesahichtsauffassung das Wort redet, was Bornkamm kaum beabsichtigte, setzt sie ein falsches Verständnis Bultmanns voraus. 23 .Alber Pannenberg bleibt dabei, daß Kör20 Günther Bornkamm, «Mythos und Evangelium. Zur Diskussion des Problems der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung)), in der Broschüre, die auch einen Artikel von W. Klaas enthält und die unter dem Titel «Mythos und Evangelium)) in der Reihe Theologische Existenz heute, NF 26, München 1951, veröffentlicht wurde. 21 «Mythos und Evangelium)), S.25. 22 KuD V, 1959, S.224. Neudruck in «Probleme alttestamentlicher Hermeneutik)), S.304. 23 «Eschatologie und Geschichte. Eine Untersuchung des Begriffs des Eschatologischen in der Theologie Rudolf Bultmanns)), Theologische Forschung. Wissenschaftliche Beiträge zur kirchlich-evangelischen Lehre 13, Hamburg 1957, S.124. «Was aber ist mit dieser neuen Geschichte Christi gemeint? Darin liegt das Problem. Sollte damit ein geschichtlicher Dualismus gefordert sein, so, daß es eine alte bzw. Weltgeschichte gibt und daneben eine inhaltlich verschiedene neue Christusgeschichte? Sollte das heißen, daß zuvor zweierlei Geschichte objektiv aufgewiesen wird, von denen die eine die meinige, die andere die Christi ist, die ich schon betrachten kann, bevor ich in sie aufgenommen werde? Das entspräche etwa dem Dualismus des Manichäismus oder Marcionitismus, oder der Rechtfertigungslehre des Flacius und widerspräche notwendig jeder wissenschaftlichen Geschichtsbetrachtung, die nur monistisch sein kann. Oder soll es lediglich heißen, daß mir, indem ich glaube, mit einem Male die Wirklichkeit als eine ganz neue erscheint, daß (sc. in diesem Sinne) Christus mich in seine Geschichte hineinnimmt und dadurch die bisherige nun in der Tat ,nicht mehr die meine' ist? Nichts anderes aber will Bult36
ners Deutung «sich von selbst widerlege» 24 durch Bultmanns eigene Darstellung in «Geschichte und Eschatologie», wo Bultmann sage: «Indem Paulus Geschichte und Eschatologie vom Menschen aus interpretiert, ist die Geschichte des Volkes Israel und die Geschichte der WeIt seinem Blick entschwunden, und dafür ist etwas anderes entdeckt worden: Die Geschiohtlichkeit des menschlichen
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mann auch sagen; und Bornkamm selber (a. a. 0., S.27) gibt zu, daß Paulus von der neuen Geschichte ,freilich nicht beschreibend, sondern nur indirekt durch eine erneute Entfaltung dessen, was jetzt das Sein im Glauben ausmacht', redetu. Im Klappentext zu Körners Buch wird Bultmann zitiert, der das Buch für «eine der wichtigsten neue ren Veröffentlichungen im Bereich der Theologie)) halte, «die die theologische Diskussion befruchten wird)). Bultmann schrieb mir: «Meine Sicht (sc. des Verhältnisses des Ontologischen zum Ontischen) ist in dem ausgezeichneten Buch von J ohannes Körner gen au wiedergegeben)). Bornkamm, ThR NF XXIX, 1963, S.69, Anm.1, hat seine Bedenken hinsichtlich seiner dies betreffenden früheren Formulierung der Position Bultmanns zum Ausdruck gebracht, und (mündlich) vor allem hinsichtlich des Gebrauchs, den Pannenberg von ihr gemacht hat. Vgl. Bultmanns «Antwort an Ernst Käsemann)) : «Käsemann mag es kritisieren, daß diese Konstante (sc. bei Jesus und im Kerygma) im Selbstverständnis gesehen wird. Aber er tut das offenbar, weil er das Selbstverständnis als ein anthropologisches Phänomen auffaßt, das der distanzierenden, objektivierenden Betrachtung sichtbar ist. Das Selbstverständnis im Sinne Brauns und Robinsons schließt jedenfalls ein Sich-Verstehen des Menschen in seinem Bezuge zu einer ihm gegenüber transzendenten Wirklichkeit ein)), «Glauben und Verstehen)), IV, 1965, S. 195. KuD V, 1959, S.225, Anm. 13. Neudruck in «Probleme alttestamentlicher Hermeneutik)), S.304. «The Presence of Eternity. History and Eschatology)), New York 1957, S. 41 ff. Das Zitat findet sich auf S.43, es wird von Pannenberg in KuD V, 1959, S.224, nach der deutschen Übersetzung, «Geschichte und Eschatologie)), S.49, zitiert. Bultmann fährt an der genannten Stelle fort: « ... die Geschichte, die jeder für sich selbst erfährt und durch die er sein wirkliches Wesen gewinntu. Es scheint also nicht, als ersetze Bultmanns Rede von der Geschichtlichkeit des Menschen die Geschichte oder als döse)) er die Geschichte auf. In solchen Äußerungen 37
Seins» .25 Körner argumentiert, daß Bultmann gelegentlich von einer «neuen Geschichte», einer «gottgeführten Geschichte» spreche und in Wirklichkeit Geschichte nicht durch Anthropologie ersetze. Vielmehr soll Bultmanns ZurückhaHung hinsichtlioh der Bezeichnung eschatologischer Existenz als Geschichte und seine Bevorzugung ihrer Bezeichnung als eine Möglichkeit der menschlichen Existenz gerade das vermeiden, was Pannenberg sucht 26, näm-
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stellt Bultmann ein Verhältnis zwischen dem Heil und der Geschichte eines ganzen Volkes (nämlich Israels) bzw. der Weltgeschichte dem christlichen Heilsverständnis gegenüber, für das es «weder Juden noch Griechen)) gibt. Vgl. die vorangehenden Seiten in «Geschichte und Eschatologie)) wie auch Bultmann, «History and Eschatology in the New Testamenh, New Testament Studies I, 1954, S.5-16, besonders S. 13, wieder abgedruckt in «Glauben und Verstehen)), 111, 1960, S.91-106, besonders S. 112. So liegt es Bultmann in dem zur Debatte stehenden Zitat daran herauszustellen, daß Erlösung unabhängig vom Lauf der internationalen politischen Geschichte ist. Allerdings wird dadurch nicht im Sinne der geläufigen Unterscheidung zwischen «Partikularismus)) und «Universalismus)) dem letzteren etwa im Sinne Pannenbergs das Wort gegeben. Vielmehr unterscheidet Bultmann das christliche Geschichtsverständnis nicht nur von der Geschichte Israels, sondern auch von der Geschichte der Welt. Diese Unterscheidung ist wohl im Sinne Gogartens zu verstehen: ((Man wird ein anderes Verhältnis zur Geschichte haben, wenn man die ganze Breite ihrer Entwicklung für die eigentliche Gottesoffenbarung hält, und man wird ein anderes haben, wenn man die eigentliche Offenbarung in der ursprünglichen Tat Gottes sieht, die nicht in ihre Wirkungen und Folgen eingeht und von ihnen modifiziert wird und darum in ihnen erkannt werden muß, sondern die gerade immer wieder jenseits von ihren historischen Wirkungen und Ausgestaltungen, so wichtig diese auch sein mögen, in ihrer reinen Ursprünglichkeit erfaßt werden muß)). «Vom heiligen Egoismus des Christen. (Eine Antwort auf Jülichers Aufsatz ,Ein moderner Paulus-Ausleger'))), ChrW, :XXXIV (1920), Sp.548, wieder abgedruckt in «Anfänge der dialektischen Theologie)), 11, 101. Im Zusammenhang einer (richtigen) Verwendung einer exegetischen Einsicht Bultmanns in ((Theologie des Neuen Testaments)) durch Pannenberg kommentiert G. Muschalek, S. J.:
lich das Verständnis jener Geschichte als in ihrer Offenbarungsqualität durch den Historiker demonstrierbar, und zwar ohne daß er dabei glaubt bzw. sich entscheidet 27 (obwohl nach Pannenberg die Geschichte zum Glauben führt 28). Bultmann selbst äußert sich folgendermaßen über seine Anschauung: «Der Glaube redet auch von Gottes Handeln als von seinem Schöpfer- und Herrscherwalten in Natur
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«Gerade in diesem eigentlichen Anliegen des § 37, den Pannenberg zur Stützung seiner These anführt, widerspricht Bultmann diametral der These Pannenbergs, daß ,die Wahrheit (der Offenbarung) so vor aller Augen liegt, daß Ihre Wahrnehmung die natürliche, von der Sache her einzig mögliche Folge sein müßte' ••. Vgl. Georg Muschalek, S.]. und Arnold Gamper, S.]., «Offenbarung in Geschichten, ZKTh LXXXVI, 1964, S. 180-196, wobei Teil 1 und 3 von Muschalek, Teil 2 von Gamper stammen. Das Zitat findet sich auf S. 192. Körner, «Eschatologie und Geschichten, S.123: «Da diese ,Geschichte' aber eine schlechthinnige Glaubenstatsache ist, die als faktisches Ereignis grundsätzlich niemals aufgewiesen werden kann - was eben die Historie will -, weil es sonst in der Zuständlichkeit erstarrte und dann schon nichts mehr mit eschatologischem Geschehen zu tun hätte, vermeidet Bultmann den Terminus Geschichte meistens. Diese Geschichte ist nur als Möglichkeit ontologisch verständlich zu machen. Darum ist von ihr zutreffender von ,eigentlichem geschichtlichen Sein' oder von ,eschatologischem Existieren' zu reden. Durch diese Umschreibung kommt die Indirektheit der Offenbarung zum Ausdruck ... , d. h., die Tatsache, daß der Mensch als Wesen in der Geschichte kein unmittelbares Gottesverhältnis hat, in dem er seiner Eigentlichkeit definitiv habhaft werden könnte. Die ontologische Rede ist als wissenschaftliches Mittel dazu besser in der Lage als die Historie, da sie ihrer Intention nach auf die anschauliche Beschreibung einer sogenannten christlichen Geschichte verzichtet und nur die seinsmäßigen Möglichkeiten der christlichen Existenz aufweist ... Möglich ist es, ... so zu reden ... , weil Bultmann die Geschichte ontologisch in der Geschichtlichkeit begründet, also jeder menschliche Seinsvollzug immer irgendwie ,Geschichte' sein muß, und die ,neue Geschichte' im Grunde die Geschichte überhaupt ist, nämlich unter der Verheißung des Glaubensn. Vgl. das «Nachworttt zu «Offenbarung als Geschichte •• , 2. Aufl., S.147; ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp.86, 90 f. 39
und Geschichte, und er muß es auch tun. Denn wenn sich der Mensch in seiner Existenz durch Gottes Allmacht ins Leben gerufen und getragen weiß, so weiß er damit auch, daß die Natur und die Geschichte, innerhalb deren sich sein Leben abspielt, von Gottes Handeln durchwaltet sind. Aber dieses Wissen kann nur ais Bekenntnis ausgesprochen werden - nie als eine allgemeine Wahrheit wie eine naturwissenschaftliche oder geschiohtsphilosopthische Theorie. Sonst würde Gottes Handeln zu einem welthaften Vorgang objektiviert. Der Satz von Gottes Schöpfer- und Herrscherturn hat seinen legitimen Grund im existentiellen Selbstverständnis des Menschen.»29 In der Antwort auf einen Kritiker, der ihn ähnlich interpretierte wie P annenb erg, sagte Bultmann: «aber er übersieht, daß existentielles Verstehen nicht Subjektivität ist, und daß der Begegnungscharakter der Offenbarung nicht dadurch geleugnet wird, daß sie als unzugänglich für die objektivierende historische Forschung bezeichnet wird. Dass damit die Offenbarung nicht von der Geschichte gelöst wird, sieht er nicht, weil er das Paradoxon nicht sieht, das die ganze Darstellung des Joh. durchherrscht, nämlich, daß das historische Wirken J esu zugleich eschatologisches Gesohehen ist». 30 29 «Zum Problem der Entmythologisierung)), «Kerygma und My-
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thos)), VI, 1. Entmythologisierung und existentiale Interpretation, Theologische Forschung 30, Hamburg 1963, S.26. Vgl. ähnlich in «Glauben und Verstehen)) 11, Tübingen 1952, S.101 -104. «Zur Interpretation des Johannesevangeliums)), ThLZ LXXXVII, 1962, Sp. 8. Bultmann bespricht hier die Dissertation von David Earl Holwerda von der Freien Universität Amsterdam, «TheHoly Spirit and Eschatology in the Gospel of J ohn)) , Kampen, 1959. Er antwortet auf die analoge Kritik Käsemanns ähnlich: «Läßt sich denn leugnen, daß das Bewußtsein, zum Gottesvolk, zum neuen eschatologischen Bund, zu gehören, auch das Selbstverständnis je des einzelnen bestimmt?)) Bultmann, «Ist die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie? Eine Auseinandersetzung mit Ernst Käsemann)), in «Apophoreta)) (Haenehen-Festschrift) ZNW, Beiheft 30, 1964, S. 65. In einer weiteren «Antwort an Ernst Käsemann)) sagt Bultmann: «Dazu (sc. zu
Bultmann hat sich vor einiger Zeit ausdrücklich zu der Frage geäußert, wie sich seine Geschichtsauffassung von derjenigen Campenhausens unterscheide, die hinter derjenigen der Pannenberg-Gruppe steht. Ein tschechoslowakischer Pfarrer, ]. A. Dvoracek, hatte mit von Campenhausen über diese Frage korrespondiert und schickte ihre Korrespondenz an Bultmann, der in einem Brief vom 6. Oktober 1961 antwortete: «Sie verstehen ganz richtig, daß meine Meinung die ist, daß historische Wissenschaft nur objektiv feststellbare Daten (und auch diese nur mit relativer Sicherheit) aufzeigen kann. Der historische Aufweis des Ursprungs der Verkündigung würde diese nur als historisches Phänomen erweisen, nicht aber als gültige, den Glauben fordernde ,Verkündigung' als das je mich anredende Wort Gottes. Ferner verstehen Sie sehr richtig, daß ich die Verkündigung nicht von der Geschichte lösen will (und also auch nicht die Ekklesia). Vielmehr ist das Verhältnis von Geschichte (als Weltgeschichte) und Offenbarungs-Geschehen ein dialektisches, das heißt: der christliche Glaube behauptet die Paradoxie, daß ein historisches Geschehen zugleich das eschatologische Geschehen ist. Damit ist aber gegeben, daß das Offerrbarungsgeschehen zugleich als ein historisches verkündigt werden muß. Sonst wäre ja die Paradoxie preisgegeben. Das Christus-Geschehen muß also (mit Ihren Worten) als ein ,verborgenes Mysterium' verkündigt werden, das sich ,in dieser empirisch-historischen Welt und ihrer Geschichte ereignet'. dieser Kritik) ist zunächst zu sagen, daß ich die existentiale Interpretation zwar von der objektivierenden unterscheide, sie jedoch nicht von ihr scheide. Ich dächte oft genug gegenüber dem Mißverständnis der existentialen Interpretation als einer subjektivistischen betont zu haben, daß die existentiale Interpretation von der objektivierenden Sicht der historischen Phänomene nicht gelöst werden kann ••. «Glauben und Verstehen •• IV, Tübingen 1965, S.192. Pannenbergs Meinung würde sein, daß Bultmanns Position gegen seinen Willen Subjektivismus einschließe. 41
Eben diese Dialektik (oder Paradoxie) scheint Prof. von Campenhausen nicht voll erfaßt zu haben. Er könnte sonst nicht die Auferstehung ]esu als ein Ereignis bezeichnen, das ,die schöpfungsgemäße Ordnung und Kausalität der Welt schon mitten in ihrem historischen Fortbestand radikal durchbricht': als ein Ereignis ,an dem die alte Welt mit ihren Gesetzen wirklich endet' - also als ein Mirakel. Das Ende der alten Welt durch das eschatologische Geschehen ist - als ein ständig in der Verkündigung und im Glauben sich neu vollziehendes - nur dem Glauben offenbar und für jeden anderen Blick (also auch für die historische Wissenschaft) verborgen. An die Stelle der Dialektik setzt von Campenhausen eine mirakelhafte Sprengung der Weltwirklichkeit. ,,31 Die Situation, in der Pannenbergs Theologie entsteht, ist also nicht einfach die, dass Geschichte von Bultmann zugunsten des Existentialismus ausgeklammert worden wäre, sondern vielmehr die, daß verschiedene Versionen eines christlichen Verständnisses der Geschichte und deswegen verschiedene Folgerungen für theologische Entwürfe vorliegen. Pannenberg betrachtet die Geschichtlichkeit des Menschen nicht als eine universale ontologische Realität, sondern vielmehr als eine erworbene Eigenschaft des abendländischen Menschen, als Auswirkung der biblischen Geschichte auf ihn. 32 Deswegen kann sie für ihn nicht die 31
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Rudolf Bultmann und]. A. Dvoracek, «Auferstehung und Leben - Kerygma und Mythos. Auszug aus einem Briefwechsel», Communio Viatorum (Prag), V, 1962, S. 58 f. Vgl. auch Bultmanns «Antwort an Ernst Käsemann», «Glauben und Verstehen», IV, 198: «Vertrete ich einen Dualismus, wenn ich zwischen der Kirche als Institution und als eschatologischem Geschehen unterscheide? Nein! Denn es ist mir natürlich klar, daß es ein eschatologisches Geschehen in der Geschichte nicht ohne Verleiblichung gibt. Aber hier rede ich von Dialektik. Das Verhältnis zwischen der Kirche als Institution und als eschatologischem Geschehen ist ein dialektisches». KuD V, 1959, S.232. Neudruck in «Probleme alttestamentlicher Hermeneutib, S.314.
Funktion einer allumfassenden Kategorie erfüllen, wie sie es für Bultmann tut. Stattdessen spricht Pannenberg direkt von «Geschichte» als der «Wirklichkeit in ihrer Totalität.>.33 Was Pannenberg zu tun versucht, ist, etwa analog zu Whitehead, statische ontologische Kategorien durchweg durch solche zu ersetzen, für die die Geschichte das Modell stellt. «Der geschichtliche Prozeß als solcher ist zum Sinnträger geworden.»34 Es ist aber nicht seine Absicht, eine christliohe Geschichtserzählung zu liefern, etwas, das er eine «universalgeschichtliche Konzeption», d. h., «eine offenbarungsgeschichtliche Konzeption des gesamten Geschichtsverlaufes» 35 nennt, die in der Tat, wie Kierkegaard argumentierte, sowohl Gottes Freiheit und die des Menschen wie auch die Kontingenz der Geschichte begrenzen würde 36; vielmehr möchte er eine «Totalanschauung der Wirkliohkeit als Geschichte, die von Verheissungen her auf Erfüllung ausgerichtet ist» 37, anstreben. 33 A. a. 0., S.222. Neudruck, S.31O. 34 A. a. 0., S.219. Neudruck, S.297. 35 86 37
A. a. 0., S. 235. A. a. 0., S. 234 f. A. a. 0., S. 237. Neudruck, S. 318. Obwohl solche Formulierungen die Richtung angeben, sind sie ein Versuch, Neuland zu gewinnen, entsprechen also manchmal nicht ihrer Absicht und unterliegen der immanenten Kritik im Sinne der erklärten Absicht. Die Definition der Geschichte als gleichbedeutend mit Wirklichkeit läßt ungeklärt, welche Wirklichkeit dem Ende der Geschichte zugeschrieben wird, wenn Gott vollkommen offenbart wird, und sie läßt einen in der zeitlichen Wirklichkeit nach dem Ende der Geschichte liegenden Dualismus annehmen, wenn dieses Ende für Pannenberg mehr als ein Grenzbegriff ist. Die Wirklichkeit einer solchen Position, die in der Lage ist, auf die beendete Geschichte zurückzuschauen, wird später durch Feststellungen wie die folgenden unterstrichen: « ••• die Offenbarung, die durch den Geschichtsverlauf begründet ist, kann erst an seinem Ende - nämlich nachdem die Gesamtheit der Geschehnisse abgelaufen ist, die ihrerseits erst vom Ende her ihr endgültiges Licht erhalten - Ereignis sein». So im »Nachwort» zur 2. Auflage von «Offenbarung als Geschichte», S.142, Anm.25.
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Pannenberg geht der Entwicklung dieses Verständnisses der Wirklichkeit vom alten Israel bis zur Gegenwart nach. Im Verlauf der israelitischen Geschichte wird die Erfüllung immer weiter in die Zukunft auf das Ende der Geschichte hin ausgedehnt, so daß der ganze historische Prozeß eine Gerichtetheit annimmt, die der prophetischen Schau immer innewohnt, und in dieser Geriohtetheit seine Einheit findet. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist in der jüdischen Apokalyptik zu finden, die ihrerseits den Lebenszusammenhang darstellt, aus dem heraus das Urchristentum verstanden werden muß.38 Deswegen wird das Christentum als 88
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In der Apokalyptik ist «an die Stelle der innergeschichtlichen Eschatologie der Propheten eine endgeschichtliche getreten», KuD V, 1959, S. 223. Neudruck, S. 303. Dies ist die umgekehrte Interpretation der Apokalyptik als diejenige, die z. B. Gerhard von Rad, «Theologie des Alten Testamentes» 11, München 1960, S. 314 -321, vertritt, die weitgehend von ]ürgen Moltmann, «Theologie der Hoffnung», S.12O-124, übernommen wird und bedeuten würde, daß apokalyptisches Denken «geschichtslos» ist (Moltmann, S.121). «Dieser widersprüchliche Eindruck entsteht dadurch, daß in der prophetischen Eschatologie der Verheißungshorizont sowohl in seiner Weite als in seiner Tiefe die Grenzen dessen erreicht, was als kosmische Endlichkeit bezeichnet werden kann. Wenn aber der geschichtliche Wanderhorizont der geschichtlichen Hoffnungen diese eschata erreicht, dann stellt sich die Möglichkeit ein, den geschichtlichen Ort der Perspektive zu verlassen und vom geschauten Ende her die Geschichtsläufe der Welt rückläufig zu lesen, so als sei die Universalgeschichte ein Universum, ein prädeterminierter Geschichtskosmos. Alte kosmologische Zahlenspekulationen werden eingesetzt, um der Ordnung des Raumes entsprechend eine Ordnung der Gezeiten der Weltgeschichte herzustellen. Die Weltreiche werden fixiert. Das Eschaton wird zum fatum. Dann aber tritt an die Stelle der Erwählung, die zu Hoffnung und Gehorsam bestimmt - die Vorsehung, die die Ereignisse bestimmt. An die Stelle der Verheißung, der man auf Hoffnung wider augenscheinliche Hoffnung vertraut, tritt - das Enddrama. An die Stelle des Eschaton, das Gott in seiner Freiheit heraufführt, tritt ein Finale der Geschichte, das durch den Zeitlauf an den Tag kommt. An die Stelle der Treue Gottes, der man die Erfüllung der verheißenen Zukunft in seiner Freiheit
diejenige Bewegung verstanden, die das biblische Verständnis der Wirklichkeit als Geschichte weitersagt durch die Entwicklung der abendländischen Zivilisation hindurch, bis in der Aufklärung der Mensch Gott als die wirkende Kraft, die man in der Geschichte am Werk glaubte, ablöste. Diese Ausklammerung Gottes aus der Historiographie zeitigte den Fehlschlag der Theologie, als sie die historische Basis ihres Glaubens festhalten wollte. Pannenbergs Ziel ist es, im Lichte dieser Analyse eine Situation zu schaffen, in der der Glaube auf historisch begründeten Tatsachen ruht. Dies heißt nicht, einfach objektive Tatsachen zu beweisen, denen der Christ eine Bedeutung zuschreibt, die vom Historiker als solchem nicht gebilligt würde. «Wenn das eigentlich Entscheidende, die Offenbarungs- und Heilsbedeutung des Geschicks Jesu von Nazareth, doch nur dem Glauben sichtbar werden kann und vernünftiger Erforschung des Gesohehenen prinzipiell verschlossen ist, dann ist nicht einzusehen, wie die Historizität der puren Fakten den Glauben gegen den Verdacht schützen soll, auf zutraut, tritt - der Plan Gottes, der von Urzeiten festliegt und den die Geschichte sukzessive enthüllt. Aus einer geschichtlichen Theologie wird eine Geschichtstheologie und aus einer geschichtlichen Eschatologie wird eine eschatologische Geschichtsbetrachtung. Ebenso wie in der heilsgeschichtlichen Theologie des 18. Jahrhunderts steckt in der Apokalyptik ein vernehmlicher Deismus des fernen Gottes. Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, daß sich in den spekulativen Apokalypsen immer auch ein adhortatives Moment findet. Es ist die Adhortation zur Perseveranz im Glauben des Gerechten: wer beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Damit aber sind Glaube und Unglaube, Gut und Böse, Erwählung und Verwerfung, Gerechte und Ungerechte festgelegt und es gilt, in dem zu bleiben, was einer ist. Das wiederum entspricht durchaus dem Sitz der Apokalyptik im Leben der separierten Konventikeb A. a. 0., S. 121 f. Vgl. ähnlich Gerhard Sauter, «Zukunft und Verheißung. Das Problem der Zukunft in der gegenwärtigen theologischen und philosophischen Diskussion)), Zürich-Stuttgart 1965, besonders den Abschnitt über «Offenbarung und Geschichten, S.239-251 des Kapitels über «Apokalyptik und Eschatologie)). 45
Illusion und Willkür zu beruhen.»39 Luthers Bestehen auf der Klarheit des Schriftwortes wird auf die Klarheit der Gesohichte angewandt, die ihre Offenbarungsqualität in sich selbst trage. 40 Die Bedeutung geschichtlichen Geschehens kann letztlich nur in Begriffen eines Gesamtentwurfes der Geschichte verstanden werden, so wie einzelne Forschungseinheiten durch eine Arbeitshypothese zusammengehalten werden, die die Beziehung der einzelnen Forschungen zu einem übergreifenden Konzept bestimmt. Diese universale Schau darf aber nicht die Erkenntnis geschichtlicher Kontingenz schwächen. Deswegen darf die Universalität nicht im Sinne eines evolutionären oder morphologischen Musters gedacht werden, nach dem sich die Geschichte entwickelt. Die Spannung, die man empfindet, wenn beide Bestimmungen festgehalten werden, kann überwunden werden, wenn eine gemeinsame Basis für Universalität und Kontingenz gefunden wird. Dies kann nicht der Mensch sein, «weil der Geist (sc. des Menschen) immer nur als Einzelner und für den Einzelnen existiert».41 Deswegen ist ein transzendenter Grund in Gott durch rationale Argumentation einzuführen 42, und zwar als eine Bestätigung aposteriori des alttestamentlichen Geschichtsverständnisses. Seine Freiheit ist die Quelle der Kontingenz, seine Treue die Quelle der 39
KuD V, 1959, S.275.
40 A. a. 0., S. 275 f. Zur Kritik dieser Interpretation Luthers hinsichtlich seines Bestehens auf der Klarheit der Schrift vgl. Lothar Steiger, «Offenbarungsgeschichte und theologische Vernunft. Zur Theologie W. Pannenbergs», ZThK LIX, 1962, S.113. 41 A. a. 0., S. 284. 42 Hans-Georg Geyer, «Geschichte als theologisches Problem. Bemerkungen zu W. Pannenbergs Geschichtstheologie , EvTh, " XXII, 1962, S.92-104, bes. S. 96 f., kritisiert Pannenberg dahingehend, daß seine Position «ein Postulat der historischen Vernunft», eine «transzendentale Deduktion des Geschichtsbegriffs» sei. Pannenberg erwidert in seinem «Nachwort.> zur 2. Auflage von «Offenbarung als Geschichte», S. 138, Anm. 15, daß Geyer «übersieht ... , daß es hier nicht nur um rationale Konstruktion, sondern um die überlieferungsgeschichtlichen 46
Kontinuität; diese ist dem Mensohen nur im Rückblick auf die Vergangenheit sichtbar, nicht im Sinne eines Planes für die Zukunft. Deswegen wird die umfassende Ganzheit der kontingenten Geschichte erst am Ende der Geschichte offenbar werden. Diese Auffassung wird mit der israelitischchristlichen Gottes- und Geschichtsanschauung identifiziert, die deswegen die Bedingung der Möglichkeit ist, die Einheit und Kontingenz der Geschichte zu verstehen. 43 Die historiographische Ausführung dieses Programms muß die Tatsache in Rechnung stellen, daß die Bedeutung der Universalgeschichte nicht von einem kleinen Ausschnitt der Geschichte abgeleitet werden kann, sondern nur von der Gesamtschau der Geschichte, die erst am Ende der Geschichte sichtbar sein wird. Doch hebt die Rolle, die die Auferstehung 1esu als proleptische Vorwegnahme jenes Endes der Gesohichte spielt, dieses Ereignis in gewisser Weise über die Kategorie des nur Besonderen heraus und macht aus ihr den Schlüssel, mit dem ein universales Verständnis der Geschichte zu gewinnen ist, bevor das Ende kommt. Deswegen kann der historische Beweis der Auferstehung als ein inhaltlich entscheidendes Modell für Pannenbergs Vorgehen dienen, als eine Alternative zu Bultmann, der den Zugang zur Auferstehung in der existentiellen Begegnung mit dem geschichtlichen Zeugnis der Kirche sieht.
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Voraussetzungen des neuzeitlichen Geschichtsdenkens geht». ]ürgen Moltmann, «Theologie der Hoffnung)), S.68, Anm.98, fragt, ob Pannenbergs Vorgehen, eine Gotteslehre aus der Geschichte abzuleiten, dem biblischen Geschichtsverständnis angemessen ist. Er sieht in dieser Methode eine Parallele zur griechischen Philosophie, die aus dem Kosmos ein erstes Prinzip ableitete. Pannenberg, a. a. 0., S.287. Vgl. Geyer, a. a. 0., S.98: «Zur logischen Konstruktion jenes Modus (sc. rückblickend Ereignisse in einen weiteren Zusammenhang zu stellen) ist meines Erachtens die Behauptung des transzendenten Grundes ein überflüssiges Axiom, sofern die Kategorien der Einheit der Geschichte und der Individualität des Geschehens als Voraussetzungen dazu ausreichen)).
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Pannenberg geht aus von einer kritischen Untersuchung der Grundregel der historischen Methode, der Verwendung der Analogie: der Vergleich mit dem, was schon bekannt ist, stellt einen Prüfstein dar, um die Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, mit der etwas Berichtetes sich wirklich zutrug, und um die diesem Berichteten spezifischen Umrisse fest2JUstellen. Pannenberg argumentiert, zu Zeiten mische sich ein ideologisches Element in diesen Vergleich, insofern wir eine übergreifende Ähnliohkeit aller Phänomene annähmen, was zur Folge habe, dass die Freiheit der Geschichte begrenzt werde. Troeltsch hatte für die prinzipielle khnlichkeit alles historischen Geschehens argumentiert, was allerdings nicht Identität bedeutet, sondern vielmehr den notwendigen Spielraum für Verschiedenheiten läßt, aber für das Übrige doch in jedem Fall einen Kern gemeinsamer Ähnlichkeit voraussetzt, aufgrund dessen die Verschiedenheiten verstanden und geprüft werden können. 44 Für Pannenberg ist es Sache des Vergleichs, das festzustellen, was an dem in Frage stehenden Phänomen individuell und unterscheidend ist. Deswegen darf ein solcher Vergleich nicht benutzt werden, um das Unterscheidende derart zu verwischen, daß man es lediglich als neues Beispiel einer schon bekannten Kategorie klassifiziert. Das Ergebnis dieser Kritik läuft darauf hinaus, daß das Fehlen einer historischen Analogie jede entscheidende Bedeutung verliert, wenn die Historizität eines Ereignisses festgestellt werden soll. «Wenn gefundene Analogien so im Wissen um die Grenze ihrer Gültigkeit verwendet werden, können sie wohl kaum in der Weise als Kriterium der Realität eines in der Überlieferung behaupteten Geschehens dienen, wie Troeltsch es in dem oben angeführten Zitat formuliert hat. Daß ein berichtetes Geschehen die Analogie des sonst Gewohnten oder mehrfach Bezeugten sprengt, ist für sich noch kein Grund, seine Faktizität zu 44
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«Gesammelte Schriften)) 11, S.732, KuD V, 1959, S.264.
zitiert bei Pannenberg,
bestreiten.»45 Deswegen glaubt Pannenberg, «das Hauptargument gegen die Historizität der Auferstehung J esu» 46 entkräften zu können. Die allgemeine Ablehnung der Auferstehung als eines historischen Ereignisses «stehe auf bemerkenswert schwachen Füßen».41 Das Argument von der Analogie her kann nur indirekt die Nicht-Historizität zeigen, indem formale Analogien gefunden werden, d. h., «wenn in historischen Quellen positive Analogien zu irrealen überlieferungsformen (wie Mythen, aber auch Legenden) oder (sc. unrealen) Bewußtseinsphänomenen (wie Visionen) aufgedeckt werden können».48 Indem Pannenberg argumentiert, es gebe keine solchen formalen Analogien für die Auferstehung Jesu, möchte er Raum schaffen für die Betrachtung der Auferstehung als eines «analogielosen Ereignisses», wie von Campenhausen argumentiert 40, ohne daß es notwendig ist, sie als ein Mirakel anzuerkennen, wie es Bultmann bei der Position von Campenhausens der Fall zu sein schien. 50 45 46 41 48
KuD V, 1959, S.266. A. a. 0., Anm. 22. A. a. O. A. a. 0., S. 267 f. Zur späteren Veränderung seiner Position hinsichtlich der Erscheinungen als Visionen vgl. Pannenberg, «Grundzüge der Christologie», S.88-93, und unten S. 57 f. 49 «Das Wunder der Auferstehung und das leere Grab», Auszug aus einem Briefwechsel zwischen Hans von Campenhausen und J. A. Dvoracek, in Communio Viatorum IV, 1961, S. 262 ff., zitiert nach dem englischen Referat von Gilbert E. Bowen, «Toward Understanding Bultmann» , McCormick Quarterly XXVII, 1964, S.34. In seinem programmatischen Aufsatz verteidigt Pannenberg von Campenhausens Ansatz in Bezug auf die Auferstehung J esu. 50 Pannenberg seinerseits weist es zurück, daß der Begriff des Wunders im Gegensatz zu dem der Schöpfung stehe. «Wäre Gott nicht der Schöpfer, dann könnte sein Wille in der Welt nur durch nackte Wunder, durch Ausschaltung aller sonstigen geschichtswirkenden Mächte durchgesetzt werden. So aber geschieht sein Wille nicht auf Kosten menschlicher Aktivität, sondern verwirklicht sich gerade durch das Erleben, Planen und Handeln der Menschen hindurch, trotz und in ihrer sünd49
Wir können bis zu einem gewissen Grade den Weg verfolgen, auf dem dieser Beweis der Auferstehung nach und nach vorgetragen wurde. In einer öffentlichen Debatte mit Herbert Braun am 19. Februar 1965 legte Pannenberg eine Reihe von Thesen rur Auferstehung Jesu vor, die die Richtung für eine «theologisohe Geschichtssohreibung)) angeben, die die Basis für einen historischen Beweis zugunsten der Auferstehung Jesu bereitstellen würde. Er bezeichnet wiederum als das Haupthindernis das ideologisohe Element in der Geschichtsschreibung, das die Analogie benutzt, um zu beweisen, dass die Toten nicht auferstehen: «Die Bestreitung der Historizität der Auferstehung Jesu beruht primär auf allgemein weltanschaulichen Gründen. In Verallgemeinerung der Erfahrung, daß - soweit wir sehen - Tote tot bleiben, wird die Möglichkeit eines wie immer gearteten Lebendigwerdens eines Toten von vornherein ausgeschlossen)) 51 (These 8). Dann sind die Bedin-
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haften Verkehrung. Indem theologische Geschichtsschreibung Gottes Wirken in solcher Indirektheit erfaßt, die Zusammenhänge des Geschehens in den konkreten innerweltlichen Umständen aufsucht, ohne freilich das je Neuartige, mehr oder weniger Analogielose in den Ereignissen wegzudeuten, bezeugt sie Gott als den Schöpfer der Welt.)) KuD V, 1959, S.288. Nach Pannenbergs Meinung würde es jedenfalls schwierig sein zu behaupten, ein Ereignis sei wunderhaft, in der üblichen Bedeutung des Wortes, derzufolge dies die Naturgesetze durchbreche. Denn im Hinblick auf die moderne Physik behauptet er: wir kennen nicht alle Naturgesetze; das Naturgesetz betrifft nur einen Aspekt der Ereignisse; die Gültigkeit des Naturgesetzes selbst ist kontingent. Solange der Naturwissenschaftler kein endgültiges Urteil darüber abgeben kann, ob ein ungewöhnliches Geschehen sich ereignet, ist die Entscheidung darüber dem Historiker überlassen. «Grundzüge der Christologie)), S. 95 f. Auf diese Weise wird das Wunderhafte als eine mögliche Kategorie von der Betrachtung ausgeschlossen. Der durchschnittliche Leser hält dies wahrscheinlich für etwas, das in Bultmanns Position mit enthalten ist, da sein Ansatz tatsächlich auf eine Zurückweisung jeder historischen Beschreibung oder jedes Beweises der Auferstehung gerichtet war und stattdessen ihre kerygmatische Bedeutung als christliche Interpretation des Kreuzes darlegen wollte. Deswegen ist seine
gungen, die erfüllt sein müßten, um legitimerweise die Auferstehung als das Beispiel einer nicht-historischen Erzählung oder Erfahrung klassifizieren zu können, so scharf gefaßt, daß die Beweislast nicht nur denen auferlegt würde, die ihre Historizität bestreiten, sondern daß es auch anzunehmen sei, solcher Beweis könne wahrscheinlich nicht gelingen. Die 9. These lautet: «Die Überlieferungen von der Auferstehung ]esu wären als unhistorisch zu beurteilen, wenn a) die Osteruberlieferungen nicht nur in Einzelzügen, sondern auch im Kernbestand als literarisch sekundäre BilRede vom Herrn Jesus, dem man im Kerygma begegnet, vielleicht weniger wörtlich genommen worden, als er selbst es wirklich beabsichtigt. Vgl. seine Feststellung in seinem Briefwechsel mit J. A. Dvoracek in «Auferstehung und Leben Kerygma und Mythos», Communio Viatorum, V, 1962, S. 60 f.: «Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie von der durch das Kerygma geschaffenen realen Gemeinschaft mit Christus sagen: ,Durch das Evangelium wird sie ... in der Tat wirksam realisiert und erstreckt sich dann dynamisch über... die ganze Fläche der christlichen Existenz .. .' - Ebenso haben Sie darin recht, ,daß die umfassende Wirksamkeit der Christuspredigt in Frage gestellt ist, insofern sie nicht das reale Christusgeschehen zum Grund und die lebendige Christusgemeinschaft zum Ziel hätte'. Einig sind wir auch darin, ,dass ewige[s] Leben durch die Christus gegenwart und -zukunft eine konkret eschatologische Dimension (auch) über den Tod hinaus behält'. Und ich stimme zu, wenn Sie die Hoffnung charakterisieren als ,reale Hoffnung auf endgültige überwindung des Todes und Vollendung der geschenkten Gemeinschaft und der neuen Existenz "aus Gnaden allein"'. Das ist doch keine mythologische Spekulation. AIs solche würde ich nur eine Hoffnung bezeichnen, die sich die neue Existenz ,aus Gnaden allein' objektivierend vorstellt, und das würde der Fall sein, wenn man die neue Existenz im ewigen Leben als einen ein-für-allemal gegebenen Besitz vorstellt. Aber kann sie ja etwas Anderes sein als Geschenk, das seinen Geschenk-Charakter stets behält? ... In der neuen Existenz gibt es diesen Widerstand (die ständige Versuchung) nicht mehr. Die Differenzierung hört in der neuen Existenz, in der Ewigkeit, auf. Ist das mythologische Spekulation? Ich denke nicht, so gewiß wir auch auf jede Veranschaulichung verzichten müssen.))
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dungen naoh Analogie geläufiger religionsgeschichtlicher Modelle erweisbar wären, b) die Ostererscheinungen vollständig dem Modell autogener (durch organische Besonderheiten oder durch Medikamente bedingter) Halluzinationen entsprächen, c) die Überlieferung vom leeren Grabe J esu als späte (hellenistische) Legende einzuschätzen wäre.11 Eine Bewertung der synoptischen Tradition stellt nicht die Basis für Pannenbergs Beweis des leeren Grabes bereit. Sein Beweis an dieser Stelle ist weniger die literarische als vielmehr die historische Überlegung, daß die Kirche in Jerusalem über das leere Grab sehr früh Klarheit erreicht halben müßte, und daß von ihr sicher angenommen werden kann, daß sie sich seiner Leere vergewissert hat. «Selbst wenn der uns erhaltene Bericht von der Auffindung des Grabes Jesu sich als eine späte, erst in der hellenistischen Gemeinde konzipierte Legende erweisen sollte, bliebe das Gewicht der (für diese historische Betrachtung) aufgeführten Argumente bestehen.,,52 Deswegen würde der Beweis von c) tatsächlich nicht das leere Grab widerlegen, das aber sowieso für Pannenberg keine vorrangige Bedeutung in dem Beweis für die Auferstehung hat. Im Hinblick auf Bedingung a), hinter der die Frage steht, ob Erscheinungen als Beispiele «irrealer Überlieferungsformen" wie etwa Mythos und Legende gelten können, weist Pannenberg auf den «tiefgreifenden sachlichen Unterschied" zwischen eschatologischer Auferstehung und Wiederbelebung von Personen hin, die in das normale irdische Leben zurückkehren und voraussichtlich wieder sterben werden. 53 Einige Forscher haben aufgrund dieser Unterscheidung behauptet, daß nur die zweite dieser Auffassungen für die Apokalyptik charakteristisch sei und daß die paulinische Auffassung von der Auferstehung als Verwandlung die für Paulus charakteristische Abweichung von 52 «Grundzüge der Christologie)), S.99. 53 A. a. 0., S. 73. 52
der Apokalyptik darstelle. Pannenberg weist diese Ansicht zurück und behauptet, «Paulus sei ... zu seiner Vorstellung von der Auferstehung als Verwandlung nicht etwa erst unter dem Eindruck der ihm widerfahrenen Begegnung des auferstandenen Jesus gekommen. Auch die Auffassung der Andersartigkeit des Auferstehungslebens als Unvergänglichkeit im Unterschied zum jetzigen, vergänglichen Leben habe jüdische Parallelen».54 Deswegen ist er daran interessiert, in einer nicht nur äußerlichen Weise die Ostererwartung mit Formen der Erwartung zu identifizieren, die die jüdische Apokalyptik kannte. 55 «Daß die völlig andersartige Wirklichkeit, die in diesen Erscheinungen erfahren wurde, als Begegnung eines von den Toten Auferstandenen verstanden werden konnte, das wird nun von der Voraussetzung einer besonderen Form apokalyptischer Erwartung der Totenauferstehung her zu erklären sein.»56 Dies scheint nahezulegen, daß die Wirklichkeit, die zu Ostern erfahren wurde, nicht selbst eine Auferstehung war, sondern daß «Auferstehung» nur eine der Sprachen war, mit denen diese Wirklichkeit interpretiert wurde. 57 Und wirklich kann A. a. 0., S.77. Pannenberg folgt Gerhard Kittel, wenn er behauptet, daß es im Palästina des 1. Jahrhunderts «kaum die geringsten Spuren» von Kulten sterbender und auferstehender Götter gegeben habe. A. a. 0., S. 88. 56 A. a. 0., S. 89 f. 57 Willi Marxsen, «Die Auferstehung J esu als historisches und als theologisches Problem», Gütersloh 1964, 1965 2, führt diese Alternative in der Diskussion mit Ulrich Wilckens durch. Statt die ursprünglichen Erfahrungen der Jünger als «Erscheinungen des Auferstandenen)) (vg!. Pannenberg, a. a. 0., S.87) zu beschreiben, glaubt Marxsen vielmehr, daß es genauer ist, sie als Erfahrung der Erkenntnis J esu zu beschreiben und deswegen als «Erscheinungen des Gekreuzigten)) (S.16). Er zeigt auf, daß Paulus nicht von einer Erfahrung des Auferstandenen spricht, sondern vielmehr von «Jesus unserm Herrn» (1. Kor. 9,1), «Gottes Sohn» (Ga!. 1, 15), wenn er seine Erfahrung auf dem Weg nach Damaskus beschreibt. Es war darum ein Eintrag, eine Interpretation, eine Weise, die Begegnung mit dem 54 55
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Pannenberg von «Auferstehung)) oder «Aufstehen» von den Toten als von einer Metapher sprechen, die ws der Vorstellung des Aufwachens vom Schlaf gebildet ist. «Auferstehung» kann deswegen ein «Bild)), ein «Gleichnis)) für die gemeinte Realität genannt werden. ))Oie gemeinte Wirklichkeit und die Weise, wie von ihr geredet wird, sind wesentlich verschieden ... Vielmehr wird gleichnishaft gesprochen von einem Geschehen, das uns in seinem wahren Wesen noch verborgen ist.)) 58 An diesem Punkt könnte jemand, der im Untersohied zu Pannenberg die Auferstehungssprache als mythologisch betrachtet, die Entmythologisierung als einen Weg ansehen, der dieses Wesen in einer verständlicheren Sprache ausdrücken könnte, als es in der Sprache der Apokalyptik möglich ist. Oder man könnte die Spraohe, in der das Wesen zum Ausdruck kommt, etwas wesentlicher nehmen, als es Bultmann tut, indem man das Ganze als Sprachereignis betrachtete, wobei die Sprache in das Ereignis verwoben wäre, aber ihrerseits doch durch andere Sprache abgelöst
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lebendigen Jesus zum Ausdruck zu bringen, als das Nachdenken darüber, wie man ihm als dem Lebendigen begegnete, zur Verwendung der apokalyptischen Sprache der Auferstehung führte. Und Marxsen behauptet, daß dies nicht die einzige Sprache einer befriedigenden Interpretation war. Wenn die Erscheinungen als die Beauftragung der Jünger interpretiert werden, dann fehlt in den frühen Traditionen die Auferstehungssprache, nicht nur bei Paulus, sondern auch in Mt. 26,16-20 und in Joh. 20,19-23, obwohl dann die Vermischung der beiden Interpretationen und ihrer Sprache stattfindet (Apg.10, 40-42). Aus der Bestimmung der Rolle der Auferstehungssprache als nur einer von mehreren Interpretationen der Erscheinungen schließt Marxsen, daß «man bei der Auferstehung nun ja gerade nicht im eigentlichen Sinne von einem Datum reden kann», sondern vielmehr von einer Interpretation der Tatsache, daß das Ereignis Gottes in der öffentlichen Wirksamkeit Jesu, «die mit seinem Tode eigentlich vorbei war, durch das Widerfahrnis des Sehens neu ausgelöst wurde» (S. 33). Von der Auferstehung selbst als dem Ereignis zu sprechen ist eine «verbotene Historisierung eines Interpretaments» (S.34). A. a. 0., S. 70.
werden könnte, wenn der wesentliche Punkt im ursprüngliahen Sprachereignis in neue Situationen und Denkformen übersetzt würde. Dies würde sich in Riohtung auf die hermeneutische Theologie Gerhard Ebelings zubewegen, der darüber folgendes sagt: «Das Lautwerden der Gewißheit Jesu nach seinem Tode und das sich auf sie einlassende Einstimmen des Glaubens ist - weil das offenbar gewordene Leben J esu - als Auferweckung Jesu zur Sprache gekommen, zwar mit Anleihen bei apokalyptischen Vorstellungen, aber, das Wesen der Apokalyptik sprengend, als das schon eingetretene Esahaton ... »59 Aber Pannenberg hält dJaran fest, daß diese Feststellung die Apokalyptik als «ein beliebiges AusdJrucksmittel unter anderen» betrachte, und er weist sie mit der Behauptung zurück, «daß diese Bedeutung des Ereignisses, auch wenn sie die apokalyptische Erwartung ,sprenge', nur in der Spraohe der apokalyptischen Überlieferung aussagbar geworden sei und so gerade in ihrer Einzigartigkeit auf den apokalyptischen Erwartungshorizont bezogen bleibe».60 Offensichtlich meint Pannenberg damit, daß Ostern in einer Weise auf die Apokalyptik bezogen bleibt, die über den Gemeinplatz hinausweist, demzufolge ein historisches Ereignis niaht aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gelöst werden kann;
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«Theologie und Verkündigung», Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 1, Tübingen 1962, S.91, von Pannenberg zitiert «Grundzüge der Christologie», S. 93 f. Willi Marxsen, a. a. 0., S.25f., entwickelt Ebelings Position durch einen Hinweis auf die Osterbotschaft als ein «Weiterbringen der Sache Jesu lI , ((in Bewegung gesetzt durch das Widerfahrnis des Sehens», wofür die Quelle Q ein Beispiel ist. (Q weist zufällig so wenig wie das Thomasevangelium, außer in einem alttestamentlichen Zitat, Lk. 7, 22 par., die Sprache der Auferstehung auf.) Er legt dies als eine Alternative zu Wilckens' Ansicht, «Offenbarung als Geschichte ll , S. 58-63, vor, derzufolge Jesu Wirksamkeit der Bestätigung Gottes durch die Auferstehung bedurfte, was für Marxsen heißen würde, der irdische J esus sei (
vielmehr heisst dies, daß das Osterereignis durch die heutige Theologie nicht vollkommen aus den apokalyptischen Kategorien heraus übersetzt werden kann. «Mögen die apokalyptischen Vorstellungen vom WeItende auch in vielen Einzelheiten hinfällig sein, so könnten doch ihre Grundzüge, die Erwartung einer Auferstehung der Toten in Verbindung mit WeItende und Endgericht, auch für uns wahr bleiben.» 61 Pannenberg ist der Meinung, Auferstehung sei eine «absolute Metapher». «Sie ist metaphorisch, und zwar im Sinne der ,absoluten Metapher', die nicht mehr oder weniger auswechselbar gegen andere Bilder und auch nicht auf einen von ihr verschiedenen rationellen Kern reduzierbar, sondern der einzig sachgemäße Ausdruck für einen bestimmten SachverhaIt ist.»62 Bis zu einem gewissen Grade ist dies in dem Sinne gemeint, daß metaphorische Sprache der Wirkliohkeit so nahe steht, wie wir überhaupt an sie herankommen können, so daß die Metapher nicht durch rationale, begriffliche Formulierung überboten zu werden braucht. Zum Teil scheint die Unausweichlichkeit der metaphorischen Sprache auf eine wörtlioh zu nehmende Wirklichkeit zurückzugehen, die gewöhnlich nioht im Begriff der metaphorischen Sprache eingeschlossen ist. Anthropologische Überlegungen zur Notwendigkeit der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode, die heute nur in psychosomatischen Kategorien einer Vereinigung von Leib und Seele gedacht werden können 63, liefern den Beweis für die wörtlich aufZJUfassenden apokalyptischen Elemente im Auferstehungsglauben, den Pannenberg deshalb auch als «anthropologisch interpretierte apokalyptische Erwar61 62 63
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A. a. 0., S. 78 f. A. a. 0., S. 189. A. a. 0., S. 79 ff. Dazu Johannes Wirsching, «Ein neues theologisches System? Randbemerkungen zur Theologie W. Pannenbergs», Deutsches Pfarrerblatt LXIV, 1964; er stellt kritisch die rhetorische Frage: «Die Auferstehung vernünftig, weil dem menschlichen Sehnen angemessen?», S.607.
tung)) 64 bezeichnet. Deswegen soheint die Erkenntnis, daß das Osterereignis sich in seinem Wesen oder Kern an ein vergleichbares religiöses Modell anlehnt, nämlich die jüdisch-apokalyptische Sicht, ein Teil des Beweises zu werden, daß die Hauptlinien des apokalyptischen Bildes beibehalten werden müssen, statt auf die Nicht-Historizität auf der Ebene des wörtlich zu Verstehenden hinzuweisen. 65 Hinsichtlich der Form der Erfahrung, die Nicht-Historizität nahelegen würde, spricht Pannenberg in These 9b) von Halluzinationen, nicht von Visionen, seit im Anschluss an seine negative Bewertung der Visionen in «Heilsgeschehen 64 65
A. a. 0., S. 104. Eine Alternative zum Pannenbergkreis ist von Willi Marxsen vorgetragen worden, der fordert, daß wir nach der Erkenntnis der «Auferstehung» als einer aus der Reflexion über die Tatsache der Erscheinungen J esu abgeleiteten Interpretation diesen interpretativen Prozeß zurückverfolgen sollten, um zu verstehen, was denn interpretiert wurde, und dann versuchen sollten, in neuer Sprache zu sagen, was das damals Interpretierte für uns bedeutet. ((Weil Gott Jesus auferweckt hat, und weil Jesus also der Auferstandene ist, darum ist er nicht im Tode geblieben; darum ist er ein Lebendiger; darum ist seine ,Sache' auch nicht mit seinem Tode vorbei; darum ist das, was er gebracht hat, nicht einfach Vergangenheit und an die Vergangenheit verloren, sondern gilt auch noch heute. Wenn ich also sage: J esus ist auferweckt worden, dann ist diese (durch Reflexion gewonnene) Überzeugung jener Leute (nun ganz wörtlich): so lange uninteressant, wie ich nicht zugleich sage: Der Auferstandene ist er, weil er (identisch mit dem Irdischen) auch heute noch mit demselben (alten) Anspruch kommt. Sage ich das aber, dann muß ich mir darüber klar sein, daß ich nun den Begriff ,der Auferstandene' nicht unbedingt mehr zu übernehmen brauche, wohl aber vom ,Lebendigen' reden muß. Und das ist ja doch eigentlich mehr, denn als der ,Auferstandene' wird er ja nur bezeichnet - in religionsgeschichtlich vorgegebener Vorstellung, wobei einseitig auf die in eben diesem Zusammenhang vorgegebene Vorstellung vom Eintritt des Gekreuzigten in das Leben abgehoben ish. Marxsen, a. a. 0., S.27. So würde also Marxsen das Osterkerygma dahingehend verstehen, daß das «Ereignis Gottes» in der öffentlichen Wirksamkeit J esu sich im lebendigen Christus wieder neu zu ereignen begann.
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und GesahiChte» Hans Graß ihn davon überzeugt hat, daß die Auferstehungserscheinlll1gen der Form nach Visionen waren. 66 Deswegen bedeutet der Ausdruck «Vision» jetzt «etwas (für) die subjektive Erfahrungsweise ... , nicht etwas (für) die Realität des in dieser Form erfahrenen Geschehens».67 Vlisionen, denen keine «außer-subjektive» Realität entspricht, werden deshalb «Halluzinationen» genannt; aber solche nicht-objektiven Phänomene begegnen «nur selten» 68: « ... gerade auf dem religionsgesdhichtlichen 66
A. a. 0., S. 90, Hans Grass, «Ostergeschehen und Osterberichte)),
Göttingen 1956, 19622 , S.229, zitierend. «Grundzüge der Christologie)), S. 91 f. In Wirklichkeit scheint der indirekte historische Beweis für die Historizität eines angenommenen Ereignisses durch eine formale Analogie zu Formen der Erzählung oder Erfahrung sich in einen direkteren Beweis durch positive historische Analogie zu entwickeln. In einem Brief klärt Pannenberg seine Position wie folgt: «Beruht nicht die Bildung unserer Begriffe von Mythos, Legende und Vision (sc. insofern sie Nicht-Historizität implizieren) gerade auf positiven Analogien, indem wir nämlich gegenwärtig erfahren, daß in heutigen Legendenbildungen behauptet wird, was nie geschehen ist (während stattdessen etwas anderes ge. schehen ist), so daß wir, wo wir positiv analoge Züge in alten Überlieferungen finden, diese ebenfalls als legendär beurteilen und Skepsis gegen ihre Behauptungen hinsichtlich des Geschehenseins hegen)). So scheint also der Beweis gegen die Historizität weniger auf der Klassifikation eines berichteten Ereignisses innerhalb von bestimmten psychologischen oder erzählerischen Kategorien zu beruhen als auf den starken Ähnlichkeiten des berichteten Geschehens mit einem modemen Ereignis, das als unhistorisch bekannt ist. Wenn dieses fehlt, wie es oft der Fall sein dürfte, würde kein Beweis von der Analogie her möglich sein. 68 A. a. O. Man halte dagegen die Zurückweisung solcher überlegungen durch Kar! Barth, «Die Auferstehung der Toten)), München, 1924, S.78. «Und darf man es nicht einmal, abgesehen vor allem andern, einfach als eine Taktlosigkeit bezeichnen, aus dem w
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Felde, wo immer nur Ausnahmeerscheinungen überliefert werden, darf der psychiatrische Visionsbegrnff (sc. Halluzination) keinesfalls dort postuliert werden, wo keine genaue ren Anhaltspunkte dafür ·durch den Überlieferungsbestand gegeben sinch. 69 Deswegen rückt die Möglichkeit, die Auferstehungserscheinungen als Halluzinationen zu beweisen, sehr fern, und ihre Gleichförmigkeit mit Visionen sagt nichts mehr gegen ihre Historizität. Das Ergebnis dieser bemerkenswerten tour de force ist die Behauptung, die Historizität der Auferstehung bewiesen zu haben, die Pannenberg sorgfältig folgendermassen formuliert: «In diesem Sinne also wäre die Auferweckung Jesu als ein historisclhes Ereignis zu bezeichnen: Wenn die Entstehung des Urahristentums, die abgesehen von anderen Überlieferungen auoh bei Paulus auf Erscheinungen des auferstandenen Jesus zurückgeführt wird, trotz aller kritischen Prüfung des Überlieferungsbestandes nur verständlich wird, wenn man es im Lichte der eschatologischen Hoffnung einer Auferstehung von den Toten betrachtet, d'ann ist das so Bezeichnete ein historisches Ereignis, auch tiven)) Visionen) oder mit den Positiven ebenso brutal «historische Tatsachen)), über die man anhand von «Quellen)) referieren kann wie über alle anderen Tatsachen nur mit dem Unterschied, daß es dabei unerhört wunderbar zugeht, und daß man beständig in Gefahr steht, entweder der Skylla einer krassen Mythologie oder der Charybdis eines groben oder feineren Spiritismus in die Arme zu laufen? Ganz abgesehen von dem schlechten historischen Gewissen, das man dabei herumträgt, und das einen auf einmal doch wieder zu den liberalen Visionsfreunden hinübertreiben könnte! Als ob nicht auch diese «positive)) Art, die Auferstehung Jesu zu behaupten, die heimliche Leugnung dessen wäre, was man doch gerade behaupten möchte, der Auferstehung als der Tat Gottes, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, die in keines Menschenherz gekommen ist, nicht äußerlich und nicht innerlich, nicht subjektiv und nicht objektiv, nicht mystisch, nicht spiritistisch und nicht platt-historisch, sondern als geschichtliche Gottestatsache, die als solche nur in der Kategorie der Offenbarung zu fassen ist und in keiner anderen?)) 59
wenn wir nichts Näheres dalÜber wissen. Als historisch geschehen ist dann ein Ereignis zu behaupten, das nur in der Sprache der eschatologischen Erwartung aussagbar istn. 70 Dieses inhaltlich entscheidende Beispiel für das Verhältnis der Geschichtsschreibung zur Theologie ist das Modell für den allgemeinen Zugang zum immer wiederkehrenden Problem von «Glaube und Geschichte». In diesem Punkt wird die Alternative Bultmanns nicht nur von den Barthianern, sondern auch von so konservativen Lutheranern wie Paul Althaus und Walter Künneth geteilt, nämlich: daß die Auferstehung nicht historisch beweisbar sei. 71 Bultmann kommt zu seiner Ansicht aufgrund der folgenden Überlegungen: für die modeme Geschichtsschreibung wie für die modeme Wissenschaft im allgemeinen ist die «Hypothese Gott» nicht notwendig (Laplace).72 Bultmann hat keinen theologischen Grund, die Situation der modernen Wissenschaft zu bestreiten, da für ihn Gott, im Sinne der Theologie des Kreuzes, nur paradox oder dialektisch verstanden werden kann. Der Sinn der Geschichte ist weiterhin nicht wissenschaftlich feststellbar, aber er kann von demjenigen, d~r in der Begegnung mit der Geschichte offen für sie ist, als eine Möglichkeit für sein eigenes Leben erfahren werden. 73 So impliziert Bultmanns Stellungnahme eine dialektisohe Beziehung zwischen der objektiven Feststellung von Tatsachen und deren traditioneller Interpreta69 70 71
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«Grundzüge der Christologie», S.93. A. a. 0., S. 95. Vgl. z. B. die Zurückhaltung in der im übrigen zustimmenden Aufnahme des programmatischen Aufsatzes von Pannenberg durch Ulrich Kühn, «Das Problem der zureichenden dogmatischen Begründung der christlichen AuferstehungshoffnunglI, KuD IX, 1963, S.16, hinsichtlich «einiger gewagter Formulierungen über die Verifizierbarkeit des geschichtlichen Heilshandelns Gottes». Kerygma und Mythos VI, 1, S.20; ZThK LX, 1963, S.337. Vgl. Kerygma und Mythos VI, 1, S.22: ((Zukünftigsein ist die Wirklichkeit, in der der Mensch steht. In der Geschichte der Menschheit wird das daran deutlich, daß der geschichtliche
tion einerseits und der existentiellen Begegnung mit gegenwärtigen GesClhehnissen oder mit gegenwärtigem Zeugnis von schon Geschehenem andererseits. Pannenberg konzediert, daß «etwas Richtiges» an der Auffassung ist, die hinter der Ablehnung der historischen Verifizierbarkeit von Ostern steht, insofern «die Wirklichkeit des neuen Äon aber selbstverständlich nicht mit den Augen des alten Äon wahrgenommen werden könne. Der Historiker müsse aber innerhalb der Regeln des alten Äon urteilen und könne daher nichts von Totenauferweckung sagen».74 Aber Pannenberg fügt hinzu: «Weil es sich bei dem Leben des Auferstandenen um die Wirklichkeit einer neuen Sahöpfung handelt, darum ist der Auferstandene tatsächlich nicht als ein Gegenstand unter anderen in dieser Welt wahrnehmbar; darum war er nur durch die außeroIldentliche Erfahrungsweise der Vision und nur in einer symbolischen Sprache zu erfahren und zu bezeichnen. Aber in dieser ganz bestimmten Zeit, in einer begrenzten Zahl von Ereignissen, gegenüber näher bezeichneten Menschen. Mi1!hin sind diese Ereignisse auch als historische Ereignisse, als zu einer bestimmten damaligen Zeit tatsächlich geschehene Begebenheiten, zu behaupten oder zu bestreiten. Wenn wir auf den Begriff eines historischen Ereignisses hier verzichten würden, dann ließe sich überhaupt nicht mehr behaupten, daß die Auferweckung Jesu bzw. die Erscheinungen des auferweckten J esus in dieser unserer Welt zu bestimmter Zeit wirklich geschehen sind. Es gibt keinen Rechtsgrund, die Auferweckung Jesu als ein wirk-
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Sinn eines Ereignisses immer erst von seiner Zukunft her verständlich wird. Die Zukunft gehört wesenhaft zum Ereignis. Erst vom Ende der Geschichte aus ist daher der Sinn geschichtlichen Geschehens endgültig zu verstehen. Da aber ein solcher Rückblick vom Ende aus für menschliches Auge unmöglich ist, ist auch eine Philosophie, die den Sinn der Geschichte zu verstehen trachtet, nicht möglich. Vom Sinn der Geschichte läßt sich nur reden als vom Sinn des Augenblicks, der als Augenblick der Entscheidung sinnvoll ist)). «Grundzüge der Christologie)), S.96. 61
lieh geschehenes Ereignis zu behaupten, wenn sie nicht historisch als solches zu behaupten istl> .75 Von diesen historisch verifizierbaren Tatsachen aus kann der Mensch Wissen über Gott erlangen, wenn solche Tatsachen nicht isoliert, sondern in einem überlieferungszusammenhang -gesehen werden, innerhalh dessen von Gott in einer «verständlichen Weise» gesprochen wird. ((Dann gilt, daß in einem Ereignis (nicht in jedem in gleicher Weise!) Gott wiedererkannt, da:bei auch in neuer Weise, in modifizierter Weise erkannt wird - und nur in diesem Zusammenhang und in diesem Sinne (sofern alles Wiedererkennen die logische Struktur des Schlusses impliziert) würde von dem Ereignis auf Gott ,geschlossen'.» 76 In diesem Sinne kann Offenharung als Geschichte gesehen werden, wenn zunächst die Kritik der Voraussetzungen der historischen Methode eine theologisdhe Geschichtsschreibung geschaffen hat, d. h. eine Geschichtsschreibung, die von den Theologen für alle Geschichte als gültig angesehen wird. Systematische Theologie würde eine christliche Anschauung der Gesc!hichte als Modell oder Arbeitshypothese bereitstellen, in deren Rahmen der christliche Historiker 75
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A. a. o. Das Zitat stammt aus einem klarstellenden Brief Pannenbergs. Er akzeptiert offensichtlich nicht die Unterscheidung, die z. B. Marxsen, a. a. 0., S. 12, vorträgt: «Daß man es zu Lebzeiten Jesu bei der Begegnung mit ihm mit einer Begegnung mit Gott zu tun hatte, bleibt historischem Erkennen verborgen. Historisches Erkennen (nämlich historische Exegese) kann immer nur die Behauptung der Zeugen konstatieren, in J esus Gott begegnet zu sein». Pannenberg hat den Schritt noch nicht vollkommen deutlich gemacht, der von der historischen Beobachtung, daß ein Ereignis in einem Lebenszusammenhang geschah, in dem die Menschen an Gott und sein Handeln glaubten, zum theologischen Wissen des Historikers führt, daß ihr Glaube wahr gewesen ist; und er hat auch nicht geklärt, wie sich solches Wissen, das der Historiker an das besondere Ereignis heranträgt, von der durch Pannenberg zurückgewiesenen Auffassung unterscheidet, ein theologisches Verstehen des Ereignisses sei auf den Glaubenden beschränkt.
seine Detailforschung treiben würde, deren Schlüsse ihrerseits dieses Bild auffüllen und modifizieren würden. Damit dies kein Ghetto bleibt, das den christlichen Historiker von seinem weltliohen Kollegen trennt, würde Pannenberg wohl behaupten, daß die Cihristliche Arbeitshypothese angemessener sei als diejenige, die der weltlichen Geschichtsschreibung zugrunde liegt. So würde der Dualismus der heiligen und profanen Geschichtsschreibung in der Theorie dadurch überwunden werden, daß die Geltung der weltlichen Geschichtsschreibung an den Punkten, wo die beiden Auffassungen divergieren, bestritten wird.
III. Die Debatte in der alttestamentlichen Wissenschaft Wenn die theologische Rolle, die die hier diskutierte Auffassung der Geschichtsforschung zuschreibt, wirklich eines ihrer konstitutiven Elemente ist, sollte man erwarten, daß die Probleme in historischen Begriffen formuliert werden können. Dies gilt v:or allem für die alttestamentliche Forschung, wo die Schule ihren Ausgangspunkt fand. Man kann die Art und Weise vergleichen, mit der die Bultmannsche Theologie sowohl in Begriffen der neutestamentlichen Forschung wie auah in solchen der modemen Theologie diskutiert werden kann. Als Pannenberg nachgesagt wurde 1, er habe ein «System», für das seine Mitarbeiter in den historischen Disziplinen nur die «Vorarbeiten» geleistet hatten, wies er solahe «Ehre» eindeutig zurück. «Der erste Anstoß ging vielmehr von Rendtodf aus, der Zimmerlis Forsohungen über das ,Erweiswort' mit dem Offenbarungsprob~em in Verbind'Ung brachte 'und das Erweiswort als den wichtigsten Beitrag des AT zu dieser Frage charakterisierte.»2 Denn Pannenbergs Einsicht, daß die 1
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Lothar Steiger, «Offenbarungsgeschichte und theologische Vernunft. Zur Theologie W. Pannenbergs», ZThK LIX, 1962, S. 90 f. «Nachwort» zu «Offenbarung als Geschichte», 2. Auflage, S. 132. 63
zeitgenössische Theologie mit Offenbarung zuerst meinte, Gott offenbare sich selbst 3 , scheint nicht nur eine anthropologisch orientierte Theologie, sondern auch eine am Verstehen der Geschichte orientierte in Frage zu stellen. Es war Zimmerlis Untersuohung des «Erweiswortes» , die es möglioh machte, die alttestamentliche Geschichte als eine Offenbarung über Gott selbst zu verstehen. Zimmerlis grundlegende Entdeckung geschah im Zusammenhang vorbereitender StUidien für einen Kommentar zu Ezechiel, den er selbst in barthianischem Sinne einer Theologie des Wortes Gottes unternehmen wollte. Seine Antrittsvorlesung alls Professor in Göttingen 1951 hatte unter dem Thema «Das Wort Gottes in Ezechieh 4 gestanden, und Ezechiels «Ruf zur echten Entscheidung im Heute» ist das Verheißungswort Gottes, das dem Verzweiflungswort des Menschen antwortet, oder es ist eine Aktualisierung desjenigen Wortes Gottes, das durch einen früheren Propheten gegeben wurde, in den Begriffen der Exilssituation 5. Und der erste größere Durchbruch in Zimmerlis gattungs gePannenberg, a. a. 0., legte vor seiner Gruppe dar, daß dieser Faktor in der modernen Theologie immer noch einer angemessenen «Begründung» entbehre. Vgl. seine «Einführung)) zu «Offenbarung als Geschichte», S.7-20. • Vgl. «das Gotteswort des Ezechieh, ZThK XLVIII, 1951, S.249 -262, wieder abgedruckt in «Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament)), Theologische Bücherei 19, München 1961, S. 133-147. Der Titel der gesammelten Aufsätze Zimmerlis, «Gottes Offenbarung)), erklärt sich aus dem Einschluß eben derjenigen Artikel, auf die sich Rendtorff bezieht und die nach Zimmerli «danach fragen, wie Gott im Zeugnis des Alten Testaments aus seinem Geheimnis heraustritt und wie menschliches Erkennen diesem Heraustreten zu begegnen vermag)) (Vorwort, S.8). So beabsichtigt der Band, seine Alternative zu Rendtorff thematisch darzustellen, was sein Artikel «Offenbarung im Alten Testament)) in einer stärker von der Diskussion bedingten Form getan hatte. Aus diesem Grunde (so das Vorwort) wurde der letztgenannte Aufsatz nicht in die Sammlung aufgenommen. 5 «Gottes Offenbarung», S. 143 ff. 3
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sohichtlicher Studie zu Ezechiel 6 sohien in dieselbe Richtung zu weisen: er entdeckte eine «Selbstvorstellungsformeln. in der die Gottheit sich selbst vorstellt mit «Ich bin Jahwe». Obwohl diese Formel später mit Prädikatiolleii über J ahwe erweitert wurde (( ... dein Gott», « ... der ich dich aus Ägyptenland geführt habe», usw.), ließ die gattungsgesahichtliohe Analyse ihn vermuten, daß die Kurzform älter ist, insofern sie gar keine Aussagen über Gott beabsichtigt, sondern ihn vorstellen wilJ.7 Wir haben es mit der «vollen, persönlichen Gegenwärtigkeit Jahwes in seinem W·ort» zu tun. 8 Die bloße Tatsaohe, daß Jahwe als derjenige beschrieben wird, der seine Hand erhebt, d. h., einen Eid schwört, wenn er seinen Namen gibt, zeigt an, daß er sein Wort gibt. «Diese Offenbarung des Namens J ahwes ist ein zu bestimmten Menschen hin geschehendes, sich an sie wendendes und um seines Eides willen treu bleibendes Offenbaren Jahwes.))9 Soweit könnte Zimmerlis Forschung ihn z. B. in die Richtung auf Ebelings «Wortgeschehen» ZlUgeführt haben, ein Ausdruck, der tatsächlich in Zimmerlis Arbeit erscheint. 10 Aber wachsende Zurückhaltung gegenüber der bultmannschen Alternative 11 und weitere Studien zu Ezechiel führ6
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«,Ich bin Jahwe', Geschichte und Altes Testament, Albrecht Alt zum 70. Geburtstag dargebrachh, Beiträge zur historischen Theologie 16, Tübingen 1953, S.179-209, wieder abgedruckt in «Gottes Offenbarung)), S.11-40. «Gottes Offenbarung)), S.14. A. a. 0., S.17. A. a. 0., S. 21. A. a. 0., S.110, vgl. auch S.86: «Alttestamentlicher Glaube ist der Meinung, daß in solchem Bericht über die Taten J ahwes eine volle Neu-Aktualisierung geschieht, in der auch wieder ganze, nicht etwa nur zweitrangige Erkenntnis gewonnen werden kann)). Zimmerli erläutert seine Position gelegentlich unter Zurückweisung von Begriffen, die, zwar vage und anonym, auf Bultmann verweisen, oder, genauer, auf das vorherrschende Mißverständnis seiner Auffassung. A. a. 0., S. 80: Erkenntnis Gottes ist nicht «aus der Seinsanalyse von Mensch und WeIb her65
ten ihn schrittweise zu einer etwas anderen Akzentsetzung: Gott steht treu zu seinem Wort und führt das, was er verspricht, in der Geschichte aus. Auf diese Weise ist die Geschichte. die Gott schafft. die Entfaltung der Offenbarung der Person Gottes. die in der Offenbarung seines N amens_ stattfand. Geschichte wird nioht als das Ziel in sich selbst gesehen, das zu einem. «Verständnis der Geschichte» führt, sondern vielmehr als Offenbarung Gottes, und der Brennpunkt dieser Offenbarung verschiebt sich von dem Ergehen des Wortes Gottes auf die Geschidhte, die dieses Wort bestätigt. «Die Geschichte J ahwes mit Israel ist der Ort, an dem die Wahrheit seines Offenbarungswortes im Vollzug erkennbar wird.)) 12 Zimmerli baut seine Position weiter aus, indem er eine längere Formel analysiert, in der die «Selbstvorstellungsformeln zitiert wird: « ... und sie sollen erkennen, daß ,ich Jahwe bin'».13 Diese größere Formel nennt er die ((Erkenntnisformeln . Sie steht normalerweise am Ende einer Voraussage über Gottes Handeln in der Geschichte, durch das die Selbst-Offenbarung in seinem Namen bestätigt wird. Die Hinzufügung der «'Erkenntnisformeln zur Voraussage des Propheten verwandelt die Voraussage über die Geschichte in ((einen Hinweis auf den vom Menschen zu erkennenden geschichtlichen Selbsterweis J aihwes in seinem Handeln» .14 Dieses ganze ((prophetische Wort des gött-
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zuleiten; S. 108: «die ganzen Vorbedingungen für das Erkennen Jahwes (liegen) nicht im Menschen und in einem in diesem anzutreffenden Vorverständnis» ; S. 109: «Gotteserkenntnis kann nicht auf dem Weg einer Seinsanalyse der Welt und ihres Verursachers oder einer Existenzanalyse des Menschen, aber auch nicht auf dem Wege einer Erhellung der Welt durch einen Mythos gewonnen werden)). A. a. 0., S. 22. «Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel. Eine theologische Studie», AThANT 27- Zürich 1954, wieder abgedruckt in «Gottes Offenbarung», S.41-119. «Das Wort des göttlichen Selbsterweises (Erweiswort), eine prophetische Gattung», Melanges Bibliques rediges en l'Honneur de Andre Robert, Travaux de l'Institut Catholique de Paris 4,
lichen Selbsterweises» ist eine Gattung prophetischer Rede, die Zimmerli als wErweiswort» 15 bezeichnet, d. h., das prophetische «Wort», das besagt, Jahwe werde sich selbst durch historische Ereignisse, die stattfinden werden, als Gott «erweisen». Das grundlegende Beispiel für ein «Erweiswort» ist die Rede des Propheten in 1. Kön. 20, 28 «Da trat ein Gottesmann herzu und sprach zum König von Israel: So sprioht der Herr: Weil die Syrer gesagt haben, der Gott Israels sei ein Gott der Berge und nicht ein Gott der Talgründe, so will ioh diese ganze gewaHige Menge in deine Hand geben, damit ihr erkennt, daß ,ich Jahwe bin')). So ist die «Selbstvorstellungsformeln , die ursprünglich im priesterlichen «Wortgottesdienst» an einer kultischen Stätte oder im Tempel ihren Ort hatte, in die «Erkenntnisformeln eingebettet, die aus der Voraussage des Propheten über die Geschichte ein «Erweiswort» Gottes macht, das vom Propheten in die Mitte des Lebens hinausgetragen wird, um dort seine Kraft im Hervorbringen von Gesclliohte zu beweisen. Zimmerli versteht seine gattungsgeschiohtliche Forschung, d. h., seine Entdeckung der «Selbstvorstellungsformeln, der «Erkenntnisformeln und des «Erweiswortes)) im Sinne einer Verbindung von Wort und Geschichte. «Das prophetische Erweiswort, in dem mit geringen Ausnaihmen (bei Ezechiel) die reine Formel der Selbstvorstellung mi1~ ~!l~ gebraucht wird, ist im Blick auf diesen gottesdienstlichen Vorgang formuliert und weiss sich ihm, auoh wenn es fern vom Kultort mitten im Kampfgeschehen gesprochen ist (1. Reg. 20), innerlich zugeordnet. Die Wahrheit des dort in der Gemeinde verkündigten mi1~ ~!l~, so will das prophetische Wort sagen, erweist sich unter dem verheißenden Prophetenwort (Weissagung) mitten im geschichtlichen Ereignis draußen.))16 Aber wenn das Wort des Propheten auf «den
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Paris 1957, S.154-164, wieder abgedruckt in «Gottes Offenbarung», S. 120-132. Das Zitat ist auf S. 124 zu finden. «Gottes Offenbarung» S.121. A. a. 0., S. 126. 67
gesohiahtlichen Beweis für die Wahrheit des in jener gottesdienstlichen Mitte lebenden Anspruchs weist», d. h., «Wahrheit und Majestät des ini1\ \~N (erweist)>> 17, dann könnte die Rolle der ursprünglichen Verkündigung «Ich bin ]ahwe» als voller Selbst-Offenbarung in gewisser Weise in Frage gestellt erscheinen. Diese Relativierung des Wortes scheint besonders offensichtlich, wenn «der Kreis der Menschen, denen der Erweis sichtba'r werden sO'll, nicht auf den im prophetisdhen Zuspruch sichtbar Angeredeten eingeengt werden darf, sondern weiter hinausgreift» 18, z. B. «alle Bäume des Feldes)) (Ez. 17,24), «,alles Fleisch» (20,48), «alle Bewohner Ägyptens)) (29,6), «die Völker)) (36,23.36; 37, 28; 39, 7.23).19 Hier saheint die Struktur der Offenbarung sich gegen den Willen Zimmerlis von einer Bestätigung des offenbarenden Wortes Gottes durch die Geschichte in eine Offenbarung allein durch das historische Ereignis selbst verändert zu haben. Im Lichte dieser Studien zu Ezeohiel und dem «Erweiswort» sucht nun Rolf Rendtorff seine These zu verfolgen, daß Gott sich im Alten Testament in erster Linie in der Geschiohte offenbare. 20 Seine die Offenbarung durch Gesohichte bejahende Darlegung wird eingeleitet mit einer Analyse solaher alttestamentlicher Alternativen, die annehmen lassen könnten, Offenbarung sei von Geschichte getrennt. Das alttestamentliche Wort, das am ehesten mit «Offenbarung» übersetzt werden kann, kann sicher außer Acht gelassen werden, da es kein speziell theologischer
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A. a. 0., S. 127 f. A. a. 0., S. 128. A. a. 0., S. 131. «Die Offenbarungsvorstellungen im Alten Israel II , «Offenbarung als Geschichte)), S.21-41. Vgl. den Bericht und Kommentar zu Rendtorff von Arnold Gamper, S. J., «Offenbarung in Geschichte)), ZKTh LXXXVI, 1964, S. 186: «Als letztes Ergebnis kann festgehalten werden: Erkenntnis Gottes ist nur möglich aufgrund seines geschichtlichen HandeIns (ist Zimmerli hier richtig interpretiert?) 11.
