Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe 91
David S. du Toit
THEIOS ANTHROPOS
,
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament· 2. Reihe Herausgegeben von Martin Hengel und Otfried Hofius
91
THEIOS ANTHROPOS Zur Verwendung von 8cio~ av8QwJto~ und sinnverwandten Ausdrücken in der Literatur der Kaiserzeit
von
David S. du Toit
IC.B Mohr (Paul Siebeck) Tübingen ('
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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme DuToit, David S.: Theios anthropos : zur Verwendung von theios anthröpos und sinnverwandten Ausdrücken in der Literatur der Kaiserzeit I von David S. DuToit. - Tübingen : Mohr, 1997 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament: Reihe 2 ; 91) ISBN 3-16-146631-4 NE: Wissenschaftliche UnterslIchungen zum Neuen Testament I 02
© 1997 IC.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzufässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzun,.. gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Druck Partner Rübelmann in Hemsbach auf säurefreies Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Buchbinderei Schaumann in Darmstadt gebunden. Die Druckvorlage erstellten Kathrin Bracht und David S. du Toit. ISSN 0340-9570
für Kathrin
Vorwort Die vorliegende Studie ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner im Januar 1996 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommenen Dissertation. An dieser Stelle sei allen am Promotionsverfahren Beteiligten für ihren Beitrag gedankt. Ein besonderes Wort des Dankes gilt Prof. Dr. Dieter Zeller, der sich kurzfristig bereit erklärte, ein Gutachten zu der Dissertation zu verfassen. Mit der Veröffentlichung wird das Promotionsverfahren formal abgeschlossen: Für die Aufnahme in die Reihe WUNT II danke ich den Herausgebern. Die Dissertation wurde von Prof. Dr. Cilliers Breytenbach angeregt, betreut und schließlich begutachtet. Es sind inzwischen zehn Jahre vergangen, seit er mit einer Paulusvorlesung die Begeisterung für die Erforschung des Urchristentums und seiner Umwelt in mir geweckt hat. Von ihm habe ich gelernt, wie notwendig es ist, daß ein Neutestamentler linguistische, historische und theologische Kompetenz in einer Person vereinigt. Für die vielen Anregungen und die konstruktive Kritik, für die Unterstützung, das immerwährende Interesse und den persönlichen Einsatz, für die Bemühungen, die Forschung finanziell abzusichern und nicht zuletzt für die Freundschaft danke ich sehr herzlich. Diese Studie profitierte ferner viel von dem unerschöpflichen Wissen von Prof. Dr. Ferdinand Hahn, der die Entstehung dieses Buches kritisch, engagiert und mit seiner besonderen menschlichen Wärme begleitete. Vielen Dank! Noch viele andere Menschen waren maßgeblich daran beteiligt, daß die vorliegende Untersuchung durchgeführt und vollendet wurde. Nur einige sollen hier dankend hervorgehoben werden. Prof. Dr. Jannie Louw (Pretoria) weckte in mir das Bewußtsein und Interesse für semantische Fragestellungen; Herr Dr. Ulrich Victor ließ mich von seinen profunden Lukiankenntnissen profitieren und stellte mir seine noch unveröffentlichte Studie zu Alexander von Abonuteichos zur Verfügung; die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Doktorandenkolloquien in München und Berlin sowie meine Kollegen und Kolleginnen an den Neutestamentlichen Instituten der damaligen Kirchlichen Hochschule Berlin und der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität boten mir ein Forum, erste Ergebnisse in einer offenen und freundlichen Atmosphäre kritisch überprüfen zu lassen; Rainer Hirsch-Luipold las unter großem persönlichen Einsatz eine erste Fassung der Arbeit korrektur. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Dankend erwähne ich hier auch jene Institutionen, die die Durchführung des Projekts zum Teil finanzierten: Der Deutsche Akademische Austauschdienst
VI
Vorwort
und das Centre for Seience Development des Human Seiences Research Couneil (Pretoria)* gewährten mir Stipendien, das Collegium Oecumenicum des Martin-Luther-Vereins bot mir nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern ein wahres Zuhause und optimale Bedingungen zum Forschen und Arbeiten .. Der Grundstein für diese Arbeit wurde schon vor Jahren in meinem Elternhaus in Germiston, Südafrika gelegt. Für alle Zuneigung und Liebe, auch während meiner langjährigen Abwesenheit, ein großes Dankeschön an meine Mutter, Maureen und Dirk: ek het julle gemis! Mehr als bei irgendjemand anderem gilt es, mich bei meiner Frau Kathrin Bracht zu bedanken. Ihr Anteil am vorliegenden Buch ist überhaupt nicht meßbar. Den Dank für ihre liebevolle Unterstützung, für ihre Teilnahme an Freude und Leid der Arbeit, für ihren unermüdlichen Einsatz, wenn sie in kritischen Phasen eine doppelte Last zu tragen hatte, l,lnd für die unzähligen Stunden, die sie in das Manuskript investierte, kann ich nicht in Worte fassen. David du Toit
Münster, im Oktober 1996
* Der vom CSD (HSRC) geleistete finanzielle Beistand wird hiermit anerkannt. Die in dieser Studie vertretenen Ansichten und Forschungsergebnisse sind die des Verfassers und werden nicht notwendigerweise vom CSD geteilt.
Inhaltsverzeichnis vorwort ............................................................................................................... ·.V Abkürzungen .................................................................................................... XIII TEIL I: EINFÜHRUNG IN DIE PROBLEMATIK Forschungsgeschichtliche und linguistische Betrachtungen ................................. 1 1. Die forschungsgeschichtliche Problematik ...................................................... 2 1.1 BeLOS" dVTjp als technischer Terminus religiösen Sprachgebrauchs der Kaiserzeit ............................................................................................. 5 1.1.1 Richard Reitzenstein: Orientalische Wandermissionare ................. 5 1.1.2 Gilles P. Wetter: 8eLOS" dV7}p als Gottessohn ................................... 7 1.2 Die 8eLOS" dV7}/f Vorstellung als Bewußtseinsinhalt in der griechisch-römischen Gesellschaft .......................................................... 11 1.2.1 In den Fußspuren Otto Weinreichs: Der religionsphänomenologische Ansatz bei Hans Windisch ............................ 11 1.2.2 Ludwig Bielers typologischer bzw. religionspsychologischer Ansatz ................................................................ 18 1.2.3 Die 8eLOS" dV7}/f Vorstellung als kulturelle Deutungskategorie ..... 24 1.3 Der sozialgeschichtliche Ansatz ............................................................. 26 1.4 Kritik und zunehmende Differenzierung: Die Zersplitterung der 8eLOS" dV7}p- Vorstellung ........................................................................... 31 1.5 Konsolidierung der Forschungsergebnisse: Der Artikel "Gottmensch" in der RAC ................................................... 35 1.6 Fazit ......................................................................................................... 38 2. Die semantische Problematik ......................................................................... 40 2.1 Bedeutung ............................................................................................... 40 2.2 Annäherung an das Problem: Eine metasprachliche Beobachtung Plutarchs (Mor. 24A) ......................................................... 45 2.3 Zur Bedeutung der Adjektiven ßeLOS", 8aLj10VLoS" und 8eUTTEULOS": Der lexikographische Befund .................................................................. 47 2.3.1 Adjektivsemantik ........................................................................... 48 2.3.2 Die primären semantischen Merkmale der Adjektive ßeLOS" KTA .. 50 2.3.2.1 Mehrfache Bedeutung bzw. Polysemie ............................. 50 2.3.2.2 Sinnverwandtschaft ........................................................... 53
VIII
Inhaltsverzeichnis
2.4 Die ßELOS" avßpUJTToS"- Terminologie als zusammengesetzte Ausdrücke .. 57 2.4.1 Zusammengesetzte Ausdrücke und phrasale Lexeme .................... 58 2.4.2 Das semantische Problem und die Aufgabestellung ...................... 59 2.4.3 Aufbau der Untersuchung .............................................................. 65 TEIL 11: SEMANTISCHE ANALYSE Der Gebrauch von ßELOS", 8aLf.10vLoS" und ßE(]"TTE(J"LOS" in ethischem Kontext .... 67 3. Analyse eines Wortfeldes: ßELOS" KTA. als religiös-ethische Qualitätsadjektive ......................................................................................................... 68 3.1 BELOS" in Apollonios Ep. 16f.48; Diogenes Laertios 7,119; und Herakleitos Qu. Horn. 3,1 ................................................................. 68 3.2 Markus Aurelius Meditationes 7,67 ........................................................ 73 3.3 Nochmals Diogenes Laertios 7,117-119: "Die Weisen sind ßELOL" ........ 77 3.3.1 Die Vorstellung vom vergöttlichten Weisen als hermeneutischer Hintergrund von Diogenes Laertios 7,119? ................................... 77 3.3.1.1 Der stoische Weise in der ßELOS" dV7jp-Forschung ............. 77 3.3.1.2 Der Kontext der Vorstellung vom idealen Weisen: Theologische und anthropologische Aspekte der stoischen Physik ................................................................ 79 3.3.1.3 Die stoische Lehre vom idealen Weisen ........................... 83 Exkurs: Der sogenannte vergöttlichte Weise bei Seneca .. 86 3.3.2 Diogenes Laertios 7,119: Die radikale Sittlichkeit des Weisen ..... 93 3.4 Plutarch von Chaironeia ............................... 97 3.4.1 Die ßELOS" avßpUJTToS"-Terminologie in De genio Socratis ............. 98 3.4.2 Der Gebrauch von ßE(]"TTE(]"LOS" in De sera numinis vindicta ......... 104 3.4.3 Weitere Beispiele aus Plutarchs Biographien .............................. 105 3.4.4 Die ßELOL av8pES" in Mor. 748CD ................................................ I08 3.5 Ergebnis ................................................................................................. 109 e ...........................................
TEIL 111: SEMANTISCHE ANALYSE Der Gebrauch von ßELOS", 8aLf.10VLoS" und ßE(]"TTE(]"LOS" in epistemologischem Kontext .......................................................................... 113 4. Der Ausdruck 8aLf.1oVLoS" dVr7P bei Dionysios von Halikamassos ............. 114 4.1 Der 8aLf.10VLoS" dV7jp: Demosthenes oder Platon? ................................ 115 4.2 Thukydides: 8aLf.10vu!JTaToS" unter den Historikern ............................. 122 4.3 Homer .................................................................................................... 125
Inhaltsve rze ichnis
IX
5. Epiktet .......................................................................................................... 127 5.1 Grundsätzliches zur Vergöttlichung von Menschen: Epiktet Diss 4,1,58-61 ........................................................................... 127 5.2 Encheiridion 15: Diogenes und Heraklit als eELOL ................................ 132 5.2.1 Tischgenosse der Götter: Metapher für das stoische Lebensideal .............................................................. 133 5.2.2 Mitregent Gottes: Metapher für den ßLOS" KVVLKOS" .................... 136 5.2.3 Diogenes und Heraklit als Kyniker ............................................. 140 5.2.4 Die Bedeutung von eELOS" in Ench. 15 ......................................... 147 6. Dion von Prusa ............................................................................................. 149 6.1 BELOL av8pES" als Garanten der stoischen Weltordnung und Ethik ...... 149 6.1.1 Die göttlichen Dichter .................................................................. 149 6.1.2 Der Bildhauer Pheidias ................................................................. 160 6.2 Zeitgenössische eELOL av8pES" bei Dion Chrysostomos?Die Redner in Or. 33,4 .......................................................................... 162 7. Semantische Auswertung: Vorläufiges Ergebnis und Hypothese ................ 165 7.1 Zwischenergebnis: Die begrenzte Referenz der eELOS" aVepUJTTOS"Terminologie ......................................................................................... 165 7.2 Eine Hypothese: eELOS" av8pUJTToS" KTA. als phrasale Lexeme? ............ 167 7.3 Die Hypothese auf dem Prüfstand ......................................................... 170 7.3.1 Philodem JIEpl eEWV, Fragment 10: ol eELOL KaAOVj.1EVOL ......... 170 7.3.2 Panaitios Fr. 56 ............................................................................. 173 7.3.3 Eine Inschrift zu Ehren des eELOS" XPVO"LTTTTOS"? .......................... 174 7.3.4 Plutarch von Chaironeia ............................................................... 175 7.3.5 Eine Inschrift aus dem 2. Jahrhundert: 8ELOS" 'ETTLKTT}ToS" .......... 182 7.3.6 Ironischer Gebrauch der eELOS" aVepUJTTOS"- Terminologie bei Lukian .................................................................................... 188 7.3.6.1 Rhetorum praeceptor 13 .................................................. 188 7.3.6.2 Philopseudes 32 ............................................................... 190 7.4 Fazit ....................................................................................................... 191 8. Lukian von Samosata ................................................................................... 193 8.1 Alexander 61: 'ETTLKOVPOS" dvl}p eEO"TTEO"LOS" ....................................... 193 8.1.1 Ein religiöser bzw. kultischer Hintergrund von Alex. 61 ? ........... 196 8.1.2 Das Epikurbild in der Alexanderschrift ....................................... 203 8.2 BEO"TTEO"LOS" JIveayopaS" ........................................................................ 212 8.2.1 Alexander 4 .................................................................................. 212 8.2.2 Pro lapsu inter salutandum 5 ........................................................ 217
x
Inhaltsverzeichnis
9. Die Pythagorastradition ................................................................................ 219 9.1 Der Ort der Terminologie in der Pythagorastradition ........................... 219 9.1.1 Das Fehlen der Terminologie in den nicht-apollonischen Quellen der Vita ........................................................................... 220 9.1.2 Herkunft der in der apollonischen Quelle vorhandenen Terminologie .......................................................... 227 9.1.3 Der Lysisbrief .............................................................................. 233 9.2 Bedeutung und Funktion der Terminologie in der Überlieferung ......... 235 9.2.1 Die Verwendung der Terminologie in der apollonischen Vita .... 235 9.2.2 Der Gebrauch der ßELOS' aVepUJTTOS'- Terminologie im Lysisbrief239 10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer ......................................... 241 10.1 Pythagoras als eELOS' avr]p in Iamblichs Vita Pythagorica ............... 241 10.2 Ein Vergleich mit Iamblichs neuplatonischen Vorläufem ................. 249 10.2.1 Porphyr ................................................................................... 250 10.2.2 Plotin ...................................................................................... 252 10.2.3 Kelsos und Numenios ............................................................. 256 11. Semantische Auswertung ........................................................................... 261 11.1 Das semantische Feld bzw. die Denotation ....................................... 261 12.2 Das Wortfeld bzw. die Sinnbeziehungen ........................................... 265 TEIL IV: ApPLIKATION UND INTERPRETATION Interpretation einiger kaiserzeitlicher Schlüsseltexte der die eELOS' av7jpHypothese rezipierenden neutestamentlichen Christologieforschung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der semantischen Analyse ........................... 275 12. Die eELOS' avßpUJTToS'-Terminologie in Philostrats Vita Apollonii ............ 276 12.1 Der Gebrauch der eELOS' avßpUJTToS'- Terminologie in den anderen Schriften Philostrats ............................................................. 278 12.2 Der Gebrauch der ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie in Philostrats Apolloniosvita ................................................................. 282 12.2.1 Der titulare Gebrauch der eELOS' aVepUJTTOS'- Terminologie ... 282 12.2.2 fJELOS' KTA. als ethisches Prädikat für Menschen ................. 288 12.2.3 Sophistische Sprachspielerei: "Gute Menschen sind Götter" 292 12.2.4 Der philostratische Apollonios als eELOS' avr]p ..................... 300 12.3 Die Rezeption der Vita durch Hierokles und Euseb ......................... 315 12.4 Fazit ................................................................................................... 319
Inhaltsverzeichnis
XI
13. Alexander von Abonuteichos als 8ELOS" dvf]p? ......................................... 321 13.1 Der Gebrauch von OLOS" im Griechischen .......................................... 321 13.1.1 Der restriktive Gebrauch von OLOS" ......................................... 321 13.1.2 LiLOS" in Syntagmen mit historischen Referenten .................... 324 13.2 Alexander 11: OLOS" 'AAEtav8poS" ..................................................... 329 13.3 Alexanders Stellung auf dem Hintergrund der Religiosität seiner Zeit ................................................................ 345 14. Der Gebrauch der ßELOS" av8pUJTToS"- Terminologie im hellenistischen Judentum ........................................................................... 349 14.1 Ein forschungs geschichtlicher Überblick ......................................... 349 14.2 Die 8ELOS" avßpUJTToS"- Terminologie in den Schriften des Phiion von Alexandrien .............................................................. 361 14.2.1 Der titulare Gebrauch der Terminologie ............................... 363 14.2.1.1 Die 8EO"TTEO"LOL av8pES": Archegeten philosophischer Erkenntnis ..................................... 363 14.2.1.2 Die ßEO"TTEO"LOL av8pES": Archegeten jüdischer Traditionen .............................................. 370 14.2.2 Der ethische Gebrauch der Terminologie .............................. 376 14.2 Die ßELOS" av8pUJTToS"- Terminologie in den Schriften des Flavius Josephus ......................................................................... 382 14.2.1 Die göttlichen Propheten ....................................................... 383 14.3.2 Mose als ßELOS" dvryp .............................................................. 386 14.3.2.1 Contra Apionem 1,279 ............................................ 386 14.3.2.2 Antiquitates 3,180 .................................................... 392 15. Ergebnis und Auswertung für die Christologieforschung ........................... 400 Anhang: Inschrift aus Anabura in Pisidien ....................................................... 408 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 41 0 1. Textausgaben und Übersetzungen ......................................................... 410 2. Lexikographisches ................................................................................. 415 3 . Weitere Literatur ................................................................................... 416 Autorenregister ................................................................................................. 431 Namen- und Sachregister .................................................................................. 437 Register griechischer Wörter ............................................................................ 443 Stellenregister ................................................................................................... 449
Abkürzungsverzeichnis Antike Literatur Arist. EN Poet.
Aristoteles Ethica Nicomachea Ars poetica
Athenaios Deipn.
Athenaios Deipnosophistae
Cert.
Certamen Homeri et Hesiodi
Clem. Alex.
Clemens Alexandrinus Stromateis
Cic. De fine N.D. Tim. Tusc. Disp.
Cicero De finibus De natura deorum De timore Tusculanae disputationes
Dio Chrys. Or.
Dio Chrysostomus (Dio von Prusa) Orationes
Diog. Laert.
Diogenes Laertios De clarorum philosophorum vitis
Dion Halik. De comp. verb. Ep. adPomp. Dem. Lys. Thuc.
Dion von Halikarnassos De compositione verborum Epistula ad Pompeium De Demosthenis dictione De Lysia De Thucidide
Epikt. Diss. Ench.
Epiktet Dissertationes Encheiridion
XIV
Abkürzungsverzeichnis
Epikur Epist. ad Men. Epist. ad Her. GV RS
Epikur Epistula ad Menoeeeum Epistula ad Herodotum Gnomologium Vatieanum Ratae sententiae
Eunapios VS
Eunapios Vitae sophistarum
Eus. C.H. D.E. P.E.
Euseb(ios) Contra Hieroelem Demonstratio evangeliea Praeparatio evangeliea
Hes. Theog.
Hesiod Theogonia
Horn. 11. Od.
Homer Ilias Odysseia
Iambl. Comm. math. Nieom. arithm. Protr. VP
Iamblieh De eommuni mathematiea seientia In Nicomachi arithmetieam introduetionem Protreptieus De vita pythagoriea
Lukian Abd. Adv. ind. Alex. Bis ace. Amor. Anaeh. Cone. deor. Cyn. De astrol. De saer. De salto Demon. Demosth. ene.
Lukian Ab die atus Adversus indoetum Alexander Bis aeeusatus Amores Anaeharsis Coneilium deorum Cynieus De astrologia De saerifieiis De saltatione Demonax Demosthenis eneomium
Antike Literatur
Dial. mort. Fugit. Gall. Herrn. Icarom. Jup. trag. Macr. Men. Peregr. Philops. Pisc. Pro imagin. Pro lapsu Rhet. praec. Saturn. Symp. Tox. Ver. hist. Vit. auct.
Dialogi mortuorum Fugitivi Gallus Hermotimus Icaromenippus Juppiter tragoedus Macrobii Menippus De morte Peregrini Philopseudes Piscator Pro imaginibus Pro lapsu inter salutandum Rhetorum praeceptor Saturnalia Symposium Toxaris Verae historiae Vitarum auctio
Lukrez De rer. nat.
Lukrez De rerum natura
Mark Aurel Medit.
Markus Aurelius Meditationes
Or. Contra Cels.
Origenes Contra Celsum
Philostr. Ep. Her. VA VS
Philostrat Epistulae Heroicus Vita Apollonii Vitae sophistarum
PI at. Krat. Men. Phaid. Phaidr. Symp. Tim.
Platon Kratylos Menon Phaidon Phaidros Symposion Timaios
XV
XVI
Abkürzungsverzeichnis
Plinius Ep. HN
Plinius Epistulae Historia naturalis
Plot. Enn.
Plotin Enneades
Plut. Plutarch Mor. Moralia Adv. Colot. Adversus Colotem De genio Socr. De genio Socratis De stoic. rep. De stoicorum repugnantiis Vit. Vitae parallelae Cim. Cimon Lyc. Lycurgus Pericl. Pericles Sert. Sertorius Comp. Comparatio Cim. etLuc. Comparatio Cimonis et Luculli Porph. Vita Plot. VP
Porphyr Vita Plotini Vita Pythagorae
Sen. AdHelv. Cons. ad Marc. De benef. De const. sap. De provid. De tranq. an. De vit. beat. Ep. Quaest. N at.
Seneca AdHelviam Consolatio ad Marciam De beneficiis De constantia sapientis De providentia De tranquillitate animi De vita beata Epistulae morales Quaestiones naturales
Die Abkürzungen der Schriften des Neuen Testamentes sowie der Schriften von Josephus und Philon richten sich nach Siegfried M. Schwertner (Hg.), Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, 2. überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin / New York 1994, S. XXII-XXV.
Moderne Literatur
XVII
Moderne Literatur
Die Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. Schwertner (Hg.), Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, 2. überarbeitete u. erweiterte Aufl., Berlin / New York 1994. Es werden zusätzlich bzw. abweichend folgende Abkürzungen verwendet:
BAA
CHCL I
D/K
FGH (1-111) GgrR
JbAC Kühner/Blass
Kühner/Gerth
KWdH LSJ
Ph. / Philol. Pohlenz (1/11)
Bauer, Walter, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, 6. völlig neubearb. Aufl., hg. v. Kurt Aland und Barbara Aland, Berlin 1988. Easterling, P. E., Knox, B. M. W. (Hg.), The Cambridge History of Classical Literature, Volume I: Greek Literature, Cambridge 1985. Diels, Hermann, Kranz, Walther (Hg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch und deutsch, 8. Aufl., Berlin 1961. Jacoby, Felix (Hg.), Die Fragmente der griechischen Historiker, Teil 1-3, Leiden 1954-1963. Nilsson, Martin P., Geschichte der griechischen Religion. Zweiter Band: Die hellenistische und römische Zeit, 2. durchg. u. erg. Aufl., München 1961. Jahrbuch für Antike und Christentum. Kühner, Raphael, Blass, Friedrich, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Erster Teil, 2 Bde., 3. Aufl., Hannover 1890-92 (Nachdruck 1978). Kühner, Raphael, Gerth, Bernhard, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Zweiter Teil, 2 Bde., 3. Aufl. Hannover 1898-1904, (Nachdruck 1978). Kleines Wörterbuch des Hellenismus, hg. v. Hatto H. Schmitt und Ernst Vogt, Wiesbaden 1988. Liddell, Henry George, Scott, Robert, A Greek-English Lexicon. A New Edition Revised and Augmented throughout by Henry Stuart J ones with the Assistance of Roderick McKenzie, Oxford 1958. Philologus. Zeitschrift für das klassische Altertum. Pohlenz, Max, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Bd. 1/11, 6. Aufl., Göttingen 1984.
XVIII RE
Abkürzungsverzeichnis
(1/11)
Paulys Real-Encyklopädie der classischen Alterthumswissenschaft. Neue Bearbeitung begonnen von Georg Wissowa. 1. und 2. Reihe, Stuttgart 1894-1972. RE Suppl. Paulys Real-Encyklopädie der classischen Alterthumswissenschaft. Neue Bearbeitung begonnen von Georg Wissowa. Supplement, Stuttgart 1903-1980. Rh Mus Rheinisches Museum für Philologie. RhMNF Rheinisches Museum für Philologie. Neue Folge. S chmid -S tählin I Schmid, Wilhelm, Stählin, Otto, Geschichte der griechischen Literatur, Erster Teil, 3 Bde., München 192940. Schmid-Stählin 11 Schmid, Wilhelm, Stählin, Otto (Hg.), Geschichte der griechischen Literatur von Wilhelm von Christ, Zweiter Teil, 2 Bde., 6. Aufl. München 1920-24. Schürer-Vermes Schürer, Emil, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C. - A.D. 135). A New English Version Revised and Edited by Geza Vermes, Fergus MilIar, Martin Goodman, 3 Teile, Edinburgh 1987. SVF Arnim, Hans von (Hg.), Stoicorum veterum fragmenta, 4 Bde., Leipzig 1903ff. (Nachdruck Stuttgart 1964). Transactions and Proceedings of the American ~hilological T APhA Association TGL Stephanus, Henricus, Thesaurus Graecae Linguae, hg. v. C. B. Hase, G. und L. Dindorf, Paris 1829 (Nachdruck Graz 1954). TLG Thesaurus Linguae Graecae. Pilot CD Rom C, University of California,Irvine 1987. ÜberweglPraechter Überweg, Friedrich, Grundriss der Geschichte der Philosophie, Teil 1: Die Philosophie des Altertums, hg. v. Karl Praechter, 14. Aufl., Darmstadt 1957. Zeller (1-111) Zeller, Eduard, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 3 Teile, 6. Aufl., Hildesheim 1963.
TEIL I
EINFÜHRUNG IN DIE PROBLEMATIK Forschungs geschichtliche und linguistische Betrachtungen
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik In einem Wörterbuchartikel 1 hat Wülfing von Martitz eingehende Kritik an der Konzeption eines hellenistischen ßElOS' dvrjp und ihrer Verbindung mit der vioS' ßEOV- Vorstellung geübt. Von Martitz stellt dort die Frage nach der Bedeutung des Terminus eElOS', wenn er Menschen in der griechischen Literatur beigelegt wird. Aus den von ihm herangezogenen homerischen und klassischen Texten gehe hervor, daß das Wort, wenn es in bezug auf Menschen verwendet wird, entweder als stehendes Epitheton auftritt, oder sich auf das Verhalten gegenüber religiösen Geboten, auf das Irrationale im Tun einiger Menschen oder auf die normalmenschliches Maß übersteigende Begabung bezieht. Aus dieser Analyse einiger weniger Texte zieht er den Schluß: "Nirgends aber wird diesen Pers [onen] selbst ein sakraler Charakter zugesprochen, nirgends zeichnen sich diese etwa durch Wundertätigkeit oä aus", "eElOS' steht aber, auch bei dvrjp und avßpUJ1ToS', prädikativ; es ist kein term[inus] techn[icus]" und" ßElOS' dvf}p ist mindestens in vorchristlicher Zeit kein feststehender Begriff. ßElOS' wird überwiegend prädikativ verwendet".2 Es werden also Menschen eElOL genannt, ohne daß ihnen damit ein "charismatischer Charakter", d.h. Göttlichkeit, verliehen wird. 3 Umgekehrt werden, so von Martitz, die jeweiligen Personen dort, wo die Vergöttlichung eines Menschen tatsächlich in antiken Texten vorliegt, niemals mit dem Wort ßElOS' bezeichnet. 4 Der Begriff sei also nicht "notwendiger 1
Wülfing von Martitz, Art. vl6s-
KT)...
A. vl6s- im Griechischen, ThWNT 8, 1969, S. 335-
340. Von Martitz, Art. vl6s-, S. 338; ebd., Anm. 23; 339. Carl R. Holladay, THEIOS ANER in Hellenistic Judaism. A Critique of this Category in New Testament Christology, SBL.DS 40, Missoula 1977, hat dies für das hellenistische Judentum (d.h. für Josephus, PhiIon und Artapanos) nachgewiesen. Auch dort habe der Terminus BEtos- dVr]p weder mit einer festen Vorstellung eines göttlichen Menschen korreliert, noch die jeweilige Person dieser Vorstellung zugeordnet. Holladay geht in seiner Untersuchung davon aus, daß BEtos- ein Wort mit mehrfacher Bedeutung ist (S. 57f.), daß die Wendung BEtos- dVr]p jedoch ein ausgeprägt hellenistischer Ausdruck gewesen sei, der für bestimmte historische charismatische Persönlichkeiten eine geeignete und offensichtlich akkurate Bezeichnung gewesen sei, vgl. S. 22.183ff. Holladay untersucht den Gebrauch des Terminus BEtos- dVr]p bei Josephus, Philo und Artapanos (S. 47ff.) und zeigt, daß man je nach Kontext entscheiden muß, was der Begriff jeweils bedeutet. Aufgrund kontextueller Analysen weist Holladay nach, daß der Ausdruck BEtos- dVr]p im hellenistischen Judentum kein terminus technicus war, der gebraucht worden wäre, die Helden Israels, vor allem Mose, zu vergöttlichen. Insbesondere bestreitet er die in der neutestamentlichen christologischen Forschung weitverbreitete Vorstellung, der Begriff BEtOs- dVr]p bezeichne einen Wundertäter. 4 Er bezieht sich auf den Seher lamos und den Dichter Komatas, ferner auf den Feldherrn Lysander, auf Pythagoras, Empedokles, Platon und Apollonios von Tyana. Anscheinend will er in dem späten Gebrauch des Begriffes für Philosophen bei den Neuplatonikern einen "cha2 3
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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Bestandteil dieser Vorstellung (sc. des Gottmenschen)".5 Weiterhin lasse sich entgegen landläufiger Meinung dem Belegmaterial nicht entnehmen, daß die sogenannten eElOL in der Regel auch Göttersöhne seien. "Die mehr oder weniger deutliche Vorstellung von Göttlichkeit erfährt keine terminologische Festlegung, insbesondere keine Betonung eines Sohnescharakters. Die Verbindung von Gottessohnschaft und [der] Bezeichnung als eElOS', sofern sie auftritt, ist also akzidentiell".6 Dieser Aspekt der Kritik von Martitz' wurde durch eine Untersuchung Barry Blackburns untermauert. 7 Blackburn bietet eine systematische Analyse der Wunder der wunderwirkenden eElOL av8pES' des Hellenismus8 und gelangt, gewissermaßen als Nebenprodukt der Analyse, zu der Schlußfolgerung, daß eElOS' dvryp (oder irgendein anderer Begriff, besonders vloS' eEOU) in der Überlieferung kein fester terminus technicus gewesen sei, der für diese göttlichen Figuren verwendet wurde. 9 rismatischen Charakter der 8ELoS'-Bezeichnung", erkennen, vgl. S. 339, Z. 14f., relativiert dies jedoch sofort in der nächsten Anmerkung, in der er sich auf eELOS' JIAaTwv bezieht: "Gerade die Verwendung [von deus als Bezeichnung für Platon] bei Cic[ero] macht deutlich, daß deus nicht wörtlich, sondern im Sinne der Reverenz vor dem Schulhaupt der Academici gemeint ist", ebd., Anm. 31. 5 Von Martitz, Art. uf6S', S. 339. 6 Von Martitz, Art. uf6S', S. 340. 7 Barry Blackburn, Theios Aner and the Markan Miracle Traditions. A Critique of the Theios Aner Concept as an Interpretative Background of the Miracle Traditions Used by Mark, WUNT 2. Reihe 40, Tübingen 1991; er schickte der Veröffentlichung seiner Dissertation einen zusammenfassenden Artikel voraus: Ders., 'Miracle Working BEIGI AN.t1PEL; in Hellenism (and Hellenistic Judaism), in David Wenham / Craig BIomberg (Hg.), Gospel Perspectives. Volume 6. The Miracles of Jesus, Sheffield 1986, S. 185-218. 8 Blackburn, Theios Aner, S. 13-96. Als eELOS' dvf}p rechnet er diejenigen Figuren, denen ungeachtet ihrer Göttlichkeit eine menschliche Existenz auf Erden zugeschrieben wurde. Götter (außer Asklepios und Imouthes) wurden also außer Acht gelassen. In einem ersten Teil untersucht Blackburn die vorchristlichen göttlichen Wundertäter. Zuerst wendet er sich den Sehern zu, die heroische Ehrenbezeugungen empfangen hätten oder von göttlicher Abstammung gewesen seien (S. 16-23): Er diskutiert Melampos, Amphiaros, Amphilochos, Tiresias, Idmon, Mopsos, Phineus, Kassandra, Chalkas L Mopsos (Sohn der Manto), Parnassos und Telemos. Dann untersucht er die göttlichen Arzte (S. 24-28): Asklepios, Machaon und Podaleirios, die Söhne Machaons, Menekrates und Pyrrhos. Drittens wendet er sich Wundertätern verschiedener Art zu (S. 28-72): Amphion, Kalais und Zetes, Euphemos, Periklymenos, Orpheus, Musaios, Abaris, Aristeas, Hermotimos, Epimenides (S. 35-37), Pythagoras (S. 3751), Empedokles (S. 51-53), Zalmonxis, Sokrates, Nektanebos, Imouthes, Nechepso-Petosiris, Zoroaster, Moses (S. 59-72). In einem zweiten Teil stellt der Autor die Wunder der Wundertäter des christlichen Zeitalters systematisch dar (S. 73-91): Simon Magus, Menander, Apollonius von Tyana (S. 73-85), Iarchas und andere indische Weise, Vespasian, Hadrian, Alexander von Abonuteichos, Peregrinos, ein hyperboreischer Magier (Lukian Philops. 13), Arignotus. 9 Blackburn, Theios Aner, S. 92-96, dort S. 94f; "The ancient sources yield no standard or customary designation, inc1uding eELOS' dVr7P, for these miracle workers .... Scholars who state or imply that in the Hellenistic environment of early Christianity eELOS' dVr7P functioned as a technical term for human figures who manifested their eELa CPV(J"LS' through miraculous deeds do so without adequate warrant", B~.ackburn, Mirac1e Working, S. 188f. Nur Epimenides, Mose und Apollonios seien in der Uberlieferung gelegentlich so bezeichnet worden. Blackburn scheint die Bezeichnung des Pythagoras als eELOS' in Iamblichs Vita Pythagorica übersehen und die des Platon, Iamblich u.a. in den neuplatonischen Viten ausgeklammert zu haben.
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In krassem Gegensatz zu diesen Erörterungen steht ein im Jahr 1983 erschienener Artikel über Gottmenschen in der griechisch-römischen Antike und im Urchristentum. lo Dort behauptet Hans Dieter Betz, "zur Bezeichnung des G[ ottmenschen] hat sich der Begriff eElO5' dvTjp eingebürgert",1 1 Das Wort ßElOS" sei von ßE65' abgeleitet und bedeute "göttlich" im Sinne von "von einer Gottheit abstammend" oder "übermenschlich". Ferner werde der Ausdruck ßELOS" dvTjp speziell auf solche Personen bezogen, die kraft besonderer charismatischer Begabung über das allgemein-menschliche Maß hinausragen, wobei statt des Begriffes ßEL05' auch 8aL/16vL05' oder eEaTTEaIoS" stehen könnten. Weiterhin zeigten Neubildungen christlichen Ursprungs wie ßEav8poS" und ßEavßpUJTToS" u. ä., daß die Vorstellung des Gottmenschen eine neue Stufe erreicht habe,12 Ferner lenkt er die Aufmerksamkeit auf "die anthropologischen Voraussetzungen" der Gottmenschvorstellung. Er weist auf die Notwendigkeit hin, das Problem auf dem Hintergrund einer antiken Anthropologie zu erörtern. Dementsprechend ordnet er den ßElO5' dvTjp einem Spektrum zu, das aus ßEOL, 8aL/10vES", fjPUJE5', eElOL avßpUJTToL und avßpUJTToL zusammengesetzt ist. 13 In diesem Artikel, der gewissermaßen die Summe der ßEL05' dvTjp-Forschung eines dreiviertel Jahrhunderts darstellt, geht Betz mit keinem Wort auf die semantischen Einwände von von Martitz und Holladay ein. Es entsteht der Eindruck, er halte sie für nicht zutreffend oder für nicht relevant. Dies ist insofern sehr erstaunlich, als diese Kritiker sich offenbar gegen fundamentale Annahmen und Thesen der gesamten ßElO5' dvTjp-Forschung wenden wollten. Welche Rolle die Bedeutung von Ausdrücken wie ßElO5' und eElOS" dvTjp in der ßELOS" dvTjp-Forschung spielte und welcher Stellenwert ihr gebührt, bedarf also der Klärung. Im Folgenden soll anhand der Forschungsentwicklung 14 gezeigt werden, welche 10 Hans Dieter Betz, Art. Gottmensch II. Griechisch-römische Antike und Urchristentum, RAC 12, 1983, Sp. 234-312. 11 Ob dieser Satz von Betz (Gottmensch, Sp. 235) sich auf den Sprachgebrauch der Antike, den der modernen Forschung oder gar auf beides bezieht, ist nicht eindeutig zu klären. Der Kontext - eine Diskussion der Bedeutung von 8ELOS' KTA. in der Antike - legt jedoch nahe, daß er hier den antiken Sprachgebrauch meint. 12 Betz, Gottmensch, Sp. 235f. 13 Betz, Gottmensch, Sp. 235-238. 14 Es gibt keinen vollständigen Forschungsbericht über die Entwicklung der 8ELOS- dVr}pProblematik; die Vielschichtigkeit der Problematik und die Komplexität der jeweiligen Konzepte sachgerecht darzustellen und auszuwerten, wäre eine lohnenswerte Aufgabe für sich. Morton Smith, A Prolegomena to a Discussion of Aretalogies, Divine Men, the Gospels and Jesus, JBL 90, Suppl. III, 1971, S. 174-199, da S. 188-195, vgl. bes. Anm. 94), gibt eine kurze Übersicht über die Forschung. Weitere Forschungsberichte bei Holladay, THEIOS ANER, S. 1ff., und bei Eugene V. Gallagher, Divine Man or Magician? Celsus and Origen on Jesus, SBL.DS 64, Chico 1982, S. 1-26. Der Bericht von Gallagher ist manchmal sehr eigenwillig, polemisch und nicht frei von Fehlern. Der Bericht von Gail Paterson Corrington, The "Divine Man". His Origin and Function in Hellenistic Popular Religion, AmUStTR 17, New York 1986, S. 1-58 ist trotz seines Umfangs recht oberflächlich und reicht nur für eine erste Orientierung. Eine umfassende Diskussion der Entwicklung der Forschung bietet Erkki Koskenniemi, Apollonios von Tyana in der neutestamentlichen Exegese. Forschungsbericht und Weiterführung der Diskussion, WUNT 2. Reihe 61, Tübingen 1994, S. 64-168.
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grundlegende Rolle semantische Aspekte 15 in der gesamten Forschung gespielt haben. 16
1.1 BELDS' dvf}p als technischer Terminus religiösen
Sprachgebrauchs der Kaiserzeit 1.1.1
Richard Reitzenstein: Orientalische Wandermissionare
Richard Reitzenstein kann mit Recht als der Urheber der ßELOS- avßpuJ7ros--Konzeption in der Religionsgeschichtlichen Schule angesehen werden - bei ihm tritt der Begriff erstmals in seinem technischen Sinn auf. 17 In seinem Buch über die hellenistischen Mysterienreligionen 18 verwendet er den Begriff für eine bestimmte historische Erscheinung, die mit der raschen Verbreitung synkretistischer Kulte im Hellenismus zusammenhinge. Er erklärt sie auf dem Hintergrund orientalischer bzw. ägyptischer Religionen, die die Grenzen zwischen Gott und Menschen verwischten, so daß der Zauberer bzw. Wundertäter in der Vereinigung mit dem Gott seine Wunder tue und der Seher bzw. Prophet die Zukunft voraussage. 19 Diese Kulte seien überall in der Ökumene von Wanderpredigern gegründet worden, die ihren Lehren durch Wunder und ekstatische Rede Glaubwürdigkeit verschaffen wollten. 20 Als frühestes greifbares Beispiel nennt Reitzenstein die bekannte Unterdrückung eines hellenistisch-orgiastischen 15 Semantische Aspekte liegen dort vor, wo im betreffenden Forschungsansatz das sogenannte Bedeutungsdreieck identifiziert werden kann, d.h. wo die seit dem Mittelalter gültige Definition für den Vorgang der Bezeichnung, vox significat rem mediantibus conceptibus, angewandt werden kann. Dort, wo eine triadische Beziehung zwischen einem Zeichen ("Wort", "Name", "Ausdruck", "Begriff"), Bedeutungsinhalt ("Vorstellung", "Idee", "Begriff", "Bedeutung", "Denotation") und einem Bezeichneten C'Ding", "Objekt", "Welt", "Referent") festgestellt werden kann, liegen semantische Aspekte vor. Grundsätzliches dazu bei John Lyons, Semantik Bd. I, München 1980, S. 108-112. 16 An dieser Stelle wird die Rezeption der ßclOS" dVr]p-Hypothese in der neutestamentlichen Forschung ausgeklammert; vgl. dazu Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 64-168. Die Rezeptionsgeschichte der ßclOS" aVr]p-Hypothese in der Erforschung des hellenistischen Judentums wird hier unten gesondert behandelt, vgl. Kap. 14.1. 17 Richard Reitzenstein, Hellenistische Wundererzählungen, Leipzig 1906, S. 50. Ganz beiläufig heißt es dort im Kontext einer Diskussion über die Quellenverarbeitung in Philostrats Vita Apollonii: "Als Mensch lebt sein ßclOS" dVr]p weiter, um bald, seinen Tod voraussehend, ... zu sterben - oder nicht zu sterben". 18 Richard Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen. Ihre Grundgedanken und Wirkungen, Leipzig 1910. Eine stark überarbeitete Auflage liegt vor: Ders., Die hellenistischen Mysterienreligionen nach ihren Grundgedanken und Wirkungen. Dritte, erweiterte und umgearbeitete Auflage, Leipzig 1927. Da es sich hier um Begriffsgeschichte in der Forschung handelt, zitiere ich, wenn nicht anders erwähnt, die erste Auflage. Bezüglich des ßclOS" dVr]pKonzeptes wurden in den späteren Auflagen keine Änderungen vorgenommen. 19 Mysterienreligionen, S. 13. Vgl. auch Wundererzählungen, S. 36-37, wo die Rede ist von einer aus dem Osten kommenden Missionsbewegung von Propheten und Wundertätern, die sich "als Boten Gottes oder sogar als Verkörperung eines Gottes ausgaben". 20 Mysterienreligionen, S. 11-12.
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Mysterienkultes am Anfang des 2. Jahrhunderts in Italien. Wenig später seien mehrere ägyptische Zauberer durch das Land gezogen, so daß solche Typen bald nachher von Philodem als BEtoL bezeichnet worden seien,21 ja "eine allgemeine Vorstellung von dem BEtOS" avBpwTToS" beginnt sich durchsetzen, nach welcher ein solcher Gottmensch auf Grund einer höheren Natur und persönlicher Heiligkeit in sich tiefstes Erkennen, Seher- und Wunderkraft verbindet"22. Nur so sei es möglich, Erscheinungen wie Apollonius von Tyana, Alexander von Abonuteichos und Peregrinus Proteus zu erklären. In den Erzählungen gelte es als selbstverständlich, daß sie die Zukunft vorauswissen, Kranke heilen und sogar Tote auferwecken. Zu ihren Lebzeiten sei ihnen von ihren Anhängern der Titel TTPOcpT]Tl]S", von ihren Widersachern die Bezeichnung YOl]S" beigelegt worden; ein anderer religiöser Ehrentitel sei avBpwTToS" BEtOS" gewesen. 23 Reitzenstein bietet keine vollständige Beschreibung des BEtOS" avryp. Nur aus zerstreuten Bemerkungen kann man die Gesamtkonzeption erahnen. 24 Reitzensteins Konzeption des BEtOS" avryp hat also eine starke semantische Komponente: Der Terminus BEtOS" avBpwTToS" sei ein technischer Terminus ("Bezeichnung") hellenistischen Sprachgebrauchs gewesen, der die Vorstellung eines heiligen, wundertätigen Gottmenschen beinhaltet habe: Es ist die Rede von einem Bewußtseinsinhalt ("Vorstellung" / "Idealvorstellung") damaliger Menschen, der mit einem historischen Phänomen, und zwar dem der wundertätigen Wandermissionare, korrespondiert. Der Ausdruck BEtOS" avBpwTToS" wurde infolgedessen solchen historischen Figuren als "Ehrentitel" beigelegt. Der Ausdruck sei mit Wörtern wie TTPOcpryTl]S" und YOl]S" semantisch verwandt. Semantisch relevant ist auch die Tatsache, daß Reitzenstein die BEtOS" avBpwTToS"- Kon21 Philodem, JJcpl ecwv, Fragment 10, vgl. Mysterienreligionen, 31927, S. 26. 22 Mysterienreligionen, S. 12. In diesem Sinne kommt der Ausdruck ecLOS" aVepUJTTOS" auch vor in: Richard Reitzenstein, Historia Monachorum und Historia Lausica. Eine Studie zur Geschichte des Mönchtums und den frühchristlichen Begriffen Gnostiker und Pneumatiker, Göttingen 1916, dort S. 93ff.: Er versucht festzustellen, welche Vorstellungen diesen zwei Mönchserzählungen zugrunde liegen. Das Mönchsideal vom vollkommenen Pneumatiker, der YVW(J1S" hat, Wunder tut, Himmel und Hölle durchwandert und Asket ist, entspreche der heidnischen Vorstellung vom Gottmenschen bzw. ecLOS" aVepUJTTOS". 23 Vgl. auch den entsprechenden Abschnitt in Mysterienreligionen, 31927, S. 237 und Kap. 7.3.1 hier unten. 24 Mysterienreligionen, S. 22.35.38.122.126.128f.143.151.159. Für Reitzenstein ist der ecLOS" dvrjp ein Pneumatiker mit dem Selbstbewußtsein, er sei göttlich bzw. (ein) Gott, da er Gott geschaut habe (eEa ecov) und unmittelbare Kenntnis von Gott (YVWOIS" ecoÜ) habe. Er sei vollkommen und deswegen erhoben über die clflapflEVTJ oder dvaYKTJ. Das göttliche Wissen gebe Macht (ltovola) , eine eEUJO"LS" finde statt, und er werde zu einem dvTjp ecLOS" gemacht. Dieser Typus werde durch seinen freiwilligen Tod oder aOKTJOIS" zum TTvcvfla, so daß der ecLOS" aVepUJTTOS" nach seinem Tod als Pneuma oder TTvcvflaTLKoS" bei seinen Anhängern bleibe (z.B. Apollonios von Tyana). Als Beispiel par excellence für das Selbstverständnis eines ecLOS" dvrjp führt er das Poimandres-Traktat im Corpus Hermeticum an, vgl. den Hinweis in Wundererzählungen, S. 36, Anm.2 auf Reitzensteins eigenes Buch: Poimandres. Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur, Leipzig 1904, da besonders S. 102f, ferner 214-50 über die Prophetenweihe. Methodisch geht Reitzenstein so vor, daß er Einzeldaten aus einem größeren Zeitraum sammelt und daraus ein Gesamtbild für die Zeit konstruiert.
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zeption in einem größeren geistesgeschichtlichen Kontext ansiedelt: Den Hintergrund der Vorstellung bildet die Theologie bzw. Metaphysik der hellenistischen Religionen und orientalistischen Mysterien. Eine weitere Beobachtung sei noch an dieser Stelle erlaubt: An einigen Stellen äußert Reitzenstein die Meinung, daß der Prototyp der Evangelien, Apostel- und Märtyrerakten bzw. Heiligenlegenden, nämlich die literarische Gattung der Aretalogie, auf dieser Idealvorstellung beruhe. 25
1.1.2 Gilles P. Wetter:
(jcfo~
dJ/lfp als Gottessohn
Die erste umfassende Gesamtdarstellung der Konzeption eines 8ELOS" dv7jp erfolgt mit einer Abhandlung von Gilles P. Wetter über die Gottessohnproblematik des Johannesevangeliums. 26 Wetter versucht zu zeigen, daß es sich in der Rede vom Gottessohn im J ohannesevangelium um formelhaftes, technisches Gut, d.h. um ein festumrissenes Schema, handelt, das nicht von dem Verfasser geschaffen, sondern von ihm aus seiner hellenistischen Umwelt übernommen worden ist. 27 Er versucht, ein Bild dieses Schemas zu zeichnen, so wie es im Hellenismus neben dem Christentum auftrat. Wetter geht der Fragestellung terminologisch nach, er stellt seine Untersuchung von Anfang an auf eine semantische Basis. Er will zeigen, daß eine Reihe disparater Wendungen zusammengehören, weil sie nur verschiedene Seiten einer antiken Vorstellung ausmachen, und daß der Begriff "Sohn Gottes" ein technischer Terminus aus der Umwelt des Urchristentums war, der nur auf Jesus angewandt wurde. 28 Wetter bedient sich folgender Strategie: Es sei frühchristlichen Quellen zu entnehmen, daß es im Umfeld des Christentums viele Menschen gegeben habe, die Heilandsprätendenten waren, die sich als Götter und
25 Wundererzählungen, S. 37.55.82-83.97. - Karl Holl, Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens, in Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Ir. Der Osten, Tübingen 1928, S. 249-269, ursprünglich veröffentlicht in NJKA 29, 1912, S. 406ff. widersprach Reitzensteins Sicht, daß die christlichen Heiligenlegenden aus der Aretalogie entstanden seien; sie haben seiner Ansicht nach ihren Ursprung in den Viten weiser Philosophen, was sich an der Pythagorasvita des Apollonios festmachen lasse. Strukturell gleich ist jedoch die Verbindung einer literarischen Gattung mit einem Bewußtseinsinhalt damaliger Menschen ("Wunschgestalt des vollkommenen Weisen", vgl. a.a.O., S. 257), dessen sprachliche Bezeichnung 8ELOS' äv8pWTTOS' gewesen sei ("Ehrenname", ebd., Anm. 4; "Name" / "Bezeichnung", S. 262, Anm. 4, mit Hinweis auf Dio Chrys. Or. 33,4). Auch er bettet die Vorstellung in metaphysische Vorstellungen der Zeit ein, vgl. S. 57-62. 26 Gilles P. Wetter, "Der Sohn Gottes". Eine Untersuchung über den Charakter und die Tendenz des Johannes-Evangeliums. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Heilandsgestalten der Antike, Göttingen 1916. Gallagher, Divine Man, will den Wetterschen Beitrag auf einige Bemerkungen am Ende des Buches beschränken. Dies ist falsch; der 8ELOS' avr7p ist für Wetter Gottessohn und wird folglich im ganzen Buch erörtert. 27 Wetter, Sohn Gottes, S. 2f. 28 Ebd.
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Göttersöhne ausgaben bzw. kultisch verehrt wurden. 29 Analysiere man die jeweiligen Überlieferungen, könne man eine Reihe verschiedener Titel oder Benennungen feststellen, die "obgleich sie formell von einander abweichen und daher nicht aus einer schriftlichen Quelle geschöpft sein können, doch alle ... einer einheitlichen, für die Frömmigkeit dieser Zeiten charakteristischen Gestalt anzugehören scheinen. "30 Aus diesen Beobachtungen sei zu schließen, "daß es in der antiken Welt viele gegeben hat, die sich für Gott und Gottessohn gehalten haben. Die beiden Bezeichnungen scheinen mit einander ohne Unterschied zu wechseln. Bald wird einer Gott genannt, bald Gottessohn. Aber auch andere Termini scheinen mit jenen synonym zu sein. Besonders oft hörten wir dies von 8vvaJ-lL:; ... Einige Male scheint auch 'etwas Großes sein', 'ßELO:; sein' dasselbe besagen zu wollen. Und in demselben Sinne ... steht auch TTvEVJ-la. Teils wechseln nun diese Bezeichnungen in denselben Texten, ohne daß ein Bedeutungsunterschied merkbar ist, teils finden wir sie auf dieselben Gestalten in verschiedenen Autoren angewandt. "31 Wetter fährt fort: "Wenden wir uns ... zu den ... antiken Heilands-Gestalten. Da wird sich zeigen, daß sie fast alle darin identisch sind, daß auch diese für Gott, Gottessohn oder ähnliches gehalten werden. . .. Die ganze Tendenz der vita [Apollonii] geht darauf aus zu zeigen, daß Apollonios ... ein göttlicher Mensch (ßELO:;) ist. ... Auch Pythagoras ist, wie er in der vita des Iamblichus geschildert wird, ein solcher ßELO:; dVßPUJTTO:;. "32 Auch im Kaiserkult seien die Titel ßEO:;, vIa:; ßEOV (= divi filius) und ßELO:; dem Kaiser als Synonyme beigelegt worden. 33 "Der Euhemerismus und die allegorische Mythendeutung der Stoa, ja eine Reihe von Tatsachen haben den alten Götterglauben getötet. Aber statt dessen hat die Frömmigkeit andere Gegenstände auf~
29 Als Ausgangspunkt nimmt er Kelsos' Worte in Origines Contra Celsum 7,8f. (vgl. auch 6,11), wo er sagt, er sei auf Reisen durch Syrien und Palästina vielen Propheten begegnet, die behaupteten, Erd; 0 ec65" clJ1L ij ecOvTTats- ij TTvcVJ1a eclOV. Wetter nennt folgende Personen, von denen dieser Anspruch von unabhängigen Quellen bezeugt sei: Simon Magus, Dositheos, Theudas, der Samariter, Menander, Markion, Apsethos, der Gnostiker Markos, Montanus, Elchasai, die Montanistin Maximilla. Die Tatsache, daß Wetter fast nur auf christliche und christlich beeinflußte Texte zurückgreift, ist eine entscheidende Schwäche dieser Studie, vgl. dazu Martin Hengel, Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte, Tübingen 1975, S. 51f. 30 Wetter, Sohn Gottes, S. 10. 31 Wetter, Sohn Gottes, S. 11. Wetter versucht den Nachweis zu erbringen (S. 21-26), daß auch der Terminus TTpOqYrlTT]5" zu diesen Bezeichnungen gehöre: "Prophet und Gottessohn scheinen nicht selten synonym zu sein", ebd. S. 21. 32 Wetter, Sohn Gottes, S. 14f. Wetter nennt außerdem Mani, der als "Gott", "Göttersohn" usw. bezeichnet worden sei. Vgl. in diesem Zusammenhang auch S. 32: "Er (sc. Pythagoras) tritt uns als eclO5", als Gott entgegen, ganz wie Apollonius von Tyana. Ausdrücklich wird es von ihm gesagt, daß er wegen seiner Weisheit für Gott gehalten worden ist, Gott war" [mit Hinweis auf VA 1,19 S. 20 Kayser]. Ferner S. 43: " ... das Zentrale [ist] die Vorstellung von der göttlichen Kraft, die die Menschen ganz in Beschlag nimmt, sie erfüllt; daher heißen sie auch eclOL aVepWTTOL, wie ein anderer technischer Terminus lautet, sie sind eclOL, sind Gott." 33 Wetter, Sohn Gottes, S. 18-20.
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gesucht, sich um andere Gestalten geschart, die jetzt mit dem Namen Gott, mit Prädikaten wie uloS' ßcoD oder ßcLOS' geschmückt werden. "34 Wetter setzt seine Untersuchung damit fort, daß er den Versuch macht, "eine Reihe anderer Begriffe und Termini zu sammeln, die mit unserer Gestalt [sc. der Heilandsgestalt] in Verbindung gebracht und nicht selten promiscue mit jenen [sc. ßcoS', uloS' ßcoD, ßclOS', 8vvallLS' ßcoD usw.] gebraucht werden".35 Es handle sich um Termini wie ayycAoS', aTToaToAoS', 68T}YoS' und Kfjpvf ßcoD, die ursprünglich mit der Vorstellung des kynisch-stoischen Weisen zusammenhingen, dann aber auf die religiöse Vorstellung der Heilandssgestalten übertragen worden seien. 36 Wetter folgert aus der Analyse einiger Textpartien bei Justin, es scheine, "als ob vloS' ßcoD mit äyycAOS' oder Kfjpv, ßcoD identisch wäre ... " .37 Wetter identifiziert also weitere Termini, die zwar keine Synonyme der Begriffe wie uloS' ßcoD, ßcoS' oder ßcLOS' seien, jedoch feste Züge oder Funktionen der Vorstellung der Heilandsgestalt bezeichen: "So scheint es denn wahrscheinlich, daß wir uns hier in einem traditionellen Schema bewegen, wo die verschiedenen Epitheta und Züge schon feststehen, und wo Jesus oder Logos oder Hermes nur verschiedene Namen einer Gestalt sind, die der volkstümlichen Frömmigkeit wohlbekannt war, die den Menschen in allen jenen kynischen und anderen Philosophen täglich im lebendigen Leben begegnete".38 Der verbleibende Teil der Abhandlung ist der Ausarbeitung jener festen Züge (und ihrer Anwendung auf das vierte Evangelium) gewidmet. Nach Wetter gehört eine Verbindung zum Kultus fest zur Vorstellung jener Heilandsgestalten: sie seien heilige Mystagogen, vergöttlichte Lehrer oder Priester. 39 Ferner sei der Gottessohn bzw. ßcLOS' av1p von Hause aus ein Wundertäter. 4o Überall in der antiken Welt habe man von den angeblichen Gottessöhnen Wunder und Zeichen als Beweise für ihren Anspruch gefordert. Auferstehung aus dem Tod, die Fähigkeit, die verborgenen Gedanken der Menschen voraussagen zu können und vor allem das Wissen der eigenen Todesstunde seien charakteristische Züge des Gottesmenschen: "Wer die antiken Vorstellungen näher kennt, wird finden, daß diese Gedanken mit dem ßcLOS' avßpwTToS' in Verbindung gebracht werden" .41 Es sei jedoch charakteristisch, daß die Wunder der Gegner nicht insgesamt verneint würden, sondern daß man nur versucht habe, ihre Beweiskraft abzuschwächen 42 , indem man den Unterschied zwischen dem Pneumatiker und dem dämonisch Besessenen, dem wahren Gottessohn und dem IldyoS' bzw. 34 Wetter, Sohn Gottes, S. 20. 35 Wetter, Sohn Gottes, S. 27. 36 Wetter, Sohn Gottes, S. 34. 37 Wetter, Sohn Gottes, S. 28. 38 Wetter, Sohn Gottes, S. 36. 39 Wetter, Sohn Gottes, S. 41-46.58-62. 40 Wetter, Sohn Gottes, S. 64ff. Wetter beruft sich vor allem auf die Traditionen über Simon Magus, Apollonius von Tyana und Peregrinus Proteus. 41 Wetter, Sohn Gottes, S. 71. 42 Wetter, Sohn Gottes, S. 82ff.
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y67]S' betont habe. 43 Als nächsten festen Zug der Gottessohn- bzw. ecLOS' aVepUJTTOS'- Vorstellung identifiziert Wetter die Zugehörigkeit zur göttlichen
Welt: 44 Der Gottessohn sei ein himmlisches Wesen, vom Himmel herabgestiegen45 oder von göttlicher Abstammung. Es sei nur die letzte Konsequenz dieser Anschauung, daß der Gottessohn wieder zum Himmel zurückkehre, woher er die Dinge auf Erden weiterlenke. 46 Das gelte genauso für den Kaiserkult, in dem der Kaiser deus et dominus natus ist, der durch die Gnade der Sonne hinab- und wieder hinaufsteige. 47 So versucht Wetter also, aus vielen sehr verschiedenen religiösen und philosophischen Traditionen der Kaiserzeit Steinchen für Steinchen das Mosaik einer Vorstellung hellenistischer Frömmigkeit zu rekonstruieren: "So weben sich verschiedene Gedanken hier in einander, alle laufen aber in der Vorstellung des eclOS' aVepUJTTOS' zusammen. "48 Zusammenfassend kann Wetter für sich selbst sprechen: "Bis jetzt haben wir allgemeinere Züge in der Sohn-Gottes-Gestalt der volkstümlichen hellenistischen Frömmigkeit festgestellt und gefunden, daß sie in den ecLOS' aVepUJTTOS' übergeht, ja mit ihm in mancher Hinsicht identisch zu sein scheint. Wir haben gesehen, wie ein Ausgangspunkt für die Vorstellung ein geschichtlicher ist: aus den gewaltigen großen Taten ... gewisser Menschen hat man geschlossen, daß sie eclOL, mit göttlichen Kräften ausgerüstet sind, ihre höheren Kenntnisse zeugen dafür, daß sie 'Götter' sind. Und so ist uns eine ganze Skala von Gestalten begegnet, die in diesen Vorstellungen ihr Zentrum haben ... Für sie alle ist aber charakteristisch, daß sie von Gottes Kraft, von seinem Geist voll waren". 49 Nach Wetter sind die Ausdrücke ecLOS' aVepUJTTOS' und andere synonyme Bezeichnungen wie vloS' ecoD, ec6S' und TTPOcjJ17TTJS' technische Termini hellenistischen Sprachgebrauchs gewesen, die die Vorstellung eines heiligen, wundertätigen Gottmenschen beinhalteten. Es ist also die Rede von einem Bewußt-
43 Wetter, Sohn Gottes, S. 73-79. In der Polemik gegen falsche Gottessöhne sei oft die Rede von 8vvaJ.1LS" J.1 aVTL Kr], J.1aVTEvEafJaL, 8a{J.1wv TTaPE8poS", avfJpwTTOS" WV (nur ein Mensch), r67]S" und J.1aroS". 44 Wetter, Sohn Gottes, S. 82-113. Die kaiserzeitliche Umwelt des frühen Christentums zeichne sich durch ihren scharfen Supranaturalismus aus. Alles, was der Erde angehört, sei schlecht gewesen, nur was nicht von ihr ist, könne gut gewesen sein. Die Grundtendenz hellenistischer Religiosität fordere solche Vermittler, denen allen gemeinsam ist, daß sie eben nicht von dieser Welt stammen. "Für die gemeinen Gläubigen müßte es einen Vermittler der göttlichen Gaben, Kraft und Offenbarung geben, und dies war eben der Prophet, der Gottessohn oder fJELOS" dvfJpwTTOS"", ebd., S. 99. 45 Wetter, Sohn Gottes, S. 87f. In diesen Zusammenhang gehöre auch das Vermögen zu fliegen, ein eindeutiges Zeichen der himmlischen Herkunft des Weisen, ebd., S. 88f. 46 Wetter, Sohn Gottes, S. 101-113. Nach Wetter findet in der Gnosis eine Psychologisierung in diesem Bereich statt, so daß jeder sich himmelwärts begeben könne. 47 Wetter, Sohn Gottes, S. 93f.106. 48 Wetter, Sohn Gottes, S. 105. Man beachte, daß Wetter möglichst immer auf Texte Bezug nimmt, in denen Ausdrücke wie fJELOS" dVfJPWTTOS" KT)... vorkommen, z.B. Epiktet Ench. 15; Lukian Alex. 5.11; Philostrat VA 1,19; 7,21; Iamblich VP 2[12]; vgl. Wetter, Stellenregister. 49 Wetter, Sohn Gottes, S. 82f.
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seinsinhalt ("Vorstellung") damaliger Menschen, der mit einem historischen Phänomen (Thaumaturgen, Mystagogen, wundertätige Wanderphilosophen und Bettelmönche) korrespondiert. Der Ausdruck ßELOS" avßpUJTToS" (uloS" ßEOV, ßEOS", TTP0
1.2 Die 8ELOS- avryp- Vorstellung als Bewußtseinsinhalt in der griechisch-römischen Gesellschaft 1.2.1 In den Fußspuren Otto Weinreichs: Der religionsphänomenologische Ansatz bei Hans Windisch
Hans Windisch führte mit seinem religions geschichtlichen Vergleich von Jesus und Paulus 50 eine nachhaltige Wende in der ßELOS" avljp-Forschung herbei: Sie betraf vor allem den Gebrauch des Ausdrucks ßELos" avljp / avßpUJTToS" unter den Forschenden und bewirkte eine Verlagerung in der Gewichtung der semantischen Aspekte der ßELOS" avf}p- Problematik. Zunächst ist indes zu beachten, daß auch für Windisch Semantisches einen zentralen Platz in seinen Erörterungen einnimmt. Ihm zufolge war ßELOS" avf}p / avßpUJTToS" ein alltäglicher Ausdruck des antiken griechischen Sprachgebrauchs,51 der die Vorstellung 52 des homo numinosus bzw. religiosus bezeichnet, "in den eine übernatürliche, göttliche Kraft hineingefahren ist", "ein den Göttern ähnlicher oder auch ein Gott entsprossener Mensch", "gottähnlich in höherer Potenz": "es ist ein von Gott besessener, der unter Lahmlegung seines eigenen Verstandes und Bewußtseins in göttlicher Begeisterung kündet und schafft" .53 Mit dem Ausdruck habe man sich 50 Hans Windisch, Paulus und Christus. Ein biblisch-religions geschichtlicher Vergleich, UNT 24, Leipzig 1934. 51 V gl. Windisch, Paulus und Christus, S. 22: "Insbesondere hat das Griechentum ... einen ... Titel geschaffen, den 8ELOS' dVr]p oder 8ELOS' c1v8pWTTOS''', öfters ist die Rede von dem "8ELoS'-Titel", dem "Begriff 8ELOS''' oder dem "Prädikat 8ELOS''', vgl. z.B. S. 23f.73.87 U.ö. Besonders deutlich geht daraus hervor, daß Windisch gerade jene Textstellen analysiert, in denen das Lexem 8ELOS' Menschen beigelegt wird, vgl. S. 24-114. 52 Es handelt sich für Windisch deutlich um eine Vorstellung der antiken Menschen, wie sein Gebrauch von Ausdrücken wie z.B. "die griechische Anschauung vom 8ELOS''' (S. 25) deutlich zeigt. 53 Windisch, Paulus und Christus, S. 26f.29, vgl. auch S. 38.58. Von diesem Sprachgebrauch weicht die von Platon Men. 99d und Aristoteles EN 7, 1145a. erwähnte Verwendung für einen guten bzw. tüchtigen Mann ab, vgl. Windisch, Paulus und Christus, S. 29f.
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Teil I: Einführung in die Problematik
in der religiösen Überlieferung auf die "Theios-Gestalten der Geschichte", nämlich Dichter, Seher, Priester, Propheten und Rhapsoden, die sogenannten EvBEDL av8peS-, bezogen,54 auch auf "um ihrer Verdienste und um ihres Endes willen heroisierte Männer" ,55 ferner auf wundertätige und heilbringende Weise wie Pythagoras, Apollonios von Tyana und Alexander von Abonuteichos 56 sowie vergöttlichte Herrscher des hellenistischen Herrscherkultes und des römischen Kaiserkultes. 57 Der Ausdruck wurde außerdem auch auf die großen Philosophen der Vergangenheit angewandt. 58 Ein weiterer semantisch relevanter Aspekt der Studie ist, daß Windisch herausarbeitet, daß die philosophischen Schulen verschiedene BelOS-- Lehren entwickelt hätten. 59 Vorreiter sei Platon gewesen, der ausgehend von dieser allgemeinen, aus der Volksreligiosität übernommenen Vorstellung des BelOS- dvf}p60 neue Anschauungen entwickelt habe, die das alte "Charakterbild" des BelOSdvf}p, das genus divini hominis, entschieden modifiziert habe: "Die eigentlichen eelOL ... sind letziich für Platon die guten Staatsmänner und die Philosophen. Die eelOL der populären Tradition hat er je länger je geringer geschätzt und mit Ironie behandelt". 61 Platon betrachte die guten Staatsmänner als eelOL av8pes-, habe jedoch die ursprüngliche Idee, daß sie Ekstatiker und Korybanten seien, fallen gelassen; der Staatsmann, der sich nach der richtigen Ausbildung im Dienste an den Menschen bewährt, sei ein BelOS- dvf}p und werde als solcher (im Sinne einer antizipierte Apotheose) verehrt. 62 Dieser Staatsman~ könne nur ein Philosoph sein, der durch die Schau der göttlichen Gegenstände vergöttlicht 54 Wie aus vielen Platonstellen hervorgeht, besonders aus dem Dialog Ion; vgl. Windisch, Paulus und Christus, S. 27-30; das seien Menschen, die jeweils von der griechischen Gesellschaft mit einem Tabu belegt worden seien, ebd. 25. 55 Windisch, Paulus und Christus, S. 58, ferner S. 25f. mit Hinweis auf Lukian Kyn. 13, wo Herakles als BEtOS' alfryp Kat BEGS' bezeichnet wird. 56 Windisch, Paulus und Christus, S. 59-78. Er diskutiert an dieser Stelle auch EmpedokIes, Menekrates und Simon Magos, obwohl für sie die Terminologie als solche nicht belegt ist. Windisch erwähnt weitere antike Textstellen, in denen mit dem Ausdruck auf inspirierte Philosophen verwiesen werde: Philodem, llEpt BEWV 1,10; Dio Chrys. Or. 33,4 (1. Tarsische Rede); Windisch, S. 53f. 57 Windisch, Paulus und Christus, S. 78-87. 58 Windisch, Paulus und Christus, S. 59: " ... es bildet sich auch eine Tradition über die großen Philosophen der Vergangenheit, die durch göttliche Gnade, durch eine göttliche Kraft, die in ihnen war, vielleicht schon bei der Geburt in sie gelegt war und durch strenge Selbstzucht das Ideal eines BEtOS' avfJp in sich verwirklicht haben und bei den Nachfahren und Jüngern im mythischen Glanze eines BEtOS' avfJp dastehen", vgl. den Hinweis S. 55 auf Kelsos (Origines contra Celsum 7,28). 59 Windisch, Paulus und Christus, S. 27-59. In diesem Punkt folgen Windisch später Elwyn Jones, The Concept of the BE/OI ANHP in the Graeco-Roman World with Special Reference to the First Two Centuries A.D. (Unveröff. masch.schriftl. Diss., University of Durham), 1973, S. 83-99 und Betz, Art. Gottmensch, Sp. 268-286. 60 Oft von Windisch auch als "Urbegriff" , "ursprünglicher Begriff" oder "primärer Begriff' und auch "griechisch-synkretistischer ßEtoS'-Begriff" bezeichnet, vgl. z.B. S. 23.27.29.38.44. 61 Windisch, Paulus und Christus, S. 27ff., dort S. 38, vgl. auch S. 87. 62 Windisch, Paulus und Christus, S. 30-33 mit Verweisen auf Platon, Nomoi 7,818; 12,945.951.
1. Die forsehungsgesehiehtliehe Problematik
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werde: auch hier sei keine durch Ekstase gewonnene Göttlichkeit gemeint. 63 Windisch will in dem bekannten Seelenmythos des Phaidros 247-249 eine Wiederaufnahme des ursprünglichen Sinnes des 8clOS' avryp als Inspirierten erkennen: "Der Philosoph ist darum als ein 8clOS' erster Qualität, ja eigentlich als der einzige wahre eclOS' charakterisiert ... "64 Auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt werde, müsse er sich selbst und vor allem Sokrates für solche 8clOL av8pcS' gehalten haben. 65 Auch die Stoiker hätten eine Lehre vom ecLOS' av8pUJTToS' entwickelt,66 sie identifizierten ihn exklusiv mit dem idealen Weisen: "Sein Wissen, seine Reinheit, seine Freiheit und Erhabenheit macht ihn zum [divinus]".67 In dieser stark rationalisierten Anschauung sei die platonische Ableitung des eclOS' av8pUJTToS' aus dem ekstatischen Inspirierten völlig beiseite gelassen. 68 Ferner zeichne sich bei Epiktet ein neuer Typ des Gottesmensch ab, der Gottesdiener und Wohltäter der Menschen, so wie er uns in Diogenes und Herakleitos begegnet, von denen ausdrücklich gesagt wird, sie seien des Titels eclOS' würdig. 69 Obgleich Windisch der antiken Bezeichnung 8clOS' avryp / av8pUJTToS' und der von ihr bezeichneten Vorstellung viel Platz in seiner Untersuchung einräumt, steht dies nur im Dienste einer übergeordneten Zielsetzung, nämlich der Unterordnung von Paulus und Jesus gleichermaßen "unter einen gemeinsamen Offenbarungs- und religions geschichtlichen Typus, eben den Typus des religiösen Verkünders, des mit einer Botschaft an die Menschen herantretenden 'Gottesmannes', des in göttlicher Kraft unter Menschen wirkenden eclOS' dvryp", es gehe um "die gleichzeitige Einstellung der beiden ... in die Kategorie der eclOL av8pcS'''.7 0 Es handle sich um "die Zusammengehörigkeit im Rahmen einer bestimmten Denk- und Seins- und Geschichtskategorie"71, denn der historische Jesus gehöre "einer religions geschichtlich durchaus faßbaren Kategorie" an, "der Kategorie des religiösen Lehrers und Propheten, Heilbringers und Wundertäters, dessen übermenschliches Können und Wissen nicht aus übermenschlicher Existenz, sondern von dem profetisch-messianischen [sic] Pneuma abgelei63 Windisch, Paulus und Christus, S. 33-35 mit Verweis auf Platon, Politeia 6,500cd. 64 Windisch, Paulus und Christus, S. 35. 65 Windisch, Paulus und Christus, S. 35-38. 66 Windisch, Paulus und Christus, S. 40-52. 67 Windisch, Paulus und Christus, S. 42-44, vgl. Diog. Laert. 7,119f. Voraussetzung sei . das stoische Philosophem von der Verwandtschaft des Menschen mit den Göttern. Windisch behandelt die Lehre der Vergöttlichung des Weisen ausführlich anhand von Seneca und Epiktet (dort bes. Ench. 15; Diss. 1,4,28ff.), ebd. S. 44ff. 68 Windisch, Paulus und Christus, S. 44. Windisch will trotzdem (ebd.) den Zusammenhang mit dem ursprünglichen Begriff des fJElOS' dvrjp darin bewahrt sehen, daß der Weise nach Diogenes Laertios 7,119f. seine Göttlichkeit in dem "kultisch-theologischen Anschauungskreis " erweise. 69 Windisch, Paulus und Christus, S. 49, mit Hinweis auf Epiktet Ench. 15. 70 Windisch, Paulus und Christus, S. 2.23, vgl. auch die Bezeichnung "religionsgesehiehtliehe Kategorie des fJElOS' (1VfJPWTTOS''', S. 23 (Hervorhebung von mir, D.d.T.). 71 Windisch, Paulus und Christus, S. 7.
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Teil I: Einführung in die Problematik
tet wird, das über ihn gekommen ist ... Jetzt stellen sich Jesus und Paulus als zwei einander sehr ähnliche Vertreter eines und desselben religionsgeschichtlichen Typos dar: des profetischen [sic] Pneumatikers, des pneumatischen Lehrers und Schriftgelehrten, des eschatologisch-messianischen Wundertäters, kurz gesagt: des antiken 'Gottesmannes'" ,72 Es ist die Kategorie "des mit übermenschlicher Kraft ausgerüsteten Gottgesandten, Wundermannes, Gotteskünders ",73 und "[d]er mit Wunderkraft ausgerüstete Gottesmann und Gotteskünder ... stellt ... eine Kategorie der allgemeinen antiken Religionsgeschichte dar". 74 Der Ausdruck ßELOS" dvf}p / avßpUJ1ToS" ist also für Windisch auch (oder gar zunächst) eine Bezeichnung für eine religionsphänomenologische und -geschichtliche Kategorie, der Name einer modernen Deutungskategorie, eines heuristischen Instruments in der Hand des Forschers. 75 Die antike Vorstellung des ßELOS" dvf}p wird von Windisch dieser Kategorie zugeordnet: sie "hat ihre Wurzel in der über die ganzen Erde verbreiteten Vorstellung vom 'heiligen Menschen', der mit 'Kraft' (mana usw.) begabt ist und den Mitmenschen darum als tabu gilt. Heilige Menschen der Art sind Zauberer, die Medizinmänner, die Priester, aber auch die Häuptlinge, die Könige und die Männer von Adel" .76 Windisch schließt sich hierin bewußt dem Philologen atto Weinreich an, der mit einem Aufsatz Antikes Gottmenschentum 77 erstmals versucht hat, eine Geschichte des religionsgeschichtlichen Phänomens des Gottmenschenturns in der Antike in Angriff zu nehmen. Weinreich geht es dabei um den "Typus des 'Gottmenschen', des fJELOS' avfJpwTToS''' (S. 634) und darum, "gewisse Züge in der Phänomenologie des antiken Gottmenschenturns genauer zu verstehen" (S. 635). In diesem Sinne hat Weinreich den Terminus schon im Jahr 1913 in einer Buchresenzion benutzt78 und in diesem Sinne ist auch die Rede von fJELOS' avfJpwTToS' in seiner Studie zu Alexander von Abonuteichos. 79 Weinreich zeigt jedoch kein Interesse für die semantische Seite der Problematik; für ihn ist fJELOS' dvrjp lediglich eine Bezeichnung für einen religionsphänomenologischen Typus. Methodisch geht Weinreich so vor, daß er aus den Daten der griechischen Kulturgeschichte eine Vorstellung von einem religiösen Phänomen gewinnen,80 welches sodann mit einer Kategorie der allgemeinen Religionswissenschaft
72 Windisch, Paulus und Christus, S. 10, vgl. auch S. 12 oben. 73 Windisch, Paulus und Christus, S. 24. 74 Windisch, Paulus und Christus, S. 22. 75 Windisch sieht (S. V1.25, Anm. 1) sich selbst methodisch in der Nachfolge von G. van der Leeuw, dessen "Phänomenologie der Religion" (1933) damals gerade erschienen war. 76 Windisch, Paulus und Christus, S. 25. 77 atto Weinreich, Antikes Gottmenschenturn, NJWJ 2, 1926, S. 633-51. 78 Rezension von Paul Fiebig, Antike Wundergeschichten zum Studium des Neuen Testamentes, KlT 79, Bonn, 1911, in BPhWS 33, 1913, S. 1156-1159. Nachdruck in ders., Ausgewählte Schriften 1. 1907-1921, Amsterdam 1969, S. 218-221. 79 Alexandros der Lügenprophet und seine Stellung in der Religiosität des 11. Jahrhunderts nach Christus, NJKA 47, 1921, S. 129-151, dort S. 136ff. Nachdruck in ders., Ausgewählte Schriften, S. 520-551, dort S. 531ff. 80 An dieser Stelle analysiert Windisch den Gebrauch von Lexemen wie fJELOS', so daß in seiner Vorgehensweise die sprachliche bzw. semantische Analyse eine SchlüsselsteIle einnimmt.
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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in Verbindung gebracht und dann wieder als heuristisches Instrument zur Erforschung der griechischen Religionsgeschichte verwendet wird.
