Evangelische Theologie. Z weimona tsschrift 1934-1971 verantwortlich herausgegeben von Ernst Wolf Herausgeber: G. Altne...
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Evangelische Theologie. Z weimona tsschrift 1934-1971 verantwortlich herausgegeben von Ernst Wolf Herausgeber: G. Altner, F. Crüsemann, H. Falcke, F. Hahn, C. Kähler, M. Käßmann, D. Koch, U. Luz, J. Mehlhausen, J. Moltmann, E. Moltmann-Wendel, I. Praetorius, G. Sauter, W. H. Schmidt, J. Seim, T. Sundermeier, L. Vischer, M. Welker Geschäftsführender und verantwortlicher Herausgeber: Prof. Dr. Ulrich Luz Marktgasse 21, CH-3177 Laupen Redaktion: Regine Hunziker-Rodewald und Olaf Waßmuth Evang.-theol. Fakultät der Universität Bern, Länggassstr. 51, Unitobler, CH-3000 Bern 9
INHALT Zu diesem Heft
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Hauptartikel Traugott Holtz, Geschichte und Verheißung. "Auferstanden nach der Schrift" Peter von der Osten-Sacken und Michael Wyschogrod, Auferstehung Jesu im jüdisch-christlichen Dialog. Ein Briefwechsel Wolf Krötke, Die christologische Bedeutung der Auferstehung Jesu Christi von den Toten Ina Praetorius/Doris Strahm/Luzia Sutter Rehmann, "Manchmal stehen wir auf ... " Gespräch über Auferstehung Christoph Morgenthaler, Der unvollendete Pullover. Pastoralpsychologische und -theologische Betrachtungen zu Kreuz und Auferstehung Jesu
179 196 209 225 241
Kritisches Forum Gerhard Noller, Nachzügler des 19. Jahrhunderts. Exemplarische Überlegungen zum Wirklichkeitsbegriff im Gespräch mit Gerd Lüdemann
259
Zur Situation Diether Koch, Zum Umgang mit dem Darmstädter Wort heute
273
Hinweis Ulrich Luz, Biblische Bibliotheken in Osteuropa. Wir bitten um Hilfe!
276
Bezugsbedingungen: "Evangelische Theologie" erscheint zweimonatlich (Februar, April, Juni, August, Oktober und Dezember). Bezugspreise einschließlich MWSt. und Versandkosten: Inland jährlich DM 99,-; Ausland DM 1l0,-/ÖS 803/ sFr 99,-; für Studenten bzw. Abonnenten, die sich in der Ausbildung befinden, DM 59,-/öS 431/sFr 55,50 (Nachweis erforderlich). Der Gesamtpreis ist preisgebunden. Die Preise gelten jeweils für den laufenden Jahrgang. Einzelheft DM 22,-/ÖS 161/ sFr 21,-. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrgangs möglich und müssen bis spätestens 30. September eingehen. Manuskripte sind an den geschäftsführenden Herausgeber zu senden. Besprechung oder Rücksendung unverlangt zugesandter Bücher kann nicht gewährleistet werden, ebensowenig die Rücksendung von nicht angeforderten Manuskripten. Die Zeitschrift und alle in ihr veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung, im Magnettonverfahren oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Verlag und Eigentümer: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Postfach 450,33311 Gütersloh ISSN 0014-3502
Gesamtherstellung: Druckerei Sommer GmbH, Dieselstraße 4, 91555 Feuchtwangen Printed in Germany
Zu diesem Heft
Ulrich Luz
Die Diskussion über die Auferstehung Jesu ist heute immer noch durch das Buch von Gerd Lüdemann bestimmt.! Das ist eigentlich schade. In Lüdemanns Buch wird die Frage nach der Wirklichkeit der Auferstehung auf die Frage reduziert, was damals geschehen sei. Es gilt die Gleichung "historisch = wirklich". Mit einer solchen Engführung als Prämisse läßt sich die Frage nach der Auferstehung J esu zwar auch, aber nicht zureichend diskutieren. Um Engführungen zu verhindern, haben wir in diesem Heft das Thema "Auferstehung Jesu" nicht einfach den Neutestamentlern überlassen, sondern VertreterInnen fast aller theologischer Disziplinen zur Mitarbeit aufgefordert. Sie wurden gebeten, über die Auferstehung Jesu aus der Sicht ihrer Disziplin oder ihrer theologischen Position zu schreiben. Damit haben wir die Hoffnung verbunden, daß durch die verschiedenen Perspektiven etwas von den vielfältigen Dimensionen der Auferstehungswirklichkeit sichtbar werden könnte. Traugott Holtz schreibt über die Auferstehung Jesu aus der Sicht biblischer Theologie. Hinter seinen exegetischen und traditionsgeschichtlichen Untersuchungen zu Apg 2,24-32 und 13,30-37 wird ein profiliertes Verständnis einer vom Neuen Testament her entworfenen biblischen Theologie sichtbar: Die Auferstehung Jesu ergibt sich nicht "deduktiv" aus dem Verlauf der biblischen Geschichte, aber sie gehört als Werk des einen Gottes, "dessen Einheit auch seine Identität einschließt", in die Kontinuität seiner Geschichte mit seinem Volk hinein und definiert diese endgültig. Peter von der Osten-Sacken und Michael Wyschogrod schreiben über die Auferstehung J esu im jüdisch-christlichen Dialog. Als Kernfrage erweist sich nicht die Auferstehung Jesu, des Sohnes Israels und seines Gottes, sondern die Frage nach der "hohen" Christologie, die für die Christen aus dieser Auferstehung folgte. Für Peter von der Osten-Sacken ist ein "vere homo et vere deus" zu bejahen, sofern es klar und eindeutig den "Sohn Israels" meint. Für Michael Wyschogrod dagegen ist das "zuviel Auferstehung". An J esus stellt er indirekt die Frage, ob er denn genügend die Aufmerksamkeit seiner AnhängerInnen von sich weg auf den Einen gelenkt habe, dem er selbst diente. Direkt stellt er diese Frage an den vor drei Jahren verstorbenen Rebbe von Lubavitsch, d~ssen Auferstehung einige seiner AnhängerInnen erwarten. Der Systematiker Wolf Krötke geht aus von der Frage nach dem Wirklichkeitsverständnis, das die Bemühungen um das Verstehen der Auferstehung Jesu prägt. Es darf kein von außen an sie herangetragenes sein, sondern ist die Bewegung, in die der irdische Jesus und das ihm in der Auferstehung widerfahrene Gericht der Gnade die verstehenden Menschen führt, so daß sie ihr eigenes Menschsein in der Zeit als in Gottes 1
G. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, erw. Neuausgabe, Stuttgart 1994.
Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 177-178 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
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Ewigkeit ruhend erfahren können. Die drei Autorinnen Ina Praetorius, Doris Strahm und Luzia Sutter Rehmann suchen in ihrem Gespräch über Auferstehung nicht dogmatische Korrektheit, welche die Dynamik der Auferstehung vielleicht eher zerstört, sondern Spuren der Kraft der Auferstehung im Leben, nicht in Worten, die "über" den Denk-Gegenstand Auferstehung nachdenken, sondern eher in Gedichten und Gebeten. Auferstehung Jesu ist für sie sinnvoll, wenn sie hier und jetzt unserem Leben Sinn gibt, wenn sie eine Kraft ist, die wir erfahren können. Um ein Gespräch geht es auch im letzten Aufsatz, demjenigen des praktischen Theologen Christoph Morgenthaler, nämlich um ein Gespräch am Krankenbett. Auch in diesem Gespräch wird das Scheitern dogmatisch-traditionellen Redens "über" die Auferstehung sichtbar. Im Unterschied zum vorangehenden Gespräch, in dem es um Auferstehung im Leben ging, wird aber hier der Tod selbst zum "Thema". In das vom Tod gekennzeichnete Sprechen einer Frau und in die vom Tod gekennzeichnete objektivierende Sprache eines Vikars "strickt sich" überraschend und unerwartet der noch nicht fertig gestrickte Pullover des Lebens hinein. Um welches Leben geht es? Um dieses Leben, das die Frau noch festhalten möchte? Oder um das Leben der Auferstehung Jesu, das sich ankündigt? Christoph Morgenthaler, der weiß, daß es nicht einfach darum gehen kann, das "hinter" menschlicher Sprache Liegende dingfest zu machen, würde diese Frage vermutlich nicht beantworten wollen und statt dessen im Sinne des Konstruktivismus die LeserInnen einladen, am Pullover der Frau weiterzustricken. Für mich war sein Aufsatz als Versuch, die Vielschichtigkeit der sprachlichen Wirklichkeit der Auferstehung Jesu aufscheinen zu lassen, faszinierend. Das ins "Kritische Forum" aufgenommene Gespräch mit G. Lüdemann von Gerhard Noller flog uns unmittelbar vor Redaktionsschluß dieses' Heftes unverlangt auf den Tisch. Der Autor bezeichnet sich selbst als "Amateurautor" (im Unterschied zu den "Profis von den Hochschulen", die heute fast ausschließlich unsere Zeitschrift füllen) und zugleich als "einen der ältesten Abonnenten und Leser der Evangelischen Theologie". Daß Alter nicht "altmodisch" bedeutet und daß der Verfasser selbst kein "Nachzügler des 19. Jahrhunderts" ist, macht sein Gesprächsbeitrag deutlich!
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Hauptartikel
Geschichte und Verheißung "Auferstanden nach der Schrift"
Traugott Holtz
I
N ach dem Bericht Apg 17 ,2f kommt Paulus nach seiner Ankunft in Thessalonich "seiner Gewohnheit gemäß" zu den Juden und tritt an drei Sabbattagen mit ihnen in einen Diskurs ein auf der Grundlage der Schriften. Gedacht ist zweifellos an Auftritte des Apostels in der Synagoge, auf deren Existenz in der Stadt V.1 eigens hinwies. Vermutlich setzt Lukas eine ähnliche Situation dabei voraus, wie er sie Apg 13,1441 mit der Darstellung der Predigt des Paulus im pisidischen Antiochia geschildert hat .. Indessen läßt sich das Geschehen, von dem Apg 17 ,2f spricht - faßt man es so, wie Lukas es schildert, als tatsächliches ins Auge -, nicht wirklich in diesem Rahmen unterbringen. Das betrifft sowohl die Zahl der Auftritte l als auch ihre Art 2 wie ihren Inhalt. Der Verweis Apg 13,15 auf die Verlesung des Gesetzes (seder) und der Propheten (hajtarah) vor der Aufforderung an Paulus, einen AOYOS Tfis 1taea%A~ciE(oS vorzutragen, weist die folgende Rede als eine Predigt über die Lesungen des Sabbats aus. Tatsächlich zeigt der folgende Text auch Züge einer Synagogenpredigt. 3 In Thessalonich aber hält Paulus nach Apg 17,2f nicht auf die jeweiligen Sabbatlesungen bezogene Textpredigten, sondern erschließt in der kontinuierlichen Diskussion mit seinen Hörern über den Inhalt der Schrift die von Gott gesetzte Notwendigkeit, daß der Christus leiden und von den Toten auferstehen muß. Erst auf der Grundlage solcher Einsicht in die messianischen Erwartungen der Schrift erfolgt die Identifikation Jesu als des Messias. Es ist offenkundig, daß solcher Darstellung keine mögliche historische Situation entspricht; sie verdankt sich 1 "Drei" ist gewiß als runde Zahl gebraucht; gedacht ist an eine zwar begrenzte, als für die Absicht des Paulus aber doch hinreichende Zeit. 2 olE,,-i:~a'tO alvwLS 'trov yea<j>rov denkt offenbar mehr an Disputationen als an Predigten (so Apg 13,15; zu "-DYOS naeU'>G,,-~crEroS vgl. Hebr 13,22); siehe D. W. Kemmler, Faith and Human Reason (NT.S 40), Leiden 1975, 18-36. 3 Vgl. J. W. Bowker, Speeches in Acts: A Study in Proem and Yellammedenu Form, in: NTS 14, 1967/68,96-111, bes. 101-104; s. auchR. Pesch, Die Apostelgeschichte 2 (EKK V/2), Neukirchen 1986, 32.34. Ober sich tatsächlich miteinander verbundenen alttestamentlichen Texten zuordnen läßt, ist freilich unsicher.
ano
Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 179-196 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
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gänzlich der literarischen Gestaltung des Lukas. Freilich bedeutet das Urteil, daß hinter der geschilderten Szene keine historisch verifizierbare Anschauung steht, nicht, daß sie gar keine historische Grundlage hätte. Ein derartiger Fehlschluß ist allerdings bei der Beurteilung literarischer Überlieferung weit verbreitet. Es darf als sicher vorausgesetzt werden, daß Paulus und seine Mitarbeiter in der Regel zunächst im lokalen und geistigen Bezirk der Synagoge ihre Botschaft von Jesus Christus verkündigten. Das ergibt sich nicht nur aus der Analyse der Überlieferung, sondern auch aus der Einsicht in die historischen Möglichkeiten, die für eine derartige Verkündigung bestanden. 4 Daß Paulus auch in Thessalonich zunächst in der Synagoge auftrat, belegt unser Text nicht, wie wir sahen; die Wahrscheinlichkeit spricht gleichwohl dafür. Ganz sicher ist Inhalt seiner Verkündigung der Gottessohn Jesus Christus gewesen,5 und zwar als der Gekreuzigte,6 der auferstanden ist. 7 Im Raum der Synagoge ist solche Verkündigung nur denkbar, wenn sie im irgendwie gearteten Bezug auf die Schrift geschieht. 1Kor 15,3f bezeugt denn auch ausdrücklich für die zeitlich alsbald auf die Missionspredigt in Thessalonich folgende Evangeliumsverkündigung in Korinth den Bezug der Geschichte von Tod und Auferstehung des Christus auf die Schriften. Man muß davon ausgehen, daß Paulus in Thessalonich das gleiche Evangelium (lKor 15,1) proklamierte. Erweist sich so die in der konkreten Ausführung sicher nicht historische, sondern rein fiktiv gestaltete Darstellung der Missionspredigt des Paulus in Thessalonich in fundamentalen Elementen als in der Sache durchaus zutreffend, so ist damit über die Richtigkeit der in Apg 17,2 berichteten Ausgestaltung der Missionsverkündigung doch noch nicht entschieden. Danach liest Paulus zunächst aus der Schrift heraus, daß der kommende Messias einen ganz bestimmten geschichtlichen Weg gehen muß, nämlich den des Sterbens und Auferstehens, und beweist dann von der tatsächlichen Geschichte Jesu her, daß dieser der Christus ist. Der Weg J esu wird mithin nicht von der Schrift her als der messianische begriffen, sondern es wird die Entdeckung gepredigt, daß der Weg J esu dem in der Schrift vorhergesagten und damit festgelegten Geschick des Christus entspricht und ihn deshalb als Messias ausweist. Das bedeutet, daß nicht die erfahrene Geschichte J esu von der Gottesgeschichte, die die Schrift - und sie allein - bezeugt, her begriffen und als ihr zugehörig, ja, als ihr Zielpunkt, gedeutet wird, sondern daß die Jesus-Geschichte als die Reproduktion des schon immer in der Schrift Festgeschriebenen erkannt wird.
4 Vgl. neuestens J. Gnilka, Paulus von Tarsus (HThK.S 6), FreiburgjBr. 1996, 130. 5 Siehe 2Kor 1,19. 6 Siehe 1Kor 2,2. 7 Siehe 1Kor 15,1-15.
180
II
Lukas führt in Apg 17 ,2f nicht des Näheren aus, wie Paulus inhaltlich den Schriftbeweis führte. Er hat das bereits zuvor getan, in der Predigt, die er Paulus im pisidischen Antiochia halten läßt, Apg 13,16-41. Und in der Pfingstpredigt Apg 2,22-36 hat für Lukas bereits ganz am Anfang der Christus-Verkündigung Petrus die Schrift zur Erschließung der J esus-Geschichte bemüht. Der Schriftbeweis dieser Reden soll im folgenden analysiert werden unter der Fragestellung, in welcher Weise die Tradition, die ihm offensichtlich jeweils zugrundeliegt, das Verhältnis von erfahrener Geschichte zur Verheißung der Schrift begreift. Es wird dabei eine erhebliche Differenz zur Sicht des Lukas sichtbar werden. Ganz anders als in Apg 17 wird der Kontingenz der Geschichte der Raum belassen, gerade sie bestimmt die Identität des einen Gottes, der in der Schrift redet und in der Geschichte J esu handelt. Freilich will beachtet sein, daß in der Predigt Apg 13 nur die Auferstehung, nicht aber das LeidenjSterben 8 als in der Schrift bezeugt gefunden wird. Das ist ebenso der Fall in der Pfingstpredigt des Petrus, Apg 2,22-36. Auch dort wird zwar nachdrücklich vom Sterben Jesu gesprochen, der Schriftbeweis aber nur für die Auferstehung geführt. Allerdings heben beide Predigten hervor, daß auch der Tod Jesu schon zuvor festgelegt ist; im vorherbestimmten .Willen und Ratschluß Gottes, 2,23; durch die Stimme der Propheten, die an jedem Sabbat verlesen werden, 13,27. Dabei hat nicht nur Apg 13,27 die Schrift im Auge, sondern auch 2,23; denn nur sie bezeugt den Willen und Ratschluß Gottes. 9 Mit einer erkennbaren Anführung einer alttestamentlichen Stelle oder einer Anspielung darauf wird das indessen nicht verbunden. In der, traditionsgeschichtlich schwierig zu analysierenden, Petrus-Predigt Apg 3,12_26 10 schließlich wird nur von der Passion des Christus gesagt, sie sei vorherverkündigt durch den Mund aller Propheten, V 18, ohne daß ein Beweis dafür geführt würde. Die Auferstehung, für die der Prediger Zeuge ist (V 15), wird hier nicht mit der Schrift in Beziehung gebracht. l l Lukas wird es nach der Pfingstrede Apg 2 nicht mehr für nötig gehalten haben, diese Gegebenheit noch einmal hervorzuheben. Es ergibt sich folgendes Bild: In der ersten Rede des Petrus, mit der, angestoßen durch das Pfingsterlebnis, die Mission der Apostel beginnt, und in der ersten Rede des Paulus, durch die die Christusverkündigung 8 1tIIO"XElV schließt in Wendungen wie Apg 17,3 das Sterben zumindest ein, vgl. J. Kremer, Art. 1tIIO"Xro, EWNT III, 120-124, 123.
Vgl. Lk 18,3lf; 22,22. - E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen 1965 5 , 143: "Gottes eigener, in der Schrift offenbarter Wille." 10 Vgl. etwa R. Pesch, Die Apostelgeschichte 1 (EKK V/I), Neukirchen 1995 2 , 150f. 11 ävaO"'t~O"as V. 26 ist wohl von dem gleichen Verb in dem Zitat V. 22 bestimmt; doch ist eben deshalb nicht an die Auferstehung von den Toten, sondern an das geschichtliche Auftreten Jesu gedacht, obwohl das Wort sonst im Neuen Testament von der Totenerweckung gebraucht wird (so auch für diese Stelle BauerAland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, 6., neu bearb. Auflage, Berlin/New York1988, s. v.1a). 9
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von der Basis der Synagoge aus in die Weite der hellenistischen Welt hinausgetragen wird, wird jeweils betont die Passion und die Auferstehung J esu als ein Geschehen proklamiert, das in Gottes in der Schrift bekundetem Willen bereits angesagt ist. Beide Reden haben für Lukas grundsätzliche Bedeutung; sie präsentieren programmatisch die Christus-Verkündigung in Schlüsselsituationen auf ihrem Weg von Jerusalern nach Rom. Apg 17 ,3f wiederholt nur noch einmal den einheitlichen Kernpunkt dieser Verkündigung: Christus ist gestorben und auferstanden nach den Schriften. III Es ist nun bemerkenswert, daß in den genannten Texten nur für die Auferstehung ein expliziter Schriftbeweis geführt ist. Offensichtlich ist er in beiden Fällen nicht direkt literarisch miteinander verbunden, derart, daß die Texte unmittelbar voneinander abhängig wären. Freilich, in ihrem Kern sind sie identisch. Er wird durch 'P 15,10 (OUOE OrocrElS 'tov omov cro'U LOElV olu<j>8oQuv) gebildet. Das Christus-Zeugnis der Petrus-Rede Apg 2 handelt zunächst (V. 2224) von dem Weg Jesu einschließlich seiner Auferstehung, ohne das durch direkte Zitate zu belegen. Zwar wird der Tod Jesu als im (Heils-) Plan Gottes begründet gesehen und die Auferstehung und ihre N otwendigkeit in biblischen Wendungen benannt, V. 24 12 , aber weder das eine noch das andere wird näher begründet. Vielmehr macht die Aussage V. 22-24 den Eindruck eines in sich geschlossenen, ausgewogenen Zusammenhangs, der in der Tat keiner weiteren Begründung bedarf. Zugrunde liegt offensichtlich das sich bei Lukas mehrfach findende "Kontrastschema", in dem die Tötung Jesu durch (die) Menschen und seine Auferweckung durch Gott kerygmatisch gegeneinander gestellt werden. 13 Es ist in Apg 2,22-24 erweitert. In V. 22 ist ein Satz über Jesus als den, der über seine Taten als durch Gott ausgewiesen ist, vorangestellt; die beiden folgenden Verse sind dadurch, daß das Geschick J esu in den Horizont der vorlaufenden Willensbekundung Gottes gestellt wird, erweitert, und schließlich ist die Ansage der Tötung Jesu auf die Angeredeten persönlich bezogen. Dies Letzte stammt bestimmt von Lukas; aber auch die Aussage von V. 22 wird erst von ihm mit dem Kontrastschema verbunden worden sein, auch wenn der Vers traditionelle Formulierungen enthalten dürfte. 14 Lukas vorgegeben wird indessen die Erweiterung der Kontrastaussage um die Notwendigkeit des Geschehens sein. Denn man kann begründet vermuten, daß letztere in der alttestamentlichfrühjüdischen Überzeugung von der gottgesetzten Notwendigkeit von 12 Das ist besonders deutlich bei dem Ausdruck "Wehen des Todes", dem eine Fehlübersetzung der LXX ('I' 17[18],5f; 114[116],3; 2Kön 22,6) zugrundeliegt; s. auch PlykPhil1,2). 13 Vgl. dazu J. Roloff, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen 1981, 50f. - L. Schenke, Die Urgemeinde, Stuttgart u. a. 1990, 24f. 14 Vgl. dazu etwa Pesch (s. Anm. 10), 120f.
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Verfolgung und Verwerfung der Propheten und Gerechten wurzelt. 15 Auch eine so geraffte Formulierung wie Apg 4,10 will nicht in ihrem ersten Teil einfach eine gleichsam zufällige geschichtliche Begebenheit konstatieren, sondern hat auch diese als Teil der Gottesgeschichte begriffen. Lukas baut nun in der folgenden Partie der Rede, Apg 2,25-32, die Auferstehungsaussage mit einem expliziten Schriftbeweis aus. Der tragende Pfeiler ist 'I' 15,10. Der Vers begegnet zweimal im Text; zunächst im Rahmen des umfangreichen Zitats von '1'15,8-11, mit dem der Schriftbeweis einsetzt (V. 25-28), so dann als David-Rede über den Christus in V. 31. Die anfängliche, längere Ausführung ist als Zitat gekennzeichnet und führt es auf den auch 'I' 15,1 als Verfasser genannten David zurück. Es folgt genau dem Text der LXX, der Lukas vorgelegen haben wird. 16 Das ist angesichts seiner Länge (rd. 60 Wörter) bemerkenswert. V.31 hingegen bietet 'I' 15,10 nicht eigentlich als Zitat, sondern in freier Anführung als christologisches Zeugnis Davids. Daß es sich um eine bewußte Aufnahme des Textes handelt, unterliegt keinem Zweifel. Allerdings ist die 1. Pers. Sing. des Psalms, die in Apg 2,25-28 - natürlich beibehalten ist, in die 3. Pers. Sing. umgesetzt; nur so kann der Satz als Ansage der Auferstehung J esu Christi verwendet werden. Es gibt aber nun darüber hinaus weitere Abweichungen zwischen den beiden Texten Apg 2,25 und 2,31, die vermuten lassen, daß sie eine unterschiedliche (traditionsgeschichtliche) Herkunft haben. Jedenfalls sind keine sachlichen Gründe erkennbar, warum Lukas, der durchaus um korrektes Zitieren bemüht ist, wie die Verse 25-28 im ganzen wie im einzelnen ausweisen, etwa das 't~v '\jJlJX~V der LXX, das ein beträchtlicher Teil der Textüberlieferung nachträgt,17 in V. 31 ausläßt. Besonders aufschlußreich aber ist die Textvariante q,0llV / q,OOlJ in V. 31. In V. 27 ist q,0llV sicher überlierfert,18 die Überlieferung der LXX an der entsprechenden Stelle indessen gespalten. Offenbar hat Lukas in seiner LXX den Akkusativ gelesen. 19 Dagegen ist V. 31 vermutlich der Genitiv q,OOlJ die ursprüngliche Lesart, der Akkusativ sekundäre Angleichung an V.27. Daß der Genitiv in V. 31 Angleichung an die gängige Version der LXX ist, kann schwerlich angenommen werden, da davon zunächst V.27 betroffen sein müßte. Das aber ist offensichtlich nicht der Fall. Hat aber in V. 31 ursprünglich ein anderer Text als in V. 27 gestanden, beide Formen aber in der LXX-Überlieferung bezeugt sind, dann drängt sich die Annahme auf, daß den beiden Texten je eine andere Überlieferung zugrundeliegt. 15 Vgl. auch Roloff (s. Anm. 13),50. Es trifft daher nicht zu, daß dem Schema jeder Hinweis auf Gottes Ratschluß mit Blick auf das Passionsgeschehen fehle (so aber merkwürdigerweise Roloff, ebd.). 16 Vgl. dazu T. Holtz, Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas (TU 104), Berlin 1968, 48f. 17 Vgl. dazu Holtz (s. Anm. 16), 144. 18 Die ",1 MOl! bei einer Reihe von Zeugen (EPS al plur) ist sekundär, vermutlich Angleichung an V.31 (s. Holtz [so Anm. 16], 50 Anm. 2). 19 Vgl. Holtz (s. Anm. 16),49. 183
Der Text der V. 26-28 stammt von Lukas selbst, der ihn der ihm verfügbaren LXX entnommen hat. Die Textpassage ist dem eigentlichen Schriftbeweis vorgeordnet, der ganz auf die in 'P 15,10 bezeugte Auferstehung des "Heiligen Gottes" (oomos 001)), des Christus,20 zielt. Der Text selbst hat eigentlich keine selbständige Funktion, auch wenn Lukas mit Einzelaussagen einen christologischen Sinn verbunden haben mag. 21 Er hat ihn dem eigentlichen, aus der Schrift erhobenen Beweis, den er in den folgenden Versen in Aufnahme einer ihm zugekommenen Tradition entfaltet, vorangestellt. Er erhöht damit dessen Gewicht. Der traditionelle Text bezog sich auf 'P 131,11 und 'P 15,10. Die letzte Stelle hat Lukas zu seinem Einführungszitat erweitert, er hat sie also trotz der veränderten und verkürzten Gestalt identifiziert. Ob er auch 'P 131,11 in der Tradition, die er in V. 30 wiedergibt, erkannt hat, ist hingegen nicht sicher. Daß dem Text von V. 30 diese Psalm-Stelle zugrundeliegt, ist trotz erheblicher Veränderungen im Wortlaut als sicher anzusehen. 22 Er ist nicht als Zitat gestaltet, sondern als Bericht über David. Der Schwur ist aus der Gottesrede mittels einer Infinitivkonstruktion in die Berichtsform umgesetzt, anstelle der Beteuerungsformel des Psalms der Charakter des Schwurs durch die Zufügung von oQ%CQ deutlicher hervorgehoben. Die christologische Deutung dürfte den Ersatz von %uQLOS (M'M"I) durch<:> Saos bedingt haben. In die gleiche Richtung weist der Ersatz des 'rlSaoSm im Psalm durch %USli;;aLv in Apg; dabei ist 'P 109,1 wirksam geworden. Wenn Lukas gleichwohl das Wort als Anführung aus dem Psalter erkannt haben sollte, so hat er doch dem folgenden Satz, der'P 15,10 zur Grundlage hat, das entscheidende Gewicht beigemessen. Er hat den Schriftbeweis als einen solchen begriffen, der die Auferstehung des Christus als in der Schrift zuvor angesagt dartun will. Der V. 29 wird sich Lukas verdanken. Er rechtfertigt den Bezug des Textes, der in der 1. Pers. redet, auf den David von Gott zugeschworenen Nachfolger. Das geschieht durch einen rationalistisch-historischen Beweis. 23 David ist, wie die Jerusalemer Hörer des Petrus - und durch ihre vorausgesetzte Zustimmung alle Leser des Textes - wissen, gestorben und begraben, und seine Grabstätte, die seinen Leichnam noch immer birgt, ist jedermann gegenwärtig. Mithin kann der Schwur Gottes, er, David, werde dem Hades nicht überlassen und sein Fleisch werde kein Verderben sehen, nicht ihm gegolten haben, obwohl es V. 27 so zu klingen schien. Wir vernehmen die Stimme des Lukas! Der Schriftbeweis in 2,30f hingegen ist ihm mit der Tradition zugekom20 (, omos ist sonst im Neuen Testament (und verwandter Literatur) nicht Christus-Prädikat; Lukas muß es freilich Apg 2,27 so verstanden haben, V.31 fehlt es bezeichnenderweise; zu 13,35 siehe unten. 21 Vgl. dazu etwa Pesch (s. Anm. 10), 122; auch Holtz (s. Anm. 16),143 mit Anm. 4. 22 Pesch (s. Anm. 10), 123, urteilt, der Text stehe dem MT näher. Indessen entspricht ~ ~<j>us Apg 2,30 dem hebr. 19t von Ps 132,11 sprachlich keineswegs besser als 'XOLALU 'I' 131,10; vgl. Holtz (s. Anm. 16), 147 Anm. 3. 23 Ganz ähnlich verfährt Lukas V. 34; doch braucht uns diese Stelle für unsere Fragestellung nicht näher zu beschäftigen.
184
men. Für'P 15,10 legt das bereits die Vermutung nahe, daß der Anführung eine etwas andere Textform zugrundeliegt als die, die V. 27 als die des Lukas ausweist. Ebenso legt es das soeben dargestellte Verfahren des Lukas zur Sicherung der Beweiskraft des Textes anzunehmen nahe. Den Text von V. 30 aber wird Lukas gar nicht als Anführung der Schrift erkannt haben. Jedenfalls ist er nicht als Zitat kenntlich gemacht und nicht im Wortlaut an die LXX angeglichen, obwohl dieser inhaltlich ebensogut wie der vorliegende verwendbar gewesen wäre. Beides aber hätte dem Wort eine deutlich höhere Autorität verliehen. IV In Apg 2,30f begegnet also ein Schriftbeweis, der mit der Tradition vorgegeben war. Ob und in welcher Weise Lukas den überkommenen Text verändert hat, ist kaum zu erkennen. Jedenfalls lag er ihm in griechischer Sprache vor, da er die LXX voraussetzt. Die Behandlung von 'P 15,10 durch Lukas läßt vermuten, daß er den Wortlaut der Tradition im wesentlichen unverändert beließ. Trifft diese Annahme zu, dann handelt es sich um eine Tradition, die ganz von einer David-Sohn-Christologie geprägt ist. David selbst, der "Prophet" genannt wird,24 hat voraus gewußt und -gesagt, daß der ihm von Gott zugeschworene messianische Nachfahre, der David-Sohn, nicht dem Hades überlassen und sein Fleisch keine Vernichtung erfahren werde, d. h. daß Gott ihn nicht dem endgültigen Todesschicksal überlassen würde. Wenn das in dieser negativen Fassung eine Ansage der Auferstehung sein will, und das ist offenbar auch schon für das Traditionsstück der Fall, dann ist zunächst der Tod des "David-Sohnes" vorausgesetzt. Er wird nicht dem Tod und der durch ihn bewirkten Vernichtung verfallen sein, das sagt der Text und verweist damit auf die Aufhebung des Todes in der Auferstehung. Ganz offensichtlich setzt der Schriftbeweis die Erfahrung von Tod und Auferstehung J esu voraus und deutet diesen Weg von dem in der Schrift bekundeten Zeugnis des Propheten Davids her als den dort vorherverkündeten Weg des David-Sohns. So liegt auch für die von Lukas aufgenommene Tradition der Schwerpunkt auf der Auferstehungsaussage; aber zugleich ist der Tod Jesu mitgedacht, als dessen vorausgesagte Aufhebung die Auferstehung sich ereignet. Damit ist auch der Tod des David-Sohns implizit in die Schriftansage eingeschlossen: indem die Schrift von der Ohnmacht des Todes spricht, setzt sie voraus, daß er zuvor statt hatte. In Wahrheit erweist sich somit sowohl der Tod als auch die Auferstehung J esu als xu'tu 'tue; rQu<j>ae; geschehen. Der besondere Bezug auf die David-Sohn-Christologie weist solchen Schriftbeweis als alt aus. Denn diese Christologie gehört in die frühe
24
Dazu s. Pesch (s. Anm. 10), 123.
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Zeit der urchristlichen Theologiebildung. 25 Andererseits kann er - wegen der Benutzung der LXX - erst in einem Umkreis entstanden sein, in dem man Griechisch sprach und dachte.
v Das zweite Vorkommen von 'I' 15,10 als Schriftbeleg für die Auferstehung Jesu in der Paulus-Rede im pisidischen Antiochia, Apg 13,35, steht in einem deutlich anderen Kontext. Auch wird hier, anders als in 2,31, die LXX genau zitiert,26 außerdem nur der zweite Teil des Verses geboten. Freilich wird bei einem genauen Zitat erst durch solche Begrenzung der Bezug auf Jesus ohne Schwierigkeiten möglich, obwohl der erste Teil des Verses eindeutiger auf die Auferstehung gewiesen hätte. Der wesentlichste Unterschied ist indessen die ganz andere Zusammenstellung von Schriftaussagen in Apg 2 und 13. In 2,30f ist 'I' 15,10 mit 'I' 131,11 verbunden, in Apg 13 mit Ps 2,7 und Jes 55,3. Darüber hinaus erweckt der weitere Kontext der Rede die Frage, ob nicht bereits die Gottesrede über David, die auf die Schrift zurückgreift, V 22b, mit den Zitaten V 33-35 vor Lukas einen Zusammenhang bildete. Der Geschichtsabriß, mit dem die Rede V 17-22 beginnt, hat offenbar seinen Zielpunkt in der Einsetzung Davids zum König über Israel. Die Geschichte Israels wird von der Erwählung des Volkes über die Zeit der Fremde in und des Auszugs aus Ägypten, die Wüstenzeit, die Landnahme, die Richterzeit, das Königtum Sauls bis zum Auftreten Davids kurz, aber in annähernd gleicher Gewichtung vergegenwärtigt. Sodann aber, nach der Hervorhebung Davids als desjenigen, der Gottes Willen entspricht, springt der Redner ohne Zwischenglieder über zur Geschichte Jesu, V 23-31. Diese beginnt, der Darstellung, die allen Evangelien gemeinsam ist, entsprechend,27 mit der Erwähnung des Täufers, dessen Zeugnis für J esus stark hervorgehoben wird; sie endet nach vergleichsweise ausführlicher Darstellung des Weges J esu bei der Bekundung der Auferstehung durch den Auferstandenen vor seinen Zeugen, wieder in Übereinstimmung mit dem Rahmen der Jesus-Geschichte, den Lukas voraussetzt. 28 Dem schließt sich endlich in V 32-35 ein ausdrücklicher Schriftbeweis an, der in der Ansage der Auferstehung durch 'I' 15,10 sein Ziel hat. Daß kein Text aus einem Guß in Apg 13,17-37 29 vorliegt, ist offenkundig. Besonders eigenartig ist der erste Teil der Rede, der einen Abriß der Ge25 Vgl. J. Gnilka, Theologie des Neuen Testaments (HThK.S 5), Freiburg/Br. 1994, 25. - F. Hahn, Christologische Hoheitstitel (FRLANT 83), Göttingen 1963, 242279. 26 oU anstelle von oUOf: ist syntaktisch bedingt, da nur die zweite Zeile des Parallelismus angeführt wird. 27 Vgl. dazu auch für Lukas (trotzLk 1-2)Apg 1,22; 10,37. 28 Siehe Apg 1,23; 10,40f. 29 Die Verse 38-41 bleiben hier außer Betracht; sie bilden zwar einen eigenständigen Teil des Textes, gehören aber notwendig für Lukas zur literarischen Einheit einer Missionspredigt hinzu. Zum Aufbau der Reden vgl. neben der großen Mono-
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schichte Israels bietet. Zwar enthält auch die Stephanus-Rede Apg 7 in ihrem Hauptteil eine Darstellung der Geschichte Israels, doch hat sie einen ganz anderen Charakter; sie ist weit ausführlicher, deutlich auf die Periode des Aufenthalts in und des Auszugs aus Ägypten konzentriert, wobei noch einmal die Gestalt des Mose, der in Apg 13 überhaupt nicht erwähnt wird, ganz dominant hervortritt. Inhaltlich spielt in Apg 7 das Verhältnis des Volkes Israel und seiner Repräsentanten zur Gottesgeschichte, das kritisch gesehen wird, eine wichtige Rolle, während dieser Aspekt in Apg 13 wenn überhaupt, dann nur ganz verhalten in V. 21 30 anklingt; vielmehr will der Blick in die Geschichte Israels Apg 13,17ff Gottes Erwählung und Führung des Volkes bis zur Einsetzung des Heilskönigs David und der ihm gegebenen Verheißung sichtbar werden lassen. 31 Beide Texte sind offensichtlich traditionsgeschichtlich unabhängig voneinander. 32 In keinem Fall kann Apg 13,17-22 als lukanische Umarbeitung der Stephanus-Rede verstanden werden. Eine von Apg 7 unabhängige Eigenbildung des Lukas, die sich seiner freien Gestaltung aufgrund von Kenntnis der Geschichte Israels verdankt, ist der Text nun aber auch schwerlich. 33 Daß Lukas eine derartige Kenntnis der Geschichte Israels hatte, halte ich für ganz unwahrscheinlich. Vielmehr zeigt die chronologische Angahe von V. 20 "ungefähr 450 Jahre", daß er keine zutreffende Vorstellung von dem Geschichtsverlauf hatte. Denn folgt man dem Text, den Nestle/Aland bietet, dann bezieht sich die fragliche Wendung auf 'Xu"C€'XA.llQoV61l1l<J€V34, mit 'XUlll€"CU "CUV"CU V. 20 aber wird eine neue Periode (die Zeit der Richter) eingeführt. So hat es sichtlich Lukas verstanden, jedenfalls konnte es nur so sein intendierter Leser, bei dem er kaum genauere Kenntnisse des Gegenstands vorausgesetzt haben kann,35 verstanden haben. In der Vorlage, die Lukas aufnimmt, war die Zeitangabe vermutlich anders (und "richtiger") bezogen, a,uch wenn nicht mehr zu erkennen ist, wie. 36 Der graphie von U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte (WMANT 5), Neukirchen 19743 ; Roloff (s. Anm. 13), 49f; Pesch (s. Anm. 10), 43f. 30 Vgl. Holtz (s. Anm. 16), 131 Anm. 1. 31 Zum inhaltlichen Unterschied der beiden Geschichtsüberblicke s. auch Roloff (s. Anm. 13), 202f. 32 Verbunden sind sie freilich durch die Tradition, in Geschichtsabrissen Glaubensaussagen anschaulich zu machen, die sich im Alten Testament und im Judentum vielfältig nachweisen läßt. Vgl. dazu Holtz (s. Anm. 16), 100-109. 33 Anders z.B. A. Weiser, Die Apostelgeschichte 2 (ÖTK 5/2), Gütersloh 1985, 325 ("Komposition des Apg-Verfassers"); dafür den "LXX-Stil" in Anspruch zu nehmen, ist nicht überzeugend, da natürlich (auch) eine traditionelle Bildung gänzlich von der LXX bestimmt gewesen sein muß; denn sie ist sicher im griechischen Sprachbereich entstanden. 34 Übrigens ein hap. leg. im Neuen Testament, das nicht für lukanischen Ursprung in Anspruch genommen werden kann (gegen Weiser [so Anm. 33], 325); häufiger dagegen in LXX und judengriechischer Literatur; profan nicht belegt. 35 Vgl. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 1994, 285f ("eine mehrheitlich heidenchristliche Gemeinde"); Pesch (s. Anm. 10), 30 (" überwiegend heidenchristliche[n] Leser"). 36 Kommentare zeigen, wie das ursprünglich gewesen sein kann: Roloff (s. Anm. 13), 204: auf die Zeit seit dem Aufenthalt in Ägypten bis zur Landnahme; Pesch 187
vorliegende, textkritisch gewiß ursprüngliche Text,37 läßt den Verlauf der Geschichte Israels im Sinne der alttestamentlich-jüdischen Überlieferung unzutreffend und damit die Kenntnis des Lukas von ihr als unzureichend erscheinen. Er kann mithin den im übrigen im wesentlichen zutreffenden Text schwerlich verfaßt haben. Auch ist es kaum vorzustellen, daß Mose keinerlei Erwähnung findet, wenn man Lukas als Verfasser oder wenigstens Kompositeur des Textes voraussetzt. Denn Mose spielt in der Stephanus-Rede Apg 7 eine ganz hervorgehobene Rolle (V 20-40[44]), und gerade diesen Passus hat Lukas - wie immer man die Traditionsgeschichte der Rede beurteilen mag - sicher christologisch bearbeitet. Und schon in der Petrus-Rede Apg 3 ist Mose als Prophet 38 und Vorbild Christi herausgestellt (V 22f). Auf Tradition, die Lukas übernimmt, weist nun aber auch und vor allem die Gottesrede V 22b hin, mit der der Geschichtsabriß bei David vorläufig endet, bevor er ohne weitere Zwischenschritte auf die Jesus-Ge3g schichte zugeht. Es handelt sich um einen Satz, der kein Zitat einer alttestamentlichen Aussage ist, aber deutlich aus solchen gebildet wurde. Er gibt sich wie ein Zitat, Lukas muß ihn auch so verstanden haben. Den Grundstock liefert offensichtlich 1Bucr 13,14, ein Prophetenwort Samuels an Saul: "Der Herr wird sich jemanden suchen nach seinem Herzen ... ; denn du hast nicht acht auf das gehabt, was dir der Herr aufgetragen hat. ,,40 Das Wort ist freilich stark und kühn transformiert. Aus einem Gerichtswort an Saul ist ein Wort über David geworden; die Suche hat ihr Ziel gefunden; gerade das, worin Saul versagt, das erfüllt David. Gestaltend eingewirkt auf diese Umformung hat 'P 88,21 e-oQOV LlUULÖ (tÜV ÖOUAOV Ilou ),41 wohl auch Jes 44,28 (1t!lV'ta 'ta eeA~IlU't% lloU 1tOl~creL). Es ist jedenfalls ein selbständiges Gotteswort mit messianischem Klang entstanden, das im Wortlaut der Schrift begründet, in dieser Form aber nicht in ihr enthalten ist. Schon dieser Charakter des Wortes schließt aus, daß es von Lukas selbständig gebildet ist. Das wird bestätigt dadurch, daß sich in 1Clem 18,1 ein Martyrion über David findet, das offensichtlich in einem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang mit Apg 13,22 steht: "Ich habe einen Mann nach meinem Herzen gefunden, David, den (Sohn) des Isai, mit ewigem Erbarmen habe ich (s. Anm. 3), 35: auf die Zeit von der Landnahme bis zum Exil (so klingt auch die Übersetzung von Roloff, 200); das Exil hat der Text freilich gar nicht im Blick und kann es aus inneren Gründen auch gar nicht haben. 37 Die Textüberlieferung versucht das z. T. zu verbessern und bestätigt damit den "Fehler" seiner Angabe. 38 Vgl. auchApg 26,22f. 39 Daß der Täufer (für Lukas) zur Jesus-Geschichte gehört, ist oben bereits gezeigt worden. 40 sr\1:~aSL X:UQLOS EUut{ö av8Qffi1tOV XU'tU 't~V XUQOlUV umoü ... on oUx E>Ut..U~US oau EvS'tSlt..U'tO aOL XUQLOS' 41 Ps 89 steht offenbar in einem inneren Zusammenhang mit der David-Verheißung, auch wenn er traditionsgeschichtlich schwer sicher zu fixieren ist; vgl. nur H.-J. Kraus, Psalmen 2 (BK XV/2), Neukirchen 19663 , 62lf. Holtz (s. Anm. 16), 134Anm.1.