Ausdruck ist, sondern in erster Linie in nicht-theologischen Zusammenhängen verwendet wird. In diesen Fällen bedeutet selbst die LXX-Übersetzrung anoxaÄlm;-cEL'V nur «offenlegen»,21 Ein anderes Verb, das «gesehen werden», «erscheinen» bedeutet, wurde ursprünglich in Kultätiologien benutzt, um einen Altar als einen Ort zu legitimieren, wo ein Gott gesehen wurde; aber dieses Wort wird immer stärker von solchen Kultstätten getrennt und mit Verheißung und Erwäihlung verbunden, d. h es wird historisiert,22 21
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Zimmerli besteht in seiner Antwort, «,Offenbarung' im Alten Testament)), EvTh XXII, 1962, S. 15-31, besonders S. 16, darauf, daß eine Formulierung wie Jes. 22,14 «enthüllt ist Jahwe Zebaoth in meinen Ohren)), der eine Ankündigung des Gerichtes in Form eines Eides folgt, «nicht unerheblich für die Bestimmung der alttestamentlichen Offenbarungsaussage)) sei. «Das auf das Geschehen zudrängende Wort der Androhung, das in den Ohren des Propheten hallt, ist hier als Ort des Offenbarwerdens ausgesagtl). Arnold Gamper, S. J., «Offenbarung in Geschichte)), ZKTh LXXXVI, 1964, S.185, stellt fest, daß die weltliche und religiöse Bedeutung nicht so einfach zu trennen sind wie Rendtorff es anzunehmen scheint. Zimmerli, a. a. 0., S. 16 f., bringt diese Entwicklung stärker mit dem Wechsel von der Vision zur Audition in Zusammenhang. «Als das eigentlich bedeutsame Element tritt die verheißende Ankündigung im Wort, das auf kommendes Geschehen weist, heraus. Ein weiteres Gefälle nun etwa auch vom Wort weg zum reinen Geschehen, bei dem das Wort der Zusage ebenfalls als etwas Unerhebliches und Vorläufiges entwertet würde, läßt sich im Bisherigen nicht feststellen)). Ähnlich Günter Klein, «Offenbarung als Geschichte? Marginalien zu einem theologischen Programm)), Monatsschrift für Pastoraltheologie LI, 1962, S. 68, der behauptet, diese Entwicklung weise in Richtung auf das Wort und nicht direkt in Richtung auf die Geschichte, insofern als die Ankündigung der zukünftigen Tat selbst Wort sei und insofern selbst Rendtorff, «Offenbarung als Geschichte)), S. 27, bestätige, daß die Aufmerksamkeit «nicht auf eine bestimmte Tat der Vergangenheit gerichtetn sei, sondern vielmehr die Versicherung für die Zukunft «aus der überlieferung von J ahwes Rettungstatenn gewonnen werde (Sperrung durch Klein), was also wiederum Wort sei. (Rendtorff allerdings weist auch auf individuelle Akte der Vergangenheit hin, so etwa den Auszug aus Ägypten.) 69
Der Ort eines anderen alttestamentlichen Begriffs, der in Frage kommen könnte, die Erscheinung der «Herrlichkeitl) Gottes, war ursprünglich der himmlische Tempel oder sein irdisches Gegenstück (les. 6, 3), aber auch er wurde historisiert (Ps. 97, 6; Jes. 40, 5). Aber die priesterliche Tradition teilt diese Ansiedlung der Erscheinung der Herrlichkeit Gottes in historischen Ereignissen nicht, sondern betrachtet vielmehr die Herrlichkeit als «eine räumlioh genau umgrenzte Größe, die je und dann vom Himmel herabkommt, und in der Jahwe selbst gegenwärtig ist» 23, entweder in Verbindung mit dem Kult 24 oder mit der Geschichte - aber mit einem Unterschied. «Im Unterschied zur außerpriesterlichen Tradition heißt hier aber ,] ahwes "~:l sehen' nicht unmittelbar, seinen Machterweis sehen; der "~:l ersoheint vielmehr, um den bevorstehenden Maohterweis Jahwes anzukündigen.» 25 Dieses priesterliche Verständnis der Herrlichkeit Gottes als seiner den Kult einsetzenden 26 oder 23
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Rendtorff, «Offenbarung als Geschichte», S.29. A. a. 0., S. 30 f. Zwar entdeckt Rendtorff selbst hier «eine ausgeprägt geschichtliche Funktion» der Herrlichkeit, insofern als sie den Kult einsetze und damit legitimiere. Aber ist dies nicht einfach ein Beispiel der ursprünglichen kultätiologischen Verwendung des Begriffes, die für seine kanaanäischen Ursprünge charakteristisch war? A. a. 0., S.30. Es ist unklar, warum Rendtorff hinzufügt: «Hier ist die priesterliche Umformung besonders deutlich. Der "~:l hat solche Dignität erlangt, daß er als von der Wolke verhüllter Initiator der Ereignisse im Hintergrund bleibt». Ist nicht dieser Begriff der Herrlichkeit Gottes vielmehr eine direkte Entwicklung des ursprünglichen Kultzusammenhanges (vgl. S.29, wo die «Wolken» in Ps. 97, 2 so verstanden werden) und stimmt er nicht eher mit dem anderen Aspekt der priesterlichen Verwendung des Begriffs überein, nach der die Erscheinung, die auf einen kultischen Ort beschränkt ist, eine Erscheinung «nur vor den Augen Israels» ist (S. 31)? Rendtorff, a. a. 0., S.30, scheint die Rolle der Herrlichkeit Gottes im kultischen Sinne als «erfüllt» anzusehen, sobald der Kult eingesetzt ist. Er weist die Ansicht zurück, nach der es eine fortdauernde «Selbstoffenbarung Jahwes im Kult» (S.32) gegeben hat. Die Priesterschrift, auf die sich Rendtorff hier
seine zukünftigen Taten verkündigenden Erscheinung läuft eher auf Zimmerlis Verständnis der priesterlichen «Selbstvorstellungsformeln als Gottes Selbstoffenbarung, bzw. auf Zimmerlis Betonung der offenbarenden Rolle des Wortes sogar in dem auf die Geschichte verweisenden «Erweiswortn hinaus. Aber Rendtorff betraohtet die andere Sicht der Herrlichkeit Gottes, daß sie nämlich in «der öffentlichen Durchsetzung erscheint 27, als die normative alttestamentliche Position. Wenn Rendtorff sich dann den Formeln Zimmerlis zuwendet, geht seine Darstellung bald in die Form der Kritik über. Zimmerli hatte «Ich bin Jahwe» als eine «Selbstvorstellungsformeln betrachtet, die besonders in ihrem polytheistischen Ursprungsbereich notwendig war. «Ein bisher Ungenannter tritt aus seiner Unbekanntheit heraus, indem er sich in seinem Eigentum erkennbar und nennbaflmacht.»28 ,Rendtorff weist darauf hin, daß dies nicht dem locus classiaus im Alten Testament, Ex. 3, 6 entspridht, insofern Gott sich hier Mose als der Gott vorstellt, der seinen Vätern ~ekannt war. «So ist hier offensichtlioh der Rückverweis auf die bisherige Geschichte Gottes mit den Vätern das entsoheidende Element» in der Formel, und sie wird ver'"
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beruft, mag zwar nicht auf eine Fortsetzung der Herrlichkeit Gottes im Tempel, solange der Kult besteht, Bezug nehmen. Doch scheint Hesekiel eine solche Ansicht in priesterlichen Kreisen vorauszusetzen. A. a. 0., S.29. Zimmerli spricht in seiner Erwiderung, EvTh XXII (1962), 18, lieber von der «eigentümlichen Doppelung)) der Herrlichkeit Gottes in Natur und Geschichte einerseits und in der «Wortbewegung)) andererseits und betont, daß die letztgenannte «etwas ganz anderes ist als ein bloß menschliches Daherreden von Worten)). In seinem «Nachworh zur 2. Auflage von «Offenbarung als Geschichte)), S.132, nennt Pannenberg die Geschichte «eine über bloße Worte hinausgehende Wirklichkeib. So liegen die Verschiedenheiten zum großen Teil im Verstehen des Begriffs «Worb. Zimmerli, «Gottes Offenbarung)), S.11, zitiert bei Rendtorff, «Offenbarung als Geschichte)), S.33. 71
bunden mit einer Verheißung kommender Ereignisse. 29 Deswegen behauptet Rendtorff, die Kurzversion der Formel, die nur aus «Ich bin Jahwe» besteht, sei nicht die ursprüngliche Fonnel, wie Zimmerli angenommen hatte, sondern «eine Reduktion der Aussage auf einen Ausdruck von äußerster Prägnanz». 30 Zimmerli antwortete darauf, daß die Kurzform in prophetischen Orakeln des 9. J a'hrhunderts (1. Kön. 20, 13. 28) begegne und wahrscheinlich im Sprachgebrauch des J ahwisten, so daß der Beweis der historischen Priorität bestritten werden könne.31.~ ,gattungsgeschichtliche Debatte ist ein Beispiel der theologischen Debatte, ob Gottes Offenbarung in erster Linie in seinem Wort besteht, wobei Gott in der Verkündigung der «Selbstvorst~llungsfQrmel» anwesend 32 wäre und des29
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Rendtorff, a. a. 0., S.33. Zimmerli, EvTh XXII, 1962, S.20, ist nicht der Meinung, daß dieser «logische Widerspruch», der «sich zu ergeben scheint», das Wesen der Formel als einer solchen der Selbstvorstellung verändere. In «Gottes Offenbarung», S.25, sagt er: «Gott stellt sich durch den Rückverweis auf schon Bekanntes oder früher Geschehenes als der Bekannte vor». A. a. 0., S. 34. Zimmerli, EvTh XXII, 1962, S.20. Zimmerli, a. a. 0., betont gegen Rendtorff, daß die Formel Gott repräsentiere (präsent mache) und nicht darstelle (beschreibe). In «Gottes Offenbarung», S. 15, spricht Zimmerli von der «Zersetzung» der «Selbstvorstellungsformeln, «wo die dem Jahwenamen zunächst nur attributiv beigegebene Aussage das Gewicht einer selbständigen Prädikataussage bekommt und der Name Jahwe zu einem Attribut des Subjekts abgewertet wird: ,Heilig bin ich, Jahwe, euer Gott'». Vgl. auch S.30. Es ist bezeichnend für die verschiedenen Ansätze, daß Rendtorff, «Offenbarung als Geschichte», S.33, und EvTh XXII, 1962, S.628, in der Kritik an Zimmerli feststellt, daß der Name Jahwe an einigen Stellen (z. B. Gen. 26, 24) nicht auftritt, obwohl solche Ausnahme an dieser Stelle nicht dem Elohisten zuzuschreiben ist, wogegen Zimmerli, EvTh XXII, 1962, S.21, auf eine vollständige Abwesenheit des göttlichen Namens hinweisen kann «
wegen dort offenbart würde, oder ob die Offenbarung in ~rster Linie in der Geschichte geschieht, worauf die For~el dch bin Iahwe. der ... »33 siah bezieht. Deswegen überrascht es nicht, daß an diesem Punkt Pannenberg in die alttestamentliche Debatte eingreift, um zu zeigen, daß auch die frühen Beispiele für die Selbstvorstellungsformel, auf· die Zimmerli hinweist, in die Erkenntnisformel eingebettet sind, und daß sie deswegen als Abkürzungen der längeren historischen Form der Selbstvorstellungsformel angesehen werden müssen, die für Pannen!bergs Position notwendig ist. 34 Rendtorff richtet die Aufmerksamkeit zustimmend auf einen Aspekt der Darstellung Zimmerlis, der «vor allem wichtig)) sei: «Die Offenbarung Jahwes ist hier also nicht so verstanden, daß sie nur einem bestimmten Kreis von Menschen sichtbar wird oder daß es zu ihrer Erkenntnis besonderer Voraussetzungen bedarf. Alle Völker, ,alles Fleisch', die Enden der Welt, sehen was geschieht, und es
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auf «Ich bin)) der Form nach auch eine «Zersetzung)) der Formel, «Gottes Offenbarung)), S.30. Rendtorff bestreitet die Genauigkeit der formkritischen Analyse Zimmerlis. Z. B. sagt er vom Gebrauch im Sakralrecht, wo die Formel der Gesetzgebung folgt: «Hier scheidet ein Verständnis der Formel als ,Selbstvorstellung' ohnehin aus)), «Offenbarung als Geschichte)), S.35. In EvTh XXII, 1962, S. 628 f. argumentiert er, der Bezug auf die Geschichte sei konstitutiv für die Formel als solche; in den Königspsalmen scheint eine Prädikation in der dritten Person (<<J ahwe ist König))) die grundlegende Form zu sein. Er akzeptiert nicht Zimmerlis Kritik, nach der er die Selbstvorstellungsformel auf eine neutrale Prädikation reduziert habe, da die Formel in seiner Sicht darauf besteht, daß es «eben Jahwe und kein anderer ist, von dem hier geredet wird)), EvTh XXII, 1962, S.628, Anm.16. Vielleicht hatte Zimmerli mit (
ist ihnen allen in seiner Bedeutung als Selbsterweis J ahwes erkennbar».35 Diese Akzentverschiebung führt Rendtorff dazu, zunächst eine Position einzunehmen, die die Gruppe später modifiziert hat 36 , als Kritiker dies als Zeiohen für die Richtung ansahen, in die sie sich bewegte: nämlich auf die Ersetzung des Wortes durch die Geschichte hin, anstatt eines Verstehens der beiden Elemente in ihrer Einheit. «Zumal im Blick auf die Völker, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Jahwe in seinem Handeln erkennen sollen, erscheint eine Bindung der Offenbarung an das prophetische Wort von vornherein ausgesohlossen.»37 Als Antwort darauf stimmt Zimmerli einen polemischen Ton an, den er im allgemeinen zu vermeiden suohte. «Woher diese eigenartigen Schlußfolgerungen, die dem alttestamentlichen Tatbestand ganz offensichtlich nicht gerecht zu werden vermögen?»38 ReH4torffs Gedanke einer Offenbarung Gottes in der Geschichte ohne das Wort kann sehr wohl zum großen Teil von dem antithetischen Verhältnis der Pannenberg-Gruppe zur Theologie des Wortes Gottes herrüIhren ; aber In dles~m speziellen Fall scheint er der Darlegung Zlmmerlis zu Ezechiel ebenso stark verpflichtet zu sein. 39 Als Antwort auf Rendtorff kann Zimmerli sagen, daß die Nationen an einigen Stellen (z. B. Ez.25) Jahwe in
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«Offenbarung als Geschichte», S. 38 f. Besonders in Rendtorffs Antwort auf Zimmerlis Artikel, «Geschichte und Wort im Alten Testament», EvTh XXII, 1962, S.621-649, beginnt Rendtorff mit der Feststellung, daß er mit Zimmerli «völlig)) übereinstimme, wenn dieser erkläre, Geschichte sei von Wort und Rede nicht zu trennen, S.622. Vgl. unten S.87. «Offenbarung als Geschichte», S.40. EvTh XXII, 1962, S.24. Vgl. oben, S. 64.
ungeheuer ausgeweitet und an neuartigen Stellen verwendet, zu sehen, daß Ezechiel über den Weg, auf dem der Name Jahwes und seine drohende Vor-Ansa'ge zu den Völkern kommt, wenig ausdrückliche Angaben machtn. 40 Deuterojesaja versteht Israel als «meine Zeugen» für die Nationen (43,10; 44,8). «Eine Isolierung des von Jahwe Gewirkten von dem zuvor von Jahwe gesandten Wort ist gerade bei Deuterojesaja ein exegetisch unhaltbares Unterfangen.»41 Wie Deuterojesaja mit dem Wort Jahwes beginnt, das in Ewigkeit währt (40,8), so schließt das Buch mit einem Begriff des Wortes, das auf die Geschichte einwirkt. Zimmerli macht sich diesen Begriff zu eigen: «Es soll nicht leer zu mir zurückkehren, sondern wirken, was ich beschlossen, und durchführen, wofür ich es gesandt habe» (55, 11). ,Zimmerli stellt den alttestamentlichen Begriff des Wortes nicht einfach dem der Geschichte gegenüber. Vielmehr sucht er eine Definition des alttestamentlichen Geschichtsverständnisses zu finden, die mit demjenigen des Wortes vereinbar ist. Wort ist «selber schon Geschehnis, das Welt und Gesohichte bewegtn, «das Geschehen ist verwirklichtes Wort, eingelöste Verkündigung».42 Im Hinblick auf die Geschichte will das besagen: «Sie trägt nicht etwa in sich verborgen ein Sinngeheimnis, das der Mensch mit seiner Kraft des Deutens angehen konnte. Wohl aber kann Gott {Lürch dIe ßesteIIung des Verkündigers, der den Namen Jahwes über dem Geschehen nennt, sie zur leibhatten Anrede an den Menschen werden lassen». 43 Diese Sicht der 40
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A. a. 0., S. 24. A. a. 0., S.25. Hier teilt Moltmann, «Theologie der Hoffnung», S. 104, die Kritik Zimmerlis. Vgl. auch Schweizer, oben auf S. 31 f. zitiert, und Arnold Gamper, S. J" «Offenbarung in Geschichte)), ZKTh LXXXVI, 1964, S.188. In seiner Erwiderung weist Rendtorff, a. a. 0., S. 628, darauf hin, daß Israel, in Zimmerlis Worten, Zeugnis von dem ablege, was Gott getan habe. A. a. 0., S. 25. Rendtorff, a. a. 0., S. 622, akzeptiert die Formulierung Zimmerlis. A. a. 0., S. 2'8 f. 75
Geschichte wird noch genauer auf folgende Weise festgehalten: «Dieser Glaube versteht, daß die geschichtliche Rettungstat, Ü!ber welche der Name Jahwes verkündigt ist, gezieltes Geschehen ist, das nicht im Zusammenhang eines Geschichtsganzen verstanden, sondern im Heute als Anruf unter dem Namen Jahwes gehört und im anbetenden und glaubenden Gehorsam verstanden und beantwortet sein will».44 Rendtorff seinerseits bestreitet, daß man zwischen diesen Alternativen wählen müsse. «Gerade bei den Propheten ist doch ganz deutlich erkennbar, daß sie ihre Zeitgenossen mit den Geschichtsrückblicken, mit dem Reden vom Plan Jahwes usw. dazu bereit machen wollten, das sichtbar bevorstehende Geschehen als Handeln J ahwes zu erkennen.»45 Aber es entstehen verschiedene Beurteilungen dessen, was für das Alte Testament an erster Stelle steht: Rendtorff findet, daß die Propheten umso besser verstehen, einen je größeren Überblick sie über die Geschichte haben, - so daß der Grad der Erkenntnis Gottes dem Ausmaß der Geschichte in den jeweiligen Visionen entspricht und vollständiges Wissen erst am Ende der Geschichte möglich wird - und Zimmerli findet, das Alte Testament habe seinen Schwerpunkt wesentlich in der Herausstellung des «in die Stunde hinein Verkündigens» , «des zum Glauben Rufens» 46 - so daß man nicht von Erkenntnisgraden, sondern vielmehr davon sprechen müßte, daß das Wort trifft und Glauben erzeugt. Angesichts der Abgeneigtheit Rendtorffs, in «Ich bin Jahwe» eine Offenbarung Gottes in seinem Namen zu sehen, spürt Zimmerli «den Sprachverschleiß und daher auch den Namensverschleiß unserer Gegenwart».47 Pannen44 45
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A. a. 0., S.29. A. a. 0., S. 622 f., und bes. S.640. A. a. 0., S.29. A. a. 0., S. 23. Zimmerlis eigene Darstellung der Rolle der göttlichen Namen in «Gottes Offenbarung)), S. 127 f., könnte Rendtorff zu seiner Auffassung angeregt haben. Denn Zimmerli hatte den nicht-israelitischen Begriff des Namens als der Macht der Gottheit, wobei die Entdeckung des Namens Gottes Zugang
berg hatte tatsächlich in seiner Einführung zu «Offenbarung als Geschichte» die Aufmerksamkeit auf die antike Identifikation des Namens mit dem Sein gerichtet, die den Rahmen für die barthianische Identifizierung der Offenbarung der Person mit der Kundgebung des Namens hergebe. «Aber der Sinn der Namenskundgabe Ex. 3 ist nun eben doch nicht, daß die Israeliten von nun an das Wesen J ahwes vollständig kennen. Die Mitteilung des J ahwenamens geschieht - wie 3,15 ausdrücklich sagt - zu dem Zweck, daß man Jahwe bei diesem Namen anrufen kann. Ein wichtiges Ereignis - empfängt Israel doch so die Möglichkeit des Verkehrs mit Jahwe! Aber Selbstoffenbarung im Sinne voller Selbsterschließung ist das nicht.»48 Also ist nach Pannenberg die Offenbarung des Jahwenamens nicht SelbstOffenbarung, vielmehr bleibt sie der in der Geschichte zu erwartenden Selbst-Offenbarung unterstellt. Wenn die Offenbarung des J ahwenamens in den Rahmen eines «Erweiswortes» gestellt wird, daß J ahwe sich in der kommenden Geschichte erweisen wird (Ex. 6, 7), kann Rendtorff die Wichtigkeit des Ereignisses beim Feurigen Dombusch unterstreichen:
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zu seiner Macht bedeutet (z. B. im ägyptischen Mythos von Iris und Re) und wobei die Verherrlichung Gottes darin besteht, göttliche Namen zu häufen (z. B. im Falle Marduks), der israelitischen Auffassung gegenübergestellt: «Der ganze Erweis der Herrlichkeit der Selbstvorstellung im Namen wird in Israel vom geschichtlichen Handeln Jahwes erwartet)). Rendtorff, EvTh XXII, 1962, S.643, 648, weist ebenfalls darauf hin, daß die Macht des göttlichen Wortes im alten Orient eine geläufige Vorstellung ist, die vermuten läßt, daß sie grundlegend mythologisch und nicht kennzeichnend für Israel ist. «Offenbarung als Geschichte)), S.13. Vgl. dagegen Zimmerli, «Gottes Offenbarung)), S.17: «die volle, persönliche Gegenwärtigkeit Jahwes in seinem Worb. Ähnlich Amold Gamper, S. J., «Offenbarung in Geschichte)), ZKTh LXXXVI, 1964, S.185, der zum Ausdruck bringt, daß er mit Pannenbergs Beurteilung nicht übereinstimmt. Gerhard von Rad, «Theologie des Alten Testaments I. Die Theologie der geschichtlichen überlieferungen Israels)), München 1957, S.182, interpretiert EX.3 als eine Zurückweisung einer «Definition des Wesens Jahwes im Sinne einer philosophischen Seinsaussage)). 77
«Offensichtlich ist schließlich der Begriff des Sich-Zeigens J ahwes überhaupt als unangemessen empfunden worden ... Aber in Ex. 6, 3 heißt es dann: ,Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als EI saddaj erschienen (N'N'), aber mit meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben (t:li1~ ~l"lV"~ N~)'. Hier wird dem ilN'l das ~'u gegenübergestellt, und es kann nicht zweifelhaft sein, daß das in dem durchreflektierten Sprachgebrauch der Priesterschrift sehr bewußt geschieht. Das Erscheinen Jahwes wird einer vorläufigen Stufe zugewiesen; mit Mose beginnt etwas Neues: Jahwe gibt sich als er selbst zu erkennen.»49 Zimmerli bezeichnet dies, verständlich genug, als eine «schöne Wahrnehmung» 50 von Seiten Rendtorffs. Aber Rendtorff selbst verstand die Priorität des Namens Gottes nicht im Sinne einer Vorrangstellung des Wortes Gottes, sondern vielmehr im Sinne von Geschichte (der «Name» weist letztlidh hin auf den Auszug) contra Theophanie (die immerhin eine religiöse Erfahrung einschließen könnte, die Gottes hypostasierten Namen 51 manifest werden lassen könnte, im Untersohied zu historischen Ereignissen, von denen auf Gottes Namen, d. h. seine Macht und Göttlichkeit geschlossen werden kann). D. h. er interpretiert die Stelle im Sinne des Pannerrbergschen Beurteilungsmaßstabes. Eine zunehmende Verlagerung des Akzentes auf die «überlieferungsgeschichte» gibt die Möglichkeit, das Den49 50
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«Offenbarung als Geschichte», S.25. EvTh XXII, 1962, S.17. In «Gottes Offenbarung», S.44, waren die Verben für Sehen und Wissen als «parallel» und «analog» bezeichnet worden. Zimmerli, «Gottes Offenbarung», S.34, hatte dies «Theophanie» genannt. Aber S. 40 weist er auf «die weitere Entwicklung, im Bereich der priesterlichen Literatur» hin, «die das Element der Epiphanie zurücktreten läßt und auch die Selbstvorstellungsformel deutlich dem Wortgottesdienst einordnet ... », als auf ein Wiederauftauchen eines grundlegenden Zuges des J ahwekultes. «Mowinckels Ablehnung des culte de la parole ist in dieser Schärfe nicht zu halten.» Vgl. auch «Gottes Offenbarung», S.26.
ken in Alternativen zu überwinden, das zur Frage der relativen Vorrangigkeit des prophetischen Wortes oder des geschichtlichen Ereignisses zwang. Tatsächlich scheinen sowohl Rendtorff wie Zimmerli auf dem «Geschehen in seinem Ü'berlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang» 52 bestehen zu wollen. Für Rendtorff scheint es der integrierende Faktor zu sein, der alle in Frage kommenden Formen der Geschichte zusammenzwingt : die vergangene Geschichte, über die die Geschichten erzählen, die gegenwärtige Geschichte, die die Geschichten umformt, und die Geschiohte der Überlieferung selbst als der Hauptstrom in der Kultur- und Geistesgeschichte Israels. 53 Das Modell hierfür ist die Periode vor der Amphiktyonie, die im Sinne der politischen Geschichte eher prähistorisch zu nennen wäre, in der aber die entscheidenden geschichtlichen Ereignisse, die wir erkennen können, gerade die EntWicklung und Entstehung der Traditionen waren, und dies war auch die wesentliche Sache, die die Stämme «taten», als sie zusammentraten. «Überall zeigt es sich, daß eine Entstehung und Weiterbildung der Überlieferungen ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte Israels ist; ja, vielfach sind hier die eigentlich geschichtswirksamen Vorgänge zu erkennen, die über den Wechsel der politischen Verhältnisse hinaus die Geschichte Israels bestimmen.»54 «Wir werden also Ibei der Frage nach dem Handeln Gottes in der 52
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«Offenbarung als Geschichte», S.40. Rendtorff zitiert diese Formulierung später, EvTh XXII, 1962, S. 622, um seine grundsätzliche übereinstimmung mit Zimmerli in dieser Hinsicht zum Ausdruck zu bringen. Dies wurde zuerst in einem Aufsatz «Hermeneutik des Alten Testaments als Frage nach der Geschichte», ZThK LVII, 1960, S.27-40, vorgeschlagen; vgl. dazu meinen Aufsatz «Heilsgeschichte und Lichtungsgeschichte», EvTh XXII, 1962, S.118. Rendtorff hat eine weitergehende Stellungnahme in seinem Aufsatz «Geschichte und überlieferung», «Studien zur Theologie der alttestamentlichen überlieferungen», hrsg. von Rolf Rendtorff und Klaus Koch, Neukirchen 1961, S.81-94, vorgelegt. «Geschichte und überlieferung», S.88. 79
Geschichte Israels nicht bei der Alternative zwischen dem von der historisch-kritischen Forschung erarbeiteten und dem im Alten Testament gezeichneten Geschichtsbild bewenden lassen können. Die Geschichte Israels vollzieht sich in den äußeren Vorgängen, die herkömmlicherweise Gegenstand, der historiscih-kritischen Geschichtsforschung sind, und in den vielfältigen und vielschichtigen inneren Vorgängen, die wir in dem Begriff der Überlieferung zusammenfassen. Erst das Gesamtbild, das sich aus beiden ergibt, zeigt in vollem Sinne Israels Geschichte.» 55 Rendtorff schlägt deswegen vor, die Ü!bliche Einteilung der biblischen Fächer in «Geschichte Israels», «Einleitung in das Alte Testament» und «Theologie des Alten Testamentes» durch die vereinigende Auffassung der «Überlieferungsgeschichte» zu überwinden. 56 Und Pannenberg kann sagen, «Überlieferungsgeschichte ist eben als der tiefere Begriff von Geschichte überhaupt anzusehen». 57 Das Verständnis der Überlieferungsgeschichte in der von Radschen Schule sollte den Traditionalisten kein Trost sein, denn die Häufigkeit der Verwandlungen der Tradition wird in Band I der «Theologie des Alten Testamentes», der der «Theologie der historischen Traditionen Israels» gewidmet ist, klar herausgestellt. 58 Wenn die Methode der Traditionsgeschichte richtig verstanden wird, ist sie genauso kritisch 55 56 57
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A. a. 0" S. 93 f. A. a. 0., S. 94. «Kerygma und Geschichte», «Studien zur Theologie der alttestamentlichen Überlieferungen», S.139. Vgl. die Kritik durch ]ürgen Moltmann, «Theologie der Hoffnung)), S. 101: «Dieses Überlieferungsgeschehen, durch welches Kontinuität in den Wechselfällen der Geschichte geschaffen wird, kann nicht schon an sich selber als ein tieferer Begriff für Geschichte genommen werden. Der Überlieferungsvorgang, in dem man Geschichte erinnert und neue geschichtliche Erfahrungen macht, wird nur vom tradendum der Verheißung und der durch sie in Aussicht gestellten Zukunft für die Geschehnisse her verständlich». «Theologie des Alten Testaments I. Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen)), München, 1957.
wie die Formgeschichte, auch wenn sie sich beide von der vorangehenden historischen Kritik darin unterscheiden, daß die Frage der Historizität derjenigen Ereignisse, die in den Traditionen erzählt werden, meistens ausgeklammert wird (obwohl diesem Problem indirekt durchaus eine gewisse Bedeutung zukommt). Es gibt allerdings so etwas wie eine Divergenz zwischen dem Anliegen der Überlieferungsgeschichte und dem der Hermeneutik. Im ersten Fall liegt der Akzent auf einer Tradition, und der Skopus einer jeden Belegstelle dieser Tradition wird in erster Linie daraufhin untersucht, wie es die Gestalt der Tradition beeinflußt. Aber es ist nicht der Skopus, woran die Methode letztlich interessiert ist, sondern vielmehr der Verlauf der vorliegenden Tradition, so daß man die Kontinuität des verwendeten Materials auch dort verfolgen kann, wo die Aussagen der einzelnen Erzählungen im Verhältnis extremer Diskontinuität zueinander stehen. So sind die falschen Propheten, die Ahab des Sieges bei Ramoth in Gilead versichern (1. Kön. 22,10-12) ein Beispiel der amphiktyonischen Tradition Israels über den heiligen Krieg. 59 Auf der anderen Seite ist die Hermeneutik vor allem daran interessiert, was 59
Vgl. Rendtorff, «Erwägungen zur Frühgeschichte des Prophetenturns in Israeln, ZThK LIX, 1962, S. 155 f.: «(Andererseits) dürfen wir im Rahmen unserer Fragestellung nicht ohne weiteres von der Antwort ausgehen, die die Propheten geben, sondern müssen zunächst wieder nach der dahinterstehenden Tradition fragen. Die Befragung J ahwes vor einem Feldzug ist offenbar auch schon in der Tradition des Heiligen Krieges verankert ... Micha ben Jimla unterscheidet sich also offenbar von anderen Propheten nicht durch die Tradition, in der er steht. Der Gegensatz liegt vielmehr in der verschiedenen Beurteilung des Krieges ... Gewiß darf man den Gegensatz nicht bagatellisieren. Das Problem der «falschen Propheten)) tritt hier zum ersten Mal in Erscheinung. Aber die Auseinandersetzung ist nicht die zwischen verschiedenen Formen der Prophetie; sie erhält vielmehr ihre Zuspitzung gerade dadurch, daß die beiden einander gegenüberstehenden Propheten bzw. Prophetengruppen in derselben Tradition - und zwar in der ,amphiktyonisehen' - wurzeln)). 81
geschieht, wenn die Sprache gebraucht wird, was dabei zur Sprache kommt, so daß sie darauf acht gibt, für das Aufspüren von Kontinuität sogar offen zu bleiben, wo es keine Kontinuität der Tradition gibt, woraus sich das Problem der «anonymen Christlichkeit» ergibt. 60 Diese unterschiedliche Akzentsetzung kann auch an der Art und Weise abgelesen werden, in der die an der Hermeneutik Orientierten die verbale Bedeutung des Begriffes «Tradition», d. h. das überliefern betonen, jenen Aspekt also, der am besten mit dem übersetzungsprozeß in Verbindung gebracht werden kann, der im fortwährenden Sprachereignis vollzogen wird. 6i Rendtorff hatte ans Ende seines Aufsatzes in «Offenbarung als Geschichte» einen ausdrücklichen Versuch gestellt, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß «das Wort hier wesentlichen Anteil am Offenbarungsgeschehen hat».62 Aber' es ist dann dieser kurze Hinweis gewesen, der die meiste Kritik nach sich zog. Deswegen antwortete Rendtorff mit einem Artikel «Geschichte und Wort im Alten Testament» 63, in dem er seine Position ausführlicher darzulegen 60
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Vgl. z. B. Heinrich Ott, «Existentiale Interpretation und anonyme Christlichkeit)), in «Zeit und Geschichte)), Festschrift für Rudolf Bultmann, Tübingen 1964, S.367-379. Hans Georg Gadamer, «Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik)), Tübingen 1960, S.275, benutzt den Ausdruck «überlieferungsgeschehen)) , um dies zu betonen (vgl. Bultmanns Wechsel von Heilsgeschichte zu Heilsgeschehen). Vgl. auch S.355. Gerhard Ebeling, «Theologie und Verkündigung)), Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 1, Tübingen 1962, S. 14 f. betont das verbale Element im lateinischen Nomen traditio, indem er es gegen den Ausdruck traditum, den unzweideutigen Ausdruck für die substantivische Bedeutung «das überlieferte)), abhebt. Vgl. auch Ebelings Buch, «Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen)), Kirche und Konfession. Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes 7, Göttingen 1964. «Offenbarung als Geschichte)), S.40. «Geschichte und Wort im Alten Testamenh), EvTh XXII, 1962', S. 621-649. Dieser Artikel hat die Form einer Vorlesung. Rend-
versucht. Er beginnt mit dem Hinweis, daß er nur die Behauptung bestreite, erst ein Prophetenwort verleihe einem Ereignis Offenbarungsqualität, und daß seine Zurückweisung des Begriffes «Worb an dieser Stelle keine Bestreitung der Notwendigkeit von Tradition überhaupt einschließe. 64 Israelitische Erzähler standen in einer Tradition, und deshalb war die Überzeugung, daß Jahwe in der Geschichte handelt, «die Voraussetzung, von der aus es überhaupt erst möglich war, sinnvoll, von Geschichte zu reden)). 65 Ein inspirierter Interpret wie der apokalyptische Seher Daniel ist nicht notwendig. Stattdessen ergänzt die jüdische Tradition die Interpretation, die jetzt als eine notwendige Ergänzung erkannt wird. Diese Voraussetzung ist sowohl für die Völker wie auch für Israel notwendig - wie die Bibel ja tatsächlich im Heidenchristentum als hermeneutischer Schlüssel gedient hat. Obwohl Rendtorff hier seine frühere Feststellung nicht erwähnt, scheint er aufgegeben zu haben, was er anfänglich als ((vor allem wichtig)) angesehen hatte, daß nämlich auch die Völker J ahwe aus der Geschichte kennen, und daß deswegen dieses Wissen «keiner besonderen Voraussetzungen bedarf)). 66 Auclh wenn Zimmerli von dieser Voraussetzung in barthianischen Begriffen alls vom Wort sprechen möchte, während Rendtorff in Begriffen der Überlieferungsgeschichte redet, scheint der Bereich der Meinungsverschiedenheiten doch eingeengt worden zu sein. Tatsächlich entfernt sich Rendtorff von seiner ursprünglichen Beschränkung des Begriffes «Wort))
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torff geht deswegen nur in ausführlichen Anmerkungen ausdrücklich auf seine Kritiker ein. A. a. 0., S.623. A. a. 0., S.635. Vgl. auch S.629: Aus der göttlichen Weisung und Versicherung (cist das Geschehen als göttliches Handeln erkennbar». In «Geschichte und Überlieferung», S.90, sagt er: «Und wie wollen wir, die wir heute das Handeln Gottes zu erkennen suchen, feststellen, wo er gehandelt hat, wenn die Deutung Israels uns dabei nicht als Leitfaden dienen darf?» Vgl. oben S. 66, Anm. 12. «Offenbarung als Geschichte», S. 38 f. 83
auf die Verkündigung eines Propheten (in welchem Zusammenhang er das Wort als notwendige Bedingung bestritten hatte), und er schließt mit dem Vorschlag, die unaufgebbare Überlieferung so zu bezeichnen. 67 Aber Rendtorff geht dann dazu über, den Begriff der Überlieferung in eine stärker funktionale Beziehung zu einem anderen Begriff zu bringen: dem des göttlichen Plans für die Geschichte. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf Darstellungen (wie die Geschichte von Davids Aufstieg und von der Thronnachfolgegeschichte und wie die ]osephsgeschichte), in denen die Ereignisse nicht mit einem Prophetenwort verbunden sind 68, sondern einfach aufgrund 67
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EvTh XXII, 1962, S.623. 649. Günter Klein, «Offenbarung als Geschichte? Marginalien zu einem theologischen Programm)), MPTh LI, 1962, S.68-70, behauptet, die verschiedenen historischen Einsichten Rendtorffs deuteten nicht so sehr auf eine Orientierung an der Geschichte, sondern vielmehr auf eine solche am Wort hin. Die Absicht der «Erkenntnisformeh sei nicht, historische Information über das zu geben, was Israels Gegner wußten, wenn sie Israel begegneten, z. B. daß Israels Gott der wahre Gott sei. Vielmehr diene die Formel im späteren Leben Israels in erster Linie als Wort der Zuversicht. Hinsichtlich der Feststellungen des Alten Testaments zur Geschichte bleibe die Frage häufig offen, ob sie sich auf geschichtliche Ereignisse beziehe, allerdings abgesehen davon, daß solche Feststellungen selbst Sprachereignisse seien. (Vgl. Christi an Hartlich und Walter Sachs, «Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwissenschaftn, Tübingen 1952, S. 157 f.) Da der Überlieferungszusammenhang unaufgebbar ist, wenn ein neues Ereignis Offenbarungscharakter haben soll, schließt Klein, dass es die Traditionen sind, d. h. das Wort, das den Offenbarungscharakter verbürgt. Pannenberg, KuD V, 1959, S.221, auf von Rad fußend, stellte die Situation anders dar: «Am Anfang steht die Verheißung durch den Propheten N athan an David, die Zusage einer Fortdauer der davidischen Dynastie. Alles im Anschluß daran Berichtete steht unter der Frage: Wer wird der Thronfolger? Wie wird die Verheißung sich erfüllen? Oft hat es den Anschein, als ob die Verheißung vereitelt wird. Endlich ist mit Salomos Inthronisation die Erfüllung da)). Rendtorff, EvTh XXII, 1962, S. 633 f., Anm.27, gibt die umgekehrte Deutung: «Es ist auffallend, daß
der Tradition in ihrer theologischen Bedeutung verstanden werden. Hier wurde die Verbindung zwischen Tradition und zeitgenössischem Ereignis durch die «Einsicht» vermittelt, «daß jeweils das geschah, was Jahwe gewollt und geplant hatte». «Achten auf den Plan J ahwes, der sich in den Geschehenszusammenlhängen verwirklicht, könnte gerade aus der Erfahrung mit dem J ahwewort erwachsen sein. Wenn in Israel immer wieder die Erfahrung gemacht wurde, daß das geschah, was durch ein J ahwewort angekündigt worden war, dann konnte - ja, man möchte fast sagen: mußte - das zu der Einsidht führen, daß jeweils das geschah, was Jahwe gewollt und geplant hatte. Es war dann kein großer Schritt mehr, wenn in einer veränderten geistigen Situation die Konsequenz daraus gezogen wurde, auch dort vom Handeln J ahwes und von der Verwirklichung seines Planes zu reden, wo kein Jahwewort, das dieses Handeln ausdrücklich angekündigt hatte, vorhergegangen war. Jedenfalls darf man nicht einfach einen Gegensatz zwischen diesen verschiedenen Auffassungen konstruieren.» 69 die beiden Prophetenerzählungen in 2. Sam. 7 und 12 an wichtigen Stellen aufgenommen worden sind, der Verfasser aber mit keinem Wort andeutet, daß die Worte Nathans für den Verlauf der Ereignisse eine Bedeutung gehabt hätten)). Vermutlich hat hier Pannenberg den Skopus der Erzählung besser als Rendtorff getroffen, der seine These, das prophetische Wort sei durch den göttlichen Plan ersetzt worden, durchführen will. Rendtorff selbst führt die Offenheit für einen göttlichen Plan auf die überzeugung zurück, daß das Prophetenwort unfehlbar erfüllt werde; so kann dieselbe Annahme, die zur davidischen Geschichtsschreibung führte, kaum als nicht implizit in dieser selbst enthalten angesehen werden. Gerhard von Rad, «Theologie des Alten Testaments», Band I, S. 314, zieht auch den umgekehrten Schluß als denjenigen, der zunächst charakteristisch für den Pannenberg-Kreis war: da in solchen Erzählungen ]ahwe nicht in Gestalt des Wunderwirkenden interveniert, sondern nur implizit in allem Geschehen wirkt, ist seine Kontrolle über die Geschichte «dem natürlichen Auge u!5efnauE.! verborgen)) 60 EvTh XXII, 1962, S. 636. 85
Wenn also Tradition dadurch, daß sie individuelle Beispiele göttlicher Führung in einem göttlichen Plan zusammenfaßt, das Prophetenwort als Schlüssel zur Interpretation augenblicklicher Ereignisse ersetzen kann, so wird es nach Rendtorff fragwürdig, ob der alttestamentliche Begriff des Wortes Gottes (das durchführt, was es sagt, und nicht leer zurückkehrt, les. 55, 10 f.) wirklich mit dem individuellen Prophetenwort identifiziert werden darf oder ob er nicht vielmehr mit dem göttlichen Plan gleichgesetzt werden muß. 70 Die Israeliten wußten, daß viele Voraussagen der Propheten ohne Erfüllung blieben; es war vielmehr «das Ganze der prophetischen Unheilsverkündigun gen, die sich im Geschick Israels erfüllt haben».71 Worte, die auf spezifische konkrete Ereignisse gerichtet sind, ((treten mehr und mehr zurück und verschwinden schließlich ganz».72 Deswegen werden sowohl das individuelle Prophetenwort wie sogar das individuelle Ereignis unter einem «Geschichtsverständnis» 73 zusam'mengefaßt, eine Entwicklung, die in die Apokalyptik hineinführt, in deren Sinne wiederum das Neue Testament zu verstehen ist. 74 Wir können diesen Abschnitt über das Alte Testament abschließen, indem wir noch einmal herausstellen, wie die 70 71 72
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A. a. 0., S. 644. A. a. 0., S. 645. A. a. 0., S. 645. A. a. 0., S. 648. Das Argument, die Apokalyptik sei eine positive Fortsetzung der alttestamentlichen Geschichtsauffassung (vgl. dazu auch Klaus Koch, «Spätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches Danieln, HZ CXCIII, 1961, S. 1-32) und die Voraussetzung des Neuen Testamentes, wird durch Dietrich Rössler, Gesetz und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie der jüdischen Apokalyptik und der pharisäischen Orthodoxie)), WMANT 3, Neukirchen 1960, 1962 2, vertreten. Zur Kritik Rösslers vgl. Philipp Vielhauer, in «Neutestamentliche Apokryphen)), 3. Auflage, hrsg. von Edgar Hennecke / Wilhelm Schneemelcher, Tübingen 1964, 11, S. 416 f. Die Debatte kreist hauptsächlich um die Frage, inwieweit die Vorstellung der zwei Äonen für die Apokalyptik konstitutiv ist.
Debatte, die in erster Linie zwischen Rendtorff und Zimmerli geführt wurde, sich zwar in dem Bereich alttestamentlicher Spezialforschung bewegte und doch gleichzeitig eine Debatte innerhalb der modernen deutschen Theologie Über das Verhältnis zwischen Geschichte und Wort war. Jede Seite behauptet, sie vertrete eine Einheit dieser beiden Begriffe, und neigt dazu, solche Kritik als Mißverstehen zurückzuweisen, die von der anderen Seite annimmt, sie vertrete den einen Begriff auf Kosten des anderen. Aber jede Seite bemüht sich, diese Einheit vom einen oder anderen Begriff her aufzuzeigen und deswegen ist der Grad des Erfolgs, der von jeder Seite erreicht wird, im Sinne der inneren Kritik der Grad, in dem jede eine theologische Begriffsbildung vorzuschlagen :hat, die dieser Einheit gerecht wird. Aus Gründen der Klarheit kann man die verschiedenen Akzentsetzungen im Sinne einer Zusammenfassung folgendermassen zum Ausdruck bringen (wobei weder alle umfassenden Feststellungen bei der Gesprächspartner noch die möglichen Gedankenentwicklungen, die oben angenommen wurden, aber doch die Schwerpunkte angegeben werden): Rendtorff neigte dazu, in ersJer Linie die Offenbarung in der Geschlch1:e-~u-lohifsi~~;e;:-1i1~crer auCh das wort gegrundet ist und die ihrerseits das yv()rt deraff- bestatlgt, daß Wissen von Gott möglicn- ist; -oder: die GesclüCIite so zu definieren, daß sie das Wort in Gestalt der Überlieferungsgeschichte enthält; oder: die gültigen Forderungen nach dem Wort in Gestalt eines übergreifenden Geschichtsplans erfüllt zu sehen. Zimmerli neigte dazu, die Offenbarung in erster Linie im (prophetischen) Wort zu lokalisieren, das Geschichte derart hervorruft und in Erinnerung ruft, daß Wissen von Gott möglich wird; d. h. das Gesohehen des Wortes ist selbst das entscheidende geschichtliche Ereignis.
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VI. Die Debatte in der modernen systematischen Theologie Die Diskussion der Position des Pannenberg-Kreises weitete sich mit dem Erscheinen des Symposions «Offenbarung als Gesohichte)) zu einer allgemeinen theologischen Diskussion aus; das Symposion besteht aus Referaten, die auf der Halbjahrestagung des Kreises im Oktober 1960 vorgetragen wurden. 1 In seiner Einführung 2 zeigt Pannenberg auf, daß die Aufklärung den Begriff der Offenbarung zerstörte, insofern mit ihm offenbarte Wahrheiten gegeben waren, daß aber Hegel den Begriff als Offenbarung der Person Gottes neu definierte. Pannenberg argumentiert, daß dies eine volle Offenbarung nur sein könne, wenn Gott sich selbst offenbare, so daß von einer solchen Rolle Jesu als vollkommener Offenbarer Gottes auf die Gottheit J esu geschlossen werden könne. Nun kennt aber nach Pannenberg die Bibel keinen Begriff der direkten Selbst-Offenbarung Gottes; z. B. sind die Erscheinungen Gottes im Kult und im prophetischen Wort göttliche Manifestationen, offenbaren aber Gott nicht in seinem Wesen, ausgenommen vielleicht in der Sicht der gnostisClhen Nebenlinie des Neuen Testamentes (Joh.). Vielmehr ist «eine indirekte Offenbarung im Spiegel seines Geschichtshandelns)) zu sehen. 3 «Indirekh> bezieht sich nicht auf die Vermittlung durch irgendeine dritte Instanz. Tatsächlich ist Pannenberg daran interessiert zu betonen, daß kein Prophet notwendig ist, um dem Ereignis eine Interpretation hinzuzu1
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((Offenbarung als Geschichte», hrsg. von Wolfhart Pannenberg, KuD Beiheft 1, Göttingen 1961, 1963 2, mit einer ((Einführung» von Pannenberg, der vier Artikel folgen: ((Die Offenbarungsvorstellungen im alten Israel)) von Rolf Rendtorff, ((Das Offenbarungsverständnis in der Geschichte des Urchristentums)) von Ulrich Wilckens, ((Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung» von Pannenberg und «Das Offenbarungsproblem im Kirchenbegriff» von Trutz Rendtorff. Die zweite Auflage enthält ein «Nachwort)) von Pannenberg. A. a. 0., S. 7-20. A. a. 0., S. 15.
fügen. VieJmehr bedeutet «indirekt», daß der tatsächliche Inhalt der offenbarenden Erfahrung, z. B. die Geschichte, nicht mit dem identisch ist, was die Erfahrung offenbaren soll, nämlich Gott selbst, der vielmehr indirekt aus dem historischen Ereignis erschlossen werden muß. So ist Offenbarung die erschlossene Einsicht, «daß Gott ein solcher ist, der das und das tutn. 4 Zwar scheint dies zu einer unbegrenzten Zahl von Offenbarungen zu führen, da es ja eine unbegrenzte Zahl von Ereignissen gibt. Aber dies würde der Vorstellung Pannenbergs widersprechen, daß Offenbarung eine einzige Offenbarung sein muß, wenn sie die volle Offenbarung des einen Gottes sein soll. Des~gen ist
::;~he~~sd~:~~t~e;f~!~::t::n =:r=i~=:, von dem Pannenberg denn auch seinen Schlüsse Unlversa gesc IC te übernimm. ac dem Rendtorff und Wilckens den Ansatz dieses Symposions am biblischen Material durchgeführt haben, präzisiert Pannenberg die Position mit einer Reihe von «Dogmatischen Thesen zur Lehre von der Offenbarung» 5: «1. Die Selbstoffenbarung Gottes hat sich nach den biblischen Zeugnissen nicht direkt, etwa in der Weise einer Theophanie, sondern indirekt, durch Gottes Geschichtstaten, vollzogen. 2. Die Offenbarung findet nicht am Anfang, sondern am Ende der offenbarenden Geschichte statt. 3. Im Unterschied zu besonderen Erscheinungen der Gottheit ist die Gesahichtsoffenbarung jedem, der Augen hat zu sehen, offen. Sie hat universalen Charakter. 4. Die universale Offenbarung der Gottheit Gottes ist noch nicht in der Geschichte Israels, sondern erst im Geschick Jesu von Nazareth verwirklicht, insofern darin das Ende alles Geschehens vorweg ereignet ist. 4 5
A. a. 0., S. 17. A. a. 0., S.91-114. Die hier zitierten Thesen stehen gesperrt gedruckt zu Beginn je eines sie kommentierenden Abschnittes.
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5. Das Christusgeschehen offenbart nicht als isoliertes Ereignis die Gottheit des Gottes Israels, sondern nur, sofern es Glied der Geschichte Gottes mit Israel ist. 6. In der Ausbildung außerjüdischer Offenbarungsvorstellungen in den heidenchristlichen Kirchen kommt die Universalität des eschatologischen Selbsterweises Gottes im Geschick Jesu zum Ausdruck. 7. Das Wort bezieht sich auf Offenbarung als Vorhersage, als Weisung und als Bericht.)) Pannenberg hatte diese Position bis zu einem gewissen Grade als eine Kritik an der traditionellen Position des Luthertums ausgearbeitet, nach der Gottes «Manifestation» in der Geschichte einer Ergänzung durch seine dnspiration)) in Propheten, Aposteln und Schrift bedarf. Deswegen überrascht es nicht, daß der führende zeitgenössische Vertreter jener Tradition, Paul Althaus, trotz aller Wertschätzung der antibultmannschen Auffassung Pannenbergs, argumentierte, Pannenberg sei in entgegengesetzter Richtung zu weit gegangen und habe «das echte Wesen der Offenbarung verfehltll. 6 Er behauptet, Glaube sei sowohl Wissen wie auch Vertrauen, und solcher Glaube werde durch das Werk des heiligen Geistes gewirkt. Wenn Pannenberg sagt, die Offenbarung in der Geschichte sei der «unbefangenen Wahrnehmung)) sichtbar, und wenn er ihre Nichtanerkennung der menschlichen Vernunft zuschreibt, die durch die Sünde affiziert worden ist, so nennt Althaus das ((unerlaubtes anthropologisches Rationalisieren)) 7, da es ein Zug der göttlichen Natur sei, daß Gottes Offenbarung seine Vel'lborgenheit einschließe. Aber Althaus läßt es dann einfach bei der Feststellung bewenden, der Akt des Glaubens sei nicht einsehbar. 6
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«Offenbarung als Geschichte und Glaube. Bemerkungen zu Wolfhart Pannenbergs Begriff der Offenbarung)), ThLZ LXXXVII, 1962, Sp. 321-330, besonders Sp.323. A. a. 0., Sp. 327 f., zitiert wird dort ((Offenbarung als Geschichte)), S. 101.
Pannenbergs Antwort trägt die Überschrift «Einsicht und Glaube». B Er erkennt an, daß die Beziehung zwischen der Kenntnis der Offenbarung einerseits und dem Glauben und dem heHigen Geist andererseits das Hauptproblem seines Entwurfes ist. Und er stimmt zu, daß Glaube eine Gabe Gottes ist, wobei nur die Frage ist, ob dies «durch Vermittlung eines ausweisbaren Wissens vom Geschick Jesu und dessen Bedeutung» so ist oder ob das Werk des Geistes (
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«Einsicht und Glaube. Antwort an Paul Althaus)), ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp.81-92. A. a. 0., Sp. 81. A. a. 0., Sp. 83 f. A. a. 0., Sp. 85. 91
trägt, um in die Lage zu kommen, sie als offenbarend zu verstehen. Der heilige Geist scheint dann ein deus ex machina zu sein, oder, wie Pannenberg es ausdrückt, ein «asylum ignorantiae».12 Pannenberg schlägt einen angemesseneren Skopus für eine modeme Interpretation des Werkes des Geistes vor: «Der Geist tritt nämlich nicht zum Evangelium als noch etwas Zusätzliches hinzu, sondern das verkündete eschatologische Geschehen und von ihm her auch der Vollzug der Evangeliumsverkündigung ist selber geisterfüllt. Darum empfängt der Hörer Anteil am Geist, indem er Anteil gewinnt an der Sache des Evangeliums, indem er sich auf das Gehörte verläßt» .13 Die Bestätigung des Wortes nimmt die Form der Bestätigung derjenigen Geschichte an, für die es zeugt. «Die Frage, ob die Botschaft, die mir verkündet wird, wahr sei, kann nur von ihrem Inhalt her beantwortet werden, durch Hinweis auf das, wovon sie berichtet, und auf den dem berichteten Geschehen innewohnenden Sinn.»14 Dies führt zu Pannenbergs historischem Beweis, der für ihn nicht nur die Tatsachen, sondern auch deren Heilsbedeutung für die Beteiligten einschließt, und auch nichtpositivistische historische Tatsachen wie die Inkarnation und die Auferstehung ]esu. Die einzige andere Alternative wäre anscheinend die «Selbsterlösung durch die sogenannte Glaubensentscheidung)), «Leichtsinn und Aberglaube», «Willkürglaube».15 12 13
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A. a. 0., Sp. 90. A. a. 0., Sp. 85, Anm. 6. A. a. 0., Sp. 86. A. a. 0., Sp. 87 f. Ähnlich im «Nachworh zu «Offenbarung als Geschichte)), S. 144 f. Vgl. Muschalek, S.]., «Offenbarung in Geschichte)), ZKTh LXXXVI, 1964, S. 194 f.: «Gerade wegen der Geistgewirktheit des Glaubens ist jedoch auch hier zu sagen, daß dieser ,Beitrag' des Willens den Glauben nicht von seiner Objektivität entfernt, sondern sie erst voll erschließt. Wenn das nicht gesehen wird, muß man freilich den Eindruck haben, der Anteil der freien Entscheidung im Glauben solle seine mangelnde Objektivität verdecken und ersetzen und
Es ist schwer zu sehen, wie Althaus' Position sich solchen Vorwürfen entziehen könnte. Aber die Entscheidung des Glaubens kann auch noch anders, also nicht als selbsterlösendes Werk 16, verstanden werden, nämlich als Teil eines Programms, das die Theologie von willkürlichen Entscheidungen befreit,17 Denn die Entmythologisierung
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mache ihn dadurch dem heutigen objektivistischen Zeitalter verdächtig oder unannehmbar. Bei diesem Verständnis wird er dann tatsächlich zum Willkürakt, so daß dann verständlich wird, warum Pannenberg einen so verstandenen Glauben zur ,Selbsterlösung' deklarieren kann». Vgl. Bultmanns «Theologie des Neuen Testamentes)), Tübingen 1958 3 , S. 316 f.: «Als echter Gehorsam ist die JtLO'"tLt; vor dem Verdacht geschützt, eine Leistung, ein EQYOV, zu sein ... als solche wäre sie kein Gehorsam, da in der Leistung der Wille sich gerade nicht preisgeben, sondern durchsetzen will und nur ein formaler Verzicht stattfindet, indem sich der Wille den Inhalt der Leistung von einer außerhalb seiner liegenden Instanz geben läßt, gerade so aber auf seine Leistung stolz sein zu können meint. Die JtLO'"tLt; als der radikale Verzicht auf die Leistung, als die gehorsame Unterwerfung unter den von Gott bestimmtenlHeilsweg, als die Übernahme des Kreuzes Christi ... , ist die freie Tat des Gehorsams, in der das neue Ich an Stelle des alten sich konstituiert. Als solche Entscheidung ist sie Tat im eigentlichen Sinne, in der der Mensch als er selbst ist, während er beim EQYOV neben dem steht, was er tub. Pannenbergs Auffassung (mitgeteilt in einem Brief), ist es, daß die Entscheidung des Glaubens, wie Bultmann sie versteht, «in dem Grade)) ein Werk ist, «in dem die Autorität des Wortes, das Kerygma, nicht ,demonstrierbar' ist und als Gottes Autorität nur sichtbar wird, indem man die Entscheidung des Glaubens selbst vollziehb. Er fragt dann: «Macht hier nicht vielleicht die Entscheidung des Glaubens aus der Autorität des Wortes erst die Autorität Gottes, oder was wäre darauf zu erwidern?)) Eine Art Erwiderung läßt sich aus Bultmanns «Antwort an Ernst Käsemann)), «Glauben und Verstehen», IV, Tübingen, 1965, S.l92, entnehmen: « ... es gibt keine Entscheidung ohne Ursache - nur daß die Ursachen nicht in der Natur mit zwingender Notwendigkeit wirken, sondern die Motive einer Entscheidung sind.» Vgl. Christi an Hartlich und Walter Sachs, «Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwissenschafh, Tübingen 1952, S.l, 163: «Jede prinzipielle Anwendung des Mythus93
entstand aus einem Versuch heraus, aus der Sackgasse herauszufinden, in die man mit der Erkenntnis geraten war, daß das Mythologische zwar nicht historischer Bestätigung zugänglich sei, uns aber als Bedeutungsträger aufrufe, eine nicht nur willkürliche Einstellung ihm gegenüber einzunehmen. Wenn die mythologisch formulierte Botschaft in Form eines Existenzverständnisses vorgetragen wird, dem eine Person als einer Möglichkeit ihrer selbst gegenüberbegriffes in der Exegese führt mit sachlicher Notwendigkeit eine bestimmt - strukturierte Problematik mit sich: sie muß anheben mit der Abtrennung der mythischen Vorstellungsform von dem in ihr eigentlich Gemeinten - dem ,Inhalt' -; näherhin entfaltet stellt sie vor das Problem von mythischer Einkleidung und (eventueller) historischer Faktizität sowie vor die Frage nach dem möglichen Wahrheitsgehalt biblischer Mythen.)) «Je klarer die Einsicht gewonnen ist, daß für biblische Aussagen der bezeichneten Art unter dem Gesichtspunkt der Erkenntniswahrheit kein Vorrang vor anderen in Anspruch genommen werden kann, umso dringlicher wird die Frage, ob ihnen Wahrheit und Bedeutung in einem anderen Sinne zukommt als dem einer übereinstimmung mit einer äußeren objektiven Wirklichkeit.)) Vgl. meine Einleitung zu Hans Jonas «Augustin und das paulinische Freiheitsproblem. Eine philosophische Studie zum pelagianischen Streit)) (FRLANT, 44), 19652 , S.11-22. Vgl. auch Heinrich Ott, «Existentiale Interpretation und anonyme Christlichkeit)), in «Zeit und Geschichte. Dankesgabe an Rudolf Bultmann zum 80. Geburtstag)), Tübingen 1964, S.367-379, besonders S.367-370: «(Sc. Glaubensaussagen) lassen sich nicht durch neutrales, unbeteiligtes Hinsehen verifizieren oder falsifizieren. Wenn sie sich aber weder verifizieren noch falsifizieren lassen, dann sind sie offenbar Aussagen ohne Sinn, leere Behauptungen, eine Art Deklamationen oder Interjektionen, die uns nichts anzugehen brauchen, sondern beziehungslos über den uns angehenden und bestimmenden Wirklichkeiten schweben - es sei denn, daß sich ein anderer Weg zu ihrer Verifikation finden läßt. Ein solcher Weg ist für Bultmann die existentiale Interpretation ... Wenn die existentiale Interpretation zeigen kann, daß ich im Glauben ein wirklich neues Selbstverständnis gewinne, dann zeigt sie damit, daß es wirklich einen Unterschied macht ... , d. h. daß der Glaube nicht eine indifferente, über der Wirklichkeit schwebende Sache ist.)) 94
tritt, kann diese Botschaft für sie in dem Licht, das sie auf ihr Leben wirft, sinnvoll werden. So ist in ihrem konkreten Leben das theoretische Problem des durchgängigen Relativismus überwunden, obwohl es auf der Ebene objektiver Bestätigung ein Problem bleibt. 18
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Vgl. Günter Klein, «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte)), Beiträge zur Evangelischen Theologie 37, München 1964, S.35. Pannenbergs eigene Auffassung ist von einer solchen Anschauung nicht so weit entfernt wie die weitgehend verschiedenen Akzentsetzungen und Terminologien es vermuten lassen könnten. Denn er fügt als bezeichnende KlarsteIlung hinzu: «Damit ist nicht behauptet, daß man solches Wissen im Lebensvollzug ohne Glauben erlangen oder festhalten könnte. Dies ist eine neue Frage. Die Logik des Glaubens und seine Psychologie müssen unterschieden werden. Was die Logik des Glaubens angeht, so gilt das Gesagte, daß er als fiducia begründet ist durch ein Wissen (notitia). Im seelischen Vollzug kann beides mit einem Akt ergriffen werden. Das Vertrauen kann auch entstehen in der Erwartung, daß das (logisch in ihm schon vorausgesetzte) Wissen sich erst später erschließen wird - ein Vorgriff auf das Resultat, der übrigens nicht nur für das Verhalten des Glaubens, sondern auch für den Erkenntnisprozeß charakteristisch ist: Man greift mutmaßend auf das Resultat vor, muß dann aber diese Mutmaßung bestätigt, verifiziert finden. Das gläubige Vertrauen kann ferner auch so entstehen, daß der Glaubende das darin vorausgesetzte Wissen nicht immer eigens auf seine Zuverlässigkeit prüfen muß. Letzteres ist die besondere Aufgabe der Theologie. Dieser Aufgabe braucht sich nicht jeder einzelne Christ zu unterziehen. Er kann vertrauen in der Annahme, daß es mit dem Grunde seines Vertrauens seine Richtigkeit haben werde. Das setzt allerdings eine Atmosphäre der Zuverlässigkeit der christlichen Überlieferung voraus, die im Verlaufe der letzten Jahrhunderte mehr und mehr verlorengegangen ist, nicht zuletzt durch das Versagen der Theologie. Die Atmosphäre der Zuverlässigkeit dessen, was der Pfarrer zu verkünden hat - soweit es sich dabei um ein Wissen handelt - muß sich wieder neu bilden, und man möchte meinen, daß die Theologie in voller kritischer Offenheit alle ihre Kräfte an diese Aufgabe setzen sollte.)) ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp. 84 f. Ähnlich im «Nachworb zu «Offenbarung als Geschichte)), S.145. 95
Pannenberg schließt seine Erwiderung auf Althaus mit der Bemerkung, «die Offenbarung Gottes komme erst da zu ihrem Ziel, wo sie Glauben wirke, und also jemandem offenbar werde» .19 Es ist diese Unterscheidung zwischen einer Offenbarung, die mit der Geschichte gegeben ist, einerseits, und jener Offenbarung, die jemandem Offenbarung wird, andererseits, die im wesentlichen der Ansatzpunkt der Kritik Lothar Steigers an Pannenbergs Position ist. 20 Er findet, daß diese Trennung der an und für sich offenbarenden Geschichte einerseits und ihrer Kenntnis oder Annahme von Seiten des Menschen andererseits auch die Struktur des programmatischen Aufsatzes Pannenbergs bestimmt, der in die zwei Abschnitte «Die Erschlossenheit der Wirklichkeit als Geschichte durch die biblische Gottesoffenbarung» und «Die Geschichte Gottes und die historisch-kritische Forschung» unterteilt sei. Er sieht diese Trennung auch in der Abfolge der Darlegungen Pannenbergs in «Offenbarung als Geschichte)), wo seine «Einführung» und die ersten beiden Thesen die offenbarende Geschichte behandelten, «ohne dass das Erkenntnis- und Verstehensproblem hier schon angeschnitten» werde, und die übrigen Thesen dann jenem Thema der übernahme gewidmet seien. 21 Steiger behauptet, Hegels Problem, daß es irgendeine «Vermittlung» zwischen der Geschichte und dem Geschichtsbetrachter geben müsse, sei nicht wirklich erkannt; vielmehr werde den Fakten eine ihnen irgendwie
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ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp.90. «Offenbarungsgeschichte und theologische Vernunft. Zur Theologie W. Pannenbergs ll , ZThK LIX, S.88-113. A. a. 0., S.93. A. a. 0., S. 95.
logischen Hintergrund und wird verallgemeinernd eingeebnet in die Beziehung von Vernunft und Unvernunft».23 Steiger faßt seine Kritik, daß für Pannenberg Theologie ohne «Unterschied» (d. h. undialektisch) zu einem Teil der Geistesgeschichte werde, in die Begriffe einer Theologie des Wortes: «Die Tatsachen sprechen (sc. für Pannenberg) nur innerhalb des Planes. Das idealistische Offenbarungsproblem wird nicht dadurch biblisch, daß die Denkvermittlung ausgeschaltet wird. Wie wird denn die Logik des Offenbarungsproblems vermittelt? Pannenberg hat keinen Begriff vom Wortcharakter der Offenbarung, weil er das Eingehen von Tatsachen in die Konzeption des Heilsplans als Offenbarung begreift und für das Wort dementsprechend nur noch den Raum des Reflexes dieser Tatsaohen übrig hat. Auf dieser Ebene findet eine verfehlte Polemik gegen das Wort als Offenbarung statt: ,Weil eine Offenbarung, die der Ergänzung bedarf, um offenbar zu werden, eben noch nicht Offenbarung' sei. 24 Das Wort ist ja gar keine ,Ergänzung' der Offenbarung! Das Wort bezeugt ein Geschehen als Offenbarung, indem es nämlich sagt und tut, was ein Geschehen ist und bedeutet. Mit dem gnostischen Begriff von Wort als Offenbarungsrede 25 hat diese Bedeutung von Wort noch gar nichts zu schaffen. Wort ist hier nicht Beliohtung eines Inhaltes, den man sehen könnte. Im Wort geht es ja gerade um die echte Indirektheit der Offenbarung, indem nämlich auf die echte Kontingenz des Geschehens gesehen wird, das eben von Haus aus nicht eindeutig, sondern vieldeutig isb .26 In Wirklichkeit ist Pannenbergs eigene Auffassung nicht so weit von Steiger entfernt, wie dieser annimmt, wenn sie auch in anderen Kategorien zum Ausdruck gebracht wird. Denn Pannenberg behauptet, daß die Vermittlung durch den 23
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Steiger, a. a. 0., S.97. Weithin dieselbe Kritik wird von Ernst Fuchs, ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp. 258 f., vorgetragen. «Offenbarung als Geschichte», S. ZOo Steiger bezieht sich hier auf Pannenberg, a. a. 0., S. 14, 111. ZThK LIX, 1962, S. 108 f. 97
Prozeß der überlieferung als einen hermeneutischen Prozeß geschieht. Eine etwas positivere Interpretation ist die von Johannes Wirsching. 27 Er fühlt, daß Pannenberg die gängige Zurückweisung der Möglichkeit einer «systematischen» Theologie nicht ÜJbernimmt und findet genau in dieser Tatsache die positive Bedeutung des pannenbergsehen Entwurfes. Obwohl er fragt, ob «(die Theologie je ein vorgegebenes Denkschema und seine Systematik geschlossen übernehmen (dürfe)>>, glaubt er, daß sich ein System, das die vorhandene Terminologie neu fasse und «offen» für seine eigene Revision in der Zukunft sei (was er von Pannenbergs Theologie annimmt), der Kritik entziehe, die gegen theologischen Systembau zu recht angemeldet worden sei. 28 Und der Vorteil der systematischen Theologie sei der, daß sie über die Dogmatik, «kirchliche Selbstbesinnung auf die eigene Lehre)), hinausgehen könne, als «Polemik, Apologetik, Religionsphilosophie», «Auseinandersetzung mit christlichen, wie außerchristlichen Angriffen» einschließen und auf soziale Aktion als «Sozialethik» eingehen könne. So begrüßt Wirsching, obwohl er als Pfarrer für Pfarrer schreibt, die Tatsache, daß Pannenbergs «System» etwas darstelle, «was nur eine bedingt ,kirchliche' Theologie)) sei. 29 Die Erweiterung des Horizonts, die darin bestehe, daß Probleme aufgenommen würden, die die Dogmatik gerne als außerhalb ihres Rahmens stehend definiert habe, wie auch der W'unsch, nicht nur einfach Zeugnis abzulegen, sondern auch zu überzeugen, seien Akzente, die dazu bei27
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«Ein neues theologisches System? Randbemerkungen zur Theologie W. Pannenbergs)), Deutsches Pfarrerblatt LXIV, 1964. S. 601 -609. VgI. Wirschings eigenes Buch, «Gott in der Geschichte. Studien zur theologiegeschichtlichen und systematischen Grundlegung der Theologie Martin Kählers)) (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, Reihe X, 26) München 1963. Die zustimmenden Kritiken, die Pannenberg in seinem «Nachwortll zu IIOffenbarung als Geschichte)), S.134, Anm.5, zitiert, waren mir nicht zugänglich, da sie in Zeitungen und entlegenen Zeitschriften erschienen.
tragen könnten, den Unterschied zwischen Glauben und kberglauben zu markieren. In einer von Steiger etwas verschiedenen Beurteilung bejaht Wirsching eine Auffassung von der Bibel, deren Einheit nicht «durch den Vorgang der Verkündigung hermeneutisch erstellt werden müßte», d. h. eine Auffassung, die wirksam werde durch das Christus geschehen ohne (
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Deutsches Pfarrerblatt, S. 602. Alles a. a. 0., S. 601. A. a. 0., S.604. Wirsching zitiert Pannenberg, «Offenbarung als Geschichte», S.100. A. a. O. Natürlich wird die augenblickliche deutsche Hermeneutik kaum angemessen erfasst, wenn sie als ein Unternehmen charakterisiert wird, das vom Christusgeschehen «getrennt» sei, und es ist kaum gerechtfertigt zu sagen, «nur» Pannenberg (
bindung mit einem Studium der «historischen» Vernunft. Die Ansicht, daß die Tatsachen sich selbst interpretierten, entspräche der Kontingenz der individuellen Ereignisse, ihrer Unableitbarkeit von irgendeinem vorher bekannten Prinzip. Die Tatsachen seien nie genau identisch mit einer dazu gegebenen Interpretation, so daß sie aus der Interpretation abgeleitet - oder durch sie ersetzt werden könnten, sondern brächten sich gegenüber dieser als ein neuer Schritt in der Überlieferungsgeschichte zur Geltung. Deswegen gebe es kein Muster, das man in die Zukunft hineinprojizieren könne. Kontinuität sei tatsächlich nur im Rückblick möglich, und während solche rückblickende Geschichtsauffassung eine Vorwegnahme der Zukunft ermögliche, könne die Prolepsis doch nicht mehr sein wollen als etwas, das durch die nachfolgenden kontingenten Geschehnisse selbst bestimmt oder korrigiert werde. Diese kongeniale Interpretation der Absicht Pannenbergs wird aber auch von kritischen Vorbehalten begleitet. Wirsching bezeichnet Pannenbergs System als «Ästhetizismus», in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: ein « betrachtendes Verhältnis zur Wirklichkeit», «visio intellectualis».33 Die Voraussetzung der Position Pannenbergs sei eine «theoretische» Beziehung zur Wirklichkeit und z. B. keine Beziehung im Sinne der sozialen Aktion oder des Aushaltens, wie sich Pannenberg ja wirklich von Ebelings Position distanziere, indem er das ethische Problem als Ausgangspunkt der Theologie ablehne. 34 Wirsching fragt, ob Pannenbergs theoretischer Ansatz nicht tatsächlich «die Einmalig33
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A. a. 0., S. 606. Der Terminus «Ästhetizismus)) scheint schlecht gewählt zu sein, nicht nur, weil er nicht in dem Sinne gebraucht wird, den man am ehesten vermuten würde, sondern auch, weil die ((ursprüngliche)) Bedeutung nicht eindeutig das sagt, was Wirsching von ihr erwartet. Er scheint nicht zu wissen, daß der Terminus sich etymologisch nicht von einem Verb des Sehens, sondern von einem Verb des Hörens herleitet. «Die Krise des Ethischen und die Theologie)), ThLZ LXXXVII, 1962, Sp.7-16.
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keit des biblischen Zeugnisses» gefährde, insofern Pannenberg «,nachträglich' einsehbare ,Evidenz' einer schrittweisen Heilsvermittlung am Werk» sehe und «zu wenig beachte, daß auch eine solche Evidenz die Kontingenz des biblischen Universalismus gefährden müsse: Evidenz werde schließlich jedem beliebigen ästhetisoh-weltanschaulichen Universalismus vergleichbar, d. h. auch geistesgeschichtlich, nicht aus dem eigentümlichen Geschehen seiner selbst verständlich. Um eine wie immer geartete logische Evidenz müsse es sich handeln; denn der Anspruch auf ,einzig angemessene Sicht' der Wirklichkeit verrate nun doch einen Zwang, wie ihn nur - wenn leere ontologische Deklamationen ausscheiden sollten - eine einwandfreie Logik rechtfertigen könne)). 35 Weiterhin scheint Wirsching die Synthese biblischer und nicht-biblischer Realität, wie sie in der Zusammenstellung des Begriffes der Auferstehung mit dem der psychosomatischen Ganzheit greifbar werde, der «umformenden Kraftn des Christentums nicht gerecht zu werden. «Was ist denn eigentlich ,neu' an den Auferstehungszeugnissen, wenn die ihnen eignende Bedeutung zur Illustration einer auch anderweitig auffindbaren Wahrheit zu werden droht?» 36 Wirsching ist nicht bereit, Pannenbergs Auffassung zu akzeptieren, daß es bloße «Borniertheit» sei, nicht anzunehmen, daß «die zufälligen Begebenheiten eine nahezu vernünftige Transparenz gewönnen».37 Die Unterordnung der Auferstehung unter «die empirische Bestätigung» scheint sie «plötzlich einlinig dem vorfindlichen Weltbestand» zuzuschreiben. Stattdessen sollte Pannenberg seine Anerkenntnis, daß «alles, was irdisch sei, durch das Kreuz gehen müsse», im Sinne eines «Zerbruchs, Umformens und (einer) Neuschöpfung» ausgeweitet haben. 3B Deswegen findet Wirsching, daß eine unbeabsichtigte Umdrehung droht. 35 36 37
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Wirsching, a. a. 0., S.606. Er zitiert KuD V, 1959, S.287. A. a. 0., S.607. Wirsching, a. a. O. A. a. O. Er zitiert Pannenberg, KuD V, 1959, S.284, Anm.66 101
Anstatt daß die Rationalität des biblischen Zeugnisses durch die Vernunft und den Historiker demonstriert würde, könnte es sich herausstellen, daß «biblische Erhebungen nur zu bestätigen vermöchten, was die historische Vernunft auch ohne sie grundrißartig in sich trage; in ihren Tiefen komme die Vernunft des biblischen Gottesbildes zu so schlüssigem Bewußtsein, daß die Bibel eben nur bestätigen, nicht widersprechen könne».39 So teilt Wirsching in etwa die Bedenken der anderen Artikel, die sich mit Pannenbergs Position befassen, obwohl seine Beurteilung eingehender und positiver als die einiger dieser Artikel ausfällt. Zum Abschluß spricht er ein weiteres Problem an, das ausführlicher von W. Hamilton in diesem Bande entwickelt wird. Wird nicht der Gegenwart angesichts der Betonung vergangener Geschichte als proleptischer Vorwegnahme des zukünftigen Endes der Geschichte die Bedeutung abgesprochen, die ihr, theologisch gesehen, zukommt? «Sind wirklich ihre Fragen, ihre Nöte auf- und ernstgenommen?» «Dem Menschen muß begegnet werden, wo er wirklich ist!» 40 Die schärfste und ausführlichste Diskussion ist von Günter Klein angefacht worden. Seine Besprechung unter dem Titel «Offenbarung als Geschichte?»41 analysiert jeden Beitrag des Symposions «Offenbarung als Geschichte». Und diese Besprechung beantwortet Pannenberg am ausführlichsten unter den Artikeln, auf die er in seinem «N achwortn zur zweiten Auflage von «Offenbarung als Geschichte» eingegangen ist. Klein seinerseits legte dann auf dem Treffen der «Alten Marburger» im Oktober 1963 ein Referat vor, das auf Pannenberg antwortete. Dieses Referat wurde später zu einem kleinen Buch erweitert, das den Titel «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Uni-
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und S.237. A. a. 0., S.609 . A. a. o. Ähnlich Fuchs, ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp. 259 f. «Offenbarung als Geschichte? Marginalien zu einem theologischen Programm», MPTh LI, 1962, S.65-88.
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versalgeschichte trägt und das Ende 1964 erschienen ist. 42 " Es ist dieser Gedankenaustausch, der nun untersucht werden soll. In seiner BespreClhung stellt Klein zunächst den Ansatz in Frage, wie er in Pannenbergs Einführung zu «Offenbarung als Geschichte" skizziert ist. 43 Er fragt, ob die Anschauung von der vollen göttlichen Selbstoffenbarung, die aus dem deutschen Idealismus abgeleitet werde, aber der Bibel fernstehe, tatsächlich eine angemessene Kategorie für ein Verständnis der Bibel abgeben könne. 44 Sie setze ein am Schauen orientiertes Modell und nicht ein solches des Horens voraus~ und· deswegen -fehle ihr ~eDiale~ des Rafes Gottes, dIe seine Verborgenheit einschließe und deswegen .eBer dIe Entscheidung d<:~ Glclut>ens. o_4~rdie Glaü15ensloslgKeIt ifierausford~ere als_.
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«Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte. Zur Auseinandersetzung mit Wolfhart PannenbergII, Beiträge zur evangelischen Theologie 37, München 1964. Pannenberg, «Offenbarung als GeschichtelI, S.7-20; Klein, MPTh LI, 1962, S.65-68. Pannenberg antwortet in seinem «Nachwort» zu «Offenbarung als Geschichte)), S.142, Anm.24, auf eine ähnliche Kritik Steigers dahingehend, daß die Sache, die in dem Ausdruck «Selbstoffenbarung)) zur Sprache komme, mit der biblischen Rede von der endgültigen Offenbarung der «Herrlichkeit 11 Gottes und vom «ErweisworV) gegeben sei, wenn der Terminus selbst auch nicht vorkomme. Vgl. auch GrobeIs Anmerkungen, unten S. 197 ff. Wilckens, «Das Offenbarungsverständnis in der Geschichte des Urchristentums 11 , «Offenbarung als Geschichte 11 , S.42-90; Klein, a. a. 0., S.71-77. 103
Der Konflikt Jesu mit dem Judentum läuft in etwa demjenigen parallel, der im Judentum zwischen «dem apokalyptischen Gesetzesverständnis)), das Jesus selbst als «der Ort eschatologischer Heilsteilhaben 46 verkörpert, und der 46
Wilckens, a. a. 0., S. 53 und 58, Anm. 39; Klein, a. a. 0., S. 72. Vorausgesetzt wird Dietrich Rösslers Dissertation «Gesetz und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie der jüdischen Apokalyptik und der pharisäischen Orthodoxie)). Pannenberg antwortet darauf in seinem «Nachwortll zu «Offenbarung als Geschichte)), S.141, Anm.22, daß Klein nicht Wilckens' Bemerkung, a. a. 0., S.58, Anm.39, beachtet habe, daß Jesus eine «besondere Eschatologie)) gehabt habe. Vgl. Wilckens Bemerkungen in seiner Besprechung zu August Strobel «Die apokalyptische Sendung Jesu)) , in ThLZLXXXIX, 1964, Sp.671: «So richtig und der Betonung wert es ist, daß Jesus nur unter dem religionsgeschichtlichen Horizont der jüdisch-apokalyptischen Tradition richtig beschrieben werden kann, so wenig überzeugt das vom Verfasser herausgearbeitete Bild der Besonderheit J esu . .. Überhaupt besteht das Besondere J esu nicht einfach darin, daß er nur in dem vorgegebenen Rahmen der traditionellen Enderwartung das endzeitliche Heil als Geschenk Gottes an die Frevler verkündete und darum proleptisch an das Verhältnis zu sich selbst band. Der ausdrückliche Gegensatz Jesu gegen die Toratradition und ihre Anwälte wird vom Verfasser völlig übergangen. Jesus ist nicht in der Weise, wie der Verf. es vertritt, einfach ein Apokalyptiker mit merkwürdig gesteigerter Selbsteinschätzung gewesen. Sofern aber die meisten der vom Verf. angegriffenen Exegeten (aber zumal auch Käsemann!) wesentlich im Blick auf diesen sachlich entscheidenden Gegensatz zur apokalyptischen Tradition Jesus von der Apokalyptik überhaupt (darin gewiß zu Unrecht) distanzieren, sind diese gegenüber dem Verfasser mindestens ebenso wesentlich im Recht wie er ihnen gegenüber. Es ist also nicht so ,einfach', sondern ein dorniges, z. T. rätselhaftes Problem, Jesus (wie es in der Tat notwendig ist!) im Rahmen der jüdischen Apokalyptik zu verstehen, ohne ihn zum Apokalyptiker zu machen)). Wilckens möchte offensichtlich Jesus von solchen Charakterzügen befreien, die dem Begriff «Apokalyptiker)) einen peiorativen Beigeschmack geben, wenn er auch anfänglich im «apokalyptischen Visionär)) die nächstliegende historische Parallele zu Jesus gefunden hatte, und möchte für Jesus doch andererseits soviel apokalyptische Ideologie retten, um Rösslers Antithese zwischen der apokalyptischen Gesetzesauf-
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pharisäischen Ansicht 47 besteht, wobei Jesu Autorität, solche Krisis zuzuspitzen, möglicherweise auf einem «inspirativvisionären Widerfahrnis» beruht. 48 So ist im Falle Jesu . ein psychisches Ereignis in Jesu Leben zusammen mit dem unvermeidlichen Aufeinanderprallen in der Geistesgeschichte die Geschichte, die indirekt Gott offenbart. Klein behauptet umgekehrt, daß es Jesu Botschaft als offenbarendes Wortereignis sei, auf die Jesus seine Autorität zurückführt. Da die Apokalyptik von der Geschichte eine Bestätigung ihrer Auffassung erwartete, vollbrachte J esus, in Wilckens Sicht, seine Wunder und trieb die Dinge in J erusalem auf die Spitze, so daß Gott die Berechtigung seines Anspruches in dem zeigen konnte, was geschehen würde 49; Klein dagegen versteht Jesus als denjenigen, der solche Zeichen ablehnt. 50 Obwohl Jesus nicht einen isolierten Fall der Auferstehung, sondern das apokalyptische Ende der Welt erwartete, stellt seine Erwartung eines bestätigenden apokalyptischen Ereignisses für Wilckens immerhin die Verbindung her mit der Bezugnahme der Kirche auf die
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fassung und der des Pharisäismus auf J esus anwenden zu können. Im Zusammenhang mit der Beschreibung der ideologischen Herkunft des Paulus als apokalyptisch kann Wilckens auch von einer «pharisäischen Apokalyptik» sprechen, ZThK LVI, 1959, S.285. Vgl. Klein, a. a. 0., S. 72, Anm.14, und «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte», S.25, Anm.22. Oscar Cullmann, «Heil als Geschichte», S.42, akzeptiert W. D. Davies' Ablehnung einer Trennung von Pharisäismus und Apokalyptik in seinem Aufsatz «Apocalyptic and Pharisaism», Expository Times 1948, S.233-237, wieder abgedruckt in «Christian Origins and Judaism», Philadelphia 1962, S.19-30, und bestätigt, daß die These Rösslers «viel zu schematisch» sei, obwohl er hinzufügt, «es handle sich in gewissem Sinne trotzdem um eine überzeugende Arbeit». Wilckens, «Offenbarung als Geschichte», S.54, Anm. 31; Klein, MPTh LI, 1962, S.73. Wilckens, a. a. 0., S. 60 f.; Klein, a. a. 0., S.74. A. a. O. Pannenberg, «Grundzüge der Christologie», S. 58 f., entwickelt eine These, die besagt, Jesus habe eine positive Einstellung zu· Zeichen eingenommen. 105
Auferstehung als eine solche Bestätigung. Wilckens hatte schon in einem detaillierten Beweis vorgetragen, daß die Verbindung der Bekehrung des Paulus mit seiner Abrogation des Gesetzes anzeige, daß er von einer apokalyptischen Weltsicht ausgegangen sei. 51 Und er hatte in einer Monographie diese apokalyptische Kontinuität durch das nachapostolische Zeitalter verfolgt und behauptet, Lukas habe erfolgreich die unmittelbare Erwartung, die fehlgeschlagen sei, wie auch den Christus praesens, verstanden als «unmittelbares Widerfahrnis aus der Transzendenz» mit gnostischen Implikationen, durch «geschichtlich vermittelte Teilhabe an einer bestimmten Vergangenheit» ersetzt. Diese «theologische Entdeckung der Geschichte als des ,umfassenden Horizontes christlicher Theologie'» macht aus Lukas - anstelle etwa des gnostisierenden Joh. - «zweifellos (den) bedeutendsten Theologen des nachapostolischen Zeitalters» und den kanonischen Vorläufer des PannenbergKreises. 52
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«Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem)), ZThK LVI, 1959, S. 273-293. Aber vgl. Wolfgang Schrage, «,Ekklesia' und ,Synagoge'. Zum Ursprung des urchristlichen Kirchenbegriffes)), ZThKLX, 1963, S.178-202, bes. S.198: «Nicht im apokalyptischen Koordinatensystem, das der vorchristliche Paulus mit sich herumtrug und in das er bei seiner Bekehrung die neue Wirklichkeit nur noch einzuzeichnen brauchte, verdankt Paulus die Antithese zum Gesetz, sondern der Predigt der ,Hellenisten')). Ähnlich Klein, a. a. 0., S.75, Anm.21. Kleins Aufsatz «Römer 4 und die Idee der Heilsgeschichte)), EvTh XXIII, 1963, S.424-447, war im wesentlichen eine Kritik der Paulusauffassung Wilckens'. Wilckens antwortete «Zu Römer 3, 21-4,25. Antwort an G. Kleinn, EvTh XXIV, 1964, S.586-610. Klein antwortete darauf seinerseits «Exegetische Probleme in Römer 3, 21-4,25. Antwort an U. Wilckens)), EvTh XXIV, 1964, S.676-683. Pannenberg hält daran fest, daß (abgesehen von Jesus) Paulus die zentrale Figur des Neuen Testaments ist. «Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen)), WMANT 5, Neukirchen 1961. 19622 , S. 206 f., 218. Wilckens zitiert den ersten Satz aus
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Für die Diskussion der lukanischen Theologie verweist Klein auf Ernst Haenchen, dessen Kommentar zur Apostelgeschiohte ihn zu einem der bedeutendsten heute lebenden Interpreten der lukanischen Theologie gemacht hat. Haenehen weist die Entsprechung des paulinischen Ohristus praesens im lukanischen Begriff des wunderwirkenden «N amens» ] esu auf. «Vielmehr kennt Lukas - wie alle neutestamentlichen ,Schriftsteller' - diese ,Transzendenz' als die eigentlich alles bestimmende Macht. Und zwar nicht in der Weise, daß Gott (von ihm sollte man lieber sprechen als von einer ,Transzendenz') alles Geschehen steuert und darum hinter allem Geschehen steht, sondern Lukas scheut sich nicht, von einzelnen besonderen Eingriffen Gottes in das irdische Geschehen zu berichten ... Man sollte die massive Vorstellung der lukanischen Generation von der Auferstehung nicht mit einer ,positiven Wertung der Geschichte' verwechseln. Lukas hat nicht gemeint, daß jenes Heil, das die Parusie ,für ,die Auserwählten eröffnen wird, von dem Heil, das in ] esu irdischem Leben bereits ganz da war, in nichts unterschieden' sei (Wilckens 215). Nach der Parusie werden auch gemäß der Überzeugung des Lukas keine Kranken mehr geheilt und keine Sünder mehr bekehrt. Vielleioht weckt die Massivität mancher lukanisehen Aussagen die Sehnsucht nach einer massiven Theologie, in der so unsichere Vorgänge wie ein ,unmittelbares Widerfahrnis der Transzendenz' nicht mehr vorkommen.)) 53
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Pannenbergs programmatischem Aufsatz, der oben schon zitiert wurde. «Die Apostelgeschichte)), Meyer-Kommentar, Göttingen 1961 13, S. 682-689, bes. S. 688f. Das längere Zitat Haenchens istWilckens, a. a. 0., S.215, entnommen; die übrigen Andeutungen beziehen sich auf Stellen, die Haenchen vorher zitiert hat. Der andere führende deutsche Lukasforscher, Hans Conzelmann, ist etwas kürzer angebunden in seiner Zurückweisung der Position Pannenbergs. Vgl. seinen Aufsatz, «Randbemerkungen zur Lage im ,Neuen Testament')), EvTh XXII, 1962, S.228, Anm.16. Kleins eigene Beiträge zur Lukasforschung bewegen sich vor
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Kleins Kritik an den Thesen Pannenbergs 54 konzentriert sich auf die Klassifikation der Auferstehung ]esu als Geschichte. «Im Rahmen dieser Konzeption (verliert) das Osterereignis notwendig seinen eschatologischen Charakter und (verdirbt) zum vergangenen Weltphänomen.»55 Pannenberg seinerseits ist in der Lage, diesen Schluß nicht ziehen zu müssen 56, da für ihn Geschichte und Apokalyptik nicht in Spannung zueinander stehen. Deswegen stimmt er mit der bultmannsehen Auffassung nicht überein, daß es paradox sei, ein eschatologisches Ereignis als historisches Ereignis zu bezeichnen, und stellt stattdessen fest, daß dies nur eine proleptisohe Ausdrucksform sei. Seine Behauptung, daß Ostern in seinem apokalyptischen Rahmen verstanden werden müsse 57, scheint Klein die Annahme wiederzuspiegeln, dieser Rahmen unterscheide sich (wenn er auch nicht zu trennen sei) von der Tatsache, die an und für sich gedacht werden könne. 58 Klein behauptet, daß dies das Objekt des Glaubens vom Grund des Glaubens unterscheide, wobei der letztere der apokalyptische Horizont zu sein scheine, in dem jene Tatsache als Offenbarung Gottes verstanden werden könne. Was den «Grund des Glaubens» anbetrifft, so nennt Pannenberg ihn das «Wissen» über die offenbarende Geschichte. Aber solches Wissen ist anfänglich behindert durch «die Oberflächlichkeit, die bei irdischen Vorgängen nichts am Werke sieht ...
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dem Hintergrund der Debatte mit Pannenbergs Position, besonders «Lukas 1, 1-4 als theologisches Programm», «Zeit und Geschichte. Dankesgabe an Rudolf Bultmann zum 80. Geburtstag», Tübingen 1964, S.193-216. Pannenberg, «Offenbarung als Geschichte», S.91-114; Klein, MPTh LI, 1962, S. 77-84. A. a. 0., S. 78. In seinem «Nachwort» zu «Offenbarung als Geschichte», S. 143. A. a. 0., S. 140, Anm. 19. Pannenberg erwidert, a. a. 0., S.142, Anm.23, daß Klein «von vornherein an unserer Auffassung vorbeigeh(e), daß alles Geschehen in einen überlieferungsgeschichtlichen Kontext trifft und nur in seinem Bezug zu diesem aussagbar wird».
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außer menschlichen Veranstaltungen und Verstrickungen». 59 Klein behauptet, daß dies nicht nur eine Zurückweisung der gegenwärtigen historisch-kritischen Forschung bedeute, sondern daß es auch die Frage unbeantwortet lasse, wie man von der «Oberflächlichkeib zur «Rationalität)) fortschreite. Die Erkenntnis des Weges, auf dem Israd zum Glauben an Gott gekommen sei, scheine einfach mit der Erkenntnis ineinsgesetzt zu werden, daß Israels Gott tatsächlich existiere. Denn beschreibende Feststellungen im Sinne der Religionsgeschichte würden für normatives Wissen über Gott gehalten. Trutz Rendtorff versucht in seinem Aufsatz 60 die gängige «Betonung der Andersartigkeit der Kirche gegenüber der Welt)), die «die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der tatsächlichen historischen Kirche... und der Kirche des Wortes))61 im Gefolge hat, zu überwinden. Der historische Beweis, daß die Kirche sich von J esus ableitet, schließt die Bestätigung in sich, daß die empirische Kirche die wahre Kirche ist. Klein hält daran fest, daß die in der dialektischen Theologie übliche Unterscheidung nicht ontologisch ist, sondern hermeneutisch, d. h. sie soll klar machen, daß man die empirische Kirche nur in einem Akt des Glaubens als die wahre Kirche erkennen kann. Er fürchtet, daß die Identifikation der historischen Beweise für die Kontinuität bis hinauf zu Jesus mit der Bestätigung der empirischen Kirche als der wahren Kirche zu einer «bedingungslosen Unterwerfung unter institutionelle Kirchlichkeit» 62 führen werde. Pannenberg beginnt seine Erwiderung 63 auf Klein damit, daß er seiner Überraschung über die «Tonart» einiger kriti59
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«Offenbarung als Geschichte», S.101, 103; Klein, MPTh LI, 1962, S.81. «Das Offenbarungsproblem im Kirchenbegriff», «Offenbarung als Geschichte», S. 115-131; Klein, a. a. 0., S.84-86. Rendtorff, a. a. 0., S. 116; Klein, a. a. 0., S. 84. A. a. 0., S. 86. «Nachwort» zu «Offenbarung als Geschichte», S.132-148. 109
scher Artikel Ausdruck verleiht. «Wer hätte vermutet, daß einige Verfasser der herrschenden Worttheologie sich ihrer Sache so wenig sicher sein würden, daß sie sich eines in andere Richtung stoßenden Entwurfes durch grobe Verzeichnungen und abgegriffene Etikettierungen der gegnerischen Position erwehren müßten?»64 Es trifft zum Teil zu, daß die Argumentationen durch Spott, Unterstellung, Mißverstehen und unzutreffende Darstellung charakteristisch für die Debatte gewesen sind, was es manchmal schwierig macht, die Punkte ausfindig zu machen, die einer ernsthaften Diskussion würdig sind. Ein beachtlicher Teil des «Nachwortes» Pannenbergs ist der Korrektur von Mißverständnissen oder Falschdarstellungen gewidmet, die in unserem Bericht über die kritischen Aufsätze einfach weggelassen worden sind. Aber im «Nachwort» taucht auch der Beginn einer Formulierung der pannenbergschen Position auf, die sich sowohl an die Hauptlinie der entstehenden Kritik wendet wie auch sich selbst als Alternative zur neuen Hermeneutik versteht (zu der sich die bultmannsche Seite der Theologie des Wortes zum Teil entwickelt hat), statt in erster Linie als eine Alternative zu den verschiedenen Zweigen der vorangehenden dialektischen Theologie. Pannenberg macht deutlich, daß er nicht den Begriff des Wortes Gottes, sondern nur «seinen isolierten und verallgemeinerten Gebrauch als theologisches Prinzip)) 65 ablehne. Und er bestreitet, daß die Betrachtung aus der Distanz Desinteressiertheit bedeute; sie kann sehr wohl ein weitreichendes Sicheinlassen auf das, worum es geht, einschließen. Aber die Voraussetzung ist nicht die Geschichtlichkeit der Existenz, sondern vielmehr die Tatsache, «daß menschliches Leben sich immer schon in Überlieferungszusammenhängen vollzieht». 66 Es ist die überlieferungs64 65 66
A. a. 0., 8.134. A. a. 0., 8. 136, Anm. 11. A. a. 0., 8.137.
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geschichte, die die «Einheit von Geschehen und Wort (bzw. Bedeutung»)) darstellt 67: der Traditionszusammenhang «vermittelt)) den «ursprünglichen Sinn)) wie auch «alles Wissen von Geschehenem (hinsichtlich seiner Faktizität wie auch hinsichtlich seiner Bedeutung»)) und ist in dieser Hinsicht auch eine Art Hermeneutik. 68 Er anerkennt «die das hermeneutische Problem konstituierende historische Differenz (sc. zwischen der biblischen Zeit und heute»)), hält aber daran fest, «daß die hermeneutische Problematik im Begriff der Universalgeschichte als Überlieferungsgeschichte prinzipiell aufgehoben (ist), also sowohl als Moment bewahrt wie auch im Ganzen überholt ish. 69 Pannenberg sohließt sein «Nachwort)) zu «Offenbarung als Geschichte)), indem er seiner Hoffnung Ausdruck gibt, daß die zukünftige Diskussion seines Entwurfes stärker auf die wirklichen Probleme ausgerichtet sein möge, als es bisher der Fall gewesen sei.70 Er schlägt vier Problemkreise vor, die dann von Klein als Themen der Kapitel seiner Antwort «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte)) 71 aufgenommen werden. 1. «Zur Frage einer Alternative zur Theologie des Wortes)) 72. Klein behauptet, Pannenberg gelange in Wirklichkeit nicht über die Offenbarung durch das Wort hinaus, da es nur der Überlieferungszusammenhang sei, der ein Ereignis zur Offenbarung mache, 'und die Traditionen seien Wort - wenn auch ein anderes Sprachmodell vorliege als beim «geschehenden Wort)) der dialektischen Theologie. 67 68
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A. a. O. A. a. 0., S.138. A. a. 0., S.139. Die ausführliche Entfaltung dieser These, auf die Pannenberg hier hinweist, ist in einem Aufsatz zu finden, der den bezeichnenden Titel trägt: «Hermeneutik und Universalgeschichte)), ZThK LX, 1963, S.90-121. A. a 0., S. 147 f. «Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte. Zur Auseinandersetzung mit Wolfhart Pannenberg)), Beiträge zur evangelischen Theologie 37, München 1964. Klein, a. a. 0., S.12-21.