Windisch benutzt also die Termini BElOS" / BElOS" dvf}p / ßElOS" avBpUJTToS" als Bezeichnung für eine religionsgeschichtliche Typologie, mit der historische Persönlichkeiten der antiken Religionsgeschichte phänomenologisch geordnet werden können. Die historischen Gestalten des Pythagoras, Empedokles, Menekrates, Apollonios, Jesus und Paulus gehören aus religions geschichtlicher Sicht dieser Kategorie an - und zwar unabhängig davon, ob sie in der Überlieferung so bezeichnet werden oder nicht. 81 Die Zuordnung geschieht weiterhin unabhängig davon, ob die Überlieferung den jeweiligen ßElOS" dvf}p überhaupt als Gottmenschen darstellt oder nicht82 . Die Aberkennung der Zugehörigkeit zur Kategorie des ßELOS" dvf}p bleibt unbeeinflußt davon, daß die Überlieferung gegebenenfalls eine Figur als BElOS" dvf}p darstellt oder gar so bezeichnet. 83 Nur so wird verständlich, daß Windisch kategorisch behaupten kann: "Auch Israel hat seine BElOL av8pES" gehabt: Abraham und Moses, Könige und Propheten ..• "84 Ohne in irgendeiner Weise eine historische Abhängigkeit Israels vom Griechentum behaupten zu wollen, kann Windisch unbefangen vom (biblischen) 81 Abgesehen von Jesus - dem historischen Jesus, nicht dem Christus des Mythos und Dogmas, S. 10-12 - und Paulus werden weder Empedokles noch Menekrates, Simon Magos oder Alexander der Große mit der Terminologie in Zusammenhang gebracht. 82 So wird Menekrates in der Überlieferung als Wahnsinniger dargestellt, während Windisch, S. 67-69, ihn eindeutig der Kategorie des 8EL05' aVr7P zurechnet. Vgl. auch die Untersuchung von Otto Weinreich, Menekrates Zeus und Salmoneus. Religionsgeschichtliche Studien zur Psychopathologie des Gottesmenschentums in Antike und Neuzeit, TBAW 18, Stuttgart 1933. Nachdruck in ders., Religionsgeschichtliche Studien, Darmstadt 1968, S. 299-434. Weinreich schließt sich der Tradition an und urteilt weniger positiv über Menekrates. Auch Simon Magos wird in der überwiegend christlichen Überlieferung negativ als Scharlatan und Betrüger präsentiert, müßte aber nach Windisch, S. 77 der Kategorie zugeordnet werden. 83 So gehört nach Windisch, S. 77f. Alexander von Abonuteichos, obwohl er im Selbstbewußtsein, ein 8EL05' zu sein, auftrat, sich selbst so stilisierte und auch als 0i05' 'A"Aitav8po5' bezeichnete, nicht zu dieser religions geschichtlichen Kategorie, weil ihm "die wahre Weisheit fehlte, die Menschen allein zum 8EL05' macht, dazu freilich auch die Echtheit und Wahrhaftigkeit des wahrhaft prophetischen Mannes". Er sei nur eine Karikatur eines 8EL05' dvrjp gewesen. Anders Weinreich, Alexandros der Lügenprophet, S. 136ff., und ders., Antikes Gottmenschentum, S. 649, der ihn gerade dieser Kategorie zuordnet. 84 Windisch, Paulus und Christus, S. 89. Ihm zufolge werden die Figuren in der Überlieferung nicht als 8EL05' avrjp / äv8pWTT05' bezeichnet, sondern als isch-ha-elohim, äv8pWTT05' 8EOV (LXX) oder 'ebed Jahve / elohim, TTaL5' /80v)..05' 8EOV (LXX). Scharfe Kritik übten Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, FRLANT 83, Göttingen 1963, S. 293f. ("Gerade das konstitutive Element der 8EL05' aVr7PVorstellung, ... die Göttlichkeit des Menschen oder die Möglichkeit ... zu seiner Vergottung, ist im Alten Testament undenkbar ... "), und Holladay, THEIOS ANER, S. 26f. an Windisch' Bezeichnung der Gottesmänner Israels als 8ELOL äv8pE5'. Sie übersehen dabei jedoch diese (zugegebenermaßen höchst verwirrende) Zweistufigkeit im Sprachgebrauch von Windisch. Weiterhin ist zu beachten, daß die Vergöttlichung auf der phänomenologischen Ebene für Windisch natürlich keine Rolle spielt - er bedient sich hier moderner religionsphänomenologischer Kategorien wie z.B. Mana. Es handelt sich auf dieser Ebene um das Phänomen des Charismatikertums, denn Vergöttlichung ist die kulturspezifische Interpretation dieses Phänomens im hellenischen Raum.
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Teil I: Einführung in die Problematik
eELOS" / eELOS" dVr7P / eELOS" aVepWTroS" in der Geschichte Israels reden,85 denn
die Ähnlichkeit ist keine historisch oder semantisch bedingte, sondern eine phänomenologische und strukturelle. 86 Daß eELOS" av8pwTroS" die Bezeichnung für eine Deutungskategorie der Forschung ist, geht auch daraus hervor, daß Windisch von Subkategorien und Einzeltypen wie auch von einer" Abgestuftheit der eELoS"-Gestalten" sprechen kann, indem er zwischen "eELOL av8pES" der primitiven Stufe" und denen "höherer Art" 87 unterscheidet - sie ist ein Werkzeug, mit dessen Hilfe der Forscher das historische Material ordnen kann. 88 Eine weitere Beobachtung sei an dieser Stelle erlaubt, nämlich daß Windisch offenbar die Meinung vertrat, daß das Leben eines 8ELOS" aVepWTroS" gewissermaßen zwangsläufig Legendenbildung nach sich ziehe. Dem außergewöhnlichen Leben folge notwendigerweise die durch seine Mitmenschen bzw. Jünger vollzogene Apotheose (noch zur Lebzeit oder kurz nach dem Tod), worauf unweigerlich die Mythen- und Legendenbildung sowie die weitere Steigerung ins Göttliche hinein einsetze. 89 Aus der allgemeinen Vorstellung des eELOS" dvryp entwickele sich die "Legende des antiken 8ELOS"" oder "eELoS"-Legende" mit festen Merkmalen, die das Grundgerüst der Überlieferung von Persönlichkeiten wie Pythagoras, Apollonios von Tyana und Jesus bildet und erklärt, daß die jeweiligen Überlieferungen in vieler Hinsicht analog aufgebaut seien. 90 In Windischs Studie tritt in der Folge atto Weinreichs eine Gewichtsverlagerung von einem semantischen zu einem eher religionsphänomenologischen 85 Auf diesem Hintergrund ist auch Windischs Aussage zu verstehen, daß der Terminus eclOS- oft zwar im Zusammenhang mit einer bestimmten Person nicht falle, was aber nicht ausschließe, daß der Betreffende dennoch ein eclOS- sei, vgl. S. 36 (Sokrates); S. 53 (Epikur); S. 55 (Sokrates, Homer, Hippokrates und Platon bei Galen); S. 110 (Philon). 86 Es handelt sich dabei um einen Grundtypus, einen Kern bestimmter Eigenschaften, von dem der Einzelfall im Rahmen bestimmter Toleranzgrenzen mehr ,der weniger abweichen könne. Zur Verdeutlichung vgl. z.B. Windischs Bemerkung, S. 92: "Uberraschenderweise hat ... die griechische eclos--Lehre Gestalten, die ihm [sc. dem Knecht Gottes] entsprechen: Sokrates und die Kyniker - ein weiterer Beleg dafür, daß wirklich auch er eine Abwandlung des eclOS- avepWTTOs- ist." 87 Windisch, Paulus und Christus, S. 87.89.94 u.ö. Hierhin gehört auch die von Weinreich übernommene Zweiteilung in eclOL aVepWTTOL des Geistes einerseits und göttliche Herrscher andererseits. Weinreich, Antikes Gottmenschentum, S. 645 führt das hellenistische Gottkönigtum auf wachsende Orientalisierung zurück; Windisch (S. 79ff.) betont den Bezug zu altgriechischen Gottkönigen stärker. 88 Diese Kategorisierung wurde sinnvoll weitergeführt von Jones, Concept, S. 9ff. Die religionsphänomenologische Kategorisierung wird von Jones jedoch eng mit der Frage nach dem Selbstbewußstsein der jeweiligen historischer Persönlichkeit verknüpft, s. S. 56. 89 Konsequent unterscheidet Windisch zwischen dem historischen Phänomen des Lebens des eclOS- ävepWTTOs- und seiner Legende, seiner "mythisch-Iegendarischen Verklärung" (S. 75), vgl. bes. die Partien über Pythagoras und ApolIonios. Auch auf sie würde der folgende Satz zutreffen: "Der Transfigurationsprozeß ist ja doch auch bei Jesus nicht eine von seiner geschichtlichen Existenz loszulösende Erscheinung, vielmehr nimmt er von ihr selbst seinen Ausgang", S. I1f. 90 Windisch, Paulus und Christus, S. 59-63.70-77, dort bes. S. 75f. Es handelt sich um ein kulturelles Deutungskonstrukt der Antike, vgl. die Aussage, "[d]aß Apollonius und Christus für den antiken Menschen dem gleichen eclos--Typus zugehören ... ", S. 76 (Hervorhebung von mir, D.d.T.).
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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Ansatz ein. Verhängnisvoll ist dabei, daß Windisch den Terminus ßELOS" dvl}p / avßpwTToS" mit einer gewisser Arglosigkeit als Bezeichnung für das religionsgeschichtliche Phänomen des Ekstatiker-Typus einsetzt, ohne dies jedoch vom antiken griechischen Sprachgebrauch zu unterscheiden. Dadurch entstand einerseits der Eindruck, der Terminus sei ein in den antiken Texten häufig gebrauchter Ausdruck gewesen, andererseits wurde dadurch der Anschein erweckt, der Ausdruck habe in der Antike ein einheitliches Phänomen bezeichnet, nämlich den Menschen, der "eine das Maß des gewöhnlichen Menschen übersteigende Leistung" aufweise und darum ein "Mittelwesen und Mittler zwischen Göttern und Menschen" sei. 91 Dieser Eindruck, der später (besonders in der neutestamentlichen Forschung) weitverbreitet war, ist umso irreführender, wenn man beachtet, daß gerade Windisch im Laufe seiner Untersuchen über die antike Verwendung der Terminologie bei aller Betonung eines einheitlichen Grundtypus Spannungen und Konflikte in der innergriechischen Entwicklung festgestellt hat. 92 Der göttliche Mensch als religionsphänomenologische Kategorie ist in den letzten Jahren von Wolfgang Speyer aufs neue in die Debatte eingeführt und weiterentwickelt worden. 93 Er schreibt: "Unter religionsphänomenologischem Blickpunkt ist der Heilige eine Ausprägung des numinosen Menschen und zwar in den Hochreligionen, vornehmlich in den monotheistischen Religionen. Seine Verwandten in den antiken Volksreligionen sind die sogenannten göttlichen Menschen. "94 Speyer analysiert das betreffende Phänomen folgendermaßen: 95 Die Epoche, die den göttlichen Menschen hervorgebracht habe, sei durch ein magisch-religiöses Erleben und Verstehen der Wirklichkeit geprägt gewesen. In diesem Weltbild stelle das Wunder den gewöhnlichen Fall dafür dar, wie Wirklichkeit den Menschen erschien und wie sie erlebt wurde. Die Natur sei den Menschen des vorwissenschaftlichen und vortechnischen Zeitalters als eine unübersehbare Summe wunderbarer Ereignisse erschienen, in denen sie die übermenschliche Macht bzw. das Göttliche erlebten. Es gehöre zum Wesen der göttlichen Macht bzw. der Gottheit, daß ihr Wesen grundsätzlich für den Menschen unzugänglich sei. In dieser prinzipiellen Erkenntnisschranke sei eine für das Göttliche kennzeichnende Ambivalenz angelegt, aufgrund derer die Gottheit sich der Eindeutigkeit entzieht. Die göttliche Macht bzw. die Gottheit habe auch in einem einzelnen Menschen erscheinen können, so daß der göttliche Mensch bzw. der Heilige, der den damaligen Menschen als ein einziges großes Wunder oder auch als Wundertäter begegnet, einen Spezialfall dieser Wirklichkeitserfahrung bildet. Den göttlichen Menschen bzw. den Heiligen kennzeichne dieselbe Ambivalenz wie das Göttliche, so daß sich an ihm, wie überhaupt am Göttlichen, Segen und Fluch, Heil und
Vgl. Windisch, Paulus und Christus, S. 87. Windisch, Paulus und Christus, S. 87, vgl. auch S. 71. 93 Vgl. bes. Wolfgang Speyer, Der numinose Mensch als Wundertäter, Kairos 27, 1985, S. 129-153; ders., Die Verehrung des Heroen, des göttlichen Menschen und des christlichen Heiligen. Analogien und Kontinuitäten, in Peter Dinzelbacher, Dieter R. Bauer (Hg.), Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1990. 94 Speyer, Numinoser Mensch, S. 130. 95 Speyer, Numinoser Mensch, S. 133f. 91
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Unheil, Leben und Tod entscheide. 96 Infolge einer Ethisierung des Wirkens der Gottheit und ihrer Repräsentanten habe man später zwischen einem göttlich-heiligen und einem dämonisch-magischen Menschen, zwischen dem Heiligen und dem Zauberer unterschieden. 97 Die inhärente Ambivalenz des numinosen Menschen ziehe es nach sich, daß er in antiken Gesellschaften unterschiedlich bewertet und mitunter für einen Betrüger, Wahnsinnigen oder Scharlatan gehalten wurde. 98 In diesem Rahmen kommt Speyer auch auf die Begrifflichkeit 8ELOS" dvrjp und 8aL/16vLoS" dvryp zu sprechen: "In der Antike begegnen für diesen Typus des homo religiosus die Begriffe 'theios aner', göttlicher Mensch, und 'daimonios aner', dämonischer Mensch. Während in der Bezeichnung 'theios' der Segensaspekt der Gottheit überwiegt, wird in 'daimonios' mehr der dunkle Aspekt der göttlichen Macht betont. "99
1.2.2
Ludwig Bielers typologischer bzw. religionspsychologischer Ansatz
In der späteren ßEL05' av7jp-Forschung und besonders in der neutestamentlichen Christologieforschung ist vor allem der erste Band von Ludwig Bielers zweibändigem Werk 100 zu einem vielzitierten Kronzeugen avanciert. 101 Bieler sah seine Aufgabe darin, "den Gesamttypus, gewissermaßen die platonische Idee des antiken Gottmenschen schauen [zu] lassen, der sich, mag der einzelne ßEL05' gleich nie und nirgends alle wesentlichen Züge in letzter Vollkommenheit lückenlos in sich vereinigen, doch in jedem Vertreter bald mehr bald weniger ausgeprägt, jeder liefert Steine, die sich schließlich zum anschaulichen Bilde vereinigen lassen".l 02 Es solle aus den vielen Einzelzügen ein Gesamtbild entstehen. Es handle sich um den Typus, nicht um Individuen 103, um die typischen Züge, die in Märchen und Mythen festgelegt würden. 104 Nicht das Individuum, sondern der Typus stehe im Blick. lOS Im Zentrum von Bielers Konzeption steht 96 "Wie der Gott Grund und Ursache der ambivalenten Wirklichkeit ist, so zeigt sich diese Ambivalenz auch bei seinem Echo oder Spiegelbild, dem göttlichen Menschen und dem Heiligen", vgl. a.a.O., S. 134. 97 Speyer, Numinoser Mensch, S. 135-143. 98 Speyer, Numinoser Mensch, S. 139, Anm. 61. 99 Speyer, Numinoser Mensch, S. 134; ders., Verehrung, S. 51. 100 Ludwig Bieler, GElD}; ANHP. Das Bild des "göttlichen Menschen" in Spätantike und Frühchristentum I/II, Wien, 1935/36. Unveränderter Nachdruck in einem Band, Darmstadt 1967. 101 Bieler hat eine ungeheure Wirkung gehabt. Auf seiner Darstellung basierte sogar ein Teil einer Ausstellung zum Thema "Spätantike und frühes Christentum", die in den Jahren 1983/84 im Frankfurter Liebighaus stattfand - so steht der dritte Teil des Katalogs unter der Überschrift GElD}; ANHP (S. 161-222). Dort gibt es eine Einleitung von Dagmar Stutzinger, die eine ausgezeichnete Zusammenfassung von Bielers erstem Band bietet, vgl. dies., Einleitung. Die Vorstellung vom außergewöhnlichen, göttlichen Menschen, in H. Beck / P.C. Bol (Hg.), Spätantike und frühes Christentum. Ausstellung im Liebighaus Museum alter Plastik, 16. Dezember 1983 bis 11. März 1984, Frankfurt 1983, S. 161-175. 102 Bieler, GElD}; ANHPI, S. 4. 103 Bieler, GElD}; ANHPI, S. 7.21-22. 104 Bieler, GElD}; ANHPI, S. 9.21-22. 105 Bieler, GElD}; ANHPI, S. 6.
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also der Begriff Typus. Eine sachgemäße Beurteilung von Bielers Werk hängt infolgedessen von der Klärung dieses Begriffes und seiner Verwendung ab. 106 Aus einer eingehenden Betrachtung von Bielers Gebrauch des Begriffes geht eindeutig hervor, daß er ihn als eine Bezeichnung für einen kulturell bedingten Bewußtseinsinhalt verwendet, um auf eine mentale Konzeption antiker bzw. hellenistischer Menschen zu verweisen. 107 Sie sei eine kulturelle Vorstellung gewesen, die im Hellenismus infolge der zunehmenden Überlappung von Philosophie und Religion entstanden sei 108 und mit deren Hilfe man das Leben vergangener Persönlichkeiten gedeutet habe: 109 "Historische Persönlichkeiten erhält die volkstümliche Überlieferung lebendig im Gedächtnis, indem sie sie zu allgemein menschlichen Typen umbildet" .110 Der Typus fungiere ferner als eine Art Erwartungsschema: "Dieses Bewußtsein hat denn freilich dazu geführt, daß man, wo sich der eine oder andere Zug fand, die übrigen von vornherein erwartete und bald auch erzählte",111 denn "das Bild des e[cLO~] d[v7jp] ist eben die feste Form, in die der jeweils neue Gehalt einer göttlichen Botschaft eingeschlossen wird"; der ecLO~ dv7jp sei "die gegebene Lebensform, deren sich der 106 Gallagher, Divine Man, S. 13 vertritt die Meinung, daß alle Nachfolger Bielers seine Arbeit grundsätzlich falsch verstanden hätten. Bieler, der den Begriff BeLOS" dVrlP ganz anders benutzt als seine Vorgänger (Weinreich, Windisch), hätte rigoros eine ahistorische analytische Methode durchgesetzt und eine Abstraktion von der konkreten Welt konstruiert. Gallaghers Versuch, den Ansatz Bielers mit dem Weberschen Idealtypus zu verbinden, muß als gescheitert angesehen werden. Erstens nimmt Bieler niemals Bezug auf Weber (wie Gallagher selbst zugibt), zweitens kann es keinen Zweifel geben, daß Bieler den Begriff Typus aus der Typenlehre der damaligen Psychologie übernommen hat, vgl. Bd. I, S. 22 Anm.1 und Bd. II, S. 78 die Hinweise auf die Arbeit von Charlotte Bühler, Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem, Psychologische Monographien 4, Leipzig 1932. Auch Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 75, Anm. 285 äußert sich kritisch über Gallaghers Deutung. 107 Dies wird auch von Gallagher, Divine Man, S. 12 beobachtet. 108 "... erst der Hellenismus schafft den BeLOS" ävBpWTTOS" als festen Typus", BEJOL; ANHP I, S. 2. In der Antike habe man das Geheimnis des großen, genialen und überragenden Menschen als Ausfluß und Erweis von etwas Göttlichem, das jener Mensch in sich habe, gedeutet. Dies galt im Griechentum zunächst Königen, dann Herolden, Priestern, Sehern und Dichtern, seit dem 7. Jahrhundert religiösen Erweckern wie Epimenides und Empedokles. Wegen der engen Beziehung des delphischen Apoll zur Philosophie sei später immer mehr apollinisches Erzählgut den Philosophen zugewachsen, ebd., S. 1f. 109 Die Spätantike habe "den Lebenslauf der alten Weisen nach dem Bilde ihrer eigenen BeLOL epLAoaoepoL" geschildert; der Typus des BeLOS- dVrlP greife auf die Herrschergestalt über; Nikolaos von Damaskos habe Augustus mit "Zügen des B[eLOS-] ävBp[WTTos-]" ausgestattet; die Homervita Pseudo-Herodots zeige, "wie weit sich die Vorstellung von einem B[eLOS-] d[vryp] dalnals auch einer berühmten Dichtergestalt bemächtigen konnte", BEJ OL; ANHP I, S. 3 (Hervorhebungen von mir, D.d.T.). Bieler wollte Weinreichs geschichtlichem Längsschnitt einen Querschnitt hinzufügen, ebd., S. 5. 110 Bieler, BEJOL; ANHP I, S. 21. Vgl. auch die Beschreibungen des Typus als Bild des Volkes (S. 21), als Idealbild (S. 50), als naiven Idealbildern (S. 50, Anm. 1) oder als dem Wunschbild (Bd. II, S. 3). 111 Bieler, BEJOL; ANHPI, S. 23. Vgl. auch den folgenden Satz: "Die typischen Züge ... umfassen zum großen Teile, was man von bedeutenden Menschen schlechthin weiß oder zu hören erwartet; dazu kommen andere Erlebnisse, Situationen, Gegenspieler -, die in ihrer besonderen Art dem Bios des B[eLOS-] d[vryp] als des religiösen Helden so gut wie ausschließlich angehören," ebd., S. 24.
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Teil I: Einführung in die Problematik
Verkünder ... in seiner Zeit und Kultur bedienen konnte" .112 Auf die philologisehe Aufgabe der Sammlung und Sichtung des typologischen Materials aus unterschiedlichsten Quellen des kaiserzeitlichen Heidentums und des Frühchristentums folgt also in erster Linie die religions geschichtliche Aufgabe, dieses typische Schema der kaiserzeitlichen hellenistischen Kultur und des Christentums zu rekonstruieren. 113 Bieler geht so vor, daß er etwa siebzig typische (d.h. wiederholbare und prinzipiell übertragbare, nicht individuelle) Elemente sammelt und dann die vielen Einzelzüge sieben Gruppen zuordnet. 114 In einer sprachlichen Vorbemerkung 115 will Bieler eine kurze Übersicht über den Gebrauch des Wortes eELOS" bieten; es soll gezeigt werden, was sich die Griechen unter eElOS" vorstellten und welchen Menschen sie dieses Attribut zuerkannten. 116 Zunächst unterscheidet Bieler bei Homer einen verblaßten Gebrauch des Wortes, als ein solches feststehendes Epitheton begleite das Wort Helden, Herrscher, Sänger und Seher durch die griechische Literatur. 1 ] 7 Dann verweist er auf einige Textstellen, in denen mittels des Wortes eELOS" Menschen 112 Bieler, BE/OI ANHP I, S. 149.150. Ähnlich geht später Hans Leisegang, Der Gottmensch als Archetypus, in Olga Fröbe Kapteyn (Hg.), Aus der Welt der Urbilder (Sonderband für C. G. Jung), Eranos-Jahrbuch 18, Zürich 1950, S. 9-45, vor. Er will zeigen, daß EmpedokIes, Platon, Mose und Jesus von Menschen mittels des "Archetypus des Gottmenschen" zu göttlichen Gestalten umgedeutet wurden. Die Zeitgenossen des Empedokles, die neuplatonischen Biographen, PhiIon und die Evangelisten konnten dies leisten, weil sie "ein [seelisches] Bereitschaftssystem in sich trugen" (S. 32) bzw. das "seelische Bereitschaftssystem", den "consensus generalis" und das "kollektive Bewußtsein" benutzten (vgl. S. 37). 113 Vgl. Bieler, BE/OI ANHP I, S. 4f., besonders Anm. 10, der darauf hinweist, daß dies schon implizit bei Wetter, Sohn Gottes, gegeben ist. Die herangezogenen Quellen gehören also alle der Kaiserzeit an; Bieler nennt (S. 6-9) Lukian, Philostrat, Diogenes Laertios, aus neoplatonischen Kreisen Porphyrios, Iamblichos, Eunapios, weiter die Homer-Viten, PseudoKallisthenes' Alexanderbiographie, Suetons Vita Augusti, den BloS" KalaapoS" des Nikolaos von Damaskus, Heliodors Aethiopica sowie als christliche Quellen die kanonischen und apokryphen Evangelien und Apostelakten, Athanasius' BloS" 'AVTWVlOV, Rufins Historia Inonachorum, Paladius' Historia Lausica, die Mönchsviten des Hieronymus, den JoasaphRoman und die byzantinischen Nikolaosviten. 114 Bieler, BE/OI ANHPI, S. 20-140, Zusammenfassung S. 140-143. Es handelt sich um typische Schicksale, Charakterzüge (Persönlichkeit), Typisches bezüglich Wissen und Fähigkeiten, Lehre und Wirken, Anhang und Schule, Aufnahme bei der Umwelt und Typisches, was das Moment der Göttlichkeit angeht. Darin geht Bieler im Gegensatz zu Windisch und Weinreich gewissermaßen maximalistisch vor. Windischs und Weinreichs übergeordneter religionsphänomenologischer Typus erforderte einen bestimmten Minimalismus, d.h. man müsse einen Grundstock gemeinsamer Elemente identifizieren, die bei allen (oder wenigstens fast allen) Beispielen des ßELOS" dvTjp vorkommen. Bieler dagegen nimmt jeden typischen Zug auf, auch wenn das der einzige solche ist, der für eine Person bezeugt ist - er identifiziert auf diese Weise etwa 90 Personen, die unter den Einfluß der ßELOS" avryp-Gestalt gekommen seien. Wenn Bieler das Bild des Gottmenschen Stück für Stück wie ein Mosaik aufbaut, entspricht sein Verfahren der üblichen Arbeitsweise der Religionsgeschichtlichen Schule. Diese Methode hat Carsten Colpe in seinem Buch: Die Religionsgeschichtliche Schule. Darstellung und Kritik ihres Bildes vom gnostischen Erlösermythus, Göttingen 1961, einer gründlichen Kritik unterzogen. 1]5 Bieler, BE/OI ANHPI, S. 9-20. 116 Bieler, BE/OL; ANHPI, S. 9. 117 Wie aus Pindar, den Tragikern, Platon, Theokrit und Pausanias usw. hervorgeht, vgl. Bieler, BE/OI ANHPI, S. 10-13.
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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"aus der Zahl der übrigen Menschen herausgehoben werden", in denen es "eine das Durchschnittmaß überragende Trefflichkeit" signalisiert. 118 Andererseits kenne Platon das Wort "in seinem engeren und ausgezeichneten Sinne"119, nach einigen Texten nehme der ßcLOS' Mensch eine Mittelstelle zwischen Göttern und Menschen ein und, obwohl die ßcLOL avßpwTToL in verschiedenen Wendungen eng mit den Göttern verbunden seien, seien sie gleichzeitig scharf von ihnen getrennt. 120 So sei ßcL oS' ein "fester Begriff" geworden, in dem das religiöse Element stets mächtig geblieben sei,121 und mit dem besonders Philosophen bezeichnet wurden. 122 Diese Menschen "fallen alle unter eine bestimmte Kate-' gorie, die Plutarch schon ganz geläufig war. "123 Daraus schließt Bieler, was der Begriff ßcLOS' umfaßt: "[ ... ] er [sc. der ßcLOS'] ist ein Mensch mit Menschenmaß überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten, Liebling der Götter und eine Art Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen" .124 So sieht Bieler in jenem Bewußtseinsinhalt bzw. Typus die inhaltliche Füllung des festen Begriffes ßcLOS' dvf}p / avßpwTToS'.
Ferner muß beachtet werden, daß es ein zentrales Anliegen Bielers ist, mit seiner Untersuchung auch "strukturpsychologische Einsichten" zu vermitteln, "einen Blick in den Aufbau der religiösen Persönlichkeit zu gewinnen" .1 25 Der Ablauf des menschlichen Lebens als seelischer Vorgang stehe unter bestimmten Gesetzen 126 , die zu der Unterscheidung fester Persönlichkeitstypen führen. Eine 118 Hesiod Erga 727ff.; Platon Politeia 383c; Nomoi 2,666d; Menon 99d; Bieler, BE/OI ANHPI, S. 15.
119 Platon Nomoi 12,951b; Symp. 203a; vgl. Bieler, BE/OI ANHPI, S. 15f. 120 Platon Soph. 216b; Phileb. 18b; Aristoteles EN 1, 1101b; 7,1145a (in diesem Zusammenhang Fr. 178 Rose, obwohl die Terminologie dort nicht auftritt); Plutarch Adv. Colot. 1119C; Philon De Virt. 177. 121 Bieler, BE/OI ANHPI, S. 17. 122 Empedokles, D/K fr. B 112 (dort jedoch nicht 8ELOS-); Platon Symp. 219c (Sokrates); Philostratos Vit. Soph. 2,5; VA 8,15; Ps.-Apoll. Ep. 48 (Apollonios von Tyana); VA 4,13 (Palamedes); ferner Hinweise darauf, daß Platon und Iamblich das Prädikat in der späteren Literatur oft beigelegt worden war. Die Bezeichnung habe sich nicht auf Philosophen beschränkt, sondern wurde Sängern (Theokrit 7,89), Homer (Homerviten, vgl. auch S. 12, Anm. 8), Augustus (Dio Cassius 53,16,8, obwohl die Terminologie dort nicht auftritt) und von hellenisierten Juden ihren Helden (Josephus Ant. 3,180, Mose) beigelegt. 123 Plutarch Quomodo adulesc. 24A; De gen. Socr. 593D; ferner Marcus Aurelius Medit. 7,67; Philodemos JJEpi 8EWV fr. 10,7, vgl. Bieler, BE/OI ANHPI, S. 19. 124 Bieler, BE/OI ANHPI, S. 20. 125 Vgl. Bieler, BE/OI ANHP I, S. 5. Dies zieht sich wie ein goldener Faden durch das Buch. Bieler denkt an Persönlichkeits- oder Charaktertypen. Es handelt sich nicht nur um die Rezeption bestimmter Persönlichkeiten (Bewußseinsinhalte, Vorstellungen, Idealbilder, Deutungskonstrukte), sondern um diese Persönlichkeiten selbst. "Wie bei allen bedeutenden Persönlichkeiten treten im Leben des thfeios1 afner1 die gestaltenden Linien klarer hervor" (Bd. I, S. 23). Die "persönliche Wirkung" und die "religiöse Stellung" dieser Männer hätten die Augen ihrer Mitmenschen auf sie gelenkt (ebd. S. 23). Am deutlichsten ist es in Sätzen wie dem folgenden widergespiegelt: "Voraussetzung ist jedenfalls, daß die Gestalt in den Grundzügen schon da war, an die sich dann anderes heften konnte" (ebd. S. 148, vgl. auch Bd. II, S. 49). 126 Bieler, BE/OI ANHP I, S. 22-24. Bieler schließt sich hier ausdrücklich der Psychologie seiner Zeit an, vgl. den Hinweis (S. 23, Anm. 1) auf Charlotte Bühlers Werk über den
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Teil I: Einführung in die Problematik
Ausprägung des genialen Menschen in die Richtung des religiösen Helden sei der BEtOS' avf]p.127 Dies erklärt Bielers ständiges Bemühen um die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Bios und dem wirklichen, historischen Lebenslauf einer Persönlichkeit, das vor allem den zweiten Band prägt. Grundsätzlich gelte, daß die historische Gestalt des religiösen Helden ihrer Überlieferung in den Grundzügen vorausgeht,128 so daß man damit rechnen muß, daß jedes Motiv des Typus nur die erstarrte Form eines wirklichen Ereignisses sei. 129 Das Leben dieser außerordentlich begabten Menschen gebe dann Anlaß dazu, daß die Menschen sich des Typischen daran bewußt werden und es weiterüberliefern. 130 Die Überlieferung unterliege aber dem Zwang des Typus noch viel mehr als das wirkliche Leben, um so mehr, je weiter die Überlieferung von ihrer geschichtlichen Grundlage entfernt iSt. 131 Darum gelte, daß die antiken Erzählungen von den BElOL av8pES' '' ... reich an Beispielen für eine Erscheinung [seien], die mehr als Tatsache bekannt ist als sie für die Wertung antiker Biographien in Rechnung gestellt zu werden pflegt: daß einer hervorragenden Persönlichkeit Charakterzüge und Erzählmotive nicht willkürlich anwachsen, daß vielmehr die grundlegenden, richtunggebenden Momente im Aufbau der Einzelpersönlichkeit, wie sie aus dem Werk und der lebendigen Erinnerung an das Wirken eines großen Mannes deutlich erkennbar sind, von vornherein die Auswahl des Zuwachses bestimmen, daß nur, was schon in seinem Wesen angelegt ist, aus der Fülle frei schweifenden Erzählgutes an sich ziehen kann, was Mit-und Nachwelt geneigt sein mag, auch unverbürgt ihm zuzutrauen." 132 Damit hat Bieler seiner Theorie einen psychologischen Unterbau gegeben. Dem Bewußtseinsinhalt bzw. Idealbild des BEtOS' avf]p unterliege eine Grundstruktur menschlicher Persönlichkeit. Dadurch wird der Typus auch zum heuristischen Instrument, mit dem Bieler die zeitlichen, geographischen und kulturellen Grenzen überwinden kann. Aufgrund dieser psychologischen Grundlage kann er im zweiten Band versuchen, bestimmte historische Probleme zu lösen. 133 Zunächst menschlichen Lebenslauf als psychologisches Problem. Zur Typenlehre vgl. J. Wach, Art. Typenlehre, RGG 5 21931, Sp. 1331-1332; W. Gruehn, Art. Frömmigkeit, RGG 2 21928, Sp. 811ff.; A. Vetter, Art. Charakterologie, RGG 1 31957, Sp. 1643f.; W. Trillhaas, Art. Persönlichkeit, RGG 5 31961, Sp. 227ff.; ders., Art. Typenlehre, RGG 6 31962, Sp. 1092f. 127 Bieler, BEJOh ANHPI, S. 141.148. 128 Bieler, BEJOh ANHPI, S. 148, hier oben in Anm. 138 zitiert. 129 Bieler, BEJOh ANHP I, S. 148. In Bd. 11 kann Bieler mit dieser Grundvoraussetzung versuchen, das Verhältnis zwischen antiker Biographie und geschichtlicher Wirklichkeit zu klären. Das führt er an den konkreten Beispielen von Sokrates und Vergil durch (vgl. Bd. 11, S. 75-101). Auch von H. D. Betz bemerkt, vgl. Lukian S. 104, Anm. 1. 130 Grundlegend S. 23-24. 131 Bieler, BEJOh ANHPI, S. 21. 132 Bieler, BEJOh ANHPII, S. 96, dort von den Vergilviten behauptet. Anders Leisegang, der gerade das seelische Bereitschaftssystem des Archetypus des Gottmenschen für "das gründliche Mißverstehen dessen, was Platon gewollt und gelehrt hat" in der neuplatonischen Mythenbildung verantwortlich macht, vgl. ders., Archetypus, S. 30-32.45. 133 Vgl. Bieler, BEJOh ANHPII, Vorwort. Deswegen kann die Typologie auf die Gottesmänner Israels angewandt werden: die Frage ist, ob hier wie dort die gleiche psychologische
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
23
jedoch interessiert er sich dafür, wie man den göttlichen Menschen im kaiserzeitlichen Hellenismus gesehen hat, ein Bild, das gleichermaßen aus Erfahrung und Vorstellung geformt wird. 134 Auf dem Hintergrund des Zusammenhangs zwischen der psychologischen Struktur des historischen ßEL oS' dvryp und dem Typus müssen auch die Überlegungen zur Gattung betrachtet werden. Nach Bieler sind Anekdoten und Apophthegma, Legenden und Märchen die angemessene Ausdrucksform des Typischen, die angemessene literarische Form für den Bios des 8ELOS' dvryp sei die antike Biographie. 135 Der Typus fungiert also als Grundform einer Gattung in der Spätantike. 136 Das leitende Interesse ist jedoch die psychologische Fragestellung: Bieler geht es besonders darum zu klären, was das Verhältnis zwischen den typischen Motiven des 8EL oS' und der historischen Persönlichkeit sein könnte. 137 Anhand von Solon, Nigidius Figulus, Sophokles und Pindar versucht er zu zeigen, daß die ßELoS'-Motive je nach Fall unterschiedlich stark ausgeprägt seien. Auch in den Beiträgen über die Sokrates-Apologie Platons und die
Grundstruktur wiederkehrt und die gleichen bzw. ähnliche Gattungen hervorbringt, vgl. Bd. II S. 3-4. In diesem Sinne reflektiere die biblische Überlieferung von Figuren wie Henoch, Mose, Gideon, Samson, Samuel, den Königen Saul, David und Salomon sowie den Propheten Elia, Elisa und Daniel, daß sie ecLOL äv8pc5' waren, also Beispiele jener religiösen Persönlichkeit, die notwendigerweise Mythenbildung und das Typische nach sich zieht (S. 5-25). So dient der Typus einerseits als Mittel zur Klärung biographischer Fragen, anderererseits dazu, schwierigen Texten einen Verstehenshorizont zu geben (v gl. die Diskussion über Hesiod und Pindar, S. 43-47) und Auskunft über den Entstehungshintergrund eines Textes (z.B. der Bacchae, S. 47-52) oder die Gattungsgeschichte (z.B. Rhianos' Messianika, S. 60-64) zu vermitteln. 134 Bieler, BEJOI ANHPI, S. 24. 135 Vgl. besonders Bd. I, S. 6-7.21; Bd. II, S. 3-36.77-82, wo es sich immer wieder um die Biographie bzw. Aretalogie handelt. Diese Debatte über die literarische Gattung, die mit der ecL05' GVr]p-Vorstellung korrespondiert, wurde bis in die achtziger Jahre im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung und Gattung der Evangelien überaus kontrovers geführt, vgl. Smith, Prolegomena, S. 174-179; David L. Tiede, The Charismatic Figure as Miracle Worker, SBL.DS 1, Missoula 1972, S. 1-13; ders., Religious Propaganda and the Gospel Literature of Early Christian Mission, ANRW II 25,2, 1984, S. 1705-1729; Howard Clark Kee, Aretalogy and Gospel, JBL 92, 1973, S. 400-422; ders., Aretalogies, Hellenistic "Lives", and the Sources of Mark, Berkeley 1975; Klaus Berger, Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, ANRW II 25/2,1984, S. 1034-1432, dort 1218-1231 (dort weitere Literaturangaben); Gallagher, Divine Man, S. 2ff. 136 Jones, Concept, S. 9 redet später von der Kategorie des "literarischen ecL05' GVr]p", die frühestens in Philostrats VA greifbar werde Er hält fest, daß es schon vor Philostrat ein fest umrissenes Konzept des ecL05' GVr]p gegeben haben müsse, aus dem er diesen "literarischen ecL05' GVr]p" - eine literarische Gattung - geschaffen habe, vgl. ebd., S. 100-126.167-205, bes. 283. Dadurch wird das semantische Konzept der Gattung logisch und chronologisch vorgeordnet. Dies ist in methodischer Hinsicht wichtig und muß als ein wesentlicher Beitrag zur Methodenproblematik gewertet werden. 137 Wegen des engen Zusammenhangs zwischen dem historischen ecL05' GVr]p und den typischen Zügen könne man gar untersuchen, ob die Gattung sich schon früher nachweisen lasse, z.B. in der Mosesvita des Josephus (vgl. Bd. II, S. 30), als Vorlage der Bacc~ae-Tra gödie von Euripides (v gl. Bd. II, S. 49) oder des Epos des Rhiamos (ebd. S. 60-64). Ahnliche Uberlegungen stellt Jones, Concept, S. 283 an.
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Teil I: Einführung in die Problematik
V ergil viten von Donatius und Phokas ist dies die beherrschende Fragestellung. 138 Wir schließen mit einer Beobachtung zum Gebrauch des Terminus ßELOS" dvryp bei Bieler: wie schon bei Windisch ist auch bei Bieler eine gewisse Großzügigkeit in der Benutzung des Terminus (sowohl als Bezeichnung für die Vorstellung als auch für den psychologischen Menschentypus ) zu erkennen, was den Eindruck erweckt, daß der Terminus oft in der Literatur vorkomme und ein fester Ausdruck gewesen sei, der eine klar umrissene Vorstellung (eben die des charismatisch begabten göttlichen Menschen) als Inhalt habe. 139
1.2.3. Die
flE[O~ dl/7f~ Vorstellung
als kulturelle Deutungskategorie
Hans Dieter Betz läutet mit seinem Buch über Lukian und das Neue Testament die zweite Phase der ßELOS" dvryp- Forschung ein. 140 Die Studien von Reitzenstein, Windisch und Bieler dienen ihm als Ausgangspunkt. 141 Nach Betz ist die ßELOS" dvryp- Vorstellung Gemeingut des Hellenismus gewesen und hat auch im Urchristentum vorgeherrscht: es habe eine Gesamtkonzeption des 'göttlichen Menschen"', eine vorgegebene Vorstellung bzw. ein Schema gegeben.1 42 Wenn man in der Antike das Leben eines göttlichen Menschen schildern wollte, habe man sein Lebensbild mit Motiven und Zügen ausgestattet, ".die mit der Vorstellung vom ßELOS" dvryp vorgegeben waren. 143 Für eine besondere Darstellung gebe es nur einen gewissen Spielraum innerhalb des Schemas, da sie von den herangezogenen typischen Zügen abhängig sei. Antike Erzähler und Schriftsteller erzählten eine Geschichte unter weitgehendem Verzicht auf die historischen Aspekte des individuellen Lebens, für das Historische bestehe wenig Interesse. Der Anlaß für das Erzählte liege nur bei dem Erzähler, nicht beim historischen Leben der jeweiligen Persönlichkeit, dafür bestehe prinzipiell wenig Interesse. l44 Die ßELOS" dvryp- Vorstellung war für Betz also ein ahistorisches Konstrukt, ein Idealbild, eine Typologie. Sie war eine kulturelle Deu11
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138 Vgl. bes. die hier oben zitierte Aussage in Bielers zu den Vergilviten, BE/GI ANHP 11, S. 96. 139 V gl. auch von Martitz, Art. ufoS', S. 338, Anm. 23. 140 Hans Dieter Betz, Lukian von Samosata und das Neue Testament. Religionsgeschichtliche und paränetische Parallelen. Ein Beitrag zum Corpus Hellenisticum Novi Testamenti, Berlin 1961, S. 100-143, vgl. aber auch S. 144-179. ]4] Betz, Lukian, S. 100, Anm.l. 142 Betz, Lukian, S. 100f. 143 Betz, Lukian, S. 104. In seinem Aufsatz: Jesus as Divine Man, in F. Thomas Trotter (Hg.), Jesus and the Historian (FS E. C. Colwell), Philadelphia 1968, S. 114-133, übersetzt als: Jesus als göttlicher Mensch, in A. Suhl (Hg.), Der Wunderbegriff des Neuen Testaments, WdF 295, Darmstadt 1979, S. 240-250, illustriert Betz, wie die Evangelisten jeweils die 8ElOS' avrjp- Vorstellung als Interpretationskategorie auf Jesus angewendet haben. 144 Betz, Lukian, S. 104. Betz verzichtet damit darauf, wie Bieler und in minderem Maße Windisch eine Verbindung zwischen Motiv und historischer Wirklichkeit festzuhalten.
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
25
tungskategorie, ein Muster, mit dem Mitglieder einer Gesellschaft Wirklichkeit und Geschichte (um)interpretierten. Auf Lukian angewendet bedeutet dies Betz zufolge, daß Lukian bei seinem Versuch, selbst eine positive Darstellung einer Persönlichkeit zu bieten, nicht über diese vorgegebene Vorstellung hinauskommen könne,145 so daß auch bei ihm die alten Philosophen und Dichter unter dem Einfluß des ßELOS" dVTjp-Konzeptes verstanden und dargestellt würden. 146 Nach Betz ist der Ausdruck ßELOS" dVr7P ein terminus technicus für diese Vorstellung,147 weiterhin jedoch sei der ßELOS- dVr7P terminologisch bei Lukian nicht fest umrissen, denn für den "göttlichen Menschen" seien unterschiedliche Bezeichnungen verwendet worden: ßEOS-, T{S- TWV KpEL TTOVWV, dvryp 8aLIl OVL OS", ßEaTTEaLos-, ETTOVpavLos-, VTTEPVEcjJEA OS-, ßEOEL8rys-, ßEOTTPETTryS-, laoßEos-, vTTEpavßpwTTos-, lEPOS-, ßavllaaLos-, ßavllaaTos-, auch KaAos-, aocjJos-, TpL aOAßL OS-, 0 Kavwv.148 Betz versteht also in Nachfolge der Väter der ßELOS- dvryp-Forschung die ßEL os" dvryp- Vorstellung als einen Bewußtseinsinhalt bzw. ein Schema damaliger Menschen, der mit dem Terminus ßELOS- dvryp korrespondierte und auf
bestimmte so bezeichnete Personen angewandt werden konnte. In seinem sehr wirkungsvollen Aufsatz Jesus as Divine Man hat Betz dann gezeigt, wie die Evangelisten jeweils in eigener Regie die ßELOS- dvryp- Vorstellung als Interpretationsschema auf J esus angewendet haben, um sein Leben in einer für die hellenistische Welt verständlichen Weise zu deuten. 145 Betz, Lukian, S. 100. 146 Betz, Lukian, S. 100f. Die Züge der Vorstellung sind im wesentlichen diejenigen, die Bieler ausgearbeitet hat, sie werden jedoch ausschließlich anhand von Lukians Schriften belegt, vgl. S. 104-143: Zum Schema des ßELOS" dVr]p gehören die folgenden Komponenten: eine wunderbare Herkunft (104-106), eine außergewöhnliche Kindheit (l06f.), ein außergewöhnliches Aussehen (131-133), besondere Weisheit (107f.133-136), staunenerregende öffentliche Wirksamkeit (108ff.), sittlich hochstehende Qualität (136ff.), Legitimation (140146), Erweis des göttlichen Wirkens durch Wunder (144ff.), ein außergewöhnlicher Tod (116ff.), Auferstehung, Apotheose, Erscheinungen, Kultgründung (124-130). Betz geht methodisch so wie Bieler vor: Die Gesamtkonzeption wird aus vielen einzelnen Mosaiksteinen zusammengesetzt, ohne daß sie einigermaßen vollständig am Leben einer Einzelperson nachgewiesen werden kann. 147 Betz, Lukian, S. 102. Vgl. Luk. Cyn.13, wo Herakles als TWV TTavTwv dV()pWTTUJV äpLaTov ()ELOV 8E äv8pa Kai ()EOV op()(JS" VOj1La()EvTa bezeichnet wird. 148 Betz, Lukian, S. 102f. Was er genau mit diesem Satz meint, ist dem Text nicht zu entnehmen (vgl. auch Koskenniemi, Philostratos, S. 77): offenbar ist dies jedoch nicht so zu verstehen, als seien die Termini Titel, deren Vorkommen in einem Text die Gesamtvorstellung des ßELOS" dVr]p hervorrufen würde. Genau dies tut jedoch Kathleen O'Brien Wicker, De defectu oraculorum (Moralia 409E-438E), in Hans Dieter Betz (Hg.), Plutarch's Theological Writings and Early Christian Literature, SCHNT 3, Leiden 1975, S. 131-180, dort 136f.: Dort wird (unter Berufung auf Betz, Lukian, S. 102f.!) lediglich aufgrund des Vorliegens der Phrase äv8pES" lEpO{ in Plutarch Mor. 410A die gesamte ßELOS" dVr]p- Vorstellung in diesen Text hineingelesen, obschon der Ausdruck ßELOS" dVr]p selbst gar nicht im Zusammenhang mit den jeweiligen Bezeichneten verwendet wird und es auch sonst keinen Anlaß gäbe, die Vorstellung des ßELOS" dVr]p dort zu vermuten. Gegen solche semantischen Exzesse hat sich James Barr, Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft, München 1965 (englisches Original: The Semantics of Biblical Language, London 1961) mit Recht gewandt.
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Teil I: Einführung in die Problematik
1.3
Der sozialgeschichtliche Ansatz
In seiner 1964 erschienenen Dissertation 149 kündigte Dieter Georgi mit Hinweis auf die Arbeiten von Bieler und Betz an, er wolle "nicht das bereits oft behandelte literarische 8cLOS" dvrjp-Motiv, sondern vielmehr dessen faktische Erscheinung" behandeln. 15o Den ßcLOS" dVrlP findet er dort vor, wo in der hellenistisch-römischen Gesellschaft religiöse Kulte, philosophische Sekten, Heiler, Orakelspender , Magier und Exorzisten um die Anhängerschaft der Massen buhlten. 151 Exemplarisch sei die Darstellung Juvenals in seiner 6. Satire 521ff., wo er schildert, wie Missionare von Kybele, Isis und dem jüdischen Gott sowie Magier und Astrologen durch Demonstrationen des Außergewöhnlichen um Aufmerksamkeit und Anhängerschaft wetteifern. Nach Georgi müßten solche Missionare vorausgesetzt haben, daß es so etwas wie eine Werte skala zur Beurteilung von Göttlichem gab, die es dem Publikum erlaubte, den Wert der betreffenden Religion abzuwägen.1 52 Aus Dio Chrys. Or. 33 153 gehe hervor, daß "wer vorgibt, der Welt und ihren Geheimnissen auf der Spur zu sein, und es entsprechend vorbringen kann", bei den Massen als 8cLOS" av8pUJTToS" gegolten habe. 154 Zwölf Jahre später meldete sich Georgi in der ßcLOS" dvryp-Debatte zurück und versuchte, eine sozialgeschichtliche Ortsbestimmung des ßcLOS" dvryp in der römisch-griechischen Gesellschaft durchzuführen. 155 Die Frage nach Ursprung und Bedeutung des "göttlichen Menschen" müsse auf dem Hintergrund der hellenistischen U rbanisierung beantwortet werden. Die Städte waren abhängig von Wohltätern, die ihre Existenz sicherten, indem sie Außergewöhnliches (wie z.B. Spenden, militärische Hilfe, Befreiung von Unterdrückung usw.) leisteten. Diese grundsätzliche Abhängigkeit der Städte von Spenden und Beiträgen von außerhalb zwang sie zur Öffnung nach außen, damit sie so viele außergewöhnliche Beiträge wie möglich anziehen konnten. "The cities lived on, and for, great149 Dieter Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike, WMANT 11, Neukirchen-Vluyn 1964. 150 Georgi, Gegner., S. 192, Anm. 4. In dem Epilog zu der englischen Übersetzung (The Opponents of Paul in Second Corinthians, Philadelphia 1986) schreibt Georgi: "In 1964 I had moved beyond the studies of Ludwig Bie1er and Hans Windisch and many since which have looked at the 'divine man' as a type. I became convinced that the divine man was more than a matter of ideals", ebd., S. 390. Vgl. auch Anm. 79, wo Betz explizit als Vertreter eines (eher ahistorischen) typologischen Ansatzes bezeichnet wird. 151 Georgi, Gegner, S. 187-200. Damit nimmt Georgi die Linie von Reitzenstein wieder auf, obwohl er sich in diesem Zusammenhang nicht explizit auf ihn bezieht. 152 Georgi, Gegner, S. 191. 153 V gl. dazu hier unten Kap. 6.2. 154 Georgi, Gegner, S. 193. Georgi hat eine ausführliche theologische und weltanschauliche Ortsbestimmung des BEtaS' dVr7P im hellenistischen Judentum vorgenommen (vgl. ebd., S. 138-187, vgl. die Darstellung hier unten in Kap. 14.1), leider jedoch nichts Entsprechendes für den Hellenismus vorgelegt. 155 Dieter Georgi, Socioeconomic Reasons for the 'Divine Man' as a Propagandistic Pattern, in Elizabeth Schüssler Fiorenza, Aspects of Religious Propaganda in Judaism and Early Christianity, Notre DamelLondon 1976, S. 27-42.
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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ness, they invited extraordinary, 'divine', achievements. "156 Diese städtische Struktur der Abhängigkeit von außergewöhnlichen von außen stammenden Beiträgen nennt Georgi '''divine man' pattern". Aus ihm entwickelten sich zunächst die städtischen Herrscherkulte, dann wurden jedoch auch anderen, mitunter unbedeutenden Wohltätern kultischen Ehren oder Akklamationen entgegengebracht, auch Wundertätern. 157 Entscheidend ist jedoch: "The miracle worker is not made divine by that acclamation ... Rather ... the acclamation states that the public has experienced divine action through a benefactor, perhaps even a divine visitation. And this is not an expression of divine essence, but only a pragmatic question of the demonstration of divine power and its public recognition and ratification." 158 In dem Epilog zur englischen Übersetzung seiner inzwischen berühmt gewordenen Dissertation hat Georgi sein Verständnis vom BEL0:; dv1jp noch einmal präzisiert. 159 Ihm zufolge sei die hellenistische Gesellschaft gänzlich auf das Außergewöhnliche und Spektakuläre, und das heiße zugleich das Übermenschliche bzw. Göttliche, ausgerichtet. 160 " ... Hellenistic people wanted to experience the di vine breaking in, mingling with the human, and the human extending to divine heights ... Sensitivity for the divine increased - tremendously. Therefore a wide range of phenomena, many more than the appearances of deities alone, were concidered miraculous, that is, were seen as caused by the divine, as manifestation of superhuman qualities, of superior power" .161 Es habe jedoch nicht nur eine massive Erwartungshaltung bezüglich des Außergewöhnlichen gegeben, sondern auch Menschen, die versuchten, dieser Erwartung durch persönliche Demonstrationen des Außergewöhnlichen bzw. Göttlichen zu entsprechen. 162 Dies sei auf vielen gesellschaftlichen Ebenen geschehen - in den Bereichen der Politik, der Weltanschauung (Religion, Philosophie, Ethik), der
Georgi, Socioeconomic Reasons, S. 31ff. Georgi, Socioeconomic Reasons, S. 33f., vgl. Apg. 14,7-13. S. auch ders., Opponents, S. 390.407f. 158 Georgi, Socioeconomic Reasons, S. 34 (Hervorhebung von mir, D.d.T.). Damit nimmt Georgi der ßEL05' avJjp- Vorstellung ihre spezifisch religiöse Spitze, die das Konzept dazu befähigte, als Erklärungsmodell für die Entstehung einer Gottessohn- bzw. Gottmenschchristologie im frühen Christentum zu dienen. Ein solches Desinteresse an der Vergottung als wesentlichem Aspekt einer ßEL05' avJjp-Christologie und eine entsprechende Betonung des wirkungsmächtigen Charisma des ßEL05' avJjp ist schon in Georgis Dissertation angelegt. Nur so konnte es gelingen, den ßEL05' avJjp-Begriff auf die christlichen (nicht vergöttlichten) Missionare auszudehnen. Dem entspricht es, daß das ßEL05' avJjp-Konzept in den letzten dreißig Jahren in der neutestamentlichen Forschung hauptsächlich zur Erklärung der Wundertraditionen in der Evangelien- und Apostelaktenliteratur diente und immer weniger für die Entstehung einer Gottmenschchristologie (der ursprüngliche Sitz im Leben des Konzeptes in der neutestamentlichen Forschung) herhalten mußte. 159 Georgi, Opponents, S. 390-422.445-450. 160 Georgi, Opponents, S. 390f. 161 Georgi, Opponents, S. 391. 162 Georgi, Opponents, S. 392f. 156 157
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Teil I: Einführung in die Problematik
Künste USW. 163 Wir haben es also zu tun mit einer gesellschaftlichen Struktur von Erwartung und Erfüllung, von paradigma und mimesis, "role model" und "imitation". Für Georgi ist eEL05" dvryp bzw. divine man also eine sozialgeschichtliche Kategorie: Die eELol aV8pE5" sind jene Menschen, die dem römisch-griechischen gesellschaftlichen Erwartungsschema bzw. pattern des (von außen kommenden) Täters des Außergewöhnlichen entsprechen. Für ihn ist eEL05" dvryp also ein Begriff, mit dem der Historiker eine weitverbreitete, vielschichtige und sehr konkrete historische Erscheinung bezeichnet, die in der sozialen Struktur der römisch-griechischen Gesellschaft eingebettet gewesen sei. 164 Dasselbe Interesse spielt auch in Morton Smiths Jesus-Buch eine zentrale Rolle. 165 Aufgabe der Forschung sei es, "die sozialen Typen hervorzuheben, mittels derer sich der Lebenslauf solch eines Menschen damals interpretieren ließ" .166 Es handle sich also darum, J esu soziale Identität zu bestimmen,167 seine außerordentliche Begabung mit Hilfe von der Antike geläufigen Kategorien zu erklären. 168 Eine solche Einordnung geschehe durch Kategorien, die aufgrund der besonderen Mythologie einer Gesellschaft geformt werden. Das als außerordentlich empfundene Element in einem Menschenleben sei gemeinhin im Altertum als "göttlich" oder "dämonisch" bezeichnet worden, weshalb man damals von Menschen gesprochen habe, die von Dämonen unterschiedlichster Art besessenen waren, z.B. Propheten, Magier und göttliche Menschen. 169 In seinem Versuch, J esus einem sozialen Typ zuzuordnen, unterscheidet Smith drei soziale Typen, nämlich den y67]5", den /1aY05" und den eEL05" dvryp. Es handele sich um Kategorien antiken Sprachgebrauchs: y67]5" sei ein schmähender Ausdruck, der für ein breites Feld von Erscheinungen verwendet worden sei (z.B. für Schamanen, Ekstatiker und Magier allerlei Art, irreführende Redner, mediale Praktiker USW.).170 Mayo5" sei eine Stufe über dem y67]5",171 werde jedoch auch verächtlich gebraucht, wobei das ganze Spektrum "von einem 163 Georgi, Opponents, S. 406-409. 164 Ich meine, bei Georgi ein zunehmendes Desinteresse für die antike Verwendung der Terminologie feststellen zu können. Dem entspricht es, wenn er bemängelt, daß die Kritiker der ßcLOS" avryp-Hypothese einem "terminological Platonism" verfallen seien, vgl. S. 357, Anm. 1; 415, Anm. 79. 165 Morton Smith, Jesus der Magier, München 1982 (deutsche Übersetzung von: Jesus the Magician, New York 1978). 166 Smith, Jesus, S. 37. An anderer Stelle schreibt er: "lf the old figure of the divine man survived in popular thought around the Mediterranean, then individuals like Hannibal and Jesus may be supposed to have used it to understand themselves, or imitated it to attract a following", in ders., On the History of the 'Divine Man', in Andre Benoit u.a., Melanges offerts a Marcel Simon. Paganisme, Juda"isme, Christianisme. lnfluences et affrontements dans le monde antique, Paris 1978, S. 335-345, dort S. 337 (Hervorhebung von mir, D.d.T.). 167 Smith, Jesus, S. 32. 168 Smith, Jesus, S. 38-41. 169 Smith, Jesus, S. 39. 170 Smith, Jesus, S. 124-126. 171 Smith, Jesus, S. 126.
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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echten Priester zu einem Burschen, der ... Amulette oder Gifte verhökerte", abgedeckt werde. 172 Hier schaltet Smith seine Diskussion über die eElOL av8pES" ein: "Andererseits dürften die Freunde eines Magus aus den höheren Klassen behauptet haben, er sei kein Magus, sondern ein 'göttlicher Mensch'. Der göttliche Mensch war ein Gott oder Dämon in Verkleidung, der sich in einem menschlichen Körper in der Welt umherbewegte. Er konnte sämtliche wohltätige Dinge tun, auf die sich ein Magus verstand ... Er wirkte seine Wunder durch die ihm innewohnende göttliche Kraft und bedurfte daher keiner Rituale oder Zauber. Dies war der entscheidende Punkt, durch den sich ein göttlicher Mensch von einem Magier unterscheiden ließ - so dürften jedenfalls seine Anhänger argumentiert haben" .1 73 Nach Smith seien die Typen nicht klar voneinander zu unterscheiden, denn die Grenzen verschoben sich in dem gängigen Sprachgebrauch je nach den Sympathien des Erzählers. Andererseits habe es praktische Unterschiede gegeben, obwohl die theoretischen Grenzen verwischt waren. So habe der Ausdruck "göttlicher Mensch" nicht die negativen Konnotationen von paroS" gehabt, so daß der Träger davon nicht kriminalisiert worden sei. 174 Es handelt sich hier also um Kategorien bzw. Vorstellungen mit denen antike Menschen Phänomene in ihrer Gesellschaft gedeutet haben. Außerdem kristallisiert sich hier ein Wortfeld heraus, dem der Begriff eElOS" aVepWTTOS" mit anderen Lexemen wie y67]S", paroS" und eavj.1aTovpy6S- angehören SOll.175 Auch Wolfgang Speyer hat in seinem obengenannten Aufsatz gefordert, daß ein religionsphänomenologischer Ansatz in der Bestimmung des numinosen Menschen notwendigerweise durch einen sozialgeschichtlichen Ansatz ergänzt werden müsse: "Um den numinosen Menschen als grundlegende Erscheinung der Religion zu verstehen, genügt es deshalb nicht, ihn nur wesensmäßig zu beschreiben, sondern er ist gleichfalls nach seiner geschichtlichen Erscheinungsweise zu deuten. Dabei wird sich herausstellen, daß auch eine derartige Betrachtungsweise, die auf die geistes-, kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Bedingungen achtet, nur zu einem Teil das Geheimnis dieses außergewöhnlichen Menschentypos aufzuhellen imstande ist." Es sei möglich, "die allgemei172 Smith, lesus, S. 132. 173
Smith, lesus, S. 132-133.
174 Smith, lesus, S. 142. Wichtig ist die Bemerkung, daß die öffentliche Meinung in Palästina schwankte, ob die magischen Fähigkeiten der Magier auf Nekromantie, Dämonenbesessenheit, Herrschaft über Dämonen bzw. Geister oder aber auf ein göttliches Wesen zurückzuführen sei. 175 Unabhängig von Smith vertritt lones, Concept, S. 189-191 denselben Standpunkt: ßEL05" dvrjp und '107]5" seien zwei Pole der Kategorie lla'105". So sei es die Aufgabe Philostrats gewesen, Apollonius als lla'105" und ßEL05" dvrjp und nicht als lla'105" und '107]5" darzustellen. Smith und lones unterscheiden sich darin von anderen Vertretern der ßEL05" dvryp-Forschung, denn dort rechnete man zwar damit, daß ein ßEL05" dvryp gelegentlich wegen seiner Wundertätigkeit als Magier und Goet abgestempelt werden konnte, brachte den Ausdruck ßEL05" dvryp jedoch nicht lexikalisch mit den Wörtern lla'105" und '167]5" in Zusammenhang, vgl. z.B. Bie1er, BEIDI ANHP I, S. 83-87 (vgl. S. 9-20). Wegbereiter dieser Position mag jedoch Wetter, Sohn Gottes, S. 73-79 gewesen sein.
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Teil I: Einführung in die Problematik
nen geistes- und gesellschaftlichen Bedingungen zu beschreiben, unter denen die einzelnen numinosen Menschen im Laufe der Geschichte standen und die ... auf sie eingewirkt haben" .176 Gail Paters on Corringtons Dissertation 177 führt Georgis Ansatz weiter, wenn auch manchmal in polemischer Abgrenzung von ihm. 178 Obwohl der Begriff ßELOS" dvf}p nicht oft in der antiken Literatur vorkomme, sei es erlaubt, mit dieser Kategorie die Meinungen und Reaktionen eines missionarischen Publikums zu kategorisieren und zu klassifizieren.1 79 Der göttliche Mann ("divine man") sei eine sozialgeschichtliche Kategorie, "a hypothetical structure which allows for ... discrete phenomena as di vergencies within a type rather than from a type" .180 Eine solche Kategorie soll jedoch auf ein gesellschaftliches Milieu, das die Entstehung, Erscheinung und Rezeption des Phänomens bedingt, beschränkt werden. 181 Corrington unternimmt es also als ersten Schritt, den Horizont zu umreißen, innerhalb dessen die unterschiedlichen unter dem Begriff ßELOS" dvf]p gesammelten Phänomene entstanden sind und sich entwickelt haben.1 82 Es handle sich um die hellenistische Weltanschauung mit ihrer zentralen Kategorie 8vvaJ1LS" (Macht / Kraft / "power"), die in allen gesellschaftlichen Schichten vorherrschend gewesen sei. 183 Göttlichkeit und das Verhältnis der Menschen zum Göttlichen seien in Machterscheinungen, Machttaten, Epiphanien der herrschenden Mächte oder in Demonstrationen der Kontrolle über solche Mächte offenbart worden. 184 Göttliche 8VVaJ1lS" könne also von Menschen, verkörpert werden und sich im Aufttreten bestimmter Menschen manifestieren. 185 176 177
Speyer, Numinoser Mensch, S. 143-148, Zitate auf S. 144f. The "Divine Man". His Origin and Function in Hellenistic Popular Religion, New York
1986. Z.B. Corrington, Divine Man, S. 140ff. Corrington, Divine Man, S. 43. So auch Anitra Bingham Kolenkow, Paul and Opponents in 2 Cor 10-13 - Theioi andres and Spiritual Guides, in Lukas Bormann u.a. (Hg.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World. Essays Honoring Dieter Georgi, Leiden 1994, S. 351-374. 180 Corrington, Divine Man, S. 44f., im Anschluß an Bryan Wilson, Magic and the Millenium, New York 1973. 181 Corrington, Divine Man, S. 45. Damit steht sie in Kontinuität mit Smith und Georgi und in Gegensatz zu typologischen oder phänomenologischen Ansätzen. 182 Corrington, Divine Man, S. 48f.59-158. 183 Corrington, Divine Man, S. 64-67. 184 Corrington, Divine Man, S. 64-146. Ähnlich wie Georgi hält sie fest: "It is within this horizon that the concept of the 'embodied power' of the theios an er may be found. This notion of 'embodied power' produced the saviours of the Hellenistic world: gods, heroes, powerful rulers, and then philosophers, thaumaturges, magicians and other religious figures"; vgl. dies., Power and the Man of Power in the Context of Hellenistic Popular Belief, in Kent H. Richards (Hg.), Society of Biblical Literature 1984 Seminar Papers, SBL.SPS 23, Chico 1985, S. 257-261, dort S. 257. 185 "Small wonder that anyone who could controll these phenomena of 'powerst, be he king, philosopher, mystic or magician, could be seen as possessing that 8ElOV TL, as having attained divinity", Corrington, Divine Man, S. 94. Die völlig unterschiedlichen Machttaten zeigten gerade, wie Göttlichkeit in völlig andersartigen Manifestationen der kosmischen 8vvaflL5' demonstriert werden konnte. 178 179
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Corrington versucht zu zeigen, daß in den unteren Schichten der Gesellschaft weder Kritiker noch Anhänger der vielen Propheten, Wanderprediger, Philosophen und Wundertäter genau zwischen diesen Kategorien unterschieden haben. Allen sei der gleiche Vorwurf der Zauberei (j1aycia) und Scharlatanerie (yoT}Tcia) gemacht worden. 186 Auf der Ebene des Volksglaubens gebe es keinen Unterschied zwischen Philosophie, Religion und Magie l87 . Es sei also nicht möglich, zwischen philosophischer 8vvaj1L5' und Thaumaturgie zu unterscheiden. Man könne jedoch einen Typus ("type"), eine Art Persönlichkeitstyp ausmachen, der der popularen Philosophie, Religion und Magie gemeinsam und durch das Wirken von eavj1aaTa und TEpaTa gekennzeichnet gewesen sei. Die Tatsache, daß die Massen die Grenzen zwischen Kategorien wie Prophet, Wanderprediger, Philosoph und Wundertäter verwischt haben, bestätige, daß das Konzept ecL05' avryp in den Köpfen der hellenistischen Menschen als Bewußtseinsinhalt bestanden habe. 188 Corrington verwendet also die Bezeichnung "divine man" für eine sozialgeschichtliche Kategorie der hellenistischen Gesellschaft. 189 Diese Menschen seien von den damaligen Menschen als "göttliche Menschen" erkannt worden, d.h. die Vorstellung des göttlichen Menschen war als Bewußtseinsinhalt vorhanden, mit dem man gesellschaftliche Phänomene interpretieren konnte.
1.4 Kritik und zunehmende Differenzierung: Die Zersplitterung der 8EL05" avryp- Vorstellung Mit dem hier oben erwähnten, im Jahr 1969 erschienenen Wörterbuchartikel von Wülfing von Martitz 190 wird die ecL05' avryp-Hypothese erstmals mit ernstzunehmender Kritik konfrontiert. Seit den siebziger Jahren werden immer häufiger kritische Stimmen hörbar, die die Relevanz des ecL05' avryp-Konzepts für die Christologie bzw. das Verständnis des Neuen Testament in Frage stellen. 191 In einem Aufsatz in der Wikgren-Festschrift stellt Otto Betz jedoch nicht nur die Relevanz des ecL05' avryp- Konzepts für die Christologie, sondern überhaupt die Existenz eines solchen Konzepts in Frage: "I think we have to go further and raise the question whether there really existed the concept of such a Divine Man, Corrington, Divine Man, S. 67.78.83.87.92-94, bes. 100-103. 187 Corrington, Divine Man, S. 95-104, bes. 101.103. 188 Um den Nachweis einer solchen mentalen Vorstellung geht es ihr, vgl. Corrington, Divine Man, S. 95. Sie lehnt eine Zersplitterung der 8cLOS- dVr]p-Vorstellung, wie sie z.B. David Tiede vertritt (vgl. hier unten Kap. 1.4), ab, vgl. ebd., S. 95ff. 189 Dazu gehören die vielen Popularphilosophen und heidnischen, jüdischen und christlichen Missionare, die durch Demonstration von Macht (öuva~t<;), d.h. durch Wundertätigkeit und Aretalogien zur Bekehrung überzeugen wollen, vgl. Corrington, Divine Man, S. 159-311, bes. 159-173. 190 Von Martitz, Art. vlos-. 191 Vgl. Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 119ff. 186
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Teil I: Einführung in die Problematik
whether one can speak of hirn as a generally known 'type' composed of distinguishable features .... Is BELOS' avryp really a title?" 192 Zum Teil als Reaktion auf die zunehmende Kritik und zum Teil anläßlich der Entwicklungen innerhalb der ßELoS' avryp- Forschung selbst setzt nun in den siebziger Jahren eine zunehmende Spezifizierung und Differenzierung in der eELOS' avryp-Forschung ein. Sie nimmt einen Hinweis Morton Smiths auf, der die Aufmerksamkeit darauf lenkt, daß die griechisch-römische Antike "holy men of many different patterns" gekannt habe. 193 Zudem hätten die Philosophie und die Religion durch weitere Unterscheidungen und Spekulationen entscheidend dazu beigetragen, die Verwirrung zu vergrößern. 194 Der Sachverhalt sei dadurch verkompliziert worden, daß man in der Antike jeden Menschen, der in dem einen oder anderen Bereich positiv hervorstach, als "göttlich" beschrieben habe. 195 Smith weist ferner darauf hin, daß in diesem Bereich nichts konsistent und stabil, sondern alles in ständigem Fluß gewesen sei: Die unterschiedlichen Vorstellungen oder "patterns" seien den Wünschen und Idealen der Menschen unterworfen gewesen, die ständig sich weiterentwickelnden Vorstellungen wirkten wiederum gegenseitig aufeinander ein, und Eigenschaften der einen Vorstellung seien auf andere übertragen worden,196 Fast zu gleicher Zeit fordert Elwyn Jones in seiner Dissertation, daß zwischen den verschiedenen Varianten der eELOS' avryp- Vorstellung präzise unterschieden und auf ihre gegenseitige Beeinflussung geachtet werden müsse. Er lenkt die Aufmerksamkeit besonders darauf, daß vorgeschichtliche und mythologische Konzeptionen von VergöttIichung spätere Konzeptionen beeinflußt 192 Otto Betz, The Concept of the So-Called 'Divine Man' in Mark's Christology, Studies in New Testament and Early Christian Literature. Essays in Honor of Allan P. Wikgren, hg. v. David E. Aune, NT.S 33, Leiden 1972, S. 229-240, dort S. 232. 193 Smith, Prolegomena, S. 179-188. Er unterscheidet (S. 181f.) die ursprünglichen Heroen lokaler Totenkulte; kleinere Gottheiten und Halbgötter, die unter die Heroen aufgenommen wurden; homerische Helden; öffentliche Wohltäter, die nach ihrem Tod heroisiert wurden; historische Personen, die man für Erscheinungen realer Götter hielt; historische Personen, die man für Götter selbst hielt bzw. die vorgaben, Götter zu sein; kultisch verehrte Herrscher und Wohltäter. Vgl. auch ders., History, S. 337 und die gesammelten Aufsätze in Dieter Zeller (Hg.), Menschwerdung Gottes - Vergöttlichung von Menschen, NTOA 7, Freiburg/Göttingen 1988, dort vor allem ders., Die Menschwerdung des Sohnes Gottes im Neuen Testament und die antike Religionsgeschichte, S. 141-176, dort 159-172. 194 Er verweist auf die unterschiedlichen Vergottungstheorien Platons, der Stoiker und Kyniker, Euhemers und Epikurs, der Orphiker, der Eleusischen Mysterien, der hellenistischen Mysterien usw. 195 "Behind this mob of divine or deified men and their many varieties lay the Greek notion of the gods as beings like men, possessing the human virtues to a higher degree, and possessing also gifts that men wanted, above all immortality and eternal youth. Hence it was natural and common to describe as 'divine' any man who excelled in any desirable capacity ... The patterns of speech thus established persisted to NT times as conventional exaggerations and served further to complicate the census of 'divine men"', Smith, Prolegomena, S. 184. 196 "As men's notions changed, so did their gods, and as their gods changed, so did the ways in which men might be thought to be like them or related to them." Smith behauptet z.B., daß neue Eigenschaften, die im Hellenismus und in der Kaiserzeit Heilgöttern wie Asklepios zugetragen worden sind, auch auf die "göttlichen Menschen" der Zeit übertragen worden seien, Smith, Prolegomena, S. 184-188.
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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haben müssen, ohne jedoch selbst in den Bereich der eigentlichen ßElOS' dvf}~ Problematik hineinzugehören. 197 Auch David Tiede übte scharfe Kritik an der einheitlichen Vorstellung des ßElOS' dvf}p, die insbesondere die neutestamentliche Forschung sich angeeignet habe,198 und bestreitet sogar ihre Existenz in der Antike. Tiede schlägt eine Differenzierung des antiken ßElOS' dvf]p-Bildes vor, indem er die Frage nach dem Grund der Vergöttlichung stellt. 199 Er zeigt, daß der ideologische und der theologische Kontext zu verschiedenen Konzeptionen von göttlicher Präsenz im Menschen führen 200 und unterscheidet infolgedessen aufgrund pythagoreischer und sokratischer Traditionen zwei entgegengesetzte Konzeptionen der ßElOL av8pES' in der hellenistischen Welt. 201 Dabei handle es sich um den wundertätigen Charismatiker und den ßElOS' a"OcpoS' in philosophischen Kreisen,202 aus denen dann eine Fusion entstanden sei, die erstmals mit den Apollonios- und Pythagorasbiographien der Kaiserzeit in Erscheinung trat. 203 Ein weiterer ßElOS' dvf}p sei der romantische und mit Zauberkraft begabte göttliche König ägyptischer Romane. 204 Diese Linie verfolgt Eugene Gallagher weiter: Er will im Anschluß an Charles Talberpos untersuchen, ob man die Kriterien, die in der Antike angelegt 197 Jones, Concept, S. 9ff. Er unterscheidet zwischen "mythischen" (S. 9-13; Herakles, Dionysos, Asklepios Trophonios, Theseus, Orpheus u.a.) und "historischen" eELOL av8pES'; in der Kategorie der historischen eELOL äv8pES' identifiziert er "psychic personalities" (Schamanen: Abaris, Aristeas, Hermotimos, Epimenides, Zalmonxis, Lykurgos, Pherekydes, Thales und Solon) als Vorläufer der "historischen" eELOL av8pES' der Kaiserzeit., vgl. ebd. S. 13-55. 198 Tiede, Charismatic Figure, S. 244ff. " ... many scholars have been operating under the false impression that the term eELOS' dVr7P was a fixed concept in the Hellenistic world", ebd., S.289. 199 Methodisch gesehen leistet Tiede die Differenzierung, indem er Wundertätigkeit als Maßstab und Kontrolle anlegt. Er gibt nie vor, daß dies die einzig mögliche Differenzierung wäre, sondern behält im Auge, daß andere Maßstäbe andere Differenzierungen ergeben könnten. Falsch ist die Auffassung Gallaghers (Divine Man, S. 18-22), der Tiede die Absicht unterstellt, eine "falsche Dualität" zweier primärer Kategorien aufstellen zu wollen. Tiede selbst sieht seine Arbeit lediglich als den ersten Schritt des Versuches, weitere Differenzierungen aufzustellen, vgl. ders., Charismatic Figure, S. 239-240. 200 Vgl. Tiede, Charismatic Figure, S. 238-240.254-255.289-292. 201 Tiede, Charismatic Figure, S. 14-29.30-42. 202 Tiede, Charismatic Figure, S. 30-38. Dazu gehöre der göttliche Weise der Schulen, S. 43-70. Tiede demonstriert ferner, inwieweit das mythische Bild des Herakles in den kynisehen und stoischen Traditionen ihrer Konzeption der göttlichen Weisen angepaßt worden sei und wie das Heraklesbild seinerseits wieder auf die Vorstellung eingewirkt habe, S. 71-100. 203 Morton Smith, History, S. 335-345, vertritt im Gegensatz zu Tiede den Standpunkt, daß die beiden spezialisierten Vorstellungen aus einer ursprünglichen, älteren Vorstellung vom omnikompetenten göttlichen Menschen entstanden seien, ohne sie jedoch zu ersetzen. 204 Z.B. die Alexanderromane, vgl. Tiede, Charismatic Figure, S. 91-96. Die Überlieferungen von den Heilungswundern Vespasians (Tacitus Hist. 4,81; Cassius Dio 65,8; Sueton Vesp. 7), die immer wieder mit dem eELOS' dvryp-Konzept in Zusammenhang gebracht werden, ordnet Tiede ebenfalls hier ein. 205 Charles Talbert, The Concepts of Immortals in Mediterranean Antiquity, JBL 94, 1975, S. 419-436 hat versucht, aufgrund von Diod. 6,1 eine Typologie der göttlichen Wesen in der Antike aufzustellen. Demzufolge habe es für die Antike zwei Arten von Göttern gegeben, nämlich ewige (z.B. Zeus, Apollo) und unsterbliche (z.B. Herakles, Dionysos) Götter. Die
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wurden, um Menschen als eELOL av8pES" zu klassifizieren, bloßlegen und dadurch die Frage, ob es in der Antike ein allgemeines hellenistisches Konzept des eELOS" dvryp gegeben hat, beantworten kann. 206 Er analysiert Origenes' Contra Celsum, Lukians Alexanderschrift, Philostrats Apolloniosvita und Eusebs Contra Hieroclem unter dem Aspekt, welche Kriterien sie für Göttlichkeit anlegen,207 und schließt daraus, daß kein allgemeines hellenistisches Konzept des eELOS" dvryp erhoben werden kann. Die unterschiedlichen Berichte zeigten, daß je nach Situation eine Vielzahl unterschiedlicher Kategorien und Kriterien die Bausteine für mehrere hellenistische Konzeptionen geliefert haben. 208 Alle Konzeptionen des eElOS" avryp seien ferner von der jeweiligen Weltanschauung abhängig, so daß alle Argumente, Kriterien und Kategorien für oder gegen die Göttlichkeit einer Person dementsprechen eingestuft werden. Deshalb wird es für Gallagher unmöglich, von dem hellenistischen eElOS" avryp zu sprechen. Er sei kein festes Gebilde, :werde aber in jedem Kontext nach bestimmten, meist impliziten Kriterien, neu gestaltet. Zuletzt hat Barry Blackburn aus seiner Analyse der hellenistischen Wunderüberlieferung geschlossen, daß das untersuchte Material keineswegs bestätigt, daß es im Hellenismus auch innerhalb der Kategorie der "wundertätigen eElOL av8pES"" einen festen Typus, der regelmäßig verschiedene Merkmale aufzeigte, gegeben habe. 209 Es gebe keine einheitlichen Konzeptionen der Erhöhung bzw. der Göttlichkeit dieser Menschen, von denen einige als Göttersöhne, andere als Heroen, Dämonen und gar Götter betrachtet würden. Auch die Wundertätigkeit ist oft so unterschiedlich, daß verschiedene Gruppen gebildet werden können. Man kann also in der Forschung eine stetige Zersplitterung der eElOS" avrypVorstellung beobachten, die zu der Schlußfolgerung führte, es könne nur mit größter Vorsicht oder aber gar nicht von einer fest umrissenen, deutlich identifizierbaren Vorstellung des ßELOS" avryp gesprochen werden. 2IO Diese immer filigraner werdende Differenzierung der (antiken) Vorstellung hat jedoch semantische Implikationen: Auf welche der vielen Vorstellungen hat sich der eELOL äv8pESO, in deren historischer Existenz göttliche Präsenz nachweisbar sei, gehörten in die Nähe der zweiten Kategorie. 206 Gallagher, Divine Man or Magician, S. 2.25f. 207 Gallagher, Divine Man or Magician, S. 41-169. 208 Gallagher, Divine Man or Magician, S. 170-175. Dennoch scheine das Kriterium der guten Werke fundamental zu sein. Er zeigt auch, daß keines der angelegten Kriterien, am allerwenigsten die Wundertätigkeit, entscheidende Funktion hat - die jeweiligen Elemente hätten nur kumulative Bedeutung in der Argumentation. 209 Blackburn, Theios Aner, S. 92-96; zusammenfassend Miracle Working, S. 189f.: "There is ... certainly no uniform way of expressing the nature of their divinity ... ", ebd., S. 191. 210 Vgl. Tiede, Charismatic Figure, S. 141-155; Blackburn, Miracle Working, S. 204f.: " ... it is questionable whether it is useful to speak of the known divine-human miracle workers of hellenism as constituting a type ... ". Dagegen wendet sich Betz, Gottmensch, Sp. 235 explizit: "Die offensichtliche Tatsache, daß antike Autoren das Phänomen je nach ihrer Tradition und Deutung behandeln und gestalten, darf nicht zu den Fehlschluß verleiten, es gebe das Phänomen nicht ... ".