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ihn gesalbt. ,,42 Der erste Teil stimmt fast gen au mit Apg 13,22 überein; der zweite Teil ist statt von 1Bucr 13,14 (wie in Apg 13,22) vom zweiten Teil des Wortes 'I' 88,21 43 geprägt. Daß Apg 13,22 und 1Clem 18,1 voneinander abhängig sind, ist bereits wegen der jeweiligen Verschiedenheit des Wortes nicht anzunehmen; und beide Schriften lassen auch sonst keine Abhängigkeit voneinander erkennen. 44 Andererseits kann nicht bezweifelt werden, daß die Gotteszeugnisse über David, die an beiden Stellen ausdrücklich als solche bezeichnet werden,45 eine gemeinsame Traditionsgrundlage haben. 46 Da der Geschichtsabriß auf dieses Zeugnis zuläuft, wird damit nachhaltig die Vermutung gestützt, daß er aus einervon Lukas aufgenommenen Tradition stammt. Die folgenden Verse der Rede wenden sich der J esus-Geschichte zu. Sie sind deutlich von dem Charakter des vorangehenden Redeteils unterschieden; sie .verdanken sich, auch wenn sie vorgeprägte Formulierungen aufnehmen, in ihrem Inhalt und ihrer Funktion, der Arbeit des Lukas. Die Ausführungen finden ihr Ziel in der Ansage der Auferstehung J esu und ihrer Bekundung durch die Augenzeugen des Auferstandenen, V. 30f. In V. 32 tritt die Rede ein in die 1. Pers., nun spricht Paulus selbst als Zeuge, zu den Augenzeugen V.31 gehört er für Lukas nicht. Er bezeugt mit seinem Evangelium, daß Gottes Verheißung für die Väter an uns, den Kindern, in Erfüllung gegangen ist, indem er Jesus (auf-)erstehen ließ; denn so hat es Gott in der Schrift angesagt, wie der Schriftbeweis zeigen wird. Es gehört zur lukanischen Gestalt der Missionsreden, daß die in ihnen kundgemachte J esus-Geschichte und insbesondere die Auferstehung durch einen Schriftbeweis bestätigt werden. 47 So darf man davon ausgehen, daß die Anfügung des Schriftbeweises hier Werk des Lukas ist. Ebenso wird die geschickte Hereinnahme des Paulus in den Kreis der Zeugen für die Auferstehung dadurch, daß er mit allen anderen Zeugen die Auferstehung als Evangelium verkündigt, indem er sie aus der Schrift erschließt, auf Lukas zurückgehen. Der Schriftbeweis indessen ist gewiß nicht von ihm selbst gefunden und zusammengestellt worden. Denn zumindest Jes 55,3 in V. 34 ist im Verbund mit 'I' 15,10 V. 35 vorgegeben gewesen. 48 'I' 15,10 war Lukas bereits von Apg 2,27.31 als Auferstehungszeugnis bekannt; daher bekommt der Befund, daß das Wort ihm hier in einer Verbindung zukam, die für Apg EUQOV avoQu XU'tU 't~V XUQOlUV J..lOU ßUULO 'tOV wu 'IEcrcrUl, EV EAEEL UlffiVlq> EXQLcrU UU'tOv. 43 1Clern 18,1 setzt vielleicht EAEEL statt EAUl<:Q(J..l0U) als Text voraus. 42
Vgl. Haenchen (s. Anm. 9), H. Apg: J..luQ'tuQ-r1cruc;, 1Clern: J..lEJ..lUQ'tUQTJJ..lov<:Q, jeweils Gott als Subjekt. 46 Vgl. Z.B. H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 7), Tübingen 1963, 1: "Benutzung derselben schriftgelehrten Tradition." 47 Vgl. z.B. A. Weiser, Die Apostelgeschichte 1 (ÖTK 5/1), Gütersloh 1981,99. 48 Das wird auch von den Exegeten gesehen, die im übrigen Lukas als weitgehend selbständig bei der Gestaltung der Rede ansehen, wie Weiser (s. Anm. 33), 335 ("wohl aus Überlieferungsgut aufgenommene[s] Zitat"); Roloff (s. Anm. 13), 207 ("Lukas, bzw. schon die ihm vorliegende Tradition"). 44 45
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2,31 nicht vorauszusetzen ist, besonderes Gewicht. Daß auch 'I' 2,7 nicht erst von Lukas in den Text eingebracht worden ist, läßt der ausdrückliche Bezug des Wortes in V.33 auf das "Auferstehen" Jesu vermuten. Für Lukas ist damit zweifellos die Auferstehung von den Toten gemeint. Doch zeigt V. 34, wie bemüht nur sich von daher die Weiterführung des Schriftbeweises auf das gleiche Ereignis beziehen läßt. Viel besser verständlich wäre der Aussagezusammenhang, wenn man davon ausgeht, daß 'I' 2,7 ursprünglich als Ansage des Aufstehens = Auftretens Jesu 49 gemeint war. 50 Tatsächlich kann ja auch kaum bezweifelt werden, daß der Vers in der frühen christlichen Tradition im Kontext der als Investiturgeschehen verstandenen Taufe J esu eine fundamentale Rolle gespielt hat. 51 Beachtet man, daß in Apg 13 das Zitat von 'I' 15,10 sichtlich im festen Verbund mit Jes 55,3 steht und daß der Bezug von 'I' 2,7 auf die Auferstehung sich in das logische Aussagengefälle nur mit Schwierigkeiten einfügen will, sich vielmehr der sprachlich und traditionsgeschichtlich gut begründete Gedanke an einen Bezug auf das (heils-)geschichtliche Auftreten Jesu nahelegt, dann darf man folgern, daß Lukas eine ihm zugekommene Kombination alttestamentlicher Zitate, die die Bedeutung des Christus Jesus ursprünglich breiter bezeugen sollte, auf die Auferstehung konzentriert als Abschluß des christologischen Zeugnisses in die Paulus-Rede im pisidischen Antiochia eingearbeitet hat. Dabei treten zwei Dinge besonders hervor. Das eine ist der deutliche und bewußte Bezug auf David. Er ist in den beiden letzten Zitaten ausdrücklich gegeben 52 und kann auch für 2,7 vorausgesetzt werden. 53 Das andere ist die erstaunliche Tilgung der Bundesterminologie in Jes 55,3. Der Anführung der Stelle in Apg 13,34 liegt die LXX zugrunde, 54 die - darin dem MT entsprechend - mit öla8~crollaL ulllV öla8~%"v almvLOv die Bundesvorstellung betont hervorhebt. Davon ist in Apg 13,34 nichts geblieben, die Beibehaltung von 1'a oma ... ta mcrta kompensiert das nicht. Beides nun, die Zentrierung auf David und der Ausfall des Bundesgedankens, verbindet die Zitatenkomposition mit dem gerafften Geschichtsüb~rblick am Beginn der Rede, V.17-23. Man kann daher vermuten, daß sie ursprünglich zusammengehört haben, von Lukas aber daIn Aufnahme der Verheißung 2Sam 7,12 'X.Ut avu<J't~<Jo) 'to <J1tEQ/-lU /-l0U /-lE'tU <JE. aVl<J'tll/-ll ="auftreten lassen" ist "rein sprachlich möglich", Roloff (s. Anm. 13), 207. Siehe Bauer-Aland (s. Anm. 11), s. v.1b; J. Kremer, Art. ava<Jt'amS 'X.'tA., EWNT I, 210-221, 212f. In Apg so 3,22; 7,37 (LXX, Lukas aber wohl mit der Tradition zugekommen, vgl. Holtz [so Anm. 16], 73f). Vgl. auch den intransitiven Gebrauch Lk 9,8.19. 51 Mk 1,11 par. Lk 3,22 bietet die "westl." Textüberlieferung ein direktes Zitat der Stelle; Pesch (s. Anm. 36), 38 Anm. 21, hält das für ursprünglich; zurückhaltend F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Teilbd. 1 (EKK IrI/1), Neukirchen 1989,181. 52 In dem Zitat von 'P 15,10 durch den klaren Bezug von omov auf 'tU omu AUUlO in Jes 55,3. 53 Das hat E. Lövestam, Son and Saviour (CNT 18), Uppsala 1961, 11-15, aufgewiesen. 54 Vgl. Holtz (s. Anm. 16), 137. 49
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durch, daß er die Jesus-Geschichte eingefügt (V. 24-31) und den Schlußteil auf die Auferstehung Jesu hin konzentriert hat, überarbeitet worden ist. Man darf dabei voraussetzen, daß insbesondere der Schlußteil stärker von Lukas umgestaltet worden ist hinsichtlich der erläuternden, gleichsam exegetischen Bemerkungen und möglicherweise auch des Wortlauts der beiden Psalmen-Zitate. 55 Es ist bei dem Versuch der Rekonstruktion der zugrundeliegenden Tradition also damit zu rechnen, daß die Anführungen aus dem Alten Testament eine andere Gestalt hatten, die der in ihnen gefundenen Aussage deutlicher entsprach als der gegenwärtige Text. Freilich können wir kaum begründete Vermutungen darüber anstellen. VI Es ergibt sich, fassen wir die bisherigen Überlegungen über die Vorlage der Paulus-Rede Apg 13 zusammen, dieses Bild: Ein geraffter Überblick über die Geschichte des alttestamentlichen Gottesvolkes, die nicht als eine Geschichte des Bundes, sondern der Erwählung 56 verstanden ist, findet sein Ziel in der Einsetzung Davids 57 und der Erinnerung an die Verheißung, daß Gott aus seinem Stamm den Retter Israels (nämlich Jesus) herausführen wird. Die Erfüllung dieser Verheißung wird mit dem Zitat von 'I' 2,7 in V. 33 angesagt; Jes 55,3 (V. 34) sagt denjenigen, an die sich der Text wendet, zu, daß ihnen - U/llV - die beständigen Gnadenerweise, die David verheißen sind,58 von Gott her gelten. 59 Das abschließende Zitat schließlich, 'I' 15,10b, will die Auferstehung Jesu ansagen. Freilich ergibt sich für solches Verständnis eine Schwierigkeit dadurch, daß der erste Teil des Verses, der deutlicher als der ziti~rte zweite auf das Auferstehungsgeschehen zu verweisen scheint (oUx Ey%U-rUAEl "PEle; -r~v "PuX~v /lOU Ele; Q,OllV) und den Apg 2,31 denn au,ch aufnimmt, nicht mitzitiert ist. Die Verse 36f allerdings zeigen, daß Lukas das Zitat auch in der verkürzten Form als Verheißung der Auferstehung versteht, obwohl für ihn bereits der Text 'I' 2,7 (V. 33) ein solcher ist, der von der Auferstehung 55 Den Wortlaut von Jes 55,3, wie ihn V. 34 bietet, wird er so vorgefunden haben; er hat das "Zitat" offensichtlich zwar als solches, aber weder in seiner Funktion noch in seiner Herkunft erkannt. 56 VgI. dazu Hdltz (s. Anm. 16), 151. 57 V. 22 eYElQEv; auch hier (s. V. 33) ein Verb, das in der Auferstehungsterminologie einen festen Platz hat. 58 So ist die Wendung oma AauLb m(Hll am besten zu übersetzen, s. Holtz (s. Anm. 16), 141 Anm. 2. Nach Roloff (s. Anm. 13),207, hat "Lukas, bzw. die vor ihm liegende Tradition des Schriftbeweises ,das zuverlässige Heil Davids' verstanden als einen Hinweis auf die zuverlässigen Worte Davids, in denen er auf Jesus als den Heiligen Gottes hingewiesen hat"; von Worten Davids ist allerdings im ganzen Kontext (auch V.33 und - anders als 2,30 - in V.35) nicht die Rede. 59 So auch z.B. Bauer-Aland (s. Anm. 11), s. v.omos 2a. - Lövestam (s. Anm. 53), 79 Anm. 1, weist darauf hin, daß im Griechischen neutr. pI. für eine Person gebraucht werden kann, daß also der Retter J esus assoziiert sein kann. Doch ist das wohl in dieser Weise problematisch, vgI. F. Blass/A. Debrunner/F. Rehkopj, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 199017 , § 138,1.
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handelt. Man kann daher davon ausgehen, daß ihm solches Verständnis mit der übernommenen Tradition vorgegeben war. Ob das Zitat V. 35 in dieser den gleichen Wortlaut hatte, den Lukas in genauer Entsprechung zur LXX bietet, darf man - wie bereits bemerkt - fragen; beantworten läßt sich eine solche Frage indessen nicht. Offensichtlich ist nicht allein auf die Auferstehung geblickt, das Gewicht liegt auf dem, was sie bewirkt, die Bewahrung vor dem Untergang. Diese Akzentsetzung wird verständlich, wenn man sie im inneren Zusammenhang mit dem in den Reden der Apostelgeschichte mehrfach begegnenden kerygmatischen Schema: ihr, die Juden, habt ihn, Jesus, getötet, Gott hat ihn auferweckt,60 sieht. Der, dessen Untergang durch die Kreuzigung, die ihn als Verfluchten erweist,61 besiegelt zu sein schien, stellt sich durch die Auferstehung als der "Heilige" dar, den Gott keine Verwesung erfahren läßt. Ob das Kontrastschema "die früheste missionarische Jesusverkündigung der Jerusalemer Gemeinde gewesen" ist,62 ist natürlich unsicher. Gewiß aber gehört es in die Frühzeit der christlichen Gemeinde. Nun stellt die Tradition, die hinter der Rede Apg 13 steht und deren Ziel der heilsgeschichtliche Schriftbeweis für Christus J esus ist, nicht einfach eine Variante des Kontrastschemas dar. Sie setzt es aber inhaltlich voraus und akzentuiert von daher den Schriftbeweis für die Auferstehung. Es darf daher vermutet werden, daß er in eine frühe Zeit der Gemeinde gehört. Allerdings ist eindeutig erkennbar, daß schon der traditionelle Text die LXX voraussetzt; doch schließt das eine frühe, bereits in J erusalem anzusetzende Entstehung nicht aus.
VII Schwierig zu beurteilen ist das traditionsgeschichtliche Verhältnis zwischen dem Schriftbeweis in Apg 2,30f und 13,33-35. Daß überhaupt eine irgendwie geartete Beziehung zwischen beiden Texten besteht, ist wahrscheinlich, da beide darauf aus sind, die Erfüllung der David-Verheißung in der Erfahrung der Auferstehung Jesu zu erweisen. Zweifellos ist der Text in Apg 13 durchgebildeter als der in Apg 2; doch muß das nicht heißen, daß er jünger ist oder eine Form, wie sie für Apg 2 anzunehmen ist, voraussetzt. Es liegt in beiden Fällen offenbar ein in sich geschlossenes Verständnis der Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk vor, eine Geschichte, die in dem Auftreten Jesu und seiner Auferstehung ihr Ziel findet, inVgl. dazu Roloff (s. Anm. 13),50; auch Pesch (s. Anm. 10),44. - Siehe Apg 2,23f; 3,13.15; 4,10; 5,30; 10,39f. 61 Siehe Dtn 21,23. G. Jeremias, Der Lehrer der Gerechtigkeit (StUNT 2), Göttingen 1963, 134f, begründet die Vermutung, daß Gal 3,13 eine jüdisch-polemische Verwendung der Stelle gegen die Christus-Predigt voraussetzt, ja, daß bereits der vorchristliche Paulus Dtn 21,23 so verwendete. Abgesehen von dem Letzten ist das durchaus wahrscheinlich. 62 So Schenke (s. Anm. 13),25. 60
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dem sich in diesem Geschehen die Heilsverheißungen Davids erfüllen, eschatologisch erfüllen. Das Entscheidende dabei ist, daß der Primat gleichsam der Geschichte erhalten bleibt. Das Auftreten Jesu und seine Auferstehung sind als Gottesgeschichte erfahren und als solche in die von der Schrift bezeugte Erwählungsgeschichte hineingenommen worden, indem sie als die Erfüllung der an David ergangenen Heilsverheißungen anhand der Schrift aufgewiesen wurden. Dabei kommt der Auferstehung besondere Bedeutung zu, erweist sie doch, daß sich an J esus (nicht"der Fluch von Dtn 21,23 über den Gekreuzigten, sondern) die Verheißung an den "Heiligen", nicht der Vernichtung zu verfallen, erfüllt hat. Eine Vorgabe von der Geschichte Jesu her ist vermutlich auch die Davidische Abkunft, die für ihn in Anspruch genommen wurde. 63 Diese Herkunft fügt sich vorzüglich in eine durchaus dominante Verheißungslinie des Alten Testaments und des Judentums ein. Sie ist freilich keineswegs die einzige dort angelegte,64 offenbar hat Jesus selbst sich nicht auf sie eingelassen, seine messianischen Erwartungen eher mit der Menschensohn-Vorstellung verbunden. Man darf nicht übersehen, daß die außerkanonische frühjüdische Theologie und Religion uns im wesentlichen nur durch den Filter der christlichen (oder der rabbinischen) Überlieferung bekannt ist. Dadurch ist unsere Perspektive bestimmt. Auch die Auswahl der Schriftstellen, die die Geschichte J esu als das Ziel der einen Geschichte Gottes mit seinem Volk belegen, ist von der Erfahrung der Jesus-Geschichte beherrscht. Sie wird dadurch hineingeholt in den Horizont der Heilsgeschichte, ihr Wesen aufgedeckt, ohne daß ihre Kontingenz aufgehoben würde. Denn sie definiert nun endgültig die vorlaufende Gottesgeschichte und erweist durch ihre Auswahl unter vielfältigen Linien der Verheißung, welche Richtung sie wirklich hatte. Der Bezug auf die Schrift läßt ihre Identität in der Kontingenz erkennen. Die Identität aber ist gegeben in dem erwählenden Handeln Gottes. Denn so wie er es ist, der nach Apg 13,17-23 (mit Ausnahme von V. 21aa) allein das handelnde Subjekt in der Erwählungsgeschichte Israels ist, so ist er allein in dem Testimonium der drei Schriftanführungen Apg 13,33-35 das handelnde Subjekt. Diese Konzentration aller Sätze über die Geschichte Israels und über die Christusgeschichte J esu auf Gott als Handelnden 65 unterstreicht nachdrücklich die Zusammengehörigkeit der beiden Teile. Es ist Gott, der die Identität der kontingenten Geschichte setzt. Sie ist in ihrem Verlauf nicht vorher festgelegt und kann daher nicht etwa von der Schrift her vorausgesagt oder von ihr her iden63 Wahrscheinlich bereits von seiner Familie; für die Frühzeit der Gemeinde zumindest bezeugt durch Röm 1,3. 64 Vgl. etwa die Erwartung eines endzeitlichen Propheten wie Mose, die sich an Dtn 18,15.18 festmachte; dazu siehe Hahn (s. Anm. 25), 351-371 (404). - W. A. Meeks, The Prophet-King (NT.S 14), Leiden 1967, bes. 100-257. 65 Die Ausnahme V.21aa, mit der die Forderung des Volkes nach einem König benannt wird, will offenbar kritisch verstanden werden, vgl. Holtz (s. Anm. 16), 131 Anm.1.
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tifiziert werden. 66 Wohl aber kann, ja muß ihr Verlauf als der Geschichte entsprechend aufgewiesen werden, in der Gott schon immer mit seinem Volk gehandelt hat. Und ist es die end-gültige Heilsgeschichte, so muß sie sich als die Einlösung der Verheißungsgeschichte Gottes erweisen lassen, so gewiß sie ihrerseits durch ihren Verlauf und Charakter definiert, worauf die Verheißungen der bisherigen Geschichte Gottes mit seinem Volk zielen. VIII Daß es der eine Gott ist, durch den das Auferstehungsgeschehen sich als Teil der einen Geschichte des Gottesvolkes erweist, das Zeugnis von der Auferstehung mithin im Kontext des Zeugnisses vom Handeln des einen Gottes an seinem Volk und seiner Welt begriffen werden will, d. h. in dem Horizont Biblischer Theologie, das wird besonders deutlich an dem Aufweis der Identität des Glaubens Abrahams mit dem derjenigen, die an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat, Röm 4,17-24. Die partizipiale (oder auch relativische) Prädikation Gottes hat in der alttestamentlichen und frühjüdischen Theologie einen wesentlichen Rang und spielt auch und gerade im Neuen Testament eine gewichtige Rolle da, wo Gott (und Christus) in seinem Wesen definiert wird. 67 Der Inhalt der Prädikation ist in hervorgehobener Weise ein Handeln Gottes, worin - natürlich - auch das Schöpfungshandeln eingeschlossen ist. Röm 4,17 wird der Gott, auf den sich der Glaube Abrahams richtet, mit zwei partizipialen Prädikationen definiert. Die erste bezeichnet ihn als den, der die Toten lebendig macht. Der Wortlaut (6 sro01tOlroV "Cove; VE%Qoue;) ist die "wörtliche Übersetzung des Partizipialsatzes, der Prädikation, die die zweite Benediktion des Achtzehngebets abschließt" .68 "Dieser Teil gehört zum ältesten Bestand des Gebetes und ist dem Paulus sicher bekannt gewesen. ,,6B Der vertraute Wortlaut dürfte bewußt benutzt sein, um so an die geläufige jüdische Prädikation zu erinnern; 2Kor 1,9 begegnet inhaltlich die gleiche Aussage; sie entspricht im Wortlaut aber der - wie in Röm 4,24 - auf Jesus bezogenen Auferweckungsaussage (6 eEOe; 6 EyElQroV "Cove; VE%QOUe;; vgl. ferner Röm 8,11; 10,9; Gal 1,1; Kol 2,12; 1Thess 1,10, auch 2Kor 4,14). Daß beide Formen für Paulus sachlich identisch sind, kann nicht bezweifelt werden; das ergibt sich gerade auch aus dem Bezug, in dem V 19 und V 24 in Röm 4 zueinander stehen. Die zweite Prädikation benennt Gott als Schöpfer; auch hier nimmt Paulus offensichtlich eine vorgeprägte Wendung auf. 70 Der die Toten erSo setzt es Apg 17 ,2f voraus, die Stelle, von der wir ausgingen. Grundlegend G. Delling, Partizipiale Gottesprädikationen in den Briefen des Neuen Testaments, in: StTh 17,1963,1-59; s. auch ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Berlin 1970, 401--416. 68 Delling, Gottesprädikationen (s. Anm. 67), 31. 69 H. Lietzmann, An die Römer (HNT 8), Tübingen 1933 4 , 55. 70 Vgl. z.B. H. Schlier, Der Römerbrief (HThK 6), FreiburgjBr. 1977, 132. 66 67
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weckende Gott ist mit dem identisch, der die Welt in das Dasein ruft. Diesem Gott glaubt Abraham, wenn er seines und seiner Frau Sara Erstorbensein zwar gedenkt, es gleichwohl aber nicht achtet, indem er sich auf die Verheißung der Zukunft verläßt. Genau an den gleichen Gott glauben wir, nämlich die, die sich zu Christus bekennen; denn auch sie glauben an den Gott, der Tote auferweckt, eben den getöteten J esus. 71 Deshalb auch setzt dieser identische Gott sie zu sich in die gleiche Beziehung, in die er Abraham gesetzt hat, die der "Gerechtigkeit", der wirklichen Gemeinschaft. Daß sie an den Gott glauben, der ihnen in der Erfahrung der Auferstehung J esu als der Handelnde begegnet, erweist ihren Glauben als identisch mit dem, den Abraham bewies, als er sich dem Gott, der Leben aus dem Tod, Sein aus dem Nichtsein erschafft, anvertraute. 72 Ebenso wie es schon bei der Analyse der Paulus-Predigt in Apg 13 sichtbar wurde, ist auch hier völlig klar, daß die Erfahrung der Auferstehung Jesu der Identifizierung des dadurch gegründeten Glaubens mit der Struktur des Glaubens Abrahams vorausliegt. Sie wird aber erkannt als das, was sie ist, indem sie als ein Geschehen begriffen wird, das sachlich identisch ist mit dem Geschehen, auf das Abraham vertraute, weil er Gott kannte. Die Erfahrung der Auferstehung nimmt den, der sich auf sie einläßt, hinein in die ganze Geschichte des Gottes, der in solchem Geschehen erfahren wird, d. h. in die in der Schrift bezeugte Gottesgeschichte; sie wird zur eigenen Geschichte, Abraham wird zum Vater der an den Auferstandenen Glaubenden. Ebenso wird die vielgestaltige und vieldeutige Geschichte des Gottesvolkes verständlich und eindeutig von dem Punkt her, an dem das sich ausliefernde Vertrauen auf den Gott, der das Nichtseiende in das Sein ruft, indem er Tote lebendig macht, als Wirklichkeit erweist, d. h. von dem Auferstandenen her, der der Gekreuzigte ist. Seine Geschichte wird von der Schrift her als die Geschichte des einen Gottes, der Israel erwählte, identifiziert. Sie ereignet sich "nach den Schriften". Das Zeugnis von dieser Geschichte, das Neue Testament, will im Horizont der ganzen Schrift begriffen werden, neutestamentliche Theologie ist in der Tat nur als Biblische Theologie zu betreiben. Worauf 71 J. Becker, Das Gottesbild Jesu und die älteste Auslegung von Ostern, in: G. Strecker (Hg.), Jesus Christus in Historie und Theologie, FS H. Conzelmann, Tübingen 1975, 120, versteht das Prädikat gerade umgekehrt als streng exklusiv: nur der Gott, der Jesus auferweckt hat, ist Inhalt der Verkündigung. Damit verliert zumindest Röm 4,17-24 jede innere Logik. 72 Wenn Becker (s. Anm. 71), 123, urteilt, daß die früheste Gemeinde mit der Prädikation Gottes als dessen, der Jesus von den Toten auferweckte, "den von Jesus her ihr bekannten Gott ... mit dem Gott, der den wegen seines Gottesbildes gekreuzigten Jesus auferweckt hatte", "identifizierte", so ist daran nur falsch die vorausgesetzte, zuvor erfolgte Bestimmung des Gottesbildes Jesu, nämlich: "es lag quer zum Judentum und kollidierte mit der Verwurzelung des Judentums in Israels Heilsgeschichte" (110; vgl. 113: Jesus "vertrat einen anderen Gott"), wodurch allerdings auch die Wendung "den ... wegen seines Gottesbildes gekreuzigte[n] Jesus" zumindest mißverständlich wird.
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aber die vorlaufende Geschichte Gottes mit seinem Volk hinaus will, das läßt erst das Ziel dieser Geschichte, von dem das Neue Testament zeugt, erkennen. Biblische Theologie kann nur entworfen werden von der Erfahrung ihres Ziels her, von Christus. IX Der frühe "Schriftbeweis" für die Auferstehung, von dem wir Zeugnisse zu entdecken versuchten, zeigt deutlich die beiden Seiten, die im Zusammenspiel von Kontingenz und Identität wirksam sind. Die Erfahrung der Auferstehung Jesu konfrontiert mit einem Geschehen, das sich nicht gleichsam logisch aus einer einsichtigen vorlaufenden Geschichte ergibt und daher aus ihr deduktiv erschlossen werden könnte - oder es gar ist! Andererseits gehört sie als Werk des Einen Gottes, dessen Einheit auch seine Identität einschließt, in die Kontinuität seiner ganzen Geschichte mit seinem Volk und seiner Welt. Weil sich jede Geschichte erst in ihrem Verlauf definiert, definiert die Auferstehung als Geschichtstat Gottes die vorlaufende Gottesgeschichte; weil die Totenauferstehung eschatologisches Geschehen ist, definiert die Auferstehung Jesu die Gottesgeschichte end-gültig. 73 73 Übrigens bleibt auch so ein entscheidendes Element, auf das es Becker (s. Anm. 71) ankommt, erhalten. Es ist in der Tat das "Gottesbild" Jesu, das darauf dringt, die Erfahrung seiner Auferstehung von der Identität des Einen Gottes her zu begreifen. Denn J esus beansprucht - ganz anders allerdings als Becker meint, was hier aber nicht mehr näher begründet werden kann -, im Namen des Einen Gottes, dem mit Abraham Israel glaubte (oder auch nicht glaubte!), zu reden und zu handeln. Das Ja Gottes zu J esus, das die Nachfolger J esu in der Erfahrung der Auferstehung empfingen, lehrte sie, die Wirklichkeit des Anspruchs Jesu zu sehen.
Auferstehung Jesu im jüdisch-christlichen Dialog Ein Briefwechsel Michael Wyschogrod/Peter von der Osten-Sacken 1. Peter von der Osten-Sacken an Michael Wyschogrod
Lieber Michael Wyschogrod, im Vordergrund des geplanten Heftes über "Auferstehung J esu" soll "die theologische Interpretation der Auferstehung Jesu in verschiedenen interdisziplinären theologischen Beziehungen" stehen, ein Teil davon "Auferstehung Jesu im jüdisch-christlichen Dialog" behandeln: "Am schönsten wäre hier ein echter Dialog, dessen Grundfrage sein könnte,
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Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 196-209 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
inwiefern das ,jüdische' Bekenntnis zur Auferstehung das Christentum zu einer nicht jüdischen Religion gemacht hat, bzw. ob es eine Möglichkeit einer ,Heimholung' dieses Bekenntnisses ins Judentum geben könnte." Dies sind die Vorgaben des Herausgebers Ulrich Luz, der sie allerdings mit einigen erleichternden Zusätzen versehen hat: Sie seien "vorläufig", "erste Gedanken", vielleicht Anregung zu weiteren Leitfragen. Dennoch sollten wir die Fragen so aufnehmen, wie sie gestellt sind. Denn sie führen erstens in der Tat ins Zentrum des jüdisch-christlichen Verhältnisses, und zweitens vermag ich dank glücklicher Umstände gleich zu Beginn auf folgende alles lösende und bestens bezeugte Begebenheit aus jüngster Zeit zurückzugreifen: Als ein Anhänger des Lubavitschers kürzlich in den Straßen J erusalems vor einer Gruppe den Tod des Meisters und seine durch ihn fraglich gewordene Messianität durch die Ankündigung ins rechte Lot zu bringen suchte, er werde demnächst auferstehen, und daraufhin mit verständnislosem Staunen gefragt wurde, was das heiße, griff er zum rettenden Anker in der eigenen Geschichte und beteuerte sichtlich erleichtert: "Na, wie J esus ... " 1 Diese Episode spielt keineswegs in einer Seitengasse. In einem Deiner Beiträge finden sich zum Thema die Sätze: " ... eine der Formen der Erlösung ist die Bezwingung des Todes, genauer, sie ist die dramatischste Gestalt der Erlösung, da der Tod ein Triumph des Negativen ist, über den wir noch keinen Triumph gesehen haben. Nun, wenn ich ,wir' sage, dann meine ich in erster Linie Juden. In zweiter die meisten Leute, die heute leben, da Auferweckung gewiß nichts ist, was man jeden Tag sieht. Doch der christliche Glaube lehrt, daß Auferweckung geschehen sei. Natürlich gibt es hier insofern einen gewissen Grad an Nichtübereinstimmung, als das Judentum sagt, dies stehe noch aus, und das Christentum, . daß es bereits vollendet sei, zumindest in dem Sinne, daß es in einem Fall geschehen sei. Ist das ein großer Unterschied? Ich denke in der Tat nicht. ,,2 Und wenig später heißt es, unerläßlich mitzuhören, weil auf die unumstößliche Verläßlichkeit des Wortes Gottes rekurrierend: "... es gibt einen Unterschied, aber die Verheißung ist da, und wo die Verheißung ist, ist Erfüllung. Und wo die Erfüllung ist, ist die Verheißung. ,,3 Wie wäre das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu hier, über den Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung, nicht allemal bereits "heimgeholt" ins Judentum? Freilich, so wenig für den Anhänger des Lubavitschers in dem hermeneutischen "Wie" ein konfessorisches "Daß" enthalten war, so wenig schließt die in den zitierten Sätzen erkennbare "Heimholung" eine Konfession ein. Oder doch? Zwar keine christologisch orientierte, wohl aber eine theologisch begründete, die sich vielleicht so umschreiben ließe: Die im Christentum geglaubte Auferweckung Jesu ist nicht nur religionsgeschichtlich als eine Möglichkeit im Rahmen des Judentums zu sehen, sondern als ein Teil des GeheimnisSo nach dem Augen- und Ohrenzeugnis von Pfarrer LR. Erich Spier, dem ich diese Geschichte verdanke. 2 M. Wyschogrod, Resurrection, in: Pro Ecclesia 1/1 (19), 104-112, hier 109. 3 A.a.O. 110. 1
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ses göttlichen Verheißens und ErfülIens. Juden vermögen dies Geheimnis zwar nicht als unmittelbar an sie gerichtetes Wort zu vernehmen. Aber sie vermögen es dennoch im Horizont des eigenen Glaubenswissens als eine Nicht juden zugute ereignete, vorweggenommene, partielle Realisierung im Rahmen der angedeuteten Dynamik von Verheißung und Erfüllung zu respektieren oder anzuerkennen. Das Konfessorische läge damit in der bekundeten Gewißheit, es handele sich, auch wenn man sich aus bestimmten Gründen nicht unmittelbar angesprochen sieht, dennoch um ein Handeln desselben Gottes. Die traditionelle Auffassung, daß das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu Juden und Christen scheide, ließe sich dann vielleicht dahingehend modifizieren: Es scheidet sie zwar kontingent und aktuell, nicht aber prinzipiell. Diese Sicht ließe sich durch die Feststellung bekräftigen, daß nach christlichem Bekenntnis und Verständnis "Auferweckung Jesu" keine "Auferstehung" aus eigener Kraft ist. Vielmehr gilt sie als eine Erfahrung des lebendig machenden HandeIns des Gottes Israels, wie es in der zweiten Benediktion des Achtzehngebets bekannt wird: "Gelobt seist du, HErr, der die Toten lebendig macht." Freilich liegen die Dinge ungeachtet des hier denkbaren oder erkennbaren Einvernehmens komplizierter. Du hast im Hinblick auf das in jüdischer Begrifflichkeit formulierte Bekenntnis, Jesus sei der Messias, geurteilt, daß "sein Tod ohne die gleichzeitige Aufhebung des römischen Jochs für die meisten Juden den schlagenden Beweis dar(stellte), daß er eindeutig nicht der Messias war,,4 und so ist es ja bis heute geblieben. Zugleich hast Du mit Nachdruck hervorgehoben, "daß der Anspruch, J esus sei der Messias gewesen, ganz klar von der Behauptung unterschieden werden muß, daß er Gott war". 5 Denn diese Behauptung habe "die ganze Auseinandersetzung auf eine neue Ebene gebracht: mit ihr riß nun endgültig ein Graben auf, ein Graben, der bis heute mit ganzem Ernst fortbesteht,,6. Folgerichtig hat dieser Sachverhalt zu dem vorweggenommenen Schluß geführt, die "schwierigsten unerledigten Fragen zwischen Judentum und Christentum" beträfen "die Gottheit Jesu, die Inkarnation und die Trinität".7 Um so bemerkenswerter sin~ Mitte und Zielpunkt Deines Beitrags: Er will keine Kluft festschreiben, sondern versuchen, "die Christologie im Zusammenhang mit Gottes Einwohnung in Israel zu verstehen",8 und damit die Behauptung, "daß Jesus Gott war, ... noch einmal aus unserer neuen Perspektive (zu) betrachten"g. Gemeint ist mit dieser "neuen Perspektive" eine Sicht, die von zwei zuvor abgeklärten - Voraussetzungen bestimmt ist. Erstens sei das Judentum entgegen landläufiger Auffassung selber inkarnatorisch M. Wyschogrod, Inkarnation aus jüdischer Sicht, in: EvTh 55,1995,13-28, hier 17 (=Erfurter Vortrag). 5 Aa.O. 16 6 Aa.O.17. 7 Aa.O. 15. 8 Aa.O.27. 9 Aa.O.23. 4
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"wenn wir unter diesem Begriff die Vorstellung verstehen, daß Gott in die Welt des Menschen eintritt, daß er an bestimmten Orten erscheint und dort wohnt, so daß sie dadurch heilig werden" .10 Und zweitens dürfe Jesus, "weil er sich selbst nicht von ihm trennen wollte", "nicht vom jüdischen Volk getrennt werden".l1 Die Behauptung, "daß Jesus Gott .war", wird von diesen Voraussetzungen her von Dir aufgenommen, indem Inkarnation Gottes in seinem Volk Israel und in J esus Christus in folgendes Verhältnis zueinander gebracht werden: "Vielleicht konnte die Kirche, die zum Gott Israels hingezogene Sammlung der Heiden, aus irgendeinem geheimnisvollen Grund die Inkarnation Gottes im jüdischen Volk nicht erkennen, sondern nur in diesem einen Juden, der - ohne daß die Kirche das merkte - für sein Volk stand... Vielleicht ist das Band zwischen J esus und seinem Volk viel enger, als man immer gedacht hat. ,,12 Ich habe diese Grundzüge Deines Erfurter Vortrags in diesem zweiten Schritt der Überlegungen in Erinnerung gerufen, damit sie als Hintergrund und Hilfe für die weiteren Erörterungen präsent sind. 13 Denn das Thema "Auferweckung J esu" dürfte in seinem Gewicht im Rahmen des christlich-jüdischen Verhältnisses noch nicht mit der angedeuteten ersten "Heimholung" erfaßt sein. Vielmehr deutet sich seine Tragweite erst an, wenn zu Gesicht kommt, daß es in Fragenbereiche führt, die den mit der Inkarnation gegebenen entsprechen. Die geglaubte Auferweckung Jesu ist zwar im Neuen Testament in den ältesten Schichten seiner Überlieferung zunächst als Bekräftigung oder auch Begründung seiner messianischen Stellung als "Christus" und "Kyrios" verstanden worden. Aber schon gut ein halbes Jahrhundert später bekennt der sprichwörtlich gewordene ungläubige Thomas, nachdem er sich der Identität zwischen erschienenem, auferwecktem und irdischem J esus vergewissert hat: "mein Herr und mein Gott" (Joh 20,28). Er legt damit eine Spur, die dann auf mancherlei verschlungenen Wegen in mehr als zweihundert Jahren zu den altkirchlichen Bekenntnissen geführt hat. So sind wir erneut mit jener von Dir zu Beginn Deines Beitrag1;i im Sinne einer Problemanzeige wie folgt formulierten Grenze konfrontiert: "Ein menschliches Wesen, das zugleich Gott ist, verliert von vornherein alle jüdische Legitimität. Es läßt sich gar kein schärferer Bruch mit jüdisch-theologischer Sensibilität denken. ,,14 Ja, vielleicht ist die im Bekenntnis der Auferweckung angelegte Konfrontation in gewissem Sinne nachhaltiger noch als die im Glauben an die Inkarnation angelegte. Denn mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als Lebendigem wird ja all das, was im ZuAa.O. 22. Aa.O. 25. 12 Aa.O. 26. 13 Als Veranschaulichung, wie leicht es mir fällt, mit ihnen mitzugehen, verweise ich auf: P. von der Osten-Sacken, Der Wille zur Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses in seiner Bedeutung für biblische Exegese und Theologie, in: JBTh 6, 1991,243-267, hier 257ff. 14 Wyschogrod, Inkarnation, 15f. 10
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sammenhang mit der Inkarnation in der Zeitform der Vergangenheit erzählt wird, als bleibend gegenwärtig bekundet. Es ist dies die Stelle, an der auf dem Weg ins Herz der Dinge die Frage zu streifen ist, welches Ziel die weitere Erörterung haben kann: Indizien dafür zu. sammeln, daß wir mit dem Bekenntnis vere homo et vere deus keinen Götzendienst treiben, auch wenn es im Christentum vieles gibt, was Ihr - wie etwa die Übertretung des Bilderverbots - vielfach kaum anders denn als eine Form von Götzendienst zu sehen vermögt? Oder soll es mehr noch um Indizien gehen, daß wir kein verwässertes oder abgeschwächtes Verständnis der Einheit Gottes haben? Es wäre viel, wenn auch nur ein wenig davon deutlich würde. Damit die Gewichte aber nicht überschwer werden, möchte ich mich Aufgabe und Ziel mit einem Wort Martin Bubers aus dem unerschöpflichen Zwiegespräch mit Karl Ludwig Schmidt am 14. Januar 1933 im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart annähern. Im Sinne einer Aufgabenbeschreibung im Verhältnis von Kirche und Israel stellt Buber darin fest: " ... indem wir unter Anerkennung der Grundverschiedenheit in rückhaltlosem Vertrauen einander mitteilen, was wir wissen von der Einheit dieses Hauses, von dem wir hoffen, daß wir uns einst ohne Scheidewände umgeben fühlen werden von seiner Einheit, dienen wir getrennt und doch miteinander, bis wir einst vereint werden in dem einen gemeinsamen Dienst, bis wir alle werden, wie es in dem jüdischen Gebet am Fest des Neuen Jahres heißt: ,ein einziger Bund, um Seinen Willen zu tun'. ,,15 Wie also ist - unter der Frage nach der Einheit - jene Antwort des in seinem Zweifel überwundenen Jüngers aufzunehmen? Läßt sie sich noch in bestimmter Weise von Voraussetzungen jüdischen Glaubenswissens her verstehen, oder ist hier der Rubikon hin zum heidnischen oder nicht jüdischen Ufer allemal überschritten? Du ziehst in Deinem Erfurter Vortrag die Auferstehung als "Beweis der Messianität oder gar der Göttlichkeit Jesu" durch den Hinweis in Zweifel, daß auch "in der Hebräischen Bibel Propheten Tote auferwecken" .16 Ohne am problematischen Begriff "Beweis" haltzumachen - nur der Glaube sieht ja das Wunder -, scheint mir dieser Vergleich eine bezeichnende Grenze zu haben. Denn die Gewißheit "Jesus lebt" wird im Neuen Testament von Beginn an "gut jüdisch" in einem Verstehenshorizont ausgelegt, wie er kurz und bündig etwa in der bereits erwähnten zweiten Benediktion des Achtzehngebets erscheint: Gott, zuvor in der ersten Beracha als "unser Gott und Gott unserer Väter" gepriesen, wird hier als "Herr von Machttaten " bekannt - als der, der Kranke heilt, Gefangene befreit und - deutlicher Schwerpunkt - "die Toten belebt", und zwar 15 M. Buber/K.L. Schmidt, Kirche, Staat, Volk, Judentum, in: ThBI 12, 1933, 257-274, hier 268; Nachdruck unter Einschluß der späteren leichten redaktionellen Eingriffe Bubers in: Leben als Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber (1878-1978). Vorträge und Aufsätze (Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum 7), 2., verb. Auflage Berlin 1982, 119-135, hier 129. 16 Wyschogrod, Inkarnation, 17.