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Das Verständnis der Sprache als «bloßer Worte» 73 im Unterschied zu einem Verständnis, demzufolge die Sprache «mit sich bring(e), was sie sage(e»), verlange in der Tat nach der Ergänzung durch die Geschichte; aber Klein argumentiert, daß dies ein mangelhaftes Verständnis sowohl von Sprache wie von Geschichte sei. Er folgert, daß die pannenbergsche Position das biblische Wort «entwerten)) müsse. Für das Alte Testament nehme dies die Gestalt eines Hinweises darauf an, daß Prophezeiungen oft nicht in Erfüllung gingen, wozu Klein anmerkt, daß man den Kern des prophetischen Wortes mißverstehe, wenn man es in erster Linie als Voraussage eines zukünftigen Ereignisses statt als gegenwärtiges Ereignis des Trostes und des Gerichtes verstehe. 74 Das neutestamentliche Kerygma wird nach Klein «entwertet» durch das Argument Pannenbergs, daß es immer durch ]esu eschatologische Geschichte «überholt» werde, da es in verschiedenen Formen auftrete. Klein stimmt vollkommen mit der Meinung überein, daß das Kerygma in verschiedenen Begriffen ausgedrückt wird, aber er behauptet, es gebe eine Kontinuität in dem, was in ihnen zum Ausdruck gebracht werde und worauf sich die Aufmerksamkeit der Exegese richten solle. 75 Hier kann man die Verschiedenheit der zwei Ansätze bemerken; der eine hört in biblischer Sprache vor allem eine Beziehung zu Tatsachen, der andere hört vor allem das Zur-SpracheKommen einer Sache.
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P annenb erg, «Nachwort» zu «Offenbarung als Geschichte)), S. 132, von Klein zitiert, a. a. 0., S. 12. Pannenberg, a. a. 0., S. 132 f.; Klein, a. a. 0., S.13-15. Vgl. die ähnlich lautende Kritik an Pannenberg durch Gerhard Sauter, «Zukunft und Verheißung)), S. 151, Anm. 5: «Für sie (sc. die Reformatoren) ist ,promissio' nicht eine ,Funktion' des Wortes Gottes unter anderen (etwa als ,Vorhersage', vgl. W. Pannenberg, «Offenbarung als Geschichte)), Göttingen 1963 2, S.112), sondern meint umfassend den Charakter des lebenspendenden göttlichen Wortes)). A. a. 0., S.21.
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2. «Zum überlieferungsgeschichtlichen Verständnis des Verhältnisses von Altem und Neuem Testament sowie des Urchristentums selbst».76 Ähnlich wie Brultmann durch seine Betonung des veränderlichen Vorverständnisses erkennt auch Pannenberg auf seine Weise an, daß der Überlieferungszusammenhang durch das, was sich in der Geschichte ereignet, durchbrochen werden kann. 77 Aber Klein fürchtet, daß die Möglichkeit jeder wirklichen Kritik des traditionellen Verstehens ausgeklammert wird, wenn die Kritik «nur als Moment» in einem weiteren Zusammenhang «aufgehoben)) werden solle und wenn die «ursprüngliche Bedeutung)) der «offenbarenden Ereignisse)) «durch den Überlieferungszusammenhang)) «vermittelt» werden solle. 78 Die Kontingenz neuer «Schritte)) in der Überlieferung scheint durch Pannenbergs Voraussetzung darauf beschränkt zu sein, daß solche «Schritte)) «sinnhafb sind, und dies im Sinne «des auf eine umfassende Sinneinheit tendierenden Geschichtsverständnisses)), wobei die Überlieferungsgeschichte die «Kontinuität)) zwischen den Ereignissen darstellU 9 Aus solchen Feststellungen scheint sich für Klein das konventionelle Schema des organischen Wachstums der Tradition zu entwickeln. Ereignisse, welche Tradition zerstören, passen kaum in die Koordinaten der Traditionen, in denen hier Geschichte dargestellt wird. Und die Kontingenz der Ereignisse scheint durch die Tatsache gefährdet zu sein, daß die gegebene Stufe der Tradition, auf der diese sich ereignen und in deren Sinn sie gedeutet werden müssen, dazu dient, den Bedeutungsrahmen, in dem sie verstanden werden können, vorher festzulegen, obwohl sie nicht unter ein rationales Muster oder eine Struktur apriori untergeordnet werden. Die Vorherrschaft der Tradition über das Ereignis läßt sich auch spüren, wenn 76 77 78 79
A. a. 0., 8.22-37. A. a. 0., 8.137; Klein, a. a. 0., 8.22. Pannenberg, a. a. 0., 8.138 f., zitiert bei Klein, a. a. O. Pannenberg, a. a. 0., 8.138, Anm. 16 und 8. 133, Anm.3, zitiert bei Klein, a. a. 0., 8. 24.
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Pannenberg sagt, daß außerhalb des Christentums die «Problemgeschichte ,des Alten Testaments')) «faktisch)), aber nicht «prinzipiell)) ungelöst sei, woraus Klein schließt, daß damit das Christus-Ereignis zum bloßen «Stimulans)) für eine «potentiell längst fertige Lösung)) werde, die in der Überlieferungsgeschichte implizit schon gegeben sei. 80 Natürlich zieht Klein hier Schlüsse aus Pannenbergs Ansatz, die Pannenberg selbst nicht zieht, und nur in einem sekundären Sinne können solche Schlüsse, selbst wenn sie konsequent gezogen sind, eine Theologie ernsthaft bedrohen, die es vorziehen würde, ihre Position neu zu formieren, anstatt sich zwingen zu lassen, so zu folgern. Wenn umgekehrt der rechte Flügel allzu bereitwillig Pannenbergs Bemerkungen übersieht, daß das Verhältnis zur Tradition das eines Bruches mit ihr sein kann, und sich einfach damit zufrieden gibt, daß die Geistesgeschichte, die sonst in der Neuzeit oft in merkwürdiger und bedrohlicher Weise dargestellt wird, hier in den vertrauten Kategorien der Überlieferungsgeschichte dargeboten wird, so kann Pannenberg für solche Schlußfolgerung, die weder notwendig ist noch von ihm selbst gezogen wird, nicht verantwortlich gemacht werden. 8i Klein trägt seine grundlegende Kritik an Pannenbergs Ansatz der Überlieferungsgeschichte in der Form vor, daß er solche Begriffsbildung als nicht wirklich der Sache selbst entsprechend darstellt. Wenn Pannenberg den «unauflösbaren Zusammenhang von Altem Testament und spätisraelitischer Überlieferung einerseits, Auftreten und Geschick Jesu andererseits)) 82 betont, kann Klein der Wahrheit in einer solchen Feststellung zustimmen und doch 80
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82
Pannenberg, a. a. 0., S. 139; Klein, a. a. 0., S.25. über die Rolle, die Pannenbergs Gedanken in deutschen konservativen Kreisen spielen, vgl. Heinz-Dieter Knigge, «Postbultmannian Hermeneutical Attempts)), Perkins School of Theology Journal XVII, 1964, S.26-37, besonders S.26 und S.37, Anm.37. Pannenberg, a. a. 0., S. 133, zitiert bei Klein, a. a. 0., S.2'4.
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empfinden, daß gerade das Gegenbild dieser Struktur eher geeignet wäre, den Bruch mit dem Judentum, der mit Jesu Wirksamkeit und Geschick gegeben ist, am adäquatesten zu beschreiben. Er formuliert diese Kritik mit dem hermeneutischen Vokabular «der Differenz zwischen Sprache und zum Sprechen zwingender Intention».83 Die (apokalyptische) Gestalt der Botschaft und die Botschaft selbst scheinen ihm nicht sorgfältig genug unterschieden zu werden. Pannenberg argumentiert, daß es einen «Zusammenhang zwischen dieser Botschaft und jener Erwartung l1 84 gebe, weil das Evangelium von Jesu Auferstehung im Umkreis der jüdischen Erwartungen einer endgültigen Auferstehung entstanden sei. Klein setzt dagegen, daß man, sachlich gesprochen, nur sagen sollte, daß eine Beziehung zwischen der Form, die die Botschaft angenommen habe, und der apokalyptischen Erwartung bestehe, d. h. er stimmt mit Pannenbergs Folgerung nicht überein, daß wir es hier mit «ein(em) Verhältnis II zu tun haben, «das ja wohl gerade nicht gegen ein beliebiges anderes austauschbar istn. 85 Pannenberg betrachtet jemandes Entscheidung über die Notwendigkeit des apokalyptischen Sektors der jüdischen Tradition als ausschlaggebend dafür, ob er das Alte Testament wirklich festhält. Klein fragt, «warum dann nicht auch eine entsprechende Bewertung Qumrans, hellenistischjüdischer Durchschnittlichkeit, Philos, der Therapeuten, gnostisierenden Judentums und jüdisch beeinflußter Gnosis», «sofern sie - wie ihrer so viele - das Urchristentum in einer seiner Vorstellungs schichten nur irgend affiziert habenll?86 3. «Zum proleptischen Charakter der Geschichte Jesu und besonders seiner Auferstehung in seiner Bedeutung für 83 84
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A. a. 0., S. 28 f. Pannenberg, a. a. 0., S. 140, zitiert bei Klein, a. a. 0., S.30. Pannenberg, a. a. 0., S.140, Anm.19; Klein, a. a. O. Klein betrachtet solche Auffassung als «Repristination", als «Kanonisierung der apokalyptischen Tradition)), a. a. 0., S. 31. Pannenberg, a. a. 0.; Klein, a. a. 0., S. 34.
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den Offenbarungsbegriff.»87 Klein beginnt seine Untersuchung damit, daß er Pannenbergs BemeI1kung aufgreift, das Konzept der Prolepse « erscheine allzu sehr als deus ex machina», es sei denn, es würde «von der Prolepse des Ohristusgeschehens die proleptische Struktur des Seienden und namentlich der geistigen Akte verständlich» .88 Klein bemerkt eine Spannung zwischen dieser proleptischen Sicht der Wirklichkeit und der anderen Auffassung, die besagt, der Sinn alles Vorläufigen werde durch das endgültige Geschehen nicht nur offenbart, sondern allererst entschieden. 89 «Der Charakter des Vorläufigen, wie er demnach allem Seienden eignet, ist das genaue Gegenteil der proleptischen Qualität, die den von ihr bestimmten Sachverhalt der Vorläufigkeit doch gerade entnehmen und ihm ,Unüberholbarkeit' zuteilen soll. Indem Pannenberg den proleptischen Charakter des Christusgeschehens mit dem angeblich gleichgearteten des gesamten Seinsbestandes zusammendenkt, diesen aber rätselhafterweise zugleich für vorläufig erklärt, bringt er die von ihm intendierte ,Unüberholbarkeit des Christus geschehens' in die schwerste Gefahr und sich selbst um jedes Argument gegen den Einwand, daß folglich auch die Bedeutung des Christusgeschehens erst im Eschaton sowohl enthüllt als auch entschieden werde.»90 Pannenberg betont besonders die proleptische Natur geistiger Aktivität. Für Klein ist dieses Vorgreifen des Geistes einfach das, was die Hermeneutik den hermeneutischen Zirkel nennt. Wenn eine Vorwegnahme in diesem Gebiet einsehbarer erscheint, so deswegen, weil eine Vorwegnahme des Geistes ein Vorgriff auf etwas schon Bestehendes ist, selbst wenn dies noch nicht bekannt ist, d. h. es handelt sich um eine subjektive Vorwegnahme, wogegen die Art der Vorwegnahme, die für die 87 88 89
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Klein, a. a. 0., S. 38-53. Pannenberg, a. a. 0., S. 143; zitiert bei Klein, a. a. 0., S.38. Pannenberg, a. a. 0., S. 142, Anm. 25; zitiert bei Klein, a. a. 0., S.39. Klein, a. a. 0., S. 39; er zitiert Pannenberg, a. a. 0., S. 143.
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Auferstehung Jesu ins Auge gefaßt wird, eine objektive Vorwegnahme sein würde, in der etwas, das es noch nicht gibt, proleptisch ins Sein käme. 91 Klein behauptet, Pannenberg habe die Kategorie der objektiven Vorwegnahme noch nicht zu einem angemessen klaren Begriff entwickelt, um damit die Auferstehung Jesu in ihrem Bezug zur Geschichte interpretieren zu können. Klein argumentiert, daß das proleptische Verständnis der Auferstehung Jesu als eines speziellen Falles der allgemeinen zukünftigen Auferstehung der Toten J esu Auferstehung jeder entscheidenden Bedeutung entkleide, selbst irgendetwas für die Menschheit zu erreichen. Er würde Jesu Auferstehung, anstatt sie als Vorwegnahme einer Zukunft zu verstehen, deren Wirklichkeit sowieso i'm Umkreis der jüdischen Erwartung versichert wird, lieber als die Grundlage des endgültigen Status des Menschen verstehen, was dann ein «Nachvollziehen)) der Auferstehung Jesu sein würde. 4. «Zur Dialektik von Glauben und Wissen im Lichte der proleptisch-eschatologischen Eigenart der Christusoffenbarung.))92 Natürlich hält Klein daran fest, daß man Gott als in menschlicher Verfügungsgewalt denkt und deswegen aus Gott eine Sache der Welt macht, wenn man behauptet, Gott sei schon vor der Entscheidung, zu glauben, ein Objekt des menschlichen Wissens. Aber abgesehen von dieser Kritik, die für die dialektische Theologie charakteristisch ist, behauptet Klein, daß in Pannenbergs Bestehen darauf, daß das Wissen von Gott dem Glauben voran91
92
Klein, a. a. 0., S.40. Vgl. Gerhard Sauter, «Zukunft und Verheißung)), S.266, Anm. 35: «Besteht zwischen beiden nachweislich ein genuiner Zusammenhang? In Pannenbergs bisherigem Sprachgebrauch kaum; hier stehen die apokalyptische Struktur ,proleptischer Enthüllung' (<
gehe und doch nicht unbeteiligtes Wissen sei, eine innere Inkonsequenz vorliege. 93 Der Untersohied zwischen den beiden Positionen scheint weder der zwischen stärkerem und schwächerem Engagement nooh der zwischen besserem und schlechterem Verstehen zu sein, wenn man einmal beteiligt ist, sondern scheint vielmehr das Wesen dieses Verstehens zu betreffen. Für Klein bedeutet die Tatsache, daß das Evangelium ein «Anspruch auf das Ganze des eigenen Lebens» ist, daß ein Mensch die Ausrichtung seines Lebens auf Gott versteht, die er im Glaubensakt vollzieht, so daß der Akt des Glaubens also nioht willkürlich, sondern ein Akt des Verstehens ist. Für Pannenberg impliziert die fortschreitende Annäherung an demonstriertes Wissen über die objektive Wahrheit der vom Evangelium her erzählten Geschichte, nämlich daß sie geschah und göttliches Handeln war, eine Antwort, die dem Wissen über Gott angemessen ist und die der Akt religiöser Verpflichtung sein würde. In keinem Falle begegnet man dem Evangelium so, daß man schon mit dem Glauben als mit einer speziellen Bedingung ausgestattet ist, die es leichter macht, positiv zu antworten; in jedem Fall schließt wirkliches Verstehen implizit den Ruf zum Glauben notwendig ein. In Kleins Auffassung könnte man eine negative Entscheidung treffen, wenn man versteht, 93
Klein, a. a. 0., S. 56 f.; vgl. Pannenberg, a. a. 0., S.136: «Jeder verständnisvolle Leser unserer Arbeit muß doch sehen, daß es uns gerade auf die Betroffenheit der Menschen durch das ihnen widerfahrende Geschehen ankommt... Echtes Erkennen geschieht doch wohl nur dort, wo jemand ganz ,bei der Sache' ist, so daß er selbst sich im Erkenntnisakt von der Sache in Anspruch nehmen läßt - und zwar jeweils in dem Maße, in dem die betreffende Sache durch ihre Eigenart den Menschen in Anspruch zu nehmen vermag... Daß nun gar eine rein theoretische Haltung gegenüber Gott und seinem Offenbarungshandeln unangemessen bliebe, ist unbestritten, ist aber nur deswegen richtig, weil hier der Inhalt der Erkenntnis einen Anspruch auf das Ganze des eigenen Lebens enthält, rechte Erkenntnis also gerade diese Betroffenheit wahrnehmen muß, die über ,bloße' Erkenntnis hinausweist».
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was bei der Ausrichtung des eigenen Lebens im Lichte des Evangeliums auf dem Spiel steht; in Pannenbergs Auffassung würde Glaube sich direkter als eine Konsequenz des demonstrierten Wissens ergeben. Pannenbergs Unterscheidung zwischen einem notwendigen logischen Vorrang des Wissens vor dem Glauben, aber einem nicht notwendigen psychologischen Vorrang scheint für Klein in sich zusammenzufallen, weil für die Notwendigkeit einer Vorrangstellung dooh psychologisch argumentiert wird. Klein beschreibt das Dilemma, in dem er die Position Pannenbergs sieht, folgendermassen: «Wenn die Verkündigung dem Hörer angeblich schon nicht sagen darf: ,Du mußt erst den Sprung in den Glauben machen, damit Du gewiß wirst', so hätte sie sich gewiß erledigt, wenn sie ihm erklärte: ,Bevor Du den Sprung in den Glauben machst, mußt Du gewiß sein, Du wirst Deiner Gewißheit möglicherweise aber erst nach dem Sprung inne werden'.»94 In Pannenbergs Auffassung sollte man andererseits bei der fortschreitenden Erweisung der Wahrheit des Evangeliums mit Wahrsoheinlichkeitsgraden rechnen, so wie es für andere Wissensbereiche ja charakteristisch ist. Jemandes augenblickliches Wissen würde angemessen sein, den Akt des Glaubens zu einer vernünftigerweise zu übernehmenden Sache zu machen, insofern dieses Wissen einen dazu führen würde, die endgültige Demonstration der Wahrheit des Evangeliums vorwegzunehmen. Klein argumentiert, daß Pannenbergs Absicht, den Glauben außerhalb seiner selbst zu begründen, eine Absicht, die Klein teilt, nicht erfolgreich durchgeführt werde, insofern der Glaube im Wissen des Menschen begründet werde. ((Denn dann wird die Verschiedenheit von Grund und Begründetem nicht mehr als Externität des Grundes ausgelegt, sondern auf die Unterschiedlichkeit zweier interner Weisen menschlichen Verhaltens reduziert, die faktisch gar 94
Klein, a. a. 0., S. 58 f.; das erste Zitat stammt aus Pannenbergs Erläuterung seiner 3. These, a. a. 0., S. 101. 119
keine Verschiedenheit ist, da begründendes Wissen und begründeter Glaube durch einen Automatismus verbunden sind, der sie als zwei Momente eines Prinzips, eben der Selbstbehauptung, ausweist.» 95 Die Lehre vom heiligen Geist scheint einerseits keinen wirklichen Platz zu haben, insofern der Pfad zum Glauben mit dem normalen Gebrauch der eigenen rationalen Fähigkeiten identisch ist. Aber andererseits wird, in Spannung dazu, eine «Qualifikation» dieses Prozesses eingeführt, wenn Pannenberg behauptet: ((Derartige Vorurteile (sc. wie sie im allgemeinen Geist vorhanden sind) auszuräumen, kann wohl nie allein Sache rationaler Argumentation sein. Insofern bedarf es einer Art Erleuchtung, damit die aus sich klare und aus sich als wahr erweisbare Wahrheit auch dem einzelnen Menschen aufgeht» .96 Das Ergebnis scheint Klein zu sein, daß Glaube keine Gewißheit hat, da er auf einer geistigen Fähigkeit beruht, die heute weitgehend nicht vorhanden ist; es fehlt auch jedes implizite Vertrauen in die Traditionen, das solche geistige überzeugung ersetzen könnte. Deswegen ist die Annahme des Glaubenden, die Auferstehung sei keine Halluzination, nach allem ((ein einfacher Akt der von ihm (sc. P annenb erg) sonst so verpönten Entscheidung» .97 Pannenberg erklärt aber immerhin: «Es geht nicht in erster Linie um die ,modeme Welt', die zur Anerkennung der Wahrheit christlicher Ansprüche im Hinblick auf die Geschichte zu bringen wäre, sondern um die Christen selbst, die in einer Atmosphäre der Verläßlichkeit der christlichen Botschaft leben müssen. Es wird immer eine ,Welt' geben, die die christliche Botschaft nicht überzeugend findet. Aber es ist die Frage, ob die Christen selbst von der 95
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Klein, a. a. 0., S.66. Georg Muschalek, «Offenbarung in Geschichte», ZKTh LXXXVI, 1964, S.181, argumentiert, daß solches bewiesene Wissen nicht der Gegenstand mittelalterlicher Theologie (z. B. bei Thomas), sondern vielmehr eine cartesianische Neuerung sei. Pannenberg, ThLZ LXXXVIII, 1963, Sp. 89; zitiert bei Klein, a. a. 0., S.67. Klein, a. a. 0., S.69.
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Allgemeingültigkeit dieser Botschaft mit Fug überzeugt sein können - und zwar nicht ,die moderne Welt', wohl aber einzelne denkende Menschen ebenfalls überzeugen können.))9S Die sorgfältigste und bedeutendste Kritik, die von einem Theologen vorgetragen wird, der teilweise auch die Richtung des pannenbergschen Denkens begrüßt, ist die von Jürgen Moltmann, der während der drei Jahre, die Pannenberg an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal lehrte, sein Kollege war. Moltmanns «Theologie der Hoffnung» 99, die an Gottes Verheißungswort orientiert ist, stellt den neuesten systematischen Entwurf dar, der aus der Tradition der Theologie des Wortes hervorgegangen ist, und dient so dazu, in der Diskussion mit Pannenberg nicht nur das zum Ausdruck zu bringen, was verschieden formuliert wird, sondern auch das, was sich parallel entwickelt. Moltmann stellt die pannenbergsche Position als stärker vom griechischen als vom biblischen Denken geprägt dar. «Diese universalgeschichtliche Theologie stellt sich zunächst offensichtlich als eine Erweiterung und überholung der griechischen Kosmostheologie dar. Es tritt an die Stelle des kosmologischen Gottesbeweises, der aus der ,Wirklichkeit als Kosmos' auf die eine göttliche arche schloß und so einen kosmologischen Monothejsmus titt:Hwies, eine GeschichfstIieologie, die aus der Einheit der ,Wirklichkeit als Geschichte' im gleichen Rückschlußverfahren auf den einen Gott der Geschichte schließt. Die erkenntnistheoretische Methode bleibt die gleiche, nur tritt an die Stelle des in sich geschlossenen Kosmos, der in ewiger Wiederkehr des Gleichen in seiner Symmetrie und Harmonie zur Theophanie wird, ein zukunftsoffener Kosmos mit teleologi98
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Das Zitat ist einem Brief entnommen, den Pannenberg zur Klärung seiner Position schrieb. «Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie)), Beiträge zur evangelischen Theologie 38, München 1964, 19652 • 3 • Das Zitat ist der 2. (bzw. 3.) Auflage entnommen. 121
sehern Gefälle. ,Geschichte' wird damit zum neuen Inbegriff der ,Wirklichkeit in ihrer Totalität'. An die Stelle der metaphysischen Einheitsspitze des Kosmos tritt der eschatologische Ziel- und Einheitspunkt der Geschichte. Wie von jener metaphysischen Einheitsspitze her der Kosmos als indirekte Gottesoffenbarung, so wird nun vom Ende der Geschichte her Geschichte als indirekte Gottesoffenbarung erkennbar.» 100 Dieser Vergleich mit griechischem Denken bewegt sich langsam auf eine Gegenüberstellung mit der Theologie des Wortes zu, und die schon in Moltmanns Darstellung implizit enthaltene Kritik wird jetzt explizit. «An die Stelle der Kerygmatheologie, die Gott im Geschehen des anredenden Wortes wahrnimmt, würde dann eine Geschichtstheologie treten, die Gott aus der ,Sprache der Tatsachen' vernimmt. Wie in der griechischen Kosmostheologie das ewige Sein Gottes im Seienden indirekt erscheint und aus ihm erschlossen werden kann, so würde hier Gottes Wesenheit in den Ge-wesenheiten der Gesdhichte wiedererkannt. " Dennoch wird die alttestamentliche Grunderkenntnis, daß ,Geschichte das zwischen Verheißung und Erfüllung hineingespannte Geschehen' sei, von der Pannenberg und Rendtorff ausgingen, im Grunde preisgegeben zugunsten einer sich an der ,Wirklichkeit im Ganzen' in Überbietung der griechischen Kosmostheologie bewährenden, universalgeschidhtlichen Eschatologie. Diese gewinnt ihren eschatologischen Charakter nur daraus, daß die Wirklichkeit noch nicht im Ganzen anschaulich ist, weil sie noch nicht zu Ende ist. Damit aber droht der Verheißungsgott des Alten Testamentes zu einem Theos epiphanes zu werden, dessen Epiphanie das Ganze der Wirklichkeit darstellen wird in threr Vollendung ... Es bleibt undeutlich, ob an die Stelle der Theophanie in der Natur nur eine Theophanie in der Geschichte als zukunfts offener Natur tritt, oder ob die grundsätzlich andere Bedingung für 100
A. a. 0., S.68.
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die Möglichkeit der Wahrnehmung der Wirklichkeit als Geschichte, nämlich aus der Verheißung, gemeint ist. Diese, der Worttheologie entgegengestellte, Geschichtstheologie bleibt solange der Kritik Kants an der theologischen Metaphysik ausgesetzt, als sie nicht selber kritisch auf die Bedingung für die Möglichkeit der Wahrnehmung der Wirklichkeit als Geschichte im eschatologisch und theologisch qualifizierten Sinne reflektiert.» 101 MoItmann erkennt, daß Pannenbergs Verständnis der Natur des Kosmos als Universalgeschichte wieder die Frage nach der Gültigkeit des kosmologischen Gottesbeweises aufwirft, insofern Pannenberg behauptet, die Einheit der Wirklichkeit bedürfe zu ihrer Vollendung der Existenz Gottes. Und Moltmann bej aht die hermeneutische Folgerung, daß Texte der Vergangenheit für die Gegenwart nicht nur durch Erkennen ihres Existenzverständnisses Relevanz haben können, sondern daß «sie auf ihren historischen Ort und ihre historische Stunde, auf ihren eigenen historischen Zusammenhang nach rückwärts und vorwärts hin zu lesen» sind.1 02 MoItmann stimmt Pannenbergs hermeneutischem Prinzip zu: «,Nur eine Konzeption des die damalige mit der heutigen Situation und ihrem Zukunftshorizont tatsächlich verbindenden Geschicthtsverlaufes kann den umfassenden Horizont bilden, in welchem der beschränkte Gegenwartshorizont des Auslegers und der historische Horizont des Textes verschmelzen'.»103 Aber MoItmann merkt an: «Da dieser umgreifende Geschichtszusammenhang inmitten der Geschichte immer nur als eine endliche, vorläufige und also überholbare Perspektive formulierbar ist, bleibt er fragmentarisch angesichts einer offenen Zukunft».104 D. h., MoItmann findet an diesem Punkt ein fehlendes Glied in dem kosmologischen Gottes101 102
A. a. 0., S. 68 f. A. a. 0., S. 254.
Pannenberg, «Hermeneutik und Universalgeschichte», ZThK LX, 1963, S. 116, zitiert bei Moltmann, a. a. 0., S. 255. 104 Moltmann, a. a. O.
103
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beweis. «Hier wird die Notwendigkeit behauptet, ,Gott' im Ganzen der Wirklichkeit zur Sprache zu bringen, und doch zugleich die Unmöglichkeit zugestanden, eine noch unabgeschlossene und darum geschichtliche Wirklichkeit als eine ,Ganzheit' begreifen zu können. Es wäre darum besser, die Intentionen des kosmologischen Gottesbeweises fallen zu lassen. Solange diese Wirklichkeit der Welt und des Menschen in ihr noch nicht ,ganz' ist, sondern ihre Ganzheit vielmehr geschichtlich auf dem Spiel steht, läßt sich kein Gott aus ihr beweisen. Der ,umgreifende Geschichtszusammenhang', der das Damals mit dem Heute, der den historischen Horizont und den gegenwärtigen Zukunftshorizont verbindet, ist kein Zusammenhang miteinander verketteter Ereignisse, sondern ist ein sendungs- und verheißungsgeschichtlicher Zusammenhang. Die Horizonte ,verschmelzen' nicht schon in der Frage nach dem Geschehenszusammenhang zwischen Heute und Damals, sondern nur in der Frage nach der intendierten Zukunft damals und heute.»105 Moltmanns Darstellung der Position Pannenbergs bewegt sich aufgrund der Erkenntnis einer zweiten Dimension in dieser Auffassung immer stärker in Richtung auf eine parallele Struktur hin, wenn nämlich die Orientierung der «Geschichte» in der «Sprache der Tatsachen)) durch eine Orientierung im Sinne der Überlieferungsgeschichte überboten wird. «Mit einem Verständnis der Geschichte als Überlieferungsgeschichte wird nicht mehr eine Alternative
105
A. a. 0., S. 255. Vgl. Gerhard Sauter. «Zukunft und Verheißung)), S.l91, Anm.21: (Die Übereinstimmung solchen Interesses an einer Universalgeschichte mit der Intention des Historismus) läßt fragen, ob nicht die Prolepse des Eschaton in der Geschichte Jesu vor allem neu begründen soll, was Troeltsch den ,metaphysischen Glauben' an Einheit und Ganzheit der Geschichte genannt hat. Wenn es sich so verhielte, wäre die Eschatologie wiederum entkräftet, denn diese Einheit und Ganzheit läßt sich nicht als hermeneutisches Prinzip für das Verständnis vergangener Geschich te beanspruchen)).
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zur Kerygmatheologie geboten, wie im - doch nur polemisch gemeinten - Ausdruck von der ,Sprache der Tatsachen', sondern wird der Versuch unternommen, das Auseinandergetretene - nämlich ,Wort', Wortgeschehen, Deutung, Wertung usw. auf der einen, und ,Faktum', Tatsachen und Tatsachenzusammenhänge auf der anderen Seite - wieder zu umgreifen... Die moderne Trennung von ,Faktizität' und ,Bedeutung' wird im Verständnis der Geschichte als Überlieferungsgeschichte damit in analoger Weise aufgehoben wie in der ,Theologie des Wortgeschehens' von G. Ebeling. Kommen dort die Ereignisse mit dem Wort zur Geltung, dem sie sich ursprünglich kundgetan haben, so hier die Worte und Überlieferungen mit den geschichtlichen Ereignissen. Die entscheidende Frage aber stellt sich darin, wie die cartesianische und kantianische Aufspaltung der Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung überwunden wird. Die Absicht, die wirklichen Geschehnisse in ihrem ursprünglichen Erfahrungs- und Überlieferungszusammenhang zu nehmen, in welchem sie damals zur Sprache kamen, kann sowohl hermeneutisch vom Wortgeschehen wie universalhistorisch vom Ereignis im Ganzen der geschichtlichen Realität ausgehen.»106 Moltmann betont, daß beide Positionen der Kritik der modernen Geschichtsschreibung an der Überlieferung gerecht werden müssen. «Die historische Kritik an den christlichen Überlieferungen setzt seit der Aufklärung in zunehmender Radikalität eine Krise der Traditionen voraus, wenn nicht gar einen revolutionären Traditionsbruch. Seit dieser Krise und dieser Kritik ist ,Tradition' nicht mehr ,das Selbstverständliche'. Das Verhältnis zur Geschichte als Tradition ist ein reflektiertes geworden und hat seine Unmittelbarkeit verloren. Will man darum ,Geschichte als 106
A. a. 0., S. 71. Zur Illustration dafür, daß die zwei neuen Begriffe in der historischen Forschung heute schon parallel miteinander gebraucht werden können, vgl. meinen Aufsatz «Kerygma und Geschichte im Neuen Testament)), ZThK LXII, 1965, S.294-337.
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Überlieferung' verstehen, so muß ein neuer Begriff von ,Überlieferung' ,gewonnen werden, der die historische Kritik und ihr Krisenbewußtsein von Geschichte in sich aufhebt, ohne sie zu verneinen oder zu verharmlosen.»107 Moltmann richtet seine Kritik in erster Linie gegen den pannenbergsehen Auferstehungsbeweis : «Die These, daß dieses Geschehen der Auferweckung Jesu grundsätzlich ,historisch' verifizierbar sein müßte, müßte zuvor den Begriff des Historischen so verwandeln, daß er Auferwekkung durch Gott zuläßt und in dieser Auferweckung das angesagte Ende der Geschichte erkennbar machen kann. Die Auferweckung J esu historisch verifizierbar zu nennen, setzt einen Geschichtsbegriff voraus, der von der Erwartung einer allgemeinen Totenauferstehung als des Endes und der Vollendung der Geschichte beherrscht ist. Zwischen Geschichtsbegriff und Auferstehung liegt somit ein Zirkel des Verstehens vor» .108 Abgesehen von historiographischen Bedenken hat Moltmann aber auch theologische Fragen. Er bezweifelt, daß ein solches apokalyptisches Verständnis der Geschichte genügt, um dem Osterereignis Ausdruck zu verleihen. Denn dann würde die Kirche ja weniger Jesus als ihre eigene Auferstehung erwarten, die «Wiederholung» dessen, «was bereits an J esus geschehen ist», «nicht aber. . . die Zukunft des Auferstandenen)). Das Evangelium besteht nicht darin, daß wir wie er auferweckt werden, sondern daß er die Auferstehung und das Leben ist, «und daß folglich die Glaubenden ihre Zukunft in ihm finden und nicht nur wie er finden». Moltmanns eigene Auffassung kommt in der Kritik zu Wort: «Der apokalyptische, universalgeschichtliehe Deutungshorizont des Ganzen der Wirklichkeit ist sekundär gegenüber dem verheißungs- und sendungsgeschichtlichen Horizont dieser Weltveränderung» .109 Moltmann, a. a. 0., S. 72. A. a. O. 109 A. a. 0., S. 73. 107 108
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Moltmann ist auch der Meinung, daß das apokalyptische Verständnis der Geschichte für eine Vernachlässigung der Theologie des Kreuzes verantwortlich ist, die nicht nur ein Zwischenspiel zwischen jü'discher Apokalyptik und christlicher Eschatologie ist, sondern vielmehr diese zu einer eschatologia crucis stempelt. «Der Widerspruch des Kreuzes durchzieht auch die Existenz, den Weg und das theologische Denken der Gemeinde in der Welt.»110 Moltmann bejaht die Offenheit Pannenbergs für die Welt, die er auch in Barths und Bonhoeffers Aufruf findet, die Herrschaft Christi in der konkreten Alltäglichkeit der Welt zu verkündigen. Aber er fragt, ob Pannenberg sich der konkreten Wirklichkeit der Eschatologie in einer Welt wie der unsrigen wirklich ausgesetzt hat. «Ob der Ausdruck der ,Bewährung der Gottheit des biblischen Gottes an der Gesamtheit der jeweiligen Wirklichkeitserfahrung' (bei Pannenberg) dem angemessen ist, bleibt die Frage, denn diese Aufgabe wird weniger auf eine Bestätigung oder Überbietung hinauslaufen, als auf Konflikt und Differenz. Die unkritische Verwendung von Begriffen wie ,historisch', ,Geschichte', ,Tatsachen', ,Überlieferung', ,Vernunft' usw. in einem theologischen Sinne scheint zu zeigen, daß der methodische, praktische und weltanschauliche Atheismus der Neuzeit eher umgangen als ernst genommen wird. Wenn eben dieser Atheismus - wie Hegel und Nietzsehe es am tiefsten verstanden haben - aus einer nihilistischen Wahrnehmung des ,spekulativen Karfreitags': ,Gott ist tot' entspringt, so ließe sich Theologie eigentlich nur noch als Auferstehungstheologie gegenüber dieser Wirklichkeit, gegenüber dieser Vernunft und gegenüber einer so beschaffenen Gesellschaft vertreten; und zwar als Eschatologie der Auferstehung als der Zukunft des Gekreuzigten.»111 Interesse für das Problem eines Grundes für die Hoffnung in einer Weltsituation wie der unsrigen - ein Thema, 110
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A. a. O. A. a. 0., S.74. 127
auf das schon der Philosoph Ernst Bloch durch sein zweibändiges Werk »Das Prinzip Hoffnung» 112 hingewiesen hat - zusammen mit dem Fehlen des abschließenden V. Bandes über die Eschatologie in Barths Kirchlicher Dogmatik mögen die Tatsachen erklären, daß ein weiterer in der barthianischen Tradition stehender junger Theologe, Gerhard Sauter, eine Arbeit mit dem Titel «Zukunft und Verheißung» 113 veröffentlicht hat, die Moltmanns «Theologie der Hoffnung)) ziemlich ähnlich ist. Und wie Moltmann ist Sauter auch Pannenberg selbst durchaus vergleichbar, wenn auch mit vielen ähnlichen Vorbehalten. Sauter teilt Moltmanns Ansicht 114, daß die Apokalyptik kaum ein Denksystem ist, von dem sich ein Verständnis der Geschichte als Offenbarung herleiten läßt. «,Geschichte ist die Wirklichkeit in ihrer Totalität'. Aber das meint der Apokalyptiker trotz des göttlichen ,Weltgesetzes' im Blick auf die Weltgeschichte als Geschichte der Welt, die gerade in ihrer Totalität von Gott geschieden bleibt. Das Ende der Geschichte ist Negation ihrer Negativitäten: der Zeit nicht nur als Frist, sondern vor allem als Verfallszeit (vgl. Apk. 10,6), und der Ohnmacht der Welt (4. Esr. 4, 26 f.).»115 Weiterhin betrachtet Sauter die Auffassung, J esus sei eine Vorwegnahme des apokalyptischen Endes, als ein Zerbrechen des apokalyptischen Offenbarungsverständnisses, obwohl sie mit der deterministischen Festlegung der Ge«Das Prinzip Hoffnung», Berlin, 1954-1959, 19592 , Band V seiner gesammelten Werke. 113 «Zukunft und Verheißung. Das Problem der Zukunft in der gegenwärtigen theologischen und philosophischen Diskussion», Zürich/Stuttgart, 1965. Das Buch wurde 1964 an der Universität Göttingen unter den Barthianern Ernst Wolf und Otto Weber als Habilitationsschrift vorgelegt. Sauter bemerkt, daß seine Arbeit zu Ende geführt war, bevor er Moltmanns Buch kannte; S.80. 114 Vgl. oben S.124, Anm.l05. 115 Sauter, a. a. 0., S. 244, Anm. 49; er zitiert Pannenberg, KuD V, 1959, S.222. Neudruck in «Probleme alttestamentlicher Hermeneutikn, S.310. 112
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schichte vor dem Beginn der Zeit, wie sie die Apokalyptik kennt, verbunden wird. «Zugestandenermaßen hat hier die apokalyptische Struktur der Offenbarung als einer vorzeitigen Enthüllung des Endes dazu verholfen, das ,Geschick J esu Christi' als solche ,Prolepse' zu begreifen freilich auf Kosten einer möglicherweise vom Neuen Testament verlangten Umdeutung der Prolepse; diese kann sich dem apokalyptischen Offenbarungsbegriff selbst nicht unterwerfen, weil sie ihn inhaltlich aufsprengt.» 116 Sauter fährt fort, indem er Pannenberg zitiert: «,Bei Jesus ist der Bezug auf das Ganze der Wirklichkeit durch den ... eschatologischen Charakter seiner Botschaft, seines Anspruchs und seines Geschicks gegeben; denn eben dadurch, daß ihr Ende - das im Anspruch und im Geschiok J esu vorweg ereignet wird - in Sicht kommt, gewinnt die Geschichte zuallererst ihre Ganzheit' - keineswegs, denn dieses Verhältnis von Sicht und Ereignis zerstört gerade die apokalyptische Balance von ,ganzer' Geschichte und Offenbarung! Die ,Gleichzeitigkeit' von Ganzheit und Ende bleibt ein teleologisches, kein eschatologisches Axiomll. 117 Sauter liegt auch daran zu betonen, daß für den endlichen Menschen eine Totalanschauung unerreichbar ist. «Der ,universalgeschichtliche' Gedanke aber vertritt den Anspruch einer Totalität der Wahrheit selbst. Das Wahre ist das Ganze! Dieser Impuls darf jedoch allein im Blick auf das Noch-Nicht unserer Erkenntnis aufgenommen werden und erlaubt keine Vorwegnahme des Vollkommenen (1. Kor. 13,9 f. 12).»118 Er erinnert an die Verwendung des Wortes «proleptisch» bei Barth, um auf die Anmaßung des Menschen hinzuweisen ((kein Vorgriff, der Gottes Fülle ergreifen wilh) , um vor der möglichen Gefahr oder dem Mißbrauch im Verständnis der Vorwegnahme zu warnen. Sauter, a. a. 0., S.256. Sauter, a. a. 0., Anm.12; er zitiert Pannenberg, «Kerygma und Geschichte)), «Studien zur Theologie der alttestamentlichen Überlieferungen)), S.139, Anm.19. 118 Sauter, a. a. 0., S. 183 f.
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«Antizipatorische Sicherheit, die securitas also», würde «als verkehrte Hoffnung gerade der Prolepse das nehmen (wollen), was sie begründet: nämlich Tat Gottes selber zu sein. Der Mensch reißt verheißene Zukunft in proleptischer Sicherheit an sich - und sei es auch nur, indem er, unter Hinweis auf die Prolepse des Endes der Welt, sich ihrer Ganzheit und damit der Geschichte der Verheißung versichern will. Wenn (wie bei W. Pannenberg) ,Prolepse' als mobiler theologischer Ganzheitsbegriff dienen soll, muß diese Gefahr gesehen werden, gerade weil er ein eschatologisch angemessener Terminus ist» .119 Die Gegenüberstellung der Theologie der Geschichte und der Theologie des Wortes zeigt sich in Sauters Diskussion der Überlieferungsgeschichte, die er lieber als den hermeneutischen Prozeß denken möchte, den eine Verheißung durchläuft, wenn sie im Lichte fortschreitender Ereignisse neu interpretiert wird, wobei die Verheißung die Grundlage darstellt, auf der solche Ereignisse sich rückblickend zu einer Folge göttlicher Akte zusammenordnen, die eine Geschichte genannt werden kann. «Kann aber im Anschluß daran ohne weiteres von geschichtlicher Ko.ntinuität gesprochen werden? Diese vom Thema prophetischen Gedenkens her durchaus offene Frage muß im Gegenüber zum totalen Anspruch einer ,Welt als Geschichte' gestellt werden, denn dieser Anspruch rechnet mit dem Kontinuum geschichtlicher Welt in ihrer Einheit und Ganzheit ... Wenn es zutrifft, daß in der Prophetie ,das künftige Heilsgeschehen nach Analogie des vergangenen vorgestellt' wird, dann ist dieses ,Vorstellen' an den Rückruf des Gewesenen und insofern an die Verheißungsüberlieferung gebunden, die den Verständnishorizont entwerfen hilft. Wäre eine Verheißung ein solcher ,Begriff', der mit dem Hinweis auf früheres göttliches Handeln oder zumindest auf alte Ankündigungen das Kommende allein zu erkennen gäbe?»120 119 120
A. a. 0., S. 265 f. A. a. 0., S. 208 f.; er zitiert Pannenberg, a. a. 0., S. 136.
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Sauter möchte die Verheißung lieber als die aktive Kraft ansehen, die Geschichte hervorruft, und nicht einfach als Kommentar zu ihr. In ähnlicher Weise erkennt Sauter die Überlieferungsgeschichte als eine Methode an, versteht aber Verheißung im Unterschied zu ihr lieber als das, was für die Wirklichkeit grundlegend ist. «1Der Gang der Beobachtung, der Befragung prophetischer Texte auf Traditionselemente, die auf einen Kontext der Überlieferung schließen lassen, kann mit dem Zustandekommen dieser Texte selbst verwechselt werden. Die Methode wird in ihren Schlüssen mit dem Gegenstand vertauscht, zumindest gleichgesetzt. Traditionsgeschichte als Prozeß eklektischer und so schöpferischer Auslegung des Überlieferten - wie sie doch nur nachträglich in ihrem Ertrag, nicht aber in ihrem Vollzuge festgestellt werden kann! - wird zur kontinuierlichen Voraussetzung von prophetischer Eschatologie, ja von Verheißung selbst ... ,Verheißung' kann also innerhalb eines solchen traditionsgeschichtlichen Entwurfes kaum anderes ,anzeigen' als den Antrieb einer Überlieferung, die mit Gehalten so übersättigt ist, daß sie sich in einzelnen (durchaus einmaligen und unwiederholbaren) Situationen nicht erschöpfen kann. Das Interesse an geschichtlicher Kontinuität als durchgängiger ,Struktur' der Verheißungsgeschichte wird sich aber fragen lassen müssen, ob es -die Beweglichkeit prophetischen Gedenkens beachtet, das die Zukunft durchaus nicht nach Maßgabe der Vergangenheit entwerfen kann, auch nicht im Spielraum wachsender Erfahrung. Zu sehr bleibt das Gewesene im Gespräch, wird dem Eingedenken zugewiesen oder dem Vergessen überantwortet. Nicht von vorgegebener Kontinuität aus sind die Zäsuren, die Kehren und Neuansätze der verhandelten Geschichte aufzuzeigen, sondern Gottes Treue ,besteht' in und trotz aller vordergründigen Diskontinuitäten der Überlieferung.»121 Deswegen ist Sauter an der Offenheit der Zukunft interessiert, wenn diese auf die 121
Sauter, a. a. 0., S. 210 f. 131
überlieferungsgeschichte projiziert wird 122, und denkt die Zukunft lieber als Gottes Verheißung (eng!.: promise), wobei promissio ein Ausdruck ist, den Luther gerne zur Bezeichnung des Wortes Gottes verwendete. Die Theologie W. Pannenbergs ist bis zu einem gewissen Grade in Amerika schon bekannt und diskutiert. Er war im Frühjahr 1963 Gastprofessor an der Universität von Ohicago und hielt während dieser Zeit überall in den USA Vorlesungen. Die konservative Kirchenzeitung «Christianity Today» begrüßte ihn als Ausweg aus dem «Chaos in der europäischen Theologie».123 Und Daniel P. Fuller, der Dekan des Fuller Theological Seminary, ist zum eifrigen Verfechter der pannenbergschen Theologie geworden, obwohl er wünschen würde, «Pannenbergs System leicht» dahingehend «zu verändern», daß es den Supranaturalismus ein122 123
A. a. 0., S.194. Der zweite Beitrag in der unter diesem Titel erscheinenden Aufsatzreihe, in der Ausgabe vom 9.10.64, S.19, schließt mit einem positiven Abschnitt, der, interessant genug, «Neuland in der Theologie» überschrieben ist und der mit folgenden Worten beginnt: «Die maßgebende Theologie der voraussehbaren Zukunft ist wahrscheinlich nicht die Barths, Brunners oder Bultmanns, sondern vielmehr eine Alternative zu allen dreien. Die Schule der Heilsgeschichte setzt sich für eine intensivere Verbindung von Offenbarung und Geschichte ein. Die traditionell-konservativen Forscher haben längst die dialektische Theologie immer stärker angegriffen. Und unter einigen Anhängern W. Pannenbergs aus Mainz ist eine Revolte gegen die dialektische Theologie im Gange ... » Vgl. in derselben Ausgabe den Artikel «Offenbarung in der, Geschichte», S. 33:
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schlösse. 124 Das amerikanisdhe Luthertum, dessen traditioneller Konservativismus es gegenüber der zeitgenössischen deutschen Theologie zurückhaltender gemacht hat als seine denominationellen und kulturellen Bindungen erwarten lassen sollten, neigt dazu, Pannenbergs Gedanken zustimmend zu verfolgen. 125 Darüberhinaus findet Pannenbergs Kritik an der modernen historischen Methode in Richard R. Niebuhrs «Auferstehung und historische Vemunft»126 ihr kongeniales Gegenstück, so daß die beiden Theologen unabhängig voneinander ähnliche Positionen erreicht haben. Und lohn B. Cobb lr. begrüßt Pannenbergs radikalen Bruch mit der dialektischen Theologie und die damit einhergehende Offenheit für amerikanische theologische Strömungen, die stärker in der hegelianischen als in der kantianischen Tradition stehen. 127 Das für 1967 vorgesehene Erscheinen der englischen Übersetzung der Monographie «A New German Theological Movemenh, Scottish Journal of Theology, XIX, 1966, S.160-175, besonders S.175; «The Resurrection of Jesus Christ and the Historical Method», Journal of Bible and Religion, XXXIV, 1966, S. 18-24. Vgl. auch Fullers Basler Dissertation, «Easter Faith and History», Grand Rapids 1965, bes. S. 176-197, 237 f., 251-253. 125 Die lutherische Zeitschrift «Dialogue» nennt Pannenberg als einen ihrer Herausgeber und hat Artikel von ihm veröffentlicht: «The Crisis of the Scripture-Principle in Protestant Theology», 11, 1963, S.307-313; «Did Jesus Really Rise from the Dead?» IV, 1965, S. 128-135. Vgl. den Artikel ihres Herausgebers, Carl E. Braaten, «How New Is the New Hermeneutic?», «Theology Today» XXII, 1965, S.218-235, in dem seine Polemik gegen Band 2 dieser Reihe (vgl. dazu meine Antwort in der «Critic's Corner», a. a. 0., S.277-282) nur von seinem Enthusiasmus für die theologische Position übertroffen wird, die im dritten Band diskutiert wird. Vgl. auch den Artikel von Robert 1. WiIken, «Who is Wolfhart Pannenberg?», Dialogue IV, 1965, S.140-142. 126 «Resurrection and Historical Reason. A Study of Theological Method», NewYork 1957. 127 «A New Trio Arises in Europe», wieder abgedruckt aus der Zeitschrift «Christian Advocate» vom 2. Juli 1964 in «New Theology No. 2», hrsg. von Martin E. Marty und Dean G. Peermann, New York 1965, S.257-263, bes. S. 261 f. 124
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«Grundzüge der Ohristologie» wie auch eine Gastprofessur Pannenbergs in Harvard 1966/67 geben der Diskussion der Theologie Pannenbergs in Amerika zusätzliche Impulse. Deswegen ist dieser Band nur ein Vorgeschmack bedeutender kommender Ereignisse.
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2. DIE OFFENBARUNG GOTTES IN JESUS VON NAZARETH WOLFHART PANNENBERG
(1963)
I. Das zentrale Bekenntnis der Christen besagt, daß wir es in Jesus von Nazareth mit Gott selbst zu tun haben. Darum können wir hoffen, durch Jesus das Heil zu erlangen; denn das Heil, die Glückseligkeit, nach der alle Menschen streben, findet Erfüllung nur durch Gemeinschaft mit Gott. Doch wie können wir in J esus Gott finden? Das ist für den modemen Menschen immer schwieriger geworden. Wir finden Gott nicht mehr in der Welt und nicht mehr in der Geschichte der Menschheit. Wir kennen auch J esus nur noch als Menschen. Er mag ein besonders edler Mensch sein, aber es wird uns Heutigen schwer zu verstehen, daß J esus mehr als ein bloßer Mensch sei. Das Problem wird noch schwieriger dadurch, daß oft versichert wird, wir wüßten ohne J esus gar nichts vOn Gott. Der Gottesgedanke in jeder Form scheint vielen Menschen heute durch den Atheismus erschüttert. Die Ansicht gilt weithin als selbstverständlich, daß unser Weltbild des Gottesbegriffs nicht mehr bedarf. Man hat sogar erwogen, ob nicht christlicher Glaube ohne Gott, ohne ein Reden von Gott und ohne den Gedanken Gottes, möglich wäre. 1 Die Theologie hat sich aber auch den Atheismus auf die Weise zunutze gemacht, daß sie behauptet, das Reden von Gott sei selbst erst von J esus Christus her begründet. Wie aber 1
Siehe H. Braun, Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments, ZThK Beiheft 2, 1961, 1-18. Braun versucht eine Entmythologisierung des Gottesbegriffs. Dabei zeigt sich Gott als «eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit)) (18). 135
finde ich dann Gott in J esus? Wie finde ich in ihm die Wirklichkeit, die mich unbedingt angeht und durch die Jesus mir wichtiger wird als alle andern Menschen? Finde ich sie vielleicht nur so, daß ich mich ihm ohne Vorbehalt anvertraue? Aber wie komme ich dazu? Früher einmal meinte man, daß das Gewissen der Menschen durch die ethische Hoheit Jesu so überwältigt wird, daß sie sich deswegen von seinem Bilde leiten lassen und sich ihm ganz anvertrauen können. Doch mir scheint, daß auch dieser Weg heute versperrt ist. 2 Das Gewissen hat keine überall und zu aller Zeit gleichen Maßstäbe. Die letzten fünfzig Jahre haben gezeigt, wie wandelbar der Inhalt der Gewissen sein kann. Gerade die ungeheuerlichsten Taten werden von den Menschen nicht mit schlechtem, sondern mit gutem Gewissen vollbracht. Und es gibt Standpunkte, von denen aus die Gestalt Jesu keineswegs in ihrer sittlichen Hoheit unüberbietbar, sondern vielmehr als einseitig erscheint, als ein Mensch, der den Aufgaben des Menschen in der Welt aus dem Wege gegangen ist. Bleibt dann also nur der Anspruch J esu übrig, man solle ihm folgen? Berechtigt die bloße Aufforderung - sei es durch J esus selbst, sei es durch die Verkündigung der Kirche - schon dazu, sich J esus und seiner Botschaft anzuvertrauen? Wäre das nicht sehr leichtgläubig gehandelt? Hat etwa Jesus selbst in solcher Weise das Vertrauen seiner Hörer gefordert? Nein, er berief sich auf den Gott Israels, auf einen seinen Hörern bekannten Gott. Er stand in einer Tradition, die das Kommen dieses Gottes, das Kommen seiner Herrschaft, erwartete; und eben diese Zukunft kündigte er als nah an. Die Nähe der Herrschaft Gottes wurde im Blickfeld seines Denkens und seiner Botschaft so beherrschend, daß alle übrigen Aufgaben und Lebensinteressen daneben zur Bedeutungslosigkeit herabsanken. Infolgedessen wurde freilich J esu Botschaft mit seiner Per2
Näheres dazu in meinem Aufsatz: «Die Krise des Ethischen und die Theologie», ThLZ 87, 1962, 7-16.
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son eins. Die Ablehnung seiner Person, deren Lebensinhalt die Ankündigung der Gottesherrschaft war, mußte die Ablehnung der Nähe Gottes selbst bedeuten. Und wo Jesus persönlich aufgenommen wurde, da wurde auch seine Botschaft aufgenommen. Durch die Ausschließlichkeit, die er für die Nähe Gottes in Anspruch nahm, so daß die Ausrichtung auf den nahen Gott das einzig Dringliche im Leben eines jeden Menschen sei, wurde er selbst mit seiner Botschaft eins. Jesus erkannte, daß mit der Annahme oder Ablehnung der Herrschaft Gottes als Leitstern des eigenen Lebens alles für einen Menschen entschieden ist, sei es zum Guten oder zum Schlimmen. Das Vorleben der Menschen, ob es nun durch Verdienste ausgezeichnet oder durch Sünden belastet war, galt ihm demgegenüber als gleichgültig. Darum konnte Jesus denen, die sich seiner Botschaft von der Nähe Gottes öffneten oder auch nur seiner Person Vertrauen entgegenbrachten, ohne jede weitere Bedingung Vergebung der Sünden zusprechen. Prägnanten Ausdruck fand Jesu Botschaft darin, daß er mit Zöllnern und Sündern - also mit in jeder Hinsicht disqualifizierten Leutendas eschatologische Mahl feierte: ließen sie sich auf die Tischgemeinschaft mit ihm ein, dann hatten sie seine Botschaft zugleich mit ihm selbst, der in Person die von ihm verkündete Nähe Gottes brachte, angenommen; dann waren sie bereits der Gemeinschaft mit Gott teilhaftig, die im Bilde der Tischgemeinschaft für die Endzeit erhofft wurde. Der Ausgangspunkt des ganzen, hier kurz angedeuteten Verhaltens J esu war also die Ankündigung, daß die von den Juden schon vor dem Auftreten J esu erwartete und erbetene Herrschaft ihres Gottes nahe sei. J esus forderte also nicht ohne nähere Begründung Vertrauen auf seine Person. Seine Person kam nur indirekt ins Spiel wegen der Eigenart seiner Botschaft, wegen ihrer Ausschließlichkeit, die wieder damit zusammenhängt, daß es in ihr um Gott ging. Und seine Botschaft setzte bei den Hörern nicht nur ein Wissen von Gott, sondern auch die Erwartung seiner künftigen Herrschaft auf Erden schon voraus. Jesus brachte 137
kaum etwas ganz Neues. Er teilte die israelitische Tradition seiner Hörer. Er machte nur ihren Kern, das Verhältnis zu Gott, mit einer solchen Schärfe geltend, daß er zu andern Elementen der israelitischen überlieferung, vor allem zur überlieferten Geltung des Gesetzes, in einen Widerspruch geriet, der neu war und Konflikte heraufbeschwor. Wenn also der überlieferungszusammenhang mit dem Gottesverständnis und der Enderwartung Israels für Jesu Botschaft konstitutiv war und folglich auch für seinen Vollmachtsanspruch, dann entspricht es nicht dem Verhalten Jesu, wenn heute sein nackter Vollmachtsanspruch bzw. der durch ihn legitimierte Anspruch der christlichen Verkündigung zur letzten Grundlage des Glaubens erklärt wird. Der Anspruch J esu wird erst verständlich im Zusammenhang mit dem, was er schon voraussetzt: in Verbindung mit einem Wissen von Gott und mit der Erwartung einer künftigen Herrschaft des Willens Gottes auf Erden. Zwar zeigt sich der Gott Israels erst in der Botschaft Jesu so, wie er wahrhaft ist; aber dennoch ist eine Kenntnis von ihm für das Verständnis der Botschaft Jesu schon vorausgesetzt. Zuvor kannten die Juden ihren Gott und kannten ihn doch nicht recht; sonst hätten sie Jesus nicht verworfen. Erst von Jesus her wird ganz deutlich, was es mit dem Gott Israels auf sich hat. Und doch setzt solche endgültige Erkenntnis ein ihr schon vorangehendes Wissen von diesem Gott und die Hoffnung auf ihn voraus. Von diesen seinen Voraussetzungen herkommend dem Anspruch J esu zu glauben, bedeutet offensichtlich etwas ganz anderes als ohne sie sich zu J esus halten. Zwar hat J esus, der Bedingungslosigkeit seiner Botschaft entsprechend, anscheinend auch das Vertrauen von Nichtjuden gefunden und angenommen. Aber das ist etwas anderes als der Aufruf zum Glauben, der durch die Verkündigung ergeht. Mit dieser wandte Jesus sich nur an die Juden. Nun sind die jüdischen Voraussetzungen nicht ohne weiteres die unseren. Wir stehen nicht in der überlieferung Israels, es sei denn durch Jesus - aber eben wie wir zu Je138
sus (und dann vielleicht durch ihn auch zu Israel) kommen, das ist unser Problem. Für Nichtjuden steht die Einzigartigkeit Israels im Kreise der übrigen Religionen keineswegs von vornherein fest. Sie können den Gott Israels zunächst nur als eine unter vielen Gottheiten der Religionsgeschichte ansehen. Was der Gott Israels bedeutet, kann für Nichtjuden nur im Zusammenhang der Bedeutung der Religionsgeschichte und überhaupt der religiösen Phänomene in den Blick kommen. Bedeuten diese gar nichts, dann kann auch der Gott Israels uns schwerlich wichtig werden. Kommen wir aber zu der überzeugung, daß die religiösen Erfahrungen und Vorstellungen der Menschen es nicht nur mit Wahngebilden, sondern mit einer wenn auch vielleicht seltsam unangemessen verstandenen Wirklichkeit sui generis zu tun haben, daß etwas «dahinter)) ist, was wir ernstnehmen müssen, dann und in diesem Rahmen gewinnt auch der Gott Israels für uns den Charakter einer Realität, und dann wird es relevant zu fragen, worin etwa seine besondere Eigenart im Unterschied zu anderen Göttern anderer Religionen zu erblicken ist. Auch diese ist freilich immer auf dem Hintergrund des allgemeinen Phänomens der Religion und im Zusammenhang der Religionsgeschichte zu verstehen. Diese für den Nichtjuden unumgängliche Betrachtungsweise steht übrigens keineswegs in unüberbrückbarem Gegensatz zu der Weise, wie der Jude selbst und wie also auch Jesus auf den Gott Israels bezogen war. Daß die Religion Israels nicht für sich allein genommen, sondern im Zusammenhang ihrer religiösen Umwelt gesehen wird, ist keine ihr selber äußerliche Betrachtungsweise. Israels Religion ist nicht als Offenbarungsreligion senkrecht vom Himmel gefallen. 3 Vielmehr sind die Anfänge Israels und gerade auch die seiner Gottesgestalt ganz in die Religions3
Dazu siehe den Aufsatz von K. Koch, Der Tod des Religionsstifters. Erwägungen über das Verhältnis Israels zur Geschichte der altorientalischen Religionen, in: Kerygma und Dogma 8, 1962, 100-12'3. Zum Folgenden bes. 105 ff.
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geschichte des Alten Orients verflochten. Wir wissen heute, daß der biblische Gottesgedanke aus etwa sieben verschiedenen Wurzeln zusammengewachsen ist: Jahwe, der kenitische Wallfah.l'tsgott, von dem der Gott des Auszugs ursprünglich wohl noch verschieden war, verschmolz erst in Palästina mit den drei Vätergottheiten, die wohl schon ihrerseits mit dem gemeinsemitischen Himmelsgott EI und so auch untereinander verbunden worden waren. Diese Ursprünge sind so geartet, daß wir keine andere Besonderheit an ihnen erkennen können, als sie jedem religiösen Einzelphänomen innerhalb seiner Art eigen ist. Die Eigenart der Religion Israels, durch die sie sich aus ihrer religionsgeschichtlichen Umgebung heraushebt, ist erst im Verlaufe ihrer Geschichte zunehmend deutlicher geworden. Aber bis in persische und hellenistische Zeit gestaltete sich die religiöse Eigenart Israels in unablässiger Auseinandersetzung mit seiner religiösen Umwelt. Ohne gewisse, den Israeliten mit ihrer Umwelt gemeinsame Voraussetzungen, ohne fremde Anregungen, die noch in der assimilierenden Verwandlung fortwirken, ist das Werden der religiösen Traditionen Israels undenkbar, also auch das Auftreten J esu, sofern es sich auf diese besonderen überlieferungen zurückbezieht. Der Nichtjude muß, sofern er nicht scihon selbstverständlich mit der christlichen Tradition auch das Alte Testament übernommen hat, sondern der Wahrheit der christlichen Tradition selbst sich vergewissern will, zu einem Verständnis der Besonderheit Israels von der allgemeinen Religionsgeschichte her kommen. Die Frage nach der Wahmeit,die religiösen Phänomenen überhaupt zuzubilligen ist, ermöglicht die Frage nach dem Wahrheitssinn der religiösen Wandlungen und Besonderheiten. Letztere sollen keineswegs in einen Allgemeinbegriff von Religion aufgelöst werden. Aber ein solcher ist unerläßlich, wenn man einer bestimmten Religion in erster, abstrakter Annäherung einen Sinn abgewinnen will. Solche abstrakte Vorstellung muß dann freilich durch das Eindringen in die 140
besondere historische Gestalt der betreffenden Religion nicht nur modifiziert, sondern aufgehoben werden. Dabei ist natürlich entscheidend, ob die gesohichtlichen Wandlungen und Besonderheiten im Vergleich zum allgemeinen Begriff der Religion als etwas Wesentliches oder als etwas Nebensächliches beurteilt werden. In dieser Richtung ist in der hellenistischen Welt die Aufnahme der Botschaft J esu und ihres jüdischen Erbes tatsächlich erfolgt. Die Frage der griechischen Philosophie nach der wahren Gestalt des Göttlichen, nach dem Göttlichen, wie es «seiner Natur nach», nämlich von ihm selbst her besteht, im Unterschied zu den menechlichen Vorstellungen der überlieferten Religionen, ermöglichte den Menschen des Hellenismus einen Zugang zu allen fremden religiösen Traditionen. Die ursprünglich philosophische, aber ins populäre Bewußtsein ausstrahlende Frage nach dem wahrhaft Göttlichen entsprach als Voraussetzung der urchristlichen Heidenmission weithin dem alttestamentlichen Gottesgedanken, wie er in der Botschaft J esu vorausgesetzt war. In der Tat bedurfte es damals wie heute der Überzeugung, daß ein einziger Gott der Urheber der Welt und alles Wirklichen ist, entsprechend der Voraussetzung des israelitischen Gottesgedankens, damit die Botschaft Jesu bei Nichtjuden überhaupt Verständnis finden, sein Anspruch als sinnvoll erfahren werden kann. Diese Voraussetzung ist jedoch noch genauer zu präzisieren. In der Geschichte des griechischen Denkens ist das wohl erst im Hellenismus geschehen: Der eine Gott ist in seinem Wesen nicht jedermann bekannt, sondern unbekannt; der Mensch ist daher auf seine Offenbarung angewiesen, um durch die Verbindung mit ihm Erlösung von der Vergänglichkeit und Teilhabe an seinem unvergänglichen Leben zu erlangen. Erst in einer so gearteten geistigen Situation konnte die Botschaft J esu von der kommenden Gottesherrschaft, sowie die von ihm geteilte apokalyptische Erwartung einer damit verbundenen Verwandlung der Gerechten zu einem unvergänglichen Leben auf Verständnis bei 141
nichtjüdischen Hörern stoßen oder zumindest in ihre geistige Welt übersetzt werden. Nun sind freilich die heidnischen Voraussetzungen den jüdischen der Botschaft J esu, an deren Stelle sie für die hellenistisch-christliche Mission getreten sind, nicht einfach gleichwertig. Aus der jüdischen Tradition ist J esus selbst mit seiner Botschaft hervorgegangen. Ihr gegenüber brachte sie nichts völlig Neues, sondern machte den zentralen Inhalt des jüdischen Glaubens, nämlich die Hoffnung auf den Gott Israels selbst, auf eine so radikale und nur insofern neue Weise geltend, daß alles Übrige daneben als belanglos erscheinen mußte, auch wenn es bis dahin wie das überlieferte Gesetz - als Heilskriterium gegolten hatte. Insofern bedeutet die Botschaft Jesu eine Verwandlung auch des jüdischen Erbes, ja sogar des bisherigen jüdischen Gottesgedankens, obwohl Jesus gerade in diesem Punkte ganz von der Überlieferung her kam: Die an sich traditionelle Erwartung der kommenden Gottesherrschaft wurde bei Jesus der allein entscheidende Gesichtspunkt. So verwandelte sich das überlieferte Verständnis von Gott als dem Garanten des Gesetzes in den Gedanken des durch J esu Botschaft in bedingungsloser Liebe den Menschen zugekehrten, ihre Sünden vergebenden Vaters. Diese Verwandlung erfolgte eben nicht durch eine Neuerung, sondern gerade dadurch, daß J esus die Erwartung der kommenden Gottesherrschaft bedingungslos ernstnahm. Das Verhältnis der urchristlichen Botschaft zum philosophischen Gedanken des wahren Gottes bedeutet demgegenüber eine Begegnung ganz verschiedenartiger Positionen und nötigte darum auch das hellenistische Gottesverständnis zu einer in ihm an und für sich nicht vorgesehenen Verwandlung. Die jüdische Tradition verwandelte sich durch das Auftreten Jesu von innen her, der hellenistische Gedanke des unbekannten, einen Gottes jedoch wurde gleichsam von außen her, eben durch das biblische Erbe, wie es ihm in der Gestalt der Ohristusbotschaft begegnete, beschlagnahmt und umgewandelt. Freilich widerfuhr dabei 142
auch dem hellenistischen Gottesverständnis, wie es oben angedeutet wurde, nicht Gewalt, sondern eher eine tiefere Erfüllung. Der Hellenist konnte den Gott, nach dessen wahrer Natur er fragte, in der christlichen Missionsbotschaft in einer überraschenden, unvorhergesehenen Gestalt finden. Die jüdische Gesetzesreligion hingegen mit ihrer Konservierung längst überholter Elemente speziell jüdischer Überlieferung konnte den Menschen des Hellenismus trotz aller jüdischen Propaganda nie wirklich überzeugen als die allein wahre Gottesverehrung, wie etwa Philo sie darstellte. Insofern hat der Epheserbrief gerade auch den religionsgeschichtlichen Vorgang der Ausbreitung des christlichen Glaubens in der hellenistischen Welt richtig charakterisiert durch den Gedanken, daß durch das Kreuz Jesu Christi das Gesetz als der Zaun, die Scheidewand, die Juden und Heiden voneinander trennte, abgebrochen worden ist (Eph. 2, 13 ff.). Erst in Gestalt der christlichen Botschaft hat der biblische Gott die nichtjüdische Welt von seinem Anspruch, der allein wahre Gott zu sein, überzeugt.
II. Die bisherigen Erwägungen haben ergeben, daß der Vollmachtsanspruch Jesu nicht isoliert für sich zum Grunde des Glaubens an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus geworden ist, weil die Botschaft Jesu selbst ein Wissen von Gott bei ihren jüdischen Hörern sohon voraussetzte. Wir sahen, daß dieser Voraussetzung später, auf seiten der nichtjüdischen Hörer der urchristlichen Missionsbotschaft die Voraussetzung der durch die Philosophie geprägten Frage nach dem wahren Gott im Unterschied zu den Göttern der Polis entsprach. Freilich ließ weder die Botschaft J esu, noch die urchristliche Ohristusverkündigung es bei diesen Voraussetzungen bewenden. Vielmehr wurde das vorausgesetzte jüdische Wissen von Gott durch das Auftreten J esu umgeschmolzen; der Gott der Juden zeigte sich 143
erst jetzt als der, der er eigentlich ist. Und die Gottesfrage der Griechen wurde, indem sie ihre Antwort fand, zurechtgerückt. 4 Die Antwort findet sich nicht in der Richtung der Frage, sondern verwandelt den Fragenden selbst. Er erfährt nun erst, nach wem er gefragt hat. Dabei kann man von den Heiden offenbar nicht im gleichen Sinne wie im Hinblick auf Jesu Ve~hältnis zu den Juden sagen, daß sie schon denselben Gott gehabt hätten, der ihnen in der Christusbotschaft begegnete. Sie hatten ihn - im Unterschied zu den Juden - allenfalls in der Weise der offenen Frage. Diese dem Menschen nie ganz verlierbare Frage nach Gott war jedoch bei den Heiden durch mancherlei Verkehrung verdunkelt. Sie verwechselten die Gestalt des Schöpfers mit der der Geschöpfe (Röm. 1, 18 ff.), und sie verwechselten die Frage mit einem Schlüssel zur Erlangung der Antwort, durch das philosophische Verfahren des Rückschlusses von der Welt (oder dem Menschen) auf den wahren Gott. Die Juden hingegen hatten schon den wahren Gott, wenn sie auch noch nicht erkannten, wer dieser Gott eigentlich ist. Inwiefern ist nun aber durch Jesus offenbar geworden, wer der Gott Israels eigentlich ist? Werden wir hier nun doch wieder auf den bloßen Anspruch, mit dem J esus auftrat, zurückgeworfen? Dann hätte dieser Anspruch zwar gewisse Voraussetzungen für seine Verständlichkeit, zunächst auf seiten der Juden, aber letztlich käme es dann doch auf die «Entscheidung» der Hörer an, ob sie das durch J esus verkündete, neue Gottesverständnis annehmen wollten oder nicht. Und hierin wäre die Situation der Nichtjuden derjenigen der Juden ganz analog. Halten wir uns zunächst wieder an das Verhältnis der ursprünglichen Hörer J esu zu seiner Botschaft. Ging es hier um Entscheidung gegenüber dem Neuen, das Jesus brachte? Allerdings, man wird es nicht bestreiten können. Jesus rief seine Hörer auf, sich ganz und gar der nahen Zukunft Got4
Siehe dazu meinen Aufsatz: «Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie)), in: ZKG 70, 1959, 1--45, bes. von S. 12 an.
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tes und seiner Herrschaft zuzuwenden, und von der Annahme oder Ablehnung dieser Aufforderung machte er das Endheil jedes Einzelnen abhängig. Das bedeutet gewiß, daß Jesus den Anspruch erhob, daß die Geister sich an seiner Person als an dem Verkünder der Nähe Gottes scheiden sollten. Dazu ist aber zweierlei zu bemerken. Erstens erhob Jesus diesen Anspruch für sich selbst nicht unverhüllt, sondern nur mittelbar, implizit. In erster Linie erhob er ihn für seine Botschaft von der Nähe der Gottesherrschaft. Diese aber brachte gar nichts schlechthin Neues, sondern machte nur den zentralen Inhalt der israelitischen Überlieferung, den Vorrang des Gottes Israels vor allen andern Mächten und Rücksichten und die Hoffnung auf die künftige Herrschaft seines Willens auf Erden als allein entscheidend geltend. Insofern ist der Vollmachtsanspruch Jesu nicht in der bloßen Subjektivität Jesu begründet, sondern erwächst aus seiner ganz in Israels Überlieferung wurzelnden Botschaft. Er gewinnt seine schneidende Schärfe dadurch, daß dem Gott der eschatologischen Hoffnung gegenüber die Einzelbestimmungen des überlieferten Gesetzes und die kultischen Traditionen Israels nebensächlioh werden. Im Namen der alleinigen Ehre des israelitischen Gottes konnte Jesus sich über israelitische überlieferungen hinwegsetzen, die bis dahin als unantastbar galten. Für dieses Verhalten konnte er obendrein noch die Endgültigkeit der kommenden Herrschaft Gottes selbst in Anspruch nehmen. Das war konsequent von der Botschaft J esu her. Aber es läßt sich doch nicht verkennen, welchen Zwiespalt es unter den Hörern Jesu hervorrufen mußte, die nun auf einmal wählen sollten zwischen dem, was bisher zusammengehörte, zwischen Gott und Gesetz. Indem in der Person Jesu die jüdische Überlieferung mit sich selbst in Konflikt geriet, stand sein eigenes Auftreten in einer Zweideutigkeit, die sich nur dadurch lösen konnte, daß der Gott Israels selbst sich zu ihm bekannte. Das ist die zweite Bemerkung, die zur Kennzeichnung des Auftretens J esu als Entscheidungsruf hinzuzufügen ist. Die Botschaft Jesu war 145
wohl gerechtfertigt von zentralen Zügen der israelitischen Überlieferung her. Nur darum war es überhaupt möglich, daß er bei seinen jüdischen Hörern Glauben fand. Aber zugleich trat sie um des Gottes Israels willen vielem, was mit ihm und dem künftigen Heil nach israelitischer Überlieferung unlöslich verbunden schien, entgegen. Auch solche Entgegensetzung war nun freilich ermöglicht durch die spezifische, apokalyptische Traditionslinie, von der J esus herkam. «Wo der Blick auf Gott sich nicht auf die Tora, sondern vielmehr auf die Geschichte und auf ihr Ende richtet, da allein kann eine Polemik gegen das rabbinische Gesetzesverständnis entstehen, wie sie bei Jesus vorliegt.»5 Zugleich stand Jesus von Prophetie und Apokalyptik her in einer Tradition proleptischer Offenbarung, vorweg erschauter Zukunft: Nur wo man gewohnt ist, unter Berufung auf von Gott selbst im voraus gewährte Kundgabe «das Kommen dieses entscheidenden Endhandelns Gottes als ein Wissen zu lehren, das über die geschriebene Tora hinaus proleptisch schon jetzt eschatologische Gültigkeit hat, dort erst bestand die Bedingung der Möglichkeit, in der Weise Jesu den Anspruch besonderer Autorität gegen die allumfassende Autorität der rabbinischen Tora zu behaupten». 5 Allerdings war J esus kein apokalyptischer Seher oder Sammler. Er gab keine symbolische Darstellung des Geschichtslaufes bis zum Ende. Eher darf man Jesus im Zusammenhang einer apokalyptisch geprägten Prophetie denken; der Ruf zur Umkehr, mit dem er wie Johannes der Täufer auftrat, ist alte prophetische Tradition. Aber im Unterschied zur altisraelitischen Prophetie trat Jesus nicht mit speziellen Voraussagen hervor, sondern der Inhalt seiner Botschaft war die allgemeine eschatologische Erwartung der Gottesherrschaft, diese aber als nahe bevorstehend gefaßt. Und wegen der Ausschließlichkeit, die J esus für diese Botschaft in Anspruch nahm, weil 5
U. Wilckens, Das Offenbarungsverständnis in der Geschichte des Urchristentums, in: «Offenbarung als Geschichte», ed. W. Pannenberg (1961), 2. Aufl. 1963, 54.
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es in ihr eben um Gott selbst ging, war sein Auftreten selbst schon der Anbruch der von ihm verkündeten Gottesherrschaft. Jesus wußte sich dadurch offenbar auch von den prophetischen Traditionen, aus denen er kam, unterschieden und hob sogar schon den Täufer als den letzten der Propheten aus ihrer Reihe heraus (Mt. 11,9. 13). Aber auch sein Auftreten hat den Charakter der Vorwegnahme, und zwar nicht nur wie Prophetie und Apokalyptik im Sinne eines Vorauswissens des Künftigen, sondern als dessen vorzeitiger Anbruch. Was mit dem Auftreten Jesus schon im Anbruch war, das konnte man freilich nur im Horizont der Zukunftserwartung erkennen, die sich auf das Kommen der Gottesherrschaft richtete. So sind Gegenwart und Zukunft der Gottesherrschaft im Auftreten J esu ineinander verschlungen. Dabei gründet ihre Gegenwart in der Ausschließlichkeit, mit der Jesus die Menschen auf die Zukunft Gottes verwies. Die Unmittelbarkeit zu Gott, von der die Botschaft Jesu erfüllt ist und die besonders in der alltäglichen Sprache seiner Gleichnisse lebendig ist, gründet in seiner eschatologischen Botschaft. Erst im Lichte des Endes wird die Nähe des Schöpfers und damit das wahre Wesen der Schöpfung offenbar. Die Gegenwart der Gottesherrschaft in der Person Jesu ist also durch die Ausschließlichkeit seiner eschatologischen Botschaft vermittelt. Das macht die proleptische Gegenwart des Heils im Auftreten Jesu aus. Als Vorwegnahme jedoch war das Auftreten Jesu wesentlich bezogen auf das vollständige Kommen der Gottesherrschaft, auf die Erfüllung seiner Naherwartung. Der Vollmachtsanspruch Jesu konnte also nicht anders aufgenommen werden als so, daß sich wohl alle Blicke der von Jesus angekündigten Zukunft zuwendeten, und zwar sowohl die der Glaubenden als auch die der Gegner. Die Entscheidung gegenüber dem Ruf Jesu war nicht aufschiebbar. Doch wenn die Erfüllung der Naherwartung Jesu ausblieb, dann war nachträglich die Grundlage seiner Botschaft erschüttert. Auch wenn man der «konsequenten 147
Esohatologie)) von A. Schweitzer nicht ohne Skepsis gegenübersteht, was die Bedeutung der Parusieverzögerung für das Urchristentum und die weitere Kirchengeschichte angeht, so wird man für die Botschaft J esu selbst schwerlich um die Feststellung herumkommen, daß die Naherwartung auch im Sinne der zeitlichen Nähe für sein ganzes Auftreten konstitutiv war. Ohne sich der damit verbundenen Problematik zu stellen, kann man sich nach zweitausend Jahren nicht auf J esus berufen. Nun hat sich aber die Naherwartung J esu anscheinend nicht erfüllt, jedenfalls nicht so, wie Jesus und seine Zeitgenossen sie verstanden haben, nicht als Anbruch eines Endgeschehens von kosmischen Ausmaßen noch in J esu eigener Generation. Man darf das nicht bagatellisieren. Nur im Lichte der Nähe des Gerichtes und des Endheils der Gottesherrschaft wurden ja für Jesus alle Sorgen der Welt so eigentümlich nebensächlich. Das Auftreten J esu würde als das eines Schwärmers, der vielleicht ein sehr edler Mensch gewesen sein mag, beurteilt werden müssen, so wie etwa K. Jaspers Jesus sieht 6 , wenn nicht die Osterbotschaft da wäre und uns veranlassen würde, mit der historischen Realität des von ihr berichteten Geschehens zu rechnen. 7 Was ist doch der Inhalt der Botschaft von der Auferstehung Jesu? Sie besagt, daß das erwartete allgemeine Endgeschehen der Totenauferweckung an Jesus schon geschehen sei. Die Naherwartung Jesu hat sich also zwar nicht allgemein, wohl aber an seiner eigenen Person erfüllt. Die eschatologische Totenauferstehung nur eines einzigen Menschen ist allerdings eine der apokalyptischen Tradition ganz fremde Vorstellung. Sie kannte nur die endzeitliche Auferstehung aller Menschen, bzw. aller Gerechten gemeinsam. Gerade deswegen muß der urchristlichen Osterbotschaft ein Ereignis zugrundeliegen, das eine so einschneidende Änderung der traditionellen Enderwartung bewirkte. Den Jüngern Jesu und den übrigen Zeugen von 6
K. ]aspers, Die großen Philosophen I, 1957, 186-228.
7
R. R. Niebuhr, Resurrection and Historical Reason, 1957.
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Erscheinungen des Auferstandenen war offenbar etwas widerfahren, für das ihre Sprache kein anderes Wort besaß als den Ausdruck der eschatologischen Erwartung: Auferstehung von den Toten. Dieser Ausdruck ist ein Metapher. Er läßt uns an das Aufgewecktwerden und Aufstehen vom Schlafe denken. In den jüdischen Überlieferungen ist daher die Rede von der künftigen Totenauferweckung häufig mit der metaphorischen Kennzeichnung des Todes als Schlaf verbunden. Es ist wichtig, diesen metaphorischen Sinn unseres Redens von der Totenauferweckung - nicht etwa der gemeinten Sache selbst - zu beachten. Das bedeutet nämlich, daß wir nicht wissen, was diesem Wort eigentlich für eine Realität entspricht. Es übersteigt unsere Vorstellungskraft, weil wir diesseits des Todes leben. Von einem Leben jenseits des Todes können wir nur in Bildern der Hoffnung sprechen, in dem Bewußtsein, daß es sich um ein gänzlich anderes Leben handeln muß als alles, was wir jetzt unter diesem Namen kennen. Und so wissen wir eigentlich auch noch nicht, was damals an Jesus geschehen ist, welcher Art die Wirklichkeit des Auferstandenen im Verhältnis zu unserm gegenwärtigen Leben ist. Wir können nur metaphorisch davon reden. Wir können höchstens wissen, ob den Jüngern Jesu und den übrigen Osterzeugen eine Wirklichkeit begegnet ist, die auch für uns nicht anders verständlich ist als durch das Gleichniswort der eschatologischen Zukunftshoffnung: Auferstehung von den Toten. Die Urdhristenheit hat anscheinend erst langsam gelernt, daß mit der Auferstehung J esu noch nicht das allgemeine Endgeschehen begonnen hatte. Man meinte im Gegenteil, daß die Endereignisse sich nun in rascher Folge fortsetzen würden. Noch in der Bezeichnung Jesu als «der Erstgeborene von den Toten)) (KoI. 1, 18; Apoc. 1, 5; vgl. 1. Kor. 15, 20; Röm. 8, 29; Acta 3, 15) ist die ursprüngliche enge Verbindung der Begegnung mit der Wirklichkeit des Auferstandenen und der Erwartung des schnellen Fortgangs der Endereignisse für die Allgemeinheit spürbar. Auch der Ruf Maranatha beim Herrenmahl und die Erkenntnis, daß der 149
Auferstandene selbst der Menschensohn, der künftige Richter, sei, sind kennzeichnend für die Naherwartung der ältesten Gemeinde. Erst im Laufe der Zeit, durch die «Verzögerung» der Parusie Jesu, wurden die Christen sich dessen bewußt, daß die Auferstehung J esu als ein Einzelereignis, als ein exzeptioneller Vorgriff auf das allgemeine Endgeschehen zu verstehen sei. Die «Parusieverzögerung» hat jedoch nicht die Krise des christlichen Glaubens ausgelöst, die man ihr zugeschrieben hat; denn die Ohristen waren nun durch die Auferweckung J esu ihres eigenen künftigen Heiles gewiß, wann immer dieses eintreffen, wie lange immer es sich verzögern mochte. Ohne die Auferstehung Jesu wäre seine Botschaft als eine enthusiastische Verstiegenheit erwiesen. Die Auferweckung aber hat die Naherwartung Jesu in gewissem Sinne gerechtfertigt. An ihm selbst ist sie erfüllt worden. Freilich gesdhah das in anderm Sinne, als J esus und seine Jünger sich die angekündigte Zukunft vorgestellt haben dürften. Aber von aller «Erfüllung)) gilt ja, daß sie nur selten genau der Ankündigung, die ihr voraufging, entspricht. Trotzdem wird man sich angesichts der Auferweckung Jesu, angesichts der eschatologischen Qualität dieses Widerfahmisses, nicht damit begnügen können, daß Jesu Naherwartung unerfüllt geblieben sei. Indem die eschatologische Totenauferweckung an ihm selbst Ereignis wurde, hat der Gott, dessen Nähe Jesus verkündigte, sich selbst zu ihm bekannt. Jesus hatte den Anspruch erhoben, daß an der Stellungnahme zu seiner Botschaft das Heil oder Unheil eines jeden, wie es im kommenden Gericht festgesetzt werden wird, sich schon entscheide. Und eben dieser Anspruch ist durch die Verwirklichung des eschatologischen Heils der Totenauferweckung an J esus selbst bekräftigt worden: Gemeinschaft mit Jesus ist jetzt erst recht, wie Paulus erkannt und dargetan hat, die Bürgschaft des eschatologischen Heils für alle, die ihm verbunden sind. Der Anspruch J esu, daß sich an der Stellung zu seiner Botschaft und damit zu seiner Person das endgültige Los aller 150
Menschen entscheide, ist also durch -die Erscheinung des endgültigen Heils der Totenauferweckung an ihm selbst bestätigt worden. Da aber dieser Anspruch in der ausschließlichen Zuwendung, die J esus für die kommende Gottesherrschaft forderte, begründet war und diese wieder in der Nähe der Gottesherrschaft selbst, so bedeutete die Bestätigung seines Vollmachtsanspruches auch die Bestätigung der ihm zugrundeliegenden Naherwartung. Das läßt sich auch sehr viel einfacher sagen: So wie in Jesu Anspruch an seihe Hörer, sich ausschließlich der kommenden Herrschaft Gottes zuzuwenden, diese selbst schon gegenwärtig war, so ist durch die Auferweckung J esu, durch die Gewißheit, daß J esus als der Auferstandene lebt und nicht mehr stirbt, das eschatologische Heil den ihm Verbundenen schon jetzt gewiß und insofern nahe. Durch die Auferweckung Jesu ist Gott selbst und sein Heil der Welt für alle Zeiten nahe - unabhängig davon, wie lange der Ablauf des irdischen Geschehens noch dauert. Man sieht, die Verwandlung der apokalyptischen Hoffnung durch die Geschichte Jesu drängt in die Richtung des Inkarnationsgedankens. Erst im hellenistischen Bereich wurde die nun unabhängig von der zeitlichen Distanz des Endes in J esus offenbare eschatologische Nähe Gottes aussagbar. Inwiefern also ist durch J esus an den Tag gekommen, wer der Gott Israels eigentlich ist? Einmal insofern, als in der Botschaft Jesu keine subjektiven Behauptungen über den Gott Israels vorgetragen wurden, sondern dieser Gott, so wie er in der prophetischen Überlieferung bis in die Zeit Jesu verstanden worden war, und das Kommen seiner Herrschaft allein wichtig genommen wurden. Gerade aus der Konzentration auf den Gott Israels und seine kommende Herrschaft ergab sich die Verwandlung des Gottesverständnisses, die wir in der Botschaft J esu erkennen: Die VOflbehaltlosigkeit des Heilsangebotes an Sünder und Zöllner, wenn sie sich nur auf die Botschaft von der Nähe Gottes einlassen, den Verkünder dieser Botschaft aufnehmen; der Segensruf über alle, denen in ihren besonderen 151
Situationen keine andere Hoffnung bleibt als die Zukunft Gottes. Der Gott Israels wurde darin als d~r in bedingungsloser Liebe den Menschen zugewandte Vater offenbar. Und Gottes Liebe wurde der einzige Maßstab für das menschliche Verhalten. Diese Klärung des israelitischen Gottesverständnisses aber erfolgte zweitens bei J esus mit dem Anspruch der Endgültigkeit, weil er ja die eschatologische Zukunft Gottes verkündete. Und die wurde als endgültig bestätigt, indem sich mit der Auferstehung Jesu das Ende alles Geschehens an ihm im voraus vollzog. Damit ist nun, dem Anspruch Jesu gemäß, mitten in der Zeit das Endgültige schon da. IH.