1. Die forschungsgeschichtliche Problematik
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Terminus eELOS' dvf}p dann bezogen? Die Antworten fallen recht unterschiedlich aus: Smith und Jones scheinen den Terminus für die Wundertäter der griechisch-römischen Antike reservieren zu wollen,211 Blackburn bestreitet dagegen, daß die Bezeichnung Wundertätern als technischer Terminus beigelegt worden sei, Tiede wiederum bezieht sich für alle drei der von ihm unterschiedenen Typen göttlicher Menschen auf Texte, in denen eEL oS' dem jeweiligen göttlichen Menschen beigelegt worden iSt. 2I2
1.5 Konsolidierung der Forschungsergebnisse: Der Artikel "Gottmensch" in der RAC In seinem RAC-Artikel "Gottmensch" bietet Hans Dieter Betz ein Art Bündelung der Ergebnisse der eELOS' dvf}p-Forschung. 213 Hier tritt wiederum die bisher in der Forschung beobachtete Zweistufigkeit in der Verwendung der Terminologie ßELOS' dvf}p auf: Zunächst wird sie als Bezeichnung für ein historisches Phänomen benutzt; sie dient als eine religions- bzw. sozialgeschichtliche Kategorie. Dies hängt nach Betz mit der Entstehung der Gottmenschvorstellung im alten Griechenland zusammen: Zunächst war der eELOS' dvf}p ein von der Gottheit inspirierter Seher bzw. Schamane. 214 "[P]rominente Vertreter dieses religionsgeschichtlichen Typus" seien legendenumwobene Figuren wie Orpheus, Musaios, die Sibyllen215 und berühmte historische Persönlichkeiten216 wie Epimenides, Pythagoras, Empedokles gewesen - sogar Sokrates gehöre dazu. 217 Diese schamanistischen, mit vielen irrationalen Zügen ausgestatteten Persönlichkeiten seien die eELOL av8pES' "alter Prägung" des vorhellenistischen Zeitalters. Im Hellenismus wandle sich die eELOS' dvf}p-Gestalt. Wohl seien das Wundertun und die Inspiration beiden Gestalten gemein, aber der hellenistische ßELOS' dvf}p trete als Philosoph auf, der sich für seine Weisheit und sein ethi-
211 V gl. die Hinweise hier oben. 212 Überhaupt geht Tiede davon aus, daß dort, wo in den Texten von
BELOS" bzw. BEtOS" dvf}p die Rede ist, eine Vorstellung vom göttlichen Menschen vorliegt, die Frage sei lediglich, welche Kriterien für die zugeschriebene Göttlichkeit maßgeblich seien. Er bezieht sich generell auf solche Texte, in denen die Terminologie vorkommt (z.B. Platon Menon 99; Politeia 6, 500cd; Dio Chrys. Or. 33,4; Plutarch De genio Socr. 580ff.; Diog. Laert. 7,119; 8,21; Lukian Alex. 4.61; Philops. 32; Cyn. 13; Philostrat VA 1,2; Origines Contra Cels. 7,28 usw.); vgl. ders., Charismatic Figure, S. 14-100, passim. 213 Betz, Gottmensch, Sp. 234-312. Zur semantischen Grundlage der Darstellung vgl. hier oben S. 4. 214 Betz, Gottmensch, Sp.238. 215 Betz, Gottmensch, Sp. 238-241. 216 Betz, Gottmensch, Sp. 241-246: Abaris, Althalides, Amphiaraus, Aristeas von Prokonnesos, Hermotimos von Klazominai, Melampos, Zalmonxis, Teiresias, sogar Menekrates Zeus. 217 "... zweifellos muß auch ... der historische Sokrates den griechischen BELOL (jV8PES" zugerechnet werden", vgl. Sp. 261.
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sches Wissen auf übernatürliches Erkenntnisvermögen beruft. 218 Zu diesen Gestalten zählten die Neupythagoreer Nigidius Figulus und Apollonius von Tyana, der Mittelplatoniker Apuleius, die indischen Bramanen und Gymnosophisten, Alexander von Abonuteichos und die Gnostiker Dositheos, Simon Magus und Menander. 219 Es scheint also, als ob man im Hellenismus wiederum eine historische, Ausprägung des ßclOS" dvryp unterscheiden könne, nämlich inspirierte, wundertätige Philosophen. Die Kategorie des ßclOS" dvryp war jedoch nach Betz' Verständnis eine Kategorie der Antike selbst, so daß der moderne Forscher sich an der antiken Kategorisierung orientiert. 220 Die phänomenologische Kategorie ßcLOS" avryp der religions geschichtlichen Forschung ist also Betz zufolge keineswegs eine der Antike übergestülpte, sondern eine der Antike selbst entnommene Kategorie. 221 Ferner wird der Begriff ßclOS" dvryp von Betz regelmäßig benutzt, um eine kulturelle Interpretationskategorie der antiken Gesellschaft zu bezeichnen. Oft ist die Rede von der" ßclOS" dvryp- Vorstellung", unter deren Einfluß bestimmte Persönlichkeiten geraten seien, die an sich keine historischen ßclOL av8pcS" waren. Man könne zwei Varianten unterscheiden. Einerseits gehe aus den vielen Kontroversen, Diskussionen und Polemiken (z.B. Euripides gegen die Mantiker, Polemik gegen den Herrscherkult222 , die spätantike Polemik gegen J esus bei Kelsos, Porphyrios und Julian 223 , sowie gegen Aberglauben, Wundertäter und Goeten bei Lukian 224 ) hervor, daß eine feste gesellschaftliche Vor.stellung im Hintergrund stehe. Andererseits handle es sich um ein ein typisches Schema, das vor allem Einfluß auf die Dichter-, Philosophen- und Herrscherbiographien ausübe. So seien die Homer-, Hesiod-, Pindar- und Vergilviten gute Beispiele dafür, daß die Leben berühmter Dichter mittels eines solchen Schemas gedeutet worden seien. 225 Platon sei kurz nach seinem Tod unter diesen Einfluß geraten
Betz, Gottmensch, Sp. 248. Betz, Gottmensch, Sp. 248-253.283-284. Hier diskutiert Betz auch die Rezeption und Polemik um Jesus, vgl. Sp. 251. Unklar bleibt, ob Betz den Kyniker Peregrinus Proteus für einen historischen BEtOS' dvrjp hält oder ob er meint, jener sei nachträglich unter die Vorstellung geraten, Sp. 283. 220 So wird Epimenides von Platon Nomoi 1, 642d als eEtOS' dvrjp bezeichnet, "[i]n der antichristl. Polemik der spätantiken Philosophen wird Jesus unter vergleichbare eEtOt äv8pES' der Religionsgeschichte eingereiht", Betz, Gottmensch, Sp. 251. 221 In dem oben erwähnten Ausstellungskatalog des Liebighauses (H. Beck / P.C. Bol (Hg.), Spätantike und frühes Christentum, S. 161-222) wird der Terminus in demselben doppelten Sinne verwendet"zum einen als Bezeichnung für eine umfassende religionsgeschichtliche Typologie, die als Uberschrift mehrere unterschiedliche Gottmenschphänomene zusammenfassen kann, zum anderen als enger gefaßte Bezeichnung für die thaumaturgische Variante der Spätantike oder für den antiken Philosophenheiligen; vgl. Helga van Heintze, BEtOS' dvryp - Homo spiritualis, in ebd., S. 180-191. 222 Betz, Gottmensch, Sp. 287f. 223 Betz, Gottmensch, Sp. 251. 224 Betz, Gottmensch, Sp. 251. 225 Betz, Gottmensch, Sp. 253-255. 218 219
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und deshalb vergöttlicht worden,226 ferner Heraklides Pontikos 227 , Kyniker wie Diogenes von Sinope und Kerkidas 228 , die Stoiker Zen on und Kleanthes 229 und der Skeptiker Pyrrhon. 230 Diese Vorstellung sei besonders später in der biographischen Tradition des Neoplatonismus gepflegt worden, zu nennen seien Diogenes Laertios, Porphyrios, Iamblichos, Eunapios, Marinus und Damaskios. 231 Auch Gesetzgeber und gar Kurtisanen und Günstlinge allerlei Art seien unter die Vorstellung geraten. 232 Weiterhin spricht Betz von Gottessohn- bzw. ecLOSdvryp-Spekulationen: In der philosophischen Tradition seien Lehren über den Gottmenschen entwickelt worden, entweder im Anschluß an oder in Ablehnung der historischen Ausprägungen des Phänomens bzw. der allgemein verbreiteten volkstümlichen Vorstellung. 233 Die semantische Fragestellung nimmt für Betz eine Schlüsselrolle in der Gesamtproblematik ein. Das wird besonders daran deutlich, daß er die ecLOSdvryp / avepWTTOs-- Terminologie immer wieder heranzieht, um nachweisen zu können, daß eine jeweilige Person unter den Einfluß der Vorstellung geraten ist oder vergottet wurde. 234 Weiterhin wird die Vorstellung auch mit anderen griechischen Ausdrücken in Zusammenhang gebracht. 235 Andererseits teilt Betz die
226 Betz, Gottmensch, Sp. 266f. 227 Betz, Gottmensch, Sp. 279. 228 Betz, Gottmensch, Sp. 280f. 229 Betz, Gottmensch, Sp. 284f. 230 Betz, Gottmensch, Sp. 280. 231 Betz, Gottmensch, Sp. 273-279. 232 Betz, Gottmensch, Sp. 287f. .. 233 Betz behandelt Platon (Betz, Gottmensch, Sp. 263-266), unterschiedliche Ansätze der Alteren und Mittleren Akademie (Sp. 268-270), des Mittel- und Neoplatonismus sowie bei Philo von Alexandrien (Sp. 270), in der Hermetik bzw. Gnosis (Sp. 270f.), bei Numenios, Plotin, Marinos, Damaskios (Sp. 271 ff.) und Aristoteles (Sp. 279f.). Mal wird von einer Nous- oder einer Logos-Theologie, mal von einer Dämonologie oder einer Inspirationslehre ausgegangen. Drei Schulen haben wirksame Modelle entwickelt. Dem Vorbilde von HerakIes, Empedokles und Sokrates nacheifernd entwickelten die Kyniker ihre eigentümliche Lebensweise und ihre be'sondere Frömmigkeit. Das Musterbeispiel ist Diogenes gewesen, der für Epiktet Ench. 15 8clOS' sei (Sp. 280-284). In der späteren Stoa wurde das Tugendideal der stoischen Gottmenschenlehre entsprechend entwickelt. Göttlich sei der Weise durch Einwohnung des Logos. Als Vorbild dienen den Stoikern Odysseus und Herakles, aber ihrer Lehre entsprechend wirkt der Weise keine Wunder. Ihren Höhepunkt erreichte diese Anschauung in Seneca (Sp. 284-286) . Auch im Kepos finde man eine Vergottungslehre vor. Epikur wurde sogar schon zu Lebzeiten für göttlich gehalten. Anlaß sei seine Frömmigkeitslehre gewesen: Der Philosoph sollte unter Menschen wie ein Gott leben; dies werde durch das gemeinsame Leben im Kepos und durch aktive Teilnahne am Kult erreicht (Sp. 286). 234 Er erwähnt Platon (Nomoi 1,642d, Epimenides; Ion 542ab Homer, Ion; Menon 81ab, Pindar; Phileb. 18b Theut); Philostrat (VA 8,15 Apollonios); Vita Homeri et Hesiodi (öfters 8clOS'); Epiktet (Ench. 15, Heraklit, Diogenes); Plutarch (Mor. 8,90C, Platon); Ps-Plutarch (120D, Platon), Cicero (Tusc. 1, Plato divinus), Porphyr (Vita Plotini 49.130, Plotin); Eunapios (VS 2,1; 3,7; 3,2; 5,1,7f. Plutarch, Porphyr, Iamblich); Damaskios (Fr. 1 8clOL äv8pcS'); s. Betz, Gottmensch, passim. 235 Z.B. ßaaLAcVS' 8c6S', Platon Charm. 156de; 8coD TTalS', Iamblich VP 10; 8c6S', Platon Phileb. 18b, Diogenes Laert. 4,22; s. Betz, Gottmensch, Sp. 248.258.266.273.
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bereits bei Windisch beobachtete Neigung, den Terminus ßELOS" dVTjp sogar dort zu benutzen, wo er nicht im Text belegbar ist. 236
1.6 Fazit Aus diesem Überblick geht hervor, daß alle hier herangezogenen Entwürfe von der Annahme ausgehen, daß die BELOS" dVr]p- Terminologie im antiken Sprachgebrauch ein Konzept eines wundertätigen göttlichen Menschen bezeichne und diejenigen Menschen, die so bezeichnet werden, diesem Konzept zuordne. In dieser Form ging die BEtos- dvryp-Hypothese in die neutestamentliche Forschung ein. Dabei spielte Rudolf Bultmanns Aufnahme des Konzepts zur Erklärung der Entstehung der Gottessohnchristologie eine wesentliche Rolle für die Verbreitung der Hypothese. 237 Heutzutage ist sie in dieser Form weitverbreitetes Allgemeingut der neutestamentlichen Forschung - ein Blick in die einflußreichen Einleitungen von Peter Vielhauer238 und Helmut Köster 239 genügt, sich hiervon zu überzeugen. Exemplarisch sei hier aus einem einflußreichen Aufsatz von Paul Achterneier zitiert: "This simply meant that the Hellenistic world was convinced that contemporary men, like the heroes of old, could be and were endowed with divine powers and ultimately could themselves become gods. The descriptive title for such a man was simply 'divine man', theios aner. In such a person the characteristics of the gods were evident, such as foreknowledge, persuasive speech, the ability to heal and to perform miracles; and in addition they were frequently set apart by an extraordinary birth and death. The divine man thus tended to become anyone in some desirable capacity , and the term passed into common parlance" .240
Die Vertreter dieser Anschauung vertreten ausnahmslos einen semantischen Konzeptualismus - sie halten die Bedeutung des Ausdrucks für einen Bewußtseinsinhalt damaliger Menschen. 241 Ludwig Bieler vertritt darüber hinaus explizit einen semantischen Realismus platonischer Provenienz, der seine recht merkwürdige Begründung der semantischen Vorstellung in historischen VorZ.B. Betz, Gottmensch, Sp. 262: "Die Zeitgenossen haben den Sokrates als BEtas- dvryp betrachtet"; Sp. 273: "Schon Xenokrates wirkt durch seine asketisch-ethische aU)(ppoavvT} als BEtas- dvryp (Diog. L. 4,7)"; u.ö. 237 V gl. Rudolf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT 29, Göttingen 2. rev. Aufl. 1931, S. 256; ferner ders., Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1953, S. 127 -132.386-396. 238 Peter Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, BerlinlNew York 1975, vgl. das Register "Griechische Wörter", S.V. BEtOs- dvryp. 239 Helmut Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, BerlinlNew York 1980, S. 387f.605-612 u.ö. 240 Paul Achterneier, Gospel Miracle Tradition and the Divine Man, Interpretation 26, 1972, S. 174-197, dort S. 186f., Hervorhebung von mir, D.d.T. Vgl. auch den Gebrauch von "the title / designation 'divine man' / theios aner", S. 175.188. 241 Zur Kritik am semantischen Konzeptualismus vgl. Lyons, Semantik I, S. 126f. 236
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gängen erklärt. Ein solcher semantischer Realismus mag auch bei den anderen Forschern eine Rolle spielen, ist jedoch nicht eindeutig ihren Erörterungen zu entnehmen. 242 Der semantische Ausgangspunkt liegt selbstverständlich auch den Versuchen zugrunde, mit ßELOS" dvryp sinnverwandte Begriffe zu identifizieren. Die Annahme, die Terminologie beziehe sich auf die Vorstellung des wundertätigen bzw. charismatischen Gottmenschen, fungiert in der Forschung einerseits als heuristisches Instrument der Datengewinnung: Anhand der Terminologie findet man die Texte, auf deren Grundlage dann die Vorstellung des ßELOS" dvryp rekonstruiert werden soll. Andererseits dient sie wiederum als hermeneutischer Schlüssel: Aufgrund der Annahme deutet man solche Texte, in denen die Terminologie vorkommt, beinahe ausnahmslos auf dem Hintergrund dieser Vorstellung. Die von von Martitz kritisierten semantischen Beziehungen hatten also bei den Vätern der Hypothese einen fundamentalen Stellenwert, so daß sie eine maßgebende Rolle in der Entstehung der Hypothese gespielt haben. Die semantischen Aspekte sind jedoch noch in einem weiteren Sinne von grundlegendem Wert: An der Vorstellung, mit dem Terminus ßELOS" dvryp korrespondiere ein gedankliches Schema mit mehr oder weniger festen Umrissen, entzündete sich auch die bis in die achtziger Jahre fortdauernde Diskussion darüber, mittels welcher literarischen Gattung man diesen Inhalt angemessen verbreitet habe. Außerdem führte die weitverbreitete Überzeugung, daß der Gebrauch der Terminologie in diesem technischen Sinne in der Antike verbreitet und üblich gewesen sei, wiederum dazu, daß ßELOS" dvryp immer öfter in der Forschung als Bezeichnung für das antike religiöse Phänomen des Gottmenschen bzw. Charismatikers verwendet wurde. So avancierte der Terminus zu einem Oberbegriff für ein Raster von Eigenschaften, mit dem man wiederum die Überlieferung antiker Persönlichkeiten meinte abtasten zu können, um zu entscheiden, ob die betreffende Person jener religionsgeschichtlichen Kategorie angehöre oder nicht. Auf diesem Hintergrund gesehen richtet sich die Kritik von von Martitz gegen einen fundamentalen Aspekt der ßELOS" dvryp-Hypothese und ist insofern als Problemanzeige sehr ernst zu nehmen. Es ist also dringend notwendig, die Frage nach der Bedeutung der betreffenden Terminologie in der Antike neu zu stellen, um dadurch die sich in dieser Hinsicht gegenseitig widersprechenden Einschätzungen von Betz und von Martitz zu überprüfen. Dies ist die Aufgabe, die im Folgenden in Angriff genommen werden soll. Dabei kommt die religionsgeschichtliche Fragestellung nur insofern in den Blick, als sie direkt von der semantischen Fragestellung tangiert wird. 243 242 Grundlegendes zum semantischen Realismus und Konzeptualismus bei Lyons, Semantik I, S. 123-127. 243 In der hier oben erwähnten Problemformulierung von atto Betz ("1 think we have to ... raise the question whether there really existed the concept of such a Divine Man ... Is BEtaS' avryp really a title?", Betz, Concept, S. 232) geht es hier also nicht um die erste, sondern lediglich um die letzte Frage.
2. Die semantische Problematik 2.1 Bedeutung In dieser Studie wird nach der Bedeutung einiger Ausdrücke des hellenistischen Griechisch der Kaiserzeit gefragt, so daß wir uns auf das Gebiet der Semantik begeben werden. "Die Semantik beschäftigt sich damit, das Maß der Einheitlichkeit in der Sprachverwendung zu erklären, welches die normale Kommunikation ermöglicht. Sobald wir von der Auffassung abgehen, daß ein Wort das 'bedeutet', was es 'bezeichnet' ... , dann erkennen wir, daß verschiedenartige Beziehungen festgestellt werden müssen, um dem 'Gebrauch' der Wörter gerecht zu werden ... "1 In diesem Satz John Lyons' sind die Grundelemente der modernen deskriptiven Semantik vorhanden: Wenn man nach der Bedeutung eines Wortes oder Ausdrucks fragt,2 handelt es sich um eine Deskription des Gebrauches eines Wortes bzw. Ausdrucks und um eine Darstellung des Beziehungsgeflechts, in dem seine Bedeutung konstituiert wird. Für diese Aufgabe steht dem Forscher nur der Gebrauch der Sprachäußerungen in den vielfältigen Alltags si tuationen zur Verfügung (Performanz).3 Dies gilt um so mehr für die Erforschung der lexikalischen Struktur alter Sprachen. 4 Nur mit Hilfe konkreter Vorkommen eines Wortes bzw. Ausdrucks kann man sich ein Bild davon machen, was das Wort oder der Ausdruck in der Sprachgemeinschaft bedeutete. Man versucht also, aufgrund der Sprachperformanz die Sprachkompetenz 5 des antiken Sprachbenutzers zu rekonstruieren. Lyons, Einführung, S. 411. In dieser Studie werden Lyons folgend die Begriffe "Bedeutung" und "Wort" in einem nicht-exakten, intuitiven und vortheoretischen Sinn benutzt, vgl. Lyons, Semantik I, S. 1518.41. Die Begriffe "Lexem", "Ausdruck" und "Form" hingegen werden im exakten Sinne benutzt. Lexeme sind diejenigen Wörter und Wortverbindungen, die in einem Wörterbuch als separate Eintragungen vorliegen. Ein Lexem ist eine abstrakte Einheit auf der Ebene der Sprachkompetenz, die Formen bzw. Flektionsformen auf der Ebene der Sprachperformanz generi~rt. Der Begriff "Ausdruck" wird für Wörter benutzt, die in einer konkreten Aussage bzw. Außerung auf etwas Bezug nehmen oder etwas identifizieren. Zu dieser Problematik vgl. Lyons, Semantik I, S. 37-41. 3 lohn Lyons, Einführung in die moderne Linguistik, München 1971, S. 419. 4 Zum Verhältnis der Altphilologie zur modernen Sprachwissenschaft vgl. loachim Latacz, Klassische Philologie und moderne Linguistik, Gymnasium 81, 1974, S. 67-89; Stanley E. Porter, Studying Ancient Languages from a Modern Linguistic Perspective: Essential Terms and Terminology, Filologia Neotestamentaria 2, 1989, S. 147-172; Stanley E. Porter und leffrey T. Reed, Greek Grammar since BDF: A Retrospective and Prospective Analysis,.filologia Neotestamentaria 4,1991, S. 143-164, bes. 142-149. Um einen ausgezeichneten Uberblick über den Stand der semantischen Debatte innerhalb der biblischen Forschung zu erhalten, vgl. Erickson, Biblical Semantics, S. 12-65 (da weitere Literatur). 5 Zur Erklärung dieser Begriffe vgl. Lyons, Einführung, S. 52-54. 1
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Eine solche Studie läßt sich nur durchführen, indem man die zur Verfügung stehenden Daten systematisch beschreibt. Dies wiederum kann nur geschehen, indem man das Material im Rahmen einer wissenschaftlichen Konzeption von dem, was Bedeutung umfaßt, einer systematischen Abstraktion unterzieht. Eine semantische Analyse setzt also einen semantischen Entwurf bzw. eine Bedeutungstheorie voraus, 6 wobei der hier vorgenommenen Analyse der Entwurf von John Lyons zugrunde liegt. 7 Ein solcher Entwurf bietet indes nicht nur den Rahmen für die semantische Analyse, sondern stellt auch einen differenzierten Begriffsapparat zur Verfügung, der es überhaupt erst ermöglicht, die vorliegende Problematik gründlich zu beschreiben. Da Lyons' Semantik unter Nicht-Linguisten nicht als bekannt vorausgesetzt werden kann, soll im Folgenden kurz in die grundlegenden Begriffe dieser Theorie eingeführt werden.8
Es ist ein Axiom der strukturalistischen Semantik, daß Bedeutung nicht etwas "an sich", sondern das Produkt unterschiedlicher Relationen ist. 9 Die Bedeutung von Wörtern bzw. Ausdrücken wird infolgedessen als Ergebnis eines Geflechts von Beziehungen konstituiert, die innerhalb derselben Sprache sowie zwischen ihr und der Welt bestehen. lo Einerseits steht ein Wort in Beziehung zu der 6 Dies geschieht auch dann, wenn man sich dessen nicht bewußt ist. So haben wir gesehen, daß die Hauptvertreter der 8ELOS' av1jp-Forschung mehr oder weniger bewußt Varianten des semantischen Konzeptualismus vertreten haben. 7 John Lyons, Semantik Bd. I/lI, Aus dem Englischen übertragen und für den deutschen Leser eingerichtet von B. Asbach-Schnitker, J. Boase und H. E. Brekle, München 1980/1983. Ferner ders., Einführung in die moderne Linguistik, München 1971 und ders., Die Sprache, 2. durchges. Aufl., 1987. Der Entwurf von Lyons wird nicht willkürlich herangezogen. Lyons' zweibändiges Werk über die Semantik, eine der wenigen umfassenden Darstellungen auf diesem Gebiet, ist zu einem Standardwerk geworden, nicht zuletzt, weil Lyons aus der verwirrenden Vielfalt der Standpunkte und Theorien der modernen Sprachwissenschaft das, was als Konsens gelten darf, herauskristallisiert und übersichtlich dargestellt hat. Außerdem wurde vor allem die Wortsemantik kaum von den weitgreifenden Entwicklungen in der Semantikforschung der achtziger Jahre (besonders in der Satz- und Textsemantik) betroffen, so daß das Werk heute noch unangefochten Anspruch auf Aktualität erheben kann. Eine recht einfache, aber dennoch informative Zusammenfassung der Entwicklungen in der jüngeren Semantikforschung bietet Richard John Erickson, Biblical Semantics, Semantic Structure, and Biblical Lexicology: A Study of Methods, with Special Reference to the Pauline Lexical Field of "Cognition", Ann Arbor 1985, S. 65-68.91-137, dort weitere Literaturhinweise. Erickson stellt Lyons' Beitrag im Rahmen anderer wichtiger Beiträge (Ullmann, Leech, Nida usw.) dar. 8 Dabei werden die von Lyons geprägten und klar definierten termini technici nach der deutschen Übersetzung von B. Asbach-Schnitker, J. Boase und H. E. Brekle übernommen. 9 Vgl. dazu Lyons, Sprache, S. 61-66.198-203; ders., Einführung, S. 78-82; ders., Semantik I, S. 242-261, bes. S. 243.246. IO Dieser Grundsatz der modernen Semantik steht in krassem Gegensatz zu der weitverbreiteten Auffassung, die Bedeutung eines Wortes sei mit den Übersetzungsäquivalenten in einer anderen Sprache identisch bzw. ausreichend beschrieben. Diesem unglücklichen Nebenprodukt unserer modernen zweisprachigen Wörterbücher muß hier entschieden'entgegengetreten werden. In einem solchen Verfahren wird ein Wort tatsächlich in Beziehung zu anderen Wörtern einer anderen Sprache gebracht, d.h. es wird effektiv in ein anderes Sprachsystem mit seiner eigenen und andersartigen lexikalischen Struktur eingegliedert, so daß die lexikalische Struktur der Ausgangssprache unbeachtet bleibt. V gl. die ausführliche Diskussion in Johannes P. Louw, Betekenis en Vertaalekwivalent, Akroterion 21, 1976, S. 30-34 und Lyons, Einführung, S. 439-444; ders., Semantik I, S. 247-250.256-71; ders., Sprache, 267-293.
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außersprachlichen Welt, zu Objekten, Dingen und Prozessen in der realen Welt; andererseits bestehen bestimmte Beziehungen zwischen einem Wort und anderen Wörtern der betreffenden Sprache, d.h. es gibt bestimmte innersprachliche Beziehungen zwischen Wörtern unabhängig von den Beziehungen zur Außenwelt. Dieses Beziehungsgefüge kann auf drei Relationskomplexe beschränkt werden, nämlich Referenz, Denotation und Sinn. Die Bedeutung eines Wortes oder Ausdrucks zu beschreiben heißt also, daß man seinen Gebrauch mit Hinsicht auf die Relationen der Referenz, der Denotation und des Sinnes beschreibt. "Der Terminus 'Referenz' ... hat mit dem Verhältnis zu tun, das zwischen einem Ausdruck und demjenigen, wofür der Ausdruck in bestimmten Äußerungssituationen steht, gilt." 11 Referenz bezeichnet also die Beziehung zwischen einem sprachlichen Ausdruck und der außersprachlichen Realität und ist äußerungsabhängig,I2 so daß Referenz eindeutig mit Performanz korreliert. Dementsprechend können nur Ausdrücke bzw. konkrete Aussagen (einerlei ob mündlich oder schriftlich) referieren. Lexeme, die auf der Ebene der Sprachkompetenz angesiedelt sind, haben keine Referenz. Ein Sprecher referiert also mit einem Ausdruck, d.h. er bezieht sich damit auf etwas in der Welt bzw. in einer bestimmten der möglichen Welten. Folglich ist Referenz eng mit dem Kontext verschränkt. Es gibt drei Arten von referierenden Ausdrücken: definite N ominalphrasen (z.B. 6 ßELOS" 7TPOcjJ7}77]S") , Eigennamen 13 und Personalpronomina. Eine Nominalphrase referiert entweder durch Benennung des Refe~enten oder dadurch, daß eine ausreichende Beschreibung zur eindeutigen Bestimmung des Referenten im Diskursuniversum gegeben wird. 14 Der Terminus 'Denotation'I5 bezeichnet das Verhältnis, das zwischen einem Lexem bzw. einem Ausdruck und Personen, Dingen, Orten, Eigenschaften, Prozessen und Aktivitäten außerhalb des Sprachsystems besteht)6 Anders als Referenz, die eine von dem Äußerungskontext abhängige Beziehung bezeichnet, ist Denotation auf der Ebene von Kompetenz angesiedelt. "Denotation" bezeichnet also das Verhältnis zwischen Lexemen bzw. Ausdrücken und Objekten, Entitäten usw. unabhängig von ihrer Funktion und ihrer konkreten Verwendung in Sätzen oder Äußerungen. I7 Ein Lexem oder ein Ausdruck ist also über seine Denotation mit der Menge von möglichen Welten verbunden. Sie bietet infolgedessen auch den Rahmen, in dem ein Wort oder Ausdruck anwendbar ist, d.h. Lyons, Semantik I, S. 187. Lyons, Semantik I, S. 189. 13 Namen haben semantisch gesehen keine Bedeutung, d.h. sie haben weder Sinn noch Denotation, sondern nur Referenz. V gl. Lyons, Semantik I, S. 231f. 14 Obwohl der Terminus "Referent" im Deutschen merkwürdig anmuten könnte, halte ich mich beim Gebrauch der Terminologie strikt an die O.g. Übersetzung von Lyons' Semantik; vgl. Lyons, Semantik I, S. 190 u.ö. 15 Der Begriff "Denotation" wird in dieser Studie streng im Sinne von Lyons benutzt. Man möge nicht mehr als das, was ausdrücklich gesagt wird, in den Begriff hineinlesen. 16 Lyons, Semantik I, S. 219; Sprache, S. 143. 17 Lyons, Semantik I, S. 220.226. 11
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sie bestimmt, in welchem linguistischen Kontext oder in welcher Situation ein Wort oder Ausdruck anwendbar iSt. 18 Dies impliziert, daß die Referenz eines Ausdrucks von der Denotation der betreffenden Lexeme bzw. des Ausdrucks determiniert wird. Die Denotation beschränkt also die Referenz bzw. die Anwendbarkeit eines Lexems innerhalb referierender Ausdrücke. 19 Denotation ist somit ein zentraler Aspekt der Bedeutung eines Wortes. Auf die Frage, wie sie spezifiziert werden muß, gibt es keine eindeutige Antwort. 2o Jedenfalls müssen in der Beschreibung der Denotation die Bedingungen, die die Feststellung der Referenz eines Wortes ermöglichen, deutlich herausgestellt werden. 21 Wichtig aber ist, daß die Rolle von Objekten, Eigenschaften, Aktivitäten, Prozessen und Ereignissen in der Kultur der Gesellschaft, in der eine Sprache gebraucht wird, dabei berücksichtigt werden muß.22 "Unter dem Sinn eines Wortes verstehen wir seinen Platz in einem System von Beziehungen, die das Wort mit andern Wörtern des Vokabulars eingeht".23 Sinn ist hier so definiert, daß er zwischen den Wörtern bzw. Ausdrücken einer Sprache besteht, unabhängig von dem Verhältnis, das zwischen den Wörtern bzw. Ausdrücken und ihren Referenten bzw. Denotata besteht. 24 Sinn betrifft also die innersprachlichen Beziehungen, in denen Lexeme oder Ausdrücke einer Sprache vorkommen können. Es muß von Anfang an beachtet werden, daß Denotation und Sinn einander gegenseitig bestimmen. Sie sind jedoch gleichwertig und beide grundlegend. 25 "Sinn" ist genauer zu spezifizieren als "Sinnrelationen" . Man unterscheidet zwei Kategorien dieser "Sinnbeziehungen". Einerseits stehen Lexeme und Aus18 Lyons, Semantik I, S. 225. 19 In dem heute vorherrschenden Paradigma der Semantik, der WahrheitsbedingungenSemantik, heißt es, daß die Denotation die Bedingungen dafür festlegt, daß ein Wort oder Ausdruck so angewandt wird, daß der betreffende Satz wahr ist bzw. zutrifft. V gl. Gisbert FanselowlPeter Staudacher, Wortsemantik, in: Arnim von Stechow, Dieter Wunderlich (Hg.), Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung, Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 6, BerlinlNew York 1991, S. 53-70, bes. 53-55. 20 Lyons, Semantik I, S. 221 meint: "Die kurze praktische Antwort ist diese: auf irgendeine Weise, die sich wahrscheinlich als erfolgreich erweisen wird." Es ist ein entscheidender Schwachpunkt von Lyons' Modell, daß er Denotation nicht genauer beschreiben kann Lyons ist hier Gefangener seines strukturalistischen Erbes. In der neueren Textlinguistik gibt es Ansätze, die damit rechnen, daß Textkohärenz durch Wortc1uster, denen feste mentale Vorstellungen (Schemata; Rahmen) zugrundeliegen, bewirkt wird, vgl. dazu Robert -Alain de Beaugrande/Wolfgang Ulrich Dressler, Einführung in die Textlinguistik, Tübingen 1981; Teun A. van Dijk/Walther Kintsch, Strategies ofDiscourse Comprehension, New York 1983. Dies bedeutet teilweise eine Rückkehr zu einem semantischen Konzeptualismus, so daß der von den Vätern der 8ELOS- dVr]p-Forschung vertretene semantische Konzeptualismus in gewisser Weise wieder modern ist! 21 Vgl. Fanselow/Staudacher, Wortsemantik, S. 55. 22 Lyons, Semantik I, S. 221. Da die herkömmlichen Wörterbücher gerade versuchen, das wiederzugeben, was hier mit "Denotation" bezeichnet wird, wird in diesem Zusammenhang ein beträchtliches Defizit dieser Wörterbücher deutlich. 23 Lyons, Einführung, S. 437. 24 Lyons, Semantik I, S. 218.222f.; Sprache, S. 142-147. 25 Lyons, Semantik I, S. 224.
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Teil I: Einführung in die Problematik
drücke der gleichen grammatischen Kategorien in paradigmatischen Substitutionsrelationen zueinander, andererseits handelt es sich um die syntagmatischen Kombinationsrelationen zwischen Wörtern bzw. Ausdrücken verschiedener grammatischer Kategorien. Lexeme und andere linguistische Einheiten, die semantisch gesehen paradigmatisch und syntagmatisch verwandt sind, gehören demselben semantischen Feld an. Ein Feld, dessen Elemente Lexeme sind, ist ein Wortfeld. Ein Wortfeld ist daher eine paradigmatisch und syntagmatisch strukturierte Subklasse des Wortschatzes einer bestimmten Sprache. 26 Unter Substitutionsrelationen sind Kategorien wie Hyponymie, Antonymie, Synonymie usw. zu erörtern; unter den Kombinationsrelationen Kategorien wie Intransitivität bzw. Transitivität, prädikativer bzw. attributiver Gebrauch eines Adjektivs, syntagmatische und selektive Kollokationen USW. 27 Von diesem aufgrund formaler Relationen definierten Wortfeld ist ein weiterer Feldbegriff, der oft in der Literatur begegnet, zu unterscheiden, nämlich der des "semantischen Feldes". Als "semantisches Feld" wird eine Gruppe von Lexemen bezeichnet, die konventionell miteinander assoziert werden und infolgedessen regelmäßig in "clusters" in Texten begegnen. Es gibt jedoch nicht notwendigerweise Beziehungen zwischen ihnen, die auf formale Relationen reduziert werden können. 28 Die Zusammengehörigkeit der Elemente beruht eher auf Assoziationen, die auf mehr oder weniger feste kulturelle und geistige Vorstellungen zurückzuführen sind. 29 Offenbar lassen sich innerhalb solcher Felder verschiedene Grade der Kohärenz unterscheiden, wobei das formale Wortfeld tatsächlich als Zentrum eines solchen erweiterten Feldes gedacht werden kann. In dieser Studie wird der Begriff "Wortfeld" nur in engerem Sinne, der Begriff "semantisches Feld" jedoch im Sinne eines solchen umfassenden Assoziations26 Lyons, Semantik I, S. 261-280. Die Wortfeldtheorie geht auf Ideen von Wilhelm von Humboldt und J ohann Herder zurück und fußte in unserem Jahrhundert besonders auf der Arbeit von Jost Trier und W. Porzig. Die Geschichte der Feldtheorie ist dokumentiert in Lothar Schmidt (Hg.), Wortfeldforschung. Zur Geschichte und Theorie des sprachlichen Feldes, WdF 300, Darmstadt 1973; vgl. auch Horst GeckeIer, Strukturelle Semantik ~p.d Wortfeldtheorie, München 1971, S. 84-167. Für einen sehr kurzen, aber informativen Uberblick vgl. Erickson, Biblical Semantics, S. 112-133; ferner Klaus Berger, Exegese des Neuen Testaments. Neue Wege vom Text zur Auslegung, UTB 658,2. durchges. Aufl., Heidelberg 1984, S. 137-159, bes. 156ff. 27 Lyons, Semantik I, S. 272-277. 28 Dies läßt sich am besten mit einem Beispiel verdeutlichen: die Lexeme "Professor", "Student", "Universität" und "Vorlesung" oder die Lexeme "Arzt", "krank", "Patient", "operieren" und "Praxis" stehen in keiner der hier oben genannten syntagmatischen oder paradigmatischen Sinnbeziehung zueinander, sind jedoch offenbar irgendwie semantisch verwandt. Es ist nämlich kaum möglich, die Denotation der jeweiligen Lexeme zu beschreiben, ohne sich dabei auf die anderen Lexeme zu beziehen. 29 Die genaue Art der Relationen ist nur schwer zu bestimmen, denn sie beruhen offenbar auf der Erfahrung und dem allgemeinem Wissen der Sprachbenutzer. In den letzten Jahren sind jedoch im Bereich der Textlinguistik und der kognitiven Psychologie sogenannte Schematheorien entwickelt worden, die plausible Erklärungen sowohl für den Zusammenhang zwischen festen geistigen Vorstellungen und solchen Assoziationsfeldern als auch für die Kohärenz innerhalb der Felder bieten. V gl. dazu das oben zitierte Werk von van Dijk und Kintsch.
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feldes benutzt. 30 Zu beachten ist ferner, daß ein solches Assoziationsfeld im Gegensatz zum Wortfeld zur Denotation eines Lexems zählt.
2.2 Annäherung an das Problem: Eine metasprachliche Beobachtung Plutarchs (Mor. 24A) Bevor wir dazu übergehen, die semantische Problematik in Umrissen zu beschreiben, soll die Aufmerksamkeit an dieser Stelle auf eine Bemerkung Plutarchs gelenkt werden, in der er nebenbei auf die Verwendung der Adjektive ßElO5" und 8aLp6vL05" als Bezeichnung für Menschen eingeht. Solche metasprachlichen Beobachtungen zum Gebrauch von Wörtern und Ausdrücken durch einen Muttersprachler sind immer sehr wertvoll für die Bestimmung der Bedeutung von Ausdrücken. In der Schrift Quomodo adoloscens poetas audire debeat erklärt Plutarch seinem Freund Markus Sedatus, daß sie beide ihre Söhne nicht der Dichtung fernhalten können, sondern daß sie ihnen beibringen sollten, die Dichtung kritisch zu lesen, d.h. so zu lesen, daß sie von ihr Vorteil haben und nicht Schaden erleiden. Die Kinder sollten lernen, zwischen den wahren und den unwahren bzw. uneigentlichen Dingen, die die Dichter (vor allem über die Götter) behaupten, zu unterscheiden. Plutarch gibt mit seiner Schrift Anleitung dazu, wie man die Dichter mit Gewinn lesen könne, indem Anstößiges korrigiert wird. So könne man z.B. verdächtige Aussagen zurechtrücken, indem man auf den Gesamtkontext achtet (Mor. 22B). Das Problem, daß die Dichtung vor allem den Göttern allerlei Anstößiges zuschreibt, löst Plutarch, indem er sagt, die Namen der Götter seien von den Dichtern polysem verwendet worden. Man solle den Jungen beibringen, daß die Dichter Wörter in mehreren Bedeutungen verwenden (Mor. 22D). Er zeigt, daß es bei den Dichtern viele Beispiele der Homonymie bzw. Polysemie gebe, ein Wort bedeute mal dies, mal das. 31 Man solle sich die Fähigkeit aneignen, den richtigen Gebrauch der Wörter mit den vorhandenen Dingen in Verbindung zu bringen, indem man ein Wort mal in diesem Sinne, mal in anderem Sinne verwendet (Mor. 22F). Ebenso solle man daran denken, daß die Dichter die Namen der Götter gebrauchen, indem sie bald die Götter vor Augen haben (TTOTE PEV aVT(Jv EKELVWV (sc. T(JV 8E(JV) Eq;aTTTopEvOL Tfj EVVOLq) , bald bestimmte
30 In diesem Sinne hat die Wortfeldtheorie in den letzten Jahren durch verschiedene Arbeiten Klaus Bergers Einzug in die neutestamentliche Exegese gehalten, vgl. Berger, Exegese, S. 137-159. 31 Vgl. Mor. 22D-23A: So bedeute olKos- mal oiK{a, mal ouala; ßlOTOV mal TO (fjv, mal Ta XPr7j1aTa; aAvELv mal 8aKvEaeaL, mal a7TopELaeaL. Plutarch verweist auch auf Beispiele, wo ein Wort oder Ausdruck sogar antonyme Bedeutungen haben kann. So bedeute das Verb alvELv nicht nur "empfehlen", sondern auch "sich etwas erbitten", ferner sage man in der Alltagsprache "KaAws- EXELV" gerade dann, wenn man nicht etwas haben will, und "xa{pELv", wenn man etwas nicht annimmt.
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Teil I: Einführung in die Problematik
Mächte mit demselben Wort bezeichnen (TToTE 8E 8vvaflclS" TlVaS" UJvvflUJS" TTpoaayopcvOVTcS").32 Plutarch fährt fort (Mor. 23CD):
ofl-
Weil viele Wörter so (sc. in verschiedenem Sinne) benutzt werden, muß man wissen und sich daran erinnern, daß sie mal den Gott, mal den glücklichen Zufall und häufig die Schicksalsmacht mit dem Namen "Zeus" bezeichnen.
In bestimmten Kontexten meinten die Dichter "den Gott selbst" (TOV ecov aVTov AEyovalv), wenn sie "Zeus" schreiben, in anderen Fällen, wenn sie "Zeus" den Ursachen alles Geschehens beilegen, meinten sie "die Heimarmene" (oTav 8E TaLS" ai TialS" TTavTUJv TWV Yl YVOflEVUJV ETTovofla(UJal TOV iJia n}v clflapflEVT}v; Mor. 23D). In diesem Kontext fällt der Satz (Mor. 24A): Denn, als die Menschen noch nicht das Nomen TVXrl benutzt haben, haben sie jedoch, da sie erkannt hatten, daß die Macht der Ursächlichkeit (alTLaS" BuvaJ.1LV), die ihren Weg in ungeregelter und unbestimmter Weise geht, gewaltig ist und nicht durch die menschliche Vernunft abzuwenden ist, (diese Kraft) mit den Namen der Götter beschrieben (TOLS" TWV 8EWV OVOJ.1aaLV EeEeppa(ov) , wie auch wir pflegen, Handlungen und Bräuche und, bei Zeus, gar Wörter und Menschen BaLJ.10VLoVS" Kat 8ELOVS" zu nennen (rJJaTTEp i}J.1ELS" ... ElcfJ8aJ.1EV ... TTpoaayopEVELV). So also müssen viele der Aussagen, die nicht in passender Weise (d TO TTUJS") von Zeus zu sprechen scheinen, korrigiert werden (ETTavop8UJTEOV) ...
Der Argumentationsgang ist einleuchtend: Man habe mit den Namen der Götter bzw. dem Namen des Zeus nicht nur die jeweiligen Götter, sondern auch die Macht der Kausalität, die kein Gott ist, bezeichnet. So wurde der Name entfremdet, in uneigentlichem Sinne verwendet - es kommt zu Mehrdeutigkeit bzw. Polysemie: Mal ist das Wort "Zeus" der Name für den Gott, mal bedeutet es die Schicksalsmacht. Zum Begriff der Polysemie ist anzumerken: Sprachen stellen häufig ein Lexem für mehrere Bedeutungen bereit, d.h. ein Lexem kann verschiedene, mehr oder weniger verwandte Bedeutungen haben. Man redet in solchen Fällen von Homonymen. Homonyme haben zwar die gleiche phonologische oder graphologische Struktur, haben jedoch unterschiedliche Denotationen und gehören verschiedenen Wortfeldern an. Dies bedeutet, daß sie mit anderen Lexemen in paradigmatischer und syntagmatischer Beziehung stehen. 33 Es gehört zum Aufgabenbereich der Semantik zu klären, welchen Wortfeldern homonyme (bzw. polyseme) Lexeme 32 Mor. 23A. V gl. Mor. 23A-C: so bezeichne "Hephaistos" mal den Gott, mal das Feuer, "Ares" bedeute gelegentlich "Krieg" oder "bronzene Waffen". 33 Die traditionellen Lexika unterscheiden dann auch zu Recht z.B. die Lexeme 8ELOV (Schwefel); 8ELOS" (Oheim) und 8ELoS"/-a/-ov (göttlich/hervorragend/das Göttliche usw.) als Homonyme, denn sie gehören verschiedenen Wortfeldern an, weil sie mit ganz unterschiedlichen Lexemen sowohl syntagmatisch als auch paradigmatisch verwandt sind. So ist (TO) 8ELOV paradigmatisch mit Lexemen wie 8EdepLOV und 8iaepoS" (Synonymie) und )..L80S" (Hyponymie) und syntagmatisch mit Lexemen wie äTTVPOS" und TTETTVPUJJ.1EVOV verwandt; (6) 8EL oS" ist dagegen paradigmatisch mit Lexemen wie aVYYEvrlS" (Hyponymie) und aVEl/lLoS" (Antonymie) sowie syntagmatisch mit Ausdrücken wie TTPOS" TTaTpoS" verwandt. V gl. die Uberlegung zu Hyponymie und Antonymie hier unten.
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angehören, und die betreffenden Relationen näher zu beschreiben. Ein wichtiges Nebenprodukt der Polysemie ist, daß Sprachbenutzer immer das Potential der Doppeldeutigkeit, das Polysemie in sich birgt, aktivieren können, so daß bei der Verwendung des Lexems in einer Bedeutung durchaus andere Bedeutungen des Lexems konnotiert werden können.
Wenn man also damit (d.h. mit dem sprachlichen Phänomen der Polysemie) rechne, könne man es vermeiden, Zeus Unpassendes zuzuschreiben. Plutarch illustriert dies mit einem Beispiel aus dem zeitgenössischen Sprachgebrauch: dies verhalte sich genau so, als wenn er und seine Zeitgenossen die Prädikate 8aLj16vLoS' und ßELOS' nicht von Göttern, Dämonen oder göttlichen Wesen gebrauchten, sonderJ? allerlei anderem beilegten, auch Menschen. Plutarch hat offensichtlich damit gerechnet, daß sein Beispiel sofort einleuchten würde - dies konnte jedoch nur der Fall sein, wenn seine Leser wußten, daß Begriffe wie 8aLj16vLoS' und OELOS' in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden konnten. Denn sein ganzes Argument baut darauf auf, daß Wörter abgesehen von ihrer üblichen Bedeutung oder Verwendung auch andere Bedeutungen bzw. unterschiedliche Verwendungen haben können. Das Beispiel aus dem Alltagssprachgebrauch konnte also nur dann sinnvoll sein, wenn Plutarch wußte, daß die Wörter 8aLj16vLoS' und OELOS' polysem sind, d.h. abgesehen von ihrer stammverwandten Bedeutung "göttlich" auch etwas anderes bedeuten, und daß sie in dieser anderen Bedeutung benutzt werden, wenn man Handlungen, Bräuche, Wörter und auch Menschen 8aLj16vLoS' und OELOS' nennt. Für die vorliegende Fragestellung ergibt sich, daß man in Plutarchs Umwelt einen Menschen als ßELOS' bzw. 8aLj16vLoS' bezeichnete, auch wenn man ihn nicht für ein göttliches Wesen oder einen Gott hielt. Diese Beobachtung ist wichtig für die weitere Untersuchung und muß uns stetig in unseren Überlegungen begleiten. Denn es stünde offenbar im Widerspruch zu dieser Beobachtung, wenn man dort, wo sich die OELOS' avOpUJTToS'- Terminologie findet, davon ausginge, daß es sich um "göttliche" Menschen bzw. Wesen handle.
2.3 Zur Bedeutung der Adjektive 8cLOS-, 8aLJ16vLOs- und 8c(]'TTE(]'LOS-: Der lexikographische Befund Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit sprachlichen Ausdrücken, welche die einschlägigen griechischen Adjektive, die im Deutschen üblicherweise mit "göttlich" wiedergegeben werden, enthalten. Aus diesem Grund werden wir die Einträge einiger Wörterbücher zu den Adjektiven OELOS', 8aLj16vLoS' und ßE(T TTEuLoS' im Licht der vorgestellten semantischen Theorie systematisieren und den Ertrag für die vorliegende Fragestellung auswerten. Dafür werden die über-
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Teil I: Einführung in die Problematik
lieferten antiken Lexika von Pollux 34 , Hesych 35 und Suda36 , einige der großen modernen Wörterbücher seit Stephanus37 sowie einige Spezialwörterbücher zum Griechischen der Spätantike 38 herangezogen. Schließlich berücksichtigen wir auch zwei Spezialuntersuchungen zum Gebrauch des Wortes ecLO~ bei Platon. 39 Bevor wir jedoch dazu übergehen, ist es nötig, zunächst auf die Semantik des Adjektivs einzugehen. 4o
2.3.1 Adjektivsemantik Dieser Untersuchung liegt die folgende Definition des Adjektivs zugrunde: Wenn wir sagen, daß eine bestimmte Sprache Adjektive besitzt, meinen wir damit, daß es in ihr eine grammatisch definierbare Klasse von Ausdrücken gibt, deren besonders charakteristische syntaktische Funktion darin besteht, das N omen zu modifizieren. Ihre besonders charakteristische semantische Funktion ist es, Entitäten Qualitäten oder Eigenschaften zuzuschreiben41 oder eine Entität einer bestimmten Klasse zuzuordnen. Man muß, semantisch gesehen, mindestens zwei Arten von Adjektiven unterscheiden. Einerseits gibt es Adjektive, die die Menge essentieller Eigenschaften, die der Definition einer Klasse von Entitäten (oder natürlicher Arten) unterliegt, denotieren. Andererseits gibt es Adjektive, die (meistens singuläre) Qualitäten (wie Farbe, Alter, W ~rt, Dimen-
34 Pollucis Onomasticon, hg. v. Erich Bethe, 2 Bde., Leipzig 1901/31 (Nachdruck in Sammlung Wissenschaftlicher Commentare: Lexicographi Graeci Vol. 9, Stuttgart 1967). 35 Hesychii Alexandrini Lexicon, hg. v. Kurt Latte, 2 Bde., Kopenhagen 1953/66 und Hesychii Alexandrini Lexicon, hg. v. Mauritz Schmidt, 4 Bde., Halle 1861-64 (Nachdruck Amsterdam 1965). 36 Suidae Lexicon, hg. v. Ada Adler, 5 Bde., Leipzig 1928-1938 (Nachdruck in Sammlung Wissenschaftlicher Commentare: Lexicographi Graeci Vol. I, Stuttgart 1967). 37 Henricus Stephanus, Thesaurus Graecae Linguae, hg. v. C. B. Hase, G. und L. Dindorf, Paris 1829 (Nachdruck Graz 1954); Franz Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache, neub. u. zeitgemäß überarb. v. V. C. F. Rost und F. Palm, Leipzig 51841; Henry George LiddelI, Robert Scott, A Greek-English Lexicon. A New Edition Revised and Augmented throughout by Henry Stuart Jones with the Assistance of Roderick McKenzie, Oxford 1958; W. Pape, Handwörterbuch der griechischen Sprache. Bd. 1-2. Neu bearb. v. G. E. BenseIer, Braunschweig 1906. 38 E. A. Sophokles, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods (From B.C. 146 to A.D. 1100), New York 1887; Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, 6. völlig neubearb. Aufl., hg. v. Kurt Aland und Barbara Aland, Berlin 1988; Geoffrey W. H. Lampe (Hg.), A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961. 39 Rene Mugnier, Le sens du mot BEJOL;chez Platon, Paris 1930 und Jean van Camp und Paul Canart, Le sens du mot BEJOL;chez Platon, Leuven 1956. 40 Vieles ist gerade in dem Bereich der Erforschung der Semantik des Adjektivs noch ungeklärt; für einen Überblick über die Problematik und weitere Literaturhinweise vgl. Hamann, Adjectival Semantics, S. 657-673. 41 Soweit die Definition von Lyons, Semantik II, S. 70f. Vgl. auch S. 71.76 und Hamann, Adjectival Semantics, S. 657-663, bes. 663.
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sionen usw.) und (meistens komplexe) Eigenschaften (z.B. männlich, sperrig, normal usw.) denotieren. 42 Im Falle der Qualitätsadjektive modifiziert ein Adjektiv ein Nomen, indem es dem Denotatum des Nomens eine Qualität, eine Eigenschaft oder eine Menge von Eigenschaften zuschreibt. Im Falle der Klassenadjektive ist die Lage differenzierter. Ein Klassenadjektiv kann ein Nomen auf zweierlei Weise modifizieren: Zum einen modifiziert ein Klassenadjektiv ein Nomen, indem es dem Denotatum des Nomens eine Menge essentieller Eigenschaften zuschreibt (was ich mangels geeigneter Terminologie "adskriptive Modifikation" nenne), die der Definition einer Klasse von Entitäten (oder natürlichen Arten) unterliegt. Dies kommt einer Zuordnung zu der betreffenden Klasse gleich. 43 Zum anderen modifiziert ein Klassenadjektiv, insofern es ein Netz komplexer Relationen zwischen Elementen der betreffenden Klasse und einer Entität bzw. Klasse denotiert. 44 Die Art der Modifikation des Nomens kann nur vom direkten Kontext einer Äußerung oder vom Kontext der gesamten Sprache her präzise bestimmt werden. 45 Man kann grob zwischen passiven bzw. derivativen und aktiven Relationen unterscheiden. Im ersten Fall wird eine Entität mit der betreffenden Klasse in Beziehung gebracht, ohne daß sie aber der Klasse im strengen Sinne zugeordnet wird. 46 Im letzteren Fall unterliegt der betreffenden Relation eine Handlung, die von einer der denotierten Entitäten ausgeht. 47 Es ist zu beachten, daß solche aktiven relationellen Modifikatoren in der Regel nur in attributiver Satzstellung stehen können. 42 Hamann, Adjectival Semantics, S. 659. Die traditionellen Grammatiken der griechischen Sprache halten sich in der Regel an diese Definition, vgl. z.B. Eduard Schwyzer, Griechische Grammatik auf der Grundlage von Karl Brugmanns griechischer Grammatik vervollst. u. hg. von Albert Debrunner, HAW 2/1, Bd. 2, Syntax und syntaktische Stylistik, München 1950, S. 173: " ... gegenüber den substantivischen Konkreta ... und Abstrakta, Einzelwesen und -dingen und Gruppenerscheinungen (Kollektiva) bezeichnen die adjektivischen Wörter eine einem Substantivbegriff beigelegte Qualität, ... die Adjektiva im engeren Sinne ... eine bleibende Eigenschaft." 43 Ein Ausdruck wie "der menschliche Bote" impliziert, daß der Bote ein Mensch (z.B. im Gegensatz zu einer Taube) ist. Der Bote wird der Klasse der Menschen zugeordnet. 44 Ein derartiger Gebrauch des Klassenadjektivs entspricht also dem Gebrauch einer Geniti vkonstruktion. 45 Vgl. Ausdrücke wie "menschlicher Knochen"; "königlicher Beamter"; "staatliche Verordnung", "göttliches Gebot", "presidential advisor" usw. Hier werden komplexe Modifikationen vorgenommen, die nur mit Hilfe von allgemeinem Wissen über die Welt oder Kenntnissen komplexer gesellschaftlicher Vorgänge bestimmt werden können. Dies führt mitten in die neuere Textsemantikforschung hinein, vgl. dazu de Beaugrande/Dressler, Einführung in die Textlinguistik, S. 48-110 und van Dijk/Kintsch, Strategies of Discourse Comprehension, S.149-260. 46 Vgl. z.B. "Es ist menschliches Haar" -> "es ist Haar eines Menschen" 1 "es ist Menschenhaar", nicht aber "das Haar ist ein Mensch". 47 Vgl. z.B. "königliches Dekret" -> "Ein vom König erlassenes Dekret"; "kaiserlicher Botschafter" -> "vom Kaiser entsandter Botschafter" 1 "den Kaiser vertretender Botschafter" (Englisch: "he is presidential advisor" -> "he advises the President") usw. Besonders interessant sind Ausdrücke, in denen Entitäten, die in der Gesellschaft in einer hierarchischen Beziehung zueinander stehen, denotiert werden; z.B. "königlicher Diener"; "kaiserlicher Botschafter"; "päpstlicher Legat"; "staatlicher Beamter".
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Teil I: Einführung in die Problematik
2.3.2 Die primären semantischen Merkmale der Adjektive
f)cfo~ KTA.
2.3.2.1 Mehrfache Bedeutung
Wir wenden uns zunächst den Lexikoneintragungen bezüglich des Adjektivs ßclOS" zu. Sie zeigen, daß ßclOS" in der Literatur sowohl in der Funktion eines Klassenadjektivs als auch in der eines Qualitätsadjektivs auftritt. 48 Für die Funktion als Klassenadjektiv registrieren die Wörterbücher weitere Bedeutungsvarianten. Den Wörterbüchern zufolge bezieht sich 8clOS" als Klassenadjektiv auf die folgenden Klassen: a) göttliche bzw. überirdische Wesen / Götter / das Göttliche;49 b) vergöttlichte Kaiser;50 c) römische Kaiser. 51 Die Wörterbücher reflektieren weiterhin die unterschiedlichen Funktionen, die ßclOS" als Klassenadjektiv erfüllen kann. 52 Zum einen fungiert es als adskriptiver Modifikator, der z.B. einer Entität die Eigenschaft bzw. Menge der Eigenschaften der Göttlichkeit zuschreibt oder sie der Klasse der göttlichen Wesen zuordnet. 53 Zum anderen tritt es als relationaler Modifikator auf, wobei sich wiederum zwei Arten unterscheiden lassen: 54 Einerseits denotieren die mit ßclOS" konstruierten Ausdrücke passive bzw. derivative Relationen zwischen der Gottheit und Entitäten,55 anderseits bezeichnen sie aktive Relationen, d.h. es geht eine Handlung von einer der Parteien aus, so daß die Gottheit entweder Objekt oder Subjekt sein kann. 56 Die große Mehrzahl der von den Wörterbüchern gebotenen Beispiele gehört diesen Kategorien an. Als Modifikator in subjektivem Sinn 48 Dieselbe Unterscheidung liegt dem "sens mythologique / etymologique" und dem "sens hyperbolique" in der Studie von van Camp und Canart, Sens, passim, bes. S. 409ff., zugrunde. 49 Jeweils S.v. ßELOS-: TGL, "Divinus ... , ad Deum pertinens"; Passow, "göttlich"; LSJ / Sophokles / Lampe, "divine". Weiterhin hat BAA noch "überirdisch", offenbar in metaphysischem Sinne, vgl. auch Passow. Unklar bleibt, ob LSJ, "more than human, of the heroes" auch so zu verstehen ist. 50 Jeweils s.v. ßELOS-: TGL, "Divus"; Passow, "das lat. divus, von den nach dem Tode vergötterten Kaisern"; LSJ, "= Lat. divus, of deified Emperors". 51 Jeweils s.v. ßELOS-: LSJ, "= Lat. divinus (or sacer), Imperial"; Sophokles, "Sacer. .. , of the emperor, imperial". 52 So haben die Herausgeber des TGL, S.v. ßELOS-, die Funktionen genauer umschrieben als "divinus [quod tribus maxime modis dicitur ... Est enim vel, Deo s(ive) diis proprius,vel, Qualis deorum est, vel, A diis immissus]". 53 Passim, besonders anschaulich in der substantivierten Form TO ßELOV. Präziser formuliert von Lampe, s.v. ßELOS-, "divine by participation ... " V gl. die erste und letzte Spalte bei Mugnier, Sens, S. 152. 54 So schon Hesych (Latte 11, S.310), "ßEL6s- pOL' EK ßEOV POL" und "(JELOS- v6os- pEV' EK ßEOV pOL VOVs-", "ßELOV' TO EK ßEOV dcplYPEVOV"; Vgl. s.v. ßELOS-: TGL, "ad deum pertinens" und BAA, "von Pers., die in enger Beziehung zur Gottheit stehen", wo auf den Gebrauch von ßELOS- für Menschen Bezug genommen wird. 55 Z.B. s.v. ßELOS-: LSJ, "of or from the gods"; Passow, "einer Gottheit angehörig"; Lampe, "divine by participation and derivation". V gl. z.B. ßELOV aT6pa; ßE{a XE{p / cj;vals- / TTp6vola usw. und ebd. zu der verbreiteten substantivierten Form Ta ßELa. 56 Diese Aspekte werden meistens nicht deutlich unterschieden; vgl. aber Lampe, s. v. ßELOS-, "in objective sense, of God i.e. directed to God" und" ... of things created by God ... "
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bezeichnet ßEL 05' eine Relation, in der die Gottheit in irgendeiner Weise in bezug auf die betreffende Entität handelt. 57 Als Modifikator in objektivem Sinn bezeichnet ßEL05' umgekehrt eine Relation, in der eine Entität in irgendeiner Weise in bezug auf die betreffende Gottheit handelt. 58 Die Lexika machen freilich auch deutlich, daß die Relationen zwischen den beteiligten Parteien nur mit Hilfe des Kontextes genau bestimmt werden können, wenn ßEL05' als relationeller Modifikator auftritt. Ferner heben die Lexika die Funktion des Lexems ßEL05' als Qualitätsadjektiv hervor, d.h. es besteht kein Bezug zur Klasse der göttlichen Wesen. 59 Aus der lexikographischen Tradition geht eindeutig hervor, daß die mehrfache Bedeutung des Lexems ßEL05' aus semantischer Sicht sein Hauptmerkmal ist. 60 Ein ähnliches Bild ergibt sich im Falle von 8aL/16vL05': Obwohl die Wörterbucheintragungen die Bedeutungen sehr unsystematisch präsentieren, können die folgenden Kategorien unterschieden werden. Als Klassenadjektiv denotiert 57 V gl. jeweils s.v. {}ELOS-: TGL, "Divinus ... a diis immissus ... {}ELOS- ÖVELPOS-, Somnium divinitus immissum ... "; Passow, " ... gottgesendet ... ; überhaupt durch göttlichen Einfluß bewirkt, veranlaßt, hervorgebracht ... , von Gott verliehen ... , durch göttliche Fügung ... , von der Gottheit .~ingesetzt ... , gottbegeistert ... ; unter göttlichem Schutz stehend ... " mit vielen Beispielen. Ahnlich, aber weniger ausführlich, LSJ. Hierhin gehört auch die Bedeutung "von einer Gottheit inspiriert", vgl. Mugnier, Sens, S. 152; van Camp und Canart, Sens, S. 414f. 58 Vgl. z.B. S.v. {}ELOS-: TGL, "{}ELOS- XopOS- [Od. 8,264], Quo dii honorantur"; Passow, " ... einer Gottheit geweiht ... , zur Ehre der Gottheit eingesetzt ... "; auch LSJ. 59 So deutet schon Hesych (Latte 11, S.310) {}ELOV mit "TO älLOV ;\0 yo V, waTE {}aVj1a(Ea{}aL". Vgl. s.v. {}ElOS-: Passow, "von ... die gewöhnlichen menschlichen Kräfte od. die menschliche Natur übersteigenden, bes. von allem außergewöhnlich Grossen, Starken, Herrlichen ... , ausgezeichnet, außerordentlich, überh. von jedem in seiner Art Vortrefflichen ... " und LSJ, "of things, excellent, ... ~ELa] TTpr]Yj1ara, marvellous things ... "; nicht eindeutig ist die Eintragung "more than human ... " mit Hinweisen auf Heroen und {}ELOL äv8pE5'. V gl. auch BAA, "überh. von dem, was das Maß des Menschl. oder Irdischen übersteigt ... ". Mugni er unterscheidet noch weitere Bedeutungsvarianten des Lexems, wie "wahr", "gut", "unvergänglich", Sens, passim, vgl. die Tabelle S. 152. In diesem Sinne auch van Camp und Canart, Sens, S. 415ff., die von einem "sens philosophique" reden. Werde das Wort in einem solchen "sens philosophique" gebraucht, dann habe es keinen präzisen Inhalt, sondern habe vielmehr eine Rolle bzw. Funktion inne - es bezeichne nicht ein göttliches Wesen oder die Relation zu ihm, sondern sei ein "qualicatif", das nur Eigenschaften bezeichne, die zum nicht-menschlichen Bereich der Wirklichkeit gehören ("unvergänglich", "ideal"). 60 Dies ist auch das wichtigste Ergebnis der Studien von Mugnier, Sens, S. 116ff. und van Camp und Canart, Sens, S .409ff. Van Camp und Canart lehnen es ab, daß man bei Platon apriorisch eine Verwendung des Wortes als Klassenadjektiv voraussetzt. Zu Recht weist Holladay, THEIOS ANER, S. 58 daraufhin, daß häufig in der {}ELOS- dVr]p-Forschung ohne ausreichende Gründe angenommen wird, {}ELOS- hätte nur eine Bedeutung (nämlich "göttlich" als adskriptives Klassenadjektiv). Holladay selbst (ebd., S. 57f.) schließt sich F. M. Cornford an und unterscheidet drei Bedeutungen des Lexems, die den oben genannten Unterscheidungen entsprechen: {}ElOS- bedeute einerseits "divine, in the most literal sense" (d.h. es ist ein Klassenadjektiv adskriptiver Art; er verbindet diese Bedeutung unglücklicherweise mit dem Ausdruck ulos- (}EOV), ferner "extraordinary, or excellent" (= äpLaTos-, d.h. Qualitätsadjektiv), weiter "(divinely) inspired" (= EV{}EOS-; aktives relationelIes Klassenadjektiv subjektiver Art). Im letzteren Falle schränkt Holladay die Bedeutung leider auf einen Aspekt der möglichen Relationen, die zwischen Gottheit und dem betreffenden Objekt bestehen können, ein. Im Anschluß an van Camp und Canart akzeptiert Holladay für Philos Sprachgebrauch eine weitere Bedeutung als Qualitätsadjektiv, nämlich "incorporeal" / "nournenal" (ebd., S. 189).
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es die Klasse der überirdischen Wesen im allgemeinen,61 gegebenenfalls Götter bzw. Bafj1oVE~2 oder Zwischenwesen wie Geister und Dämonen63 . Als Klassenadjektiv fungiert das Lexem als adskriptiver Modifikator64 sowie als relationeller Modifikator beider Art. 65 Daneben ist das Lexem als Qualitätsadjektiv zu verstehen, wobei wiederum mehrere Bedeutungen zu unterscheiden sind. Einerseits bezieht es sich auf das Wunderhafte, Vortreffliche bzw. Bewundernswerte,66 andererseits auf das Glückliche bzw. Unglückliche 67 . Das Lexem gehört also mindestens zwei unterschiedlichen Wortfeldern an. Auch für das Lexem eEO"TTEO"LOS" sind die Eintragungen der traditionellen Wörterbücher nichts mehr als eine Sammlung einschlägiger Zitate aus den antiken Quellen. Eine systematische Betrachtung ergibt indes, daß eEO"TTEO"LOS" ebenfalls mehrere Bedeutungsmöglichkeiten hat. Wie die Adjektive eELOS" und Bar j16VLOS" bezeichnet auch eEO"TTEO"LOS" als Klassenadjektiv die Klasse der göttlichen Wesen bzw. Götter, wie man aus dem Gebrauch als relationellem Modifikator im derivativen, passiven und aktiven Sinn68 eindeutig schließen kann. Ob es als Klassenadjektiv adskriptiv fungiert, d.h. daß einer Entität mit seiner Hilfe die Eigenschaft der Göttlichkeit zugeschrieben wird, wird von den traditionellen Wörterbüchern nicht expressis verbis gesagt. 69 Wie eELOS" und BaLj16vLoS" tritt 61 V gl. vor allem die breit angelegte Diskussion bei J. G. Heinrich Schmidt, Synonymik der griechischen Sprache, Bd. I-IV, Leipzig, 1876-1886 (Nachdruck 1968), da Bd. I, S. 5-16; s.v. 8aLj1 OVL OS-: Passow, "überh. göttlich, ... übernatürlich, übermenschlich"; LSJ, "heavensent" und" Ta 8aLj10VLa visitations of heaven"; Lampe, "supe rna tu ra I, divine". 62 V gl. Suda (Adler 11, S. 12), s.v. L1aLj1ovLoS- Opj1r7, "TOU 8aLj10VOS-, Tj TOU 8EOU". S. auch Pollux 15. Vgl. s.v. 8aLj10VLoS-: TGL, "Divinus, Ad daemonem pertinens, i.e. Deum ... "; Passow, "von einem Dämon besessen ode geleitet ... an alles von einer Gottheit Herrührende, Ausgehende, von einem Gott Eingegebene, Geschickte, Verhängte"; LSJ, "of or belonging to a 8aLj1UJv"; BAA, S.V. 8aLj1ovLOV, "v. Göttern". 63 Vgl. Lampe, S.V. 8aLj1ovLoS-, "demonic, caused bei demons"; BAA, S.V. 8aLj1ovLoV, "v. selbstständigen Zwischenwesen U. Geistern". 64 Vgl. passim die Darstellung von der substantivierten Form TO 8aLj1oVLOV und TGL, S.V. 8aLj10VLoS-, "Homo etiam appellatur, Divinus, Qui divinum aliquid habet. ''Av8pEs- etiam dicuntur ... , qui Humano fastigio majores Lat. dicuntur, et divino minores." 65 Wie z.B. aus den von Passow benutzten Begriffen deutlich hervorgeht: S.V. 8aLj10VLOS-, " ... an alles von einer Gottheit Herrührende, Ausgehende, von einem Gott Eingegebene, Geschickte, Verhängte". Vgl. passim den Kommentar zum Gebrauch der substantivierten Form Ta 8aLj10VLa. 66 Vgl. jeweils S.V. 8aLj10VLOS-: TGL, "Admirandus, Mirus"; Passow, "gewaltig, schön, bewundernswerth"; LSJ, "miraculous, marvellous". 67 Der TGL, S.V. 8aLj1ovLoS-, weist auf den ironischen Gebrauch des Lexems in Apostrophen hin und nennt Äquivalente wie "mirabilis" , "felicissimus" , "beatus", "bonus vir" bzw. "miserabilis" , "miserus", "scelestus", "improbus"; vgl. auch die Ausführungen bei Passow, S. V. 8aLj10VLOS-, " ... sowohl glücklich als unglücklich". 68 Vgl. jeweils S.V. 6EaTTEaLos-: TGL, "Divinus, EK 6EOU TTEawv, ÖV 6EOS- äv EVLaTToL ... , i.e. 6EOTTEj1TTTOS-, Divinitus missa, immissa"; Passow schreibt: "endlich bezeichnet es auch alles Gottgesendete, von Gott Verliehene, von einem Gott Ausgehende ... "; LSJ, "divinely uttered or decreed". 69 Vgl. jeweils S.V. 6EaTTEaLOS-: Passow, der darauf hinweist, daß das Wort schon bei Homer die Bedeutung von 6ELOS- angenommen hat; so auch bei LSJ, "= 6ELOS-". Vgl. auch das Synesioszitat im TGL, S. V. 6EaTTEaLos-, "Tov 8E LEpEa äv8pa 8EL 6EaTTEaLov EIvaL, Virum divinum".
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aber auch als Qualitätsadjektiv70 auf und nimmt als solches nicht Bezug auf die Klasse der göttlichen Wesen. 71 Aus den Wörterbüchern geht also hervor, daß man aufgrund der dort herangezogenen Belegstellen für alle drei Adjektive mit mehrfacher Bedeutung rechnen muß: Die Adjektive eELOS', 8aLl1ovLoS' und eEU7TEULOS' sind in hohem Grade polysem - sie gehören jeweils zwei semantischen Feldern an, die ihren Funktionen als Klassenadjektiv und Qualitätsadjektiv entsprechen. Ferner treten alle drei in ihrer Funktion als Klassenadjektiv jeweils als adskriptive und relationelle Modifikatoren auf. ()EU7TEULOS'
2.3.2.2 Sinnverwandtschaft Das Übersetzen eines Lexems in eine Fremdsprache ist eine der Möglichkeiten, die herangezogen werden können, die Denotation eines Wortes wiederzugeben. 72 Die Bedeutung eines Lexem ist jedoch erst dann ausreichend umschrieben, wenn die innersprachlichen Sinnbeziehungen offengelegt sind. Sprachen sind in ihrer lexikalischen Struktur hierarchisch strukturiert.7 3 Das ist Folge der Hyponymie, einer paradigmatischen Sinnrelation, die zwischen einem spezifischeren Lexem und einem allgemeineren und übergeordneten Lexem besteht. 74 Die Unterordnung beruht auf einer syntagmatischen Modifizierung des übergeordneten Lexems,?5 Solche Lexeme, die
70 Vgl. jeweils s.v. f)EuTTEULOS': TGL, wo die Herausgeber mit Hinweis auf den homerischen Gebrauch gegen die Übersetzung von Stephanus mit f)EoTTE/1TTTOS' einwenden: " ... ubi non opus est f)EoTTE/1TTTOV intelligi, quum f)EUTTEULOS', ut f)ELoS', de rebus quibusvis dicatur magnis, eximiis, insolitis, ineffabilibus"; Passow, "am häufigsten Beiwort alles Grossen, Vortrefflichen, Herrlichen, Erhabenen, Ausserordentlichen"; LSJ, "more than human, hence, awful ... ; marvellous". 71 Die passowsche lexikographische Tradition ist schwer von dem Programm belastet, Polysemie mit Hilfe etymologischer Brücken aller Art abzumildern, vgl. dazu Ladislav Zgusta / Demetrius Georgacas, Lexicography of Ancient Greek, in: Hugo Steger, Herbert Wiegand (Hg.), Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie, Berlin / New York 1990, S. 1694-1704, da 1698f. So steht am Ende des Eintrags f)EuTTEULOS' bei Passow: "Alle diese Fälle lassen sich indes in dem Einen, der Herleitung des Wortes ganz entsprechenden Begriff zusammenfassen: so dass nur ein Gott es aussprechen könnte, ... also unaussprechlich." Gegen diese Betrachtungsweise haben sich schon die Herausgeber des TGL (v gl. die vorige Anm.) und Schmidt, Synonymik IV, S. 18f. geäußert. Gegen ein solches Ausgleichen von Polysemie, das auf der für die synchrone Bedeutung eines Wortes irrelevanten etymologischen Herkunft beruht, wendet sich Lyons, Einführung, S. 414f. sowie ders., Semantik II, S. 168-186. Vgl. auch Lyons, Semantik I, S. 255f. zur grundSätzlichen Irrelevanz der Etymologie für die synchrone Semantik. 72 Lyons, Semantik I, S. 221. 73 Lyons, Semantik I, S. 390ff. 74 Z.B. "Mensch" - "Mann"; "Mensch" - "Frau"; "Mensch" - "Kind"; "Kind" - "Junge"; "Kind" - "Mädchen" usw. 75 Z.B. "Mann" = "männlicher erwachsener Mensch"; "Frau" = "weiblicher erwachsener Mensch"; "Kind" = "nichterwachsener Mensch".
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einem gemeinsamen Hyperonym untergeordnet sind, sind Ko-Hyponyme. 76 Ko-Hyponyme können in den unterschiedlichsten Beziehungen zueinander stehen: Synonymie,77 Antonymie,78 komplementäre, kontradiktorische und konträre Opposition usw,?9 Es ist für jedes einzelne Lexem zu klären, welche hierarchischen Beziehungen zwischen ihm und anderen Lexemen bestehen. 80
Obwohl den innersprachlichen Sinnbeziehungen in der traditionellen Lexikographie wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, stellen die traditionellen Wörterbücher manchmal innersprachliche Bezüge fest, die hier in Kürze für die Adjektive ßELOS-, 8aL/l6vLos- und ßEaTTEaLos- systematisch dargestellt werden. Schon die antiken Lexika bringen diese Lexeme mit einigen sinnverwandten Lexemen in Verbindung. So erklärt Hesych den Gebrauch von ßEL os-/ ov in unterschiedlichen Kontexten bei Homer mit (TO) EK ßEOV (dr/>L Y/lEVOV) und ßEOTTE/l TTTOS-.81 Bestimmte Formen des Lexems 8aL/l6vLOs- werden mit Hilfe verschiedener Wortformen erklärt: 8aL/lovLoV mit ßELOV und /lOpaL/lov, 8aL/lOVLE mit /laKapLE; 8aL/loVLT] mit /laKapLT] und ßELoTaTT}.82 Die Formen ßEaTTEaLos- und ßEaTTECF LuJTEPOV werden jeweils mit Hilfe von ßELOS- bzw. ßav/laaTos- und dtLoAOYuJTEPOV erklärt.8 3 Auch in der Suda84 werden für 8aL/lovLE die Form /laKapLE und für ßEaTTEaLos- die Formen ßELOS-, ßav/laaTos- und TTpdos- angegeben. Der Ertrag der modernen zweisprachigen Lexika ist noch magerer. Aus allen geht hervor, daß die Adjektive ßELOS-, 8aL/lOVLOS- und ßEaTTEaLos- als Klassenadjektive die substantiven Lexeme ßEOS- und 8aL/lUJv denotieren und infolgedessen an demselben Wortfeld teilhaben. Die drei Lexeme sind also in parataktischer Hinsicht sinnverwandt, genauer bestimmen die Lexika die Beziehungen zwisehen ihnen jedoch nicht. Verbreitet ist die Ansicht, daß ßEaTTEaLos- als Klassen76 Man beachte jedoch das weitverbreitete Phänomen, daß mehrere Lexeme Ko-Hyponyme sein können, ohne daß sie einem gemeinsamen Lexem untergeordnet sind. So sind Synonyme und Oppositionen, wie z.B. "stark" / "kräftig" - "schwach" oder "weit" / "fern" - "unweit" / "nah" offensichtlich Ko-Hyponyme, ohne daß ein gemeinsames übergeordnetes Lexem festgestellt werden kann. 77 Lexikalische Elemente "sind dann synonym, wenn die Sätze, die sich aus der gegenseitigen Substitution der Elemente ergeben, die gleiche Bedeutung haben", Lyons, Einführung, S. 438. Wir gehen davon aus, daß es keine gänzliche Synonymie gibt, d.h. daß lexikalische Elemente nur dann synonym sind, wenn sie in allen Kontexten synonym sind. Vgl. Lyons, Einführung, S. 437f.; ders., Semantik I, S. 210-216.296f. 78 Antonymie ist ein schillernder Begriff, der in der Literatur uneinheitlich verwendet wird, vgl. Lyons, Semantik I, S. 281f.289. Wir bezeichnen nur die logische Beziehung der kontradiktorischen Opposition als "Antonymie". Sie liegt dort vor, wo ein Lexem die Negation eines anderen Lexems (seines Antonyms) impliziert, z.B. "verheiratet" impliziert "nicht ledig", "Mann" impliziert "nicht eine Frau", vgl. ebd., S. 282f. 79 Ferner absolute und gradierbare Opposition, binäre und nichtbinäre Opposition, direktionale, orthogonale und antipodale Opposition, serielle und zyklische Opposition, vgl. Lyons, Semantik I, S. 281-311. 80 Lyons, Semantik I, S. 305ff. 81 Hesychius (Latte), vol. 11, S. 310. 82 Hesychius (Latte), vol. I, S. 398f. 83 Hesychius, (Latte), vol. 11, S. 316. 84 Suda (Adler), vol. 11, S. 12.710.