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ohne die Folge, daß sie - wie wohl doch die nach den Königsbüchern Auferweckten - wieder sterben, sondern mit der stillschweigenden Konsequenz, daß sie - der Differenz zwischen Schöpfung und Neuschöpfung entsprechend - ein für allemal leben, lebendig gemacht von der Gevurah Gottes, seiner Dynamis. Eben dies Handeln sieht die christliche Gemeinde in einem Vorgriff auf die allgemeine Totenauferweckung an Jesus Christus vollzogen. "Auferweckung" rückt damit für sie - Du hast ja selbst darauf verwiesen - heraus aus der Stellung eines allein erwarteten Handelns Gottes. Vielmehr glaubt sie es an dieser Person, dem Gekreuzigten, geschehen. Von hier aus wird verständlich, warum Paulus bekennen kann: "Leben heißt für mich Christus" (Phil1,21), ohne daß dies für ihn oder uns eine Alternative sein könnte zum Gott Israels, dem Schöpfer und Neuschöpfer, als Quelle allen Lebens; denn Jesus Christus selber verdankt sich als "Leben" dem Handeln dieses Gottes. Oder aber es wird vielleicht nachvollziehbar, wenn der johanneische J esus, nachösterlich geformt, selber bekennt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben ... " (Joh 11,25). Die Gefahr solcher Sätze ist ihre Verselbständigung, ihre Abkapselung von ihrer im Urbekenntnis "Gott hat ihn auferweckt von den Toten" klar gesetzten Struktur: Er, der Gott Israels, ist es, der in Übereinstimmung mit der zweiten Benediktion handelt, indem er seine Gevurah (so nach der Benediktion) bzw. seinen Geist (so nach dem Neuen Testament) lebenschaffend an Jesus hat wirksam werden lassen. Ist es zuviel gesagt oder nicht doch noch prinzipiell im Einzugsbereich jüdischen Denkens, daß Jesus - von Gott durch dessen Kraft oder Geist auferweckt - damit Anteil bekommen hat am Leben Gottes selbst, so daß an ihm etwas von diesem Leben und damit von Gott selbst aufleuchtet? Doch halten wir uns noch enger an die alten Texte. Das Entscheidende an den neutestamentlichen Aussagen über die Auferweckung J esu, ihr Zielpunkt, ist nur bedingt die mit der Auferweckung verbundene oder durch sie ermöglichte Hinauffahrt oder Entrückung in die Welt Gottes. Weiterreichendes Ziel ist vielmehr seine Rückkehr in den Kreis der verlassenen Anhängerinnen und Anhänger und von dort mit ihnen die Hinkehr zu weiteren Kreisen "bis ans Ende der Erde" (Apg 1,8). Weil dies die Grundbewegung ist, darum ergibt sich zwar keine Wiederholung, aber nun doch ein dem Inkarnationsgeschehen erstaunlich analoger Prozeß: Der, in dem Gott "unter uns wohnte" (Joh 1,14) und der - dogmatisch gesprochen - in diesem Sinne als vere homo et vere deus bekannt wird, nimmt, selber kraft des Geistes Gottes lebendig gemacht, erneut Wohnung: "Christus lebt in mir", "in uns", "in euch" oder auch "der Geist dessen, der Jesus lebendig gemacht hat". Dies zu betonen wird Paulus nicht müde, und ohne das Ganze lehrhaft auszudefinieren, kann er den Geist Gottes, weil er an Jesus Christus wirksam geworden ist, auch den "Geist Christi" nennen, der in den Glaubenden wohne.!7 Das 17 Vgl. zum Ganzen exemplarisch Röm 8,9-11 und zum Zusammenhang mit dem Motiv von der Einwohnung P. Lenhardt/P. von der Osten-Sacken, Rabbi Akiva. Texte und Interpretationen zum Neuen Testament und rabbinischen Judentum
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an den Weg der Person J esu gebundene Inkarnationsgeschehen bleibt in all diesen Aussagen auf eine unverwechselbare Weise präsent. Denn der Irdische und der Auferweckte sind identisch, und deshalb bindet der Geist Gottes oder Christi, dessen Gegenwart erfahren wird, die Glaubenden bleibend an den irdischen und gekreuzigten Jesus. Er verbindet also ihr Leben mit der Gestalt, von deren Tod Du, die enge Zusammengehörigkeit von Jesus und Israel verdeutlichend, in einem Vergleich mit dem unerschütterlichen Sterben des Sokrates geschrieben hast: "Die Tiefe des Schmerzes. Die Tiefe des Leidens. Die Tiefe der Verzweiflung ... auf seiten Jesu selbst ... Da ist äußerster, äußerster Schmerz bei einem jeden. Deshalb erkläre ich den Tod Jesu für einen jüdischen Tod, einen zutiefst jüdischen. ,,18 Die Auferweckung Jesu bedeutet deshalb keine Aufkündigung seiner Identität als Sohn Israels. Dies ist allein schon deshalb undenkbar, weil daraus die Absurdität folgte, die Auferweckung würde die Annullierung der Messianität Jesu bedeuten, insofern der Messias ja per definitionem Jude, Sohn Israels, ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal Deine Erfurter Ausführungen aufnehmen, und zwar das Bekenntnis: "Wo auch immer sich heute eine Gemeinde versammelt, wo auch immer es heute Juden gibt, da läßt sich die Schekhinah (die göttliche Gegenwart) nieder. ,,19 Dies klingt wie eine Anleihe bei Mt 18,20: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen", und ist dennoch keine Nachbildung, weil, wie seit langem erkannt, Matthäus selber (oder eine ihm vorgegebene Überlieferung) es ist, der Jesus hier mit Hilfe jener im Judentum seiner Zeit bereits geläufigen Vorstellung zur Sprache bringt. Die Parallele hat so oder so wegweisenden Charakter. Wenn Du die Gegenwart der Schekhinah in den jüdischen Gemeinden benennst, dann bekennst Du damit die Gewißheit der bleibenden Zuwendung Gottes zu Euch. Bekennen wir die Gegenwart J esu Christi unter uns, so würden wir uns - zugespitzt gesagt - wie von der biblischen Verheißung, so von Euch trennen, würden wir ihn nicht erstens als Unterpfand der Gegenwart des Gottes Israels und zweitens nicht zugleich als Sohn Israels glauben und verstehen. In diesem Umkreis, als Ausdruck der Zuwendung Gottes selbst, haben alle Aussagen der "niederen" und der "hohen Christologie" ihre Heimat und ihr Kriterium. Und vielleicht ist es dieser offenbarungs- oder - etwas schwerfälliger, aber präziser gesagt dieser "zuwendungstheologische" Zusammenhang, an dem etwas von der Einheit des Hauses spürbar wird, auch wenn die Grunderfahrungen der Zuwendung ihre je besondere Weise haben. Um von hier aus die heimliche Leitfrage aufzunehmen: Ist Jesus Gott? Ich bin überzeugt, daß ich kein (un)christlicher Häretiker bin, wenn ich eine bejahende Antwort für einen heidnischen Salto mortale halte. Denn sie würde den für den ganzen Zusammenhang konstitutiven Tatbestand (Arbeiten zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte 1), Berlin 1987, 168ff. 18 Wyschogrod, Resurrection, 109. 19 Wyschogrod, Inkarnation, 27. 202
ignorieren, daß sich über die "Gottheit" Jesu nur etwas in Gestalt der Bestimmung des Verhältnisses von Vater und Sohn aussagen läßt. Ist er vere homo et vere deus? Da oder insofern dies aussagt, daß sich der eine Gott Israels uns in diesem Sohn Israels bis hin zum Tode am Kreuz rettend zugewandt hat, wie sollte ich es nicht bejahen? Zu den Scharniersätzen Deines Erfurter Vortrages gehören die Folgerungen: "Wenn wir bereit sind, die Einpflanzung Jesu in sein Volk ernst zu nehmen, wenn das Israel, das ihn hervorbrachte und dessen (spirituelle, geographische, sprachliche, intellektuelle usw.) Grenzen er nie verließ, mehr ist als bloß die Kulisse des Dramas, der Hintergrund, von dem man Jesus eher abheben müßte als ihn darin zu integrieren, wenn das alles sich änderte, dann muß das, was für J esus wahr ist, im wesentlichen auch für das jüdische Volk wahr sein. Und das schließt die Inkarnation ein. ,,20 Nach allem Dargetanen läßt sich mühelos ergänzen: und es umschließt desgleichen die Auferweckung. Man kann dafür für die jüdische Seite auf die zweite Benediktion des Achtzehngebets und für die christliche auf die Beteuerung des Paulus verweisen, Jesus Christus sei ein Diener der Beschneidung (= der Juden) geworden zur (endzeitlichen) Bekräftigung der Verheißungen Gottes (Röm 15,8). Schwerlich jedoch könnte man fortfahren, daß jene Folgerungen auch die Richtung einschließen, die christlicherseits zum vere homo et vere deus führt. Hier bleibt vielmehr eine wesentliche Differenz, auch wenn Versuche eines neuen Verstehens auf jüdischer und christlicher Seite die Starrheit überkommener Differenzierungen heilsam in Bewegung bringen. Die Differenz würde sich alsbald zeigen, wenn man die Liturgien des jüdischen und des christlichen Gottesdienstes einbezöge. Während, wie man treffend beobachtet hat, Mose in der jüdischen Liturgie keinen Platz hat, und, wenn ich recht sehe, auch die Schekhinah nicht, ist der Ort Jesu Christi in der christlichen Liturgie zwar oft nicht gerade klar bestimmt, aber dennoch unzweifelhaft gegeben. Ein Einschluß dieser Zusammenhänge ist zwar verlockend, würde aber allein schon den räumlichen Rahmen sprengen. Nur soviel gilt es trotzdem festzuhalten: Jede Form der liturgischen Aufnahme Jesu Christi, die nicht das klare Ziel hätte, den Gott Israels, Schöpfer und Neuschöpfer, zu preisen, könnte schwerlich biblisch - alt- und neutestamentlich - bestehen. Auf dieser Linie wären deshalb auch Ausführungen anzusiedeln, die diesen Bereich der liturgischen Stellung J esu Christi weiter bedächten. Näherliegend scheint es im vorliegenden Zusammenhang, das Thema "Auferweckung/ Leben" und das Verhältnis Jesus-Israel im Horizont der angedeuteten christologischen Differenz noch einen Moment weiter aufzunehmen. Es wird mit Recht gesagt, in ähnlicher Weise, wie für Israel das Bekenntnis grundlegend sei, Gott habe das Volk aus Ägypten geführt, sei für die Kirche das Bekenntnis bestimmend, er habe Jesus von den Toten auferweckt. Konsequenz der jeweils die Gemeinschaft des Volkes Israel und
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der Kirche begründenden Tat ist im ersten Fall: "Das Volk Israel lebt" (hebräisch würde es authentischer klingen: am jisrael chai), im zweiten: "Jesus lebt". Für die christliche Seite ist dies selbstevident, für die jüdische ließe sich etwa auf solche Traditionen verweisen, die den Tatbestand, daß Israel am Leben ist und bleiben wird, als Ausdruck der unumstößlichen Treue und Gegenwart seines Gottes auslegen. 21 Natürlich ist es einerseits ein unterschiedlich qualifiziertes Leben: das eine zeitlich, das andere endzeitlich. Aber wie das eine Leben, das Israels, Eurer Tradition nach hingeordnet ist auf das zukünftige, so ist das andere, das Jesu Christi, bleibend bezogen auf seine Existenz als Sohn Israels. Es bedarf schwerlich des Nachweises, daß das Leben beider in der Vergangenheit nur zu oft im Sinne eines Konkurrenzverhältnisses verstanden worden ist mit der Folge, daß das Leben des einen das des anderen ausschloß oder ausschließen sollte - de facto auf Eure Kosten. Wie aber wäre es, wenn unsere Gewißheit, auf den einen aus Eurem Volk bezogen, Eure Hoffnung stärkte, und Eure Gewißheit, auf das ganze Volk bezogen, uns diesen einen neu verstehen hülfe: als den, der sich ohne sein Volk zu einem blassen Geistwesen verflüchtigte, der nur mit ihm der bleiben kann, der er war, und der nur das Leben, nicht aber den Tod seines Volkes wollen kann? So läuft alles auf die Frage zu: Wie lebt die Kirche, die sich zum Leben dieses Sohnes Israels bekennt und von ihm her existiert? Sie könnte, weil für sie J esus Christus das Subjekt der Lebensaussage ist, wohl nie - in dem Sinne, wie Israel bekennt: am jisrael chai - rufen: "die Kirche lebt", obwohl ihr ein Quentchen davon in unseren Tagen guttäte. Vielmehr wird sie immer von J esus - aufgrund des HandeIns Gottes an ihm - bekennen, daß er, Sohn des Gottes Israels und Sohn Israels zugleich, lebe. Eben darin ist, recht verstanden, einbegriffen, daß sie sich nie gegen das Volk Israel wenden kann, ohne sich gegen beide zu wenden, den Sohn und den Vater - um wieviel mehr gegen den Heiligen Geist als deren Gegenwart. Auf der Karlsbrücke in Prag steht - Dir fraglos bekannt - neben vielen anderen Statuen eine Gruppe mit dem erhöhten Crucifixus, mit Maria, seiner Mutter, und dem Lieblingsjünger zu Füßen des Kreuzes, letztere erst im vergangenen Jahrhundert hinzugefügt. Das Haupt des bronzenen Crucifixus ist umgeben von einer in Gold gefaßten Legende mit dem Anfang des Sanctus Jes 6,3 in hebräischer Schrift: "Heilig, heilig, heilig, der Herr Zebaot." Nach der Überlieferung wurde ein Prager Jude Ende des 17. Jahrhunderts dazu verurteilt, diese Legende anbringen zu lassen, weil er seine Mißachtung des Gekreuzigten zum Ausdruck gebracht habe - eine bittere Strafe, die eine in christlicher Sicht lästerliche Handlung mit einer in jüdischen Augen nicht weniger lästerlichen Übertretung ahndete. Die eingeschwärzten Skulpturen waren eindrücklicher noch als wohl in ihrem ursprünglichen Ton, die goldenen Lettern leuch21 Ein eindrückliches Beispiel bildet etwa der Anfang des Traktats "Perek Scha10m" aus den sog. kleinen Traktaten des Babylonischen Talmud.
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teten in der kräftigen Nachmittagssonne, wie hätte ich gegen beide etwas haben können? Ob die bittere Erinnerung an den historischen Anlaß für das Miteinander beider, des Crucifixus und der Legende, das letzte Wort behalten muß? Oder ob nicht auch hier, im neuen Zugehen von Juden und Christen aufeinander, etwas von dem Wort an Geltung gewinnen könnte, daß selbst das böse Intendierte zum Guten gewendet werden kann? Der Crucifixus, nicht gegen Israel verstanden, sondern als Sohn seines Volkes, umgeben und geschützt von dem Namen des HErrn Zebaot und diesen Namen auf seinem Weg bis zum Kreuz manifestierend, einerseits und das Bekenntnis in der Liturgie, daß wir als Christen durch ihn als Lebendigen dem HErrn Zebaot das Sanctus darbringen, andererseits - wären dies christologische Verständnisweisen, auf deren Grundlage Israel, ohne sie für sich zu teilen, mit uns leben könnte als eng verwandte Kinder desselben Gottes? 11. Michael Wyschogrod an Peter ~on der Osten-Sacken 22
Lieber Peter, die traditionelle Auffassung, daß das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu Juden und Christen scheide, läßt Du nur mit folgender Einschränkung gelten: "Es scheidet sie zwar kontingent und aktuell, nicht aber prinzipiell." Dir in diesem Punkt zuzustimmen, fällt mir nicht schwer. Der Auferstehungsgedanke ist ein zutiefst jüdischer Gedanke, mit dessen Hilfe die Ansicht zurückgewiesen wird, die geistige und körperlose Weiterexistenz der Seele sei der eigentliche Sieg über den Tod, den Gott für die leidende Menschheit bereit hält. In der verheißenen leiblichen Auferstehung konzentriert sich Gottes Heilshandeln an dieser Welt, die laut der Genesis von Gott geschaffen und für gut befunden wurde. Die Auferstehung stellt insofern die schärfste Zurückweisung des Gnostizismus und seiner Lehre von der Vorrangigkeit des Geistes gegenüber der Materie dar. Zwar wurde die Diskrepanz zwischen Auferstehungsdenken und Gnostizismus zu reduzieren versucht, indem entweder der Auferstehungsleib für unvergänglich erklärt (Paulus) oder nach der Auferwekkung mit einem zweiten Tod gerechnet wurde, in dem sich die Seele dann endgültig und unwiderruflich vom Körper' befreit (Maimonides ). Solche Versuche wirken unbeholfen und wenig überzeugend. Ein unvergänglicher Körper ist sozusagen ein Widerspruch in sich, und ein zweiter Tod nach der Auferstehung stiftet Verwirrung, ist doch schwer einsehbar, wieso wir nicht beim ersten Mal schon im eigentlichen Sinne sterben sollen. Auferstehung ist sinnvoll und gut jüdisch, sofern sie von ihrem wesentlichen Inhalt her keine Schmälerung erfährt. Doketische Auferstehung ist um nichts besser als doketische Inkarnation. Das ist der Grund, weshalb ich damit einverstanden bin, daß der Gedanke der Auferstehung gut jüdisch ist, auch wenn ich nicht glauben kann, daß J esus von den Toten auferstanden ist. Es ist nicht meine Absicht, die 22
Aus dem Englischen übersetzt von Regine Hunziker-Rodewald. 205
Bedeutung dieser "tatsächlichen" oder - um Deinen Ausdruck zu gebrauchen - "kontingenten" Angelegenheit zu verringern. Das Tatsächliche ist das Körperliche, das sich nicht in Theorie auflöst, das nicht "aufgehoben" werden kann in ein Allgemeines. Deshalb ergeben sich aus Meinungsunterschieden über das "Kontingente" weitreichende Folgerungen. Nichtsdestoweniger sollten diese Meinungsunterschiede vor einem Hintergrund von Übereinstimmung gesehen werden, und in diesem besonderen Fall besteht die Übereinstimmung in der Auferstehungsverheißung in ihrer ganzen Partikularität und Materialität. Das heißt für Juden zum Beispiel, daß die Auferstehungserwartung die Kremation als Möglichkeit zur Beseitigung der Toten ausschließt. Selbstverständlich haftet solchem Denken etwas Kindliches und Naives an. Ist es nicht eine Frage der Zeit, bis der Körper in der Erde verwest, und wenn Gott diesen verwesten Körper auferwecken kann, warum soll er dann einen kremierten Körper nicht auferwecken können? Natürlich lautet hier die Antwort, daß Gott jeden Körper, sei er nun kremiert oder begraben oder in sonst einer Verfassung, auferwecken kann. Und trotzdem möchte ich nicht kremiert werden. Es gehört zu unserer menschlichen Art und Weise, die Körperlichkeit des Leibes zu respektieren, so daß wir ihm nicht einmal nach dem Tod Gewalt antun. Während in gnostischer Sicht ein Körper ohne Seele nur sehr geringen Wert hat, spiegelt der Körper im Judentum - sogar als toter Körper - Gottes Bild wider und muß deshalb mit großer Ehrerbietung behandelt werden. Der Körper wird auferstehen, weil er nach Gottes Bild geschaffen ist, und Gott kann nicht sterben, jedenfalls nicht für immer. Interessant finde ich, daß Du den Rebbe von Lubavitsch erwähnst. Als er noch lebte, hielten ihn einige, vielleicht sogar viele seiner Schüler für den Messias. Als er dann im Juni des Jahres 1994 starb, weigerten sich einige, vielleicht sogar viele seiner Schüler, den Glauben aufzugeben, daß er der wahre Messias war und sein wird. Einige bestritten sogar, daß er wirklich gestorben war. Andere sprachen von seiner Auferstehung, die sich bald ereignen sollte. Zuerst fanden' diese Ansichten kaum Beachtung und die meisten nicht-Lubavitscher orthodoxen Juden - die Mehrzahl der liberalen Juden hatten den Glauben an einen personenhaften Messias schon lange aufgegeben - schüttelten in stiller Belustigung den Kopf über diese eigenartigen Entwicklungen. Dann aber veröffentlichte David Berger, ein anerkannter Experte in Fragen mittelalterlicher jüdisch-christlicher Polemik und Mitverfasser von "Jews and ,Jewish Christianity'" (Ktav Publishing Co., 1978), den Artikel "Messianism: Passing Phenomenon or Turning Point in the History of Judaism?" (Jewish Action, Herbst 1995), in dem er deutlich machte, daß die messianischen Behauptungen der Lubavitscher Chassidim eine echte Bedrohung für das Judentum bedeuteten, denn Juden "will no longer be able to tell Christian missionaries that the Jewish faith does not countenance belief in a Messiah whose mission is interrupted by death, and one of the defining characteristics of Judaism in a Christian world will have been erased" (88). 206
Dieser Artikel gab Anlaß zu einer Anzahl Reaktionen in der Winter-Ausgabe 1995 von "Jewish Action". Die größte Sorgfalt und Gelehrsamkeit zeichnete die Entgegnung von Rabbi Isser Z. Weisberg aus Toronto, Kanada, aus, der im Talmud Hinweise gefunden hatte auf einen Messias, der von den Toten auferstanden war. Auch Rabbi Shmuel M. Butman, ein Führer des Lubavitscher messianischen Flügels, bezog sich auf den Talmud, Avodah Zara lOb, wo Antonius, nachdem er R. Haninah b. Hama einen Toten auferwecken sah, zu den Rabbinern sagt: "Ich weiß genau, daß selbst der Geringste unter euch Tote aufzuwecken vermag." Ohne Zweifel ist die Totenauferweckung für Rabbi Butman keine fremde Vorstellung. In beiden der erwähnten Antwortschreiben wird die Ansicht zurückgewiesen, ein Messias, der' seine Sendung erst vollendet, nachdem er von den Toten auferstanden ist, sei eher eine christliche denn eine jüdische Vorstellung. Beide Autoren wenden ein, daß das Judentum keinesfalls irgendwelche Lehren nur aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit oder aufgrund ihrer Abweichung von dem Glauben anderer Religionen annehmen oder abweisen darf. Daß die Äußerungen vom Messias und seiner Auferstehung, die in den letzten Jahren in Lubavitscher Kreisen zu hören waren, keinen tieferen Bruch mit dem Rest des orthodoxen Judentums zur Folge hatten, ist der Tatsache zu verdanken, daß die Lubavitscher sich konsequent 'an die Torah halten. In der Vergangenheit waren solche messianischen Bewegungen begleitet von Neuerungen im Umgang mit der Torah, und mehr als die messianisch-auferstehungsbezogenen Lehren selbst sind es diese Neuerungen, die zur Spaltung führten. Ich vermute, dasselbe gilt für Jesus und Paulus. Welche Haltung auch immer J esus und Paulus zu dieser Frage eingenommen haben mögen, spätestens nach der Ausweitung der Kirche auf die Nicht juden wurde die strenge Befolgung der Torah - zumindest was ihre rituelle Dimension anbelangt (Beschneidung, Speisegebote, Feste etc.) - aktiv abgebaut. Diese Praxis zusammen mit der Entwicklung einer hohen Christologie machte eine Scheidung der Wege unausweichlich. Du unterscheidest zwischen Jesu Auferweckung einerseits und den Auferweckungsberichten in der Hebräischen Bibel wie auch - so vermute ich - der Lubavitscher Rede von Auferstehung andererseits, indem Du betonst, daß Jesus ins ewige Leben auferweckt wurde und daß es keine Selbst-Auferweckung war, sondern eine Handlung von J esu Vater. Laut der zweiten Lobpreisung der Amidah ist Gott derjenige, der die Toten auferweckt. Es ist zu beachten, daß die Preisung im Präsens und nicht etwa im Futurum formuliert ist. Auferstehung ist nicht etwas nur Künftiges, sie muß auch präsentisch sein. Sie kann nicht ausschließlich der Zukunft vorbehalten sein, weil auch Gottes Macht nicht ausschließlich de:r; Zukunft vorbehalten ist. Gott lebt jetzt, und der Tod steht im Gegensatz zu Gott, er ist das Prinzip, das Gottes Macht negiert. Genau deshalb muß es schon einen präsentischen und nicht erst einen künftigen Sieg über den Tod geben. Ich denke, es besteht eine Beziehung zwischen der Auferstehungsverheißung und der Verheißung, die allen Kranken Hei207
lung zusagt. Die Krankheit ist der Schatten des Tode~, und Heilung ist insofern eine partielle Auferstehung. Beide zeigen, daß Gott das Leben will, und nicht den Tod. Der Glaube an die Auferstehung entspricht der Weigerung, den endlichen Sieg des Todes über das Leben hinzunehmen. In diesem selben Glauben stehen Juden und Christen zusammen. Du ziehst Parallelen zwischen dem Exodus und Jesu Auferstehung: jenem kommt zentrale Bedeutung im Judentum zu, dieser im Christentum. Beide stellen sie Kundgebungen zugunsten des Lebens dar. Sowohl Israel als auch die Kirche sind im soziologisch-historischen Sinn voller Leben, aber sie sollten auch im theologisch-geistigen Sinn voller Leben sein. Sowohl Israel als auch die Kirche sind immer vom Tod bedroht. Während Israel unaufhörlich den Exodus zu wiederholen hat, weil er immer neu aus Ungehorsam und Verstockung der Herzen befreit, muß die Kirche fortdauernd auferstehen aus den todbringenden Gefahren, die ihr drohen. Auch in diesem Zusammenhang sind die Lubavitscher Ereignisse lehrreich. Jesus habe ich natürlich nicht gekannt, aber ich kannte den Rebben von Lubavitsch. Zweifellos war er ein Heiliger. Obschon ich ihn bei zahlreichen Gelegenheiten reden hörte und mich auch einmal mehrere Stunden lang mit ihm unterhielt, gehörte ich nicht wirklich zu seinen Anhängern. Beeindruckt war ich hingegen von der Beziehung der Jünger (Chassidim) zu ihrem Meister. Durch ihn, denke ich, erfuhren sie Gott. Er war ein Kanal, durch den ihnen Heiligkeit entgegenströmte. Sie liebten ihn fast so sehr wie sie Gott zu lieben gehalten waren. Es ist schwer, Gott den Vater zu lieben, der nicht in die Welt der Sinne eingeht. Deshalb liebten sie den Rebben. Aber wird ein Meister derart intensiv geliebt, dann droht die Liebe zu Gott in den Hintergrund zu treten, nicht theoretisch zwar, aber praktisch. Und weil der Rebbe die Aufmerksamkeit der Jünger nicht genügend von sich weg und auf den Einen hinwendete, dem er diente, erleben wir jetzt die Folgen der Unterlassung. Ich kann mir vorstellen, daß es sich mit der Liebe der Jünger Jesu zu ihrem Meister ganz ähnlich verhielt. Und diese Liebe von Millionen von Menschen, die J esus durch die Evangelien kennengelernt haben, besteht schon seit zweitausend Jahren. Es war unvermeidlich, daß Jesus, zusammen mit dem Heiligen Geist, zu einer Würde erhoben wurde, die der des Vaters gleichkommt. Deine Beobachtung, daß Mose in der jüdischen Liturgie fast keine Rolle spielt, ist ganz richtig. Der Ort, wo Mose begraben liegt, ist nicht bekannt, damit wir - so lehren uns die Rabbinen - der Versuchung entgehen, ihn zu verehren. Die Christen aber verehren Jesus, und er ist deshalb mehr als nur ein Kanal zu Gottvater. Trotz seiner bedingungslosen Unterordnung unter den Willen seines Vaters und trotz seiner Bereitschaft, gehorsam zu sein bis in den Tod, kam es dazu, daß man J esus schließlich für nicht-geschaffen und gottgleich erklärte. Die Formulierungen von Nicäa - "gezeugt, nicht geschaffen", "wahrer Gott vom wahren Gott" - sind sehr stark. Dies aber ist, so scheint mir, zuviel der Auferweckung. Deshalb stellt nicht die Auferstehung Em sich das Problem dar, sondern 208
die hohe Christologie, zu der sie führt. Jene muß zwar nicht zwingend zu dieser führen, aber weil es im Christentum nun mal geschehen ist, können die beiden Themen nicht einzeln behandelt werden. Mein Inkarnationsdenken verringert zwar die Kluft zwischen unseren beiden Religionen, bringt sie aber keineswegs zum Verschwinden. Glücklicherweise ist die Sprache von Nicäa eher metaphysisch als biblisch. Die griechische Metaphysik kann nicht dieselbe Autorität beanspruchen, wie sie die Bibel in der Kirche hat. Würde die metaphysische Komponente erst einmal reduziert oder verändert, dann könnte vielleicht eine neue, mehr an der Bibel orientierte Christologie entstehen. Diese Entscheidung aber liegt bei den Christen.
Die christologische Bedeutung der,Auferstehung J esu Christi von den Toten Wolf Krötke I. Die kirchliche Verantwortung der Theologie und die Auferstehung
Jesu Christi Die Auferstehung Jesu Christi wird im Neuen Testament auf vielfach akzentuierte Weise bezeugt. Doch in einem stimmt dieses Zeugnis in großer Breite zusammen: Es handelt sich hier um ein Ereignis von Gottes ö6~a, also der Fülle des spezifisch Göttlichen, mitten in der Zeit. Durch die ö6~a Gottes wurde der Mensch Jesus auferweckt (vgl. Röm 6,4). In sie ist er "eingegangen" (Lk 24,26) bzw. "aufgenommen" (Ti 3,16). Ihm ist die ö6~a Gottes "gegeben" (vgl. 1Petr 1,21). Mit dem ÖO~aS€lV durch Gott (vgl. Joh 7,39; 12,16.23 u.ö.) widerfuhr Jesus eine einzigartige Auszeichnung, von der her ein auszeichnendes Licht auf das Sein aller Menschen fällt: Auch sie werden, indem sie auf die Seite dieses Menschen gehören, von einer ö6~a zur anderen verwandelt werden, wie Paulus in 2Kor 3,18 sagt. M. Luther hat an dieser Stelle ö6~a mit "Klarheit" übersetzt: "Wir werden verklärt in dasselbe Bild von einer Klarheit zu der andern", sofern sich nämiich "des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht" in uns spiegelt. Ist die Auferstehung J esu Christi ein Ereignis göttlicher ö6~a, dann geht es hier also um das Überströmen göttlicher Klarheit in die Zeit hinein, das nicht übermächtig und unverstehbar über uns herfällt, sondern uns mitnimmt in ein Licht, l in dem alle selbstverschuldeten und nicht selbstverschuldeten Dunkelheiten des Lebens überwunden sind. 1
"Licht" ist biblische Metapher für Gottes 06~a (vgl. EWNT III, 1071ff)!
Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 209-225 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
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Diesem klarmachenden Licht zu dienen, ist die Aufgabe der christlichen Verkündigung. Es gibt im Grunde genommen nichts, was die Kirche zu bezeugen und zu tun hat, das nicht auf diese Aufgabe und damit auf die Auferstehung J esu Christi zurückzuführen ist. Eine Kirche ohne Ostern ist ein Widerspruch in sich. Sie wäre gar nicht entstanden. Sie müßte auseinanderfallen, wenn sie heute etwa beginnen würde, das Recht ihres Daseins und Auftretens anderswo zu suchen, als in dem Ereignis, auf Grund dessen Jesus Christus das "Licht der Welt" (Joh 8,12) ist, mit dem sich die Welt nicht selbst erleuchten kann. Dementsprechend könnte die Theologie ihre kirchliche Verantwortung nur verfehlen, wenn sie die grundlegende Bedeutung der Auferstehung J esu ChristLfür alles, was die Kirche ist und tut, und damit für das Heil aller Menschen in Frage stellen oder auch nur verschleiern würde. Christliche Theologie ist Wissenschaft von dem Gott, dessen Aoyor; in der Auferstehung J esu Christi zur göttlich klaren Bestimmung der ganzen Welt wurde. Im Ereignen dieses Aoyor; ist der ganze Reichtum dessen konzentriert, was Gott überhaupt für Menschen sein kann. Es ist ein unerschöpflicher Reichtum, eine Quefle immer neuer Klarheit, so daß Menschen im Entdecken der Menschen klarmachenden Klarheit, die in der Auferstehung Jesu Christi Ereignis ist, niemals ans Ende kommen können. Auf diese klarmachende Klarheit hinzuweisen und die Kirche kritisch daran zu messen, ob sie in ihrer Verkündigung und ihrer ganzen Praxis von dieser Klarheit herkommt, ist deshalb eine Aufgabe, für die in der Theologie gar nicht genug getan werden kann. Gerade angesichts dessen, daß die Verkündigung der Auferstehung J esu Christi in unserer Zeit für unabsehbar viele Menschen etwas ganz Fremdes, wenn nicht massiv zu Bestreitendes darstellt, hat die Theologie hier eine für die Kirche lebensnotwendige Funktion. Sie prägt nicht nur die Gründe dafür ein, warum die Auferstehung J esu Christi für den christlichen Glauben ein helles und kein dunkles Ereignis ist. Sie macht auch nicht nur deutlich, daß den neuzeitlichen Einwänden gegen ein solches Ereignis standgehalten werden kann und muß. Sie legt vor allem aus, worin der Gewinn, der Heilsgewinn, für alle Menschen besteht, wenn sie ihr Leben von der Auferstehung Jesu Christi her in der Kraft göttlicher Klarheit führen können. Insbesondere die systematische Theologie ist hier herausgefordert, das, was in der Exegese mit einer Vielfalt von Thesen und Hypothesen über die Auferstehung J esu Christi diskutiert wird, der ki,rchlichen Verkündigung so zu erschließen, daß davon eine Ermutigung ausgeht, gerade in unserer Zeit den Glauben an Jesus Christus in Konzentration auf seine Auferstehung zu bezeugen. Denn daß alles auseinanderfällt, was die christliche Kirche bekennt und wovon sie lebt, wenn die Auferstehung Jesu Christi preisgegeben wird, das ist in seiner Weise ja gerade wieder durch die Auseinandersetzung, die G. Lüdemann ausgelöst hat,2 unter Beweis gestellt worden. Mit der Auferstehung Jesu Christi fällt Vgl. G. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, Göttingen 1994.
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das Christusbekenntnis dahin und mit ihm der Glaube an das in ihm gegenwärtige Heil. J esus erscheint als ein "Sünder" wie wir, und was bleibt, ist die Hoffnung auf eine neue "Gnosis".3 Die öffentliche Diskussion, die sich an dererlei Nachrichten aus dem Theologiebetrieb anschloß, hat gezeigt, wie wichtig es ist, das Bemühen um ein im Horizont der Fragen unserer Zeit verantwortetes theologisches Verstehen der Auferstehung Jesu Christi nicht nur zu intensivieren, sondern auch dafür zu sorgen, daß sich die Kirche der reichen Möglichkeiten bewußter wird, die ihr als Kirche des Auferstandenen zukommen. Denn es besteht zweifellos ein Mißverhältnis zwischen der Breite und Intensität, mit der sich die evangelische Theologie unseres Jahrhunderts in verschiedenster Weise um ein Verstehen der Auferstehung Jesu Christi bemüht hat, und dem Gewinn, den die Kirche daraus zu ziehen vermochte. Im Unterschied zur um die Jahrhundertwende herrschenden sogenannten "liberalen Theologie", die der Auferstehung Jesu Christi für das Selbstverständnis des "Protestantismus" nur einen geringen Wert beimaß,4 sind die bleibend bedeutsamen theologischen Neuansätze unseres Jahrhunderts alle auf ein Verstehen der Auferstehung Jesu Christi konzentriert. Karl Barths Protest gegen den Liberalismus war identisch mit dem Geltendmachen der Auferstehung Jesu Christi als des eschatologischen Zentralereignisses der Offenbarung Gottes, das alle weltlichen und historischen Kontinuitäten sprengt. Die Aussage, daß alles Christentum ohne die Grundbeziehung auf dieses Ereignis "eine Illusion, eine Fiktion" sei,5 steht darum wie eine herausfordernde Überschrift über der Theologie unseres Jahrhunderts, die auch angenommen wurde. Doch bei allen Einsichten, die dann z. B. in der großen Auseinandersetzung zwischen Karl Barth und Rudolf Bultmann um das Problem der Entmythologisierung der Auferstehungstexte 6 und in den darauf folgen3 Vgl. hierzu: Jesus, der Sünder. Gespräch mit dem Neutestamentler Gerd Lüdemann, in: EK 28, 1995, 605-608. 4 Unter dem Einfluß von Friedrich Schleiermachers "Glaubenslehre" galt die Grundanschauung, daß "die Auferstehung Jesu Christi nicht als eigentlicher Bestandteil ... der Lehre von seiner Person aufgestellt werden" kann. Denn die Jünger und die Glaubenden hätten den "richtigen Eindruck" von Christus auch ohne eine solche "Tatsache" haben können. Die Bedeutung Jesu Christi erschließt sich demnach aus seinem irdischen Auftreten und dem Eindruck, den er von daher auf Menschen macht, aber nicht aus solchem "Wunder" (F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, hg. von M. Redeker, Berlin 1960, § 99). Das ist der Grundzug der Einschätzung der Auferstehung Jesu Christi, der dann die liberale Theologie bestimmt. Die Jünger hätten, so lehrte Wilhelm Herrmann, "auch ohne jene Erscheinungen" die Gewißheit haben können, daß der Tod Jesu für ihn ein Sieg war (w. Herrmann, Dogmatik, hg. von M. Rade, GothajStuttgart 1925,82). Dadurch wurde die Auferstehung für das Christusbekenntnis aber eigentlich funktionslos, und das war auch die Absicht. Man mußte sich nicht in Auseinandersetzurlgen darüber verwickeln lassen, ob ein solches Ereignis nun "wirklich" stattgefunden hat und was dabei geschah. 5 Vgl. K. Barth, Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1Kor 15, München 1926 2 ,90. 6 Vgl. R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmy-
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den Konzeptionierungen theologischer Programme von der Auferstehung her7 gewonnen werden konnten, bewegen sich die theologischen Diskussionen um die Auferstehung Jesu Christi bis in unsere Tage hinein merkwürdig im Kreise. Sie kehren immer wieder zu den gleichen Problemen zurück, welche dieses Geschehen als aporetische, wenn nicht als zu überwindende Grundlage des christlichen Glaubens erscheinen lassen. 8 Die Erklärung dafür ist sicherlich darin zu suchen, daß die Einwände, die gegen die Behauptung der Auferstehung eines Menschen im Wirklichkeitsverständnis unserer Zeit faktisch da sind, immer neu bis in die Theologie hinein durchschlagen. Es gibt heute gar keine theologische Rechenschaft über die Auferstehung Jesu Christi, die sich nicht mit dem Verdacht oder sogar der Behauptung auseinanderzusetzen hätte, es handle sich hier um irgend etwas von Menschen Veranstaltetes, das aus dem Leben derjenigen erklärt werden muß, die davon erzählt haben. Das bedeutet aber, beim Verständnis der Auferstehung J esu Christi spielt eine entscheidende Rolle, welches Wirklichkeitsverständnis die Verstehensbemühung prägt, bzw. zu welchem Wirklichkeitsverständnis man sich durch das Geschehen, das da bezeugt wird, führen läßt. Ist das Wirken des Menschen inklusive aller seiner geistigen Möglichkeiten, mit denen er seine Umwelt verarbeitet, das definitive Maß der Wirklichkeit, dann braucht man sich mit so etwas wie der Auferstehung J esu Christi im Grunde gar nicht erst zu beschäftigen. Dann ist schon darüber entschieden, daß dergleichen nicht "wirklich" sein kann. Doch mit einem solchen Wirklichkeitsverständnis kann man im Grunde noch nicht einmal das Geheimnis, das der Mensch selbst ist, verstehen, geschweige denn das Geheimnis des Wirklichen überhaupt. 9 Wer sich um ein Verstehen dessen bemüht, was in der Auferstehung Jesu Christi geschah, muß zum mindesten dafür offen sein, daß es ein Ereignen von Wirklichkeit thologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, in: Kerygma und Mythos I, hg. von H.-W. Bartsch, Hamburg 19604, bes. 15ff. - Ders., Zum Problem der Entmythologisierung, in: Kerygma und Mythos II, Hamburg 1952, 179ff. Karl Barths Auseinandersetzung mit R. Bultmann findet sich vor allem in der positiven Entfaltung seiner Christologie in KD IV/1-3; vgl. aber auch: K. Barth, Rudolf Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, Zürich 19643 . 7 Es ist hier an so verschiedene theologische Richtungen zu denken wie W. Künneths "Theologie der Auferstehung" (Gießen 1982 6), J. Moltmanns "Theologie der Hoffnung" (München 198512 ) und die von da aus entworfene Eschatologisierung aller Grundthemen der Theologie, das Programm "Offenbarung als Geschichte" (Göttingen 1965 3 ) und vor allem seine Weiterentwicklung bei W. Pannenberg (Systematische Theologie I-III, Göttingen 1988ff) und E. Jüngels Beiträge zur Gotteslehre auf dem Grunde des Verhältnisses von Kreuz und Auferstehung (vgl. vor allem: E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1992 6 ). 8 W. Pannenberg verweist in seiner Auseinaridersetzung mit Gerd Lüdemann auf viele Argumente, die vor zwanzig und dreißig Jahren längst gegen das geltend gemacht wurden, was jetzt diskutiert wird (Die Auferstehung Jesu - Historie und Theologie, in: ZThK 91,1994,318-328). 9 Vgl. hierzu W. Krötke, Die Kirche und die Wirklichkeit. Erwägungen zum Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens an Gott, in: BThZ 13, 1996, 71-83. 212
gibt, die das vom Menschen Ausmeßbare überschreitet und ihm einen Ort zuweist, an dem es selbst noch einmal einem anderen Maßstab unterworfen wird. Die Verstehensbarrieren, die heute in bezug auf die Auferstehung Jesu Christi bestehen, hängen alle mit dem Fehlen solcher Offenheit zusammen. Darum ist es wesentlich, die Dimensionen von Wirklichkeit, welche mit der Auferstehung J esu Christi zusammenhängen, so präzise wie möglich zu erhellen und zu differenzieren, damit die Verkündigung der Kirche - statt den Problemen verunsichert auszuweichen sich gerade auf dieses Ereignis als Geschehen göttlicher Klarheit gründen kann, die alle Wirklichkeit klar macht. 11. Das Zeugnis der Texte
Was bei der Auferstehung Jesu Christi geschah, erschließt sich nicht kontextlos. Wer sich auf sie bezieht, muß sich zunächst mit dem Zusammenhang und dem Gewicht der einzelnen Texte, und das heißt auch mit ihrer Überlieferungsgeschichte vertraut machen. Denn die Verkündigung der Kirche darf alle, an die sie sich wendet, nicht darüber im unklaren lassen, daß sie nicht erst seit heute, heute aber besonders, nicht anders als in sachkritischem Umgang mit den Texten möglich ist. Wird die Einübung in einen solchen Umgang mit den Texten unterlassen, dann wird fast zwangsläufig eine Ablehnung ihres Zeugnisses von der Auferstehung J esu Christi provoziert, die sich an der Widersprüchlichkeit dieses Zeugnisses und auch an der Zeitbedingtheit seiner Vorstellungen entzündet. Demgegenüber kommt es darauf an, zu verdeutlichen, welches die wesentliche, gerade heute wichtige Mitte dieses Zeugnisses ist, von der her alles andere in seiner Gewichtigkeit oder Nichtgewichtigkeit zu beurteilen ist. Am besten ist mit einer negativen Feststellung einzusetzen: Für die Auferstehung Jesu Christi als Ereignis gibt es keine Zeugen. Das christliche Zeugnis von der Auferstehung Jesu wird nicht damit begründet, daß irgend jemand so etwas wie einen Auferstehungsvorgang beobachtet hat. Jener Teil der vermutlich ältesten Auferstehungsüberlieferung des Neuen Testaments in 1Kor 15,1-3, der davon redet, daß der gestorbene und begrabene Jesus auferstanden ist, stellt demnach eine Schlußfolgerung aus dem Folgenden dar, nämlich daß er dem Petrus und den Zwölfen und all den anderen erschienen sei. Auferstehungsberichte wären dann in ihrem Wesen Erscheinungsberichte. Auf Grund von Erscheinungen Jesu nach seinem Tode sind Petrus und die Zwölf zu der Überzeugung gelangt, daß Jesus auferstanden sei. Was bei diesen Erscheinungen im einzelnen geschah, ist schwer zu sagen, da die unterschiedlichen Erscheinungsberichte schon deutlich von bestimmten, wenn auch sicherlich nicht unwichtigen Interessen her konzipiert sind. 10 Klar ist nur: Es handelte sich 10 Dazu gehört das Bestreben, die Erscheinungen des Auferstandenen am Ort und im Umkreis seines Todes und Begrabenseins zu lokalisieren (vgl. Mt 28,10; Joh 20,16ff), das Motiv des Wiedererkennens Jesu (vgl. Lk 24,13-35; Lk 24,39ff), das
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nicht um die Rückkehr Jesu in das irdische Leben. Vielmehr begegnete er denen, die davon Zeugnis gegeben haben, in einer dem irdischen Zugriff schlechthin entzogenen Seinsweise, die als Partizipation dieses gestorbenen und begrabenen Menschen an der göttlichen 86~a verstanden werden muß. Die Epiphanie, die Paulus widerfahren ist und die von den anderen Zeugen letztlich als vollgültige Erscheinung anerkannt wurde, macht das besonders deutlich. Ob wir den Bericht darüber in Apg 9 geradezu als "Urgestalt" eines Erscheinungsberichtes anzusehen haben,!! ist, weil kein sachlich vergleichbarer Bericht vorliegt, zwar zu fragen. Jedenfalls hat es sich dabei um eine mit einer Audition verbundene Lichterscheinung gehandelt, die Paulus selbst in Gal 1,12 als UnOXUA1J'\jJLS 'I11O"OU XQtcr'tou bezeichnet. J esus gehört, indem er als Auferstandener begegnet, zur uns unzugänglichen Wirklichkeits dimension Gottes und erweist sich darum auch auf eine Menschen von sich her unzugängliche Weise. Das bedeutet aber, Jesus begegnet als Auferstandener so, daß er den Glauben an sich als Weise der Verifizierung seiner Auferstehungswirklichkeit schafft. Damit ist aber schon eine wichtige Entscheidung über die Frage gefallen, ob die Auferstehung Jesus Christi bzw. sein Erscheinen als Auferstandener als "historisches" Ereignis in neuzeitlichem Sinne verstanden werden könne. Das ist nicht der Fall. Denn "historisch" im Sinne der Möglichkeit seiner Verortung im Weltzusammenhange ist der Auferstanden~ nach dem Zeugnis des Neuen Testaments niemals begegnet. Es ist darum irreführend, wenn die Frage nach der Historizität der Auferstehung oder des Auferstandenen an der Diskussion um die Berichte vom leeren Grab J esu festgemacht wird. Selbst wenn wir annehmen, daß diese Berichte einen historischen Kern enthalten und bei der Verkündigung des Auferstandenen in Jerusalem als Ort des Begräbnisses Jesu Bedeutung gewannen/ 2 stellt die mögliche Tatsache des leeren Grabes keinen historischen "Beweis" für die Auferstehung J esu Christi dar. Aus einem solchen Faktum kann man genauso schlußfolgern, daß der Leichnam Jesu gestohlen worden sei, was als Verdacht gegen die Jünger in Mt 27,64 ja auch erwähnt wird. Für sich und solche führt uns diese Überlieferung also nicht an so etwas wie das Ereignis der Auferstehung heran, so daß die sachliche Priorität für das Verstehen der Auferstehung bei den Erscheinungsberichten bleibt, auch wenn man sich für ein hohes Alter der Grabestradition offen halten muß. Darauf weist Mk 16,1-8 ja auch nachdrücklich hin. Für sich und solches löst das leere Grab nur Entsetzen und Furcht aus. Anliegen, die Leiblichkeit des Auferstandenen zu unterstreiche~ (vgl. Joh 20,24ff) und das Interesse am Zeitraum der Erscheinungen Jesu (vgl. Apg 1,3). 11 So Pannenberg, Systematische Theologie II (s. Anm. 7), 397. 12 Dafür könnte die namentliche Erwähnung der drei Frauen sprechen (so schon H. von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, Heidelberg 19663 , 25, gegen Rudolf Bultmann). Für die Annahme, das Grab Jesu sei unbekannt gewesen, sprechen von den Texten her eigentlich überhaupt keine guten Gründe. Vgl. hierzu die Auseinandersetzung Wolfhart Pannenbergs mit Gerd Lüdemann: Pannenberg, Auferstehung Jesu (s. Anm. 8), 324ff. 214
Da dies allgemein zugegeben wird, ist zu fragen, warum denn dann theologisch an der Behauptung des lee~en Grabes ein so großes Interesse genommen werden muß. Karl Barth hatte in der Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann geltend gemacht, daß die Texte "von einem im Raum und in der Zeit gegenständlichen, nur eben ,historisch' nicht faßbaren, aber wirklichen Geschehen" reden wollen. 13 Darum halten sie die "Äußerlichkeit" und konkrete "Gegenständlichkeit"14 dieses Geschehens fest, die allerdings hinsichtlich der" ,Legende' von der Auffindung des leeren Grabes" doch als eine "Nebenbestimmung" des Zeugnisses "von dem sich nach seinem Tode als lebendig erweisenden J esus Christus" verstanden wird. 15 Als solche "schützt" sie den Inhalt des Auferstehungszeugnisses "vor dem Mißverständnis ... von einer bloßen Jenseitigkeit oder ... von einer bloßen Innerlichkeit des Seins des Auferstandenen" .16 Barth hat darum diesem Zeugnis eine ähnliche Funktion zugesprochen wie dem Zeug:qis von der Jungfrauengeburt. Hat die Kirche dieses Zeugnis, um die Inkarnation vor allem menschlichem Zugriff zu bewahren, als "Wache vor die Tür zu dem Geheimnis der Weihnacht,,17 gestellt, so bewacht das Zeugnis vom leeren Grab "die Offenbarung dieses Geheimnisses" 18 in der Auferstehung J esu Christi. Wenn das aber so wäre, dann hätten diese Berichte (!) eine sozusagen hermeneutische Funktion für das Verstehen der Auferstehung J esu Christi, während das, was sich da ereignete, als solches eigentlich auch ohne diese Berichte verstanden werden könnte. Wollte Barth das sagen, oder steckt in der Funktion, die hier den verschiedenen neutestamentlichen Berichten vom leeren Grab zugesprochen wird, nicht doch mehr? Wenn sie etwas "bewachen" und insofern etwas unterstreichen, was sich in der Auferstehung Jesu Christi vollzogen hat, dann scheint es um mehr zu gehen. Dann impliziert nämlich die Vorstellung von der Auferstehung dieses Menschen notwendig, daß das Grab leer gewesen sein muß. Das bedeutet, mit der Erfahrung der Auferstehungswirklichkeit J esu Christi ist notwendig die Vorstellung verbunden, daß der tote Körper des irdischen J esus nicht mehr im Grabe sei, sondern als solcher von der Erde hinweg in die neue Auferstehungswirklichkeit verwandelt wurde. Auf dieser Linie wird heute auch argumentiert, wo· man nicht nur die Historizität der Grabestradition, sondern auch den "Anspruch" auf "Historizität,,19 dessen behauptet, was die neutestamentlichen Zeugen in ihrer Kombination von Grabes- und Erscheinungstradition zweifellos sagen wollten: Das leere Grab verdankt sich der Auferweckung Jesu KD IV/l, 371. KD IV/1, 376. 15 Ebd. 16 Ebd. - Ebenso argumentiert heute Wolfhart Pannenberg, wenn er erklärt, die "Grabestradition" verwehre "eine spiritualistische Verflüchtigung der Osterbotschaft" (Pannenberg, Systematische Theologie II [so Anm. 7],402). 17 KD 1/2,193. 18 KD 1/2, 199f. 19 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II (s. Anm. 7), 404f. 13
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durch Gott. Demgegenüber sagen andere Interpreten angesichts der Vielfalt der Auferstehungsvorstellungen zur Zeit Jesu und eines anderen Verständnisses der eschatologischen Leiblichkeit: "daß Jesus auferweckt wurde, muß nicht notwendig bedeuten, daß sein irdischer Leib nicht mehr im Grabe sein könnte. ,,20 Gottes schöpferisches Handeln an J esus, dem sich die neue eschatologische Leiblichkeit verdankt, in der er begegnet, muß die Identität zwischen dem Gekreuzigten und Auferstandenen nicht so wahren, daß alle Spuren seines Fleisches in der Welt getilgt werden. Die Verwandlung in das (J&JlU 1tVElJJluTL%6v (1Kor 15,44) als der vollendeten ganzheitlichen Leiblichkeit sprengt im entscheidenden alle Fleischeszusammenhänge. Identifiziert man dagegen das Auferstehungsgeschehen mit einem im Prinzip historisch zugänglichen, weltlichen Geschehen, dann ist man in der Gefahr, es zu einem "Mirakel" in der Welt zu machen, das man dann höchstens auf die allgemeine Fähigkeit Gottes, in die Welt einzugreifen, zurückführen, aber nicht mehr in seinem einzigartigen Heilscharakter für alle Welt verdeutlichen kann. 21 "Gefahren" lauern also beim Verständnis der Auferstehungswirklichkeit Jesu Christi auf beiden Seiten. Der Gefahr, die Auferstehung zu "spiritualisieren" und dem Auferstandenen seinen Begegnungscharakter in der Zeit zu nehmen, steht die Gefahr gegenüber, sie religiös-weltanschaulich zu "verweltlichen". Da sich beide Ausrichtungen des Auferstehungsverständnisses, in denen diese Gefahren auftreten, aber darin einig sind, daß die Auferstehung Jesu Christi ein eschatologisches, endzeitliches Ereignis ist, müßten beide Gefahren eigentlich von dorther zu bannen sein.