Die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth ist nicht ein einzelnes, isoliertes Ereignis supranaturalen Ursprungs, sondern sie steht in einem Zusammenhang mit einem schon vorausgesetzten, vorläufigen Wissen von dem Gott, dessen eigentliche Wirklichkeit erst durch Jesus enthüllt wird. Offenbarung ist, wie H. R. Niebuhr gesagt hat, «revolution in religious knowledge».8 Sie ist das Ende eines Weges, der mit noch undeutlichen und inadaequaten Vorstellungen von Gott beginnt. Es ist nicht so, daß die Offenbarung, die Selbstenthüllung Gottes, fertig vom Himmel fällt und am Anfang aller Gotteserkenntnis stehen müßte, weil man sonst gar nichts von Gott wissen könnte. Am Anfang steht vielmehr - bildlich gesprochen - die Verhüllung (velatio) Gottes, und erst am Ende wird die Hülle beseitigt, erfolgt die revelatio. Die unvermittelte Konfrontation mit der Wirklichkeit Gottes könnte der Mensch nicht ertragen. Er müßte sonst nicht das Wesen sein, das durch Orientierung in seiner endlichen Umwelt seinen Weg sucht. Der Mensch kann nur durch die Welt der Endlichkeit hindurch Gott nahe kommen. Durch die Verhüllungen des Endlichen wird er des unendlichen Gottes gewahr, und seine Pers H. R. Niebuhr, The Meaning of Revelation, 1946, 183.
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spektive ist dadurch jeweils einseitig und verzerrt. Aber am Ende des Weges durch die Verhüllungen hindurch kann von Gott her die Offenbarung geschehen, die Selbstenthüllung des durch alle Verhüllungen sohon vorläufig erfahrenen Gottes. Die Selbstenthüllung Gottes aber ist das Heil für die Menschen, weil nur in der Nähe Gottes, in Gemeinschaft mit Gott, das Dasein der Menschen Erfüllung findet. Daß die Erkenntnis Gottes auf einem von Gott selbst geführten Wege, durch eine Geschichte ermöglicht wird, war schon den Israeliten bewußt. Immer wieder begegnet in den alttestamentlichen Überlieferungen der Gedanke, daß die grundlegenden Geschichtstaten J ahwes mit dem Ziel geschahen, damit Israel die Gottheit J ahwes erkenne. Ursprünglich war dieser Gedanke wohl mit dem Auszug aus Ägypten verbunden, so schon beim J ahwisten. In der Prophetie der frühen Königszeit begegnet er bei der Aufforderung zum Kampf im Heiligen Krieg: An dem ihm geschenkten Sieg soll Israel die Gottheit J ahwes erkennen (1. Kön. 20,13.28). Unter den Propheten der Exilszeit haben Deuterojesaja und vor allem Hesekiel die Abzweckung des Israel widerfahrenen Gerichtes und des für die Zukunft angekündigten neuen Heilshandelns seines Gottes auf die Erkenntnis der Gottheit Jahwes verkündet. 9 Dooh weit über die in diesen Texten begegnende «Erkenntnisformeln hinaus ist den israelitischen Überlieferungen die Überzeugung eigen, daß J ahwe in seiner Gottheit aus seinen Geschichtstaten erkannt werden will. Dabei ist natürlich vorausgesetzt, daß solcher Erkenntnis Gottes schon eine anderweitig gewonnene Kenntnis von ihm vorausging. So in den Erscheinungen Jahwes vor den Erzvätern und vor Mose, in der Kundgabe seines Namens an Mose. Doch offenbar sind gerade die frühen Theophanien und auch die Mitteilung des Jahwenamens noch nicht als endgültige Erkenntnis Jahwes verstanden worden. Die Priesterschaft stellt ausgerechnet in ihrem Bericht über die Mitteilung 9
R. Rendtorff, Die Offenbarungsvorstellungen im Alten Israel, in: Offenbarung als Geschichte, 1961, 35 ff. 153
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des J ahwenamens an Mose die Erkenntnis J ahwes erst für die Zukunft in Aussicht (Ex. 6, 7). Zugleich weist sie die Theophanien, die Erscheinungen J ahwes, einer frühen, untergeordneten Stufe der Gotteserkenntnis zu. Mit Mose beginnt eine neue Stufe: J ahwe gibt sich als er selbst zu erkennen 10 durch sein Tun. Ich habe diese Weise der Offenbarung als indirekt charakterisiert gegenüber der unmittelbaren Anschaulichkeit der Theophanie. 11 Die indirekte Offenbarung J ahwes durch seine Taten erscheint in der Priesterschrift als eine höhere Stufe der Gotteserkenntnis gegenüber der direkten Manifestation in den Theophanien: Diese vermittelt nur eine vorläufige Bekanntschaft mit J ahwe, die verdeutlicht und verwandelt wird durch die Erfahrungen, die Israel im Laufe seiner Geschichte mit Jahwe machen sollte. Den Ereignissen, die J ahwes Gottheit offenbar machen sollten, gingen vielfach Ankündigungen durch prophetische Worte voraus, welche das bevorstehende Geschehen als J ahwes Wirken erkennbar machten, indem sie es in seinem Namen ankündigten. Deuterojesaja und das deuteronomistische Geschichtswerk haben darauf eine regelrechte Theologie des Wortes Gottes aufgebaut. Man kann in der Tat erwägen, ob die Erkenntnis der Gottheit J ahwes nicht durch das in seinem Namen ergehende Wort hervorgebracht wird, statt durch die von ihm angekündigten Ereignisse, die nur Wirkung des Wortes sind. 12 Aber erstens werden 10
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Ebda.25. Siehe die Ausführungen in der Einleitung zu «Offenbarung als Geschichte)), 1961, 16. So schreibt W. Zimmerli: «Das Geschehen ist verwirklichtes Wort, eingelöste Verkündigung)) ((,Offenbarung' im Alten Testament. Ein Gespräch mit R. Rendtorff)), in: Evang. Theologie 22, 1962, 15-31, das Zitat S.25). Er weiß bezeichnenderweise zwar von einem «Zurückbleiben der Geschichte hinter der Zusage)) zu reden (S.31), nicht aber von der Überholung der Worte durch die Ereignisse. Auch J. Moltmann spricht von der Offenbarung Gottes in «dem geschichtswirkenden Wort der Erwählung, Berufung, Rechtfertigung und Sendung)) ((Exegese
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die Zukunftsworte selbst erst durch ihr Eintreffen endgültig als Worte Jahwes erwiesen (1. Kön. 22, 28; Dtn. 18, 19-22; Jer. 28, 6-9) 13, und zweitens sind sie faktisch nur zum geringsten Teil genau entsprechend -der Voraussage eingetroffen. Der Gang des Geschehens hat die Worte immer wieder überholt, ihnen neue Bedeutungsbezüge erschlossen. Unter diesen Umständen kann man das Geschehen schwerlich als Wirkung der Worte auffassen. Allerdings ist auah umgekehrt die Vorfindlichkeit der jeweiligen Gegenwart immer wieder durch prophetische Worte überholt worden, die den Blick Israels auf die Zukunft richteten. Man hat also mit einem Ineinander von (prophetischen) Worten und Begebenheiten zu rechnen. Das Geschehen kann nicht als unwesentlicher Annex zum Wort aufgefaßt werden. Die Zukunft ist jeweils durch das Jahwes Handeln ankündigende Wort der Propheten erschlossen worden. Dadurch wurde das künftige Geschehen als Handeln Jahwes erkennbar, aber andererseits brachte dieses kaum jemals die adaequate Realisierung der Worte, sondern gab ihnen einen neuen Sinn. Israel selbst ist der Freiheit J ahwes gegenüber den von den Propheten verkündeten Worten inne geworden 14, ohne daß freilich dieser Gedanke mit der vorausgesetzten altorientalischen Vorstellung vom machtvoll wirkenden Gotteswort ausgeglichen worden wäre. In den älteren Texten des Alten Testaments, sofern sie ausdrücklich die Erkenntnis Jahwes als Zweck des Geschehens bezeichnen, handelt es sich um die wunderbaren Taten des Mose (beim Jahwisten: Ex. 7, 17; 8,22; 9, 14) oder um den Sieg im Heiligen Krieg (1. Kön. 20), jedenfalls also um bestimmte Einzelereignisse. Ebenso wird die Erkenntnisformel in der Auszugstradition für den wunderbaren
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und Eschatologie der Geschichte)), ebda. 31-66, Zitat p. 58), ohne auf das Problem der Überholung des Wortes durch das Geschehen einzugehen. Siehe R. Rendtortt, Geschichte und Wort im Alten Testament, in: Evang. Theologie, 1962, 62'1-49, bes. 630 f. Ebda. 643. 155
Durchzug durch das Schilfmeer verwendet. Doch schon die Konzeption des jahwistischen Werkes impliziert den Gedanken, daß J ahwes Gottheit durch das Ganze der Geschichte, die sich von den Väterverheißungen bis zu deren Erfüllung durch die Landnahme in Palästina erstreckt, erkannt werde. Und Jahrhunderte später hat das Deuteronomium ausdrücklich formuliert: « ••• weil er deine Väter geliebt und ihre Nachkommen erwählt und dich herausgeführt hat aus Ägypten, er selbst durch seine große Kraft, um Völker, größer und stärker als du, vor dir zu vertreiben und dich in ihr Land zu führen und es dir zum Eigentum zu geben, wie es heute ist, so sollst du jetzt erkennen und dir zu Herzen nehmen, daß J ahwe allein Gott ist im Himmel droben und auf der Erde drunten, und keiner sonst, und sollst seine Satzungen und Gebote halten ... )) (Dtn. 4, 37-40). Hier ist es nun nicht mehr ein einzelnes Ereignis, sondern der Gesamtzusammenhang der von Jahwe verheißenen und entsprechend seinen Verheißungen gewirkten Geschichte, welche die Grundlage für das Leben Israels im Lande Palästina bildete: Durch sie wird die Gottheit J ahwes erwiesen. Das Israel der frühen Königszeit konnte auf das Offenbarungshandeln Gottes wie auf ein in der Hauptsache abgeschlossenes Geschehen zurückblicken. Aber mit der Unheilsprophetie der späten Königszeit und vollends mit dem von ihr vorausgesagten Ende der israelitischen Staaten wurde das anders. Die Blicke wurden wieder der Zukunft zugewendet. Von ihr wurde ein neues, endgültiges Heil erwartet, durch dessen Heraufkunft Jahwe sich abschließend und vor allen Völkern in seiner Gottheit erweisen werde. Schon für Hosea und Jesaja reicht der Geschichtsplan Jahwes von den Anfängen Israels über die Gegenwart mit den vom Gott Israels gelenkten Unternehmungen der Weltmächte bis in die feme Zukunft. Der Exilszeit schien die Erfüllung der Heilszukunft ganz nah bevorzustehen. Erst der Apokalyptik rückte sie wieder in die Ferne, und zwar nun in eine bestimmte Ferne, ans Ende einer Reihe von Weltreichen, die 156
einander in der Herrschaft ablösen. Zugleioh gewann sie die überirdischen Inhalte der eschatologischen Hoffnung. In den prophetischen Kreisen, aus denen die Apokalyptik hervorgegangen ist 15, ist erstmalig die ganze Geschichte Israels und der Welt bis in die fernste Zukunft als ein planvoll zusammenhängendes Ganzes göttlichen HandeIns verstanden worden. Dementsprechend wurde nun auch die endgültige Offenbarung Gottes, die Enthüllung seiner Herrlichkeit 16, in Verbindung mit der Verherrlichung der Gereohten für das Ende alles Geschehens erwartet. So bittet im Syrischen Baruchbuch der Schüler J eremias um das Kommen der Endzeit: «Und jetzt tue eilends deine Herrlichkeit kund und zögere nicht mit dem, was von dir verheißen worden isb (Syr. Baruch 21,25). Weil die Erkenntnis der Gottheit Gottes nun nicht mehr von einzelnen Ereignissen, sondern als endgültige Erkenntnis von dem alles Einzelgeschehen zum Ganzen zusammenschließenden Endgeschehen erwartet wurde, mußte sie selbst an das Ende der Geschichte rücken. Erst wenn alles Geschehen abgelaufen ist, kann aus seinem Zusammenhang die Gottheit Gottes erkannt werden. Insofern wirkt erst das letzte, das eschatologische Geschehen, welches die Geschichte zum Ganzen schließt, die endgültige Gotteserkenntnis, so wie auch die früheren Begebenheiten des Weltverlaufs und der Sinn der gegenwärtigen Leiden erst im Lichte des Eschaton in ihrer eigentliohen Bedeutung offenbar werdenP Der israelitische Gedanke einer Erkenntnis Gottes durch eine eigens zu diesem Zweck von Gott gewirkte Geschichte
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Zum Zusammenhang der apokalyptischen Lehre von den Weltreichen mit der Prophetie siehe K. Koch, Spätisraelitisches Geschichtsdenken am Beispiel des Buches Daniel, in: Historische Zeitschrift 193/1, 1961, 1-32, bes.27 und 28 ff. R. Rendtorff, in: Offenbarung als Geschichte, 1961, 28 ff., 93 ff. Daß die Offenbarung am Ende der Geschichte, aber doch auch im Ganzen ihres Verlaufs stattfindet, ist für G. Klein einer der mannigfachen Widersprüche, in die er meine Gedanken verwickelt sieht (G. Klein, Offenbarung als Geschichte? Margi157
entspricht am ehesten unter allen vergleichbaren biblischen Prägungen dem modemen Sinn des Wortes Offenbarung als Selbstenthüllung, Selbstkundgabe Gottes. Bekanntlich haben die übrigen Termini, die gewöhnlich durch das Wort Offenbarung, offenbaren wiedergegeben werden, weder im Alten noch im Neuen Testament die Bedeutung von Selbstoffenbarung. 18 Doch hinsiohtlich des Begriffs Erkenntnis ist ausdrücklich davon die Rede, daß Gott durch seine Taten sich selbst zu erkennen gibt, und damit deckt sich der Sache nach auch der Begriff der Herrlichkeit Gottes. Der Gedanke der Selbstoffenbarung Gottes, wie er vom Alten Testament her als indirekte Offenbarung Gottes durch das von ihm gewirkte Geschehen zu verstehen ist, entspricht nun in bemerkenswerter Weise der Art, wie sioh uns die durch J esus erschlossene Gotteserkenntnis darstellte: Einerseits geht der endgültigen Gotteserkenntnis, die durch J esus vermittelt wird, schon eine vorläufige Bekanntschaft mit Gott voraus, wie es sich auch für die alttestamentlichen Auffassungen von der Gotteserkenntnis ergab. Andererseits ist Jesus insofern die endgültige Offenbarung Gottes, als sein Auftreten und seine Geschichte eschatologischen Charakter haben. Sein Auftreten hatte esohatologischen Charakter, weil er mit dem Kommen der Gottesherrschaft den Anbruch des Endes ankündigte und daher die Stellungnahme der Menschen zu dieser Botschaft als Vorentscheidung des endgültigen Gerichtes über sie geltend machte. Sein Geschick hat eschatologischen Charakter, weil die Botschaft Jesu trotz des Ausbleibens der allgemeinen Endkatastrophe duroh seine eigene Auferweckung von den Toten, mit der das allgemeine EIid-
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naHen zu einem theologischen Programm, Monatsschrift für Pastoraltheologie 51, 1962, 65-88 bes. 79 f.). Er verkennt dabei, daß eben durch das Ende alles Geschehens sein Gesamtverlauf erst zu einem Ganzen zusammengeschlossen wird. Für das NT siehe H. Sohulte, Der Begriff der Offenbarung im NT, 1949, 42.
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geschehen an ihm selbst stattfand, von Gott her bestätigt worden ist. Im Auftreten und Geschick J esu, also in seiner Person, ist die endgültige Offenbarung der Gottheit Gottes am Ende aller Zeiten schon im voraus Ereignis, sofern die Geschichte Jesu den Charakter des Endgültigen mitten in unserer vergehenden Zeit hat. Dabei hat die Offenbarung Gotte~ in Jesus denselben indirekten Charakter wie im Alten Testament: Entscheidend ist nicht das isolierte Faktum, daß J esus die Nähe der Herrschaft Gottes ankündigte, sondern daß über dieser Verkündigung und im Geschick Jesu bis hin zu seiner Auferweckung die Herrschaft Gottes gegenwärtig wurde. Obwohl der Gedanke der Selbstoffenbarung Gottes durch das von ihm gewirkte Geschehen, und abschließend am Ende alles Geschehens, der Tradition entspricht, in der wie Jesus ~elbst! SO auch das Urchristentum lebte, begegnet er im Neuen Testament nur verhältnismäßig selten ausdrücklich. So wenn Paulus von der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Christi schreibt (2. Kor. 4,6), oder wenn Johannes die eschatologische Verherrlichung Gottes und der Erwählten durch den irdischen Jesus, der selbst vom Vater verherrlicht wird, vollzogen sieht (Joh.17 passim). Daß der Gedanke der eschatologischen Offenbarung Gottes in J esus Christus nicht ausdrücklicher im Mittelpunkt der urchristlichen Überlieferungsgeschicbte steht, hängt wohl damit zusammen, daß diese sich vor allem im Anschluß an die überlieferten christologischen Titel, als deren Anwendung auf Jesus und ihre Verwandlung vollzogen hat. Aber die wichtigsten dieser Titel - Menschensohn, Messias, Kyrios, Gottessohn, Logos - setzen implizit voraus, daß die endzeitliehe Offenbarung Gottes in J esus schon vorweggenommen ist. Diese Implikation wird für die heutige Theologie deswegen wichtig, weil uns weder jene Titel, noch die Inkarnationstheologie der folgenden Zeit, noch die Gottheit J esu überhaupt selbstverständliche Wahrheiten geblieben sind. Selbstverständlich ist uns allenfalls noch das menschliche Dasein 159
J esu, und darum müssen wir das Auftreten und das Geschick J esu daraufhin befragen, wie in ihm Gott offenbar ist: Erst daraufhin können wir vielleicht verantwortlich von der Gottheit J esu selbst reden und uns den Gedanken der Inkarnation aufs neue zu eigen machen. Wenn Jesus wegen der eschatologischen Bedeutung seines Auftretens und seiner Auferweckung von den Toten die endgültige Offenbarung Gottes ist, -dann können wir Gott nicht sachgemäßer denken als so, wie er durch Jesus nahegebracht ist. Und das bedeutet, daß J esus zum Gedanken Gottes selbst gehört, und so selbst mit Gott eins ist. IV. Jesus von Nazareth ist die endgültige Offenbarung Gottes, sofern in ihm das Ende der Geschichte erschienen ist, in seiner eschatologischen Botschaft, wie durch seine Auferweckung von den Toten. Er ist jedoch als die endgültige Offenbarung Gottes nur im Zusammenhang mit der ganzen Geschichte, vermittelt durch die Geschichte Israels, zu verstehen. Er ist Gottes Offenbarung, indem alles Geschehen von ihm her sein rechtes Licht empfängt. Doch wie ist es zu erkennen, daß J esus die Offenbarung Gottes ist? Es hat sich ergeben, daß der Vollmachts anspruch des vorösterlichen Jesus für sich allein nicht zureichender Grund solcher Erkenntnis ist, weil er ein vorläufiges Wissen von Gott schon voraussetzt und überdies der durch die Auferweckung J esu erfolgten Bestätigung bedarf. Die Auferweckung J esu aber hat ihren eschatologischen Sinn nur als vorzeitiger Hereinbruch des allgemeinen, vom Judentum der Zeit erwarteten Endheils an Jesus selbst und also nur im Zusammenhang der gesamten Menschheitsgeschichte, deren endgültige Zukunft sie enthüllt. Ist dieser Sinn der Geschichte Jesu nun aus ihr selbst zu erkennen? Und ist solche Erkenntnis schon Erkenntnis der Offenbarung Gottes in ihm? Oder bedarf es dazu einer zusätzlichen Deutung, die bereits aus dem Glauben an Jesus 160
kommt und aus den puren Tatsachen seiner Geschichte nicht zu erheben wäre? Die angedeutete Unterscheidung zwischen den Tatsachen der Geschichte ] esu und der Offenbarungsbedeutung, die vorgeblich erst der Glaube in ihnen findet, ist weit verbreitet. So hat R. Rothe im Anschluß an C. L. Nitzsch seine berühmte Unterscheidung zwischen der Manifestation Gottes in den äußeren Geschichtstatsachen und der zu ihrer Erkenntnis nötigen Inspiration der biblischen Zeugen, die uns über den Sinn des Geschehens belehren, vollzogen. 19 Unter dem Einfluß des Positivismus und des Neukantianismus hat man dann schärfer zwischen den Tatsachen auf der einen, Wertung, Bedeutung oder Bedeutsamkeit auf der andern Seite unterschieden. Am radikalsten führt R. Bultmann diese Scheidung durch, indem er die urchristliche Osterbotschaft insgesamt auf die Seite der Bedeutsamkeit verweist, als Auslegung der Bedeutsamkeit des Kreuzes ]esu. 20 Weniger gewaltsam verfährt P. Althaus, indem er auf einem historischen Kern der Osterüberlieferung beharrt, allerdings in ausdrücklichem Anschluß an Rothe meint, die Offenbarungsbedeutung der Geschichte ] esu sei nur dem Glauben zugänglich. 21 Aber auch H. R. Niebuhr unterscheidet zwischen erlebter und erforschter Historie, weil die historische Forschung offenbar von einem Handeln Gottes oder seiner Offenbarung in der Geschichte nichts weiß; nur der Geschichte erlebende Mensch, so meint Niebuhr, erfahre Gott in der Geschichte. 22 Solche Aufspaltung des Geschichtsbewußtseins in Tatsachenfeststellung und Wertung, in erkannte und erlebte 19
R. Rothe, Offenbarung, in: «Zur Dogmatik)), 1863, 55 ff.
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So sagt Bultmann in seinem Aufsatz «Neues Testament und Mythologie)): « ... der Auferstehungsglaube ist nichts anderes als der Glaube an das Kreuz als Heilsereignis)) (Kerygma und Mythos I, 1948, 50). So P. Althaus, Offenbarung als Geschichte und Glaube, Bemerkungen zu W. Pannenbergs Begriff der Offenbarung, in: ThLZ 87, 1962, 321-30, bes. 325 f. H. R. Niebuhr: The Meaning of Revelation, 1946, 59 ff.
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Geschichte, ist nicht nur für den christlichen Glauben unerträglich, weil die Botschaft von der Auferstehung J esu und der Offenbarung Gottes in ihm so als eine bloß subjektive Deutung erscheinen muß. Sie ist auch als Ausdruck einer überholten und fragwürdigen historischen Methodik zu beurteilen. Ihr liegt das verfehlte positivistische Ideal, in der Historie pure Fakten festzustellen, zugrunde.23 Der Neukantianismus hat ebenso wie die Lebensphilosophie diesen Positivismus als Voraussetzung akzeptiert und ihn lediglich durch eine «wertende» Betrachtung oder durch die Deutung der Fakten auf ihren Ausdruckswert hin ergänzt. Dagegen wird man heute die ursprüngliche Einheit von Gesohehen und Bedeutung neu zur Geltung bringen müssen. Jedes Ereignis, wenn es nicht künstlich aus seinem Geschehenszusammenhang, der sich in Vergangenheit und Zukunft erstreckt, herausgelöst wird, bringt mit seinem Zusammenhang, der ja immer ein Überlieferungszusammenhang ist, seine Bedeutung für den jeweils Fragenden schon mit. 24 Freilich ist die Bedeutung nicht jedes Ereignisses gleichmäßig deutlich. Das ist von Fall zu Fall verschieden. Aber prinzipiell hat jedes Ereignis seine ursprüngliche Bedeutung in dem Geschehens- und Traditionszusammenhang, in welchem es sich ereignet hat, durch den es auch mit der Gegenwart und ihrem historischen Interesse jeweils zusammenhängt. Man kann also die Bedeutung eines Geschehens, unbeschadet der Feststellung, daß sie ihm in seinem ursprünglichen Zusammenhang wirklich eignet und nicht erst vom Interpreten hineingelegt wird, doch immer nur relativ auf den Ort dessen, der nach ihm fragt, bestim23
24
Zur Auseinandersetzung mit diesem positivistischen Geschichtsverständnis siehe R. G. Collingwood, The Idea of History, 1946. Diese Gedanken habe ich näher entwickelt in meinem Aufsatz: «Kerygma und Geschichte», in: «Studien zur Theologie der alttestamentlichen überlieferungen (Festschrift G. v. Rad) )l, ed. R. Rendtorff und K. Koch, 1961, 129-140. In der Kritik am positivistischen Begriff isolierter Einzelfakten treffe ich mich mit H. Ott, Die Frage nach dem historischen J esus und die Ontologie der Geschichte, 1960, 12 ff., 21.
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men. Das ist darin begründet, daß der Geschehenszusammenhang, in welchem ein Ereignis seine Bedeutung hat, auch die Gegenwart mit einschließt. Man kann aber nicht willkürlich irgendwelchen Fakten beliebige Bedeutungen anhängen. Nur wenn man die ursprüngliche Einheit von Ereignis und Bedeutung sieht, läßt sich die Frage naoh der Historizität der Auferweckung Jesu wieder sachgemäß stellen; denn dabei handelt es sich um ein Ereignis, das nur in der Sprache der apokalyptischen Enderwartung, durch den metaphorischen Ausdruck der Auferstehung von den Toten aussagbar wurde, das aber gleichwohl als ein konkretes Widerfahrnis, nicht nur als ein subjektives Erleben, erfahren worden ist und auch von heutigen Historikern daraufhin mindestens geprüft sein will. Solche Prüfung kann hier nicht durchgeführt werden. Ihr Ergebnis ist jedoch für den christlichen Glauben schlechthin fundamental. «Ist der Christus nicht auferweckt worden, so ist unsere Predigt leer, leer auch euer GlaubeIl (1. Kor. 15, 14). Ob Jesus auferweckt worden ist, das ist eine historische Frage, sofern es sich um eine Frage nach dem, was zu bestimmter Zeit einmal geschehen ist oder nicht geschehen ist, handelt. Solche Fragen können nur durch historische Argumentation beantwortet werden, es sei denn, wir hätten gegenwärtige Erfahrungen von der Wirklichkeit des auferstandenen Jesus, aus denen zu schließen wäre, daß er nicht im Tode geblieben ist. Solche Erfahrungen aber haben wir offensichtlich nicht. Alles Reden von der Gegenwart Jesu Christi in seiner Gemeinde setzt die Überzeugung von seiner Auferweckung von den Toten schon voraus, beruht nicht auf unmittelbarer Begegnung mit dem auferstandenen J esus. Nehmen wir nun einmal an, die historische Frage der Auferweckung Jesu wäre positiv entschieden, dann ist die Bedeutung dieses Ereignisses als Offenbarung Gottes nicht etwas, was noch zusätzlich zu ihm hinzugefügt werden müßte, sondern dabei handelt es sich um die diesem Ereignis in seinem ursprünglichen Geschehens- und Überlieferungszusammenhang von Hause aus eigene Be163
deutung. Das urchristliohe Kerygma hat nur die der Geschichte J esu schon innewohnende Bedeutung in der Sprache und Vorstellungsweise der Zeit und des jeweiligen Hörerkreises entfaltet. Es hat sie dabei manchmal sehr treffend, manchmal auch weniger gut zum Ausdruck gebracht. Es hat diese Bedeutung jedoch nicht erst erfunden. Ist also der Glaube zur Erkenntnis der Offenbarung Gottes in J esus Christus gar nicht nötig? Ist solche Erkenntnis eine Sache des bloßen Wissens? Solche Alternative ist von vornherein schief. Man kann von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus nicht wirklich wissen, ohne zu glauben. Aber der Glaube ersetzt nicht das Wissen. Vielmehr hat er seinen Grund in einem Geschehen, das Sache des Wissens ist und uns nur durch ein mehr oder weniger zutreffendes Wissen bekannt wird. Um glauben zu können, muß man zumindest voraussetzen, daß die Botschaft von Jesus Christus wahr ist, und dazu gehört als erstes, daß Jesus wirklioh das Kommen der Gottesherrschaft verkündet hat und daß er wirklich von den Toten auferstanden ist. Vielleicht kann man die Wahrheit dieser Botschaft nicht immer einsehen, aber man muß voraussetzen dürfen, daß es damit seine Richtigkeit hat und daß diese sich wenigstens grundsätzlich auch einsehen läßt. In diesem Sinne der logischen (nicht immer auch psychologisch vorhergehenden) Voraussetzung ist das Wissen von der Geschich te J esu einschließlich seiner Auferweckung von den Toten der Grund des Glaubens. 25 Sodann hat dieses Wissen die Eigentümlichkeit, daß es selbst zum Glauben hinleitet. Das Wissen ist nicht eine Stufe über den Glauben hinaus, sondern je genauer es ist, desto sicherer führt es in den Glauben hinein. Um das zu verstehen, müssen wir noch einmal auf das Alte Testament zurückblicken. Wo Gott sich durch sein Handeln zu erkennen gegeben hatte, da bedurfte es für Israel keiner zusätzlichen Deu25
Das ist ausführlicher in meiner Antwort an Paul Althaus: «Einsicht und Glaube)), in: ThLZ 88, 1963 dargelegt.
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tung. Zumindest für den, der im Überlieferungszusammenhang Israels lebte, sprach das Geschehen dann für sich selbst. Daß «ein an sich mehrdeutiges Geschehen erst durch das Hinzutreten eines von J ahwe beauftragten Sprechers als Handeln Jahwes gedeutet worden wäre», ist ein dem Alten Testament völlig fremder Gedanke. 26 Denn daß alles Geschehen von J ahwe gewirkt ist, das ist für Israel selbstverständliche Voraussetzung seines Denkens. Daher können die 'Jlhronnachfolgeerzählung und die J osephsgeschichte auch ohne vorangehendes prophetisches Wort in dem von ihnen berichteten Geschehen das Wirken J ahwes finden.27 Und daher waren die Propheten der Überzeugung, daß «eigentlich ihre Zeitgenossen selbst das geschichtliche Handeln Jahwes erkennen müßten».28 Das Volk zu dieser Erkenntnis zurückzuführen, ist der Sinn ihres Wirkens. Die vorherige Ankündigung der Geschehnisse an Israel ist «nur eine Konzession an Israels Unglauben)).29 Für die Zukunft sagen sie nun die Erkenntnis der Gottheit J ahwes aus seinen Taten voraus, die das Volk gegenwärtig vermissen läßt. Das künftige Handeln Jahwes wird so eindeutig sein, daß nicht nur Israel, sondern alle Völker, «alles Fleisch)), die Herrlichkeit Jahwes aus seinen Taten erkennen wird (les. 40,5).30 Der Selbsterweis Gottes durch das Auftreten und die Geschichte Jesu von Nazareth ist ,diese endgültige/Offenbarung Gottes, die von allen Völkern erkannt werden soll. Sie ist diese Offenbarung, aber vorläufig nur in der Weise der Prolepse, noch nicht als der allgemeine Vollzug des Endgeschehens. Man kann die Geschichte Jesu nur verstehen, wenn man die Heilszukunft der Menschheit an ihm schon 26
27 28 20
30
R. Rendtortt, Geschichte und Wort im Alten Testament, in: Evangelische Theologie 22, 1962, 631. Ebda. 633 ff. Ebda. 637. G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, 1960, 106; vgl. Rendtorff 645. Rendtorff, in: Offenbarung als Geschichte, 1961, 38 ff. bringt eine Reihe von Beispielen dafür: siehe auch ebda. 98 ff. 165
erschienen und durch ihn zugänglich findet. In der Geschichte J esu ist eine Zukunft vorweggenommen, die in ihrer allgemeinen Tragweite noch nicht erschienen ist. Darum wird derjenige, der in den Sinn der Geschichte Jesu eindringt, unumgänglich auf die noch nicht vollendete Zukunft Gottes geführt, die als an Jesus schon erschienen behauptet wird, wenn von der Auferweckung J esu die Rede ist. Das heißt aber, er wird durch das Erkennen der Geschichte Jesu zum Glauben, zum Vertrauen auf die Zukunft Gottes geführt; diese ist ja allen Menschen zugedacht, auch wenn sie nur erst an Jesus erfüllt ist und nur durch J esus, nur den mit J esus verbundenen Menschen a~ls das Heil zuteil werden wird. Die universale, freilich nicht automatisch jedem zuteilwerdende Bedeutung des an Jesus erschienenen Heils macht den Verheißungscharakter seiner Geschichte aus. Wer diese in der Geschichte Jesu beschlossene Bedeutung versteht, der wird durch die Erkenntnis J esu als Vorwegnahme der allgemeinen Heilszukunft hineingezogen in die Bewegung des Glaubens, der sich auf Gottes Zukunft, so wie sie in J esus erschienen ist, einläßt. Erst dieser Glaube, noch nicht das Wissen von Jesus, verbindet mit Gott und gibt so am Heil Anteil; denn der Glaubende bleibt nicht bei sich selbst, sondern er «verläßtn sich selbst, indem er vertraut. Aber der Akt des Glaubens setzt ein Wissen von der Vertrauenswürdigkeit des Partners voraus. Ohne solches ihn begründende Wissen, wäre der Glaube blinde Vertrauensseligkeit, Leichtgläubigkeit oder gar Aberglaube. Man darf den christlichen Glauben nicht verwechseln mit einer die Unsicherheit unseres historischen Wissens von Jesus ausgleichenden subjektivenlÜberzeugtheit. Eine solche Gewißheit wäre nur die der Einbildung. Allzu lang.e schon ist der Glaube als die Festung der Subjektivität mißverstanden worden, in die sich das Ohristentum vor den Angriffen der wissenschaftlichen Erkenntnis zurückziehen könnte. Solcher Rückzug auf die fromme Subjektivität muß zur Zerstörung des Bewußtseins von der Wahrheit des 166
Glaubens führen. 3l Der Glaube kann nur dann frei atmen, wenn er auch auf dem Felde wissenschaftlicher Untersuchung der Wahrheit seines Grundes gewiß werden kann. Das bedeutet nicht, daß diese Wahrheit abschließend rational überschaubar wäre. Denn das Geschehen, durch das die Gottheit Gottes erschlossen ist, hat noch eine offene Zukunft vor sich. Darin kommt die personhafte Art des biblischen Gottes zum Ausdruck; dazu gehört es, daß sein Handeln nie unabänderlich festgelegt, in seinen Bedingungen nie absohließend überschaubar ist. Ihn kann man nur erkennen, indem man auf Grund der Erweise seines Willens und seiner Gesinnung ihm vertraut. Gerade als dieser ist der Gott der Bibel in der Geschichte Jesu offenbar. Die Offenheit auch der Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth zur Zukunft hin bedeutet keinen Widerspruch zur Endgültigkeit dieses Geschehens. Der endgültige Selbsterweis Gottes durch Jesus - und vielleicht sollte man mit K. Barth nur diesen endgültigen Selbsterweis Gottes als «Offenbarung)) bezeichnen - ist eben vorläufig nur in der Weise einer Vorwegnahme des künftigen, allgemeinen Endgeschehens da. Eine andere Endgültigkeit würde weder der Personalität des biblischen Gottes, noch auch der Offenheit und Selbsttranszendenz, die den Menschen auszeichnet, gerecht. Gerade in der Gestalt einer bloßen Vorwegnahme ist die Geschichte Jesu die endgültige Offenbarung Gottes. V.
Die israelitische Prophetie verhieß für die Endzeit, daß nicht nur Israel, sondern auch die Heiden aus dem künftigen Handeln J ahwes seine alleinige Gottheit erkennen werden. Das hat sich an Jesus erfüllt, indem nicht nur Ju31
Siehe dazu G. Rohrmoser, Die theologische Bedeutung von Hegels Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants und dem Prinzip der Subjektivität, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie, 4, 1962, 89-111. 167
den, sondern auch Heiden durch die frühchristliche Mission die Offenbarung des wahren Gottes in Jesus erkannten. Woran könnten die Menschen der hellenistischen Zeit im Gotte der Bibel, wie er ihnen durch die Christusbotschaft begegnete, den wahren Gott erkennen, nach dem das hellenistische Denken fragte? Der Gott der Bibel war zugleich Schöpfer, Ursprung der Welt, und Erlöser von der Vergänglichkeit, die die vorhandene Welt beherrscht. Daß er so, wie er in Jesus begegnete, dies beides vereinigte und zugleich alle bloß jüdischen Traditionselemente abgestreift hatte, ließ den wahren Gott, nach dem die Philosophen fragten, in ihm erkennen, und zwar in reinerer und überzeugenderer Gestalt als sie dem philosophischen Gedanken selbst zugänglich war. Die Philosophen konnten Gott nur als den Ursprung der vorhandenen Welt denken, im Verfahren des Rückschlusses von ihr 'her. Dabei konnten sie ihn nicht zugleich als den Erlöser denken, der über die Vergänglichkeit dieser vorhandenen Welt hinaushilft. Im biblischen Gedanken Gottes hängt beides zusammen, weil er der Gott der Geschichte ist. Die Welt ist nicht nur als die vorhandene Ordnung der Dinge gedacht, sondern als eine Abfolge von Ereignissen, in der die Allmacht Gottes immer Neues geschehen läßt. Erst vom Ende her wird darum die Wirklichkeit der Welt als ganze vollendet sein. 32 Das Ende aber wird die Verwandlung der vorhandenen Welt und das Heil der Gerechten bringen. Was für Platon im Mythos und Logos auseinanderfiel, ist hier vereint. Indem die Welt als Geschichte verstanden wird, ist der Ursprung der Welt als das Ende der Geschichte zugleich der Urheber des Heils, der die Menschen über die Vergänglichkeit der Gegenwart hinaushebt. So ist der Gott der Bibel, wie er in J esus als Erlöser der Welt offenbar geworden war, als der wahre Gott 32
Zur Bedeutung der Zukunft und besonders der eschatologischen Zukunft für ein biblisch begründetes Seinsverständnis und Wahrheitsverständnis habe ich mich in meinem Aufsatz: «Was ist Wahrheit?)) in der Festschrift für Heinrich Vogel: Vom Herrengeheimnis der Wahrheit, Berlin 1962, 214-39 geäußert.
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erkannt worden. Dabei war es entscheidend, daß das Verständnis der Wirklichkeit, wie es vom biblischen Gott her erschlossen ist, nämlich als Geschichte, die auf ein Ende hineilt, durch die Apokalyptik auf dieselbe universale Ebene gehoben worden ist, wie sie dem griechischen Verständnis der Welt als einer immer gleichen Ordnung eigen war. Beide umfassen die Wirklichkeit als ganze. Nur so konnte der Gott der Geschichte als der Urheber der gesamten Wirklichkeit im Bereich des griechischen Denkens auftreten und zugleich dessen Weltverständnis verwandeln. Vom Gott der Bibel her, wie er durch Jesus offenbar ist, erfuhren die Menschen der hellenistischen Zeit Antwort auf ihre offenen Fragen. Und sie erfuhren, daß sich von ihm her das Ganze der Wirklichkeit tiefer erschloß, als es bisher der Fall gewesen war. Das ist bis heute das einzige Kriterium für die Wahrheit der Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth, daß sie sich nachträglich immer wieder bewahrheitet an der Erfahrung der Wirklichkeit, in der wir leben. Solange das Ganze der Wirklichkeit von Jesus her tiefer und überzeugender verständlich wird als ohne ihn, solange bewahrheitet sich uns in unserer alltäglichen Erfahrung und Erkenntnis zu unserem Teil, daß in J esus der schöpferische Ursprung aller Dinge offenbar ist. Darum darf die Theologie sich nicht von der Welt zurückziehen, in einen exklusiven, supranaturalen Bereich, in den man nur durch die «Entscheidung)) des Glaubens gelangen könnte, sondern sie muß Jesus im Zusammenhang der Welt und alles von Jesus her und auf ihn hin verstehen. So wird sie die Welt als Gottes Welt, die Geschichte als das Feld des göttlichen Handeins und Jesus als Gottes Offenbarung verstehen.
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3. DER SINN DER GESCHICHTE MARTIN BUSS
I. Geschichts- und Zeitbegriffe
Als Alttestamentler darf man das wachsende Interesse an alttestamentlichen Fragen von Seiten systematischer 'J1heologen begrüßen. Das Erwachen dieses Interesses geht zurück auf eine umfassendere Bewegung, die als «Wiederbelebung biblischer Theologie» allgemein bekannt und nun schon seit einiger Zeit im Schwange ist. In diesem Zusammenhang hat das Alte Testament besondere Beachtung bei denjenigen gefunden, die in ihm einen Anhalt für eine Betonung des «Geschichtlichen» finden und die mit diesem Terminus ein Interesse am Tatsäohlichen bekunden wollen. Pannenbergs Arbeiten, der in diesem Band enthaltene Aufsatz eingeschlossen, geben uns Gelegenheit, die Berechtigung einer solchen Inanspruchnahme des Alten Testaments zu untersuchen. Rolf Rendtorff hat schon angemerkt, daß das Wort «Geschichte» nicht eindeutig definiert ist. 1 Hier liegt eines der größten Hindernisse für ein angemessenes Vorgehen. Es kann vollkommen zutreffend sein, daß das Alte Testa,ment an «Geschichte» interessiert ist; aber was bedeutet dieses Wort? Die in ihm liegende Unschärfe läßt sich leicht belegen. Ob man nun Veröffentlichungen auf Definitionen hin durchsieht oder im Gespräch geäußerte Meinungen daraufhin prüft, man wird höchst verschiedene Anschauungen finden. Der Satz «das Alte Testament ist an der Geschichte 1
«Gibt es ein Vergeltungs dogma im Alten Testament?)) ZThKLVII, 1960, 34 f.
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interessiert» führt in keiner Weise weiter, bevor die Bedeutung des Wortes «Geschichte» nicht geklärt ist. Geschiahtsauffassungen kristallisieren sich um mehrere ganz verschiedene Themen. Unter den bemerkenswertesten sind: Vergangenheit, Zeit im allgemeinen Sinne, Mensch, Tatsächlichkeit, überlieferung und Sinn (diese Reihenfolge entspricht etwa der Häufigkeit, mit der diese Wortbedeutungen augenblicklich begegnen). Oft genug besteht keine eindeutige oder notwendige Beziehung zwischen diesen Begriffen. Bei einer solchen Vielfalt möglicher Auffassungen überrascht es nicht, daß eine in Frage stehende Kultur von dem einen als die Begründerin eines Interesses an der Geschiohte und von einem anderen als uninteressiert an der Geschichte angesehen werden kann. Beide Ansichten können richtig sein - jede in ihrem eigenen Begriffsgefüge. So wird z. B. oft behauptet, daß Judentum und Christentum in ihrer gemeinsamen Ausstrahlung verantwortlich zu machen seien für das geschichtliche Bewußtsein der heutigen westlichen Welt. Das ist aber nur eine halbe Wahrheit, denn die griechische überlieferung spielt eine gleich bedeutende Rolle und ist letztlich sogar von anhaltenderem Einfluß auf die gebildeten Schichten. Die Wurzeln des Wissens (als unterschieden von Glauben), die des geschichtlichen Wissens eingeschlossen, finden sich eher in Athen als in J erusalem. Die Griechen erzählten einige hervorragende Epen (die einen «geschichtlichen)) Kern enthalten). Dauernder Wechsel galt wenigstens einigen von ihnen als Prinzip der Welt. Und es war Aristoteles, für den Sein gleichbedeutend mit Bewegung war. 2 Einige Historiker (besonders in Deutschland) verwenden den Begriff «Universalgeschichte»; aber man tut gut daran, wenigstens drei verschiedene Bedeutungen dieses Aus2
Die Affinität des Begriffs «Heilsgeschichte)) zu aristotelischen Vorstellungen wird auf dramatische Weise illustriert durch die übernahme der aristotelischen Theorie von Seiten ]. S. Marshalls: History in the Aristotelian Vein, Anglican Theological Review, 32,1950,245-256.
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drucks zu unterscheiden. 3 Die eine Verwendung betont das Studium der gesa:glten Geschichte - des ganzen Westens oJer sowohl des Ostens wie des Westens. Ein anderer Wortgebrauch zielt auf die grundlegenden Strukturen geschichtlicher Entwicklung Nur die dritte Verwendungsmöglichkeit - und diese wird von Historikern im allgemeinen zurückgewiesen - bezieht sich auf die Totalität der Geschichte. insofern diese als ein sinnvolles Ganzes gesehen wird. Diese letzte Wortbedeutun>gscheiI1.t mit Pannenbergs Verwendung <des Begriffs übereinzustimmen 4; trifft dies zu, so hat sein Programm weniger Beziehungen zu anderer Arbeit, die vor ihm unter diesem Stichwort der Universalgeschichte getan wurde, als es scheinen könnte. Der Wert von Definitionen hängt davon ab, ob sie dem Gegenstand oder den Gegenständen, die in Frage stehen, angemessen sind. Anstatt eine a-priori-Definition von Geschichte einfach zu übernehmen, empfiehlt es sich deswegen, die Grundzüge verschiedener Wirklichkeits anschauungen im Hinblick auf ihre zeitlichen Merkmale nachzuzeichnen. Dadurch wäre zu erfahren, wie in ihnen Kategorien zu erkennen sind, die in irgendeiner Weise «geschichtlich)) genannt werden können. Solche Durchsicht vorzunehmen ist nicht einfach, denn heutige Theologie hat sich weitgehend von anderen Disziplinen isoliert. Es steht fest, daß kein Theologe eine alles umfassende Beurteilung der heutigen Situation auch nur versucht hat. Der Vorstoß eines Theologen, der einem solchen Entwurf am nächsten kommt, ist eben der von Pannenberg; man vergleiche z. B. sein Buch «Was ist der Mensch?))5 Aber auch dieser Versuch geht noch nicht weit genug. 3
4
5
Vgl. z. B. Joseph Vogt, Wege zum historischen Universum, Stuttgart 1961. Als Beispiel einer vorsichtigen Einstellung zur Geschichte vgl. das schon klassische Werk: Raymond Aron, Introduction to the Philosophy of History (ursprünglich in Französisch), Boston 1961, 43 und passim. Sehr ausführlich entwickelt in KuD V, 1959, 280. Göttingen 1962.
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Die niedrigste uns bekannte Stufe der Wirklichkeit ist die subatomare Welt der Elektronen und anderer merkwürdiger Partikel, die für den Laien äußerst schwer zu erforschen ist. Wie dem auch sei, es ist wiederholt festgestellt worden, daß makrokosmische Kategorien von Raum und Zeit hier keine Anwendung finden. 6 Das Phänomen der Anti-Materie, der negative Zeit zugeordnet worden ist, kompliziert die Situation. 7 Der Ablauf zeiträumlicher Vorgänge ist ein wenig klarer, wenn man Aspekte wie diejenigen ins Auge faßt, auf die sich 'die Kategorie der Relativität anwenden läßt. Relativität impliziert eine vollkommen bestimmte vierdimensionale Vielheit; unter diesen Dimensionen befindet sich eine, die etwas von den anderen dreien Verschiedenes darstellt; sie ist als t (Zeit) bekannt. Dieses t aber ist nicht etwas, worin ein Vorgang stattfindet, sondern es ist ein Aspekt des Vorgangs. Dieser Sachverhalt verdient unterstrichen zu werden: physikalische Zeit ist ein Aspekt einer Wirklichkeit, die selbst vierdimensional ist. In der Relativitätstheorie ist die Auffassung von Simultaneität eine funktionale; sie bezieht sich auf das Fehlen einer unmittelbaren kausalen Wirkung oder einer informationsartigen Beziehung zwischen zwei Ereignissen. 8 Zeitbezogene Ereignisse sind vorgangsbezogen: «nach» einem Ereignis zu kommen ist gleichbedeutend damit, dessen Wirkung zu sein. Der zeitliche Aspekt der physikalischen Welt ist relativ unbedeutend, so daß viele Theoretiker es vorziehen, von der Geometrie der Welt zu sprechen anstatt von ihrer zeitlichen Bewegung. Es ist richtig: einige Daten legen es nahe, 6
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8
Vgl. z. B. Ernest Nagel, The Structure of Science, New York 1961,298. Vgl. neben anderen, Maurice Duquesne, Matter and Antirnatter, New York 1960, 122. Es ist nicht möglich, in diesem Zusammenhang den Begriff der Kausalität zu rechtfertigen oder angemessen zu definieren; er wird hier im Sinne Hans Reichenbachs verwendet: «The Philosophy of Space and Time)), ins Englische übersetzt von Maria Reichenbach und lohn Freund, New York 1958, 145.
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daß die Welt vor einer bestimmten Zeit begann und daß sie eine Geschichte hat; aber diese ganze Frage hängt ab von der Art der Bemessung, die man vornimmt - ganz abgesehen von der Möglichkeit anderer gleicherweise logischen Theorien. 9 Hinsichtlich der Zukunft ist jetzt klar, daß das Entropiegesetz als statistisches Gesetz nicht streng angewandt werden kann - z. B. wäre ein unendliches Universum immun - und daß entgegengesetzte Entwicklungen ebenfalls erwartet werden müssen. Raum - Zeit wird verändert, wenn organismusartige Wesen aIUftreten. Die theoretische Biologie hat zwar noch keineswegs eine zusammenhängende allgemeine Theorie des Lebens erarbeitet, aber es dürfte klar sein, daß SelbstEntwurf ein grundlegendes Charakteristikum von Organismen ist. In dtiesem Zusammenhang ist «Zukunfh> kein bloßes Äquivalent für « Wirkung», wie in der physikalischen Welt, sondern sie wird zum «Ziel». Die mit der Zielbestimmtheit gegebene emotionelle Qualität schließt ein Verhaltensmuster ein, von dem man sagen kann, daß es einen niedrigen Grad von Bewußtsein besitzt - wenn dies ein angemessener Ausdruck für relative Vorgänge des Suchens und Meidens ist, die gemeinhin als Lust und Schmerz angesprochen werden. Das Verhältnis zwischen Wirkungszukunft und Ziel-Bestimmtheit bleibt dunkel, aber die Beziehung muß analog zu derjenigen anderer übergangserscheinungen sein. Die damit gestellte metaphysische Frage kann hier offen gelassen werden. Etwas Neues entsteht mit dem Phänomen der Kultur, deren Ha'llptträger der Mensch ist. Kultur ist mit Selbstheit o
Über die ziemlich willkürliche Auswechselbarkeit von Vorstellungen vgl. Bertrand Russel, The ABC of Relativity, London 1958,136 und passim. Adolf Grünbaum, Philosophical Problems of Space and Time, New York 1963, 325-329, vertritt mit Nachdruck die Meinung, daß in gewisser Weise nichts in unbewußter physischer Realität geschieht. Dies hat aber nichts mit dem Begriff der Ewigkeit zu tun, ja nicht einmal mit dem einer Gegenwart (gegen Pannenberg, Was ist der Mensch? Göttingen 1962, 52 f.). 175
verbunden. Selbstheit in dem Sinne, daß ein (an Kultur) Beteiligter über sich selbst reflektiert. Ein solches personales Wesen läßt sich nicht auf unkritischen Selbstentwurf ein, wie es ein Tier tut, das sich selbst für gegeben nimmt und alle anderen Objekte im Sinne der eigenen Selbst-Bereicherung einschätzt; sondern die Person stellt stattdessen die Frage nach ihrem eigenen Sein, vergegenständlicht die Welt bis zu einem gewissen Grade 10 und wird ergriffen vom Problem der Unendlichkeit. Der Mensch kann besonnen auf seinen eigenen Tod zugehen und sogar sich selbst den Tod geben; gewöhnlich hofft er auf Unsterblichkeit. Er kann sich selbst ablehnen; er kann, im geistlichen Sinne, sich selbst aufheben, indem er sich in Gott verliert. In diesem Zusammenhang erscheint Gott zum erstenmal ~ zwar nicht unmittelbar als Gott, aber als das Symbol Gott (((God)), ((Deus)), ((Jahwe))), das sich, zusammen mit anderen Symbolen, auf Unendlichkeit bezieht oder auf Wirklichkeiten, die der Mensch als außerhalb seiner Kontrolle liegend erkennt. Damit tritt eine neue Begriffsgruppe auf: Anfang und Ende; diese Begriffe bezeichnet man am besten als mythische Kategorien. Diese Kategorien besitzen eine Qualität, die von den Zeitfonnen niedrigerer Wirklichkeits stufen verschieden ist. ((Anfang)) z. B. bezeichnet häufig eine Norm, d. h. einen Bewertungsmaßstab, dem man unterworfen ist. Mit anderen Worten: während ein Tier gut und böse als Eigenschaften von Objekten außerhalb seiner selbst beurteilt und von der Frage her, ob diese seine eigene Selbstbereicherung unterstützen, schätzt der Mensoh sich selbst ein und fragt, ob er selbst, verglichen mit einer höheren Wirklichkeit, gut ist. Während also die emotionelle Kraft der den Organismen eigenen Ziel-Zukunft nach außen gerichtet ist, richtet sich die Bewegung der Zeit als Anfang und Ende nach innen und wird als aus einem Bereich kommend gedacht, der menschliche Macht übersteigt. Anfang und Ende 10
Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, Darmstadt
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stehen nicht in einem positiven, sondeln polaren (wenn nicht gegensätzlichen) Verhältnis zu, anderen zeitlichen Kategorien und schaffen Konflikte zwischen Selbst-Bereicherung (Ziel) und Selbstaufgabe (Ende). In dieser Hinsicht ist Pannenbergs obige Feststellung, daß Heil das ist, wonach «alle Menschen streben)) 11, nicht hinreichend differenziert; sein allgemeiner Überblick unterscheidet denn auch nicht zwischen der mythischen Hoffnung auf das Unendliche und dem geschichtlichen Willen, der sich auf das Endliche richtet,12 Primitive beachteten einige dieser Unterscheidungen, indem sie eine ziemlich scharfe Linie zwischen mythischen und geschichtlichen Perioden zogen. Ereignisse der mythischen Zeit haben Götter zu Helden. Ereignisse der geschichtlichen Zeit gruppieren sich um menschliche Heldentaten, die von göttlichen Kräften unterstützt, aber nicht beherrscht sind. Mythische Erzählungen sind heilig, sie werden an Festtagen und im Zusammenhang mit Ritualen erzählt. Geschichtliche Erzählungen werden zur Verherrlichung des eigenen Clans oder der eigenen Familie erzählt. Oft werden d1esen zwei Erzählungsarten verschiedene Namen gegeben. l3 Noch ein weiterer Unterschied zwischen Mythos und Geschichte läßt sich beobachten. Mythische Ereignisse tendieren zur Vollkommenheit, zur Verwendung als archetypische Muster, die im Verhalten angeeignet werden sollen. Geschichtliche Zeit ist immer unvollkommen. Ein Teil des Ma1eria,ls, das die Volkskunde für primitive Kulturen
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12
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1928, 41 ff., stellt sowohl Weltoffenheit als auch Selbstbewußtsein als menschliche Eigentümlichkeiten heraus. Pannenberg betont einseitig den Weltbezug, der relativ säkular ist. Vgl. Pannenberg, oben (1). Er spricht vom «unendlichen Streben» des Menschen; «Was ist der Mensch?» 11; vgl. auch oben (13). Solche Beschreibung enthält etwas wahres, ist aber nicht ausreichend. Diese Tatsachen sind allgemein bekannt. Einige von ihnen sind belegt in Martin Buss, The Language of the Divine I, Journal of Bible and Religion XXIX, 1961, 106, Anm. 8,15 und 16.
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beigebracht hat, besteht aus Geschichten, die vom Ursprung des Bösen und des Todes handeln. Auch dies sind in gewisser Weise Mythen, aber sie handeln ruioht von der mythischen Wirklichkeit selbst, sondern vom Übergang der mythischen Zeit in die Geschichte. Der Ursprung des Bösen wird gewöhnlich einem Zufall zur Last gelegt, manchmal auch der Hinterlist der Götter oder dem schuldhaften Irrtum des Menschen. 14 In jedem Fall ist es dem in diesen Vorstellungen denkenden Menschen klar, daß er jetzt in einer Zeit lebt, die teilweise vom Bösen erfüllt ist, in der er weritgehend vom Göttlichen getrennt lebt. In der kultischen Handlung aber hat der Mensch eine Möglichkeit, die «ursprüngliche» Beziehung zu Gott zu reaktivieren, eine Vereinigung mit den universalen Mächten zu erfahren oder zu bewirken und manchmal auch Gemeinschaft mit den Toten zu haben. In diesen Augenblicken übersteigt er die bloße Geschichte und nimmt teil an der ewigen und absoluten Fülle des Seins. und des Lebens. In weiter entwickelten Religionen aber werden die Dinge komplizierter. Nicht nur deren äußere Anstalten, sondern auch ihre innere Struktur erreiohen eine größere Komplexität. Z. B. schiebt sich oft zwischen dlie Zeit der Götter und die Gegenwart eine Zeit der Heroen; sie ist oft durch große Tragik gekennzeichnet. Genauer gesagt: in höheren Religionen zeigt sich eine Tendenz, das Böse im Menschen selbst anstatt in der Welt draußen zu suchen. Schuld wird ein sehr viel dringlicheres Problem als in primitiver Religion, wo das Böse wetfhin die Gestalt natürlicher Kräfte annahm, die die Existenz des Menschen von außen gefährdeten. Zwar haben Hochgott-Züge in primitiven Religionen fast immer einen moralischen Charakter gehabt (obwohl einige Forscher die Bedeutung dieser Tatsache übertrieben 14
Zum letzten Punkt siehe die bedeutende Studie von Hans Abrahamsson, The Origin of Death, Uppsala 1951.
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haben dürften 15, so daß man nicht einfaoh ein evolutionäres Sdhema aufstellen kann. Und doch ist es ebenso klar, daß auffallend ähnliche Entwicklungen von primitiver Religion zu stärkerer Moral- und Jenseits-Religion fast gleichzeitig und zum größten Teil unabhängig voneinander im Osten und im Westen begegnen. Die Trennungslinie zwischen dJiesen zwei Welten verläuft zwischen Indien und Persien; das Gebirgsland schuf eine verhältnismäßig undurchlässige Schranke, obwohl weahselseitige Beziehungen auf dem Weg über Zentralasien oder auf dem Seewege bestanden. Da der Nahe Osten und Indien das geographisohe Zentrum der afro-asiatisChen Landmasse bilden, überrascht es nicht, daß hler die vorderste Linie der Zivilisation anzutreffen ist. 16 Von diesem Gebiet ausgehend verbreiteten sich Zivilisationen und Religionen nach Westen und Osten und entwickelten zwei kulturelle Systeme, die bis in die jüngste Zeit hinein relativ abgeschlossen blieben. Hegel beging den Irrtum, die östlichen Religionen als eine Stufe des göttlichen Ge~stes zu betrachten, die jünger und weniger tief angelegt sei als der westliche Glaube. Neuere Forsdhung hat im Gegensatz dazu wahrscheinlioh gemacht, daß östliche und westliche Entwicklung bis in Einzelheiten hinein einander parallel laufen. Dieser auffallende Sachverhalt sollte zeigen, daß Gott nicht willkürlich in der Geschichte handelt, sondern daß es inhärente Entwicklungstendenzen sind, die solche Phänomene wie den israelitischen und ohristlichen Glauben, vergleichbar jeweils Hinduismus I\1nd Buddhismus, hervorgebracht haben. Wenn 15
16
Trotz wahrscheinlich anzunehmender übertreibungen dieses Gedankens bei Wilhelm Schmidt behalten die Bemerkungen Fritz Graebners, Das Weltbild der Primitiven, München 1924, 26, 129, ihr Recht. Ralph Linton, The Tree of Culture, New York 1955, betrachtet Indien als einen Teil des Südwestasien-Komplexes; aber viele Entwicklungen fanden unabhängig davon auf der Grundlage ähnlicher soziologischer Bedingungen statt. Eine geographische Symmetrie der Religionen bemerkt Arnold Toynbee, Christianity Among the Religions of the World, New York 1957, 34. 179
Gott in der Geschichte handelt, muß er als in der Weise handelnd gesehen· werden, wie sie der Geschichte selbst eignet. Die Tatsache, daß die Theologie sich nicht in hinreichender Weise mit diesen Phänomenen besohäftigt hat, ist eines der Anzeichen ihres starken Sich-Abschließens von anderen intellektuellen Disziplinen. Pannenberg und seine Gruppe lenken nun erneut die Aufmerksamkeit auf Religionsgeschiohte und Religionsphilosophie. Man darf hoffen, daß sie in angemessener Weise die Perspektiven berücksidhtigen, die hier aufgezeigt wurden, ausgenommen natürlich der Fall, daß sie sie als falsch befinden. Es scheint, als ob beim Übergang vom vorliterarischen Menschen zum homo historicus der der Gegenstand der bezeugten Geschichte ist, eine größere Veränderung in der menschlichen Entwicklung stattfand. Die Vorgänge beim Übergang zwischen diesen beiden Stufen können ganz einfach als soziologischer Natur angesehen werdenP Bezeugung wurde ermöglicht durch die Entwicklung der Schrift und erleichterte die Entwicklung gewisser Gedankengänge, die das Interesse des Menschen an seiner Existenz betreffen. Komplexität der Gesellschaft machte ein stärker differenziertes Selbstbewußtsein möglich. Der Mensch fand sich selbst auf neuem Weg, nicht mehr nur Teil von Naturvorgängen. In dieser neuen Situation entstand ein Glaube an Heilsereignisse, die einer von der Weltsohöpfung unterschiedenen Zeit zugeordnet sind (Auszug aus Aegypten, Gründung Roms, Jesus, eine Krishna-Inkamation, Garutama Buddha, Mohammed, Quetzalcoatl). Die einzelnen Religionen unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie das geschichtliche Element mit ihrem Glauben verknüpfen. Allgemein formuliert: die stärker auf das Jenseits ausgerichteten Religionen (Ohristentum, Buddhismus) halten das geschichtliche Zentrum und die Person ihres «Stifters» für wichtiger J
11
Vgl. E. A. Burtt, Man Seeks the Divine, New York 1957, 93 ff.
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als die verhältnismäßig stärker am Diesseits interessierten und den Menschen bejahenden Religionen (Hinduismus, Israel, Konfuzianismus, Taoismus). Das scheint paradox, aber es zeigt, daß der Mensch sich selbst als Gegenstand seines Interesses problematisch ist; Selbstheit ist äußerst aktiv, wenn das Selbst negativ beurteilt wird. Gleichzeitig entstand der antireHgiöse Skeptizismus als formales System, sowohl im Osten wie im Westen. In einem solcihen System werden der Mensch und seine eigene Vernunft zum Maß aller Dinge gemacht, und die Götter verschwinden. Kritische Geschichtsschreibung entstand hauptsächlidh in diesen Kreisen; Herodot und Thukydides z. B. waren von solchem Skeptizismus beeinflußt.
Il. Biblische Geschichtsvorstellungen Um biblische Geschichtsvorstellungen zu verstehen, tut mlan gut daran, formkritisch vorzugehen. Der Vorteil eines formkritischen Ansatzes liegt darin, daß er nicht zur Formulierung abstrakter Ideen führt, für die intellektuelle Zustimmung oder Ablehnung gefordert werden könnte; stattdessen rekonstruiert man die funktionale Struktur einer Nation wie Israel etwa, indem man von den Formen ihres verbalen Ausdrucks ausgeht. Für die folgende Diskussion wird nicht behauptet, daß die Israeliten selbst sie akzeptiert hätten, sondern lediglich, daß sie eine angemessene Beschreibung mit Kategorien darstellt, die dem tatsäohlichen Gebrauch ihrer Sprache entsprechen. Diese Einsohränkung ist wichtig, weil es überhaupt nicht möglich zu sein scheint, daß eine übereinstimmung zwischen antiken und modernen Auffassungen erreicht werden kann. Aus diesem Grunde ist Pannenber:gs Analyse des Alten Testamentes ungenügend, selbst wenn man annimmt, daß seine Darstellung im großen und ganzen zutrifft,18 Seine Untersuchung stellt etwas abstrakt Auffassungen dar, die von aIttesta18
Vgl. Pannenberg, oben (4 ff.). 181
mentlichen Schreibern auf konkretere Weise vertreten wurden (z. B. kennt das Alte Testament keinen eigentlichen Begriff für Geschichte), 1.ll1d er stellt sie so dar, daß sie seinen Zeitgenossen annehmbar erscheinen. Aber der Versuch eines solchen Brückenschlages verMert die Verbindung zm beiden Seiten. Der einzig mögliche Ansatz von der heutigen Situation aus liegt darin, das sprachliohe Verhalten Israels in einem symbolischen System zu beschreiben. Man kann zwar immer noch auf Israels Geschichtsauffassung verweisen, aber dies ist bestenfalls eine Art Kurzschrift für die strukturbildenden Elemente, die seiner Sprache eigentümlich sind. Gerhard von Rad hat richtig gesehen, daß Israels Glaube mit seinem Geschichtsbild verbunden ist. Dieses Bild ist identisch mit dem, was Bultmann Selbstverständnis nennen würde. 19 Die Tatsache, daß Israel solche Sicht hat, ist eine Angelegenheit geschichtlicher Bezeugung. Der Inhalt seiner Schau ist religiöses Symbol oder Mythos. Das mythische Bild seiner Geschichte und die Tatsachen, wie sie durch die modeme Geschidhtsschreibung rekonstruiert worden sind, sind aufgrund jenes Wesenszuges des Menschen, durch den er in ein Verhältnis zu sich selbst tritt, miteinander verflochten. Wie der Mensch sich selbst und seine Stellung sieht, das kann als der Inhalt menschlicher Geschichte bezeichnet werden. Im Alten Testament sind Mythos und Geschichte besonders eng miteinander verflochten, weil Gott als jemand beschrieben wird, der gegen den Menschen kämpft. Der Unterschied zwischen geschichtlicher Tatsache und GeschichtsbHd ist in der Vergangenheit etwas verwischt worden, weil anstelle des zweiten Begriffs ruuc!h der Begr.iff Geschichte verwendet wurde. Dieses Wort besagt u. a., daß das von ihm Bezeidhnete sich in irgendeiner Form wirklich 19
Die Bedeutung des Gedächtnisses für individuelle Selbstentwürfe ist allgemein bekannt. Es ist vielleicht von noch größerer Bedeutung für das Kollektivbewußtsein. Z. B. Alfred Heuß, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959, 17.
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ereignete. Aber solche Unterstellung ist nicht zwingend. Zwar schließt ein Geschichtsbild gewöhnlich Hinweise auf Ereignisse ein, die aJUch von der Geschichtsschreibung rekonstruiert werden können - dies gilt besonders für die im Kollektivverständnis stärker hervortretenden Daten - aber die sozio-psychologische Struktur eines solchen Bildes ist unabhängig davon, daß Hinweise auf Tatsächliches zutreffen. In Israel wurde Gott als mit und in der Geschkhte hanargeste t. 0 e em e sm niC t in erster Lmle my' sche Mäcihte, sondern menschliche Gewalten, söV'v öltl innerhalb WIe außerhalb des auserwählten Volkes. 20 Im dumpfen GroIIen der haIbmyrhischen Periode vor der Sintflut läßt sich Israels negative Einstellung zum Mensdhen ebenso vernehmen wie in den Beschreibungen fortgesetzter Bosheit und Widerspenstigkeit in den Erzvätererzählungen und in den Berichten von Starrsinn und fehlender Erkenntnis auf Seiten der Ägypter und Israeliten in den übrigen Teilen des Pentateuch. Auf\ Geschicihte (menschliche Geschichte) wird hier nicht deswegen Wert gelegt, weil sie gut ist, sondern eher deswegen, weil Gott gegen sie zu kämpfen hat. Gott wird, wenigstens zum Teil, als Gewinner der Schlacht angesehen und als einer, der eine neue unter seinem Gesetz stehende Epoche stiftet 2 1, in der er ein Volk schafft und ihm grundlegende Gesetze schenkt. Das Resultat ist, daß auf dem Hintergrund der Gesooichte eine neue mythische Periode geschaffen wird. Der Drachen des Chaos, der erschlagen worden ist, ist die menschliohe Geschichte selbst. Nach israelitischer Auffassung endet aber die Geschichte nicht mit dem Auszug aus 20
21
Einzelheiten siehe JBR XXIX, 1961, 104. Vgl. auch Johannes Hempel, Altes Testament und Geschichte, Gütersloh 1930, 21. Ähnlich Brevard S. Childs, Myth and Reality in the Old Testament, Naperville, IU. 1960, 82. Sie ist «existenz-begründend)) für Israel, mit Rolf Rendtorff (Rendtorff und Koch, Herausgeber, Studien zur Theologie der Alttestamentlichen Überlieferungen, Festschrift für Gerhard von Rad, Berlin 1961, 89). 183
(
Ägypten oder mit der Gesetzgebung am Sinai. Das Böse im Mensahen hebt wieder sein furchtbares Haupt - wenn nicht in der Wüste, so doch im Gelobten Land selbst. Israelitische Existenz wird als ein fortgesetztes Abweichen von der Norm gesehen, die Jahwe aufgestellt hat. Der «negative Archetyp» 22 wird ein grundlegender Stilzug der Geschichten, in denen Israel seine eigene vergangene Geschichte darstellt. Die heilige Zeit selbst, die von der Zeit der Patriarchen bis zu David reicht, wird Gegenstand der lrultischen Feier. Die priesterliche Darstellung enthält Gesetze und andere Verordnungen, die in die Form göttlicher Rede ge faßt sind. Diese Redeweise begegnet im Alten Testament immer dann, wenn vom Israeliten Gehorsam und Dankbarkeit und damit Anerkennung der Autorität und Erkenntnis der Abhängigkeit von einer Wirklichkeit gefordert wird, die größer ist als er selbst. Es ist also klar, daß Schuldgefühl und Anerkennung einer göttlichen Autorität eng miteinander verbunden sind. Und trotzdem gehö:rt es zu den Paradoxen der Schuld, daß diese in Erkenntnis und Bekenntnis aufgehoben wird. Auf diese Weise also kennt Israel eine negative Art der Geschichte 23; es ist diese Negativität seiner Auffassung, die das Leben 22
23
Andrew C. Tunyogi, The Rebellions of Israel, JBL LXXXI, 1962, 388. Aus dieser Sicht muß man die Interpretation von Rolf Rendtorff, KuD VII, 1961, 69-78 revidieren; denn die Sicht von J ist nicht die, daß «Mythos» schlecht und «Geschichte» gut ist, sondern eher die, daß ein göttlicher Kampf in der Geschichte notwendig ist, weil das Urbild des Menschen negativ ist. Die allgemeine Möglichkeit einer negativen Geschichte und ihre Verwirklichung in Israel ist schon von Hegel bemerkt worden, obwohl dieser entscheidende Aspekt seines Denkens im Optimismus des 19. Jahrhunderts weithin übersehen wurde. Vgl. ähnlich Mircea Eliade, Der Mythos der ewigen Wiedergeburt, Zürich 1961, 111. Kap.; ebenso Johannes Hempel, Die Mehrdeutigkeit der Geschichte als Problem der prophetischen Theologie, Göttingen 1936, 5. Eine in gewisser Weise negative Sicht ist in neuerer Zeit durch J ean Danielou, The Lord of History, Chicago 1958, 33, vertreten worden; ebenso durch den
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umformt, das an ihr festhält, und es ist gerade die versöhnte Gemeinschaft, die ihre Sünden bekennt und die anerkennt, daß Gott sie schon immer aus freiem Willen geliebt hat. Die geschidhtliche Periode des Auszugs war eines der entscheidenden Ereignisse, die die Annahme einer normschaffenden Tat Gottes nach der Schöpfung auslösten oder tIDterstützten. Das ist walhrscheinlich der Grund dafür, daß sie zum zentralen Ereignis des israelitischen Mythos erhoben wurde. Dies ist ein moderner historiographischer Versuch, sidh die Sache zurechtzulegen. Für die Israeliten war das Eingreifen Gottes in die menschliche Existenz wichtig innerhalb ihres symbolischen Vorstellungshorizontes. Fragen zur Vergangenheit müssen verbunden werden mit einer Analyse der Zukunft. Die zukünftige Aktivität Gottes kann mit von Rad zutreffend «eschatologisch» genannt werden. Von Rad gibt auoh einen zureichenden Grund an, sie so zu bezeichnen: er liegt darin, daß der eschatologische Ausblick eine negative Einstellung zu den in Israel bestehenden Ordnungen einschließt. 24 Dieses negative Element in der Eschatologie haben aber die Studenten von Rads übersehen. Pannenbergs Freund Rößler hat auf die enge Verbindung zwischen Geschichte und Eschatologie hinge-
24
eigentlich eher optimistisch zu nennenden Claude Tresmontant, Biblisches Denken und hellenistische überlieferung, Düsseldorf 1956, 171. Für Heidegger, dem Zeit zunächst auf den Tod hin gerichtet war, ist Geschichte nun der Bereich der
wiesen. 25 Eine solche Beobachtung beweist aber noch nicht, daß apokalyptisohe Tradition eine positive Einstellung zur Geschichte hat. Apokalyptische Literatur läßt im Gegenteil nicht im unklaren darüber, daß Geschiohte sich zunehmend auf ihr Ende zu bewegt, bis sie durch das Reich Gottes überholt wird. 26 Tatsächlich haben wir ja schon gesehen, daß eine Hervorhebung der Geschichte oft negativen Charakter hat. Dasselbe gilt für die Prophetie, die von der Apokalyptik zu unterscheiden ist. Das Interesse der Proplheten an der Geschidhte - wenigstens trifft dies für die Unheilspropheten zu - wird bestimmt durch ihre Opposition ihr gegenüber. 27 Insofern es bei ihnen eine positive Erwartung gibt, ist sie utopisch. Ein wichtiger Zug der Gerichtsdrohung ist der, daß das Ende in nächster Zukunft erwartet wird. Pannenberg hat ]esu Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Endes dadurch zu rechtfertigen versucht, daß er sie in dessen Auferstehung teilweise erfüllt sieht. 28 Dieser Vorschlag wird nicht der Tatsaahe gerecht, daß normalerweise zwischen der Erwartung eines unmittelbar bevorsteihenden Endes und einer äußerst negativen Haltung gegenüber der Gegenwart eine Wechselbeziehung besteht. Im Hinblick auf diese Wechselbeziehung kann die Behauptung eines unmittelbar bevorstehenden Endes als Ausdruck einer intensiven Hoffnung auf ein besseres Leben verstanden werden. 29 Außerhalb Israels sind «messianische)) Erwartungen 25 26
27
28 29
Dietrich Rößler, Gesetz und Geschichte, Neukirchen 1960. Daß im allgemeinen die israelitische Auffassung von Geschichte eine solche des Verfalls ist, ist auch von W. F. Albright in A. O. Lovejoy and George Boas, Primitivism and Related Ideas in Antiquity, Baltimore 1935, 429, gezeigt worden. Vgl. auch Klaus Koch, Die Eigenart der priesterschriftlichen Sinaigesetzgebung, ZThK LV, 1958, 45. Vgl. auch Martin Buber, Israel and the World, New York 1948, 130. Vgl. Pannenberg, oben (13 H.). Vgl. auch Carl Becker, The Heavenly City of the Eighteenth Century Philosophers, New Haven 1932, 138.
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und zuversichtliche Hoffnungen auf eine neue Welt und ihr baldiges Kommen dann entstanden, wenn primitive Kulturen unter der Einwirkung höher entwickelter Zivilisationen zerfielen. Der Niohiren-B'llddhismus trug schwer an dem Bewußtsein eines tiefsitzenden Übels und an der Überzeugung, daß die letzten Tage vor dem Sieg der wahren Wirklidhkeit gekommen seien. In ungebrochenen primitiven Religionen wird nur eine individuelle Eschatologie benötigt; die Gemeinschaftsordnung wird als ausreichend befähigt angesehen, mit ihren Problemen fertig zu werden. A:ber einige der großen alttestamentlichen Propheten sahen das Volk Israel in einem grundlegenden Widerspruch zur Gottlheit befangen. Deswegen kündigten sie ein schnelles Ende an und griffen, wenn möglich, nach Erscheinungen in der Völkerwelt, um ihre Prophezeiungen zu bestätigen. Die Voraussagen der Propheten sind gewöhnlich nicht seIn bestimmt. sie' ~prechen in ziemlich all emeiner, stark ge u sge a ener Sprac e über das Heil und Unheil, dem sicn Israel gegenubergesteIIf SIe1'lpo DIese AusClirucksweise reIcht aucn tatsadhhch IhIn, um angemessene Hilfe für notwendige Entscheidungen bereitzustellen, und das ist von jeher das Amt des Propheten gewesen. In Wirklichkeit dürfen Prophezeiungen gewöhnlich nicht als endgültig angesehen werden, besonders dann nicht, wenn Unheil angekündigt wird. Nur bei einigen der radikalen Propheten findet sich 'die Überzeugung, daß das Gericht nicht mehr abgewendet werden kann und daß der jüngste Tag bestimmt kommt. In diesem Fall liegt eine wirkliche Enderwartung vor, und es wird dabei eher eine Entscheidung im Sinne einer innerlichen Unterwerfung unter das Kom30
In dieser Hinsicht unterscheiden sich die alttestamentlichen Propheten kaum von Jesus (gegen Pannenberg, oben [11 f.]). Vgl. Ernst Jenni, Die politischen Voraussagen der Propheten, AThANT 29, 1956, auch wenn seine Rekonstruktion nicht immer überzeugend ist. Für eine detailliertere Behandlung des ganzen Problems israelitischer Prophetie siehe Martin Buss, The Prophets, Emory University Quarterly XVIII, 1962,221-228. 187
(
men Gottes gefordert als eine Änderung des HandeIns durch den Willen; ein «neues Herz)) ist nötig. Dieses Zeitdenken ist weder mit (physikalischer) «Wirkung)) noch mit dem (organismusartigen) «Ziel» eines Strebens zu vergleichen, sondern es zielt auf das (geistliche) Ende, dem man in aktiver Erwartung gegenübersteht. Die Religion Israels verschmelzt Ziel und Ende auf verschiedene Weise, eine Tatsache, die jüdischen Theologen geläufig iSt. 31 Die ~ategorie der «Zukunft)) gehört im Unterschied zu der des «Endes)) eigentlich in den Bereich der Weisheit, wo 'aharit (Wirkung, Ergebnis) oft alls Bezeichnung für die Auswirkungen des Übels erscheint. Klaus Koch hat für das Alte Testament nachgewiesen, daß das, was sonst Vergeltung genannt werden könnte, von der Weisheit her ZlU verstehen ist, so daß etwa der sogenannte Lohn in Wirklichkeit eine notwendige Konsequenz der Tat des Menschen ist. 32 (Tatsächlich zeigt der Pannenberg-Kreis in seiner Betonung von Rationalität und Objektivität eine Affinität zur Weisheit 33 .) Tatsachengeschichtsschreibung im Alten Testament - so wie man sie in Gerichtsprotokollen findet - war vermutliclh eine Angelegenheit der Schriftgelehrten, die zu den Kreisen der Weisheit zälhlten. Es ist also irreführend zu sagen, daß Weisheit keine Beziehung zur Geschichte hat. Zwar zeigt Weisheit geringes Interesse an der Heilsgeschichte, aber sie weist viele Berührungsstellen mit säkularen Erscheinungsformen der Geschichte auf; diese können noch 31
32
33
Z. B. Martin Buber, Die chassidische Botschaft, Heidelberg 1952, 76,79. In jüngster Zeit wiederum, jetzt in offenbarer Abhängigkeit von Pannenberg, in: «Der Spruch ,Sein Blut bleibe auf seinem Haupt' und die israelitische Auffassung vom vergossenen Blufl>, VT XII, 1962, 414 f. Während ich im großen und ganzen mit Kochs ursprünglicher Formulierung übereinstimmen konnte, erscheint seine augenblickliche Akzentsetzung zu rationalistisch. Eine ähnliche Betonung von Rationalität und Objektivität läßt sich bei E.]. Carnell, The Case for Orthodox Theology, Philadelphia 1959, finden.
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am ehesten als Gegenstücke zu Pannenbergs Auffassung von der Geschichte als nachweisbarer Wirklichkeit gelten. Die Erzählung von der Thronnachfolge Davids und die 10sephsgeschichte (in denen Pannenberg zu Recht keine prophetische Absicht sieht3 4) sind bekannte Beispiele einer von der Weisheit beeinflußten Literatur. 35 Die dritte Abteilung des hebräischen Kanons ist voll von menschlichen Erzählungen (erfundenen und anderen, z. B. den Memoiren Nehemias). Die deuteronomistische Schule, die für ein ausgearbeitetes Geschidhtswerk verantwortlich zeichnet, ist -deutlich von der Weisheit beeinflußt. Ansichten der Weisheit drangen wahrscheinliclh auch in die Überlieferung der eigentlichen Heilsgeschichte Israels ein. 36 Pannenberg bezieht sich auf den Satz «damit sie erkennen, daß ich Gott bin», der anzeige, daß Israel ein öffentliches Bekanntwerden der Taten 1ahwes erwartete. 87 Daran ist etwas Wahres. Aber es muß auch festgehalten werden, daß dieser Satz 1 ahwe in den Mund gelegt ist. Er ist Teil der priesterlichen und prophetischen Offenbarung und - trotz der Verwendung des Wortes «wissen» - nicht in erster Linie Teil des Bildungswissens der Weisheit, dessen Aussagen sich immer in die Form menschlicher Rede kleiden. Diese «Erkenntnis-Formel» ist auf einen sehr kleinen Sprachbereidh der Exilszeit beschränkt und spiegelt wahrscheinlich die Unruhe über 1a:hwes Macht nach dem Untergang 1erusalems 38; sie ist das - möglioherweise ver34
35
36
37 3B
Vgl. Pannenberg, oben (28). Vgl. Gerhard von Rad, Gesammelte Studien zum Alten Testament, München 1958, 148-188,272-280. Das Element der Rationalität in der israelitischen Existenzauffassung ist besonders herausgestellt worden durch Arthur Weiser, Glaube und Geschichte im Alten Testament, Stuttgart 1931, 44-47 (mit Ausnahme der Propheten, 85). Einige Spuren der Weisheit verlangen eine gesonderte Untersuchung. Vgl. Pannenberg, oben (19,22). Hesekiel, Psalmen und 1. Kön. 20. (Daß die letztgenannte Stelle exilisch ist, wird in einer unveröffentlichten Dissertation von Max Miller, 1964, belegt.) 189
hängnisvolle - Ergebnis einer Verbindung von wenigstens zwei Elementen: der sakralen Selbstdarstellungsformel und dem Ausdruck «wissen», welcher sowohl priesterliche als weisheitliche Assoziationen hatte und so einem Ineinanderfließen der Perspektiven Vorschub leisten konnte. Trotz einer gewissen Überschneidung rund eines gewissen Verschwimmens der Konturen bemüht sich die israelitisdhe Sprache, grund-legende (priesterliche) und eschatologische (prophetische) Ausdrucksweise vorwiegend in göttlicher Rede wiederzugeben und diese Ausdrucksbereiohe insgesamt deutlich von anderen zu unterscheiden. Weisheit hält nur gewöhnliche menschliche Ereignisse für die Beobachtung ZlUgänglich. Die göttliche Wirklichkeit oder Gottes Heilsplan sind ein Geheimnis, das offenbart werden muß. 39 Die einzige Stelle der Weisheitsliteratur, an der Gott spricht, findet sich am Ende des Buches Hiob (wenn dieses Werk überhaupt zur Weisheitsliteratur zählt), wo Gott aber nur sagt, «ich bin größer als dUl), und damit anzeigt, daß menschliches Begreifen begrenzt ist und den Sinn und das innerste Wesen des Lebens niaht ergründen kann. In reiner Weisheitsliteratur führt nur ,die via negationis zu Gott, obwohl man viele Pfade wandelt, die von ilim herkommen. Erkenntnis der Welt hat also in Israel ihren Platz im Zusammenhang mit den Forderungen der Gottheit an die Existenz des Menschen. Diese zwei Aspekte sind nicht im strengen Sinne antithetisch, obwohl sie oft unterschieden werden, denn die israelitische Einstellung zur Geschichte war nicht völlig negativ und nicht selten begegnet eine positive HaJtung im Bezug zur Welt und zum Selbst. Es blieb den Christen vorbehalten, radikaler mit der Geschidhte zu brechen und den Menschen von sich selbst, von Gott und von der gegenständlichen Welt zu entfremden. Es trifft zu, daß J esus Christus für den Christen das Zentrum der Geschichte darstellt, aber als Ereignis gipfelt 39
Vgl. Eeel. 3,11, ganz abgesehen davon, wie die genaue Exegese sein mag.