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sowie als Qualitätsadjektiv (beinahe) vollkommen synonym mit 8ELOS- benutzt wird. 85 Die Lexika sind sich einig, daß die Lexeme ßEL os- und 8aL/16vLoS- im wesentlichen die gleiche Denotation haben und infolgedessen großenteils synonym sind. Nur der TGL86 versucht, die Sinnverwandtschaft von ßELOS- und 8aL/16vLos- genauer zu bestimmen. Ihm zufolge verwendet Herodian 87 die Lexeme in einer Weise, die auf eine signifikante Einschränkung der Bedeutung von 8aL/10VLOS- deuten würde. Dieser Beobachtung wird aber nicht weiter nachgegangen. Obwohl gerade der erwähnte Text von Herodian deutlich zeigt, daß 8aL/1ovLoS- (bzw. ßELOS-) in einer antonymen Beziehung zu Klassenadjektiven wie av8pwTTELOS- oder avßpwTTLVOS- steht, machen weder Stephanus noch die späteren Herausgeber des TGL noch irgend ein anderes Lexikon explizit auf diese offenbar sehr wichtige Sinnverwandtschaft aufmerksam. 88 Hier ist noch darauf hinzuweisen, daß Sophocles 89 für ßELOS- in der Bedeutung "kaiserlich" das Synonym ßauLALKoS- nennt. Was die Funktion der betreffenden Adjektive als Qualitätsadjektive betrifft, ist der TGL wiederum am ergiebigsten. In einer Diskussion der Bedeutung von 8aL/10vLoS- zeigt Stephanus, daß das Lexem in bestimmten Kontexten mit ßav/1aULos- synonym sei und besonders als Apostrophe /1aKapLE und t0 ßEATLUTE in der Funktion gleichkomme. Dadurch rücke das Lexem in die Nähe von Lexemen wie Ev8aL/1UJv und 8vu8aL/1UJv.90 Der TGL stellt, Hesych folgend, das Lexem ßEUTTEULOS- auf eine Ebene mit atLoAoyos-.91 J. G. Heinrich Schmidt ordnet in seinem monumentalen Werk Synonymik der griechischen Sprache 92 die Lexeme ZEVS-, ßEOS-, 8aL/1UJv, 8L0s-, 8ELOS-, 8ar 85 Vgl. jeweils im TGL, bei Passow sowie LSJ, S.V. 8cCJTTECJLOS', und die Diskussion zu 8caTTEaLoS' hier oben. 86 Vgl. TGL, s.v. 8aL/16vLoS'. 87 Herod. 4,12,5: "Ou /16vov Ta dv8pWTTWV TTavTa cl8EvaL ij8cAcV, dUa Kai Ta 8cLa Kai Tl1 8aL/16vLa TTOAVTTpar/10VcLV." Die Herausgeber geben verschiedene andere Texthin weise, die auf Ähnliches hindeuten, vgl. Arist., De divin. in somn. 2: "r, rap cpvaLS' 8ac /1ovla, dUa ou 8cla". 88 Vgl. auch TGL, S.v. 8cLOS', wo die Herausgeber auf Plat. Symp 187E und Phaedr 259D aufmerksam machen, wo 8cLOS' jeweils in einer antonymen Beziehung zu dv8pWTTcLOS' und dv8pWTTLVOS' steht. 89 Sophocles, s.v. 8cL05'. 90 TGL, s.v. 8aL/16vLoS': "Alioqui certe 8aL/16vLoS' proprie vel Beatum, Le. cu8al/1ova, vel Miserum, i.e. 8va8al/1ova, signif. quod 8al/1wv sit vox media, non Improbum". Hier ist auf die Studie von Elisabeth Brunius-Nilsson, L1aL/16vLc. An Inquiry into a Mode of Apostrophe in Old Greek Literature, Uppsala 1955 zu verweisen, die nachgewiesen hat, daß die Verbindung zum Wortstamm (oder zur "Grundbedeutung") schon bei Homer nicht mehr vorhanden war. Brunius-Nilsson zufolge trifft dies auch für Platon, Apollonios Rhodios, Theokritos und Aristophanes zu. Sie hat auch gezeigt, daß 8aL/16vLoS' eine warme, intime Anredeform ist, die weder Positives noch Negatives impliziert. 91 TGL, S.v. 8cCJTTECJL05'. 92 Er wollte mit seiner Synonymik dazu beitragen, "die ungeheure Konfusion unserer Lexika" zu beseitigen. In diesem breitangelegten, für seine Zeit weitsichtigen Werk werden die Wörter der griechischen Sprache in sogenannten synonymischen Familien angeordnet. Das Ergebnis war ein Vorläufer des modernen, nach semantischen Feldern geordneten Lexikons' welcher schon das Konzept des Wortfeldes, den Grundstein der späteren strukturellen
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/10VLOS- und ßEaTTEolos- einer Wortfamilie zu und unterscheidet zwischen ihrer
"Grundbedeutung" und ihrer "übertragenen Bedeutung".93 Die Wörter gehörten derselben Wortfamilie an und seien weitgehend synonym, hätten aber unterschiedliche Konnotationen. Als Klassenadjektive bezeichneten ßEL os- und 8ar /10VLOS- jeweils Götter und dunkle Mächte, sie seien im allgemeinen synonym, hätten aber unterschiedliche Konnotationen. 94 Auch als Qualitätsadjektive seien ßELOS- und 8aL/10VLOS- fast synonym, unterschieden sich jedoch in ihren Konnotationen. 95 Das Adjektiv ßEaTTEaLos- dagegen bedeute bloß soviel wie ßELOS- und "ist das Beiwort jeder großen Erscheinung, alles herrlichen und vortrefflichen".96 Aus den Beobachtungen an den Lexika ergibt sich für die vorliegende Studie Folgendes: Die Adjektive ßELOS-, 8aL/1ovLoS- und ßEaTTEaLos- sind nicht nur in hohem Grade polysem, sondern sie stehen auch in enger Sinnverwandtschaft miteinander, sind sogar weitgehend synonym. Die Bedeutungen der drei Begriffe scheinen sich nur in Nuancen voneinander zu unterscheiden, im großen und ganzen jedoch deckungsgleich zu sein. Diese Synonymie läßt sich für die Lexeme in ihrer Funktion sowohl als Klassenadjektiv als auch als Qualitätsadjektiv nachweisen. Als Klassenadjektive gehören sie zusammen mit anderen stammverwandten Nomina wie ßEOS- und 8aL/1UJv einem semantischen Feld an, wobei alle drei als adskriptive und relationelle Modifikatoren auftreten können. Als mehr oder weniger synonyme Klassenadjektive bilden sie ferner ein Wortfeld mit anderen Klassenadjektiven wie z.B. dVßPWTTELOS- oder dVßPWTTLVOS-, mit denen sie in einer antonymen Beziehung stehen. Als Qualitätsadjektive gehören sie einem anderen Wortfeld (bzw. semantischen Feld) an, in dem andere sinnverwandte Qualitätsadjektive wie z.B. ßav/1aaTos-, dfLoA.OYOS- und apLaTosvorkommen.
Semantik, voraussetzte. Schmidt ordnet seine Wortfamilien nach dem Prinzip "vom Allgemeinen zum Besonderen", eine Verfahrensweise, die schon im Ansatz die hierarchische Struktur semantischer Wortfelder reflektiert, vgl. Schmidt, Synonymik I, S. 3. 93 Schmidt, Synonymik IV, S. 1-22, § 151, 1-12. Die "Grundbedeutung" beziehe sich auf die Funktion der Lexeme, Klassen zu bezeichnen: "Ein Gott, d.i. ein höheres und vollkommeneres Wesen. eE05'. (A)uf ihn bezüglich, von ihm abstammend. eElO5'. Eine der unbegreiflichen wunderbaren Mächte. 8a{/1UJv. (A)uf sie bezüglich, von ihr stammend. 8aL/16v L05'." (§ 151,12). Die "übertragene Bedeutung" betreffe die Funktion als Qualitätsadjektive, vgl. Schmidt, Synonymik IV, S. 2-22. "Was durch herrliche Eigenschaften an die Götter oder das ihnen angehörende erinnert. eElO5'. Von allem großen oder in seiner Art ausgezeichnete. eEaTTEaL05'. ... Unbegreiflich in seinem Wesen und Walten. 8aL/1oVL05'.", (§ 151,12). 94 Vgl. Schmidt, Synonymik IV, § 151,6.12. " ... eElO5' ... bezeichnet alles durch das Walten der Gottheit hervorgerufene, und stimmt in dieser Allgemeinheit der Anwendung mit 8aL/10VL05', mit dem aber das außerordentliche und wunderbare besonders hervorgehoben wird.", S. 6. 95 Vgl. Schmidt, Synonymik IV, § 151,7: eElO5' bezeichne das Herrliche und Schöne, aber 8aL/10VL05' "gibt nicht die Vorzüglichkeit des Dinges, sondern hebt eher seine Absonderlichkeit hervor ... ", ebd., S. 11. 96 Vgl. Schmidt, Synonymik IV, § 151,10.
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2.4 Die ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie als zusammengesetzte Ausdrücke Die 8EL os- av8pwTTos-- Terminologie97 stellt einen besonderen Fall der üblichen syntagmatischen Sinnrelationen der Adjektive eELOS-, 8aLj16vLos- und eEUTTEULOSdar. Deshalb muß zur Bestimmung der Bedeutung der eELOS- aVepWTTOS-- Terminologie festgestellt werden, in welcher Weise die Adjektive 8ELOS-, 8aLj16vLosund 8EUTTEULOS- die jeweiligen Nomen und Eigennamen, zu denen sie in Apposition stehen, modifizieren. Ein Blick in die Lexika genügt zu begreifen, daß es auf diese Frage wegen der hier oben dargelegten Polysemie der betreffenden Adjektive sehr unterschiedliche Antworten geben kann. Die Wörterbücher beschränken sich meistens darauf, einige Literaturhinweise zu geben, die Ausdrücke zu übersetzen oder einige menschliche Referenten aufzuzählen, die in der Literatur mit diesen Adjektiven bezeichnet werden, ohne jedoch die Bedeutung genauer zu bestimmen. 98 Stephanus geht an einer Stelle jedoch ausführlicher auf die Denotation der 8ElOSäv8pwTTos--Terminologie ein. 99 Mit Hinweis auf Platon und Plutarch zeigt er, daß 8aLp6vLosim Zusammenhang mit Personen die Bedeutung "gottverehrend" hat, d.h. als relationelles Klassenadjektiv (objektiver Art) fungiert. Ähnlich versteht auch Passow das Adjektiv 8ElOSim Zusammenhang mit Menschen als relationelIes Klassenadjektiv Uedoch eher subjektiver Art): "einer Gottheit geweiht, heilig, zur Ehre der Gottheit eingesetzt ... ; unter göttlichem Schutz stehend ... ; eben so wird am besten zu verstehn seyn, wenn bei Horn. Könige, Herolde und Sänger 8ElOL heissen."IOO Schmidt dagegen diskutiert die 8ElOS- äv8pWTTos-Terminologie bezeichnenderweise dann, wenn er die Bedeutung von 8ELOS- in "übertragenem 97 Der Begriff" 8ELOS- äv8pWTTos--Terminologie" wird in dieser Studie der Sprachökonomie zuliebe als umfassende Chiffre für jene Ausdrücke verwendet, in denen die Adjektive ßELOS- / 8aLJi6vLos- / 8EaTTEaLos- den Nomina {iv8PWTToS- / dvrlP oder irgendeinem anderen Nomen bzw. Eigennamen, mit dem auf einen menschlichen Referenten Bezug genommen wird, beigeordnet werden. Es wäre linguistisch gesehen grundsätzlich falsch, Ausdrücke, in denen die Adjektive 8ELOS-, 8aLJiOVLOS- und 8EaTTEaLos- einem Eigennamen beigeordnet werden, aus der Untersuchung auszuklammern. Denn ein Eigenname ist aus linguistischer Sicht ein Nomen und tritt, wenn er einen Menschen bezeichnet, seiner Referenz wegen an die Stelle von Wörtern wie äv8pWTTos- / dvrjp oder vergleichbarer Substantive. Er wird also zu einem QuasiHyponym solcher Substantive, was dadurch illustriert werden kann, daß man in solchen Ausdrücken ausnahmslos den Eigennamen mit einem solchen Nomen ersetzen oder ergänzen kann, ohne daß semantische Unstimmigkeit einträte. 98 Z.B. TGL, S.v. 8ELOS-, "Vir divinus"; Passow, s.v. 8aLJioVLoS-, "wie divinus, von Personen ... oft bei Plat. u.a. 8aLpovLoS- Tr]V aoq;Lav"; LSJ, S.v. 8ELOS- und 8aLJioVLoS-; Lampe, s.v. 8EaTTEaLos-, nennt als Referenten inspirierte Männer und s.v. 8ELOS-, unter der Überschrift "Divine by participation or derivation, holy" allgemein Heilige, Propheten, Apostel, Asketen. 99 S.v. 8aLJi6vLos-: "Homo etiam appellatur, divinus, qui divinum aliquid habet. ''Av8p Esetiam dicuntur, inquit Bud., qui humano fastigio majores Lat. dicuntur, et divino minores .... Sed apud Plat. magis speciali signif[icatione] 8aLJiOVLOS- äv8pWTTOS- est 0 OJiLAWV TcjJ 8Eej] 8ul TWV 8vaLwv, ... Ad hanc autem signif. pertinere mihi videtur Plut. [Mor. p. 589, D]: MovoLs- EVT}fovaL TOls' d8opvßov 1780s- Kat V7}VEJiOV EXovaL rr]V ljivxi}v, ous- Bi} Kat IEpovs- Kat 8aLJiOVLOVS- dv8pWTTOVS- KaAOVJiEV." 100 S.v. 8ELOS-. Ähnlich TGL, S.v. 8ELOS-, "~ELOS-] xopos- ... , Quo dii honorantur ... Item '08vaaEvs- 8ELOS-" und BAA, S.v. 8ELOS-, "von Personen, die in enger Beziehung zur Gottheit stehen".
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Teil I: Einführung in die Problematik
Sinn" bzw. als Qualitätsadjektiv unter die Lupe nimmt. 101 "Wird nun eElO5' von Menschen selbst ausgesagt, so ist ganz ersichtlich, dass wirklich auf ihre hervorragenden Eigenschaften hingewiesen wird". Hier werden dem Menschen weder Göttlichkeit noch eine besondere Beziehung zur Gottheit, sondern lediglich besondere Qualitäten bzw. Eigenschaften zugeschrieben.
Der Blick auf die Deutungen der Lexika vermittelt ein äußerst uneinheitliches Bild: sie pendeln dazwischen, das jeweilige Adjektiv als relationales Klassenadjektiv subjektiver oder objektiver Art oder als Qualitätsadjektiv zu betrachten. An keiner Stelle jedoch wird die Terminologie im Sinne eines adskriptiven Klassenadjektivs gedeutet - insofern stehen die Lexika in einern bemerkenswerten Kontrast zu Deutungen moderner Forscher wie Ludwig Bieler und Hans Dieter Betz, die nämlich die Adjektive 8ElOS", 8aLllovLoS" und 8ECJTTECJLOS" in diesem Zusammenhang gerade als adskriptive Klassenadjektive deuten, d.h. die betreffenden Menschen werden der Klasse der übernatürlichen Wesen oder Zwischenwesen zugeordnet, so daß der 8ElOS" dvryp / av8pUJTToS" den 8EOl, 8allloVES", ijPUJES", 8ElOL av8pUJTToL und av8pUJTToL zuzurechnen sei.1 02 Andere Forscher wie Elwyn Jones und Morton Smith rechnen hingegen damit, daß 8ElOS" dvryp / av8pUJTToS" ein feststehender Ausdruck war und ordnen ihn einern Wortfeld mit Lexemen wie YOTJS", llayoS" und 8avllaTovPY0S" zu. 103 Mit der Frage nach der Bedeutung der 8ElOS" av8pUJTToS"- Terminologie wird also die Frage nach der Bedeutung zusammengesetzter Ausdrücke aufgeworfen, eine Frage, die auf dem Hintergrund der aufgezeigten Polysemie der betreffenden Adjektive einiges an Komplexität dazugewinnt. Bevor wir jedoch diese Frage im Hinblick auf unsere Fragestellung präzisieren, ist es zunächst nötig, auf die Semantik zusammengesetzter Ausdrücke einzugehen.
2.4.1. Zusammengesetzte Ausdrücke und phrasale Lexeme Ausdrücke, die aus einern Adjektiv und einern Nomen oder Eigennamen (mit oder ohne Determinator, wie z.B. einern Artikel) bestehen, sind aus syntaktischer Sicht zusammengesetzte Ausdrücke. Allgemein gilt, daß sich die Bedeutung eines zusammengesetzten Ausdrucks aus der Summe, besser gesagt aus dem Produkt der Bedeutungen seiner konstituierenden lexikalischen Einheiten ergibt. Dies scheint auf den ersten Blick eine Binsenweisheit zu sein. Das Problem liegt jedoch darin, daß Sprachen ungeheuer komplexe Verbindungen zwischen den Teilelementen der sprachlichen Ausdrücke aufweisen, so daß der Schmidt, Synonymik IV, § 151,7, S. 10f. Vgl. Bieler, BEJOh ANHP I, S. 15-20 ("Die eElOL nehmen demnach eine Art Mittelstellung zwischen Göttern und Menschen ein.", S. 16; der eElO5' dVr7P ist" ... eine Art Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen ... ", S. 20); Betz, Art. Gottmensch, Sp. 235-238. 103 Vgl. Smith, Jesus, S. 124-126; Jones, Concept, S. 189-191. 101 102
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Terminus "Summe der Bedeutungen der konstituierenden lexikalischen Einheiten" eine Vielzahl unterschiedlicher Weisen der Konstituierung der Bedeutung bezeichnen kann. 104 Dies muß besonders im Falle relationaler Klassenadjektive berücksichtigt werden, wo nur der Kontext darüber Auskunft geben kann, wie die Bedeutung des jeweiligen Ausdrucks konstituiert wird. Weiterhin ist bezüglich zusammengesetzter Ausdrücke Folgendes zu beachten: sie machen häufig einen Institutionalisierungsprozeß durch und nehmen infolgedessen eine mehr oder weniger spezialisierte Bedeutung an, so daß sie der Sprachgemeinschaft als gebrauchsfertige Einheiten bzw. phrasale Lexeme zur Verfügung stehen. Je häufiger ein zusammengesetzter Ausdruck gebraucht wird, desto sicherer erstarrt er zu einem feststehenden Ausdruck, den der Sprachbenutzer als ganzen im Gedächtnis speichert. 105 Zu diesem Erstarrungsprozeß tritt häufig ein Versteinerungsprozeß der Schrumpfung und semantischen Spezialisierung hinzu: Durch überwiegenden Gebrauch in bestimmten Kontexten engen sich Sinn und Denotation allmählich ein. Die Institutionalisierung und Spezialisierung eines solchen Ausdrucks können so weit fortschreiten, daß die Bedeutung des Ausdrucks kaum mehr einen Bezug zu den Bedeutungen der Einzellexeme hat, sondern für sich Bedeutung hat. 106 Wenn in adjektivischen Ausdrücken das jeweilige Adjektiv nicht mehr aus dem zusammengesetzen Ausdruck herausgelöst werden kann, um dem jeweiligen Nomen als Prädikat beigelegt zu werden, so ist das ein sicheres Indiz für die fortgeschrittene Institutionalisierung des Ausdrucks. 107
2.4.2 Das semantische Problem und die Aufgabestellung
Es ist Aufgabe dieser Untersuchung, den Gebrauch der ßcLOS avßpuJ1Tos-Terminologie in der Kaiserzeit systematisch zu beschreiben, um dadurch die Bedeutung dieser Terminologie freizulegen und ihre religionsgeschichtliche Relevanz für das hellenistische Judentum und frühe Christentum in bezug auf die Entwicklung der Christologie auszuwerten. Ausgangspunkt einer solchen Aufgabe kann nur der damalige Sprachgebrauch sein - insofern ist eine Beschreibung der Bedeutung der betreffenden Ausdrücke nichts anderes als eine Beschreibung ihrer Verwendung in den überlieferten Texten. 108 Anhand der konkreten Verwendung der ßcLOS avßpuJ1Tos-Terminologie soll die Verwendung jener Aus104 Lyons, Semantik II, S. 153-168 und ders., Bedeutungstheorien, in: von Stechowl Wunderlich, Semantik, S. 1-24, da 21-23. 105 Lyons, Semantik II, S. 153-155. 106 Lyons, Semantik II, S. 156-168. 107 Im britischen Englisch kann man aus "public school" nicht schließen: "the school is public", denn sie ist ganz im Gegenteil gerade eine Privatschule! Im Deutschen wiederum kann man aus der Bezeichnung des Dualen Systems "Der grüne Punkt" nicht schließen: "Der Punkt ist grün", denn dieses Zeichen hat heute je nach Produkt eine andere Farbe. 108 Lyons, Einführung, S. 419-421.
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Teil I: Einführung in die Problematik
drücke, in denen die Adjektive BELOS", 8aL/16vLoS" und BEUTTEULOS" menschlichen Referenten beigelegt werden, systematisch beschrieben werden, um so zu einer Beschreibung der produktiven Regeln des Sprachsystems des kaiserzeitlichen Griechisch vorzustoßen,109 die es den damaligen Sprachbenutzern ermöglichten, diese Ausdrücke sinnvoll und richtig zu verwenden. Dies wird geleistet, indem man die Sinnbeziehungen und Denotationen der betreffenden Lexeme systematisch darstellt. Das grundlegende Problem bildet dabei die Kompositionalität der betreffenden Ausdrücke in Kombination mit der in der lexikographischen Bestandsaufnahme beobachteten Polysemie der betreffenden Adjektive. Es wird infolgedessen darauf ankommen zu untersuchen, in welcher Hinsicht die Bedeutung der BEL os" avBpUJTToS"- Terminologie das Produkt ihrer lexikalischen Komponenten war. Es muß also festgestellt werden, in welcher Weise die Adjektive BEL os", 8aL/16vLoS" und BEUTTEULOS" die jeweiligen Nomen und Eigennamen, zu denen sie in Apposition stehen, modifizieren. Wenn wir uns also auf die Suche nach der Bedeutung der BELoS" ävBpUJTTOS"Terminologie machen, sind in jedem Einzelfall die Polysemie der Adjektive (Qualitäts- oder Klassenadjektiv?) und ihre Multifunktionalität, wenn sie als Klassenadjektiv eingesetzt werden (d.h. als adskrivtiver oder relationeller Modifikator und, falls Letzteres zutrifft, ob subjektiver oder objektiver Art?), im Auge zu behalten. In jedem Einzelfall ist aufs neue zu entscheiden, ,welche Art der Modifikation des betreffenden Nomens vorliegt. Wie schon angedeutet bietet der jeweilige Kontext, in dem die betreffenden Ausdrücke auftreten, den Schlüssel zu einer solchen Aufgabe. Denn nur die unmittelbaren Kontexte können Auskunft darüber geben, in welche syntagmatischen und paradigmatischen Relationen ein Lexem treten kann und welche Begriffe regelmäßig in der näheren Umgebung eines Ausdrucks auftreten. Wiederholte Kontextanalyse ist also der Schlüssel zur Identifizierung semantischer Felder und damit unentbehrlich für die Bestimmung der Sinnrelationen eines Lexems (Konstruktion eines Wortfeldes ) und gewisser Aspekte der Denotation (Konstruktion eines semantischen Assoziationsfeldes). Es ist also jeweils von Fall zu Fall zu klären, welchem semantischen Feld das jeweilige Adjektiv (BELOS", 8aL/16vLoS", BEUTTEULOS") angehört bzw. nicht angehört, wenn es menschlichen Referenten beigelegt wird. 110 Insofern die betreffenden Adjektive als Qualitätsadjektive auftreten, 11 1 beschränkt sich die Aufgabe darauf, die Beziehungen innerhalb des betref109 Lyons, Semantik II, S. 154. Begrenzt sich die Angehörigkeit auf ein bestimmtes Feld, so liegt eine eindeutige Einschränkung der Polysemie, d.h. eine Institutionalisierung der Bedeutung, vor. 111 Die Tatsache, daß die Lexeme 8cLOS', 8aL,uovLoS' und 8caTTEaLoS' manchmal komparative und superlative Flexionsformen aufweisen, wenn sie einem Menschen beigelegt werden, deutet daraufhin, daß ein solches Adjektiv einen Pol in einer gradierbaren Opposition bildet, weshalb es sich dort nicht um ein Klassenadjektiv handeln kann. 110
2. Die semantische Problematik
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fenden Wortfeldes freizulegen und zu zeigen, welche Qualität von dem jeweiligen Menschen prädiziert wird. Die sukzessive Analyse der je\veiligen Kontexte, in denen die ecLOS" aVepuJ1TOS"- Terminologie auftritt, wird die Konturen eines Wortfeldes aufleuchten lassen, so daß die relevanten Sinnbeziehungen wie Hyponomie, Synonomie und Antonymie hervortreten werden. Treten die betreffenden Adjektive in der ßcLOS" avßpwTToS"- Terminologie jedoch als Klassenadjektive auf, ist die semantische Problematik um einiges komplizierter. Denn die überaus verbreitete Verwendung des Oppositionspaares ßcLOS" - avßpwTTLVOS" (in Ausdrücken wie ßcLa Kat / fj avßpwTTLva CPVO"LS") in antiken Texten zeigt, daß die Adjektive eclOS" und avßpwTTLVOS" im Griechischen nichtgradierbare Antonyme sind, die das Diskursuniversum in zwei komplementäre Subklassen aufteilen (ecoS" - avßpwTToS"; eclOS" - aVepWTTLVOS"; ßcLOT7]S"aVepWTTOTT]S").112 Das bedeutet, daß Objekte, die diesen Klassen zugeordnet werden können, entweder der einen oder der anderen Klasse angehören. Unter der Vielzahl der Sinnbeziehungen, die es in Sprachen gibt, spielen Oppositionen eine grundlegende Rolle. Man unterscheidet zwischen Lexemen, die in binärer oder nichtbinärer Opposition zueinander stehen. 113 Unter den binären Oppositionen unterscheidet man relative und absolute bzw. gradierbare 114 und nichtgradierbare Oppositionen. Nichtgradierbare Oppositionen teilen das Diskursuniversum (d.h. die Objekte, von denen sie prädizierbar sind) in komplementäre Subklassen, wobei die Prädizierung eines Lexems die Prädizierung der Negation des anderen Lexems (und umgekehrt) impliziert. 115 Es ist kennzeichnend für gradierbare Oppositionen, daß sie im Gegensatz zu nichtgradierbaren Oppositionen (Antonyme)
Diese Einteilung in zwei komplementäre Subklassen wird im Griechischen auch von dem Adjektivpaar a(}avaTos- - (}VT]TOS-, Synonyme für (}eTos- und av(}pWTTLVOS-, signalisiert, vgl. dazu William K. C. Guthrie, The Greeks and their Gods, London 1950, S. 113-116. Auch Bieler, BEIGL; ANHP I, S. 16 und Betz, Jesus as Divine, S. 116 machen auf die Aufteilung (}eTos- - av(}pWTTLVOS- - (}T]pLw8T]s- / (}rjpeLOs- aufmerksam. Die Tatsache, daß diese Einteilung grundlegend war, schließt natürlich nicht aus, daß man über das Göttliche im Menschen spekulieren konnte, vgl. Guthrie, Greeks, passim. 113 Beispiele binärer Oppositionen sind "vorne" / "hinten", "Mann" / "Frau", "gesund" / "krank", "gut" / "schlecht", "organisch" / "anorganisch", "kommen" / "gehen", "ankommen" / "abfahren"; Beispiele nicht-binärer Oppositionen sind Zahlen, Namen der Wochentage, Monate, Jahreszeiten, Farben und die Elemente von Mengen wie {"ausgezeichnet" / "gut" / "mittelmäßig" / "dürftig" / "schlecht" / "miserabel"}. Unter nichtbinären Oppositionen unterscheidet man seriell und zyklisch angeordnete Mengen. Zu Oppositionen im allgemeinen vgl. Lyons, Semantik I, S. 281-300. 114 Gradierbare Antonyme können weiterhin entweder Dimensionen oder Werte bezeichnen, vgl. Cornelia Hamann, Adjectival Semanties, in: von Stechow / Wunderlich, Semantik, S.668-672. 115 Vgl. z.B. "männlich" / "weiblich"; "ledig" / "verheiratet"; "Junge" / "Mädchen" usw. So impliziert "Das Kind ist ein Junge" den Satz "Das Kind ist kein Mädchen"; umgekehrt impliziert der Satz "Das Kind ist kein Mädchen" den Satz "Das Kind ist ein Junge". Bei gradierba-:ren Antonymen jedoch impliziert die Prädizierung der Negation des einen Lexems nicht die Prädizierung des anderen Lexems. So impliziert der Satz "es ist warm" den Satz lies ist nicht kalt", der Satz "es ist nicht kalt" hingegen nicht den Satz "es ist warm". Ebenso impliziert der Satz "es ist nicht warm" nicht automatisch "es ist kalt". Die Lexeme "kalt" und "warm" sind also gradierbare Antonyme. 112
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Teil I: Einführung in die Problematik
graduell modifiziert werden können. 116 Das Phänomen, daß der Bereich zwischen gradierbaren Adjektiven oft durch Lexikalisierung ausgefüllt wird, so daß nicht mehr zwei Antonyme einander gegenüber stehen, sondern eine gradierbare Skala nichtbinärer Oppositionen entsteht, demonstriert diesen Sachverhalt. 117
Treten die jeweiligen Adjektive nun als relationelle Klassenadjektive auf, signalisieren sie nur, daß gewisse Beziehungen zwischen den zwei Klassen bzw. der jeweiligen Person und der Klasse der göttlichen Wesen bestehen. Welcher Art diese Beziehungen sind, kann jedoch nur dem Kontext entnommen werden, wobei "Kontext" hier für unterschiedliche Horizonte steht, die sich gewissermaßen in konzentrischen Kreisen um den betreffenden Ausdruck ausbreiten: Es handelt sich um die Horizonte des unmittelbaren und weiteren literarischen Kontextes, der Kommunikationssituation sowie der sozialen und historischen Hintergründe. Weil die fJElOS' avfJpw7ToS'- Terminologie in dieser Bedeutung jeweils eine bestimmte Frömmigkeit reflektiert, die im Normalfall Spuren in den Texten, in denen der Ausdruck vorkommt, hinterläßt, ist also in einem bestimmten Fall nicht einfach zu postulieren, daß das jeweilige Adjektiv als relationelles Klassenadjektiv fungiert, sondern dies muß sich anhand des Kontextes nachweisen lassen. 118 In semantischer Hinsicht wird es jedoch problematisch, wenn die Adjektive in den zusammengesetzen Ausdrücken als adskriptive Klassenadjektive auftreten, d.h. wenn das jeweilige Adjektiv die Nomina avfJpw7ToS', dvrjp oder ein Hyponym bzw. Quasi-Hyponym dieser Lexeme der Klasse der göttlichen Wesen zuordnet. Wegen der oben angedeuteten komplementären bzw. ausschließenden Art der Oppositionen innerhalb des Wortfeldes würde ein Ausdruck wie fJElOS' avfJpw7ToS' / dvryp einen Widerspruch in sich bilden und also gegen die Regeln des Sprachsystems verstoßen. Er stünde infolgedessen in Konflikt mit der Alltagsmetaphysik der damaligen Gesellschaft, die durch die innersprachlichen Relationen reflektiert wird. 119 Wenn ein solcher Ausdruck, 116 Z.B. "ein bißehen kalt"; "nicht allzu warm"; "kälter als"; "am längsten", aber nicht "lediger", "sehr verheiratet" oder "ein bißehen Mann". Steigerungsformen sind ein sicheres Indiz für Gradierbarkeit. 117 Vgl. im Deutschen das Paar "lang" - "kurz" mit dem Paar "heiß" - "kalt"; bei letzterem ist die Extensionslücke lexikalisiert worden: "heiß" - "warm" - "lau" - "kalt". 118 Solche Ausdrücke implizieren, ungeachtet ob die Sprecher sich dessen bewußt sind oder nicht, in jedem Fall ein gewisses "theologisches" Verstehen. Dann gilt uneingeschränkt ein Satz Georg Streckers: " ... Jeder Ausdruck der Frömmigkeit impliziert eine systematisch strukturierte Konzeption, eine 'Theologie''', in ders., Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, WdF 367, Darmstadt 1975, S. 24. In dem Fall muß man damit rechnen, daß diese Konzeption ihre Spuren in den Texten, in denen der Ausdruck vorkommt, hinterlassen hat. 119 Auf eine solche Alltagsmetaphysik muß Betz' Bemerkung, die Griechen hätten keine einheitliche Lehre vom Menschen entwickelt, im allgemeinen stünden jedoch Gott und Mensch einander gegenüber, bezogen werden; Betz, Gottmensch, Sp. 236. Die Einteilung menschlich / göttlich, sterblich / unsterblich war grundlegend und in der Sprache lexikalisch festgelegt, so daß eine Abweichung davon der Erklärung bedarf. Zur Bedeutung der Alltagsmetaphysik für die Semantik vgl. Lyons, Semantik I, S. 123.179f.
2. Die semantische Problematik
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obwohl er gegen die Produktionsregeln bzw. Anwendungsbedingungen der Sprache verstößt, nicht von den Sprachbenutzern verworfen wird, deutet es auf eine (mindestens zeitweilige) Modifikation des Sprachsystems oder der Alltagsmetaphysik hin. 120 Die Bedingungen für eine solche Modifikation können nur dem Kontext im weitesten Sinne, d.h. der Metaphysik bzw. Theologie des jeweiligen Schriftstellers, entnommen werden. Es ist ferner damit zu rechnen, daß auch dort, wo der Ausdruck mit einer gewissen Selbstverständlichkeit verwendet wird, die vorausgesetzte modifizierte Alltagsmetaphysik Spuren hinterlassen würde, die auf diesen Verständnishorizont aufmerksam machen würden. Es ist also in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich solche Spuren einer modifizierten Alltagsmetaphysik aufzeigen lassen, bevor man darauf schließen kann, daß das jeweilige Adjektiv als Klassenadjektiv auftritt. Bei der Suche nach der Bedeutung der ßELOS- avßpUJTTos-- Terminologie muß immer bedacht werden, daß ein zusammengesetzter Ausdruck einen Prozeß der Institutionalisierung durchgemacht haben kann. Wenn dies der Fall ist, tritt er als selbständige lexikalische Einheit auf, als phrasales Lexem, das für sich Bedeutung hat, und dessen Bedeutung abhängig vom Grad der Institutionalisierung mehr oder weniger von der Bedeutung seiner Einzelkomponenten abweichen kann. 121 Auch hier bietet sich die Kontextanalyse als Schlüssel an: Dort, wo sich im Falle einer adjektivischen Nominalphrase (wie z.B. ßEL05' avßpUJTTosKTA.) die "normalen" Bedeutungen der Adjektive, d.h. die Modifikation des 120 Charles Talberts Aufsatz: The Concepts of Immortals in Mediterranean Antiquity, JBL 94, 1975, S. 419-436 ist ein Versuch, dieses Problem zu lösen. Er vertritt die Meinung, man habe auf der göttlichen Seite zwischen ewigen, unvergänglichen und irdischen, aber unsterblichen Göttern unterschieden und die ßcLOL äVßPW1TOL gelegentlich den Unsterblichen, gelegentlich den Menschen zugeordnet. Vgl. jedoch die berechtigte Kritik von Gallagher, Divine Man, S. 22-26, der darauf hinweist, daß diese Einteilung auf euhemerischen Grundlagen beruht und daß andere Texte andere Einteilungen implizieren. Eine solche explizite Modifikation sowohl der Alltagsmetaphysik als auch des Sprachsystems setzt Betz, Gottmensch, S. 237 aufgrund von Plutarch Mor. 202E (pcTatiJ ßVTJTOV Kai dßavaTov) voraus: "Zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit ... befindet sich also der den 8a{povcS', ijpwcS' u. ßcLOL äv8pcS' zugewiesene Bereich. Dabei stehen die 8a{povcS' u. ijpwcS' näher bei den Göttern, während die ßcLOL äv8pcS' grundsätzlich den Menschen zugeordnet werden müssen". 121 Wie wir oben gezeigt haben, hat sich die Differenz zwischen von Martitz, Holladay und Blackburn einerseits und der übrigen Forschung, insbesondere Betz, andererseits u.a. an dieser Frage entzündet. In der ßcLOS' dVrlP-Forschung wird generell damit gerechnet, daß ßcLOS' dVrlP / äVßPW1TOS' ein "fester Terminus" sei, der eine bestimmte religiöse Vorstellung der Zeit bezeichne, also eine gewisse Institutionalisierung durchgemacht habe. Aus semanti scher Sicht bedeutet dies, daß das Adjektiv ßcLOS' in den Ausdrücken ßcLOS' dVrlP / äv8pW1TOS' nur noch als adskriptives Klassenadjektiv fungiert und daß der Ausdruck im Hellenismus standardisiert worden ist, so daß der ßcLOS' dVrlP ein Standardmuster (das sogenannte "Idealbild" Bielers!) aufweist. Am weitesten gingen Elwyn Jones und Morton Smith, die ßcLOS' dVrlP / äVßPW1TOS' für einen stehenden Ausdruck hielten und ihn mit Lexemen wie YOTJS', payoS' und ßavpaTovpy0S' einem Wortfeld zuordneten, d.h. sie setzten voraus, daß das Adjektiv ßcLOS' in diesen Ausdrücken seiner "normalen" Bedeutungen entleert worden ist, so daß der gesamte Ausdruck als phrasales Lexem Bedeutung hat. Dagegen hat von Martitz betont, daß ßcLOS' dVrlP / äVßPW1TOS' kein "fester Terminus" sei und daß das Adjektiv ßcLOS' als Prädikat eingesetzt werde.
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Nomens durch Klassen- oder Qualitätsadjektiv, regelmäßig nicht spannungslos in den Kontext einordnen lassen, gibt es Grund, ein phrasales Lexem zu vermuten. Eine gründliche Analyse der jeweiligen Kontexte, in denen die Ausdrücke auftreten, wird außerdem die Konturen eines Wortfeldes bzw. semantischen Feldes aufzeigen, das sich von den "normalen" Wortfeldern der Klassen- und Qualitätsadjektive unterscheidet. Da es sich in dieser Studie in erster Linie darum handelt, die Denotation der eEL oS" avf)pUJTroS"- Terminologie zu bestimmen, sei hier noch auf die wichtige Rolle der Distribution der Terminologie bezüglich ihrer Referenz hingewiesen. 122 Wenn nämlich die Denotation die Referenz eines Lexems beschränkt, dann ist es umgekehrt erlaubt, aufgrund von Beobachtungen an den Referenten auf die Denotation der Ausdrücke zurückzuschließen. Es gilt also, die Referenz der jeweiligen Ausdrücke präzise zu bestimmen. Auch hier ist die Kontextanalyse unerläßlich. Denn selbst wenn sich der jeweilige Schriftsteller auf eine gewisse geschichtliche Person bezieht, handelt es sich bei dem Referenten nicht um jene geschichtliche Persönlichkeit, sondern um das Bild, das der Schriftsteller von jener Person hat. 123 Dies kann wiederum nur aus dem Kontext ermittelt werden, der sich in immer weiteren Kreisen um den jeweiligen Ausdruck zieht. 124 Außerdem ist zu beachten, daß begrenzte Referenz darauf hinweisen kann, daß ein phrasales Lexem vorliegt: Dies ist der Fall, wenn die Denotation der einzelnen Lexeme, aus denen ein zusammengesetzter Ausdruck besteht, nicht die eingeschränkte Referenz erklären kann. Dann muß der Ausdruck als solcher Bedeutung haben. Es liegt also ein phrasales Lexem vor, dessen Denotation die Referenz bestimmt. 125
122 Zur Distribution und ihrer semantischen Relevanz vgl. Lyons, Semantik I, S. 315-321. Mit begrenzter Referenz geht oft restriktive Kollokation Hand in Hand, d.h. ein Lexem tritt nur mit einer begrenzten Zahl von Lexemen in syntagmatischen Verbindungen auf. Es ist unmöglich, "die Bedeutung von kollokationell restringierten Lexemen zu beschreiben, ohne die Menge von Lexemen zu berücksichtigen, mit denen sie ... syntagmatisch verbunden sind", Lyons, Semantik I, S. 272. 123 Die antiken Texte referieren nicht auf den historischen Pythagoras oder Sokrates, von dem man durch kritische historische Analyse ein gewisses Bild gewinnen kann, sondern sie beziehen sich auf eine fiktive Vorstellung des jeweiligen Sprachbenutzers, die sich mehr oder weniger an jener historischen Person orientierte. 124 Falls dies wegen fehlender Information nicht gelingt, muß man versuchen, das zeitgenössische Bild ,:,.on der jeweiligen Person, auf das jener Schriftsteller zurückgreifen konnte, aus der antiken Uberlieferung zu ermitteln. 125 Vgl. z.B. im Deutschen den Ausdruck "das Schwarze Brett": weder das Lexem "Brett" noch das Lexem "schwarz" begrenzt die Referenz des Ausdrücks auf eine Anschlagtafel, sondern "Schwarzes Brett" ist ein phrasales Lexem, dessen Denotation die Referenz des Ausdrucks regelt.
2. Die semantische Problematik
65
2.4.3 Aufbau der Untersuchung Die Untersuchung wird folgendermaßen durchgeführt: Zunächst wird die Bedeutung der ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie in kaiserzeitlichen Texten durch eine eingehende Kontextanalyse ermittelt (Teil 11-111).126 Dabei werden die Texte jener Schriftsteller, die als Dreh- und Angelpunkt der Aufnahme der ßELOSavryp-Hypothese als Erklärungsmodell in der neutestamentlichen Christologieforschung dienten, nämlich Philostrat und hellenistisch-jüdische Autoren,127 zunächst zurückgestellt. Denn es ist eine grundlegende Prämisse dieser Studie, daß auch der Sprachgebrauch jener Schriftsteller auf dem Hintergrund des sonstigen Sprachgebrauchs der Kaiserzeit gedeutet werden muß, weshalb einzelne Texte (wie z.B. Philostrat VA 7,38; 8,13) nicht apriori als Schlüssel der Bedeutung der Terminologie herangezogen werden dürfen, sondern vor dem Horizont des allgemeinen Sprachgebrauchs der Zeit gelesen werden müssen. Erst in einem zweiten Schritt werden also die Ergebnisse der Analyse anderer kaiserzeitlichen Texte als Hintergrund für das Verständnis der Terminologie in den Schriften Philostrats und der hellenistisch-jüdischen Schriftsteller wie Josephus und PhiIon herangezogen (Teil 1V).128
126 Dabei wird die Terminologie des Kaiserkults ausgeklammert, weil sie sowohllinguistisch (8cLOS' als Übersetzung von lateinisch divus) als auch religionsgeschichtlich betrachtet eine Sonderstellung einnimmt. V gl. dazu Leo Koep, Art. Divus, RAC 3, 1957, Sp. 1251-7. Ein Verzeichnis der Belege findet sich bei W. Schwering, Art. Divus, ThesLL, S. 1649-59. 127 Zur zentralen Rolle, die die Rezeption von Philostrats Apolloniosvita in der neutestamentlichen Christologieforschung und besonders in der von ihr übernommenen 8cLOS' aVr}pHypothese spielte, vgl. Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 18-168, bes. 68ff.; zur Rolle des hellenistischen Judentums vgl. Holladay, THEIOS ANER, S. 1-45, bes. 15-18.34-43. 128Wegen ihrer besonderer Rolle in der 8cLOS' aVr}p-Forschung wird auch die Bezeichnung OLOS' 'AAEtav8poS' in Lukians Alexander § 11 zu behandeln sein.
TEIL 11
SEMANTISCHE ANALYSE Der Gebrauch von BELoS', 8aLf.16vLoS' und ßEaTTEaLoS' in ethischem Kontext
3. Analyse eines Wortfeldes: ßELOS- KTA.. als religiös-ethische Qualitätsadjektive 3.1 BEtaS" in Apollonios Ep. 16f.48, Diogenes Laertios 7,119 und Herakleitos Qu. Horn. 3,1 Zwei Briefe des Apollonios von Tyana (Epp. 16.17) bieten uns aufschlußreiche Einsicht in die Verwendung und die Bedeutung des Adjektivs ßcL os., wenn es als Prädikat, das Menschen zugeschrieben wird, gebraucht wird. 1 In diesen zwei angeblich von Apollonios von Tyana an den Stoiker Euphrates gerichteten Briefen 2 antwortet Apollonios auf den von Euphrates gegen ihn vorgebrachten Vorwurf der Magie,3 indem er geschickt das polysemische Potential des Lexems llayo5" instrumentalisiert. 4 Im 17. Brief erwidert er: An denselben (d.h. Euphrates). Die Perser nennen die 8ELOL "Magoi" (Mayovs- ovolla(ovaL TOUS- 8E{OVS- oi JJipaaL). Der Knecht der Götter bzw. derjenige, der seiner Natur nach 8ELOSist, ist also ein "Magos" (llayoS- ovv (; 8EpaTTEvTrys- TWV 8EWV ij (; TryV cpvaLv 8ELOS-). Du bist jedoch kein "Magos", sondern gottlos (au 8 ou payo5', dM' ä8EOS-).
Apollonios zufolge (mit Hinweis auf den Sprachgebrauch der Perser) darf (; ßcL05" / (; T7}V cpuaLv ßcL05" bzw. (; ßcpaTTcVT7}5" TWV ßcwvals "Ild Y05""
1 Kritische Textausgabe mit Übersetzung und Kommentar von Robert J. Penella (Hg.), The Letters of Apollonius of Tyana. A Critical Text with Prolegomena, Translation and Commentary, Mn.S. 56, Leiden 1979, der in vieler Hinsicht von der Ausgabe von C. L. Kayser (Hg.), Flavii Philostr.~tii opera, Leipzig 1870 (Nachdruck Hildesheim 1964), S. 345-368 abhängig ist. Englische Ubersetzung von F. C. Conybeare (Hg.), Philostratus. The Life of Apollonius of Tyana. The Epistles of Apollonius and the Treatise of Eusebius IIII, London 1912, da Bd. II, S.407-481. 2 Die Echtheitsfrage muß bei jedem der apolloniischen Briefe neu gestellt werden und kann meistens nicht mit Sicherheit beantwortet werden, vgl. Penella, Letters, S. 23-29, weiter Eduard Meyer, Apollonios von Tyana und die Biographie des Phil
3. 8Elos- KTA. als religiös-ethische Qualitätsadjektive
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bezeichnet und ihm das Prädikat "pd YOS''' beigelegt werden; für einen, der decoS' ist, gilt das hingegen nicht. Hier zeichnen sich die Konturen eines Wortfeldes ab: die verwendeten Begriffe sind sinnverwandt, die Lexeme d8coS' und ecLOS' (Tr]V cpvaLv) stehen in einer antonymischen Beziehung zu einander, die Ausdrücke 0 ecLOS' bzw. 0 TT]V cpvaLv 8cLOS' und 0 8cparrcvT7}S' T6Jv ec6Jv werden parallel gebraucht und sind wohl in ihrer Bedeutung eng miteinander verwandt, vielleicht gar synonym. Beachtet man nun die Sinnverwandtschaft von decoS' mit Lexemen wie dvoaLoS' und dacßrJS' /8vaacßrJS', ahnt man schon, daß 0 ecparrcvT7}S' T6Jv ec6Jveine Metapher für Lexeme wie öaLoS' und cuacßrJS' ist. Auf demselben Hintergrund ist Ep. 16 zu verstehen: An denselben (d.h. Euphrates). Du meinst, daß du die Nachfolger des Pythagoras "Magoi" nennen müssest, so wahrscheinlich auch die des Orpheus (Mdyovs OrEL BELV OVOjid(ELV TOUS a1TO JJveayopov CPLAOUOCPOVS, WBE 1TOV Kai TOUS a1To 'OpCPEUJS). Ich bin jedoch der Meinung, daß man die Nachfolger von jedem beliebigen "Magoi" nennen muß (Eyd; 8E Kai TOUS a1To ToD BELvos OLjiaL BELv OVOjid(EUeaL jidyov), wenn sie wohl eELoL und rechtschaffen sind (El jiEAAOVULV ELvaL eELOL TE Kai 8LKaLOL).
Euphrates hat Apollonius wegen seiner Zugehörigkeit zu den Pythagoreern (bzw. Orphikern) als "Magos", d.h. als betrügerischen Zauberer bzw. Scharlatan,5 beschimpft,6 woraufhin dieser erwidert, die Bezeichnung "Magos" könne unabhängig von der Schulangehörigkeit auf jede Person7 angewandt werden, vorausgesetzt sie ist ecLOS' Tc Kat 8LKaLoS'. Die enge Anbindung des ecLOS' an 8LKaLoS' durch Tc KaL deutet schon daraufhin, daß es sich bei beiden Lexemen um moralische Qualitäten handelt, denn 8LKaLoS' war eine Bezeichnung für denjenigen, der sich den von der Gesellschaft auferlegten Normen, Traditionen, 5 Schon sehr früh wurde jidyos / jiaYE{a zu einem Synonym für YOr}S / Y01]TE{a: vgl. Heraklit D/K B 14; Gorgias D/K B 11; Sophokles Oid. Tyr. 387; Aeschines 3,137; vgl. Penella, Letters, S. 100; Burkert, rOHL:, S. 12, da weitere Belege. Die Identifikation war so stark, daß Aristoteles (Fr. 36 bei Diog. Laert. 1,8) sich gezwungen sah zu betonen, daß die persischen Magoi mit Zauberei (Y01]TLKT] jiaYE{a) nichts zu tun hatten. 6 Die Neupythagoreer standen im Verdacht, magische Praktiken zu betreiben. Dies ging so weit, daß das Wort JJveayopELoS ein Synonym für YOr]S bzw. jidyos wurde (vgl. Heinrich Dörrie, Art. Neupythagoreer, KP 4, Sp. 85f.). So galt der in den Verdacht des Okkultismus geratene Nigidius Figilus trotz der Tatsache, daß seine Lehren keine spezifisch pythagoreischen Züge aufwiesen, schon seinen Zeitgenossen (Cicero Tim. 1) als Pythagoreer; vgl. Peter L. Schmidt, Art. Nigidius Figulus, KP 4, Sp. 91f. 7 Die Überlieferung bietet TOUS a1To [ToD] LlLos, Kayser folgte Spengels Korrektur zu TOUS a1To ToD 8ELvos, die jedoch von Penella abgelehnt wird ("drab" !). Die Parallelausdrücke TOUS a1To JJveayopov CPLAOUOcpovs und TOUS a1To 'OPCPEUJS (cpLAOUOcpovs) erfordern jedoch eine genaue Parallele - da wäre das TOUS a1To [ToD] LlLos der Manuskripttradition sehr seltsam, außerdem wäre der Ausdruck m.W. ohne Beispiel in der griechischen Literatur. Spengels Korrektur hat, abgesehen davon, daß die Abwandlung von LlE/NOL: in Ll/OI; leicht passieren kann, den Vorteil, daß der im ersten Satz abgesteckte Rahmen nicht durch neue Information gesprengt wird. Das textkritische Problem ist jedoch für unsere Fragestellung nicht entscheidend.
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Teil 11: Semantische Analyse: eELO~ KTA. in ethischem Kontext
Pflichten und Gesetzen gemäß benimmt. 8 Der Begriff bezieht sich vor allem (wenn auch nicht ausschließlich) auf die Erfüllung der Pflichten und Normen den Menschen gegenüber, so daß 8LKaLos- oft neben den Lexemen aULos-, EVUEßr]S-, ßEOCPLAr]S- und ßEOUEßr]S- auftritt, die sich besonders auf die Pflichten und Normen in der religiösen Sphäre beziehen. 9 Daraus darf wiederum geschlossen werden, daß eELOS- an dieser Stelle parallel zu 8LKaLos- auftritt, wie es sonst Lexeme wie aULos-, EVUEßTJS', ßEOCPLATJS- und ßEOUEßTJS- tun. Diese Beobachtungen werden Punkt für Punkt von Diogenes Laertios 7,119 untermauert: 10 Die Weisen sind auch göttlich (8clov5' i [sc. TOV5' (T7TOv8aLOV5'] eival') ... Der Tor ist dagegen gottlos (TOV 8E <jJaDAov äeeov). - Zweierlei bedeutet 'der Gottlose' (TOV äeeov): einerseits der sogenannte "dem eelO5' (Menschen) Entgegengesetzte", andererseits der (sogenannte) "Leugner des Göttlichen" (TO 8ElOV), was nicht auf jeden Tor zutrifft (8l TTOV 8 eival TOV äeeov, TOV i EvavTLf!J5' T4J 8eLep AeYO/1eVOV Kat TOV itoveeV1]TlKOV ToD 8eLOV' ÖTTep OVK elval TTept TTavTa <jJaDAov). - Die Rechtschaffenen sind weiterhin gottesfürchtig (eeoaeßel5' Tc TOV5' aTTov8aLOV5'·) ... Gottesfurcht ist ja Kenntnis von der Verehrung der Götter (eival Tc n}v evaißelav iTTlarr]/11]V eeWV eepaTTeLa5'). Außerdem ... leben sie heilig (dAAa /17]V Kat evaelV aVTOVS- eeOl5' ayvov5' e vTTapxelv) ... sie sind heilig und gerecht, was die Gottheit angeht (oaLOV5' Tc yap eival Kai 8lKaLOV5' TTP05' TO eelOV) ...
Der Weise sei ßELOS-, der Tor dagegen deEOS-: Im Text wird explizit darauf verwiesen, daß dßEOS- hier als Antonym von eELOS- zu verstehen ist. Der Weise ist also ßEOUEßr]S-, ayvos-, weiterhin aULos- TE Kat 8LKaLos-. Die EvuEßELa bzw. ßEouEßELa wird umschrieben als ETTLUTr]f.1T] ßEWV eEpaTTELas-: Man erinnere sich der Parallelität von 0 eELOS- bzw. 0 n}v CPVULV eELOS- und 0 ßEpaTTEvTr]STWV ßEWV in (Pseudo-)Apollonios Ep. 17! An dieser Stelle sei noch auf eine Stelle im Kommentar eines sonst unbekannten stoischen Homerexegeten namens Herakleitos hingewiesen. I 1 Die unter dem Titel rOf.1T]pLKG TTpoßATJf.1aTa überlieferte Schrift verteidigt Homer gegen 8 Vgl. die ausgezeichnete Darstellung von Gottlob Schrenk, Art. 8LK1], 8LKalO5' KTA., ThWNT 2, S. 176-229, da 184-187. Im Gegensatz zu vielen anderen Beiträgen im ThWNT orientiert sich Schrenk in seiner Bestimmung von der Bedeutung an den sinnverwandten Wörtern. 9 Besonders oft mit öalos-: Platon Gorgias 507b; Politeia I 331a; Polybios 22,10,8; sehr oft bei Plutarch: Camillus 17,8; Alcib./Marc. 4,2; Eumen. 17,11; Demetr. 24,10 (TTpOS- eeOV5' öalOV Kat TTP05' dVepWTTOV5' eival 8LKalov!); Mor. 286F; 1105C; Josephus Ant. 15,138; PhiIon Vita Mosis 2,108; Markus Aurelius Medit. 7,66 (8LKalO5' Ta TTP05' dVepuJTTOV5' / Öalo5' Ta TTP05' eeOV5';); mit evaeßr]5': Xenephon Mem. 4,8,11 (mit der Verteilung auf Götter und Menschen); Josephus Ant. 7,348; 9,236; mit eeO<jJlAr]5': Plutarch Mor. 1102F; mit eeoaeßr]5': Aristophanes Plutus 28; Josephus Ant. 10,215; manchmal scheinen sie jedoch sogar vollkommen synonym zu sein, vgl. Diog. Laert. 7,119: ÖaI05' Kai 8LKalO5' TTP05' TO eelOV und Aischylos Sept. c. Thebas 598, wo 8vaaeßr]5' als Antonym von 8LKalos- auftritt! 10 Diog. Laert. 7,117-119 wird weiter unten vollständig behandelt; hier geht es nur darum, auf die Sinnverwandtschaft der betreffenden Lexeme hinzuweisen. 11 Textausgabe von F6lix Buffierre, H6raclite. All6gories d'Homere, Paris 1962; dort eine ausgezeichnete Einführung, S. vii-xlii.
3.
eE[O~ KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
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die Anschuldigung, er sei gottlos (TTavTa yap ryalßT]aEV I rOflT]pLKT] aaEßELa) und seine Gedichte seien von gotteslästerlichen Mythen voll gotteswidrigen Wahnsinns (lEpoavAoL 8E flVßOL KaL ßEoflaxov YEfloVTE:; aTTovofa:;) durchzogen (l,lff.). Dagegen wendet Herakleitos ein, dies hätte nur stimmen können, wenn Homer nicht allegorisch geschrieben hätte (El flT]8EV ryAAT]YOPT]aEV; 1,2). Beide homerischen Epen zeugten indes lauthals von seiner Rechtschaffenheit (TTEpL Tfj:; l8ia:; EvaEßEia:;; 2,lff.). Herakleitos fragt 12 Wer wagt es, mit Rücksicht auf diese Aussagen zu sagen, daß Homer gottlos sei (r'Oj1T/pOV daEßfj AEYELV TOAj1ij;)? .. Zeus, erhabenster, schwarzumwölkter Herrscher des Athers! Helios auch, der du alles vernimmst und alles gewährest! Auch ihr Ströme, du Erde, und die ihr drunten die Schatten Büßen laßt von den Menschen, die falsche Eide schwören! Ihr seid Zeugen (Vj1ElS j1dPTVPOL EaTE) von Homers gottesfürchtiger Gesinnung (TfjS- rOj1r7POV 8EoaEßovs- TTpoaLpEaEUJS-), daß er der Gottheit in allem mit außergewöhnlicher Leidenschaft dient (ÖTL TTd8EaLv E,aLpEToLs- äTTav VEUJKOPEL TO 8aLj16vLoV), weil auch er selbst 8ELOS- ist (ETTEl KavT6s- EaTL 8ELOS-).
Auch hier stehen die Lexeme ßELO:; und aaEßr}:; einander gegenüber: Wer würde es noch wagen, Homer der Gottlosigkeit zu bezichtigen, wenn Herakleitos mit homerischen Versen die Götter als Zeugen heranziehen kann, um die Rechtschaffenheit und Gottesfürchtigkeit des Dichters zu bezeugen? Sie können von Homers eEoaEßT]:; TTpoaipEaL:; zeugen, d.h. von seinem Gottesdienst (OTL ... VEUJKOPEL TO 8aLfl6vLoV), eben davon, daß er außergewöhnlich fromm bzw. eELO:; ist)3 Anhand von Ep. 16f., Diog. Laert. 7,119 und Herakleitos Qu. Horn. 3,1 kann die Bedeutung von eELO:;, wenn es einem Menschen als Prädikat beigelegt wird, ziemlich präzise umrissen werden: es ist ein Qualitätsadjektiv , das mit GaLo:; (Synonymie, vgl. EvaEßr}:; I ßEoaEßr]:; I ßEOcpLAr]:; sowie ayvo:;), mit aeEO:; (Antonymie) sowie infolgedessen auch mit den Lexemen avoaLo:; und aaEßr]:;1 8vaaEßr}:; und mit 8iKaLo:; (nicht-kontradiktorische Ko-Hyponymie I4 ; gelegentlich ist ßELO:; jedoch 8fKaLo:; hyponymisch untergeordnetl 5 ) sinnverwandt 12 Herakleitos Qu. Hom. 3,1. Die homerischen Verse Il2,412; 3,277-288 sind der Übersetzung von Hans Rupe, Homer. Ilias, Sammlung Tusculum, München/Zürich 91989 entnommen. 13 Buffierre, Herac1ite, Z.St. übersetzt 8ELOS- mit "un etre divin" und verweist Anm. 4, S. 90 auf seine Vergöttlichung. Abgesehen davon, daß ein Hinweis auf die Vergöttlichung Homers an dieser Stelle den Zusammenhang des Textes sprengen würde, ist weiterhin zu beachten, daß Herakleitos sich außerdem, trotz seiner überschwenglichen Bewunderung für den Dichters, niemals auf Homers sogenannte Vergöttlichung bezieht. Der Kontext fordert geradezu die Bedeutung "sehr fromm / gottesfürchtig". Zu Recht meldet Holladay, THEIOS ANER, S. 88f. - allerdings sehr zurückhaltend - Zweifel darüber an, ob 8ELOS- hier tatsächlich Homers Göttlichkeit bezeichnet. 14 V gl. dazu die semantische Einführung. 15 Manchmal erstreckt sich 8LKaLos- sowohl auf den sittlichen als auch auf den religiösen Bereich und umfaßt die religiösen Tugenden: Platon Eutyphr. 12c-e; Jos. Ant. 12,43 - über-
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Teil 11: Semantische Analyse: eELO~ KTA. in ethischem Kontext
ist. Zu Recht übersetzt Penella deEoS' und BELOS' in Apollonios Ep. 16f. also mit den äquivalenten englischen Ausdrücken "ungodly" ("gottlos" / "unfromm") und "godly" ("gottesfürchtig" / "fromm"), also als Qualitätsadjektive und nicht als Klassenadjektive. 16 Diese Beobachtungen zur Bedeutung des Prädikats eELOS' legen nahe, daß auch die attributive Verwendung des Adjektivs im Ausdruck eELOS' dvrjp in (Pseudo-)Apollonios Ep. 48 auf diesem Hintergrund zu verstehen ist. Wenn zweierlei über mich erzählt wird und zukünftig weiterhin getan wird, was wäre merkwürdig daran? Denn notwendigerweise wird Widersprüchliches über jeden Menschen erzählt, der in einer beliebigen Angelegenheit die Spitze zu bilden scheint. So wurde nicht nur Widersprüchliches über Pythagoras, Orpheus, Platon und Sokrates erzählt, sondern auch noch geschrieben - wo ja auch über Gott selbst keineswegs Einstimmiges (berichtet) wird. Die Guten nehmen allerdings (nur) den wahren Bericht an, als ob sie eine angeborene Verwandtschaft (zur Wahrheit) hätten (dAX ol /lEv dyaßol 8ExovTaL Tav dAryßfj AOYOV, tlJs- äv EXOVTES- TL aVYYEvES-). Die Toren (glauben) jedoch das Gegenteil (ol 8E cpavAoL TOV EvavT{ov): Ich bin aber der Meinung, man solle diese schlechte Sorte Menschen der Lächerlichkeit preisgeben (KaL EaTL TOV TOLOVTOV YEVOVS- KaTaYEAdv, AEYW 8E TOV XELpOVOS-). Für jetzt ist es angemessen, soviel über mich selbst in Erinnerung zu rufen (ToaovTo /lovov 8{KaLov vTTo/lvfjaaL TTEpl E/laVTOV Ta VVV): Über mich wurde nicht nur oft privat zu einigen Menschen, sondern auch öffentlich durch die Götter wie über einen ßELOS- dVrlP gesprochen (ÖTL TTEpl E/lOV KaL ßEOLS- ELpryTaL tlJs- TTEPL ßE{OV dv8pos- ou /lOVOV l8{« TL aL TToMdKLS-, dMd KaL 8ry/loa{«). Mehr über sich selbst zu sagen wäre protzig.
Der Ausdruck eELOS' dvrjp bezeichnet hier den sittlich hervorragenden Menschen - es geht ja im Gesamtkontext des Briefes (48,lff.) um das wohltätige Handeln des Apollonios, um sein i7BoS', das allerdings umstritten ist. Widersprüchliches wird über ihn berichtet, gutes und schlechtes. Apollonios argumentiert, dies sei nicht verwunderlich, das hat man auch von den Paradigmen pythagoreischer Weisheit und Tugend, nämlich Pythagoras, Orpheus, Platon und Sokrates, ja gar auch von den Göttern selbst behauptet. Gute Menschen jedoch nimmt naturgemäß von einem guten Menschen jedoch nur die Wahrheit, das ist natürlich nur Gutes an, schlechte Menschen dagegen das Gegenteilige, d.h. das Schlechte. Auf diesem Hintergrund zieht Apollonios seinen letzten Trumpf: Die Götter selbst hätten des öfteren die moralische Qualität des Apollonios bestätigt - sie haben von ihm als einem BELoS' dvrjp, d.h. einem im sittlichen und religiösen Sinn guten Menschen, gezeugt.
haupt wurde 8{KaLos- in die Nähe von dyaßos-, TEAELOS- und xpryaTos- gerückt, nachdem 8LKaLoavvry in Nachfolge von Platon (Eutyphron, bes. 10e-12e) und Aristoteles (Eth. Nicom. 1129a ff.) unter den Griechen eine Art oberster Tugend wurde. 16 Falsch dagegen Conybeare, der ßELOS- als Klassenadjektiv versteht und mit "divine", d.h. "göttlich", übersetzt.
3.
ecfo~
KrA. als religiös-ethische Qualitätsadjektive
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3.2 Markus Aurelius Meditationes 7,67 Diese Verwendung der ßELOS- avßpUJTTos-- Terminologie scheint auch an anderen Stellen belegt zu sein: wir wenden uns zunächst Mark Aurels Meditationes 7,67 ZU: 17
Die Natur hat dich nicht so mit dem Ganzen vermischt, daß sie dir die Möglichkeit nähme, dich abzugrenzen und das, was dir zusteht, in Besitz zu nehmen (wS" /17] E
lektiker oder Physiker zu werden, nicht auf, ein innerlich unabhängiger, anständiger, solidarisch handelnder und gottesfürchtiger Mensch zu werden (Kai EAEV8EPOS" Kat al8ry/1UJII Kat KOLIIUJIILKOS- Kat EVTTEL87]s- 8EriJ). Denn es ist durchaus möglich, ein 8ElOS- allryp zu werden und von niemandem erkannt zu werden ()dall yap EII8EXETaL 8ElOII äll8pa YEIIEa8aL Kat UTTO /17]8EIIOSYIIUJpLa8fjllaL ).18
Was in dem vorliegenden Text fast stichwortartig mit TTEpLOpi(ELV lavTov bezeichnet wird, hat Mark Aurel an anderer Stelle ausführlicher beschrieben: "Die zweite (wichtigste Eigenschaft der menschlichen Natur) ist die Unnachgiebigkeit gegenüber körperlichen Anfechtungen. Denn es ist eine Eigentümlichkeit der vernunftbestimmten Aktivität, sich abzugrenzen (TTEpLOpi(ELV) und der Wahrnehmungs- oder der Empfindungstätigkeit niemals nachzugeben. Denn beide sind den Tieren eigentümlich ... " (7,55); oder: "Der leitende und herrschende Teil deiner Seele soll nicht berührt werden von der glatten oder rauhen Bewegung in deinem Fleisch und sich nicht damit verbinden, sondern sich selbst abgrenzen (TTEpL ypacpETUJ) und jene in den Gliedern wirkenden Verlokkungen einkreisen (TTEpLOpL(ETUJ)" (5,26).19 In dem vorliegenden Text erinnert Mark Aurel sich also in typisch stoischer Manier 20 daran, daß die Möglichkeit, das stoische Ideal der Glückseligkeit zu erreichen, grundsätzlich gegeben ist: Entscheidend ist, daß man sein Innerstes, sein vernünftiges Ich, vor der Beflekkung durch die Außenwelt, d.h. auch durch die leiblichen Anfechtungen, be-
17 Textausgabe mit ausführlichem Kommentar von A. S. L. Farquh~rson, The Meditations of the Emperor Marcus Aurelius, Vol. I1II, Oxford 21968. Deutsche Ubersetzung von Willy Theiler (Hg.), Kaiser Marc Aurel. Wege zu sich selbst, Zürich 1951; Rai~.er Nickel (Hg.), Marc Aurel. Wege zu sich selbst, München/Zürich 1990. Hier nach der Ubersetzung von Nickel, leicht verändert. 18Vgl.10,8! 19 Übersetzung von Nickel. 20 Der Frage, inwiefern Mark Aurel Stoiker ist, geht John M. Rist in seinem Aufsatz: Are You a Stoic? The Case ofMarcus Aurelius, in Ben. F. Meyer, E. P. Sanders (Hg.), Jewish and Christian Self-Definition III. Self-Definition in the Graeco-Roman World, London 1982, S. 23-45, nach. Zu Mark Aurels Denken vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 341-353; II, S.167-172; A. M. L. Farquharson, Marcus Aurelius, His Life and His World, Oxford 21952, außerdem den Kommentar zu seiner Textausgabe (s.o.).
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Teil 11: Semantische Analyse: BEtas" KTA. in ethischem Kontext
wahren muß.21 Den Hintergrund dieser Aussage bildet die scharfe stoische Unterscheidung zwischen Körper und Seele, zwischen Tier und Mensch, zwischen dem Stofflichen und dem Göttlichen im Menschen. Nie wird Mark Aurel müde, sich dazu aufzurufen, das zu werden, wozu er eigentlich schon veranlagt ist, d.h. seiner göttlichen Herkunft gemäß zu leben: "Mit den Göttern zusammenleben. Mit den Göttern aber lebt nur derjenige zusammen, der ihnen ununterbrochen zeigt, daß seine Seele (if;vXrf) mit allem, was ihr zugeteilt ist, zufrieden ist, und daß sie tut, was der göttliche Geist (8aiIlUJV) will, den Zeus als ein Stück von sich selbst jedem einzelnen als Beschützer (TTpoaTaT7}S-) und Führer (i}rEllwv) gegeben hat. Er ist der Geist (vous-) und die Vernunft (AOrOs-) jedes einzelnen" (5,27).22 Diese Aufgabe besteht jedoch gerade darin, daß man begreift, was einem zusteht und was nicht, d.h. was verfügbar ist und was nicht, und dementsprechend zu handeln - Ta lavToD V(jJ' lavT4J TToLELaßa1. 23 Mark Aurel empfiehlt sich also das ureigene Rezept der Stoiker: der Rückzug ins Innere 24 garantiere das Glück bzw. die Apathie, denn nur über sein Innenleben ist der Mensch Herr. Steht auch alles andere außerhalb unserer Macht, so liegt doch die Bestimmung über das Innere nur bei dem Menschen selbst25 - er muß die richtige Einstellung zu den Dingen haben und sich nur des falschen Werturteils, was sich ereignet, sei gut oder böse, enthalten. 26 Typisch stoisch ist auch die Beteuerung des Kaisers, die Voraussetzungen für das glückliche Leben seien nur wenige, so daß es leicht zu erreichen sei: 27 man brauche nicht zuerst alle Feinheiten der Physik und der Logik beherrschen,28 um das gute Leben (bzw. die Tugend) erwerben zu können, d.h. EAEVßEPOS-29 Kai al 87}1l UJV3 0 Kai KOLVUJVLKOS-31 Kai EVTTEL8rys- ßE4J32 zu sein. 33 21 V gl. auch 3,16: " ... dann liegt die spezifische Eigenschaft des guten Menschen (TOU aya8ou) nur noch darin, ... die in seinem Herzen wohnende göttliche Kraft (8aLf1wv) nicht zu verunreinigen oder durch eine Fülle von Vorstellungen aufzuregen, sondern in heiterer Ruhe zu belassen, indem sie der Gottheit folgt (Koaf1Lws- ETTOf1EVOV 8EciJ) ... " (Übers. v. Nickel). 22 Übersetzung von Nickel. Vgl. auch 2,13.17; 3,3,6; 3,4,1; 3,5; 3,6,2; 3,7; 3,16; 5,10,2; 12,3; 12,26. 23 V gl. das Ta lcjJ' fJf1LV und Ta OVK lcjJ' fJf1LV Epiktets (Ench. 1) 24 V gl. 4,3,9: ... f1Ef1VT}aO Tijs- VTTOXWp7}aEWS- Tijs- Els- TOVTO TO aypL8LoV EavTov ... l AEV8EPOS- Eao ... (denke nur an den Rückzug auf dieses kleines Fleckchen, das nur dir gehört ... und sei frei)! 25 Vgl. 9,40; zu Recht urteilt Pohlenz, Stoa I, S. 342: "In seinem Inneren ist der Mensch frei wie Gott". 26 Vgl. z.B. 5,34; 7,68; 8,7. 27 V gl. die rhetorische Frage in 10,32: TLS- yap (; KWAVWV dya80v ElvaL Kai CLTTAOUV; 28 Vgl. 1,14,4, wo er sich bei den Göttern bedankt, daß er nicht weit in der Dichtung, in der Logik und in ähnlicher Tätigkeit fortgeschritten war. 29 Die Freiheit ist für Mark Aurel eine der zentralen Tugenden; vgl. 1,8; 4,3,9; 4,49,5; 5,9,4; 5,29; 6,16,8; 8,1,6; 8,16; 8,51,3. \ 30 Die sittliche Scheu (al8ws-) spielte schon in der frühen Stoa eine wichtige Rolle, die sie als vernunftgemäße seelische Bewegung betrachtete. Panaitios wandte sie auf die natürliche Rücksichtnahme auf das ethische Empfinden der Mitmenschen an. Epiktet baute sie zu einem zentralen Aspekt der sittlichen Vollkommenheit aus: sie ist das angeborene sittliche Grundgefühl, das den Menschen vor jeder sittlichen Verfehlung warnt, vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 335.
3. BelOS"
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Denn, so betont Mark Aurel noch einmal zusammenfassend, es sei durchaus möglich, ein ßELOS- dvrjp zu werden, d.h. glückselig zu leben (TO Ev8aLj16vUJSßu;]aaL), wie es einige Zeilen früher lautet. Der Kontext zeigt also eindeutig, daß 8ELOS- dvrjp hier eine Chiffre für den guten bzw. tugendhaften Menschen, für den Glückseligen ist - der Begriff bezeichnet (wie in Diogenes Laertios 7,119) das ethische Ideal der Stoa. Anders als die alte Stoa und auch anders als sein großes Vorbild Epiktet verwendet Mark Aurel nicht die üblichen Termini (; aocp6s- und (; aTTov8aLos- für den idealen Weisen. An die Stelle des Gegensatzes aocp6s-/cpavAos- tritt das Paar (; dya80S-/KaKos- dvrjp (vgl. 4,39; 7,44). Das moralische Ideal des Kaisers ist der dya80s- dvrjp oder (wie auch Epiktet manchmal formuliert) KaAos- Kai aya80s- avrjp (8,10) und, wie aus dem vorliegenden Text hervorgeht, (; ßELOS- dvrjp. Das Adjektiv ayaß6s- kann jedoch aus der attributiven Stellung herausgelöst und prädikativ verwendet werden, um als Prädikat zu fungieren: obwohl es gelegentlich einfach als eine unter vielen Tugenden in den Tugendkatalogen auftritt (6,30; 10,8), wird doch deutlich, daß das Wort als Bezeichnung für die oberste Tugend verwendet wird, wenn es schlicht Eao / YEvoD aya86s-heißt (vgl. 4,17; 8,5; vgl. auch 4,10; 10,16). Es ist ein Qualitäts- bzw. Eigenschaftsadjektiv, dessen Inhalt die stoische Tugend ausmacht. 34 Genauso ist auch 8ELOS- in dem vorliegenden Text ein Qualitätsadjektiv, welches das tugendhafte Leben bezeichnet. Es ist also eine moralische bzw. ethische Kategorie und keine ontische - das Wortfeld wird von sinnverwandten Begriffen wie dyaß6s- / KaA6s- / TEAELOS- / 8LKaLos- einerseits und KaK6s- andererseits abgesteckt. 35 In dem spezifisch stoischen Kontext der Verwendung gibt eine ganze Reihe von ethischen Prädikaten Auskunft über den Bedeutungsinhalt der Begriffe: Abgesehen von den in 7,67 genannten vier Eigenschaften (EAEV8EPOS-; aI8rjj1UJv; KOLVUJVLK6s-; EVTTELß7}S- ßE4J) beispiels-
Auch bei Mark Aurel nimmt sie einen wichtigen Platz ein, vgl. z.B. 3,16,4; 4,49; 5,33,3; 7,57; 8,5.51; 9,29,8;10,8,1-5. 31 Das gemeinschaftliche Wohl spielt in der Philosophie Mark Aurels eine zentrale Rolle und ist begründet in der stoischen Lehre von der Sympathie aller Dinge bzw. der Einheitlichkeit des Kosmos, der als ein lebendiger Organismus verstanden wird: Das solidarische, gemeinschaftsbezogene Handeln gehört zu der menschlichen Natur, mit der der Mensch in Einklang leben soll, vgl. 3,11,5; 5,30; 7,13; 8,7. Für KOlvUJvLa als Tugend, vgl. 7,55,3: TO /1EV OVV TTporyYOV/1EVOV EV Ti] TOV dVepWTTOV KaTaaKEvi] TO KOlVUJVlKOV EaTl; vgl. weiter 5,6.16.29; 6,7.14; 8,2 u.ö. 32 Vgl. 3,16,3; 10,11,4; 12,31: ETTEaeal (AOY4J Kai) eE4J; 7,31: dKoAoveryaov eE4J; 12,23. 33 Die von Mark Aurel genannten Tugenden treten öfters in Tugendkatalogen auf, welche die Eigenschaften des tugendhaften Weisen, des glückseligen Menschen benennen, vgl. 3,16,4; 4,33.49; 5,7.9.33; 6,10; 8,1.51; 10,8. 34 V gl. bes. die Zusammenstellung von dyaeos- mit KaAos-; TE AElOS- und 8LKalos- in 10,1,3; weiterhin die inhaltliche Beschreibung in 3,16 (s.o); 4,24; 5,15. 35 In seiner Übersetzung hat Rainer Nickel KaAos- Kat dyaeos- dvf}p treffend mit"sittlich hochstehender Mensch" übertragen - diese Übersetzung wird auch die Bedeutung von eELOsdVrlP angemessen wiedergeben.