20 1. U. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994, 66. 21 So Dalferth, 80 Anm. 85. - Darum hatte schon Karl Heim im Jahre 1937 davon gesprochen, daß die Erfahrung einer "neuen Leiblichkeit" das Entscheidende an der Begegnung mit der Wirklichkeit des Auferstandenen gewesen sei. In ihr "materialisiere" sich das Schaffen Gottes "in einer völlig neuen Form" , nämlich in einer Leiblichkeit, die dem "Todesgesetz" nicht mehr unterworfen sei (K. Heim, Jesus der Weltvollender. Der Glaube an die Versöhnung und Weltverwandlung, Berlin 1937, 176ff). Auf dieser Linie argumentierte auch Walter Künneth in seiner "Theologie der Auferstehung" (s. Anm. 7) gegen das Auferstehungsverständnis Rudolf Bultmanns. Die Botschaft von der Auferstehung J esu Christi bezeuge die Erscheinung einer neuen "pneumatisch-leibhaften Wirklichkeit" des gekreuzigten Jesus im Raum der Geschichte. Gerade das Leibhafte der Erscheinungen und das Faktum des leeren Grabes J esu unterstreiche, daß es sich bei der Erfahrung der Auferstehungswirklichkeit J esu Christi nicht bloß um einen Vorgang in der Seele der Auferstehungszeugen gehandelt habe. Künneth wollte darum auch nicht gelten lassen, daß sich in den neutestamentlichen Auferstehungstexten legendenhafte und "mythologische" Züge finden. Er war der Meinung, daß sich das Geschehen einer völlig neuen Wirklichkeit auch nur in "paradoxen", gegensätzlichen Aussagen bezeugen lasse, die ihre Fremdheit in der Welt wie ihre Nähe zur Welt zum Ausdruck bringen (vgl. W. Künneth, Glauben an Jesus? Die Begegnung der Christologie mit der modernen Existenz, Hamburg 1961, 202ff).
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ur.
Die Auferstehung Jesu Christi als Ende der Zeit und Gericht der Gnade
Daß die Vorstellung von der Auferstehung der Toten in Israel im Zusammenhang mit der Erwartung des Gerichtes Jahwes am Ende der Zeit entstanden ist, braucht hier nicht lange belegt zu werden. 22 Wie immer die apokalyptischen Vorstellungen im einzelnen differieren: Die Totenauferweckung wird erwartet, damit J ahwes Gerechtigkeit sich am Ende der Zeiten erfüllt. Wilckens hat die Auferweckung der Toten darum geradezu einen "Zubringer" zum Endgericht genannt. 23 Wurde dieser Vorstellungshintergrund aber verwendet, um auszudrücken, was den Zeugen der Erscheinungen Jesu widerfahren war - Moltmann spricht von der Auferstehung der Toten geradezu als von einem "Symbol"24 -, dann hat das entscheidende Konsequenzen für das Verständnis der Wirklichkeit und der Bedeutung des auferstandenen J esus. Die Begegnung mit dieser Wirklichkeit bedeutete die Begegnung mit dem Ende der Zeit und mit dem vollzogenen Gericht Gottes. Etwas, was notorisch nicht in die irdische Zeit hineingehört, die Auferweckung vom Tode, hatte sich an diesem Jesus als "Erstling" (Röm 8,29; 1Kor 15,20; Kol1,18) schon vollzogen. Indem diese Wirklichkeit Menschen begegnet, die noch in der Zeit leben, sprengt sie alle Relationen dessen, in denen wir uns in der irdischen Zeit dessen vergewissern, daß etwas wirklich sei. Was sich im Umkreis dieser Begegnung an historisch Verifizierbarem abgespielt hat, kann darum höchstens ein Hinweis auf dieses Geschehen des Selbst erweises des Auferstandenen sein, aber nicht seine Bewahrheitung. Das Faktum des Osterglaubens, aber auch das als dieser Hinweis gedeutete leere Grab nehmen sich da qualitativ nicht viel. Soll es über das hinaus, was die Erscheinungszeugen berichten, für Menschen bis in unsere Zeit hinein zur Gewißheit der Auferstehungswirklichkeit J esu kommen, dann muß es also zu einer den Erscheinungen J esu vergleichbaren Begegnung von Menschen mit dem eschatologischen Leben Jesu Christi kommen, das Glauben weckt. Darum ist zu fragen, ob es geraten ist, die Glaubenserfahrung der Wirklichkeit des auferstandenen Jesus Christus prinzipiell als Erfahrung von etwas Unvollkommenem zu verstehen. Das geschieht, wo diese Wirklichkeit als wesentliches Moment eines eschatologischen Prozesses Gottes mit der Welt im allgemeinen interpretiert wird, der in vorgreifenden historischen Ereignissen des Erweisens Gottes in der Geschichte seiner Vollendung erst entgegen geht. In dieser Vorstellungsweise hat sich in Jesus Christus das eschatologische Ende so vorwegereignet, daß es selber auf seine "Bewahrheitung" durch das Ende der Geschichte noch angewiesen ist. 25 Deshalb bleibt es heute noch strittig, auch wenn es fakVgl. G. Stemberger, Art. Auferstehung 1/2, TRE IV, 443ft U. Wilckens, Auferstehung, Stuttgart 1970, 12l. 24 Vgl. J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989, 262. 25 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie II (s. Anm. 7), 392.
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tisch eine Intensivierung des allgemeinen Geschichtsprozesses auf das Ende der Geschichte zu darstellt. Jürgen Moltmann hat an diesem Einbau der Auferstehung Jesu Christi in eine religiöse Theorie der Geschichte kritisiert, daß sie in der Gefahr sei, "zur historischen und symbolischen Bestätigung der proleptischen Strukturen des Seins" zu werden und damit die Neuheit des eschatologischen HandeIns Gottes in Jesus Christus zu verfehlen. 26 Die Auferstehung soll demgegenüber als Erweis der eschatologischen Gerechtigkeit Gottes verstanden werden, die uns an einer Befreiungsgeschichte der Überwindung der "Mächte ... der Vernichtung und des Todes" beteiligt. 27 Sie "stellt die Erfahrungsräume der Geschichte in den Erwartungshorizont der neuen Schöpfung".28 Hoffend an ihr als Befreiungsgeschichte teilnehmend wird sie für uns durch einen dementsprechenden Lebensvollzug verifiziert. Beide Konzeptionen des Verständnisses der Auferstehung J esu Christi haben zweifellos ihr Recht darin, daß sie die Zukunftsdimension der noch ausstehenden universalen Parusie Christi und der sichtbaren Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes als Element des Verständnisses der Auferstehungswirklichkeit selbst ernst nehmen. Dadurch soll zugleich den Mängeln hinreichender weltlich~ Verifizierbarkeit dieses Geschehens seine falsche Anstößigkeit genommen werden. Insofern un. terliegt auch von hier aus alles Bemühen um die historischen Hinweise auf die Wirklichkeit der Auferstehung J esu Christi einer deutlichen Relativierung. Die Frage ist nur, ob damit das unreduzierbar Anstößige der Behauptung der eschatologischen Auferstehung dieses einen Menschen nicht zugleich mitrelativiert wird. Denn von der jüdischen Auferstehungshoffnung her bleibt das Bekenntnis zum auferstandenen Jesus Christus ja bleibender Kritik ausgesetzt. Statt aller Menschen ersteht hier nur einer von den Toten. Statt einer sichtbaren eschatologischen Verwandlung der Welt herrschen weiter Ungerechtigkeit, Leiden, Elend und Sünde. Statt durch sich selbst evident zu sein, muß regelrecht darum geworben werden, daß Menschen dieses Ereignis im Glauben anerkennen. Die Erscheinungsberichte sind nicht zufällig die Verkündigung des Auferstandenen motivierende Sendungsgeschichten. 29 Insofern bleibt die Auferstehung J esu Christi ein "Ereignis sui generis" ,30 wie es weder vom Maßstab der Hoffnung der allgemeinen Totenauferweckung noch von seinen modernen Umsetzungen her vorgesehen ist. Dadurch verändert sich aber zugleich der Gehalt
Moltmann, Der Weg Jesu Christi (s. Anm. 24),258. A.a.O. 264. 28 A.a.O.265. 29 Die unglückliche und darum umstrittene Formulierung Rudolf Bultmanns, Jesus sei "ins Kerygma auferstanden", faßt vor allem diese Seite der Auferstehungswirklichkeit in den Blick; vgl. R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, in: Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, hg. von E. Dinkler, Tübingen 1967,469. 30 E. Jüngel, Thesen zur Grundlegung der Christologie, in: ders., Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen, München 1972, 288. 26 27
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dessen, was unter dem "Gericht Gottes" und dem "Ende der Zeit" verstanden werden muß. Dieses Gericht bestand nicht darin, daß Gott mit der sündigen Welt Schluß gemacht und nur die Gerechten errettet hatte. Wenn in diesem einen Menschen Gottes eschatologisches Richten vollzogen wurde, dann bedeutete das vielmehr, daß der sündigen Welt noch einmal Zeit und Gelegenheit gewährt wurde, in erneuerter Gemeinschaft mit Gott zu leben. Wie sich hier das Gericht vollzog, wurde dieser Welt ihre Zeit nicht weggenommen. Vielmehr wurde ihr eine neue Zeit gewährt. So gesehen war die Auferstehung nur dieses einen der Ausweis eines Gerichtes Gottes, in dem Gott der Menschheit gnädig ist. Das "Ende der Zeit" bestand darin, daß der alten Zeit der Sünde von Gott die Zukunft genommen und eine neue Zeit des Friedens von Gott und Mensch eröffnet wurde. Ein solches Gericht läßt sich nicht aus einem allgemeinen Gott-WeltProzeß ableiten. Es kann .nur in Gottes Freiheit selbst geschehen, in der es den Auferstehungszeugen dann in der Wirklichkeit des Auferstandenen begegnete. Für das Verständnis dieser Begegnung ist es sehr wichtig, daß die Auferstehungszeugen den Gott schon kannten, dessen Handeln sie am auferstandenen J esus wahrnahmen. Alle Begegnungen mit dem Auferstandenen tragen ja den Charakter des Wiederkennens des von seinem Leben und Sterben her bekannten Menschen. 31 J esus aber war in seinem Leben und Sterben als der bekannt, dem es in der Ansage der Nähe der ßUOlA€LU 1:0'Ü 9co'Ü ganz um Gott ging. Sein Leben war ein Leben aus der Gewißheit dieser Nähe heraus. Von daher kannten die Auferstehungszeugen das Wesen des Gottes, dessen sie dann als des auferweckenden Gottes gewiß wurden. Es war der Gott, der den Verlorenen nachgeht und Sünden vergibt. Es war der Vater, an dessen Nähe und dessen Kommen sich Jesus selbst gebunden hatte, so daß er mit dem Anspruch, mit seiner Verkündigung und seinem Verhalten die Gottesherrschaft zu bringen, stand und fiel. Der Kreuzestod J esu hatte das alles nicht nur problematisiert. Er schien seinerseits ein negatives Gottesgericht über Jesus zu sein. Wie Gottes Handeln am Auferstandenen dagegen jetzt erfahren wurde, trug es sozusagen die Handschrift des Gottes, den Jesus verkündigt hatte. Sein Richten war nun Gnade. Es gab J esus darin recht, alles im Leben auf die Klarheit der Liebe Gottes ankommen zu lassen, die keinen Menschen verloren gibt. Das weltlich Schwache des Auferstehungsgeschehens war darum k~in Einwand gegen das Handeln Gottes, sondern ein Kommentar dazu, daß man sich auf den Gott, den Jesus verkündigt hat, verlassen kann. Die Beachtung dieses Zusammenhangs der Auferstehungserfahrung mit der Erfahrung des irdischen Jesus und seiner Verkündigung ist für das heutige Verstehen der Auferstehung J esu Christi sehr bedeutsam, auch wenn sie zu rationalistischen Fehldeutungen Anlaß gibt. 32 Ohne die 31 32
Bei Paulus gilt das im Horizont seiner negativen Kenntnis Jesu. Solche Fehldeutung ist die Vermutung, jene Erscheinungen, die verschiedenen
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Kenntnis und das Bekanntwerden mit Gott, wie Jesus ihn in Vollmacht verkündigt hat, werden auch wir nicht verstehen, was die Auferstehung Jesu Christi bedeutet. Es ist darum kein Zufall, sondern sachlich notwendig, daß das Auferstehungszeugnis zugleich zum Zeugnis vom Leben und Sterben Jesu Christi werden mußte. Die Evangelien gehören zu diesem Zeugnis, weil sie uns in die Situation einführen, in der wir verstehen können, warum die Erscheinungen des Auferstandenen die Gewißheit eines eschatologischen Richtens Gottes auslösten. Ohne Jesus und seine Verkündigung zu kennen, gibt es keine Gewißheit seiner Auferstehungswirklichkeit. Allerdings fällt für uns heute zusammen, was für die Auferstehungszeugen ein zeitliches Nacheinander war. Uns begegnet der irdische Jesus nicht anders als in seiner Auferstehungswirklichkeit. Wir können darum sagen: Wo er Menschen überhaupt gegenwärtig wird, da ereignet sich für sie seine Auferstehungswirklichkeit. Nicht die Betrachtung des isolierten Auferstehungsgeschehens bzw. dessen, was den neutestamentlichen Zeugen widerfahren ist, sondern die Begegnung mit Jesus als Christus ist heute unsere Auferstehungserfahrung: Die Erfahrung des gnädigen Gerichtes Gottes, des Endes der alten Zeit und der Gewährung einer neuen Zeit. Insofern gilt in der Tat, daß der christliche Glaube leer und die Herrschaft der Sünde ungebrochen wäre, wenn Christus nicht auferstanden ist (vgl. 1Kor 15,17). Die Auferstehung begründet vielmehr, daß er kraft göttlicher ö6~a alle irdischen Zeiten zu überschreiten und bei allen Menschen gegenwärtig zu sein vermag. Sie ist der Grund der Christuserfahrung. Darum gehört zum Verstehen der Auferstehung Jesu Christi gleichursprünglich das Verstehen dessen hinzu, warum J esus der Christus ist und inwiefern er es ist.
IV. Die Bedeutung der Auferweckung für den Menschen Jesus Daß Gott eschatologisch-richterlich am toten Jesus gehandelt hat, findet in den Texten des Neuen Testaments in der Rede von der Auferweckung Jesu durch Gott seinen Ausdruck (vgl. Röm 4,24; 10,9; 1Kor 6,14; 2Kor 4,13f; 15,15; KoI2,12; 1Thess 1,10 u.ö.). Gottes allen Menschen geltendes Gericht vollzieht sich zuerst an diesem Menschen, indem er ihn auferweckt. Am deutlichsten dürfte das im Neuen Testament in dem alten Bekenntnis zum Ausdruck kommen, welches Paulus in Röm 1,3f zitiert: Gott hat Jesus zum Sohne Gottes "eingesetzt in Kraft gemäß dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung der Toten". Indem J esus in der Auferweckung der göttlichen ö6~a teilhaftig wird, wird er Gottes Sohn, wird er der Christus, als den ihn die Gemeinde dann bekennt. Die Auferwekkung ist so verstanden nicht nur Anlaß des Bekennens der Gemeinde. Sie ist der ontologische Grund des Seins Jesu als Christus. Menschen zu verschiedenen Zeiten unabhängig voneinander widerfahren sind, seien die Folge der Trauerarbeit des Petrus gewesen (vgl. Lüdemann [so Anm. 2], 111). Doch dazu geben die Texte nicht die Spur eines Anlasses. Der Sinn des Redens vom "Erscheinen Jesu" ist, daß die Aktivität dabei ganz von dem ausgeht, der erscheint, und nicht von denen, denen eine Erscheinung widerfährt. 220
Die Christologie der kirchlichen Tradition, aber auch viele christologische Konzeptionen bis in unsere Zeit hinein scheuen sich jedoch davor, die Auferstehung Jesu Christi in diesem Sinne als christologisches Urdatum33 zu verstehen. Der Grund dafür ist klar. Wenn Gott nämlich Jesus erst im eschatologischen Akt der Auferweckung zum Christus macht, dann scheint das zu bedeuten, daß Jesus während seines irdischen Erdenlebens und auch im Tode noch nicht der Christus war und auch nicht als solcher gewirkt hat. Ihm würde dann gewissermaßen erst im nachhinein die Qualität einer zu Gott gehörenden Wirklichkeit zugesprochen. Um das auszuschließen, hatte auch Kar! Barth der Auferstehung Jesu Christi in christologischer Hinsicht nur einen offenbarenden, "noetischen Charakter,,34 zugesprochen. Sie ist "die eigentliche, ursprüngliche, exemplarische Offenbarungstat" Gottes. Dagegen war und ist das "Sein J esu Christi ... in seiner Geschichte ... in sich vollkommen und abgeschlossen: keiner Überbietung, keiner Hinzufügung von neuen Qualitäten und keiner Entwicklung bedürftig. Es war und ist ... die vollbrachte Versöhnung der Welt mit Gott... Es fehlte und fehlt ihm gar nichts. ,,35 Barth kann sogar sagen: "Es war und ist sein Sein (wenn man diese Abstraktion einen Augenblick wagen will) auch ohne seine Auferstehung und Himmelfahrt das Ende der alten und der Anfang der neuen Weltgestalt. ,,36 Doch diese Abstraktion sollte man lieber nicht wagen. Denn sie wertet die christologische Bedeutung der Auferstehung J esu Christi ab und verbaut darüber hinaus einen gerade in unserer heutigen Zeit wesentlichen Weg zum Verständnis der Einheit Gottes mit dem Menschen Jesus, die im Christusbekenntnis zum Ausdruck kommt. Es ist zwar unzweifelhaft richtig, daß die Evangelien das Leben und Sterben Jesu als Leben und Sterben des Christus darstellen. Aber sie tun das aus der Perspektive des Auferstandenen, wobei erkennbar bleibt, daß - wiewohl seine vollmächtige Verkündigung eine Christologie "implizierte"37 - zu Lebzeiten des irdischen Jesus zumindest umstritten war, ob er der Christus sei. Entscheidend für die Christusfrage bleibt darum der Ausgang der J esusgeschichte, und der liegt in seiner Auferweckung durch Gott, d. h. in der eschatologischen Qualifikation seines ganzen gewesenen Lebens und Sterbens zum Leben und Sterben des Christus. In der neueren christologischen Diskussion ist versucht worden, die Bedeutung dieser eschatologischen Qualifikation mit einer Denkfigur S. Kierkegaards auszudrücken. Kierkegaard hat davon geredet, daß ein Ereignis, das zeitlich erst später in Erscheinung tritt, "rückwirkende Kraft" für das zeitlich Frühere haben kann. 38 Als solch ein Ereignis wäVgl. Jüngel, Thesen zur Grundlegung (s. Arun. 30), 285ft KD IV/1, 335. 35 KD IV/2, 148. 36 Ebd. 37 Vgl. Bultmann, Das Verhältnis (s. Anm. 29), 457. 38 Vgl. S. Kierkegaard, Der Liebe Tun, Band 2: Etliche christliche Erwägungen in Form von Reden. Zweite Folge, Gütersloh 1992 2 , 334. - Kierkegaard denkt dabei 33
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re auch die Auferweckung J esu Christi zu verstehen. Sie entscheidet "rückwirkend" darüber, "daß er auch schon zuvor mit Gott eins war".39 Sie gibt damit sicherlich dem Anspruch recht, der in der Verkündigung J esu enthalten war, nämlich, daß er von Gott die besondere Vollmacht habe, die Nähe der ßamA.Ela LOU BEOU anzusagen und Gottes Willen autoritativ auszulegen. Doch daß dies ein Ereignis der Einheit Jesu mit Gott war, ist eine Wirkung des HandeIns Gottes in der Auferweckung J esu. Wie das zu verstehen ist, wird klar, wenn die Auferweckung J esu streng und in jeder Hinsicht als ein eschatologisches Ereignis ernst genommen wird. Das ist kein Ereignis, das an den Zeitablauf gebunden ist. Es begegnet zwar in der Zeit zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es ist aber als solches ein alle Zeiten sprengendes Ereignis der Ewigkeit Gottes. Gottes Ewigkeit jedoch ist nicht Zeitlosigkeit. Gottes Ewigkeit ist die Fülle aller Zeiten und in diesem Sinne die Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wo sich die Ewigkeit ereignet, ereignet sich darum ein wesensmäßiger Vorsprung gegenüber aller ablaufenden Zeit. Die Ewigkeit Gottes ist dieser Zeit immer schon voraus und in diesem Sinne gegenwärtig. Auch wenn wir ihrer aus der Perspektive der ablaufenden Zeit erst zu einem bestimmten Zeitpunkt gewahr werden, ist sie doch schon längst vor diesem Zeitpunkt gültige, uns treffende Ewigkeit. Verstehen wir die eschatologische Qualifikation des Menschen Jesus zum Christus so, dann bedeutet das: Sie bestimmt in eschatologischer G~tig keit das Leben und Sterben Jesu schon vom Anfang seines Lebens an und in seinem Vollzuge. Dieses Leben gründet und vollzieht sich in der Einheit mit Gott, indem ihm diese Einheit eschatologisch~ewig von Gott her zukommt. Das Christus sein Jesu, seine Einheit mit Gott, ist in diesem Sinne nicht irgendeine Leistung des sich zu Gott wendenden irdischen Jesus, sondern eine ihm ausschließlich von Gott her zukommende Auszeichnung. Das aber hat für das Verständnis der Einheit des irdischen Jesus mit Gott wichtige Konsequenzen, die in der gegenwärtigen christologischen Rechenschaft auch mit hinreichender Deutlichkeit zur Geltung gebracht werden müssen. Zunächst folgt aus dieser Einsicht, daß das wahre Gottsein J esu keine diesem Menschen immanente, mit Mitteln empirischer Wahrnehmung aufweisbare Qualität ist! Weder wir heute, noch diejenigen, die mit Jesus zu seinen Lebzeiten zusammen waren, bekommen Gott in diesem Menschen irgendwie zu "fassen". Gott macht sich vielmehr in seiner eschatologisch-göttlichen, für Menschen unverfügbaren, unsichtbaren Weise mit diesem Menschen eins. Er bleibt in seiner Einheit mit diesem Menschen, die alleine von ihm her konstituiert und wirklich ist, allem Zugriff von der Welt her entzogen, auch - wenn man das so sagen darf dem Zugriff Jesu, der sich als Mensch nur voller Vertrauen an den unverfügbaren Gott wenden und zu ihm beten kann. Gott verschlingt und vor allem an das Aufhören der Liebe. Wo das geschieht, qualifiziert das NichtLieben auch die vorangehende Zeit als eine solche, in der nicht geliebt wurde. 39 So W Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 1964, 135, in Aufnahme und Korrektur einer Aussage von Künneth, Theologie (s. Anm. 7), 114ff.
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überrennt diesen Menschen nicht mit seiner Göttlichkeit. Er gibt ihn vielmehr in seiner ganzen Menschlichkeit frei, indem er seine göttliche Klarheit in ihm offenbar werden läßt. Wäre Gott in seiner Göttlichkeit anwesend wie die Welt, dann könnte die Welt im Lichte seiner o6~a nur verbrennen und vergehen. Damit das nicht geschieht, wird er in diesem Menschen vorsichtig anwesend und vorsichtig mit ihm eins. Das aber impliziert, daß nur der Glaube die Verifikation von Gottes Anwesenheit in diesem Menschen sein kann. Gerade angesichts des irdischen Jesus, gewissermaßen in Berührung mit ihm, war das so. Denn die Einheit Gottes mit Jesus kann niemals weltlich demonstriert werden. Wo eine Christologie den Eindruck erweckt, das dennoch z. B. mit Hilfe von Erwägungen über die psychische Verfassung J esu tun zu können, verfehlt sie das Wesen der Einheit Gottes mit dem Menschen Jesus als einer Tat Gottes. Es ist eine Tat in der Klarheit seiner Liebe. Denn das Wesen der Liebe ist es ja, mit einem anderen eins zu sein und dabei doch zugleich vor ihm einen Schritt zurückzutreten und ihn so in seinem Eigensein freizugeben. Jesus kann ganz Mensch sein, weil Gott sich mit ihm so eins macht, daß er als wahrer Mensch da zu sein vermag. Er gibt ihm Raum für sein Menschsein und dessen Vollzug. Darum dürfen, ja müssen wir diesen Menschen, indem wir uns zu ihm als Christus bekennen, in seiner vollen Menschlichkeit ernst nehmen. 40 Denn die Einheit Gottes mit Jesus vernichtet den Unterschied von Gott und Mensch nicht, sondern Gott bringt ihn mitten in dieser Einheit zur Geltung. Der Einwand, den man gegen dieses Verständnis der Einheit Gottes mit Jesus von der Forderung nach einer direkten weltlichen Sichtbarkeit der o6~a her erheben könnte, liegt auf der Hand. Hier scheint nicht berücksichtigt zu sein, daß die Zeugen Jesus in der Klarheit Gottes "sahen" (Joh 1,14). Denn wenn die Einheit Gottes mit Jesus weltlich unverfügbar und insofern unsichtbar ist, dann heißt dies, daß die Anwesenheit der Klarheit Gottes in diesem Menschen weltlich verborgen ist und man sie gerade nicht so "sehen" kann wie das sinnlich Wahrnehmbare. Die Hinzufügung des Johannesevangeliums, daß die Klarheit Gottes "voller Gnade und Wahrheit" gewesen sei, macht das im Grunde ja auch deutlich. Gott erweist seine Klarheit nicht in strahlender, weltlicher Übermacht, sondern indem er in diesem Menschen seiner Gnade und Wahrheit Raum verschafft. Damit ist sie aber in der Welt der Bestreitung und dem Widerstand von Menschen ausgesetzt. Ja mehr noch, Gott läßt seine so erwiesene Klarheit mit in den Tod hineinziehen, den dieser Mensch Jesus ohnmächtig erlitten hat. Das bedeutet: Menschen können sich an Gott vergreifen, indem sie sich an diesem Menschen vergreifen. Gott in seiner Klarheit ist nun nicht mehr zu verstehen, ohne die tiefste weltliche Dunkelheit zu würdigen, in die er sich in der Einheit mit diesem Menschen begab. Es zählt zu den schwierigsten Fragen des Christusbekenntnisses, die gerade in unserer Zeit außerhalb und innerhalb von Theologie und Kirche 40 Hierin gründet christologisch auch die Berechtigung des historisch-kritischen Fragens nach J esus.
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viel Verwirrung stiften, warum Gott in Christus diesen Tod zugelassen, bejaht und in seiner Einheit mit Jesus ohnmächtig selbst erlitten hat. Denn es sprengt damals wie heute alle Vorstellungen, die sich die Welt von einem Gott macht, daß er bis in die äußerste Verborgenheit hinein im Sterben und Tode anwesend war, all die Qual für den Menschen und für sich zuließ und nicht mit seiner göttlichen Übermacht dagegen wirksam Widerstand leistete. Aus der Perspektive der Auferweckung werden wir zwar dessen gewiß, daß Gott gerade in der Ohnmacht des Todes den Tod besiegte. Aber weil diese Ohnmacht mit zum bleibenden Ereignis der Vergangenheit Jesu Christi gehört, begegnet sie bleibend mit, wo Jesus Christus begegnet, ist sie dabei, wo die Gegenwart des auferstandenen Jesus Christus erfahren wird. Insofern können wir in der Tat die Auferstehung J esu Christi nicht so ohne sein Kreuz als spezifisches Ereignis göttlicher ö6~a verstehen. 41 Im Absehen davon, wie Gott sich mit dem Menschen J esus bis zum Tode am Kreuz eins macht, wird alle Verstehensbemühung um die Auferstehung Jesu Christi dagegen in die Sackgasse getrieben, in diesem Ereignis eine quasi-weltliche ö6~a, d. h. ein Gemisch aus Gott und Welt zu suchen, das nicht von der Geschichte der wahren Einheit Gottes mit diesem Menschen Jesus geprägt ist. Die Bemühung um das Verstehen der Auferstehung J esu Christi führt uns also mit innerer Stringenz in eine Bewegung hinein, in der wir einerseits auf das Dasein des irdischen Jesus in der Einheit Gottes mit ihm und andererseits von dort her auf die Auferstehung als des besonderen Erweises der ö6~a Gottes an Jesus und für alle Welt verwiesen werden. Alles, was uns dabei an "historisch" zu nennenden Sachverhalten begegnet, ist ernst zu nehmen, weil es die irdische Dimension ist, in die hinein Gott begegnet. Wir können uns darin aber nicht gewissermaßen vergraben und es in seiner jeweiligen Vereinzelung der Einordnung in irgendeinen weltlichEm Zusammenhang überlassen. Vielmehr gehört es als solches hinweisend in die Geschichte der ö6~a Gottes mit dem Menschen Jesus hinein, an der wir - jener Verweis-Struktur folgend - verstehend teilnehmen können. Natürlich erhebt sich gegen eine solche Bewegung des Verstehens der Einwand, sie sei zirkulär und immunisiere sich gegen alle Einwände außerhalb dieser Bewegung. Doch das ist - theologisch geurteilt - kein durchschlagender Einwand. Denn die Geschichte der ö6~a Gottes mit dem Menschen Jesus und damit mit aller Welt gewährt doch dieuniversalste offene Perspektive, die wir überhaupt einnehmen können. In dieser Perspektive gibt es keine Betrachtungsweise "von außen", die nicht schon längst von dem Lichte eingeholt ist, in das Gottes Gnade und Wahrheit alle Welt stellt. Die Verkündigung der Kirche kann darum alles, was in dieser Welt gegen die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu Christi zu sprechen scheint, nur als Herausforderung begreifen, es in diese Perspektive hineinzunehmen. Dann kann es als Moment jener In diesem Sinne ist Jürgen Moltmanns etwas überspitztem Satz, Das Kreuz Jesu sei der "Beweis seiner Auferweckung" durchaus zuzustimmen (J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1971,174). 41
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Bewegung neu gewürdigt werden, in der sich die Auferstehung J esu Christi als ein Ereignis der Klarheit Gottes erschließt, die wahres Menschsein in der Zeit so aufleben läßt, daß es bei Gott in Ewigkeit seinen Ort hat. Denn Menschen, die sich von der Geschichte dieser Klarheit, wie sie in Jesus Christus begegnet, nicht nur mit dem Verstehen, sondern mit ihrer ganzen Existenz mitnehmen lassen, leben von dem ihr Dasein wahrmachenden Vorsprung der Ewigkeit wohl in dieser Zeit und für diese Zeit. Indem sie an der Geschichte der Auferstehungswirklichkeit J esu Christi teilnehmen, ist die Hoffnung aber unausweichlich, daß die verwandelnde Kraft der o6~a 9EO'Ü auch in der Ewigkeit für sie da sein wird.
"Manchmal stehen wir auf . .. " Gespräch über Auferstehung Ina Praetorius/Doris Strahm/Luzia Sutter Rehmann
Doris Strahm: Es gibt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, mit dem ich seit langem lebe und das mir als erstes in den Sinn kommt, wenn ich mich frage, was "Auferstehung" für mich persönlich bedeutet. Manchmal stehen wir auf Stehen wir zur Auferstehung auf Mitten am Tage Mit unserem lebendigen Haar Mit unserer atmenden Haut. Nur das Gewohnte ist um uns. Keine Fata Morgana von Palmen Mit weidenden Löwen Und sanften Wölfen. Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus. Und dennoch leicht Und dennoch unverwundbar Geordnet in geheimnisvolle Ordnung Vorweggenommen in ein Haus aus Licht. 1
Dieses Gedicht drückt für mich existentiell-alltägliche Erfahrung von Auferstehung aus: Mitten in unserem Leben, in unserem Alltag geschieht "Auferstehung". Da ist nichts "Übernatürliches", sondern die ·Erfahrung, aus Verzweiflung, Depression oder Hoffnungslosigkeit plötzMarie Luise Kaschnitz, Seid nicht so sicher. Geschlchten, Gedichte, Gedanken, Gütersloh 1979, 73f.
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Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 225-241 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
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lich wieder aufzustehen, aufgehoben zu sein in einer größeren Ordnung; die Erfahrung, unerwartet wieder Kraft zu haben, um einen neuen Tag zu bestehen, um sich trotz allem einzusetzen auch für das, was aussichtslos scheint. Ina Praetorius: Auch sogenannt triviale Texte bringen diese alltägliche Erfahrung zum Ausdruck. Ich erinnere mich an einen Vers, den mir eine Schulfreundin in mein Poesiealbum geschrieben hat und der mir damals, am Ende der Kindheit, am Beginn der Pubertät, wichtig geworden ist. Ich kann diesen Vers heute noch auswendig: Manchmal, wenn du denkst, es geht nicht mehr kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Daß du es noch einmal wieder zwingst und von Sonnenschein und Freude singst.
Es fällt mir schwer, diesen Kindervers hier zu zitieren, denn er ist weit entfernt von dem, was ich später als richtige, wahre, untadelige Dogmatik kennengelernt habe. Da gibt es so einen großen Abstand zwischen Texten, die in der Erfahrung wirksam sind, und dem, was "gute Theologie" genannt wird. Luzia Sutter Rehmann: Meine Bewegung zur Auferstehung hin 'kommt schon aus dem Dunkeln, dem Liegen. Vom Dunkeln ins Helle hinein, so wie in dem Gedicht von Hilde Domin: Unsere Kissen sind naß von den Tränen verstörter Träume. Aber wieder steigt aus unseren leeren hilflosen Händen die Taube aue
Diese Aufwärtsbewegung, das Sichaufrichten, gehört existentiell dazu. Ob es letztlich ein Verb im Aktiv oder im Passiv ist, das ist vielleicht eine Frage der Perspektive. Aber es isteine auch körperlich erfahrbare Bewegung. Es ist sehr schade, wenn "die Auferstehung" vor lauter dogmatischem Gewicht ihre dynamische Bewegungskraft verliert. Wir merken diese Tendenz ja schon im Wort selbst: AufERstehung ist in der deutschen Sprache ein rein religiöser Begriff, eine Art "Kunstwort", das mit dem Aufstehen oder gar mit dem Aufstand niemals verwechselt werden kann. Es werden nur zwei Buchstaben eingefügt, doch die wirken wie eine Glaswand zwischen unserem alltäglichen Leben und dem Evangelium. Dabei kommt egersis kaum im Neuen Testament vor, unzählige Male aber egeirein in all seinen lebensnahen Schattierungen von aufwecken, erregen, aufrichten. 3 Dasselbe ist der Fall mit anisthemi, aufstehen, aufrichten, aufwecken. 4 Es sind also Wörter aus dem Alltag, AufERstehung Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Frankfurt 1987, 22l. Vgl. A. Oepke, Art. egeiro, ThWNT II, 332-336. 4 A. Oepke, Art. anisthemi, ThWNT I, 368: " Die Wörter folgen ... hinsichtlich der Bedeutung in der Bibel weithin dem allgemeinen Sprachgebrauch. "
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oder AufERweckung ist im neutestamentlichen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit Aufstehen und Aufwecken. Doris Strahm: Damit hast Du eine Differenz angesprochen, über die feministische Theologinnen schon viel geschrieben haben: auf der einen Seite gibt es unsere Erfahrungen, von denen wir oft nicht wissen, ob sie "religiös" oder "alltäglich" sind. Und auf der anderen Seite gibt es die bürgerliche Theologie, die uns von der Sonntagsschule bis zum Grab zwar predigt, daß Glaube und Leben zusammengehören, die aber schon durch ihren Sprachgebrauch zum Ausdruck bringt, daß der Glaube eben doch das ganz Andere zu sein hat. Luzia Sutter Rehmann: In den letzten Jahren sind mir Aufsteh-Geschichten als Auferstehungen neu begegnet. Es stehen einige Frauen auf im N euen Testament. Diese Geschichten könnten die Diskussion um Auferstehung bereichern: Da ist zum Beispiel die Witwe Tabitha, die ausdrücklich Jüngerin genannt wird (Apg 9,36f). Sie stirbt und steht wieder auf - Petrus packt sie an ihren Händen. So steht auch die Schwiegermutter des Petrus wieder auf, gepackt voller Macht. 5 Oder die zwölf jährige Tochter des Synagogenvorstehers (Mk 5,41). Jesus ist offenbar nicht der einzige, der aufsteht von den Toten. Für mich sind diese vielen Geschichten eine Brücke in meinen Lebensalltag. Im Trauerprozeß um meine erste Tochter, die mit eineinhalb Jahren schon sterben mußte, suchte ich als Exegetin nach Hilfe für meinen Schmerz. Ich kam mir lange Zeit von den Evangelien vergessen vor. Denn der ungerechte Tod des Messias Jesus hatte nun wirklich nichts zu tun mit dem Sterben des geliebten kranken Kindes. Doch nach drei Jahren tiefer Trauer entdeckte ich, daß ich wieder am Leben war - völlig unerwartet, ich wagte es nicht mehr zu hoffen! Ich hörte mich erzählen, daß ich auferstanden sei von den Toten. Da wurde ich hellhörig auch für andere, ähnliche Geschichten von Bekannten und von den verschiedenen Frauen, Kindern und Behinderten im Markusevangelium. Ina Praetorius: Im Dezember 1990 ist, mitten aus unsrer Zürcher feministischen Lebens- und Denkgemeinschaft, Ruth Egloff gestorben, eine junge Theologin, mit neunundzwanzig Jahren an Krebs. Sie hat, als sie schon sehr krank war, Texte geschrieben, zum Beispiel dieses Bekenntnis: Ich glaube an Gott, von dem wir sagen, er sei wie eine Henne, die ihre Kücken wärmt. Ich glaube an Gott, von dem wir sagen, er sei verletzlich und weine manchmal auch mit uns Menschen. Ich glaube an Gott, von dem wir sagen, sie habe die Welt und Frauen wie Männer wunderbar und schön gemacht. Ich glaube an den menschgewordenen Gott, von dem wir sagen, er habe mit uns gelebt und gelitten. Ich glaube an den Menschen, nicht aber an den Mann Jesus Christus, empfangen durch Liebe und Lust, geboren zwischen den Schenkeln Marias, 5 Luzia Sutter Rehmann, "Und er packte ihre Hände voller Macht ... " Auferwekkungen im Markusevangelium, in: FAMA 3, 1995, 15-16.