190
sein Leben im Kreuz, einem Symbol des vollkommenen Scheitems der Existenz. Die Auferstehung, das ZentliUTIl des christlichen Glaubens, ist eine esdhatologische Kategorie. Wie wir bereits gesehen haben, ist Eschatologie strukturell verschieden von menschlicher Geschichte (z. B. in primitiver Religion und im Judentum), denn sie ist eine mythische oder der Offenbarung zugehörige Kategorie und verlangt nach einer Haltung der aktiven Erwartung. Im Christentum ist die Möglichkeit menschlicher Vernunft oder moralischer Selbstbehauptung sogar noch stärker eingeengt als im Judentum, wenigstens hinsichtlich einer positiven Bedeutung für den Glauben. So schließt z. B. Jesu Lehre die Angelegenheiten praktischer Weisheit, die doch in der rabbinischen Tradition ein anhaltendes Interesse fanden 40, kategorisch aus. Seine Ethik ist auf geradezu phantastische Weise unpraktisch. Weisheit, wie sie sich durchgängig im Neuen Testament findet, nimmt die besondere Form eschatologischer Weisheit an, die ja schon in der jüdischen Apokalyptik aufgetreten war. Eine befriedigende Diskussion der Apokalyptik, die für die Pannenberg-Gruppe (und neuerdings auch für einige andere Forscher in ähnlicher Weise 41) zu einem wiohtigen Thema geworden ist, ist hier nicht möglich. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, daß die apokalyptische Tradition eine Spielart negativer Theologie ist. Ihre Erkenntnis zeichnet sich dadurch aus, daß sie den Menschen an den ihm gebührenden Platz stellt; ihre Einstellung zur Geschichte ist von entschiedener Absage an nationale Kulturen bestimmt. Ein deutliches Analogon liegt wahrscheinlich im Buddhismus vor, der eben40
41
Vgl. Joseph Klausner, Jesus of Nazareth, NewYork 1925, 373 und pass~m, und die Aufzählung in Gustaf Dalman, J esusJeschua, Leipzig 1922, 201-214. Z. B. Ernst Käsemann, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, ZThK LIX, 1962, 257-284, eine Auffassung von der Apokalyptik, die sehr verschieden ist von der hier angenommenen. 191
falls im wesentlichen jenseitsbezogene Weisheit ist, die gegenwärtige Situation zu übersteigen sucht und die Vernunft benutzt, um menschliche Anmaßung zu zerschlagen. Das Christentum veränderte die Apokalyptik weitgehend durch 'seine Anschauung, daß die Auferstehung dem Glauben schon gegenwärtig sei. Gewisse Ausprägungen des Buddhismus schritten in ähnlicher Weise zu der Annahme, das Nirvana sei schon jetzt gegenwärtig. Es liegt auf der Hand, daß die zwei religiösen Gruppen ihre Probleme in etwas verschiedener Weise lösten, was teilweise mit ihrer verschiedenen Erbsohaft zu erklären ist, die sie aus dem Alten Testament bzw. aus dem Frühhinduismus überkommen hatten; trotzdem haben sie vieles gemeinsam, was sie von ihren Erblassern unterscheidet. 42 Pannenberg beginnt seinen Aufsatz in diesem Bande mit der Feststellung, daß «wir es in Jesus von Nazareth mit Gott selbst zu tun haben)). Das sieht aus wie eine Feststellung über Tatsachen und ist von Pannenberg tatsächlich so gemeint. Aber schon Luther erkannte, daß ein vorwegnehmender oder sohöpferisoher Urteilsspruch gleichbedeutend ist mit der Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben. 43 Die vorausgehende Analyse hat uns Grund zu der Annahme gegeben, daß alle eschatologischen Erklärungen auf den Sprecher bezogene gefüihlsmäßige Feststellungen sind. An die Gegenwärtigkeit des Endes glauben heißt, an die Gegenwärtigkeit derjenigen Wirklichkeit zu glauben, die man in Erwartung empfängt, oder es heißt, um 42
43
Die Trennungslinien zwischen Hinduismus und Buddhismus entsprechen nicht genau denen zwischen Judentum und Christentum, aber sie kommen ihnen doch ziemlich nahe. Hynayana und bhakti sind vielleicht Beispiele für überschneidung; aber die zwei westlichen Glaubensrichtungen sind ebenfalls nicht vollkommen homogen. (Man könnte Hinayana mit Jesus vergleichen, obwohl die Auffassung Jesu noch nicht ganz geklärt ist.) Zum Vergleich gewisser biblischer mit einigen östlichen Themen siehe auch Thomas J. J. Altizer, Oriental Mysticism and Biblical Eschatology, Philadelphia 1961. Heidelberger Disputation (1518), These 28.
192
mit Luther zu sprechen, die Vergebung der Sünden anzunehmen. Verfolgen wir die Schritte zurück, die wir gegangen sind, so läßt sich folgendes sagen: wenn gegenwärtige Gesdhidhte böse und eschatologische Wirklichkeit vollkommen ist, dann bedeutet die Gegenwärtigkeit des Endes das Erfassen des Vollkommenen im Unvollkommenen, des wahren Seins inmitten bloßer Existenz. Dies ist die ontologische Bedeutung des Satzes: «Jesus ist der Christus». Es ist nicht notwendig, eine solche Feststellung als eine auf Tatsachen bezogene zu verstehen. Das würde sie in den Geltungsbereich kritischer Objektivität stellen, die ihren Platz im Bereich menschlicher Vernunft hat, deren Spuren schon in der israelitischen Weisheit, stärker in der griechisdhen Kultur und am stärksten dann in der modemen Wissenschaft auftauchen. Humanistische und kritische Studien aber bauen auf dem Axiom auf, daß Werturteile nicht auf der Grundlage objektiver Daten abgegeben und letzte Verpflichtungen auf diese Weise nicht eingegangen werden können; Behauptungen wie die Pannenbergs, daß «... die Juden ihren Gott (kannten) und ( ... ) ihn doch nicht (kannten); sonst hätten sie Jesus nicht verworfen» 44, oder «dem hellenistischen Gottesverständnis . .. (geschah) eine tiefere Erfüllung)) 45, werden von ilhnen tunlichst vermieden. Es trifft zu, daß Pannenberg diese modeme - und in mancher Hinsicht alte - Konvention zu verändern sucht. Aber im weiteren Verlauf seiner Ausführungen schlägt er Lösungen vor (so z. B., daß die Auferstehung sich «tatsächlich» ereignet habe), die die meisten Historiker nicht überzeugen 46, während er gleichzeitig dem antiken Menschen ohne zwingenden Grund 44 45
46
Vgl. Pannenberg, oben (4). Ibid. (8). Auf der Basis rein historischer überlegungen könnte man mit maximal 30prozentiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Geschichte vom leeren Grab auf Tatsachen beruht; sie kann kaum zu einem Eckstein des Glaubens gemacht werden. 193
ein Interesse an unbeteiligter Objektivität zuschreibt. Nicht nur wies Jesus Zeichen als einen Weg zum Glauben zurück, sondern der antike religiöse Mensch hatte ganz allgemein wenig Interesse an Fakten, die ohne innere Beteiligung hätten betrachtet werden sollen. Das Judentum wies Jesus natürlich zurück, und es schlug einen Weg ein, der demjenigen weithin parallel läuft, der im Alten Testament vorgezeichnet ist. 47 Ein starkes Argument für den jüdischen Weg liegt darin, daß er alle Aspekte des Lebens zu einem zusammenhängenden Ganzen vereinigt, während das Christentum (wenn man es ernst nimmt) eine ernsthafte Bedrohung der sozialen Ordnung darstellt. Der ohristliche Glaube wurde wie von selbst eine Missionsreligion, da er nicht eng mit dem Leben in der Gesellschaft verbunden war. 48 Deshalb breitete er sich in der hellenistischen Welt aus; genauso wurde der ähnlich individualistische und jenseitsbezogene Buddhismus eine Weltreligion, die nicht in der Lage war, sich in ihrem Ursprungsland zu behaupten. Auf diese Weise war das Christentum fähig, mit der griechischen religiösen Entwicklung in Berührung zu kommen, auf die Pannenberg hingewiesen hat. 47
48
Christliche Wissenschaftler sind oft nicht sorgfältig genug darin, zu erkennen, daß das Judentum ein echterer Abkömmling des Alten Testamentes ist als das Christentum. (Zu diesem Punkt vgl. Nietzsche, «Götzendämmerung ll , § 84.) Es besteht in vielen Veröffentlichungen eine Tendenz, «Israel) in guter, «Judentum» in abwertender Bedeutung zu verwenden (Pannenbergs Aufsatz in diesem Band kommt diesem Wortgebrauch sehr nahe; vgl. oben [IV]. Es gibt keine historiographische Rechtfertigung für solche Unterscheidung, es sei denn eine Unterscheidung der Art, die die Christen des ersten J ahrhunderts von den später lebenden trennt. Vgl. Gustav Mensching, Die Religion, Stuttgart 1959, 73.
194
III. Die Gegenwart und das Unendliche Eine der Fragen, die sich ein nachdenklicher Mensch stellen kann, ist die, warum ein Teil der Welt zufällig dort ist, wo er im Augenblick ist. Warum existiert der Mensch jetzt? Die Antwort ist verhältnismäßig einfach. Niemand würde über die Existenz nachdenken oder sich Sorgen darüber machen, wenn es nicht ein Wesen gäbe, das daraufhin angelegt ist, so zu denken und sich solche Sorgen zu machen. Der Mensoh muß in der Gegenwart leben. Die Gegenwart ist notwendigerweise dort, wo man, existiert und nachdenkt; daher liegt nichts Willkürliches darin, die unendliche Wirklichkeit auf den gegenwärtigen Menschen Z'll: beziehen. In jedem gegenwärtigen Augenblick kann der Mensch zur Herrlichkeit Gottes leben, einer Herrlichkeit, die sich darin offenbart, daß Gott einer Existenz, die von ihm getrennt ist, Gnade gibt. Obwohl Pannenberg das Element der Unendlichkeit im christlichen Glauben hervorhebt, macht er dieses Element unwirksam, indem er es als endlich erscheinen läßt; das geschieht dadurch, daß er es in Zeit und Raum ansiedelt. Das Unendliche kann in der Welt bestenfalls in paradoxer Weise gegenwärtig sein. In gewisser Hinsicht ist Pannenberg durdhaus modern. Er möchte sich der Wirklichkeit des Glaubens aufgrund seines eigenen Wissens vergewissern. Wie vielen anderen heutigen Menschen fehlt ihm aber eine Schau des Transzendenten. 49 Er möchte die menscihliche Existenz bestätigen. Aber kann er seinen Glauben mit menschlicher Vernunft retten? Wohl kaum. Er wird nicht nur auf der Stufe der Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit stehenbleiben - was für weltliches Wissen 49
Vgl. Pannenberg, oben (27), wenn er abstreitet, daß man überzeugende Erfahrungen des Auferstandenen hat. Dies ist in gewisser Weise korrekt, aber direkte Wahrnehmungen der Unendlichkeit sind von substantiellen Erfahrungen, die sich auf Objekte beziehen, verschieden und sind möglicherweise den Augenblicken bedeutender Entscheidungen vergleichbar.
195
konstitutiv ist 50 -, sondern er muß auch das Gespür der Selbstau~gabe (und damit einer Selbstfindung) in Gott verlieren; das ist das Wesen des Glaubens, wenn er dem begegnet, was das Alte Testament das göttliche Wort nennt. Sogar kritisches Studium weiß, daß die höchsten Augenblicke des Menschen den Modus der (Selbst-)Behauptung transzendieren. Die Aktivität Gottes ist wichtig für die biblische Religion. Aber man muß klarmadhen, was es heißt, wenn man sagt: «Gott handelt». Wie Abraham Heschel vor Jaihren ausführte, offenbart Gott nicht sich selbst, sondern sein «PathOS».51 Hier muß man radikaler sein als Pannenberg. Genau gesproohen offenbart Gott nicht sich selbst als Wesen, auoh nicht indirekt. Man könnte eher sagen, Gott schaffe eine Situation der Gnade. Gott offenbart seine Vergebung, oder besser, er setzt sie und damit seine Herrschaft in die Tat um. Der Sinn der Weltgeschichte liegt für den Christen darin, daß Gott sie in Liebe beansprucht und den Sieg erst gewinnt, nachdem er in dieser Geschichte dem Tod begegnet ist. 52 Der Glaube an Christus bedeutet, daß man seinen ei,genen Wert als ein Geschenk annimmt, d. h. ohne Selbstbehauptung. «Gott» bezeichnet das unsagbare Unendliche, d'as in einer Ekstase und in der Liebe flüchtig geschaut wird, von dem wir aber nur in der Selbstaufgabe wissen. 53
50
51 52
53
Die Tatsache, daß jedes historische Wissen nur eine Wahrscheinlichkeit der Gewißheit erreicht, ist kein Argument gegen Pannenberg, wenn er die Konsequenzen seiner Auffassung zu tragen bereit ist; man würde gerne wissen, genau welchen Grad der Ungewißheit er empfindet. Ungewißheit in der Theologie (als unterschieden von Glauben, der nicht im Bereich der bloßen «Meinung)) liegt) ist in jedem Fall unvermeidbar. Abraham Heschel, Die Prophetie, Berlin 1936. Vgl. die sehr feinfühlige Diskussion durch Sigmund Freud, Moses und Monotheismus, Gesammelte Werke XVI, ed. Anna Freud u. a., London 1950, 244-246. Susan Sontag, eine junge jüdische Literatin, wählte in einer Vorlesung jüngeren Datums vielleicht einen glücklichen Begriff, als sie diese Realität als das Transpersonale bezeichnete.
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4. OFFENBARUNG UND AUFERSTEHUNG KENDRICK GROBEL
t
I.
In seinem Aufsatz «Gottes Offenbarung in ]esus von Nazareth» bezieht sich Pro.fesso.r Pannenberg auf eigene Arbeiten und auf so.lche seiner Mitarbeiter Ro.lf Rendto.rff und Ulrich Wilckens in «Offenbarung als Geschiohte».l Auf der Grundlage dieser Arbeiten erklärt er: «Der israelitische Gedanke einer Erkenntnis Go.ttes durch eine eigens zu diesem Zweck vo.n Gott gewirkte Geschichte entspricht am ehesten vo.n allen vergleiohbaren biblischen Prägungen dem mo.dernen Sinn des Wo.rtes Offenbarung als Selbstenthüllung, Selbstkundgabe Go.ttes. Bekanntlich haben die übrigen Termini, die gewöhnlich duroh das Wo.rt Offenbarung, offenbaren wiedergegeben werden, weder im Alten noch im Neuen Testament die Bedeutung Selbsto.ffenbarung. Doch hinsichtlich des Begriffs Erkenntnis ist ausdrücklich darvo.n die Rede, daß Go.tt durch seine Taten sich selbst zu erkennen gibt, und damit deckt sich der Sache naoh auch der Begriff der Herrlichkeit Go.ttes».2 Demzufo.lge stellt Pannenberg die Beziehung zwischen Offenbarung und Geschidhte her auf der Grundlage des biblischen Begriffs der «Erkenntnis» Gottes durch die Geschichte. Was «Geschichte» anbetrifft, so. kennt weder das Alte noch das Neue Testament einen beso.nderen Ausdruck dafür (gewiß nicht das strapazierte Wo.rt '~', nicht einmal in t:l"~"i1 "'~', das diarium, Tagebuch, zu bedeuten scheint), auch nicht für «hebräische Geschichte» oder «Weltge1
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Wolfhart Pannenberg, Offenbarung als Geschichte, KuD Beiheft 1, 1961. Vgl. oben, Pannenberg, S. 157 f. 197
schichte» und schon gar nicht für die Totalität alles Geschehens, die «Universalgeschichte». Pannerrberg erwartet zu Recht von seinen Zuhörern und Lesern, ihm darin zuzustimmen, daß die Bibel immer wieder über Geschichte spricht (oder sollten wir ein gewichtiges Wörtchen auslassen und nur sagen: Geschidhte sprioht?), ohne sie je beim Namen zu nennen oder auch nur einen Namen dafür 21ur Verfügung zu haben. Wie viele Dinge gibt es, mit denen die Bibel sich beschäftigt oder über die sie diskutiert, doch sind es nie Namen! Sie kennt kein Wort für Theologie, wahrscheinlich aus dem einfachen Grunde, weil sie nicht über Gott redet, sondern ihn verkündet (außerdem war ih:OAOYLU als Terminus belastet: das Wort bezog sich auf die rheogonischen Mythen der Olympier und der Mysteriengottheiten). Die Bibel hat kein Wort für Psychologie und Anthropologie, obwohl sie ein lebhaftes Interesse am Menschen und an seinem Geist hat. Sie hat kein Wort für Ethik (wenn ein solches aus neutestamentlichem Wortmaterial heraus gebildet worden wäre, könnte es durchaus nEQLnu't'YjoL;' gelautet haben!), und vielleicht sehen wir gewisse biblische Auffassungen ganz falsch, wenn wir sie mit dem Etikett «ethisch» versehen und dabei Ethik lediglich ein gesellschaftliches Relikt des als Konvention übernommenen ~{to;, oder mos ist, ohne daß irgendweloher Bezug zum Willen eines gerechten Gottes besteht. Die Beispiele ließen sich beliebig häufen. Die biblischen Autoren empfanden nie ein so starkes Bedürfnis wie wir, ihre Überlegungen mit Wort-Etiketten zu identifizieren, und wenn sie es doch einmal taten, verfertigten sie keine Klassifikationen jener sehr abstrakten Art, wie sie von Philosophen zur Einteilung universalen Wissens benutzt werden. Infolgedessen hält uns das Fehlen eines bestimmten Fachausdrucks in der Bibel nicht davon ab, das in ihm angesprochene Thema dort zu finden; andererseits garantiert sein Vorhandensein nicht, daß unsere Deduktionen aus dem biblischen Denken schon legitim sind, wenn wir nur den vorgefundenen Begriff verwenden. 198
Alle Diskussionsbeiträge zum Begriff Offenbarung in «Offenbarung als Geschichte» sind sorgfältig «verklausuliert». Positionen, die sich von der Pannenbergs unterscheiden wollten, müßten sich vermutlich auf eine biblische Form der Selbst-Offenbarung berufen, die von der durch Geschiohte vermittelten Erkenntnis Gottes verschieden ist. Pannenberg findet in der Bibel keine solche abweichende Auffassung. So wie er das Problem sieht, würde diese Asuffass'lll1g wenigstens drei Bedingungen erfüllen müssen: erstens müßte sie direkt, nicht indirekt sein; zweitens müßte sie vollständige, nicht nur teilweise Offenbarung sein; und drittens müßte ihr Objekt Gott selbst sein und nicht etwas, was nur zu Gott gehört. Eine vierte Bedingung, nämlich die, daß sie durch einen Fachausdruck, nämlich Offenbarung bezeichnet wird, ist offenbar erwünscht, wird aber nicht als unbedingt erforderlich angesehen. Wenn auch nur eine der drei von Pannenberg gestellten Bedingungen fehlt, kann er erklären, eine Alternative zur Auffassung der Selbstoffenbarung, wie sie durch die Geschidhte gegeben sei, liege nicht vor. Gewiß hat jeder Forscher das Recht zu entscheiden, wonach er schürfen will, aber es kann sein, daß er sich bei seiner Arbeit Gold oder Uran durch die Finger gleiten läßt. Lassen Sie uns zunächst den Begriff Offenbarung näher untersuchen! 'Anox.aAlm:t'o) war spätestens seit dem 5. Jahrhundert vor Christus verwendet worden (Herodat) ; revelo kennt man erst seit der Zeit des Augustus. Weil es schon zahlreiche Synonyme gab (nrudo, retego, patefacto, usw.), ist es wahrscheinlich, das revelo einfach eine jener zahlreichen LehnÜ'bersetzungen aus dem Griechischen ist, womit das Lateinische seinen Wortschatz bereicherte: &no = re, x.aAunt'o) = velo. 3 So ist also revelo als Satelliten-
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Die Ableitungen von revelo scheinen fast ausschließlich zum kirchlichen Wortschatz zu gehören und aus der Notwendigkeit heraus entstanden zu sein, kirchliches Gedankengut zu übersetzen. 199
wort und Ableitung mit einbegriffen, wenn wir von &.3t0sprechen. Zunächst überrascht es ein wenig, wenn man darauf hingewiesen wird, daß das Nomen &'3tOXUA1J'\IJL~ in der Septuaginta nie in theologischer Bedeutung begegnet, daß es überhaupt nur einmal in einem Buch des hebräischen Kanons vorkommt und daß das Verb il~~ -&.3tOXaAU3t~ELV nur selten theologische Bedeutung annimmt. 4 Die Verwunderung darüber schwindet bald, wenn man erkennnt, daß ein Verbum, das nie seine ursprüngliche Bedeutung «offenlegen» verliert, einer Wahrnehmung durch Tast- und Gesichtssinn angemessen ist, aber nicht einer Wahrnehmung durch das Ohr. Die Bibel beschreibt die Erfahrung der Wahrnehmung Gottes in der Offenbarung fast nie mit Metaphern aus dem Bereich des Tastsinnes. 5 Die Bibel spricht zwar v:om Sehen Gottes und davon, daß Gott sich selbst «sehen läßt» (1. Sam. 3, 7. 21). In diese Kategorie gehören die &.3toxaAu3t~ffi-Stellen. Trotzdem nennt die griechische Bibel die visuell beschriebene BegegIllUl1g mit Gott nie eine itEffiQLa, noch spriciht sie je von einem Versuch, eine geistige itEffiQLa zu entwerfen, die dem Gott Israels und der Kirche entspräche. 6 Es ist wahrscheinlich richtig, daß der biblische Mensch öfter oder zumindest charakteristischer vom Hören als vom Sehen Gottes spricht, obwohl ich dafür keine Statistik beifügen kann. Es würde also auf der Hand liegen, daß man sich bei der Suche nach einem irgendwie als XaAU3t~ffi
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Diese seltenen Ausnahmen, z. B. 1. Sam. 2, 27; 3,7.21; les. 40, 5 sind in Wirklichkeit gewichtiger, als Rendtorff es in seiner Bemerkung, dieser Ausdruck sei «denkbar ungeeigneb> für den Ausgangspunkt der Überlegung, zugestehen möchte. Vgl. «Offenbarung als Geschichte», S.23 (siehe oben, S.69). Eine mögliche Ausnahme bildet Apg.17, 27. Aber sogar hier bedeutet 'Il''YJAacpuro nicht notwendigerweise «berühren», sondern «tasten nach». Wenn «berühren» gemeint wäre, müßten die Verben vertauscht werden - nicht «berühren» und dann «finden», wie der Text sagt, sondern «finden» und dann «berühren». Vgl. oben, S. 102 f.
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Fachausdruck zu bezeichnenden Wort für Gottes Selbstmitteilung oder für die menschliche Erfassung dieser Mitteilung von visueller Beschreibung weg und hin zu auditiver wenden müßte. Ausgenommen den Fall, daß man benommen ist durch eine neue Entdeckung (z. B., daß Geschichte, auch einfache, uninterpretierte Geschichte Offenbarung sein kann), sollte es klar bleiben - und für die meisten gilt das auch -, daß «Worh oder «Sprache» die Nomina sind, nach denen wir suchen, und «sprechen)) und «hören)) das zugehörige Verb alp aar. Ich möchte behaupten, daß diese Wörter sowohl die grundlegenden Fachausdrücke für Gottes Selbstmitteilung bleiben als auch die grundlegenden biblischen Vorstellungen dieser Mitteilung. Warum sollte die Bibel auf so unhellenistische Art das Ohr gegenüber dem Auge bevorzugen, wenn sie versucht, die letztlich unbeschreibbare Wahrnehmung des sich mitteilenden Gottes zu beschreiben? Hans Jonas hat einen kleinen Artikel geschrieben, der ganz vom griechischen Standpunkt aus konzipiert ist und der auf dem Wege der Antithese einige interessante Antworten bietet. Er hat ihn «The Nobility of Sight» 7 überschrieben. Das Auge gewährt einen gleichzeitigen, unmittelbaren Überblick über ein weites Gesichtsfeld; wogegen das Gehör, wie die anderen Sinne, nur eine zeitliche Folge von Sinneswahrnehmungen vermitteln, nur aufeinander folgende Akte des Umweltgeschehens mitteilen kann. Im Lichte dieser von J onas vorgetragenen Unterscheidung können wir sehen, daß visuelle Begriffe angemessener wären, wenn die Bibel in erster Linie am Sein und am Wesen Gottes interessiert wäre. Aber da sie mehr an dem Gott interessiert ist, der unerwartet hervortritt, der sein «Es werde!» sagt und sich dann zurückzieht, bis er zu seiner Zeit wieder hervortritt, dann scheint Hören angemessen zu sein. Noch einmal stellt Jonas fest, daß der Ton nur eine dynamische, nie eine 7
Hans Jonas, «The Nobility of Sighh, Philosophy and Phenomenological Research, XIV, 1954, S.507-519. 201
statische Wirkliohkeit vermitteln kann, wie auch das Ohr nur diese dynamische Wirklichkeit aufnehmen kann. Selbst wenn man den Gott der Bibel lieber als «für und für während» und als immer sich selbst gleichbleibend denkt (Ps. 102,25 ff.) und nicht als den in irgendeiner zeitlosen Ewigkeit existierenden Gott, so erhellt schon die bloße Frage, ob dieser Gott grundsätzlioh als statisch oder als dynamisch aufzufassen ist, in unmittelbarer Weise, warum Hören angemessener ist als Sehen. Und wiederum betont ]onas, daß Hören sich, verglichen mit Sehen, im Nachteil befindet, weil der Hörer «vollkommen abhängig ist von etwas, das außerhalb seiner Ko.ntrolle geschieht. Alles, was er zur Situation beitragen kann, ist ein Zustand aufmerksamer Bereitschaft für die Laute, die ertönen sollen». B Seine Ohren haben keine Augenlider, um auszuschließen, noch können seine Ohren wie die umherblickenden Augäpfel hin und her wandern, 'Um aufzunehmen. Derjenige, der sieht, kann Herr alles dessen sein, was er überblickt, derjenige jedoch, der hört, ist der Wirklichkeit, die ihn umgibt und die bestimmt, ob sie einen Laut von sich gibt oder schweigt, preisgegeben. Der Paulus, der beiläufig sagt: «Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen)) (2. Kor. 5,7), ist sehr nahe daran zu sagen, «wir wandeln im Hören lind nicht im Schauen)), insofern nämlich, als Glauben für ihn lJ1taxo~ (Gehorsam) und u.1taxo~ eine qualifizierte Art der &xo~ (des Hörens) ist. Schließlich stellt ]onas fest: «Dinge sind aufgrund ihrer eigentlichen Natur nicht hörbar so wie sie sichtbar sind)). 9 Aber gilt das für Personen? Wird ein Wesen in meiner Umwelt mir als Person lebendig, bevor es sich ausspricht, bevor es in das wechselseitige Geben und Nehmen der Rede eintritt? Wahrscheinlich nicht. Die Personalität Gottes ist wahrscheinlich der äußerste Anthropomorphismus der Bibel und vielleicht ein nicht mehr weiter reduzierbarer. Er ist wahrscheinlich eine 8 9
A. a. 0., S.509. (Die Sperrungen sind von mir.) A. a. 0., S.514.
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genauso hilflose menschliohe Metapher wie das «HinterGott-her-Schauen» (Ex 33,23), das alles war, was selbst Mose zu schauen erlaubt war; aber wir sollten bereit sein für den möglichen Beweis, daß die Bibel mit der Personalität Gottes nur sagen will, daß Gott wenigstens eine Person ist oder daß seine Wirklichkeit, wenn auch unerkennbar, doch auf der Linie dessen liegt, was uns charakteristisch für eine Person erscheint. Jedenfalls haben biblische Mensdhen die ihnen geschehende Begegnung Gottes in Begriffen besohrieben, mit denen eine Person wahrgenommen wird: als den Gott, der mit dem hörenden Menschen spricht - die großartigste und häufigste biblische Analogie zur Personalität Gottes. Der Aufsatz von J onas bewies den «Adel», den für den Philosophen das Sehen aUen anderen Sinnen gegenüber hat. Dieser Aufsatz sollte durch einen anderen - als Gegenstück gleichsam - ergänzt werden, und Jonas könnte ihn sehr wohl selbst schreiben. Das Thema dieses Artikels: «der Segen des Hörens» für den Menschen des Glaubens. 10 10
Vgl. Jonas, «Heidegger und die Theologie)), Ev Th, 24, 1964, 621-642, bes. S.622: «Eine von (Philon) aus dem Namen ,Israel' etymologisch herausgesponnene Allegorie wird zu einem unwillkürlichen Symbol dessen, was durch ihn und seine Nachfolger mit dem biblischen Wort geschah. Der Name soll bedeuten ,der Gott Schauende', und die Umbenennung Jakobs zu Israel (beim Kampf mit dem Engel) soll den Fortschritt des Gottessuchers von der Stufe des Hörens zu der des Sehens bezeichnen, einen Fortschritt, ermöglicht durch die wunderbare Verwandlung der Ohren in Augen. Die Allegorie fällt in das allgemeine Schema der philonischen Idee von Gotteserkenntnis. Diese gründet auf der platonischen Voraussetzung, daß der gültigste Bezug zum Seienden die Anschauung ist. Wird dieser Vorrang des ,Optischen' auf die religiöse Sphäre ausgedehnt, wie Philo es tut, dann bestimmt er auch den höchsten eigentlichen Zugang zu Gott - damit aber auch zum Worte Gottes. Diesem wird in der Tat von Philo ein Seinssinn zugeschrieben, dem gemäß nicht Hören, sondern Sehen, d. h. intellektuelle Anschauung, die ihm angemessenste Zugangsart ist. ,Menschenstimme', so sagt er, ,ist hörbar, die Stimme Gottes aber in 203
H.
Wir kehren zu den drei Bedingungen zurück, die nach Pannenberg erfüllt sein müssen, wenn eine Offenbarung anerkannt werden soll, die eine Alternative zu seiner eigenen Position darstellt; eine solche Alternative ist nach seiner Ansicht in der Bibel nicht zu finden. 1. Sie würde direkt zu sein haben, nicht indirekt. Wo Offenbarung oder Enthüllung nötig ist, da ist Verhüllung oder Verschluß, irgendeine Schranke jedenfalls zwischen den zwei Beteiligten. Der Empfangende kann die Schranke entweder als eine Eigenschaft dessen beschreiben, der offenhart werden soll (der revelandus), oder als eine Eigensohaft seiner selbst. Im ersten Fall ist der andere verborgen, «Wolken und großes Dunkel sind rund um ihn her» (Ps. 97, 2). Wahrheit sichtbar. Warum? Weil das, was Gott spricht, nicht Worte sind, sondern Werke, die das Auge besser beurteilt als das Ohr' (De Decal. 47). ,Werke', vollendet Wirkliches, ,redet' Gott, d. h stellt es entweder durch sein Sein oder sein Handeln vor die Augen hin. Vollendetes aber ist gegenständlich anwesend und kann nur noch angeschaut werden - - es präsentiert sich in seinem eidos. Biblisch verstanden jedoch ist das Wort Gottes primär Gebot, und Gebote werden nicht angeschaut, sondern gehört - - und befolgt (oder mißachtet). So mögen wir das philonische Gleichnis der Vollendung durch Umwandlung der Ohren in Augen unserseits wieder als Gleichnis nehmen für jenen Umschlag von ,Hören' in ,Sehen', den Philo selbst und christliche Theologie nach ihm im vorhinein in ihrer Konstitution vollzogen haben - - den Umschlag nämlich vom ursprünglichen Hören des Rufes des lebendigen, unweltlichen Gottes zum theoretischen Sehenwollen der überweltlichen, göttlichen Wahrheiten. In diesem Sinne kann die ,Verwandlung der Ohren in Augen' als unbeabsichtigtes Symbol allerersten Ranges angesehen werden. Lassen wir uns nun von Philo das Stichwort geben und fragen: Wenn die übernahme des Sehbezuges von der griechischen Philosophie ein Mißgeschick für die Theologie war, bietet dann seine Verwerfung und überwindung in einer zeitgenössischen Philosophie der Theologie ein begriffliches Mittel dar, um sich zu reformieren und ihrer Aufgabe angemessener zu machen?» ... 204
Er ist stumm, taub, entzogen, unerreichbar, unergründlich. Im zweiten Falle beschreibt der Nicht-Empfangende, der sich danach sehnt, ein Empfänger zu werden, sich selbst als im Dunkeln lebend, blind, taub, verloren, strauohelnd, sehnsüchtig, unfähig zu verstehen. Wo auch immer diese Schranke von unserem Geist gesehen wird, auf Seiten des Gebers oder auf Seiten des Empfängers, sie symbolisiert in jedem Fall das eine Hindernis, das überwunden werden muß, wenn Kommunikation und Gemeinsethaft statthaben sollen. Wenn die Notwendigkeit der Enthüllung lediglich aus der Unangemessenheit der menschlichen Sinne, und zwar aller Sinne, erwächst, dann kann die Enthüllung nur indirekt, mittelbar geschehen, d. h. durch ein Medium hindurch, das den Sinn oder die Sinne irgendeines Menschen affizieren kann. Für Pannenberg übernimmt, wenn ich ihn richtig verstehe, die Gesethichte, und zwar die Geschichte ausschließlich (oder die Akte, die Geschichte konstituieren), die Rolle dieser mittelbaren Erschließung. Die Akte Gottes in der Geschichte! Gut! Aber wann ist ein Ereignis in der Geschichte eo ipso ein Akt Gottes? Nur die Versicherungsgesellschaften scheinen das zu wissen - und die meisten Theologen würden deren Beurteilungssystem (für «!höhere Gewalt») rundweg ablehnen. Ist dies nicht wieder einmal das alte Problem ((Wunder contra Mirakel))? Alle einzelnen in einer Menge können aruf gleiche Weise Zeugen eines Wunders in all seiner Vieldeutigkeit sein. Einige von ihnen werden darauf mit bloßem Erstaunen reagieren. Einige werden es abergläubisch als Mirakel sehen, als Gott, der in den Kausalnexus eingreift. Andere werden es als eine wunderbare Tat sehen oder fühlen, bei der Gott in und hinter dem gewöhnlichen Geschehen ohne Mirakel handelt. Und doch sind alle Zeugen desselben Ereignisses gewesen! Alle haben dieselben Sinnes daten empfangen. Also hätte das Überwinden der Schranke für alle oder für keinen gelten sollen - es sei denn, die Erkenntnis eines Aktes Gottes war hier weder ausschließHch noch 205
grundsätzlich eine Sache der Sinne, sondern stattdessen das Ergebnis einer höheren Bewußtseinstätigkeit als der der Sinneswahrnehmung, nämlich der synthetischen Kraft, die wir Denken nennen. Das brutum factum, das äußere Ereignis war da - niemand aus der Menge leugnet es - aber nur für einige war dieses brutum factum der Träger der Offenbarung; und wie jedes Individuum dieses brutum factum aufnahm, es erfuhr, es verstand, es seinem eigenen Wesen einpaßte, das kam nicht aus dem Faktum selbst, sondern wurde an es herangetragen. Ich bin nicht ganz glücklich darüber, daß ich dieses «Wie» Denken genannt habe, denn dieses Wort enthält zuviel Rationales, Bewußtes, Kalkulierbares. Ich spreche vielmehr von dem, was die Bibel mit so willkommener Unschärfe ~~ oder ?(aQB\.a (Herz) nennt. Vor allem möchte ich die Komponente des Willens nicht außer Acht lassen, die der biblische Ausdruck im Unterschied zu dem des «Denkens» enthält. Einen Akt Gottes in einem Ereignis dieser Welt zu erfahren, sei es ein außergewöhnliches oder ein ganz ungewöhnliches Ereignis, setzt eine Bereitschaft voraus, so zu sehen, setzt einen vorher vorhandenen Willen voraus, so zu verstehen. Wenn ich nicht den Verdacht hegte, eine Tautologie zu formulieren, könnte ich auch sagen, daß die Quelle des obengenannten «Wie» .1tLO''tL~ im paulinischen Sinne ist, aber ist nicht .1tLO''tL~ genau die Bezeichnung, mit der Paulus jene Art, Wirklichkeit zu erfahren, benennt? Ich könnte auch die pompöse Phrase testimonium internum spiritus sancti verwenden - aber ist dies nicht auch nur ein Etikett für eine Erfahrung, in der das Göttliohe jene Schranke übersprungen hat? Sind dies nicht alles einfach stammelnde menschliche Versuche, rum zu sagen, daß die direkte Erschließung der indirekten immer zu HiUe eilen muß? 11 2. Offenbarung würde vollständige, nicht partielle Offenbarung zu sein haben. Die Frage scheint mir zu sein, ob Offenbarung verschiedene Grade kennt: ob Gott, nachdem 11
Vgl. oben, S.198.
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er sich selbst offenbart hat, noch offenbarer und schließlich am offenbarsten werden kann. Ist nicht das das einzig Wichtige, daß die Schranke durchdrungen ist von der Seite aus, von der sie einzig und allein durchbrochen werden kann? Nicht das Ausmaß des Durchbruches ist entscheidend, sondern seine Tatsächlichkeit. Gott ist hindurch gelangt und hat den Menschen angerührt, er hat zu seinem inneren Ohr gesprochen, hat seinem inneren Auge eine neue Dimension der Wirklichkeit erschlossen. Das Mehr oder Weniger soheint hier ohne Bedeutung. 0 ja, die Offenbarung kann gehindert werden, das ist gewöhnlich so. Was mit ihr um Beachtung streitet, kann solchen Lärm machen, daß sie vollkommen überschrien wird. Der Empfänger kann durch Furcht, Konvention, Aberglauben, Widerstand oder durch pure Abgestumpftheit behindert sein. Ein vermeintliches Mehr an Offenbarung wird sich genau dann einstellen, wenn die behindernden Faktoren auf ein Minimum reduziert sind. Für den Empfänger wird das heißen, daß Offenbarung wirkungsvoller geworden ist. Aber ist sie vollständiger? Der Inhalt und der Umfang einer konkreten Offenbarung sind durch den begrenzt, der offenbart, nicht durch den, der empfängt. Aber jede mögliche Offenbarung ist Offenbarung - und wir würden besser davon absehen, das Adjektiv «vollständig» hinzuzufügen, und zwar aus zwei Gründen: erstens ist Offenbarung eine qualitative, keine quantitative Angelegenheit; und zweitens ist Gottes «]enseitigkeit» im Bezug auf all das, was wir sagen oder denken können, zwar keine Transzendenz in irgendeinem räumlichen Sinne, aber doch äußerste ]enseitigkeit in Bezug auf aUes menschliche Verstehen. Er ist immer nooh jenseits seiner weitgehendsten, seiner fast «vollständigen» Offenbarung - und deswegen kann Offenbarung nie vollständig sein. Pannenberg selbst scheint die Unangemessenheit der Terminologie des «Vollständigen» zu spüren, wenn er auf die eschatologische Offenbarung zu sprechen kommt, die sich proleptisch in ]esus ereignet. Denn hier spricht er 207
nicht mehr von «voHer Selbsterschließung» 12 oder «vollständiger Selbsterschließung» 13; eher ist die Offenbarung in Jesus «endgültige» 14, äußerste, abschließende, bis ans Ende gültige Offenbarung. Die Wahl des Wortes «endgültig» wurde gewiß durdh die Tatsache erleichtert, daß Pannenberg ganz richtig in eschatologischen Kategorien dachte. Liest man zuviel in diese Verlagerung des Akzentes hinein, wenn man annimmt, Pannenberg habe einen gewissen Widerspruch in dem Begriff «vollkommene Offenbarung» erkannt, vielleicht sogar eine Andeutung von B'lasphemie? 3. Offenbarung würde Gott selbst zum Gegenstand haben müssen, nicht nur irgendetwas, das Gott zukommt, sie würde Selbst-Enthüllung zu sein haben. Pannenberg zitiert H. Schulte: «Die griechischen Wörter, die durch ,offenbaren' wiedergegeben werden, haben an keiner Stelle des NT ohne weitere Hinzufügung Gott zum Objekb. 15 Und Pannenberg fügt erklärend hinzu: «Gott offenbart stets ,etwas' bzw. ,jemanden', nie geradezu ,sich selbst'».16 Grammatisch gesehen scheint das zuzutreffen. Weder &1COx.uA:lm:l'OO noch CPUVEQOOO begegnen im Neuen Testament mit Gott als Subjekt und EU'Ul'OV als Objekt. In der Terminologie, die wir zur Fachterminologie erklärt haben, sagt das Neue Testament genau dies nie. Aber kann Ignatius beschuldigt werden, den Kernpunkt der neutestamentlichen Botschaft zu verfälschen, wenn er redet von «E>Eo~ ... 0 CPUVEQOOO'U~ EU'Ul'OV ÖL<X 'I'YJO'ou XQLO'l'OU 'tou 'ULOU UVl'OU» ?17 Gewiß sagt das Johannesevangelium sehr Ähnliches in der ihm eigenen Spradhe, besonders in den Kapiteln 1 und 17. Kehren wir zu der Analogie 2Jurück, die die Beziehung zwischen Personen zum Ausdruck bringt und die alle bibli12 13 14 15 16 17
P annenb erg, Offenbarung als Geschichte, S.13. A. a. 0., S.17. A. a. 0., S. 103 ff., und oben, S. 158 ff. A. a. 0., S. 12. A. a. O. Ignatius, Magn. 8, 2.
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sehen Stellen über Offenbarung oder Enthüllung durchzieht. Was offenbart eine menschliche Person einer anderen gegenüber von sich selbst? Nur der sehr selbstbewußte Mensch sagt, daß es sein «Selbsb ist, das er offenbart, oder daß es das «Selbsü> des andem ist, das ihm offenbart wird. Eher ist das, was man als offenbart erkennt, Freundlichkeit oder Grausamkeit, Wohlwollen oder Haß, Lauterkeit oder Betrug, Tiefe oder Oberflächlichkeit. Dies alles sind Substantive, grammatisch gesehen; aber fungieren sie in der Beziehung von Person zu Person nicht in Wirklichkeit als Adjektive oder Verben? Wie Adjektive weisen sie hin auf das schwer faßbare Substantiv, das sie modifizieren: die andere Person. Ihr Name und ihr Bild mag bekannt sein; was ist sie wirklich? Wie Verben weisen diese Substantive an vielen Radien entlang zurück auf das unbekannte oder rätselhafte Subjekt im Zentrum, das diese Verben aktiviert; diesem Subjekt wird unsichtbare ((Farbe» verliehen durch die Verben, in denen die Person sich geheimnisvoll entbirgt. Ist sie was sie tut? Nein, sie ist der Täter ihres Tuns. Aber ihr Tun offenbart den Täter. Wie selten unser Selbstbewußtsein uns auch so sprechen läßt, so sind wir nichtsdestoweniger ständig dabei, uns zu offenbaren, obwohl das, was wir zeigen, angeblich und bewußt fast immer etwas anderes ist als wir selbst. Trotzdem schließt die Aufnahme solcher Offenbarung immer Interpretation ein, gewöhnlich nicht bewußt, aber existentiell, und sie enthält immer das Wagnis der Selbstauslieferung an den anderen. Die Offenbarung ist auch nie vollständig, obwohl der andere im Augenblick vollkommen in seiner Selbstoffenbarung ist. Denn Personen sind zeitlich und können nur von Zeit zu Zeit durch eine Person, die ihrerseits ebenfalls zeitlich ist, erkannt werden. Müssen wir nicht sagen, daß eine Person nur sich selbst offenbaren kann, indem sie etwas anderes als sich selbst offenbart, etwas über sich selbst, etwas, das ihr zukommt, das von ihr ausgeht, aber nicht mit ihr se~bst identisch ist? 209
Ohne ein abschließendes Urteil über die Angemessenheit der interpersonalen Analogie für die Enthüllung Gottes dem Menschen gegenüber zu fällen, Tatsache ist, daß die biblischen Autoren beharrlich daran festhalten. Indem wir ihnen folgen und dies wenigstens für eine sinnvolle Analogie halten, wollen wir festhalten, was nach Aussage dieser Autoren Gott offenbart. a) Gott offenbart, macht bekannt, seinen Willen. Niemand kann die große Anzahl biblischer Stellen ignorieren, die dem Willen Gottes gewidmet sind, manifestiere dieser Wille sich nun in der Tora, im Protest der Propheten, in der Bergpredigt, in der christlichen Paränese oder in der Eschatologie (diese letzte im großen und ganzen betrachtet). Sicherlich ist Gottes Wille nicht Gott - oder ist er es doch? Wenn wir von einer menschlichen Person sprechen, gelangen wir dann jemals viel näher an das innerste Geheimnis dieser Person heran, als wenn wir von ihrem Willen sprechen, ihrer Absicht, ihrem Verlangen, dem Ziel, wonach sie strebt? Es sei fern von mir, das menschliche Selbst in viele psychologische Teile zu zerhacken! Aber von einem bestimmten Blickwinkel aus und in bestimmten Situationen ist ein Selbst ein Wille und ganz Wille. Wenn ein Mensch seinen Willen offenbart, dann offenbart er dort sein Selbst, wenn er sich überhaupt offenbart. Meinen die biblischen Autoren etwas anderes, wenn sie vom Willen Gottes sprechen? b) Gott offenbart Leben. «Er brachte Leben und Unvergänglichkeit ans Licht durch das Evangelium)) (2. Tim. 1, 10); das Evangelium selbst bringt die Wahl zwischen Tod und Leben (2. Kor. 2, 16). Gott ist nicht Leben, aber er ist der «lebendige Gott)) und der «lebendigmachende Gott)); wenn er Leben offenbart, offenbart er nicht etwas, das außerhalb seiner selbst ist. c) Gott offenbart Liebe, nicht Liebe im allgemeinen, sondern seine eigene Liebe. «Die Liebe Gottes ist unter uns darin offenbar geworden (die Übertragung dieses Passivs ins Aktiv würde sicher lauten: Gott offenbarte seine Liebe): 210
daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt sandte, damit wir durch ihn Leben hätten» (1. Joh. 4, 9). Hier ist eben der Inhalt der Offenbarung Gottes Liebe - aber Liebe ist nie ein «Was», ein «Etwas»; sie ist immer ein «Wie)) des Subjekts, sie ist das Subjekt mit seinem Willen, seiner Absicht, in einer besonderen Einstellung. Und wirklich sagt es hier der vorhergehende Satz des Textes in so vielen Worten: «Gott ist Liebe» - wo seine Liebe offenbart wird, da wird er selbst offenbart. d) Gott offenbart seinen Sohn (Ga!. 1, 16), und das J ohannesevangelium ist eine einzige ununterbrochene Paraphrase der Art und Weise, wie der Sohn den Vater offenbart Gott offenbart sich selbst, indem er ihn offenbart. Man könnte fortfahren, indem man darauf hinwiese, daß Gott Gereohtigkeit (Röm. 1, 17) und Zorn (Röm. 1, 18), Glauben selbst (Ga!. 3, 23) offenbarte und daß «er das Wort der Versöhnung in uns legte» (eine Umschreibung für «wirklich offenbarte») (2. Kor. 5, 19). Die wenigen Beispiele müssen genügen, um die Behauptung zu stützen, daß in und hinter allem, was Gott je offenbaren mag, Gott sich selbst erschließt. Bis hierher sind einige Seiten solchen Überlegungen gewidmet gewesen, die Pannenbergs These, die Bibel enthalte keine direkte, volle Selbst-Offenbarung Gottes, notwendig gemacht hatte. Diese qualifizierenden Bestimmungen sind eine nach der anderen untersucht worden. Die Prüfung beansprucht nicht, irgendetwas bewiesen zu haben, aber vielleicht hat es sich doch gezeigt, daß die zweite Bestimmung: volle Offenbarung, dem Gegenstand unangemessen ist und daß das Entweder-Oder der übrigen zwei ersetzt werden sollte durch ein Sowohl-Als auch. Offenbarung ist wahrscheinlich immer sowohl indirekt als auch direkt; und Offenbarung des Selbst geschieht, wenn man in der zwischenpersonalen Analogie bleiben will. wahrscheinlich immer durch etwas, das nicht direkt mit dem Selbst identifizierbar ist. Wenn diese Überlegungen in irgendeiner Weise überzeugend sind, dann können wir die Adjektive auch 211
weglassen und einfach fragen, ob die Bibel die Offenbarung bezeugt - eine Frage, die in unserm Zusammenhang noch nicht gestellt worden ist! Wenn dies positiv zu beantworten ist, dann kann es sich um nichts anderes als die Offenbarung Gottes durch Gott handeln. Wir haben die Vermutung ausgesprochen, daß die Bibel sich auf solche Offenbarung in der Weise bezieht, daß sie Gott sprechen läßt. Aber es ist nicht unsere Absicht, hier diesen Gedankenstrang weiterzuverfolgen, sondern vielmehr, Pannenbergs eigene Lösung zu untersuchen, nach der solche Offenbarung in der Geschichte, vor allem aber in der Auferstehung J esu, zu finden ist.
In. Die Absicht des hier zur Debatte stehenden Aufsatzes von Pannenberg ist es offenbar, eben diese Art von Offenbarung zur Geltung zu bringen: die Offenbarung Gottes durch Gott selbst und zwar genauer: durch oder in J esus. Er spricht, wie mir scheint, zu unbekümmert von «Jesus von N azareth», denn er zeigt keine Neigung, die Diskussion auf den historischen Menschen von Nazareth zu beschränken, sondern meint das Ganze dessen, was die meisten von uns «Jesus Christus» nennen würden. Aber in Wirklichkeit beginnt er mit Jesus von Nazareth, den er als einen apokalyptischen Propheten betrachtet. Als solcher bringt J esus nichts wirklich Neues. Das Besondere seiner apokalyptischen Botschaft ist seine ausschließliche Betonung der Nähe des Reiches Gottes, die sogar das zentrale Anliegen der jüdischen Tradition, nämlich die Vorrangigkeit des Gesetzes, ausschließt. Seine Abschwächung und Konzentration der jüdischen apokalyptischen Tradition und sein Bestehen auf der unmittelbar bevorstehenden Erfüllung zu akzeptieren hieß, ihn selbst anzuerkennen. Ihn zu verwerfen hieß, jene zu verwerfen. Mit ihr stand oder fiel er. Die Erfüllung fiel! Seine Erwartungen erfüllten sich weder bald noch später. Jesus, zu jener Zeit schon tot, war ein kühner 212
Fanatiker gewesen, oder er würde es jedenfalls gewesen sein, es sei denn - er war von den Toten auferstanden. Jesus hatte im wesentlichen die endgültige allgemeine Auferstehung der Toten als unmittelbar bevorstehend verkündigt. Diese ereignete sich nicht. Aber Gott bestätigte J esus, indem er ihn von den Toten auferweckte, ließ so das große eschatologische Ereignis in der Form eines Zeichens (meine Ausdrucksweise) geschehen und spraoh dadurch das göttliche Ja über Jesus und seiner Botschaft aus. 1B Deswegen muß Pannenberg, bei seiner überhaupt starken Betonung der Geschichte als dem Medium der Offenbarung, auf der Historizität der Auferstehung Jesu bestehen. Für einen Bultmann-Schüler ist dies eine Herausforderung, die diskutiert werden muß. Also müssen wir fragen, was ein historisches Ereignis ist, was ein Geschehen historisch macht und ob es Ereignisse gibt, die einer anderen Kategorie als derj enigen angehören, die wir historisch nennen. Pannenberg ist sich der Schwierigkeit und der Komplexität des Problems bewußt und verfährt entsprechend vorsichtig. Er erkennt immer wieder an, daß das uns primär Gegebene die Osterbotschaft ist. In einer seiner Formulierungen zu Beginn seines Aufsatzes bezieht er sich auf «die Osterbotschaft, (die) uns veranlassen würde, mit der historischen Realität des von ihr berichteten Geschehens zu rechnen» .111 Hier spricht er weder einfach von Ostern selbst, noch beansprucht er, historische Gewißheit darüber zu besitzen. Er kann es trotz seiner späteren Polemik gegen 18
Das Auseinanderklaffen zwischen «Verheißung» und ihrer «Erfüllung» an dieser Stelle stört Pannenberg nicht; er hat schon an anderer Stelle bemerkt, z. B. S.150 oben, daß sogar vollkommen legitime biblische Voraussagen sehr selten in allen Einzelheiten erfüllt werden - trotz den feierlichen und vorbehaltlosen Worten Dt.18, 22: «Wenn der Prophet im Namen des Herrn redet, und es geschieht nicht (;W,~ - nicht ,ungefähr sich ereignen') und trifft nicht ein ( k':l~ ,ankommen', nicht ,mehr oder weniger zutreffen'), so ist das ein Wort, das der Herr nicht geredet hat». 19 Vgl. oben, P annenb erg, S.148. 213
bloß subjektive Überzeugung 20 nicht vermeiden (und warum sollte er das auch?), gelegentlich in subjektiven Ausdrucken zu reden. Deswegen fügt er dem Begriff «Auferstehung Jesu» folgende Paraphrase als Apposition bei: «die Gewißheit, daß J esus als der Auferstandene lebt und nicht mehr stirbt» .21 Mit anderen Worten, die Auferstehung ist diese Gewißheit. Es ist zuzugeben, daß der Begriff «Gewißheit» offen läßt, ob er sich auf eine feststellbare historische Tatsache oder auf eine unerschütterliche Überzeugung bezieht. Niohtdestoweniger ist die Wahl dieses mehrdeutigen Wortes anstelle der Wörter «Beweis» oder «Demonstration» enthüllend. Pannenberg läßt sich nie dabei ertappen, daß er die Auferstehung beschreibt (aus gutem Grunde, sollte man meinen!) oder auch nur im allgemeinen im Hinblick auf die vielen Rätsel charakterisiert, die uns das Neue Testament aufgibt. Welche Beziehung besteht zwischen der Erhöhung an die Seite des Vaters und der Auferstehung? Ist das leere Grab von Bedeutung für einen «Körper», der durch verschlossene Türen nicht aufgehalten wird und der inmitten einer Gruppe von Menschen (plötzlich) äqJaV'to~, unsichtbar wird? Macht Paulus einen grundlegenden Unterschied zwischen den Ostererfahrungen und der ihm geschehenen Erscheinung? Diese zentralen Fragen behandelt Pannenberg nicht. Man kann in Pannenbergs Überlegungen die Beschränkung auf den metaphorischen Charakter des Ausdrucks Auferstehung nur bewundern. Pannenberg meint &vaO"taaL~, aber das Wort Auferstehung entspricht ebenso gut den Wörtern &VLO''t'l1!lL, E"{ELQW und E"{E(}aL~. Die Stelle ist es wert, zitiert zu werden: «Den Jüngern Jesu und den übrigen Zeugen von Erscheinungen des Auferstandenen war offenbar etwas widerfahren, für das ihre Sprache kein anderes Wort besaß als den Ausdruck der eschatologischen Erwartung: Auferstehung von den Toten. Dieser Ausdruck 20
21
A. a. 0., S. 166. A. a. 0., S. 151.
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ist eine Metapher. Er läßt uns an das Aufgewecktwerden und Aufstehen vom Schlafe denken. In den jüdischen Überlieferungen ist daher die Rede von der künftigen Totenauferweckung häufig mit der metaphorischen Kennzeichnung des Todes als Schlaf verbunden. Es ist wichtig, diesen metaphorischen Sinn unseres Redens von der Totenauferwekkung - nicht etwa der gemeinten Sache selbst [hier fangen meine Schwierigkeiten an] - zu beachten. Das bedeutet nämlich, daß wir nicht wissen, was diesem Wort eigentlich für eine Realität entspricht. [Der letzte Satz läßt vermuten, daß unser Verhältnis zur Sache selber näher sein würde als der Abstand, mit dem wir es im Falle der Metapher ((Auferstehung» zu tun hätten. Aber im nächsten Satz kommt das Gegenteil zum Ausdruck: Wir sind weiter von der Wirklichkeit entfernt ohne die Metapher, als mit ihr.] Es übersteigt unsere Vorstellungskraft, weil wir diesseits des Todes leben. Von einem Leben jenseits des Todes können wir nur in Bildern der Hoffnung sprechen, in dem Bewußtsein, daß es sich um ein gänzlich anderes Leben handeln muß als alles, was wir jetzt unter diesem Namen kennen. Und so wissen wir eigentlich auch noch nicht, was damals an J esus geschehen ist, welcher Art die Wirklichkeit des Auferstandenen im Verhältnis zu unserm gegenwärtigen Leben ist. Wir können nur metaphorisch davon reden. Wir können höchstens wissen, ob den Jüngern Jesu und den übrigen Osterzeugen eine Wirklichkeit begegnet ist, die auch für uns nicht anders verständlich ist als durch das Gleichniswort der eschatologischen Zukunftshoffnung: Auferstehung von den Toten» .22 (Auf diese indirekte Frage ist als Antwort impliziert: Wir können wissen und in der Tat wissen wir auch.) Mit dem größten Teil dieser Ausführungen bin ich im wesentlichen einverstanden, ausgenommen die Stellen, an denen ich eine Zwischenbemerkung eingeschoben habe. Wenn der einzige Streitpunkt das Geschehensein der Auf22
A. a. 0., S. 148 f.
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stehung Jesu ist - auch wenn wir nicht sagen können, was geschah - gehe ich einig mit Pannenberg und befinde mich in einem gewissen Abstand von Bultmann. 23 Es scheint, als verlange die Gedankenwelt der Synoptiker für die Aufer23
Daß Bultmann hier nicht zustimmen würde, ist nicht so sicher wie es scheinen könnte, etwa auf Grund einer Formulierung wie der folgenden aus «Neues Testament und Mythologie)) in Kerygma und Mythos I (1948), S.44: «... neben dem historischen Ereignis des Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis isb. Im Lichte seiner bekannten Unterscheidung zwischen diesen zwei Adjektiven war dies höchst überraschend. Aber im deutschen Aufsatz ist es eine Tugend (und kein Fehler wie im Englischen) innerhalb eines Satzes den Ausdruck für ein und dieselbe Sache zu wechseln. Vielleicht ist Bultmanns eigene Terminologie hier in Streit geraten mit dem, was ihm anerzogen wurde? Ich schrieb ihm meine Vermutung. Er antwortete: ((Deine Vermutung ist richtig: der Wechsel von ,historisch' und ,geschichtlich' S.44 ist ,eine rein stilistische Variation'. Ich hätte, um Mißverständnisse zu vermeiden, beide Male ,historisch' schreiben sollen. Du hast Recht: das Kreuz ist ,historisch' und (für den Christen) ,geschichtlich'; die Auferstehung, obwohl nicht historisch ausweisbar, ist (für den Christen) ,geschichtlich')). Geschichtlich bedeutet nicht ((ohne Realität- im Gegenteil! Ich verstehe es hier so, daß für Bultmann die Auferstehung nicht das Geschehensein, das Vergangensein eines vergangenen Ereignisses ist, das nur als die Unbekannte X beschrieben werden kann, sondern daß es sich um ein Ereignis, ein Geschehen handelt, das sich ereignet, wenn zeugnisgebender Glaube verkündigt und gehorsamem, sich unterwerfendem Glauben begegnet. Dies gilt für die Gedankenwelt des Paulus und des Johannes (lIlch bin die Auferstehung))); und bei Paulus impliziert Glaube, der aus verkündigtem Glauben erwächst, eine Kette von Zeugen, die zurückreicht, nicht in die Zeit der Synoptiker (die liegt ja noch in der Zukunft!), sondern in die Zeit, für die wir die Synoptiker ausschließlich sprechen lassen wollen, ohne es zu können, weil eine solche Auffassung der Synoptiker nicht stimmt. [Bis zu einem gewissen Grade ist Bultmanns Position durch Briefe aus den Jahren 1961/2 geklärt worden, die in dem Auszug aus einem Briefwechsel mit J. A. Dvoracek veröffentlicht wurden, ((Auferstehung und Leben - Kerygma und Mythos)), Communio Viatorum, V, 1962, S.57-63. Hgg.]; (siehe oben, S.50, Anm.51).
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stehung eine Redeweise, die von der johanneisch-paulinisehen Redeweise Bultmanns verschieden ist. Bornkamm hat eine Methode gefunden, die hilfreich zu sein scheint: ((Die Osterbotschaft ist jedenfalls früher da als die Ostergeschichten und hat in ihnen einen sehr verschiedenen Niederschlag gefunden. Sie geben dem Geschehen der Auferstehung in einzelnen Erzählungen sinnenfälligen Ausdruck».24 Man beachte, daß Bornkamm vom ((Geschehen der Auferstehung» spricht! Er steUt fest: ((Wir müssen nach der Osterbotschaft i,n den Ostergeschichten fragen. Wir sagen damit keinesfalls, daß die Botschaft von J esu Auferstehung nur ein Produkt der glaubenden Gemeinde sei. Gewiß ist die Gestalt, in der sie uns begegnet, von diesem Glauben geprägt. Aber ebenso sicher haben die Erscheinungen des Auferstandenen und das Wort seiner Zeugen diesen Glauben allererst begrundet».25 Im Hinblick auf das, was Bomkamm soeben über den «sinnenfälligen Ausdruck» gesagt hat, verwendet er ((Erscheinungen)) hier vermutlich in einem übertragenen Sinne. Was den Geschehenscharakter der Auferstehung anbetrifft, so begründet Bornkamm seine Anschauung in Wirklichkeit auf dem Wandel, den die Auferstehung in den Jüngern schuf. Nach Jesu Tod ((verstehen sie sich selbst als die Überwundenen, die mit dem, was sie bis dahin geglaubt haben, gescheitert sind. Die Menschen, denen der Auferstandene in den Ostergesahichten begegnet, sind mit ihrer Weisheit am Ende, durch seinen Tod erschreckt und verstört, Trauernde ... Was sie in Furcht und Angst erleben und was erst allmählich in ihnen Freude und Jubel weckt, ist gerade dies: Sie, die Jünger, sind am Ostertag die vom Tod Gezeichneten, aber der Gekreuzigte und Begrabene lebt. Die ihn überlebt haben sind die Toten, und der Tote ist der Lebendige».26 Irgendetwas hat sie in einer Weise und bis zu einem Grade verändert, wie sie es
2!
G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Stuttgart 1956, S.169.
25
A. a. 0., S. 168. A. a. 0., S. 169.
26
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selbst unmöglich hätten tun können. An ihnen war etwas geschehen, nicht nur in ihnen. Aber jetzt ist die Frage: kann dieses Etwas, das an den Jüngern geschah, wirklich ein «historisches Ereignis)) genannt werden? Vielleicht handelt es sich nur noch um ein Wortgefecht, wenn wir nur zunächst einmal darin übereinstimmen, daß etwas geschah und daß dies nicht nur innerlich oder subjektiv war. Einige würden darauf bestehen (ist Pannenberg unter ihnen?), daß jedes Ereignis in Raum und Zeit ein historisches Ereignis ist. Aber diese Definition enthält ein äußerst wichtiges probandum: für das umstrittene Ereignis muß zunächst - innerhalb eines erlaubten Spielraums relativer historischer Wahrscheinlichkeit, ganz gleich, wie dieser bestimmt wird - erwiesen werden, ob es der Bestimmung «in Raum und Zeih> genügt. Die Stelle in der Zeit ist hier leichter zu bestimmen «Nach drei Tagen)) oder «am dritten Tage)) ist vorpaulinisch. 27 Diese Bestimmung ist in den Passionsohronologien sowohl der Synoptiker wie auch des J ohannesevangeliums enthalten, auoh unabhängig von den Monatsdaten, und sie ist ausdrücklich in den vaticinia ex eventu der Synoptiker zu finden (Mk. 8-10 parr.), in der Petruspredigt (Apg.10) und in einem Traditionsfragment im J ohannesevangelium (2, 19 f.). Die «drei Tage» werden gerechnet vom Tag der Kreuzigung an, einem Freitag, der entweder der 14. oder der 15. Tag des Nisan war; dies könnte fast jeder Nisan der Jahre 26-36 n. Chr. gewesen sein. Mit anderen Worten, die Auferstehung ist in der Zeit nur relativ zu fixieren, aber doch mit einer Relativität, die nicht höher zu veranschlagen ist als die anderer Ereignisse, denen aus diesem Grunde allein auch von stark positivistisch orientierten Historikern der historische Status nicht abgesprochen wird. Wie steht es aber mit der Auferstehung in ihrem Bezug zum Raum? Zunächst müssen wir uns klar darüber sein, 27
Eingebettet in die Tradition, die er 1. Kor. 15, 4 zitiert, obwohl er den «dritten Tag» zufällig nie wieder erwähnt.
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daß im Neuen Testament absolut kein Zeuge der Auferstehung selbst angeführt wird. Es gibt Zeugnisse über ihre Auswirkungen, aber das ist eine ganz andere Sache. Im Falle Jesu wird nichts auch nur angedeutet, was der Szene von der Auferweckung des Lazarus vergleichbar wäre. Die Auferstehung hat bereits stattgefunden, bevor irgendein Zeuge in irgendeinem der Evangelien zum Grabe gelangt. Selbst im Matthäus-Evangelium wird das noch geschlossene Grab von einem Engel geöffnet, nicht aber, um Jesus heraustreten zu lassen, er ist bereits nicht mehr dort, sondern um die Frauen hereintreten zu lassen. Im Johannesevangelium ist das Osterereignis ebenfalls schon geschehen. bevor Maria Magdalena am Grabe ankommt. Es wird oft gesagt, erst das Petrusevangelium gebe eine Beschreibung der Auferstehung J esu, aber sogar dort ist eine solche nicht zu finden. Ich meine nicht, daß nur das Herauskommen aus dem Grabe beschrieben wird und nicht auch das Lebendigweroen, sondern neige eher zu der Ansioht, daß das, was hier mythologisch beschrieben wird, die Erhöhung in den Himmel ist. Zwei «Männe!» kosmischen Ausmaßes, wahrscheinlich die zwei Engel aus dem Lukasevangelium, unterstützen eine dritte noch größere Gestalt, deren Haupt bis in den Himmel reicht, von dem man annehmen muß, daß er sich geöffnet hat, um alle drei himmlischen Gestalten aufzunehmen, die zwei Engel und jetzt den erhöhten Ohristus. Denn kurz danach öffnet sich der Himmel «noch einmal)), und ein Mann fährt von dort hernieder und tritt in das Grab hinein. Der Mann ist offensichtlich nicht der soeben erhöhte himmlische Christus, sondern einer der Engel. Vielleicht ist es der einzelne Engel aus Markus 16, 5, denn von ihm erhält später Maria die Osterbotschaft - oder besser: die Erhö'hungsbotschaft (Petr. Ev. 13): «Sieh an den Ort, wo er lag, daß er nicht mehr dort ist, denn er ist auferstanden und dorthin gegangen, von wo er gesandt wurde)) (a3tijA'frov E%EL Ö'frEV a3tEO''t'uÄrÜ. Vor jeglicher Auferstehungserscheinung irgendwelcher Jünger wird zunächst die Erhöhung mythologisch beschrie219
ben und dann unmythologisch einem Mensohen aus dem Kreis seiner Jünger angekündigt: Maria. Also auch unter Einschluß des Petrusevangeliums gilt, daß es keinen Bericht über die sioh vollziehende Auferstehung gibt. Wenn sie überhaupt in Raum und Zeit geschah, dann jedenfalls in der Nacht, jedem menschlichen Auge entzogen. Ist das nur Ehrfurcht vor «dem Heiligen», dem der Mensch nicht zu nahe treten darf? Oder ist es ein schweigendes Eingeständnis, daß das Ereignis derart war, daß kein menschlicher Zeuge irgendetwas hätte sehen können, auch wenn er dabei gewesen wäre? Sämtliche Evangelienberichte über die Erscheinungen sind sekundär ,und apologetisch. Sie lokalisieren die Erscheinungen, nicht die Auferstehung, als ein Ereignis im Raume. Sie stellen 'beharrlich die Frage, was gemeint war, wenn von «Auferstehung» gesprochen wurde. Sie stellen diese Frage so beharrlich, daß wir uns nioht mit der Erklärung zufrieden geben können, daß «Auferstehung» lediglich eine menschliche Metapher ist. Eine Reihe von Erscheinungsgeschichten verleiht der Erscheinung eine dinghafte Wirklichkeit, die voraussetzt, daß die ungesehene Auferstehung wirklich im Raum geschah, aber diese Annahme ist nur möglich, wenn man bereit ist, einen wiederbelebten Leichnam zu postulieren. Diese apologetische Reihe ist im wesentlichen beschränkt auf Lukasevangelium und Apostelgeschichte. 28 28
Die Ausnahmen, wenn es sich wirklich um solche handelt, sind das Ergreifen der Füße J esu (Mt. 28, 9) und die Einladung an Thomas, ihn zu berühren (J oh. 20, 27). Aber die unbetonte Bemerkung, daß die Frauen «seine Füße ergriffen» (Mt. 28, 9), scheint mir nur ein Glied eines Hendiadyoins zu sein, dessen anderes Glied «und warfen sich vor ihm niedefl> lautet. Es ist dieselbe Geste der Ehrerbietung, die das sunamitische Weib vor Elisa machte (2. Kön. 4, 27), und braucht die Gegenwart betastbarer Füße nicht zu implizieren. Im Fall des Johannesevangeliums bewirkt die Einladung an Thomas äußerste überzeugung. Für viele Interpreten ist der Schluß unausweichlich, daß Thomas berührte und dadurch überzeugt wurde, auch
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Lukas, der historisiert, obwohl er eine Geschiohte übernimmt, die mit dieser seiner Tendenz unvereinbar ist (24, 13-32), macht seine Anschauung unmißverständlich klar: die Auferstehung Jesu geschah im Raume, dort wo es Materie gibt, und gehört deswegen zum Bereich der Geschichte. Denn in der Apologetik des Lukas hat der auferstandene Jesus einen unmißverständlich körperlichen Leib. Damit es darüber keine Zweifel gibt, läßt Lukas ihn das für uns ausdrücklich sagen (24, 39). Hier polemisiert er gegen eine rivalisierende Anschauung, derzufolge Jesus ein Geist ist, läßt die Jünger sein von Knochen zusammengehaltenes Fleisch berühren und schließlich eine chemisch-physikalisohe Demonstration seiner körperlichen Wirklichkeit liefern, indem er ihn vor ihnen essen läßt, und das nicht aus Anlaß des gemeinsamen Abendmahls, sondern lediglich zum Zweck, dies zu demonstrieren. Es ist bezeichnend, daß sich die einzige andere Erwähnung des Essens Jesu ebenfalls bei Lukas findet (im Anhang des Johannesevangeliums ißt Jesus selbst nicht), und zwar mit den Worten, die er Petrus in einer Predigt sagen läßt: «uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben nach seiner Auferstehung von den Toten» (Apg. 10,41). Wenn hier das vorliegt, was durch das metaphorische X der Auferstehung bezeichnet wurde, dann werden die Geschichten vom leeren Grab verständlich und wichtig, denn der Körper, der umhergeht und ißt, kann nicht mehr im Grabe sein. Aber welche Zukunft hat dieser Körper? Er muß entweder sterben wie alles andere Fleisch, oder er muß durch eine besondere Veranstaltung wenn die Berührung nicht erzählt wird. Aber wenn eine wirkliche Berührung stattgefunden hätte, hätten die darauf folgenden Worte J esu logischerweise lauten müssen: «Hast du geglaubt, weil du mich berührt hast? Selig sind, die nicht berührt haben und doch glauben)). Weiterhin verurteilt das Wort «gesehen)), das stattdessen dort zweimal genannt wird, nicht nur die Vergewisserung der Auferstehung durch den Tastsinn, sondern auch visuelle und deswegen wahrscheinlich alle Arten sinnlicher Vergewisserung.
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von der Erde hinweggenommen werden. Ist es bloßer Zufall, daß Lukas, und nur Lukas, etwas über die Himmelfahrt zu berichten weiß? Nur er brauchte sie! Nur er hatte die Auferstehung so in Zeit und Raum historisiert, daß er sich mit diesem Problem befassen mußte. Ohne Zweifel fordert Lukas, daß die Auferstehung Historie sei. Aber schon für vieles andere ist von einzelnen Historikern Historizität gefordert worden, vieles, was sich später aufgrund der Relativitäten aller Geschichtsschreibung als unhistorisch herausstellte. Ist der Inhalt dessen, was Lukas als historisch behauptet, derart, daß jeder neutrale Historiker unserer Zeit ihn als historisch anerkennen könnte? Wenn uns die historisierende Apologetik des Lukas nur in die Irre führt, können wir dann dem, was ((geschah", wenigstens von einem anderen Ausgangspunkt aus näherkommen? Mit allem Respekt für diejenigen, die das leugnen, denke ich, 1. Kor. 15 kann uns weiterhelfen. Zugegeben sei, daß Paulus in den Versen 42-50 nicht von der Auferstehung Christi spricht, sondern in erster Linie von der allgemeinen endzeitlichen Auferstehung. Aber sowohl hier wie an anderen Stellen ist er stark interessiert an der Parallele zwischen der Auferstehung Christi und unserer Auferstehung. Darübel"hinaus legt er dar, wie er Auferstehung im allgemeinen versteht, indem er seine Anschauung ausdrücklich von gewissen Mißverständnissen abhebt. Das wirft natürlich auch ein Licht darauf, wie er die Auferstehung Christi verstand. Das grundlegende Mißverständnis, wogegen er sich verwahrt, ist dies, daß der physikalische Körper aus dem Grabe auferweckt werden wird (wenigstens eine Linie der Auferstehungstraditionen, die er aus seiner jüdischen Vergangenheit kannte, behauptete dies). In den acht staccato-ähnlichen Sätzen von 42b - 44a, die in vier Paaren geordnet sind, fehlt das logische Subjekt, nur im letzten Satz nicht, in dem schließlich die fehlenden (oder zurückgehaltenen) Subjekte erscheinen: aWl-lu '\jJUXL%OV und aWl-lu 3tVEUI-lU'"CL%OV; und diese Subjekte wirken wie eine 222
Art grammatischer Osmose zurück auf die anderen drei Satzpaare. Ihre Bedeutung wird deutlicher, wenn wir alle linksstehenden und alle redhtsstehenden Satzglieder vereinigen: «Es wird gesät in Verweslichkeit, Unehre und Schwachheit ein ()'&~a 'ljJlJXL%OV. Es wird auferweckt in Unverweslichkeit, in Herrlichkeit und Kraft ein ()'&~a .1tVElJ~a 'tL%ov.» Obwohl das Wort 'ljJlJXL%OV wahrscheinlich eine gnostische Erfindung ist, denkt Paulus es doch im Sinne der Genesis in der LXX. Ein 'ljJlJXL%OV Leib ist ein Leib, der eigentliCh. 'ljJlJX~ haben sollte und sie auch wirklich hatte, der sie aber nun verloren hat - ein corpus exanime oder exanimatum (Paulus könnte a'ljJlJXov verwendet haben; vgl. 14, 7). Wenn Paulus nun die andere, neue Realität benennt, scheint er zu stammeln, so wie der Mensch stammeln muß, wenn er von zu erhabenen Gegenständen spricht. Er nennt die neue Wirklichkeit einen geistlichen Leib, was eine in sich widersprüchliche Aussage sein mag, die aber doch wenigstens deutlich anzeigt, daß die neue Wirklichkeit sich nicht auf den Leichnam bezieht und daß dieser begraben bleibt. Die neue Wirklichkeit ist ihrem Wesen nach .1tVEiJ~a, das vielleicht nie äußerste Immaterialität bedeutet (ausgenommen vielleicht für die Gnostiker), sondern eher den geringsten verstehbaren Grad von Materialität. Welche Bedeutung könnte ein leeres Grab möglicherweise für eine solche Wirklichkeit haben? Bezeichnenderweise erwähnt Paulus das leere Grab nie, obwohl uns die Evangelien nahelegen anzunehmen, daß er dies eigentlich tun müßte. Das leere Grab war offensichtlich kein Bestandteil der alten Tradition (1. Kor. 15,3 ff.), die Paulus zitiert (alt war diese Tradition sohon in den fünfziger Jahren des 1. Jahrhunderts). Es fehlt, weil noch um 35 oder 40 n. Chr. weder diese noch die übrigen christlichen Traditionen jenes Element des leeren Grabes kannten - kannten sie es nicht, weil es sich nicht um eine historische Tatsache handelte? Unter den vielen einander widerstreitenden Motiven der Erscheinungsgeschichten der Evangelien enthalten drei Geschichten eine Auffassung, die 223
zu diesem nicht-materiellen Verständnis der Auferstehung in Beziehung steht: die vorlukanische Emmaus-Geschichte mit ihrem Verschwinden des erkannten Fremden und die zwei Geschichten in Joh.20 «bei verschlossenen Türen». Wenn genug Raum vorhanden gewesen wäre, hätten zwei andere Themen diskutiert werden sollen: das «Sehen des Herrn» (1. Kor. 9,1) von Seiten des Paulus 211 und das weitverbreitete Zeugnis, daß für große Teile der Kirche des 1. Jahrhunderts die Auferstehung und die Erhöhung gleichbedeutend waren. Kann für die Erhöhung eine Anerkenntnis als Faktum in der Geschichte auch nur in Erwägung gezogen werden? Ich habe vorgeschlagen anzunehmen, daß die Auferstehung J esu als ein Ereignis in der Zeit qualifiziert ist, daß sie aber nicht als ein Ereignis im Raum definiert werden kann, jedenfalls nioht als historisch glaubwürdiges Ereignis. Schon allein aus diesem Grunde würde es fragwürdig erscheinen, von ihr als von einem historischen Ereignis zu sprechen. Hinzu kommt, daß ein historisches Ereignis wenigstens einige Konturen aufweisen muß, die es als Forschungsgegenstand deutlich erkennen lassen. Und es dürfte kaum sinnvoll sein zu untersuchen, ob sich ein unbestimmbares X in der Geschichte ereignet hat. 29
Was ist eine Auferstehungserscheinung? In welcher Beziehung steht sie zur dreifachen Erzählung des Damaskus-Ereignisses?
224
5. DIE EIGENART DER THEOLOGIE PANNENBERGS WILLIAM
HAMILTON
Dieses Kapitel wird in erster Linie aus einer Reihe von Anmerkungen, Fragen und Erwiderungen zu einigen der Hauptthemen in Pannenbergs Arbeit bestehen. Es will keine Analyse seines programmatischen Aufsatzes, der in diesem Bande abgedruckt ist, bringen. Wenn es überhaupt von Nutzen sein kann, dann nur, um einige Wege aufzuzeigen, auf denen der deutsch-amerikanische Dialog über dieses höchst originelle und interessante Unternehmen angebahnt werden kann. Die Eigenart der Arbeit Pannenbergs zwingt einen fast zu dieser Methode. Seine Theologie steht noch mitten im Prozeß der Ausformung. Schon allein diese Tatsache begründet das Interesse, das ihr in Amerika entgegengebracht wird; denn hier versteht man Theologie mehr und mehr als ein «Tun» und nicht als Vollendung eines geschlossenen oder systematischen Gedankengebäudes. Wir beginnen uns selbst zu fragen: was heißt es, theologisch zu arbeiten? Und diese Frage können wir auch Pannenberg stellen, um die Diskussion über seine Arbeit auf den Weg zu bringen. Ich denke, man darf feststellen, daß Pannenbergs Arbeit drei grundlegende Themen oder Leitmo~ive enthält. Man kann noch weitere solcher Themen finden, und möglicherweise betrachtet Pannenberg selbst diese drei Motive nicht einmal als die zentralen. Aber ich fand, dass ich nach anfänglicher Verlegenheit eine gewisse Klarheit gewann, als ich imstande war, drei verschiedene Gedankengänge zu erkennen. Erstens arbeitet Pannenberg mit einer spezifischen Auffassung von Geschichte und historischer Methode. Hier 225
greift er in die augenblickliche theologische Debatte über das Wesen der Geschichte ein und unterscheidet sich von den meisten Wissenschaftlern, die sich bisher um die richtige Geschichtsauffassung gestritten haben. Pannenberg weist die Unterscheidung zwischen Heilsgeschichte und Profangeschichte zurück, die von einer ganzen Generation biblischer Theologen so hoch geschätzt wurde. Viele seiner Gedanken werden klarer, wenn wir diese Infragestellung des Begriffs Heilsgeschichte näher untersuchen. Es gibt nicht zwei Arten von Geschichte, sondern nur eine. Gott handelt in der jedermann zugänglichen Welt der profanen Geschichte. Pannenberg verwirft auch die Version, die die Tradition der zweigeteilten Geschichte bei Barth gefunden hat: die Idee der Erst- oder Urgeschichte. Schließlich, und mit höchstem Nachdruck (obwohl, wie wir sehen werden, am wenigsten deutlich) weist er die Unterscheidung zwischen bloßer Ohronik oder vergangener Geschichte (Historie) und Geschichte als gegenwärtiger Begegnung und Bedeutung (Geschichte) zurück, die Bultmann und seine Schüler als eine selbstverständliche Tatsache herausgestellt und vertreten haben. Dieser Angriff gegen Bultmann ist heute höchst hilfreich und notwendig, aber man wird sehen müssen, wie einleuchtend und entscheidend Pannenbergs Versuch ist, sich von der überzeugenden Bultmannsehen Position abzusetzen. Zweitens ist Pannenbergs Theologie eine Theologie der Geschichte. Das Ziel seiner Theologie ist die Ausarbeitung einer systematischen theologischen Interpretation des gesamten Bereichs der Weltgeschichte. Die darin liegende Hoffnung mag die Tatsache erklären, daß Pannenbergs Schriften den interessanten Eindruck erwecken, als sei für ihn die Spannung zwischen Luther und Calvin ohne entscheidende Bedeutung. Das merkwürdige Fehlen einer gewissen reformatorisch-theologischen Substanz wird später noch genauer zu untersuchen sein. Hier brauchen wir zunächst nur festzustellen, daß Pannenberg in erster Linie unter dem Einfluß der augustinischen Schau der Geschichts226
theologie zu stehen scheint. Luther und Calvin waren nicht eigentlich an der Weltgeschichte als theologischem Problem interessiert, jener aufgrund seiner Eschatologie, dieser zweifellos aufgrund seiner Prädestinationslehre. Pannenberg ist daran interessiert, und zu Recht hält er Augustin für sein eigentliches Vorbild. Er zeigt sich unbeeindruckt von der Tatsache, daß Geschichtstheologien in neuerer Zeit nicht in Mode gewesen sind, weil Historiker wie Theologen die Möglichkeit solcher Unternehmungen gern skeptisch beurteilt haben. Drittens ist Pannenbergs Theologie eine Theologie der Auferstehung Jesu und - ich bin sicher, Lutheraner haben sie schon mit dieser verhängnisvollen Kennzeichnung verurteilt - eine theologia gloriae.1 Pannenberg nimmt die Historizität der Auferstehung sehr ernst, wie wir sehen werden, und seine Auffassungen von Glauben, Geschichte und Geschichtstheologie beruhen alle auf seiner Interpretation der Auferstehung. Aufgrund der Auferstehung, so würde er behaupten, ist diese Art der Theologie möglich. Das Ziel ist eine Theologie der gesamten Geschichte; die Methode, die die Kluft zwischen der bloßen Denkmöglichkeit und der Verwirklichung solcher Theologie überbrückt, ist ein spezifisches Verständnis geschichtlicher Analyse. Diese drei Themen sind zentral in Pannenbergs Entwurf. Wie ordnen sie sich zueinander? Wie sind einige seiner grundlegenden Voraussetzungen zu verstehen? Wie sieht dies alles nun im einzelnen aus? 1.
Ich möchte damit beginnen, daß ich eine Frage herausgreife, die vermutlich für Pannenberg ganz unwichtig ist und Probleme aufwirft über Dinge, die für ihn nur am 1
[Z. B. Günter Klein, «Offenbarung als Geschichte? Marginalien zu einem theologischen Programm)), Monatsschrift für Pastoraltheologie, LI, 1962, S.88, im abschließenden Satz dieses kritischen Artikels. Hgg.]
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Rande seiner Theologie stehen mögen. Es ist eine Frage zur Natur des Menschen (man sagt uns Amerikanern nach, mehr am Menschen als an Gott interessiert zu sein), und diese Frage geht aus von der Überzeugung, daß Bonhoeffers Analyse der mündig gewordenen Welt von theologischer Bedeutung ist. Bonhoeffer hat tiefe Spuren im Selbstbewußtsein der zeitgenössischen amerikanischen Theologie hinterlassen, und vielleicht sollte den Deutschen gezeigt werden, wie dieser Einfluß sich darauf auswirkt, wie wir heute unsere deutschen Fachkollegen lesen. Der Arbeit Pannenbergs liegt eine Voraussetzung hinsichtllch der natürlichen Religiosität des Menschen zugrunde. An diesem Punkt ist er einig mit Bultmann, für den alle Existenz, die nicht in Christus ist, per definitionem uneigentlich ist. Pannenbergs Theologie ist eine Theologie des religiösen apriori, obwohl in einer mehr ontologischen als erkenntnistheoretischen Form (wenn so klangvolle Sprache erlaubt ist). In seinem Aufsatz «Gottes Offenbarung in Jesus Ohristus)) lesen wir: «nur in der Nähe Gottes, in Gemeinschaft mit Gott (findet) das Dasein der Menschen Erfüllung)). 2 Die Bedeutung, die diese Voraussetzung für Pannenberg hat, zeigte sich in einem aufschlußreichen Vortrag, den er im April 1963 an der Vanderbilt Divinity School über das Thema: «Ist J esus wirklich von den Toten auferstanden?)) hielt. In diesem Vortrag führte er aus, das spezifisch Menschliche am Menschen, seine Welt-Offenheit, mache die Auferstehung notwendig, damit der Mensch zum Verständnis seines eigentlichen Selbst komme. 3 Der Mensch müsse seine letzte Bestimmung jenseits des Todes suchen, behauptete er, und diese seine Bestimmung setze die Einheit von Leib und Seele voraus. Diese Behauptung ist ein wichtiger Schritt in seiner Argumentation für die Auferstehung selbst, und wir werden 2 3
Vgl. oben, Pannenberg, S. 135. Diese Theorie ist stärker ausgeführt in «Was ist der Mensch?)) Göttingen 1962, Kap. 1 und 4.
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darauf zurückkommen. Aber es verdient an diesem Punkt fesrgehalten zu werden, daß es sich um eine Behauptung handelt, die für den Menschen gilt, d. h. offenbar für alle Menschen, also sowohl für den biblischen als auch für den heutigen Menschen. Der Mensch kann Erfüllung, wahres Selbstverständnis, wahren Sinn nur in Gott finden. Aber welcher Art ist diese Behauptung? Betrifft sie die bei allen Menschen festgestellte Religiosität, oder handelt es sich um eine das Wesen betreffende, vielleicht sogar um eine ontologische Aussage über den Menschen als Menschen, unabhängig davon, was er über sich selbst weiß? Welche Art von Beweis führt man für die Wahrheit einer solchen Behauptung an? Könnte die Behauptung ungültig gemacht werden, wenn es Menschen gebe, die erklären, ihre Erfüllung liege nicht in Gott? Diese Voraussetzung, daß der Mensch seine Erfüllung nur in Gott finden kann, ist letztlich keine selbstverständliche Wahrheit. Sie scheint aus einer anderen Welt zu stammen, nicht aus der wirklichen Welt des 20. Jahrhunderts mit ihrem echten, wenn auch qualvollen Unglauben. So steht am Anfang eine These, die sehr wohl eine unüberbrückbare Kluft zwischen unseren Auffassungen über das sein kann, was Leben im 20. Jahrhundert wirklich bedeutet. Ich kann keinen Weg sehen, wie Pannenberg die Welt des modernen Unglaubens ernst nehmen kann, während ich im Gegensatz zu ihm und auch zu Barth stark vermute, daß Theologie sie ernst nehmen muß. Ich glaube, daß gewisse Loognungen Gottes in unserer Zeit wirklich Leugnungen sind und daß man ihnen nicht dadurch gerecht werden kann, daß man sie «negative Zeugnisse für Gotfl) nennt oder sie auf andere derartig törichte Weise apostrophiert. «Nein» zu Gott kann wirklich «nein» bedeuten, und es muß nicht immer aus einem cor inquietum kommen, das unruhig ist, bis es seine Ruhe in Gott findet. Säkularismus ist für Pannenberg etwa dasselbe, was Barth unter Sünde versteht: bei des ist in Wirklichkeit unmöglich. Warum? Weil, wie wir sofort zeigen werden, die 229
Welt der Endlichkeit schon Gott enthält, und Glaube in erster Linie eine bestimmte Weise ist, das zu finden, was schon vorhanden ist, und zwar durch die Anwendung der richtigen M'ethode geschichtlicher Forschung. Für Pannenberg gibt es keinen Ort, keine Geschichtsepoche und deswegen keinen Menschen ohne Gott. Es ist einigermaßen schwierig, eine Theologie zu verstehen oder ernstzunehmen, die per definitionem den Säkularismus aus der Welt schaffen kann, der in den letzten 400 Jahren ein bedeutendes Element abendländischer Geschichte gewesen ist. Zwar befinden wir uns in nicht geringen theologischen Schwierigkeiten, wenn wir heute gezwungen sind, mit der Realität des mündiggewordenen Menschen ZIU rechnen. Es ist ein sehr viel schwierigeres Unternehmen, über Gott zu sprechen, wenn wir es aufgeben anzunehmen, daß der Mensch in irgendeiner Weise die theologische Frage stellen muß. Aber die praktischen Schwierigkeiten, die sich aus einer solchen Behauptung über die Natur des Menschen ergeben, widerlegen diese Behauptung offenbar noch nicht. Wenn es wirklich so etwas wie ohne Gott zu sein gibt, dann bedeutet das einfach, daß wir einen schwierigeren Auftrag zu erfüllen haben, als die kerygmatischen oder die die weltlichen Fragen mit theologischen Antworten koordinierenden Theologen es sich vorstellen. Aber (wiederum in der Annahme, daß es so etwas wie wirklich ohne Gott zu sein gibt) wir haben kein Recht, an unseren Voraussetzungen so lange herumzubasteln, bis aus der bloßen Möglichkeit, über Gott zu sprechen, eine Notwendigkeit geworden ist. Soviel zur ersten Frage, die eine anthropologische Frage ist und die die natürliche Religiosität des Menschen betrifft. Wenn ich recht haben sollte, d. h., wenn sich heute gerade eine Gemeinschaft von Menschen bildet, die ohne Gott auskommen können - eine Gemeinschaft, die die Gemeinschaft derjenigen Menschen, die nach ihm verlangen, nicht ersetzt, sondern neben ihr steht, dann sind die religiösen Theologien eines Bultmann oder eines Pannenberg 230
der heutigen Welt nicht in angemessener Weise zugewandt. Wenn ich im Recht bin (ich bin durchaus nicht sicher, es zu sein, aber ich denke, die Frage verdient eine sorgfältige Diskussion), dann ist Pannenbergs Theologie eine Spielart des theologischen Doketismus, ein Entwurf von eindrucksvoller Kraft und Originalität, der nicht ganz in die Welt hinabreicht, in der wir zu leben haben. Wie wir festgestellt haben, ist es Pannenbergs Verständnis des Verhältnisses Gottes zur Geschichte, das es ihm ermöglicht, die Unmöglichkeit des Säkularismus zu behaupten. Wir müssen uns jetzt dieser Streitfrage zuwenden und genau das herauszufinden versuchen, was er unter Glauben und Geschichte und dem Verhältnis bei der zu Gott versteht.