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Teil 11: Semantische Analyse: BEta.) KTA. in ethischem Kontext
weise auch Cl7rAovS'; dKEpaLoS'; aEj1voS'; GK0j1CP0S'; ßcoacßr]S'; cUj1cvr]S'; cpLAoaTopyoS' (6,30); dA T]ßryS'; Ej1CPPUJV; aVj1CPPUJv; VTTEPCPPUJV (10,8).36 Abschließend noch eine Beobachtung zu dem merkwürdigen Abschluß des Abschnittes: "Denn es ist durchaus möglich, ein ßcLOS' dVr]p zu werden und (trotzdem) von niemand erkannt zu werden". Dieser Zusatz hat die Kommentatoren schon lange beschäftigt, denn der Gedanke, daß das tugendhafte, glückliche Leben bzw. der gute Mensch verborgen bleiben könnte, ist für das stoische Verständnis in sich vollkommen widersprüchlich. So beteuert Mark Aurel, die Eigenschaften des Guten stünden ihm ins Gesicht geschrieben, er könne nicht verborgen bleiben: 0 dyaßoS' Kat aTTAOUS' Kat cUj1cvryS' ... OU AavßaVcL (11,15)! Der Widerspruch läßt sich nur dann aufheben, wenn man die Aussage über den betreffenden Absatz hinaus auf 7,66 zurückbezieht: 37 Woher wissen wir, ob nicht Telauges in einer besseren seelischen Verfassung war (n]v 8ui8EUlV KpE{ TT&..W i]v) als Sokrates? Denn es reicht nicht aus, daß Sokrates ruhmvoller (lv80f6TEpOV) starb und geschickter mit den Sophisten diskutierte, standhafter in der Eiseskälte die Nacht verbrachte und sich, als er den Befehl erhalten hatte, den Mann aus Salamis zu holen, öffentlich tapferer widersetzte und sich auf der Straße zu mokieren pflegte, worüber man sich vor allem Gedanken machen müßte, wenn es wahr wäre. Man muß vielmehr darauf achten, was für eine Seele Sokrates hatte und ob er sich damit begnügen konnte, einfach nur gerecht zu sein gegenüber den Menschen (8{KalO5' Elval Tll TTP05' dv8pWTTOV5') und fromm zu sein gegenüber den Göttern (ÖUlO5' Ta TTP05' 8EOV5') und sich dabei nicht zu ärgern über die Schlechtigkeit, der Unwissenheit eines Menschen nicht nachzugeben und alles, was ihm aus dem Weltganzen zugeteilt wurde, nicht als etwas Fremdes anzunehmen oder als unerträglich zu empfinden und für die Bedürfnisse des Fleisches keine Sympathie zu hegen.
Was die wahre Beschaffenheit der Seele eines Menschen ist, d.h. ob jemand ein guter Mensch ist,38 wird nicht durch das, was einen Menschen (wie Sokrates) berühmt gemacht hat, bestimmt, sondern nur dadurch, ob er den ihm zustoßenden Ereignissen in seinem Inneren mit (stoischer) Gelassenheit der Zustimmung erteilt oder nicht. Insofern ist es möglich, ein sittlich hochstehender Mensch (dyaßoS'/ßcLOS' dVr]p) zu sein, ohne daß man notwendigerweise wie Sokrates sehr berühmt und von aller Welt anerkannt sein muß. Insofern kann man ßcLOS' dvryp sein, ohne als solcher erkannt zu werden (wie vielleicht Telauges ?). 39 36 In 7,66 ist auch die Rede von 8{KalO5' Ta TTP05' dv8pWTTOV5' / ÖUlO5' Ta TTP05' 8EOV5', Begriffe, die in ähnlicher Gestalt wieder bei Diogenes Laertios begegnen werden. 37 Med. 7,66. Die Absätze der Selbstbetrachtungen sind oft in thematischer Hinsicht mehr oder weniger fest untereinander verknüpft. In dem vorliegenden Teil fällt auf, daß auch mehrere thematische Verbindungen zu dem nachfolgenden Absatz (7,68) bestehen (vgl. uVYKpllla / epvpalla; Ta lavToD vep' lavTCiJ TTolELu8al / Xpf}OEl TiJV VTToßEßA1]IlEVWV; lv oAl Y[UTOl5' KELTal / OV 8vUIlETaXE{pluTOV ... Kat EVEPyE5'). 38 Immer wieder lehnt Mark Aurel den Ruhm ab als etwas, was für das tugendhafte Leben völlig belanglos ist (d8uiepopov); vgl. den sarkastischen Gebrauch des Diminutivs 80fdplOV in 4,3; 5,1; 6,16; 8,8; 10,8. 39 Wie man trotz besseren Wissens krampfhaft versucht hat, um jeden Preis der 8EL05' äv8pWTT05'- Terminologie einen religiösen Aspekt anzuhängen, kann schön an Hand eines
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eclo~ KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
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3.3 Nochmals Diogenes Laertios 7,117-119: "Die Weisen sind eELoL" Wir haben hier oben die aus dem unmittelbaren Kontext hervorgehenden paradigmatischen Sinnbeziehungen des Adjektivs 8ELOS' in Diogenes Laertios 7,117119 aufgezeigt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es hier wie in einigen anderen Texten einem Wortfeld aus Qualitätsadjektiven, die sich auf religiösethische Qualitäten beziehen, angehört. Eine solche Deutung steht indes quer zu jener Deutung, die sich in der ßELOS' dV7jp-Forschung großer Beliebtheit erfreut, nämlich daß in dem Text die Apotheose des stoischen Weisen angesprochen werde. Die Hypothese, die Stoa habe das Dogma vom göttlichen Weisen gepflegt und dadurch den Weg für einen verbreiteten Gottmensch-Glauben geebnet, findet in der ßELOS' dvryp-Forschung einen breiten Konsens. Wir wenden uns also erneut dem Abschnitt Diogenes Laertios 7,117-119 zu. Bevor wir den Text analysieren, fragen wir jedoch erst nach einem möglichen religiösen Hintergrund der Aussage, daß die Weisen 8ELOL seien.
3.3.1 Die Vorstellung vom vergättlichten Weisen als hermeneutischer Hintergrund von Diogenes Laertios 7,119? 3.3.1.1 Der stoische Weise in der
f)ELo~
dMjp-Forschung
Schon Iustus Lipsius versuchte zu belegen, daß die Stoiker den Weisen in die Nähe der Götter rückten. 40 Nach Jacob Bernays41 hätten die Stoiker Heraklits berühmtes, auf physiologischem Boden entstandenes Diktum dßavaToL 8V1]TOi, ßVT]Tol dßavaToL in ihr logisches und ethisches System verpflanzt, indem sie den Weisen zuerst vorsichtig als gättlich42 bezeichnet hätten, dann aber weitergeschritten seien und die Unterschiedslosigkeit zwischen einem Gott und dem Weisen in immer unangemesseneren Ausdrücken hervorgehoben hätten, bis sie Zitats aus Bieler, BEJOL; ANHP I, S. 19 illustriert werden: "Auch Mare Aurel scheint ... , wenngleich er nur von der sittlichen Persönlichkeit spricht (von mir hervorgehoben, DdT), die religiöse Ausdrucksweise vor" Augen zu haben; anders kann ich mir die unmittelbare Nachbarschaft von 8clOV äv8pa ycvia8at und UTrO flT]8cvoS' YVUJpta8fjvat - ein stehendes Charakteristikum des Pneumatikers (?) - nicht erklären". Man darf eher fragen, ob der Zusatz, der den Kontext von 7,67 sprengt, durch die Polysemie des Ausdrucks 8clOS' dvljp veranlaßt wurde. Denn für einen Stoiker muß der Begriff in seiner anderen Bedeutung (GarantIBegründer einer Tradition, vgl. dazu Teil III hier unten) unwillkürlich den Namen des Sokrates als Begründers der Grundsätze stoischer Ethik konnotieren. 40 Iustus Lipsius, Manuductio ad stoicam philosophiam III, Antwerpen 1604, § 14, S. 177180. 41 Jacob Bernays, Die Heraklitischen Briefe. Ein Beitrag zur philosophischen und religionsgeschichtlichen Litteratur, Berlin 1869, S. 36-43.135-137. 42 Diog. Laert. 7,119. Für Bernays (wie für Lipsius, a.a.O.) ist der Ausdruck "er sei göttlich" weniger aussagekräftig als "er sei gottgleich" . Mit diesem sei eine Gleichstellung von Gott und Mensch, mit jenem nur eine bestimmte Ähnlichkeit gemeint.
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ihn später, wie sie es eigentlich von Anfang an gemeint hätten, sogar als Gott 43 bezeichnet hätten. Als nächster hat Hans Windisch44 die Theorie eines vergöttlichten Weisen weiter ausgebaut. Ihm zufolge hat die Stoa eine "Lehre vom ßELOS' avßpUJTToS''' entwickelt, nach der sie ihn exklusiv mit dem 'Weisen' identifiziert habe. 45 Voraussetzung der Lehre sei die Verwandtschaft der Menschen mit den Göttern. 46 Unter Berufung auf die Aussage von Diogenes Laertios 7,119f. schreibt er den widersprüchlichen Satz: "Die Göttlichkeit wird also auf ein göttliches Wesen zurückgeführt, das die Weisen in sich tragen: es wird ihr philosophischer Charakter gemeint sein ... "47 Windisch zufolge erweist sich die Göttlichkeit des Weisen nach stoischer Vorstellung vor allem im kultisch-theologischen Kontext, d.h. durch sein theologisches Wissen, seine kultische Reinheit und seinen Gesamtcharakter , so daß nur ein Philosoph ein Weiser sein könne. 48 Außerdem verfüge der göttliche Weise über einige übermenschliche Eigenschaften bzw. über menschliche Vollkommenheit. 49 Bei Epiktet lasse sich ein neuer Typ des Gottmenschen feststellen, nämlich der Gottesdiener bzw. der Gottgesandte, z.B. Diogenes, Chrysipp und Sokrates, sogar Epiktet selbst. 50 Als göttliches Wesen werde der Weise sogar zum Gegenstand der kultischen Verehrung. 51 Nach David Tiede 52 hat Platon das Idealbild des Sokrates geschaffen, das die Antike tiefgreifend beeinflußt hat. 53 Tiede fährt fort und zeigt, daß die philosophischen Schulen den Weisen nicht wegen seiner Wundertätigkeit ~ür göttlich gehalten hätten, sondern wegen seiner Weisheit und seines tugendhaften Mutes (moral courage). Dafür seien Sokrates, Diogenes der Kyniker und Epikur Bei43 Bernays nennt explizit Seneca, Ep. 31,11, wo es aber nur heißt, der Weise habe als Geist einen deum in corpore humano hospitantem, eine Aussage, die er nicht ohne Absicht mit der theologisch und religionsgeschichtlich vorbelasteten (und meiner Ansicht nach irreführenden) Formel "einen fleischgewordenen Gott" übersetzt. V gl. auch weiter unten die Erörterungen zum Weisen bei Seneca. 44 Windisch, Paulus, S. 40-52. 45 Windisch, Paulus, S. 42, mit Berufung auf Cicero, De divinatione 2,63, wo es heißt: Stoici autem tui negant quenqaum ni si sapientem divinum esse posse. 46 Wie ausgedrückt in der Formel tJVT]TOL tJEO{, vgl. Windisch, Paulus, S. 42 im Anschluß an Bernays, Heraklitische Briefe, S. 37-42.135-137. 47 Windisch, Paulus, S. 42. Vgl. Stobaios 2,67,20; 2,114,16. 48 Windisch, Paulus, S. 44. 49 Windisch, Paulus, S. 44, mit Verweis auf Seneca. 50 Windisch, Paulus, S. 48-51. 51 Windisch, Paulus, S. 47, mit Berufung auf Seneca, Ep. 115,3ff. Die These, der göttliche Weise sei von den Stoikern religiös verehrt worden, ist eine Kuriosität der tJELOS' aVr]p-Forschung der alten wie der neuen religions geschichtlichen Schule. Sie wird in dieser Form nicht in den maßgeblichen Darstellungen des stoischen Denkens vertreten, vgl. z.B. Zeller III.1, S. 254-263; Pohlenz, Stoa I, S. 153-158; Adolf Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epictet, Stuttgart 1894, S. 239f.; Kurt Deißner, Das Idealbild des stoischen Weisen, Greifswald 1930, S.lff. 52 Tiede, Charismatic Figure, S. 3Off. 53 Tiede, Charismatic Figure, S. 30-42. Er kritisiert zu Recht das einfache Bild von Windiseh, Paulus, bezüglich des Verhältnisses zwischen dem platonischen Sokrates und dem populären tJELOS' aVr]p, S. 34.
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spiele. 54 Er folgert daraus, daß diese aretalogischen Traditionen, obschon sie mit den Traditionen der Wundercharismatiker die propagandistische Absicht teilten, von einer anderen Begründung der göttlichen Präsenz ausgingen. Dies glaubt er auch für die Stoiker, wie sie uns in Seneca und Epiktet begegnen, nachweisen zu können. 55 Vor allem die Tradition eines leidenden Weisen, besonders des leidenden Sokrates, der als göttlicher Weiser in klarer Diskontinuität zu dem Wundertäter stehe, habe sich als mächtige Tradition unter den Stoikern erwiesen. 56 Die religiöse Qualität der stoischen Verehrung solle nicht übersehen werden, aber es sei zu beachten, daß der Fokus dieser Verehrung auf der Wiederholung von Erzählungen vom Tod berühmter Männer liege. 57 Tiede akzeptiert also das Dogma vom göttlichen Weisen, will aber von einer anderen Begründung der göttlichen Präsenz ausgehen. Wie Windisch meint er, daß die Stoiker historische Individuen, insbesondere Sokrates, mit dem göttlichen Weisen identifiziert hätten. Obwohl manche Einzelbeobachtungen in den besprochenen Darstellungen zweifelsohne richtig sind, drängt sich bei näherer Betrachtung der von den jeweiligen Exegeten herangezogenen Texte der Verdacht auf, daß sie zu isoliert von ihrem jeweiligen Kontext und von dem Kontext des Gesamtsystems der Stoa interpretiert werden. Diese Interpretationen, die sich gelegentlich sogar auf die Autorität des Buchstabens berufen können, setzen sich manchmal bequem über den Kontext, insbesondere den weiteren Kontext, hinweg, d.h. der relative Stellenwert der betreffenden Aussagen innerhalb des ganzen stoischen Systems wird nicht ausreichend beachtet. Deshalb werden wir uns darum bemühen, die für unsere jeweilige Fragestellung relevanten Texte auf dem Hintergrund des Gesamtkontextes zu interpretieren.
3.3.1.2 Der Kontext der Vorstellung vom idealen Weisen: Theologische und anthropologische Aspekte der stoischen Physik Die Stoa entwarf bekanntlich ein geschlossenes, monistisches sowie materialistisches System zur Erklärung der Wirklichkeit. 58 Ihre besondere Leistung lag u.a. darin, daß sie dies tat, indem sie die Materie intellektualisierte. Nach der Stoa besteht alle Materie aus zwei nicht unabhängig von einander existierenden Prinzipien, VA7] und A6'Yo~, wobei die Vernunft das wirkende Prinzip ist. Dieser Tiede, Charismatic Figure, S. 43-52. Tiede, Charismatic Figure, S. 53-60. Tiede, Charismatic Figure, S. 59. 57 Tiede, Charismatic Figure, S. 55f. mit Verweis auf Seneca, Ep. 115,3ff.; auch Moses Hadas, Hellenistic Civilization, New York 1959. 58 Es kann nicht Absicht der folgenden Erörterungen sein, einen Abriß der stoischen Denkens zu bieten, geschweige denn die Einzelbeobachtungen jeweils zu belegen. Dafür wird auf die Standardwerke verwiesen. Gefordert ist nur ein interpretativer Rahmen, auf dessen Hintergrund die relevanten Texte (bes. Diog. Laert. 7,119) angemessen erklärt werden können. 54
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Logos durchtränkt die ganze Wirklichkeit CSVF 11 439ff.), er ist die schaffende Natur Cc/n)aLS-), eine wirkende Kraft, das TTvcvf.1a, die Gottheit bzw. das Göttliche selbst oder, wie die Stoiker gerne metaphorisch sagen, Zeus. Gott ist also 'denkendes Feuer' bzw. 'das künstlerisch gestaltende Feuer, das auf methodischem Wege zum Schaffen schreitet'59. "Gott ist Künstler, aber er steht nicht außerhalb des Stoffes, ist nicht tranzendent, sondern der Welt immanent. Er gibt allem Gestalt, verwandelt sich selbst in alles, durchdringt die ganze Welt und macht sie selbst zu etwas Göttlichem" .60 Das stoische System ist nicht bloß ein philosophisches, sondern zugleich ein religiöses System. N ach stoischer Vorstellung durchzieht der Logos also die ganze Welt. Rein ist er aber nur im Hegemonikon droben in der Region des reinen Feuers präsent. Da der Logos den ganzen Kosmos durchdringt, ist der Kosmos als ganzer ein Lebewesen und gewissermaßen göttlich. Dies gilt besonders für die Sterne und die Sonne, die aus dem gleichen Feuer wie die Gottheit bestehen und deswegen als Götter, d.h. als sichtbare Erscheinungen der Gottheit, betrachtet werden. Auch die Welt mit ihrer jetzigen Ordnung ist in diesem Sinne Gott. Gestirne und Welt sind aber nicht wie die Gottheit, d.h. der Logos und der Urgrund des Seins, ewig, sondern vergehen in der periodischen Ekpyrosis des Alls. Das Anliegen der Stoa war also monistisch und pantheistisch. In Grunde genommen bräuchte die Stoa keine Rücksicht auf die Religion des gemeinen Volkes zu nehmen, denn das System ist in sich geschlossen und käme ohne einen Bezug zur positiven Religion aus. Praktische Interessen führten jedoch zu ihrer eher konservativen Haltung in religiösen Angelegenheiten. 61 Dies erklärt auch ihre Haltung zu den Göttern des Volksglaubens, die seit dem vierten Jahrhundert in allen Schichten der Gesellschaft schwer angeschlagen waren. 62 Sie werden mit Hilfe der Allegorese als in der Feuerregion angesiedelte Kräfte interpretiert, durch die die Allgottheit sich in der Welt entfaltet und 59 SVF I 171. Pohlenz, Stoa I, S. 95. Da die Stoiker gerade die Qualität des Altertums schätzten und besonders in der Erklärung der Entstehung der Götter großes Gewicht auf die allgemeinen Meinungen der Mensehen legte, fanden sie es schwierig, die traditionellen Vorstellungen von den Göttern schlechthin für falsch zu erklären .. Außerdem schien es ihnen vom ethischen Standpunkt her gesehen bedenklich, die Demontierung des Volksglaubens, der gerade einen Schutzwall gegen moralische Zügellosigkeit darstellte, zu fordern, wenn dies auch ihr eigenes Anliegen war, vgl. z.B. Epiktet Diss. 2,20,32f. Zur religiösen Haltung der Stoa vgl. Zeller 111.1, S. 319ff.; Bonhöffer, Ethik, S. 243-249. 62 V gl. die sehr einleuchtenden Erörterungen zur Lage der Volksreligion und der Götter im Hellenismus und in der Kaiserzeit in Nilsson, GgrR 11, S. 293-309.723-730. Vgl. die völlig richtige Bemerkung von Günther Hansen, "Philosophie", in J ohannes Leipoldt u. Walter Grundmann, Umwelt des Urchristentums I. Darstellung des neutestamentlichen Zeitalters, Berlin 1966, S. 346-370, da S. 351: "Der Mythologie und Kultreligion der Griechen wurde allerdings, und nicht nur bei den Gebildeten, der Boden vollends entzogen, und daran änderten auch nichts die eifrigen Bemühungen der Stoiker, die homerische Götterwelt durch Allegorese für ihr System zu retten, ihre und der Epikureer Loyalität gegenüber den traditionellen Kulten, oder der Versuch des Platonismus, die Götter des Volksglaubens in seine Hierarchie einzuordnen. " 60 61
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manifestiert. 63 Die Stoiker bezeichneten infolgedessen ohne Vorbehalt alles, worin sie eine göttliche Kraft erkannten, in dieser abgeleiteten Weise als göttlich. 64 Es handelte sich jedoch nicht um persönliche Gottheiten mit eigener Persönlichkeit, so daß an der folgenden Aussage Hirschbergers festzuhalten ist: "Die vielen persönlichen Termini, die ... für die Gottheit verwendet werden und hauptsächlich aus der Mythologie Homers stammen, sind jedoch bloße Metaphern und können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das religiöse Gefühl des Stoikers Naturgefühl ist; denn sein Gott bleibt das AIl."65 Ihre Grundhaltung ist also in dieser Hinsicht durchaus monotheistisch 66 - in Wirklichkeit gibt es die Götter als individuelle Persönlichkeiten gar nicht. Sie sind nur Chiffren für die Mächte in der Natur bzw. dem AI1.67 Die Stoa rechnete also mit Verdichtungen der Gottheit, in denen der göttliche Logos sich in der Welt manifestiert. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, warum sie nichts einzuwenden hatte gegen die Verehrung der Heroen oder Wohltäter der Vergangenheit, wie Herakles, Dionysos, die Dioskuren und bei den Römern auch noch Romulus, die in den Sagen von den Dichtern gepriesen werden. 68 Diese wegen ihres Verdienstes um die Menschheit verehrten Menschen sind Heroen, d.h. Seelen, die nach dem Tod außerhalb des Körpers weilen. 69
63 Keine Götter sind allerdings die Dämonen, die entweder als Mittelwesen oder Potenzen in der Luftregion, die den Menschen an Kraft überlegen, aber schon in die Sinnlichkeit verstrickt sind, oder als die göttliche Seele des Menschen gedeutet werden. Sie dienen der Gottheit dazu, auf die Menschen einzuwirken, vgl. Zeller III.l, S. 327-330; Pohlenz, Stoa I, S. 96. 64 Vor allem in vier Fällen erkannten die Stoiker die Göttlichkeit in einer solchen abgeleiteten Weise an: die Gestirne als reinste Manifestation des göttlichen Wesens, die Elemente als erste besondere Gestaltungen der göttlichen Kräfte, alles andere, das sich in seiner Brauchbarkeit als wohltätige Wirksamkeit der Gottheit erweist, sowie Wohltäter aus der Vorzeit, in deren Vernunft der göttliche Geist sich offenbarte. 65 Johannes Hirschberger, Geschichte der Philosophie I. Altertum und Mittelalter, 13. Aufl. Freiburg i. Br. 1976, S. 256. 66 Damit wird der Stoa nicht unterstellt, eine persönliche Religion im jüdisch-christlichen Sinne zu sein. Dies trifft nicht einmal für Epiktet zu, der manchmal für einen verkappten Christen gehalten wird. V gl. Nilsson, GgrR II, S. 398: "Der Gott Epiktets ist etwas blaß, ohne Pesönlichkeit. Ich fürchte, daß, wenn wir sein 6 ßc6s- mit 'Gott' übersetzen, ... wir etwas zu Persönliches hineintragen; ... Es scheint zweifelhaft, ob Epiktet mit vollem Recht Monotheist genannt werden kann ... ; sein Monotheismus beschränkt sich auf den Gott, der eigentlich ein philosophisches Prinzip ist." 67 V gl. zum Beitrag der Stoa zur Demontierung des Götterglaubens Nilsson, GgrR 11, S. 267: "Mit Recht darf man behaupten, daß die Stoa den Aberglauben rettete und den alten Götterglauben untergrub. Denn sie nahm den Göttern ihre Persönlichkeit und menschliche Gestalt, und mit dem Anthropomorphismus fiel die alte Religion. Die Götter wurden zu hinter den Erscheinungen stehenden Kräften". 68 Cicero N. D. 1,15,38f; 2,24,62. 69 Z.B. Diogenes Laertios 7,151. Die meisten Stoiker glaubten, daß die Seele nach dem Tod für eine Zeit in kugelförmiger Gestalt existiert und dann im All aufgeht. Umstritten war lediglich, ob alle Seelen oder nur die kräftigsten (z.B die der Weisen) bis zur endgültigen Auflösung in der Ekpyrosis erhalten bleiben. Die Stoiker leugnen also ein Leben nach dem Tod. Man beachte, daß sie sich Mühe geben, den vergöttlichten Figuren aus der Mythologie einen Platz in der Physik einzuräumen.
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Auch die stoische Lehre vom Menschen ist wie alles andere von der Gesamtkonzeption des Systems bedingt. 70 Die Welt besteht nach der Stoa aus vier Grundelementen, nämlich Feuer, Luft, Wasser und Erde (wobei das Feuer eine Vorrangstellung einnimmt), die den vier Grundqualitäten, die der Logos bzw. das Pneuma dem Stoff mitteilt, nämlich warm, kalt, feucht und trocken, entsprechen. Die Vermischung dieser Elemente mit dem aus dem Feuer hervorgehenden Pneuma bringt die übrigen Dinge in der Welt hervor. Da nach stoischer Vorstellung alle Elemente nicht die gleiche Dichte haben, entsteht eine bestimmte Schichtung im Kosmos. Zur Zeit ist die äußerste Schale der Weltkugel von Feuer beherrscht, so daß in dieser höchsten Sphäre die Sterne und Planeten kreisen. Darauf folgt eine Luftschicht, dann eine Wasserschicht, dann die feste Erde als Kern. Weil das Pneuma die ganze Welt in unterschiedlicher Art, Reinheit und Stärke durchzieht, ist das Seiende auch qualitativ gestuft. Auf der untersten Stufe stehen die anorganischen Körper, wie Gestein, auf der nächsten die Pflanzen, die zwar eine cpvaLS', aber keine Seele besitzen. Auf der nächsten Ebene stehen die Tiere, die sich von den Pflanzen darin unterscheiden, daß sie eine Seele haben und infolgedessen sinnliche Wahrnehmung, d.h. die Fähigkeit, Vorstellungen zu bilden, und den Trieb erhalten. Die höchste Stufe bilden die vernunftbegabten Wesen. 71 Hierzu gehört der Mensch, der sich vom Tier darin unterscheidet, daß seine Seele das Vernunftvermögen (i}YEf.10VLKOV, 8LaVoT}Tr KOV, AOYLaTLKov, AOYLaf.10S') als führende Instanz72 hat bzw. am Logos teilnimmt, was ihm die Begriffsbildung (z.B. vom Guten und Bösen), das Denken, die freie Entscheidung usw. ermöglicht. In der Stoa wurde die scharfe Grenze, die zwischen Mensch und Tier existiert, immer wieder hervorgehoben. Für sie stand der Mensch trotz aller Gemeinsamkeiten mit den Tieren wegen der Vernunftbegabung seiner Seele auf der Seite der göttlichen Wesen. Diese allgemeine und natürliche Göttlichkeit des Menschen wird immer wieder von den Stoikern unterstrichen.?3 Dies wird von einem weiteren Aspekt der stoischen 70 Vgl. Zeller, Philosophie III.l, S. 197. Zur Anthropologie der Stoa, vgl. Zeller III.l, S. 197-209; Pohlenz, Stoa I, S. 81-93. 71 V gl. SVF II, fragm. 530ff. 458ff. 72 V gl. Galen, De Hippocr. et Plat. 2,3: EaTL Ta rrYEf10VLKOV, wS' Kal aUTol ßOVAOVTaL,
TO KaTap,ov alaerjaEuJS' TE Kal Opf1ijS'. 73 Z.B. Epiktet Diss. 1,14,6.12.14: dM' al ljJvxal f1EV OVTWS' Elalv iv8E8Ef1EvaL Kal avvacpELS' T4J eE4J äTE aUTov f10pLa olJaaL Kal drroarraaf1aTa, ou rravToS' 8' aUTCJv KLvrjf1aToS' äTE OlKE{OV Kal aVf1cpvovS' 0 eEOS' alaeavETaL; ... TOVTO 8i aOL Kal 1/ r IUJ77V " "EXELS' 8/vvaf1Lv T4J,. . t..JLL; A / '11' "8ov EaTL ' I auc h /\ErEL TLS', OTL ... a/\/\ 0r eEOS' E~ .... V g. I
I
Diss 9,4-6.11f.14.22-25, wo die Verwandtschaft von Gott und Mensch aufgrund der Vernunft betont wird; ähnlich Diss 12,26f., wo der Mensch KaTG AOrOV den Göttern gleichgestellt wird: "Zu der Weltseele verhält sich die Einzelseele wie der Teil zum Ganzen. Die Seele des Menschen ist nicht bloß in derselben Art wie alle anderen lebendigen Kräfte ein Teil und Ausfluß der allgemeinen Lebenskraft, sondern sie steht durch ihre Vernünftigkeit in einem besondern Verwandtschaftsverhältnis mit dem göttlichen Wesen, welches um so stärker hervortritt, je ausschließlicher wir das Göttliche, die Vernunft, in uns walten lassen" (E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung III.l, S. 204 f.). Zeller fährt in einer Anmerkung (ebd., Anm. 2) fort: "In diesem Sinne (hervorgehoben von mir)
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Ontologie untermauert. Nach stoischer Vorstellung entsteht der Mensch am Anfang jeder Weltperiode unter Einwirkung des göttlichen Feuers bzw. Pneuma aus dem Erdboden. Diese der Vernunft nahestehende Menschheit entartet während des Verlaufs der Geschichte und verliert immer mehr an Gottähnlichkeit, bis nach dem nächsten Weltbrand ein neues, ungetrübtes und der Gottheit aufs Neue ähnelndes Geschlecht gezeugt wird. 74
3.3.1.3 Die stoische Lehre vom idealen Weisen 75 Der stoische Mensch strebt das sokratisch-kynische Ideal des tugendhaften Lebens an, indem er die Affekte mit der Vernunft zu beherrschen versucht. N ach der stoischen Handlungstheorie hat ein rationales Wesen zunächst eine Vorstellung von einer Handlung (cpavTaala) , die einen Trieb zur Ausführung weckt (6pj.1 Tj). Der Trieb wird aber erst dann in eine Handlung umgesetzt, wenn der Logos mit seinem Sitz im rJycj.10VLKOV ihm die Zustimmung (CJvYKaTdßcCJLS') erteiltnachdem er die Vorstellungen bewertet hat. Der aufrechte und unpervertierte Logos besitzt aber die Einsicht (cpPOVT]CJLS') , daß es keine echten Güter gibt, wertet also alles als d8Laif;opa, so daß keine falschen Wertsetzungen zu der Entstehung von Affekten führen können. In dieser reinen Vernunfterkenntnis liegt die Tugend, die dem Glück entspricht. Offensichtlich ist die Zustimmung der Vernunft das wichtigste Glied in der stoischen Handlungstheorie, denn hier wird auch die Willensfreiheit angesiedelt. 76 Die stoische Physik (d.h. auch Ontologie und Anthropologie) ist ganz von den Erfordernissen dieser Ethik bestimmt. Der Materialismus soll die Unverfügbarkeit der äußeren Dinge sicherstellen, und die Naturerklärung muß außer Zweifel setzen, daß der Trieb wirklich der Vernunft untergeordnet ist.?7 Dies wird dadurch geleistet, daß der Logos, der Ort der freien Willens entscheidung bzw. der Zustimmung, als Extention des kosmischen Logos bzw. Pneuma betrachtet wird. Der Mensch unterscheidet sich gerade darin vom Tier, daß er als vernünfnennt z.B. Sen. ep. 31,11 den animus rectus, bonus, magnus einen deum in corpore humano hospitantem 74 V gl. dazu Zell er 111.1; S. 260, Anm. 2. Trotz aller Unverdorbenheit haben auch diese Menschen die Vollkommenheit bzw. Tugend nicht von Natur her besessen, vgl. Seneca Ep. 90,44f. 75 Vgl. zum Weisen SVF 111 544ff.; Zeller III.1, S. 254-263; Pohlenz, Stoa I, S. 153-158; Bonhöffer, Ethik, S. 144-153.239f.; Deißner, Idealbild, passim (Rez. Karl Groos, Deutsche Literaturzeitung 51,1930, S. 1688-1691); RudolfBultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich 1949, S. 151-162; Ludwig Edelstein, The Meaning of Stoicism, Cambridge/London 1966, S. 1-18. Die vollständigste und auch differenzierteste Darstellung bietet Wilhelm Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca, Diss. Freiburg 1952. Eine systematische Auswertung aller stoischen Texte, die den Weisen als Thema haben, steht noch aus. 76 Vgl. Hossenfelder, Philosophie, S. 45-67. 77 V gl. Hossenfelder, Philosophie, S. 79. 1/.
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tiges Wesen tugendhaft handeln kann und darin der Gottheit gleich ist. Für die Stoa ist der Mensch schlechthin ein göttliches, d.h. vernünftiges, Wesen. 78 Seine Aufgabe besteht darin, sein ihm eigenes Wesen, das in der Vernunft zu finden ist, zu verwirklichen. 79 Er soll ein naturgemäßes Leben (olloAoYOVIlEVUJS' Ti] cpuaEl (fjv) in Übereinstimmung mit dem Logos führen. Der Stoiker soll also sein, wie er eigentlich von Natur her veranlagt ist. Dies ist aber nicht so einfach, denn der Logos des Menschen wird von Anfang an durch seine Umwelt pervertiert, so daß diese Zielsetzung der Stoa die Menschheit geradezu in zwei scharf getrennte Gruppen zerfallen läßt, nämlich in Weise und Toren. Diese leben in der absoluten Unwissenheit und führen eine unselige Existenz, jene sind im Besitz der Erkenntnis und führen ein vollkommenes, glückliches Leben, ungetrübt von jedweden Affekten. Die Stoiker werden nicht müde, den Weisen in leuchtenden Farben zu malen. Bei ihm ist der aufrechte Logos gesund und stark (op8oS' AOY0S'), weil der Logos des Weisen in Harmonie mit dem allgemeinen Logos ist. Weil er folglich den Wert aller Dinge kennt, würde er nie einer falschen Vorstellung zustimmen. Indem er immer richtige Werturteile fällt, kann er gar in der Zustimmung die Selbstzwecke bestimmen. Nie führt seine Zustimmung also zum Affekt, der Weise ist crrraßTjS'. "Er ist der vollkommene Mensch ... Er braucht nichts, ist autark; denn in der Erkenntnis und der Tugend besitzt er das einzige Gut, das dem Vernunftwesen zuteil werden kann. Und dieser Besitz stellt ihn der Gottheit gleic~ ... er darf auch das Vertrauen haben, daß die Gottheit ihr Wohlgefallen an dem Menschen hat, der ihr eigenes Wesen auf Erden in reinster Form darstellt. Er ist selbst ein 'göttlicher' Mensch."8o Der Weise verwirklicht das Sein des Menschen, er realisiert sich als vernunftbegabtes Wesen; er wird zu dem, wozu er veranlagt ist. 81 Der Weise verkörperte also für die Stoa das Ideal des richtigen Handelns.8 2 Als solches diente er den Stoikern als Vehikel, um ihre Normen zu formulieren, indem sie die angestrebten Normen mit Hilfe des hypothetischen Auftretens des Weisen in einer bestimmten Situation veranschaulichten. Sie entwarfen das Bild des überaus glücklichen Weisen und überließen es den Zuhörern, daraus die nötigen Konsequenzen für die eigene Lebensführung zu ziehen. Nach stoischer Anschauung hat es einen Weisen allenfalls ein- oder zweimal in der Geschichte,
78 Zur Frage der Gottesverwandtschaft des Menschen in der Stoa vgl. Adolf Bonhöffer, Epictet und die Stoa. Untersuchungen zur stoischen Philosophie, Stuttgart 1890, S. 76-80. 79 Seneca 76,8-10. 80 Pohlenz, Stoa I, S. 156. 81 In dieser Hinsicht formuliert Tiede, Charismatic Figure, S. 53 richtig: " ... it is clear that the wise man's close bond with the gods, indeed his own divinity, is a function of his rational understanding and not due to any magical short circuit by which he gains power to defy the order of nature. " 82 So u.a. Edelstein, Meaning, S. 11: " ... the figure of the Stoic sage is an ideal. It shows the virtues of man, what he could and should be like."
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wahrscheinlich aber gar nicht gegeben. 83 Jedenfalls sind die Schulgründer keine Weisen gewesen. 84 Der Weise war das absolute Vorbild, der ideale Mensch, der menschgewordene Logos, ohne die individuellen Züge des Einzelmenschen85 , also ein Mythos.8 6 In Wirklichkeit gab es den Weisen nicht.8 7 Obwohl die meisten Stoiker die theoretische Möglichkeit der sittlichen Vollkommenheit nie geleugnet hätten, tritt an die Stelle des idealen Weisen jedoch der konkret Fortschreitende, der die Brücke zwischen dem idealen und dem empirischen Menschen bildet. 88 Diejenigen, die den Stoikern die fortschreitende Vergöttlichung von Menschen unterstellen, berufen sich vor allem auf einige Stellen bei Seneca89 und besonders auf die Aussage in Diog. Laert. VII 119, wo es lautet, eELOVS' T' Elval (TOUS' aocpouS')' EXElV rap lv laVTOLS' OlOVEL 8EOV.90 Ausgehend von einem sehr allgemeinen, vagen Begriff von dem, was Göttlichkeit konstituieren solle, wird besonders letztere Aussage in der eELOS' av8pUJTToS'- Forschung als Beweis für die Vergöttlichung (im Sinne der Apotheose) des Weisen in der Stoa interpretiert. Diese Lesart setzt sich aber, wie die Analyse hier oben zeigt, über den Kontext bei Diogenes selbst und über den Stellenwert einer solchen AusVgl. Sen, Ep. 42,1; Sext. Emp. 7,432 0 aoq;o5' aVEVpET05'; Clem. Alex. Stromateis 2,438 8vaEVpET05'; Philo De mut. nom. 4 avvTTapKT05'. 84 So bezeichneten die Stoiker nicht einmal Sokrates, Diogenes und Antisthenes als Weise, sondern nur als Fortschreitende; vgl. Diog Laert 7,91: TEK/1ryPlov BE TOU vTTapKn]v ELval 83
T7]V apET7}V q;TJalV 0 [JoaEl8wVlO5' Iv TtiJ TTPWTfjJ TOU 7j(}lKOU AOYOV TO YEvEa(}al Iv TTPOKOrrij TOU5' TTEpt IWKpaTTJV Kat LllOYEVTJV Kat 'AvTla(}EVTJV. 85 Einleuchtend ist das Bild, das Edelstein, Meaning, S. 11 benutzt, um den Status des idealen Weisen zu verdeutlichen: es verhalte sich mit ihm wie mit der platonischen himmlischen Stadt - wie bei dieser sei es einerlei, ob er wirklich existiere bzw. wie oft er auf Erden realisiert werde. Die Vernachlässigung dieses Aspektes der stoischen Lehre vom idealen Weisen führte in der (}ElO5' avryp-Forschung dazu, daß der Weise leichtfertig mit historischen Persönlichkeiten, insbesondere mit Sokrates, identifiziert wurde, vgl. z.B. Windisch, Paulus, S. 40-52 und Tiede; Mirac1e Worker, S. 53-61. Ein solches Verfahren ist zurückzuführen auf mangelnde Beachtung des gesamten religiös-philosophischen Kontextes. 86 Vgl. SVF III 657f.662.668; Zeller III.1, S. 254ff.; Pohlenz, Stoa I, S. 157f., Hossenfelder, Philosophie, S. 67f. 87 Vgl. Zeller III.l, S. 277: "Gibt es aber in der Wirklichkeit keine Weisen, so hebt die Scheidung der Menschen in Weise und Toren sich selbst auf: alle Menschen gehören zu den Toren, der Begriff des Weisen ist ein unwirkliches Ideal." "So ist der stoische Weise von vornherein gleichsam ein mythisches Gebilde. Er ist eine Gedankenkonstruktion, eine Extrapolation wirklichen Menschentums", Pierre Grimal, Seneca. Macht und Ohnmacht des Geistes, Impulse der Forschung 24, Darmstadt 1978, S. 286. 88 Der Begriff TTPOKOTTTWV ist wahrscheinlich von Kleanthes als terminus technicus eingeführt worden, der Sache nach aber schon von Zeno, vgl. Bonhöffer, Ethik, S. 147-150.212222. 89 Vgl. z.B. Epist. 31,8.11; 41,4f.; 53,11f.; 59,14; 73,~3-)6; 87,19f.; 9~,3; 115,3-6; .De provid. 1,5f.; 2,9; 6,6; De const. sap. 8,2. Zu Seneca vgl. die Uberlegungen 1m Exkurs weIter unten. 90 Z.B. Windisch, Paulus, S.42; Betz, Gottmensch, Sp. 284, Tiede, Charismatic Figure, S. 53. Lipsius, Manuductio, § 14. Bernays, Heraklitische Briefe, S. 135-137 meint, die Formulierung TOU5' aTTov8aLOV5' / TOU5' aoq;ou5' (}ELOV5' ELval reflektiere ~ur eine Vorstufe der späteren ausformulierten Vergottung, sie deute nur auf ein gewisse Ahnlichkeit zwischen Weisen und Göttern hin, nicht aber auf Gleichheit.
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sage innerhalb des ganzen stoischen Systems hinweg. Auf diesem Hintergrund wird deutlich, daß es zumindest irreführend ist, den stoischen Weisen als Beispiel für die Vergöttlichung von Menschen im Hellenismus und in der Kaiserzeit oder für die Entwicklung einer sogenannten ßELOS- avßpuJ7Tos--Lehre anzuführen. Einerseits kannte die Stoa eine universale Teilhabe am Göttlichen - dies ist eine zwingende Konsequenz ihres Pantheismus 91 - so daß je der Mensch etwas Göttliches in sich und damit die Aufgabe hat, mit dem Göttlichen in Einklang zu leben. 92 Dies ist aber eine ethische Forderung, die im Ontischen, im Sein jedes Menschen selbst begründet ist. Andererseits ist das Ideal des sittlich vollkommenen Menschen, eben ein Ideal, das der Mensch anstreben soll, ein Vorbild, das den ethischen Imperativ ersetzt. Auch hier ist es schlechthin nicht einleuchtend, dieses Idealbild als Beleg für einen verbreiteten Vergöttlichungsglauben heranzuziehen - den Weisen gab es geschichtlich nicht; eine kultische Verehrung eines solchen ist dementsprechend nicht belegbar. Richtig urteilt Pohlenz dann auch: "Stoisch ist die Vergottung [von Menschen] nicht."93
Exkurs: Der sogenannte vergöttlichte Weise bei Seneca94 Um den Stellenwert des Weisen innerhalb der Philosophie Senecas beurteilen zu können, ist es notwendig, diesbezügliche Aussagen nicht isoliert, sondern immer im Zusammenhang seines ganzen Denksystems zu betrachten. 95 Seneca war ein überzeugter Stoiker, der trotz bestimmter Abweichungen von der Lehre der früheren Stoiker nicht die von den Alten gesetzten Grenzen überschreitet. 96 Obwohl seine Philosophie sich auf die ethische Komponente konzentriert (wie die kaiserzeitliche Philosophie überhaupt), bildet sie mit der Physik eine Einheit. Auch Seneca setzt voraus, daß nur Körperliches wirklich ist. Vom Stoff unterscheidet er die wirkende Kraft, das Pneuma, den spiritus bzw. die Gottheit. In dieser ontologischen
91 Ein derartiger universaler Pantheismus, der sogar den Götterglauben in Wanken bringt, muß notwendigerweise auch jeder Form der kultischen Verehrung von Menschen widerstreben. Dies hat sich in der Ablehnung des Herrscherkultes durch die Stoa gezeigt, vgl. Taeger, Charisma I, S. 394f.; Pohlenz, Stoa 11, S. 141; Edelstein, S.13-15 will sogar einen Zusammenhang zwischen der Ablehnung des hellenistischen Herrscherkultes und der Entstehung des Weisenideals feststellen. 92 Daß ein derartiges Menschenbild im Grunde genommen ein 8ElOS- äv8pWTTOS-- Ideal ausschließt, hat Windisch, Paulus, S. 26 geahnt, aber für seine weitere Untersuchung nicht fruchtbar gemacht: "Richtiger ist wohl, zu sagen, daß die Verehrung einzelner Menschen als eElOL mit diesem Allgemeinglauben (daß alle Menschen göttlicher Natur seien, D.d.T) in Konkurrenz steht. Wer an eElOL glaubt, beschränkt die Gottähnlichkeit und Gottesverwandtschaft ausschließlich auf diese außergewöhnlichen, gottbegnadeten, den Göttern wirklich 'näher' stehenden Menschen". 93 Pohlenz, Stoa 11, S. 141. 94 Obwohl Seneca als lateinischer Schriftsteller in dieser Arbeit eigentlich nicht berücksichtigt werden sollte, zwingt die zentrale Rolle, die seine Konzeption des Weisen in der eElOS- äv8pWTTos-- Forschung spielt, zu einer kurzen Stellungnahme. 95 Vgl. Wilhelm Ganss, Das Bild des Weisen bei Seneca, Diss. Freiburg 1952. 96 V gl. Pohlenz, Stoa I, S. 306: "Da behält die stoische Weltanschauung allein Geltung, und in den entscheidenden Fragen zieht Seneca ganz scharf die Grenzlinien".
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Grundstruktur unterscheidet Seneca sich gar nicht von seinen Vorgängern, denn auch er findet Gott im körperlichen Pneuma,97 erklärt Gott und Welt für eine Einheit,98 sagt, Schicksal, Weltablauf und Gott seien eins 99 und auch sein Gott sei eingebunden in die unveränderbare Verkettung von natürlichen Ursachen. 100 Nur in der Hervorhebung der sittlichen Seite der Gottesidee, die sich in der Vorliebe äußert, die Wirksamkeit Gottes unter der teleologischen Perspektive der Vorsehung darzustellen, unterscheidet er sich von der traditionellen Vorstellung. Gott ist für ihn die höchste Vernunft, seine Weisheit, Allwissenheit, Heiligkeit usw. werden ständig hervorgehoben. 101 Ohne die Grenzen der traditionellen stoischen Physik zu überschreiten (Seneca ist weder Platoniker, noch glaubt er an einen persönlichen transzendenten Gott), legt er in seinen Schriften das Gewicht eher auf die ethischen Aspekte der Gottesvorstellung als auf die physischen. Auch in der Anthropologie bildet die allgemeine stoische Lehre die Grundlage. Die Seele des Menschen besteht aus feurigem Pneuma, ist also körperlich. 102 Die Seele bzw. die Vernunft ist Ausfluß der Gottheit und nimmt am göttlichen Pneuma teil - in dieser Tatsache ist die Gottesverwandtschaft jedes Menschen begründet. 103 Diese natürliche Gottesverwandtschaft jedes Menschen, die in der Teilhabe der Welt an der allesdurchdringenden Gottheit bzw. dem allesdurchdringenden Geist begründet ist, wird von Seneca immer wieder betont. 104 Anders als in der alten Stoa macht sich jedoch (im Anschluß an Panaitios und Poseidonios) ein gewisser Dualismus in der Affektenlehre bei Seneca bemerkbar. Seneca räumt den Propatheiai, den sogenannten Vorstadien der wirklichen Affekte, die sich unabhängig vom Logos aus einem alogischen Vermögen des Menschen entwickeln, einen wichtigen Platz in der Entstehung des Affekts ein. 105 Zwei geistige Prinzipien sind im Menschen
97 Vgl. dazu Ganss, Bild des Weisen, S. 38-42 und die ausführlichen Erörterungen bei Zeller 111,1, S. 728, Anm. 4; da die relevanten Belegstellen. 98 Z.B. Nat. quaest. 1 praef. 13: Quid est deus? Mens universi. Quid est deus? Quod vides totum et quod non vides totum. Sic demum magnitudo illi sua redditur ... si solus est omnia ... Vgl. Ep. 65,23; 92,30; Nat. quaest. 2,45,3. 99 De benef. 4,7,2; 8,2; Nat. Quaest. 2,45,lf. 100 Nat. Quaest. 2,36; De provo 5,8. 101 Z.B. Ep. 95,49; De benef. 2,29; 4,3-9.25.28; Über die Allwissenheit Ep. 83,1; De vit. beat. 20,5. 102 Ep. 50,6; 57,8; 106,4. 103 V gl. Ep. 92,29: Sed "si cui virtus animusque in corpore praesens" hic deos aequat ... Quid est autem cur non existimes in eo divini aliquid existere, qui dei pars est? Totum hoc, quo continemur, et unum est et deus; et socii sumus eius et membra; Ep. 51,1: ... prope est a deus, tecum est, intus est; Ep. 53,16: Semina in corporibus humanis divina dispersa sunt. 104 Vgl. Ep. 41 (De deo in nobis), bes. § 1: ... prope est a deus, tecum est, intus est. Ita dico, Lucili: sacer intra nos spiritus sedet ... Vgl. auch Ep. 65,20f.: ... ex quo (sc. mente dei) pars et in hoc pectus mortale defluxit; Nat. quaest. I praef. 14: Quid ergo iterest inter naturam dei et nostram ? Nostri melior pars animus est, in illo nulla pars extra animum est. Totus est ratio ... (s. auch ebd. § 12). 105 Vgl. De ira 2,1-4; Ep. 113,18; 116,57. Seneca bekennt sich einerseits ausdrücklich zur poseidonischen Auffassung (Ep. 71,27; 92,1.8), verteidigt aber gleichzeitig das alte chrysippische Dogma, daß Logos und Affekt nicht getrennte Sitze hätten, sondern eine Verwandlung der gleichen Seele ins Gute bzw. Schlechte seien (De ira 1,8). Diese nicht immer klare Abschwächung der traditionellen Affektenlehre muß wahrscheinlich als Vermittlungsversuch zwischen Chrysipp und Poseidonios gedeutet werden. Zum Problem vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 307f.; Ernst Holler, Seneca und die Seelenteilungslehre und Affektpsychologie der Mittelstoa, München 1934.
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wirksam; göttlich ist nur die Vernunft, die Affekte sind unvernünftig. Diese Sichtweise führt zu der bei ihm so ausgeprägten Abwertung des menschlichen Körpers. 106 Dieser Mensch, dessen Gottesverwandtschaft nicht zu leugnen ist, dessen Schlechtigkeit aber immer wieder zutage tritt,107 strebt ein affektloses bzw. naturgemäßes Leben an, d.h. die Glückseligkeit liegt in der Tugend, die zugleich die Autarkie ist. Hierin und auch in der Begründung dieses ethischen Ziels unterscheidet Seneca sich kaum von anderen Stoikern. 108 Auch er sieht die Tugend als das Erlangen der Weisheit bzw. des Wissens über göttliche und menschliche Dinge. 109 Der Mensch strebt danach, seiner Natur entsprechend zu leben oder, wie er es sonst noch formuliert, zum Ebenbild Gottes zu werden. 110 Dieses Ideal verkörpert der Glückselige, der Weise (sapiens), der Tugendhafte (bonus vir). Ihn hat kaum ein anderer in solch grellen Farben gemalt wie Seneca. Er redet in einmaliger Weise von den exklusiven Tugenden des Weisen: 111 er allein besitze alles, nur er handle immer richtig, nur er sei der Wohltat, Dankbarkeit, Liebe und Freundschaft fähig. 112 Seneca drückt diese Vollkommenheit gelegentlich mit Hilfe theologischer Metaphern aus: 113 Der Weise sei gottgleich, 114 in mancher Hinsicht übertreffe er sogar die Gottheit bzw. die Götter. 1l5 Auch diese Aussagen wollen auf dem Hintergrund der gesamten Anthropologie und Ethik Senecas verstanden werden. Mensch und Gott treffen in ihrer gemeinsamen ratio oder virtus zusammen, der Mensch hat ja an der allgegenwärtigen mens universi, dem animus, der Weltseele oder Gottheit Anteil. Weil er seinem Wesen nach ein rationales bzw. tugendhaftes Wesen ist, ähnelt er den Göttern. 116 Auf diesen Aspekt wird der ganze Vergleich mit der Gottheit bzw. den Göttern
106 Vgl. passim das mit soviel Verachtung benutzte Wort corpusculum und z.B. Ad Helv. 11,6f.; Ep. 65,22. Der Körper wird nur als Hülle, Kerker, Behausung der Seele bzw. als FesseI oder Last betrachtet, vgl. Cons. ad Mare. 24,5; Ep. 65,16.21; 74,16; 92,10.13.23; 102,14.22.26. Vgl. dazu Zeller 111,1, S. 735-737. Die eingesperrte Seele sehnt sich infolgedessen nach der Loslösung vom Körper, die im Tod geschieht, was von Seneca mit einer solchen Sehnsucht formuliert wird, daß der Eindruck entstehen könnte, er würde eine Unsterblichkeitslehre befürworten; vgl. Ep. 57,9; 102,22f. Cons. ad Mare. 19,6; 24,5; 26,7. Aber auch in dieser Frage hält er sich an die traditionelle stoische Lehre, vgl. Cons. ad Mare. 26,7; ep. 36,10. 107 Vgl. z.B. Ep. 64. Tief beeindruckt von dem sittlichen Verfall seiner Zeit und von der unbegrenzten Frevel- und Sündhaftigkeit einer zutiefst erkrankten Menschheit schreibt Seneca seine vielen Schriften in der Uberzeugung, daß die Hauptaufgabe der Philosophie darin besteht, der Menschheit Heilung zu bringen. 108 Ausführlich dokumentiert von Zeller 111, 1, S. 739; zum naturgemäßen Leben vgl. ebd. S.213ff; zur Tugend S. 240ff. 109 Ep. 31,8; 89,5-7. Vgl. Ganss, Bild des Weisen, S. 3-10. 110 Vgl. Ep. 41,9: secundum naturam suam vivere; Ep. 31,8-11, wo das Stichwort imago dei fällt und Ep. 73,16, wo die Rede davon ist, daß das göttliche Sperma im Menschen gedeihen soll. 111 Ausführlich dargestellt von Ganss, Bild des Weisen, S. 11-83. 112 Z.B. De benef. 5,4: bonus vir omnia recte facit! Vgl. auch ebd. 7,2f.8; Ep. 59,14; 81,11f.; 87,19; 115,3-6; De const. 8,2f.; De beat. vit. 26. 113 Dazu Ganss, Bild des Weisen, S. 38-43. 114 Ep. 31,8f.11; 53,11; 59,14; 73,11f.13; 87,19; 92,3; De provo 1,5; De const. 8,2. 115 De provo 6,5; Ep. 53,11. 116 V gl. den direkten Bezug auf die errungene Virtus bzw. den ethischen Kontext in den zitierten Texten (vgl. die beiden letzten Anmerkungen), da bes. De provo 1,5; Ep. 73,11f.13: ... quanti aestimamus hoc otium, quod inter deos agitur, quod deos facit? Ita dico, Lucili, et te in caelum compendiario voco ... lupiter quo antecedit virum bonorum? Diutius bonus est; sapiens nihilo se minoris existimat, quod virtutes eius spatio breviore cluduntur ...
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reduziert. 117 Der Weise jedoch erwirbt sich diese Vollkommenheit, indem er die Tugend bzw. das Wissen um sie übt. Obgleich Seneca seinen Lesern dieses leuchtende Beispiel vor Augen führt, schreibt er ausdrücklich, daß der Weise über Jahrhunderte nicht aufgewiesen werden konnte. 118 Wie kommt es in Anbetracht des oben Gesagten zu einer solchen Aussage? Die altstoische Sittenlehre basierte auf der Annahme, daß der Mensch der vollkommenen Tugend fähig sei - ein Glaube, der bei Seneca nicht mehr so unqualifiziert besteht. 119 Seneca weiß, daß der Mensch nicht den Idealzustand des gottgleichen Weisen erreichen kann, obwohl er danach strebt, diesem Ideal möglichst nah zu kommen. 120 Darum empfiehlt Seneca seinen Lesern das unerreichbare Vorbild des idealen Weisen nicht als Lebensregel. Vielmehr tritt an die Stelle des idealen Weisen der Fortschreitende 121 als Lebensnorm122 , an die Stelle des Besten der am
117 Selbstverständlich ist die Gottheit bzw. sind die Götter auch für Seneca in vielerlei Hinsicht vom Weisen unterschieden (vgl. zu den Beschränkungen der "Gottgleichheit" die Erörterungen von Bonhöffer, Epictet, S. 76-80). Ihn interessiert aber der Vergleich nur insofern, als er die Tugend betrifft. Dies wird in der 8ELOS- aVr]p-Forschung vernachlässigt, so daß die betreffenden theologischen Metaphern Senecas problemlos als ontologische Aussagen aufgefaßt werden, vgl. z.B. Windisch, Paulus, S. 45f.; Tiede, Charismatic Figure, S.56f. Nach Seneca aber sind Eigenschaften wie die Unsterblichkeit in bezug auf die Tugend nicht relevant, denn Zeit sei ein unwesentliches Faktor für das Ermessen der Qualität der Tugend. In dieser Hinsicht übertreffe der Weise sogar Gott, denn seine virtus sei in eigener Anstrengung erworben, nicht aber angeboren bzw. naturgemäß wie bei Gott bzw. den Göttern. Ganz parallel formuliert Epiktet Diss. 1,12,26-28. 118 De tranq. an. 7,4. Nec hoc praeceperim tibi, ut neminem nisi sapientem sequaris aut adtrahas. Ubi enim istum invenies, quem tot saeculis quaerimus?; Ep. 42,1: Nam ille alter (sc. bonus vir) fortasse tamquam phoenix semel anno quingentesimo nascitur. V gl. auch Ep. 90,44ff.: Auch die frühesten Menschen waren nicht im Besitz der Tugend, waren also keine Weisen, einerlei wie hervorragend sie auch waren. Seneca redet von der reinen Tugend in menschlicher Gestalt nur in einer Sprache, deren Syntax (conditio irrealis) verrät, daß dies nur ein unwirklicher Traum ist, vgl. Ep. 115,3-6, auch Ep. 41,4. Vgl. auch Ganss, Bild des Weisen, S. 126-131, der vom "vorübergehenden Aufflackern" von "Visionen des Weisen" redet, ebd., S. 130. 119 V gl. Zeller III.l, S. 259.735.740, da das gesammelte Belegmaterial. V gl. z.B. De benef, 1,10,1-3; 5,17,3; Ep. 41,9; De eIern. 1,6,3; De ira 2,28,1; 3,26,4f; 1,27,3 u.ä. Vgl. auch Ep. 115,3-6. Dies ist die konsequente Folge seiner in Ansätzen dualistischen Affektenlehre (vgl. die Bemerkungen hier oben). Darin hat Seneca schon in Panaitios einen Vorgänger gehabt, der nach seinem Bruch mit dem chrysippischen Intellektualismus offensichtlich das W eisenideal unterminiert hatte, vgl. Bonhöffer, Ethik, S.148f.; Pohlenz, Stoa I, S.198-200; HossenfeIder, Philosophie, S. 94-97; Karlhans Abel, Art. Stoa, KWdH, S. 682-704, da S. 700. 120 De benef. 1,1,9: Hos (sc. deos) sequamur duces, quantam humana imbecilitas patitur (wir wollen den Göttern nachfolgen, insofern es die menschliche Schwachheit erlaubt); De beat. vit. 18,1f.: cum potuero, vivam quomodo oportet (wenn ich dazu imstande wäre, würde ich leben, wie es sich gehört). Nicht einmal die großen Männer der Vergangenheit wie Platon, Epikur und Zenon konnten mehr bieten als zu ermahnen, wie man leben soll, denn sie konnten selbst kein vollkommenes Leben führen. 121 So hat schon Zeller III.l, S. 743 richtig geurteilt. Seneca unterscheidet deutlich zwischen dem idealen Weisen bzw. dem guten Mann und dem, den er seinen Lesern als erstrebenswertes Vorbild vorhält. Vgl.Ep. 41,1: Iam tibi iste persuasit virum se bonum esse? ... Scis quem nunc virum bonum dicam? Huius secundae notae. N am ille alter fortasse tamquam phoenix semel anno quingentesimo nascitur. In Ep. 72,6f.9-10.13-15 unterscheidet er im Gegensatz zum Schuldogma drei Klassen von Menschen, nämlich den idealen Weisen, die Toren und die (beinahe) Weisen: Est adhunc genus tertium eorum, qui sapientiae adludunt ... (72,10). In Ep. 75,8-14 räumt er sogar große Unterschiede zwischen den proficientes innerhalb der Klasse der Fortschreitenden ein: drei Subklassen (tres classes) soll es geben: primi sunt, qui sapientam nondum habent, sed iam in vicinia eius constiterunt ... Iam ibi sunt, unde
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wenigsten Schlechte, der am weitesten Fortgeschrittene also, worunter ausdrücklich Sokrates, Platon, Xenephon und Cato mitsamt ihren großartigen Zeitgenossen genannt werden. 123 Aus diesem Grunde ermuntert Seneca Lucullus, sich ein Vorbild 124 wie Cato zu wählen (Ep. 11,810; 25,6), obwohl dieser eindeutig nicht der vollkommene Weise der Stoa ist. 125 Nur auf dem Hintergrund des Gesamtkontextes wird man auch den Aussagen in De constantia sapientis 2,1; 7,1, wo Cato mit überschwenglichem Lob überschüttet wird, gerecht. 126 (2,1) ... Cato jedoch gaben die Götter uns als ein zuverlässigeres Vorbild vom Weisen (certius exemplar sapientis viri) als Ulysses und Hercules in früheren Zeiten. Diese nannten wir Stoiker Weise, weil sie von der Mühsal unbesiegt geblieben waren, die Gelüste verachtet und alle Schrecken besiegt hatten ... (7,1) Es ist nicht so, wie Du sagst, wie Du ja zu tun pflegst, daß dieser unser Weiser nirgends begegnet (hunc sapietem nostrum nusquam inveniri). Weder schaffen wir ihn als ein leeres dekoratives Bild des menschlichen Temperaments (humani ingenii vanum decus), noch konzipieren wir ihn als ein gewaltiges Bildnis von etwas Unwirklichem (ingentum imaginem falsae), sondern, gleichwie wir ihn darstellen, haben wir ihn aufgewiesen und werden wir es weiterhin tun, allerdings möglicherweise nur vereinzelt und nach langen Generationen währenden Pausen auch nur einen (raro forsitan magnisque aetatium intervallis unum) ... Aber dieser Cato selber, mit dessen Erwähnung diese Abhandlung anfing (2,1), fürchte ich, könnte gar über unser Exemplar hinaus reichen (vereor ne supra nostU1n exemplar sit). non est retro lapsus (75,9f.); Secundam genus eorum, qui et maxima animi mala et adfectus deposuerunt, sed ita, ut non sit illis securitatis suae certa posessio ....(72,13); Tertium illud genus extra multa et magna vitia est, sed non extra omnia ... (72,14). Ahnlich Epiktet, Ench. 5, der ryPTJY/lEVOl rral8EvEa()al, rrpoKorrTovTES" und rrErral8EV/lEVOl unterscheidet. Sogar die theologischen Metaphern werden im Dienste dieser abgeschwächten Konzeption des Weisen gebraucht, vgl. Ep. 31,8: Hoc est summum bonum. Quod si occupas, incipis deorum socius esse, non supplex, wobei incipis hier ingressive Funktion hat und den Anfang eines Prozesses bezeichnet; vgl. auch Ep. 52,2f.; 53,11; 71.,34. Vgl. auch Bonhöffer, Ethik, S. 216-222 und Ganss, Bild des Weisen, S. 88-93. Grimal, Seneca, S. 285-291, meint, Seneca habe die Weisheitskonzeption seiner Vorgänger einer gründlichen Revision unterzogen und sie mit einem völlig neuen Inhalt gefüllt. Indem er den idealen Weisen und den Fortschreitenden miteinander identifiziert, verwickelt sich Ganss, Bild des Weisen, S. 88-98.116-122, in mehrere Widersprüche. 122 "Für die alten Stoiker ist der Weise vielleicht ein schimärisches Bild der Vernunft; bei Seneca wird er normgebendes Vorbild", Grimal, Seneca, S. 291. 123 De tranq. an. 7,4: pro optime sit minime malus. Vix tibi esset facultas dilectus felicioris, si inter Platonas et Xenophontas et illum Socratici fetus proventum bonos quaereres, aut si tibi potestas Catonianae fieret aetatis, quae plerosque dignos tulit, qui Catonis saeculo nascerentur ... Nunc vero in tanta bonorum egestate minus fastidiosa fiat electio. (Laß an Stelle des Besten den wenigsten Schlechten es sein. Du hättest kaum eine Gelegenheit für eine glücklichere Wahl, falls Du unter den Platons, Xenephons und dem der Sokratischen Zunft hättest suchen können, oder falls Du die Wahlmöglichkeit aus der Catonischen Zeit gehabt hättest, die viele gute Männer hervorbrachte, die in Catos Jahrhundert geboren waren ... Nun aber möge Deine Auswahl bei einer solchen Armut an guten Männern weniger wählerisch sein.). Vgl. auch Ep. 11,8-10, wo Seneca Lucullus die Wahl zwischen einem schwierigem Vorbild (Cato) und einem leichteren (Laelius) anbietet, ein Verfahren, das voraussetzt, daß die "Weisen" unterschiedliche Grade der Vollkommenheit verkörpern. 124 V gl. Grimal, Seneca, S. 286ff. 125 Vgl. Ep. 14,12f., bes. De tranq. an. 17,9, wo Seneca wegen Catos angeblicher Trinksucht in Erklärungsnot gerät. Außerdem widerspricht Catos Teilnahme am Bürgerkrieg dem Weisenideal. 126 V gl. auch pe tranq. an. 16,1. wo Cato als einer der optimi viri hervorgehoben als virtutium viva imago. Uber Senecas Catonbild vgl. Grimal, Seneca, S. 286ff.
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Auch hier führt Seneca den Weisen vor, der unverletzbar sei, nicht beleidigt werden könne, dem nichts fehle. 127 Man darf diese Aussagen aber nicht so verstehen, als ob in der Gestalt Catos der ideale Weise verkörpert wäre. Von den Göttern haben die Menschen nach Seneca Herakles und Odysseus, die ihre Tüchtigkeit in der Vorzeit bewiesen hatten, als Vorbild des Weisen empfangen. 128 Dieses Vorbild wird von Cato übertroffen,129 denn er hat seine Tüchtigkeit in einer von der Leichtgläubigkeit befreiten Welt bewiesen, nicht in mythischen Kämpfen und Taten, sondern im Streit mit den vielen Seiten des Bösen in der realen Welt. 130 Dennoch ist auch der Weise des Traktats De constantia sapientis nur ein Fortgeschrittener, der noch unterwegs ist zum Ideal der GlÜckseligkeit. 131 Dieser dem Gotte bis auf die Unsterblichkeit ebenbürtige Weise 132 strebt noch mühsam zum Vollkommenen empor! Auch hier liegt also keine Ausnahme zu Senecas Konzeption vom Weisen vor. Diese Beobachtung erhält Bestätigung, wenn die Art und Weise, wie Seneca über sich selbst redet, beachtet wird. Obwohl er gelegentlich vom Weisen in der ersten Person redet 133 und sich, als Weiser, scharf von seinem törichten Gesprächspartner abgrenzt,134 macht Seneca kein Geheimnis aus seiner eigenen unvollkommenen Existenz. Ausdrücklich betont er "non sum sapiens ... non ero"135. Aus dem Gesamtkontext geht hervor, daß auch hier der Weise "nur" ein Fortgeschrittener ist. Der zur Tugend fortschreitende Weise verdient nach Seneca die höchste Ehre, er ist allerdings kein Gott. Dies geht eindeutig aus der Argumentation der Schrift De vita beata hervor. In 26,7f. lautet es: (7) ... Bewundert die Tugend (Suspicite virtutem), schenkt denjenigen Vertrauen, die ihr schon lange nachfolgten und behaupten, sie folgten etwas Großartigem, was auch jeden Tag größer zu werden scheint. Verehrt die Tugend wie 127 Z.B. 2,1.3; 6,8; 8,2. 128 Vgl. 2,lf. Unzutreffend ist die Behauptung von Bernays, Heraklitische Briefe, S. 45, die Stoiker seien, "um die Apotheose ihres Weisen durch ein allgemein anerkanntes Beispiel zu begläubigen, eifrig bemüht gewesen, in den Taten und Leiden des Herakles die Verwirklichung ihres Ideals einer vollendeten Menschlichkeit aufzuzeigen" (hervorgehoben von mir, DdT). Die Umprägung des burlesken Erscheinungbildes des Herakles zu einem philosophischen Ideal wurde von den frühen Kynikern vollzogen (Höistad, Cynic Hero, S. 22-50) und später von den Stoikern übernommen. Die Allegorisierung wurde aber so radikal von den Kynikern durchgeführt, daß auch seine Göttlichkeit rationalisiert wurde. In Dio Chrysostomos Or. 4, 31 z.B. wird L1l0~ TTa'i~ als TTETTal8EVf1El/O~ verstanden, d.h. der Begriff ist eine Chiffre für das Erreichen der Tugend, vgl. dazu Höistad, Cynic Hero, S. 56f.60. 129 V gl. 2,1: certius exemplar; auch exemplar in 7,1 "hic ipse M. Cato ... vereor ne supra nosturn exemplar sit" bezieht sich auf das von den Göttern gegebene Vorbild in 2,1 (vgl. den explizite Bezugnahme auf den Text in 2,1 !); es wäre ja nicht verständlich, wenn Seneca behaupten würde, Cato überträfe den vollkommenen Weisen. 130 V gl. 2,lf. 131 Dies geht eindeutig aus 8,2 hervor: Ad illa nitens pergensque (sc. sapiens) excelsa, ordinata, intrepida, aequali et concordi cursu fluentia, secura, benigna, bono publica nata, et sibi et aliis salutaria nihil humile concupiscet, nihil flebit: der Weise wird nichts Niedriges begehren, wird nicht weinen, während er zu jenen (Dingen) emporstrebt und zu ihnen vordringt, zu den Hervorragenden, den Geordneten, den Unverzagten, den in einem gleichmäßigen und harmonischen Strom Fließenden, den Unbekümmerten, den Gutmütigen, den dem Gemeinwohl Angepaßten, den sich selbst und anderen gegenüber Heilsamen. 132 V gl. 8,2: sapiens autem vicinus proximusque dis consistit, excepta mortalitate similis deo. 133 Z.B. De vita beata 11,1. 134 Ebd. 17,4; 26,1. 135 Ebd. 17,3; vgl. Ad Helv. 5,2.
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die Götter und ihre Vertreter wie Priester und, wenn (ihre) heilige Schriften Erwähnung finden, schweiget andächtig (et ipsam ut deos ac proJessores eius ut antistites coUte et, quotiens mentio sacrarum Utterarum interverit, Javete Unguis) ... (8) Wenn jemand die Isis-Klapper schüttelt und vorgibt, mit Vollmacht zu reden, wenn jemand, der geschickt seine eigenen Oberarme zerfleischt, die Arme und Schultern blutig macht, wenn irgendeine Frau heulend auf den Knien die Straße entlang kriecht und ein in Leinwand gekleideter alter Mann mittags mit Lorbeerzweig und Lampe irgendeine Wut der Götter beklagt, dann lauft ihr zusammen, hört denjenigen zu und beteuert, eure stumme Verblüffung gegenseitig stärkend, er sei göttlich (divinum esse eum)! Seneca läßt einen imaginären Weisen 136 seine Leser auffordern, der Tugend Ehre entgegen zu bringen wie Göttern - eine Aufforderung, die im Licht des engen Zusammenhangs zwischen Gottheit, Natur und Tugend nicht verwundert 137 - und ihre Exponenten wie antistites, d.h. Priester der Kulte,138 zu verehren. Ihre Schriften seien so gut wie heilig und erforderten also andächtige Aufmerksamkeit. Die Tugend ist die wahre Gottheit, ihre Verehrung die wahre Religion, ihre Priester sind diejenigen, die sich auf dem Pfade zur Weisheit bzw. Tugend befinden. Entsprechend gebührt ihnen und ihren Schriften Ehrfurcht. Es ist nicht bedeutungslos, daß Seneca diese Aussage in einem Kontext macht, in dem einerseits der traditionellen Religion (26,6f.), andererseits den neuen Religionen (26,8)139 einige Seitenhiebe zugefügt werden. Wer wie Seneca das All, die Natur bzw. die Tugend als Gottheit ansieht, leugnet den Nutzen der vom gemeinen Mann geübten religiösen Riten,140 schätzt die Götterbilder und die herkömmlichen Kulthandlungen gering,141 spottet über die Fabeln der Mythologie und fordert die Verinnerlichung der Religion 142. Bei kaum einem anderen Stoiker spielt das persönliche Verhältnis zu Gott eine solch große Rolle. Die traditionellen Kulte sind entleert und vollkommen belanglos geworden. 143 Er steht den alten und neuen Kulten im Lichte des stoischen abstrakten Gottesbegriffes ablehnend gegenüber, ohne jedoch für ihre Abschaffung einzutreten. Indem er den "Kult" ins Innere verlegt, fordert er eine neue intellektuelle Verehrung der Gottheit. 144 Darum wäre es verfehlt, aus De vita beata 136 Ebd. 26,5: Haec dicet ille, cui sapientia contigit ... 137 Vgl. De vita beata, passim, bes. aber 3,2f.; 8,lff.; 14,1; 15,5f. 138 Zu antistites vgl. Paul HabeI, Art. Antistes, RE I 1, 1894, Sp. 2536f.; Werner Eisenhut, Art. Antistes, KP 1, Sp. 402; Hermann Wolfgang Beyer u. Heinrich Karpp, Art. Bischof, RAC 2, 1954, Sp. 394-407, da 399. Dieser Begriff wurde zuerst nur für die Hohenpriester bzw. Priester der sacra peregrina, d.h. der nichtrömischen Kulte benutzt, später aber auf den römischen Staatskult übertragen (Cicero Pro domo 2,104). M.W. ist eine Vergöttlichung dieser priesterlichen Vorsteher nicht bezeugt. 139 John W. Basore (Hg.), Seneca. Moral Essays II, London 1963, S. 174, Anm. a vertritt die Meinung, daß hier von den Kulten von Isis und Kybele die Rede ist. Zur Verwendung von sistra und lucernae im Kult vgl. Ulrich Klein, Art. Sistrum, KP 5, Sp. 214 und Werner Groß, Art. Lampen, KP 3, Sp. 469-471. 140 Gebete: Ep. 31,5.8; 41,1; 60,1; 95,2; Quaest. Nat. 35,1; Sühnehandlungen: Ep. 110,1; De benef. 4,25,1; 4,23,2; Ehrfurcht vor den Göttern: De benef. 4,19,1. 141 Lactantius Inst. 2,2,14 (= Haase, Fr. 120). 142 Ep. 95,47-51; De benef. 1,6,3. 143 Zu Senecas Religiosität und seiner Haltung zum Kult vgl. Zeller III.l, S. 321f.752-754; bes. Bonhöffer, Ethik, S.83-85; Pohlenz, Stoa I, S. 321. 144 Vgl. Ep. 115,3-6, bes. 4: Colitur autem non taurorum opimis corporibus contrucidatis nec auro argentoque suspenso nec in thensauros stipe infusa, sed pia et recta volentate. Windisch, Paulus, S.47, zieht Ep. 115,3-6 heran, um behaupten zu können, der Weise würde als gottgleiches Wesen zum Gegenstand des Kults; Tiede, Charismatic Figure, S. 59f. ist der
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26,7 schließen zu wollen, Seneca riefe hier zur kultischen Verehrung der weisen Männer als ecLOL aVepWTTOL auf. 145 Auch eine Aussage wie die in Ep. 64,7.9f sollte nicht durch Überinterpretation strapaziert werden: (7) Infolgedessen verehre ich die Erfindungen der Weisheit und (ihre) Erfinder (Veneror itaque inventa sapientiae inventoresque) ... Die Heilmittel des Geistes wurden von den Alten erfunden (Animi remedia inventa sunt ab antiquis), wie und wann sie anzuwenden wären, ist unsere Aufgabe zu erforschen. (9) Unsere V orgänger haben viel geleistet, sie haben aber nicht alles vollendet (sed non peregerunt). Ihnen gebührt jedoch Bewunderung, und sie sollen nach der Art 146 der Götter verehrt werden (Suspiciendi tamen sunt et ritu deo rum colendi). Warum würde ich nicht auch Bilder von den großen Männern als Anregung für den Geist besitzen und nicht ihre Geburtstage feiern? Warum würde ich sie nicht immer in allen Ehren grüßen (Quidni ego illos honoris causa semper appellem)? Die Ehre, die ich meinen Lehrern schuldig bin, bin ich auch den Lehrern der Menschheit schuldig, von denen die Anfänge eines solchen Guten ausgingen. (10) Wenn mir ein Konsul oder Praetor begegnete, würde ich (ihm) alle Ehren erweisen, mit denen sein Amt normalerweise gewürdigt wird: ich würde vom Pferd steigen, den Hut heben, zur Seite gehen. Was also? Würde ich Marcus Cato, den Alteren und den Jüngeren, Laelius den Weisen, Sokrates, Platon, Zenon und Kleanthes ohne die höchste Achtung in meinen Geist aufnehmen? Ich werde sie in der Tat verehren und mich immer vor solchen (erhabenen) Namen erheben (Ego vero illos veneror et tantis nominibus semper adsurgo). Auch hier fordert Seneca nicht die kultische Verehrung großer Männer der Vergangenheit. In diesem Brief handelt es sich vielmehr um die Aufgabe des Philosophen, das Erbe seiner Vorgänger zu verwalten. Sie haben die Mittel zur Heilung des Geistes entdeckt, haben aber dadurch noch nicht alles geleistet. Auf ihren Leistungen muß weiter aufgebaut werden. Trotz dieses Defizits (tamen!) gebühren ihnen die überschwenglichen Ehrenbezeugungen, die man ihnen zu jener Zeit zukommen ließ (Geburtstagsfeste, das Aufstellen von Statuen und eventuell kultähnliche Handlungen). Daß es sich bei solchen Verehrungen für Seneca nicht um eine Vergöttlichung handelt, zeigt eine Aussage (De vita beata 25,4), die er Sokrates (l) in den Mund legt: Dies wird Dir Sokrates sagen: Mache mich zum Sieger über alle Völker, und der üppig verzierte Wagen von Dionysos (=Liberi)147 trage mich als TriumphaMeinung, Ep. 41 würde Senecas "religious esteem" für den Weisen zeigen. Dagegen sprechen nicht nur die irrealen Konditionalsätze, sondern auch der unmittelbare Kontext sowie generell Senecas Konzeption des Weisen. 145 Gegen Windisch, Paulus, S. 47: "Seneca meint die Priester und die religiosi, die Virtuosen der Religion; sie sind die divini des törichten Volkes, die falschen ecLOL, denen als die echten die Weisen gegenüberstehen, die aus der Höhe der Götterwelt stammen" und Tiede, Charismatic Figure, S. 59f., der meint, Seneca stelle den leidenden Sokrates als Modell der ecLOL av8pwTToL der philosophischen Traditionen denjenigen gegenüber, die auf Grund dramatischer kultischer Demonstrationen für göttlich gehalten werden. Richtig urteilt Ganss, Bild des Weisen, S. 128-131, der von dem gelegentlichen Aufflackern visionärer Sehnsucht nach dem idealen Weisen redet. Von der Vergöttlichung konkreter Weiser kann aber bei Seneca nicht die Rede sein, geschweige denn von einem Kult des Weisen. 146 Ablativ mit Genetiv von ritus bedeutet etwa "nach der Art von, wie". Man könnte gegebenfalls aber auch limit einem Ritus für die Götter" übersetzen. 147 Liber ist ein italisch-römischer Gott, der schon sehr früh mit Dionysos identifiziert worden ist, vgl. Werner Eisenhut, Art. Liber. Libera. Liberalia, KP 3, Sp. 620f. Das Bild bezieht sich auf die im Hellenismus verbreitete Verehrung von Dionysos als Kulturbringer , der triumphierend durch die Welt zog, und sich jetzt auf dem Rückweg aus dem fernen Osten
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tor von Sonnenaufgang bis nach Theben, auch mögen Herrscher von mir Gesetze verlangen - (gerade) wenn ich von allen Seiten als Gott begrüßt werde, werde ich vor allem daran denken, daß ich (nur) ein Mensch bin (hominem esse maxime cogitabo, cum deus undique consalutabor).