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gelitten und in Verwahrung genommen im Namen des Gesetzes unter dem Grölen des Volkes, geschrien in Verzweiflung, hingerichtet, ermordet und eines grausamen Todes gestorben am Kreuz. Ich glaube an die Auferstehung, wie es zuerst Maria aus Magdala und dann auch Petrus und andere bezeugt haben. Ich glaube an die Geistkraft, die Verhöhnte stark werden läßt, den Stummen Sprache verleiht und den Kleingehaltenen Mut. Ich glaube an die Möglichkeit von Kirche, die lebendig wird und Gemeinschaft lebt auch außerhalb von Kirchenmauern, wann immer die Geistkraft es will. Ich glaube an die Gemeinschaft der Menschen, nicht nur der Heiligen. Ich glaube an die Vergebung, die einen Neuanfang ermöglicht, an die Lebendigkeit trotz Tod, an Liebe trotz Haß, an Lebenskräfte trotz Krankheit, und ich glaube an das ewige Leben. Amen. 6
Niemand ist damals oder seither auf die Idee gekommen, an der theologischen oder historischen "Wahrheit" dieses Textes herumzutüfteln. In dieser gegebenen Situation ist er von großer Evidenz. Ich stelle mir vor, daß die ersten ChristInnengemeinden so zustandegekommen sind: Da ist jemand gestorben, mitten aus einer Gemeinschaft heraus. Er oder sie hinterläßt ein Vermächtnis: eine Art zu leben und Gott zur Sprache zu bringen. Die anderen, die mit dieser Person gelebt haben, sollen dieses Vermächtnis weitergeben. In der feministisch-theologischen Bewegung gibt es schon mehrere solche Ereignisse. Wir sollten ihre Geschichte schreiben. I. Was sagen feministische Theologinnen über Auferstehung?
Ina Praetorius: Luise Schottroff und Dorothee Sölle schreiben im Artikel "Auferstehung" im Wörterbuch der Feministischen Theologie: Eine feministische Diskussion der christlichen Tradition der Auferstehung Jesu steht noch weitgehend aus ... ,,7
Warum gibt es zum "Thema Auferstehung" so wenig feministisch-theologische Dogmatik? Ich meine, unser Gespräch hat eine wichtige Antwort schon gegeben: Auferstehung ist eine Erfahrung, die vielen unmittelbar zugänglich ist. Ganz im Gegensatz zum herkömmlichen Dogma, das von der Unbegreiflichkeit und Einmaligkeit der Auferstehung Jesu Christi ausgeht, scheinen wir uns gut vorstellen zu können, was den Jüngerinnen und Jüngern damals passiert ist. Das Bedürfnis, um dieses Ereignis herum ein Gebäude von Spekulationen zu errichten, ist also nicht so groß. Es ist einfach nicht naheliegend, über Auferstehung viele Worte zu machen. Und wenn Worte, dann eher Gebete oder Gedichte, keine Dogmatik. Doris Strahm: Das stimmt mit einem Befund überein, den meine Untersuchung über feministische Christologien aus verschiedenen kulturellen
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In: Neue Wege 1990/4, 101. Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991, 34-36, 34.
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Kontexten ergeben hat: 8 Auferstehung kommt vor, ist aber meist nicht breit ausgeführt. Fast immer bedeutet "Auferstehimg" die Bestätigung dessen, was Jesus gelebt hat. In der Feministischen Theologie findet eine deutliche Akzentverschiebung statt: vom isolierten Geschehen "Kreuz und Auferstehung" zu dem, was diesem Geschehen vorausgegangen ist, nämlich das Leben, die Lebenspraxis des J esus von N azaret, seine gelebte Botschaft vom Reich Gottes, die erlösend, befre~end war und Menschen "heil" werden ließ. Auferstehung bedeutet dann Bestätigung dieses Lebens durch Gott. Der Akzent Feministischer Theologie liegt auf dem Leben vor dem Tod - für alle Menschen. Auferstehung ist Ausdruck des Glaubens daran, daß der Glaube an einen gerechten und lebensspendenden Gott stärker ist als die Erfahrungen des Todes, die wir täglich um uns sehen. "Es ist die Veränderung, die sich in unserem Leben vollzieht, auf die es bei der Auferstehung Jesu ankommt", meint Luise Schottroff, so wie die Auferstehung J esu damals Auferstehungsprozesse im Leben der Jüngerinnen und Jünger in Gang gesetzt habe. 9 Und die US-amerikanische Theologin Carter Heyward hebt hervor, daß der christliche Glaube sich nicht auf die Tatsache der physischen Auferste. hung Jesu gründe, die weder zu belegen noch zu widerlegen sei. Was immer die Erfahrung der Auferstehung bedeutet haben mochte, sie führte die Freundinnen und Freunde J esu auf jeden Fall dazu, das fortzusetzen, was zwischen ihnen und Jesus begonnen hatte, diese Art von unmittelbarer und intimer Gottesbeziehung nicht aufzugeben. Für Carter Heyward ist die Auferstehung deshalb nicht als ein Ereignis im Leben J esu, sondern im Leben seiner Freundinnen und Freunde zu begreifen. lo Auch für die brasilianische Theologin Ivone Gebara ist "Auferstehung" kein einmaliges Ereignis nach Jesu Tod, sondern kollektive Erfahrung der Jesusbewegung. Sie geht noch einen Schritt weiter und sieht in der Auferstehung die "hermeneutische Schlüsselkategorie" für eine feministische Lektüre der Bibel und für das Verständnis der Praxis der Jesus-Bewegung, deren Zentrum in ihren Augen Auferstehungserfahrungen und Auferstehungshandlungen waren, die Todessituationen transzendierten und neues Leben ermöglichten. Diese Auferstehungspraxis gilt es nach Gebara als Christinnen und Christen weiterzuführen. 11 Feministische Theologinnen greifen das Thema Auferstehung oft auch im Zusammenhang mit der Kreuzestheologie auf und kritisieren, daß in der christlichen Tradition des Westens Kreuz und Auferstehung auseinandergerissen wurden und das Kreuz isoliert zum eigentlichen Heilsge8 Doris Strahm, Vom Rand in die Mitte. Christologie aus der Sicht von Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika, Luzern 1997. 9 Luise SchottrofjlBärbel von Wartenberg-PotterlDorothee SöUe, Das Kreuz: Baum des Lebens, Stuttgart 1987, 53f. 10 Carter Heyward, Und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung, Stuttgart 1986, 108. 11 Ivone Gebara, The Face of Transcendence as aChallenge to the Reading of the Bible in Latin America, in: Elisabeth Schüssler Fiorenza (Hg.), Searching the Scriptures 1: A Feminist Introduction, New York 1993, 181-184.
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schehen geworden ist. Sie kritisieren, daß sich die Theologie allzusehr auf das Ende des Lebens Jesu - das Kreuz als stellvertretende Sühnetat, als politischen Mord oder als Verherrlichung des Leidens - konzentriert hat. Für viele Frauen hatten die Opfer- und Leidenschristologien konkret zur Folge, daß sie jahrhundertelang in der Opferrolle festgehalten wurden. Man verherrlichte das Leiden und projizierte es gleichzeitig und oft implizit auf "die Frau". Feministische Theologinnen protestieren dagegen, daß das Leiden als solches wertvoll und die eigentliche Erlösungstat sein soll. Sie sehen Kreuz und Auferstehung fast immer im Zusammenhang mit einer bestimmten Art zu leben, die sich in J esus und seinen NachfolgerInnen verkörpert hat.Das bedeutet nicht, daß das Ende ausgeblendet oder entwertet wird, aber es wird vom Leben Jesu her interpretiert. Tatsächlich sind feministische Theologinnen aller Kontinente sich in diesem Punkt einig. Es ist nicht so, wie wir es in Europa manchmal stillschweigend voraussetzen: daß die Frauen in der "Dritten Welt" sich auf das Leiden konzentrieren und eine Leidenschristologie entwickeln, weil ihre Länder stärker von bestimmten Formen des Leidens betroffen sind. Ina Praetorius: Manchmal verhält es sich umgekehrt: Wer im Wohlstand lebt, kann es sich leisten, das Leiden zu meditieren, weil ihm oder ihr genügend alltägliche Kompensationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Manchmal scheint mir, daß ich als europäische feministische Theologin noch in dieser Vorstellung drinstecke: als gute Christin weise ich mich dann aus, wenn ich möglichst ununterbrochen die Leiden dieser Welt betrachte und Auferstehung nur als allerletztes "Trotzdem" gelten lasse. Ich finde es ermutigend, daß gerade diejenigen, auf die wir das .Leiden häufig projizieren - die Frauen der "Dritten Welt" -, mit der Fixierung aufs Leiden nicht viel anfangen können. An dieser Stelle ist viel Dialog nötig, damit sich die gegenseitigen Projektionen nicht verfestigen. Es scheint mir wichtig, daß wir uns gemeinsam der Frage zuwenden: Wie können wir die Lust am Leben und das Leiden gleichzeitig im Blick behalten? Theologisch ausgedrückt: wie stellen wir die Verbindung zwischen Kreuz und Auferstehung so her, wie sie biblisch gemeint ist? Doris Strahm: In dieser Hinsicht habe ich selbst viel von Theologinnen der Dritten Welt gelernt. Sie formulieren ihre theologischen Vorstellungen und Visionen ja gerade auf dem Hintergrund der vielschichtigen Leidens- und Unterdrückungserfahrungen der armen Frauen ihrer Länder bzw. Kontinente, blenden das Kreuz, das Leiden also in keiner Weise aus. Das können sie auch nicht, wenn sie in ihren theologischen Reflexionen von der Lebensrealität der Mehrheit ihrer Schwestern ausgehen wollen. Eine wichtige christologische Vorstellung ist deshalb für viele von ihnen der mit-leidende Chr;-istus, dessen Mitleiden allerdings als aktive Solidarität verstanden wird, die nicht bei einer Identifikation mit den Leidenden stehenbleibt, sondern zur Veränderung der leidverursachenden Situation und zur Wiederherstellung des Lebens führt. Inmitten von Erfahrungen des Leidens und des Todes setzen Theologinnen der Dritten Welt auf den "Gott des Lebens" und suchen nach den le230
bensspendenden und lebensfördernden Quellen in der christlichen und in ihren eigenen religiösen Traditionen, aus denen sie schöpfen können in ihrem Kampf für das Leben. Wogegen sie sich jedoch entschieden wenden, ist eine einseitige Fixierung auf das Leiden bzw. auf eine Leidens- und Opferchristologie, die Leiden und Ohnmacht religiös überhöht. Vor allem feministische Theologinnen aus Asien haben sich kritisch mit der Opfer- und Leidenschristologie auseinandergesetzt. Weil sich in einigen asiatischen Ländern christliche Kreuzestheologie und buddhistische Leidensspiritualität gegenseitig verstärken, sind sie an diesem Punkt besonders sensibel. Eine solche Leidensspiritualität hat sich nämlich vor allem auch für asiatische Frauen negativ ausgewirkt, da sie sie ihre Opferrolle akzeptieren läßt. Asiatische Theologinnen unterscheiden deshalb kritisch zwischen einem durch patriarchale Unterdrückung zugefügten Leiden, das passiv erduldet wird und keine befreiende Funktion hat, und einem aktiven Leiden, das aus dem Kampf gegen Unterdrückung resultiert und wie das Leiden Jesu für das Reich Gottes Teil der Heilsgeschichte Gottes ist. 12 Auf jeden Fall aber muß in ihren Augen die Auferstehung stärker ins Zentrum einer asiatischen Theologie gerückt werden, wenn diese nicht weiterhin asiatische Frauen in ihrer tief verinnerlichten Selbstlosigkeit und Selbstaufopferung unterstützen soll. Asiatische Theologinnen ermutigen ihre asiatischen Schwestern, bewußt eine Spiritualität des Lebens, der Selbstbejahung und Ermächtigung (empowerment) bzw. der gegenseitigen Ermächtigung zu entfalten und zu pflegen. Auch Theologinnen aus Lateinamerika und Afrika setzen die Auferstehung bzw. den Glauben an einen Gott des Lebens und nicht das Kreuz ins Zentrum ihrer Theologien. Daß Frauen dabei auf eine einseitige" theologia gloriae" verfallen, ist angesichts ihrer Lebensumstände im Patriarchat sehr unwahrscheinlich. Die Angst vor einer triumphalistischen Theologie ist strukturell ein Problem westlicher Männer. Daß Frauen, insbesondere Frauen der Dritten Welt, das Leiden und den Tod vergessen, ist nicht zu erwarten, sind es doch gerade sie, die seit Jahrhunderten das "Kreuz" zu tragen hatten bzw. noch haben und in den Ländern der Dritten Welt täglich gegen den Tod kämpfen und das Leben ihrer Kinder zu schützen versuchen. Luzia Sutter Rehmann: Worte wie "Ermächtigung" oder "Selbstermächtigung" , die du eben gebraucht hast und bei denen sich vor meinem inneren Auge wieder der dogmatische Drohfinger erhebt, gewinnen im Kontext weiblicher Lebenszusammenhärtge einen Sinn jenseits des androzentrisch-theologischen Vorwurfs der "Selbsterlösung" . Selbstermächtigung und gegenseitige Ermächtigung ist für die meisten Frauen weder Sünde noch Blasphemie, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Ich glaube, daß für die meisten Frauen die scharfe Trennung zwischen "Selbstermächtigung" und Ermächtigung von außen, die uns der Dog12 Vgl. z.B. Virginia Fabella, Christology from an Asian Woman's Perspective, in: Dies./Sun Ai Lee Park (Hg.), We Dare to Dream. Doing Theology as Asian Women, Hong Kong 1989, 8. - Chung Hyun Kyung, Schamanin im Bauch - Chrlstin im Kopf. Frauen Asiens im Aufbruch, Stuttgart 1992, 109-116.
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matiker beibringen will, gar nicht existiert. "Selbstermächtigung" muß nicht Kreisen um ein isoliertes innerliches Selbst bedeuten. Sie meint zum Beispiel, daß Frauen in einer Favela gemeinsam und aktiv ihr Überleben und das ihrer Kinder organisieren. Ina Praetorius: Die Angst vor dem "Selbst" setzt voraus, daß Gott und Selbst und "Ich" und "die anderen" in einem streng ausschließlichen Verhältnis zueinander stehen. Dieser Gedanke hat seinen Ursprung in bestimmten theologischen Traditionen. Die dialektische Theologie vor allem hat großen Wert darauf gelegt, daß Gott und das menschliche Selbst nie vermischt oder verwechselt werden. Vor dem Hintergrund bestimmter historischer Erfahrungen und angesichts der naheliegenden Möglichkeit, daß Männer Schwierigkeiten haben, ihr Selbst von einem als männlich gedachten Gott abzugrenzen, ist der Gedanke plausibel. Frauen sind aber kaum in Gefahr, sich mit diesem Gott allzusehr zu identifizieren. Im Gegenteil: sie empfinden eher, daß Gott sich für sie in eine unerreichbare Ferne zurückzieht und allenfalls noch - vermittelt über männliche Autoritäten - als Gesetzgeber und Moralinstanz wirksam wird. Aus diesem Grund können und müssen feministische Theologinnen an diesem Punkt die von der androzentrischen Tradition eingeschlagenen Wege verlassen. Luzia Sutter Rehmann: Schottroff und Sölle meinen, ein wichtiger Grund für das feministische Schweigen über Auferstehung sei, daß "das Thema in der Tradition dualistisch und individualistisch besetzt ist" .13 Im Gespräch über unseren erfahrungsmäßigen Zugang zur Auferstehung ist deutlich geworden, daß wir tatsächlich konsequent dualismuskritisch verfahren, daß wir zum Beispiel nicht "geistige" und "körperliche" Auferstehung trennen. Es geht überhaupt nicht mehr darum, wie der oder die Tote aufersteht, ob als "Geist" oder als "Körper", sondern primär darum, wie vom Tod Getroffene wieder oder neu leben können. Ein weiterer Grund für unser Schweigen über Auferstehung sind die konkreten Arbeitsfelder, die uns in andere Richtungen weisen. So arbeiten viele feministische Theologinnen an bisher unbeachteten Geschichten von Frauen, ihren Erfahrungen der biologischen Lebenszusammenhänge (Fruchtbarkeit, Unfruchtbarkeit, Menstruation, Gebären) und ihrer theologischen Bedeutung - wie ich zum Beispiel. 14 Dabei stoßen wir - aber das braucht Zeit! - von ganz anderer Seite her wieder auf das Aufstehen vom Tod. Bei meiner Spurensuche nach dem Gebärmotiv in neutestamentlichen und apokryphen Texten bin ich auf die Apokalyptik gestoßen. Wenn Gebären vom Rand ins Zentrum gerückt wird, können wir die Geburt der neuen Welt Gottes erkennen als Gerechtigkeitsarbeit. Die Erde bewahrt in apokalyptischer Theologie die Toten in ihrem Schoß bis zum Tag ihres Aufstehens. Sie öffnet ihren Schoß, wenn Gott kommt, und entläßt die Bewahrten (Offb 14,4; 20,13; 4 Esr). So wird die Wörterbuch der Feministischen Theologie, 34. Luzia Sutter Rehmann", Geh - frage die Gebärerin." Feministisch-befreiungstheologische Untersuchungen zum Gebärmotiv in der Apokalyptik, Gütersloh 1995. 13
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Erde für alle sicht- und fühlbare Garantin der kommenden Gerechtigkeit Gottes. Die Erde, die das Blut der Unschuldigen nicht zudecken will (Gen 4,10; Ijob 19,25), ist auch der Ort, wo das Aufstehen vom oder gegen den Tod geschieht. AufERstehung in apokalyptischer Sicht ist nicht dualistisch, sondern kosmisch gedacht (Röm 8,18-25). Doch gerade in der Deutung der apokalyptischen Theologie macht sich negativ bemerkbar, daß unsere westliche Tradition Mühe hat, mit Fremdem umzugehen: alles, was der abendländisch-hellenistischen Denktradition fremd erscheint - wie Bilderreichtum, farbige Mythen, Körper-Geist-Seele-umschließende Sprache - wird als "jüdisch" abgetan. Diese antijudaistische Lesart der Apokalyptik hat nicht nur unsere christliche Eschatologie etwas fade werden lassen, sondern hat Jesus von der ursprünglichen Kraft der apokalyptischen Hoffnungssprache abgeschnitten. So liegen manche Themen, die mit AufERstehung zentral verbunden sind, seit Jahrhunderten brach, und wir Theologinnen haben viel zu tun, um sie aufzuarbeiten. Ina Praetorius: Wir beginnen - ganz evangelisch - am Rande der theologischen Tradition, statt im Zentrum. Und es stellt sich heraus, daß die Ränder sehr zentral sind und neue Einsichten auch auf die "Mitte" ermöglichen. 15 11. Ein Himmel ohne Frauen?
Ina Praetorius: Von feministischen Theologinnen erwartet man schon fast, daß sie die Tatsache, daß "nur" ein Mann auferstanden ist, heftig kritisieren. Doris Strahm: Historisch hat es tatsächlich die Vorstellung von einem "Himmel ohne Frauen" bzw. von der Mannwerdung der Frauen als Bedingung ihrer Erlösung gegeben. Auf dem Hintergrund der in der antiken Welt verbreiteten Vorstellung von der Minderwertigkeit des Weiblichen wird Erlösung in vielen Zeugnissen der Tradition als Rückführung des (vom Männlichen abgeleiteten) minderen Weiblichen in das Männliche verstanden. Diese Vorstellung von einem "Himmel ohne Frauen" zieht sich in verschiedenen Varianten vom Thomas-Evangelium über einzelne Kirchenväter bis in die Neuzeit hinein. Erstaunlich ist allerdings, daß z. B. Augustinus und Thomas von Aquin, die den Mann allein als das vollkommene Geschlecht ansehen, dennoch die weit verbreitete Auffassung von einer Auferstehung der Frauen als Männer zurückweisen und demgegenüber für die Auferstehung aller im jeweils eigenen Geschlecht eintreten. 16 15 Vgl. Ina Praetorius, Nicht trivial noch sentimental. Ein Versuch über Ent-Trivialisierung als Methode in der Frauenforschung, in: Herlinde Pissarek-Hudelist/ Luise Schottroff (Hg.), Mit allen Sinnen glauben. Feministische Theologie unterwegs. FS Elisabeth Moltmann-Wendel, Gütersloh 1991,194-203. 16 Vgl. dazu ausführlicher: Elisabeth Gössmann/Haruko Okano, Himmel ohne Frauen? Zur Eschatologie des weiblichen Menschseins in östlicher und westlicher Religion, in: Elisabeth Gössmann/Günter Zobel (Hg.), Das Gold im Wachs. FS
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Ina Praetorius: Logisch ist das nicht. Denn wenn ich einerseits davon ausgehe, daß Frauen Mängelwesen sind - diese Vorstellung vertritt Thomas - und andererseits "Auferstehung" mit "Bestätigung" oder "Vervollkommnung" assoziiere, dann ist "Auferstehung als Frau" ein Paradox. Denn die "Vervollkommung" von etwas Minderwertigem bedeutet weitere Minderung: Die "vollkommene" Frau wäre also die Frau, deren Mängel - Körpernähe, Geist- und Gottferne etc. - verstärkt sind: die Hure. Weil man dieses Schicksal den Frauen ersparen wollte, boten ihnen einige Theologen als Lösung das "Männlichwerden" an: Der Auferstehung entgegenzustreben bedeutete, sich schon im Leben der vollkommeneren, geistigeren Gestalt des Menschseins anzunähern. Wir können solchen Denkfiguren aus einer androzentrischen Geschichte erlauben, uns zu belasten und zu besetzen. Wir können sie aber auch von unserem heutigen Theologietreiben distanzieren - als etwas, das wir zwar wissen, das aber unser Denken nicht determiniert. Der "Himmel ohne Frauen" ist für feministische Theologinnen heute nur dann ein Problem, wenn sie androzentrische Denkvoraussetzungen übernehmen: zum Beispiel diese Idee von der Frau als einem geistfernen Wesen oder die Vorstellung, daß es sich bei der Auferstehung Jesu Christi um ein absolut einmaliges heilsgeschichtliches Ereignis handelt, in dem "ein- für allemal" das Ende der Geschichte vorweggenommen ist. Feministische Theologinnen, die dieses klassische "Ein- für allemal" gelten lassen, müssen sich fast zwangsläufig von der christlichen Tradition abwenden. Denn unter dieser Voraussetzung gilt tatsächlich: ein Mann, und nur ein Mann ist auferstanden und sitzt zur Rechten Gottes. Doris Strahm: Das Problem beginnt bereits mit der "Menschwerdung" Gottes. Wenn ich sie ausschließlich auf den Mann Jesus beziehe, wird es für Frauen sehr schwierig. Dann stellt sich die klassische feministischtheologische Frage: "Kann ein männlicher Erlöser Frauen erlösen?"17 Die Vorstellung von der einmaligen Menschwerdung Gottes in einem Mann hat nämlich nicht nur die Androzentrik des christlichen Glaubenssystems und die hierarchische Geschlechterordnung verstärkt. Sie wurde von den christlichen Kirchen bis in die Gegenwart hinein in der Praxis auch tatsächlich als Mannwerdung ausgelegt und zur religiösen Rechtfertigung der Macht und Überordnung des Mannes über die Frau benutzt - zum Beispiel um Frauen vom Priesteramt auszuschließen. Mary Daly kam deshalb bereits in den siebziger Jahren zum radikalen Schluß: "Der Gedanke einer einmaligen Menschwerdung Gottes in Gestalt eines Mannes ist sexistisch und öffnet der Unterdrückung Tür und Tor. ,,18 Vom Geschlecht des Erlösers zu abstrahieren und sein Menschsein zu betonen, wie es viele Theologen tun, weicht der Radikalität der Thomas Immoos, München 1988, 397-410. Vgl. auch: Kari Elisabeth B0rresen, Subordination and Equivalence. The Nature and Role of Woman in Augustine and Thomas Aquinas, 1968. Kampen 1996. 17 Rosemary Radford Ruether, Sexismus und die Rede von Gott. Schritte zu einer anderen Theologie, Gütersloh 1985,145. 18 Mary Daly, Der qualitative Sprung über die patriarchale Religion, in: Elisabeth 234
feministischen Frage aus und ist eine Scheinlösung, da in unserer androzentrischen Kultur nach wie vor der Mann Norm und Paradigma des "Menschen" ist. Gegenüber einer christlichen Tradition, die an der Einzigartigkeit und Einmaligkeit der Inkarnation Gottes in Jesus Christus festhält, können Frauen also nichts anderes tun als immer wieder die Frage stellen, was die als Menschwerdung Gottes gelehrte, aber als Mannwerdung "praktizierte" Lehre für Frauen bedeutet hat und ob sie das bedeuten kann, was sie zu bedeuten vorgibt: Erlösung, Befreiung auch des weiblichen Geschlechts. Oder anders gefragt: Kann die Inkarnation Gottes christlich so gedacht werden, daß sie explizite auch die Befreiung und das Heilwerden der unter patriarchalen "Mächten" lebenden Frauen in Gang setzt? Oder bleibt Frauen - um ihrer Befreiung und ihres Heiles willen - tatsächlich nur der Auszug aus einer im Kern irreversibel sexistischen Religion, wie Mary Daly postuliert? Luzia Sutter Rehmann: Auferstehung ist nicht präzedenzlos und keine Erfindung des Neuen Testaments. Schon im Ersten Testament gibt es Aufsteh-Geschichten, zum Beispiel die über den Sohn der Witwe von Sarepta. Ich finde es schön, daß die Witwe nach dem Aufstehen ihres Sohnes zu Elia sagt: "Jetzt weiß ich, daß du ein Gottesmann bist" (1Kön 17,24). Ihre Antwort ist eine theologische Interpretation der Auferwekkung als Gerechtigkeitshandeln Gottes. An diese und ähnliche Erfahrungen konnten die Frauen am leeren Grab anknüpfen. Damit hatten sie Bilder, Wörter aus ihrer Tradition, die das benennen konnten, was geschehen war. Exegetisch läßt sich das Aufstehen Jesu vom Tod nicht von früheren oder späteren Geschichten isolieren. Auferstehungen bedeuten dann: Gott ist nahe herbeigekommen, er beginnt, seine Gerechtigkeit zu verwirklichen. Heute fehlen uns meist die Kategorien, um die Auferstehung J esu in ein theologisches und erfahrungsbezogenes Kontinuum einzuordnen. Aber die apokalyptische Erwartung ist grundlegend für die Deutung des Aufstehens gegen den Tod, damit die Auferstehung nicht zu einem individualistischen Unikum verkommt. Die neue Schöpfung schließt sich an die Aufsteh-Bewegung an, die Transformation der Erde hängt mit dem Herausgeben ihres Pfandes, ihrer lang bewahrten Toten zusammen: Wenn sie ihren Schoß öffnet, sinken Berge ein und Täler füllen sich auf. Das ist bildhafte Sprache und meint: alles wird neu, ein neuer Himmel und eine neue Erde werden geschaffen, wo Gott endlich Wohnung findet. In solchen Vorstellungen hatten die Menschen gelebt und gehofft. Ina Praetorius: Viele feministische Theologinnen heute suchen das verlorene Kontinuum durch eine Dynamisierung des Verständnisses von Offenbarung wiederherzustellen. Das bedeutet, daß sie das protestantische "Solus Christus" oder die katholische Idee, bei der Offenbarung handle es sich um "eine Sammlung von objektiven, in Lehrsätze gefaßMoltmann-Wendel (Hg.), Frau und Religion. Gotteserfahrungen im Patriarchat, Frankfurt a.M. 1983, 110. .
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ten Glaubenswahrheiten"19 in eine geschichtliche Bewegung transformieren. Elisabeth Schüssler Fiorenza versucht, die unterschiedlichen hermeneutischen Zugänge zur biblischen Offenbarung in der Gegenüberstellung von "Archetyp" und "Prototyp" zu fassen: "Archetyp und Prototyp stellen Modelle zur Interpretation des Anfangs dar. Jedoch ist ein Archetyp eine Idealform, die ein unveränderliches zeitloses Muster festsetzt ... Ein Prototyp ist ... auf seine eigene Veränderung hin kritisch offen. Eine Hermeneutik, die die Heilige Schrift als Prototyp versteht, läßt der Veränderung ihrer eigenen Modelle christlichen Glaubens und christlicher Gemeinde nicht nur Raum, sondern verlangt sie geradezu. ,,20 Ich glaube, Frauen brauchen solche Modelle einer unabgeschlossenen Offenbarung, um sich selbst in die Heilsgeschichte einschreiben zu können, um zum Beispiel Frauenkirche, wie sie heute an vielen Orten entsteht, theologisch als einen Ort deuten zu können, an dem Auferstehung geschieht: In der Frauenkirche stehen Frauen aus ihrer Jahrhunderte andauernden androzentrischen Festschreibung auf Zweitrangigkeit und minderes Menschsein auf. 21 Doris Strahm: Wir sollten uns jedesmal, wenn der dogmatische Drohfinger erscheint - und er erscheint auch hier wieder - fragen: Wer bestimmt jetzt, welche Auslegung die wahre ist? Wer bestimmt zum Beispiel, daß das dogmatische "Ein- für allemal" zu gelten hat? Faktisch besteht unsere Tradition aus einer großen Zahl von verschiedenen Christologien, von denen eine, nämlich die von Chalcedon, als die normative festgelegt worden ist. Hinter dieser historischen Entscheidung aus dem 5. Jahrhundert stehen bestimmte theologische und (kirchen-)politische Interessen. Hinter jeder Entscheidung für eine bestimmte Theologie stehen bestimmte Interessen. Das ist nicht zu vermeiden. Schlimm ist es nur, wenn die Interessen nicht aufgedeckt, sondern als zeitlose, "ewige" Wahrheiten verkleidet werden. In Nicäa und Chalcedon z. B. ging es nicht nur um theologische Fragen, um die Festlegung einer für alle verbindlichen christologischen Lehre, sondern ebenso um Macht- bzw. Staatspolitik: die Einigung der verschiedenen Teilkirchen durch ein einheitliches Bekenntnis, die Beendigung der theologischen Streitigkeiten durch eine dogmatische Definition war notwendig für die Einheit der christlichen (Reichs-)Kirche und den Zusammenhalt des Staates. Als Teil einer Reichs- und Herrschaftsideologie diente die Christologie aber schon bald zur Sanktionierung der politischen, sozialen und kirchlichen Hierarchie, die eine patriarchale war. 22 Warum sollen Frauen heute christo19 Herlinde Pissarek-Hudelist, Art. Offenbarung, Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991, 307-310. 20 Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis. Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München/Mainz 1988, 67. 21 Vgl. Pissarek-Hudelist. 22 Vgl. dazu ausführlicher: Radford Ruether (s. Anm. 17), 152-155. Vgl. auch Doris Strahm, "Für wen haltet ihr mich?" Einige historische und methodische Bemerkungen zu Grundfragen der Christologie, in: dies./Regula Strobel (Hg.), Vom Verlangen nach Heilwerden. Christologie in feministisch-theologischer Sicht, Fribourg/Luzern 1991, 20-26.
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logische Vorstellungen aus dem 4. und 5. Jahrhundert, die in einem patriarchalen Machtkontext formuliert wurden und u. a. auch der Etablierung einer Männerkirche dienten, in der Frauen nichts mehr zu sagen hatten, noch als theologisch zeitlose Wahrheit gelten lassen? Warum sollen diese kontextgebundenen und kulturspezifischen Formulierungen, die übrigens kaum mehr Bezug nehmen auf den biblischen Jesus und seine Reich-Gottes-Botschaft, mehr Gültigkeit für die richtige christliche Lehre haben als die vielfältigen und unterschiedlichen Christus-Bekenntnisse und Christus-Zeugnisse der Bibel? III. Die Frauen am Grab
Doris Strahm: Viele feministische Theologinnen finden es wichtig, daß Frauen die ersten Zeuginnen der Auferstehung gewesen sind. Luzia Sutter Rehmann: Das finde ich auch wichtig. Die Frauen in der Jesusbewegung waren aber nicht zufälligerweise die ersten Zeuginnen und wurden es auch nicht problemlos. Ich meine, wir müssen die Kontinuität des Lebens Jesu auch hier im Auge behalten, wie es die Frauen im Markusevangelium taten. Sie - die J esus schon seit Galiläa nachfolgten (Mk 15,41) - behielten ihn im Auge, sie sahen seine Ermordung am Kreuz, seine Grablegung durch J oseph, und sie sind es, die den weggewälzten Stein und die geheimnisvolle Erscheinung im Grab sehen. Dieses Sehen der Frauen läßt den Schluß zu, daß sie die Autorinnen dieser Erzählung über die Ermordung, Grablegung und Auferstehung Jesu sind. Dieses Sehen ist autoritativ, also sowohl als Augenzeuginnenbericht, wie auch durch die Autorität dieser Jüngerinnen, allen voran Maria Magdalena, legitimiert zu verstehen. Diese Frauen waren nicht bequeme Zuschauerinnen, sondern Seherinnen, die im Bewußtsein des Risikos, selbst verhaftet und getötet zu werden, den Toten salben wollten. Sie sind zu Zeuginnen geworden, weil sie am Morgen aufgebrochen sind. Damit knüpfen sie auch an die Salbung von Bethanien (Mk 14,3-9) an. Diese Erzählung ist ja auch schon eine Totenehrungsgeschichte, d. h. die salbende Frau sah die Ermordung Jesu kommen und gab diesem Sehen Ausdruck, dar an konnten die Frauen in ihrer verzweifelten Lage anknüpfen. Sie sind also nicht einfach die ersten Zeuginnen, sondern stehen mitten drin in einem Selbstermächtigungsprozeß, der um Geheiltwerden und Aufstehen (Mk 1,31) kreist. Doris Strahm: Daß Frauen mitten drin und wichtige Zeuginnen waren, ist unbestreitbar. Wir müssen davon ausgehen, daß man die Position der Frauen im Zuge der androzentrischen Geschichtsschreibung und Kanonbildung heruntergespielt hat. Wenn sie in den Evangelienberichten dennoch so wichtig geblieben sind, vor allem im Zusammenhang mit Tod und Auferstehung J esu, dann spricht das für eine starke Position. Man hat den frühen Gemeinden sogar den Vorwurf gemacht, ihre Wahrheit hänge nur vom Zeugnis einiger hysterischer Weiber ab. Luzia Sutter Rehmann: Gerade darum ist es wichtig, daß die Frauen das Grab nicht leer angetroffen haben und die Auferstehungsbotschaft nicht 237
erfunden haben. Das kann als ein theologisch spannender Einwand gegen solche misogynen Verleumdungen verwendet werden. Ein Jüngling oder Engel oder irgendein geheimnisvolles Anderes war schon da, als sie kamen. Da ist offenbar schon etwas, ein Wissen, eine Kraft, eine lebensspendende Tradition, in die sie eingetaucht werden. Luise Schottroff betont den Epiphaniecharakter dieser Begegnung im Grab. 23 Die Auferstehung selbst ist schon geschehen. Die haben nicht einmal die Frauen "gesehen". Allerdings sehen die Frauen den weggewälzten Stein. Ich lese auch darin wieder die apokalyptische Hoffnung auf die Gebärkraft der Erde, die ihren Schoß öffnet, um die Ermordeten aufstehen zu lassen. Der geheimnisvolle Jüngling - kein Mann! - tadelt die Jüngerinnen, wenn er sagt: " Ihr sucht den Gekreuzigten." Denn das Grab ist der falsche Ort. Sie sollen nach Galiläa, dort erwartet sie die Gegenwart des aufgestandenen Jesus. Daß sie bebend und ekstatisch hinausgehen, zeigt, wie bedeutsam die Begegnung ist. Es wurde tüchtig an ihnen geTÜttelt. Es geht darum, daß sie sich verwandeln. "Ein Beben hat sie ergriffen und völlig aus sich hinausgeworfen" - das wäre wohl eine textgerechtere und frauenfreundlichere Übersetzung als "Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen". Daß es zu einer positiven Fortsetzung nach dem Schweigen gekommen ist, setzt der Text voraus. Denn wie sonst sollte er von dem Sehen der Frauen erzählen können, wenn nicht durch das Mitteilen der Frauen, was sie gesehen oder erlebt haben? "Hysterische Weiber" ist ein passender frauenverachtender Ausdruck für von Gott ergriffene, ekstatische Prophetinnen des Aufstehens der Ermordeten und ihrer Freunde und Freundinnen gegen den Tod. Ina Praetorius: Ich schließe aus der Zeuginnenschaft der Frauen für uns heute, daß weibliche Autorität in biblischer Tradition eine Selbstverständlichkeit ist. In der dominanten androzentrischen Ordnung sind Frauen zu Funktionsträgerinnen oder zur Naturressource am Rande der Gesellschaft vollwertiger "Menschen" degradiert worden. Sie galten lange als von Natur aus mann-bezogene, also abhängige Wesen. 24 Als solche können sie - per Definition - nicht von sich selbst ausgehend Welt interpretieren. Diese Konstruktion entspricht nicht dem biblischen Weltverständnis, das sagen mir die Frauen am Grab, die in eigener Verantwortung relevante Aussagen machen. Heute arbeiten feministische Theoretikerinnen am Thema "weibliche Autorität" als einem Konzept, das für eine wirksame feministische Politik notwendig ist. 25 Es ist eine wichtige Aufgabe für Theologinnen, diese theoretische Arbeit mit der
23 Luise Schottrojf, Maria Magdalena und die Frauen am Grabe Jesu, in: dies., Befreiungserfahrungen. Studien zur Sozialgeschichte des Neuen Testaments, München 1990, 149. 24 Vgl. Ina Praetorius, Anthropologie und Frauenbild in der deutschsprachigen protestantischen Ethik seit 1949, Gütersloh 1993. 19942 . 25 Vgl. z.B. Andrea Günter, Weibliche Autorität, Freiheit und Geschlechterdifferenz. Bausteine einer feministischen politischen Theorie, Königstein/Taunus 1996.
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Neuinterpretation der biblischen Frauengestalten in Beziehung zu setzen. Luzia Sutter Rehmann: Ich denke, dieser moderne Prozeß, den du beschreibst, widerspiegelt diese Geschichte der sehenden Jüngerinnen, die von der göttlichen Kraft aus sich herausgeschüttelt werden, aus ihren verinnerlichten Rollenbildern wie aus ihrem sozialen Gefüge. Das müssen sie zuerst verarbeiten. Während dieser Zeit sagen sie vielleicht noch niemandem ein Wort (Mk 16,8), weil sie sich vor den Konsequenzen dieses Aus-sich-heraus-Tretens fürchten, auch der eigenen Standfestigkeit noch nicht so ganz trauen und erst untereinander. Klarheit schaffen müssen. Denn eine Epiphanie, die zu dritt erlebt wird, wird ja unterschiedlich gedeutet. Doris Strahm: Diese Einschätzung der Frauen am Grab hat Folgen für die Art, wie wir heute Theologie treiben. Daß wir uns vom dogmatischen Drohfinger so bedrängt fühlen, hat nicht nur mit dem Dominanzgebaren der herrschenden Theologie zu tun, sondern auch mit unserer Gewohnheit, uns, unterzuordnen oder uns zu rechtfertigen, sobald wir nicht ,der androzentrischen Norm entsprechen. Diese Gewohnheit ist biblisch nicht vorgezeichnet. Wir können daran arbeiten, sie zu überwinden und von unseren Erfahrungen zu reden - auch wenn unserer Wahrheit, wie derjenigen der Frauen am Grab, zunächst. nicht geglaubt wird ... Ina P-r:aetorius: Es ist wichtig zu unterscheidep, auf welcher Ebene uns der dogmatische Drohfinger eigentlich Schwierigkeiten macht. Ich meine: nicht dort, wo theologische Wahrheit auf dem Spiel steht. Auf dieser Ebene ist nicht ausgemacht, wer mehr Recht auf seiner oder ihrer Seite hat, den anderen der Häresie zu beschuldigen (sofern es darum überhaupt geht). Probleme haben wir mit der herrschenden Lehre vor allem dann, wenn es um die Verteilung von Machtpositionen geht: wenn man uns zum Beispiel theologische Qualifikationen oder Lehrbefugnisse verweigert. Ich finde es wichtig, diese beiden Ebenen klar zu unterscheiden. IV. Halbtagstheologie
Ina Praetorius: Es ist auffallend, daß sich ein großer Teil der Feministischen Theologie positiv-anknüpfend auf die Jesusbewegung bezieht, sich aber von den Bemühungen der frühen Kirche um dogmatische Fixierungen des Glaubens distanziert. Wir scheinen uns den Auferstehungserfahrungen der ersten Zeuginnen und Zeugen nahe zu fühlen: Auferstehung ist erschütternd, aufrüttelnd, herausfordernd, aber dennoch erfahrbar, alltäglich, nicht das ganz Andere, für das nur ganz bestimmte festgelegte Wörter zureichend sind. Mit dieser Art, Theologie und alltägliche Erfahrungen wieder nahe zueinanderzurücken, stehen wir aber quer zu einer akademischen Theologie, in der es oft in erster Linie darum geht, etwas "Richtiges" zu sagen. Den Maßstab für Richtigkeit bildet im akademischen Kontext aber meistens - wider alle Beteuerungen - die überkommene androzentrische Lehre und nicht der biblische Text. 239
Luzia Sutter Rehmann: Auch als beamtete, gut bezahlte Theologinnen stehen wir meist anders im Alltag als unsere Kollegen. Wir haben die Reproduktionsarbeit bezüglich Schwangerschaft, GebUrt, Stillen, nächtliches Aufstehen - auch das sind Aufstehgeschichten, aber andere! -, Hausarbeit, Kleiderpflege, Kontaktpflege u.v.a. auch als Forscherinnen zu leisten - nebenbei, versteht sich. Das befruchtet zwar unseren theoretischen Ansatz, läßt uns aber nicht so viel Zeit, "abzuheben". Ich finde das oft schade und sehr anstrengend. Aber es bedeutet auch: Theologie ist unter den Bedingungen der derzeit üblichen weiblichen Praxis "Halbtagstheologie" . Wir können es uns nicht leisten, Theologie von ihrer Funktion, "Lebenshilfe" zu sein, gänzlich loszulösen. Die erste Frage Feministischer Theologie heißt immer noch: gibt das unserem Leben Sinn? Und nicht: ist das eine theologisch korrekte Aussage? Doris Strahm: Genau das hat auch meine Untersuchung zu feministischen Christologien in verschiedenen Kontexten ergeben: Frauen verbinden mit Theologie lebenspraktische Interessen an Heilung und Befreiung, an gesellschaftlichen Veränderungen, an mehr Gerechtigkeit. Sie legen diese Interessen und Sehnsüchte im allgemeinen auch offen dar. Und sie fragen kaum je: Wer war Jesus an und für sich? Ina Praetorius: Ich meine, wir müssen die Kriterien, an denen sich theologische Korrektheit mißt, ausdrücklich zur Diskussion stellen und verändern. Denn es können in Zukunft nicht mehr die Kriterien sein, die wir als androzentrisch erwiesen haben. Androzentrisch ist auch das Kriterium der "Wissenschaftlichkeit", sofern Wissenschaftlichkeit voraussetzt, ununterbrochen und lebenslang am Schreibtisch sitzen zu können. Biblisch vorgezeichnet scheint mir eine lebendige Verbindung von Nachdenken mit all den notwendigen und alltäglichen Tätigkeiten, über die nachgedacht wird: kochen, saubermachen, Dinge herstellen, politisch handeln, feiern. Solches Nachdenken - "Halbtagstheologie" - haben Frauen lange gezwungenermaßen betrieben, weil sie die "privilegierte" Position, hauptamtlich am Schreibtisch zu sitzen, gar nicht erreichen konnten. Heute schlägt der Zwang in bewußte Entscheidungen um: Viele Frauen gewinnen ein positives Verhältnis zu ihrer fragmentierten Existenzweise und bewerten sie als zukunftsweisend. 26 Doris Strahm: Nachdenken, das sich nicht verselbständigt, sondern Teil des Lebens bleibt und bleiben will, ist heilsam, hilft gegen die Abstumpfung, die Dorothee Sölle in ihrem Gedicht "Über auferstehung" beschreibt: Sie fragen mich nach der auferstehung sicher sicher gehört hab ich davon daß ein mensch dem tod nicht mehr entgegenrast daß der tod hinter einem sein kann weil vor einem die liebe ist daß die angst hinter einem sein kann 26 Vgl. Ina Praetorius, Theologie in der fragmentierten Zeit. Reflexionen, ausgehend vom Begriff "Postmoderne", in: dies., Skizzen zur Feministischen Ethik, Mainz 1995, 33-46.