H.
Was meint Pannenberg mit dem Wort «Geschichte»? Auf den ersten Blick scheint er einfach die für Bultmann zentrale Unterscheidung von Geschichte und Historie anzugreifen. Das ist gut so, und es wurde langsam Zeit, daß die kontinentale Theologie anfing, sich über die Selbstverständlichkeit dieser Unterscheidung Gedanken zu machen. Aber er greift weit mehr an als diese Bultmannsche Unterscheidung. Er stellt die grundlegende Unterscheidung von Tatsache und Bedeutung, Ereignis und Interpretation in Frage, auf der sich der größte Teil moderner Geschichtsschreibung gründet. Er nennt diese falsche Unterscheidung neu-kantianisch, und er sieht richtig, daß sie in ihrer modernen Ausprägung auf Kants scharfe Trennung zwischen Tatsachenfragen und Wertfragen zurückgeht. So zielt sein Angriff gegen Bultmann nicht in erster Linie darauf, daß Bultmann das Element der Tatsächlichkeit im geschichtlichen Ereignis abschwächt, sondern darauf, daß dieser die falsche, positivistische Unterscheidung von Tatsache und Bedeutung überhaupt übernimmt. So überrascht es denn auch nicht, 231
daß Pannenberg von R. G. Collingwoods Kritik an der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts beeinflußt ist. 4 Wir wollen Pannenbergs Behandlung einer bestimmten geschichtlichen Frage dadurch prüfen, daß wir untersuchen, wie er die Auferstehung Jesu sieht. Glücklicherweise hatte seine Vorlesung an der Vanderbilt Divinity School im April 1963 diesen Gegenstand zum Thema, und sie war eine glänzende und klare Darlegung seiner Ansichten. Pannenberg beginnt seine Diskussion der Auferstehung, indem er gegen Bultmann darauf besteht, daß Gewißheit über die Auferstehung sich nicht aus der Entscheidung des Glaubens herleitet. Glaube basiert auf Gewißheit, die von außerhalb des Glaubens kommen muß. Pannenberg sieht richtig, daß Parulus in 1. Kor. 15,3 ff. eine Liste von Augenzeugen in der Annahme zitiert, daß diese Form des Belegs wichtig ist. Einige dieser Zeugen lebten noch, und ihr Zeugnis konnte nachgeprüft werden. Gewißheit, so folgert Pannenberg, kann nur auf dem Wege »moderner» geschichtlicher Forschung erreicht werden. Wenn Beweis aus erster Hand jetzt unmöglich ist, so ist uns wenigstens eine Art Beweis aus zweiter Hand verfügbar. Aber die Auferstehung Jesu taucht nicht in einem geschichtlichen Vakuum auf. Paulus kennt eine Reihe von Voraussetzungen, die es ihm möglich machen, sowohl seine Erfahrung als auch deren Bestätigung so zu erläutern, daß sie zu dem Schluß führen: Jesus ist wirklich von den Toten auferweckt worden. Diese Voraussetzungen stammen aus der jüdischen Apokalyptik. Der Glaube des Paulus ist deswegen teilweise in derjenigen Ausprägung apokalyptischer Tradition begründet, die von einer individuellen Auferstehung am letzten Tag spricht: J es. 26, Dan. 12 sowie die Auferstehungstradition, die der Auseinandersetzung J esu mit den Sadduzäern in Mk. 12, 18-27 parr zugrunde liegt. Des-
4
Es dürfte interessant sein anzumerken, daß Bultmann ebenfalls näher eingeht auf Collingwood, und zwar in seinen Gifford lectures über «Geschichte und Eschatologie)), Tübingen 1958.
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wegen, so bemerkt Pannenberg, können wir den Sinn von 1. Kor. 15, 13 erfassen: «Aber wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist Christus nicht auferweckt worden». D. h., daß die apokalyptische Auferstehungstradition die Grundlage für den Glauben des Paulus an die Auferstehung Jesu darstellt. Unsere Fähigkeit, die Auferstehung zum geschichtlichen Ereignis zu erklären, liegt teilweise begründet in unserer Fähigkeit, den geschichtlichen Nährboden und die Tradition zu ~dentifizieren, aus denen sie erwuchs. «Geschichtlich» bedeutet in gewisser Hinsicht, «eine bestimmte Tradition hinter sich haben». Darüberhinaus aber ist die Auferstehung J esu noch in einem zweiten Sinne geschichtlich. Sie hat nicht nur eine Vergangenheit, sondern sie ist auch in der Lage, einem ursprünglichen Bedürfnis oder Verlangen im Menschen zu begegnen. Das Geschichtliche, so könnte man sagen, hat auch eine ontologisahe Färbung. Wie wir oben erwähnten, führt Pannenberg an dieser Stelle seine Auffassung vom Menschen als einem Wesen ein, das wesentlich nach einer Bestimmung jenseits dieses Lebens strebt. Deswegen reicht die Auferstehung J esu in die Geschichte hinein und ist als wahrhaft geschichtlich im doppelten Sinne definiert: sie ist vorbereitet sowohl durch die jüdische Apokalyptik als auch durch eine natürliche oder vorfindliche Erwartung im Herzen des Menschen. Aber es erhebt sich eine weitere Frage. Das Ereignis muß eine seiner Wirklichkeit angemessene Sprache finden, und dies nennt Pannenberg das Problem der «Metapher». Die richtige Metapher, die man gebrauchen muß, will man die Realität der Auferstehung ausdrücken, ist die des Aufweckens aus dem Schlaf. Also ist die Auferstehung «gesahichtlich», weil sie diese drei Elemente enthält: einen Überlieferungszusammenhang, auf den wir hinweisen können; eine ontologische Analyse des Menschen, die garantiert, daß die Wirklichkeit der Auferstehung aufgenommen werden kann; und einen angemessenen metaphorischen Ausdruck. Dieses Verfahren ist offenbar das, was Pannen233
berg unter einer angemessenen oder modemen geschichtlichen Methodologie hinsichtlich der Untersuchung der Auferstehung versteht. Nach diesem Vorwort zur Methode wendet sich Pannenberg den Auferstehungsperikopen im Neuen Testament selbst zu. Er neigt dazu, die Erscheinungstraditionen der vier Evangelien von vornherein zu verwerfen. Diese, so sagt er, sind eher legendarisch als geschichtlich und offenbar davon bestimmt, die körperlichen oder physischen Züge des auferstandenen Herrn hervorzuheben. 1. Kor. 15, besonders die Verse 3-8, sind das Material, das Pannenberg einer sehr sorgfältigen Analyse unterzieht. Diese Aufzählung von Augenzeugen ist für Paulus ein wichtiger Teil seines Beweises. Ihr Zeugnis konnte nachgeprüft werden und reichte bis in die Zeit kurz nach dem Ereignis selbst zurück. Paulus identifiziert am Ende der Liste die Erscheinung, deren Zeuge er selbst war, mit den vorhergenannten. So ist es uns erlaubt, von der Beschreibung her, die Paulus für seine eigene Erfahrung gibt, auf den Charakter der früheren Erscheinungen zurückzuschließen. Was erzählt uns das Neue Testament über die Erfahrung des Paulus auf dem Weg nach Damaslrus? Er sah Jesus; Jesus war die durch Gott gegebene Offenbarung; er sah einen geistlichen Leib; es handelte sich um eine Erscheinung vom Himmel her, nicht um eine natürlich erklärbare Erscheinung; sie geschah wahrscheinlich in der Gestalt eines blendenden Lichtes; außerdem enthielt sie ein auditorisches Element. Also war die «Erfahrung)) des Paulus entschieden ein Ereignis in der Zeit. (Es sollte festgehalten werden, daß es sich weniger deutlich um ein Ereignis im Raum handelt.) Es wird also eigentlich diese Erfahrung des Paulus das grundlegende Ereignis der Auferstehung Jesu gewesen sein. Aber wir müssen uns nun daran erinnern, daß Pannenberg die Trennung von Ereignis und Bedeutung zurückwies. Wir haben also den wahrhaft geschichtlichen Charak234
ter der Auferstehung noch nioht vollkommen beschrieben. Das brutum factum nimmt seinen vollen geschichtlichen Oharakter erst an, wenn wir den drei methodologischen Forderungen Pannenbergs gerecht werden. Auferstehung wird die wahrhaft geschichtliche Auferstehung J esu, wenn wir zu dem merkwürdigen blendenden Licht der paulinisehen Vision erstens den apokalyptischen Hintergrund, zweitens die Analyse der menschlichen Natur als einer nach jenseitiger Erfüllung verlangenden und drittens die Metapher des Aufweckens vom S.chlaf hinzufügen. Alle diese Elemente zusammen erlauben uns zu sagen: Jesu Auferstehung war wahrhaft geschichtlich; er ist wirklich von den Toten auferstanden. Nunmehr braucht dem Geschichtlichen nichts hinzugefügt werden, damit es «Offenbarungscharakter» bekommt. Glaube muß nicht sozusagen von außen kommen und den wahrscheinlichen geschichtlichen Behauptungen Wahrheit verleihen. Geschichtliche Analyse selbst hat das Wesen dieser Behauptungen als Offenbarung von Gott aufgedeckt. Womit war die Erscheinung, die Paulus (und den übrigen) geschah, wirklich zu vergleichen? Vielleicht wird das Wort «Vision» genügen, stellt Pannenberg fest, aber wir dürfen uns darunter nichts Subjektives, Illusorisches vorstellen. Vision ist auch keine aus Not und Erwartung hervorgegangene Erfüllung. In seiner Behandlung der Auferstehung hat aber Pannenberg noch weit mehr zu sagen. Er untersucht auch mit Sorgfalt die Überlieferung vom leeren Grab, obwohl er den Erscheinungen in seiner Analyse eindeutig den Vorzug gibt. Er vermutet, daß die Überlieferung vom leeren Grab unabhängig von der Erscheinungsüberlieferung entstand und daß diese beiden Überlieferungsstränge einige Zeit später zusammenliefen. Er spricht der überlieferung vom leeren Grab aber einen geschichtlichen Oharakter zu, weil kein anderer Bericht als der in den Evangelien wirklich gegebene in der Lage scheint, alle Tatsachen zu erklären. Es ist nicht meine Absicht, Pannerrbergs Studie zur Auferstehung einer erschöpfenden Analyse zu unterziehen. Wir 235
mußten einen Blick auf sie werfen, weil sie uns deutlioh macht, was er unter ((Geschichte)), ((geschichtlich» und ((angemessener geschichtlicher Methode» versteht. Geschichtliche Methode hat drei Hauptelemente : überlieferungszusammenhang, Ontologie und Sprache. Sie wird an ein bestimmtes Ereignis herangetragen, prüft dieses Ereignis, beurteilt etwa vorhandene Zeugen, und in der Begegnung zwischen Methode und Ereignis wird die Bezeichnung ((geschichtlich» zugesprochen. ((Geschichte» bedeutet sowohl Ereignis als auch Bedeutung, und diese beiden Elemente können nicht voneinander getrennt werden. In einem Vorgang hält geschichtliche Methode das Auferstehungsereignis zugleich für geschichtlich und offenbarend. So scheint es in Raum und Zeit einen Ort zu geben, von dem gesagt werden kann, daß an ihm Gott offenbar ist, daß an ihm Gott durch die richtige geschichtliche Methode erkannt werden kann. Wenn dies vor allem hinsichtlich der Auferstehung Jesu der Fall ist, gibt es dann überhaupt Gründe dafür, daß dieselbe Methode nicht auch zu verwenden ist, um die offenbarende Macht Gottes in jedem anderen geschichtlichen Ereignis aufzudecken? Für Pannenberg gibt es keinen Grund, daß dies nicht der Fall sein sollte, und deswegen kann die Auferstehung der Schlüssel zu einer Geschichtstheologie werden, genauso wie der Auszug aus Aegypten für den Propheten und der Fall Roms für Augustin solche aufschließenden Ereignisse darstellten. Auf diesem Wege kann Pannenberg von seinen Feststellungen zur Auferstehung fortschreiten zu seinem Projekt einer Theologie der Weltgeschichte. Wir werden dies unten noch näher erläutern. Trotz einiger merkwürdiger Ähnlichkeiten zwischen Pannenberg und Bultmann in Bezug auf den Sinn der Geschichte behauptet Pannenberg mit einigem Recht, daß er eher als BuHmann bereit ist, der geschichtlichen Forschung eine Auswirkung auf den Glauben zuzugestehen. Glaube, so stellt er fest, lebt nicht in sturmfreiem Gebiet, das gegenüber geschichtlicher Analyse immun ist. Das ist 236
gut so und verdient hervorgehoben zu werden; und doch hört man gerade deswegen mit einer gewissen Überraschung Pannenberg ebenfalls sagen: geschichtliches Wissen kann «die Gewißheit des Glaubens nur wenig beeinträchtigen)).5 Wenn Glaube wirklich grundsätzlich durch geschichtliche Methode verletzbar ist, so ist schwer einzusehen, wie man von vornherein wissen kann, wie großen Schaden solche Forschung verursachen kann. Wenn man dies von vornherein weiß, redet man nicht von der Art Forschung, die der Historiker treibt (pannenberg würde solche Forschung «Positivismus)) nennen); man redet dann eher von einer merkwürdigen Mischung von Geschichte und Metaphysik. Deswegen scheint es, daß Pannenberg trotz seiner anderslautenden Behauptung ein geradeso geschütztes und unzerstörbares theologisches Reservat aufgebaut hat wie Bultmann. Für Bultmann ist der Mensch durch die Begegnung mit dem gepredigten Christus vor den Zufälligkeiten geschichtlicher Kontingenz geschützt; für Pannenberg ist der Mensch geschützt durch seine Auffassung der Nähe Gottes zu allen Menschen, was fast auf eine Identifikation Gottes mit dem Prozeß der Geschichte selbst hinausläuft. Gott ist in gewissem Sinne die Gesdhichte; oder wenigstens ist er per definitionem in der Geschichte, wo historische Methode ihn also finden kann. Geschichtliche Methode kann nie folgern, daß Gott nicht dort ist; eine Methode, die dies folgerte, würde als unangemessen verworfen werden. Der Grund dafür, daß Fakten gegen den Glauben nicht zählen, liegt darin, daß es so etwas wie Fakten nicht gibt. Ein Faktum (z. B. die Erscheinung, die Paulus widerfuhr) kann nicht einsehbar oder geschichtlich werden, solange es nicht der richtigen geschichtlichen Methodologie unterworfen wird. Diese Methode kann nicht umhin, ein Ereignis als Gott offenbarend anzusehen, sobald es als wahrhaft geschichtlich betrachtet wird. 5
Wolfhart Pannenberg, «Heilsgeschehen und Geschichte», KuD, V, 1959, S.278. 237
Pannenbergs Geschichtsverständnis scheint eine Reihe von interessanten übereinstimmungen mit demjenigen des Mittelalters aufzuweisen. Für die Griechen war Geschichte die bloße Spiegelung der ewigen Welt der Ideen. Aber im Mittelalter wurde, wie Gogarten gezeigt hat, die ewige Welt der Ideen durch die Auffassung vom göttlichen Heilsplan ersetzt, der sich in der Geschichte verwirklicht. Augustins De civitate dei stellt die Grundlage für diese Geschichtstheorie bereit. Deswegen war Geschichte im Mittelalter «die Verwirklichung jenes ewigen, über aller Zeit stehenden göttlichen Planes, in der sie nicht nur die Einheit des irdisch-zeitlichen Weltgeschehens, sondern auch die Einheit des Geschehens mit der göttlichen Wirklichkeit begründet sah)).6 Tillich nennt dies Theonomie, und Pannenbergs Sicht der Geschichte ist theonomisch. In der Geschichte zu sein heißt, gleichzeitig unter der offenbarenden Macht und Gegenwart Gottes zu sein. Wenn man heutzutage z. B. die Kathedrale von Chartres besucht, kann man für einen Augenblick an der Realität und Macht mittelalterlicher Theonomie teilhaben. Aber sobald man aus der Kathedrale auf die Straße tritt, weiß man plötzlich, daß diese ungeheure Vision nicht die eigene Selbst- und Welt-Anschauung ausdrückt. Der heutige Mensch kann sich weder nach der alten Theonomie sehnen, noch danach, eine neue aufzurichten. Ob er nun Nichtchrist oder Christ ist, er weiß, daß die Kraft, ,die der Geschichte innewohnt, in ihm selbst liegt. Technologie ist eine Tatsache, der man sich stellen muß, der man nicht entfliehen darf. Pannenberg erkennt das Verschwinden der Theonomie nicht an, und man kann einen solchen Theologen verstehen. Aber der Versuch, das theonomische Bild einer Gotteswelt durch eine Reihe neuer Definitionen zu gewinnen, wird nicht mehr ausreichen. Wir sind wieder bei unserm ersten Streitpunkt angekommen. 6
Friedrich Gogarten, Die Wirklichkeit des Glaubens; Zum Problem des Subjektivismus in der Theologie, 1957, S.20.
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Liegt nicht etwas Sektiererisches in dieser Theologie? Sie spricht viel über die Offenheit zur Welt und ist doch von Anfang an von ihr abgeschnitten. Es kann wohl sein, wie Pannenberg versichert, daß die existentialistische Unterscheidung zwischen Geschichte und Historie heute ein zu grobes und relativ unbrauchbares Werkzeug ist. Aber es ist schwer einzusehen, daß die methodologische Weigerung, Tatsache und Bedeutung zu trennen, von irgendwelchem größerem Nutzen ist. Bultmann mag Instrumente gebrauchen, die nicht mehr ganz präzis sind, aber er versucht wenigstens, die Welt modernen Unglaubens emstzunehmen. Bei der Hochschätzung Pannenbergs für die Leistungsfähigkeit der geschichtliohen Methode könnte man vermuten, daß ihm der Begriff des Glaubens gewisse Schwierigkeiten bereiten würde. Der vorliegende Befund stimmt mit dieser Vermutung gen au überein. «Um glauben zu können, muß man zunächst voraussetzen, daß die Botschaft von Jesus Christus wahr ist, und dazu gehört als erstes, daß J esus wirklich das Kommen der Gottesherrschaft verkündet hat und daß er wirklich von den Toten auferstanden ist. Vielleicht kann man die Wahrheit dieser Botschaft nicht immer einsehen, aber man muß voraussetzen dürfen, daß es damit seine Richtigkeit hat und daß diese sich wenigstens grundsätzlich auch einsehen läßt. In diesem Sinne einer logischen (nicht immer auch der psychologisch vorhergehenden) Voraussetzung ist das Wissen von der Geschichte Jesu einschließlich seiner Auferweckung von den Toten der Grund des Glaubens.»7 Was kann dann fides sein? Jedenfalls kann es keine fides quaerens intellectum geben, ja nicht einmal einen intellectus quaerens fidem. Wahrer intellectus ist fides. Der Glaube schließt die Voraussetzung ein, daß gewisse Dinge wahr sind oder, genauer, daß gewisse geschichtliche Ereignisse so stattfanden, wie sie das Neue Testament berichtet. Pan7
Vgl. oben, Pannenberg, S.164. 239
nenberg hat eine bewundernswerte Antipathie gegen alle Spielarten der lides implicita - sei es nun Glaube als fragloser Gehorsam gegen den Befehl Jesu (Bonhoeffer) oder Glaube als Entscheidung in der Antwort auf den von der Kirche verkündigten Christus (Bultmann).8 Aber wahrscheinlich hat Pannenberg die lides implicita so sorgfältig vermieden, daß er in die Dornen der lides historica gefallen ist. Glaube, so sagt er uns, entsteht lückenlos aus der Geschichte, in der er sich gründet; er verlangt die Voraussetzung, daß gewisse Ereignisse stattfanden; und die richtige Forschungsmethode kann sowohl die Einzigartigkeit Jesu wie den Offenbarungscharakter seines Lebens aufdecken. Es ist interessant zu beobachten, wie weit wir uns damit von der calvinistischen Lehre des inneren Zeugnisses des Heiligen Geistes entfernt haben. Calvin stellt fest, daß Glaube dasjenige Ereignis ist, in dem Gott in Verbindung mit der Schrift zum Menschen kommt, und daß es Gott selbst ist, der das tote Wort aufnimmt und es für den Glauben in ein lebendiges Wort verwandelt. Bei Pannenberg scheint es fast, als sei der Heilige Geist durch die richtige Methodologie ersetzt worden. Geschichte enthält bereits Gott - «Geschichte ist die Wirklichkeit in ihrer Totalität» 9 und vermutlich ist die göttliche Wirklichkeit in dieser totalen Wirklichkeit der Geschichte eingeschlossen - und der Mensch hält in seinen Händen das richtige Werkzeug, um in diese Wirklichkeit einzudringen und Gott als dort vorfindlich zu entdecken. Eine ganze Familie traditioneller theologischer Ausdrücke ist ihrer Bedeutung beraubt worden, wenn oben ein einigermaßen getreues Bild der Glaubens- und Geschichtsauffassung Pannenbergs gezeichnet worden ist. Offenbarung selbst 8
Ebda., S. 160 ff.
o «Heilsgeschehen und Geschichte)), a. a. 0., S.222. Neudruck in
C. Westermann (Hgg.), Probleme alttestamentlicher Hermeneutik (Theologische Bücherei, 11, 1960), S.301. 240
ist radikal neu formuliert worden. Wenn man sagt, die Offenbarung Gottes könne durch die richtige Methode in der Geschichte entdeckt werden, ist es dann nicht geradezu eine Vergeudung von Worten zu erklären, Gott offenbare sich selbst? Offenbarung bedeutete in der christlichen Theologie ursprünglich, daß es einen Ort gibt, wo der Mensch nicht finden kann, sondern nur gefunden werden kann. Wo bleibt der Segen über Petrus? «Denn Fleisch und Blut haben dir das nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist» (Mt. 16, 17). Was sollen wir von Paulus sagen? «Niemand kann sagen ,Herr ist ]esus' außer im Heiligen Geist)) (1. Kor. 12,3). Was geschieht mit der Gnade, der Rechtfertigung durch den Glauben? Rechtfertigung durch den Glauben hat doch sicher auch immer bedeutet, daß der Mensch nichts vorweisen kann - nicht einmal die richtige geschichtliche Methode - nichts, was den Glauben oder die Teilhabe an der Offenbarungsmacht Gottes garantieren könnte. Zwar haben Bultmann und Gogarten viele nichtssagenden Züge in die Rechtfertigungslehre hineingelesen. Sie haben z. B. gesagt, daß es Unglaube ist, nach historischer Klarheit zu suchen, und daß man damit seine fehlende Bereitschaft. verrate, auf Gott zu vertrauen. Aber es ist noch lange nicht ausgemacht, daß Pannenbergs Rechtfertigung durch Methode eine angemessene Antwort auf Bultmanns tendenziösen Mißbrauch Luthers darstellt. Einen wichtigen Bestandteil dessen, was Pannenberg unter Glauben versteht, haben wir bisher unerwähnt gelassen. Bis jetzt haben wir Pannenbergs Auffassung von Glauben in Bezug auf dessen Voraussetzungen untersucht. Dabei haben wir wahrscheinliche Tatsachen der Geschichte (besonders der Geschichte ]esu) herangezogen und haben vorausgesetzt, daß einiges davon wahr ist, auch wenn wir selbst die Wahrheit nicht begreifen können. Aber, so bemerkt Pannenberg, Glaube ist auch Hoffnung, Vertrauen auf die Verheißung Gottes und seine Zukunft,1° Wie stimmt 10
Vgl. oben, Pannenberg, S. 166.
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dies überein mit der Auffassung von der Voraussetzung des Glaubens? Glaube als Hoffnung heißt, daß die Gewißheit des Glaubens nur eschatologisch, nur zukünftig sein kann. Die Gewißheit des Glaubens wird erst in der kommenden Welt erreicht werden. In diesem Leben haben wir nur Wahrscheinlichkeit, und das christliche Leben wird so geführt, als ob gewisse Ereignisse wirklich geschichtlich wären. In diesem Leben kennen wir nur die lides historica. Aber wir haben auch das Vertrauen, daß Gott zu seiner Zeit den Glauben, der auf Wahrscheinlichkeit beruht, in volles Vertrauen verwandelt. Der tiefgehende Einfluß apokalyptischer Gedanken ist Pannenberg hier zustatten gekommen, denn diese sind ein wesentlicher Bestandteil jeder wohlfundierten Glaubenslehre. Aber was heißt das in seinem Fall? Wenn Glaube nur eschatologisch realisiert werden kann, heißt das auch, daß er nur in der kommenden Welt verfälscht werden kann? Dies würde Pannenberg gelegen kommen; es kann zum Teil erklären, warum Pannenberg sicher sein kann, daß die geschichtliche Forschung dem Glauben hier und jetzt in Wirklichkeit nicht allzu sehr schaden kann. Um unser Verständnis von Pannenbergs Glaubens- und Geschichtsaruffassung und das ihres Ortes in den gegenwärtigen theologischen Auseinandersetzungen zu klären, bietet sich die Möglichkeit an, ihm eine spezifisch theologische Frage zu stellen und dann zu versuchen, sich seine Antwort im Vergleich zu anderen heute möglichen Antworten vorzustellen. Wir wollen ihm jenes Problem vorlegen, das das Lessingsche Problem genannt worden ist. Das Problem, das Lessing gestellt hat, existiert unabhängig davon, ob die moderne Theologie Lessing selbst richtig verstanden hat, und eine recht ansehnliche theologische Spezialliteratur ist in seinem Umkreis entstanden. Das Problem ist einfach beschrieben: wie kann eine Reihe vergangener historischer Ereignisse, die wie alle historischen Ereignisse im Bereich der Wahrscheinlichkeit und Kontingenz zu lokalisieren sind, in eine gegenwärtige Wirklichkeit des 242
Glaubens verwandelt werden, die für mich jetzt in der Gegenwart gilt? Es gibt heute mehrere Antworten auf diese Frage. 1. Zunächst wäre die sakramentale Lösung des Problems zu erwähnen. Die Vergegenwärtigung ist der tiefere Sinn des Abendmahls, der Eucharistie, der Messe. Wie immer man beschreibt, was mit den Elementen geschieht (wenn überhaupt etwas geschieht), sakramentale Teilhabe ist der Weg, auf dem der Gläubige die vergangene Wirklichkeit als gegenwärtige Gestalt für seinen Glauben empfängt. Diese Beschreibung kann in den Begriffen der Transsubstantiation, der Erinnerung oder in einer neuartigen Bewertung der Bedeutung von Symbolen gegeben werden. 2. Zu erwähnen ist ferner das, was man die konfessionelle Antwort nennen könnte. Sie kann zusam,men mit der sakramentalen gegeben werden oder unabhängig von ihr sein. Glaube ist nicht nur eine gegenwärtige Wirklichkeit und eine Hoffnung, er ist Erinnerung. Deswegen heißt im Glauben stehen: jetzt etwas haben, mit welchem Namen man es auch immer bezeichnet: Vertrauen, Treue, Glauben an Gott. Aber Glaube ist auch der Akt, mit dem ich meine kleine Lebensgeschichte in einen größeren Zusammenhang hineinstelle, der sich in die Zukunft dehnt und der zurückreicht in die Tiefe der Vergangenheit, ja zurück bis zum Anfang der Zeit selbst. So ist ein vollständiger Glaube als das Erzählen der Geschichte meines Glaubens verstanden, die Teil einer weit umfassenderen Gemeinsamkeit in Zeit und Raum ist und Schöpfung, Fall und Erlösung einschließt. Glaube sagt «ja» zur biblischen Geschichte als einem Teil meiner Geschichte. Diese biblische Geschichte wird zu mehr als bloß alter Geschichte, wenn ich in die Lage versetzt werde, in meiner Vorstellung und in meinem Leben zu erfahren, daß sie die Geschichte meines Lebens ist. Die Welt durchlief in der Zeit des Todes und der Auferstehung Jesu keine begreifbare metaphysische Veränderung. Aber der Glaube erklärt, daß diese Ereignisse bestimmen, was Gott damals wollte und jetzt will. 243
3. Es gibt andere, die sagen würden, daß jeder, der sich mit dem Problem Lessings herurnquält, eine unzulängliche Lehre von Gott hat. Das ist die Position Kar! Barths, wie er sie in seiner Abhandlung über die Auferstehung (KirchI. Dogmatik IV, 1 § 59, Abschnitt 3) darstellt. Mit der Auferstehung hat die Parusie begonnen, der neue Äon bricht schon an, und Gott ist gekennzeichnet als Sein für den Menschen. Der Glaube an diesen Gott ist per definitionem Glaube an den, der die vergangenen Heilsereignisse schon ergriffen und für mich gegenwärtig gemacht hat. Wer von Lessings Problem verwirrt ist, zeigt, daß er im Unglauben befangen ist, denn Gott gibt sich selbst zu erkennen als derjenige, der die vergangenen Heilsereignisse für uns gegenwärtig macht. Glaube heißt deswegen, daß ich dieses vergegenwärtigende Handeln an mir geschehen lasse; Barth löst hier in charakteristischer Weise ein Problem dadurch, daß er das Wesen Gottes so definiert, daß das Problem erst gar nicht auftauchen kann. 4. Die Vergangenheit und die Erforschung der Vergangenheit bringen nichts ein; aber der lebendige Herr begegnet mir in meiner Gegenwart, wenn sein Wort mir verkündigt wird. Im Christus praedicatus wird die Vergangenheit Gegenwart. Dies ist natürlich Bultmanns Position. Sie setzt die Unterscheidung von Geschichte und Historie voraus und basiert auf seinem Versuch, jede Form des GottMensch-Verhältnisses auf den Modus der Begegnung zurückzuführen. Dieser Versuch ist Teil seines durchgehenden Bemühens, für den christlichen Glauben einen unangreifbaren Ort in der Welt zu sichern, wo die Zufälligkeiten bloßer historischer Fakten ihm nichts anhaben können. Die Kanzel erweist sich als dieser unangreifbare Ort, wo die Vergangenheit mir gegenwärtig gemacht wird (das bringt uns die tatsächliche Ähnlichkeit dieser Anschauung und derjenigen zum Bewußtsein, die wir die sakramentale genannt haben und für die der entscheidende Ort der Altar ist). Dies ist eine sehr evangelische, sehr kirchliche und sehr religiöse Lösung des Problems und 244
läßt uns verstehen, wieso Bultmanns Theologie als das eindrücklichste und schwierigste System der Homiletik beschrieben werden konnte, das je von einem Christen entworfen wurde. 5. Pannenbergs Antwort auf das Lessingsche Problem ist sowohl Barth als auch Bultmann verpflichtet und ist doch seine unwechselbar eigene Antwort. Als Zusammenfassung seiner Antwort könnte wohl der Aphorismus Croces gelten: alle Geschichte ist zeitgenössische Geschichte. Die Frage Lessings unterstellt, daß es eine wirkliche Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwa,rt gibt, aber eine sorgfältige Prüfung der Geschichte findet keine solche Kluft. Deswegen braucht Pannenberg keine Lehre von Gott, um diese Kluft zu leugnen, und er braucht kein Entmythologisierungsprogramm, um diesen Abgrund zu überbrücken. Er braucht nur Geschichte als ein System miteinander verknüpfter Ereignisse zu definieren, in dem jedes Einzelne als mit allem anderen verbunden gezeigt werden kann. Wenn ich den Zusammenhang, in dem ich stehe - die gegenwärtige Zeit - ausdehne, wird das Neue Testament selbst ein Teil meiner Gegenwart und der Zeitunterschied zwischen damals und heute wird unwichtig. Hierfür bildet die Auferstehung den Schlüssel, denn in ihr hat ein zukünftiges Ereignis schon angefangen zu geschehen. Wir haben schon beobachtet, daß bei dieser Behandlung der Auferstehung kein Versuch gemacht wird, die geschichtlichen und die theologischen Fragen voneinander zu trennen. «Glaubten die Verfasser des Neuen Testamentes, daß ]esus wirklich von den Toten auferstanden war?)) und «können wir das glauben?1I sind ein und dieselbe Frage. Aber es ist wichtig, an das zu erinnern, was Pannenberg durch die Aufgabe dieser Unterscheidung nicht beabsichtigt. Dies ist kein Historismus, wie man ihn heute im Gefolge konservativer und radikaler Theologie antrifft. Es ist kein Historismus, weil, wie wir bereits gesehen haben, Pannenberg nicht wirklich glaubt, daß es so etwas wie ein rein historisches Faktum gibt. Solche Kategorie verführt 245
vielmehr zu neukantianischem Positivismus. Das Zusamnlenfallen theologischer und geschichtlicher Fragen könnte viel eher eine Art Theologismus sein - eine Position, von der aus theologische Urteile abgegeben werden, ohne daß auf irgendwelche geschichtliche Fakten zurückgegriffen wird. Aber solche Kennzeichnung würde eher für Bultmann als für Pannenberg zutreffen, der zu Recht geltend macht, daß er der geschichtlichen Forschung mehr Einfluß zubilligt als Bultmann. Nichtsdestoweniger scheint es, daß Pannenberg mit seinem besonderen Verständnis der geschichtlichen Methode weithin ebenso vorgeht wie Bultmann, wenn dieser Geschichte und Historie unterscheidet. Auch er sucht im Bereich des Subjekts einen Ausweg aus der radikalen Kontingenz unserer Situation. Er sucht nach einem Weg, auf dem er Feststellungen über vergangene Ereignisse in Feststellungen über das gegenwärtige Leben des Glaubens übersetzen kann. Pannenbergs Subjektivismus ist nicht der der Erfahrung, sondern der der geschichtlichen Methode. Aber sein Weg erscheint genauso als Fluchtweg wie der Bultmanns.
III. Obwohl wir zu zeigen versuchten, daß Pannenbergs Theologie im Unterschied zur Theologie Bultmanns sich nicht bemüht, mit der Wirklichkeit des modernen Unglaubens zu rechnen, und obwohl wir das als schweres Versäumnis verurteilt haben, folgt daraus nicht, daß diese theologische Arbeit nur eine akademische Übung ist. Pannenberg ist nicht in erster Linie daran interessiert, eine Alternative zu den Systemen Barths und Bultmanns zu geben. Er greift, wie wir gesehen haben, eine ganz spezifische theologische Aufgabe an - die Schaffung einer Theologie der Geschichte. Dies ist ein anzuerkennendes Ziel, besonders weil uns so viele sagen, dies sei unmög246
lieh. Und das, was viele als unmöglich bezeichnen, das muß es wert sein, in Angriff genommen zu werden. Wie will Pannenberg von seinem Verständnis von Glauben, Geschichte und Auferstehung aus zu einer Theologie der Geschichte gelangen? Soll die dreifache geschichtliche Methode, -die er in Verbindung mit der Auferstehung entwickelte, den Schlüssel dazu abgeben? Soll die Auferstehung J esu, die, wie er sagt, einzigartiges und offenbarendes Ereignis ist, beispielhaft sein für die Art und Weise, wie alle Ereignisse auf Gott bezogen werden sollen? Kann ein Ereignis zugleich einzigartig und paradigmatisch sein? Das ist offensichtlich Pannenbergs Hoffnung: einen Weg zu entdecken, um Gottes Gegenwart im Ganzen der Geschichte zu beschreiben nach dem Vorbild seiner Untersuchung dieser göttlichen Gegenwart in der Auferstehung. Deswegen wird eine Theologie der Geschichte dreierlei einschließen: erstens muß jedes Ereignis, das so beschrieben werden soll, in einen bestimmten Zusammenhang bzw. zu einer bestimmten Vergangenheit gehören, und es muß sich dabei um einen theologischen Zusammenhang handeln. Wie die jüdische Apokalyptik den Überlieferungszusammenhang für die Auferstehung bildete, so muß es einen ähnlichen Zusammenhang für jedes andere Ereignis geben. Könnte es nicht sein, daß die Auferstehung selbst für Pannenberg ein Ereignis darstellt, das den Zusammenhang aller folgenden Ereignisse konstituiert? Zweitens muß für jedes endliche Geschehen gezeigt werden, daß es in einer eigenen Beziehung zur Gottesidee steht. Das ist der metaphysische Aspekt der P annenbergschen Methode, und wir erinnern uns, wie er für seinen Beweis der Auferstehung voraussetzen mußte, daß alle Menschen sich nach einer Erfüllung im Jenseits sehnen. Wenn etwa diejenigen Menschen, die am gegenwärtigen Geschehen teilhaben - und dieses Geschehen soll in einer Geschichtstheologie bedacht werden - wenn diese Menschen der oben vorgetragenen Analyse ihres Gottesverlangens zufällig nicht zustimmen, was dann? Müssen sie von der Notwendigkeit einer be247
stimmten Metaphysik überzeugt sein, bevor die Theologie der Geschichte zum Zuge kommen kann? Wie ist Gott nun wirklich in endlichen Ereignissen zu finden? Daß er in der Tat der Herr der Geschichte ist und daß er nicht auf irgendeine besondere und sakrale Geschichte beschränkt bleiben kann, das ist eine von Pannenbergs unanfechtbarsten Behauptungen. Von Jesus, so versichert er uns «(empfängt) alles Geschehen sein rechtes Licht».11 Richtig, doch konstituiert dies noch keine Theologie der Geschichte. In dieser Form ist dieser Satz nicht mehr als ein theologischer Gemeinplatz ohne jeden weiteren Nutzen. Wenn wir auf Pannenbergs Methode und auf sein Ziel sehen, so scheint jene für dieses fast gänzlich ungeeignet. Es ist ähnlich, wie wenn man den Tisch deckt, indem man einen Tischtennisschläger hinlegt. Ein Tischtennisschläger ist gut und schön, wenn man Tischtennis spielen will. Aber er taugt nichts zum Hühnernudelsuppenessen. Immerhin hat Pannenberg schwierige und ungewohnte Probleme angefaßt, Probleme, die auch wir nicht gelöst haben. Hier ergibt sich eine Frage, die vielleicht weiterhelfen könnte: welche Beziehung besteht zwischen dem, was Pannenberg Theologie der Geschichte nennt, und dem, was wir in Amerika gern Theologie der Kultur nennen? Eine der interessantesten Erscheinungen in der heutigen amerikanischen Theologie ist in der großen Anzahl der Gespräche zu sehen, die die Theologie mit anderen Disziplinen und Berufen führt. Es gibt keine besondere Methodologie, die diese Diskussionen mit Naturwissenschaft, Psychoanalyse, Literaturwissenschaft, Geschich tswissenschaft und Soziologie beherrscht. Sie sind gerade jetzt in Gang gekommen, und natürlich werfen wir ein gut Teil der überkommenen theologischen Methoden, die wir vor allem andem in diese Diskussion einbrachten, zum alten Eisen: «es gibt keine Kluft zwischen Naturwissenschaft und Re11
Ebda., S.24.
248
ligion», «Glaube ist einer naturwissenschaftlichen Voraussetzung zu vergleichen», «jeder Mensch fragt nach einem letzten Sinn», «die Lücken in unserm Wissen von der äußern Welt zeigen, daß das Universum offen für Gott ist)), usw., usw. Wir wissen nicht immer genau, was wir tun oder was wir lernen; keine allein herrschende Metaphysik kontrolliert uns, und über die Natur des Menschen können keine allgemein verbindlichen Voraussetzungen postuliert werden. Natürlich sind wir hier engagiert, weil wir gerade dies näher zu erkennen wünschen. Diese Gespräche sind möglicherweise das augenblicklich wichtigste theologische Unternehmen in Amerika, weit wichtiger jedenfalls als die oft öden Diskussionen untereinander, zu denen sich Theologen (von Zeit Z'U Zeit) verpflichtet fühlen. Ich habe den Eindruck, daß Pannenberg auf seine Art ein ähnliches Ziel ansteuert. Aber ich kann das Gefühl nicht loswerden, daß er sich auf ein solches Gespräch höchstwahrscheinlich nur einläßt, um zu überreden und zu überzeugen, anstatt zu lernen. Es gibt zu wenige Stellen in seinem Gedankengebäude, die nach unserer Einschätzung einem Einfluß Außenstehender offen sind. Wie dem auch sei, das fruchtbarste Element im faszinierenden und komplexen Denken Pannenbergs scheint nicht in seiner Sicht des Glaubens, der Geschichte oder der Auferstehung zu liegen, sondern in seiner erklärten Bereitschaft, das Ganze der Geschichte zu seinem Arbeitsfeld zu machen. Ich bin deswegen optimistisch, was das Ausmaß anbetrifft, in dem amerikanische Theologen Pannenbergs Ziel anerkennen und von ihm lernen können. Ich bin viel weniger optimistisch hinsichtlich der Möglichkeit wirklichen Gespräches auf der theologischen Ebene selbst. Für viele von uns umfaßt die theologische Aufgabe weit mehr überraschung, Geheimnis und Qual als er zu erlauben gewillt zu sein scheint. Wir können nicht verstehen, was der Satz bedeutet, die Offenbarung Gottes könne durch eine 249
richtige geschichtliche Methode entdeckt werden. Wir vermissen den Ton der Gnade und die Substanz der Rechtfertigung durch Glauben. Vielleicht ist das, was wir mehr als alles andere vermissen, ein Bekenntnis zum Geheimnis der Inkarnation, und sei es auch noch so zurückhaltend. Zwar ist viel Kauderwelsch im Namen des Mysteriums der Inkarnation geredet worden. Aber wir hier auf unserer Seite jenes theologischen Abgrundes, der als der Atlantische Ozean bekannt ist, haben die Überzeugung, daß der Kampf um den Glauben sprunghaft auf unerwartete Weise und leidenschaftlich geführt wird; und wenn der Glaube sich einstellt, dann als etwas Geschenktes. Es gibt ein paar Zeilen in Eliot's «Die trockenen Wilden» (IV), die dies zum Ausdruck bringen. Könnten wir uns vielleicht verständigen, wenn wir uns mit diesen Zeilen etwa ein Jahr lang einmal auseinandersetzen ? «Aber zu begreifen den Schnittpunkt des Zeitlosen mit der Zeit, ist ein Werk des Heiligen und doch kein Werk, sondern Geschenktes und Genommenes, in einem lebenslangen Tod in Liebe, Inbrunst und Selbstlosigkeit und Selbst-Hingabe. Für die meisten von uns gibt es nur den unbeachteten Augenblick, den Augenblick in und außer der Zeit, die Anwandlung von Verzückung, verloren in einem Sonnenstrahl, den ungesehenen wilden Thymian, oder den Winterblitz oder den Wasserfall, oder Musik, so tief gehört, daß sie nicht mehr gehört wird, aber du bist die Musik, solange die Musik währt. Es gibt nur Hinweis und Vermuten, Hinweis gefolgt von Vermuten; und der Rest ist Gebet, Beachtung, Zucht, Gedanke und Tat. Der Hinweis, halb erahnt, die Gabe, halb verstanden, ist Inkarnation.»12 12
S. T. Eliot, «The Dry Salvages», (IV), Complete Poems and Plays (New York: Harcourt, Brace and World, 1952).
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Erich Kähler bemerkte vor kurzem, daß nur Gotteslästerer oder fa'st Ungläubige heute ursprüngliche Heilkraft für den Glauben haben können. Es ist ein solcher Schmerz, den man in Pannenbergs Arbeit vermißt. Sie scheint interessant zu sein, doch ohne Bedeutung. Solche Feststellung mag mehr über den sagen, der sie abgibt, als über den, den sie betrifft. Aber ich habe den Eindruck, Kähler hat recht, und das mag die Tatsache erklären, daß die einzigen wirklich hilfreichen theologischen Fragmente, die wir in den letzten vier oder fünf Jahrzehnten von Europa erhalten haben, diejenigen sind, die aus einem Schweizer Pfarramt und aus einem Berliner Gefängnis kamen.
251
6. VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT JOHN B. COBB, Jr.
Die Theologie Wolfhart Pannenbergs hat in der Theologie zu beiden Seiten des Atlantik eine ganz neue Front~ stellung geschaffen. Eine ganze Reihe von Problemen, von denen die Theologen weithin angenommen hatten, sie seien mehr oder weniger gelöst, sind plötzlich wieder nachdrücklich zur Diskussion gestellt worden. Während ein großer Teil der zeitgenössischen Forschungen fortfährt, auf den Fundamenten weiterzubauen, die von der dialektischen Theologie der zwanziger Jahre errichtet wurden, unterzieht Pannenberg diese Fundamente einer kritischen Untersuchung und schlägt eine ganz andere Richtung theologischer Entwicklung ein. Das Ergebnis: man spürt in den Reaktionen auf sein Denken eine gewisse gequälte Überraschung. Obwohl man zunäohst bemüht war, diese theologische Bewegung abzuschreiben, da sie unter eine nicht länger diskutable Rubrik zu fallen schien, haben jetzt andere Theologen erkannt, daß sie sich ernsthaft mit den Fragen beschäftigen müssen, die gestellt worden sind. Die Tatsache, daß grundlegende Fragen wieder neu aufgeworfen werden, kann sehr wohl die Diskussion sowohl unter Theologen wie auch zwischen Theologen und Vertretern anderer Disziplinen neu beleben. Vielleicht trägt eine kritische Musterung derjenigen Probleme, die sich in der amerikanischen Kritik an Pannenberg herausschälten, mit dazu bei, solche Diskussion voranzutreiben. 1.
Der Aufsatz von Martin Buss über den «Sinn der Geschichte» ist ein Beispiel für ein Verständnis der Bezie253
hung zwischen christlidhem Glauben und Geschichte, das in scharfem Gegensatz zu der Auffassung Pannenbergs steht. Pannenberg sieht im Lauf der Dinge eine sinnvolle Entwicklung, in der dem Menschen seine wahre Natur und seine Bestimmung offenbar werden. Gott ist der erste und letzte Handelnde in diesen Ereignissen, die deswegen erkennen lassen, was Gottes Wille und Gottes Ziel für den Menschen ist. Besonders in der Geschichte Israels können wir erkennen, wie das Verstehen der Tatsache, daß Gott der Gott aller Geschichte ist, immer weiter fortschreitet, und wie mit diesem Verstehen die Einsicht wächst, daß alle Geschichte auf universale Gemeinschaft mit Gott hinzielt. Gegenüber dieser Auffassung der Geschichte als des Werkes Gottes, das zur Vollendung in ihm bestimmt ist, argumentiert Bass, daß trn Alten Testament Beschichte hauhger negativ als das Ergebnis menschlichen Ungehorsams gesehen wird. 1 Gott kampft eher gegen-die Gesclricl.'rfe,äls daß er sich In Ihr als ihr Träger offel1bart. Die grundlegende Bedeufung der Apokalyptik in dIesem Zusammenhang ist nicht die Entdeckung eines Sinns und einer Offenbarung in der Universalgeschichte, wie Pannenberg vermutet, sondern die Intensivierung der negativen Haltung gegenüber der Geschichte und dle Verneinung ihres Wertes. 2 Im Neuen Testament zeigt die vor allem anderen bedeutsame Geschichte von Jesus wiederum die Nichtigkeit der Geschichte, da sie zum Kreuz führt, ja nur dahin führen kann. 3 Buss weiß, daß die Bibel auch AfllIgenblicke der Erfüllung bezeugt, deren wichtigster die Auferstehung Jesu ist. Aber Buss hält die Auferstehung ähnlich wie die apokalyptische Hoffnung und die idealisierten Zeiten der Vergangenheit Israels für mythischen Charakters. 4 An solchen
1 2 3
4
Vgl. oben, Buss, S. 184 f. Ebda., S. 186. Ebda., S. 191. Ebda., S.191.
254
Stellen wird die Gottheit als tätig angesehen, aber gerade deswegen sind sie nicht historisch. Das Problem kann auf einer gewissen Ebene dieser Diskussion sowohl terminologischer wie sachlicher Art sein. Natürlich weiß Pannenberg vom wiederholten Ungehorsam Israels und von der Sünde aller Nationen und Völker, und er schließt dies alles in seinen Begriff der Geschichte ein. Daß Gott der Träger der Geschichte ist, bedeutet für Pannenberg nie, daß menschliche Freiheit und Verantwortlichkeit beiseitegeschoben werden und daß Gott auf einfachem und direktem Wege einen idealen Verlauf der Geschichte bewirkt. Aber es bedeutet nun doch, daß die Sünde des Menschen nicht das letzte Wort ist, daß Gott durch sie und um sie herum wirkt, so daß die Geschichte sich auf ihre Erfüllung in Gott zubewegt trotz dem, genauso gut wie auf Grund dessen, was der Mensch tut. Für Pannenberg umfaßt «Geschichte» sowohl jene Ereignisse, die das Alte Testament vornehmlich dem Menschen zuschreibt, wie auch diejenigen, die ausdrücklich Gott zugeschrieben werden. So ist das, was Buss mythologisch nennt, für Pannenberg eingeschlossen in Geschiohte, unter der einen Bedingung, daß das in Frage stehende Ereignis wirklich stattfand. Es ist dieser ganze Gang der Ereignisse und nicht nur irgendein beliebiger vom Ganzen abgesonderter Ausschnitt der Geschichte, der Gott und das, was er für den Menschen bestimmt hat, offenbart. Auf dieser Ebene würde eine terminologische übereinkunft weiterhelfen. Da «Geschichte)) kein biblischer Ausdruck ist, wäre es möglich, «Geschichte)) entweder mit dem zu identifizieren, was die Bibel unter der Totalität menschlicher Handlungen versteht, oder mit dem, was als die Totalität alles je Geschenenen verstanden wird. Es liegt atlf der Hand, daß «Geschichte)) in den heiden Fällen eine verschiedene' Bewertung erfahren müß; da aber das, was so verschieden bewertet wird, auch verschieden ist, zieht dies keine Meinungsverschiedenheit in der Sache nach sich. 255
Aber größere Probleme manifestieren sich nun einmal in sachlichen Differenzen. Buss glaubt, daß die modemen Kategorien von Geschiohte und Mythos auf zwei ganz verschiedene Bedeutungs- und Wirklichkeits strukturen hinweisen, die auch in der Bibel unterschieden werden können und müssen. Geschiohte spricht von einem Vorher und Nachher im Sinne streng zeitlicher Folge, wogegen der Mythos vom Anfang und vom Ende als von einer ganz anderen Wirklichkeitsordnung spricht, für die die geschichtliche Zeit als solche ohne Bedeutung ist. 5 Wenn dies so ist, dann ist es für das Verständnis der Schrift oder anderer alter Texte von äußerster Wichtigkeit zu bestimmen, wann wir Geschichte - einen Zeitbericht über menschliches Handeln - vor uns haben und wann Mythos - einen Bericht heiliger und transzendenter Wirklichkeit, die auf die Zeit trifft. Wenn die Apokalyptik als Mythos verstanden werden muß, wie Buss glaubt, dann kann das erwartete Ende nicht als ein zeitlich zukünftiges gedacht werden. Dann muß auch die Auferstehung Jesu eher vom immerwährenden Gegensatz der heiligen und der geschichtlichen Dimension zu uns reden als von einer Versicherung, daß die Auferstehung uns alle in einem zeitlich zukünftigen Augenblick erwartet. Natürlich kann Pannenberg diese Unterscheidung von Geschichte und Mythos als Verstehensgrundlage des biblischen Glaubens nicht akzeptieren. Für ihn ist Geschichte der umfassende Horizont, und Geschichte bedeutet das Ganze dessen, was geschehen ist. Dies kann nicht unterteilt werden in einen Verlauf zeitlicher Ereignisse einerseits und andererseits in etwas davon Verschiedenes, einen Bezirk der sakralen Wirklichkeit. Zum Teil kann dieser Streit durch das Studium der biblischen Texte 'beigelegt werden, aber nur zum Teil. Die Gelehrten können diskutieren, inwieweit die Apokalyptik auf ein Ende hinwies, das in einem Verhältnis zeitlicher Folge 5
Ebda., S. 176 f.
256
zur geschichtlichen Zeit steht, und sie können feststellen, inwieweit die Apokalyptik sich ganz und gar von der Geschiohte abwendet. Aber eine Übereinstimmung bezüglich der den apokalyptischen Autoren bewußten Absicht würde nur sekundäre Aspekte des Problems klären. Wenn wir darin übereinstimmen würden, daß die Apokalyptiker selbst in Kategorien zeitlicher Zukunft dachten, könnte noch immer entgegnet werden, daß dies nur eine oberflächliche und unbedeutende Verwirrung in ihrem Denken aufgrund der übertriebenen Historisierung des hebräischen Denkens darstellte. Ihre tiefere Absicht, so könnte weiterhin behauptet werden, war es, alle Geschichte zugunsten der transzendenten Wirklichkeit zu verneinen, für die die Chronologie irrelevant ist. Diese Auffassung setzt eine Allgemeinheit der menschlichen Situation und Erfahrung voraus, und zwar derart, daß die religiöse Erfahrung Israels durch ein Studium der religiösen Erfahrung im allgemeinen erhellt werden kann. In ihren Rahmen fügt sich Buss' Bemerkung, daß die religiöse Geschichte Indiens und des Ostens in vielen Einzelheiten der Israels und des Westens parallel läuft. 6 Im Gegensatz dazu ist Pannenberg, obwohl er erkennt, daß die Religion Israels aus einem mit anderen Religionen gemeinsamen Nährboden und durch Wechselbeziehungen zu ihnen entstanden ist, auch gerade an dem interessiert, was ihr als einer neu aufblühenden Religion spezifisch ist. 7 Während Buss die Apokalyptik lediglich als eine Ausdrucksform eines allgemeinen religiösen Phänomens 8 ansieht, sieht Pannenberg in ihr eine besondere Entwicklung, die aus dem hebräischen Prophetismus hervorgegangen ist. 9 Buss konzentriert die Aufmerksamkeit auf die apokalyptische Vemeinung der geschichtlichen Welt, eine Verneinung, deren Parallelen sicher leicht in anderen Reli6
7
8 9
Ebda., S. 179. Vgl. oben, Pannenberg, S. 139 f. Vgl. oben, Buss, S.192. Vgl. oben, Pannenberg, S. 146 f. 257
gionen zu finden sind. Pannenberg richtet die Aufmerksamkeit auf die ungewöhnlicheren Züge der Apokalyptik, ihr Interesse für universalgeschiohtliche Entwicklungen und ihr Versprechen einer Auferstehung für alle. Der Streit zwischen Buss und Pannenberg, der natürlich in seiner Bedeutung viel weitreichender ist als die Nennung zweier beliebiger Vertreter anzeigen könnte, ist ein Streit um das Wesen des Menschen und darum, wessen er wesentlich bedarf. Das Verständnis des Menschen, das diesen zwei Positionen zugrunde Hegt, ist einerseits Ergebnis historischer Forschung und andererseits Voraussetzung solcher Forschung. Die eine Auffassung, die in den letzten Jahrzehnten durch die Existentialanalyse ermutigt wurde, ist, daß der Sinn der Existenz in jedem Augenblick neu gefunden werden muß ,und daß die Struktur jedes Augenblicks wesentlich dieselbe ist wie das jedes anderen Augenblicks. Jeder Augenblick trägt die Möglichkeit der Eigentlichkeit oder Ewigkeit und so die Mögliohkeit einer ungesohichtlichen Erfüllung in sich. 10 Dagegen muß der Mensch auf die Möglichkeit, von der Ewigkeit berührt zu werden, verzichten und an der Nichtigkeit, d. h. an der Geschichte, teilnehmen, wenn er Erfüllung in einer geschichtlichen Zukunft sucht. Eine zweite Auffassung ist diejenige, daß der Mensch ein zukunftsorientiertes Wesen ist, das nicht anders kann, als eine Erfüllung in der Zukunft herbeizusehnen, die in der Gegenwart nicht vorhanden ist. Aus dieser Sioht heraus ist gerade der Versuch, dem Problem des geschichtlich Zukünftigen im Namen der Ewigkeit zu entgehen, illusorisch und nichtig. Der christliche Glaube ist im Rahmen beider dieser Auffassungen vom Menschen verstanden worden und wird heute noch so verstanden. Die entfernten Ausläufer dieses Streites finden sich in dem sehr weiten Rahmen wieder, in den Buss seine Areumentation gegen Pannenberg hineinstellt. Er unternimmt es nicht nur, die Nidhtigkeit aller Versuche zu zeigen, die 10
Vgl. oben, Buss, S. 195.
258
im Verlauf der Geschichte den Fortschritt auf ein Ziel hin finden wollen, sondern er will auch nachweisen, daß es letztlich keine allgemeine Wirklichkeit der Zeit gibt. Makrokosmische Zeitkategorien sind auf die subatomare Welt etwa nicht anwendbar; in dieser gibt es sogar das Phänomen der «negativen Zeit».l1 In der makrokosmischen physikalischen Welt ist Zeit eine Dimension der Ereignisse und ihr Unterschied zu den anderen Dimensionen ist relativ unbedeutend. 12 All dies legt es nach der Auffassung von Buss nahe, daß jede Vorstellung einer endgültigen kosmischen Vollendung unserm besten Wissen über das physikalisch beschreibbare Universum zuwiderläuft. Buss erkennt, daß «Zeit» auf der biologischen Stufe einen ziel-strebigen, zukunftsgerichteten Prozeß meint.1 3 Hier scheint er Pannenberg in etwa zu unterstützen. Aber nach Buss verändert sich die Situation erneut mit dem Auftreten von Kultur. Die biologische Zukunftsorientierung findet hier ihre Fortsetzung in geschichtlicher Entwicklung, aber die Selbst-Transzendierung des Menschen, durch die er mit der heiligen Wirklichkeit verbunden ist, zeigt von dieser biologisch-geschichtlichen Zeit weg und hin auf eine neue Dimension von Sein. 14 Pannenberg, so glaubt Buss, hat geschichtliche Zeit und heilige oder mythisohe Zeit in unzureichender Weise voneinander abgesetzt.1 5 Eine klare Unterscheidung würde hier die Aufmerksamkeit anstatt auf ein geschichtlich zukünftiges Ende auf die selbsttranszendierenden Möglichkeiten des gegenwärtigen Augenblicks lenken. Obwohl Pannerrberg, soviel ich weiß, die Frage der physikalischen Zeit nicht diskutiert hat, ist er im Prinzip auch für eine derartige Ausdehnung der Diskussion offen. Deswegen könnte man in der Betrachtung darüber eintre11 12 13 14
15
Ebda., Ebda., Ebda., Ebda., Ebda.,
S. 174. S. 174. S. 175. S. 176 f. S.195. 259
ten, ob es nicht, wenigstens ontologisch, eine allgemeine Auffassung der Zeit gibt, die auf alle Wirklichkeits ebenen anwendbar ist. Ich selbst glaube, daß dies der Fall ist, und ich nehme an, daß Pannenberg meine Auffassung, die im Gegensatz zu Buss' Auffassung steht, teilt. Wenn wir im Recht sind, kann die Wahrscheinlichkeit etwas verringert werden, mit der eine von mythischer oder heiliger Zeit ganz verschiedene Zeit behauptet wird, obwohl die Realität sehr verschiedener Weisen, den Zeitfluß wahrzunehmen und zu interpretieren, nicht geleugnet werden kann. Da Buss' Argumentation fast ebenso gut auf der Ebene der Bedeutung der zeitlichen Erfahrung für den Menschen wie hinsichtlich seiner Verteidigung der Existenz verschiedener Zeitarten weiterverfolgt werden könnte, ist «Wesen und Bedeutung der Transzendenz im Bezug zur Zeit» ein angemessenerer Schwerpunkt der Diskussion. Lenkt die Kraft der Selbst-Transzendierung den Menschen in seinem Suchen nach Erlösung von der Zukunft biologischer und geschichtlicher Zeit weg, wie Buss betont? Oder intensiviert diese Transzendierung das Interesse des Menschen für die zeitliche und deswegen auch geschichtliche Zukunft in entscheidender Weise? In diesen Weisen läßt Buss' Aufsatz die große Bedeutung der anthropologischen überzeugung Pannenbergs hervortreten, daß der Mensch seine Erfüllung in der geschichtlichen Zukunft suchen muß. Solange wir die Bedeutung der Tatsächlichkeit der Auferstehung diskutieren, tritt zunächst diese anthropologische Frage ins Blickfeld. Wenn wir uns aber der Frage der Bezeugung zuwenden, die diesen Anspruch auf Tatsächliohkeit stützt, entstehen andere Probleme. Hier können wir uns dem Beitrag Grobeis zuwenden, da er eine ganz andersartige Kritik an Pannenberg enthält. H.
Grobel stimmt mit Pannenberg darin überein, daß den Zeugen in den Auferstehungserscheinungen mehr wider260
fuhr als eine Änderung ihres subjektiven Zustandes. 16 Aber er streitet ab, daß das, was den Jüngern im Unterschied zu den subjektiven Wirkungen des Geschehens auf sie widerfuhr, geschichtlich genannt werden kann. Er erkennt an, daß die Widerfahrnisse dieser Wirklichkeit zeitlich waren 17, aber er bestreitet ihre Räumlichkeit. 18 Für ihn würde ein räumliches Ereignis ein Ereignis sein, das sich in Materie ereignet und mit den Sinnen erfahrbar ist. Eine Auferstehung mit räumlichen Dimensionen würde vermutlich einen wieder lebendig gemachten oder verwandelten Leichnam betreffen, und Grobel ist überzeugt davon, daß die neutestamentlichen Geschichten, die in diese Richtung weisen, späte und irreführende Interpretationen des Osterereignisses darstellen. Darüberhinaus beanspruchen selbst die apokryphen Berichte nie, die Auferstehung selbst zu beschreiben, d. h. das physische Ereignis der Wiederlebendigmachung des Leibes Jesu. 10 Unter der Voraussetzung, daß das, was den Jüngern erschien, keine sinnlich wahrnehmbare räumliche, materielle Gestalt besaß, glaubt Grobel nicht, daß es noch als geschichtlich angesehen werden kann. Da es aber eine Hauptthese in Pannenbergs Theologie ist, daß die Auferstehung geschichtliohen Charakter hat, liegt hier offenbar eine direkte Frontstellung zwischen den zwei Theologen vor. Aber es ist einiges an Analyse nötig, um genau zu bestimmen, welches die wirklichen Streitpunkte zwischen ihnen sind. Erstens glaubt Pannenberg, daß das grundlegende biblische Zeugnis dies ist, daß das Grab leer war, daß die Auferstehung in der Tat eine Verwandlung des physikalischen Leibes Jesu bedeutet, eine Verwandlung in etwas, was nur als geistlicher Leib angesprochen werden kann. Daß wir keinen Berioht über den Vorgang dieser Verwandlung ha16
17 18 19
Vgl. oben, GrobeI, S. 217 f. Ebda., S. 218. Ebda., S. 218 ff. Ebda., S. 220. 261
ben und daß die Erzählungen vom leeren Grab spät zu datieren sind, gibt Pannenberg zu. Aber er argumentiert, das paulinische Verständnis der Auferstehung sei der Art, daß der physikalisohe Leib des Auferstandenen nicht weiter existieren konnte, und Pannenberg ist der Meinung, daß es am wahrscheinlichsten ist anzunehmen, Paulus spiegle in dieser Hinsicht die allgemeine Auffassung der ersten Generation von Christen, die Jerusalemer Gemeinde eingeschlossen. Die Debatte verläuft hier weithin exegetisch, und zwar auf der Grundlage von 1. Kor. 15,42-50, ein Text, den beide Theologen als eine entscheidende Stelle ansehen. 20 Zweitens gibt Grobel zu, daß eine Auferstehung, die die Tatsache eines leeren Grabes einschlösse, sowohl räumlich wie zeitlich wäre und daher als geschichtliches Ereignis ausgewiesen wäre, aber er betrachtet jede Behauptung, ein solches Ereignis sei geschehen, als unglaubwürdig. 21 Er erklärt nicht, warum gerade dies historisch unglaubwürdig ist, aber wir können annehmen, daß er meint, es falle aus dem Rahmen der Möglichkeit heraus, die der modeme Historiker zugesteht. Der Historiker muß mit dem Prinzip der Analogie arbeiten, und da uns in unserer Erfahrung alle Analogien für körperliche Auferstehungen dieser Art fehlen, können wir als Historiker über sie keine Aussagen machen. Vermutlich weist Grobel auch die Möglichkeit eines anderen Standpunktes zurück, von dem aus das als möglich erscheint, was ihm als Historiker unglaubwürdig ist. Pannenberg besteht im Gegensatz dazu darauf, daß historische Methodologie nicht so beschaffen sein darf, daß sie einmalige Ereignisse aus ihrem Gesichtskreis ausschließt, nicht einmal solche radikal einmaligen Ereignisse wie Jesu Auferstehung. Er weist jede Verabsolutierung 20
21
Ebda., S. 222 f. Auf der Tagung an der Vanderbilt-Universität verwickelte Pannenberg Grobel in eine exegetische Debatte über diese Stelle. Ebda., S. 224.
262
einer gegenwärtigen Weltanschauung zurück, die die Frage, ob ein vergangenes Ereignis geschehen sei, im voraus negativ beantwortet. Wie Grabel identifiziert er das, was er über die Vergangenheit glauben kann, mit dem, was er als Historiker glauben kann. Im Unterschied zu Grobel kann er als Mensch und als Historiker glauben, daß das Grab leer war. Drittens müssen wir aber nun vermeiden, die Bedeutung der Lehre vom leeren Grab zu übertreiben, wenn wir das Verhältnis dieser zwei Positionen zueinander untersuchen. In Pannenbergs Aufsatz über Gottes Offenbarung in Jesus von Nazareth wird nicht gesagt, was eindeutig ein leeres Grab fordert. Pannenberg gründet sein Eintreten für den geschichtlichen Charakter der Auferstehung nicht auf diese Lehre. Was im Hinblick auf die Auferstehung wesentlich erscheint, ist, daß den Jüngern etwas geschah, was ihre subjektive Wandlung bewirkte und doch von ihr unabhängig war. Dem stimmt Grobel ebenfalls zu. Ich nehme an, daß diese objektive Wirklichkeit für Pannenberg die persönliche Gegenwärtigkeit des auferstandenen Jesus einschließen muß, aber der gekreuzigte Leib mag in dieser Gegenwärtigkeit nicht notwendig eingeschlossen sein. Z. B. könnten wir ja einmal annehmen, der auferstandene Jesus habe sich dem Geist der Jünger so direkt eingeprägt, daß als Nebenwirkungen sinnlich wahrnehmbare Erfahrungen auftraten. 22 Ob Grobel einer solchen Möglichkeit zustimmen könnte, ist nicht klar, aber es scheint zweifelhaft, daß er ihr gegenüber größere Bedenken anmelden würde. Deswegen scheint der Streit in seinen wesentlichen Punkten terminologischer Natur zu sein. 23 Für Grobel bedeutet «geschichtlich» soviel wie «räumlich» (im Sinne des SinnlichWahrnehmbaren und Materiellen). Für Pannenberg bedeu22
23
In «Grundzüge der Christologie» charakterisiert Pannenberg die Auferstehungserscheinungen als eine besondere Art von «Visionen» und besteht nur darauf, daß sie mit außersubjektiver Wirklichkeit verwoben sind; S.88-93. Grobel erkennt dies als Möglichkeit an; oben S. 218. 263
tet «geschichtlich» soviel wie «vergangenes Ereignis jeder beliebigen Arb. Für Grobel würde eine Selbstdarstellung des auferstandenen Jesus als eines nichtmateriellen Geistes nicht als geschichtliches Ereignis gelten; fürPannenberg wäre das doch der Fall. Ein wirklicher Streitpunkt bleibt bestehen hinsichtlich der angemessenen Arbeit des Historikers, aber es kann sein, daß der Streit darüber, was tatsächlich geschah, weit weniger entscheidend ist als es scheint. Ganz am Ende seines Aufsatzes schneidet Grobel ein weiteres Problem an, das als vierter Punkt in dieser Reihe gelten kann. Wenn ein Historiker es unternehmen soll zu bestimmen, ob irgendetwas stattfand oder nicht, muß er eine schon in gewisser Weise detaillierte Vorstellung dessen haben, wonach er sucht. Er kann nicht nur willkürlich Ausschau halten nach «irgendetwaslI. In unserem Fall geht es um die Frage der Gegenwärtigkeit eines Auferstandenen als einer objektiven Wirklichkeit für diejenigen, die seine Erscheinungen bezeugen. Aber was würde als solche Gegenwärtigkeit gelten? Wenn erklärt würde, daß der Auferstandene ein wieder lebendig gemachter Leichnam zu sein harbe, so würde das dem Historiker einen deutlichen Hinweis geben, wonach er suchen sollte, aber dies ist unwesentlich für Pannenberg. In Wirkliohkeit sagt Pannenberg, daß wir das, was der Historiker sucht, nur in metaphorischer Sprache beschreiben können. Aber kann überhaupt irgendein Zeugnis für oder gegen eine Aussage herangezogen werden, wenn es keine buchstäblich genau faßbare Bedeutung hat? Es scheint, als müßten wir uns darauf beschränken zu sagen, daß den Jüngern irgendetwas widerfuhr, und, negativ gewendet, daß dies keine rein subjektive Erfahrung war. Aber wie kann der Historiker die eine oder andere Metapher, die das gesetzte X umschreibt, aufnehmen oder zurückweisen? Ich habe oben vorgeschlagen, daß die geforderte buchstäbliche Aussage die ist, daß der Geist des irdischen J esus den Jüngern persönlich gegenwärtig war. Wir könnten dies dahingehend spezifizieren, daß wir darunter die Gegen264
wärtigkeit von ]esu bewußter Selbstheit zu den jeweiligen Zeiten und an den jeweiligen Orten der Erscheinungen verstehen. Wenn dies tatsächlich geschah, dann war es eines jener Geschehnisse, die die Gesamtheit von Geschehen darstellen und war deswegen ein Teil der Geschichte in diesem weitesten Sinne. Das Problem liegt nun für den Historiker, der den gesamten Bereich vergangenen Geschehens als sein Arbeitsfeld anerkennt und der nicht von vornherein die Möglichkeit radikal einzigartiger Geschehnisse ausschließt, darin zu bestimmen, ob das Zeugnis, das die Behauptung stützt, dies sei geschehen, ausreicht, um dieses Geschehen als wahrscheinlioh gelten zu lassen. Andere Historiker, die von vornherein die Möglichkeit solcher Geschehnisse ausschließen, oder die Geschichte so definieren, daß diese ausgeklammert werden, werden sich an dieser Untersuchung nicht beteiligen. Grobeis Aufsatz wirft noch ein weiteres ganz andersartiges Problem auf. Pannenberg verneint, daß die Bibel von einer direkten Selbstoffenbarung Gottes in seinem Wesen spricht. Grobel entgegnet, daß die Bibel häufig davon spricht, daß Gott zu den Mensohen redet und daß der Mensoh hört. 24 In diesem Reden teilt Gott seinen Willen mit, der sein Selbst in einer bestimmten Ausprägung darstellt. 25 Wenn das Wort «offenbaren» eine zu visuelle Erfahrung andeutet, dann mag andere Terminologie notwendig sein, aber die Direktheit persönlicher Mitteilung sollte nicht geleugnet werden. Wiederum scheint der Streit zwischen Grobel und Pannenberg teilweise sachlich und teilweise terminologisch bedingt zu sein. Grobel versteht unter einer direkten Offenbarung eine Offenbarung, bei der es kein Medium gibt und bei der Gott direkt auf den Empfänger wirkt 26; und wenn er darauf besteht, daß das, was offenbart wird, Gott selbst
24 25 26
Ebda., S.200. Ebda., S. 210. Ebda., S. 206 f. 265
ist, meint er, daß Gottes Absicht und Wille mit dem Menschen diesem Menschen bekanntgemacht wird. 27 Pannenberg stellt im Gegensatz dazu fest, daß bei der Frage der DirektJheit oder Indirektheit die Frage der Anwesenheit oder Abwesenheit eines Mittlers nicht zur Debatte steht. 28 Direktheit und Indirektheit beziehen sich auf den Inhalt, der mitgeteilt wird. Eine direkte Offenbarung würde vielmehr eine Offenbarung sein, bei der der mitgeteilte Inhalt direkt übereinstimmt mit der Absicht des Offenbarers und keine sekundäre Interpretation erfordert. Eine direkte Selbst-Offenbarung Gottes würde eine Offenbarung sein, die das Wesen oder die Eigenart Gottes direkt offenbarte. Pannenbergs These ist es, daß, wenn die Bibel uns von Gottes Offenbarungen erzählt, der Inhalt dieser Offenbarungen bezeichnenderweise von menschlichen Ereignissen und Aktionen handelt und keine direkte Information über ihn selbst darstellt. Wenn die Bibel an anderen Stellen direkt über das spricht, was Gott ist, tut sie es auf der Grundlage der Interpretation solcher Ereignisse. Das Problem ist etwas schwieriger, wenn wir die Mitteilung des Willens Gottes betrachten. Grobel und Pannenberg sind einig darin, daß Gottes Wille wesentlich Gott selbst ist 29 und daß in gewissem Sinne Gott seinen Willen offenbart. Für Grobel bedeutet dies, daß Gott sich selbst direkt mitteilt, aber Pannenberg besteht darauf, daß das, was offenbart wird, direkt und im einzelnen ein Gesetz oder ein Befehl ist, der sich mit menschlichen Ereignissen befaßt. Gott teilt keine Information über seinen Willen mit, und nur dies würde direkte Selbst-Offenbarung darstellen. Aus diesen Gründen widerlegen Grobeis Argumente Pannenbergs Position sachlich nicht, selbst wo sie es verbal zu tun scheinen. Und Grobel erkennt das sogar von vom27 28
29
Ebda., S.211. Wolfhart Pannenberg, «Offenbarung als Geschichte», KuD Beiheft 1, 1961, S.16. Vgl. oben, GrobeI, S.210; Pannenberg, S.167.
266
herein an. Legt man die exakte Art zugrunde, mit der Pannenberg definiert, was direkte Selbst-Offenbarung des Wesens Gottes ist, so ist diese Vorstellung im großen und ganzen nicht in der Bibel zu finden. Grobel gesteht Pannenberg das Recht zu, seine Begriffe selbst zu definieren und entsprechende Sohlüsse zu ziehen, aber er weist auf die Gefahr hin, daß solche Methodologie dazu führen kann, wichtiges Material zu vernachlässigen und die Alternativen zu stark zu vereinfachen. so Dies läßt sich auf verschiedene Weise veranschaulichen. Erstens: das, was mit Gottes Willen zu tun hat und als solches von Gott mitgeteilt wird, könnte dreierlei Gestalt annehmen. Es könnte eine einfache Feststellung sein, wie die Menschen handeln sollen. Als Offenbarung Gottes würde dies deutlioh indirekt sein. Es könnte eine ausdrückliche Feststellung über seinen Willen sein. Dies würde, in Pannenbergs Begriffen, deutlich direkt sein. Es könnte eine Feststellung darüber sein, daß der besondere Verlauf eines Geschehens Gottes Wille ist. Dies könnte weniger leicht klassifiziert werden. Es scheint direkt etwas über Gottes Willen als solchen mitzuteilen, obwohl sein Inhait nicht einfach eine Feststellung über Gottes Willen ist. Pannenberg weist nach, daß das biblische Verständnis von Offenbarung nicht die zweite oben beschriebene Gestalt annimmt. Daraus scheint er zu schließen, daß es die erste annimmt oder daß in wesentlichen Punkten die dritte von der ersten Gestalt nicht charakeristisch verschieden ist; aber GrobeIs Arbeit legt es nahe, daß die dritte Möglichkeit durchaus kennzeichnend und verfechtbar ist und zu bemerkenswert unterschiedlichen Schlüssen führen kann. Zweitens lenkt Pannenberg dadurch, daß er die Frage der Direktheit oder Indirektheit der Offenbarung von der der Anwesenheit oder Abwesenheit eines Mittlers unterscheidet, die Aufmerkamkeit ab von der Frage des unmittelbaren Verhaltens Gottes gegenüber Individuen. Es ist na30
Vgl. oben, Grobel, S. 199.
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türlieh durchaus erlaubt, daß man seine Probleme selbst auswählt, aber man darf dann aufglund der Tatsache, daß man anderen Problemen keine Aufmerksamkeit schenkt, keine negativen Schlüsse ziehen. Indem Pannenberg seine Aufmerksamkeit auf den Inhalt, der in der Offenbarung mitgeteilt wird, konzentriert und deren Bezug zu Gott weniger hervorgehoben erscheinen läßt, zeigt er, daß diese Offenbarung immer direkt mit Geschichte zu tun hat. Und daraus schließt er, daß eine bloß verbale Offenbarung vom Gang der Ereignisse abhängig sein muß, auf den sie zu ihrer Rechtfertigung hinweist, und daß es grundsätzlich diese Ereignisse sind, die Offenbarungscharakter haben. Natürlich betont er auah, daß diese Ereignisse umgekehrt durch die Interpretationen früherer Ereignisse und durch die damit verbundenen Erwartungen beeinflußt werden und daß sie als Gott offenbarend nur in dem Interpretationszusammenhang gesehen werden können, der sich auf diese Weise gebildet hat. 31 Aber er will bestreiten, daß das prophetische Wort irgendeine selbst-bekräftigende Macht haben kann, um Gott auch nur indirekt zu offenbaren. Ich habe den Eindruck, daß Pannenberg die Bedeutung der Frage, wie eine Offenbarung mitgeteilt wird (mittelbar oder unmittelbar) leugnet und dann stillschweigend annimmt, daß alle verbalen Feststellungen als Interpretationen oder Reaktionen auf öffentlich sichtbare geschichtliche Ereignisse und ohne irgendwe1che unmitte~bare göttliche Einwirkung auf den Sprecher bzw. ohne Mitteilung an ihn entstehen. Grobel weist dagegen auf die Notwendigkeit einer gewissen göttlichen Selbstdarbietung für den Menschen hin, wenn dieser die öffentlich feststellbaren Ereignisse als Gott offenbarend erkennen soll.32 Im Gegensatz zu den eigenen Fähigkeiten des Menschen wie Einsicht, Reflexion und Interpretation ist hier die Unmittelbarkeit Gottes gegenüber dem Glaubenden von äußerster Wichtigkeit. 31
32
Vgl. oben, Pannenberg, S. 162. Vgl. oben, Grobel, S. 205 f.
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Pannenberg widersetzt sich diesem Ansatz hauptsächlich wegen der Art und Weise, wie dieser in der modemen Theologie verwendet worden ist. Er führte nämlich zu einer Unterscheidung zwischen Profangeschichte als dem Bericht über das, was im öffentlich Sichtbaren wirklich geschah, und dem Glaubenszeugnis, das die Ereignisse im Licht göttlicher Aktivität sieht, aber doch nie in der Weise, daß Gottes Aktivität ein erklärender Faktor in der Profangeschichte ist. Pannenberg sieht hier - wie ich glaube, richtig -, daß der Bereich des allgemeinen Wissens in unglücklicher Weise solchen Interpretationen überlassen wird, die dem christlichen Glauben fremd sind, und daß versucht wird, für den christlichen Glauben einen sicheren Ort im Bereich des nicht Nachprüfbaren zu finden. Ich schlage vor, eine dritte Möglichkeit zu erwägen. Vielleicht könnten wir Gottes unmittelbare Selbstdarbietung so verstehen, daß sie den Menschen die Augen für den offenbarenden Charakter öffentlicher Ereignisse in der Weise öffnet, daß umgekehrt der Gang der Ereignisse durch diesen Akt Gottes beeinflußt wird. Gottes Selbst-Offenbarung an den Propheten (direkt oder indirekt, in der Terminologie Pannenbergs) muß dann als ein Teil der Geschichte und als ausgezeichneter Ort des Wirkens Gottes in der Geschichte anerkannt werden. Dies kompliziert das Gesamtbild beträchtlich, im Vergleich sowohl mit Grobeis wie auch mit Pannenbergs Auffassung, aber es könnte uns erlauben, die Wahrheit in jeder dieser Auffassungen zu sehen.
III. Unter den Fragen, die in Hamiltons Aufsatz gestellt werden, ist die nach dem Wesen der Modernität grundlegend. Pannenberg stellt sein Denken dar als völlig offen für alles, was die modeme Welt ihn zu lehren hat und als ein Mittel, aufgeschlossene moderne Menschen von der überlegenen Wahrheit des christlichen Glaubens zu überzeugen. Aber 269
für Hamilton scheint das ganze Unternehmen auf merkwürdige Weise das Gespür für den Geist der Moderne verloren zu haben. Ihm scheint der Prozeß der Säkularisierung so weit vorgeschritten zu sein, daß für theologisohen Systembau nur noch wenig Platz übriggeblieben ist. Der J1heologe muß in die Welt hineingehen und seine Solidarität mit ihr zum Ausdruck bringen anstatt die Implikationen seines traditionellen Glaubens auszuarbeiten und die Resultate zur Anerkenntnis vorzulegen. Er kann sich auf ein Gespräch mit dem säkularen Menschen einlassen, das von jedem theologischen System absieht, er kann von diesem Menschen lernen und auf unerwartete Weise selbst Zeugnis ablegen. Aber er kann das Gespräch nicht beginnen, als habe er schon irgendeine feste und gesicherte Wahrheit anzubieten. Aus solcher Perspektive kann Hamilton das anspruchsvolle Programm Pannenbergs nur als «interessant, ohne bedeutend zu sein)), ansehen. 33 Pannenberg könnte auf solche Kritik antworten, daß, wenn wirklich der moderne Mensch so stark vom geschichtlichen christlichen Glauben entfremdet ist, dies sehr wohl die Schuld des Theologen sein kann. Der moderne Mensoh ist gewillt, auf Belege zu achten und deren überzeugendste Interpretation zu diskutieren. Die Theologen haben ihrer Sache großen Schaden zugefügt, indem sie private und subjektive Gründe für den Glauben aufriefen, denn auf dieses Gebiet kann der moderne Mensch nicht folgen. Wenn Teilhabe an Christus vom Glauben abhängig ist und wenn Glaube unzugänglich ist, es sei denn, er werde von einem besonderen Akt Gottes ermöglicht, dann muß der Mensch, der keinen solchen Akt Gottes in seinem Leben verzeichnen kann, lernen, ohne Christus auszukommen. Die Forderung an den modernen Menschen, seine Interpretation der Geschichte im Sinne der von ihm selbst anerkannten Methoden neu zu durchdenken, bedeutet nicht, daß man den modernen Menschen nicht ernst nimmt. 33
Vgl. oben, Hamilton, S.251.