3.3.2 Diogenes Laertios 7,119: Die radikale Sittlichkeit des Weisen Auf dem Hintergrund dieses Befundes wenden wir uns jetzt von neuern der Analyse der Aussagen über den Weisen in Diog. Laert. 7,117-119 zu: (117) Sie sagen auch, daß der Weise regungslos (aTTaßij) ist, denn er ist standhaft. (Ein Tor ist aber regungslos (aTTaßij) in anderem Sinne, wenn er seiner Hartherzigkeit und Unerbittlichkeit wegen mit dem gleichen Begriff bezeichnet wird.) Der Weise ist ohne Prahlsucht, denn ihm ist sowohl der Ruhm als auch das Unbekanntsein gleichgültig. - Auch ein anderer - der Tor - ist wegen seiner willkürlichen Veranlagung ohne Prahl sucht. - Sie behaupten auch, alle Rechtschaffenen seien herbe, weil sie sich weder mit dem sinnlichen Genuß beschäftigen' noch bei anderen das Genüßliche dulden. - Auch etwas anderes ist herbe - so wird von einem herben Wein gesprochen, der für medizinische Zwecke benutzt wird, aber überhaupt nicht zum Trinken geeignet ist. ( 118) Wahrhaftig sind die Rechtschaffenen, (denn) sie wachen über ihre eigene Entwicklung zum Besseren durch eine Lebensweise, die das Schlechte unsichtbar macht und das vorhandene Gute ans Licht bringt. Sie sind auch nicht verlogen, denn (jede) Künstlichkeit in bezug auf die Sprache und das Ansehen liegt ihnen fern. Auch sind sie frei von jeder regen Geschäftigkeit, denn sie lehnen das Tun von etwas, das über die Pflicht hinaus geht, ab. Sie werden ja Wein trinken, nicht aber betrunken werden, weiterhin werden sie auch nicht außer sich. Fremde Vorstellungen, verursacht durch Galleattacken oder Delirium, befallen sie auch gelegentlich, (dies geschieht aber) nicht gemäß dem Vernunftkriterium des Wünschenswerten, sondern gegen ihre (vernünftige) Natur. Der Weise wird auch nicht von Schmerz befallen, denn nach Apollodor in seiner Ethik sei der Schmerz eine unvernünftige Zusammenzuckung der Seele. (119) Sie sind auch göttlich, denn sie haben gleichsam 148 (einen) Gott in sich (8E{OVS' i Elval' EXElV rap lv lavToTS' OLOVEl ßEOV). - Der Tor ist dagegen gottlos (TOV 8E cpaDAov äßEOV). - Zweierlei bedeutet "der Gottlose" (TOV äßEOV): einerseits der sogenannte "dem ßElOS' (Menschen) Entgegengesetzte", andererseits der (sogenannte) "Leugner des Göttlichen" (TO ßETov), was nicht auf jeden Tor zutrifft (8l TTOV 8 Elval TOV äßEOV, TOV i lvavTütJS' TtiJ ßE{r.p AErOf.1EVOV Kal TOV l'OVßEVT]TlKOV ToD ßE{OV' ÖTTEP OVK Elval TTEpl TTavTa cpaDAov).
- Die Rechtschaffenen sind weiterhin gottesfürchtig (ßEoaEßElS' TE TOUS' aTTov8a{ovS"), denn sie sind bewandert in den Verordnungen der Götter. Gottesfurcht ist ja Kenntnis von der Verehrung der Götter (Elva{ TE TrlV EvaißElav lTTlaTrlf.1T]V ßEWV ßEpaTTE{aS'). Außerdem opfern sie den Göttern und leben heilig (aMa f.1rl.l:' Kal ßvaElv aVTovS' ßEoTS' arvovS' () vTTapXElv), denn sie meiden alle Ubertretungen gegen die Götter. Die Götter halten sie auch in Ehren, weil sie heilig und gerecht sind, was die Gottheit angeht (Kal TOUS' ßEOUS' äraaßal aVTovS" oa{ovS' TE rap Elval Kai 8lKa{ovS' TTPOS' TO ßETov). Auch sind sie die einzigen (wahren) Priester, denn sie untersuchen
befindet, vgl. Wolfgang Fauth, Art. Dionysos, KP 2, Sp. 77-85. Das Bild nimmt eine vergleichbare Leistung für Sokrates als Kulturstifter bzw. Gründer der Philosophie (vgl. Ep. 64) an, dessen Nachwirkung und Ansehen in der Antike (außer Homer) keine Parallele hat. 148 Nach LSJ, s.v. OLOVE{ und O[OV, hat OLOVE{ wie O[OV, wenn es paranthetisch einem Wort bzw. Satzteil vorangestellt ist, die Bedeutung "as it were, so to speak", zu Deutsch "gleichsam, sozusagen".
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die Opferriten, Waschungen, Reinigungen und sonstiges, das die Götter betrifft.
Diogenes bietet nach eigener Angabe (7,38) innerhalb des Bios von Zen on dem Stoiker eine allgemeine Darstellung der Ansichten der Stoiker. Nach einer kurzen Einleitung behandelt er die drei Hauptteile des stoischen Systems, nämlich die Logik (41-83), die Ethik (84-131) und die Physik (132-159). Im Teil über die Ethik behandelt er bestimmte Hauptaspekte der stoischen Ethik, nämlich die Oikeiosislehre (85f.), das naturgemäße Leben 87f.), die Tugend (89-93.125128), die Übel und die Güter (94-103), die indifferenten Dinge (104-107), die Pflicht (108-110), die Affekte und die Eupathien (110-115/6). Innerhalb dieser Ausführungen scheint der Abschnitt §§ 117-125, in dem über den Weisen berichtet wird, auf den ersten Blick fehl am Platz zu sein. Eine nähere Betrachtung zeigt aber, daß der Text, trotz seines deutlichen Sammelcharakters, eine durchdachte Struktur aufweist. Nachdem die Ethik in der Oikeiosislehre und dem naturgemäßen Leben begründet wurde, wird eine solche Lebensart folgerichtig als Tugend bezeichnet (89). Die Zentralität der Tugend für die stoische Ethik wird dadurch unterstrichen, daß alle weiteren Überlegungen zur Ethik vom Thema der Tugend eingerahmt werden (8993.125-128). Auf eine Darstellung der stoischen Handlungslehre (94-110) folgen Überlegungen über dIe Affekte, die ihre Entstehung einem kranken Seelenzustand verdanken (115), und über ihren Widerpart, die Eupathien, jene gesunden Reaktionen, die von wahren Vorstellungen eines Übels oder Guten hervorgerufen werden und die im strengen Sinne nur der Weise leisten kann. 149 Das Thema der Eupathien benutzt Diogenes, um zum idealen Weisen fortzuschreiten. Er stellt diese Erörterungen unter den Leitsatz, der Weise sei frei von allen Affekten. Dieser Satz formuliert das Ziel der stoischen Ethik in negativer Weise: Die Glückseligkeit ist Freiheit von jeglichem Affekt, sie resultiert aus der richtigen Einsicht in die wahren Wertverhältnisse, aus der cppOVT)aLS' bzw. der aocp{a. Dies ist die angestrebte Tugend.1 50 Diese intellektualisierte Tugend geht selbstverständlich aus dem opßoS' i\oYOS'151, der am göttlichen Logos teilnimmt, hervor. Alle anderen Aussagen über den Weisen in diesem Abschnitt (§ 117-125) sind diesem Satz unterzuordnen. 152 Sie gehen aus ihm hervor, sind Schlußfolge]49 Pohlenz, Stoa I, S. 152. Hier wird der Weise dann auch sachgemäß zum ersten Mal erwähnt: cpoßryfh]aEafJal IlEV yap TOV aocpov ov8aIlWS-, EVAaßryfJr,aEafJal 8i. 150 Vgl. Diog. Laert. 7,89. 151 Darauf bezieht sich auch die nicht sofort einleuchtende Begründung in dem zweiten Teil des Satzes: 8la TO dVEIlTTTWTOV Eival ist dann so zu verstehen, daß der Weise die Apathie erreicht hat, weil er im Logos standhaft ist, d.h. nicht aus dem gesunden von den Eupathien gekennzeichneten Zustand zurückrutschen würde in den in § 115 beschriebenen kranken Seelenzustand bzw. in die aKaTaaTaa{a (110); vgl. auch den Gebrauch von EVAOYOS-, um die Eupathien in § 116 zu definieren. 152 Dies entspricht der Struktur der stoischen Tugend: Obwohl die Tugend eine einfache Sache ist, unterscheiden die Stoiker Aspekte oder Subklassen dieser monistischen Tugend
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rungen aus dem Tatbestand der Apathie. Dies gilt auch der Aussage ßElOVS' i EIvaL (TOUS' aocpouS')· EXELV rap EV laVTOls' OlOVEL ßEOV. Der Weise ist ßELOS', denn er hat die Apathie, die Tugend. Er hat die Einsicht in die wirklichen Wertverhältnisse, das Wissen vom Guten und Schlechten. Diese apET7} ist" das einstimmige Leben" 153, d.h. das vernunftgemäße Leben. Darum wird die Aussage, die Weisen seien ßELOL, mit der Aussage begründet, daß sie gleichsam Gott in sich hätten. Der Weise hat das vernunftgemäße Leben, zu dem der Mensch veranlagt ist, realisiert. Wenn er also einen reinen, aufrechten Logos in sich trägt, hat er sozusagen Gott selbst in sich, da Gott und der universale Logos gleich sind. Entsprechend sei der Tor iißEOS', in dem Sinne, daß er nicht sittlich ist, d.h. nicht ein dem Gott bzw. Logos gemäßes Leben führt, auch wenn er kein Atheist, d.h. nicht areligiös bzw. atheistisch (wie die Epikureer oder Euhemeristen) ist. Diese Sätze sind nur auf dem Hintergrund des spezifischen stoischen Gottesbegriffes zu verstehen und können keineswegs in Isolation mit Hilfe einer allgemein postulierten Idee von einem Gottmenschen ausreichend erklärt werden. Der Weise ist gerade kein Gott bzw. kein göttliches Wesen, sondern der vollkommene Mensch, der aus eigener Kraft seiner Veranlagung gerecht geworden ist. Darum verwundert es nicht, daß nirgends innerhalb der stoischen Physik dem Weisen ein Sonderstatus eingeräumt, geschweige denn über sein göttliches Wesen gesprochen wird. Die Aussage, der Weise sei ßELOS', ist keine ontologische Aussage. Sie will nichts über das andersartige Wesen ~es Weisen aussagen, sondern drückt nur die radikal andersartige Sittlichkeit dieses Menschen aus. Besonders ist der ethische Charakter dieser Aussage zu beachten. Dies geht nicht nur aus der Vorrangstellung der Apathie des Weisen, die ja ein aus gesprochen intellektueller Vorgang ist,154 sondern auch aus dem eindeutig ethischen Kontext dieser Aussage hervor. Entscheidend sind jedoch die sinnverwandten Begriffe, die im unmittelbaren Kontext vorkommen: Als ßELoS' ist der Weise ßEoaEß7}S', weiterhin öaLoS' KaL 8lKaLoS' rrpoS' Ta ßELOV. 155 Der Tor, der nicht ßELOS' ist, ist allerdings dßEOS'. Die sinnverwandten Begriffe zeigen: ßELOS' bezeichnet eine ethische Kategorie und ist damit ein Qualitätsadjektiv . Es ist kein Klassenadjektiv und bezeichnet also an dieser Stelle keine ontologische Kategorie.
(7,92). So verfahren sie auch mit dem eine Guten und den Gütern (7,102), dem einen Übel und den Übeln (7,93.102). Vgl. auch 7,125f. 153 Im Abriß von Diogenes, §§ 87-89. 154 Wie die Affekte hat die Apathie ihre Entstehung einer Entscheidung des Logos, einem Werturteil, d.h. der Einsicht in die wahren Wertverhältnisse, zu verdanken, vgl. Diog. Laert. 7,111. 155 Vgl. Mark Aurel, Meditationes 7,66: 8lKaLos- 7(1 rrpos- av8pwrrovs- / öaLOS- Ta rrpos8EOVS-.
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3.4 Die eELOS- avepUJTTos--Terminologie bei Plutarch von Chaironeia Für den weiteren Gang der Untersuchung wenden wir uns nochmals dem neutestamentlichen Zeitalter in der Gestalt Plutarchs zu. Zunächst fällt auf, daß die eELOS' aVepUJTTOS'- Terminologie trotz der großen Zahl der überlieferten Schriften Plutarchs 156 nur gelegentlich vorkommt und sich auf ganz wenige konkrete Personen bezieht. 157 Hat man hier vielleicht handfeste Beispiele dafür, daß die jeweiligen Referenten mittels der ßELOS' aVepUJTTOS'- Terminologie der göttlichen Sphäre, d.h. der Klasse der göttlichen Wesen bzw. Götter, zugeordnet werden, d.h. daß die betreffenden Adjektive als Klassenadjektive auftreten? Tritt die eELOS' aVepUJTTOS'- Terminologie vielleicht hier als terminus technicus für jene Vorstellung der eELOS' dvrjp-Forschung vom staunenerregenden Wundermenschen auf den Plan?158 Oder liegt auch hier eine Verwendung der betreffenden Lexeme im Sinne einer moralischen Prädikation vor? 156 Textausgaben: Vitae: K. Ziegler (Hg.), Plutarchi vitae p'arallelae, Leipzig 41969; B. Perrin (Hg.), The Parallel Lives, LCL, London 1914. Deutsche Ubersetzung K. Ziegler u. W. Wuhrmann, Grosse Griechen und Römer, Zürich 1954-1965. Moralia: W. Nachstadt et al. (Hg.), Plutarchi moralia, Leipzig 1~f5-; F.C. Ba~1Jitt et al. (Hg.), Plutarchs Moralia, LCL, London 1927-1969 mit englischer Uberse.~zung. Ubersetzung der religionsphilosophischen Schriften durch Konrat Ziegler, Plutarch. Uber Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung, Zürich 1952. Grundlegend ist Konrat Ziegler, Art. Plutarchos, RE I 21.1, 1951, Sp. 636-962 (Nachdruck: ders., Plutarch von Chaironeia, Stuttgart 1964), es wird nach dem REArtikel zitiert; Schmid-Stählin II, Bd. 1, S. 485-534. Noch immer sehr informativ ist Zeller III/2, S. 175-218; ferner C. P. Jones, Plutarch and Rome, Oxford 1971; bes. wertvoll wegen der übersichtlichen Darstellung forschungs geschichtlicher Entwicklungen ist Frederick E. Brenk, An Imperial Heritage: The Religious Spirit of Plutarch of Chaironeia, ANRW 11 36,1, Berlin 1987, S. 248-349; zum Zusammenhang religiöser Vorstellungen innerhalb der Schriften Plutarchs vgl. ders., In Mist Apparelled. Religious Themes in Plutarch's Moralia and Lives, Mn.S 48, Leiden 1977. Zu Plutarchs Stellung im Platonismus seiner Zeit vgl. Dillon, John, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B.C. to A.D. 220, London 1977, S. 184-230; Heinrich Dörrie, Die Stellung Plutarchs im Platonismus seiner Zeit, in Philomathes. PS Philip Merlan, hg. v. R. Palmer und R. Hamerton-Kelly, Den Haag 1971, S. 36-56. 157 Wir klammern wiederum die Fälle aus, wo die Terminologie im Zusammenhang mit Halbgöttern und Heroen gebraucht wird, z.B. ecLOS" 'J18cuVLS" in Mor. 671B. Weiterhin scheiden die Epitheta für homerische Heroen aus, wo sie in Zitaten auftauchen, vgl. Mor. 55B; 808C; 1108A (alle 11. 10,243); 603C (11. 14,230). Ferner wird die Apostrophe 8aLf-16vLc! in Mor. 734F; 926D-E verwendet: Plutarch, der sich die Dialogform von Platon aneignete, benutzt den Ausdruck offensichtlich in Nachahmung seines Meisters - also, wie Elisabeth Brunius-Nilsson, ß.aLf-16vLc nachwies, als warme, intime Anrede, ohne Positives oder Negatives zu implizieren. Selbstverständlich sind solche Texte, in denen die Terminologie in Homerzitaten (vgl. Mor. 361A [11. 4,31; 13,810]; 1036B [Il. 6,407]) bzw. anderen Zitaten älterer Schriftsteller (Vita Cimonis 10,4 [Kratinos, Fr. 24]) vorkommt, für unsere Fragestellung nicht relevant. 158 Bieler, BEJOL; ANHP I, S. 19 bezieht sich mit den folgenden Worten auf De genie Socratis 593D: "Sie alle (sc. die vorher aufgelisteten 'göttlichen Menschen') fallen als ecLOL unter eine bestimmte Kategorie, die Plutarch schon ganz geläufig war ... ". Er interpretiert die verwendete Terminologie offenkundig als terminus technicus für das Konzept des Gottmenschen bzw. "religiösen Übermenschen" (ebd.). Vgl. auch Donald E. Stoike, De Genio Socratis (Moralia 575A-598F), in Hans Dieter Betz (Hg.), Plutarch's Theological Writings and Early Christian Literature, SCHNT 3, Leiden 1975, S. 236-285, dort 271f.279.280f., der
98 3.4.1 Die
Teil 11: Semantische Analyse: BEtOS" KTA. in ethischem Kontext (JcLO~ aJ/(Jpf1)1TO~- Terminologie
in De genio Socratis
Es gibt mehrere Stellen bei Plutarch, in denen die Lexeme ßcL05", 8aLj10VL05" und ßc(JTTEOI05" verwendet werden. Solche Lemmata liegen gehäuft in Plutarchs Schrift De genio Socratis (589CD; 592F; 593AD) vor. In ihr handelt es sich um die Art und das Wesen des berühmten 8aLj1ovLoV des Sokrates, also seiner göttlichen Eingebung. 159 Die Diskussion ist eingebettet in eine Erzählung über die Befreiung der Kadmeia in Theben von den spartanischen Tyrannen (kurz nach 379 v. Chr.). Die Diskussion wird von Simmias, einem Zeitgenossen und Bekannten des Sokrates, und seinen Vertrauten geführt. Sie kommt auf, als Polymnis (der Vater des Erzählers Kaphisias) bekanntgibt, daß Theanor, ein Fremdling aus Italien, aufgrund bestimmter Träume und wirksamer Gesichte (EK TlVUJV EVVTTVLUJV . . . Kat
3. BefoS"
KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
99
Nach Simmias (588C) ist Sokrates' 8aLpovLoV nicht als ein Gesicht (ol/lLS-), sondern als die Wahrnehmung einer Stimme (aLoBryO"LS- TfjS- qXI.Jvfjs- Tj -"oyou voryO"LS-) höherer Wesen (588D: ETTryKOOV ... T6Jv KPELTTOVUJV) bzw. eines Dämonen (588E: -"oyoS- 8aipovos-) zu verstehen.1 62 Im ersten Teil seiner Rede (588C-589F), in der die ßELOS- av8pUJTTos-- Terminologie mehrfach begegnet, legt er die Bedingungen dar, unter denen man solche Stimmen vernehmen kann. Es sei irrig zu glauben, man könne nur im Schlaf eine Eingebung der höheren Wesen wahrnehmen. Denn die meisten Menschen können dies nur wegen des Getöses ihrer Leidenschaften nicht wahrnehmen (ßopuß4J T6Jv TTaß6Jv Kai TTEpLaYUJyfi T6Jv XPEL6JV), Sokrates' Geist (vous-) sei jedoch rein und ungetrübt von Leidenschaften gewesen (~UJKpdTEL 8 6 vovs- Ka8apos- &v Kai clTTa8rys-).I 63 Nachdem er erklärt hat, daß die physikalischen Bedingungen für eine solche Kommunikation zwischen den Dämonen und Menschen grundsätzlich gegeben seien (588E-589C), fährt er fort: 164 Man darf sich also gar nicht wundern, wenn die Luft ... durch das von den höheren Wesen Gedachte (Ta VOr]8EV UTTa TWV 8al<JiovUJV» gewandelt wird und in göttlichen, überragenden Menschen (ToLS' 8ELOlS' Kal TTEpl TToLS' av8pa(Jl) den Gedanken des denkenden Wesens ausprägt (Evar]Jia{vETal ... Tav TOV vOr]aavToS' "oyov). Denn wie die Schläge derer, die unterirdischen Minen graben, von kupfernen Schilden durch Widerhall aufgefangen werden, wenn sie aus der Tiefe aufsteigen und an sie prallen, durch alles andere aber völlig unbemerkt hindurchgehen, so fahren auch die Gedanken der höheren Wesen (ol TWV 8alJiOvUJv AOYOl) zwar durch alle hin, klingen aber nur in solchen auf, die ein ungestörtes Gemüt und eine von keinen Stürmen erregte Seele haben (Evr]xoval TOLS' a8opvßov i78oS' Kal Vr]VEJiOV Exoval n]v lj;vXr]V) , die wir ja auch heilige und göttliche Menschen nennen (ouS" 8r} Kal lEPOUS' Kal 8alJiOv{oVS' av8pwTToVS' KaAoVJiEv). Die meisten denken, daß das Göttliche (Ta 8alJiovlov) nur auf schlafende Menschen einwirke, und wenn Wachenden bei hellem Bewußtsein dasselbe widerfährt, so halten sie das für übrigen Aussagen im Dialog ihren Ort haben, vgl. Babut, Dialogue, S. 60f.69f.; ders., Doctrine demonologique, S. 204. 162 Damit erfolgt eine Korrektur des durch Theokritos vertretenen Standpunkts, Sokrates' 8alJiloVlOV sei ein Gesicht (TlS' ölj;lS') gewesen (580C). Simmias baut seinen Argumentationsgang darauf auf, daß Sokrates selbst Personen, die behaupteten, einer Gottheit durch Gesichte begegnet zu sein, für Scharlatane gehalten habe (588C: TOUS' JiEV 8l' ölj;EUJS" EVTVXELv 8E{tp TlVl AEyovTaS' aAa(ovaS' ryYOVJiEV4J) , aber solchen Menschen, die Stimmen gehört hätten, ein besonderes Interesse entgegengebracht habe (ToLS' 8' aKovaa{ TlV0S' if;UJvfjS' if;aaKoval TTpoaExovTl). Dieser Standpunkt des Simmias wird schon durch den Bericht Theanors vorbereitet, der betont, daß das 8alJilOVlOV, das er am Grab des Lysis empfangen habe (vgl. 579F: Ei Jir] Tl VVKTUJP UTTEvaVTUu8E{r] 8alJiloVlOV), kein Gesicht gewesen sei, sondern eine Stimme (585F: El80v JiEV OV8EV, aKovaal 8E if;UJvfjS' E8o,a), eine Korrektur der Interpretation Galaxidors, der das 8alJilOVlOV am Grab als Gesicht gedeutet hat (580A: oVElpaTUJv ölj;ElS'). 163 Begründet wird dies mit dem Hinweis, Sokrates' vovS' sei nur locker mit dem Körper vermischt gewesen (588E), eine anthropologische Vorstellung, die im nachfolgenden Timarchosmythos ausgebaut wird, vgl. 591D-592C. 164 Mor. 589DE; Zieglers Übertragung, mit geringen Veränderungen. Im weit~~en Verlauf dieses Kapitels werden die Plutarchzitate, wenn nicht anders angezeigt, Zieglers Ubersetzungen (gelegentlich mit geringen Veränderungen) entnommen.
100
Teil 11: Semantische Analyse: 8cfoS" KTA. in ethischem Kontext
ein Wunder und für unglaubwürdig (eaVj1aaTOV iJyovvTaL Kai äTTLaTov). Das ist, wie wenn jemand glaubte, der Musiker spiele nur auf der entspannten Lyra, und wenn sie gespannt und gestimmt sei, rühre er sie nicht an und gebrauche sie nicht. Die wahre Ursache sehen sie nicht: den Mangel an Harmonie, die Unruhe in sich selbst (n]v EV aUTOlS' avapj10aT{av Kai Tapaxr}v). Von ihr war unser Freund Sokrates frei (fiS' arrr}MaKTo XUJKpaTT}S'), wie es der seinem Vater erteilte Orakelspruch offenbart hat, als er noch ein Knabe war.
Aus der ganzen Rede geht hervor: Die Bedingung dafür, die Mitteilung eines Dämonen wahrnehmen zu können, ist, daß man eine ungetrübte Seelenverfassung hat bzw. moralisch unbescholten ist. Solche Personen, die in ethischer Sicht die anderen Menschen übertroffen haben, unter ihnen auch Sokrates,165 pflegt man als eclOL Kai TTcpL TTOi av8pcS' bzw. als lcpoi Kai 8aLj16vLOL aVepUJTTOL zu bezeichnen. 166 Auch in Theanors Rede 167 kommt die Terminologie zweimal in diesem Sinn vor. Nachdem er sich kurz positiv über den Timarchosmythos geäußert hat, wendet er sich Simmias' Rede über den Beistand durch Dämonen zu: 168 Ich würde mich wundern, wenn jemand dem, was Simmias selbst gesagt hat (TOLs- UTTO XLj1j1{OV AEYOj1ivOLS' aUTov), den Glauben versagen wollte, wenn man also Schwäne, Schlangen, Hunde und Pferde heilig nennen (lEPOVS' ovaj1a(ovTES'), aber nicht glauben wollte, daß Menschen eElOL und eEoq;LAElS' seien (aVepWTTOVS' BE eE{OVS' ElvaL Kai eEoq;LAElS' aTTLaTOVVTES'), und dies, da man den Gott doch nicht für einen Vogelfreund, sondern für einen Menschenfreund hält (Kai TavTa TOV eEOV ou q;{AOpVLV dMd q;LAaVepUJTTOV iJyouj1EVOL).
Bevor wir uns dem Kontext zuwenden, ist zu beachten, daß sich Plutarch hier offenbar auf eine TextsteIle aus Platons Minos 318e-319 a bezieht: 169 Denn es kann nichts Frevelhafteres geben, ... als sich gegen die Götter ... zu vergehen, und an zweiter Stelle gegen eElOL äVepUJTTOL. ... Darum muß man auch lernen, gute und schlechte Menschen (xpTjaTovS' Kai TTOVTJpOVS' ävBpaS') zu unterscheiden. Denn die Gottheit zürnt, wenn jemand einen tadelt, der ihr ähnlich ist ... [Dieser] ist aber der gute Mensch (EaTL 8 OUTOS' 0 ayaeoS'). Denn glaube nur nicht, daß es zwar heilige Steine, Hölzer, Vögel und Schlangen gebe, nicht aber [heilige] Menschen (j1i] yap TL orOV A{eOVS' j1EV ElvaL lEPOVS' Kai tVAa Kai öpvEa Kai öq;ELS', aVepWTTOVS' BE j1r] [sc. ElvaL lEPOVS']); sondern von dem allen das heiligste ist der gute Mensch ( lEpwTaTov EaTLv äVepUJTTOS' 0 ayaeoS') ...
165 In 581B sagt Polymnis explizit, man halte Sokrates wegen seiner Wahrhaftigkeit und Einfachheit für einen großen Mann, der sich von den Massen unterscheidet ( ... aATjeE{aS' Kai G.TTAOTT}TOS' orS' TOV äv8pa wS' aATje(JS' j1iyav Kai 8Laq;ipovTa T(JV TToM(Jv YEyovivaL BOKOVj1EV), vgl. auch 580B. 166 Das 8i] ... KaAovj1Ev zeigt deutlich, daß Plutarch hier einen in seiner Umwelt bekann-
ten Ausdruck aufgreift: bekanntlich bezeichne man Menschen, die einen unbescholtenen Charakter und eine reine Psyche haben, als LEpoi Kai BaLj10VLOL. 167 Mor. 593A-594A. 168 Mor. 593A. 169 Übersetzung von Klaus Schöpsdau (nach Hieronymus Müller) in Platon, Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, hg. v. Gunther Eigler, Darmstadt 21990.
3. BEfos
KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
101
Daß Plutarch diese Stelle vor Augen hatte, zeigt nicht nur der Verweis auf heilige Vögel und Schlangen usw., sondern dort wie hier ist die Rede von den 8ElOl aV8pWTTOl. Plutarch fügt an jener Stelle, an der bei Platon Elval lEPOV5' ergänzt werden muß, 8EL OV5' Elval Kai 8EOCPlAEl5' ein. Im Platontext werden die Begriffe 8ElO5' / XP7]aT05' / aya805' / lEP05' / lEpuJTaT05' avryp / aV8pWTT05' als gegenseitige Substitute verwendet: sie stehen offensichtlich in einer Substitutionsrelation zueinander, sind also sinnverwandt. Daß dieselben Sinnrelationen in dem vorliegenden Plutarchtext vorliegen, geht aus dem Kontext hervor. In dem auf Mor. 593A folgenden Abschnitt wird durch eine ganze Reihe von Bildern bzw. Gleichnissen verdeutlicht, welche Menschen 8ElOl und 8EOCPlAELs- sind. 170 Der menschenfreundliche Gott verhält sich nämlich zu den Menschen wie der Pferdefreund (cpLAl TTTT05') zu Pferden: er wählt die Besten aus (Tlva aplaTov; T;f.1Ii5' TOU5' ßEATLaTOV5'), um ihnen dann eine besondere Ausbildung (lBLa5' TlV05' Kai TTEpl TTfj5' TTalBaywYLa5') zukommen zu lassen. Wie nur die wenigen abgerichteten Hunde und Pferde (ol IlEf.1a87]KOTE5') die Zeichen ihrer Meister verstehen können, genauso können nur die wenigen Menschen, die dafür gerüstet sind, die Zeichen der Götter rezipieren. Wie Könige nur mit ihren Vertrauten direkt kommunizieren, so tritt die Gottheit auch nur selten und zu wenigen in eine unmittelbare Beziehung (OVTW Ta 8ELOV OALYOl5' lVTvyxavEl Bl' aVTov Kai aTTaVLW5'), mit den anderen Menschen kommunizieren die Götter wie üblich nur mittels der Mantik. Theanor schlußfolgert: 171 Die Götter zeichnen also nur wenige Menschen in ihrem Leben aus ({)EOL flEV ovv OA{ YUJv av{)pWTTUJV KoaflovaL ß{ov), die sie als außerordentlich glückliche und wahrhaft göttliche Menschen (ouS' äv äKPUJS' flaKap{ovS' TE KaL ()E{OVS' wS' aAT]{)wS') vollenden wollen (aTTEpyaaaa{)aL ßOVAT]{)waLv).
Mit zwei bildreichen Gleichnissen wird nochmals eingeschärft, was dieses Vollenden (aTTEpyaaaa8al) umfaßt: Seelen, die dem Zyklus von Tod und Geburt entkommen sind, werden Dämonen,172 die sich wiederum wie alte Athleten daran machen, die jetzigen Lebensathleten in ihrem Bemühen um die Tugend anzufeuern (aVf.1cplAoTlf.10Vf.1EVOl TTP05' T7}V apET7}V lYKEAEvovTal Kai avvEtoPf.1Walv), jedoch erst dann, wenn sie sehen, daß diese nahe am Ziel der vollkommenen Tugend sind (oTav lyyv5' ifB7] Tfj5' EATTLBo5' G.f.1lAAWf.1EVOV5' 170 Es ist schon mehrmals auf die Sinnverwandtschaft von
{)ELOS' und {)EO<jJLArJS' verwiesen worden. Grundlegendes zur Bedeutung von {)EO<jJLArJS' bei Franz Dirlmeier, BEOifJIAIA ifJIAOBEIA, Ph NF 44,1935, S. 57-77.176-193, dort bes. 57-63.179-191. Dirlmeier geht der
Entwicklung der Bedeutung dieses Lexems und stammverwandter Lexeme nach, um die Verwendung des Begriffes in Numa 4 und der vorliegenden Stelle angemessen zu verstehen. Grundsätzlich gilt, daß das Lexem ethische Bedeutung hat und eng sinnverwandt ist mit Begriffen wie 8{KaLoS', aya{)oS', {)EoaEßrJS', EvaEßrJS' und öaLos-; nach Numa 4,4 seien diejenigen {)EO<jJLArJS', die 8La<jJEpovTUJS' aya{)oL, öaLoL und aw<jJpovES' sind. 171 Mor. 586D. 172 Mit Hinweis auf Hesiod Erga 122ff., vgl. die Überlegungen hier unten zu De defectu oraculorum 431E.
102
Teil 11: Semantische Analyse: BEtOS' KTA. in ethischem Kontext
Kat ljiavoVTaS' op(Jalv). Denn nicht dem ersten Besten steht der Dämon bei (ou yap OlS' ETVXc aVj1cpEpcTal TO 8alj10Vlov), sondern wie die Menschen am Strand nur Schwimmern, die schon nahe sind, die Hand reichen können (T(JV VT]XOj1EVUJV ... TOUS' 8 lyyuS' Tf8T] TTapaeEOVTcS' Kat TTapcj1ßaLVOVTcS' lij1a Kat Xclpt Kat CPUJvij ßOT]eODVTcS' dvaar(J(ovalv), stehen die Dämonen nur
denjenigen bei, die schon nahe an das Ziel der vollkommenen Tugend herangekommen sind (OUTOS' ... ToD 8alj1oVLoV 0 TPOTTOS'),173 Welch zentrale Rolle die Terminologie in dem Dialog spielt, geht daraus hervor, daß sie auch benutzt wird, um den Übergang zwischen den beiden Reden zu gestalten. Nachdem Simmias seine Rede abgeschlossen hat, fordert er Theokritos auf zu überlegen, ob sie nicht den Fremden aus Italien in die Untersuchung miteinbeziehen sollen, "die ja eclOl av8pcS' sehr nahe liegt und ihnen angemessen ist" (olKcLa yap TTavv Kat TTpOaT]KOVaa ecLOlS' dv8paal; 592F). Zunächst winkt Theanor ab und schlägt vor, daß Epameinondas, der dieselben Meinungen wie er vertrete, das Wort führen solle. Deutlich bezieht sich die Bezeichnung eclOS' dvryp hier also zumindest auf Theanor und Epameinondas. Theanor wird mit der Bezeichnung TTcpl TTOS' TlS' (dvryp) Kat OVK l8u!JTT]S' in den Dialog eingeführt (587E)174 und an anderer Stelle als ycvvaloS' dvryp und eaVj1aaToS' dVl}p Kat cplAoaocpLaS' aelOS' (579E). Von seiner sittlichen Qualität zeugen die Ereignisse am Grab des Lysis - die Tatsache, daß Lysis' Dämon zu ihm gesprochen hat (583B; 585F), erweist ihn als einen derjen~gen, deren sittliche Qualität es erlaubt, daß sie den eclOl av8pcS' zugerechnet werden. Andererseits ist die überragende Tugend des Epameinondas ein zentrales Thema des Dialogs - ihn als außergewöhnlich tugendhaft darzustellen, ist besonders das Ziel des von ihm und Theanor geführten Streitgespräches (582D-585D).175 Theanor bescheinigt ihm sogar, von einem Dämon geführt zu werden,176 was im Rahmen des Dialogs beweist, daß er eine Stufe der Atarachie erreicht hat, die es ihm erlaubt, auf eine solche Stimme zu hören - auch er gehört also zu denjenigen, die des Prädikats eclOS' bzw. 8alj1ovloS' würdig sind. Die eclOS' aVepUJTTOS'- Terminologie wird also auch in Plutarchs De genio Socratis in der Weise benutzt, wie wir es hier oben an anderen Stellen in der
Aus dem letzten Teil der Theanorrede geht hervor, daß diese Menschen, d.h. die eELoL äv8pES', soweit in der Tugend fortgeschritten sind, daß sie beim Tod den Zyklus von Geburt und Tod verlassen können, d.h. daß ihre Seelen nach den Anschauungen des Timarchosmythus (dort: 591A-C) zum Gebiet zwischen Mond und Sonne, zum Nous aufsteigen werden, um dort sogenannte Dämonen zu werden, vgl. dazu Babut, Doctrine demonologique, S. 203f. Dieselbe Vorstellung, nämlich daß die eELoL / 8aLIl6vLoL äv8pES' nach dem Tod zu Dämonen würden, liegt in Platon Crat. 398c vor: ... TTavi äv8pa öS' äv ayaeoS' iJ, 8aLIl6vLov ELvaL 173
Kat (WVTa Kat TEAEVn7aaVTa Kat opewS' "8aLIlOVa" KaAELaeaL. 174 V gl. Mor. 589C: TOLS' eELOLS' Kat TTEpL TTOLS' av8paaL.
175 V gl. dazu Riley, Purpose and Unity, 269ff. V gl. Mor. 586A. Epameinondas hat nach dem Tod des Lysis sein Daimonion als Lebensbegleiter bekommen, vgl. Babut, Dialogue, S. 57. 176
3.
ec[o~ KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
103
kaiserzeitlichen Literatur beobachtet haben. 177 Die Lexeme eELos- und 8aLj16vLOstreten offenbar als Qualitätsadjektive auf, die benutzt werden, um moralisch hochstehende Menschen zu bezeichnen. 178 Darauf deuten schon die anderen Qualitätsadjektive, die in engem Zusammenhang mit eELos- / 8aLj16vLos- benutzt werden: lEp6s- / TTEPLTT6s- / f.1aKapLos-. Ferner lassen sich dieselben Sinnbeziehungen, die hier oben bei Pseudo-Apollonios, Marcus Aurelius und Diogenes Laertios festgestellt wurden, auch hier aufzeigen. Einerseits wird die Terminologie eng an Begriffe wie TTEPLTT6s- und ayae6s- (vgl. apLG'Tos- und ßEATLG'TOSin 593B) angebunden (die in dem ausgesprochen moralischen Kontext sich eindeutig auf die hervorragenden moralischen Qualitäten der so Bezeichneten bezieht), andererseits steht sie offenbar in engster Sinnverwandtschaft mit Lexemen wie lEp6s- und eEOcpLAr]S-, die eher religiös-ethische Kategorien sind und insofern das Wortfeld enger abstecken. 179 In der Schrift geht es also unter anderem auch darum, Menschen, die wegen ihrer hervorragenden moralischen Qualitäten mit Ausdrücken des alltäglichen Sprachgebrauchs wie lEpol KaI 8aLf.16vLoL aVepUJTTOL, eELoL KaI TTEpLTTol av8pES-, f.1aKapLOL TE KaI eELoL aVepUJTTOL und aVepUJTTOL eElOL KaI eEOCPLAElS- bedacht werden, einer Gesamtanschauung der Weltordnung zuzuordnen und ihren Platz im Kosmos zu bestimmen. 18o Dafür bedient Plutarch sich der Stammverwandtschaft der Lexeme 8aLf.1UJv und 8aLf.1ovLoS-: Der ecLOSavepUJTTOs-- Terminologie, die im alltäglichen Sprachgebrauch eine moralische Kategorie bezeichnet, nicht aber das Dämonische denotiert oder konnotiert hat, wird hier von Plutarch ein Platz in einer Dämonologie bzw. Theologie zugewiesen. Erst so wird sie in Beziehung zu den Dämonen gesetzt. 181
177 V gl. die Überlegungen zu Ps-ApolIonios, Marcus Aurelius und Diogenes Laertios in diesem Kapitel. 178 Von jenem (wundertätigen) Übermenschen bzw. Gottmenschen der eclOS' dVrlP-Forschung ist hier jedoch keinesfalls die Rede; gegen Stoike, De Genio, S. 271f.279.280f.; Bieler, BEIDI ANHP I, S. 19. Vgl. auch Tiede, Charismatic Figure, S. 38ff., der meint, "There is (d.h. in der Schrift) a significant dis agreement as to what qualifies Socrates as a charismatic figure of divine or semi-divine stature ... ": Auch hier werden ecloS'/8aLJ.10VLoS' als Klassenprädikate, die Sokrates der Klasse der göttlichen Wesen zuordnen, verstanden. 179 V gl. die hier oben angedeutete Sinnverwandtschaft mit ÖCJLOS', ayvoS' und cVCJcßrlS' / ecoCJcßr]S' / ecOcpLAr]:;. 180 Babut, Dialogue, S. 68f.: " ... Plutarque a voulu ... presenter ... un panorama complet de l'humanite, vue sous l'angle de ses relations avec la Divinite. Au niveau superieur, il y ales hommes 'demoniques' ou 'divins', tels Socrate, Epameinondas et Theanor, aqui leur parfaite maitrise morale vaut d'etre en communication directe avec le monde divin." Es kann nicht die Rede davon sein, daß Plutarch die eclOL bzw. 8aLJ.10vLoL äVepW1TOL, insbesondere Sokrates, als göttliches Wesen darstelle, vgl. z.B. Tiede, Charismatic Figure, S. 38ff. 181 Auch in einem anderen Fall geht Plutarch in analoger Weise vor: Er ordnet den bekannten Ausdruck äVepW1TO:; voDv EXWV (vgl. 582B) seiner Kosmologie bzw. Dämonologie zu, indem er auf die wörtliche Bedeutung des Ausdrucks zurückgreift - diejenigen, die vov:; haben, seien diejenigen, die eine Nous-Dämon haben. Vorher hat der Dämon erklärt, daß die Leute einen Teil der Seele vov:; nennen, der jedoch eigentlich, weil er extern sei, als 8a{J.1wv bezeichnet werden müsse. Vgl. Mor. 591D-592C, dort 591F: oi 8E ävw 8LacpcpoJ.1cVOL 8a{-
104
Teil 11: Semantische Analyse: BEtOS' KTA. in ethischem Kontext
3.4.2 Der Gebrauch von
flE(77TEOZo~in
De sera numinis vindicta
Wir setzen die Untersuchung mit Erörterungen zur Verwendung der eELOSavepWTTOs-- Terminologie in einem der pythischen Dialoge Plutarchs, De sera numinis vindicta (548A-568A) fort. Dort finden wir ein interessantes Wortspiel, das sich auf dem Hintergrund des qualitativen Gebrauchs der Terminologie erklären läßt. Im Dialog wird die Theodizeefrage verhandelt. Ab 556E geht es insbesondere um die Frage, ob es gerecht sei, daß die Strafe oft die unschuldigen Nachkommen trifft. Plutarch rettet sich angesichts der Unlösbarkeit des Problems in einen Mythos (563B-568A). Der Mythos erzählt die Geschichte von einem Mann, der nach einem Unfall einen dreitägigen Scheintod erlebte und in dieser Zeit eine Offenbarungsreise durch die Oberwelt machte, von der er später seinen Freunden berichtete. Dort beobachtete er unter anderem die Strafen der Seelen (ab 566E) und vor allem die besonders harte Bestrafung derer, die durch ihre Vergehen und die Schlechtigkeit ihrer Nachkommen ins Verderben gestürzt worden waren (567A-D). Diese Offenbarungen führten bei dem Mann aus Soli zu einer beispiellosen und radikalen Bekehrung. Vorher war er ein sittenloser Mensch (563CD), ein TTOVTlP0S- der schlimmsten Art, einer, der sein Leben in großer Zügellosigkeit verbrachte (EV TTOUf] ßuJuas- aKoAauLq) und sich keiner Liederlichkeit enthielt (OV8EVOS- ouv aTTExof.1EVOS- aiuxpov) , die ihm Genuß oder Gewinn einbrachte. Er war berüchtigt wegen seiner Bosheit (8otav 8E TTOVTlPLaS- ... TTAELUTTlV uuvrjyaYEv). Auf seine Frage, ob er im verbleibenden Teil seines Lebens ein besseres Leben führen würde (Ei ßEATLOV ßuJuETaL), antwortete das Orakel, er täte besser daran (TTpdtEL ßEATLOV), wenn er sterben würde. Dieser Mensch macht nach seinen Erfahrungen während seines Scheintodes eine geradezu unglaubliche Wandlung durch (563DE: aTTLuTov TLva TOV ßLOU nlV f.1ETaßoAr]v ETTOLTlUEV), "denn die Kilikier kannten keinen, der ... gerechter in seinen Geschäften, der Gottheit gegenüber frömmer, den Feinden beschwerlicher, den Freunden zuverlässiger war" (OUTE yap / / 8 LKaLoTEpoV ... YLVWUKOUULV ETEpOV LALKES-... YEVOf.1EVOV, OUTE TTpOSTO eELOV OUUflTEPOV OUTE AUTTT}POTEPOV EXePOLS- fj ßEßaLOTEpoV cpLAOLS-). Er erfuhr eine gründliche Erneuerung seiner Sittlichkeit (8LaKoUf.1TlULS- Eis- tjeOS-). Plutarch erzählt jetzt, daß der Solier auf seiner Himmelsreise einen neuen Namen für sein neues Leben empfängt: 182 rl
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Da gewahrte er, so erzählte er, die Seele eines Verwandten, erkannte sie aber nicht sicher, weil er gestorben war, als er selbst noch ein Kind war. Aber jene /lOVES' EluL TWV voDv EXELV AEYO/lEVUJV ävfJpu5TTUJV und die Anmerkung von De Lacy/Einarson (LCL 7), Anm. a, S. 473. 182 Moralia 564C, danach öfters. Die Manuskripttradition schwankt sehr darüber, ob der Name Thespesios schon in 562B d.h. am Anfang der Erzählung im Text vorkommt. W. Sieveking (Teubner) liest 0 XOAEVS' 8EUTTEULOS', De Lacy und Einarson jedoch nur 0 XOAEVS'. Der Aufbau der Geschichte deutet eher darauf hin, daß die zwei Namen erst in 564C zusammen eingeführt werden.
3. BcfoS'
KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
105
Seele kam auf ihn zu und sagte: "Sei gegrüßt, Thespesios!". Da er sich wunderte und sagte, er sei nicht Thespesios, sondern Aridaios, erwiderte die Seele "Ja früher, aber von jetzt ab Thespesios. Denn du bist gar nicht gestorben, sondern durch eine Fügung der Götter mit dem Vernunftteil deiner Seele hierher gekommen, ihre anderen Teile hast du wie einen Anker im Körper zurückgelassen ...
Offenbar sind die zwei Namen Chiffren für die entsprechenden Lebensweisen: 183 'ApL8aLOS' (= zutiefst ElenderIUnglücklicher) als Symbol für das unsittliche Leben und Be(]'TTE(]'LOS' als Symbol für das neue, moralisch hochstehende und außergewöhnlich gute Leben. Daß Plutarch gerade den Namen Be(]'TTE(]'LOS' wählt für den neuen Menschen, dessen neues Leben sich dadurch auszeichnet, daß es in der Sittlichkeit nicht zu übertreffen ist (OUTe yap 8LKaLOTepOV ... YLVW(]'KOV(]'LV ETepOV KLALKeS' ... yeVOJ.1eVOV, OUTe TTPOS' TO ßeLOV O(]'LWTc pov OUTe AVTTTJpOTepOV EXßPOLS' ij ßeßaLOTepOV CPLAOLS'), ist bestimmt nicht
zufällig. Dies wird noch zusätzlich dadurch bestätigt, daß hier just die Lexeme 8LKaLoS' und O(]'LOS' (TTPOS' TO ßeLOV) verwendet werden, von denen wir schon mehrmals beobachtet haben, daß sie mit ßeLOS' in enger Sinnverwandtschaft stehen.1 84 Das Wortspiel mit dem Namen von Aridaios ("der zutiefst Elende") / Thespesios ("der sittlich Hochstehende") entfaltet sich also erst dann in seinem vollen Umfang, wenn man die qualitative Verwendung der ßeLOS' avßpwTToS'Terminologie beachtet. 3.4.3 Weitere Beispiele aus Plutarchs Biographien
Dreimal verwendet Plutarch die Begrifflichkeit in seinen Parallelbiographien. Zunächst kommt sie in der abschließenden Beurteilung der Leben von Kimon und Lycullus vor: 185 Faßt man also alles zusammen, so ist die Entscheidung zwischen beiden nicht leicht zu treffen. Denn auch die Gottheit hat, so scheint es, sich beiden wohlgesonnen gezeigt (TO 8aLf-l6vLOV df-l
Schon die parallele Verwendung von ayaßoS' Kai ßeLOS' deutet darauf hin, daß ßeLOS' hier nicht als Klassen-, sondern als Qualitätsadjektiv gebraucht wird. Plutarch bescheinigt den beiden Feldherren, daß sie tüchtig und überaus gottgefällig gewesen seien. Daß es sich hier nicht um eine ontologische Aussage über 183 Plutarch liebt es, seinen fiktiven Charakteren bedeutsame Namen zu geben: In De genio Socratis heißt der Pythagoreer, einer jener moralisch hochstehenden Menschen, nicht zufällig "Theanor" (= eELoS' dvr]p!). Daß Aidaios-Thespesios eine fiktive ~nd keine histori-
sche Persönlichkeit war, steht m.E. außer Zweifel (gegen Ziegler, Plutarch. Uber Gott, S. 322, Anm. 1 zu S. 203). 184 V gl. die Beobachtungen hier oben zu Ps-Apollonios und Diogenes Laertios 7, 117ff. 185 Comp. Cim. et Lyc. 3,6.
Teil 11: Semantische Analyse: ec[o~ KTA. in ethischem Kontext
106
die göttliche Natur der zwei Strategen handelt, geht nicht nur aus dem unmittelbaren Kontext1 86 und dem Aufbau der zwei Viten,187 sondern auch aus der Zielsetzung sämtlicher plutarchscher Parallelviten hervor. Denn sie sind als Charakterportraits gedacht,188 als Lebensvorbilder (Ta Trapa8Ef Y/1aTa TtiJv ßfUJV) großer, tüchtiger Männer, die den Leser zu einem besseren Leben führen sol1ten. 189 Die ethische Perspektive ist primär, jene Männer sind Menschen aus Fleisch und Blut, denen es nachzueifern gilt - der ethische Bezug des Adjektives eELOS- ist unverkennbar. Auch in der Vita Sertorii begegnet die Terminologie. Dort erzählt Plutarch, wie Sertorius die religiösen Gefühle der Spanier mittels einer von ihm gezähmten weißen Hirschkuh zu seinem Vorteil manipulierte (vgl. 11,3.6). Er behauptete, sie sei ein Geschenk der Artemis gewesen und gebe ihm viel Verborgenes bekannt (TroMd TtiJv d8r]AUJV ETrE<pr]/1L(EV aVTrp 87]AoDv; 11,6). Die Einheimischen waren folglich zu allem, was er von ihnen wollte, bereit, ... weil sie überzeugt waren, daß sie nicht von den Überlegungen eines Mannes aus fremdem Stamm, sondern von einer Gottheit (sc. Artemis) geführt würden (OUx
ud
av8poS' aM.o8a1Tov AOYLa/1(;]v, aM.' U1TO eEOV aTpaTTJYELaeaL),
ein Glaube, den zugleich auch die Tatsachen bezeugten, da seine Macht über alles Erwarten anwuchs. 190
In Kapitel 20 erfahren wir, daß Sertorius niedergeschlagen war, da sein wunderbares Hilfsmittel zur Beeinflussung der Barbaren entschwunden war. Als die Hirschkuh aber wieder aufgetaucht war, inszenierte er ihre Rückkehr, die er nach einer Eingebung in einem Traum vorausgesagt hatte. In diesem Kontext (20,5) schreibt Plutarch: Als nun Sertorius die Hirschkuh freundlich liebkoste, und auch etwas weinte, erfaßte die Anwesenden zuerst Staunen, dann aber geleiteten sie den Sertorius als einen Begnadeten und Liebling der Götter unter Beifall und Jubel nach Hause (TOV XEPTWPLOV tlJS' 8aLfl6vLoV äv8pa Kat eEOLS' cp{AOV OLKa8E 1Tpo1TEfll/JavTES') und waren wieder mutig und voll froher Hoffnung.
Das Begriffspaar 8aL/16vLos- dVr7P Kat ßEOLS-
188 V gl. Alexander 1ff. 189 Vgl. bes. Ziegler, Art. Plutarchos, Sp. 903-905. 190 Vit. Sert. 12,1.
3. Bcfos
KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
107
ziert haben. Die mit der Hirschkuh verbundenen Ereignisse veranlaßten die Spanier, wieder Mut zu schöpfen, weil sie belegten, daß die Gottheit sie bzw. Sertorius nicht verlassen hätte. Sie bestätigen also, daß Sertorius ein Liebling der Götter, in diesem Falle der Artemis (ßEOLS- cpLAOS-) , also ein aufrichtiger, frommer und heiliger Mann (8aLflovLos- avrjp) sei. 191 Mehr ist dem Text jedoch nicht zu entnehmen. In Vita Catonis 21,8 ff. überzeugt schon eine flüchtige Lektüre des Textes davon, daß sich der an dieser Stelle verwendete Ausdruck ßELOS- aVrlP schwerlich auf dem Hintergrund des Erklärungsmodells der ßELOS- avryp-Forschung interpretieren läßt: Zu solchem Verfahren hielt er auch seinen Sohn an und sagte ihm, sein Vermögen abnehmen zu lassen sei nicht Sache eines Mannes, sondern einer Witwe. Ein noch stärkeres Stück Catos ist es (EKELVO 8 if8T] acpo8poTEPOV ToD KaTWVOS') , wenn er sich zu sagen unterfing, der müsse als ein bewundernswerter und gottgefälliger Mann gelten (ÖTL eaV/1aaTOV äv8pa Kat eELOV ElTTELV ETOA.J1T]aE TTPOS' 8o,av) , aus dessen Büchern es sich erweise, daß er mehr Hinzuerworbenes als Ererbtes hinterlasse.
In dem weiteren Kontext dieses Textes wird beschrieben, wie Cato persönlich die Erziehung seines Sohnes wahrgenommen habe, um mit Hinblick auf die Tugend aus ihm ein würdiges Produkt seiner Anstrengungen zu machen (20,9: OUTW 8E KaAov tpyov Eis- apETT]V Ttj] KdTWVL 1TAaTTovTL Kai 87]flLOVPYOVVTL TOV vlov) - dem Jungen wird tatsächlich auch einige Zeilen weiter von Plutarch bescheinigt, daß er sich später auf dem Schlachtfeld als ein d yaßosdvryp erwiesen habe (21,10). In diesem Rahmen werden auch die skrupellosen,
lediglich auf Profitmaximierung ausgerichteten Geschäfte Catos beschrieben, die er auch seinem Sohn nahelegte. Man beachte also den ausgesprochen ethischen Zusammenhang, in dem die Begrifflichkeit begegnet. Daran schließt sich eine weitere Beobachtung an: Die Bemerkung, mit der Plutarch den Satz einleitet (EKELVO 8 if87] acpo8poTEPOV TOV KaTwvos-) schränkt wohl die catonische Behauptung gezielt ein. 192 Offenbar fand er eine solche kausale Verbindung der Bezeichnung ßavflaaTos- dvryp Kai ßELOS- mit finanziellem Erfolg anstößig. Dies impliziert, daß Plutarch darum wußte, daß dieses Prädikat nur bedingt auf eine Person angewandt werden darf und daß er die gesellschaftlichen und sprachlichen Regeln dafür kannte. Nicht jeder kann aus irgendeinem beliebigen Grund dieses Adjektiv für sich beanspruchen, so daß hier eine negative Einschränkung des Anwendungbereiches des Begriffes ßELOS- vorliegt. Das Lexem ßELOS- tritt hier, wie schon der parallel verwendete Begriff ßavflaaTos- nahelegt, offenbar als Qualitätsadjektiv (d.h. nicht als Klassenadjektiv) auf. Ferner legt 191 Hier liegt also dasselbe Denkmuster vor wie in De genio Socratis, nämlich daß man aus der Tatsache, daß die Götter direkte Kommunikation mit jemandem aufnehmen, auf die außergewöhnliche Tugend derjenigen Person schließen dürfe. 192 Das acpo8poTEPOV ist als "stärker als es sich schickt / als recht ist" bzw. "allzu stark" zu verstehen, vgl. Kühner/Gerth 11/2 §540, Anm. 7.
Teil 11: Semantische Analyse: ecfo~ KTA. in ethischem Kontext
108
der ausgesprochen moralische (bzw. unmoralische) Kontext nahe, daß es als Prädikat lediglich sittlich hochstehenden Menschen beigelegt werden kann, andererseits aber Menschen, die in sittlicher Hinsicht nicht hervorragend oder gar unsittlich sind, nicht beigelegt werden darf. 3.4.4 Die
f)ELOL aJ/opE~ in
Mor. 748CD
In Moralia 748D bzw. der 15. Abhandlung vom 9. Tischgespräch taucht die eELOS" aVepWTTOS"- Terminologie an unerwarteter Stelle auf und bringt Kommentatoren wie Übersetzer in Erklärungsnot. 193 Dort fachsimpelt Plutarchs Lehrer Ammonios über das Tanzen und erklärt technische Termini der Theatersprache wie cj;opd (Schritt), axfjlla (Stellung) und 8ELfLS" (Gestik). Er erläutert dies anhand der engen Beziehung von Tanz und Dichtung (747A-748A). Sodann kommt er auf das VTToPXTJlla, die Kombination von Gesang und mimetischem Tanzen in einer Person, zu sprechen (748A-D).1 94 In diesem Zusammenhang beklagt er die bestehenden Verhältnisse: 195 Heute jedoch genießt nichts so die Früchte schlechter musischer Künste (TfjSKaKoflov(J{as-) wie der Tanz (ws- iJ öPXT}(J"Ls-). Infolgedessen erlebt er dann auch das, was Ibykos fürchtete, wenn er schrieb (Fr. 24 Page): "Ich bange darum, etwas gegen die Götter (TL TTapa ecOls-) zu freveln und im Tausch bei den Menschen Verehrung zu empfangen (TLflG. v TTPOS- aVepuJTTUJV aflcLl/JUJ)."
Denn der Tanz wählte sich eine profane Dichtung als Gesellin (TTavBT}fl6v TLva TTOLT}TLKr]V TTpoucTaLpLUaflEVT}), als er bei jener himmlischen Dichtung in Ungnaden fiel (TfjS- 8 ovpavLas- EKTTcuoDd EKcLVT}S-). Nachdem er fast alle Musik wie ein Tyrann zum Gehorchen gezwungen hat, bemächtigt er sich des launischen und vernunftlosen Theaterpublikums (TcJV flEV EflTTAryKTUJV Kal avoryTUJv KpaTcl ecaTpUJv), hat indes die Verehrung bei den vernünftigen und wahrlich eclOL Männern eingebüßt (Tr]V BE TTapa TOlS' voDv EXOVUL Kal ecLOLS- avBpauLv wS' aAT}ecJS' TLflr]V aTToAuJAcKc).
Ammonios (bzw. Plutarch) wendet sich hier gegen eine Entwicklung seiner Zeit: 196 Seit Anfang des ersten Jahrhunderts verbreitete sich im ganzen Reichsgebiet die Tanzform der Pantomime,197 über Nacht waren pantomimi gesuchte Künstler, die sehr populär waren. Seit Augustus beherrschten sie regelrecht die Bühne im ganzen Reichsgebiet. Im Gegensatz zum Hyporchema, in dem Tanz und Gesang jedoch eine gleich große Rolle spielten und in einer Person vereinigt waren, steht der Tänzer in diesem Genre allein im Zentrum der Inszenie193 V gl. Sandbach, LCL 9, z. St., Anm. e. 194 Vgl. Herman Koller, Die Mimesis in der Antike. Nachahmung, Darstellung, Ausdruck, Bern 1954, S. 166ff. 195 Mor. 748CD. 196 So Sandbach, LCL 9, S. 298f., Anm. b. 197 Zu Entstehung, Form und Inhalt der Pantomime vgl. in erster Linie Lukian, De saltatione und Suda, S.v. ÖPXT}ULS'; Ernst Wüst, Art. Pantomimos, RE I 18.3, 1949, Sp. 833-869; Karl Vretzka, Art. Pantomimos, KP 4, Sp. 478-482.
3.
eclo~
KrA. als religiös-ethische Qualitätsadjektive
109
rung, Musiker und Chor spielen dabei nur eine untergeordnete und unterstützende Rolle. Der Tanz, von Chorgesang mit künstlerisch wertlosen Texten begleitet,198 betonte das Visuelle und das Körperliche,199 was wiederum zu Exzessen im sexuellen Bereich führte. 20o Dies wurde besonders von Intellektuellen scharf kritisiert. 201 Offenbar war die Pantomime mit den gehobenen moralischen Vorstellungen vieler Philosophen nicht zu vereinbaren. 202 Im vorliegenden Text werden VTTOPXTJj1a und OPXTJ(J'L5', Götter und frevelnde Menschen, himmlisch und profan einander gegenüber gestellt. Parallel dazu werden die launischen und unvernünftigen Massen, die in die Theater pilgern, mit den vernünftigen Menschen (ol vouv EXOVTE5') und ßElOL aV8pE5' kontrastiert (J1EV ... 8E!).203 Der ethische Kontext zeigt, daß wir hier mit dem qualitativen Gebrauch von ßElO5' rechnen sollten, die religiös zugespitzte Kontrastierung legt nahe, daß ßElO5' hier in der Bedeutung ÖUL05' / ouufJTaT05' bzw. ßEOCPLAr]5' / ßEOCPLAECT TaTOS' gebraucht wird.
3.5 Ergebnis Der Sprachgebrauch der Apollonios-Briefe, Mark Aurels, des 7. Buches von Diogenes Laertius sowie Plutarchs zeigt, daß die Adjektive ßElO5', 8aLj1oVL05' und ßEUTTEUL05', wenn sie Menschen als Prädikat beigelegt werden, nicht als Klassenadjektive, sondern als Qualitätsadjektive fungieren. Sie gehören zu einem Wortfeld mit anderen sinnverwandten Lexemen wie IißE05' (Antonymie), ÖUL05' / EVUEßr]5' / ßEOUEßr]5' / ßEOCPLAr]5' (Synonymie bzw. partielle Synonymie), infolgedessen auch mit dVOUL05' / dUEßr]5' / 8VUUEßr]5' (wiederum Antonymie), und auch 8{KaL05' (nicht-kontradiktorische Ko-Hyponymie; gelegentlich ist ßElOS' jedoch 8{KaL05' hyponymisch untergeordnet). Der religiösethische Bezug der Verwendung bzw. der Bedeutung der Begrifflichkeit wird durch den parallelen Gebrauch mit dem Lexem lEP05' (Plutarch Mor. 589D) verstärkt. 204 Dieses Wortfeld, das aus Qualitätsadjektiven besteht, die sich auf (religiös-)ethische Qualitäten beziehen, ist einem größeren Wortfeld der ethisehen Qualitätsadjektive wie ayaßo5' / KaA05' / XPTJUT05' / TEAEL05' einerseits
198 Vgl. Seneca (d. Ä.), Suasoriae 2,19. 199 Lukian, De salto 63. 200 V gl. Vretzka, KP 480f. 201
Iuvinal6,64ff.; Plinius Ep. 7,24; Quaest. Nat. 7,184.
202 Plinius Ep. 7,24. Überhaupt standen Philosophen dem Tanzen reserviert gegenüber, Cicero, Pro Murena 6,13 (keiner tanzt nüchtern!), Lukian De salto 69. 203 Auch in De genio Socr. hat Plutarch die voDv EXOVTc5' und ecLOt äv8pc5' eng miteinander verknüpft; vgl. die Überlegungen zu jener Schrift hier oben. 204 Man muß damit rechnen, daß eine strenge Trennung zwischen den Bedeutungen und den Verwendungen der Lexeme Ö0105', Lcp05' und äyto5' nicht immer möglich ist; vgl. auch die Überlegungen hier oben zu Lukian, Alex. 61.
110
Teil 11: Semantische Analyse: BEtos KTA. in ethischem Kontext
und KaKoS' andererseits hyponymisch zugeordnet. 205 Das häufig beobachtete Phänomen der Beiordnung der ßELOS' av8pUJTToS'- Terminologie und der Komparative ßEATla"ToS' (Plutarch Mor. 593B), 8lKaloTEp0S', Oa"luJTEpoS' (Plutarch Mor. 563D) bzw. der Superlative aplO"ToS' (Plutarch Mor. 593B) zu den jeweiligen sinnverwandten Lexemen (auch TTEpl TTOS', 589C) legt nahe, daß ßELOS' KTA. Steigerungsformen solcher Lexeme wie OO"lOS' und ßEOO"Eß7}S', also 8lacpEpovTUJS' OO"lOS' sind. 206 Sie sind nicht nur synonym (z.B. "fromm" / "gottgefällig" / "rechtschaffen"), sondern beinhalten zudem eine steigernde Engführung der Bedeutung (z.B. "zutiefst fromm" / "überaus gottgefällig" / "sittlich hochstehend"). Es ist in dieser Studie nicht angestrebt worden, eine Begriffsgeschichte der eclOS- ävepUJTTOs-Terminologie zu schreiben, denn das hätte den Rahmen der vorgenommenen Untersuchung gesprengt. Trotzdem seien an dieser Stelle einige Anmerkungen zu dieser Fragestellung gestattet, denn die hier aufgezeigten Sinnbeziehungen lassen sich auch an anderen, älteren Texten belegen. Die früheste Stelle, in der die Terminologie überhaupt vorkommt, befindet sich in Hesiods Erga 727-732: 207 Im Rahmen von Vorschriften, die sich auf das anständige Verrichten der Notdurft beziehen, ist dort die Rede vom eclOS- dvrjp, der seine Notdurft, wie der Anstand es verlangt, sitzend und zur Wand eines Innenhofes gewandt verrichtet. 208 Der ecLosdvrjp ist der fromme, anständige Mensch, der sich an die Regeln des Anstandes hält, Regeln, die in der Antike fast immer religiös begründet waren. West urteilt dementsprechend, daß das Wort hier ein Synonym für ecov8rjs- ist, also "gottesfürchtig", "fromm" bedeutet. 209 205 Dabei ist zu beachten, daß solche ethischen Qualitäten in Sprachen meistens, und so auch im kaiserzeitlichen Griechisch, einander nicht rigide zugeordnet sind - die Grenzen zwischen den Lexemen sind oft fließend, so daß die genaue Füllung und die Abgrenzung von anderen Lexemen erst in einem konkreten Kontext erfolgen können. Vor allem die Lexeme, die auf höheren Stufen der Hyperonymie stehen (dyaeos-!), können sich selbst hyponymisch untergeordnet werden. So scheinen eclOS- und dyaeos- einander manchmal in der Bedeutung sehr nahe zu kommen (Markus Aurelius 7,67; vgl. auch die Überlegungen zu Philostrats Vita Apollonii in Kap. 12). 206 Vgl. z.B. das OV8E 8LKaLoTcpoV,ov8E oau!JTcpoV in Plutarch Mor. 563DE (eventuell auch ecocpLAEaTaTos-und oau!JTaTos- in Plutarch Lyc. 31,6). Vgl. Plutarch Numa 4,4, wo die ecOcpLAclS- diejenigen sind, die 8LacpcpovTUJs- dyaeo{, öaLoL, awcppovcs- sind. 207 Vgl. zur Stelle Martin L. West, Hesiod, Works and Days, Oxford 1978, dort S. 333336, bes. 336, der den Quellenhypothesen von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Hesiodos' Erga, Berlin 1928, dort S. 124f. an dieser Stelle sehr skeptisch gegenüber steht. Bieler, BEIGL; ANHP I, S. 13f. zufolge sei dies die erste Stelle, in der man "den ecLos- dvrjp im engeren und eigentlichen Sinne" erkennen könne. 208 Die Verbote werden 727-730 aufgelistet und, insofern sie nicht sofort einsichtig sind, in 730 erklärt (das Gebot, dies nur beim Sonnenuntergang und Aufgang zu tun, also des Nachts zu unterlassen, wird damit begründet, daß die Nächte den Göttern gehören). In 731f. folgt eine positive Aussage darüber, wie jeder anständige Mann sich benehmen würde. Es kann nicht die Rede davon sein, daß "diese ecLOL unzweifelhaft aus der Zahl der Menschen herausgehoben werden, und zwar als solche, die eine Art Tabu beachten", wie Bieler, BEIGL; ANHPI, S. 13f. denkt. 209 West, Hesiod 11, S. 336: "Here ... in our sense of 'godly', ecov8rjs-." So schon von Martitz, Art. vlos-, S. 338, der die Bedeutung als "fromm" angibt. Wilamowitz macht keine Angaben über die Bedeutung des Lexems an der Stelle. Nach Bieler, BEIGL; ANHP I, S. 13f. haben auch zwei Kommentatoren, Goettling und Flach (non vidi), die Meinung vertreten,
3. Bcfo,S'
KTA.
als religiös-ethische Qualitätsadjektive
111
Diese qualitative Verwendungsweise liegt auch in einem Komödienfragment des Dichters Kratinos (5. Jh. v. Chr.) vor: 210 Auch ich, der Schreiber Metrobis, hab' gehofft,1 Mit dem göttlichen Mann (auv dv8pi eEÜp), dem gastlichsten von allen (cpLAofEVWTaTftJ), I Dem edelsten von allen unter den Hellenen (dpLaTftJ TWV IlavEMr]vwv) , I Kimon, ein fröhliches Alter zu verleben I In stetem Schmausen. Aber er verließ uns, I Ist vor mir gegangen. Die Bezeichnung eELOS- dVr]p bezieht sich hier offenbar nur auf Kimons Anstand und sein hervorragendes sittliches Benehmen, wie die parallel verwendeten Superlative CPLAOfEV uJTaTos- und äPLaToS- zeigen. Auch Platon kannte diese Bedeutung, wie eindeutig aus Politeia 2,383c hervorgeht: El j1EMovaLv T]j1LV ol cpvAaKES- eEoaEßELS- Kai eELOL yLyvEaeaL. 211 Ferner erwähnt Platon (Men. 99d), daß die Spartaner einen guten Mann (dyaeos- dVr]p) als eELOS- dVr]p bezeichneten, wie auch Frauen guten Männern das Prädikat eELOS- beigelegt hätten. 212 Auch im Kratylos (398bc) liegt dieser Sprachgebrauch vor: der Gute, zu Lebzeiten 8aLj10vLOS-, werde, nachdem er gestorben ist, BaLj1WV genannt;213 in diesem Sinne wird die Terminologie vielleicht auch im Minos 318e-319a verwendet. 214 Ferner ist die Beobachtung wichtig, daß sich dieser Sprachgebrauch bis in die Spätantike nachweisen läßt. So liegt er beispielsweise uneingeschränkt in Porphyrs Schrift Ad Marcellam 15 (Pötscher) vor: 0 BE äfLOS- ävepW7TOs- eEOV eELOS- äv EL1].215 Im unmittelbaren Kontext kommt die ganze Palette bisher beobachteter sinnverwandter Lexeme vor: die Antonyme äeEOS-, dvoaLos-, ä8LKOS- (dadurch natürlich impliziert die Synonyme öaLos-, 8LKaLos-, EvaEßrJS-), ferner das Synonym eEOcpLAr]S-, außerdem noch verwandte Lexeme wie cpLAOeEOS-, dvafLos- / äfLOS- eEOV. Das Adjektiv eELOS- legte man dem überaus frommen und gottgefälligsten Menschen als Prädikat bei, ohne dadurch implizieren zu wollen, er sei ein Gott oder göttliches Wesen. Die Adjektive eELOS- KTA. wurden nicht als Klassenadjektive in
eEL os- sei hier gleichbedeutend mit EvaEßr]s-. Wenig überzeugend wirkt Bielers Beteuerung, eELOS- sei "wenigstens dem gefühlsmäßigen Gehalt nach mehr und voller". 210 Comicorum Atticorum fragmenta (hg. v. T. Kock, Leipzig 1880), Fr. 1 (= Plutarch V.
Cim. 10,4), Übers. aus Ziegler, Plutarch. Grosse Griechen und Römer II. Selbst Bieler, BEIDL; ANHP I, S. 11, Anm. 6 gibt zu, daß hier nur Kimons außergewöhnliche Freigebigkeit in den Blick komme. 211 V gl. von Martitz, Art. vlos-, S. 338, vgl. auch Nomoi 2,666d. 212 Men. 99d: Kai aL' yvvaLKES- 8r]7TOV TOUS- ayaeouS- äv8pas- eE{OVS- KaAovaL· Kai ol AaKwvES- öTav TLva dKwj1La(waLv dyaeov ävBpa, eELOS- aVr]p, cpaa{v, OUTOS-; vgl. Aristoteles EN 7, 1145a: ol AaKwvES- EluJeaaL 7TpoaayopEvELV,
öTav dyaaewaL acp6Bpa TOV, aELos- dVr]p cpaaLV. 213 Crat. 398bc: l7TEL8av TLS- dyaeos- WV TEAEVrr}a7] ... y{ YVETaL Ba{j1wv .... TaVTIJ OVV T{eEj1aL Kai lyw ... 7Tavi äv8pa ÖS- äv ayaeos- 15, 8aLj10VLOV ElvaL Kai (wvTa Kai TEAEvrr}aavTa Kai opeWS- 8a{j1ova KaAELaeaL.
214 V gl. die Überlegungen hier oben zu Plutarch, De genio Socr. 593A. 215 Gegen Edwards, Two Images, S. 161, der meint, Porphyr vertrete an dieser Stelle die Meinung, "the godlike man is nothing less than a god" und die Unterscheidung zwischen eEOSund eELOS- dVrlP sei ihm bedeutungslos gewesen. Sogar die oj1oLwaLS- eElj], von der im nächsten Satz die Rede ist, ist vollständig auf die Tugend, auf das gute Leben bzw. das Sittliche begrenzt. Vgl. auch den Kommentar von Pötscher, Porphyrios. Ilpos- MapKEMav, zu §§ 15f., der von dieser vermeintlichen Vergöttlichung nichts zu berichten weiß.
112
Teil 11: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in ethischem Kontext
bezug auf Menschen benutzt, sondern als Qualitätsadjektive, die nur eine moralische Prädikation beinhalten. Sprachhistorisch gesehen ist es möglich, daß über Jahrhunderte hinweg eine Verschiebung in der Bedeutung der Lexeme eELOS' KT)... eingetreten ist, wenn sie in syntagmatische Relationen mit Nomina treten, die auf Menschen referieren: Ursprünglich dürften sie in bezug auf Menschen als relationelle Klassenadjektive in der Bedeutung "im Schutze der Götter stehend" bzw. "dem Gott nahestehend" benutzt worden sein. Mit der Zeit sind sie wohl immer öfter in Kontexten aufgetreten, in denen die (religiös-) ethischen Vorzüge der jeweiligen Referenten hervorgehoben wurden, bis jene eingeschränkte Distribution zu einem festen semantischen Merkmal der Terminologie geworden ist (Institutionalisierung), wie anhand der kaiserzeitlichen Verwendung belegt werden kann.
TEIL 111
SEMANTISCHE ANALYSE Der Gebrauch von BEtOS', 8aL/16vLoS' und 8EO'TTEO'LOS' in epistemologischem Kontext
4. Der Ausdruck 8aLJ16vLos- dvrjp bei Dionysios von Halikarnassos Die im Teil 11 dieser Untersuchung aufgezeigte Verwendung der Adjektive 8cLOS', 8currEuloS' oder 8alj10VloS' als Qualitätsadjektive, die einem Wortfeld angehören, das aus Qualitätsadjektiven wie a8coS', aUloS' / cuucßr]S' / 8coucßr]S' / 8cOCPlAr]S' und avouloS' / aUcßr]S' / 8vuucßr]S' bestehen, die sich auf moralischethische Qualitäten beziehen, läßt sich nicht immer als Erklärungsmodell anwenden, wenn die betreffenden drei Adjektive Nomina beigelegt werden, die auf Menschen referieren. Wir starten also einen zweiten Anlauf, um weitere Verwendungsmöglichkeiten der 8cLOS' av8pUJrroS'- Terminologie in der kaiserzeitlichen Literatur zu eruieren. Um einen ersten Eindruck davon zu gewinnen, bietet sich eine Analyse der Terminologie bei Dionysios von Halikarnassos an. l Dionysios verwendet die 8cLOS' av8pUJrroS'- Terminologie an mehreren Stellen in seinen Schriften,2 legt Menschen jedoch nicht die Adjektive 8cLOS' und 8currECT lOS', sondern nur das Adjektiv 8alj1oVloS' bei. 3 Im Folgenden wollen wir der Frage nachgehen, inwiefern der Gebrauch der Terminologie durc~ Dionysios
1 Zu dem Leben und Werdegang von Dionysios von Halikarnassos vgl. Ludwig Radermacher, Art. Dionysios 113, RE I 5, 1905, Sp. 934-971; G. W. Bowersock, Dionysius of Halicarnassus, in: P. E. Easterling / B. M. W. Knox, The Cambridge History of Classical Literature. I. Greek Literature, Cambridge 1985, S. 643-646; Michael von Albrecht, Art. Dionysios 20, KP 2, Sp. 70f. Aus mehreren Gründen ist es sinnvoll, bei Dionysios anzusetzen: In erster Linie gehörte er der frühen Kaiserzeit an, schrieb also kurz vor der Entstehung des Christenturns und repräsentiert insofern die Sprache, die dem ersten nachchristlichen Jahrhundert vorgegeben war. Ferner war er ein ausgesprochen guter Stilist und Stilkritiker gewesen, so daß zu erwarten ist, daß er auch die 8clos- aV8pUJ7TOS-- Terminologie in einer sehr dezidierten Weise anwendete. 2 Textausgabe der historiographischen Werke von K. Jacoby, Dionysii Halicarnasei antiquitatum Romanarum quae supersunt, 4 Bde., Leipzig 1885-1905 (Nachdruck Stuttgart 1967), der rhetorischen Werke von H. Usener, L. Radermacher (Hg.), Dionysii Halicarnasei quae extant, Bde. 5 und 6, Leipzig 1899 (Nachdruck Stuttgart 1965), Text mit englischer Ubersetzung von S. U sher, Dionysius of Halicarnassus. The Critical Essays in Two Volumes, LCL, London 1974/85. 3 Dem. 7.23.26.28.46; Lys. 3; De comp. verb. 18.20; De comp. verb. (epitome) 18. In diesen Texten wird das Wort 8aL/16vLos- (oder das Derivat 8aL/10vu!JTaToS-) für Demosthenes, Platon, Thukydides und Homer verwendet. Das Lexem 8clos- wird jedoch in Rh. 8,12 und 9,13 jeweils innerhalb von Homerzitaten als Attribut für Odysseus, Mynes und Achilles (Il. 2,335; 20,295-299) benutzt. In Rh. 8,13; 9,4 sowie 9,8 kommt die Apostrophe 8aL/16vLc vor, ebenfalls jeweils als Teil eines Homerzitats (Il. 2,190; zwei mal 9,40f.; 9,32-49). Man beachte jedoch, daß die Unechtheit der Schrift Ars Rhetorica kaum noch umstritten ist. Sie entstammt dem dritten nachchristlichen Jahrhundert (vgl. Radermacher, Art. Dionysios, Sp. 969f.; Albin Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, 3. neubearb. U. erw. Aufl., BernlMünchen 1971, S. 929). Diese Wendungen kommen für die Frage nach der synchronen Bedeutung der Terminologie innerhalb der Schriften des Dionysios nicht in Betracht.
4. Dionysios von Halikarnassos
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Aufschluß darüber geben kann, welche semantischen Beziehungen ihre Bedeutung bedingt haben.
4.1 Der 8aLJ.16vLos- dVl}p: Demosthenes oder Platon? Da die Terminologie gehäuft in Dionysios' Schrift über den Stil des Demosthenes vorkommt, liegt es nahe, dort anzusetzen. In Dem. 46 wird Demosthenes ausdrücklich als 8aLj16vLoS" dvryp bezeichnet: Um zusammenzufassen: er (sc. Demosthenes) meinte, daß man die Kompositionsarten mischen muß, aber nicht nur nach den Eigentümlichkeiten der Reden und der unterschiedlichen Veränderungen der Stoffe, sondern auch nach den Arten der Unternehmungen selbst. Denn er sah, daß die zu ergänzenden Teile unterschiedliche Arten (qJl)aEL5') haben und versuchte, sie mit wechselnden Stilfiguren zu schmücken, indem er seine Aphorismen in einer Weise zusammenstellte, seine (logischen) Beweisführungen in einer anderen und die Beispiele wiederum anders. Die Schrift wäre jedoch sehr lang, wenn ich alle unterschiedlichen (Arten) aufzählen wollte, die jener 8aLj16vL05' dVr7P wahrgenommen hat. Er hat, da er seine Sprache immer jeder Nuance anpaßt, jene schönen Reden gestaltet, indem er jeweils die zwei Arten der Wortkombination durch Entspannung oder Intensivierung bestimmt.
Der Ausdruck 0 8aLj16vLoS" dvryp wird plötzlich und auf den ersten Blick unmotiviert verwendet, so daß die Bedeutung nicht aus dem unmittelbaren Kontext erschlossen werden kann. Sie kann nur eruiert werden, wenn man den Gesamtkontext in Betracht zieht. Dazu ist zweierlei geboten: einerseits muß die Haltung des Dionysios gegenüber Demosthenes im Gesamtkontext erhellt werden, andererseits ist auf den Gebrauch des Lexems 8aLj16vLoS" und seiner Derivate, wenn sie in Dionysios' Werken Menschen beigelegt werden, zu achten. Betrachtet man den Gesamtkontext, so zeigt sich, daß die Schrift aus zwei Teilen besteht: 4 Der erste Teil (§§ 1-33) bildet einen ausführlichen Beweis der These, Demosthenes sei der beste Stilist unter den politischen Rhetoren und der beste Repräsentant des Mischstils gewesen. Dies geschieht mit Hilfe eines ausführlichen Vergleiches zwischen seinem Stil und dem anderer Schriftsteller. Im zweiten Teil (§§ 34-56) folgt dann eine Analyse des demo sthenischen Stils für sich. Der erste Teil ist wiederum aus zwei Teilen aufgebaut. Im ersten werden die drei Stilformen aufgeführt, jeweils mit ihren besten Vertretern: die AE'LS" vl/lrJAry (Gorgias und Thukydides, § 1), die AE'LS" ALTry (Lysias, § 2) und die AE'LS" j1LKTry (mit ihren besten Vertretern Trasymachos (§ 3), Isokrates (§ 4), Platon (§§ 5-7) und Demosthenes (§§ 8-14)). Demosthenes habe den Stil perfektioniert, indem er das Beste aus den beiden anderen Stilarten übernommen und zur Vollkommenheit geführt habe. Dies demonstriert Dionysios, indem er den Mischstil auf Übereinstimmungen und Differenzen hin mit den Hauptvertretern
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Der Anfang der Schrift ist verloren gegangen, vgl. Schmid-Stählin 1111, S. 470f.