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die angst verlassen zu bleiben weil man selber gehört hab ich davon so ganz wird daß nichts da ist das fortgehen könnte für immer Ach fragt nicht nach der auferstehung ein märchen aus uralten zeiten das kommt dir schnell aus dem sinn ich höre denen zu die mich austrocknen und kleinmachen ich richte mich ein auf die langsame gewöhnung ans totsein in der geheizten wohnung den großen stein vor der tür Ach frag du mich nach der auferstehung ach hör nicht auf mich zu fragen 27
Luzia Sutter Rehmann: Also frage ich noch einmal: Können wir sagen, was Auferstehung J esu für uns bedeutet? Ina Praetorius: Daß eine bestimmte gerechte und freundlichere Art zu leben, die in Jesus Christus und auch in anderen Frauen und Männern Gestalt gewonnen hat, nicht stirbt. Und daß ich nicht alles allein machen und aushalten muß. Jemand gibt mir die Hand. Luzia Sutter Rehmann: Ja, denn das Aufstehen vom Tod ist etwas, das uns einerseits zufallen muß, andererseits können wir unsere Hand ausstrecken und jemandem beim Aufstehen helfen. Ich kann es nicht "machen", es braucht das Zusammenwirken von Gott, der Erde und den Menschen. Darum haben Auferstehungen vieles mit Geburten gemein: so wie frau warten muß, bis die Zeit erfüllt ist, gibt es Prozesse, Durststrecken, Aushalt-Phasen, aber die Zeit des Jubels und der Entbindung, Erlösung kommt - das weiß jede. Doris Strahm: Der Glaube daran, daß die Geschichte J esu weitergeht und sich fortsetzt in unseren Auferstehungsgeschichten. Die Hoffnung darauf, daß auf Karfreitag immer wieder ein Ostermorgen folgt, daß der Tod, das Unrecht nicht das letzte Wort hat, daß der lebendige Gott sich durchsetzt. Die Erfahrung, aus Angst und Hoffnungslosigkeit immer wieder aufzustehen und für ein Leben in Gerechtigkeit einzustehen. "Manchmal stehen wir auf, stehen wir zur Auferstehung auf, mitten am Tage ... "
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Dorothee SäUe, Fliegen lernen. Gedichte, Berlin1979, 21.
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Der unvollendete Pullover Pastoralpsychologische und -theologische Betrachtungen zu Kreuz und Auferstehung J esu Christoph Morgenthaler Das Studium "lebendiger menschlicher Dokumente" ist nicht nur Quelle für das Verständnis der menschlichen Natur, sondern auch eine Grundlage theologischer Arbeit und eine Methode theologischer Ausbildung, die gefördert werden muß. Anton T. Boisen, der Ahnvater der klinischen Seelsorgebewegung, prägt mit diesem Grundsatz bis heute pastoralpsychologisches Arbeiten. 1 So möchte auch ich im folgenden vom Studium eines solchen Dokumentes ausgehen und im Anschluß daran theologische Überlegungen zur Auferstehung Jesu entwickeln. Ich wähle also einen klassischen pastoralpsychologischen Zugang und frage: Wie erscheint die Thematik von Kreuz und Auferstehung Jesu im Medium einer seelsorglichen Begegnung und ihrer Reflexion? Es handelt sich um die Begegnung eines Vikars 2 mit einer 70jährigen, schwerkranken Frau, wie sie dieser in einem sogenannten Verbatim, also einem in Rede und Gegenrede festgehaltenen Protokoll seines Krankenbesuchs aufgezeichnet hat. Kann von diesem "Dokument lebendigen Glaubens", seiner Interpretation und den Prinzipien dieser Interpretation ein Licht auf Kreuz und Auferstehung Jesu fallen? Läßt sich von Karfreitag und Ostern her umgekehrt auch die Dynamik dieser Begegnung besser verstehen? Spitalbesuch, Mittwoch vor Ostern Dies ist der vierte Besuch bei Frau R. Beim ersten Besuch war sie sehr lebhaft und gesprächig. Beim zweiten Besuch sprachen wir über eine bevorstehende Operation, vor der sie Angst hatte. Letztes Mal war Frau R. sehr schwach (sie wurde aber noch nicht operiert). S 1: Es geht Ihnen schon wieder etwas besser gegenüber letztes Mal, als ich Sie besuchte? R 1: Ja. S 2: Aber operiert haben sie noch nicht? R2: Nein. Die Ärzte reden davon. Aber sie wissen nicht so recht, was sie wollen. S 3: Haben Sie Hoffnung, daß man bald operieren kann? R 3: Ja. Es wird wieder gut kommen! Wir schweigen und schauen uns in die Augen. Mir fällt auf, daß ihre linke Hand sehr stark angeschwollen ist. S 4:
Ihre Hand ist stark angeschwollen.
1 Eine Sammlung von Originalaufsätzen und Kommentaren ist neu zugänglich geworden in: G. Asquith (Hg.), Vision from a Little Known Country. A Boisen Reader, Journal of Pastoral Care Publications 1992, vgl. v. a. 19ff, 157ff. 2 Das Vikariat bildet im Kirchengebiet der eV.-ref. Kirchen Bern-Jura einen Teil des Studiums und dauert, anschließend an den theoretischen Teil des Staatsexamens, ein Jahr.
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Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 242-258 ISSN 0014-3502 © Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
R 4:
Ja, das habe ich immer wieder gehabt, auch jetzt.
Frau R. schweigt wieder. Mit der rechten Hand bedeckt sie die geschwollene Hand. Das Sprechen macht ihr anscheinend Mühe, also ergreife ich die Initiative und erzähle ihr von den bevorstehenden Festtagen Karfreitag und Ostern. Ich rede über den leidenden und auferstandenen Jesus und versuche, ihr so etwas Trost und Hoffnung zuzusprechen. Frau R. erwidert nichts. Wir schweigen. Unweigerlich fällt mein Blick wieder auf ihre geschwollene Hand. Sie versucht, diese mit dem Leintuch zuzudecken. R 5: S 5: R 6: S 6: R 7: S 7: R 8:
Ich habe einen Traum gehabt. Jetzt muß ich immer daran denken. Was haben Sie denn geträumt? Ich wollte etwas fertigmachen, aber ich konnte nicht. Was wollten Sie fertigmachen? Irgend etwas, das weiß ich auch nicht mehr. Ich kann es nicht sagen. Wieso konnten Sie es denn nicht fertigmachen? Haben Sie keine Kraft oder keine Zeit mehr gehabt? Jemand kam und sagte: "So, jetzt können Sie nicht mehr fertigmachen! "
Kurzes Schweigen. S 8: R 8: S 9:
Wollen Sie noch irgend etwas fertigmachen? Ja, eine Jacke. Die schöne Jacke möchte ich so gerne fertigmachen. Was für eine Jacke. Eine Strickjacke? RIO: Ja, die Strickjacke, die ich angefangen habe. Sie liegt im Schrank. Hoffentlich kann ich sie bald fertig stricken. Und plötzlich lebt Frau R. auf. Sie ist wie verwandelt. Ausgiebig erzählt sie von der Farbe, vom Muster der Jacke. Gegenüber vorher spricht Frau R. jetzt mit kräftiger Stimme und hoffnungsvollen Worten. Eigentlich wollte ich Frau R. auf den Tod ansprechen. Ich wollte fragen, ob sie bereit wäre zu sterben oder ob sie noch etwas anderes vor dem Tod fertigmachen möchte. Jetzt getraue ich mich nicht mehr.
1. Erste Annäherungen und Fragen
Wie können wir die Dynamik dieses Austauschs am Krankenbett tiefer verstehen? Ich versuche eine erste Lesart des Textes. Ich halte sie persönlich, notiere Fragen, Beobachtungen und Phantasien, die sich für mich an Eigenarten, Bruchstellen und Verwerfungen dieses Textes ergeben. 3 Das Wechselspiel von bedrohlicher Krankheit und Hoffnung, das schon im Titel des Protokolls anklingt, taucht im Vorspann sogleich wieder auf. Der Zustand der besuchten Frau hatte sich in den letzten Wochen offensichtlich stark verschlechtert. Noch war sie "sehr lebhaft und gesprächig" gewesen, dann "sehr schwach". Dramatisch scheinen die Lebenskräfte zu schwinden. Was bewirkt diese "Vorgeschichte" beim Seelsorger? Wie betritt er das Spitalzimmer? Was befürchtet er? Was möchte er sein, was erreichen? Es ist immerhin der vierte Besuch. Bisher hat er sich von der stetig sich verschlimmernden Situation der Frau nicht ab3 Meine Lesart hat sich aus der Diskussion jener Gruppe von Vikarinnen, in der das Protokoll zuerst vorgelegt wurde, aber auch aus weiteren Gesprächen entwikkelt. Anregungen verdanke ich insbesondere meinen Berner Kollegen Christoph Barben-Müller, Matthias Grünewald und Jürg Zürcher.
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schrecken lassen, ist ihr in die Tiefe gefolgt, wir wissen nicht wie. Nun ist er wieder da. Seine erste fragende Bemerkung (S 1) scheint eine Beobachtung aufzunehmen, signalisiert Vertrautheit mit dem bisherigen Verlauf der Krankheit, und doch überrascht sie mich auch. Weshalb diese Betonung der Besserung gleich zu Beginn der Begegnung? Äußert sich hier, in ihr Gegenteil verkehrt, auch die Angst, die Abwärtsbewegung könnte sich fortsetzen und Frau R. (und den Seelsorger!) letztlich überfordern? Die Patientin bejaht diese erste von vielen Fragen (R 1), nimmt aber das Thema nicht auf. Der Seelsorger fragt weiter (S 2), die Patientin präzisiert nun doch und signalisiert in ihrer Antwort (R 2), wie unsicher sie sich in einer Situation fühlt, in der auch die Ärzte nicht eindeutig handeln zu können scheinen und sie selber auf einen Entscheid warten muß. Der Seelsorger setzt erneut einen Kontrapunkt zum Thema von Angst und Unsicherheit und fragt die Patientin noch direkter, wieder sondierend und doch auch suggestiv, nach möglicher Hoffnung (S 3). Sie nimmt das Thema diesmal auf (R 3). In welchem Ton sie dies tut, muß offenbleiben. Liegt ein trotziges Aufbegehren in ihrer Stimme, tönt sie zuversichtlich oder verzweifelt? Auf alle Fälle sieht sie auch hier wenig eigene Einflußmöglichkeiten. "Es" wird wieder gut kommen. Das Gespräch führt ein erstes Mal ins gemeinsame Schweigen. Keineswegs selbstverständlich scheint mir, daß dies hier bereits möglich wird - ein Zeichen des Vertrauens, nehme ich an, das sich in den vorangehenden Begegnungen entwikkelt hat. Und doch kommt es mir zugleich so vor, wie wenn etwas übergangen würde. Was führt hier ins gemeinsame Schweigen? Ist es Abwehr oder Schutz? Welche Sprache sprechen die Augen? Vieles bleibt offen. Dem Seelsorger fällt nun die linke Hand von Frau R. auf, die "sehr stark angeschwollen" ist. Diese Hand scheint ihre eigene Sprache zu sprechen, die Wahrnehmung des Unheimlichen, der im Körperlich-Kompakten sich ausdrückenden "Handlungsunfähigkeit" unterbricht den gemeinsamen Versuch, die Situation einseitig in Richtung Hoffnung auszulegen. Wieder ist es der Vikar, der diesen Aspekt anspricht (S 4). Er benennt, was er sieht, gibt der Irritation Raum. Die Aussage enthält ein stark konfrontatives Moment und gibt zugleich dem Leiden Raum. Hat die Antwort der Frau (R 4) etwas Beschwichtigendes, oder bestätigt sie ihrerseits, wie sie ihrem Leiden ausgeliefert ist? Es ist, wie wenn diese Sequenz den vorangegangenen Ausruf der Frau - "Es wird wieder gut kommen" - in Frage stellte. Wieder folgt Schweigen. Ist es Zufall, daß der Seelsorger hier vermerkt, daß die Frau schweigt. Noch war es doch ein gemeinsames Schweigen gewesen. Die Gemeinsamkeit, die sich auf nonverbaler Ebene gezeigt hatte, scheint zu zerbrechen. Wieder drängt die Hand ins Zentrum der Wahrnehmung. Die Frau bedeckt sie nun: Hat sie die vorangegangene Bemerkung als Verletzung ihrer Intimsphäre erfahren? Will sie ihre Körperlichkeit vor dem konfrontativen, beobachtenden Zugriff des Vikars schützen? Der Seelsorger vermutet, daß Frau R. Mühe mit dem Sprechen hat und erzählt von den bevorstehenden "Festtagen" Karfreitag und Ostern, "re244
det über" den "leidenden und auferstandenen Jesus" und versucht, so "etwas Trost und Hoffnung" zuzusprechen. Diese Formulierungen lassen aufmerken: Seltsam distanziert hört sich dies an, das "Reden über". Auffällig ist auch, daß der Vikar nicht ausführt, wie genau er erzählt hat. Ob ihm dies unwesentlich erscheint? Ob er sich schämt? Ob auch er hier etwas verhüllt, das wir als LeserInnen nicht zu Gesicht bekommen sollen? Welches Verständnis von Seelsorge scheint hier au~: der seelsorgliche Akt als "Initiative", als "Zuspruch" von außen, als kerygmatisch gefüllte Erzählung, als das vom Amtsträger an die handlungsunfähige Kranke, die kaum mehr sprechen kann, ausgeteilte Wort? Setzt sich hier der Vikar in theologische Richtigkeiten ab, wo er sich dem Leiden, der Verzweiflung, dem Schweigen stellen sollte? Oder sind diese Worte Üb erbrückungshilfe , Hinweis auf Vertrautes, Schonfrist, die es Frau R. möglich machen, sich wieder zu fassen? Frau R. bleibt stumm. Der Blick des Seelsorgers scheint von der geschwollenen Hand förmlich angezogen, Frau R. versucht erneut, in einer szenischen Steigerung, diese zu bedecken, diesmal mit dem "Leintuch". Versucht sie, ihre Unversehrtheit noch einmal wiederherzustellen? Symbolisiert sie noch anderes, sehr Bedrohliches? Der nonverbale Tanz von Blick und Verhüllung, das Wechselspiel von Schweigen und Ansprechen geht weiter. Zugleich erweist sich der Vikar als sehr sensibel, spürt, daß sein Trost ins Leere gehen könnte, hält fest, daß sein Blick eine andere Sprache spricht. Warum wird nun Frau R. unversehens selber aktiv (R 5)? Hat der Vikar mit seiner Rede doch einen Raum geöffnet, etwas Wesentliches anklingen lassen? Will sie ihn aus seiner theologischen Verlegenheit retten? Ihr Vertrauen ist jedenfalls groß, denn das Erzählen eines Traums ist immer ein intimer Akt. Sie muß jetzt "immer daran denken". Wie dem Vikar die geschwollene Hand, scheint sich ihr der Traum fast zwanghaft aufzudrängen. Der Seelsorger fragt weiter. Er bleibt auf der Ebene der "Realien", fragt nach dem "Was" und dem "Wieso" (S 5-7), stellt eine geschlossene Frage, in der, wie die nächste Äußerung von Frau R. (R 8) zeigt, eine falsche Alternative eröffnet wird. Die Häufung von Fragen an dieser Stelle eines langen gemeinsamen Weges kann als kommunikatives Alarmzeichen verstanden werden. Und doch: der Seelsorger interessiert sich für den Traum, kommt der Frau in dieser Phase des Gesprächs näher. In knapper Rede und Gegenrede "ent-wickeln" sie das Thema, bei dem die Frau Expertin ist. Der Austausch führt schnörkellos zur Endgültigkeit des Satzes: "So, jetzt können Sie nicht mehr fertigmachen! " Wer ist dieser "Jemand", der hier spricht (R 8)? Was bedeutet "fertigmachen CI? Gehe ich fehl, wenn ich gar eine gewisse Genugtuung aus dieser Anrede heraushöre? Ein kurzes, beredtes Schweigen folgt. Unterstreicht es die Bedeutsamkeit des eben Gesagten? Unterbricht oder fördert es den Fluß der Verständigung? Mir fällt auf, daß der Vikar in seiner nächsten Frage nicht darauf eingeht, daß etwas unabgeschlossen, Fragment bleiben soll, sondern die Frau fragt, was sie noch fertigmachen will. Überraschend ändert sich nun der emotionale Fluß des Gesprächs. Weichen die beiden vor der Auseinandersetzung mit der Endgültigkeit des 245
Abschieds aus? Frau R. scheint das Angebot jedenfalls gerne aufzunehmen (R 9). Sie kommt auf ihre Jacke zu sprechen. Die Äußerungen tönen emphatisch: "Ja, eine Jacke. Die schöne Jacke ... ", "so gerne" möchte ich ... , "hoffentlich kann ich ... " Keineswegs selbstverständlich ist ihr dies. Irgendwie scheinen mit dem Thema der Jacke enorme psychische Energien angezapft. Das Sprechen macht ihr nun anscheinend gar keine Mühe mehr. Sie lebt auf, ist "wie verwandelt", spricht "mit kräftiger Stimme und hoffnungsvollen Worten". Eigentlich wollte der Seelsorger Frau R. auf den Tod ansprechen, wollte danach fragen, welche "unvollendeten Geschäfte" sie noch in Angriff nehmen könnte. Wieder erweist er sich als sensibler Beobachter von Inkonsistenzen, Abbrüchen. Angesichts des Auflebens der Frau getraut er sich nicht mehr. Ist dies ein letzter Ausdruck von Abwehr, ein Loslassen seiner eigenen Intentionen zugunsten dessen, was für die Frau nun wesentlich ist, oder will er gar sagen, daß hier etwas "Unberührbares" im Spiel ist, das er nicht mehr antasten kann? Ich breche die Paraphrase ab. Ich bin fasziniert von der Vielschichtigkeit dieser Begegnung. Irgendwie läßt mich dieses Gespräch nicht los. Weshalb eigentlich? H. Pastoralpsychologischer Interpretationsdurchgang
In einem zweiten Interpretationsdurchgang suche ich etwas größere Distanz und schließe einige pastoralpsychologische Beobachtungen und Betrachtungen an, die sich mir aufdrängen. Eine erste Bemerkung bezieht sich auf den Vikar. Es fällt auf, wieviele Fragen er stellt, wie er "über" Tod und Auferstehung Jesu redet und auch beim Traum an den Realien interessiert bleibt. Jene Aussagekategorie findet sich nicht bei ihm, die als Markenzeichen einer empathischen Gesprächsführung gilt: die "Verbalisierung emotionaler Gesprächsinhalte", die Reflexion von Stimmungen, von Unausgesprochenem und Halbbewußtem. Ganz gewiß ist dies ein Anfängerfehler, der immer wieder beobachtet werden kann. Vielleicht kommt hier auch eine Persönlichkeitsstruktur zum Ausdruck. Das "Sachohr"4 des Vikars ist jedenfalls stark ausgebildet. Er hört, was gesagt wird, versteht dies aber kaum als Ausdruck auch einer Beziehung, als Form der Selbstoffenbarung oder gar als Appell. Ich vermute zudem: Es geht in dieser Sachorientierung nicht zuletzt um die Abwehr massiver Gefühle: Überforderung, Angst vor der eigenen Sterblichkeit, Angst aber auch, sich dem Leiden dieser Frau, dem Entsetzen, dem Ende, dem Karfreitag an dieSchulz von Thun hat durch die Unterscheidung von Sach-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene viele Erkenntnisse der Kommunikationsforschung in einem eingängigen, vierdimensionalen Modell zwischenmenschlicher Kommunikation zusammengefaßt, das breite Aufnahme gefunden hat: F. Schulz von Thun, Miteinander reden: Störungen und Klärungen, Psychologie zwischenmenschlicher Kommunikation (rororo Sachbuch 7489), Frankfurt a. M. 1981, passim. 4
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sem Bett wirklich zu stellen. So bleibt dem Vikar die emotionale Ebene des Gesprächs letztlich unzugänglich. Er sieht vieles und hört vieles, vermag es aber nicht wirklich wahr-zunehmen. Ähnliches läßt sich bei Frau R. - zugespitzt durch die existentielle Situation schwere! Krankheit - vermuten: Sie verhüllt die Hand; sie betont ihre Hoffnung; sie verweigert eine Antwort auf die theologische Rede des Vikars, die anklingen läßt, daß es nun um "Letztes" geht; sie geht gerne auf sein Angebot ein, nicht von dem zu reden, was nicht mehr abgeschlossen werden kann, wohl aber vom Fertigstricken des Pullovers. Auch im Blick auf die Frau kann gefragt werden, ob sie vor dem fordernden Anruf, Fragment zu bleiben, nicht einfach in eine Phantasiewelt entflüchtet. Die Unfähigkeit beider, zu konkretisieren, auszusprechen und wirklich auszuhalten, was ist und sein könnte, ergänzt sich. Frau R. und der Vikar scheinen in gewisser Weise eine "Kollusion" einzugehen, deren Sinn vorerst einmal die Abwehr intensiver Ängste ist. Sie spielen zusammen, in einem faszinierenden nonverbalen und verbalen "Tanz" von Aussprechen und Schweigen, Aufdecken und Verhüllen, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Aufleben und Absterben. Am Protokoll selber läßt sich ablesen, wie wichtig dabei das Verhältnis der verschiedenen Ebenen der Kommunikation für den Gang des Gesprächs wird. Ein kommunikationstheoretisches Axiom scheint sich zu bestätigen: die nonverbale, "analoge", sich in Zeichen des Körpers, in Blicken, mimischen Reaktionen, Bewegungen ausdrückende Ebene der Beziehung erweist ihre Kraft, ihre metakommunikative Potenz, die die inhaltliche Dimension des Gesprächs, gerade dort, wo es sich üm theologische Richtigkeiten dreht, kategorial mitbestimmt. 5 Der Blick auf die geschwollene Hand und die Verhüllungsversuche von Frau R. bilden einen kommunikativen Kontrapunkt zur Beschwörung von Hoffnung und tröstlichen Inhalten der christlichen Tradition und verstärken sich bis zum Einsatzpunkt der Traumrede. Der Blick auf die geschwollene Hand stellt insbesondere die theologische Rede von Kreuz und Auferstehung in eine metakommunikative Klammer. Dieser "Zuspruch" erweist sichdies ist zumindest ein Eindruck, ich werde auf das Thema zurückkommen - ohne wirkliche Kraft. Es scheint dem Vikar nicht zu gelingen, seine theologischen Worte so auf die Wirklichkeit der Frau zu beziehen, daß sie erhellend wirken und Kräfte erschließen, die trösten. Besonders augenfällig wird diese Kraftlosigkeit christlicher Rede im Gegenüber zur dynamis<;hen Wirkung des Traums und des anschließenden Gesprächs. Fast schmerzlich deutlich wird die Spannung: hier die Worte von Kreuz und Auferstehung, die verstummen lassen, Verständigung unterbrechen, konterkariert durch eine geschwollene Hand, die v~rborgen werden muß, Mahnmal der tiefen Ambivalenz der Situation; dort der 5 Vgl. dazu nochmals Schulz von Thun, bes. 156ff, und insbesondere: P. Watzlawiek u. a., Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen und Paradoxien, Bern etc. 1969, bes. 61ff.
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Traum und das Bild vom Pullover, die eine ganze Welt von thematischen Bezügen erschließen und die Frau dynamisieren, was sich bis in ihre Physiologie hinein zeigt - von Müdigkeit und Nicht-Reden-Können ist nicht mehr die Rede. Der Traum entfaltet mit seiner inhaltlichen Topik in der existentiellen Situation, die durch unterschwellige Trauer um den möglichen Verlust des eigenen Lebens mitbestimmt ist, eine dynamische Bedeutung, die der Rede des Seelsorgers nicht eignet. Warum ermöglicht dies der Traumtext? Warum gehen von den theologischen Inhalten keine ähnlich erschließenden Wirkungen aus? Zudem: Könnte der Vikar nicht an die Metaphern des Traums anschließen und nochmals eine Brücke zum Thema von Tod und Auferstehung schlagen, Situation und Tradition, existentielle Frage und theologische Antwort in ein Verhältnis bringen, wie es theologisch reflektierte Hermeneutik haben möchte? Offenbar ist das Naheliegende nicht möglich. Der Vikar verpaßt gleich zweimal den Kairos in diesem Gespräch: zuerst will er Trost zusprechen, wo doch eher geschwiegen, vielleicht mit der Frau geklagt werden sollte; dann möchte er vom Tod sprechen, als die Seele der Frau sich schon längst Farben und Muster des Pullovers ausmalt. Das Symptom des Leidens, die geschwollene Hand, das sich immer wieder aufdrängt, wo er von Hoffnung und Trost sprechen will, und die Lebendigkeit dieser Frau in ihrer Schwäche machen ihn gleichermaßen sprachlos. Zu stark scheint die Dynamik von Angst und Abwehr, die sich im Gegenspiel der Kommunikationsebenen durchsetzt, als daß er merken könnte, daß hier in den Symbolen von Hand und Pullover möglicherweise gerade von dem gesprochen wird, wovon auch er sprechen möchte. Man könnte - ausgehend von der reichen Tradition der Traumpsychologie - nun die verschiedensten Aspekte auch des Traums hervorheben: 6 nach Jung seinen kompensatorischen Inhalt - die autoritative Stimme im Traum hebt das hervor, was die Frau zu verdrängen versucht -, die Art und Weise, wie der Vikar den Trauminhalt der Frau sozusagen entringen muß und dabei erneut in sie "eindringt" - nach den legendären Trauminterpretationen Fritz Morgenthalers zeigt sich gerade darin und nicht unbedingt im Inhalt das Unbewußte, ~as spielt -, nach Freud die Macht des Wunsches, der sich auch im Fortgang des Gesprächs wieder durchsetzt. Ich kann dies nicht breiter entfalten. Der Traum selber eröffnet jedenfalls den Zugang zu psychischen Energien, die die theologische Rede so nicht erreicht. Ganze Bedeutungswelten und erstaunliche Kräfte sind in wenigen Worten gebunden, die durch das Nachfragen des Vikars "entfesselt" werden. Was macht es Frau R. möglich, auf eine so intime Ebene der Kommunikation zu wechseln, wie dies das Erzählen eines Traums meist bedeutet? Ganz gewiß ist hier das Vertrauen wichtig, das durch das Bemühen des Vikars in den vier Gesprächen geschaffen wurde. Vielleicht spürt sie, daß auch der Vikar hier Unterstützung, gar Trost bedarf. Und doch schließe ich eine zusätzliche Vermutung an, die manches von dem, was 6
Vgl. dazu C. Morgenthaler, Der religiöse Traum, Stuttgart etc. 1992.
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ich bisher gesagt habe, etwas relativiert. Der theologische Monolog kann verstanden werden als Abwehr, als ein Ausweg aus einer emotional schwierigen Gesprächssituation. Vielleicht ist er aber doch mehr. Offensichtlich wirkt er nicht so, daß Frau R. den Kontakt zum Seelsorger innerlich abbricht, sondern eher so, daß sie sich zurückzieht und dann unmittelbar etwas für sie sehr Wesentliches ansprechen kann, wohl immer noch verhüllt in der Traumsprache und doch klar und deutlich. Das Summarium zu Karfreitag und Ostern könnte also als Einleitung zu einer Phase metaphorischer Kommunikation verstanden werden; die beiden Grundthemen des Leidens und der "Hoffnung trotz allem" klingen in den vielleicht etwas unbeholfenen Worten von Kreuz und Auferstehung an. Im Raum dieser Worte findet die Frau zu einer anderen Ebene der Verständigung: sie antwortet ihrerseits nun mit den Metaphern des Traums. Ein rhetorischer Tropus ruft so nach seinem Gegenstück. Auf etwas Schwerverständliches, das einem aufgedrängt wird, antwortet man am besten mit etwas Unverständlichem, das sich einem aufdrängt, auf Sätze, die nicht zum Ziel kommen, mit einem Satz, der festhält, daß man nicht immer zum Ziel kommen kann. Von daher erschließt sich ein letzter Aspekt dieses Praxis dokumentes , der mich fasziniert. Gewiß: der Vikar erweist sich in der Situation selber noch als Anfänger. Zugleich ist erstaunlich, was er wahrnimmt und zuläßt, wenn er seine Begegnung mit Frau R. dokumentiert: seine Sensibilität für die Bruchstellen der Kommunikation, seine Offenheit, mit der er die verschiedenen Aspekte des Gesprächs festhält, die wie tektonische Platten übereinandergeschichtet scheinen, sich stoßen, einander hinunterdrücken und hinauftreiben. So kommt es auch dazu, daß in diesem Gespräch die trostlose Trostrede des Vikars und das tröstliche Gespräch über den farbigen Pullover fast nahtlos aneinandergeraten. Mir scheint es diese Eigenart der Textkonstruktion zu sein, die dazu führt, daß sich das Protokoll in einer merkwürdigen Art dem definitiven psychologischen und theologischen Zugriff entwindet. Man kann in seinem Zentrum die Struktur einer Metapher entdecken: die Rede von Tod und Auferstehung ist wie eine Frau, die das endgültige "Aus" hört und einen neuen Pullover strickt. Man könnte auch einen Ausdruck Koestlers beiziehen und von der sozusagen bi-soziativen Struktur des Textes sprechen, den wir vor uns haben. 7 Zwei kategoriale Ebenen stoßen hier aneinander, die sich gegenseitig zu einer neuen Qualität steigern. Die Interferenz der beiden Textsorten, der theologischen Rede und der Traumerzählung destabilisiert vorgegebene Bedeutungen sowohl der Rede von Kreuz und Auferstehung wie der Traumerzählung, so daß neue Bedeutungen aufspringen können, die nicht fern von Witz und Ironie sind. Dies erscheint allerdings erst im nachhinein, auf der Ebene- des "Gesamttextes" , wie ihn der Vikar vorlegt, in der supervisorischen RekonVgl. P. Bühler, L'humour comme interface entre science et foi a partir d'Arthur Koestler, in: ders,fC. Karakash (Hg.), Science et foi font systeme. Une approche hermeneutique, Geneve 1992, 158f. 7
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struktion. Die Begegnung wird so dargestellt, daß sie auf eine Auflösung drängt, daß sie über sich hinausweist in eine Dimension, die so direkt nicht auszusprechen ist. IH. Pastoraltheologische Vertiefung N ach den beiden Interpretationsdurchgängen möchte ich die Frage wieder aufnehmen, von der ich ausgegangen bin. Dient die Analyse einer solchen Begegnung, wie dies Boisen vorgeschlagen hat, zu mehr als der Verbesserung seelsorglicher Praxis? Lassen sich aus einem solchen "Dokument lebendigen Glaubens" auch Einsichten für ein angemessenes theologisches Verständnis von Kreuz und Auferstehung Jesu gewinnen? Ich denke zuerst einmal: Das Protokoll zeigt den Einsatz eines Lernprozesses, angesiedelt zwischen Katheder und Krankenbett. Der Vikar befindet sich in einer Phase des Übergangs von seiner theologischen Ausbildung in die kirchliche Praxis. Vieles, was dieses Protokoll verdeutlicht, ist nicht nur individueller Vorgang, sondern in bestimmter Weise typisch. Wir können annehmen, daß der Vikar in der Situation, die ihm noch wenig vertraut ist, mit massiven eigenen Ängsten konfrontiert ist. Er hat in seiner Ausbildung gelernt, theologisch zu reden,die Bedeutung der Auferstehung Jesu in monologischer Form darzulegen. Aber er hat es wahrscheinlich weniger gut gelernt, Theologie im Gespräch, "Theologie als Gespräch"a zu verstehen, indem Inhalte des Glaubens gemeinsam entfaltet und weiterentwickelt werden, unter Rückgriff auf die klassischen Traditionen des Christentums, aber genauso radikal in Auseinandersetzung mit der existentiellen Wirklichkeit heute leidender Menschen. Er hat gelernt, theologische "Sachverhalte" wahrzunehmen; er hat es nicht gelernt, die in diesen Sachverhalten gebundenen Emotionen, die durch diese strukturierten Beziehungen, die durch sie ausgelösten Appelle richtig zu entziffern und angemessen darauf zu reagieren. So kann er letztlich nicht verständlich machen, was Auferstehung Jesu in der Situation dieser leidenden Frau denn nun bedeuten könnte, und ebensowenig theologisch dechiffrieren, was die Frau in nicht-theologischer Sprache zu formulieren versucht. 9 Von diesem Punkt aus läßt sich eine erste Rückfrage an theologische Hermeneutik und das Reden von J esu Auferstehung in anderen theologischen Disziplinen formulieren: Wird nicht generell in der Auseinandersetzung mit theologischen Traditionen und Themen das "Sachohr" überstrapaziert? Wo und wie lernen Studierende, Theologie im Gespräch, als Gespräch zu entwickeln? Wo und wie werden die von Kommunikationstheoretikern angemahnten anderen Ebenen der Verständigung miteinbezogen: die Art und Weise, wie unser theologisches Reden von der Auferstehung Jesu Beziehungen gestaltet, wie wir darin Persönliches über uns D. Tracy, Theologie als Gespräch. Eine postmoderne Hermeneutik, Mainz 1993. Ähnlich: M. Josuttis, Der Pfarrer ist anders. Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie (KT 20), München 1987 3 , 89ff. 8
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selber offenbaren, wie es Handlungsappelle aus sich entläßt? Kann denn von J esu Auferstehung angemessen geredet werden, wenn diese Dimensionen, wie mir vielfach scheint, fast vollständig ausgeblendet werden? Gewiß: auch die Sachdimension - wenn es denn eine "Sache" in diesem Zusammenhang überhaupt gibt -, zumindest die sorgfältige Auseinandersetzung mit den Inhalten der Texte, die kritische Rekonstruktion möglicher historischer Hintergründe und Zusammenhänge gehört zu dieser Theologie als Gespräch. Aber nicht nur sie. Die Rede von Auferstehung erreicht schlußendlich in der gesellschaftlichen und persönlichen Wirklichkeit das nicht, was sie ermöglichen könnte, wenn sie auf diese Dimension reduziert wird. Ich greife einen zweiten Punkt auf. Die Symbolik von Kreuz und Auferstehung, so wird in einem Standardwerk der Pastoralpsychologie, im "Dictionary of Pastoral Care and Counseling"lO vermerkt, lasse sich auf grundlegende Themen pastoraler Praxis beziehen. Sie ziele auf einen Bezug, der im christlichen Leben und in christlicher Seelsorge und Beratung aufrechterhalten bleiben müsse, auf mehrere Paare polarer oder dialektischer Gegensätze: Wirklichkeit und Möglichkeit, Ohnmacht und Macht, Verzweiflung und Hoffnung, Leiden und Vollendung, Sünde und Vergebung, Scheitern und Neuanfang. In jedem dieser Fälle sei es lebenswichtig, eine Balance oder doch Interaktion zwischen den Gegensätzen aufrechtzuerhalten. Ich denke, etwas von dieser Dialektik lasse sich auch in der Begegnung von alter Dame und Vikar wiederfinden. Sie spiegelt auf den verschiedensten Ebenen diese polare Spannung. Sie läßt die dramatische Dynamik von Angst und Hoffnung, Wirklichkeit und Illusion, äußerer Wahrnehmung und innerer Schau, Annahme des Endlich-Fragmentarischen und Hoffnung auf Vollendung erahnen, die Leiden und Todesnähe auslösen. Sie macht deutlich, daß ich Menschen in ihrer Würde angesichts des Todes nur dann ernst nehme, wenn ich meinen Blick nicht von den Symbolen entstellter Körperlichkeit - einer geschwollenen Hand - bannen lasse, sondern sie im Horizont einer Hoffnung verstehe, die Sichtbares und Vergängliches in einem neuen Licht erstrahlen läßt. Sie macht ebenso deutlich, daß ich von Hoffnung nur dann zukunftserschließend spreche, wenn ich auch die Realität des Leidens ganz wahrnehme. Die beiden Kategorien Kreuz und Auferstehung erweisen sich gerade in ihrem spannungsreichen Nebeneinander als Sprach-, Verstehens- und Strukturierungshilfe für diese Situation. In der Debatte um die Auferstehung J esu spielen in zunehmendem Ausmaß auch psychologische Überlegungen eine Rolle. 11 Von besonderem 10 R. J. Hunter (Hg.), Dictionary of Pastoral Care and Counseling, Nashville 1990, 250. 11 Z.B. wenn Lüdemann mit der psychischen Dynamik von Visionen argumentiert, Verweyen darauf rekurriert, nach einer Katastrophe seien es in einer Gruppe meistens die, die schon vorher laut gewesen seien, die sich bei der Deutung des Geschehenen durchsetzten, vgl. G. Lüdemann, Zwischen Karfreitag und Ostern, und H. Verweyen, "Auferstehung": ein Wort verstellt die Sache, beide in: H. Ver-
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Interesse ist dabei die Frage nach Sprachformen, die dem, was Menschen in Todesangst und Trauer erleben, Ausdruck verleihen können. Es ist eine wohlbelegte Tatsache, daß es die Sprache der Symbole, der Bilder, der metaphorischen Rede ist, die Menschen wählen, wenn sie von dem zu sprechen versuchen, was sich nur noch unter größten Ängsten in Sprache fassen läßt und doch einen Ausdruck finden will. 12 So scheint es mir nicht von ungefähr, daß die Frau hier die Metaphorik eines Traums, das Bild eines unvollendeten, farbigen Pullovers aufgreift, um von dem zu sprechen, was sie unbedingt angeht. Gerade in der Diskussion um das Buch von Lüdemann spielt zudem die Frage nach der Genese von Visionen und ihrer Durchschlagskraft eine nicht unbedeutende Rolle. Auch in unserem Dokument geht es letztlich um eine Form von "Vision". Das Beispiel zeigt, ohne daß wir uns in großen Spekulationen ergehen müssen, die Potenz solcher innerer Bilder, die motivierende, energetisierende, hoffnungs spendende Kraft einer erinnernden Vision gelungenen Lebens in einer Situation, in der alles anders zu werden droht. Ich will damit keine Parallele herstellen, wo keine direkte Parallele zu finden ist. Und doch: läßt sich nicht von Prozessen, die sich in "Dokumenten lebendigen Glaubens" heute spiegeln, ein Verständnis gewinnen für Prozesse, die sich in den Texten des Neuen Testamentes niedergeschlagen haben? Ein Vorteil bestünde dabei darin, daß bei einer solchen Korrelation, wie sie auch Boisen intendierte, nicht damalige Wirklichkeit reduktiv auf sozusagen geschichtsresistente psychische Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt würde, sondern komplexe narrative Strukturen aufeinander bezogen würden, die Psychisches wohl mitenthalten, aber nicht auf dieses reduziert werden können. Die Bewegung dieser Interpretation könnte auf einer grundlegenderen theologischen Ebene wiederholt werden. Verweyen hat in für mich überraschender und aufschlußreicher Weise die Frage aufgegriffen, ob mit der Kategorie von "Auferstehung", die tief in apokalyptischen Zusammenhängen verankert ist, denn das Wesentliche der Erfahrung der Jünger überhaupt angemessen ausgedrückt worden ist, "ob die Auferstehungsmetapher wirklich angemessen ist, das durch den Tod unanfechtbare Leben J esu in Gott und unsere sich darauf stützende Hoffnung für die Zukunft der Schöpfung auszudrücken"13, oder ob "Auferstehung" nicht ein Wort sei, das die Sache, um die es geht, eher verstelle. Könnte eine Seelsorgebegegnung, wie wir sie hier thematisieren, bei der Suche nach angemessenen sprachlichen Ausdrucksformen Hilfe zu einem Verständnis von "Auferstehung" werden? Eigenartig: alle Theologen, denen ich unser Protokoll vorlegte, reagierten ähnlich wie ich: Wenn denn überhaupt die Kategorie "Auferstehung" in sinnvoller Weise weyen (Hg.), Osterglaube ohne Auferstehung? Diskussion mit Gerd Lüdemann, Freiburg LB. etc. 19952 , z.B. 27ff. 12 Vgl. z.B. E. Kübler-Ross, Verstehen, was Sterbende sagen wollen. Eine Einführung in ihre symbolische Sprache, Stuttgart 1982. 13 Verweyen, 115. Ich kann hier die differenzierte Argumentation Verweyens nur rudimentär aufgreifen. 252
in dieser Begegnung im Spiel ist, dann weniger in der theologischen Rede des Vikars als im Gesprächsteil über den Pullover. Welche Interpretationsbewegung setzte eine solche Gleichung in Gang? Auferstehung wäre dann nicht supranatural zu denken, nicht als spektakuläres Großereignis mit weltgeschichtlichem Format. Auferstehung würde korreliert mit einem sehr bescheidenen Ereignis: mit dem halbwegs gelungenen Gespräch eines jungen Vikars mit einer schwerkranken Dame über einen Pullover, der unvollendet seiner Vollendung harrt und doch schon so neue Lebensgeister weckt. Auferstehung würde korreliert mit einem Moment gelungenen Lebens, mit einem bescheidenen poetisch-kreativen Alltagsakt: Dem Gleichmacher Tod, der Reduktion des Menschen auf die rein gesetzmäßigen Zusammenhänge der Natur, wird das eigene Werk, das eigene Bedeutungsmuster entgegengestrickt, hoffnungslos hoffnungsvoll. Auferstehung würde - wie in den Geschichten des ersten Ostertages - mit einem Alltagssymbol aus der Welt von Frauen korreliert, mit all seinen Bedeutungsnuancen, die es in einer Frauenbiographie entfalten kann. Gewiß ist dies eine gewagte Interpretationsbewegung. Theologisch scheint sie mir aber im besten Sinne frag-würdig. Dialogische, nichthierarchische, vor-läufige, nicht-patriarchale Deutungsmuster ließen sich daraus ableiten, die der Wirklichkeit dessen nahe kommen, was Jesus von Nazareth in seinem Leben gewirkt hat, und die Osterwirklichkeit in diesem Licht deuten. Charakteristisch für eine solche Interpretationsbewegung wäre nicht der triumphale Trompetenstoß, der Neues flächendeckend ausposaunt, sondern eher die nachträgliche, erstaunte , Ent-deckung, daß hier der Auferstandene anwesend war, wir es aber nicht wahrnahmen, weil "unsere Augen gehalten waren", auch wenn "unser Herz brannte". Eine solche Suchbewegung würde unterstützt, wenn neutestamentliche Erzählungen mit unserem "Text" als Deutungsfolie korreliert würden, wie dies Scharfenberg als Methode der Pastoralpsychologie vorgeschlagen hat. 14 Ich kann dies nur kurz andeuten. Gerade die Geschichte von den Emmausjüngern (Lk 24,13.35) scheint mir hier besonders aufschlußreich. Parallele Motive lassen sich im Bibeltext und im "Text" der Seelsorgebegegnung finden: der Weg in tiefes Leiden, der bereits zurückliegt, das erneute Unterwegssein im Banne von Leiden und Tod, die theologische Rede, die das Geschehen im Blick auf heilige Traditionen deuten will und vorerst nicht verstanden wird, die Alltagsgesten des Brotbrechens oder des Strickens. Die Begegnung mit dem Auferstandenen wird dabei nicht im Direktgang verständlich, verschließt sich, solange die Augen von der Dynamik der Trauer, von Todes- und Verlustangst und ihrer Abwehr gehalten sind. Erst vom Ende her kommt es zur staunenden Entdeckung eines Unberührbaren, der da ist, gerade wenn er entschwindet. Im Rückblick wird den Jüngern deutlich, was es bedeuJ. Scharfenberg, Einführung in die Pastoralpsychologie, GöttingenjMünchen 1985, 32ff.