270
Die Schwierigkeit, so oder ähnlioh zu argumentieren, liegt natürlich darin, daß «der modeme Mensch)) vielerlei Gestalt angenommen hat. Selbst wenn wir den Begriff des «modemen Menschen)) auf den Menschen einengen, der von seinem herkömmlichen religiösen Glauben entfremdet ist, bleibt diese Vielfalt bestehen. Es gibt wirklich solche modemen Menschen, die für eine systematische Rekonstruktion der Geschichte kein Interesse zeigen. Sie sind zu fest vom Fehlen jedes Aufrisses oder jedes Sinns der Geschichte überzeugt, als daß sie sich für einen neuen Versuch, Geschichte als offenbarend zu erklären, interessierten. In gleicherWeise hat schon allein das Wort Gott für viele jegliche Verständlichkeit verloren, so daß Argumente über die Direktheit oder Indirektheit der Offenbarung Gottes nur als im buchstäblichen Sinne unsinnig erscheinen können. Aber es gibt andere modeme Menschen, die größten Glauben an die Vernunft haben und vollkommen offen sind für die Diskussion aller Ideen, so lange keine willkürlichen oder privaten Kriterien eingeführt werden. Zu solchen modernen Menschen kann Pannenberg sehr wohl sprechen, wie wenige protestantische Theologen dies in neuester Zeit getan haben. Diese sehr allgemeine Frage nach dem Wesen der Modernität und nach ihren Konsequenzen für die Verantwortliohkeit des Theologen kann noch schärfer gefaßt werden, wenn nur bestimmte Punkte der Kritik behandelt werden. Hamilton glaubt, daß Pannenbergs Theologie einen von Natur religiösen Menschen voraussetzt, der die Erfüllung, die er als Mensch suchen muß, nur in Gott finden kann. 34 Hamilton weiß, daß viele modeme Menschen sich in einer solchen Beschreibung nicht wiedererkennen können und uns versichern, daß das, was sie suchen, mit Gott nichts zu tun hat. Wenn Menschen also in klarer Erkenntnis ihres Tuns Gott als Erfüllung ihres Lebens ablehnen, bedeutet das dann nicht, daß das Christentum seine Vor84
Ebda., S.228. 271
aussetzung einer natürlichen Religiosität des Menschen aufgeben muß? Und wenn dies so ist, sind dann nicht grundlegende Voraussetzungen des Pannenbergsehen Denkens erschüttert? Ich setze hier voraus, daß es in Bezug auf die Tatsachen keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Pannenberg weiß sehr wohl, daß viele intelligente Menschen bewußt anderswo als in Gott Erfüllung suchen. Ja, er verlebte sogar seine eigene Jugend unter Menschen, die ganz außerhalb der christlichen Einflußsphäre standen. Die Frage ist, ob die Erfüllung, die auf diese Weise gesucht wird, wahre Erfüllung sein kann oder ob sie überhaupt dort gefunden werden kann, wo sie gesucht wird. Daß die Menschen jetzt Erfüllung anderswo als in der Auferstehung zu neuem Leben mit Gott suchen, mag nur zeigen, wie die Kirche versagt hat, ihren Glauben klar zu bezeugen und seine Vernünftigkeit darzulegen. Vielleicht bedeutet es nicht, daß es wirkliche Alternativen zur Auferstehung gibt. Wir werden hier vor die Grundfrage nach dem Wesen des Menschen als solchen gestellt. Pannenberg gründet seine Argumentation nicht auf irgendeiner besonderen religiösen Fähigkeit im Menschen. Er argumentiert mit der Natur des Menschen als eines zukunftsgerichteten Individuums und :mit einer solchen Zukunft, die allein das Leben der Menschen sinnvoll machen kann. Aber das macht es nur notwendig, wenigstens in dieser Hinsicht eine Beständigkeit und Universalität der menschlichen Natur anzunehmen. Wenn es Menschen gibt, die nicht auf eine zeitliche Zukunft hin ausgerichtet sind, sondern einfach jeden Augenblick hinnehmen, wie er ist, und darin allen Sinn finden, dessen sie bedürfen, dann scheint Pannenbergs Analyse für sie ohne Bedeutung zu sein. Die Frage müßte so eingeschärft werden, daß man fragt, ob es wirklich möglich ist, in jedem je neuen Augenblick einen angemessenen Sinn für das Leben zu finden oder ob die menschliche Natur so geartet ist, daß dies ein täuschendes Wunschbild ist. Die zuletzt genannte Auffassung, die 272
von Pannenberg vertreten wird, beruht auf der Voraussetzung, daß es eine in dieser Hinsicht allgemeine und universale menschliche Natur gibt. Aber vielleicht ist der Mensch so weitgehend festgelegt durch seine Teilhabe an bestimmten Kulturen, die durch ihre je eigene Geschichte geprägt sind, daß solche Universalien nicht festgestellt werden können. In diesem Fall kann, wie Hamil ton anzunehmen scheint, ein moderner Mensch auftreten, dessen Bedürfnisse charakteristisch verschieden sind von denjenigen, mit denen der traditionelle christliche Glaube es zu tun hat. Pannenberg setzt also zwar kein religiöses apriori voraus, nimmt aber doch ein allgemeines Charakteristikum der menschlichen Natur an. Es kann sich nun herausstellen, daß dieses Charakteristikum von einer bestimmten Geschichte geprägt ist und in unserer nachchristlichen Zeit verlorengegangen ist. Hamilton ist die sehr enge Verbindung zwischen Glauben und Vernunft verdächtig, die Pannenberg herstellt, und zwar zum Teil deshalb, weil er weit weniger als Pannenberg auf die Kraft der Vernunft vertraut, lückenlos und angemessen letzte und umfassende Fragen zu beantworten. Pannenberg besteht darauf, daß der Glaube gewisse Aussagen über die Geschichte voraussetzen muß, deren Wahrheit nur durch rationale Prüfung ihrer Unterlagen bestehen kann. So setzt der Glaube voraus, daß J esus das Kommen des Reiches Gottes lehrte und daß er von den Toten auferweckt wurde. Diese Behauptungen müssen von der historischen Forschung als wahrscheinlich erwiesen werden. Da sie nicht nur als bloße Tatsachen, sondern als bedeutungsgeladene Tatsachen historisch festzustellen sind, ist der Glaube, sie seien wahr, auch der Glaube, daß alle Menschen am letzten Tage auferweckt werden. Deswegen scheint die gesamte Struktur der christlichen Glaubenslehre, wie Pannenberg sie versteht, sogar ohne den Glauben des Glaubenden gegeben, und Glauben heißt wenig mehr als: so zu leben, als seien diese Wahrscheinlichkeiten wahr. 35 Hamilton sieht 35
Ebda., S.242. 273
dieses Verständnis des Glaubens als der existentiellen Anerkennung der Wahrscheinlichkeit weit entfernt von der herkömmlichen protestantischen Betonung des Geistzeugnisses. 36 Während die Reformatoren glaubten, daß Zustimmung zu allen erdenklichen richtigen Lehren nichts nütze, wenn nicht von Gott ein besonderes Wunder in den Tiefen des Herzens gewirkt werde, scheint Pannenberg nicht mehr für notwendig anzusehen als auf die Anerkennung geschiohtlicher Wahrscheinlichkeiten eine einsichtige Antwort folgen zu lassen. Pannenberg hat sich durch seine heftige Zurückweisung des Aufrufs privater und unzugänglicher Quellen als Rechtfertigung des christlichen Glaubens ohne Zweifel der Kritik Hamiltons ausgesetzt. Er will wirklich sagen, daß die Lehrmeinung über J esu Auferstehung und ihre Bedeutung als Erstlingsfrucht der universalen Auferstehung geschichtlich gesiohert ist und daß daraus der Glaube entsteht. 37 Aber der Glaube, der daraus folgt, ist weniger ein gestärktes Vertrauen darauf, daß diese Sätze wahr sind, als vielmehr Vertrauen auf den Gott, der J esus Christus auferweckte und der alle Menschen auferwecken wird. Wir können den Lauf unseres Lebens, sei es vom Individuum oder von der Gemeinschaft her gesehen, nicht im voraus wissen, aber wir können dem einen vertrauen, der J esus Christus von den Toten auferweckte, und glauben, daß er auch unserem Leben in der umfassenden Ordnung der Dinge einen Platz anweist. Wenn die Geschichte uns keine Grundlage gäbe, ihm zu vertrauen, würde solches Vertrauen absurde Leichtgläubigkeit sein, und solche Leichtgläubigkeit ist nicht das, was der christliohe Glaube fordert. Je zuversichtlicher wir durch unsere verstandesmäßige Reflexion über die Vergangenheit werden können, daß Gott vertrauenswürdig ist, umso freier können wir in der Gegenwart werden, unser Leben in seine Hände zu legen. 36 37
Ebda., S. 240. Vgl. oben, Pannenberg, S. 163 und 166.
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Wenn Glauben wirklich bestimmte Lehren voraussetzt, die rational durch geschichtliche Forschung bestätigt werden müssen, dann entsteht ein zusätzliches Problem, auf das Hamilton unsere Aufmerksamkeit lenkt. 38 Folgt nämlich nicht daraus, daß der christliche Glaube völlig den Historikern ausgeliefert ist? Wenn die Historiker entscheiden, daß die tatsächlichen Voraussetzungen des christlichen Glaubens nicht wahr oder nicht in hohem Grade wahrscheinlich sind, müssen wir dann nicht in aller Ehrlichkeit die Türen unserer Kirchen schließen und den Namen {(christlich" aufgeben? Wenn die Tatsachen, die vom Glauben vorausgesetzt werden, verhältnismäßig unumstritten wären, könnte diese Herausforderung reichlich akademisch scheinen. Aber Pannenberg rechnet zu den geschichtlichen Tatsachen, die vom Glauben vorausgesetzt werden, die Tatsache, daß ]esus von den Toten auferstand. 30 Da die große Mehrzahl der Historiker wenigstens als Historiker es ablehnen, dies zu bestätigen, scheint der Glaube wirklich ernstlich bedroht. Ist dann nicht sogar der Fall gegeben, daß wir unsern Glauben aufgeben müssen? Pannenberg sieht die Situation natürlich nicht so, und wir haben schon einige Gründe dafür gesehen, daß er ganz andere Folgerungen zieht. Insofern der Grund für die fehlende Unterstützung des christlichen Glaubens an die Auferstehung seitens des Historikers aus dessen vorgängiger Meinung erwächst, die Auferstehung sei unmöglich, oder daraus, daß er diese Art von Ereignis aus dem Gebiet der Geschichte ausschließt, ist seine Zurückweisung des geschichtlichen Charakters der Auferstehung ohne Bedeutung. Die Frage ist nur, ob eine ehrliche und offene Untersuchung der Zeugnisse auf die Wirklichkeit der Auferstehung hinweist. Die Grundlage dafür ist das Zeugnis des Neuen Testamentes, das im Licht dessen gelesen werden 38
39
Vgl. oben, Hamilton, S.239. Vgl. oben, Pannenberg, S. 164. 275
muß, was wir von den Traditionen wissen, in deren Horizont die damaligen Menschen lebten. Pannenberg besteht darauf, daß dieses Zeugnis in überwältigender Weise auf die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu hinweist, wenn man sich ihm nicht mit vorgängigem Unglauben nähert. Der Fortschritt geschichtlicher Forschung wird diese Situation wahrscheinlich nicht entscheidend ändern. Die Art und Weise, zu der wir über die Auferstehung zu denken geführt werden, kann weiterhin durch geschichtliche Studien verändert werden, aber die Tatsache der Auferstehung steht ganz außer Frage. Unter solchen Voraussetzungen ist Pannenberg in der Lage zu sagen, daß geschichtliches Wissen «die Gewißheit des Glaubens nur geringfügig beeinträchtigen)) kann. 40 Trotzdem scheint Pannenbergs Verständnis des Verhältnisses zwischen Glauben und Lehrmeinungen über vergangene Ereignisse den Glauben in Bezug auf den Fortgang geschichtlicher Forschung beträchtlich anfälliger werden zu lassen, als er selbst zugibt. Z. B. kann man nicht die Möglichkeit ausschließen, daß weitere alte Dokumente entdeckt werden, die ein ganz neues Licht auf die Ereignisse des Lebens und der Auferstehung Jesu werfen würden. Vielleicht könnten sie die Hypothese bewußter Täuschung wahrscheinlicher machen als es jetzt scheint; oder vielleicht könnten sie in einer Weise, wie es unsere gegenwärtigen Urkunden nicht tun, hinweisen auf die autosuggestive Technik, die in der frühesten Gemeinde benutzt wurde, um Auferstehungserscheinungen hervorzurufen. Ich nehme an, daß wir zum heutigen Zeitpunkt recht daran tun, solche Theorien als in hohem Grade unwahrscheinlich zurückzuweisen, wenn wir die vorhandenen Quellen berücksichtigen. Aber es ist schwer einzusehen, wie man im voraus behaupten kann, die Gewißheit des Glaubens könnte durch weitere Entwicklungen in der geschichtlichen Forschung nur unwesentlich betroffen werden. 40
Vgl. oben, Hamilton, S.237.
276
Wichtiger ist das Problem, das oben in diesem Kapitel im Zusammenhang mit GrobeIs kritischen Äußerungen behandelt wurde. Wenn die Tatsache, daß an Ostern etwas geschah, alles ist, was als Voraussetzung des Glaubens gefordert ist, dann ist dies natürlich keine besonders angreifbare Behauptung. Andererseits folgt sehr wenig aus der bloßen Tats'ache, daß etwas geschah. Wenn dieses Etwas hinsichtlich seines Wesens nicht näher bestimmt wird, kann man daraus keine Folgerungen im Hinblick auf unser eigenes Geschick mit Gott ziehen. Wie genau auch immer dieses Etwas bestimmt wird, die Behauptung, daß es geschah, kann (im Falle soloher Näherbestimmung) eher bezweifelt werden. Obwohl es auf einer Ebene der Diskussion hilfreich sein kann zu zeigen, daß Auferstehung eine Mevapher ist, kann das Problem auf diese Weise weder gelöst nooh umgangen werden.
IV. Eines der auffallendsten Charakteristika der gegenwärtigen theologischen Debatte ist die langsam deutlicher werdende Erkenntnis, daß die Führer des theologischen Neuanfangs in der vorigen Generation hinsichtlich der Hoffnung auf eine zeitlich zukünftige Erfüllung nioht so. skeptisch und indifferent waren - oder es wenigstens jetzt nicht sind -, wie es lange schien. Karl Harth, Reinhold Niebuhr und Paul Tillich haben in den letzten Jahren Feststellungen veröffentlicht, auf die uns ihre früheren Schriften nicht eigentlich vorbereitet hatten. Sogar Rudolf Buhmann glaubt offensichtlich, daß der Christ mit Recht einer persönlichen Zukunft jenseits des Todes entgegensieht. 41 Nichtsdestoweniger erscheint die zukünftige Hoffnung im Falle aller dieser älteren Theologen als ein Postscriptum zu ihrer Theologie und nicht als deren Integrationsprinzip. 41
Vgl. oben, Grobel, S. 216, Anm.23. 277
Die verspätete Anerkenntnis, an diesem Gegenstand interessiert zu sein, läßt aber die ernste Frage stellen, ob dessen Zweitrangigkeit in ihrem Denken gerechtfertigt ist. Wenn man glaubt, daß der Tod für den Menschen nicht bloß das Ende ist, sollte dann dieser Glaubensartikel mit unserem Verständnis des Evangeliums nicht selbstverständlicher verbunden werden als es in den letzten Jahrzehnten üblich war? Sollte nicht das Evangelium neu formuliert werden als das Versprechen einer Zukunft mit Gott? Während derselben Periode, in der wir von der Offenheit der älteren Theologen für diesen Aspekt des traditionellen christlichen Glaubens hörten, haben sich neue Stimmen erhoben, die vor allem anderen von der Zukunft reden. Der Katholik Teilhard de Chardin hat sich unter Protestanten starkes Gehör verschafft für seine Auffassung von Natur und Geschichte; er versteht deren gesamte Entwicklung als eine Bewegung auf eine eschatologische Vollendung in Gott hin. Ernst Fuchs hat das Kerygma prägnant als ein Versprechen für das Leben jenseits des Todes ausgelegt. Und Wolfhart Pannenberg hat auf glänzende Weise den gesamten Gehalt biblischer Geschichte im Lichte der überzeugung neu gedacht, daß nur eine Verheißung zukünftiger Erfüllung echte gute Botschaft für den Menschen sein kann. Aus diesem Blickwinkel werden viele der grundlegenden Meinungsversohiedenheiten zwischen Pannenberg und seinen Kritikern deutlicher. Zum größten Teil verstehen diese Kritiker Glauben als die Erfüllung des Menschen im Hier und Jetzt. Solcher Glaube beglaubigt sich selbst. Grundsätzlich hat er keinen Inhalt in der Form von objektiven Lehrbegriffen und bedarf keiner rationalen Stütze. Entscheidend für die Beziehung Gottes zum Menschen ist die Tatsache, daß Gott Glauben weckt. Die Auferstehung J esu wird als die Situation verstanden, in der christlicher Glaube entstand. Aus dieser Perspektive ist detailliertes Fragen nach dem, was nun genau die Ereignisse waren, auf die die Auferstehung hinwies, unwichtig und nicht einmal wünschenswert. Gottes Werk ist nicht primär dem Ablauf 278
der Ereignisse in ihrer zeitlich-räumlichen Bestimmtheit zugeordnet. Wenn überhaupt ein Ereignis als Akt Gottes angesehen wird, dann geschieht das aufgrund des Glaubens des Betrachtenden, nicht aufgrund irgendeines öffentlichen, sichtbaren Aspektes des Ereignisses. Interesse an einer zukünftigen Erfüllung heißt die Annahme dessen verfehlen, was in der Gegenwart gegeben wird. Selbst wenn man glaubt, daß Gott in der Zukunft noch weitere Gaben zu verschenken hat, so ist diese Meinung doch nur ein Postscriptum zur Theologie. Wenn man andererseits den Menschen als grundsätzlich zukunftsbezogenes Wesen sieht, das für seine Vollendung einer Bedingung bedarf, die in diesem Leben unerreichbar ist, muß alles ganz anders erscheinen. Der Glaube muß Vertrauen auf Gott sein, und zwar dergestalt, daß Gott dem Menschen in der Zukunft das gewähren wird, was des Menschen Leben erst vollständig macht und ihm begründeten Sinn gibt. Da solcher Glaube sich nicht selbst beglaubigen kann, muß er entweder willkürlich sein oder aber seinen Grund in Beweisen finden. Die christliche Beanspruchung der Auferstehung Jesu weist uns auf jenen einen Ort hin, wo der Mensch begründete Zuversicht gewinnen kann, daß Gott wirklich Herr über die Geschichte ist, daß er alle Menschen liebt und daß er uns eines Tages zu neuem Leben mit sich erwecken wird. Zu entdecken, was genau im Osterereignis geschah und was genau es bedeutete und bedeutet im Licht des gesamten überlieferungszusammenhanges, in dem es sich ereignete, ist eine Angelegenheit von letzter Bedeutung. Wenn darüberhinaus das Vertrauen auf Gott von dem Glauben an seine Glaubwürdigkeit abhängt, dann kann die überzeugungskraft seiner Glaubwürdigkeit selbst nicht ein Ergebnis des Vertrauens sein. Der Mensch fordert zu Recht objektive Beweise von Gottes Macht und Liebe. Zusammen mit allen anderen weitreichenden Verschiedenheiten, die mit diesen zwei Verstehensweisen der Erfüllung des Menschen - als in erster Linie gegenwärtige und als entscheidend zukünftige - gegeben sind, tritt eine radi279
kaIe Verschiedenheit hinsichtlich der Rolle des Historikers auf. Von der ersten dieser Auffassungen aus erwartet der Historiker keine Auswirkungen seiner Arbeit auf den Glauben. Er sucht keine Beweise für die Eigenart Gottes in der Geschichte. Er begnügt sich schon damit, alles in der Geschichte Vorfindliehe ohne Bezugnahme auf Gott zu erklären. Von Gott zu sprechen hieße, eine Sichtweise des Glaubens einführen und die Objektivität des historischen Studiums verlieren. Im Gegensatz dazu müssen wir uns nach Pannenberg vom Studium der Geschichte abhängig machen, um die Antworten auf diejenigen Fragen zu erhalten, die für uns von letzter Wichtigkeit sind. Gott aus der Geschichte auszuschließen heißt, von vornherein die Möglichkeit ausschließen, aus der Gesohichte das kennenzulernen, was sie erst zum höchst bedeutsamen Studienobjekt macht. Es heißt im wahren Sinne objektiv sein, wenn man die Vergangenheit erforscht, indem man für die Möglichkeit offen ist, daß sie uns über Gott belehren wird. Und Pannenberg ist davon überzeugt, daß die Vergangenheit uns über Gott belehren und uns gute Gründe geben wird, ihm zu vertrauen, wenn wir die Vergangenheit mit dieser Objektivität studieren. Ich persönlioh finde Pannenbergs dramatische Herausforderung demgegenüber, was langsam zu einer Selbstverständlichkeit geworden war, sowohl erregend wie beunruhigend. Ich bin von ihr im positiven Sinne erregt, weil ich den christlichen Menschen viel stärker auf die Zukunft hin gerichtet sehe, als es die jüngste Theologie bis jetzt anzuerkennen bereit gewesen ist. Dieser Gedanke wird viele Fragen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft neu stellen lassen, die von denj enigen unterdrückt worden sind, die den Glauben als Erfüllung in der Gegenwart verstanden haben. Ich bin durch Pannenbergs Position beunruhigt, weil sie die Gegenwart zu sehr der Zukunft und der Vergangenheit unterordnet. Natürlich findet Pannenberg einen Sinn in gegenwärtiger christlicher Existenz. Aber dieser Sinn beruht entscheidend auf einem Vertrauen in die Zukunft, 280
das sich seinerseits auf Lehren über die Vergangenheit gründet. Diese Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist wichtig, muß aber ergänzt werden durch andere, die direkt aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinreichen und auch aus der Gegenwart in die Vergangenheit und Zukunft. Ich teile mit Pannenberg die überzeugung, daß die Auferstehungserscheinungen Jesu wahrscheinlich nicht-halluzinatorische Visionen der Jünger waren. Ich stimme ihm auch darin zu, daß die Jünger in der überzeugung lebten, die Hoffnung auf eine allgemeine Auferstehung sei bestätigt worden, und daß deswegen die ersten Christen den Sinn ihres gegenwärtigen Lebens in ihrem Glauben an die Zukunft fanden, der auf Lehren über die Vergangenheit basierte. Aber ich glaube auch, daß die Form der Existenz, an der sie in den eschatologischen Gemeinden teilnahmen, für sie schnell eine sich selbst beglaubigende Bedeutung und Wertigkeit annahm, und zwar teilweise unabhängig von ihren Glaubensauffassungen über Zukunft und Vergangenheit und teilweise, indem sie diese Auffassungen stützte. Andere Lehren über J esus als die von seiner Auferstehung abhängigen spielten ebenfalls eine Rolle, indem sie aus der Vergangenheit direkt auf die Gegenwart einwirkten, ohne durch überzeugungen über die Zukunft vermittelt zu sein. Diese komplexe Mischung von Faktoren in immer wechselnden Verhältnissen und Verbindungen charakterisiert die christliche Gemeinde bis auf den heutigen Tag. Auf der einen Seite gibt es immer solche, für die der Verlust der Gewißheit des zukünftigen Endes gleichbedeutend wäre mit dem totalen Verlust des christlichen Glaubens. Auf der anderen Seite gibt es immer diejenigen, für die tiefe Ergebenheit gegenüber dem in J esus geoffenbarten Gott von der Hoffnung auf zukünftige Erfüllung vollkommen getrennt ist. Zwischen diesen Positionen liegt die große Zahl derjenigen, für die Gottes zukünftige Bestätigung und Vollendung seiner Werke eine bedeutende und geschätzte An281
schauung ihres Glaubens ist, aber nicht dessen einziger unaufgebbarer Eckstein. Meine Befürchtung ist, daß Pannenbergs Stellung der ersten dieser Alternativen zu nahe steht. Als Reaktion auf die Vorherrschaft der entgegengesetzten Meinung, durch die der selbstbeglaubigende Charakter des gegenwärtigen Glaubens polemisch gegen das Interesse an Vergangenheit und Zukunft ausgespielt worden ist, hat die Gewichtsverlagerung eine gewisse Berechtigung. Aber sie legt eine schwere Last auf den Erweis der Tatsächlichkeit der Auferstehung J esu, den die korrekte Historiographie erbringen soll. In einer anderen Hinsicht ist Pannenberg aber stark an der Gegenwart interessiert. Er weiß, daß die historische Demonstration der Auferstehung J esu und der Tatsache, daß sie ursprünglich ihre Bedeutung dadurch gewann, daß sie die Erwartung einer allgemeinen Auferstehung bestätigte, nicht von sich aus die Wahrheit dieser Lehre für uns bestimmen. Es ist ebenso wichtig, heute eine Erwartung zu rechtfertigen, die derjenigen analog ist, die zu Jesu Zeit durch die Apokalyptik bereitgestellt wurde. Nur wenn wir heute anerkennen, daß unser bestes Wissen über uns selbst und über die Geschichte auf eine zukünftige Vollendung als einzigen Grund für einen Lebenssinn hinweist, kann die Tatsache der Auferstehung Jesu eine derartige Bedeutung für uns haben, wie sie es in ihrem eigenen geschichtlichen Zusammenhang hatte. Pannenberg sieht im deutschen Idealismus eine mächtige Auffassung der Wahrheit, die er heute zur Geltung bingen will. Diese Philosophie war ihrerseits ganz und gar von christlichen Gedanken durchsetzt. Im Lichte neuerer Entwicklungen in der christlichen Theologie und in der Anthropologie im allgemeinen, erfordert diese Bewegung des 19. Jahrhunderts Korrektur und Neuformulierung. Aber durch das gewaltige Unternehmen, die Überzeugungskraft der wesentlichen Aspekte dieser philosophischen Tradition wiederzubeleben, will Pannenberg nun den Rahmen für 282
unsere Übernahme der christlichen Wahrheit setzen. Für jemanden, der sich der Größe spekulativen Denkens und der Suche nach einer umfassenden Vision ebenso verpflichtet weiß wie Pannenberg, der aber weit stärker vom Empirismus und Naturalismus der englisch-sprachigen Welt geprägt ist, erscheint dieses weitgespannte Unternehmen ehrfurchtgebietend, aber auch etwas fremdartig. Wir können dankbar sein, daß sein Architekt auch für die anderen philosophischen Strömungen unserer Zeit wach und offen ist.
283
7. STELLUNGNAHME ZUR DISKUSSION WOLFHART PANNENBERG
Bei jeder Diskussion, die nicht unmittelbar einer Sachproblematik, sondern einer zu deren Beschreibung benutzten Begrifflichkeit gilt, ist die Gefahr besonders groß, daß diese Begrifflichkeit in der Perspektive des Kritikers unversehens andere Bedeutungsnuancen annimmt als bei dem kritisierten Autor. John Cobb hat auf derartige Verschiebungen der Perspektive in den Diskussionen dieses Bandes hingewiesen, indem er die Argumentation meiner Kritiker und meine eigenen Auffassungen konfrontiert hat. Ich stimme seinen Ausführungen in den meisten Punkten zu und denke, daß dadurch die tatsächlichen Differenzen durch mancherlei Scheingegensätze hindurch klarer hervorgetreten sind. Im lichte der Ergebnisse dieser Konfrontation will ich nun die zentralen Themen der Diskussion nochmals aufnehmen, in Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Kritik. Wenn ich recht sehe, handelt es sich besonders um das Verständnis von «Offenbarung» und «Geschichte», sowie um das VeJ:hältnis von Glauben und Wissen. Diese Themen sind abstrakterer Natur als der Gegenstand meines einführenden Artikels. 1 Dort versuchte ich, die aller gegenwärtigen Theologie gemeinsam aufgegebene Frage zu klären, was Jesus von Nazareth uns heute eigentlich noch angeht. Im Mittelpunkt stand also die Problematik des Verhältnisses von Urchristentum und gegenwärtiger Wahrheit. Die Frage nach der Relevanz J esu für 1
Der Artikel «Gottes Offenbarung in Jesus von Nazareth)) wurde 1963 abgeschlossen und geht daher auf später erschienene Literatur nicht ein. 285
unsere Gegenwart kann nur geklärt werden, wenn man sich verdeutlicht, was dabei die Berufung auf Jesus meint. Man muß vom historischen Jesus ausgehen - sonst spricht man allzuschnell unter dem Namen J esu von allerlei Erfahrungen oder Ideen, die mit dem wirklichen, historischen Jesus von Nazareth wenig zu tun haben. Die Frage nach J esus aber kann keinen Augenblick an dem Gott vorbeigehen, dessen kommende Herrschaft Jesus verkündete. So verwandelt sich die Frage nach Jesus in die andere: Inwiefern kann der Gott Jesu uns heute noch als die alles bestimmende Wirklichkeit gelten? Diese Frage ist unbeantwortbar, wenn man mit einem Sprung über zwei Jahrtausende hinweg unvermittelt die Botschaft Jesu und die Christusbotsohaft seiner ersten Gemeinde auf unsere Gegenwart beziehen will. In gänzlich verändertem Kontext, in von Grund auf verwandelter Situation bedeutet die wörtlich gleiche Botschaft nicht mehr dasselbe. Darum ging ich der Frage nach, wie die Botschaft und Geschichte J esu erstmals in einem nichtjüdischen Traditionsbereich verkündet wurden, nämlich im Bereich des Hellenismus. Damit erga'ben sich schon die Probleme, die mit der Stellung der Ohristusbotschaft in der Welt der Religionen verbunden sind. Die hier aufbrechende Wahrheitsfrage ist für Nichtjuden von Anfang an, d. h. seit der hellenistischen Gemeindebildung, nur im Horizont philosophischen Fragens beantwortbar gewesen. Behält nicht darin der Schritt in die hellenistische Welt für das Ohristentum etwas bis heute Beispielhaftes? Im folgenden zweiten Abschnitt habe ich zu zeigen versucht, welche Züge im Auftreten und in der Geschichte Jesu es ermöglicht haben, daß Jesus als Offenbarer des wahren Gottes in der hellenistischen Welt Glauben fand. Da:bei ging es weniger um die mannigfachen, damals faktisch wirksamen Motive der Zuwendung zum Christentum, als vielmehr darum, was für unser heutiges Wissen um die Eigenart hellenistischer Wahrheitsbewußtseins die Annahme der Christusbotschaft durch hellenistische Menschen als sinnvoll verstehen läßt. Weil damit be286
reits das heutige philosophisch reflektierte Wahrheitsbewußtsein (in seinem Zusammenhang mit dem griechischhellenistischen) mit im Spiele war, konnte der dritte Abschnitt zu einer allgemeineren, an der modernen Problematik orientierten Erörterung des Offenbarungsbegriffs übergehen, der nur mehr zurückbezogen wurde auf biblischexegetische Befunde, aber nicht etwa, um ihn als exegetisch zu erhebenden Begriff einzuführen, sondern nur um uns seiner Anwendbarkeit zu versichern - seiner Anwendbarkeit als eines heutigen systematischen (bzw. philosophischen) Begriffs auf die Geschichte Jesu in bezug auf ihren konkreten religionsgeschichtlichen Zusammenhang, der in den biblischen Texten seinen Niederschlag gefunden hat. Erst daraufhin wurden im Gang des Artikels die Ausführungen des vierten Abschnitts über Offenbarungserkenntnis und Glaube möglich. Der eigentümliche, an der historischen Differenz von Urchristentum und Gegenwart und ihrer überbrückung orientierte Gedankengang des einleitenden Artikels ist in den Diskussionsbeiträgen kaum berührt worden. Dabei handelt es sich keineswegs um für die Sache selbst belanglose historische Reminiszenzen. Vielmehr geht meine Behauptung gerade dahin, daß die Wahrheit der christlichen Botschaft nicht ablösbar ist von der Geschichtlichkeit des Verhältnisses unserer Gegenwart zum Urchristentum. Die Wahrheit selbst ist in diesem geschichtlichen Verhältnis. Die kritischen Beiträge dieses Bandes haben vorwiegend die Struktur der Begriffe Offenbarung, Geschichte, Glaube, losgelöst von jedem Verhältnis, erörtert. Nun hat sicherlich auch eine Kritik der Begriffe ihr gutes Recht. Die Begriffe, die jemand benutzt, müssen sich darauf befragen lassen, ob sie der gemeinten Sache entsprechen. Schwierig wird die Diskussion nur, wenn dabei ein anderes Sachverständnis ins Spiel kommt. Ohne diese Schwierigkeit zu übersehen, soll im folgenden der Sachbezug der Begriffe Offenbarung, Geschichte, Glaube gegenüber der geäußerten Kritik verdeutlicht werden. Da die Einleitung von 287
J ames M. Robinson umfassend über die deutsche Diskussion meiner Thesen berichtet hat und manche der in diesem Bande aufgetretenen Gesichtspunkte sich berühren mit solchen, die in der deutschen Diskussion eine Rolle spielen, werde ich auch deutsche Veröffentlichungen in meine Auseinandersetzung mit einbeziehen, vor allem solche aus jüngster Zeit, auf die ich noch nicht anderwärts geantwortet habe. I.
Im Thema «Offenbarung» verbinden sich heute die beiden Fragen, wer Gott ist und ob Gott ist. Mit dieser Feststellung setze ioh voraus, daß beide Fragen nicht schon anderweitig als entschieden gelten. Sonst würde das Thema «Offenbarung)) seine Bedeutung verlieren. Wer davon überzeugt ist, daß ein Reden von Gott heute schlechterdings sinnlos geworden ist, dem muß jede Erwägung, ob Gott sich als Gott offenbart habe, von vornherein als irrelevant gelten. Umgekehrt kann für den, der bereits anderweitig, etwa aus einer philosophischen Theologie, zu wissen meint, daß Gott ist und was das heißt, daß Gott ist (also wer er ist), alles Reden von einer Offenbarung der Gottheit dieses Gottes nur noch untergeordnete Bedeutung haben. Das war im mittelalterlichen und im altprotestantischen Supranaturalismus nur scheinbar anders. Für das Heil des Menschen galt über das bloße Dasein Gottes hinaus sein Wille und dessen Offenbarung als ausschlaggebend. Aber die Umklammerung der supranaturalen Gotteslehre durch philosophische, natürliche Theologie samt der Krise, die in der Neuzeit daraus entstanden ist, hat ihren letzten Grund darin, daß Gottes «Wille» nicht als etwas zu seinem Sein äußerliches Hinzukommendes gedacht werden kann. Das Offenbarungsproblem hat seine fundamentale Bedeutung für die Gotteserkenntnis erst in einer geschichtlichen Situation gewonnen, in der nicht mehr anderweitig feststeht, wer Gott ist und daß er ist, noch auch andererseits der 288
illusorische Charakter alles Redens von Gott so definitiv entschieden ist, daß damit schon die bloße Frage nach einem etwaigen Selbstbeweis göttlicher Wirklichkeit irrelevant geworden wäre. Daß das Problem nach beiden Seiten hin offen ist, kennzeichnet unsere Situation. Indem der Mensch allen Gehäusen autoritärer überlieferung entwachsen und so sich selbst zur Frage geworden ist, die ihn doch über sich se}bst und über alles Endliche hinausweist, ist er Frage nach Gott. Aber aus der Offenheit dieser Frage läßt sich nicht schon herleiten, daß Gott ist, und sogar die Behauptung, daß der Mensch in seiner Frage nach sich selbst, nach dem Sinn seines Daseins und alles Seienden, nach Gott fragt, läßt sich streng genommen erst dann rechtfertigen, wenn die Wirklichkeit, auf die der Mensch in der Offenheit seines Fragens als angewiesen sich erweist, ihm personhaft und so als «Gott» widerfährt. 2 2
Siehe dazu meinen Aufsatz: Die Frage nach Gott, in: Ev. Theol. 25, 1965, S.238-62, bes. 254 ff. Daß der Mensch «Frage)) ist, die in der begegnenden Wirklichkeit Gottes ihre Antwort findet, bedeutet keine «Theologie des religiösen apriori» wie Hamilton oben S. 228 behauptet, da die Wahrheit der religiösen Erfahrung - zumal als Gotteserfahrung - nicht aus der Struktur der Fraglichkeit des Menschen zu begründen ist, sondern nur aus dem Widerfahrnis der Wirklichkeit, die als Antwort auf die offene Frage unserer Existenz erfahren wird und also als unser Dasein tragend unser letztes Vertrauen in Anspruch nimmt. Daß es zu einer Erkenntnis der in der selbsttranszendierenden Angewiesenheit des Menschseins vorausgesetzten Wirklichkeit nur durch Erfahrung dieser Wirklichkeit selbst als einer konkret widerfahrenden kommt, habe ich schon in «Was ist der Mensch?)), 1962, S.12, hervorgehoben, ebenso die mit solchem Widerfahrnis zusammenhängende Personhaftigkeit, die es erst erlaubt, die so erfahrene Wirklichkeit «Goth zu nennen (ebd. S.26, deutlicher jetzt Ev. Theol. 25, 1965, S. 259 ff.). Auch H. Gollwitzer hat verkannt, daß ich den personalen Charakter der in der offenen Angewiesenheit des menschlichen Daseins vorausgesetzten, von allem Endlich-Verfügbaren verschiedenen und so unser Dasein tragenden Wirklichkeit keineswegs durch ein «Dekret der angeblichen Vernunftnotwendigkeit der Persönlichkeit Gottes)) behaupte (so H. Gollwitzer, Die Existenz J
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Läßt sich nun die Frage, ob ein Gott und welcher Gott die unser Dasein tragende Wirklichkeit ist, in dem Sinne durch den Verweis auf Offenbarung beantworten, daß irgend eine religiöse Überlieferung als autoritative Wahrheit geltend gemacht würde? In diesem Sinne einer Berufung auf Offenbarung als übernatürliche Autorität war zweifellos bis zur Aufklärung die christliche Theologie Offenbarungstheologie. Die autoritative Offenbarung fand man in dem «Worte Gottes)), d. h. im inspirierten Bibelwort, das als Erzeugnis des göttlichen Geistes im wörtlichen und massiven Sinne «Wort Gottes)) war. Die neoorthodoxe Gottes im Bekenntnis des Glaubens, 1963, S. 155), sondern sie aus dem Widerfahrnis dieser Wirklichkeit begründe. Erst damit findet freilich auch die Frage des Menschseins ihre rechte Antwort, indem durch die Personalität der ihm widerfahrenden göttlichen Macht der Mensch selbst zur Person erweckt wird. - Daß aber der Mensch immer schon offene Frage über alles Endliche hinaus ist, das habe ich wahrhaftig nicht als eine «selbstverständliche Wahrheit» behauptet, wie Hamilton S.230 unterstellt. Vielmehr habe ich schon in «Was ist der Mensch?)) meine Behauptung begründet durch Erwägungen zur Struktur der sogenannten «Weltoffenheih des Menschen, in der ich mit Anthropologen wie M. Scheler, A. Gehlen, A. Portmann, M. Landmann u. a. die spezifische Struktur menschlichen Verhaltens zusammengefaßt sehe. M. Buss (oben S.176) stellt mit Recht fest, daß sich meine Auffassung dieses Sachverhalts von Scheler unterscheidet. Das hängt damit zusammen, daß ich bei der Beschreibung des anthropologischen Phänomens weitgehend A. Gehlen gefolgt bin, der gegen Scheler die mysteriöse Annahme eines von der Natur gänzlich verschiedenen «Geistes)) auszuklammern strebt. Zur Rechtfertigung meiner - etwa Gehlen, Landmann oder auch Sartre entgegengesetzten - Deutung des sonst als «Weltoffenheih beschriebenen Phänomens im Sinne einer «Gottoffenheih cf. Ev. Theol. 25, 1965, S. 252 f. und schon «Was ist der Mensch?», 1962, S.lO f. Es wäre wohl zu erwarten gewesen, daß Hamilton sich mit meiner anthropologischen Argumentation auseinandergesetzt hätte, statt mir zu unterstellen, ich behauptete die Gottbezogenheit des Menschen wie eine «selbstverständliche Wahrheit». Ich weiß so gut wie Hamilton oder irgendjemand anders, daß ein Reden von Gott für den heutigen Menschen keine selbstevidente Wahrheit mehr hat - oder noch nicht wieder hat. 290
Württheülügie unseres Jahrhunderts hat das «Würt Güttes)) nicht mehr primär in der Bibel, sündern im Geschehen der Christusverkündigung, im Kerygma, gesucht (so' Bultmann) oder auch in der ihrerseits als «Würb Güttes gedeuteten Geschichte J esu, die als Offenbarung der Ursprung des Bibelwürtes wie auch des Würtes der Verkündigung ist (Barth). In beiden Fällen blieb der autüritäre Oharakter der Berufung auf Offenbarung unangetastet. Autüritäre Ansprüche sind nun aber für Menschen, die im Wirkungsbereich der Aufklärung leben, nicht mehr akzeptabel, im geistigen süwenig wie im pülitischen Leben. Alle autüritären Offenbarungsansprüche unterliegen prinzipiell dem Verdacht, daß sie menschliche Gedanken üder Einrichtungen mit dem Glanze göttlicher Majestät umkleiden. Sie sind alsO' dem Vürwurf einer Vertauschung vün Göttlichem und Menschlichem ausgeliefert, der Anklage auf Verabsülutierung eines in Wahrheit endlichen Inhaltes, mit der Fülge einer Unterwerfung der übrigen Menschen unter die diese Autürität repräsentierenden Menschen. In diesem Punkte stimme ich mit Hamiltüns püsitiver Wertung des säkularen Selbstverständnisses der auf dem Büden der Aufklärung lebenden Menschheit unserer Gegenwart sehr viel weitgehender überein, als er anzunehmen scheint: Zwar glaube ich nicht, daß die durch die Aufklärung begründete neue Mündigkeit der Menschen (im Sinne vün Bünhüeffer) «Religiün)) in jedem Sinne und jedes Reden vün «Gütb unmöglich üder auch nur entbehrlich macht. Sie läßt aber allerdings vielerlei Fürmen vün Religiün und Güttesglaube unglaubwürdig werden, dabei sicherlich alle diejenigen, die lediglich auf autüritären Offenbarungsansprüchen beruhen und die sich den Fragen kritischer Ratiünalität entziehen. Ich habe mich vün der «Theülügie des Würtes Güttes)) in ihren verschiedenen heutigen Gestalten letzten Endes deshalb abgewendet, weil ich in ihr nur die müderne Ausprägung einer sülchen autüritären Offenbarungstheülügie zu erkennen vermüchte. SO' kann ich auch der Meinung vün Kendrick Grübel nicht fülgen, daß «Würb oder «Rede)) 291
in den biblischen Schriften dem entspreche, was unter dem Stichwort einer Selbstoffenbarung Gottes heute sinnvoll diskutiert werden kann (Grobel S. 201 f.). Es ist freilich nicht zu verkennen, daß autoritäre Überlieferungsformen im Alten und Neuen Testament eine bedeutende Rolle spielen. Das kann gar nicht anders sein bei Dokumenten einer Zeit, die in ihrem gesamten gesellschaftlichen und geistigen Leben autoritär geprägt war. Zui autoritären Zügen gehört auch, daß die Grundlagen von Recht und Sitte als Gottesworte stilisiert und tradiert wurden, daß Propheten ihre Worte unmittelbar als Gottes Worte empfingen und vortrugen und daß noch urchristliche Apostel, wie Paulus, ihre Botschaft als «Wort Gottes)) verkündeten, in einem freilich differenzierteren Sinn, aber doch mit dem Anspruch, die Autorität Gottes selbst ihren Hörern oder Lesern gegenüber zu repräsentieren.3 Derartige Motive haben die Struktur christlicher Überlieferung nicht nur in der alten und mittelalterlichen Kirche, sondern auch in den reformatorischen Kirchen bis zur Aufklärung bestimmt. Nicht nur das mittelalterliche Verständnis bischöflicher und päpstlicher Amtsgewalt, sondern auch der Positivismus des reforma3
Die Frage nach der theologischen Bedeutung des «Wortes)) oder besser gesagt der «Sprache)) ist mit der Kritik an der autoritären Struktur der traditionellen und in der dialektischen Theologie gängigen Berufung auf göttliches Wort gewiß noch nicht erledigt. Aber die positive und von der Theologie festzuhaltende Bedeutung von Sprache und Wort wird nur in entschiedener Abkehr von den autoritären Zügen des traditionellen Wortverständnisses herauszustellen sein. Die Bemühungen von G. Ebeling und E. Fuchs um eine Theologie des Wortgeschehens haben zweifellos einen wichtigen Schritt zu einer stärker am Phänomen orientierten Deutung von «Worh und «Sprache)) vollzogen und so eine Milderung des von der dialektischen Theologie noch einmal steil verfochtenen autoritären Wortverständnisses gebracht. Daß es bereits überwunden ist, wäre jedoch wohl zuviel gesagt. Andererseits ließe sich jedoch innerhalb eines von autoritären Zügen befreiten Sprachverständnisses vielleicht sogar die Rede vom «Worte Gottes)) auf ihr phänomenales Wahrheitsmoment hin interpretieren.
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torischen Schriftprinzips und das Verständnis der Wortverkündigung in den Kirchen der Reformation lassen autoritäre Züge erkennen. Seit der Aufklärung ist dagegen die Frage nach der Freiheit des Geistes gegenüber aller nur «positiven», d. h. gesetzten Autorität gestellt, und das nicht nur von außen her, sondern als eine Forderung des christlichen Glaubens selbst. Die neue Mündigkeit des Menschen muß als eine Frucht christlichen Geistes anerkannt werden. Daher muß man fragen, ob nicht die eigentlichen Grundlagen biblischer Gotteserfahrung unabhängig sind von den autoritären Zügen, die freilich nicht erst in der späteren kirchlichen Überlieferung und Verkündigung aufgetreten sind, sondern schon den biblischen Texten selbst anhaften. Vor aller «Entmythologisierung)), so sollte man meinen, müßte die christliche Theologie die autoritären Formen der vorneuzeitlichen Überlieferungsgeschichte des Christentums abstreifen. Erst nach einer solohen Entpositivierung ließe sich entscheiden, inwieweit außerdem und darüber hinaus noch eine «Entmythologisierung» nötig wäre, oder ob nicht die letztere in der umfassenden Aufgabe der ersteren bereits mitededigt ist. Vielleicht stellt sich auf diese Weise die Entmythologisierung als ein Programm heraus, das teils noch zu zaghaft geblieben ist, weil es den autoritären Charakter christlicher Überlieferung nicht mit in die Kritik einbezog, teils auch zu undifferenziert gegenüber den sehr versohiedenartigen Inhalten der christlichen Tradition. Die große Aufgabe einer Übersetzung und Auslegung der eigentlich intendierten Inhalte christlicher Überlieferung in die Sprache und Denkweise einer Gegenwart, die aus der Aufklärung hervorgegangen ist, wurde im ersten Anlauf mit einer Gewaltsamkeit in Angriff genommen, die das Ergebnis einer allzu einfachen Scheidung zwischen vermeintlich mythischem Weltbild und vermeintlich davon ablösbarem - und unverändert beizubehaltendem - Selbstverständnis gewesen ist. Die Einsicht in das Künstliche dieser Scheidung läßt jedoch die Aufgabe einer Übersetzung der ohristlichen Botschaft nicht hinfällig wer293
den. Diese Aufgabe muß auf der Grundlage einer Entpositivierung der christlichen Überlieferung fortgeführt werden. Die Frage nach der Offenbarung Gottes, so wie sie auf dem Boden der Aufklärung neu gestellt worden ist 4, sucht nicht nach einer autoritären Instanz, die kritisches Fragen und eigenes Urteil niederschlägt, sondern nach einer Bekundung göttlicher Wirklichkeit, die sich dem mündigen Verstehen des Menschen als solche bewährt. Darum empfinde ich die betonte Unterscheidung von «Hören)) und «Sehen», sowie die Bevorzugung des «Hörens)) vor dem «Sehen» als mißliche, auch wenn sie sich auf ein biblisches Wortverständnis beruft. 5 Soweit jemand beim Hören «vollkommen abhängig ist von etwas, das außerhalb seiner Kontrolle geschiehh 6, vermag ich solches Hören nur als 4
5
6
Sei es im Anschluß an Locke oder - exklusiv als Selbstoffenbarung - unter dem Einfluß des deutschen Idealismus. So K. Grobel, S. 201 ff. Vgl. die von Robinson, S. 109 ff. wiedergegebene, ähnliche Argumentation von G.Klein. Diese auch sonst beliebte Entgegensetzung von Hören und Sehen, von Wort und Bild, hat G. Sauter, Zukunft und Verheißung, 1965, S. 221 ff. mit Recht als «eine Erkenntnisauffassung, die die Wirklichkeit spaltet)), kritisiert. Dem Glauben bleibe dann «nur noch das Nein zu den Phänomenen» (ebd.). Das Sehen sei zwar «in Gefahr, weil es immer ein antizipatorischer Akt istn (222) und so in Versuchung steht, daß es «in der Welt Gott schon greifen wilh (224). Aber dieser Gefahr werde durch die Verheißung nicht so gewehrt, daß sie das Sehen überhaupt diskreditierte, sondern so, «daß sie den Menschen für ein Sehen der Welt bereitet, die nach dem ausschaut, was sie noch nicht ist ... )) (ebd.). Der Fortsetzung des Satzes: «und kraft des Wortes werden soll, das Nicht-Sein ins Sein rufh, vermag ich freilich aus den oben erwähnten Gründen nicht zu folgen, so wie ich auch bei Sauters Verheißungsbegriff durch die Züge eines autoritären und halbmythologischen Wortbegriffs abgeschreckt werde. Doch gerade bei einem Worttheologen ist die zitierte Ablehnung eines Dualismus von Hören und Sehen, von Glaube und Vernunft besonders beachtlich, und man möchte nur wünschen, daß Sauter selbst dieser Linie durchweg gefolgt wäre. Diese von Jonas abwertend gemeinte Charakteristik des «Hörens» macht sich Grobel (S.203) positiv zu eigen.
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Ohiffre für jene Preisgabe eigenen Urteils zu verstehen, die als Unterwerfung unter autoritäre Ansprüche gefordert wird. Ich gestehe, daß ich aus ähnlichen Gründen der Charakteristik des Glaubens als ((Gehorsam» mißtraue und ebenso dem berühmten Verbot, hinter das Kerygma nach einer Legitimation desselben zurückzufragen. Auf dem Boden der Aufklärung kann nach Offenbarung Gottes nur im Sinne der Selbstbekundung göttlicher Wirklichkeit für menschliches Verstehen gefragt werden. Von solcher Selbstbekundung göttlicher Wirklichkeit scheinen nun die biblischen Schriften des Alten wie des N euen Testaments, wie sie sich selbst verstehen, in der Tat herzukommen. Und solche Selbstbekundung dürfte für die israelitischen und urchristlichen Traditionsträger viel fundamentaler gewesen sein als alle autoritären Züge ihres Denkens und ihrer Überlieferungsformen. Selbstbekundung göttlicher Wirklichkeit in einem vorautoritären Sinne ist sogar ein zentrales Thema israelitischen und urchristlichen Denkens gewesen. Dabei lassen sich verschiedenartige Weisen der Selbstbekundung unterscheiden: Göttliche Wirklichkeit bekundet sich in massivster Form durch das ((Erscheinen» der Gottheit, aber auch in den Institutionen und Lebensordnungen, die sich durch solche Erscheinungen legitimieren oder sich auf prophetische Inspiration 7 beru7
Prophetische Inspiration als eine Weise menschlicher Erfahrung, die als solche auf ihre Sachgemäßheit zu befragen bleibt, wird durch die Kritik an ihrem autoritären Geltendmachen nicht bedeutungslos, sondern als spezifische religiöse Erfahrungsform dem unbefangenen Verstehen überhaupt erst zugänglich. - Solche Reduktion von supranaturalen Aussagen der Tradition auf ihren phänomenal aufweisbaren Gehalt bildet das Wahrheitsmoment in der Charakteristik meiner Theologie als einer «phänomenologischen)) durch K. Schwarzwäller, Theologie oder Phänomenologie, 1966, S.90-118. Mit der phänomenologischen Philo~ophie Husserls oder ihrer Fortbildung durch Heidegger hat jedoch eine solche Betrachtungsweise, die im Denken der Neuzeit weit über einzelne philosophische Entwürfe hinaus Geltung errungen hat, noch nicht speziell etwas zu tun. Vor allem bin ich der speziell phänomenologischen
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fen, ferner in der Mitteilung des «Namens» der Gottheit und schließlich in allen Ereignissen, in denen der Gläubige heilvolles oder unheilvolles «Handeln)) der Gottheit, der er sich verbunden weiß, erfährt und in denen sie ihm - aber nicht nur ihm, sondern auch andern - Größe und Eigenart ihrer Macht zu «erkennen)) gibt. Ich habe absichtlich allgemeine religionsphänomenologische Kategorien zur vorläufigen Kennzeichnung auch biblischer Gotteserfahrung gewählt. 8 Den Gedanken eines «Ersoheinens)) der Gottheit, z. B. als Ausgangspunkt einer Kultätiologie, teilt das alte Israel mit seiner religiösen Umwelt. Solche Selbstbekundung göttlicher Wirklichkeit für (damalige) menschliche Erfahrung pflegt nun aber die Religionswissenschaft
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«Einklammerungll der Frage nach dem Ansichsein bei der Analyse der Phänomene nicht verpflichtet. Es trifft aber nicht zu, wie Schwarzwäller meint, daß ich von etwas "hinter)) den Phänomenen Stehendem methodisch absehe oder gar - was aber auch ein Husserlschüler bestreiten würde - "etwas hinter den Sachen Stehendes apodiktisch in Abrede)) stellen müßte (S.92, vgl. S.106). Doch ist das, was etwa hinter den Phänomenen steht, doch wohl nicht ohne weiteres zu identifizieren mit den supranaturalistischen Behauptungen der theologischen Tradition! Nur eine supranaturalistische Theologie kann den Gott Israels von vornherein als von allen andern Göttern verschieden aus der Religionsgeschichte aussondern. Daher müssen die Erscheinungen Jahwes, die das AT aus der Frühgeschichte Israels berichtet, als Erscheinungen eines Numen verstanden werden, wie sie die Religionsgeschichte auch sonst kennt, trotz des Protestes, den Schwarzwäller, a. a. 0., S. 98 f. hiergegen erhebt. Das schliesst nicht aus, daß dieses Numen sich in der weiteren Geschichte Israels und durch Jesus auch für die Nicht juden als der allein wahre Gott erwiesen hat, so daß nun rückblickend in der Tat gesagt werden kann: Schon damals, in den Anfängen Israels, war der allein wahre Gott am Werke - aber noch nicht als solcher offenbar. Eben das konstatiert Schwarzwäller selbst S. 141 ff. im Hinblick auf die nachträgliche Identifizierung der "bis dato verehrten Götter» der Einzelstämme mit Jahwe als dem Bundesgott Israels nach dem Zusammenschluß der Stämme. Mit Recht wird dieses Beispiel als grundsätzlich bedeutsam eingeschätzt.
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bereits als «Offenbarung)) zu bezeichnen, ebenso wie alle Formen inspirierter Mitteilung. Ein derartig weiter Sprachgebrauch ist jedoch dem religionsphilosophischen und theologischen Offenbarungsproblem nicht adaequat. Für Religionsphilosophie und systematische Theologie stellt sich ja die Frage nach einer Selbstbekundung göttlicher Wirklichkeit, die nicht nur von Menschen früherer Kulturen irgendwann einmal als solche erfahren worden ist, sondern für heutiges Daseinsverständnis als Selbstbeweis göttlicher Wirklichkeit zu überzeugen vermag. Gegen alle von den Religionen behaupteten Götter richtet sich der Zweifel, ob sie auch uns als Gott, als Mac'ht 9 über alle gelten können. Wie kann sich aber unter solchen Umständen ein von andern behaupteter Gott als Gott im vollen Sinne, als Macht über alles, erweisen? Für den einzelnen ist das eine Frage persönlicher Erfahrungen, die ihn geneigt machen, einem bestimmten, von andern behaupteten Gott «alles)) zuzutrauen. Für das Denken, im Medium der Allgemeinheit, ist es die Frage, ob ein behaupteter Gott als Macht über alles gedacht werden kann. Beide Formen der Frage können sich an bestimmten biblischen Aussagen orientieren, und zwar sogar an denselben Aussagen, weil es das theologische Denken ja mit der Reflexion auf das zu tun hat, was der religiösen Erfahrung sich aufdrängt. In einigen israelitischen Texten ist ausdrücklich davon die Rede, daß Jahwe seine Gottheit erweisen wird, für Israel wie auch für die übrigen Völker, und zwar durch Ereignisse, die zu erkennen geben sollen, daß der Gott Israels aller Dinge mächtig ist. Dieses «Erweiswort)) entspricht im Unterschied zu andern 9
Hierdurch soll der Gesichtspunkt der Macht nicht etwa auf Kosten der Liebe, Gerechtigkeit und Weisheit Gottes und des darin begründeten Heiles betont werden. Es kann christlicher Theologie immer nur um die Macht (und damit um die Gottheit) des Gottes gehen, dessen Wesen durch ]esus als Liebe offenbar ist. Wenn jedoch diese Liebe ohnmächtig wäre, dann wäre sie nicht Gott, und wenn sie nur eine Macht unter andern wäre, dann wäre sie nicht der eine Gott, von dem und zu dem alle Dinge sind und der allein im Ernst Gott heißen kann. 297
Formen göttlicher Selbstbekundung dem systematisch-theologischen bzw. religionsphilosophischen Offenbarungsproblem: Ob ein behaupteter Gott wahrhaft Gott, d. h. aller Dinge mächtig, ist, das kann sich doch nur zeigen an dem Geschehen, dessen dieser Gott der Behauptung zufolge mächtig sein soll. Es kann sich endgültig nur an der Gesamtheit alles Geschehens zeigen, sofern wir mit dem Worte «Gott» diejenige Macht denken, die alles Seienden mächtig ist. Dies ist der Grund, weshalb ich nicht irgendwelche andern von der Überlieferung behaupteten Formen göttlicher Selbstbekundung, sondern gerade diesen Gedanken des Selbsterweises Gottes durch sein Handeln mit dem modernen Offenbarungsproblem in Verbindung gebracht habe. Andere Formen der Selbstbekundung vermögen nicht, außer den damaligen unmittelbaren Empfängern solcher Erfahrungen auch uns Heutige von der Gottheit des damals Erschienenen zu überzeugen. In diese Richtung bewegten sich auch die Gedanken der biblischen Schriftsteller, wenn sie alle Selbstbekundungen Gottes durch Erscheinungen und sogar die Mitteilung seines Namens als etwas nur Vorläufiges betrachteten gegenüber der Weise, wie der so erschienene und nennbar gewordene Gott künftig seine Gottheit «zu erkennen geben» wird. 10 Insofern geht die religionsphilosophisohe und theologische 10
Siehe dazu meinen Einleitungsartikel S. 160 ff., sowie Robinson, S. 63 ff., und zu Ex. 3 bes. S.73 f. und 80 f. R. Rendtorff (Offenbarung als Geschichte, S.25) stellt fest, daß die Vorstellung eines Sichzeigens Gottes in späterer Zeit als unangemessen empfunden wurde. Das entspricht dem (direkten) «Erscheinen)) Gottes, von dem hier im Text gesprochen wurde. An dessen Stelle tritt für die Priesterschrift seit Mose, daß J ahwe sich «als er selbstl) zu erkennen gibt, wie Rendtorff sagt (ib.). Das geschieht aber nicht durch den isolierten Akt der Mitteilung seines Namens, sondern durch künftige Führungen des von jetzt an namentlich bekannten Gottes - Führungen, die mit der formelhaften Begründung «damit ihr erkennt, daß ich Jahwe bin)) (Ex. 6, 7) angekündigt werden. Mit der bloßen Kundgabe des Namens «Jahwe)) ist noch nicht offenbart, was dieser Name umschließt. Das sagt P in Ex. 3, indem auf künftige Ereignisse
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Fragestellung nicht einfach am Selbstverständnis der biblischen Texte vorbei, wenn sie von ihren modernen Voraussetzungen her in der Geschichte, auf die diese Texte verweisen, die Antwort auf unsere modeme Offenbarungsfrage sucht. Hiermit hängt der Streitpunkt zusammen, ob in den biblischen Texten der Gedanke einer Selbstoffenbarung Gottes im Sinne einer direkten oder nur einer indirekten Selbstbekundung zu finden ist. Kendrick Grobel hat sich - ähnlich wie manche meiner deutschen Kritiker 11 - um
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verwiesen wird, aus denen Israel erkennen soll, was der Name Jahwes konkret für dieses Volk bedeutet. - J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 1964, S. 102 f. und 104 hat der Exegese Rendtorffs darin zugestimmt, daß die Namensmitteilung nicht personalistisch isoliert werden darf, sondern mit der Verheißung künftiger Selbsterweise J ahwes durch sein Handeln zusammenzunehmen ist. «Das Erkennen ,Ich bin Jahwe', und das Erkennen seiner Herrlichkeit, die geschieht, sind ein und dasselbe» (104). Moltmann hat allerdings diese behauptete Einheit nicht durch einen einheitlichen Offenbarungsbegriff auszusagen vermocht, sondern ist bei einem Sowohl-aIs-auch (S.103) stehen geblieben. Zu seiner Kritik an Rendtorffs (und meiner) Auffassung der Geschichtsoffenbarung siehe unten S. 293 ff. So jüngst auch F. Hesse, Wolfhart Pannenberg und das Alte Testament, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie 7, 1965, S.174-199, bes. 186 f. Hesse gesteht zu, daß der «Selbsterweis» Jahwes (den er von «Selbsterschließung» terminologisch unterscheiden möchte: S.195) sich in der Regel (ein einem Geschehen vollzieht» (S. 198) - also jedenfalls indirekt im Sinne meines Sprachgebrauchs. Er nennt aber daneben auch die «Selbsterschließung», durch die Jahwe «sein Wesen und seine Absichten mit dem ihm zugeordneten Volk» enthüllt (S.195) «Offenbarung». Nun bestreite ich nicht, daß Israel immer schon von Ereignissen herkam, in denen es Selbstbekundungen J ahwes erfahren hatte - sei es das «Erscheinen» der Vätergötter, die nachträglich als Erscheinungsformen J ahwes verstanden wurden, sei es die Kundgabe des Namens oder des Willens Jahwes. Allerdings würde ich darin nicht ohne weiteres schon eine Enthüllung des «Wesens» Jahwes erblicken können. Wesens enthüllung schließt nämlich Endgültigkeit in sich, und wenn man eine solche für ein im Alten Testament bezeugtes Ereignis göttlicher Selbstbekundung in Anspruch 299
den Nachweis bemüht, daß die biblischen Schriften nicht nur indirekte, sondern auch direkte Selbstoffenbarung Gottes kennen. Nun ist unbestritten, daß namentlich das Alte Testament von allerlei direkten Selbstbekundungen Gottes zu berichten weiß. Fraglich ist nur, ob solche Selbstbekundungen wie das «Erscheinen» Jahwes oder die Mitteilung seines Namens bereits den strengen Charakter von Selbstoffenbarung haben, im Sinne der wenigstens virtuell allgemeingültigen Bekundung der Gottheit Gottes als Macht über alles. Auf letzteres zielt aber die Ankündigung des Selbsterweises J ahwes durch seine Taten. Wie Selbstoffenbarung und Indirektheit zusammengehören, hat Grobel - anscheinend ohne das zu beabsiohtigen - ausgenimmt, so wird es unmöglich, den Gott Jesu noch als identisch mit dem Gott Israels zu verstehen, zumindest in einer christlichen Theologie, die nicht schon dem Alten Testament, sondern erst der Botschaft Jesu von Gott Endgültigkeit zuerkennt. Ferner geht aus jenen im Alten Testament bezeugten Selbstbekundungen zumindest für uns als Nichtisraeliten die Gottheit Jahwes noch nicht überzeugend hervor. Viele Religionen wissen ja von Göttererscheinungen und von der Mitteilung des göttlichen Namens zu berichten - wie will man von daher entscheiden, daß gerade der Gott Israels der wahre Gott ist? Den Begriff der Offenbarung beschränke ich daher auf den Selbsterweis Jahwes durch seine Taten, die vor Israel und - nach israelitischer Erwartung - auch vor den Völkern seine Gottheit erweisen sollten. Daß Hesse im Alten Testament direkte Selbstoffenbarung J ahwes findet, hängt damit zusammen, daß er den Offenbarungsbericht in einem weiteren Sinne gebraucht. Das zeigt sich auch daran, daß er die Einzigkeit der Offenbarung nicht durch ihren strengen Sinn als Selbstoffenbarung gegeben sieht und von einer Mehrzahl von Offenbarungen sprechen kann (S.185), statt von vorläufigen Antizipationen der einen, noch ausstehenden Offenbarung. Bei solcher Verschiedenheit des Offenbarungsbegriffs ist es nicht verwunderlich, daß Hesse zu andem Ergebnissen gelangt als ich. Nur sollte er das nicht mir zur Last legen! Wie weitgehend er in der Sache meine Auffassung bestätigt, geht daraus hervor, daß er sogar die von ihm vehement bestrittene These, Gott werde erst am Ende der Geschichte offenbar (S.196, vgl. 192 f.), für den (cSelbsterweis» 300
zeichnet formuliert bei seiner Diskussion des Begriffs der Selbstenthüllung (S. 208 ff.). Er will zeigen, daß eine Person selten schlechthin «sich selbst» offenbart, sondern gewöhnlich ihre «Freundlichkeit oder Grausamkeit, Wohlwollen oder Haß, Lauterkeit oder Betrug, Tiefe oder Oberflächlichkeit» (209). Alle diese Ausdrücke beziehen sich auf das Tun der Person: «ihr Tun offenbart den Täter» (ebd.), obwohl Tat und Täter nicht einfach identisch sind. In diesem Sinne offenbart Gott seinen Willen, sein Leben, seinen Sohn (211) und in alledem sich selbst. Das ist eine ausgezeichnete Beschreibung der Indirektheit der Selbstoffenbarung Gottes durch seine Taten, deren exklusive Geltung Grobel zuvor (S. 204 ff.) bestritten hatte. Grobel sagt sogar ausdrücklich: ausdrücklich zugesteht: Das «Offenbarwerden der Doxa Gottes)) stehe «vielfach (sie!) noch aus»; das AT gehe «auf das Offenbarwerden seiner Doxa zU!) (S. 196). Allein hier, beim «Selbsterweis», wird aber im Alten Testament thematisch, was ich Offenbarung nenne. Ein tiefer Gegensatz in der Sache ergibt sich bei Hesses Ansicht, daß auch der Selbsterweis J ahwes «immer des deutenden Wortes» bedürfe (S. 198). Die Kategorie der Deutung setzt jene abstrakte Trennung zwischen Geschehen und sprachlich artikuliertem Verstehen schon voraus, die Hesse doch wohl gerade ausschließen möchte, wenn er (mit Recht) betont, daß die Auffassung eines Geschehens als Machttat Jahwes immer schon etwas voraussetzt, «was wir im weitesten Sinne mit ,Wort' umschreiben dürfen»: Vorausgesetzt ist dabei nämlich, daß «Geschehen nicht nur Geschehen ist, auch nicht eine Machttat irgendwelcher beliebiger Gottheiten, sondern daß Jahwe, sein Gott, in solchen Geschehnissen für sein Volk am Werke ist» (S. 172). Der hier ausgedrückten Intention, der ich zustimme, ist die Kategorie «Deutung» nicht förderlich; denn diese impliziert als ihr Korrelat genau dasjenige Wirklichkeitsverständnis, das Hesse abwehren möchte, daß nämlich - abgesehen von hinzutretenden Deutungen - «Geschehen nur Geschehen» wäre. Wie andere meiner Kritiker scheint auch Hesse nicht zu sehen, daß meine (oder auch Rendtorffs) Skepsis gegen den Ruf nach dem deutenden Wort nicht einer Vorliebe für einen positivistischen Tatsachenbegriff entspringt, sondern ganz im Gegenteil der Einsicht, daß der Begriff der «Deutung» nur die korrelative Ergänzung einer positivistischen Auffassung vom «Faktischen)) darzustellen pflegt. 301
«Offenbarung des Selbst geschieht, wenn man in der zwi~ . schenpersonalen Analogie bleiben will, wahrscheinlich immer (sic!) durch etwas, das nicht direkt (sic!) mit dem Selbst identifizierbar ist)) (211). Eben das behauptet meine These einer Indirektheit der Selbstoffenbarung Gottes. Grobel weist sogar auf die Begründung dieses Sachverhalts in der eigentümlichen Natur des «Selbst» hin - auf anderes bezogen und eben darin bei sich selbst zu sein: «Müssen wir nicht sagen, daß eine Person nur sich selbst offenbaren kann, indem sie etwas anderes als sich selbst offenbart, etwas über sich selbst, etwas, das ihr zukommt, das von ihr ausgeht, aber nicht mit ihr identisch ist?)) (S. 209). In der Tat, so ist es, und darum kann Selbstoffenbarung einer Person (aber wer sonst als eine Person könnte sich selbst offenbaren?) nur indirekte Offenbarung sein. 12 Wo das Erscheinen oder eine Selbstvorstellung der Gottheit als ihre Selbstoffenbarung ausgegeben werden, da ist die Gottheit in ihrem Erscheinen also noch gar nicht als ein Selbst verstanden, das von seinem Erscheinen verschieden ist! Nur unpersönliche Dinge mögen unmittelbar mit der Handgreiflichkeit ihres Erscheinens identisch sein - und vielleicht noch nicht einmal sie, sofern sie nämlich ein «Wesen)) haben, das von ihrem bloßen Vorhandensein zu unterscheiden bleibt. Eine Person, ein Selbst, kann nicht direkt, sondern stets nur indirekt identisch sein mit der leiblichen Erscheinung, der Daseinssphäre und mit den Verhaltensweisen, in denen die Person sich äußert. 12
Daher enthält auch alle Bekundung des Willens Gottes - verstanden als Ausdruck seines Wesens, seines Selbst - immer schon ein Moment von Indirektheit. Das ist auf ]. Cobbs Erwägungen (S. 268 ff.) zu erwidern: Weder eine Aussage darüber, was Gott will, noch auch das Urteil, daß ein bestimmter Lauf der Ereignisse Gottes Wille sei, kann - wie immer solches Reden zu begründen sein mag - eine direkte Selbstbekundung Gottes bezeichnen; denn Wille bezieht sich immer schon auf ein vom Wollenden verschiedenes Ziel und hat insofern die oben beschriebene Struktur der indirekten Kundgabe, die alles personale Verhalten charakterisiert.
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Wenn Grobel trotz seiner Einsicht, daß Offenbarung eines Selbst nur möglich ist durch etwas, das «nicht direkt mit dem Selbst identifizierbar ist», darauf besteht, auch von direkter Offenbarung zu sprechen (S. 204 ff.), so redet er schon nicht mehr von Offenbarung im gleichen Sinne (als Selbsterschließung), sondern von der Notwendigkeit einer göttlichen Erleuchtung - wie ich sagen würde - die den Menschen den «Willen» (S.206) verleiht, in bestimmten historischen Ereignissen Taten Gottes zu erkennen (S.206). Derartige Inspiration soll keineswegs bestritten werden. Man braucht dabei aber nicht sogleich an etwas übernatürliches, an ein Mirakel des seelischen Lebens, zu denken. Vielmehr ist das Phänomen der Inspiration im weiteren Zusammenhang der Phantasie und ihrer Wirksamkeit in allem menschlichen Denken und Erkennen zu verstehen. Oft öffnen uns erst Eingebungen, die wir als Einfälle der Phantasie zu bezeichnen pflegen, den Blick für die Wirklichkeit. Aber auch wenn sich Gründe dafür anführen ließen, daß das geistige Leben des Individuums gerade an dieser Stelle in jene «Dimension» eingelassen ist, auf die sich die Gottesfrage bezieht 13, so wären solche Eingebungen doch nicht deshalb schon Offenbarung (oder gar Offenbarungen) Gottes im Sinne von Selbstoffenbarung, und zwar auch dann nicht, wenn sie ein historisches Geschehen als Tat Gottes sehen lassen: Es bleibt ja immer zu fragen, ob die Eingebungen, die einer hat, nicht täuschen. Das läßt sich nur von der Sache her, auf die sie sich beziehen, im konkreten Fall entscheiden. Ein einzelnes Ereignis aber kann für sich allein - auch wenn es als «Tat Gottes» gesehen wird - die Macht über alles Wirkliche nicht offenbaren. Vielmehr ist es umgekehrt erst dann gerechtfertigt, von einem einzelnen Ereignis als «Tat Gottes» zu sprechen, wenn die Macht über alles schon anderweitig als identisch mit Gott bekannt ist. Also nur dann, wenn Gottes Gottheit anderweitig schon als Wirklichkeit erwiesen, offenbar ist, 13
Siehe auch: «Was ist der Mensch?)), 1962, S. 21 f. 303
läßt sich darüber diskutieren, ob eine Eingebung, die jemanden ein bestimmtes Geschehen als Handeln Gottes verstehen läßt, mehr ist als eine religiöse Sinnestäuschung. So sehr alles Erkennen aus Einfällen, aus Inspirationen im weitesten Sinne, lebt: Die Inspiration kann doch nicht begründen, weshalb und mit welchem Recht ein Geschehen als Tat Gottes oder gar als Offenbarung Gottes zu verstehen sein soll. Das würde wiederum zu einem autoritären Offenbarungsanspruch führen. Inspiration ist nur dann wahrhaft erleuchtend, wenn in ihrem Licht der wahre Sinn einer Sache an dieser selbst sich zeigt, im Gegensatz zu sogenannten Deutungen, die der gedeuteten Sache nur äußerlich aufgehängt werden. In theologischer Formelsprache, bezogen auf die zentrale ((Sache)) christlicher Theologie, heißt das: Der Geist kommt durch den Sohn, und insofern auch durch das Wort, nämlich durch die Sache, auf die das Wort verweist, indem es von Jesus und seinem Geschick redet 14; darin muß sich zeigen, ob allerlei Geister und Eingebungen vom Heiligen Geist berührt sind, der die Selbstevidenz der Geschichte Jesu zum Leuchten kommen läßt. Darum kann ich GrobeIs Formulierung nicht zustimmen, daß die Erfahrung der Fakten (!flicht aus dem Faktum selbst (kam), sondern... an es herangetragen (wurde)) (S. 206). Diese Formulierung läßt den springenden Punkt unberührt, daß nämlich die wahre Erkenntnis einer Sache nicht äußerlich zu ihr hinzutritt, sondern ihr eigenstes Wesen nennt 15, und zwar so, daß es an der Sache
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In der Betonung der Sachbezogenheit des Wortes berühre ich mich mit den Ausführungen von A. Wilder in: Die neue Hermeneutik (Neuland in der Theologie, Band 2, 1965, S. 253 ff., bes. 267 ff.) über «Das Wort als Anrede und das Wort als Bedeutung». Zu verstehen, wie es möglich ist, daß menschliche Worte obwohl sie spontan und frei gebildet werden - das Wesen der Sachen nennen, mit denen wir umgehen, das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Ich werde in meiner «Theologie der Vernunft» ausführlich darauf eingehen.
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selbst aufweisbar wird: wie sollte es sonst ihr eigenes We~ sen sein? Ähnlich wie GrobeI, der bei mir den Gedanken einer direkten Offenbarung Gottes an das Individuum im Sinne etwa des testimonium Spiritus Sancti internum vermißt, meint lohn Cobb, ich lenke «die Aufmerksamkeit ab von der Frage des unmittelbaren Verhaltens der Gottheit gegen~ über Individuen)) (S. 267). Es liegt mir fern, die Unmittelbarkeit kontingenten göttlichen Wirkens an den Individuen zu bestreiten. Wo dieses Wirken Inhalt des Bewußtseins wird, kommt es gewiß auch zur Unmittelbarkeit individueller Gotteserfahrung. Allerdings füge ich sofort hinzu, daß solche unmittelbare Erfahrung - wie alles Bewußtsein - ihrerseits vermittelt ist durch die bis dahin verlaufene Lebensgeschichte der Individuen mit ihrer Umwelt, sowie durch ihr Verhältnis zur Zukunft, auf die sich ihre Ängste und Hoffnungen richten. Vor allem aber kann ich solcher unmittelbaren Selbstbekundung Gottes, geschehe sie auch in der Form prophetischer Inspiration, keinen selbständigen Offenbarungssinn zuschreiben; denn zumindest für unser heutiges, kritisches Denken muß es auch dem, der selbst derartige unmittelbare Erfahrungen macht, fraglich bleiben, ob das, was er hier erfahren hat, wirklich Gott ist - oder ob das Wort «Gott)) hier nicht nur eine konventionelle oder auch aus eigenem Bedürfnis reproduzierte Chiffre für etwas ist, dessen eigentliche Wirklichkeit ganz anders zu beschreiben wäre, etwa im Sinne Feuerbachs oder Freuds. Die unmittelbare religiöse Erfahrung tür sich allein kann keine Gewißheit der Wahrheit ihres Inhalts begründen. Darin befindet sich die religiöse Erfahrung in einer ganz anderen Lage als etwa die Sinneserfahrungen. Nur im Blick auf das Ganze der Wirklichkeit - nicht von irgendwelchen besonderen Erlebnissen her - läßt sich, wenn überhaupt, begründet von Gott als der Macht über alles sprechen. Von daher würde dann freilich auch jene un~ mittelbaren Erfahrungen unter Umständen als wahr bestätigt werden. Und jedenfalls gehören sie mit zu jenem 305
Ganzen der Wirklichkeit, das auf dem Spiel steht, sobaM wir von «Goth reden. Das gilt auch für die Worte der Propheten und für deren besondere, mit dem Wortempfang verbundenen Erfahrungen. Sie sind an der Gottes Gottheit offenbarenden Geschichte beteiligt. Aber sie haben nicht für sich, sondern allenfalls als Antizipation des Ganzen der Wirklichkeit in der prophetischen Ankündigung von endgültigem Gericht oder Heil Offenbarungscharakter. Ich stimme also darin mit Cobb überein, daß prophetisches Wort und prophetisohe Inspiration sehr wohl Momente, und zwar sehr bedeutende Momente im Ganzen der Geschichte sind, an deren Totalität die Gottheit Gottes als die Macht über alles offenbar werden wird. Insoweit prophetisches Wort dieses Ganze antizipiert, indem es Endgültiges ansagt, insoweit ist es sogar proleptische Offenbarung. Aber es ist Offenbarung Gottes nicht als vereinzelte, übernatürliche Eingebung, sondern nur durch seinen Bezug zum Ganzen alles Gesohehens, weil die Gottheit Gottes sich an seiner Macht über alles Geschehen entscheidet. Mit dieser unerläßlichen Beziehung auf die Totalität alles Geschehens hängt meine von Grobel beanstandete Unterscheidung zwischen teilweiser und vollständiger Offenbarung zusammen: Wenn der Gott Israels als Macht über alles und also in seiner Gottheit nur an der Totalität alles Geschehens offenbar sein kann, wenn aber andererseits der Lauf der Geschichte noch nicht vollendet, das Geschehen noch nicht in seine Totalität versammelt ist, dann ist die Gottheit des Gottes Israels - vorausgesetzt sie wird einmal, am Ende aller Dinge, für jedermann offenkundig sein - streng genommen jetzt noch nicht offenbar, sondern noch verborgen. Einzelne Geschehnisse können jedoch das Ganze alles Geschehens antizipieren, in verschiedenen Weisen der Vorausdarstellung oder der Ankündigung, die auoh eine Vorausdarstellung ist. Insofern sind antizipierende Offenbarungen (besser: Antizipationen der einen Offenbarung) der Macht über alles denkbar. Da diese Antizipationen nur mehr oder weniger deutlich auf 306
das Ganze alles Geschehens vorausweisen und überdies untereinander verschieden sind, aber auch ihrerseits Momente am Ganzen alles Geschehens bilden, in welchem Gott als die Macht über alles offenbar sein wird, darum habe ich von solcher vorläufigen, antizipierenden Offenbarung auch als «teilweiser)) Offenbarung gesprochen. Sie läßt die Gottheit Gottes nur unter einem jeweils endlichen Aspekt zur Erscheinung kommen. Weil Offenbarung im Vollsinn es mit dem Ganzen alles Geschehens zu tun hat, darum drängt sich für die vorläufigen Antizipationen dieser Offenbarung der Begriff des Teils auf, angesichts ihrer Mehrzahl und ihrer jeweiligen, nach Ergänzung durch andere Teilaspekte rufenden Einseitigkeiten. Obwohl die Vorstellung von «Teilen)) die falsche Assoziation einer meohanischen Zusammengesetztheit des Ganzen aus solchen Teilen nahelegt und der Bewegtheit der Offenbarungsgeschichte nicht adaequat ist, sollte der Ausdruck doch nicht seines quantitativen Charakters wegen verworfen werden, wie Grobel es tut. Quantität und Qualität sind nur in der Abstraktion so weit aus.einanderzureißen, wie es der Sprachgebrauch mancher Theologen in der Nachfolge Kierkegaards vorspiegelt. Von den vorläufigen und teilweisen Offenbarungsantizipationen ist zu unterscheiden die endgültige (obwohl immer noch antizipatorisohe) Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Der Unterschied liegt nicht nur in der Weise, wie hier ein besonderes (Auftreten und Geschick Jesu umfassendes) Geschehen das Ende alles Geschehens und seine Vollendung antizipiert. So habe ich den Unterschied früher beschrieben. Darüberhinaus erblicke ich jetzt die Besonderheit der Gesohichte Jesu, die ihre Endgültigkeit als Offenbarung Gottes begründet, darin, daß sie selbst das alles übrige Geschehen zum Ganzen einende, versöhnende Geschehen iSt. 16 16
Das wird genauer dargelegt im Schluß teil meiner «Grundzüge der Christologie)) im Zusammenhang mit dem Thema «Herrschaft Christi)) (2. AufI. 1966, S.379--430). 307
II. Das Thema «Geschichte)) wird für die Frage nach der Wirklichkeit Gottes, auf die sich das moderne Offenbarungsproblem bezieht, relevant, insofern Geschichte die Wirklichkeit im ganzen charakterisiert: In diesem Fall nämlich ist Gott dann wahrhaft Gott, d. h. die Macht über alle Dinge, wenn er sich als den Herrn der Geschichte erweist. Und da ein «Gott)), der nicht aller Dinge mächtig wäre, nicht wahrhaft Gott wäre, so muß die Theologie wenn anders es ihre Aufgabe ist, das Reden von Gott im Denken zu verantworten - den Gott Israels und J esu zu denken suchen als den, der aller Dinge mächtig ist, also in bezug auf das Ganze aller Wirklichkeit. Nur in bezug auf das Ganze der Wirklichkeit kann Gottes Gottheit gedacht werden. Und nur wenn alles, was ist, von Gott her oder auf ihn hin gedacht ist, wenn also der Gott Israels und Jesu von Nazareth als der Schöpfer der Welt gedacht ist, und zwar konkret im Hinblick auf all das, was unsere Welt für heutiges Wissen ausmacht, nur und erst dann kann die Theologie behaupten, den Gedanken «Gottn gedacht zu haben. Auch dann wird sie diesen Gedanken niemals zuende gedacht haben,17 Wenn nun alle Wirklich-
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Dies bestreitet Buss oben S. 174 f., indem er die Unabwendbarkeit unserer makroskopischen Zeit- und Raumvorstellungen auf mikrophysikalische Vorgänge betont und die Frage eines endlichen Anfangs des uns bekannten Kosmos unter Berufung auf B. Russell für abhängig von beliebig vertauschbaren Systemen der Messung erklärt. Ich kann jedoch nicht finden, daß die Deutung der Rotverschiebung im Spektrum auf einen endlichen Anfang der Ausdehnung des uns bekannten astronomischen Kosmos lediglich beliebig sei, und vor allem entbehrt das Argument von Buss, der Entropiesatz sei wegen seines statistischen Charakters nicht streng anwendbar, der überzeugungskraft. Ich nehme mit C. F. v. Weizsäcker, Die Geschichte der Natur, 2. Auf!. 1954, sowohl die Deutung der Rotverschiebung (Hubbeleffekt) auf einen endlichen Anfang unseres Kosmos als auch die durchgängige Geltung des Entropiesatzes an. Da-
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keit, nicht nur im Lebenskreis der Menschheit, durch Geschichtlichkeit charakterisiert ist, dann kann die Gottheit Gottes nur in bezug auf das Ganze der als Geschichte verstandenen Wirklichkeit und in diesem Sinne in bezug auf die Universalgeschichte gedacht werden - unbeschadet der Tatsache, daß das Ganze aller Geschichte nicht abgeschlossen vorliegt, sondern noch ungeschlossen ist auf eine offene Zulrunft hin. Und nur wenn das Ganze aller Wirklichkeit Geschichte ist, kann sinnvoll von einer Offenbarung der Gottheit Gottes als einem besonderen Ereignis in bezug auf dieses Ganze die Rede sein. Wäre nämlich die Wirkliohkeit insgesamt Kosmos, zeitlose Ordnung, dann müßte die Gottheit Gottes (wenn sie nicht eine Fiktion ist) immer schon in ihr offenbar sein - wie es ja auch die Grundüberzeugung antiker griechischer Frömmigkeit gewesen ist. Nun klingt in vielen Ohren jede Rede vom «Ganzen» der Wirklichkeit dubios, ja vermessen angesichts der Endlichkeit menschlichen Wissens. Und zweifellos vermag niemand, das Ganze alles Wirklichen zu wissen, zu überschauen. Das liegt nicht nur an der Endlichkeit menschlichen Wissens, sondern auch an der Geschichtlichkeit der Wirklichkeit: So lange die Zukunft noch Neues bringt, so lange ist die Wirklichkeit auch in ihrem Sein nicht zum Ganzen vollendet. Dennoch ist es unumgänglich, die Totalität alles Wirklichen zu denken und jeder tut das, wenn auch zumeist in unreflektierter Weise. Der Vorgriff auf das «Ganze» läßt sich deshalb nicht vermeiden, weil das einzelne für sich nicht etwa leichter zugänglich ist als das Ganze. Jedes einzelne hat seine Bedeutung nur in bezug mit ist die Unumkehrbarkeit der Zeitfolge und insofern auch die «Geschichtlichkeit» der Zeit für alle phYSikalischen Vorgänge gegeben. Vielleicht wird die Unumkehrbarkeit der Zeit aus der für alles physikalische Geschehen kennzeichnenden Kontingenz verständlich, weil jedes kontingente Ereignis eindeutig ein Vorher und Nachher definiert, sofern es als kontingentes etwas allem Bisherigen gegenüber Neues mit sich bringt. 309
auf das Ganze, zu dem es gehört. Daher können wir sowohl vom einzelnen als auch vom Ganzen immer nur vorläufige und steter Revision bedürftige Erkenntnis erlangen. Weil alles einzelne nur im Zusammenhang eines größeren Ganzen Bedeutung hat, darum ist die Universalgeschichte im Sinne des Bedeutungsganzen aller Geschichte ein unerläßliches Thema historischer Arbeit. Buss bezweifelt (S. 173), daß Historiker diesen Sinn von Universalität mit dem Begriff der Universalgeschichte verbunden haben. Dazu ist zu sagen, daß z. B. Dilthey in seinem Bemühen, die Grundsätze des Historismus zusammenzufassen, das Verhältnis von Teil und Ganzem als konstitutiv für die im historischen Denken fundamentale Kategorie der Bedeutung erkannte und darum «Universalgeschichte» oder Weltgeschichte als die höohste Aufgabe der Geschichtsschreibung verstand. 18 Ähnlich hat Ernst Troeltsch gedacht,19 Kürzlich hat Wolfgang Mommsen «Universalgeschichte im engeren Sinne» definiert als «Versuch einer 18
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Siehe W. Dilthey, Ges. Schriften VII, S. 233: «Die Kategorie der Bedeutung bezeichnet das Verhältnis von Teilen des Lebens zum Ganzen, das im Wesen des Lebens begründet istn. Ähnlich ibo S. 238 f. H. G. Gadamer sieht darin die Anwendung eines aus der hermeneutischen Tradition in den Historismus übergegangenen Grundsatzes, der z. B. auch in Schleiermachers Hermeneutik nachweisbar ist (<<Wahrheit und Methode)), 1960, S. 178 f., 186). Bei dieser Betrachtungsweise kann es für Dilthey, dem Urteil Gadamers zufolge, «im Grunde keine andere Geschichte als Universalgeschichte geben ... , weil sich nur vom Ganzen her das Einzelne in seiner Einzelbedeutung bestimmtn (Gadamer, S. 187). Vgl. dazu Dilthey VII, S. 257 f. und 233, sowie auch J. G. Droysen, Historik (Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte), hrsg. von R. Hübner, 1937, 3. Aufl. 1958, S. 306 f. und ders., Grundriß der Historik, § 74 (ebd. S.354). Troeltschs Hauptbegriff der Entwicklung ist, besonders in seinen früheren Arbeiten, stets auf den Gedanken der durchgängigen Einheit aller Geschichte bezogen (vgl. E. Lessing, Die Geschichtsphilosophie Ernst Troeltschs, 1965, S. 27 ff. und 139). In seiner Schrift über «Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte)), 1902, spricht Troeltsch davon, daß die
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Gesamtschau des ganzen Geschichtsprozesses seit den Anfängen menschlicher Kultur».20 Er spricht weiter von «der praktischen Unmöglichkeit, die Totalität der geschichtlichen Welt wirklich zu erfassen und der theoretischen Schwierigkeit, einen universalen Standort zu finden, der die Fülle der Tatsaohen in eine Geschichte der ganzen Menschheit umZ'Uschmelzen ehrlicherweise erlaubt» (S. 331). Daher müsse jeder «Versuch konkreter Realisierung einer Universalgeschichte ... heute, mehr denn je, Stückwerk bleiben». Aber als «Leitidee» sei das «Prinzip der Universalgeschichte heute aktueller als jemals zuvor» (ebd.). Und selbst der Göttinger Historiker Reinhard Wittram, der es in Auseinandersetzung mit mir für unmöglich erklärt, daß «die ,ganze Geschichte' ... von der Forschung nachgezeichnet werden könnte» 21, hält dennoch die Einheit der Geschichte (als Weltgeschichte, Menschheitsgeschichte) für die «Voraussetzung», ohne die wir «kaum mehr historisch zu denken» vermögen (S.39). Er gesteht sogar zu: «Vielleicht
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21
modeme Historie alle Erscheinungen
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haben wir es uns etwas zu leicht gemacht, indem wir den Zusammenhang der Weltgeschichte aus dem Bewußtsein verloren und säkularisierten Entwürfen überließen)) (S. 40). Heute herrscht weitgehend Übereinstimmung darüber, daß das spezifisch universalgeschichtliohe Bewußtsein seinen Ursprung in der jüdischen und christlichen Geschichtstheologie hat. So stellt Mommsen fest, die universalgeschichtliche Absicht eines Thukydides oder Herodot habe «in der Darstellung des konkreten Geschehens als eines Exemplarischen)) gelegen, nicht aber darin, das Ganze des «Geschichtsprozesses in seiner räumlichen und zeitlichen Totalität zu erfassen und zu deuten)). Erst das Christentum habe «die Deutung der Weltgeschichte als eines dynamischen Prozesses von einmaligem und unwiederholbarem Charakte!l) gebracht. 22 Man wird ergänzend dazu auf die israelitischen Wurzeln dieses Verständnisses der Welt als eines einmaligen und unwiederholbaren Prozesses hinweisen müssen. Israelitisches Denken unterscheidet sich dadurch charakteristisch vom andersartigen Geschichtsverständnis nicht nur der Griechen, sondern auch vom Geist altorientalischer Geschichtsschreibung. Unter diesen Umständen wirkt es seltsam, daß Buss Israel und nooh entschiedener den Ohristen eine negative Haltung der Geschichte gegenüber zuschreibt (passim, besonders S. 186 f. und 193). Nur teilweise wird dieses Urteil dadurch verständlich, daß Buss «Geschichte)) von vornherein ganz säkular versteht, mehr in Anlehnung an die humanistische Historiographie der griechischen Antike als an das biblische Geschichtsdenkens . (S. 172). Letzteres mit seinem Interesse an
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zeugung, daß «Gott die Geschichte machtn, jede «Totaldeutung entbehrlich macht)) (455). Die Frage bleibt nur, wie man denn zu der Überzeugung, daß Gott die Geschichte macht, gelangt und ob darin nicht bereits eine solche «Totaldeutung)) impliziert ist. W. Mommsen, a. a. 0., S.324. Vgl. dazu besonders K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1953, vor allem seine Äußerungen S. 25 f. und 14 ff. zur altgriechischen Historiographie.