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Teil 111: Semantische Analyse: ecfo~ KTA. in epistemologischem Kontext
der erhabenen (;\ltlS" vif;T]Ar}) und einfachen (AEtlS" Al Tr}) Stilformen, nämlich jeweils Gorgias (§§ 9-10) und Lysias (§§ 11-13) vergleicht und anhand einiger Beispiele aus den Werken von Demosthenes illustriert (§ 14). Das 15. Kapitel hat eine Scharnierfunktion; hier zählt Dionysios die Gründe auf, warum er den mittleren Stil für den besten hält. Im zweiten Teil werden die Vorzüge des demosthenischen Stils anhand eines Vergleichs mit dem Stil von Isokrates und Platon herausgestellt. Zuerst wird eine Rede von Isokrates 5 analysiert (§§ 17-20) und mit einer Rede von Demosthenes 6 (§§ 21-22) verglichen. Dann wird nach einer Einführung (§ 23) eine Rede von Platon7 analysiert (§§ 24-30) und mit einer demo sthenischen Rede 8 verglichen (§§ 31-32). Im 33. Kapitel folgen schließlich einige zusammenfassende Bemerkungen. Der zweite Teil der Schrift, in dem Dionysios eine Analyse der Elemente des demo sthenischen Stils bietet, ist weniger systematisch aufgebaut. In einem ersten Abschnitt (§§ 34-46) diskutiert er die Satzkomposition des großen Redners. Zuerst werden die Grundarten mit Beispielen aufgeführt,9 dann wird Demosthenes' Gebrauch des Mischstils besprochen (§§ 43-46). Ein nächster Abschnitt ist einer Diskussion der Bausteine oder Grundelemente seines Stils gewidmet (§§ 47-52), zum Schluß werden die Themen der Kosmetik (§§ 53-55) und des Pleonasmus (§ 56) besprochen. Nimmt man also das Gesamtwerk als Kontext der Aussage in § 46 unter die Lupe, wird deutlich, daß Dionysios Demosthenes als den besten Stilisten schlechthin betrachtet. Dies zu beweisen ist sogar die explizite Absicht der Schrift (vgl. § 33): Ich habe mir vorgenommen und es ist die Absicht meiner Schrift zu zeigen, daß Demosthenes wahrlich in angemessener Weise den besten und der menschliehen Natur am meisten entsprechenden Stil (KpaT{aTfJ AE'El Kat TTPOS' äTTaaav avf)pwTTov <jJvalv rypj1oaj1EVfJ) benutzte ...
Dionysios versucht dieses Ziel zu erreichen, indem er Demosthenes' Stil mit dem Stil von Platon und Isokrates vergleicht. Denn die beiden großen Stilisten wurden bekanntlich traditionell für die hervorragendsten Vertreter des Mischstils gehalten. Besonders Platon hat den gewaltigen Ruf gehabt, der beste Stilist gewesen zu sein, welcher Dionysios ' Versuch, Demosthenes als den besten rhetorischen Stilisten darzustellen, außerordentlich erschwert hat. Infolgedessen war eine Auseinandersetzung mit Platons Stil unvermeidlich. 10 Dionysios leitet De pace 41-50. Olynth. 3,23-32. Menexenus 236D; 246C-248E. De corona 199-209. Es handelt sich um: 0 xapaKn7p TfiS' avaTTJpOS apj1ov{aS', der würdevolle Stil (38f.); 6 xapaKn7p 0 YAa<jJvpoS', der gewandte Stil (40) und 0 xapaKn7p 0 j1lKTOS', der Mischstil (41f.). 10 Vgl. Dem. 32,26-28: "Es war nicht möglich, an Platon vorüberzugehen, da einige ihm den ersten Preis verleihen (4J Ta TTpUJTEla TlVES' a TTOVEj1 val ) ... ". 5 6 7 8 9
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4. Dionysios von Halikarnassos
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diese Auseinandersetzung (Dem. 23-33) mit der folgenden, überaus eInleuchtenden Bemerkung ein (Dem. 23,8ff.): ... Ich werde sogleich wichtige Aspekte in Platons Stil diskutieren. Ich werde freimütig reden, ohne dem Ruf des Mannes Zugeständnisse zu machen (OUeEV OUTc Tfj 80'7] Tdv8pos- TTpoaTLec{S-) oder von der Wahrheit abzurücken, besonders weil einige meinen, nachweisen zu können (TLVcS- d,LouaL ... aTTCT cpa{vcLv), daß er unter den Philosophen und Rhetoren (TTavTUJv aUTOV ... CPLACT aocpUJv Tc Kai pryTOPUJV) überhaupt der hervorragendste Stilist sei (lpjiryvcuaaL Ta TTparjiaTa 8aLjiovu!JTaTov) und empfehlen uns, diesen Mann als Richtlinie und Norm für sowohl einfache als auch komplexe Reden zu benutzen (TTapaKcAcvoVTa{ Tc f}jilV Öp4J Kai KavovL xpfjaeaL Kaeapwv äjia Kai laxvpwv AOrUJV TOVTcjJ dv8p{). Außerdem habe ich von einigen erfahren, die behaupten, daß, wenn es eine Sprache unter den Göttern gäbe, die auch Menschen benutzen, der König der Götter nicht anders als Platon geredet hätte!
Manche hielten Platon für den 8aLpovLuJTaTo:;11 sowohl unter den Philosophen als auch unter den Rhetoren und empfahlen ihn deswegen als "Richtlinie und Norm" (öpo:; Kai KavuJv) in Fragen des sprachlichen Stils. Gerade diese Behauptung versucht Dionysios in dem Abschnitt, der auf diesen Satz folgt, mit Hilfe eines Vergleiches zwischen den Stilen Platons und Demosthenes' als falsch zu erweisen. Da seine Auseinandersetzung mit Platon im Wesentlichen den Kern des Kontextes bildet, auf dessen Hintergrund die ßcLO:; avßpUJTTo:;Terminologie in dieser Schrift verwendet wird, müssen wir uns seine Argumentation an dieser Stelle genauer anschauen. Zunächst ist festzuhalten, daß Dionysios Platon für einen hervorragenden, ja für einen der allerbesten Stilisten hält. Dies geht schon aus Aussagen am Anfang der Schrift hervor. So lobt er in Dem. 3,8-11 Isokrates und Platon für ihre außerordentlichen Fähigkeiten: 12 Denn, abgesehen von Demosthenes, ist es unmöglich, andere zu finden, die entweder die unentbehrlichen und die fakultativen Elemente (dieses Stils) besser anwenden (KpclTTOV aaKr]aavTas-) als diese Männer (sc. Isokrates und Platon), oder eine schönere Redeart verwenden und die (Verwendung der) sekundären Stilmittel besser demonstrieren (ßEATLOV dTT08cL'ajiEvovs-).
Dies heißt aber nicht, daß Platon aller Kritik enthoben wäre, er ist im Gegenteil manchmal die Zielscheibe besonders scharfer Kritik von seiten des Dionysios. 13 . Für Dionysios ist Platon einer der besten Vertreter des sogenannten Mischstils,
11 Das Wort 8aLjiovLuJTaTov wird hier adverbial benutzt. Es wäre aber auch möglich, den Satz folgendermaßen zu verstehen: "Einige meinen, ... daß er als (ein) 8aLjiovu!JTaToS (Mensch) unter den Philosophen und den Rhetoren stilistisch tätig war." Stephen Usher übersetzt: "Some claim that he is the supreme literary genius among philosophers and orators." 12 Vgl. auch Ep. ad Pomp. 1,2: cl rap TLS- aUos- EKTTAr]TTcTaL TalS- llAaTUJvLKalSlpjiryvc{aLS-, cU taeL vuv, KarW TOVTUJV crs- cljiL und Dem. 23,19-21: ErW TTJV jiEV EV
TOlS- 8LaAOrOLs- 8cLVOTT]Ta TOU av8pos- Kai jiaALaTa EV ors- äv cpvAaTT7J Tav hUJKpar LKOV xapaKTfjpa, iJJaTTcp EV TCP cJ>LAr]ß4J, TTavv arajia{ Tc Kai TceaVjiaKa ... 13
Vgl. Dem. 5-7,23-30; Ep. ad Pomp. 1f.
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Teil III: Semantische Analyse: eELO~ KTA. in epistemologischem Kontext
einer Kombination der AEfL5' AL Tr] und der AEfL5' vljiT]Ar]. Er sei aber nicht im gleichen Maße erfolgreich gewesen in der Anwendung dieser beiden Stilarten. 14 Wenn er in einfacher Sprache schreibe, sei sein Stil außerordentlich sympathisch.1 5 Wenn er aber in gehobener Sprache schreibe, sei sein Stil unklar, archaisch, exotisch, sogar künstlich und sein Dialekt unsauber. Dionysios findet insbesondere Platons Verwendung des gehobenen Stils in seinen Dialogen unpassend, die Anwendung von gorgianischen Figuren sei übertrieben, ja sogar geschmacklos. In besonderer Weise kritisiert er Platons Gebrauch der Tropen, die Künstlichkeit seiner Sprache wirke gar dithyrambisch.1 6 Die Position des Dionysios geht schön aus der folgenden Passage hervor (Dem. 6,1-16): Niemand möge annehmen, daß ich, wenn ich ihn so kritisiere, den ganzen unkonventionellen und elaborierten Stil, den Platon benutzte, verurteile. Möge ich doch weder so abwegig noch so uneinsichtig sein, daß ich diese Meinung von einem solch bedeutenden Mann (vrrip dv8poS' TTJALKOVTOV) hätte! Ich kenne ja viele seiner großartigen und bewundernswerten Werke (j1cyaAa Kat eaVf.laaTa) über viele Themen, die aus seiner hervorragenden Begabung hervorgegangen sind. Aber dies will ich zeigen: daß er, wenn er Großartiges und Auffälliges in seiner Sprache anstrebt, in seinem Gebrauch der Stilmittel Fehler zu begehen pflegt (lv TalS' KaTaaKcvalS' cLWecV GpapTavcLv) und schlechter wird, als er selbst ist ... Ich aber habe erwartet, daß ein solch bedeutender Mann (TTJALKOVTOV av8pa) sich vor jeder Kritik sicher sei.
Aus diesem Text geht die Bewunderung für Platon eindeutig hervor, dennoch ist das Ringen mit dem ungeheuren Ruf, den Platon zu seiner Zeit genoß, nicht zu überhören. Deutlich formuliert Dionysios in Kapitel 23 seine Kritik an Platon (Dem. 23,19-34): Ich halte sehr viel von seinem (stilistischen) Geschick in den Dialogen, besonders in denjenigen, in denen er der sokratischen Tradition treu bleibt (wie im Philebos) und habe dies immer bewundert, aber, wie ich schon gesagt habe, ich war noch nie begeistert von seinen zusätzlichen Stilmitteln, vor allem in denjenigen Dialogen, wo er Lob und Tadel in politische Themen einführt und versucht, damit Anklage- und Verteidigungsreden zu schreiben. Denn dann wird er jemand anders als er selber und macht seinem Ruf als Philosoph keine Ehre (KaTaLaxvvcL nJv q;LAoaoq;ov dflwaLv). Es ist sogar oft in mir der Gedanken aufgekommen, über solche Reden zu sagen, was Zeus in Homer der Aphrodite sagt: Nicht Dir, mein Kind, sind gegeben die Werke des Kriegs, sondern Du wirke die lieblichen Werke der Liebe, (Dir, Platon, sind gegeben die Werke) der sokratischen Dialoge, um politische Angelegenheiten werden sich Politiker und Rhetoren kümmern.
Dionysios ist also der Meinung, daß Platon der unbestrittene Meister des sokratischen Dialogstils sei. Wenn er indes gehobene Sprache schreibe, betrete er fremdes Terrain und mache infolgedessen Fehler. Er möge zwar der größte unter
Vgl. Dem. 5,4f. Vgl. Dem. 5,5-17. 16 Vgl. Dem. 5,18-7,65. 14
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4. Dionysios von Halikarnassos
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den Philosophen sein,17 sei jedoch nicht der größte unter den Stilisten und Rednern. 18 Dasselbe Thema begegnet in einem weiteren Abschnitt, in dem sich Dionysios gegen den Einwand , er kritisiere Platon nicht sachgemäß, wehrt (Dem. 25,1-9): Vielleicht würde jemand erwidern: "Du verstellst die Sache, indem Du Beredsamkeit und schöne Reden von einem weisen Mann erwartest, dessen Gebiet es nicht ist (TTapa av8pos; ou TavTa O"0cpov). Untersuche seine Ideen, ob sie schön und grandios sind und ob sie bei niemandem sonst vorhanden sind (TTap' oueEvl TWV äMwv KE{IlEVaL). Für sie hat er sich interessiert (EO"TTov8a(Ev), sie waren seine Stärke (8ELVOS; 77V). Fordere von ihm darüber Rechenschaft, aber laß seine Redeweise beiseite (TOV 8E TPOTTOV Tiis; AEfEWS; la)!". Aber wie kann man einem dies vorwerfen? Jeder kennt das Gegenteil, nämlich daß der Philosoph eher Ehre für seinen Stil als für die Sachthemen verlangt hat.
Der rhetorische Effekt dieser Diatribe ist nicht zu verkennen. Dionysios sieht ein, daß Platons Stärke das Philosophische ist. Da er aber den Anspruch Platons zu erkennen meint, auch in einem hervorragenden Stil geschrieben zu haben, fühlt er sich dadurch gezwungen, sich mit seinen stilistischen Fehlern auseinanderzusetzen. Dies tut er mit aller Schärfe in seiner Analyse der Grabrede in Platons Menexenos (236C-239A). Ein repräsentatives Beispiel soll hier genügen: mit unverblümtem Sarkasmus reagiert Dionysios in seiner Analyse von Men. 238A auf einen Satz (Dem. 28,31-35): Ihr Götter! Wo ist die reiche platonische Quelle, die ja solche gewaltigen Kompositionen hervorbrausen läßt? Redet er jetzt einen solchen Kleinkram? Und fließt der Mund des Weisen mit seinen zwölf Strömen jetzt nur tropfenweise?
Nachdem Dionysios den Vergleich mit einer Rede aus Demosthenes' De corona (199-209) gezogen hat, folgert er, die zwei Reden verhielten sich wie die Wirklichkeit zu einer Abbildung: 19 Platons Rede sei nur auf das Formale hin komponiert worden, dagegen übertreffe Demosthenes ihn nicht nur, was den Wirklich17 Vgl. Ep. ad Pomp. 1,15 wo er ihn TOV ETTLcpavEO"TaTov TWV CPLAOO"OCPWV nennt. 18 Dionysios hat für seine harsche Kritik an Platons Stil seinerseits sowohl in der Antike als auch seitens moderner Gelehrter viel Kritik ernten müssen. Er reagierte äußerst empfindlich auf den Vorwurf, Platon nicht sachgemäß kritisiert zu haben, vgl. Dem. 6. Ein solcher Vorwurf war Anlaß seines Briefes an Gnaius Pompeius (vgl. Ep. ad Pomp. 1), in dem er sich für die Kritik, die er in der Schrift De Demosthenis dictione an Platon geübt hatte, rechtfertigte. Dort wiederholt er sein Urteil, Demosthenes sei Platon in der Verwendung der gehobenen Sprache als Teil des Mischstils überlegen, und verteidigt seine vergleichende Stilkritik: vgl. bes. Epist. ad Pomp. 2,16: Kal Kae EV TOVTO JIAGTWVG CPT]IlL AE{ TTEO"eaL LlT]Il 0aeEVOVS;, ÖTL TTap' 4i IlEV EKTT{ TTTEL TTOTE TO ül/los; Tijs; AEfEWS; [TWV AOYWV] Els; TO KEVOV Kal aT]8ES;, TTap' iß 8E OU8ETTOTE fj O"TTav{ws; YE KOIlL8tj. Hinsichtlich neuzeitlicher Kritik an seiner Beurteilung Platons vgl. Radermacher, Art. Dionysios, Sp. 965.970, der ihm böse Absichten in seiner Auswahl platonischer Vergleichstexte unterstellt und seine Beurtei1ung von Platons Stil als kleinlich und von Parteilichkeit getragen abtut; weniger scharf, aber ähnlich Usher, Dionysius of Halicarnassus, Bd. I, S. 234; vgl. aber auch Bowersock, Dionysius of Halicarnassus, S. 645, der positiver urteilt. 19 Dem. 32,lff.: ... akf]eLVal 8E Öl/lELS; El8wAWV (l), eine eindeutige Anspielung auf Platons Ideenlehre, jetzt aber angewandt auf den Philosophen selbst und seinen Stil.
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Teil 111: Semantische Analyse: 8ELo.) KTA. in epistemologischem Kontext
keitsbezug angehe, sondern sogar im Gebrauch der Tropen, der traditionell als Platons Stärke galt2o. Noch einmal erklärt Dionysios den Grund für diese ausführliche Beschäftigung mit Platon (Dem. 32,26-28): Es war nicht möglich, an Platon vorüberzugehen, da einige ihm den ersten Preis verleihen (iß Ta TTpCtJTELa TLVE5' d TTOVE/l ovaL ) ...
Am Ende des durchgeführten Vergleichs kommt er zu folgendem Ergebnis (Dem. 33,28-34): Denn ich halte die Erwähnung und den Vergleich dieser wunderbaren Männer (ßaV/laaLCtJTaTCtJv dv8pwv), Isokrates und Platon, nicht für unpassend, denn gerade diese Vertreter des mittleren und besten Stils haben den höchsten Ruf erhalten (/lEYLaTr}5' 86f7]5' ETVXOV). (Ich tue dies), um zu zeigen, daß sie, auch wenn sie besser als alle anderen sind (Käv El T(JV aAACtJv GpELVOV5' Elai), nicht würdig sind (OVK dfLOV5' ÖVTa5'), mit Demosthenes um die höchsten Ehren zu wetteifern (L17]/loaßEvEL YE ... GpLMaaßaL TTEpi T(JV apLaTELCtJv).
Das Urteil mancher Leute, Platon sei 8aLj1ovu!JTaTo:; sowohl unter den Philosophen als auch unter den Rhetoren und deswegen als "Richtlinie und Norm" (Opo:; Kat KavuJv) in Fragen des sprachlichen Stils zu betrachten, bewegt Dionysios dazu, dem entgegenzutreten. Akribisch weist er nach, daß Platon gehobene Sprache, insbesondere die Tropen, fehlerhaft benutzt und in dieser Hinsicht seinem Ruf als Philosoph Unehre antut (Dem. 23,26f.). Während Dionysios wiederholt einräumt, daß er keine Einwände gegen die Sachthemen und den Inhalt der platonischen Philosophie habe,21 hält er jedoch daran fest, daß Platon zwar unter den Philosophen 8aLj1ovLo:; sein möge, keinesfalls aber unter den Rhetorikern. Dionysios verwendet auffälligerweise gerade an der Stelle, wo es darum geht, wer in der Rhetorik als normative Figur gelten muß, das Lexem 8aLj1ovr uJTaTo:;. Es verwundert deshalb nicht, wenn Dionysios, nachdem er ausführlich auf die Besonderheiten von Demosthenes' Stil eingegangen ist (§§ 34-46), ihn als 6 8aLj10VLo:; dvryp bezeichnet (Dem. 46,11). Offensichtlich hält Dionysios diesen Ausdruck für ein gebührendes Prädikat für die normative Figur in der stilistisch-rhetorischen Tradition, und legt das Adjektiv Demosthenes hier wohl als eine Art Ehrenprädikat bei, weil er die Norm für die AitL:; in der antiken Rhetorik gebildet habe. Andere haben jedoch aus ähnlichen Motiven diese Ehre Platon zuerkannt, was wahrscheinlich, wie aus Dem. 23,8ff. hervorgeht, die geläufige Meinung war. Dionysios war sogar bereit, sich unter gewissenen Einschränkungen dieser Meinung anzuschließen. An einer anderen Stelle, in seiner Schrift De compositione verborum, wo er sich mit Fragen des Rythmus beschäftigt, äußert er folgende Meinung (18,72-85): 20
Dem. 32,18-21.
21 Vgl. auch Dem. 6,lff.; Ep. ad Pomp. 2,13.
4. Dionysios von Halikarnassos
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Es ist ja notwendig, daß eine Aussage, die nur aus schönen Rhythmen zusammengestellt wurde, auch schön sein muß. Zahllose solche Aussagen sind bei Platon zu finden. Denn der Mann war, was seinen Blick für die Zusammengehörigkeit von Melodie und Rhythmus angeht (lflflEAEUiv TE Kal EvpV()fl{av avvL8ELV), (ein) 8aLflovU;)TaTOS- (Mann). Wenn er in seiner Wortwahl (EKAEeaL) so vorzüglich gewesen wäre, wie er die Wörter hervorragend zusammenstellte (tlJs- avv()ELvaL), wäre er entweder Demosthenes in bezug auf schönen Stil überlegen (f] rrapEAaaaEv Tav L1TJfloa()EVTJ KdMovs- ipflTJVE{asEVEKEV) , oder es wäre unentschieden ausgegangen (f} dflCPrypLaTov {()TJKEV). Jetzt aber ist seine Wortwahl (n7V lKAorfJV) fehlerhaft, besonders wenn er eine gehobene, außergewöhnliche und komplexe Redeweise anstrebt, worüber ich mich an anderer Stelle klar und deutlich geäußert habe. Aber, bei Zeus, seine Wortkomposition (avvT{()TJaL 8E Ta ov6flaTa) wirkt angenehm und ist schön; niemand würde diesen Aspekt kritisieren.
Hier räumt Dionysios ein, daß Platon unvergleichbar besser als andere Schriftsteller gewesen sei, was die Zusammensetzung der W?rter, die den rhetorischen Rythmus bewirkt, anbetrifft: Darin sei er 8aLf.1 ovu!J Ta T05'. Und trotzdem bestreitet Dionysios den Anspruch, das Platon in jeglicher Hinsicht der beste Stilist sei. Gern gibt er zu, daß er 8aLf.1ovu!JTaT05' in bezug auf die Zusammenfügung der Wörter sei und darin als Norm dienen könne, aber sein fehlerhafter Gebrauch gehobener Sprache führe dazu, daß er als Rhetor Demosthenes unterlegen sei. Gerade in der Auswahl der Wörter (EKAoyTj) konnte Platon nicht mit ihm konkurrieren - just dieser Aspekt war aber für den von bei den verwendeten Mischstil das Wesentliche. Auch hier ist also darauf zu achten, daß der Kontext, in dem das Adjektiv Platon beigelegt wird, von der Fragestellung geprägt ist, wessen Kompositionsstil als normativ gelten sollte. Diese Beobachtungen werden bestätigt, wenn man untersucht, wie die Terminologie anderenorts in der Schrift über Demosthenes ironisch verwendet wird. So taucht z.B. in Dem. 26,23-28 folgende Verwendung auf: Am Ende eines Abschnitts, der von beißendem Sarkasmus durchtränkt ist, schreibt Dionysios in seiner Analyse von Platons Men. 236e: Hier entspricht ein Adverb einem Adverb, ein Verb einem Verb, d.h. lKavwsentspricht EVflEVWS-, rrapaLvEaEL seinerseits ErraLvEaEL, und sie sind gleich lang. Diese sind keine Likymnier oder Agathonier,22 die so etwas schreiben wie ÜßPLV f} KvrrpLv flLa()4J rro()Ev f} fl6X()ov rraTp{8wv, sondern der 8aLfl6vLos- Platon ist hier als Stilist tätig!
Die Ironie des Dionysios ist nicht zu überhören: Das Adjektiv 8aLf.16vL05' wird Platon hier nur unter dem Schein der eigenen Zustimmung beigelegt. In Wirklichkeit jedoch steht Platons stümperhafte Verwendung der Stilmittel in krassem 22 Likymnios von Chios, Lyriker und Rhetor (ungefähr 400 v. Chr.), der als Gorgiasschüler (vgI. Dion. HaI. Lys. 3) für seinen übertriebenen rhetorischen Aufputz kritisiert wurde (von Platon, vgI. Phaedr. 267c); vgI. Ulrich Klein, Art. Likymnios 2, KP 3, Sp. 650. Agathon seinerseits war ein bedeutender Tragiker mit ausgeprägt rhetorischem Stil, den die vielen gorgianischen Tropen in den Fragmenten verraten; vgI. Franz StoeßI, Art. Agathon 1, KP 1, Sp. 120f.
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Teil 111: Semantische Analyse: acloS' Kr/l. in epistemologischem Kontext
Gegensatz zu dem ihm beigelegten lobenden Adjektiv. Von einem Stilisten, der des Adjektivs 8aL/16vLoS' würdig ist, sei - das will Dionysios zum Ausdruck bringen - sicher mehr zu erwarten als die hier von Platon übertriebene Verwendung gorgianischer Stilmittel! Ähnliches ist in Dem. 7,28-35 zu beobachten, wo Dionysios gegen Platon polemisiert: ... und er (sc. Platon) sagt: "Sei jetzt still und hör mir zu. Denn dieser Ort scheint mir göttlich zu sein, so daß du nicht staunen solltest, wenn ich während meiner Rede würde wie einer, der von einer Nymphe besessen ist. Denn meine Rede ist jetzt schon fast dithyrambisch. "23 Wie der Tragiker sagt: "Wir werden nicht von anderen, sondern von unseren eigenen Worten verurteilt", 8alj1oVc wTaTE IlAaTCtJv, wenn wir geschwätzige und leere Töne des Dithyrambos bevorzugen.
Der Text steht im Kontext einer Analyse einer Rede Platons (Phaedr. 237a238d, 246e-247a). Dionysios ergreift hier die gute Gelegenheit, auf eine Aussage Platons selbst zu pochen, um seinen Stil zu kritisieren. 24 In dieser scharfen Formulierung ist die Ironie wiederum kaum zu überhören. Platon wird hier ironisch (d.h. unter dem Anschein der eigenen Billigung) mit der Wendung 8aL/10vu!JTaTc [JAaTUJv apostrophiert, damit deutlich wird, daß er in bezug auf die Stilistik eben kein 8aL/16vLoS' dvryp sei.
4.2 Thukydides:
8aLj.10VLWTaToS"
unter den Historikern
In seiner Schrift De Lysia legt Dionysios dem großen Historiker Thukydides das Adjektiv 8aL/16vLoS' bei (3,28ff.): Denn auch Thukydides, der 8alj10vu!JTaT05' der Historiker (TWV avyypacpECtJV) , benutzte poetische Stilmittel sowohl in der Grabrede als auch in der Volksrede und verwandelte so den Stil in vielerlei Hinsicht in einen prunkhaften Stil mit exotischen Wörtern.
Auch hier wird das Adjektiv plötzlich und völlig unerwartet Thukydides beigelegt, so daß der unmittelbare Kontext nichts dazu beiträgt, die Bedeutung des Begriffes an dieser Stelle zu erhellen. Trotzdem sind zwei wichtige Beobachtungen zu machen: Einerseits ist zu beachten, daß Dionysios Thukydides hier denselben Vorwurf wie Platon macht, nämlich daß sein Gebrauch von poetisehen Stilmitteln zu einem schwülstigen Prosastil führe. Ferner fällt auf, daß V gl. Phaedr. 238d. Dasselbe Thema wird in Ep. ad Pomp. 13 nochmals behandelt: "Nirgends in dieser Abhandlung tadele ich die Themen des Mannes, sondern eben diesen Aspekt seines Stils, nämlich seine hervorstechende Vorliebe für figurative und dithyrambische Sprache, in der er nicht mehr über Mäßigkeit verfügt ... Denn in seinem Eifer für die gorgianische Schule hat er den Prunk der poetischen Komposition in philosophische Reden eingeführt. Infolgedessen scheint er seine Sprache manchmal mit Dithyramben zu schmücken und nicht einmal diesen Fehler zu verschweigen, sondern sich sogar dazu zu bekennen". 23 24
4. Dionysios von Halikarnassos
123
Thukydides als 6 8aLflovLwTaTo:; in bezug auf einen bestimmten Aspekt des Wissens, nämlich die Geschichtschreibung (6 8aLflovLwTaTo:; TtDv avy ypacpEUJv), bezeichnet wird. 25 Dies ähnelt der Praxis, die wir in der Schrift De Demosthenis dictione beobachtet haben, nämlich daß Platon dort als 8aLfl6vLo:; nur in bezug auf die Philosophie oder einen Teilaspekt des rhetorischen Stils betrachtet wird. Dies deutet darauf hin, daß Dionysios Thukydides als normative Figur in der Geschichtschreibung betrachtet hat, seine normative Funktion jedoch darauf beschränkt wissen wollte. Wendet man sich jetzt den anderen Schriften des Dionysios zu, um festzustellen, welches Bild er von Thukydides hatte, wird diese Vermutung von Aussagen in der Schrift über Thukydides 26 bestätigt (Thuc. 2, 10-24): Denn ich fürchte, daß einige der Leser meiner Schrift mich tadeln werden, weil ich es wage nachzuweisen, daß Thukydides, der Beste aller Historiker (TOV a1TavTUJv KpaTuJ"Tov TWV laTopLoypaepUJv), einerseits was seine Stoffauswahl anbetrifft irrte, andererseits in bezug auf sein Darstellungsvermögen sehr schwach war. Folglich ist in mir der Gedanke aufgekommen, daß ich aussähe wie ein Einzelgänger und Pionier, wenn ich es auf mich nähme, etwas in Thukydides' Werken zu verunglimpfen. Nicht nur werde ich mich gegen allgemeine Meinungen, die alle schon längst akzeptiert haben und für unveränderlich halten, wenden, sondern ich werde auch die persönlichen Zeugnisse der bekanntesten Philosophen und Rhetoren in Zweifel ziehen, die ihn für die Norm der Praxis der Geschichtsschreibung (oi.' Kavova TijS- laTopLKfjs1TpaYJiaTE{as- EKELVOV V1TOT{8EvTaL TOV äv8pa) und den Maßstab aller Geschicklichkeit in Sachen politischer Rhetorik halten (Tijs- 1TEpi TOUS- 1TOAC ,
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Für Dionysios ist Thukydides der unbestrittene Meister der Geschichtsschreibung' wie die Bezeichnung 6 aTTavTUJv KpaTLaTo:; T(JV LaTopLoypacpUJv, eine klare Parallele zu dem 6 8aLflovu!JTaTo:; T(JV avyypacpEUJv in Lys. 3, deutlich zeigt. Dies geht weiterhin aus folgender Bewertung von Thukydides als Historiker hervor (Thuc. 8,1-9.19-21): Thukydides wird wohl von allen Philosophen und Rhetoren (wenn nicht von allen, dann doch von den meisten) das Zeugnis ausgestellt, daß er mit größter Vorsicht mit der Wahrheit umging, deren Priesterin nach unserem Willen die Geschichtschreibung sein soll (ÖTL Kai Tijs- aAry8E{as-, Tjs- lipELav ElvaL njv laTop[av, 1TAE{aT7]V E1T0L77aaTO 1TpovoLav): er fügte weder etwas zu den Tatsachen hinzu, was nicht stimmt, noch ließ er etwas weg, sondern hält das vorgenomme Ziel ungescholten und frei von Neid und Schmeichelei, besonders in seiner Beurteilung der guten Männer ... Was den Bereich der Tatsachen angeht, könnte man sagen, macht der Historiker (sc. Thukydides) es sehr gut: diese Aspekte sind schön und nachahmenswert (KaAa Kai JiLJirJaEUJS- ätLa).
25 Zum Gebrauch von avyypaepEvs- in der Bedeutung von "Historiograph" durch Dionysios vgl. W. Kendrick Pritchett, Dionysius of Halicarnassus: On Thucydides. English Translation, based on the Greek Text of Usener-Radermacher. With Commentary, Berkeley 1975, S. 47f. 26 V gl. den ausgezeichneten Kommentar von Pritchett, Dionysius of Halicarnassus zu dieser Schrift, dort bes. die Einführung S. xiii-xxxvi.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
in epistemologischem Kontext
Wie Thukydides in seiner Geschichtschreibung auf der inhaltlichen Ebene vorging, d.h. wie er mit den Tatsachen umging, ist nach Dionysios vorbildhaft und vor allem nachahmenswert. Obwohl er auch bestimmte Aspekte der Geschichtsschreibung des Thukydides kritisiert (§§ 9-20), richtet sich die Kritik eher gegen technische Aspekte seiner Tätigkeit als Historiker wie die Einteilung, Anordnung und Ausarbeitung des Materials. 27 Thukydides' Statur als Meisterhistoriker ist unumstritten. 28 Dionysios wendet sich jedoch gegen die gängige Meinung, Thukydides sei nicht nur in Sachen der Geschichtschreibung die Norm (Kavwv), sondern auch Maßstab (öp0S') der politischen Rhetorik. Seine Schrift bestreitet gerade diese Meinung, wie die scharfe Verurteilung bestimmter Aspekte von Thukydides' Stil in §§ 21-51 aufzeigt. Diese Kritik mündet in die folgende Wertung (Thuc. 51,21-25):29 Wenn er seinen Stil vernünftig und mäßig benutzt, ist er bewundernswert und unvergleichbar mit jemand anders. Wenn er ihn aber übertrieben und geschmacklos verwendet, ohne die Umstände zu unterscheiden oder den Grad zu beachten, ist er tadelnswert.
Wie im Falle Platons ist der Stil von Thukydides in vielem bewunderns- und nachahmenswert: Dionysios beschließt seine Schrift damit, zu zeigen, inwiefern Demosthenes die besseren Elemente von Thukydides' Stil übernommen hat, die schlechteren jedoch ausgelassen hat und ihn (wie auch alle anderen Rhetoren, die Thukydides' Stil schlichtweg nachgeahmt haben) darin übertroffen hat (§§ 52-55). Für Dionysios war Thukydides 8aLj.1oVLwTaToS' T[JV LaTopoypaq){JJv, jedoch nicht 8aLj.10VLwTaToS' unter den Rhetoren. Dies wird weiter deutlich, wenn er am Ende der Schrift kurz den Stil des Demosthenes diskutiert, von dem er schreibt, er glaube, er sei der beste aller Rhetoren gewesen (55,10f.: ÖV GTTavTUJv P7]TOPUJV KpaTLaTov ycycvijaßaL TTcLßoj.1cßa; vgl. die direkte Parallelität zur Aussage in Thuc. 2: Tav aTTavTUJv KpaTLaTov TWV laTopL 0ypacpUJv!). Die obigen Beobachtungen werden folglich vom Gesamtkontext bestätigt. Wiederum handelt es sich um eine Bezeichnung für denjenigen, der die Norm eines Wissensgebietes in seiner Person verkörpert, gewissermaßen sein Gewährsmann ist.
27 Vgl. Thuc. 9: TTEpl TO TEXVlKWTEPOV flEPOS' laTl TOU TTpaYflaTlKOU. 28 Mit Bowersock, Dionysius of Halicarnassus, S. 645 ist festzuhalten: "He had no desire to diminish the historian's stature." (Hervorhebung von mir, DdT). 29 Vgl. auch Thuc. 49.
4. Dionysios von Halikarnassos
125
4.3 Homer Wie eng das Adjektiv 8aLj16vLoS" bei Dionysios mit diesem Kontext, d.h. mit der Vorstellung einer normativen Figur innerhalb eines Erkenntniszweiges, verbunden ist, geht aus einer Aussage in De comp. verb. 20,31-36 hervor: Der gute Dichter oder Rhetor muß also auf diese Dinge achten und die Sachverhalte, die er mit Wörtern ausdrückt, nicht nur in der Wortwahl (KaTa n]v EKAOyr]V), sondern auch in der Komposition (KaTa n]v avvOc(JLv) nachahmen. Dies tat 6 8aLflovu!JTaToS' rl0flT}p0S' gewöhnlich, obwohl ihm nur ein Metrum und wenige Rhythmen zur Verfügung standen ...
Auch in an dieser Stelle, eingebettet in eine Diskussion über die Komposition bzw. Angemessenheit der gewählten Wörter, taucht der Begriff 6 8aLj1ovr wTaToS" f'0j1T7P0S" völlig unvermittelt auf. Der Autor setzt als selbstverständlich voraus, daß sein Leser diese Wendung in der von ihm beabsichtigten Art und Weise verstehen werde. Wiederum fällt auf, daß Homer im unmittelbaren Kontext als Maßstab und Vorbild für einen bestimmten Aspekt des rhetorischen und poetischen Stils empfohlen wird. Es erübrigt sich zu belegen, daß Homer traditionell für die Griechen Quelle und Standard aller Dichtung war. Wie aus verschiedenen anderen Aussagen des Dionysios hervorgeht, betrachtete auch er Homer als Standard in literarischen Angelegenheiten. So erachtete er Homer als Norm für die j1LKT~ apj1ovia, die Mischkomposition (Dem. 41,6-9): Der Dichter Homer war der beste Maßstab (KpdTLaToS' flEV EyivcTo Kavwv) dieser Kompositionsart. Niemand würde ja behaupten, daß ein anderer Stil den Stil Homers in bezug auf Komposition in diesen zwei Aspekten, nämlich in gutem Geschmack und Würdigkeit, übertreffen würde.
Noch deutlicher wird Homers Position als Gewährsmann einer ganzen Tradition in Epist. ad Pomp. 1,13 ausgedrückt: Trotz seiner vielen guten Eigenschaften hatte Platon eine ehrgeizige Natur. Dies geht besonders aus seiner Eifersucht Homer gegenüber hervor, den er aus seinem hypothetischen Staat verbannte, nachdem er ihn bekränzt und mit Myrrhe gesalbt hatte (als ob er als Verbannter dies nötig hätte!). Durch ihn (sc. Homer) waren aber sowohl die neuartige Bildung (fj Tc äUT) rraL8c{a) überhaupt und zuletzt auch die Philosophie (<jJLAoao<jJ{ a) ins Leben eingedrungen (rrapijAOcv clS' TOV ß{ov).·
Derselbe Gedanke kommt nochmals in De comp. verb. 24,19ff. vor: Den Gipfel (KOPV<jJr]) von allen und überhaupt das Ziel (aKorr6S') könnte man mit Recht Homer nennen, "aus demja alle Flüsse und jedes Meer und alle Quellen entspringen. "30
30
Hom. Il. 21,196f.
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtOS' KTA. in epistemologischem Kontext
Für Dionysios war Homer also Quelle und Gewährsmann der Dichtung, der Kultur und der Wissenschaft schlechthin. Der größere Kontext des dionysischen Gesamtwerks untermauert also die Beobachtung, die wir anhand des unmittelbaren Kontextes von De comp. verb. 20 gemacht haben: Homer wird dort als Maßstab und Vorbild dargestellt, und in diesem Zusammenhang wird ihm das Adjektiv 8alpovu!JTaToS' beigelegt. Wir schließen unsere Beobachtungen mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen: An Dionysios von Halikarnassos' Gebrauch der ßELOS' äVßPWTTOS'- Terminologie fällt in erster Linie auf, daß es im Schriftenkorpus des Dionysios keinerlei Anzeichen dafür gibt, daß er die Menschen, denen er die Terminologie beilegt, als göttliche Wesen irgendeiner Art betrachten würde. Nicht einmal im Falle des Demosthenes, den Dionysios in ausgesprochen einseitiger Weise verehrt hat, finden sich Indizien dafür, daß er diese Verehrung ins Religiöse gesteigert und den Redner für einen göttlichen Menschen gehalten hätte. Dementsprechend wird das Adjektiv 8alp6vloS' offenbar ohne jegliche ontologischen Implikationen verwendet, d.h. es tritt bei Dionysios im Zusammenhang mit menschlichen Referenten nicht als Klassenadjektiv auf. Vielmehr handelt es sich um ein Qualitätsadjektiv, mit dem auf die überragenden und bewundernswerten Leistungen von Demosthenes als Rhetor, von Platon als Philosoph, von Thukydides als Historiker und von Homer als Dichter aufmerksam gemacht wird. . An dieser Stelle ist darauf zu achten, daß Dionysios die Adjektive 8alp6vloS' / 8alpovu!JTaToS' nur solchen Nomen beilegt, die auf Menschen referieren, die als normative Figur einer bestimmten Tradition oder Disziplin gelten dürfen. Ferner war zu beobachten, daß dies immer in Kontexten geschieht, wo eine solche Person als Norm einer Erkenntnistradition oder eines Fachgebietes empfohlen wird. Diese auffällig eingeschränkte Referenz sowie der anscheinend feste Zusammenhang zwischen Terminologie und einem Kontext epistemologischer Normativität nötigen zu der Frage, ob dies auf eine Begrenzung in der Denotation der betreffenden Lexeme zurückzuführen ist. Diese Fragestellung soll in den folgenden Kapiteln im Auge behalten werden. An dieser Stelle ist eine kurze Zwischenbemerkung zur Semantik angebracht: Da eine solche Einschränkung der Referenz offenkundig nicht an der Denotation der Lexeme (JV(}PUJTTOS' und avryp liegen kann, gibt es noch zwei Möglichkeiten: Entweder begrenzt die Denotation des Lexems 8al/16vloS' die Referenz der Nominalphrasen, die mit ihm gebildet werden, oder aber die Nominalphrasen als solche haben einen Institutionalisierungsprozeß durchgemacht und infolgedessen eine mehr oder weniger spezialisierte Bedeutung angenommen, so daß sie der Sprach gemeinschaft als gebrauchsfertige Einheiten bzw. phrasale Lexeme zur Verfügung stehen. Dann ist die Begrenzung der Referenz in der Denotation der phrasalen Lexeme angelegt.
5. Epiktet Epiktet 1 verwendet die ßcLOS avßpwTT05'- Terminologie im eigentlichen Sinne nur an einer Stelle in seinen Schriften (Ench. 15), kommt jedoch auch in Diss. 4,1,58ff. darauf zu sprechen, daß man Menschen das Prädikat ßcLOS beilegt. Im Folgenden erörtern wir zunächst anhand dieses Textes die Frage, welche Haltung Epiktet zur Vergöttlichung von Menschen einnahm. Dann wenden wir uns Ench. 15 zu, einem Text, der in der ßcL05' avryp- Forschung gelegentlich als Beleg für die ßcL05' av7jp-Hypothese herangezogen wurde.
5.1 Grundsätzliches zur Vergöttlichung von Menschen: Epiktet Diss 4,1,58-61 Epiktet geht in Diatribe 4,1,58-61 fast en passant innerhalb einer langen Diatribe, die die Freiheit zum Thema hat, darauf ein, daß das Prädikat "göttlich" Menschen (bzw. dem Kaiser) zugeschrieben wird: 2 (58) Wenn er jedoch keins von diesen Dinge täte, halte ihn dann aber noch nicht für frei (äv oov j17]8EV TOVTUJV TTocfi, j1r7TTUJ ElTT7JS" lAEVBEpOV) , sondern erforsche seine Ansichten, ob sie nicht etwa unter Zwang stehen, oder etwa ein Hindernis bilden oder zu Unglück führen. Und falls Du ihn für eine derartige Person befindest, halte ihn dann für einen Sklaven (AEYE 80f)AOV), der Urlaub an den Saturnalien hat. Sage, daß sein Herr verreist ist. Wenn er kommt, wirst Du auch wissen, was der (Sklave) leidet. (59) - Wer wird kommen? - Jeder, der Macht hat über das, was einer selbst will, (Macht) um es zu bewirken oder es (einem) wegzunehmen. Haben wir denn soviel Herren? - Soviel, ja. Denn vor diesen Dingen haben wir die äußeren Umstände als Herren. Und sie sind viele. Daraus folgt: diejenigen, die Macht haben über einige dieser (Umstände), sind (auch) Herren. (60) Niemand hat ja Angst vor dem Kaiser als solchem, sondern vor Tod, Exil, Verlust des Eigentums, Gefangenschaft, Unwürdigkeit. Niemand liebt den Kaiser, es sei denn, er sei eine .besonders würdige Person, sondern wir lieben den Reichtum, das Amt des Volkstribuns, des Prätors, des Konsuls. Wenn wir diese Dinge lieben oder hassen oder fürchten, folgt notwendigerweise daraus, daß diejenigen, die Macht über sie haben, unsere Herren sind. Darum verehren wir sie auch wie Götter (dvdYK7] TOUS" leova[av aVTwv ExovTaS" KVp[OVS" TJj1wv ElvaL. 8u1 TOf)To Kai WS" BEOUS" aVTouS" TTpoaKvvof)j1EV). (61) Denn wir 1 Textausgabe von Henricus Schenkl, Epict~~i dissertationes ab Arriano digestae, Leipzig 1916 (Nachdruck Stuttgart 1965). Deutsche Ubersetzungen von Wilhelm Capelle (Hg.), Epiktet. Teles und Musonius. Wege zu glückseligem Leben, Zürich 1948 und Rainer Nickel (Hg.), Epiktet. Teles - Musonius. Ausgewählte Schriften. Griechisch - Deutsch, Zürich 1994. 2 Nach Windisch, Paulus, S. 48 bezeichnet Epiktet die in den Machthabern vorhandene Möglichkeit, Nutzen zu bringen, als BELOV. Von dort sei es nur noch ein kleiner Schritt dazu, sie als BELOL zu prädizieren.
128
Teil 111: Semantische Analyse: eE'io~ KTA. in epistemologischem Kontext meinen, daß göttlich ist, was Macht hat, den größten Vorteil zu erbringen (lVVOOVj1EV yap, ÖTl TO EXOV l,oua[av Tfjs- j1Ey[aTTjS- dJrpEAE[as- ()ElOV laTlV). Wenn wir (aber) fälschlicherweise (den Untersatz) "dieser Mann hat Macht, den größten Vorteil zu erbringen" aufstellen (Elf) vTTOTaaaOj1EV KaKws"OUTOS- 8 EXEl Tfjs- j1Ey[aTTjS- dJrpEAE[as- l'oua[a]}'.), dann müssen fälschli-
cherweise auch die aus diesen Sätzen hervorgehenden Schlußfolgerungen gezogen werden (avaYKTJ Kat TO YEVOj1EVOV l , aVTWV lTTEVEx()fjval KaKWS-).
Die erste Diatribe in Epiktets 4. Buch betrifft das Zentrum seiner Philosophie, nämlich die wahre Freiheit. 3 In diesem komplex strukturierten Text versucht Epiktet den Seiltanz jedes überzeugten Stoikers, nämlich zu zeigen, daß der freie Wille und die göttliche Vorsehung in Einklang seien. Dafür bedient sich Epiktet großzügig einer Metapher aus der Alltagserfahrung der Zeit, nämlich dem scharfen Gegensatz zwischen Freiem und Sklaven, zwischen Freiheit und Sklaverei. Manchmal sind die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit fließend. In der vorhandenen Diatribe lassen sich zwei funktional verschiedene Teile unterscheiden. In §§ 1-132 wird die Freiheitsproblematik argumentativ entwikkelt, in §§ 132-167 folgt eine weitere Entfaltung des Freiheitsbegriffes anhand positiver und negativer Beispiele. Im ersten Teil (§§ 1-61) erstellt Epiktet mit Hilfe einer weitschweifigen und oft metaphorisch-allegorischen Argumentationsweise die negative Folie, auf deren Hintergrund er in §§ 62-131 seine Freiheitskonzeption positiv darstellen will. Genau an diesem Wendepunkt der Diatribe steht, als ob er ihm ungewollt hineingerutscht wäre, der Satz über die göttliche Verehrung der Gönner, besonders der Kaiser. Eine nähere Betrachtung des Gesamtkontextes wird aber zeigen, daß dieser dem Augenschein nach ungeschickt plazierte Satz tatsächlich das Herz des epiktetschen Anliegens betrifft. Epiktet beginnt die Argumentation mit einer einschlägigen Definition der Freiheit, in der zentrale Begriffe des stoischen Denksystems unübersehbar präsent sind (§ 1):4 Frei ist, wer lebt, wie er will ('EAEV()EpOS- laTlv (; (wv WS- ßOVAETal), den man weder zwingen, noch hindern noch durch Gewalt beeinflussen kann (öv ouf avaYKaaal EaTlv OUTE KCtJAvaal OUTE ßlaaaa()al), dessen Wollen ungehindert, dessen Streben von Erfolg gekrönt, dessen Lage nicht dem Zufall unterworfen ist.
Ab § 6 spricht Epiktet das zentrale Thema der Diatribe an, nämlich die Scheinfreiheit, die in der Gesellschaft vorhanden ist. Sein Fazit lautet, wer unter irgendeinem Zwang (sei es unter gesellschaftlichem Druck, sei es wegen innerer Regungen, vgl. §§ 12-23) handelt, sei unfrei und also Sklave (§ 11). Anhand einer Allegorie von einem freigelassenen Sklaven (§§ 33-40) und einem Freund 3 Vgl. Johannes earl Gretenkord, Der FreiheitsbegriffEpiktets, Bochum 1981, S. 26: "Das zentrale Thema seiner Unterweisung war die Botschaft von der Freiheit. Hatte dieses Thema schon seit je in der Stoa ... eine maßgebende Rolle gespielt, so wird die Freiheit bei Epiktet zum Inbegriff der ganzen Lehre. Sie verschmilzt geradezu mit der Eudaimonia ... ". 4 Übers. von Gretenkord, Freiheitsbegriff, S. 27. Vgl. auch Diatr. 1,1,31.
5. Epiktet
129
des Kaisers (§§ 46-50) zeigt er, daß die Freiheit bzw. die Versklavung eine Frage der richtigen bzw. falschen Anwendung der TTPOArJlj;cLS' ist (§ § 41-46).5 Im folgenden Abschnitt, in Antwort auf den für die Diatribe typischen Einwand, welche dann noch als frei gelten könnten (§§ 51),6 enttarnt Epiktet die falschen Freiheitsvorstellungen seiner Zeitgenossen (§§ 51-60). In diesem Kontext bringt er seine Bemerkung gegen die Vergöttlichung von menschlichen Gönnern wie dem Kaiser. Epiktet leitet seine positive Darstellung der Freiheitsproblematik mit der Frage ein, was den Menschen unbehindert und aus eigener Kraft leben lasse (§ 62).7 Er bietet die klassische stoische Lösung an, indem er die Frage umformuliert: Gibt es etwas, das exklusiv in des Menschen Gewalt ist (§ 65)?8 Auch die Antwort ist die klassische stoische Lösung: Frei ist der Mensch in der Zustimmung, in der aVYKara8cCJ'LS' (§§ 68-75).9 Nach einem kurzen Exkurs zu den praktischen Implikationen dieser Anschauung (§ § 76-86) nimmt der Autor die positive Argumentationslinie mit einer Allegorie wieder auf (§§ 87-89) und schließt die Argumentation mit der Überlegung, die Freiheit sei nur dann gewährt, wenn der Mensch seinen Willen Gott unterordnet (§§ 89.98-100). Diese Überlegungen werden wiederum mit einer einschlägigen Allegorie illustriert (§§ 91-98) und dann weitschweifig erläutert (§§ 101-127), bevor er seine Argumentation zusammenfaßt und in einer Strophe aus dem berühmten Zeushymnus des Kleanthes' gipfeln läßt (§§ 128-131).10 Wie ist jetzt die Bemerkung in § 61 diesem Argumentationsgang zuzuordnen? Schon im ersten Teil der Diatribe (§ § 41-46) bietet Epiktet die klassische stoische Lösung für das Freiheitsproblem an. Es sei eine Frage der Zuordnung, und zwar der Zuordnung der Grundvorstellungen zur konkreten Wirklichkeit. Komme! Damit er nicht töricht ist, sondern damit er lernt, was Sokrates sagte: "Was jedes Ding unter dem Seienden ist" und damit er nicht aufs Geratewohl seine Allgemeinvorstellungen auf die konkreten Verhältnisse anwendet. Denn dies ist der Grund aller Ubel unter den Menschen, nämlich daß sie nicht imstande sind, die allgemeinen Vorstellungen auf die konkreten Verhältnisse anzuwenden. Wir glauben aber etwas anderes als andere. Einer (meint), er sei krank. Er ist es zwar gar nicht, aber (er glaubt es), weil er die allgemeinen Vorstellungen nicht (richtig) anwendet. Ein anderer (glaubt), daß er arm sei, ein anderer, daß seine Eltern schwierig seien, ein anderer, daß der Kaiser ihm nicht wohlgesonnen sei. Dies hat einen einzigen Grund, nämlich daß der Mensch nicht versteht, wie er seine allgemeinen Vorstellungen anzuwenden hat. Denn, wer hat nicht eine Vorstellung vom Bösen, daß es schädlich ist, daß es gemieden werden muß, daß es auf jeden Fall abgewehrt werden muß? Die Vgl. § 41: TOVTO rap EaTL TO aLTLov TOLS' av8puJTTOLS' TTaVTUJV TWV KaKWV, TO TaS' TTPOAr]ljJELS' TaS' KOLVaS' 1l:r7 8vvaa8aL E<jJapPO(ELV TOLS' ETTL pEpOVS'. 6 TLVES' tTL Elalv EAEVTEPOL; 7 TL ovv EaTL TO TTOLOVV aKuJAvToV TOV äv8pUJTTOV KaL aVTEfovaLOV; 8 TTOTEPOV ov8tv EXOPEV, Ö E<jJ' 7]PLV POVOLS' EaTLV ... ; 9 Zur Rolle der Synkatathesis in der Stoa vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 55.88-91; Genaueres zu Epiktets Gebrauch derselben bei Bonhöffer, Epictet, S. 168-182. 10 Gretenkord, Freiheitsbegriff, S. 27-40.196-209 bietet eine Paraphrase des Gedankenganges großer Teile der Diatribe. 5
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Teil 111: Semantische Analyse: eclo~ KTA. in epistemologischem Kontext
allgemeinen Vorstellungen stehen nicht in Konflikt miteinander, sondern (ein solcher entsteht erst,) wenn es auf die Anwendung ankommt. Was ist dann dieses Böse, das sowohl schädlich ist, als auch gemieden werden muß? Einer sagt, der Kaiser möge ihn nicht. Der ist in die Irre geraten, hat sich von der (richtigen) Anwendung entfernt. Er gerät in Bedrängnis, (denn) er sucht Dinge, die nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun haben. Denn auch wenn es zutrifft, daß er ein Freund des Kaisers sei, ist es sehr wohl viel weniger als das angestrebte Ziel. Denn wonach strebt jeder Mensch? Nach Wohlfahrt, Glück, danach, alles zu tun, was er will, unbehindert zu sein, ohne Zwang zu leben ...
Epiktet erörtert in diesem Text ein Grundprinzip seiner Philosophie bzw. seiner Erkenntnislehre, das er an anderer Stelle ausführlicher behandelt. 11 Es handelt sich um die sogenannten Allgemeinvorstellungen, die rrpoAr]l/JElS'12. Einige vorweggenommene Allgemeinvorstellungen sind dem Menschen in seiner Natur mitgegeben,13 z.B. die Vorstellung von Gutem und Bösem, Tugend und Laster. 14 Die Grundfrage ist aber, wie man diese Allgemeinvorstellungen auf die Wirk1ichkeit anwenden soll - sie zu klären, ist die Aufgabe der Philosophie. Darum bietet Epiktet eine Reihe von Beispielen bzw. Allegorien, in denen die Allgemeinvorstellung der Freiheit falsch auf die konkrete Wirklichkeit angewendet wird (§§ 33-40.46-60). Wie zentral diese Frage für die epiktetsche Konzeption der aufrechten Lebensführung ist, geht aus den Überlegungen in §§ 62ff. hervor. Auch in der Frage der Freiheit sei es notwendig, das Allgemeine auf die konkreten Verhältnisse anzuwenden. 15 Die Freiheit ist dort anzusiedeln, wo man die exklusive Kontrolle hat (§66). Das kann für den Stoiker folgerichtig nur in der aV'YKaTaßE(]'lS', in der Zustimmung liegen (§§ 68-75). Denn wirksam wird eine Vorstellung nur, wenn der Mensch ihr die Zustimmung erteilt, richtig zu sein. 16 Hast du nichts in eigener Macht, worüber nur du verfügst, oder hast du so etwas? - Ich weiß nicht. - Paß dann auf und betrachte die Angelegenheit (in dieser Weise): Jemand kann dich doch nicht zwingen, der Lüge zuzustimmen, oder? - Nein. - Bist du dann nicht in dem Ort der Zustimmung unbehindert und ungehemmt? - Freilich. - Paß dann auf! Kann einer dich zwingen zu wählen, was du nicht willst? - Das kann er. Denn wenn er mir mit Tod oder Fesseln drohen würde, zwänge er mich zu wählen. - Und wenn du Tod und Fesseln verachtest, würdest du dich noch länger um ihn kümmern? - Nein. - Ist es dann deine eigene Tat, den Tod zu verachten, oder nicht? - Doch, meine. - Dann ist die Entscheidung die deinige, oder nicht? - Die meinige, jawohl. - Und das (Recht), abzulehnen? Auch dies ist deins. - Was denn, wenn einer mich daran hindert zu gehen, wenn ich die Entscheidung dazu getroffen habe? - Was von Dir wird er hindern? Bestimmt nicht die Zustimmung. - Nein, sondern den armen Körper (wird er hindern zu gehen). - Ja, wie einen Stein. - Mag sein, ich gehe aber auch nicht mehr. - Wer hat dir eingeredet, daß das Gehen deine
Vgl. Diss. 1,22 und 2,17. 12 Generell zu der Frage vgl. Bonhöffer, Epictet, S. 199-207; Pohlenz I, S. 54-59, Genaueres zu Epiktet bes. bei Bonhöffer, Epictet, S. 188-198; vgl. auch Pohlenz II, S. 163f. 13 Pohlenz I, S. 58f. 14 V gl. Diss. 3,2,39f. 15 In 1,64 lautet es: wS' /lEV cllTAwS' aXr]KoaS" O"KbpaL BL ' aUTO Kat EK TWV E1Tt /lEpOVS'. 16 V gl. Pohlenz I, S. 88ff. 11
5. Epiktet
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eigene freie Tat sei? Denn ich habe dir gesagt, daß nur das Wählen ungehindert ist. Längst hast du gehört, daß, wo auch immer der Körper bzw. seine Mitwirkung nötig ist, du über nichts verfügst. - Dem stimme ich zu. - Kann jemand dich zwingen, zu wünschen, was du nicht willst? - Nein. - Oder vorzunehmen oder zu beabsichtigen oder generell die entstehenden Vorstellungen zu benutzen? - Auch nicht. Aber er wird verhindern, daß das, was ich begehre, zutrifft. - Und wenn du wünschen würdest, was nur in deiner Verfügungsmacht steht, wie wird er dich dann daran hindern? - Gar nicht. - Wer sagt dir denn, daß derjenige, der von den anderen Dingen sich etwas wünscht, frei wäre?
Epiktet führt vor, was es heißt, die TTPOAT}ij;LS" der Freiheit in der konkreten Wirklichkeit anzuwenden. Sie trifft auf die aVYKaTa8c(]"LS" zu, auf die Zustimmung der Vorstellungen. Er führt die Argumentation aber weiter. Was diese freie Zustimmung bedeutet, erläutert er in §§ 89ff.: Ich wurde noch nie, wenn ich etwas wollte, daran gehindert, oder wenn ich etwas nicht wollte, dazu genötigt. Und wie ist das möglich? Ich hatte mein Streben Gott anvertraut. Will er, daß ich fiebere, will ich es auch. Will er, daß ich nach etwas strebe, will ich es auch. Will er, daß ich wähle, will ich es auch. Will er, daß ich etwas erreiche, wünsche ich es auch. Wenn nicht, ich auch nicht ... (§ 89)
Diese Gesinnung, Gott alles anzuvertrauen, erläutert Epiktet mit der Allegorie vom gefährlichen Reiseweg (§§ 91-98): statt sein Trachten und Streben einem Reichen, dem Quaestor, Prokonsul oder sogar dem Kaiser anzuvertrauen, "so hält jener inne und kommt zu der Einsicht, wenn er sich Gott anvertraut 17 , wird er sicher sein Ziel erreichen" (§ 98). Epiktet fährt in typisch stoisch-kynischer Diatribe fort: Was meinst du mit 'Anvertrauen'? - Daß man, was auch immer Gott will, auch selbst will, und was auch immer Gott nicht will, man selbst auch nicht will. Wie geschieht dies? - Wie anders als in der Beachtung von Gottes Wünschen und seinem Walten? - Was hat er mir gegeben, das mir gehört und worüber ich verfüge, und was hat er für sich zurückgehalten? - Mir hat er die (Dinge) innerhalb des Bereiches der Selbstbestimmung 18 gegeben, und diese in meine Macht gestellt, ungehemmt und ungehindert! (§ 100)
Epiktet bietet für die Freiheitsproblematik dieselbe Lösung, die die Stoiker seit alters her anboten. Die Freiheit wird im freien Willen angesiedelt, im Willen, das zu wollen, was in Einklang mit der Natur bzw. dem Logos bzw. Gott ist. Chrysipp hat dies so formuliert: "OflOAOyoVflEVUJS" Ti] CPV(]"cL ('iJv". Epiktet mit seinem gesteigerten religiösen Gefühl deutet dieses stoische Dogma so, daß der Mensch in Harmonie mit Gottes Willen leben soll. In diesem Text führt er dann auch einen wichtigen Begriff seiner Ethik ein, nämlich die TTpoa[pc(]"LS", d.h. die Fähigkeit der freien Zwecksetzung oder Selbsbestimmung. Sie bezeichnet das Vermögen des Menschen, über die richtige oder falsche Anwendung der Vor-
Oder: "sich zu Gott gesellt". Eigentlich "Fähigkeit zur freien, vernünftigen Selbstbestimmung", vgl. Bonhöffer, Epictet, S. 260. 17
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stellungen, besonders der Vorstellung vom Guten, urteilen zu können. 19 Gott will, daß der Mensch sich in der Bestimmung über das Verfügbare bzw. Unverfügbare Gottes Willen anschließt - dies gewährleistet das gute, glückselige und freie bzw. ungestörte, unbehinderte und ungehemmte Leben (§ 1). Auf diesem Hintergrund wird deutlich, welchen Stellenwert die Aussagen in § 61 innerhalb der epiktetschen Philosophie haben. Epiktet bietet anhand eines Syllogismus ein Beispiel von der falschen Anwendung der Vorstellung des größten Vorteils. Ausgehend von dem überaus gültigen Obersatz, "Göttlich ist, was Macht hat, den größten Vorteil zu erbringen." stellt man fälschlicherweise den Untersatz "Dieser Mann hat Macht, den größten Vorteil zu erbringen." auf. Notwendigerweise muß man den falschen Schluß daraus ziehen. Man hält also Menschen für die größten Gönner und Wohltäter des Menschen und schlußfolgert infolgedessen falsch, sie seien göttlich. Dies ist aber ein Kurzschluß, denn die Vorstellung vom größten Vorteil wird, wenn auch unter dem Schein der wissenschaftlichen Logik, fälschlicherweise auf Menschen angewandt. Für Epiktet aber kann der Obersatz nur derartige Untersätze erlauben, die behaupten, die Gottheit / die Natur / der Andere / Zeus usw. erbringe dem Menschen den größten Vorteil. Jeder Versuch, den größten Vorteil auf einen Menschen zurückzuführen, versucht, über das Unverfügbare zu verfügen und verstößt also gegen den Grundsatz der stoischen Philosophie. Richtig wäre, nur von Gott den größten Vorteil zu erwarten, denn einerlei, was er dem Menschen beschert, wird es garantiert zu dem höchsten Glück führen. Epiktet lehnt hier also explizit ab, daß Menschen als 'göttlich' verehrt werden, weil dies seiner ethischen Konzeption widerspricht. 20 So urteilt Pohlenz richtig: "Stoisch ist die Vergottung [von Menschen] nicht".21
5.2 Encheiridion 15: Diogenes und Heraklit als
eElOL
Auf diesem Hintergrund gesehen bedarf die Aussage in Ench. 15 näherer Erklärung. Hier scheint es auf den ersten Blick so, als ob Epiktet, indem er Diogenes
19 Vgl. Bonhöffer, Epietet, S. 118f.259-261; Pohlenz I, S.332-335. Obwohl der Begriff manchmal einfach das geistige Wesen oder die Seele des Menschen unter der Perspektive der Freiheit bezeichnet (Bonhöffer, Epictet, 119f.), bezeichnet er meistens die grundlegende Bestimmungsfähigkeit des Menschen, sogar die sich immer wieder vollziehende "Vorentscheidung" über das, was gut oder nützlich, d.h. verfügbar sei. Das Wollen, der Trieb und die Zustimmung beziehen auf die von der Prohairesis bestimmten Dinge, so daß Pohlenz (I, S. 333) zu Recht sagt, sie sei der entscheidende Faktor im Leben. 20 Gegen Windisch, Paulus, S. 48, der aus unersichtlichem Grund die Sätze Eie VTTOT(Ü]"(J OJ1EV KaKWS' ... dvdYK17 Kat TO YEVOJ1EVOV tt aVTWV tTTEvEx8fjval KaKwS' nicht für die Interpretation heranzieht. 21 Pohlenz II, S. 141.
5. Epiktet
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von Sinope und dem Epheser Heraklit schmeichelnd das Attribut ecL05" beilegt, die Vergöttlichung einiger Menschen in Aussicht stellt: 22 Denke daran, daß du dich benehmen mußt wie bei einem Symposion (wS' EV aVflTToa{cp). Wenn etwas herumgereicht wird und zu dir kommt, reiche mit der Hand und nimm es manierlich (KoaflLt:.uS' flETaAaßE). Wenn es vorbeigeht, halte sie nicht auf (TTapEPXETaL' flT] KaTEXE). Wenn es noch nicht gekommen ist (OVTTUJ ryKEL), richte dein Verlangen nicht weiter darauf (flT] ETT{ßaAAE TTOPPUJ TT]V öPEtLV), sondern warte, bis es zu dir kommt (dMa TTEp{flEVE, flEXPLS' äv YEVT] TaL KaTe!. aE). So (mußt du dich) Kindern gegenüber (verhalten), auch einer Frau, Amtern und dem Reichtum gegenüber. Dann wirst du wohl auch auf würdige Weise Tischgenosse der Götter sein (Kai EmJ TTOTE ätLOS' TWV eEWV aVflTTOTT]S'). Aber wenn du dir nichts nimmst (flT] AaßvS'), auch wenn etwas dir vorgesetzt ist, sondern es übersiehst (dAX VTTEp{8VS'), dann wirst du nicht nur Tischgenosse der Götter (ou flOVOV aVfl TTOTT]S' TWV eEWV EmJ), sondern auch Mitherrscher sein (dMa Kai avvapxUJv). Indem sie also solches getan haben, waren Diogenes und Heraklit und ihresgleichen wahrlich eELoL und wurde auch (zu Recht) so von ihnen gesprochen (OUTUJ yap TTOLWV LlLOYEVT]S' Kai 1/paKAEL TOS' Kai ol ÖflOLOL dt{UJS' eELO{ TE ryaav Kai EAEYOVTO).
Da es sehr unwahrscheinlich ist, daß Epiktet sich einerseits explizit gegen die Vergöttlichung von Menschen ausspricht, dies jedoch andererseits selbst tut, ist festzustellen, wie ecL05" an dieser Stelle verwendet wird und warum Epiktet das Adjektiv gerade Diogenes und Heraklit beilegt.
5.2.1 Tischgenosse der Götter: Metapher für das stoische Lebensideal Im Text verfolgt Epiktet dem ersten Anschein nach nur paränetische Absichten und legt mit Hilfe eines Gleichnisses vom Maßhalten bzw. Verzicht beim gemeinsamen Essen dem Leser nahe, auch im alltäglichen Leben die Begehrlichkeiten dieser Welt mit Maß zu genießen bzw. ganz auf sie zu verzichten. In Encheiridion 15 liegt aber ein fein strukturiertes Gleichnis aus dem allgemeinen Menschenleben 23 für das stoische Lebensideal, das Telos, vor. Epiktet faßt hier in bildhafter Sprache das Ziel des stoischen Unternehmens überhaupt zusammen. Dies wird auf der Ausgangsebene durch den im finalen Kontext verwendeten Begriff avvapxUJv signalisiert24 sowie durch den Gebrauch des Verbs ava: 22 Vgl. Wetter, Sohn Gottes, S. 38: "Und wie die Kaiser als Gottes Gebote, als seine Gesandte und Offenbarer, Propheten gelten wollten, so auch alle jene Philosophen .... Und es ist nur eine Konsequenz aus diesem Gedanken, wenn wir hören, daß die philosophischen Schulhäupter (vgl. z.B. Epiktet Moral. 15 von Diogenes und Heraklit) ganz wie die Kaiser für göttlich gehalten wurden, oder wie ihre Statuen kultisch verehrt werden: als Offenbarer der göttlichen Weisheit sind sie auch als eEO{ gedacht." 23 Vgl. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik 1-11, München 1960, da §§ 410426; Klaus Berger, Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, ANRW 11 25,2, Berlin 1984, S. 1110-1124. 24 Vgl. Diss. 1,9,5 (TO aVaTT]fla TO EK dVepWTTUJV Kai eEOV); 2,5,26 (f1tpoS' TToAEUJS' ... TfjS' EK eEWV Kai dVepWTTUJV); 1,12,7f.; 2,5,26.10,3f.; 3,5,10; 4,1,154. Daß die Welt einem
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O"TpicpcO"eaL, das mit Wörtern wie avaO"Tpocp7} und O"vvavaO"Tpocpry ein von
Epiktet in Verbindung mit der Formulierung des Telos verwendetes Wortfeld teilt. 25 Aber auch auf der Bildebene wird ein für die epiktetsche Ethik zentraler Begriff, die Opc'LS", verwendet. Gerade dieser Begriff bietet den Schlüssel zum Verständnis des Textes. Die Opc'LS" ist im Gegensatz zur Philosophie anderer Stoiker ein Schlüsselbegriff für Epiktets Philosophie bzw. Ethik. Er teilt die philosophische Bildung in drei Teile oder Topoi auf, nämlich Opc'LS", 6p/17} und O"vYKaTaecO"LS".26 Der erste Topos handelt vom richtigen Begehren und Meiden, der zweite vom richtigen Handeln und Unterlassen, kurzum von den Pflichten, der dritte betrifft die Zustimmung, das richtige Urteilen, und ist nur für Fortgeschrittene gedacht. Der Topos der Opc'LS" (und ihrer Kehrseite, der EKKALO"LS") bewirkt die Apathie, d.h. Gemütsruhe, und die innere Harmonie, das eigentliche Ziel der stoischen Philosophie. 27 Die Trennung von Opc'LS" und 6p/17} bzw. die zentrale Stellung der Opc'LS" gehört zur Eigenart der Philosophie Epiktets. Das Vorkommen dieser Vorzugsvokabel Epiktets ist ein deutliches semantisches Signal auf der Bildebene, daß das Gleichnis den Kern der Philosophie Epiktets betrifft. Epiktets Lehre von der Opc'LS"28 besagt, daß das Begehren eine normale Funktion der Seele bzw. des Hegemonikons ist. 29 Der Mensch hat das richtige Begehren anzustreben und zu lernen, so daß Epiktet oft das naturgemäße Begehren, das er auch als vernunftgemäßes Begehren bezeichnet, als höchstes Ziel darstellt. 30 Den Gegensatz zu dem naturgemäßen Begehren bildet die ETTLeV/1fa, das vernunftwidrige Begehren. 31 Die Opc'LS" richtet sich auf eine Vorstellung von etwas, das subjektiv beurteilt gut, vorteilhaft oder nützlich sei3 2 , so daß die Opc'LS" nur dann vernunftgemäß sein kann, wenn sie sich auf die sogenannten rrpoaLpcTLKa bezieht. Das sind diejenigen Dinge, die innerhalb der Selbstzwecksetzung des Menschen, d.h. der rrpoafpcO"LS", angesiedelt sind. Die rrpoar pCTLKa sind die verfügbaren Dinge 33 , so daß der Erfolg gewährleistet ist, wenn Staat gleicht, der aus Göttern und Menschen besteht, ist ein alter, auf Chrysipp zurückgeführter stoischer Lehrsatz; vgl. Diog. Laert. 7,138. 25 Vgl. nur Diss. 1,9,24 (dvaaTpoqYTj) und 1,9,7, wo avvavaaTpo
5. Epiktet
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die opctLS" sich darauf richtet. Wenn sie sich auf das Unverfügbare, die G1TpoafpcTa richtet, ist die opctLS" dagegen unvernünftig, d.h. sie ist eine E1TC ßVj1fa, und führt zwangsläufig zum Affekt. 34 Darum zielt der erste Topos der philosophischen Erziehung auf die Unterwerfung der opctLS" unter die Natur, den Logos bzw. Gott 35 , weil das natur- bzw. vernunftgemäße Begehren und Meiden die Apathie garantieren. Darum ist auch die Form des Begehrens wichtig. Das vernunftgemäße Begehren geschieht ohne Aufwühlung des Hegemonikons, ruhig, maßvoll und gelassen. Die ETTLßvj1fa dagegen wühlt auf, erregt und bewirkt den Affekt. An den Anfänger der Philosophie stellt Epiktet folglich die Forderung, jegliche (auch die vernünftige) opctLS" zu unterlassen. 36 Er muß ja noch die ersten Stufen der sittlichen Erziehung durchlaufen, in der man gerade die richtige opctLS" und EKKALO"LS" erlernt, d.h. in Erfahrung bringen, welche Güter allein begehrenswert sind, nämlich die prohairetischen bzw. die selbstgesetzten. 37 Erst nach dem Erwerb der Einsicht in die 1TpoafpcO"LS", nach dem Gewinn sittlicher Festigkeit soll der Mensch seine außer Kraft gesetzte opctLS" wiederaufnehmen. 38 In dem Gleichnis wird also das Kernproblem der stoischen Philosophie bzw. Ethik, nämlich das Umgehen mit dem Unverfügbaren, angesprochen. In ihm stellt Epiktet die stoische Lösung des Problems dar. Das Verfügbare (KaTG O"E) darf man in moderater Weise, d.h. ruhig, maßvoll und gelassen, in Anspruch nehmen. 39 Das Unverfügbare (gleich, ob Vergangenes "1TapipXcTaL" oder Zukünftiges "OV1TUJ fjKcL ") darf man nicht begehren. Das Gleichnis schneidet Epiktet auf Kinder, Frauen, Macht und Reichtum zu. Wer die opctLS" in bezug auf diese Dinge zügelt, wird auf würdige Weise Tischgenosse der Götter sein. Der Übergang von der Bildebene zur Ausgangsebene wird dadurch kompliziert, daß Epiktet auf der Ausgangsebene eine dem Gleichnis verwandte Metapher benutzt (lO"O 1TOTE aeLOS' T(JV ßc(Jv O"Vj11TOTT}S"): das Leben sei ein Symposion, der Mensch Tischgenosse der Götter. Hinter dieser Metapher steht die bekannte stoische Vorstellung, daß alle vernünftigen Wesen, d.h. die Götter und die Menschen, eine Gemeinschaft bilden. 40 Epiktet liebt es geradezu, das Telos
Diss. 4,10,6; Ench. 2,1; vgl. Bonhöffer, Epictet, S. 240, da Belegmaterial. Diss. 2,10,3f.; 2,17,23. Diss. 1,4,1; 3,13,21; 3,22,13; 4,4,18.33; Ench. 2(!).48. 37 Ench. 2,2: äv Tc yap OPEYlJ TWV OVK Eep' 7}/lLV TLVOS', aTVXcLV avaYKT] 38 Diss. 1,4,1; 3,13,21. 39 Da die cVAOYOS' ÖpcCLS' oder ßOVAT]aLS' (die ja immer auf das Verfügbare zielt) immer in Erfüllung geht, führt sie nicht zu unangemessener Aufregung oder aTapaC[a. Den Gegensatz dazu bildet die Errd)v/l[a, die heftig drängend das Hegemonikon oder die Seele aufwühlt. Das Koa/l[wS' im Gleichnis entspricht offensichtlich dem stoischen Gelassenheitsideal. 40 Vgl. z.B. Diss. 1,9,5; 2,14,34; 3,22,3-8; 4,1,104. In 3,5,10 liegt eine sehr ähnliche Metapher vor: das Leben als rravryyvpLS'. Es ist selbstverständlich, daß ein Stoiker nicht im Ernst von einem Symposion der GöUer reden kann. Es handelt sich um das Symposion, das die GöUer den Menschen veranstalten. 34
35 36
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Teil 111: Semantische Analyse: ec[o~ KTA. in epistemologischem Kontext
in Hinsicht auf die Gemeinschaft mit Gott zu formulieren. 41 Wir haben also im Gleichnis eine Formulierung des Telos42 vorliegen, des gotteswürdigen Lebens, das sich dort einstellt, wo der Mensch nur nach dem ihm Verfügbaren, nach den 1TpoalpETlKa, trachtet. 43
5.2.2 Mitregent Gottes: Metapher für den jJfos
KVJ/LKOS
Auf der Bildebene aber wird das Gleichnis jetzt erstaunlicherweise nochmals gesteigert. Wer freiwillig sogar auf das Verfügbare verzichtet, wird nicht nur würdiger Tischgenosse, sondern Mitregent der Götter sein. Im nächsten Satz ist die Rede von Diogenes und Heraklit und denen, die ßEL Ol gewesen und so genannt worden seien, weil sie gerade solches getan hätten. Haben wir es hier mit einer Verheißung der Vergöttlichung zu tun, d.h. tritt ßEL05' hier als adskriptives Klassenadjektiv auf?44 Im Folgenden werden wir zeigen, daß eine konsequente und genaue Beachtung des unmittelbaren (intratextuellen) sowie des umfassenden (extratextuellen) Kontextes gegen eine solche Annahme spricht. Wenn das vorliegende Gleichnis das Telos bzw. das stoische Lebensideal betrifft, wirkt die weitere Steigerung des Gleichnisses befremdlich. Denn nicht Verzicht und Askese, sondern Mäßigkeit und Besonnenheit gehörten zum Wesen des stoischen Ideals. Dieser Satz gilt uneingeschränkt auch für Epiktet. 45 Nicht die Askese, sondern den Verzicht auf Luxus, und zwar den Luxus, der zur Eitelkeit und Verweichlichung führt, hat er eindringlich gefordert. Askese spielt nur im wörtlichen Sinne, d.h. als Übung, eine Rolle, sie hat nur relativen Wert, ist aber kein wesentliches Element des Strebens nach der Tugend. Dementsprechend forderte Epiktet weder Kinderlosigkeit noch Ehelosigkeit oder gar sexuelle Enthaltsamkeit, noch der Verzicht auf Erwerbstätigkeit, öffentliche Ämter oder Eigentum. Die Stoiker und besonders Epiktet forderten in der Pflichtenlehre im Gegenteil gerade dazu auf, die entsprechenden sozialen Pflichten nicht
41 Diss. 1,9,5.24; 1,12,lff.; 1,20,15; 1,29,45; 2,14,13; 2,17,23; 2,19,27; 3,24,32; 4,1,90110; 4,7,20; Ench. 22.31,1 u.a. 42 Das Futur ist ein logisches Futur und hat folglich keine eschatologische Funktion. Das TrOTE bezieht sich also nicht auf ein zukünftiges Leben, sondern auf den Zeitpunkt, wenn man das Telos erreicht, nämlich am Ende des Lebens, vgl. Bonhöffer, Epictet, S. 66. Epiktet verspricht nicht ein Leben mit Gott bzw. den Göttern nach dem Tod - eine solche Eschatologie liegt ihm fern. Der Mensch stirbt und löst sich auf; vgl. Diss. 2,1,17-19; 3,24,97; 13,13ff., bes. 15; 4,7,15.27. Die Stoiker kennen keine (eschatologische) Jenseitserwartung, was zweifelsohne auch für Epiktet gilt; wie die ältere Stoa war er trotz aller Religiosität ein Diesseitsmensch; vgl. hierzu Zeller III,I, S. 205-8, bes. 207f.; Bonhöffer, Ethik, S. 26-29; ders., Epictet, S. 54-67. 43 Plastisch dargestellt in 4,1,66-86. 44 So z.B. Windisch, Paulus, S. 48. 45 Vgl. die ausführliche Darstellung von Epiktets Morallehre in Bonhöffer, Ethik, 58-121. Er folgert zu Recht: " ... man [wird] wohl sagen dürfen, daß Epiktets Ethik durchaus keine asketische ist", a.a.O., S. 70.