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tete, daß ihr Herz brannte. Erst im nachhinein der supervisorischen Reflexion läßt sich in Analogie erschließen, welche Dimensionen der Wirklichkeit in der Begegnung des Vikars mit der alten Frau aufscheinen könnten. Ich greife einen letzten Punkt auf: die polaren Gegensätze, beispielsweise Wirklichkeit und Möglichkeit oder Verzweiflung und Hoffnung, müßten aufeinander bezogen bleiben, gar in Balance gehalten werden, so heißt es im "Dictionary of Pastoral Care and Counseling". Ich bin mir hier nach allem Gesagten nicht mehr so sicher. Balance? Angemessener scheint mir, hier nochmals die Kategorie Bisoziation aufzugreifen. Bühler hat gezeigt, wie das Prinzip der Bisoziation, von Koestler zuerst an der Kategorie des Witzes dargestellt, auch als Prinzip wissenschaftlicher Entdeckungen und einer Vernunft, die für das Unvorhergesehene offen ist, ausgelegt werden kann. Beides ist auch für Theologie von grundsätzlicher Bedeutung. Wenn man Koestlers Begriff von Bi-soziation in einem weiten Sinn versteht, könnte man sagen, die Theologie von Kreuz und Auferstehung bezeichne die grundlegende christliche Bi-soziation, die der Welt des Menschen einen unvorhergesehenen, unerwarteten Gott einschreibt. Diese Bi-soziation will den Menschen allen seinen Gewohnheiten des Denkens und Lebens entreißen, um ihm eine gänzlich neue Perspektive anzubieten. Sie begründet eine grundlegende humoristische Diskordanz von Glauben und Erfahrung. 15 Zumindest in ähnliche Richtung weist auch die bisoziative Struktur des Protokolls. In ihr sind Wirklichkeit und Möglichkeit, Verzweiflung und Hoffnung nicht einfach gleichschwebend ausbalanciert. Die Struktur des Protokolls weist vielmehr auf die Sprunghaftigkeit von Wirklichkeit, in der sich Gelungenes nicht festhalten, aber momentan, blitzartig, im Übersprung über Denkgewohnheiten und Gefühlsmuster als Geschenk unvergänglichen Lebens - der Trauer um alles Fragmentarische zum Trotz - erahnen läßt. Vom Gesagten her lassen sich auch die Ziele kritisch in den Blick fassen, die der Vikar in dieser Situation verfolgt. Ich erschließe sie aus seinen Worten: Er will trösten und er will die Frau dazu anleiten, sich "unvollendeten Geschäften" ihres Lebens nochmals zuzuwenden, solange es nicht zu spät ist. Er will, so scheint mir, mit beidem einen Beitrag zu einem guten, ja richtigen Sterben der Frau leisten. Ich nehme an, daß er sich dabei von Bildern und Wertvorstellungen leiten läßt, die in unserer Gesellschaft zur neuen Norm werden?16 Die Seele der Frau scheint in dieser Situation nach anderem zu verlangen, gerade vom Seelsorger anderes zu verlangen. 17 Sie nimmt ihn in dieser verzweifelten Situation als 15 Bühler, 163ff. - Ders., Witz und Geist, Das Komische als Prüfstein des christlichen Glaubens, in: Kirchenblatt für die reformierte Schweiz, 141. Jg., 1/1985, 2ft. 16 Hier liegt eine problematische Seite der durch Kübler-Ross ausgelösten breiten öffentlichen Thematisierung des Sterbens. Neue, psychologisch legitimierte Modelle des richtigen Sterbens haben sich damit etabliert, die leicht zur neuen Norm eines angemessenen Sterbens stilisiert werden. 17 Gestrich hat in interessanter Weise die Frage aufgeworfen, ob SeelsorgerInnen nicht von der Seele des Patienten unbewußt wahrgenommen und je in besonderer
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Anwalt der Hoffnung in Anspruch. Er scheint dies von Anfang an zu spüren. Gewiß ist dies auch Abwehr, Wunschdenken vielleicht. Und doch: ist dies nicht auch im Sinne der Texte, die christlichen Glauben begründen? Ist es vornehmste Aufgabe des Seelsorgers, Menschen bei der phasengerechten Abwicklung ihrer subjektiven Apokalypse auf leisen Sohlen tröstend und letzte Sterbeleistungen fordernd zu begleiten? Ist es nicht eher das, wozu die Frau den Vikar verführt: Menschen gerade auch dort zu begleiten, wo sie sich nicht an die Traktandenliste von Sterbenormen halten, die unsere Gesellschaft durchwirken, sondern eine letzte Freiheit in Anspruch nehmen, sie zu begleiten in die vielleicht verrückte, aber Lebenswürde realisierende, Hoffnung und Kraft schenkende Vision gelingenden Lebens. IV Die konstruktivistische Kritik an einem objektivistischen Verständnis von Wissen und Wirklichkeit und ihre Folgen für eine evangelische Pastoralpsychologie Ich habe mich im Vorangehenden auf ein Praxisdokument der Seelsorge bezogen und an ihm Gedanken zur Auferstehung J esu entwickelt. Wissenschaftstheoretische Fragen lassen sich hier anschließen: Welche Form von Wissen repräsentiert das vorliegende Praxisdokument eigentlich? In welche Richtung soll seine Interpretation getrieben werden? Wie bin ich im vorliegenden Fall vorgegangen?18 Ich möchte zur Verdeutlichung einer Antwort vereinfachend zwei mögliche Sichtweisen unterscheiden: Das "Protokoll" kann - bei allen Einschränkungen - verstanden werden als Wiedergabe dessen, was sich zwischen Vikar und Frau "wirklich" abgespielt hat, als eine reaktiv auf die Begegnung bezogene "Dokumentation", eine Darstellung der "tatsächlichen" Ereignisse und Beziehungen, als Ausdruck von Wissen, das sich durch eine möglichst nahe adaequatio intellectus et rei auszeichnet. Dieses Protokoll gilt als um so aufschlußreicher, je näher in ihm Realität und Abbild zusammenkommen; es erhält seinen Wert gerade dadurch, daß es der Begegnung, wie sie stattgefunden hat, möglichst entspricht. Weil dies wegen subjektiver Befangenheit immer nur annähernd möglich ist, wird im supervisorischen Prozeß zusätzlich eine Wirklichkeit erschlossen, die "hinter" diesem Protokoll steht. Diese Wirklichkeit ist, so wird angenommen, angemessener, wissenschaftlicher und auch präziser, als sie die handelnde Person im Protokoll wiedergeben kann. Ziel einer pastoralpsychologischen Auseinandersetzung mit diesem Protokoll ist dabei die vereinheitlichenWeise beansprucht werden und sich ein Teil ihres Auftrags eben aus diesem unbewußt präsentierten Auftrag ableiten lasse, der sich meist an den ersten Äußerungen eines Seelsorgegesprächs ablesen lasse: R. Gestrich, Am Krankenbett. Seelsorge in der Klinik, Stuttgart 1987. 18 Natürlich lassen sich solche Fragen auch im Blick auf die neutestamentlichen Texte zu Kreuz und Auferstehung und ihre Interpretation stellen. Leicht ließen sich auch hier die im folgenden beschriebenen Formen der Wirklichkeitsrekonstruktion wiederfinden. Ich kann diese Parallele aber nicht weiterverfolgen.
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de Entdeckung von psychologischen Gesetzmäßigkeiten und theologischen Sachverhalten, die immer und überall gelten. Grundlegende Bedeutungs einheiten der Interpretation und Analyse sind Begriffe und Schemen, die unterschiedliche Ereignisfolgen auf der Basis ähnlicher, ihnen innewohnender Eigenschaften zusammenbringen (z. B. die Ebenen der Kommunikation, die Bedeutung nonverbaler Metakommunikation). Dies darf als das gängige pastöralpsychologische Interpretationsmuster gelten. Elemente einer solchen Betrachtungsweise sind in meine Interpretation eingegangen. Dabei habe ich vor allem "Gesetzmäßigkeiten" von Angst und Abwehr, von verbaler Kommunikation und nonverbaler Metakommunikation herausgearbeitet, die Ursachen hervorgehoben, die Verständigung in diesem Gespräch schwierig machen. Damit ist aber ziemlich genau das umschrieben, was Neimeyer einen "objektivistischen Zugang" zur Psychologie nennt: 19 Psychologie und in ihrer Folge auch Psychotherapie und letztlich auch die Pastoralpsychologie, die sich seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts stark von Psychologie beeinflussen ließ, standen seit ihren Anfängen unter dem Einfluß eines von der frühen Entwicklung der Naturwissenschaften inspirierten psychologischen Modelles von Wirklichkeitsbeschreibung und -thematisierung. Die Angemessenheit dieses Interpretationsmusters wird von Vertretern einer konstruktivistischen Richtung innerhalb von Psychologie und Psychotherapie in einer Debatte, die in den siebziger Jahren eingesetzt hat und heute intensiv geführt wird, stark angezweifelt. Sie kann hier nicht in allen ihren Verästelungen nachgezeichnet werden. 20 Zugespitzt läßt sich diese Sicht von Wirklichkeit in einigen Thesen des radikalen Konstruktivismus zusammenfassen: Was wir "Wissen" nennen, repräsentiert keineswegs eine Welt, die angeblich jenseits unseres Erfahrungskontaktes mit ihr existiert. Menschliches Wissen ist eine menschliche Konstruktion. Wissen bezieht sich auf die Art und Weise, wie wir unsere Erfahrungswelt organisieren. Mittels konstruktiver konzeptioneller Operationen "möblieren" wir unsere Erfahrungswirklichkeiten mit Dingen, Zuständen und Ereignissen. Was wir als Wirklichkeit erfahren, hängt zusammen mit den "Bausteinen", die wir selber produzieren und zusammensetzen. Der Konstruktivismus gibt die Forderung auf, Erkenntnis sei "wahr", insofern sie die objektive Wirklichkeit abbilde. Statt dessen wird lediglich verlangt, daß Wissen "viabel" (lebbar, brauchbar, "begehbar") sein muß, insofern es in die Erfahrungswelt des Wissenden passen soll. Das Wissen ist nicht "Abbild" einer unabhängigen Wirklichkeit, 19 RA. Neimeyer, Constructivist Psychotherapies: Features, Foundations and Future Directions, in: ders.jM.J. Mahoney (Hg.), Constructivism in Psychotherapy, Washington 1995, 11ff. 20 Vgl. nochmals den von NeimeyerjMahoney herausgegebenen Sammelband; zudem z.B.: P. Watzlawick, Wie wirklich ist Wirklichkeit, Wahn, Täuschung, Verstehen, München/Zürich, 198513 . - K. J. Gergen, Realities and Relationships, Soundings in Social Construction, Cambridge/London 1994. Vgl. kritisch, v. a. zu den Thesen des "radikalen Konstruktivismus": R Nüse u. a., Über die Erfindung des radikalen Konstruktivismus. Kritische Gegenargumente aus psychologischer Sicht, Weinheim 1991.
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sondern Schlüssel, der uns mögliche Wege zur Wirklichkeit und zu wirksamem Handeln erschließt. Der radikale Konstruktivismus leugnet dabei keineswegs eine äußere Realität. Menschliches Wissen ist aber in der Auffassung dieser Realität beschränkt. So muß der Konstruktivismus auch auf sich selber angewendet werden. Er ist als konstruierte theoretische Position nur eine Antwort unter vielen auf das alte Problem der Erkenntnis. Seine Anwendung in bestimmten Bereichen (z. B. der Psychotherapie) kann zeigen, ob er eine viable Antwort ist, d. h. passende Problemlösungen möglich macht, einen Schlüssel zu neuen Möglichkeiten bietet. Wie ließe sich ein entsprechend ausgeprägtes Verständnis unseres "Protokolls" gewinnen? Es würde verstanden als ein Konstrukt, abgeleitet aus der Erfahrung und den Handlungen unseres Vikars, der sich hier darstellt, rechtfertigt, inszeniert und uns als Lesenden bestimmte Rollen zuschiebt. Über wahr und falsch entschiede nicht eine möglichst große Annäherung an die von diesem Text unabhängig zu denkende "Wirklichkeit". Dieser Text ist vielmehr Ausdruck einer Suche nach "viablern ", passendem Wissen, das sich zur Problemlösung in einem bestimmten Kontext eignet und neue Möglichkeiten erschließt. Das Interesse von Interpretation und Supervision zielte nicht darauf, "hinter" dem Text vereinheitlichend Gesetzmäßigkeiten psychischer Art und Richtigkeiten theologischer Art wiederzufinden, sondern hätte davon auszugehen, daß Wirklichkeitsrepräsentationen vielfältig, kontextuell, historisch und paradigmatisch sind, dieser Text in sich also eine charakteristische, einmalige "lokale" Wissensform darstellt und mit uns inszeniert. Er würde verstanden als "proaktiv" , als expressiver Ausdruck, als eine Art Plan für kommende, organisierte Aktivität. Supervision wäre weniger "Re-konstruktion" denn "Ent-wicklung" von "Wirklichkeit". Dabei würde das erzählerisch-auslegende, poetische und so auch anarchische Moment eines solchen Praxistextes und seiner Weiterentwicklung betont und Bedeutung nicht durch Vereinheitlichung, sondern durch Kontrast, durch das Herausarbeiten von Unterschieden und Bruchstellen konstruiert. Vieles kann in Kürze nur angedeutet werden. Trotzdem hoffe ich deutlich zu machen: eine konstruktivistische Sicht dieses Textes erschließt andere Dimensionen, baut auf einem anderen Verständnis von Wirklichkeit auf, führt zu anderen Perspektiven und Schlußfolgerungen. In der Interpretation der Begegnung, wie ich sie vorgelegt habe, sind ebenfalls Bewegungen enthalten, die ein solches Modell der Wirklichkeitsvorstellung beinhalten. Ich versuchte, unterschiedliche Perspektiven auf diesen Text zu eröffnen, Bruchstellen und Verwerfungen produktiv für das Verständnis zu nutzen und nicht reduktiv zu unterlaufen und gerade daraus auch ein theologisches Verständnis des Textes zu entwickeln. Dabei kam mir zugute, daß der Vikar selber die Mehrschichtigkeit des Prozesses, in den er verwickelt wurde, sensibel festhielt und so die Voraussetzung für eine kreative Weiterentwicklung seines inneren Handlungsschemas im Blick auf kommende Situationen schuf. 257
Ich bin der Überzeugung, daß damit neue Perspektiven für die Supervision eröffnet werden und viables Wissen geschaffen wird, das Praxis ebenso inspirieren kann, wie die kritische Rekonstruktion von psychischen Gesetzmäßigkeiten nach dem ersten Modell ein vertieftes Verständnis der psychologischen Zusammenhänge ermöglicht, das Praxis kritisch korrigieren kann. Ich denke also, daß sich die beiden Modelle nicht ausschließen, sondern weitertreiben. Ich frage mich zudem, ob hier - auf der Ebene von Prinzipien der Wirklichkeitsrekonstruktion und -konstruktion - nicht nochmals die theologischen Kategorien "Kreuz" und "Auferstehung" produktiv ins Spiel gebracht werden können. Während beim ersten Interpretationsmodell sozusagen der Karfreitag, das Scheitern theologischer Kommunikation in den Vordergrund rückt, können wir im zweiten Fall durchaus Spuren von Ostern in den Aktionen und dem Verhalten des Vikars - und seiner Dokumentation dieser Begegnung! - wiederfinden. Nochmals anders gewendet: Das "Kreuz" fordert kritische Annäherung an die "Wirklichkeit" in ihrer Wirklichkeitsform, an Faktizität, brutale Prozesse wie Alter, Tod und,Mißlingen von Kommunikation. Jede Konstruktion, die dies überspielt, erweist sich als Ausflucht und Abwehr. "Auferstehung" hingegen eröffnet "Wirklichkeit" in ihrer Möglichkeitsform, läßt unerkannte Perspektiven aufscheinen, einmalig, lokal, anarchisch, die in ihrer Einmaligkeit nicht zu ersetzen und not-wendig sind, die Alltags-Kreation des unvollendet-vollendeten Pullovers beispielsweise, die vorgegebene Muster sprengt und Erzähltraditionen - bis in diesen wissenschaftlichen Aufsatz hinein! - begründet. Beides läßt sich nicht einfach in Balance halten, sondern trifft bisoziativ aufeinander, läßt unerhörte Möglichkeiten aufspringen. Beides könnte sich gar - ist dies "wirklich" "möglich"? - in Ostergelächter lösen.
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Kritisches Forum
Nachzügler des 19. Jahrhunderts Exemplarische Überlegungen zum Wirklichkeitsbegriff im Gespräch mit Gerd Lüdemann Gerhard N oller Im Jahre 1778 hat G.E. Lessing das Fragment Nummer sieben des zehn Jahre zuvor verstorbenen Reimarus mit dem Titel: "Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger" herausgegeben. 1 A. Schweitzer nennt diese Schrift in seiner "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" "eines der größten Ereignisse in der Geschichte des kritischen Geistes" und bemerkt dazu: "Er (Lessing) war ein Denker, Reimarus nur ein Historiker. Aber es war das erste Mal, daß ein historischer Kopf, mit den Quellen vollständig vertraut, die Kritik der Überlieferung unternahm. Es war Lessings Größe, daß er die Bedeutung dieser Kritik erfaßte und ahnte, daß er zur Vernichtung oder zur Umbildung des Begriffs der Offenbarung führen müsse. Er erkannte, daß das historische Element den Rationalismus umbilden und vertiefen würde. Von der Bedeutung des Augenblicks ergriffen, die Skrupel der Familie des Reimarus, die Bedenken Nikolais und Mendelssohns mißachtend, innerlich selbst bangend für Dinge, die ihm heilig waren, schleuderte er die Brandfackel. ,,2
Reimarus vertritt in dem Fragment die These, Jesus sei nicht auferstanden, vielmehr hätten seine Jünger, tief enttäuscht über den Tod des von ihnen geglaubten Messias, den Leichnam J esu gestohlen und ihn fünfzig Tage verborgen, damit er, wenn man ihn je finden sollte, durch Verwesung unkenntlich sei. Danach hätten sie, die andere jüdische Messiastradition aufgreifend, aller Welt verkündet, er sei auferstanden und werde bald wiederkommen. Und dies hätten sie getan und erfunden zum Zwecke der Sicherung ihrer Existenz. Schließlich hätten sie auf den Missionsreisen die Erfahrung gemacht, "daß die Predigt des Gottesrei~hs ihren Mann wohl nährt" .3 Der Brand ist seither nicht verlöscht. Manchmal brannte es lichterloh, manchmal schwelte es nur. Dann schlugen wieder neue Flammen hervor. Der Pakt zwischen Offenbarung und Vernunft zerbrach. Der alte Rationalismus hatte die Wahrheit der Offenbarung noch einbezogen, der neue 1 H.S. Reimarus, Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Ungenannten, hg. von Gotthold Ephraim Lessing, Braunschweig 1778. 2 A. Schweitzer, Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Bd. 1, Gütersloh 1977,58. 3 A.a.O.63.
Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 259-272 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
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schloß sie aus. Neben das Offenbarungsbuch trat die historische Bibel, neben den dogmatischen Jesus Christus trat der historische Jesus. Die Frage nach der Wirklichkeit, oder noch klarer nach der Wahrheit der Wirklichkeit und ihren Kriterien ist nicht ausdiskutiert. Die konsequente kritische Historie erklärte die Wirklichkeit der Bibel nicht mehr theologisch, weder die Natur noch die Geschichte. Reimarus wandte als erster die neue Weltbetrachtung ganz konsequent auf die Geschichte J esu an. Die Frage nach dem wirklichen Geschehen kam von da an nicht mehr zur Ruhe. Seit über zweihundert Jahren zeugt eine kaum faßbare Menge von Veröffentlichungen von einem nicht erlahmenden Interesse an dieser Frage. Das jüngste Beispiel für die Aktualität der Frage nach der Auferstehung ist die These von G. Lüdemann, daß Jesus nicht auferstanden sei. Wieder ist der Brand für kurze Zeit aufgeflammt. Die Reaktion darauf hat den Eindruck erweckt, als ob Frage und Antwort ganz neu wären. Dabei ist erstaunlich, wie sich die Fragen und Antworten seit zweihundert Jahren gleichen, und zwar sowohl die der roman artigen Literatur als auch die der Wissenschaften. G. Lüdemann ist ein dankbarer Gesprächspartner, 1) weil bei ihm die Frage nach dem Verständnis der Wirklichkeit als dem eigentlichen Maßstab der Interpretation besonders hell aufleuchtet. Im Dialog mit ihm kann man aber auch zeigen, 2) was sich im Wirklichkeitsverständnis der Neuzeit verändert hat und 3) welche Konsequenzen sich daraus für eine theologische Interpretation des Geschehens ergeben. I. Wirklichkeit als Maßstab für die Interpretation
In dem mit A. Özen veröffentlichten Buch "Was mit Jesus wirklich geschah. Die Auferstehung historisch betrachtet" hat G. Lüdemann in gut verständlicher Weise noch einmal dargelegt, was die Auferstehungstexte bei konsequenter Anwendung der historischen Methode über das wirkliche Geschehen der Auferstehung aussagen. 4 Schon im Titel verwendet er den im Zusammenhang mit Jesus so oft benützten Begriff "wirklich". Das Buch eignet sich durch seine Allgemeinverständlichkeit besonders gut für eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Frage der Wirklichkeit. In der Frage der Wirklichkeit bedarf es eher der Beschränkung als der Weitschweifigkeit. Es nützt auch wenig, Bibelstellen übereinander zu häufen. Sie ergeben keine neue Wirklichkeit. In der Frage der Wirklichkeit ist weniger oft mehr. 4 G. LüdemannjA. Özen, Was mit Jesus wirklich geschah. Die Auferstehung historisch betrachtet, Stuttgart 1995. Das Buch, das sich vor allem an "Nicht-Fachleute" und "interessierte Laien" wenden will, ist eine allgemeinverständliche Fassung des 1994 von Lüdemann vorgelegten Buches "Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie". Die Übertragung ins Allgemeinverständliche hat vor allem A. Özen besorgt (5). Dort findet sich auch eine Aufzählung der Literatur der ersten Diskussionsrunde. Der folgende Text nennt als Bezugsperson Lüdemann. Zitiert wird die Seitenzahl.
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Das Neue Testament berichtet von der Auferstehung Jesu als einem Geschehen, das von Gott gewirkt ist. Die Bibel erklärt die Auferstehung J esu theologisch. Es handelt sich um ein Ereignis theologischer Realität. Gott ist Subjekt dieses Geschehens. "Gott hat ihn von den Toten auferweckt." Diese in vielen Formulierungen variierte und wiederholte Aussage, 5 die das Geschehen der Auferstehung J esu theologisch erklärt, entspricht dem Realitätsverständnis der Bibel insgesamt. Wie diese Formulierungen sind auch die Erzählungen vom leeren Grab sowie die Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen in ihrem Wirklichkeitsgehalt theologisch, sie erklären die Auferstehung aus der Wirklichkeit Gottes und seiner Wirksamkeit. Die konsequente historisch-kritische Forschung verneint die theologische Interpretation des Auferstehungsgeschehens. Bei Lüdemann geschieht dies exemplarisch. Die Erzählungen vom leeren Grab hält er für spätere Bildungen. Sie sind kaum historisch. Wörtlich sagt er: "Die Berichte über die Auferstehung Jesu und ihre Begleitumstände sind allesamt als Versuche zu verstehen, Unerklärliches doch zu erklären; mit dem wirklichen historischen Geschehen hat dies nichts zu tun. ,,6 Historisch dagegen sind eine Reihe von Erscheinungen. "Das einzige, was wir mit Sicherheit als historisch bezeichnen können, ist, daß es Auferstehungserscheinungen bald nach J esu Tod in Galiläa (und J erusalem) gegeben hat. Diese Erscheinungen sind nicht zu leugnen. ,,7 Lüdemann beschränkt sich auf die Erscheinungsberichte in 1Kor 15. Als konsequenter Anwender der historisch-kritischen Forschung läßt er allerdings auch ihren theologischen Wirklichkeitsgehalt nicht gelten und läßt keine göttliche Ursache der Erscheinungen zu. Sie sind zwar geschehen, aber sie wurden nicht von Gott gewirkt, man muß sie vielmehr psychologisch verstehen. "Die kritische Befragung der verschiedenen Auferstehungserscheinungen brachte ein überraschendes Ergebnis: Sie sind durchweg als Visionen erklärbar. ,,8 Lüdemann nennt die Visionen des Petrus und des Paulus originäre Visionen, "weil sie ohne äußere Auslösefaktoren geschahen".9 Bei ihnen steht die Vision jeweils im Zusammenhang mit den Schuldgefühlen wegen der Verleugnung Jesu bzw. der Verfolgung seiner Gemeinde. Die in 1Kor 15 weiterhin genannten Erscheinungen sind nach ihm Na chfolgevisionen , die durch die Petrusvision erst ermöglicht wurden. Sie erklärt Lüdemann als "Massenpsychosen (bzw. Massenhysterien)" .10 Die Folgerungen aus der Analyse der Christuserscheinungen faßt er dann so zusammen: "Damit muß als Urheber dieser Visionen aber nicht mehr Gott angenommen werden, wie dies inkonsequenterweise auch bei Vertretern der Visionshypothese noch häufig der Fall ist. Es sind vielmehr psychiApg 2,24; 3,15; Röm 4,24; 1Kor 15,15; Gal1,1 u.v.a. Lüdemann, 78. 7 A.a.O. 78f. 8 A.a.O. 122. 9 Ebd. 10 Ebd. 5
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sche Vorgänge, die nahezu gesetzmäßig - ganz ohne göttliche Eingriffe im Menschen selbst ablaufen. ,,11 Und die Konsequenz heißt: "Gleichzeitig ist damit gesagt, daß die Annahme einer Auferstehung Jesu als Voraussetzung zur Erklärung dieser Phänomene vollkommen unnötig ist. Eine konsequente modern-weltanschauliche Sichtweise muß der Auferstehung Jesu als historischem Geschehen den Abschied geben. ,,12 Subjektive und objektive Wirklichkeit sind ohne ein Wirken Gottes erklärt. Die Geschichten vom leeren Grab sind späte Formulierungen und deshalb unhistorisch, die Berichte von den Erscheinungen sind zum Teil historisch, finden aber psychologische Erklärung. Lüdemann ist deshalb ein spätes, sehr spätes Musterbeispiel für eine kompromißlose Auslegung der Bibel nach den Maßstäben der wissenschaftlichen Kriterien des deterministischen Weltbilds. Und ist es nicht symptomatisch, daß er sich zur Erklärung und Stützung seiner psychologischen Interpretation der Erscheinungen ausführlich auf eine Arbeit von C. Holsten aus dem Jahre 1868 beruft?13 Das war die Zeit, in der das deterministische Weltbild der Naturwissenschaft fast auf seinem Höhepunkt angelangt war. Darwins Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" war 1859 in Englisch und 1863 in Deutsch erschienen. E. Haeckel hat im gleichen Jahrzehnt seine frühen monistischen Werke veröffentlicht. Der Materialismus wurde zum beherrschenden Grundzug des Jahrhunderts. Gott spielt im Weltgeschehen keine Rolle mehr. Auch die Entwicklung des Lebens und der Vielfalt seiner Arten geschieht ohne Gott. Lüdemann bringt damit freilich auch die Erfahrungsgrundlage des erst heute voll von der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts geprägten Menschen zum Ausdruck. Die Entwicklung und Verbreitung fundamentaler Anschauungen dauert lang. Der Materialismus von Feuerbach, Marx, Nietzsche und Freud ist erst im 20. Jahrhundert in großer Breite zur Wirkung gekommen. Die "konsequente modern-weltanschauliche Sichtweise" ist die des aufgeklärten, von der Vernunft geleiteten Subjekts seiner selbst und seiner Welt. Darin hat Lüdemann ja wohl recht. Deshalb bekommt er in den Medien und im Publikum trotz der Widersprüche aus 11 123. In der Bemerkung Lüdemanns über die Inkonsequenz mancher Vertreter der Visionstheorie kommt die doppelte Entwicklung in der protestantischen Theologie der Neuzeit zum Ausdruck. Während im objektiven Bereich von Natur und Geschichte ein Wirken Gottes nicht erkennbar ist, anerkennen viele historisch-kritische Theologen die Wirklichkeit von Gottesbegegnungen auf der Subjektseite, der Person oder der Existenz. Konsequente Historiker wie Lüdemann lehnen auch diese ab, wobei dann doch noch ein Spalt für Gott offen bleibt (5.10). Dadurch ist auch eine Definition der Begriffe Vision und Erscheinung heute nicht mehr möglich. Das Buch benützt an manchen Stellen auch noch den Begriff "Schauung" (79.90.117). Er meint wohl konsequent den subjektiven Vorgang. Für die Auseinandersetzung zwischen konsequenten und inkonsequenten Historikern gibt es in der Auslegungsgeschichte immer wieder Beispiele vgl. E. Gräßer, Offene Fragen, in: ZThK 77, 1980, 200ff, und P. Stuhlmacher, " ... in verrosteten Angeln", a.a.O. 222ff. 12 Lüdemann, 123. 13 A.a.O. 112.
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der Kirche viel Zustimmung. R. Augsteins historisch gut fundiertes Jesusbuch z. B. ist neben vielen anderen aus demselben Wirklichkeits- und Wissenschaftsverständnis verfaßt. 14 Nach der "modernen Weltanschauung" sind Berichte von Gottes Wirken Märchen, Sagen, Legenden oder Mythen, sie sind psychologisch oder soziologisch oder kultisch oder sonstwie rational, auf alle Fälle anthropologisch und da vielleicht sogar religiös, mindestens religionsgeschichtlich, doch auf keinen Fall theologisch, im Sinne göttlicher Wirklichkeit, zu erklären. Gott wirkt nicht ein. Doch diese moderne Weltanschauung entspricht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Lüdemanns Weltbild ist geschlossen, ist monistisch wie das von E. Haeckel in seinen "Welträtseln" . Die heutige Naturwissenschaft ist offen. Wissenschaft überhaupt ist offen. Der Historismus hat einst die abgeschlossene Methode der Naturwissenschaft übernommen. Es kann nicht sein, daß diese sich geöffnet hat, die Geschichtswissenschaft aber geschlossen bleibt. So aber ist es bei Lüdemann. Am Ende des 20. Jahrhunderts noch so zu argumentieren Wie am Ende des 19. Jahrhunderts ist m. E. in hohem Maße unwissenschaftlich. H. Veränderungen im Wirklichkeitsverständnis der Neuzeit
Kein Physiker kann heute mit Bestimmtheit sagen, was wirklich ist. Die Grenzen sind durch die Quantentheorie fließend geworden. Wir wissen nicht, ob die kleinsten Einheiten (Teilchen) materiell oder ideell sind. Durch das beobachtende Subjekt wird die Wirklichkeit an ihren Rändern unscharf. Korpuskel und Welle sind komplementär. Das Prinzip der kausalen Notwendigkeit gilt nicht mehr durchgehend, Wahrscheinlichkeit ist an die Stelle der Kausalität getreten. Die Chaosforschung hat ihren Namen nicht von ungefähr. Bei manchen Biologen taucht angesichts der Tatsache, daß die Elementarteilchen auf die Entstehung von Leben und vor allem von intelligentem Sein angelegt sind, die Frage nach Gott wieder auf. Es gibt die These, daß die einfachen Elementarteilchen, aus denen die Vielfalt der Strukturen hervorging, etwas mit Gottes Schöpfung zu tun haben könnten. Oder auch dieses: Niemand kann sagen, ob unser Gehirn selbst den Geist produziert oder nur die Hardware für den Geist ist. Der alte Streit um die Grundlagen ist in der Naturwissenschaft im Gang. Wenn die Naturwissenschaft so offen ist, wieviel mehr müßte es die Historie sein, deren Forschungsbereich noch viel komplizierter ist! Um den Unterschied in der Welt- und Wirklichkeitsbetrachtung der Naturwissenschaften zu erkennen, vergleiche man E. Haeckel, Die Welträtsel von 1899, Stuttgart 1984, mit J. Brockman, Die dritte Kultur. Das Weltbild der modernen Naturwissenschaft, München 1996. Vgl. auch S.W. Hawking, Einsteins Traum. Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit, Hamburg 1993.
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R. Augstein, Jesus. Menschensohn, Gütersloh 1972. 263
Man kann allerdings an den offenen Stellen der Naturwissenschaft nicht einfach Gott einsetzen. Man würde ihn sonst zum Lückenbüßer machen wie die Wissenschaft den Zufall, um ihre ungelösten Verlegenheiten zu überbrücken. Natur und Geschichte sind insgesamt offen. Man kann Gott nicht ausschließen aus dem geschichtlichen Geschehen, wie der Historismus das tut. Seine Auslegung der theologischen Wirklichkeit der Bibel ist gekennzeichnet durch die anthropologische Gefangenschaft der Theologie in der Modeme. Wenn der Begriff Metaphysik nicht im mißverstandenen Sinne der Überwelt Platons, sondern im Sinne einer Grundlegung wie bei Aristoteles, Kant und Heidegger auch von Theologen verstanden würde, dann wäre die "Weltanschauung" Lüdemanns in ihrer Zentrierung auf den Menschen anthropologische Metaphysik, und dieser wäre in der Ausschließlichkeit seines Historismus ein anthropologischer Fundamentalist. E. Haeckel hat 1899 den Satz geschrieben: "Daß die ,Auferstehung des Fleisches' unmöglich ist, weiß eigentlich jeder, der einige Kenntnis in Anatomie und Physiologie besitzt. ,,15 Genau dieser Satz voller Geringschätzung und Einbildung ist falsch. Weder physikalisch noch biologisch noch psychologisch ist dieses Fleisch, ist der tote Leib, abschließend zu erkennen und zu beurteilen, sondern da ist immer noch Erklärungsoffenheit. Grundsätzlich ist die ganze Welt wie auch jedes Teil(chen) von ihr offen auch für eine theologische Erklärung, die selbst auch wieder offen sein muß gegenüber anderen Deutungen. Der Anatom der Wirklichkeit am Ende des 20. Jahrhunderts kommt an kein Ende seines Zergliederns, Sezierens und Teilens. Es könnte sein, daß er da am Ende seines Forschens nur auf Ideen trifft oder daß er auf unermeßliche Kräfte stößt, von denen der Monist im 19. Jahrhundert noch nichts geahnt hat. Vielleicht begegnet ihm eines Tages dort auch wieder der Logos, der nach Joh 1 in Jesus Fleisch geworden ist.
Lüdemann nimmt die Wirklichkeit des neuzeitlichen Weltbildes zum Maßstab für seine radikale Kritik am Wirklichkeitsverständnis der Bibel und befindet sich damit in der Hauptspur der Bibelkritik seit 200 Jahren. Aber er ist nicht mehr auf dem Stand der Wissenschaft. Was für Reimarus neu unq. mutig war, was von Strauß stürmisch angegangen wurde, was bei Bultmann schon im Vergehen war, ist bei Lüdemann fast peinlich unmodern. Ein Theologe aber sollte als Wissenschaftler nicht ein Nachzügler des 19., sondern ein Protagonist des 21. Jahrhunderts sein. Lüdemann will ja trotz seiner radikalen Kritik am Christsein festhalten, befreit von dem Ballast dessen, was der moderne Mensch nicht glauben kann. Die Entscheidung des Glaubens fällt nach seiner Meinung allerdings nicht am auferstandenen Christus, sondern am historischen Jesus "wie er uns durch die Texte vorgegeben ist und durch historische Rekonstruktion als Person begegnet".16 Wer die traurige Geschichte der Leben-Jesu-Forschung kennt und wer weiß, wie unsicher die Realität der Ergebnisse dieser Forschung ist und wie wenig Verlaß auf die Historie in diesem Bereich ist, müßte über die Maßen erstaunt sein, wenn ihn nicht die nächsten Schlüsse noch mehr in Verwunderung setzen würden. Die lauten: "Allerdings glaube ich, daß dieser Jesus durch den Tod nicht der Vernichtung anheimgegeben wurde. Unser Glaube an sein Sein bei Gott, seine Erhöhung, seine Auferstehung [sic!] und sein Leben ergeben sich aus unserer Gemeinschaft mit Gott wie von selbst - aber in beständiger Bezogenheit auf Jesu Menschsein -, ohne daß freilich Aussagen über die Art seines gegenwärtigen Seins möglich sind. 15 16
A.a.O. 253. Lüdemann, 129.
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Er ist uns als der Erhöhte verborgen, und allein in Gott liegt unser Zugang zu ihm. Wir müssen uns an den geschichtlichen Jesus halten, dürfen aber glauben, daß er auch als der nun Lebende bei uns ist. ,,17
Durchbricht Lüdemann nun hier die "moderne Weltanschauung" oder ist J esus nur psychologisch bei uns wie bei Petrus und Paulus? Auch die Frage nach der eigenen Zukunft, nach dem eigenen Tod läßt die Frage nach der Wirklichkeit im Zwielicht. "Ich glaube, daß die im Glauben erfahrene Einheit mit Gott über den Tod hinaus anhält. Sie vollendet sich in Gott noch in der Nacht des Todes - darüber hinaus nach Ereignissen im Jenseits zu fragen, macht keinen Sinn. ,,18
IIr. Auferstehung als Gottes Möglichkeit in einem offenen Wirklichkeitsverständnis Ich bin der Meinung, daß zwar die anthropologische Metaphysik, "die modern weltanschauliche Sichtweise" in unserer sich immer noch säkularisierenden Gesellschaft weit verbreitet ist und sich noch weiter ausdehnt (siehe Kirchenaustritte in den alten Bundesländern und fortdauernde Entchristlichung in den neuen Ländern). Aber die Wissenschaft gibt dazu keinen Beweis mehr her. Sie ist offen. Sie kann und will weder die Wirklichkeit Gottes noch das Gegenteil beweisen. Der konsequente Historiker trägt ein überholtes Weltbild in die Bibel hinein, anstatt umgekehrt die unbestreitbar durchgängige theologische Wirklichkeit der Bibel unter den Bedingungen der wissenschaftlichen Erkenntnisse heute zu verstehen und zu realisieren. Nur eine theologische Wende kann die Theologie aus der anthropologischen Gefangenschaft der neuzeitlichen Metaphysik befreien. Theologische Realisation überträgt das theologische Wirklichkeitsverständnis der Bibel in die moderne Welt. Sie fragt, was die Bibel durch ihre verschiedenen Formen heute sagen will. Bei der Auferstehung heißt dies ganz konkret: Wie kann die Auferstehung J esu . unter den Bedingungen unseres Wissens um Wirklichkeit heute verstanden werden?19 Lüdemann bezeichnet das Auferstehungsgeschehen im Stil der Kritiker des 19. Jahrhunderts verschiedentlich als "Wiederbelebung eines Leichnams,,20. Die Berichte von den Erscheinungen als auch die vom leeren Grab reden diese Sprache nicht. Sie sind viel zurückhaltender. Wie sie ja auch nicht den Hergang der Auferstehung schildern,21 sondern nur die Tatsache ihres Geschehenseins. Das Neue Testament legt Wert auf die leibliche Identität des Auferstandenen mit dem irdischen J esus und will zeigen, daß der Auferstandene lebt und eben nicht nur eine Vision oder A.a.O. 129. Ebd. 19 Vgl. G. Noller, Metaphysik und theologische Realisation. Das Ende der metaphysischen Grundstellung der Neuzeit und die Neubesinnung auf die theologische Wirklichkeit der Bibel, Zürich 1990. 20 126f. 21 Darauf weist auch Lüdemann hin: 29. 17
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ein Phantom ist. Aber er ist in einem neuen Sein. Er kann in geschlossene Räume eintreten und unbemerkt da sein und gehen. Ein "wiederbelebter Leichnam" kann das wohl kaum. Der Auferstandene ist Realität, ist wirklich, im Sinne theologisch erklärter Wirklichkeit. Nach unserer Kenntnis von Körperlichkeit muß man die Vorstellungen eher noch weiter sublimieren, anstatt sie provozierend zu vergröbern. Bei Lüdemann sind die Erscheinungen, die er für historisch hält, psychische Vorgänge. Das sind die Möglichkeiten seines ausschließlich auf den Menschen zentrierten Weltbilds, das determiniert und geschlossen ist. Theologische Realisation überträgt das Geschehen der Erscheinungen in ein offenes Weltbild, das Raum läßt für Neues und Kontingentes. Die Erscheinungen können auch nach den Bedingungen und Möglichkeiten modernen Wissens durchaus durch göttliches Wirken hervorgerufen sein. Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Welt leer, leergefegt durch das damalige Wissen. Heute, am Ende des 20. Jahrhunderts ist die Welt voller Kräfte und Strukturen, die der Mensch neu entdeckt hat. Wir sind umgeben von Tausenden von Worten und Bildern, die wir empfangen und die uns virtuell begegnen können, aber auch von Kräften, von denen wir nur denkend wissen, die wir nicht mehr mit dem Bereich unserer Sinne wahrnehmen. Und sicher sind um uns Kräfte, von denen wir nichts wissen. Wir leben in einer offenen Welt mit unbegrenzten, von uns nicht begrenzbaren Möglichkeiten. Das Erscheinende oder der Erscheinende können in das Offene eintreten, können sich zeigen. Auch Welt wird von uns nicht absolut objektiviert, auch Welt offenbart sich. Wieviel mehr Gottes Wirklichkeit! Theologische Realität und ihre Realisierung heute sind möglich. Lüdemann reflektiert darüber, daß Auferstehung im Rahmen der Möglichkeiten des damaligen Weltbildes lag. Aber wirklich war sie nach dem konsequenten Historiker doch wohl auch damals nicht! Lüdemann fordert eine Interpretation im Rahmen der heutigen Möglichkeiten und weist darauf hin, daß es in Zukunft wieder andere Möglichkeiten geben könne. Aber es kommt ihm nicht in den Sinn, daß sein deterministisches wissenschaftliches Weltbild von gestern ist und daß die Möglichkeiten sich geändert haben. 22 Die heutige Wirklichkeit wird von der Vielfalt möglicher Auslegungen geprägt. Im Sinne einer pluralen Wahrheit kann es durchaus eine psychologische Ausle-
gung der Erscheinungen geben. Der wissenschaftliche Psychologe kann die Erscheinungen psychologisch erklären, aber er darf seine Erklärung nicht verabsolutieren, sondern muß sie offenhalten. Auch der wissenschaftliche Theologe kann verschiedene Interpretationen von Wirklichkeit aufzeigen. Aber er darf Gott nicht auf die Ebene psychischer Wirklichkeit reduzieren, wenn er wissenschaftlich ernst genommen werden will. Dabei wäre anzumerken, daß die Wirklichkeit der Seele nicht sicherer ist als die Wirklichkeit Gottes trotz aller Psychologen. Kant hat das noch gewußt. Was ist, wenn alles Chemie ist! Diese Ungewißheit gilt ja auch für andere Verlegenheitsbegriffe heutiger Weltbetrachtung wie Zufall oder Selbstorganisation. Sie sind nicht gewisser als des Gläubigen Gott. Die Wirklichkeit ist vielfältig auslegbar, dialektisch, theologisch und im Chor der Wissenschaften vielfältig anthropologisch. Aber jede Auslegung muß offen bleiben und 22
A.a.O. 127.