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«Anfang» und «Ende» klassifiziert er als mythisch (S.176). Damit trägt er jedoch in das alttestamentliche Geschichtsdenken einen Dualismus hinein, der dem Alten Testament ganz fremd ist, trotz seines Wissens um den frevelhaften Gegensatz der Menschen gegen Gott. Wenn Buss meint, das Alte Testament verknüpfe das, was er Mythos nennt, nur deshalb mit historischem Geschehen, «weil Gott als jemand beschrieben wird, der gegen den Menschen kämpfh (S. 182), so übersieht er die Begründung israelitischer Geschichtsschreibung durch Erwählungs- und Bundesgedanken, sowie durch konkrete Verheißungen ]ahwes. Selbst der Apokalyptik läßt sich ein dualistisches Verhältnis zur Welt mit ihrer «abwärts verlaufenden» Geschichte nur dann zuschreiben, wenn man sie vom iranischen Dualismus und nicht vom alttestamentlichen Geschichtsdenken her versteht. Der dualistische Gegensatz, den Buss zwischen Gott und Welt, zwischen Gott und Menschheitsgeschichte konstatiert, erinnert mit seinem Widerspruch zum christlichen Glauben an Schöpfung und Versöhnung der Welt - unserer Welt im Ablauf ihrer historischen Zeit - bedenklich an Manichäismus und marcionitische Gnosis. 23 23
Obwohl Buss schon im Alten Testament Gott gegen Mensch und Historie ankämpfen sieht, um eine «neue mythische Periode» durchzusetzen (S.183) - «Der Drachen des Chaos, der erschlagen worden ist, ist die menschliche Geschichte selbst.> blieb in seiner Sicht doch dem Christentum vorbehalten, im Zeichen des Kreuzes den Menschen gänzlich von sich selbst und von der Welt der Objekte zu entfremden und so noch entschiedener mit der Geschichte zu brechen (S.190). Wie UDhistorisch diese Betrachtungsweise ist, wird daran deutlich, daß Buss das Christentum in seiner negativen Haltung gegenüber der Geschichte dem Buddhismus an die Seite stellen kann und die Ähnlichkeit mit diesem höher veranschlagt als die mit dem Alten Testament (S.l92, vgl. S. 179). Daß letzteres dabei in Analogie zum Hinduismus rückt, steht in einem seltsamen Widerspruch zu der Tendenz von Buss, schon im Alten Testament eine negative Einschätzung von Mensch und Geschichte nachzuweisen. Für die Aufmerksamkeit für das tatsächliche Ge313
schehen in der israelitischen Historiographie möchte Buss den Einfluß der Weisheit verantwortlich machen (S. 188). Ein Einfluß weisheitlichen Denkens etwa auf den J ahwisten und schon auf die Erzählung von der Thronfolge auf dem Throne Davids wird nun in der Tat seit längerem angenommen. Aber nur wer mit Buss die Ankündigung zukünftiger Ereignisse durch die Propheten als für das Verständnis der Prophetie ganz unwesentlich beurteilen könnte (S.187, vgl. S.186), vermöchte zu bestreiten, daß das Verständnis tatsächlicher Ereignisse als Taten Gottes seine Grundlagen mindestens ebenso in der Prophetie wie in der Weisheit hat. Besondere Schwierigkeiten hat Buss in diesem Zusammenhang verständlicherweise mit der Erkenntnis formel (S. 189 f.), die auch er prophetischen und priesterlichen, aber jedenfalls nicht weisheitlichen Traditionen zuweisen muß. Seine Behauptung ihrer Entstehung erst in der Exilszeit (S. 189) bleibt nicht nur angesichts 1. Könige 20, sondern vor allem auch im Hinblick auf die jahwistischen Belege Ex. 7, 17; 8,18; 10,2, auch 8,6 und 9,14 ohne Überzeugungskraft. Die weitere Behauptung, daß hier eine Selbstvorstellungsformel priesterlicher Herkunft mit dem Begriff «erkennen)) verbunden worden sei, geht nicht nur über die von R. Rendtorff gegen Zimmerli begründete These von der Ursprünglichkeit der längeren gegenüber der der Kurzformel ohne Diskussion hinweg, sondern muß auch die Frage offen lassen, warum denn wohl die Propheten, bei denen die Erkenntnisformel sich findet, mit der angeblich ursprünglichen Selbstvorstellung - «ich bin Jahwe)) - den Begriff «erkennen)) verbunden und diese Erkenntnis von einem durch sie angekündigten Geschehen erwartet haben. Daß erst eine sekundäre weisheitliche Deutung hier eine Gotteserkenntnis aus Geschichtsereignissen eintrage, wie Buss nahezulegen scheint (S.190), wäre angesichts einer solchen in prophetischen Exilskreisen vollzogenen Verknüpfung von Selbstvorstellung, Erkennen Jahwes und zukünftigem Geschehen erst recht unglaubhaft. Welchen andern Sinn als eine Gotteserkenntnis aus Geschichtsereignissen sollte eine solche Verknüpfung wohl ursprünglich haben? So bleibt die exklusive Zurückführung positiver theologischer Inanspruchnahme historischer Ereignisse auf weisheitliche Überlieferungen Israels im Gegensatz zur Prophetie abwegig. Noch erstaunlicher aber wirkt es, daß Buss der Lehre Jesu alle weisheitlichen Züge absprechen will (S. 191) - als ob der große Einfluß weisheitlicher Motive in den Gleichnissen und auch im Spruchgut der ältesten Schichten der synoptischen Tradition nicht längst in der kritischen Forschung allgemeine Anerkennung gefunden hätte. 314
Der von Buss vertretene Dualismus von biblischem Mythos (auch Geschichtsmythos) und Historie erscheint mir als eine extreme Form der viel häufiger begegnenden Entgegensetzung von Heilsgeschichte und Profangeschichte. 24 24
Die Differenz zwischen Heils- und Profangeschichte wird heute am nachdrücklichsten von O. Cullmann betont (Heil als Geschichte, 1965, S. 58 ff., 133 ff.). Ein vollständiger Dualismus wird allerdings auch bei Cullmann dadurch ausgeschlossen, daß das Ziel der biblischen Heilsgeschichte, das «Heil der ganzen Menschheit)) von vornherein ein «inneres Band zwischen Heilsgeschichte und Geschichte)) begründet (S. 140). Die Heilsgeschichte bilde zwar nur «eine ganz schmale Linie)) von Gott dazu ausgewählter Ereignisse; sie ziele aber auf ein «Einmünden aller Geschichte in diese Linie)), auf ein «Aufgehen der Profangeschichte in die Heilsgeschichte)) (S. 146). Dieser Auffassung wird man zugestehen müssen, daß die von den biblischen Schriften als entscheidende Gottestaten berichteten Ereignisse überwiegend merkwürdig abseits von den Hauptstraßen der Weltgeschichte, von der Geschichte und Abfolge der großen Mächte geschahen, obwohl ihre Tragweite nach jüdischer wie christlicher Überzeugung sich auf die ganze Menschheit erstreckt. Bedenklich scheint mir jedoch die von Cullmann vollzogene prinzipielle Ausgrenzung dieser Ereignisreihe aus der übrigen Geschichte, die den Anschein erweckt, als ob diese Ereignisse nicht nur durch ihre historischen Besonderheiten, sondern noch in einem andern, metaphysischen Sinne qualitativ von andern Ereignissen verschieden wären. Mit der Auswahl solcher von der Hauptlinie des Geschehens abgelegener Ereignisse durch die biblischen Geschichtsdarstellungen (S. 58 f., 134 ff.), kann eine qualitative Verschiedenheit heilsgeschichtlicher von anderen Ereignissen noch nicht zureichend begründet werden. Deutlicher ist der Hinweis, daß diese Ereignisse - und nach Cullmann anscheinend nur diese - «als göttliche Offenbarung erlebtn und die Berichte über sie sowie deren Deutung ebenfalls auf göttliche Offenbarung zurückgeführt werden (S. 133). Die auf solche Weise begründete qualitative Sonderart heilsgeschichtlicher Ereignisse äußert sich besonders auffällig in Cullmanns These, daß zur Heilsgeschichte auch mythisches «Geschehen)) gehöre, das dem historischen «analog)) sei, aber «jeder historischen Kontrolle entzogen)) (S. 123) bleibe. Es fällt nicht ganz leicht, diesen Satz zu vereinen mit der einige Seiten vorher begegnenden Erklärung, daß die Mythen (ausschließlich?) «der Deutung des heilsgeschicht315
lichen Zusammenhangs der verschiedenen Heilsereignisse» dienen (S. 121). Wenn die Mythen nur Deutungskategorien liefern, wieso können sie dann die überzeugung von über das Historische - dessen Deutung sie vermitteln sollen - hinausgehenden, nichthistorischen Ereignissen (was immer das sein mag) begründen? Weitere Schwierigkeiten bietet Cullmanns Begriff der Deutung selbst - für mich besonders verwirrend, weil ich nach Cullmanns Urteil gerade der «Unterscheidung von Ereignis und geistesgewirkter Deutung ... nicht genügend Rechnung getragen» habe (S.40, vgl. 132). Cullmann hat einerseits betont, daß die Deutungen von Ereignissen
Hamilton hat mit Recht die Bedeutung hervorgehoben, die die Ablehnung jeder prinzipiellen Unterscheidung zwisohen heiliger und profaner Geschichte für mein Geschichtsverständnis hat (S. 225 f.). Er stimmt meinem damit zusammenhängenden Satz zu, daß der christliche Glaube sich in keine sturmfreie Zone flüchten kann, in der er immun wäre gegen historische Kritik. 25 In der Tat treffe ich mich hier mit Hamiltons Interesse daran, daß der christliche Glaube es mit der Wirklichkeit zu tun haben muß, in der der «säkulare» Mensch lebt - sonst wird die christliche Botsohaft für unsere Zeit irrelevant. Andererseits kritisiert Hamilton, daß ich diese säkulare Wirklichkeit nioht säkular bleiben lasse, sondern sie «theonom)) verstehe.26 Diese Feststellung ist in gewissem Sinne richtig, freilich nicht so, als ob ich die moderne Erfahrung der Wirklichkeit und insbesondere das modeme Geschichtsverständnis zurückverwandeln wollte in die Denkweise des Mittelalters (so Hamil-
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schehen. In meiner Sicht der Dinge muß jede Deutung eines Ereignisses aus dem Zusammenhang, in dem es erfahren wurde, oder von neuen, neue Deutungen auslösenden Ereignissen her gerechtfertigt werden. Dabei sind allerdings immer die Implikationen solcher Erfahrung als einer sprachlich artikulierten, die immer schon auf ein Ganzes von Wirklichkeit vorgegriffen hat (vgl. oben im Text S.161 ff.), zu berücksichtigen. Nur dadurch wird überhaupt ein Reden von bestimmten Ereignissen als göttlichen Taten möglich, und zwar in einem nicht supranaturalen, sondern phänomenalen Sinne, nämlich als verstehende Beschreibung der Weise, wie religiöse Sprache überhaupt (nicht erst die spezifisch christliche oder israelitische) zu derartigen Aussagen kommen kann. Die Besonderheit der israelitischen und christlichen Berufung auf Gottes Handeln in geschichtlichen Ereignissen und ihre «Wahrheib gegenüber analogen Behauptungen anderer Religionen werfen weitere Probleme auf, die nur im Kontext der vergleichenden Religionsgeschichte geklärt werden können, ebenso wie die Besonderheit und Wahrheit des israelitischen und christlichen Gottesglaubens überhaupt. Zur Frage der «Gewißheit» des Glaubens im Hinblick auf bestimmte Tatsachen siehe unten S. 347. Hamilton S.238. 317
ton S.238). Mittelalterliches Denken ging in den verschiedensten Lebensbereichen von Autoritäten aus, während der Mensch der Neuzeit selbst urteilen will. Mit der Distanzierung von jeder autoritären Denkweise, gerade auch in der 1Iheologie, bewege ich mich doch wohl auf dem Boden des neuzeitlichen Denkens. In der Kritik an der «Positivitätn des Autoritätsprinzips erblicke ich auch das Recht des sogenannten «Säkularismus».27 Aber die Orientierung an der jedermann zugänglichen Wirklichkeit, die Verpflichtung zu eigenem Urteil in intellektueller Redlichkeit bedeutet nicht notwendig - das hat schon die Besonnenheit eines John Locke gezeigt - den Verzicht auf jeden positiven Zusammenhang mit christlicher Tradition und auf ein «theonomes» Verständnis der Wirklichkeit. Für die Gegenwart sollte das Beispiel Paul Tillichs zum Beweis genügen, daß das Bemühen um ein «theonomes» Wirklichkeitsver27
Fr. Gogarten hat den ((SäkularismusJJ, der sich gegen die christliche Botschaft selbst wendet, unterschieden von der durch diese Botschaft ermöglichten und zum Teil auch herbeigeführten «Säkularisierung)) der Welt (Fr. Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit, Die Säkularisierung als theologisches Problem, 1953, 2. Aufl. 1958, bes. S. 134 ff.). In der Autoritätskritik der Aufklärung liegt darüberhinaus ein Motiv und ein Wahrheitsmoment auch des sog. Säkularismus in seiner scharfen Wendung gegen die christliche überlieferung. Die Emanzipation von der autoritären Gestalt vomeuzeitlicher christlicher überlieferungsformen braucht jedoch keineswegs den Bruch mit dem eigentlichen Gehalt christlicher überlieferung zur Folge zu haben. In diesem Sinne kann Säkularität geradezu die verstehende Aneignung der christlichen überlieferung durch eine mündig gewordene Gesellschaft bedeuten, im Gegensatz zu einer formal respektierten, sakralen Autorität, die der Gesellschaft der «Laien)) gegenüberstand und von Priestern und Theologen verwaltet wurde. Hamiltons Satz «Säkularismus ist für Pannenberg dasselbe, was Barth unter Sünde versteht)) (S. 229), trifft jedenfalls meine Auffassung nicht. Hamilton hätte ein differenzierteres Urteil aus der Lektüre des Aufsatzes von T. Rendtorff, Säkularisierung als theologisches Problem (Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 4, 1962, S.318-39) gewinnen können. Siehe jetzt auch H. Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, 1965, bes. S. 112 ff.
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ständnis nicht reaktionär sein muß. Ferner braucht ein theonomes Wirklichkeitsverständnis nicht zu bedeuten, daß «die Welt der Endlichkeit schon Gott enthält)) (S. 229 f.). Theologie der Geschichte bedeutet jedenfalls in meiner Sicht keine derartige
Näheres dazu in meinem Aufsatz: «Der Gott der Hoffnung)), in: «Ernst Bloch zu ehren)), (Blochfestschrift), Frankfurt 1965, S. 209 bis 225, bes. 219. Die Gedanken dieses Artikels berühren sich mit der These von Th. Altizer, The Gospel of Christian Atheism, Philadelphia 1966, S. 18,82 f., 105 ff., daß christliche Theologie heute von Gott im Zusammenhang mit der Zukunft und nicht mit der urzeitlichen Vergangenheit des Mythos oder der zeitlosen Gegenwart der Metaphysik zu reden habe. Allerdings scheint es mir, daß der Bruch der Weise, wie auch Altizer fortfährt, von Gott zu reden, gegenüber den traditionellen Problemen philosophischer Gotteslehre weniger vollständig ist als seine leidenschaftliche Ablehnung des Gottes des Theismus vermuten lassen könnte. Das zeigt schon Altizers positive Würdigung Hegels und seines Begriffs des wahrhaft Unendlichen. Andererseits kann ich in Altizers Reden vom Tode Gottes in Verbindung mit dem Thema der Inkarnation und einer kenotischen Christologie nur eine gedanklich haltlose mythologische Imagerie finden: Ein «Gottn, der (anders als bei Hegei!) definitiv gestorben und also abgetan ist, war nie im Ernst Gott, und von seiner dnkarnation)) zu reden, läuft auf eine bloße literarästhetische Reminiszenz hinaus. 319
nicht sehe. Entsprechend vennißt Hamilton bei mir den Sinn für das «Mysterium» der Inkarnation (S. 250) und meint, unter Glaube verstehe ich das Herausfinden dessen, was schon vorhanden ist (4). Das ist offensichtlich ein Mißverständnis der von mir behaupteten Einheit von Offenbarung und Geschichte, ein Mißverständnis schon meines Begriffs von Geschichte. Die Transzendenz (oder Differenz) des Unendlichen gegenüber dem Endlichen bildet das Leitmotiv meiner Arbeiten zum Gedanken der Analogie zwischen Gott und Welt. Die Analogiethese erschien mir eben wegen einer Verletzung der Transzendenz Gottes als verdächtig. Dieser Gesiohtspunkt ist in meiner Theologie der Geschichte nicht etwa abhanden gekommen, vielmehr wurde diese als Alternative zur klassischen Verhältnisbestimmung von Gott und Welt, wie sie duroh die Analogielehre vollzogen wurde, entwickelt: Das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen ist stets, selbst im Falle Jesu 29, negativ vermittelt. Damit nehme ich das Wahrheitsmoment solcher dualistischen Konzeptionen, wie sie hier in extremer Fonn von Buss vertreten werden, auf. Jene Negativität vollzieht sich jedoch in der Geschichte selbst, ja als Geschichte, nämlioh im Scheitern und in der Verwandlung aller Institutionen und politischen Lebensfonnen ebenso wie der Individuen. Die Geschichte ist nicht das Feld einer in sich verschlossenen Endlichkeit - einer dmmanenzll, der man eine «Transzendenz» entgegensetzen könnte und dann wohl auch entgegenzusetzen hätte. so Geschichte ist vielmehr das 20
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Vgl. «Grundzüge der Christologie)), 1964,2. Aufl. 1966, S. 346 ff.: Dort wird die Einheit J esu mit Gott als indirekte oder dialektische Identität beschrieben. So nennt K. Schwarzwäller, Theologie oder Phänomenologie, 1966, S. 102, Anm.315, mein Verfahren, theologische Aussagen von den historischen Phänomenen und der ihnen zukommenden Bedeutung her zu begründen «völlig immanentistisch und entsprechend relativistisch)) (vgl. S.114), entsprechend dem phänomenologischen «Dogma der exklusiven Immanenz)) (vgl. S. 18 und 25 f., 40 u. ö.). Aber «exklusive Immanenz)) ist ein Ungedanke, was sich schon daran zeigt, daß Immanenz überhaupt
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fortgesetzte Scheitern des in sich, in seiner «Immanenz» verschlossenen (weil auf sich zentrierten) Seienden. In solohem Scheitern des Endlichen ist die Macht des Unendlichen wirksam und präsent. Sie äußert sich also zunächst negativ. Aber weil das Endliche gerade nicht im Beharren auf sich, sondern nur in der Verwandlung seiner selbst lebt - im Widerspruch zu sich selbst, zu seiner Tendenz auf Beharrung -, insofern äußert sich die Macht des Unendlichen auch positiv, als Versöhnung und Bewahrung des Endlichen mitten in seinem Scheitern. Wenn man Geschichte nur als die Summe des sich selbst überlassenen Endlichen sieht und in diesem Sinne als Panoptikum menschlicher Taten und Leiden versteht, dann freilich wird es unverständlich, wie der Geschichte zugeschrieben werden kann, daß Gott in ihr offenbar werde. Kann denn das Endliche das Unendliche offenbarmaohen? Verliert die Behauptung einer derartigen Offenbarungsmächtigkeit nicht die Souveränität Gottes aus dem Blick? So stellen sich dann die Fragen. 31 Doch was ist das für eine Vorstellung von
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nur als Korrelat von Transzendenz denkbar ist - wie aber auch umgekehrt. Nur Gedankenlosigkeit kann die eine der beiden Bestimmungen von der andern isolieren, als ob sie für sich sinnvoll wäre. Das ist auch gegen rh. Altizer zu sagen, der etwa im Sinne der von Schwarzwäller bei mir vermuteten Auffassung ausdrücklich den transzendenten Gott (den Schwarzwäller gegen mich geltend macht) verwirft und die Immanenz Gottes behauptet (<
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Geschichte? Gewiß sind die Menschen, von deren Handeln und Leiden die Geschichte voll ist, endliche Wesen. Und ebenso sind alle Gebilde der Menschen endlich. Nicht aber die Geschichte, die vielmehr die Krise dieser Endlichkeit durch die Zeit hin vollzieht. Darum erweist sich der Mensch als endlich in seiner Geschichte: Diese ist eben nicht nur Geschichte seiner Taten; dann nämlich hätte der Handelnde selbst keine Geschichte. Dem Handelnden widerfährt vielmehr seine Geschichte. Freilich nicht nur als ein fremdes Widerfahrnis, sondern weithin so, daß sein eigenes Tun auf ihn zurückschlägt. Beides erweist seine Endlichkeit und prägt ihn in seiner Individualität als dieses endliche Wesen. Solche Endlichkeit hat jedoch nichts zu tun mit einer in sich ruhenden, für sich allein auch nur zu denkenden Immanenz. Sie ist eher das Gegenteil. Der geschichtlich handelnde und leidende Mensch ist in seiner Endlichkeit schon deshalb nicht isoliert für sich verständlich und auch nicht sich selbst überlassen, weil das Endliche sein Bestehen nicht aus sich selbst hat. Es macht geradezu den Begriff des Endliohen aus, daß es bei aller Anstrengung zur Selbstbehauptung doch nicht aus und durch sich selbst bestehen, subsistieren kann. Darum vollzieht sich auch im Handeln und Leiden des Menschen sein Verständnis zur unendlichen Wirklichkeit Gottes - als Gefährdung und Bewahrung, als Verwandlung, als Aufstieg und Niedergang, als Gericht und als Versöhnung mitten im Schmerz des Scheiterns. Insofern ist Geschichte gerade als menschliche und profane Geschichte ihrem Begriff nach konstituiert durch die Präsenz des Unendlichen mitten im Endlichen und in diesem Sinne duroh «Gottes Handeln». Geschichte ist nicht zunächst einmal in sich komplett, als Inbegriff menschlicher Endlichkeit vorstellbar, als ob Gottes Handeln in der Geschichte dann irgendwie «senkoffenbar» ((Theologie der Hoffnung», 1964,8.104, ähnlich 8.100 und 254). Als ob das Endliche, das durch Gottes Handeln Hervorgebrachte, diesem Tun Gottes gegenüber gleichsam unabhängig von ihm etwas in sich selbst sein könnte! 322
recht von oben» noch hinzukäme: So gedacht, würde vielmehr die Rede von Gottes Handeln in der Geschichte überflüssig; es gäbe keinen Anlaß mehr für sie, wo alles Geschehen ohne sie verständlich wäre. In Wahrheit bedeutet jedoch die Geschichte eines Endlichen allenthalben seine Krise, und Selbstbehauptung, Scheitern, verwandelnde Bewahrung sind Aspekte im Geschehen solcher Krise und Überwindung des Endlichen. Nur deshalb, weil die unendliche Wirklichkeit, die als personhafte «Gott» heißen darf, präsent und wirksam ist in der Geschichte des Endlichen, das darin konkret als nicht sich selbst überlassen erwiesen wird - nur darum kann von einer Offenbarung Gottes in der Geschichte die Rede sein. Dabei ist es irreführend zu sagen, die Geschichte offenbare Gott. Denn die Geschichte ist kein Gott gegenüber selbständiges, in sich besteihendes Subjekt. Weil Geschichte ihrem Begriff nach schon konstituiert ist durch die wirksame Präsenz des unendlichen Gottes, darum kann es nur heißen: Gott offenbart sich in der Geschichte. Jedenfalls offenbart er durch die Geschichte seine Gottheit, indem er sich alles Endlichen mächtig erweist, das in die Geschichte eingehtsowohl durch den Glanz, der am Endlichen aufleuchtet und nicht aus seiner bloßen Endlichkeit verständlich wird, als auch durch dessen Zugrundegehen, das kein bloßer Untergang ist. Daß Offenbarung darüberhinaus bedeutet, daß Gott sich selbst dem Endlichen verbindet, das ist als Begriffsinhalt des wahrhaft Unendlichen wohl erst vom christlichen Gedanken der Inkarnation her denkbar geworden, der seinen Ursprung in der Erfahrung der Prolepse des Eschaton in der Geschichte J esu hat. Und allein von diesem Ursprung her kann heute deutlich werden, wie Gott in seiner Selbstoffenbarung durch die Geschichte dem Endlichen sich selbst verbindet, nämlich durch die von J esus verkündete Zukunft seiner Herrschaft. Damit ist der allgemeinste (aus dem allgemeinen Begriff der Geschichte zu begründende) und der besondere, nur von der Geschichte Jesu her ermöglichte Sinn des Begriffs der Selbstoffen323
barung Gottes zusammengefaßt, wobei zu bedenken ist, daß jene allgemeine Bedeutung nur von dem besonderen Moment der Prolepse des Eschaton in der Geschichte Jesu her in Anspruch genommen werden kann, weil erst durch dieses Ereignis die Gesohichte als ganze und so als Offenbarung der Gottheit Gottes gegenwärtige Wirklichkeit geworden ist. Bei alledem ist die Vorstellung abwegig, Gott werde durch einen «Rückschluß» aus der Geschichte erkannt. 32 Jedenfalls ist sie insoweit abwegig, als sie suggeriert, die Geschichte könne als Summe ihrer endlichen Teile 32
Dieser Gedanke ist mir von J. Moltmann zugeschrieben worden (a. a. 0., S. 68 f., ähnlich auch von J. Robinson, S. 122 ff.), und zwar im Sinne einer eschatologisierenden Umformung des kosmologischen Gottesbeweises. Während Moltmann anderwärts eine Selbständigkeit der offenbarenden Geschichte gegenüber Gott bei mir voraussetzt (s. vorige Anmerkung), beanstandet er hier umgekehrt die «ungelöste Verbundenheit Go.ttes mit der Geschichte» (S.68, Anm.98), die allererst das «Rückschlußverfahren)) ermögliche. In diesen gegensätzlichen Ausstellungen setzt Moltmann ein Verständnis von Geschichte voraus, das weder so noch so das meinige ist. Die Geschichte als ganze kann ich in der Tat ohne Gott nicht denken, aber ihre Ganzheit ist nicht vorfindlich, sondern Sache der eschatologischen Zukunft. Gegenwärtig vorfindlich sind nur einzelne geschichtliche Ereignisse und endliche Geschehenszusammenhänge. Eine «ungelöste Verbundenheib der einzelnen geschichtlichen Ereignisse aber kenne ich allenfalls in dem Sinne, daß solche Ereignisse in ihrer Endlichkeit nicht durch sich selbst bestehen, noch auch durch ihre Beziehungen zu anderem Endlichen vollständig begründet und verständlich werden können. In dieser Negativität ihrer Endlichkeit verweisen sie auf «Gott» als ihren Ursprung und ihre Wahrheit. Wegen der für den Begriff der Geschichte konstitutiven Kontingenz der einzelnen Ereignisse, in der sich die Freiheit ihres göttlichen Ursprungs äußert, ist es jedoch nicht möglich, von den Ereignissen (als Wirkungen) auf ihren Ursprung (oder Urheber) kraft Analogie zurückzuschließen. Diese Kritik am «Rückschlußverfahren)) der griechischen natürlichen Theologie und an der Lehre von der Analogie zwischen Gott und Welt habe ich schon 1959 vorgetragen (ZKG 70, 1959, S. 28 f., 37 f.). Daher kann ich ein leichtes Befremden nicht unterdrücken, wenn ich meine eigenen Aussagen ohne genauere Untersuchung in diesem
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gedacht werden, und von da aus werde dann auf Gott als den Urheber dieses Ganzen zurückgeschlossen. Solches grobe Modell läßt übersehen, was geschichtliches Gesohehen eigentlich bedeutet, nämlich daß in jedem einzelnen Ereignis der Geschichte die Krise des dadurch betroffenen Endlichen sich vollzieht - wie oben gezeigt - und somit in jedem einzelnen Ereignis, aber in jedem auf andere Weise, die unendliche Macht, die als personhafte Gott heißen darf, sohon am Werke ist. Diese Macht kommt nicht erst der Reflexion eines «Rückschlusses» in den Blick, die von mir zurückgewiesenen Sinne gedeutet sehe. Moltmann selbst berührt in späterem Zusammenhang den springenden Punkt der Problematik, daß nämlich - der Freiheit Gottes entsprechend - die (<noch unabgeschlossene und darum (!) geschichtliche Wirklichkeit)) der Welt und des Menschen (<noch nicht ,ganz' ist, sondern ihre Ganzheit vielmehr geschichtlich auf dem Spiel stehb (S. 255). Das ist auch meine Meinung. Wenn Moltmann dazu feststellt: «Es wäre darum besser, die Intentionen des kosmologischen Gottesbeweises fallen zu lassen)) (ib.), so geht dieser Rat weniger mich an - da ich mich selbst von diesen Intentionen kritisch distanziert habe - als vielmehr die Interpretation, die Moltmann mir zuteil werden läßt. - übrigens sollte dieser Disput nicht in Vergessenheit geraten lassen, daß alles Denken - sofern es Urteile verbindet - sich in Schlüssen bewegt. Es würde auf eine lächerliche Selbsttäuschung hinauslaufen, wollte man aus der Gotteserkenntnis das Schließen überhaupt verbannen. Und was den Rückschluß betrifft, so hat das «Wiedererkennen der Selbigkeit Gottes von Verheißung zu Erfüllung)), das Moltmann S. 104 dem «Rückschluß von der Wirkung auf die Ursache entgegensetzb auch seinerseits formal dieselbe logische Struktur eines Rückschlusses. Ein bloßer Gegensatz zwischen Wiedererkennen und Rückschluß ließe sich ohne Gedankenlosigkeit schwerlich behaupten, wenn es sich auch hier und dort nicht einfach um dasselbe handelt. Strittig kann nicht sein, ob bei der Gotteserkenntnis schließendes Denken beteiligt sein darf oder nicht, sondern doch wohl nur, ob Gotteserkenntnis inmitten einer geschichtlich offenen Wirklichkeit durch schließendes Denken zum Abschluß gebracht werden kann. Nur im Sinne eines derartigen Totalanspruches oder Adäquatheitsanspruchs kann das «Rückschlußverfahren)) der altgriechischen philosophischen Theologie sinnvoll bestritten werden. 325
etwa auch beliebig zu unterlassen wäre. Sie macht sich als unendliche Macht dem Menschen auch unmittelbar bemerkbar; denn Gefährdung oder Bewahrung verweisen nicht nur auf anderes Endliche, das aus seiner eigenen Macht solcher Wirkungen nicht fähig wäre, sondern sie sind Widerfahrnis der Macht des Seins, auf die der Mensch zumindest in der Weise des Seinsmangels (Sartre) und in der offenen Frage seines Angewiesenseins immer schon bezogen ist. Der Gedanke, daß in einem Ereignis - das doch alsbald von anderen überholt und in seiner inhaltlichen Relevanz korrigiert werden wird - die Macht über alles, der unendliche Gott, präsent sei, greift allerdings stets über das v~r einzelte Ereignis hinaus. Das ist im Hinblick auf das Verhältnis von Faktum und Bedeutung kein singulärer Sachverhalt. Jede Erfahrung, wie sie in der Sprache, im Wort ihren Niederschlag findet, hat immer schon über den vereinzelten Anlaß hinausgegriffen, mit dem sie anhob. So gehören geschichtliche Erfahrung und Sprache zusammen. Das über das vereinzelte Ereignis hinaus ausgreifende und vorgreifende Wort sagt auch, daß und wie Gott - die Macht über alles - in dem besonderen Ereignis präsent ist. Weil das Wort in solcher Weise «Allgemeines)) 33 im Einzelnen erfaßt, darum kann es durch weitere Ereignisse, die in analoger Weise Anlaß geben zu über sie hinausgreifenden Erfahrungen, korrigiert werden. Der zuletzt angedeutete Zusammenhang zwischen geschichtlicher Erfahrung und Sprache läßt es verständlich werden, daß Geschichte sich konkret als Oberlieferungsgeschichte vollzieht. Weil im einzelnen Ereignis etwas allgemein Bedeutsames, also auch für andere Individuen Relevantes erfahren wird, darum wird es ihnen überliefert und 33
Nicht als zeitlos Allgemeines ist das Allgemeine hier zu verstehen, sondern als Zusammenfassung in der Zeit kontingent aufeinander folgender Ereignisse. So verstanden ist das Allgemeine selbst zeitbezogen und in spezifischer Weise zukunftsbezogen.
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von ihnen rezipiert. Weil aber diese in neuen Ereignissen jenes Allgemeine anders erfahren, darum wird Überliefertes unablässig verändert - auch dann, wenn solche Veränderungen aus dem Bewußtsein verdrängt werden, wie das in archaischen Kulturen der Fall zu sein pflegt. Es ist also durch die Sprachlichkeit geschichtlicher Erfahrung bedingt, daß menschliche Geschichte sich stets als Überlieferungsgeschichte vollzieht, in Auseinandersetzung mit dem Erbe einer Vergangenheit, die als eigene übernommen oder auch verleugnet wird, und im Vorgriff auf eine Zukunft, die nicht nur die Zukunft des jeweiligen Individuums ist. 34 3(
Es ist vielleicht nicht überflüssig, an dieser Stelle anzumerken, daß der oben formulierte Begriff von Überlieferungsgeschichte vielleicht nicht ohne weiteres deckungsgleich ist mit dem, was in exegetischer und formgeschichtlicher Arbeit unter überlieferungs geschichtlicher Untersuchung zu verstehen ist. Der systematische BegriH «Überlieferungsgeschichte» ist zwar durch eine geschichtsphilosophische (oder geschichtstheologische) Ausweitung des Methodenbegriffs, der etwa die Arbeit Martin Noths bestimmt hat, entstanden, aber die Ausweitung impliziert auch Verwandlung. Wenn K. Koch sagt: «Die überlieferungsgeschichtliche Untersuchung geht vom Endstadium einer literarischen Einheit aus und erhellt zunächst die schriftlichen, dann die mündlichen Vorstadiem ((Was ist Formgeschichte?, Neue Wege der Bibelexegese», 1964, S. 54), so ist deutlich, daß der systematische Begriff der Überlieferungsgeschichte gerade hiervon abstrahiert: Er geht nicht vom Endstadium eines Textes aus, um dann zurückzufragen nach der Herkunft des dort gestalteten Stoffes. Vielmehr fragt er von auf solche Weise ermittelten Ausgangspunkten in eine offene Zukunft von Wandlungen, Verschmelzungen oder Verzweigungen von Traditionen, und zwar so, daß sich die «Stoffe» nicht mehr ablösen lassen von dem konkreten Verhalten der Individuen. Das traditionsgeschichtliche Verfahren im geläufigen, historisch-exegetischen Sinne erfaßt nur einen Teilaspekt dieses Prozesses, sofern es nur stoffgeschichtlich fragt. Wenn jedoch das gesamte dabei implizierte Verhalten der beteiligten Individuen in die Untersuchung einbezogen wird, erfolgt der Übergang zu dem weiteren, systematischen Sinn des Begriffs Traditionsgeschichte. Manche der von K. Schwarzwäller ange327
Der Satz, daß überlieferungsgeschichte der tiefere Begriff von Geschichte überhaupt sei, bedeutet natürlich keine Rechtfertigung irgendeines traditionalistischen Beh~rrens, als ob die «Sprache der überlieferung)) immer noch eindeutig unsere Gegenwart bestimmte. 35 Die Aufklärung hat gegenüber aller autoritär auftretenden christliohen Tradition einen in der Tat revolutionären «Traditionsbruch)) vollzogen, der zu den Voraussetzungen der neueren historischen Kritik gehört 36, und Tradition - im Sinne des Festhaltens am Hergebrachten - ist seitdem nicht mehr «das Selbstverständliche)). Doch dieser Bruch ist selbst ein überlieferungsgeschich tlicher Vorgang. überlieferungsgeschichte hat es als Geschichte ja gerade mit den Wandlungen der Traditionen, mit dem Prozeß nicht nur ihrer Entstehung, sondern auch ihrer Kritik, Veränderung und Auflösung zu tun. Traditionsgebundenes Denken will von solchen Wandlungen gewöhnlich nichts wissen, :hält das Hergebrachte für unveränderlich gültig - oder auch das gegenwärtig Gültige für das seit Urzeiten überlieferte. überlieferungs-
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stellten kritischen Erwägungen zu meinem Verfahren ((Theologie oder Phänomenologie?)), 1966, S. 97 ff.) scheinen damit zusammenzuhängen, daß er der Verwandlung des Begriffs der Traditionsgeschichte durch seine geschichtsphilosophische Ausweitung zu wenig Aufmerksamkeit zuwendet. So mag gegenüber einer traditionsgeschichtlichen Analyse im üblichen, technischen Sinne die Frage möglich sein, was denn «hinter)) den so untersuchten Phänomenen stehe. Bei der geschichtsphilosophischen Ausweitung des Begriffs der Traditionsgeschichte hingegen sind Fragen solcher Art bereits mit einbezogen oder einzubeziehen, ebenso wie die «Identität bei phänomenaler Diskontinuität und die Nichtidentität bei formaler Kontinuität)) (Schwarzwäller, S. 98). Das Verhalten der Traditionsträger und die ihr Verhalten bestimmenden Ereignisse und Wirklichkeiten - von denen hier nicht mehr zugunsten der tradierten Inhalte abstrahiert werden kann - lassen sich auf mehrfache Weise ins Verhältnis setzen zu den tradierten Inhalten. In diesem Sinne hat J. Moltmann, a. a. 0., S. 72 und 83 (referiert oben bei ]. Robinson, S.126) den Begriff der Traditionsgeschichte mißverstanden. Moltmann, S.72.
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geschichte vollzieht darum, als realer Prozeß wie auch als Thema der Forschung und rekonstruierenden Darstellung, die Kritik des traditionalistischen Selbstverständnisses, indem sie die Verwandlung des Überlieferten zu Bewußtsein bringt. Nur im Prozeß solcher Verwandlung findet sie noch Kontinuität. 37 Das Verständnis der Geschichte als Überlieferungsgeschichte bildet übrigens keine zweite Phase der Entfaltung des Programms von «Offenbarung als Geschichte)), wie man behauptet hat. 38 Eine sachliche Verschiebung war hingegen schon damals erfolgt gegenüber meinen anfänglichen Bemühungen um ein theologisches Verständnis der Geschichte als konstituiert durch den Spannungsbogen von Verheißung zu Erfüllung. 39 Jürgen MoItmann hat kürzlich
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Moltmann hätte also in meinem Begriff der Überlieferungsgeschichte bei genauerem Zusehen den von ihm postulierten Begriff von «Überlieferung)) entdecken können, «der die historische Kritik und ihr Krisenbewußtsein von Geschichte in sich aufhebt, ohne sie zu verneinen oder zu verharmlosen)) ((Theologie der Hoffnung)), 1964, S. 72). Auch G. Klein hat diesen kritischen Sinn der Traditionsgeschichte - sowohl als realer Prozeß, als auch in der rekonstruierenden Darstellung dieses Prozesses - verkannt, vgl. oben bei J. Robinson 4, S. 114 f. SO J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, S.71 (vgl. J. Robinson4, S.124 f.). Man vergleiche dagegen «Offenbarung als Geschichte)), 1961, (1. Aufl.) , S.112: «Geschichte fügt sich nie aus sogenannten bruta facta zusammen. Als Menschengeschichte ist ihr Geschehen immer schon mit Verstehen verflochten, in Hoffnung und Erinnerung, und die Wandlungen (!) des Verstehens sind selbst Geschichtsereignisse. Beides läßt sich schon in den anfänglichen Begebenheiten einer Geschichte nicht trennen. So ist Geschichte immer auch Überlieferungsgeschichte, und selbst die Naturereignisse, die in die Geschichte eines Volkes eingreifen, haben ihre Bedeutung nicht außerhalb ihres positiven oder negativen Bezugs zu den Überlieferungen und Erwartungen, in denen seine Menschen leben)). Kerygma und Dogma 5, 1959, S. 220 ff. J. Robinson hat dazu mit Recht festgestellt, daß diese «Struktur)) - allerdings nicht nur in meiner Darstellung, sondern in der alttestamentlichen Geschichtsschreibung, deren Grundzüge ich damals noch ohne 329
sein Bedauern darüber geäußert, daß ich diese von ihm weiterverfolgte Konzeption späterhin aufgegeben habe. 40 Doch warum habe ich sie aufgegeben? Weil die Verheißungen in der Regel nicht so wörtlich in Erfüllung gegangen sind, wie man es annehmen sollte, wenn sie gemäß alttestamentlichem Selbstverständnis Geschichte wirkendes Gotteswort wären. Vielmehr hat die Geschichte die so verstandenen Verheißungen «überholtn. 41 Ursprünglich nicht vorgesehene Ereignisse ließen überlieferte Verheißungen in neuem Lichte erscheinen, so daß sogar ihre «Erfüllung» abweichend von ihrem ursprünglichen Wortsinn behauptet werden konnte. Das bedeutet, daß das den früheren GesC'hichtsdarstellungen des Alten Testaments zugrundeliegende «Schema» der Entsprechung von wirkendem Gotteswort und geschichtlichem Geschehen mit dem historischen Sachverhalt, dem sich ein historisch-kritisch geschultes Bewußtsein nicht entziehen kann, unvereinbar und
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einschneidende Kritik referierte - «als ein weiteres Beispiel eines zeitlosen Prinzips fungiert, das verwendet wird, um die eigentliche Geschichte zu ersetzen» (11 Heilsgeschichte und Lichtungsgeschichte», in: Ev. Theologie 22, 1962, S.116). Aus ähnlichen Erwägungen hatte ich schon 1961 (in "Offenbarung als Geschichte») dieses «Schema» aufgegeben und es im Anschluß an R. Rendtorff durch den Begriff der Überlieferungsgeschichte ersetzt (vgl. vorige Anmerkung). Moltmann, S.69. An die Stelle des Schemas II Verheißung und Erfüllung» ist aber nicht, wie Moltmann meint, die Überbietung der griechischen Kosmostheologie durch eine universalgeschichtliche Eschatologie getreten, sondern der Begriff der Überlieferungsgeschichte. Moltmann zitiert übrigens S.76, Anm.101a die Kritik Robinsons an mir irrtümlich als Parallele zu seiner eigenen. Während Robinson das im Zeichen des «Schemas» von Verheißung und Erfüllung entwickelte Geschichtsverständnis kritisiert, beanstandet Moltmann umgekehrt, daß ich diese «alttestamentliche Grunderkenntnis» späterhin verlassen habe (S. 69). Siehe meinen Einleitungsaufsatz zu diesem Band S.164 und Anm. 14 und vgl. besonders Moltmann, Theologie der Hoffnung, S. 99 ff.
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also nicht mehr übernehmbar ist. 42 Die Kontinuität der «Erfüllung)) zur vorausgegangenen Verheißung oder Drohung können wir nur noch als eine überlieferungsgeschichtliche begreifen: Erst so ist das kritische Moment der jeweiligen neuen geschichtlichen Erfahrung gegenüber dem überlieferten Wort mit aufgenommen in den Gedanken eines Zusammenhangs zwischen ankündigendem Wort und angekündigtem Geschehen. Dem Verhältnis von Wort und Geschehen im überlieferungsvorgang bin ich inzwischen weiter nachgegangen im Hinblick auf den Bezug einerseits der einzelnen Ereignisse, andererseits der sie zur Sprache bringenden Worte zum Ganzen der Wirklichkeit, das wegen seiner Geschichtlichkeit noch unabgeschlossen ist. Diese weiterführende Problematik wurde oben bereits berührt. Einerseits hat jedes einzelne Geschehen seine Bedeutung und da.mit sein Wesen (d. i. das, was es ist) nur im Zusammenhang des Ganzen. Das Ganze der Wirklichkeit ist aber wegen ihrer Geschichtlichkeit noch nicht vollendet. Dennoch sprechen Worte den Ereignissen, den Dingen, ja sogar den Personen, mit denen wir umgehen, thr Wesen, ihre Bedeutung zu. Das impliziert nach dem Gesagten eine Antizipation des Ganzen der Wirklichkeit. Sofern aber das Geschehen solche ihm vom Wort zugesprochene Bedeutung - wenn sie zutrifft, was vielfach strittig und immer noch offen ist -, in irgendeinem Sinne jetzt schon hat, ist alles Geschehen auch seinerseits (bis in seine ontologische Struktur hinein) als Antizipation künftiger Endgültigkeit (zum Guten wie zum Bösen) zu verstehen, und das Wort bringt dieses sein nidht ohne weiteres an ihm vorfindliches Wesen zur Sprache. Die Kategorie der Antizipation oder Prolepse, die ursprünglich zur Beschreibung der eigentümlichen Struktur der Geschichte Jesu, besonders seiner Auf-
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In diesem Sinne stimme ich den Ausführungen von Robinson in seinem Artikel «Heilsgeschichte und Lichtungsgeschichte)) zu (vgl. oben Anm.39). 331
erstehung eingeführt worden war, stellt sich damit als fundamentales Strukturmoment sowohl des Erkennens und der Sprache, als auch des Seins des Seienden in seiner Zeitlichkeit heraus. 43 Damit stellt sich zugleich die Aufgabe, 43
Wie Gerhard Sauter behaupten kann, bei mir diene der Begriff der Prolepse als «mobiler teleologischer (!) Ganzheitsbegriff)) (<
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maßen ratlos, woran es wohl liegen mag, daß Sauter seine übereinstimmung mit mir in der Kritik an dieser Teleologie verborgen geblieben ist und er stattdessen ausgerechnet an diesem Punkt einen prinzipiellen Gegensatz konstruiert. Seine Behauptung, .daß die überlieferungsgeschichtliche Betrachtungsweise, die doch untersucht, wie von jeweils neuen Erfahrungen her (im Sinne des 1959 von mir abstrakter beschriebenen Verhaltens) das Erbe der überlieferung neu gesehen und ergriffen wird, «das Gewesene ... ipso facto zum schöpferischen Grund für das Kommende)) mache (so Sauter, S.210), bleibt angesichts meiner Betonung des kontingent Neuen als Ausgangspunkt der jeweiligen Erfahrung geschichtlichen Zusammenhangs mit dem Vergangenen abwegig. Sie setzt die von Sauter mir unterstellte Konzeption einer «Teleologie der Geschichte)) (S.244) voraus, von der ich mich ausdrücklich distanziert habe. Mit einer solchen Teleologie hat natürlich auch mein theologischer Begriff der Prolepse, den Moltmann und Sauter inzwischen übernommen haben, nichts zu tun. Der Begriff der Prolepse, besonders als Vorausereignung des Endes (vgl. etwa «Offenbarung als Geschichte)), 1961, S. 98) bildet geradezu einen Gegenbegriff zu einer «protologisch)) begründeten Teleologie (vgl. auch den Zusammenhang zwischen Prolepse und «Rückwirkung)) in meinen «Grundzügen der Cbristologie)), 1964, bes. S. 332 f., auch 407). Die These, daß das «Ganze)) konstitutiv für die Bedeutung jedes in seinen Bereich gehörigen Einzelgeschehens sei, hat in meinen Arbeiten regelmäßig den Sinn, daß dieses Ganze in der Zukunft seines Endes begründet und so, mit Sauters Formulierung seiner eigenen Ansicht, «das von vorn her jeweils schon Vorgegebene)) ist (Sauter, S.217). Was sollte sonst der Satz besagen, daß erst vom Ende her das Ganze der Geschichte zugänglich ist? (vgl. «Offenbarung als Geschichte)), 1961, S.104). Daß diese, wie Sauter es ausdrückt, «Gleichzeitigkeit)) von Ganzheit und Ende «ein teleologisches, kein eschatologisches Axiom)) sein soll (Sauter, S.256), ist mir unverständlich. Der Gedanke besagt doch, daß die Ganzheit der Geschichte erst vom Eschaton, als von der letzten Zukunft her begründet ist. Sagt Sauter in der oben angeführten Wendung (S. 217) nicht dasselbe? Die echten Differenzen zwischen uns dürften anderwärts liegen, nicht in der These einer noetisch und ontologisch konstitutiven Bedeutung des Eschaton als der letzten Zukunft für alles vorangegangene Geschehen, sondern vielmehr in der Frage, ob die so verstandene eschatologische Zukunft in purem Gegensatz zur Logik der Phänomene gedacht werden muß. Die Aussagen Sauters zu dieser Frage bleiben eigenartig widerspruchsvoll. Schroff antithetische 333
die Prolepse eschatologischer Zukunft im Auftreten und vor allem in der Auferstehung J esu in ihrer Besonderheit gegenüber sonstigen ontischen und noetischen Antizipationen eschatologischer Vollendung abzuheben. Vorherrschend sind zweifellos solche Formen der Antizipation endgültiger Wirklichkeit, die in ihrer Endlichkeit ohne weiteres von der endgültigen Wirklichkeit unterscheidbar sind, Fonnulierungen (Sauter, S. 155 f., 203, 221, 2'23) stehen andere gegenüber, denenzufolge Verheißung und vorfindliehe Welt «nicht statisch-starr)) einander entgegengesetzt werden sollen (S.228) und die der metaphysischen Sicht der Phänomene vorhalten, daß sie «der Schöpfung selber (!) in ihrer Sehnsuchtl> nicht gerecht werde (S. 157 f.). Ein ähnlicher Befund ergibt sich bezeichnenderweise in Moltmanns «Theologie der Hoffnung)): Man vergleiche dualistisch klingende Antithesen (wie S. 34, 70, 12'7,256,262) mit einem Satz wie dem, daß die christliche Theologie «ihre Wahrheit an der Wirklichkeit des Menschen und der Wirklichkeit der den Menschen angehenden Welt)) dadurch erweisen könne, «daß sie die Fraglichkeit der Wirklichkeit im Ganzen aufnimmt und hineinnimmt in die eschatologische Fraglichkeit des Menschseins und der Welt, die durch das Verheißungsgeschehen geöffnet wird)) (S. 83 f., vgl. 76, 79, 250 f.). Das Motiv der antithetischen Aussagen dürfte bei Moltmann wie bei Sauter in der Tendenz zu suchen sein, die «Verheißung)) der gesamten <
darin ähnlich den Abbildern der platonischen Ideen im Verhältnis zu diesen selbst. Gegenüber derart gebrochener Antizipation eschatologischer Zukunft scheint es in solchen Wirklichkeiten wie Friede, Geist, Liebe und Leben, aber auch im Geheimnis des Bösen ungebrochene, sozusagen reine Antizipationen eschatologischer Wirklichkeit zu geben, wenn auch die Teilhabe daran im gegenwärtigen Leben eine gebrochene bleibt. Die Besonderheit des proleptischen Geschehens der Auferweckung Jesu wäre demgegenüber in der vollen Teilhabe an der eschatologischen Lebenswirklichkeit zu suchen. Die Vorläufigkeit, durch die sogar dieses Geschehen noch bloße Prolepse ist 44, besteht lediglich - aber was heißt hier lediglich! - darin, daß die 44
G. Klein hat einen Gegensatz zwischen Vorläufigkeit und Prolepse konstruiert, der meiner Auffassung des Begriffs der Prolepse fremd ist (<
eschatologische Wirklichkeit des Lebens hier nur erst an einem einzelnen, noch nicht an Menschheit und Welt insgesamt erschienen ist. 45 Mit der Ungebrochenheit der Präsenz des Endgültigen in der Auferweckung Jesu, die in dieser Weise ohne Parallele sein dürfte, hängt es zusammen, daß es so schwer ist, ein solches Ereignis als historisch anzuerkennen und von der eigentümlichen, in ihm schon 45
In dieser Vorläufigkeit der Antizipation, auch im Falle der Auferstehung Jesu, liegt beschlossen, daß auch «der auferstandene Christus selber noch eine Zukunft hat, eine universale Zukunft für die Völker)) (J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 1964, S.73). Die Auferstehung Jesu ist, was sie ist, nur als «Vorschein» der universalen Auferstehung der Gerechten zum Heil, und darum als Bürgschaft des künftigen Heils für die jetzt mit Jesus Verbundenen. Die Vereinigung seiner Gemeinde mit seinem eigenen eschatologischen Leben ist auch für den Auferstandenen noch Zukunft. Es ist also nicht richtig, wenn Moltmann aus meinem Gedanken der Vorwegereignung des Endes aller Geschichte in der Auferstehung J esu schließt, dann «hätte der auferstandene J esus selber keine Zukunft mehr)) (S. 73). Daß die Spannung zwischen der Antizipation des Endes in der Auferweckung J esu und dem allgemeinen Endgeschehen selbst den Weg der Kirchengeschichte eröffnet, der besonders durch die universale Missionsaufgabe gewiesen ist - also im Sinne Moltmanns als «Verheißungs- und Sendungsgeschichte)) qualifiziert ist - habe ich schon in «Offenbarung als Geschichte)) hervorgehoben (S.98, 106, und bes. 109 ff., vgl. inzwischen «Grundzüge der Christologie», 1964, S. 65 ff.). Eine Differenz zu Moltmanns Auffassung mag jedoch in meiner Überzeugung liegen, daß die endgültige Wirklichkeit eschatologischen Lebens an Jesus selbst schon im damaligen Ereignis seiner Auferstehung, auf das wir als auf ein der Zeit nach vergangenes und so auch historisches Ereignis zurückblicken können, erschienen ist. Die Auferstehung Jesu ist für das Urchristentum nicht nur «In-kraft-setzung)) der Verheißung gewesen (so Moltmann, S.132 f., vgl. 137, 139), sondern die Wende der Äonen, in der die alttestamentlichen Verheißungen ihre Erfüllung gefunden haben, nicht nur eine «vermeintliche Erfüllung» (so Moltmann, S.143, vgl. 208). Das Geschehensein qes Endgültigen, das perfectum - ist die Grundlage des christlichen Inkarnationsglaubens geworden, der das Christentum vom bloßen Hoffnungswissen des jüdischen Glaubens unterscheidet.
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erschienenen Wirklichkeit einigermaßen sachgemäß zu reden. Alltägliches Verstehen, sowie in anderer Weise auch historische Urteilsbildung bewegen sich ja auf dem Boden des durch Analogien mit anderweitig Bekanntem Zugänglichem. Auch vom gänzlich Andersartigen und Außerordentlichen können wir daher nur so sprechen, daß wir dem Anschein nach Ähnliches, wenn auch vielleicht nur entfernt Ähnliches, aus der uns bekannten Sphäre heranziehen, um dadurch das ansonsten Un'bekannte und geheimnisvoll Bleibende wenigstens metaphorisch zu bezeichnen. Wo es um 'historische Urteile geht, liegt es allerdings immer wieder nahe, das Unerhörte und aus aller Analogie Herausfallende nicht nur besonders skeptisch zu prüfen, sondern von vornherein für unmöglich zu erklären. Letzteres bedeutet jedoch eine Grenzüberschreitung der historischen Kritik bei der Anwendung des Analogieprinzips. 46 Hält sich die Historie von der hier drohenden Gefahr eines dogmatischen Postulates der Gleichartigkeit alles Geschehens frei, bleibt sie auch ihrem eigenen Verfahren gegenüber kritisch, so braucht in der Behauptung der Historizität der Auferweckung ]esu nichts prinzipiell Unmögliches zu liegen, so schwierig zweifellos die verbleibenden Probleme methodischer Art und die mit 46
Es ist wichtig zu beachten, daß nur das Fehlen von Analogien als ungenügendes Argument für die Bestreitung der Historizität eines Ereignisses beurteilt wird (vgl. J. Robinson oben, S.49). Die Kritik richtet sich nicht gegen die für die historisch-kritische Methode grundlegende Anwendung des Analogieprinzips überhaupt. Dieses wird lediglich eingeschränkt. Das Instrument der Analogie gewinnt an Schärfe, wenn Urteile über Historizität oder Nichthistorizität eines in der überlieferung behaupteten Ereignisses nur noch auf positive Analogien der untersuchten Tradition mit anderweitig bekannten Sachverhalten, nicht aber auf das Fehlen solcher Analogien gegründet werden. Inzwischen hat Daniel P. Fuller in seinem Artikel «The Resurrection of J esus Christ and the Historical Methodll (Journal of Bible and Religion, 34, 1966, S.18-24) meine kurzen Bemerkungen zum Analogieprinzip durch sehr sorgfältige methodische Erwägungen weitergeführt. 337
der kritischen Prüfung des überlieferungsbestandes im einzelnen sich erhebenden Fragen sind. 47 47
Da meine Argumentation in der Frage der Historizität der Auferstehung J esu inzwischen anderwärts ausführlich vorliegt, brauche ich gegenüber den Darlegungen Kendrik Grobels auf die historischen Einzelheiten hier nicht einzugehen. Im Hinblick auf das Geschehensein der Auferweckung J esu als eines besonderen, von J esu Kreuzestod unterschiedenen Ereignisses stimmt Grobel ausdrücklich mit mir überein (S. 215). Insbesondere besteht Übereinstimmung hinsichtlich der 1. Kor. 15 berichteten Erscheinungen des Auferstandenen vor den Aposteln: Es geschah etwas Ilan ihnen, ... nicht nur in ihnen» (GrobeI, S.218). Die Grabestraditionen hingegen hält Grobel für unhistorisch. Seine Skepsis stützt er vor allem auf Paulus. Für eine Auferstehungswirklichkeit im Sinne des paulinischen soma pneumatikon habe ein leeres Grab kaum Relevanz. Daher sei es bezeichnend, daß Paulus das leere Grab J esu nie erwähnt. Nun bin ich insoweit mit Grobel einverstanden, als die von Paulus stets betonte Parallelität zwischen Jesus und den Glaubenden es erforderlich macht, von seinen allgemeinen Ausführungen über die Auferstehungswirklichkeit als soma pneumatikon auf ein entsprechendes Verständnis des auferstandenen Jesus bei Paulus zu schließen (vgl. «Grundzüge der Christologie», 1964, S. 72 f.; die Vorstellung eines soma pneumatikon scheint mir allerdings einen bestimmteren Sinn zu haben, als Grobel es mit Bultmann annimmt, vgl. ibo S.172). Ich bestreite aber, daß für diese Auffassung - die durchaus in jüdischer Tradition beheimatet ist (<
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und Raum lokalisierbar sein müssen (GrobeI, S.218). Kein Streit besteht zwischen uns, was die zeitliche Fixierung des Ereignisses der Auferstehung J esu angeht, unter Umständen sogar mit der relativen Genauigkeit der traditionellen Formel <mach drei Tagen» (Grobel ib.). Unverständlich ist mir GrobeIs Skepsis gegenüber der Beziehung dieses Ereignisses zum Raume. Unter Voraussetzung der Grabestradition ist diese Beziehung ohne weiteres gegeben. Aber selbst wenn man in dieser Frage Grobel folgen wollte, ließe sich doch sagen, daß das Ereignis der Auferstehung Jesu jedenfalls in Palästina stattgefunden hat. Ich kann nicht sehen, was dem entgegensteht, sobald man das Ereignis als solches und als zeitlich fixierbar behauptet. Ich verstehe wohl, daß Grobel die Auferstehungswirklichkeit selbst nicht materiell und insofern auch als nichträumlich ansieht (vgl. die treffenden Bemerkungen von J. Cobb, S. 261 ff.), und ich könnte ihm darin zustimmen. Aber das Ereignis der Auferstehung J esu (im Unterschied zu der aus diesem Ereignis resultierenden Wirklichkeit) hat es mit dem übergang von unserer irdischen Wirklichkeit zu jener nicht mehr im Raume fixierbaren Auferstehungswirklichkeit zu tun. Daher muß jedenfalls sein Ausgangspunkt bei dem im Raume fixierten historischen Jesus gesucht werden, und insofern zumindest ist es selbst raumbezogen: Wenn es überhaupt wirklich geschehen ist, dann in Palästina und nicht etwa in Amerika. überdies wäre zu fragen, ob ein Ereignis, das nur in der Zeit und nicht irgendwie auch im Raume stattfände, für uns überhaupt vorstellbar oder nicht vielmehr eine gedankliche Abstraktion wäre. Gehören nicht Zeit und Raum in der Realität unauflöslich zusammen? Das schwierige Problem, das ich im Hinblick auf den Bezug des Ereignisses der Auferstehung J esu zu Raum und Zeit sehe, liegt darin, daß dieses Ereignis nicht wie andere eine Fortsetzung im Raume und in der Zeit hat. Aber dieses Problem betrifft die Zeitlichkeit des Ereignisses ebenso wie seine Räumlichkeit und hindert nicht, das Ereignis selbst als räumlich und zeitlich fixierbar zu verstehen. - Zum Stichwort «Abstraktion)) sei hier noch eine Bemerkung zu der von Robinson (11, Anm.57 und 65) zitierten Arbeit von W. Marxsen, Die Auferstehung J esu als historisches und als theologisches Problem, 1964, angefügt. Ihre These, «Auferstehung)) sei ein Interpretamentfür die Paulus (und andern) widerfahrene Erscheinung des lebendigen Jesus, scheint auf den ersten Blick nur etwas Selbstverständliches anzusprechen, da ja kein urchristlicher Zeuge das Ereignis der Auferstehung als solches wahrgenommen hat oder dergleichen auch nur behauptet. Die Frage ist nur, ob dieses «Interpretamenb beliebig gegen an339
UI.
Am Verständnis der spezifischen Antizipation des Eschaton in Person und Geschichte Jesu als Präsenz 48 des Endgültigen in ihm und durch ihn hängt unter anderem auch die richtige Verhältnisbestimmung von Wissen und Glaube. Die Erkenntnis der Geschichte Jesu als Antizipation der künftigen allgemeinen Bestimmung der Mensdhheit, die in ihm - besonders in seiner Auferstehung von den Toten erschienen ist und durch ihn zugänglich wird, ist Erkenntnis des Verheißungssinnes dieser Geschichte und führt so zum Vertrauen auf «den Gott, der Jesus von den Toten auferweckte». Das ist in meinem Einleitungsartikel genauer dargelegt worden und soll hier nicht wiederholt werden. Je deutlicher die Erkenntnis dieser Eigenart der
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dere austauschbar ist. Bedarf es wirklich tiefsinniger Erwägungen über die Relativität der damaligen Vorstellungsweise, um das Reden der Urchristenheit vom Auferstandenen auf Grund der Erscheinungen Jesu zu erklären? Wie soll jenes «Interpretamenb vermieden werden, sobald man bedenkt, daß der als lebendig Erschienene zuvor gestorben war? Indem M. dieses Zurückgehen von den Erscheinungen auf das Gestorbensein Jesu beim Verständnis dieser Erscheinungen selbst als eine vermeidbare Reflexion unterstellt (S.24), nimmt seine Argumentation etwas abstrakt Gekünsteltes an. Andererseits ist auch die von M. betonte Funktion des Apostolates keineswegs unabhängig von jener angeblich überflüssigen ((Reflexion». Diese ist nicht etwa irgendwie sekundär hinzugekommen - dafür liegen keinerlei Anhaltspunkte vor - sondern war unmittelbar durch den Erfahrungszusammenhang ver anlaßt, in welchem die Erscheinungen Jesu ihren Empfängern die ja von seinem Tode wußten - zuteil wurden. Ließe sich mit der von Marxsen befolgten Methode auch die Angabe, daß es sich bei den Erscheinungen um Erscheinungen ] esu handelte, als ein sekundäres Interpretament dartun? Es ist das Besondere der Botschaft J esu, daß die Zukunft der Gottesherrschaft nicht als Ausstehendes von der Gegenwart geschieden wird, sondern gerade als Zukunft gegenwartsbestimmende Macht wird, also in der Gegenwart zur Erscheinung kommt (vgl. «Grundzüge der Christologie», S. 234 ff.). An diesem Punkt hat J. Wirsching die eigentliche Spitze meines Ver-
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Geschichte J esu wird, desto klarer weist sie über ihre eigene Fonn als theoretisohe Erkenntnis hinaus in den Glauben. Denn desto klarer wird erkannt, daß nicht bloße Kenntnisnahme, sondern das Vertrauen auf den von J esus verkündeten Gott das dieser Geschichte letztlich allein angemessene Verhalten ist. Eben diese Erkenntnis aber ist unerläßlich, wo angesichts des Zweifels an der Wahrheit der christlichen Botschaft die Freiheit zum Glauben gewonnen werden soll. Sie gibt den Blick frei auf den Grund des Glaubens in Jesus selbst ((extra meJJ und bewahrt so die «Entscheidung)) des Glaubens vor dem Verdacht, auf frommem Selbstbetrug zu beruhen. Es ist mir unbegreiflich, wie Hamilton angesichts dieses von mir wiederholt dargelegten Übergangs des Wissens von der Geschichte Jesu in den Glauben behaupten kann, für ständnisses der Eschatologie J esu und des Begriffs der Prolepse verkannt, indem er erwägt, ob nicht die Gegenwart bei mir «einen gnostischen oder doketischen Schein annimmt)) «((Ein neues theologisches System?)), in: Deutsches Pfarrerblatt 64, 1964, S.609; vgl. oben bei Robinson, S.100). Einen andern Akzent hat die Kritik von J. Cobb (oben S.282), daß ich die Gegenwart allzu sehr der Zukunft und der Vergangenheit unterordne. Daran ist richtig, daß ich die Gegenwart als von der Zukunft eröffnet und auf das Erbe der Vergangenheit bezogen sehe, das seinerseits wieder auf Zukunft verweist. Diese Bezüge erscheinen mir als konstitutiv für die Gegenwart selbst. Eine von Vergangenheit und Zukunft isolierte Gegenwart bliebe leer, zumindest für ein endliches Wesen. Ihren spannungsvollen Inhalt empfängt die Gegenwart immer erst durch die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Vergangenheit im Lichte einer Zukunftsperspektive. Aber die Zukunft wird gerade dadurch für uns relevant, daß und wie sie in der Gegenwart ((ankommtI>, indem gegenwärtig geschieht, was Zukunft mit sich bringt. Das Bekenntnis der Inkarnation Gottes in J esus Christus besagt in diesem Sinne, daß in ihm die Zukunft Gottes Gegenwart unter uns geworden ist, und zwar nicht nur vorübergehende Gegenwart (in einem für uns inzwischen wieder vergangenen Geschehen), sondern bleibende Gegenwart durch den Geist J esu - weil Gegenwart, die unbegrenzt Zukunft hat. - Zum ontologischen Aspekt des Themas, vgl. meinen Aufsatz ((Erscheinung als Ankunft des Zukünftigen)). 341
mich falle Wissen und Glauben derart zusammen, daß Glaube in meinem Sinn nur fides historica bedeute (S. 242 f.). Offenbar hat Hamilton meine Darlegungen, daß und wie die Erkenntnis der Historie Jesu im Hinblick auf ihren eschatologisch-proleptischen Sinn über die bloße historische Kenntnisnahme hinausführt zum Glauben im Sinne von Vertrauen 49, keiner Beachtung für würdig befunden. Es scheint seiner Aufmerksamkeit auch entgangen zu sein, daß die Unabschließbarkeit des Wissens von der Geschichte Jesu als einer eschatologischen eine letzte Identität der Situation des Theologen mit der des unreflektiert Glaubenden begründet - das gerade Gegenteil jener «Rechtfertigung durch Methode», die er für meine Meinung ausgeben möohte (S. 241). Auch die parallele Behauptung Hamiltons, «als sei der Heilige Geist durch die richtige Methodologie ersetzt worden» (240), stellt eine so grobe und - wie ich hoffe - für jedes unbefangene Urteil offensichtliche Verzeichnung meiner Position dar, daß sich eine Antwort darauf eigentlich erübrigt. Meine wiederholten Hinweise, daß nicht die theoretische Erkenntnis die Gemeinschaft mit J esus zu schaffen vermag, die allein das Heil verbürgt, und daß 49
In reformatorischer T€mninologie - auf die Hamilton mich hinweist - heißt das: Die Historie selbst muß nicht nur als solche zur Kenntnis genommen werden (notitia historiae), sondern hinsichtlich ihrer spezifischen Wirkung (effectus) verstanden werden: Estque referenda historia ad promissionem seu effectum (Melanchthon, Loci praecipui theologici, 1559 (CR 21, S.743), vgl. CA 20, § 23). Dem entspricht, daß Melanchthon in der Apologie die Sündenvergebung als causa tinalis historiae, als Zielbestimmung der Historie J esu selbst kennzeichnet (Apologie IV, 51). - J. Cobb hat die Differenz meiner Auffassung zu ihrer Deutung durch Hamilton ausgezeichnet formuliert, indem er sagt, der Glaube, der aus der vorausgesetzten überzeugung von J esu Auferstehung und ihrer Bedeutung folgt, «ist weniger ein gestärktes Vertrauen darauf, daß diese Sätze wahr sind, als vielmehr Vertrauen auf den Gott, der Jesus Christus auferweckte und der alle Menschen .auferwecken wird)) (S.274). Statt «all men)) müßte es wohl heißen «die mit Jesus Verbundenen)), wenn Auferstehung im Sinne des Paulus bereits die Heilsgabe des ewigen Lebens vermittelt.
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solche Gemeinschaft vielmehr allein durch das Vertrauen auf Jesus und seine Botschaft entsteht und lebt (vgl. «Offenbarung als Geschichte», 2. Aufl. 1963, S. 145), lassen die Differenz meiner Auffassung von der Darstellung, die Hamilton davon gibt, besonders augenfällig werden. Daß die Erkenntnis der den Glauben begründenden Geschichte es mit der im Vertrauens akt vorausgesetzten Wahrheit und Verläßlichkeit dessen, woran der Glaube hängt, zu tun hat und so (im Hinblick auf den erkannten Inhalt) dem Glaubensakt logisch vorangeht, bedeutet nicht, daß solche Erkenntnis ihrem subjektiven Vollzuge nach irgendwie Bedingung der Gemeinschaft mit Gott wäre. Daher ist die Erkenntnis auch kein frommes «Werk» im spezifischen, theologischen Sinne einer Bedingung für das Erlangen des Heils, wie G. Klein es als meine Auffassung ausgegeben hat. Der an Jesus Glaubende hat in Jesus, dem er vertraut, das Heil, ohne Rücksicht darauf, wie es mit seiner historischen und theologischen Erkenntnis J esu steht immer vorausgesetzt, daß Gemeinschaft mit Jesus in der Tat das Heil verbürgt und vermittelt. Der Wahrheit dieser Voraussetzung des Glaubens gilt das Forschen und Erkennen der Theologie, jedenfalls ihrer theoretischen Disziplinen. Solche Erkenntnis ist daher nicht Bedingung für die Teilhabe am Heil, wohl aber versichert sie den Glauben seines Grundes und ermöglicht ihm damit, sich der Anfechtung zu erwehren, daß er keinen Grund außer sich habe und nur ein subjektives Bedürfnis durch Fiktionen befriedige, also in Wahrheit Selbsterlösung durch Selbstbetrug vollziehe. Diesem Verdacht und der Anfechtung, die er für den von Gottes Tun her sich verstehenden Glauben bedeuten muß, läßt sich nicht - mit Bultmann - entgegenhalten, der Glaube sei doch « Gehorsam)) gegen eine Autorität jenseits seiner selbst. 50 Fraglich ist ja eben, weshalb gerade 50
Vgl. bei J. Robinson oben IV., Anm.16. Die Problematik der Position Bultmanns ist ähnlich wie bei mir - wenn auch von anderem Standort und mit anderer Akzentsetzung - von K. 343
diese Autorität akzeptiert werden soll, während die Ansprüche anderer Positionen abgewiesen werden. Ein Denken, das sich die Fragen der Aufklärung zueigen gemacht hat, kann sich bei behaupteten Autoritäten nicht mehr beruhigen. Es muß nach dem Recht ihrer Ansprüche fragen, also nach den Gründen, die geeignet sind, von der Glaubwürdigkeit solcher Ansprüche zu überzeugen. Hier hat das theologische Wissen, um das die Arbeit theologischer Forschung sich bemüht, seine Funktion für den Glauben: Es sorgt dafür, daß der Glaube reiner Glaube hleibt, der vorgegebenen Wahrheit seines ihn tragenden Grundes vertrauen kann und nicht als grundlose «Entscheidung)) zum Werk einer - illusionären - Selbsterlösung verdirbt. Der Glaubende, der die Antwort auf die Anfechtung des Zweifels durch den Akt des Glaubens selbst geben zu können meint, befindet sich schon auf dem Wege solcher selbstbetrügerischen Werkgerechtigkeit. Auch «gehorsame)) Annahme von Behauptungen nur auf Autorität hin beruht im Widerspruch zu ihrem eigenen Selbstverständnis auf grundloser «Entscheidung)), wenn der Wahrheitsanspruch der betreffenden Autorität in der allgemeinen geistigen Situation nicht mehr zweifellos feststeht, sondern faktisch und wegen der Abkehr von allem autoritären Denken auch grundsätzlich zweifelhaft geworden ist. Auch dem Menschen, der sich mehr oder weniger dunkel dessen bewußt ist, daß die Selbstverfügung über das eigene Dasein die eigentliche Möglichkeit des Lebens verfehlt, ist damit noch lange nicht deutlich, weshalb er auf die Verfügung über sich selbst ausgerechnet zugunsten Jesu verzichten soll oder zugunsten der AutorHät des christlichen Kerygmas, das unter Berufung auf Jesus ihm entgegentritt. In dieser Situation wird gerade die «gehorsame)) Entschei-· dung zur Annahme des christlichen Kerygmas noch einmal zum Akt der Selbstverfügung, solange man keine Schwarzwäller, Theologie oder Phänomenologie, 1966, S. 67 f., vgl. 63 f., siehe auch 142, gesehen worden. 344
Gründe dafür angeben kann, weshalb man nicht stattdessen lieber Buddhist wird oder marxistischer Atheist oder einfach säkularer Humanist, der keine Berufung auf J esus mehr nötig findet. Es bedarf also der Gründe für die Entscheidung des Glaubens. Dabei braucht der Glaube, um Glaube im Vollsinn zu sein, sich dieser Gründe nicht in jedem Falle und vor allem nicht in ihrer letztgültigen Klarheit und Gestalt bewußt zu sein. Es genügt, daß die Entscheidung des Glaubens faktisch auf stichhaltigen Gründen beruht. Die Frage, ob und wie das der Fall ist, bildet das Thema theolOgischer Reflexion, an der der einzelne Glaubende in dem Maße teilnehmen wird und soll, wie es zur Auseinandersetzung mit den ihn selbst bewegenden Zweifeln nötig ist. Die Theologie hat es also, in freilich stets vorläufiger Weise, mit der Voraussetz'ung des Glaubens zu tun, mit der im Glaubensakt schon vorausgesetzten Wahrheit und Verläßlichkeit des «Gegenstandes)), an dem der Glaube hängt. Die Wahrheit oder Unwahrheit des Glaubens entscheidet sich nicht primär im Akt des Glaubens, .sondern die Entscheidung darüber hängt an seinem Gegenstand, der in sich die Verheißung birgt, auf die der Glaube vertraut, und der auch Gegenstand des fheologischen Wissens ist. Nur so hängt der Glaube an einer Wahrheit extra se. Weil es nun das Spezifische des Wissens ist, den Gegenstand in seiner Gegenständigkeit, in seiner Differenz zur Subjektivität (auch des Wissenden selbst) wahrzunehmen - soweit das möglich ist -, darum ist es Sache des theologischen Wissens, die dem Glauben vorgegebene Wahrheit, auf die hin er vertraut, als solche zu wahren. Die Theologie übt diese Funktion schlecht und recht seit den Anfängen des Christentums, unbeschadet der Vorläufigkeit und Revidierbarkeit ihrer Einsichten, trotz der von daher möglichen und nötigen Strittigkeit theologischer Sätze und obwohl das Wissen nicht weniger als der Glaube ein Akt der menschlichen Subjektivität ist. Der zuletzt erwähnte Gesichtspunkt ist von Klein als Argument gegen meine These ins Feld 345
geführt worden, daß die Vorordnung des theologischen Wissens vor den Akt des Glaubens dem extra me der Wahrheit, an der der Glaube hängt, entspreche. 51 Dieses Argument übersieht, daß es die Besonderheit des Wissens unter allen übrigen geistigen Akten ausmacht, die dem Menschen vorgegebene Wirklichkeit als solche, in ihrer Differenz zur mensohlichen Subjektivität, auch zur Subjektivität des Wissenden selbst, in den Blick kommen zu lassen. Solche «Sachlichkeit» der Weltbeziehung bildet den primären anthropologischen Sinn der Subjekt-ObjektDifferenz 52 und liegt aller Dialektik eines « Verfügens» über das Objekt, die dadurch erst ermöglicht wird, schon voraus. 53 An dieser Sachlichkeit haben die übrigen geistigen Akte des Menschen dadurch teil, daß sie sich auf etwas 51 52
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Diesen Einwand Kleins referiert Robinson oben, S. 117 ff. Das hat M. Landmann, Philosophische Anthropologie, Berlin 1955, S.214 und 215 f. mit Recht gegen Heidegger geltend gemacht. Verfügbarkeit wird dadurch ermöglicht, daß das «Objekt)) identisch bleibt im Wechsel subjektiver Hinsichtnahme oder auch (bei der sprachlichen Mitteilung) im Wechsel der Subjekte selbst. Sofern die auch dann in jedem Falle mitspielenden Unterschiede der subj ektiven Auffassung vernachlässigt werden können, läßt sich das «Objekh behandeln, als ob es im Wechsel der Hinsichtnahme und seiner Beziehungen auf verschiedene Subjekte tatsächlich identisch bliebe, diese wechselnden Beziehungen ihm äußerlich blieben. In diesem Falle kann das «Objekt)) auch in geeignete Ziel entwürfe menschlichen Handelns als Mittel eingestellt werden. Doch auch wenn ein Verfügen in diesem Sinne nicht möglich ist, weil sich im Umgang mit dem Objekt die jeweiligen subjektiven Hinsichten nicht vernachlässigen lassen - und das ist nicht erst bei der Gotteserkenntnis, sondern schon bei aller Geschichtserkenntnis der Fall - ist dennoch Sachlichkeit der Erkenntnis möglich in der Weise, daß jedes Subjekt in jeweils eigentümlicher Weise die Sache von sich unterschieden weiß und zwar (der Intention nach) dieselbe Sache, auf die andere Subjekte sich beziehen, obwohl sie sich ihnen in anderer Weise darstellt. Die Selbigkeit der Sache ist dann freilich nicht unproblematisch gegeben, sondern es bedarf einer besonderen Vergewisserung derselben. Sie geschieht methodisch dadurch, daß die eigene Perspektive
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im angegebenen Sinne «objektiv)) Wahrgenommenes beziehen, also auf dasjenige Moment des Bewußtseins, das im Wissen seine spezifische Ausbildung findet. Damit hängt es zusammen, daß so auch das theologische Wissen innerhalb des Kontextes menschlicher Akte die Entscheidung des Vertrauens der Vorgegebenheit seines «Gegenstandes)) ansichtig werden läßt und sie ihm gegenüber vertritt. Bleibt aber nicht jedes Wissen von der Historie Jesu, selbst wenn diese in gewissem Sinne in sich die Bedeutung göttlicher Offenbarung tragen sollte, hoffnungslos zurück hinter der Gewißheit des Glaubens? Erreicht nicht historisches Wissen bestenfalls Wahrscheinlichkeit, so daß nach einer andem Wurzel für die Gewißheit des Glaubens gesucht werden müßte? Auf diese seit Lessing und Kierkegaard immer wieder aufgeworfene Frage 54 habe ich durch
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sich durch kritische Diskussion schon vorliegender Auffassungen ((desselben)) Sachverhaltes vermittelt. Solche Diskussion erfolgt freilich wiederum in subjektiver Perspektive, so daß die Vergewisserung der den Subjekten vorgeordneten gemeinsamen Sache, die unter ihnen strittig ist, eine nicht abschließbare Aufgabe darstellt. Der nicht abschließbare Prozeß historischer Erforschung immer wieder derselben Themen bietet die eindruckvollste Veranschaulichung dieses Sachverhalts. In seiner Typologie von Antworten auf die Lessingfrage (S. 245 f.) schreibt Hamilton mir die Auffassung zu, daß eine Kluft zwischen vergangenen Ereignissen und gegenwärtiger Glaubensüberzeugung (oder überhaupt gegenwärtig verbindlicher Wahrheit) gar nicht entstehen könne wegen der Zusammengehörigkeit von Faktum und Bedeutung (S.247). Er übersieht, daß für mich bei jedem neuen Verstehen des Vergangenen wieder auf dem Spiele steht, was für eine Bedeutung das vergangene Geschehen für die Gegenwart hat. Das ist immer wieder eine offene Frage. Wie wenig ich Gegenwartsbedeutung und vergangenes Ereignis unterschiedslos in eins setze, geht aus meiner Betonung der historischen Differenz hervor, die beim hermeneutischen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht verschwinden darf (ZThK 60, 1963, S. 106 ff.). Dieser Gesichtspunkt ist mein wichtigstes Argument dafür, daß nur ein Entwurf der Geschichte der Sachen selbst (letztlich der Universalgeschichte) den Horizont der hermeneutischen Aufgabe zureichend beschreiben kann (ebd. S. 118). 347
die Unterscheidung zwischen historischer· Gewißheit und Glaubensgewißheit zu antworten gesucht: Beide liegen auf verschiedenen Ebenen, und eben deshalb ist die Begründung eines gewissen Vertrauens auf ein Geschehen, von dem wir historisch immer nur mit Wahrscheinlichkeit wissen können, kein Widerspruch in sich. Historische Untersuchung vermag nie zu abschließender Gewißheit, sondern immer nur zu mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit ihrer Ergebnisse zu gelangen. Das gilt formal für alle möglichen Gegenstände historischen Fragens, ist daher gleichgültig gegenüber der Besonderheit eines bestimmten historischen Themas. Die Glaulbensgewißheit hingegen hängt an der Eigenart eines bestimmten Geschehens, nämlich der Geschichte Jesu. Die Besonderheit dieses Geschehens besteht darin, daß hier das Endgültige schon Gegenwart ist und daß daher am gegenwärtigen Verhalten zu Jesus das künftige, endgültige Heil jedes einzelnen hängt. Diese eschatologische Besonderheit der Geschichte J esu fordert und begründet uneingeschränktes Vertrauen: Weil es bei Jesus um das Ganze geht, darum ist hier ganzes Vertrauen gefordert - unbeschadet der relativen Unsicherheit unseres historischen Wissens von J esus. Die Gewißheit des Glaubens besteht in der Ganzheit des Vertrauens, die wiederum durch den eschatologischen Sinn der Geschichte J esu begründet ist. Unser historisches Wissen von dieser Geschichte Jesu hat zwar nur Wahrscheinlichkeitscharakter, und es kann nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, daß die historische Wahrscheinlichkeit derjenigen Züge der Geschichte Jesu, die ihren eschatologischen Sinn begründen, eines Tages durch irgendwelche Gesichtspunkte zweifelhaft wird bis zu dem Grade, daß eine Auffassung der historischen Gestalt J esu als wahrscheinlich gelten könnte oder müßte, die den urchristlichen Christusglauben als unbegründet, als ohne Anhalt an der historischen Gestalt J esu selbst erscheinen ließe. Ich sehe keinen Anlaß für Befürchtungen, daß eine solche Situation der Forschung in absehbarer Zeit eintritt. Aber im Prinzip läßt es sich nicht 348
ausschließen. In einem solchen Falle würde zweifellos auch der Glaubensgewißheit, dem Vertrauen auf die eschatologische Macht und Bedeutung der Geschichte Jesu, die Grundlage entzogen. Allerdings bliebe sogar dann noch die Möglichkeit, dem gegenwärtigen Urteil der Historiker entgegen auf eine künftige, «
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Hamilton, S.237. Diese Auffassung stützt Hamilton auf einen Satz meines Artikels «Heilsgeschehen und Geschichte» (KuD 5, 1959, S.278). Die von ihm angenommene englische Übersetzung ist an dieser Stelle jedoch offensichtlich fehlerhaft. Es heißt dort nicht, historisches Wissen könne die Glaubensgewißheit «nur wenig beeinträchtigen», sondern der Wahrsoheinlichkeitscharakter historischen Wissens könne die eigentümliche Gewißheit des Glaubens nicht beeinträchtigen, nämlich «so wenig» wie andererseits durch das Wissen der Glaube überflüssig wird. (Statt der hier gebrauchten Wendung: «so wenig - wie» steht im Text gleichbedeutend «so wenig - so wenig».) Auch J. Cobb ist oben S. 276 durch die falsche Übersetzung irregeführt worden. Ich stimme vollkommen überein mit seinem Satz: «Aber es ist schwer einzusehen, wie man im voraus behaupten kann, die Gewißheit des Glaubens könnte durch weitere Entwicklungen in der geschichtlichen Forschung nur unwesentlich betroffen werden» (Cobb, S. 276). Das könnte man in der Tat nur dann sagen, wenn man eine «sturmfreie Zone» der Glaubensgewißheit behaupten wollte, und das habe ich ausdrücklich abgelehnt. 349
tige Anhaltspunkte gegeben sein. Hätte ich eine Unverwundbarkeit des Glaubens durch historische Kritik in der Tat behauptet, wie Hamilton meint, dann hätte er recht, mir eine ähnliche Flucht in einen theologischen Zirkel zum Vorwurf zu machen wie ich sie an anderen Positionen kritisiert habe (S. 237). Auch Hamiltons Mißtrauen gegen den methodischen Grundsatz, daß Fakten und Bedeutung nicht getrennt werden können, ohne in eine abstrakte Betrachtungsweise zu geraten scheint in dem soeben berührten Punkt begründet zu sein. Und in der Tat wäre jene traditionsgeschichtliche These eine bloße Schutzbehauptung für eine «sektiererische Theologie» (S. 239), wenn sie dazu mißbraucht würde, Kritik fernzuhalten. Die traditionsgeschichtliche Betrachtungsweise im oben bezeichneten Sinne beschreibt jedoch ganz im Gegenteil den Prozeß der Kritik und Verwandlung von Überlieferungsinhahen und kann die Kontinuität der Sache nur in diesem Prozeß der Kritik und Verwandlung suchen, nicht in einer vermeintlich sturmfreien Zone jenseits desselben. Nur in einer so gefährdeten und vorläufigen Weise ist eine Erkenntnis der endgültigen Wahrheit möglich, die in der Geschichte J esu erschienen· ist. Das äußert sich einerseits in der unablässigen Veränderung unseres historischen Bildes von dieser Geschichte, andererseits darin, daß Inhalt und Bedeutung dieses Geschehens nur in einer noch nicht Erschienenes antizipierenden Sprache ausgesagt werden können. Beides gehört zum Geheimnis der Inkarnation: die Veränderlichkeit unserer historischen Kenntnis von der Geschichte J esu, wie auch die Überschwänglichkeit ihrer Bedeutung, die uns die Grenzen gegenwärtiger Erkenntnis und Sprache bewußt macht. Beide Schwierigkeiten konzentrieren sich in der Frage nach der Auferstehung J esu, die die Grundlage des Inkarnationsbekenntnisses bildet. Doch eben inmitten solcher Vorläufigkeit und Gefährdung hat die Theologie es mit der endgültigen Wahrheit zu tun, die inmitten der gesohichtlichen Relativität unserer Welt erschienen ist. Dazu gehört auch, daß sie in einem für uns 350
vergangenen Geschehen erschienen ist. 56 Dadurch ist ja die Vorläufigkeit und Gefährdung theologischer Erkenntnis bedingt. Daß inmitten der Endlichkeit des geschichtlichen Lebens die endgültige Wahrheit und das endgültige Leben erschienen ist, dieser zentrale Sinn der Inkarnation darf jedoch nicht sprachlos bleiben, sondern muß theologisch ausgesagt werden. Dabei läßt rechte theologische Erkenntnis sich durch die Reflexion auf ihre jeweilige Grenze, also auf ihre eigene Endlichkeit, hineinziehen in das Geheimnis ihrer Sache, und so - als reductio in mysterium führt sie über sich hinaus in den Glauben. Darin vollzieht sie das Bewußtsein vom Geheimnis der Inkarnation, das auch ich nicht besser zu bezeichnen wüßte als es der von Hamilton zitierte Satz Eliots tut: Der Hinweis, halb erahnt, die Gnade, halb verstanden, ist Inkarnation. 56
Dieses entscheidende Moment des Inkarnationsgedankens sehe ich bei Th. Altizer preisgegeben durch sein Bemühen, das, was er den lebendigen Christus nennt, vom historischen Jesus abzulösen «
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