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korrigibel sein. Auch heute kann der Christ in den Erscheinungen des Auferstandenen theologische Wirklichkeit erkennen. Diesen personalen Weg der Gottesbegegnung ist die protestantische Theologie in vielfältigen Variationen gegangen. Der Einfluß Kants, der reale Gotteserkenntnis im Bereich der objektiven Welt der theoretischen Vernunft verneinte, jedoch Gotteserkenntnis oder besser Gottesanerkenntnis im subjektiven Bereich der praktischen Vernunft postulierte, war für diese Entwicklung von großer Bedeutung. Schwieriger zu verstehen sind sicher die Erzählungen vom leeren Grab. Wenn man sich auf die Historiker verlassen könnte, wäre es sehr einfach die These zu übernehmen, daß die Berichte vom leeren Grab unhistorisch sind. Dann wären sie spätere Interpretamente des zurückliegenden und längst wirkungsvoll gewordenen Glaubens an die Auferstehung. Durch sie würden die subjektiven Erscheinungen objektiv abgesichert. Aber da ist kein Verlaß. Wo eigentlich sonst? Eine ganze Reihe von neutestamentlichen Historikern hält die Geschichten vom leeren Grab für die älteren Texte. 23 Paulus sagt uns in 1Kor 15 nichts über das leere Grab. Feministische Theologie ist nicht wenig interessiert am Vorrang der Frauen bei der Begegnung mit dem Auferstandenen. Aber ob nun so oder so: Es geht um theologische Realität, die der Glaube dadurch realisiert, daß für ihn das leere Grab der Ort ist, an dem der Tote und mit ihm der Tod nicht mehr ist. Das leere Grab wird ja von den Verfassern der Texte nicht einfach leer gelassen, sondern schon immer in seiner Bedeutung interpretiert. Da sitzt bei Markus der junge Mann in weißem Gewand im Grab und sagt zu den Frauen: "Ihr sucht J esus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten" (Mk 16,6). Uns sagt dasselbe die Bibel. Wir hören als moderne Menschen die Botschaft vom Auferstandenen und vom leeren Grab. Wir sehen die Stätte nicht, da sie ihn hinlegten. Wo es bei der Geburt und beim Tod, beim Kommen Jesu in diese Welt und bei ihrem Verlassen um biologische Vorgänge geht, tut sich unser Verstand besonders schwer. Wir versuchen zu verstehen und zu erklären. Schon damals gab es nach Matthäus den Verdacht des Diebstahls durch die Jünger, den dann Reimarus erneuert hat. Andere sagen, Jesus sei nur scheintot gewesen und sei entführt worden oder selbst untergetaucht. Die vielen Veröffentlichungen zeigen, daß die menschliche Phantasie bis heute an dieser Stelle nicht zur Ruhe kommt. '
Wenn Lüdemann provozierend grobschlächtig sagt: "Das Grab Jesu war nicht leer, sondern voll, und sein Leichnam ist nicht entwichen, sondern verwest" ,24 dann gilt das nur pauschal im Sinne des modernen Weltbilds. Hier entpuppt sich der anthropologische Dogmatiker, der in seinem anthropologischen Vorverständnis als Subjekt der Wirklichkeit bestimmt, was ist. Denn Genaues weiß kein Historiker über das Grab. Lüdemann vertritt ja selbst die These, die Frauen und Jünger hätten nIcht gewußt, wo Jesus begraben wurde. 25 Es gibt viele historische Meinungen zum "wirklichen" Jesus, nach denen Zeit und Ort seines Begräbnisses gar nicht bekannt sein können. Das Geheimnis um das leere Grab bleibt. Die Frage an mich ist, ob ich den vielen verschiedenen Urteilen der Historiker vertraue oder der Interpretation der Bibel glaube: "Er ist nicht hier, wo ihr ihn sucht, er ist auferstanden." Die Antwort eines HistoriVgl. dazu U. Luz, Aufregung um die Auferstehung Jesu. Zum Auferstehungsbuch von G. Lüdemann, in: EvTh 54, 1994, 476ff, 479. - W. Pannenberg, Die Auferstehung Jesu - Historie und Theologie, in: ZThK 91,1994, 318ff. Pannenberg bezieht sich vor allem auf von Campenhausen (324f). 24 Lüdemann, 127. 25 A.a.O. 28.53.
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kers, der offen ist und in die Zukunft weist, kann nicht heißen: Er ist nicht auferstanden. Sie kann nur lauten: Mit meiner historischen Methode kann ich diese Frage nicht entscheiden. 26 Daß Auferstehung etwas mit Leiblichkeit und Körperlichkeit zu tun hat, ist Allgemeingut des Neuen Testaments. Körperlichkeit ist im modernen Weltbild ein Problem der Komplementarität. Wissen wir denn genau, was unser Körper sein kann? Doch nicht nur diese materielle, objektivierbare und reflektierbare Gestalt, die wir mit den Sinnen wahrnehmen. Sondern doch auch ganz Seele oder ganz Geist, nicht als Kompositum, sondern als je ganzes - je nach Relation. Oder jenes Bündel von Strahlen, jene Auflösung in Energie als die andere Seite der Materialität. Auf jeden Fall die Überwindung des toten Körpers und die Gewinnung eines neuen Seins. Das geschlossene Weltbild des deterministischen Historikers ist auch an dieser Stelle überholt. Übrigens war die Auferstehung des Leibes schon damals umstritten. Nicht nur in der antiken Heidenwelt, sondern schon im. Neuen Testament gibt es Zweifel und Zweifler. Die griechische Antike war im Leib-Seele-Denken gefangen. Um so wunderbarer kommt es einer Bestätigung der Auferstehung nahe, daß Christi Tod und Auferstehung fast alle damaligen Unsterblichkeitsvorstellungen auf sich versammelt hat. Der große liberale Theologe A. von Harnack, der Jesus ausßem Dogma entnommen und ihn vom Verkündigten zum bloßen Verkündiger gemacht hat mit dem berühmten Satz, daß nicht der Sohn, sondern allein der Vater in das Evangelium gehört,27 hat die folgenden herausragenden Sätze zur Auferstehung J esu geschrieben: "Was sich auch immer am Grabe und in den Erscheinungen zugetragen haben mag - eines steht fest: von diesem Grabe her hat der unzerstörbare Glaube an die Überwindung des Todes und an ein ewiges Leben seinen Ursprung genommen. Man verweise nicht auf Plato, nicht auf die persische Religion und die spätjüdischen Gedanken und Schriften. Das alles wäre untergegangen und ist untergegangen; aber die Gewißheit der Auferstehung und eines ewigen Lebens, die sich an das Grab im Garten des J oseph knüpft, ist nicht untergegangen. ,,28
Es gehört zu den besonderen Wundern der Geschichte, daß sich die großen religiösen Themen des Altertums in Jesus erfüllt und in ihm ihr Ziel und ihre Antwort gefunden haben: die Fragen nach der Erlösung, der Versöhnung, der Rechtfertigung, der Gesetzeserfüllung, der Entdämonisierung und so auch die Frage nach der Überwindung des Todes und dem ewigen Leben. Wenn heute diese Ganzheit und Vielfalt der Bedeutung Jesu Christi in einzelne Streitfragen zerrissen wird, ist dies sektiererisch. Die Vereinigung der Religionen auf die neue Weltreligion war nur möglich, weil im Christentum jüdisches und griechisches Glauben und Denken aus großer Vielfalt zusammengeflossen ist. Die Trennung dieser beiden konstituierenden Elemente gehört zum modernen Fehlweg. Notwendig ist ihre neue Interpretation. Der biblische Jesus ist weVgl. Luz, 479. A. von Harnack, Das Wesen des Christentums, München und Hamburg 1900/ 1964,92. 28 A.a.O. 102. 26
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der Jude noch Grieche, sondern er vereinigt beide Traditionen im auferstandenen Christus. Ihn gilt es in der heutigen Welt zu realisieren, und nicht eine Rekonstruktion des historischen J esus. Damit sind wir wieder beim Problem der dialektischen Wirklichkeit. Ich kann mit Feuerbach und all denen, die die anthropologische Religion vertreten, im Grunde mit allen Materialisten, die Geschehnisse und Ereignisse als nur menschlich gewirkt verstehen. Auferstehung als Projekt menschlicher Wünsche und Sehnsucht, als Idee des Gehirns und der Körperchemie. Damit befinde ich mich im Bereich nur menschlicher Wirklichkeit. Da ich auch betroffen bin von der neuzeitlichen anthropologischen Metaphysik, ist mir dieser Aspekt wohl vertraut. Aber im Glauben kenne ich die andere Wahrheit, die theologische Realität, die ich realisiere durch das Hören auf die Botschaft von der Auferstehung. Diese Botschaft interpretiert mir Kreuz, Tod und Grab als Leben in der Wirklichkeit Gottes. Dabei hat sich meine Vorstellungswelt verändert. Wirklichkeit Gottes ist ein sehr subtiler, nicht mit den Mitteln grober Sinnlichkeit wahrnehmbarer Vorgang, ist ein Grenzwert erkennbarer und denkbarer Wirklichkeit dort, wo Idee und Stoff, Geist und Leib nicht mehr einfach unterschieden werden können. Theologisch interpretiert ist auch unter den heutigen Bedingungen Auferstehung möglich und wirklich. Aber sie ist eben nicht nur psychologisch oder spirituell, existentiell, symbolisch oder religiös zu verstehen, sondern sie hat ihre Wirklichkeit in Gott und seiner Möglichkeit. Die Dynamis Gottes ist die Wirklichkeit der Auferstehung. Was da als Religion und damit nur als Werk des menschlichen Geistes erscheint, hat in einer offenen Welt seinen letzten Grund in Gott. Was ihn erst zu erschaffen scheint, ist durchaus sein Geschöpf. Paradoxe Erkenntnis erkennt Bild und Abbild in je eigener Qualität. Der gedachte und der wirkliche Gott nähern sich einander im Unendlichen. Ich werde als moderner Mensch das Geschehen der Auferstehung nicht versinnliehen und dadurch vergröbern, sondern ich weiß, daß es sich um einen Vorgang an der Grenze unseres Wissens, Denkens und Glaubens handelt. Aber weil Gott nicht nur in Personen wirkt, sondern auch in der Geschichte und in der Natur, werde ich an den Berichten vom leeren Grab genauso festhalten wie an den Erscheinungen. Denn Gott ist nicht an das Subjekt-Objekt-Schema der Neuzeit gebunden, auch wenn große 'Teile der protestantischen Theologie Gott diesem Diktat der Neuzeit unterworfen haben. Ich werde das Geschehen nicht versinnlichen oder gar noch vergröbern ("Wiederbelebung eines Leichnams"), aber ich kann mich guten Gewissens einstellen in die Tradition der Worte, Bilder und Töne, die die Auferstehung zum Lob Gottes und zu meiner Erbauung darstellen und interpretieren. Sie sind der Wahrheit näher und in ihrem Glauben und Denken fortschrittlicher als diejenigen, die die Auferstehung im Namen der Wissenschaft verneinen. Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Lessing hat geahnt, sagt A. Schweitzer, wie sehr die historische Kritik die gewohnten Begriffe umbilden würde. Er sah einen neuen Rationalismus heraufkom269
men, der die Offenbarung nicht mehr anerkennt, sondern sie umformt und vernichtet. 29 Je größer die vom Menschen festgestellte und erforschte Wirklichkeit wurde, desto kleiner wurde der Raum für Gott, desto schmaler wurde die Basis für Gottes Wirklichkeit. Gott verschwand zuerst aus der Natur, dann aus der Geschichte. In der vom Menschen durchforschten Objektwelt war kein Platz für ihn. Protestantische Theologie gab ihm noch eine Stätte beim Subjekt und bei der Person des einzelnen. Gott wurde gleichsam ins Privatquartier genommen. Den Himmel hatte er längst verloren. Doch auch privat war auf die Dauer kein Raum für ihn. Er mußte auch dort ausziehen. Die Methode war konsequent. Je mehr der autonome Mensch, das neue Subjekt von Wahrheit und Wirklichkeit sich selbst verwirklichte, desto weniger Wirklichkeit blieb für Gott. Je mehr der Mensch sich vergöttlichte, desto mehr wurde Gott vermenschlicht. Theologie wurde zu Anthropologie. Die historisch-kritische Methode hat die Bibel zu einem Gegenstand der Forschung im Sinne des neuzeitlichen Subjekt-Objekt-Schemas gemacht. Sie wurde zum Werkzeug der modernen Weltanschauung. Durch sie wurde die Bibel ihrer Offenbarung entkleidet. Die theologische Wirklichkeit wurde zur anthropologischen Wirklichkeit. Neben der Bibel der Offenbarung steht nun die Bibel der Historie. Neben Jesus Christus, den Offenbarer Gottes, trat der historische Jesus.
Es ist ein qualitativer Unterschied, ob Gott Mensch wird oder ob der Mensch Gott zum Menschen macht. Lüdemann holt den Auferstandenen herunter auf die menschliche Ebene. Er schickt ihn zurück in sein menschliches Grab. Dort ist er "verwest" wie ein Mensch. Aber als der historische - welcher eigentlich? - nimmt er dann doch noch eine ganz winzig kleine und schmale Stelle theologischer Wirklichkeit ein. Sie ist objektiv nicht mehr feststellbar, aber darum wird sie auch von niemand mehr streitig gemacht. Mehr Platz läßt die konsequente historische Methode der theologischen Wirklichkeit nicht. Gott ist historisch tot. Er ist im Grab geblieben. Die Verneinung der Verneinung fand nicht statt. Gott ist aus dem Grab nicht mehr hervorgegangen. " ... auch Götter verwesen!", ruft Nietzsches toller Mensch und fährt fort: "Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet. Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?,,30 Das war 1882. Der Sinn der Bibel wurde in der Neuzeit verkehrt. Es wird Zeit zur Umkehr. Noch einmal: Nicht die Wirklichkeit eines überholten determinierten Weltbilds ist Kriterium und Maßstab für die Auslegung. Vielmehr muß Theologie, wenn sie überhaupt wieder Raum gewinnen will, die theologische Wirklichkeit in die offene Welt von heute interpretieren. Der wirkliche Jesus ist der biblische Christus, der uns Gott offenbart. Die wirkliche Bibel ist die Bibel der Wirklichkeit Gottes. Die durch das historische Vorverständnis entstandene Bibel entspricht so wenig der
A.a.O. 58. F. Nietzsehe, Die fröhliche Wissenschaft, Drittes Buch, Nr. 125, 1882, in: KSA 3, Berlin 1988, 480f.
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Wirklichkeit wie die vielen Bilder vom historischen Jesus, die im Namen der neuzeitlichen Historie entstanden. Der Historiker kann als Wissenschaftler seinen Forschungsgegenstand durchaus im Sinne anthropologischer Wirklichkeit objektiv betrachten. Er kann zeigen wie die Texte entstanden sind, in welcher Relation sie zueinander stehen, er kann alle Fragen, die mit ihnen im Zusammenhang stehen, zu klären versuchen, von den persönlichen Daten bis zu den gesellschaftlichen Verhältnissen bis zu den Zuständen der Umwelt. Er kann natürlich auch die Glaubensthemen und ihre Entstehung und ihre Entwicklung erforschen. Um die Bibel ist in den letzten zweihundert Jahren ein ganzer Kosmos an Erkenntnissen geschaffen worden. Trotz aller Widersprüche und ständigen Korrekturen und immer neuen Thesen, die eher zur Demut als zum Jubel Anlaß sein sollten, hat die Forschung zu unserem Verständnis der Bibel doch sehr viele positive Aspekte beigetragen. Aber der kritische Historiker kann sich und seine Methode nicht zur Richtschnur und zum Maß der Wirklichkeit machen. Wirklichkeit ist mehr als der vom Subjekt Mensch objektivierte und objektivierbare Bereich. Echte Historie wird sich in ihrer Methode beschränken und sagen, was sie nicht fassen kann. Ihr Horizont ist nicht die Grenze der Erkenntnis. Das wissenschaftliche Wirklichkeitsverständnis hat sich verändert. Es ist offen für viele Möglichkeiten auch für die, daß Gott in der Geschichte und in der Natur wirkt. Der Historiker, der diese Möglichkeit verneint, hat die Wissenschaft verlassen und hat die Grenze zum Glauben überschritten. Wissenschaft muß nach beiden Seiten hin offen sein - gleich ob der Wissenschaftler Anthropologe oder Theologe ist. 1886 schreibt Nietzsche: "Das größte neuere Ereignis - ,daß Gott tot ist', daß der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist, beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen. ,,31 Die Schatten sind groß geworden. Weite Teile Europas liegen im Schatten des Nihilismus. Nietzsche sah durchaus voraus, "was Alles, nachdem dieser Glaube untergraben ist, nunmehr einfallen muß, weil es auf ihn gebaut, an ihn gelehnt, in ihn hineingewachsen war: zum Beispiel unsere ganze europäische Moral. Diese lange Fülle und Folge von Abbruch, Zerstörung, Untergang, Umsturz, die nun bevorsteht: wer erriete heute schon genug davon, um den Lehrer und Vorausverkünder dieser ungeheuren Logik von Schrekken abgeben zu müssen, den Propheten einer Verdüsterung und Sonnenfinsternis, deren gleichen es wahrscheinlich noch nicht auf Erden gegeben hat?"
Trotzdem schwärmte er von den Folgen des Ereignisses "als.einer neuen schwer zu beschreibenden Art von Licht, Glück, Erleichterung, Erheiterung, Ermutigung, Morgenröte". 32 Er h!Jffte auf die Umwertung und Neuordnung der Werte durch den befreiten Menschen. Aber er konnte nicht wissen, daß der Mensch schon nach kurzer Zeit seine SubjektsteIlung verlor, weil er an der Erkenntnis und Ordnung der Objektwelt 31 32
Nietzsche, Wissenschaft, Fünftes Buch, Nr. 343,573. A.a.O. 573f.
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scheiterte. Die ersten Spuren des Tages sind sichtbar. Licht erscheint in der Morgendämmerung einer für Gott wieder sich öffnenden Welt. Und die Überraschung ist groß. Auch dort, wo das Subjekt sich noch verschließt, ist die Objektwelt schon geöffnet. Das Grab kann leer sein. Dies nährt die Hoffnung, daß die Synthese von Denken und Glauben in einer neuen Interpretation der griechisch-jüdischen Wurzeln des Christentums noch einmal gelingt. Protestantische Theologie aber mag zusehen, daß sie bei ihrem Rückzug auf eine immer schmalere Basis des Subjekts, der Person, der Existenz usw. nicht ganz in Anthropologie versinkt und durch noch mehr Anpassung an Mensch und Gesellschaft die theologische Wirklichkeit vollends verpaßt.
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Zur Situation
Zum Umgang mit dem Darmstädter Wort heute Diether Koch Das "Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen Weg unseres Volkes", am 8. August 1947 in Darmstadt veröffentlicht, war sogleich umstritten und blieb es. Das lag am Text selbst, an den Umständen, in die hinein es gesprochen wurde, an der unterschiedlichen Beurteilung der deutschen Geschichte unter den Protestanten und an der Entwicklung seit 1947. Inzwischen ist die Vorgeschichte des Textes untersucht, sind die Anteile H.J. Iwands, M. Niemöllers, K. Barths und der Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft am Text dargestellt worden, l sind auch die komplexen politischen Verhältnisse des Jahres 1947 genauer bekannt geworden 2 - und ist schließlich auch die deutsche Geschichte und insbesondere die Geschichte der Kirche in den Jahrzehnten zuvor, auf die das Wort Bezug nimmt, genauer erforscht worden. Das alles darzustellen ist in einem Artike~ nicht möglich, ebensowenig wie die umfangreiche Wirkungsgeschichte des Wortes. 3 Der Text selbst, neu gelesen, bereitet heute mehr Schwierigkeiten als vor fünfzig Jahren, weil darin wichtige theologische Aussagen nur kurz genannt und historische Linien nur zusammenfassend charakterisiert wurden. Was den Verfassern deutlich vor Augen stand, erfordert heute Erläuterungen. Bei der Lektüre ist schon nicht eindeutig, welchen Zeitraum das Wort charakterisieren will. Die historischen Linien müssen verdeutlicht und mit Beispielen veranschaulicht werden. Könnte das höchstens auf einem Kongreß zu leisten sein - oder läßt sich das Darmstädter Wort heute auch direkter verwenden, so, daß es womöglich auch in Gemeinden besprochen werden kann? Von den drei Teilen des Textes dient der erste der theologischen Grundlegung. Die "Versöhnung der Welt mit Gott in Christus" wird in These 1 nur genannt. Was gemeint ist, kann durch Heranziehung von 2Kor 5, 1 H. Ludwig, Die Entstehung des Darmstädter Wortes, in: JK 38, 1977, Beiheft zu H.8/9. 2 Z. B. in W. Loth, Die Teilung der Welt 1941-1955, München 1989 7 . 3 B. Klappert stellte sie ausführlich dar in: Bekennende Kirche in ökumenischer Verantwortung. Die gesellschaftliche und ökumenische Bedeutung des Darmstädter Wortes, München 1988. Vgl. auch G. Klatt, Das Darmstädter Wort 1947, 1977 und 1987, in: JK 48, 1987, 546-558. - H. Ludwig plant die Herausgabe einer Dokumentation des Darmstädter Worts und der Reaktionen darauf.
Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 273-275 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
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17 -20 verdeutlicht werden. Ein Rückgriff auf die Barmer Erklärung (These II) kann die Einsicht vermitteln, daß politische Irrwege in die Versöhnungstat Gottes einbezogen sind und deshalb diese Versöhnung politische Umkehr möglich und nötig macht. - Mit diesen drei kurzen Texten wird eine Grundlage christlicher Existenz im politischen Raum sichtbar, die damals wie heute tragfähig ist. Im Teil 2 des Wortes enthalten die Thesen 2 bis 5 Absagen an jene politischen Wege, auf denen wir in den fünfzig bis achtzig Jahren vor 1947 "in die Irre gegangen sind" - "wir", d. h. das deutsche Volk und die evangelische Kirche in ihm. G. Brakelmann hat Abschnitte aus Texten von Theologieprofessoren zusammengestellt, die den" Traum einer besonderen deutschen Sendung" (These 2) geträumt haben. 4 Andere Belege finden sich in dem zweibändigen "Hausbuch", das Hofprediger Doehring 1919 herausgegeben hatte. 5 H.-W. Krumwiede hat Texte aus der Weimarer Zeit,6 H. Prolingheuer solche aus der NS-Zeit abgedruckt und kommentiert. 7 So kann auch das "Bündnis der Kirche mit den das Alte und Herkömmliche konservierenden Mächten" nachgewiesen werden, das in These 3 beklagt wird. Die "Front der Guten gegen die Bösen" (These 4) sind ebensowohl in Texten von 1870/71, 1914/18 und 1939 als auch in Erklärungen wie der des Geistlichen Vertrauensrats zum Beginn des Krieges mit der Sowjetunion 1941 nachzuweisen. 8 Die vehemente Ablehnung des Marxismus durch die überwiegende Mehrheit der Kirche ist wiederum anhand von Dokumenten abzulesen. 9 N ach der Beschäftigung mit Irrwegen wird die Frage nach richtigen Wegen 1947 wie heute dringlich. Das Darmstädter Wort warnt in seinem dritten Teil vor Verzweiflung und glaubensloser Gleichgültigkeit, vor falscher Verklärung der Vergangenheit und falschen Hoffnungen auf kriegerische Zukunft (These 7), aber auch vor einer falschen Parole "Christentum und abendländische Kultur". Das Wort ruft "zur Umkehr zu Gott und Hinkehr zum Nächsten in der Kraft des Todes und der Auferstehung Jesu Christi" (These 6). Was das heißt, wird zu buchstabieren sein. Theologische Arbeit, ausgehend von der Auferstehung J esu Christi, gehört ebenso dazu wie historisch-politische Analyse: Haben wir Deutschen, wir Evangelischen in Deutschland in den vergangenen fünfzig Jahren die Irrwege gemieden, die das Darmstädter Wort aufzeigte? Gewiß haben die meisten nicht die gleichen Wege mit dem gleichen Pathos beschritten wie vordem. Doch es gibt auch unspektakuläre Irrwege, ja 4 G. Brakelmann, Das Darmstädter Wort von 1947, in: ders., Kirche in Konflikten ihrer Zeit, München 1981, 166ff. 5 B. Doehring (Hg.), Ein feste Burg. Denkmäler evangelischer und deutscher Art aus schwerer Zeit, Berlin 1919 2 • 6 H.-W Krumwiede, Evangelische Kirche und Theologie in der Weimarer Republik, Neukirchen 1990. 7 H. Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen. Die Schuld der Kirche unterm Hakenkreuz, Köln 1987. 8 G. Brakelmann, Kirche im Krieg. Der deutsche Protestantismus am Beginn des II. Weltkrieges, München 1979. 9 G. Brakelmann, Kirche, soziale Frage und Sozialismus, Gütersloh 1977 u. a ..
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verschwiegene und vergessene oder halb vergessene. 10 Wer erinnert sich heute z.B. noch des (west-)deutschen Sendungsbewußtseins, das Adenauer 1952 vor der Öffentlichkeit und 1960 in einer Audienz vor dem Papst an den Tag legte?l1 Wie kommt es, daß die Formulierung "Verbrechen der deutschen Wehrmacht" leidenschaftliche Proteste derer hervorruft, die nur Verbrechen einzelner zugestehen wollen? Und die Parole "Christentum gegen Marxismus,,12 erscheint womöglich heute noch manchem angebracht. Deshalb wird besonders These 5 zu analysieren sein: daß ;,der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen". Daraus haben seit 1947 sowohl die konservativen Gegner der Erklärung als auch Sozialisten eine Parteinahme für den Sozialismus ablesen wollen. 13 Für Besier ist die Wirkungsgeschichte des Darmstädter Worts ein Stück Anpassung der Kirche in der DDR. 14 Demgegenüber wird gen au der Wortlaut des Darmstädter Worts zu beachten sein: die Mahnung an die Christen, sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt zu werden und sie politisch umzusetzen - im Zeitalter rapiden Sozialabbaus wahrhaftig aktuell. Ebenso aktuell ist die Frage nach heutigen falschen Parolen, ob nun nationaler oder europäischer, politischer oder wirtschaftlicher Couleur,15 und heutigen Formen von Resignation. Man wird sie erkennen können, wenn man vom Darmstädter Wort herkommt und sich als Gemeinde J esu Christi "aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen" (Barmen II = Darmstadt 7) befreien läßt. So kann uns Deutschen und uns Evangelischen in Deutschland das fünfzig Jahre alte Wort nützlich werden. Daß es vor und nach 1947 bei uns kleinere oder größere Minderheiten gegeben hat, auf die das Wort nicht oder nur bedingt zutraf, erleichtert di~ Rückbesinnung. Auf notwendige Ergänzungen des Darmstädter Worts in bezug auf Israel hat M. Stähr hingewiesen. 16 Die Aufforderung am Schluß des Worts kann direkt unsere Leitlinie heute sein: "Werdet Euch in dieser Freiheit und in großer Nüchternheit der Verantwortung bewußt, die alle und jeder einzelne von uns für den Aufbau eines besseren deutschen Staatswesens tragen, das dem Recht, der Wohlfahrt und dem inneren Frieden und der Versöhnung der Völker dient. " 10 Belege sind in der Materialsammlung zu finden: D. Koch, Christen in politischen Konflikten des 20. Jahrhunderts, Bremen/Göttingen 1985. 11 Zitat aus dem Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung vom 23. 1. 1960. Dazu s. G. Heinemann, Es gibt schwierige Vaterländer, Aufsätze und Reden 1919-1969, München 1988, 240. 12 A.a.O. 283 (Rede am 23.1.1958). 13 So schon Asmussenin einem Brief an den Rat der EKD vom 1.12.1947. 14 In seinem Buch: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung, München 1993, widmet Besier einen ganzen Abschnitt dem Darmstädter Wort und seiner Wirkungsgeschichte, 38-52. 15 Vgl. dazu: D. Heimann u. a. (Hg.), Weltmacht Deutschland?, Bremen 1996. 16 M. Stöhr, Notwendige Ergänzung, in: Kirche und Israel 3, 1988,62-64.
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Hinweis
Biblische Bibliotheken in Osteuropa. Wir bitten um Hilfe! Der Kongreß der Societas Novi Testamenti in Strasbourg hat im vergangenen August beschlossen, in Osteuropa zwei Biblische Schwerpunktsbibliotheken zu gründen. Unterstützt wird sie dabei von der Fachgruppe Altes Testament der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, der Society of Biblical Literature und von anderen Gesellschaften. Die eine Bibliothek befindet sich an der Staatlichen Universität St. Petersburg, die andere an der orthodoxen, theologischen Fakultät in Sofia. In beiden Fällen stellen die Partneruniversitäten die Infrastruktur zur Verfügung, d.h. Räume,BibliothekarInnen etc. Die wissenschaftlichen Gesellschaften im Westen sind für die Beschaffung der Bücher verantwortlich. Die Grundidee ist dabei ganz einfach: Die beiden Bibliotheken funktionieren als Autorlnnen-Exemplar-Bibliotheken. Wer im Bereich Bibelwissenschaften oder antikes Judentum ein Buch publiziert oder herausgegeben hat, ist gebeten, je ein Belegexemplar an die beiden Bibliotheken zu schicken. Um die Basisausstattung für die beiden Bibliotheken (Computer, Quellentexte, Lexika, Kommentare etc.) kaufen zu können, brauchen wir Geld, das in verschiedenen Ländern von Stiftungen, Wissenschaftsförderungsinstitutionen, Privaten, Kirchen und Gemeinden etc. erbeten werden soll. Lücken der vergangenen Jahrzehnte möchten wir durch Büchergeschenke schließen. Nähere Informationen über die beiden Bibliotheken werden auf Wunsch gerne zur Verfügung gestellt . . Die beiden Bibliotheken sind aber nicht nur an bibelwissenschaftlicher Literatur interessiert, sondern auch an grundlegenden wissenschaftlichen Büchern aus anderen theologischen Disziplinen, vor allem Patristik und neuerer Kirchengeschichte, Systematischer Theologie, Religionswissenschaft und Judaica. Besonders wichtig sind Quellentexte, Lexika, wissenschaftliche Zeitschriften, neuere Lehrbücher und andere grundlegende Monographien. Daß die beiden Bibliotheken "Biblische" und nicht" Theologische" Bibliotheken sind, hängt mit den begrenzten Kräften der sie tragenden wissenschaftlichen Gesellschaften zusammen! An Sie, liebe LeserInnen, haben wir nun einige große Bitten: 1. Wenn Sie den beiden Bibliotheken bibelwissenschaftliche oder andere wissenschaftlich-theologische Bücher aus Ihren Privatbibliotheken schenken können, stellen Sie bitte eine Liste zusammen und schicken
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Evang. Theol. 57. Jg., Heft 3, S. 276-278 ISSN 0014-3502 © ehr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, 1997
Sie sie an eines der unten erwähnten Mitglieder der SNTS-Projektgruppe. Wir werden uns dann mit Ihnen in Verbindung setzen. Falls Sie eventuell Ihre ganze Bibliothek nach Osteuropa (ggf. auch an andere theologische Bibliotheken in Osteuropa - wir können Adressen vermitteln!) - schenken wollen, werden wir versuchen, irgend jemanden bei Ihnen zur "Inspektion" vorbeizuschicken. Bitte bedenken Sie, daß wir abgesehen von wissenschaftlichen Zeitschriften, Quellentexten und wirklich grundlegenden Büchern - in erster Linie neuere und nur wissenschaftlich-theologische Literatur suchen (keine Gemeinde-Literatur!). Da der Platz auch in Osteuropa beschränkt und die Transporte teuer sind, müssen wir selektionieren! Sprachen der Bücher: primär englisch und deutsch, aber auch französisch, spanisch, neugriechisch, holländisch, italienisch, alle slavischen Sprachen. 2. Schicken Sie bitte Ihre eigenen wissenschaftlichen Publikationen direkt an die beiden Bibliotheken! 3. Wenn Sie eine gute Idee haben, wie wir zu Geld kommen können, teilen Sie uns diese bitte mit! Wenn Sie uns gar etwas überweisen wollenwir haben noch sozusagen nichts in der Kasse und uns ein finanzielles Ziel von 200000 $ für jede Bibliothek in den ersten fünf Jahren gesetzt-, sind wir um jede Mark, jeden Schilling oder Franken dankbar! Adressen der Bibliotheken: Bibliotheca Biblica, StC;"\.te University St. Petersburg, 7/9 Universitetskaya NAB, St. Petersburg, 199034 Rußland, mit Vermerk: Geschenksendung, keine Handelsware. Bibliotheca Biblica, Theologische Fakultät der st. Kliment von OhridUniversität, Sv. Nedelia PI. 19, BG 1000 Sofia, Bulgarien, mit Vermerk: Geschenksendung, keine Handelsware. Schicken Sie bitte die Bücher als Drucksache; Einschreiben ist bei kleinen Paketen nicht nötig. Schicken Sie bitte gleichzeitig per Brief eine Liste der von Ihnen geschickten Bücher mit Angabe des Absendedatums an die beiden DirektorInnen: Prof. F. Eloeva, Adresse Bibliothek St. Petersburg, bzw. Prof. I. Dimitrov, Adresse Bibliothek Sofia. Die Bibliotheken können so kontrollieren, ob etwas verlorengegangen ist. Leider können sie Ihnen keine Dankbriefe schreiben; das Porto dafür wäre unerschwinglich! Adressen der Mitglieder der Projektgruppe im deutschen Sprachraum: Prof. Dr. R. Bartelmus, Neue Universität, Haus N 50a, Olshausenstr. 40, 24098 Kiel (für die Fachgruppe Altes Testament der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie) Prof. Dr. P. Hofrichter, Wallmannhofstr. 3, A-5400 Hallein Prof. Dr. U. Luz, Marktgasse 21, CH-3177 Laupen Prof. Dr. K.W. Niebuhr, Abtnaundorfer Str. 60, 04347 Leipzig
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Konten der Bibliotheken: Deutschland: Landeskirchliche Kredit-Genossenschaft Sachsen eGLKG, BLZ 89095164, Kto. 88080, Prof. K.W. Niebuhr, Biblische Bibliotheken SNTS. Österreich: Österreichische Postsparkasse, BLZ 60000, Kto. 292073461, Biblische Bibliotheken in Osteuropa. Schweiz: Berner Kantonalbank, pe 30-106-9, Kto. 423.598.860.51, Prof. U. Luz, Biblische Bibliotheken SNTS .. Ulrich Luz
Die AutorInnen dieses Heftes: Prof. Dr. Traugott Holtz Bergschenkenweg 5 D-06118 Halle
Dr. Ina Praetorius Pfarrhaus CH-9622 Krinau
StD LR. Dr. Diether Koch Lüderitzstr.21 D-28213 Bremen
Dr. Doris Strahm Gotthelfstr. 89 CH-4054 Basel
Prof. Dr. Wolf Krötke Nordendstraße 60 D-13156 Berlin
Dr. Luzia Sutter Rehmann Bäumlihofstr. 198 CH-4058 Basel
Prof. Dr. Christoph Morgenthaler Lindenweg4 CH-3074 Muri
Dr. Michael Wyschogrod 2122 Wroxton Houston TX 77005-1534 U.S.A.
Dr. Gerhard N oller Nördlinger Str. 27 D-72760 Reutlingen Prof. Dr. Peter von der Osten-Sacken Institut für Kirche und Judentum Dom zu Berlin, Port<;l112 Am Lustgarten D-10178 Berlin 278
Festschrift für Peter Stuhlmacher
Aus dem Inhalt: JOSTEIN AnNA, Die Heilige Schrift als Zeuge der Heidenmission / OSWALD BAYER, Wann endlich hat das Böse ein Ende? / OITO BEIz, Sühne in Qumran / BREvARD S. CHILDS, Does the Old Testament Witness to Jesus Christ? / JAMES D. G. DUNN, Paul's Conversion - A Light to Twentieth Century Disputes / E. EARLE ELLIs, The Historical Jesus and the Gospels / HARTMUT GESE, Zur Bedeutung Elias für die biblische Theologie / JUDITH M. GUNDRy-VOLF, Gender and Creation in 1 Corinthians 11 :2-16/ MARTIN BENGEL, Die Ursprünge der Gnosis und das Urchristentum / OTFRIED HOFIUS, Paulus - Missionar und Theologe / TRAUGOIT HOLTz, Die historischen und theologischen Bedingungen des Römerbriefes / FRIEDRICH LANG, Das Verständnis der Taufe bei Paulus / ULRICH Luz, Ein Traum auf dem Weg zu einer Biblischen Theologie der ganzen Bibel. Ein Brief an Peter Stuhlmacher / ULRICH MAusER, Trinitarische Sprachformen in den Korintherbriefen des Paulus / FRITZ NEUGEBAUER, Wege zum Herrenmahl / WOLFGANG PÖHLMANN, Bestimmte Zukunft. Die Einheit von ,Eschaton' und ,Eschata' in neutestamentlicher Sicht / RArnER RIESNER, Paulus und die Jesus-Überlieferung / JAMES M. SCOIT, Paul's "Imago Mundi" and Scripture / MANFRED SEITZ, Geistliehe Schriftlesung : Bibellektüre des Glaubens / HANs WEDER, Einverständnis. Eine Überlegung zu Peter Stuhlmachers hermeneutischem Ansatz / Schlagwort- und Stellenregister
Evangelium Schriftauslegung Kirche
Festschrift für Pater Stuhlmacher :wrn 66. Geburtstag
Vandenhoeck & Rup",cht In G6Ulngen
Evangelium Schriftauslegung Kirche Festschrift für Peter Stuhlmacher zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Jostein Ädna, scott J. Hafemann und Otfried Hofius in Zusammenarbeit mit Gerlinde Feine. 1997. X, 460 Seiten mit 1 Frontispiz, gebunden DM 125,- / ös 913,-'- I sFr 111,-. ISBN 3-525-53643-7
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Vandenhoeck & Ruprecht
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie
79: Henning Wrogemann
80: Ralph Meier
Mission und Religion in der Systematischen Theologie der Gegenwart
Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand
Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert. 1997. 350 Seiten, kartoniert DM 98,- / öS 715,- / SFr 89,ISBN 3-525-56285-3
Immer mehr Gesellschaften - nicht nur der westlichen Welt - haben in den letzten Jahren zunehmend ein multikulturelles und multireligiöses Gepräge bekommen. Das wirft die Frage neu auf, wie Christen Menschen fremder Kultur, Weltanschauung und Religion begegnen sollen. Henning Wrogemann untersucht unter dieser Fragestellung das Missionsverständnis, wie es sich aus den Arbeiten führender deutscher Dogmatiker des 20. Jahrhunderts ergibt. Wie kann christliche Mission dem Verstehen der Fremden dienen und dazu beitragen, ihnen respektvoll zu begegnen, ohne jedoch den eigenen Wahrheitsanspruch zu verleugnen? Wie verhalten sich Mission und Dialog zueinander und welches Verständnis von "Mission" und "Dialog" ist eigentlich gemeint? In der Analyse werden verschiedene Modelle eines zeitgemäßen Missionsverständnisses herausgearbeitet. Die Arbeit schließt mit dem Versuch, diese Ansätze in Richtung auf ein Verständnis von Mission als einer "Hermeneutik des Fremden" weiterzuentwickeln.
1997.310 Seiten, kartoniert DM 89,- / öS 650,- / SFr 81,ISBN 3-525-56287-X
Die Lehre von Gesetz und Evangelium bei Hans Joachim Iwand wird aus seinem Gesamtwerk systematisch dargestellt. Mit diesem Zentrum der Theologie Iwands wird die Christologie, Soteriologie, Hermeneutik, Pneumatologie, Anthropologie, Ethik und Verkündigung mit erfaßt. Die Arbeit behandelt in drei Teilen die Lehre von Gesetz und Evangelium im Rahmen der Christologie und Rechtfertigung, die Folgen dieser Lehre in der Ethik und die Predigt von Gesetz und Evangelium bei Iwand.
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Vandenhoeck & Ruprecht
Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
Statt Einzeldarstellungen der wichtigsten Theologen und ihrer Entwürfe zu geben, behandelt dieses Buch die Problemgeschichte der Ansätze zur Grundlegung christlicher Theologie und damit auch der jeweiligen Gesamtkonzeptionen. Beherrschendes Thema der neueren protestantischen Theologie ist der Versuch, in der durch die Wendung zum Menschen geprägten - Kultursituation der Moderne den Nachweis zu führen, daß Gott Bedingung und Grenze menschlicher Subjektivität ist. Darauf beruht die Bedeutung Schleiermachers, aber auch der Richtungsunterschiede übergreifende Einfluß des erweckungstheologischen Subjektivismus. Die Reaktion dagegen bei Schaeder und dann bei Barth bildet selber eine weitere Variante dieses Themas. Die offenen Fragen der Begründung von Barths Position waren Anlaß für die Auflösung der "Dialektischen Theologie", besonders für Bultmanns Entwicklung. Barths Stärke besteht dagegen in der trinitätstheologischen Durchführung der These von Gottes Souveränität in seiner Offenbarung. Diese Konzeption geht über Dorner auf die spekulative Theologie zurück. Sie ging - durch die Auseinandersetzung mit der psychologischen Kritik Feuerbachs - über in die "liberale Theologie". In deren Mittelpunkt standen die Themen der Religion und der Geschichte. Tillichs Theologie wird als Versuch einer Synthese gewürdigt, die jedoch nur als Korrektiv, nicht als systematische Alternative zu Barths Konzeption wirksam werden konnte.
Wolfhart Pannenberg
Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland Von Schleiermacher bis zu Barth und Tillich. UTB 1979. 1997. 366 Seiten mit Register, kartoniert DM 39,80 I öS 291,- I SFr 37,ISBN 3-8252-1979-8
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Vandenhoeck & Ruprecht
Das Recht der Kirche Bd. 1. Zur Theorie des Kirchenrechts. Hrsg. von Gerhard Rau, HansRichard Reuter und Klaus Schlaich. Forschungen und Berichte der Ev. Studiengemeinschaft, Band 49. 602 Seiten. Ln. DM 220,-/öS 1606/sFr 198,[3-579-02018-8] Mit der auf drei Bände angelegten Publikation lDas Recht der Kirche{ legt die vom Kuratorium der Evangelischen Studiengemeinschaft berufene Kommission lKirchenrecht- Evangelische Theologie{ den ersten Band vor. Dieser Band 1 llur Theorie des Kirchenrechts{ enthält u. a. die Grundbegriffe des Rechts und der Kirche aus theologischer, philosophischer und juristischer Sicht: 1. Der Kirchenbegriff des Kirchenrechts 2. Der Rechtsbegriff des Kirchenrechts 3. Biblisches Rechtsdenken und das Recht der Kirche 4. RechtSQuellen des Kirchenrechts 5. Partikularität und Universalität im Kirchenrecht Bereits erschienen: Band II: »Zur Geschichte des Kirchenrechts« Band III: »Zur Praxis des Kirchenrechts«
o ehr. Kaiser
. ' " Gütersloher V' Ver lagshaus