5. Epiktet
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zu vernachlässigen. Das Heiraten und Kinderzeugen ist sogar eine Pflicht,46 von der nur besondere Umstände dispensieren können - sogar der Weise würde heiraten und Kinder zeugen. 47 Die Ehe ist ein Gut, daß man pflegen, aber - wie auch alles andere- nicht um jeden Preis anstreben soll. 48 In der Ehe gelten, was den Geschlechtsverkehr angeht, Mäßigkeit und Keuschheit als das oberste Gebot. 49 Die Elternliebe für ihre Kinder ist für Epiktet eine Forderung der Natur, also Pflicht. 50 Auch sie darf jedoch nicht so leidenschaftlich sein, daß die Tugend dadurch gefährdet würde. 51 Auch was die Ausübung eines öffentlichen Amtes anbetrifft, gilt für Epiktet: Jeder, der ein Amt bekleidet, soll es beibehalten, und wenn jemandem ein Amt übertragen wird, soll er es zum Wohle aller ausüben. 52 Man muß sich allerdings hüten, nach Ämtern und Stellen zu trachten, damit die Tugend nicht gefährdet wird. 53 Ähnlich gelagert sind die Dinge in bezug auf Besitzerwerb und Reichtum. Der Reichtum ist wie die Gesundheit und wie ein langes Leben ein rrpOTJYJ1EVOV, ein relatives Gut54 , so daß der Erwerb des Reichtums nicht an sich unsittlich ist. Man soll sein Geld also nicht verschwenden und genug erwerben, damit die Familie versorgt werden kann. 55 Aber auch hier gilt der Grundsatz, moderat zu sein, so daß die Tugend nicht bedroht wird. 56 Es ist also deutlich, daß es nicht die Absicht des Gleichnisses sein kann, das stoische Tugendideal noch zu steigern, denn Verzicht und Askese sind keine wesentlichen Elemente der Tugend. 57 Der zweite Teil des Gleichnisses betrifft die auserlesene Gruppe der Kyniker. Diese Behauptung mag zuerst befremden, da man erwarten könnte, daß der ideale Weise an diese Stelle treten sollte. Epiktet hatte aber wenig Interesse am idealen Weisen der alten Stoa. Obwohl er ihn nicht ganz fallen ließ,58 benutzte er ihn nicht, wie in der Stoa üblich, als Vehikel, um seine ethischen Normen zu formulieren. Das Wissen um das Tugendhafte wird einem in der Philosophie vermittelt, sie ist Bildung schlechthin. Sie ist Aufgabe jedes Menschen - sie 46 Diss. 3,7,26. 47 Diog. Laert. 7,121. Zum Thema Ehe und Kinder vgl. Bonhöffer, Ethik, S. 63-68.86.89. 48 Diss. 4,5,6. 49 Ausführlich Bonhöffer, Ethik, S. 65-67. 50 Vgl. Diss. 1,23,1ff.; auch 1,11; 3,7,3; 22,71; Sokrates als Beispiel: 3,24,59. 51 Diss. 3,24,85. 52 Diss. 2,23,38, wo die Ausübung von öffentlichen Ämtern mit Heiraten und Kinderzeugen auf eine Ebene gestellt wird. Vgl. auch 1,29,26; 2,10,10. Zum Thema s. Bonhöffer, Ethik, S.92-97. 53 Z.B. Diss. 4,1,2; 4,6,25-27. 54 Diss. 2,5,25. 55 Diss. 1,2,34-37; 3,22,70. 56 Ench. 2,3. 57 Die Stoa hielt daran fest, daß jedermann in jeglicher Lage imstande sei, die Tugend zu haben, also das Telos zu erreichen. Dies ist unabhängig davon, ob man alleinstehend oder verheiratet mit Kindern, reich oder arm, Landarbeiter oder hoher Beamter ist; vgl. Ench. 17. 58 Epiktet bevorzugt die Begriffe arrov8afo5' oder KaAoKaya805', wenn er vom idealen Weisen spricht. Der Begriff aocjJo5' nur in 1,23,3 (vom epikureischen Weisen); irreal in 3,22,67; 4,11,24; ironisch in 2,21,11; 3,13,22; 4,1,6.
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtoS KTA. in epistemologischem Kontext
führt ihn zum Telos, zum sittlichen Ideal, setzt ihn auf den Weg zum Ideal des Vollkommenen bzw. Fortgeschrittenen. 59 Anstelle des idealen Weisen zieht Epiktet nun konkrete Vorbilder von weisen Männern aus dem wirklichen Leben, besonders die Beispiele Sokrates, Diogenes und die Schulgründem, heran. 6o In diesem Kontext kommt in Epiktets Philosophie dem herumziehenden Kyniker eine wichtige Rolle ZU. 61 Weise oder vollkommen zu werden ist das sittliche Ideal, das jeder anstreben soll, der Kyniker aber "ist ein !,afpETov, keine Norm für alle. "62 "Philosophie und Kynismus ist aber nach Epiktet gar nicht identisch. Philosophie soll jeder treiben, weil er nur so ein rechter Mensch werden kann ... Anders verhält es sich mit dem Kynismus: das ist nicht ein Ziel, dem jedermann nachtrachten soll, sondern ... ein xapLO"j1a, das den allerwenigsten zuteil wird." 63 Der Kyniker hat den höchsten Beruf inne, er ist der Menschheit Lehrer64 und Arzt65 , ein Kundschafter66 und Botschafter67 Gottes, ein Zeuge der Tugend68 . Wenn man genauer untersucht, was Epiktet über die Kyniker sagt,69 wird schnell deutlich, daß der zweite Teil des Gleichnisses sich nur auf den ß{ os" KVVLKOS" beziehen kann. Anders als für andere Menschen gehört die Askese für den Kyniker zum Beruf. Er ist dazu bestimmt, den Massen an seiner eigenen Person zu veranschaulichen, daß das Glück bzw. die Tugend nicht von äußeren Dingen abhängt. Der Kyniker übt diese asketische Lebensweise nur um der großen törichten Menge willen. Damit sie einigermaßen einen Eindruck von der Wertlosigkeit der äußeren Dinge bekommen kann, übt der Kynik~r massiven Verzicht auf alles, was über das absolut Notwendige hinausgeht, und trägt die Geringschätzung derselben in dicken, grellen Farben auf. 70 Die Voraussetzung für die Aufgabe des Kynikerberufs ist, daß man die drei Topoi der philosophischen Bildung durchlaufen hat, d.h. Begierde und Handeln unter Kontrolle hat, und nur noch nach dem seiner O"vYKaTaeEO"LS" Verfügbaren, nach den TTpoaLpETLKa trachtet.?1 Der Kyniker übt den Verzicht freiwillig. Dies wird von seinem körperlichen Aussehen unterstützt, denn ein Abgemagerter und 59 Ench. 51,2. 60 Z.B. Diss. 4,1,159ff. u.ö. 61 Zum Kynismus bei Epiktet vgl. Margarethe Billerbeck, Epiktet. Vom Kynismus. Herausgegeben und übersetzt mit einem Kommentar, Leiden 1978. 62 Bonhöffer, Epictet, S. 3; vgl. Diss. 1,2,33; 3,1,23. 63 So treffend Bonhöffer, Epietet, S. 11. V gl. auch Billerbeck, Kynismus, S. X: "Der wahre Kyniker ist nicht ein Ziel, sondern ein Wegweiser zum Ziel." und S. 9: "Kynikersein ist nicht die Endstufe auf einer Leiter philosophischer Ideale, sondern ein Ausnahmezustand ... ". 64 0 KOlI/OS" TTal8Evrr]S", 0 TTal8aywyoS"; Diss. 3,22,17. 65 Diss. 3,22,72. 66 Diss. 3,22,24.38.70. 67 Diss. 3,22,25.38.69. 68 Diss. 4,94,32. 69 Diss. 3,22 und 4,8,30-43. 70 Richtig beobachtet Bonhöffer, Ethik, S. 71, daß die Askese zur persönlichen Vollkommenheit des Kynikers als Menschen durchaus nicht gefordert ist. In einem Staat von Weisen wäre der Kynismus sinnlos, vgl. Diss. 3,22,67. 71 Diss. 3,22,13.19-22.
5. Epiktet
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Schmächtiger gilt der Masse als bejammernswürdiger Bettler. Das würde aber das Zeugnis des Kynikers ihr gegenüber beeinträchtigen.7 2 Sein Zeugnis ist: das Glück ist nicht in den äußeren Dingen zu finden, nicht im Körper bzw. der Gesundheit oder Schönheit, nicht in Besitz und Reichtum, nicht in Ämtern und Macht. 73 Er ist von der Gottheit gesandt worden, in der Praxis zu zeigen, daß das Glück von äußeren Dingen wie Besitz, Luxus, Macht usw. unabhängig ist. 74 Darum hat er auch die Pflicht, auf soziale Bindungen wie Ehe und Familienleben75 , Kinderzeugung76 und politische Betätigung77 zu verzichten, denn in der jetzigen Gesellschaft würden solche Tätigkeiten ihm die Freiheit rauben, sein Zeugnis zu vermitteln. 78 Dieser Idealkyniker Epiktets ist nicht nur Botschafter, Kundschafter oder Knecht Gottes, sondern auch ein von Gott über die Menschen eingesetzter Aufseher bzw. Verwalter.7 9 Unter Rückgriff auf eine alte kynische Tradition bezeichnet Epiktet den Kyniker paradoxerweise als einen Herrscher, einen Mitregenten Gottes. 80 So heißt es beispielsweise, daß er teilhabe an der Regierung des Zeus 81 , oder daß er dessen Herrschaft würdig sei.8 2 Legt der Kyniker alle Außendinge ab, übt er Askese und Verzicht, wird er zu Gottes Mitregent. Denn er repräsentiert die Gottheit selbst 83 bzw. ihr Wesen, d.h. die Tugend. 84 Befreit von allen äußeren Dingen steht der Kyniker den gemeinen Leuten, die von ihren Begierden, Ängsten usw. versklavt sind, als König gegenüber. 85 Dies bedeutet lediglich, daß der Kyniker sich in allem von der Gottheit führen läßt, d.h. unter den allerwidrigsten Umständen mit dem Logos bzw. der Natur in Einklang lebt und folglich die Tugend erreicht hat. 86 Epiktet bietet also im zweiten Teil des 72 Diss. 3,22,51.86-89 bes. 86: OVKETL (;j1o{av Ej1cpauLv i] j1apTvp{a aVTov EXEL und 4,11,19-24. 73 Diss. 3,22,26-30. 74 Diss. 3,22,45f.: l80v aTTEUTaAKEV Uj1LV (; 8cos- TOV 8EL,OVTa EPY4J, ÖTL EvBEXETaL und 4,8,31: l80v Eyd; Uj1LV TTapa8EL Yj1a UTTO TOV 8EOV aTTEUTaAj1aL. 75 Diss. 3,22,67-76. 76 Diss. 3,22,77-82. 77 Diss. 3,22,83-85. 78 Diss. 3,22,69: ... aTToAcL TOV äYYEAOV Kal KaTauKoTTov Kal Kr]pvKa TWV 8EWV. In einem Staat der Weisen würde auch der Kyniker heiraten und Kinder zeugen, vgl. Diss. 3,22,68. 79 Diss. 3,22,3-8 (OlKOBEUTTOTT}S-). 18 (ETTLuTaTcLv TOLS- äAAOLS- av8pwTToLS-). 72 (BEL TOUS- äUovs- ETTLUKOTTELV). 85 (dpXT}); vgl. auch § 97. Die religiöse Auffassung des Kynikerberufes ist auf die persönliche Prägung Epiktets zurückzuführen; vgl. Billerbeck, Kynismus, S. 8. 80 Vgl. Diss. 3,22,49.60.72.75.80.95-99; 4,8,30. Vgl. die umfassende Untersuchung von Ragnar Höistad, Cynic Hero and Cynic King. Studies in the Cynic Conception of Man, Lund 1948, bes. 179-220 und passim. 81 Diss. 3,22,95: ws- j1ETEXWV Tf7s- apxiJs- TOV LlLOS-. 82 Diss. 4,8,30: TOLOVTOS- yap TLS- EUTLV (; KVVLKOS- TOV UKr]TTTPOV Kal BLaBr]j1aTOSlj,LWj1EVOS- TTapa TOV LlLOS-. 83 Diss. 4,8,32: T{VOS- EPYOV EUTLV; TOV LlLOS84 Diss. 4,8,32: ... Tij apETij j1apTVEL Kal TWV EKTOS- KaTaj1apTVpEL. 85 Diss. 3,22,60f.; 4,1,154-158. 86 Diss. 3,22,95f., 24,64.
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Teil 111: Semantische Analyse: eELO~ KTA. in epistemologischem Kontext
Textes ein Gleichnis für den sogenannten ß{oS' KVVLKOS', die kynische Lebensführung. Auf diesem Hintergrund wird jetzt auch deutlich, warum gerade Diogenes und Heraklit hier als Menschen erwähnt werden, die solches getan hätten (ourU)
rap
TTouiJv).
5.2.3 Diogenes und Heraklit als Kyniker
Diogenes von Sinope galt in der Antike als derjenige, der die asketischen Forderungen seines Lehrers Antisthenes konsequent in die Tat umgesetzt hat,87 indem er auf Unterkunft, Ehe und Familie, Kleidung und Nahrung, sofern es das Existenzminimum überschreitet, verzichtet hat. Frei von den Bindungen an die Polis und ihre Konventionen versuchte er, die Autarkie durch die Askese, d.h. die Einübung einer solchen Lebensführung, zu verwirklichen. Wie kaum eine andere Gestalt der Antike zog er Anekdoten und Legenden über seine Bedürfnislosigkeit an. Der Antike galt er als derjenige, der den Menschen das bedürfnislose Leben vorgelebt hat,88 Mit dem Neuaufleben des Kynismus in den ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderten wird sein ß{ oS' den Kynikern zu einem geradezu zur Nachahmung verpflichtenden Vorbild. Epiktet bezieht sich nicht sehr oft auf Diogenes. 89 Im Vergleich mit der sonstigen Diogenesüberlieferung (z.B. Diog. Laert. 6,lft.) ist sein Diogenesbild ein geläutertes. Es darf angenommen werden, daß auch Epiktet keine andere Überlieferung kannte als solche Anekdotensammlungen, aber er geht sehr selektiv mit dem Stoff um, so daß er seinen Diogenes frei von den vielen burlesken Zügen darstellt, die ihn berüchtigt machten. Diogenes von Sinope war für Epiktet der Prototyp des wahren Kynikers, als Kundschafter von der Gottheit gesandt,90 den Menschen kundzutun, daß sie das Gute und das Böse suchen, wo es nicht zu finden iSt. 91 Diogenes gestaltete sein Leben nämlich in dem Bewußtsein, daß die äußeren Dinge wie Familie, Besitz, Ruhm usw. dem Unverfügbaren zuzuordnen sind, daß aber der Gebrauch der Vorstellungen, d.h. der freie Wille bzw. die Zustimmung, dem Verfügbaren angehört. 92 Sein Leben ist ein Paradebeispiel dafür, daß die Tugend durch Verzicht auf solche materiellen, 87 Zu Diogenes vgl. Donald R. Dudley, A History of Cynicism. From Diogenes to the 6th Century A.D., London 1937, S. 1-58; F. Sayre, Diogenes of Sinope. A Study of Greek Cynicism, Baltimore 1938 sowie die Kritik zu diesen Werken von Höistad, Cynic Hero, S. 5-21. 88 Nach Diog. Laert. 6,78 lautete ein Teil seiner Grabschrift: floDvoS' ETTEL ßlOTGS' aVTapKEa 86,av l8El,aS' ßvaTo'is' ...
89 Weniger als 20mal, gehäuft in Diss. 3,22; 3,24 und 4,1. 90 Diss. 1,24,6; 3,22,24f. 91 Diss 3,22,23-25. 92 Diss. 3,24,68; 4,1,112-114. Es ist wichtig zu beobachten, daß Epiktet hervorhebt, Diogenes habe diese Erkenntnis von Antisthenes gelernt. Diogenes wird als Beispiel vorgeführt, das zeigt, wie dieser Grundsatz konkret zu verwirklichen ist, also für seine Fähigkeit, die Vorstellung auf die konkreten Verhältnisse anzuwenden; vgl. Diss. 2,16,35-38 im Gesamtkontext (es ist eine Abhandlung über die Anwendung der Meinungen über Gutes und Böses).
5. Epiktet
141
familiären, politischen und sozialen Bindungen zu erlangen ist. 93 Diese Freiheit von den d8LG.<jJopa, die auf der Erkenntnis gründet, daß alles von der Gottheit ausgeht und nach ihrem Willen abläuft,94 macht ihn anderen Menschen gegenüber frei, was sich vor allem in seiner TTappT}o-{ a, seinem freimütigen Reden, zeigt. 95 Als freier, nicht versklavter Mensch war er in bezug auf seine versklavten Mitmenschen ein Herrscher. Infolgedessen pöbelte er sie furchtlos an und wies sie zurecht,96 sei es den gemeinen Mann, seien es Könige oder Fürsten. 97 Er hat sich, indem er auf alle Bindungen verzichtet hat, dem von Gott gewollten Ablauf der Dinge gefügt und ist durch seine Zurechtweisung (in Wort und Tat), man solle das Gute nicht in den unverfügbaren d8LG.<jJopa suchen, zu einem Mitarbeiter und Mitherrscher Gottes geworden. Für Epiktet galt Diogenes in bezug auf die kynische Lebensart als Autorität schlechthin. 98 Dies geht besonders deutlich aus einer Aussage Epiktets in Diss. 3,21,18f. hervor, nach der Gott die Großen der stoisch-kynischen Tradition jeweils mit einem philosophischen Amt oder einem Standort in der Philosophie betraut hat, Sokrates nämlich mit der i AeYKTLK7} xt!Jpa, Zeno mit der 8L8aaKaALK7} Kai 8oYf.1aTLK7} xt!Jpa und Diogenes mit der ßaaLALK7} Kai iTTL TTAT}KTLK7} xt!Jpa. In seiner Bezeichnung von Diogenes' Amt greift Epiktet noch einmal die kynische Herrschertradition auf und beschreibt das Amt treffend als das des königlichen Tadlers. Im Hinblick auf dieses Diogenesbild Epiktets verwundert es nicht, wenn Diogenes im Schluß des vorliegenden Gleichnisses als einer, der solches getan hat, genannt wird, ist er doch für Epiktet der Prototyp des Kynikers, ja der Vollender des Kynismus. 99 Schwieriger ist die Frage, warum Heraklit an dieser Stelle genannt wird. Heraklit wird sonst nie von Epiktet erwähnt, so daß der unmittelbare Kontext der epiktetschen Schriften nicht wie im Fall des Diogenes den Schlüssel zur Lösung bieten kann. Da m. E. aber hinreichend belegt wurde, daß es sich hier um die Askese bzw. den idealen Kynismus und seinen Platz innerhalb des Denkens Epiktets handelt, ist nur noch zu klären, inwiefern Heraklit damit zusam-
93 Diss. 1,24,8; 4,1,159, 11,23. 94 Diss. 3,22,58-61, 24,65; 4,1,154f. Diogenes hat verstanden, daß das wirkliche Vaterland der Kosmos ist, den die Gottheit lenkt und verwaltet, so daß das tugendhafte Leben daraus besteht, sich nicht gegen den vorgesehenen Ablauf der Dinge zu stemmen. 95 Diogenes wird von Epiktet oft in Verbindung mit der Freiheit genannt, vgl. 3,24,67; 4,1,30.114.152. 96 Diss. 3,22,93-99. 97 Diss. 2,13,24; 3,22,24.92,24,67-70; 4,1,115f.156f. 98 Vgl. Billerbeck, Kynismus, S. 7f. 99 Daß Kyniker schon im frühen Hellenismus Diogenes Adjektive wie BEtOS' u.a. beilegten, zeigt ein bei Diog. Laert. 6,77 überlieferter Vers von dem aus Megalopolis stammenden kynischen Versdichter Kerkidas (vgl. Rudolf Keydell, Art. Kerkidas 3., KP 3, Sp. 200f.; Karlhans Abel, Art. Kynismus, KWdH, S. 402): 17S' rap aAr]BiwS' .t1Lorivr]S' ZavoS' rovoS' ovpaVLOS' TE KVWV. Zur Bezeichnung des Tugendhaften als Sohn des Zeus vgl. Höistad, Cynic Hero, S. 56f.60.
142
Teil 111: Semantische Analyse: eE[O~ KTA. in epistemologischem Kontext
menhängt. Dafür müssen wir uns ein Bild von der Heraklitvorstellung zur Zeit des Wirkens von Epiktet machen. Daß Heraklit den Stoikern als Archeget galt und auf die frühen Stoiker großen Einfluß ausübte, ist allgemein bekannt. 100 Daß die Stoiker besonders in der Physik Anschluß an Heraklits Logosphilosophie gefunden haben, ist ebenfalls hinreichend bekannt. 101 Auch die späteren Stoiker hielten ihn in Ehren. So schreibt z.B. jener große Verehrer Epiktets und letzte namhafte Stoiker, Mark Aurel, in seinen Selbstbetrachtungen 8,3: "Was sind Alexander, Caesar und Pompeius gegen Diogenes, Heraklit und Sokrates? Denn diese kannten die Dinge, ihr Zustandekommen, ihre stofflichen Bestandteile, und ihr Geist war unbesieglich; wie viele Sorgen lasteten dagegen auf jenen und welche Abhängigkeit von tausenderlei Dingen!" 102 Hier finden wir in der späten Kaiserzeit ein Dreiergespann der Garanten der stoischen Tradition vor, in dem Diogenes und Heraklit eng zusammengerückt werden. Den Beweis, daß auch die Kyniker der Kaiserzeit Heraklit als Archegeten und Garanten der kynischen Lebensführung in Anspruch genommen haben, erbringen die Pseudo-Heraklitischen Briefe. 103 Diese in den ersten anderthalb Jahrhunderten der Kaiserzeit entstandene 104 Sammlung ist ein "eindrucksvolles Zeugnis der Tendenzen des Archaismus, die allzu knappe Dokumentation über Philosophen des 6. Jh. zu verbreiten, zugleich aber diese Philosophen für eine der aktuellen Philos[ophieschulen] (hier: Kynismos) zu gewinnen."105 In den 100 A. A. Long, Heraclitus and Stoicism, 4>/AOb04>/A 5-6, S. 133-153, da 152, schreibt: "His (sc. Cleanthes') interest in Herac1itus ... was so strongly imprinted in what he wrote that later Stoics inevitably accepted Herac1itus as aprecursor of comparable stature to Diogenes of Sinope." 101 Hossenfelder, Philosophie, S. 79-86. 102 Übers. v. Arno Mauersberger, Leipzig 1949. 103 Kritische Ausgaben von Harold W. Attridge, First-Century Cynicism in the Epistles of Herac1itus. Introduction, Greek Text and Translation, Harvard Theological Studies 29, Missoula 1976 und von L. Taran in R. Mundolfol L. Taran, Eraclito. Testimonianze e lmitazioni, Bibliotheca di studi superiori 54, Florenz 1972. Veraltet sind die alten Textausgaben von J acob Bernays, Die Heraklitischen Briefe. Ein Beitrag zur philosophischen und religionsgeschichtlichen Litteratur, Berlin 1869 und Rudolph Hereher, Epistolographi graeci, Paris 1873, S. 280-288. Falls nicht anders erwähnt, wird die Ausgabe von Attridge hier herangezogen; auf die entprechenden Parallel stellen in der Ausgabe von Bernays wird in Klammern verwiesen. Vgl. auch Abraham Malherbe, The Cynic Epistles. A Study Edition, Missoula 1977, S. 22-26, da ausführliche Literaturhinweise. 104 Diese Entstehungszeit, die schon von Bernays, Heraklitische Briefe und W. Capelle, De cynicorum epistulis, Göttingen 1896 auf das erste Jahrhundert n. Chr. geschätzt worden war (vgl. auch Isaac Heinemann, Art. Herakleitos, Briefe des, RE Suppl. 5, Sp. 228f.), wurde von der Entdeckung eines spätestens aus dem 2. Jh. stammenden Papyrus (PGen 271), der den 7. Brief umfaßt, endgültig bestätigt. Zu PGen 271 ausführlich Attridge, S. 41-51. 105 Heinrich Dörrie, Art. Herakleitos 1. Briefe, KP 2, Sp. 1048. Ähnlich urteilt Heinemann, Art. Herakleitos, Sp. 232: "Die Briefe geben ein lehrreiches Beispiel für die Umdeutung eines Philosophen für eine fremde Schule ... " Zur kynischen Herkunft der Briefe vgl. Attridge, First-Century Cynicism, S. 3-40. Die These von Bernays, Heraklitische Briefe, passim, daß einige der Briefe (bes. der 4., 7. u. 9. Brief) jüdischen Ursprungs seien, wird heute weitgehend verworfen. Vgl. den bahnbrechenden Artikel von Eduard Norden, Beiträge zur Geschichte der griechischen Philosophie II. Zu den Briefen des Heraklit und der Kyniker, Jahrbücher für
5. Epiktet
143
Briefen wird unter Berufung auf Heraklit Propaganda für die kynische Lebensweise gemacht, für eine Rückkehr zu einer schlichten und natürlichen Lebensform. Obwohl die Briefe Vertrautheit mit der Philosophie und den Lebensdaten Heraklits verraten,106 gilt das Interesse nicht ihm als Philosophen (wie in der Stoa), sondern nur als Kulturkritiker. Ausgehend von der Überlieferung der heraklitischen Polemik gegen die Epheser (D/K frg. B 121.125a) und die Massen (D/K frg. B 5.14.15.20.29.68.87.101) wurde das Bild eines beißenden Kulturkritikers und erbarmungslosen Sittenrichters kynischen Musters gezeichnet. Das traditionell überlieferte Bild von Heraklit als Misanthrop wird umgeprägt zum Idealkyniker: Sein Haß gilt nicht den Menschen, sondern ihrer Bosheit.107 In den an Hermodoros gerichteten Briefen (Br. 4 u. 7-9) geht Heraklit hart ins Gericht mit seinen Mitmenschen, insbesondere mit den Ephesern. 108 Im 2. Brief führt er alle Bosheit der Menschen in echt kynischer Manier auf ihre Gier zurück: "Alle Erdbewohner halten sich von der Wahrheit und der Rechtschaffenheit fern und widmen sich wegen ihrer bösen Uneinsichtigkeit der unersättlichen Gier und der Ruhmsucht."109 Anders als die Massen hat Heraklit jedoch keinen Anteil an dieser Bosheit,ll0 er übt Verzicht und Mäßigkeit,111 er ist classische Philologie, Suppl. 19, 1893, S. 386-392; auch Schmid-Stählin 2.1, S. 624; Heinemann, Art. Herakleitos, Sp. 228-232; Malherbe, Cynic Epistles, S. 22-26; zur Entwicklung der Debatte und Literatur vgl. Attridge, First-Century Cynicism, S. 89-92. 106 Bernays, Heraklitische Briefe, S. 10.12.47.54f.60.103; Heinemann, Art. Herakleitos, Sp.229. 107 7,66,20-26 [7,7-13]: ou plawv av8pwTToV:; aMd KaKLav aUTWV. 108 V gl. den eindrucksvollen Lasterkatalog in 9,33ff., in dem Heraklit in typisch kynischer Manier ein ganzes Spektrum sozialer Mißstände anpran-gert, dazu Attridge, First-Century Cynicism, S. 25ff. Heraklits abwertendes Urteil über die Arzte (D/K 58) und die Verurteilung der Vielwisserei (D/K 40) nimmt der Pseudepigraphiker im 5. u. 6. Brief zum Anlaß, Heraklit generell alle TExval verdammnen zu lassen. Seine von der Überlieferung festgehaltene Polemik gegen die Dichter (D/K 42.57.104, vgl. 28b und Marcowich, Heraclitus, S. 151f.) läßt sich leicht fruchtbar machen für die kynische Polemik gegen Errungenschaften der Geisteskultur (homer- u. hesiodfeindliche Aussage: 7,76,30-78,21 - in Z. 76,30 lautet es: plaw PEv oov aUTOV:;, tlOPrlPOV:; Kai 1/alo8ov:; Kai 'APXlAOXOV:;; 9,82,26 [9,21]). Heraklits religiöse Kritik (D/K 5.14.40) bietet die Gelegenheit, den kynischen Heraklit die Staatsreligion und die öffentlichen religiösen Feste mit ihrem ausschweifenden Luxus geißeln zu lassen (Briefe 4.7 u. 9). Er tritt typisch kynisch-stoisch für die Gleichheit aller Menschen und einen extremen Kosmopolitanismus ein (Brief 9; im Gegensatz zum aristokratischen und naturrechtlichen Gedankengut des historischen Heraklit, D/K 44.114.121) und ist nach dem kynischen Ideal der Zeit Pazifist (Brief 7); vgl. die exzellente Darstellung von Heinemann, Art. Herakleitos, Sp. 229f.; auch Attridge, First-Century Cynicism, S. 41f.; zur kynischen Kritik an der Religion vgl. ebd., S. 25ff. 109 2,56,2-4 [2,2-3]: oKoal Tvyxavovalv ÖVTE:; ETTlX8ovOl Tfj:; PEv aAry8E{ry:; Kai 8lKaloTTpaYLry:; aTTExovTal, aTTAryaT{V 8E Kai 80,OKOTT{V TTpoaExoval KaKfj:; ELVEKEV avoLry:;. Vgl. auch 7,76,10-30: ou q;lAapyvpovalv EAEq;avTE:;, ou8apov 8ryaavp{(ovTal XPrlpaTa AEOVTE:; ... 8ld TOVTO [sc. Ta äAoya (@a] aVETTlßovAEvTa (fj. V gl. Attridge,
First-Century Cynicism, S. 9. Vgl. auch 9,80,16-18 [9,22-25]. 110 V gl. 2,56,4-6 [2,4-6]. 111 V gl. 2,56,7 [2,7]: aAL YOl:; apKEopEVO:; KaT' EpT]V yvwpryv: "Ich begnüge mich meiner Einsicht gemäß mit wenigem. Die Tugend Heraklits beruht auf seiner Einsicht in die wahre Natur der Dinge, vgl. 5,62,5.9f. [5,8f.14]: EYW Ei ol8a Koapov q;valv, ol8a Kai av8pwTToV ... ol8Ev EpT] aoq;La o8ov:; q;vaEw:;; vgl. auch 9,84,1-3 [9,22-24]. 11
144
Teil 111: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in epistemologischem Kontext
tugendhaft (araßos-), weil er im Streit (arwlI) gegen die Leidenschaften gesiegt hat. 112 Seine Tugend brachte Heraklit unsterblichen Ruhm,113 weswegen er den Massen als Norm dient. 114 Im 9. Brief sagt Heraklit, daß er durch seine Tugend ein Mitbürger der Götter iSt. 115 Heraklit wird also wie Diogenes zum Idealkyniker hochstilisiert. Die Analogie zu dem Idealkyniker Diogenes ist auffällig. Wie Diogenes in der Philosophenlegende den großen Alexander furchtlos anherrscht, erteilt auch Heraklit dem Großkönig Darius in dem kurzen 2. Brief, einem Prachtstück kynischer Propaganda, respektlos eine Absage. In drei Briefen 116 apostrophiert Heraklit die Epheser und, in Paradebeispielen der kynischen rrappT}a"la, tadelt er sie in einer Weise, die sehr an den provokativen Diogenes erinnert. In welchem Maß das Heraklitbild der Kaiserzeit kynisiert wurde, reflektiert auch die Anekdotenüberlieferung, wie sie z.B. bei Diogenes Laertios vorliegt. Dies läßt schon die Übernahme der Dariuskorrespondenz (insbesondere des 2. Briefes) aus den Heraklitischen Briefen vermuten. Der Heraklit der Anekdotensammlung weist typisch kynische Merkmale auf: er pöbelt seine Mitmenschen regelrecht an (D.L. 9,2f.6 (OXAOAOf8opos- 1/paKAELTos-!).12.15), kritisiert die großen Kulturträger (D.L. 9,1; vgl. 8,6), verweigert die Teilnahme an der Gesetzesgebung für seine Heimatstadt (9,2), lehnt jede politische Tätigkeit ab (9,3) und verzichtet zugunsten seines Bruders auf die Königsherrschaft (9,6). Grund dafür ist seine Verachtung der Bosheit, unersättlichen Gier und Ehrsucht seiner, Mitbürger (D.L. 9,2f.14). Zu diesen typisch kynischen Merkmalen passen seine Außenseiterexistenz im Freien (D .L. 9,3) sowie seine Ernährung von Gräsern und Pflanzen (D.L. 9,3, vgl. über die Kyniker 6,105)117 ausgezeichnet. Daß er sogar in einem Misthaufen umkommt und sein Leichnam von Hunden gefressen wird (9,3-5), ist unübersehbar eine Angleichung an den Tod des Diogenes (D.L. 6,77.79).118
Wie gründlich die Kynisierung des Heraklit in der Kaiserzeit vollzogen wurde, zeigt die Angleichung an das kynische Ideal des Herakles. 119 Diese wird einerseits aus ephesischen Kupfermünzen aus der Zeit zwischen 138 bis 268 n. 112 Vgl. 4,58,24-60,7 [4,22-34]. Von den rraBT} werden folgende genannt: i]8ovrj; ep6ßos-; A:U77TJ; von den Adiaphora: XPr7flaTa; eplAoTlflla; 8ElAla; KOAaKEla; flEBT}; 6pyrj.
113 Vgl. 4,60,8-19 [4,35-44]. 114 Vgl. 7,68,16-18 [7,28-30]. 115 Vgl. 9,84,1-3 [9,22-24]: rroAv EaTl rroVT}pla. Eflol BE rroXiTal BEOl, BEOTs- ,VVOlKW 8l' apETfjs-. 116
Vgl. 4,58, 1Off. [4,9ff.]; 7,66,25ff. [7,llff.]; 9,84,8ff. [9,27ff.].
117 Zu Vegetarismus im Kynismus vgl. Attridge, First-Century Cynicism, S. 35-39. 118 Zu den kynischen Zügen in der Darstellung bei Diogenes Laertios vgl. Marcovich, Art. Herakleitos, RE Suppl. 10, S. 246-320, da 252-255. 119 Zu Herakles im kaiserzeitlichem Kynismus vgl. Höistad, Cynic Hero, S. 50-73 bes. 59f. Die Kyniker polemisierten gegen das populäre Heraklesbild vom unfreiwillig leidenden Helden, vom burlesken Athleten, und stilisierten ihn zum Idealtypos. Dafür wurde seine Göttlichkeit allegorisiert bzw. rationalisiert, seine Tugend wurde individuell-ethisch vestanden, und seine rrovol wurden allegorisiert.
145
5. Epiktet
ehr. ersichtlich, auf deren Rückseite Heraklit als Herakles (mit Keule) abgebildet iSt. 120 Aus Gortyn kommt eine aus der Severerzeit (193-235) stammende Statue von Heraklit, die ihn als Herakles darstellt. 121 Solche Darstellungen setzen voraus, daß eine derartige Identifikation zu der Zeit bekannt war. Daß dies so war, belegt der 4. Heraklitische Brief, in dem Heraklit Hermodoros berichtet, daß die Epheser ihm die Asebie vorwerfen, weil er sich einen Altar mit der Aufschrift HPAKAE/TO/E
Heraklit wird als Idealkyniker dargestellt, der die Tugend erreicht, indem er freiwillig die TT6vOl auf sich nimmt, d.h. die Leidenschaften besiegt. Daß die Kyniker schon vor der Kaiserzeit Heraklit als Kyniker betrachteten, geht aus zwei Epigrammen von Meleagros von Gadara (etwa 130-60 v. Chr.) und Theodoridas von Syrakus (2. Hälfte des 3. Jh. v. Chr.) hervor. Beide Epigramme reflektieren, wie die Heraklitüberlieferung Kynikern als Anlaß diente, Heraklit für den Kynismus zu vereinnahmen. Dafür war besonders jene Überlieferung, in der er als erbarmlungsloser Kritiker der Menschen, sogar als Menschenfeind, hervortritt, gut geeignet. 124 Meleagros, selbst Kyniker,125 verfaßte ein fiktives Epigramm, 126 in dem Heraklit als scheltender Kyniker porträtiert wird: 127 120 Marcovich, RE Suppl. 10, S. 256. Vgl. auch H. von Fritze in D/K 11 3, da auch eine Abbildung. 121 Marcovich, RE Suppl. 10, S. 256, da weitere Literatur. 122 Heraklit wehrt sich gegen den Vorwurf mit dem Hinweis, daß die Aufschrift nicht als HPAKAEI TOI ErJ>E};IOI sondern als HPAKAEI TOI ErJ>E};1 ()l gelesen werden soll. Stand eine solche (der in Gortyn entdeckten ähnliche) Statue zur Ehre von Heraklit bzw. Herakles im ersten Jahrhundert in Ephesus und veranlaßte die Fiktion des Briefes? Vgl. Marcovich, RE Suppl. 10, S. 256. 123 4,58,24-60,7 [4,22-32]; Übersetzung von Bernays, Heraklitische Briefe, S. 24. 124 D/K 20.29.104.121.125a. 125 Meleagros schrieb zuerst Satiren im Stil seines berühmten kynischen Landsmannes Menippos. Zu seinem Kynismus vgl. Athenaios 11,502c, AG 12,101 und Johannes Geffcken, Art. Meleagros, RE I 15.1, Sp. 481-488, bes. 481. Es ist weiterhin zu beachten, daß Meleagros nur das vorliegende Beispiel dieser besonderen Gattung ("epigrams on men famous and of old", vgl. A. S. F. Gow / D. L. Page, Greek Anthology, Bd. 2, S. 671f.) in seinen Epigrammenkranz aufnahm. Hängt dies vielleicht damit zusammen, daß er Heraklit als Garanten oder sogar als Archegeten des Kynismus verehrte? 126 Vielleicht boten überlieferte Worte wie D/K 74.97.121.125a den Anlaß für die Entstehung des Epigramms. 127 AG 7,79: ''[)lIepWcp', 1fpoXAcL T05' EYW (Jocpa flOVII05' dllcVPWII I cpaflL. Ta 8 E5' TTaTpall KpEO"O"olla Kai (J0CP{ 775'. I Llat yap Kai TOKcWllc KaL; W tEllc, 8vO"cpPolla5' aIl8pa5', I vAaKTEvII-;-"AaflTTpa epcljiaflElloLO"L xapL5'." -
I OUK dd Eflcv; -
"MT] TP77XV5'."
146
Teil 111: Semantische Analyse: Betos KTA. in epistemologischem Kontext
Mensch, nur ich , Heraklit, habe die Weisheit entdeckt. I Aber noch wichtiger als die Weisheit sind meine Leistungen für das Vaterland. I Denn bissig habe ich sowohl meine Eltern als auch, Fremder, übelgesonnene Männer I angebellt. - "Ein leuchtender Dank Deinen Ernährern gegenüber!" I (Fort) von mir! - Sei nicht grob! - Falls Du nicht bald (verschwindest) wirst auch Du I Gröberes als mein Volk zu hören bekommen! - Auf Wiedersehen. - Und Du (hau ab) aus Ephesus! Heraklit wird als bissiger und bellender Hund, d.h. als Kyniker, der um jeden Preis (sogar gegen die eigenen Eltern) um die sittliche Reinheit der Stadt kämpft, dargestellt. Typisch kynisch ist auch, daß die Theorie (aoepa; aoepla) dem praktischen Kampf um die Tugend untergeordnet wird. 128 Rückhalt erhält diese These von einer fiktiven Grabinschrift, die Theodoridas, Zeitgenosse des Kynikers Kerkidas, eine Generation früher verfaßte: 129 Hoch einst ragte ich auf, ein runder, fülliger Felsblock, I heut noch trage ich das Haupt des Herakleitos in mir. I Furchend schliff mich die Zeit gleich Kieseln, denn hier an der Straße I fall ich dem schweren Gefährt sterblicher Menschen anheim. I Menschen hört es: Und ob ich nicht Säule mehr scheine, ich trage I in mir den göttlichen Hund, der auf den Pöbel gebellt. Hier wird Heraklit wie in AG 7,79 130 als VAaKTT}Tr]S" des Volkes, d.h. als tadelnder Kyniker dargestellt und außerdem mit dem Terminus BEtOS" KVUJV bezeichnet. Heraklit wird als Kyniker und BEtOS" KVUJv131 gefeiert, was m.E. bedeutet, daß er schon zu diesem frühen Zeitpunkt als Garant bzw. Archeget der kynischen Tradition in Anspruch genommen wurde.
Es ist also nicht verwunderlich, wenn Epiktet in Ench. 15 Heraklit in einem Atemzug zusammen mit Diogenes nennt. Das entspricht nicht nur dem Heraklitbild der Kyniker der ersten beiden Jahrhunderte der Kaiserzeit, sondern geschieht wahrscheinlich im Rückgriff auf eine wesentlich ältere kynische Tradition. Besonders die Elemente des Verzichts im Heraklitbild der Anekdotenüberlieferung dürften Epiktet dazu veranlaßt haben, Heraklit explizit an dieser Stelle zu erwähnen. Der kynische Heraklit verzichtete nämlich freiwillig auf Haus, Familie, Reichtum (selbstgewählte Einsiedlerexistenz und Gras-undKräuter-Diät) und Macht (mit seiner Ablehnung jeder politischen Tätigkeit und
-
'ETTEl Taxa Kal av TL TTEVav I TPT}XVTEPOV TTaTpa5' - xaLpE." av 8 Et 'EepEaoz)'. Der Text der dritten Zeile ist verderbt: vgl. A. S. F. Gow; D. L. Page, The Greek Anthology, Hellenistic Epigramms, Cambridge 1965 und M. Marcovich, Zu 1\9 7,79 (Beckby 1957), Hermes 93, 1965, S. 250f., dessen Vorschlag ich folge. Der schönen Ubersetzung von Beckby liegt eine andere Zuordnung der dialogischen Elemente zugrunde. 128 Marcovich, Hermes 93, 1965, S. 251. 129 AG 7,479: TJETP05' EytlJ TO TTaAaL YVPrJ Kal äTPL TTT05' ETTLßAT]5' I TrJV , 1fpaI
KAElTOV EvBov EXUJ KEepaAr]v' I alwv f1' ETPUPEV KpOKaAaL5' Laov' EV yap af1atv I TTaf1ep6p4J al(T}wv ElvoBlT} TETaf1aL. I dyytMUJ BE ßpO TotaL , Kal äaTT}A65' TTEp Eovaa, I BEtOV VAaKTT}Tr]V Br]f1oV Exovaa Kvva. Text und Übersetzung von Beckby. 130 V gl. auch AG 7,408, wo von dem Dichter Hipponax als 6 Kal TOKEWVE ßavta5' die
Rede ist. In der Forschung herrscht weitgehend Einstimmigkeit darüber, daß Leonidas hier einen Zug der Heraklitüberlieferung auf Hipponax übertrug; vgl. Marcovich, Hermes 93, 1965, S. 250f. 131 Ähnlich Kerkidas' Terminologie für Diogenes (Diog. Laert. 6,77): oUpaVL05' KVUJV!
5. Epiktet
147
seinem Verzicht auf die Herrschaft) und übte, befreit von den Bindungen und Konventionen der Gesellschaft, vernichtende Kulturkritik und die kynische rrapPTJala, so daß er dem Idealkyniker, wie Epiktet ihn in Diss. 3,22 schildert, nahekommt. Auf wen das oI 0j10LOL referiert, kann man nur ahnen. Deutlich ist, warum nicht der Name eines Sokrates oder Zeno an dieser Stelle von Epiktet genannt wird: sie waren ja nicht Garanten des Kynismus, sondern der Ethik im allgemeinen oder aber der stoischen Lehrtradition. 132 Man kann nur vermuten, daß die Kyniker außerdem Antisthenes und Krates zu diesen hochverehrten Männern rechneten. 133
5.2.4 Die Bedeutung von
(Jcfo~ in
Ench. 15
Aus den bisherigen Erläuterungen geht eindeutig hervor, daß BcloS" an dieser Stelle nicht als adskriptives Klassenadjektiv fungiert. Dagegen sprechen nicht nur die Tatsachen, daß Epiktet sich in Diatribe 4,1,58-61 explizit gegen jede Vergöttlichung von Menschen ausspricht und dies außerdem innerhalb einer stoischen Ontologie kaum vorstellbar ist, sondern vor allem, daß es in dem vorliegenden Kontext und auch sonst bei Epiktet keine Hinweise gibt, die auf eine solche Vorstellung hindeuten. Für Epiktet war Diogenes nichts mehr als der Prototyp des Kynikers, ja der Vollender des Kynismus. Von Heraklit bestand in den ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit ein entsprechendes Bild als dem prototypischen Kyniker .134 Das Adjektiv BeToS" tritt hier infolgedessen als Qualitätsadjektiv auf und zwar in dem Sinne, wie wir es auch hier oben bei Dionysios von Halikarnassos beobachtet haben. Es handelt es sich um ein Qualitätsadjektiv , mit dem auf die überragenden und bewundernswerten Leistungen von Diogenes und Heraklit in ihrer Eigenschaft als kynische Philosophen aufmerksam gemacht wird. Das Qualitätsadjektiv kennzeichnet sie als vortreffliche Beispiele der kynischen Lebensweise. Es wäre denkbar und begründbar, daß die Verwendung von 8ELOS' an dieser Stelle so verstanden werden sollte, wie sie in Teil II dieser Untersuchung beschrieben wird. Das würde bedeuten, daß Diogenes und Heraklit die ethische Eigenschaft der vollkommenen Sittlichkeit zugeschrieben wird. Das würde sich mit Epiktets Bild des Idealkynikers decken, der als tugend-
Diss. 3,21,18f. Vielleicht hinderte die Überlieferung, daß Antisthenes ein Haus und ein kleines Grundstück besessen (Xen. Symp. 3,8) und daß Krates geheiratet hat (Epiktet Diss. 3,22,76), Epiktet daran, diese großen Figuren der kynischen Tradition hier namentlich zu erwähnen. 134 Die Möglichkeit, 8ELOS' hier als relationelles Klassenadjektiv (z.B. 8ELOS' = "von Gott / den Göttern gesandt") zu interpretieren, wird schon von der prädikativen Satzstellung ausgeschlossen, vgl. hier oben in Kapitel 2 die Anmerkungen zu relationellen Klassenadjektiven. 132 133
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Teil 111: Semantische Analyse: 8Elos KTA. in epistemologischem Kontext
hafter Mensch das Wesen Gottes repräsentiert und seiner Herrschaft würdig ist (Diss. 4,8,30.32). Das Adjektiv (}ELOS entspräche dann auf der Ausgangsebene dem Ausdruck der Bildebene avvapxUJv TWV (}EWV, der als Metapher für den sogenannten ß{os KVVlKOS dient. 135 Diogenes und Heraklit würde dann bescheinigt, daß sie, weil sie auf so vieles verzichteten, im ethischen Sinne der kynisch-stoischen Tradition vortrefflich bzw. hochstehend sittlich waren und daß dies auch von ihnen erzählt wurde.
Zwei Beobachtungen machen es notwendig, an dieser Stelle weitere Überlegungen anzustellen. Zum einen ist es recht auffällig, daß Epiktet an der einzigen Stelle, wo er eines der Adjektive ßELOS", 8aLj16vLoS" und ßEUTTEULOS" als Prädikat für Menschen verwendet, es gerade den Garanten bzw. Archegeten der kynischen Tradition beilegt. Dies deckt sich in bemerkenswerter Weise mit dem Gebrauch von 8aLj16vLoS" bei Dionysios von Halikarnassos. Wie das Adjektiv 8aLj16vLoS" bei Dionysios hat das Adjektiv ßELOS" bei Epiktet eine beschränkte Distribution: Es wird Menschen beigelegt, die am Anfang einer Erkenntnistradition stehen oder die vollkommene Gestalt innerhalb einer solchen Tradition darstellen. Es stellt sich die Frage, ob dies durch Zufall oder durch die Denotation der Terminologie bedingt ist. Das nachgeschobene Kal· EAEYOVTO führt zu der zweiten Beobachtung: Diese dem Anschein nach unmotivierte und nachklappende Bemerkung ist eigentlich erst dann sinnvoll und nicht überflüssig, wenn sie darauf aufmerksam macht, daß Diogenes und Heraklit als "ßELOL avßpUJTToL" bzw. "ßELOL av8pES"" bezeichnet wurden. 136 Versteht man die Funktion von ßEL os" an dieser Stelle so, dann sagt Epiktet, daß Heraklits und Diogenes' vollkommener Verzicht sie zu ßELOL (avßpUJTToL) gemacht und ihnen diese Bezeichnung eingetragen hätte. Daraus läßt sich schließen, daß Epiktet offenbar darum wußte, daß Heraklit und Diogenes als "ßELOL (avßpUJTToL / av8pES")" bezeichnet wurden. Diese Beobachtung ist insofern wichtig, als man dann damit rechnen muß, daß die Terminologie eine mehr oder weniger spezialisierte Bedeutung angenommen und infolgedessen der Sprachgemeinschaft als phrasales Lexem zur Verfügung gestanden haben dürfte.
Man erinnere sich der Parallelität von 0 (}ELos und der Metapher 0 (}EpaTTEvn]S TWV (}EWV in (Pseudo-)Apollonios Ep. 17! 136 Syntaktisch gesehen kann (}ELos an dieser Stelle ein nominalisiertes Adjektiv sein, das an dieser Stelle unbestimmt verwendet wird. Dann wäre das Adjektiv (}ELOS hier gleichbedeutend mit dem zusammengesetzten Ausdruck (}ELOS av(}pUJTToslavr,p und Diogenes und Heraklit würden durch die Prädizierung jenen Menschen zugeordnet, die als "(}ELol av(}pUJTTol" bzw. (}ELOl av8pES" bezeichnet werden. 135
11
6. Dion von Prusa In den Reden des Dion Chrysostomus 1 begegnet die ßElOS' avßpwTToS'- Terminologie dem Leser etliche Male, nämlich in Or. 1,57; 2,18; 11,4; 12,49; 33,4; 36,32. 2 Besonders Or. 33,4 spielte in der eElOS' avryp-Forschung eine wichtige Rolle als Belegstelle dafür, "daß in neutestamentlicher Zeit das Publikum ganz konkret auf Männer wartete, die das Göttliche in Menschengestalt vorführen konnten".3 Wir wollen zunächst die Verwendung der betreffenden Adjektive durch Dion in Apposition zu Nomina, die Menschen als Referenten haben, untersuchen und uns dann der Aussage über die eElOl avßpwTTol in Or. 33,4 zuwenden.
6.1 eELOL av8pES" als Garanten der stoischen Weltordnung und Ethik 6.1.1 Die göttlichen Dichter Wir wenden uns zunächst Or. 36,32 zu: In dieser sogenannten Borysthenitischen Rede, die Dion nach seiner Rückkehr aus dem Exi14 in seiner Heimatstadt Prusa 1 Textausgaben von Hans von Arnim (Hg.), Dionis Prusaensis quem vocant Chrysostomum quae existant omnia, Berlin 1893/96 (unveränd. Nachdruck 1962); J. W. Cohoon, H. L. Crosby (Hg.), Dio Chry'~ostom. With an English Translation in Five Volumes, LCL, London 1932-1951. Deutsche Ubersetzung von W. Elliger (Hg.), Dion Chrysostomos. Sämtliche Reden, Bibliothek der alten Welt, Zürich 1967. Zu Dions Leben vgl. C. P. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, Cambridge, Mass. 1978, S. 8-55.133-140; Hans von Arnim, Das Leben und Werke des Dio von Prusa, Berlin 1898; Wilhelm Schmid, Art. Dion 18, RE I 5, 1905, Sp. 848-877, da Sp. 848-858; P. Tzanetas, The Symbolic Heracles in Dio Chrysostom's Orations "On Kingship", Ann Arbor 1977, S. 1-64. 2 Ferner kommt in Or. 3,45 die Aussage q;apEv 1TEpl ToD eE{OV Kal eEoq;LAOD5' aUTOKpaTOp05' Kal ßaaLAEW5' vor, die die Terminologie der Herrscherverehrung der Kaiserzeit reflektiert. Dieser Satz wird außerdem von vielen Herausgebern für eine frühe Interpolation gehalten, die ein Redaktor unter dem wachsenden Druck des Kaiserkults einfügte, um Dions gute Gesinnung dem Kaiser gegenüber handfest zu machen, so schon J. Reiske (1784). In der Teubnerausgabe steht dieser Satz in Klammern; Cohoon und Crosby lassen ihn weg. V gl. a~ch Elligers Nachwort, a.a.O., S. 785f. Wir gehen im Folgenden nicht weiter auf diese Stelle
eIn. Dieter Georgi, Gegner, S. 192f. 4 Er wurde im Jahr 82 von Kaiser Domitian wegen seiner Kritik am Kaiser, die sich möglicherweise gegen den Herrscherkult richtete (vgl. die Absagen an die Vergottungspraxis im Herrscherkult in Or. 32,50 und von Alexander dem Großen in 4,18ff.27; 32,95; 64,20f.; vgl. dazu Fritz Taeger, Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes, Bd. I und 11, Stuttgart 1957 und 1960, hier Bd. 11, S. 507f.). Bis zu seiner Rückkehr nach Rom nach dem Tod Domitians im Jahre 96 zog er als Wanderphilosoph durch den Norden des Römi3
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Teil 111: Semantische Analyse: ec[o~ KTA. in epistemologischem Kontext
gehalten haben soll,5 bietet er eine stoische Erklärung der zivilen Ordnung, die auf der Analogie der im Kosmos herrschenden Ordnung gründet. 6 Die Rede beginnt mit einer langen szenischen Einführung, die in Olbia bzw. Borysthenes spielt (36,1-17). Anläßlich eines Zitats aus Phokylides wird das Wesen der TTOALS' zur Diskussion gestellt (36,13.18). Zu diesem Thema kommt es jedoch wegen der Zwischenbemerkung eines Hörers (36,24-28) gar nicht, sondern Dion erörtert auf Anfrage das Thema von der göttlichen Stadt bzw . Weltordnung (36,27). Dieser Problematik gilt die übrige Rede. Sie besteht aus zwei Teilen, der Lehre der Philosophen (36,29-38; vgl. 6 TWV epLAoaocjxuv AOYOS' in 36,38,2) und dem Mythos der Magier (36,39-60). Dion sieht sich mit dem Problem konfrontiert, daß die Stoa den Kosmos nicht als Stadt, sondern als Lebewesen betrachtet (36,29).7 Zur Lösung des Dilemmas greift Dion auf seine frühere Definition einer TTOALS' zurück (36,20f.), nach der ein Gemeinwesen nur TTOALS' heißen könne, wenn es von seiner Führung vernünftig und gesetzlich gelenkt wird. Dafür sei die Göttergemeinschaft das beste Beispiel (36,22f.31f.). Dion festigt dieses Argument mit Hilfe einer klugen allegorischen Exegese einer Aussage der "göttlichen" Dichter. Sie nannten ja die Gottheit, in diesem Falle Zeus, Vater und König (36,33.36), so daß man daraus schließen könne, sein Herrschaftsbereich, d.h. das All, gleiche einer Stadt (36,36f.). In diesem Argumentationsgang bildet der Abschnitt 36,33-35 einen Exkurs: 8 (32) ... Ihn (sc. Zeus) preisen unsere göttlichen Sänger (ol eELol TTOlT]Tal), von den Musen belehrt (j1aeovTES- EK MovaCJv), und nennen ihn 'Vater der Götter und Menschen' (ovofla(oval TTaTEpa eECJV Kal dVepWTTWV). (33) Dem Volk der Dichter nämlich scheint die Einsicht in die heiligen Wahrheiten nicht ganz verschlossen zu sein, und oft treffen sie mit solchen Äußerungen das Richtige. Freilich sind auch sie nicht nach Brauch und Ritus der echten Mysten richtig in die Mysterien eingeweiht, und vom wahren Wesen des Weltalls wissen sie, wenn man so sagen darf, nichts Bestimmtes (OU8E El8Eval ToD tVfl TTaVTOSTTipl TfjS- dX"eELaS- aacpES- ou8iv). Vielmehr scheinen sie mir ziemlich genau den Mysteriendienern draußen vor der Türe zu gleichen: Sie schmücken den Vorraum, die allen sichtbaren Altäre und verrichten ähnliche Dienste, das Innere aber betreten sie niemals. Daher nennen sich die Dichter selbst ja auch nur 'Diener der Musen' (Kal eEpaTTovTas- MovaCJv), nicht 'Eingeweihte' (ou flvaTas-) oder sonstwie mit einem erhabenen Namen. (34) Es ist also, wie ich sehen Reichs. Nach der Rückkehr reiste er wiederum viel und trat als fähiger Redner in vielen Städten auf. Sowohl die berühmten Städtereden (Or. 31-36.38-51) als auch die ebenso bekannten Königsreden (Or. 1-4) sind dieser Zeit zuzuordnen. 5 Wahrscheinlich im Jahre 98 n. Chr.; vgl. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S.52-135. 6 In philosophischer Hinsicht war Dion ein orthodoxer Stoiker, vgl. Schmid, Art. Dion, Sp. 858-866; von Arnim, Das Leben und Werke des Dio von Prusa, passim; Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 45-55; aus rhetorischer Perspektive beurteilt war er Attizist, vgl. Wilhelm Schmid, Der Attizismus, Bd. I, Stuttgart 1887, S. 71-191. 7 V gl. dazu Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 61984, Bd. I/II, hier Bd. I, S. 181ff., und Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike 3. Stoa, Epikureismus und Skepsis, Geschichte der Philosophie, hg. v. Wolfgang Röd, Bd. 3, München 1985, S. 79ff. 8 Die Übersetzungen in diesem Kapitel orientieren sich an Elligers Übersetzung.
5. Dion von Prusa
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schon sagte, durchaus denkbar, daß auch diejenigen, die sich bei einem feierlichen Ritus in der Nähe des Eingangs aufhalten, etwas von den Vorgängen drinnen mitbekommen, etwa den lauten Ausruf eines einzelnen Mysten oder den Schein des Feuers. So drang auch manchmal zu den Dichtern - ich spreche von den ganz alten (TalS' TTavv dPXaLoLS') - für einen kurzen Augenblick die Stimme der Musen (ej)(JJvr] TLS' EK Movawv dq;LKETO ßpaXEla), ein Hauch göttlichen Wesens oder göttlicher Wahrheit (KaL TTOU TLS' ETTL TTVOLa ßELaS' q;uaEuJS' TE Kai dkryßELaS'), wie aus dem Dunkel ein Strahl des Feuers bricht. Das geschah mit Homer und Hesiod, wenn sie von den Musen ergriffen waren (ä ETTaaxov EK Movawv Kai KaTELxovTO r'OIl7]poS' TE Kai llaL080S'). (35)
Ihre Nachfolger (ol BE IlET EKELVOVS') aber brachten später ihre eigene Weisheit (Tr]V aVTwv aoq;Lav dyayovTES') vor das Publikum auf .die Bretter und boten häufig, Uneingeweihte vor Uneingeweihten, unvollkommene Bilder (dTEAfj TTapaBELYllaTa) der heiligen Weihen. Von der Menge bestaunt, machten sie sich selbst daran, das Volk zu weih-en, und hämmerten an gewissen tragischen Kreuzwegen tatsächlich in aller Offentlichkeit Bühnen für bacchische Riten zusammen. Alle diese Dichter also nennen übereinstimmend (KaAoDaL aVAAr]ßB7]v) den ersten und größten Gott (TOV TTPWTOV Kai IlEYLaTov ßEOV) Vater und König aller vernunftbegabten Wesen (TTaTEpa ... äTTavToS' ToD AOYLKOD YEVOVS' Kai Br] Kai ßaaLAEa). (36) Im Vertrauen auf diese Dichter (0[S' TTELßoIlEVOL) errichten die Menschen Altäre für den Zeus-König und scheuen sich nicht, ihn bisweilen in ihren Gebeten Vater zu nennen, da sie glauben, daß es eine solche Herrschaft und Ordnung des Weltalls gibt (wS' TOLaUT7]S' TLVOS' dpxfjS' Kai avaTaaEUJS' ovaryS' TOU TTavToS').
In diesem Text wird der qualitative Unterschied zwischen den eElOL TToLT}Tat und den anderen Dichtern mit Hilfe eines Gleichnisses aus dem Bereich der Mysterienreligionen herausgestellt. 9 Die Geheimnisse des Alls seien mit den geheimen Riten eines Mysteriums vergleichbar. Die Außenstehenden, d.h. die gewöhnlichen Menschen, verstünden davon nichts. Dennoch erfahren die Diener am Eingang des Tempels gelegentlich etwas von den Vorgängen im Tempel selbst. So hätten auch bestimmte Dichter etwas von den Geheimnissen des Alls erfahren. Dafür kommen allerdings nur die ganz alten Dichter, nämlich Homer und Hesiod (36,34), in Betracht. Indem Dion die Metapher weiterentwickelt, grenzt er von den alten Dichtem ihre Nachfolger, insbesondere die Tragiker und Komiker, scharf ab. Sie seien in bezug auf die Erkenntnis der Verborgenheiten des Alls wie Ungeweihte (die ja keinen Zugang zu den Mysterienkulten hatten), die anderen Ungeweihten die Geheimnisse des Kults vorführen wollen. Damit wird mit Hilfe eines Bildes eine unüberbrückbare qualitative Differenz zwischen den zwei Gruppen von Dichtern dargestellt. Es ist zu beachten, daß Dion kein willkürliches, pauschales Urteil fällt, sondern konsequent eine stoische Physik vertritt, nach der die Welt periodisch verzehrt und gereinigt wird. 10 Das impliziert wiederum, daß der Kosmos umso schlechter ist, je älter er ist. Daraus geht 9 V gl. die ausführliche Diskussion bei Jan F. Kindstrand, Homer in der Zweiten Sophistik. Studien zu der Homerlektüre und dem Homerbild bei Dion von Prusa, Maximos von Tyros und Ailios Aristeides (Acta Universitatis Upsaliensis. Studia Graeca Upsaliensia 7), Uppsala 1973 und EIliger, Dion Chrysostomos, S. xl-xliii sowie die Bemerkungen zur Stelle. 10 Die stoische Lehre der EKTTupUJaLS', vgl. Or. 40,36f. (ETTLKpaT7]aL5' alßEp05') und dazu Schmid, Art. Dion, Sp. 859-860.
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Teil 111: Semantische Analyse: BetoS' KTA. in epistemologischem Kontext
hervor, daß nach Dions Ansicht das Menschengeschlecht zunehmend degeneriert,11 daß das Ältere also immer das Bessere sein muß.12 Es ist die notwendige Konsequenz der stoischen Lehre vom Verfall des Kosmos, wenn Dion scharf zwischen den alten und den jüngeren Dichtern trennt. 13 Erst im nächsten Satz nimmt Dion den Argumentationsgang von 36,29-32 wieder auf, indem er sagt, daß gerade die alten bzw. göttlichen Dichter14 mit ihrer Aussage "Zeus sei Vater und König" in zusammenfassender Weise (avAAryß87]v)15 die göttliche Weltordnung beschrieben haben, der nach Dions Meinung die stoische Kosmologie entspricht. Im Abschnitt 36,33-35 begründet Dion seinen unerwarteten Rückgriff auf die Aussage der eElOl TTOl7]TaL (36,32 und 35): Sie werden als Rezipienten einer Sonderoffenbarung dargestellt, auf die die religiöse Verehrung des Zeus-Königs zurückgehe. Die Aussagen dieser Dichter bilden für Dion die Basis für die eng miteinander verknüpften religiösen und kosmologischen Anschauungen der Stoa. 16 Allerdings sei eine richtige Exegese ihrer Aussagen vonnöten, damit die Gültigkeit der Äußerungen aufrechterhalten werden könne. 17 Der unmittelbare Kontext legt also nahe, daß eEL 0:; hier als relationelles Klassenadjektiv gebraucht wird. Mit ihm wird die Relation zwischen den Dichtern und den Göttern bzw. Musen zum Ausdruck gebracht. Aus dem Kontext geht hervor, daß es sich um Inspiration durch die Musen handelt (vgl. J1aeOVTE:; EK Mova(Jv, eEpaTTovTa:; Movu(Jv, cjxtJvry Tl:; EK Movu(Jv acjJLKETo usw.). Die göttlichen Dichter sind jene Dichter, die unter dem Einfluß der Götter stehen: Die Musen, diezu der Klasse der göttlichen Wesen gehören, stehen in einer besonderen Beziehung zu den Dichtern. Es stellt sich die Frage, ob sich diese Verwendung auch an anderen Stellen in Dions Reden wiederfindet. Zu ihrer Beantwortung wenden wir uns zunächst eine Stelle in der ersten sogenannte Königsrede (Or. 1,57) zu. Dion beschließt diese Rede mit einem Schlußmythos, 18 einer an Traian gerichteten Fabel von Herakles am Scheideweg (1,59-84),19 die er während seiner Verbannung auf 11
Or. 31,75.117.124-126.
12 Vgl. z.B. Or. 1,3.8; 7,89; 12,10-22; 21,1.11; 32,61; 33,57; bes. 72,lff, da 7-16. 13 Auf diesem Hintergrund sind Dions Hang zum Klassischen und sein Attizismus schlechthin zu verstehen. V gl. dazu. Schmid, Attizismus, Bd. I, S. 72-82. 14 36,35,5f. OUTOl 8 ovv 1TaVTES' ol 1TOl7]Ta{ greift zweifelsohne auf den Argumentationsgang in 36,33f. zurück, sonst bräche die Mysterienmetapher zusammen. 15 Das Adverb O"vUrjß87]v betrifft die Art und Weise, wie die alten Dichter ihre Lehre präsentieren, d.h. kurz und bündig, in zusammenfassender Weise; vgl. Iv ßpaXEL in Or. 53,12, wo es um dieselbe Frage geht. Der Satz sollte also lauten: "Alle diese Dichter also nennen zusammenfassend den ersten und größten Gott 'Vater und König aller vernunftbegabten Wesen'." 16 Ähnlich Kindstrand, Homer, S. 119. 17 Or. 2,44; 11,17; 53,3ff.; 55,llff.; 77/78,5; vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 93-110. 18 Dion benutzt mehrmals das Mittel des Schlußmythos, wie er in den großen platonischen Dialogen begegnet, vgl. bes. Or. 36,39ff., aber auch 2,65ff. und 4,79,ff. 19 Vgl. bes. Tzanetas, The Symbolic Heracles, S. 121-127; Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 50f.117f.
5. Dion von Prusa
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dem Peloponnes von einer alten Prophetin gehört haben will (1,50-58). Sie habe ihm sowohl sein eigenes Schicksal, als auch die Begegnung mit Traian vorausgesagt und ihm befohlen, diesem den Heraklesmythos zu erzählen. In 1,57 begründet die alte Prophetin zunächst die Wahrheit des Mythos mit der prophetischen Erleuchtung durch die Götter und fährt dann mit allgemein zutreffenden Überlegungen über die Erkenntnis der Mysterien der Götter und des Alls fort (1,57-58): (56) "Eines Tages", sagte sie, "wirst Du einem mächtigen Mann begegnen, der über sehr viel Land und Leute herrscht. Ihm erzähle, ohne dich zu bedenken, diese Geschichte, auch wenn der eine oder andere dich deswegen als herumvagabundierenden Schwätzer verachten sollte. (57) Denn all die klugen Worte und Gedanken der Menschen (oi rap avfJpw1Twv AOrOL Kai Ta 1TaVTa aocjJtaJiaTa) sind nichts wert (OV8EV05' äfLa) im Vergleich zu göttlicher Erleuchtung und Kunde (TTP05' n]v 1Tapa TWV fJEwV E1Tt 1TVOLav Kai cjJryJiT}v). Alles nämlich, was bei den Menschen jemals weise und wahr (öaoL rap 1TOTE aocjJoi Kai aAT}fJEl5' Kai avfJpw1TOV5' AOrOL) über die Götter und das All (1TEpi fJEWV TE Kai ToD aVJi1TaVT05') gesagt worden ist, ist nicht ohne göttliche Absicht und Fügung in der menschlichen Seele einmal entstanden (OVK äVEV fJEta5' TTOTE ßovAryaEW5' Kai TVXT}5' [EV ij;vxij 1TOTE] avfJpw1Twv irivoVTO) und auf die Seher und die Gottesmänner der Vorzeit zurückzuführen (8Ld TtJV 1TPWTUJV JiaVTLKWV TE Kai fJE{WV av8pwv). (58) So soll in
Thrakien ein Orpheus gelebt haben, der Sohn einer Muse, ein anderer soll als Hirte irgendwo in boiotischen Bergland die Musen selbst gehört haben (avTwv aKovaaL TWV Movawv). Alle aber, die, ohne vom Gott ergriffen und erleuchtet zu sein (äVEV 8aLJiov{oV KaToxf]5' Kai ETTL1Tvo{a5'), irgend'Yelche selbsterfundenen Lehren unter dem Schein der Wahrheit in Umlauf bringen (AOrOV5' TLVa5' W5' aAT}fJEl5' 1Tap' aVTwv EKoJiLaaV El5' TOV ßtOV) , sind töricht und schlecht (aToTTOV5' Kai 1TOVT}POV5').
Alle menschlichen Erkenntnisse über das All und die Götter, die als wahr betrachtet werden können, seien auf die ersten Mantiker (TWV rrpWTUJV pav TLKWV) und die eElOL aV8pE5' zurückzuführen. Ein Beispiel für die ersten Mantiker ist Orpheus, der im Hellenismus besonders wegen seiner mantischen Fähigkeiten gefeiert wurde. 20 Der Hinweis auf den inspirierten boiotischen Hirten bezieht sich wohl auf Hesiod,21 der auch in Or. 36,32-34 mit Homer zusammen als eElO5' dvl]p bezeichnet wird. 22 Wichtig ist, daß sich die Erkenntnis der alten Mantiker und der eElOL aV8pE5' - zwischen denen Dion sorgfältig differenziert deutlich von dem Wissen nicht,. inspirierter Menschen unterscheidet, das keinen Anspruch auf Wahrheit habe. Die Parallele zu den Aussagen in Or. 36,35, wo Homer und Hesiod ebenfalls strikt von ihren Nachfolgern getrennt werden, ist offenkundig. Die Erkenntnis der verborgenen Geheimnisse des Alls setzt eben 20 Vgl. Konrat Ziegler, Art. Orpheus 1, RE I 18.1,1939, Sp. 1200-1316, da 1261ff.1294. 21 Vgl. Hesiod, Theog. 1-115. 22 Gegen Elliger, Dion Chrysostomos, S. 790, Anm. 16 und Kindstrand, Homer, S. 117, die eine obskure Anspielung auf Linos sehen wollen, der von anderen Autoren mit Orpheus zusammen genannt wird. Dieser Interpretation widerspricht jedoch, wie hier unten noch zu belegen ist, der genaue Gebrauch des Terminus fJElO5' avryp von Dion. Kindstrand hebt aber doch den Bezug zu Homer hervor.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
in epistemologischem Kontext
das Ergriffensein von der Gottheit (i] TTapo. TWV eEWV ETTiTTvoLa bzw. i] 8ac f.16VLos KaToxry) voraus. 23 Wiederum ist die Verquickung der Terminologie mit einem epistemologischen Kontext deutlich. Als eElOL av8pES bezeichnet Dion jene alten Dichter, die das gesamte Wissen über den Kosmos den folgenden Generationen vermittelt haben: in ihrem Wissen war schon der Keim aller späteren Erkenntnisse eingeschlossen. Auch hier ist es denkbar, daß eElOS" an dieser Stelle als relationelles Klassenadjektiv fungiert, denn darauf deuten die Hinweise auf die Erleuchtung und das Ergriffensein durch die Götter (TTapo. TWV eEWV ETTi TTVOLav Kai cf>ryf.1TJV, aKovaaL TWV Movawv, 8aLf.1oviov KaToXf}S" Kai ETTL TTvoias). Der Ausdruck eElOL av8pES" bezeichnet offenbar Männer, die in einer besonderen Relation zu den Göttern stehen. In der sogenannten 2. Königsrede, die sich, wie auch die anderen Königsreden, 24 mit dem stoischen Königsideal beschäftigt, taucht die Terminologie an zwei Stellen (2, 11. 17f.) auf, jeweils als Bezeichnung für Homer. 25 Die Rede ist als fiktiver Dialog zwischen dem Makedonierkönig Philipp und seinem heranwachsenden Sohn Alexander gestaltet. Vordergründig handelt es sich um die Gründe für Alexanders Bewunderung der homerischen Dichtung. In Wirklichkeit erreicht Dion jedoch zwei andere Ziele: erstens vermittelt er dem Hörer bzw. Leser einen Blick in seine umfassenden Homerkenntnisse, zweitens legt er das stoische Idealbild des Königs dem größten Herrscher der hellenistischen Geschichte in den Mund und gewinnt ihn dadurch geschickt als Gewährsmann für dieses Ideal. 26 Die Rede ist also in Wahrheit ein Fürstenspiegel. Alexander (bzw. Dion) entwickelt hier das folgende Bild von Homer: Er sei in besonderem Sinne der Dichter der Könige und Feldherren; er sei der königliche Dichter, der 23 In 1,56 grenzt Dion die wahre Inspiration als einen beherrschten und vernünftigen Vorgang von zeitgenössischen Entrückungserscheinungen ab. 24 Alle Königsreden sind im Jahre 100 n. Chr. oder wenig später verfaßt worden; vgl. von Arnim, Das Leben und Werke des Dio von Prusa, S. 325ff.; Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 115-123.136. Die Konzeption des idealen Königs ist stoisch; vgl. Tzanetas, The Symbolic Heracles, S. 116-201, der zeigt, daß auch die Heraklesmetaphorik stoisch und nicht kynisch ist. Die Berührungen mit den anderen Königsreden, ja mit Dions anderen Reden überhaupt sind zahlreich. V gl. z.B. das Gleichnis vom Hirten und Stier (2,67-78) und vom Schäfer und seiner Herde (4,41) mit 1,17-20. 25 In Or. 2,11 zitiert Dion ein Epigramm (= Anth. Pal. 5,73 bzw. Certarnen Homeri et Hesiodi 213f.), das Hesiod für den Dreifuß gedichtet haben soll, in dem er sich seines Sieges über den 8cLOS' t'OIlTJP0S' rühmt. Die 8cLOS' äv8pWTTOS'- Terminologie war Dion an dieser Stelle also in der Überlieferung vorgegeben, er zitiert das Epigramm jedoch nicht ihretwegen, sondern aus anderem Anlaß (zur Stellung des Epigramms innerhalb des Argumentationganges Dions in der 2. Rede vgl. Konrad Heldmann, Die Niederlage Homers im Dichterwettstreit mit Hesiod, Hypomnemata 75, Göttingen 1982, S. 37-45), so daß die Stelle für das Verständnis der Verwendu~g der Terminologie durch Dion belanglos ist. Wir gehen deshalJ:? im Rahmen der folgenden Uberlegungen nicht auf das Epigramm ein, vgl. jedoch dazu die Uberlegungen im abschließenden Kapitel von Teil III. Zum Verhältnis von Homer und Hesiod bei Dion vgl. Kindstrand, Homer, S. 121-124, der die unumstrittene Vorrangstellung Homers betont. 26 Eindrucksvoll gestaltet Dion den fiktiven Alexander, so daß er einerseits (wie Dion selbst) als Vertreter des stoischen Königsideals erscheint, andererseits als eigenwilliger Machtmensch eine gewisse Eigenständigkeit gewinnt.
5. Dion von Prusa
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Alexander als Verkünder und Maßstab der wahrhaft königlichen Ideale, insbesondere der Haupttugenden der 8LKaLOUVVT] und av8pE{a,27 preist, denn allein seine Dichtung sei edel, großartig und königlich, nur sie passe zum König (2,17.12, im Gegensatz zu dem Bauern- und Handwerkerdichter Hesiod, vgl. 2,8f.).28 In diesem Rahmen stellt Philipp die Frage, ob Alexander eher einer der homerischen Helden oder Homer selbst zu sein wünsche (2,14), worauf Alexander erwidert, daß er die homerischen Helden sogar übertreffen wolle (2,15). Das Gespräch schweift jetzt kurz ab (2,16f.), bevor Philipp zu seiner Frage zurückkehrt, warum Alexander trotz seiner überschwenglichen Bewunderung für Homer sich nicht diesen selbst zum Vorbild wählt (2,17f.): (17) ... Da fragte Philipp von neuern: "Aber wie kannst du, Alexander, wenn du Homer so heftig bewunderst (OVTW acjJo8pa ... 8avfla(wv), seine Weisheit einfach übersehen (TTWS- VTTEpopijS aUToD Tr]V aocjJ{av)?" "Weil ich auch in Olympia", verteidigte sich Alexander, "den Herold (ToD 'O).,vflTT{aal KT]PVKOS-) sehr gerne mit lauter und klarer Stimme die Namen der Sieger ausrufen höre, ich selbst aber niemals die andern als Sieger ausrufen wollte (ou flEVTOl Krr PVTTElV lßov).,ofl7]V aUTOS-) , sondern viellieber selbst als Sieger ausgerufen werden möchte." (18) Damit bewies er eindeutig, daß er in Homer einen außerordentlichen und wahrhaft göttlichen Herold der Tugend sah (lvofll(E 8alflOVlOV Kat 8ELOV T41 ÖVTl Kr]pVKa TfjS- apETfjs-) und sich selbst und die Helden Homers als Wettkämpfer betrachtete, die mit großen Taten um die Wette eifern.
Dion geht hier in rhetorischer Hinsicht sehr geschickt vor: Vordergründig fragt Philipp nach dem Grund, warum Alexander nicht lieber wie Homer sein möchte, aber in Wirklichkeit wird durch das geschickte Einführen des zentralen stoisehen Begriffs uocp{a Kritik an Alexanders Haltung geübt. 29 In 2,18 unterbricht Dion den erzählten Dialog und wertet als Erzähler selbst die Antwort Alexanders, so daß die Worte Alexanders über die erzählte Welt hinaus Aktualität gewinnen. Alexanders Aussage beweist, daß er im Wettlauf der Zeitgeschichte mit den großen königlichen Helden, die Homer besungen hat, um den ersten Preis wetteifert, Homer aber hat, wie der Herold bei den Spielen, eine andere Rolle inne: er sei eben der 8aLf.16vLos- Kat BEtOS- KrypV( Tijs- apETijs-. In der von Dion sorgfältig konstruierten erzählten Welt hat Homer eindeutig die Funktion, als Urheber das Königsideals Alexanders dazustehen. Es zeigt sich also wiederum, daß die BEtoS- av8pwTToS-- Terminologie gerade in einem solchen Kontext verwendet wird. Wie schon der Kommentar Dions, der den 27
Or. 2,54.
28 Vgl. bes. Heldmann, Niederlage Homers, S. 41-45. Daß Homer der königliche Dichter ist, ist das Thema der gesamten 2. Rede. Sie ist wenig mehr als eine Reihe geschickter Deutungen bestimmter Homerstellen im Sinne des stoischen Tugendideals für den Herrscher, vgl. bes. 2,67ff. Das Thema kommt auch an anderer Stelle in Dions Schriften vor, vgl. 1,15 und 53,1l. 29 Der Begriff aocjJ{a bezieht sich hier im stoischen Sinne auf Homers ethische Vernunft, die Alexander in seiner Ruhmsucht gerade nicht beachtet, vgl. die Diskussion weiter unten. Zum Gebrauch von aocjJ{a in der Stoa als "das Wissen um die göttlichen und menschlichen Dinge" vgl. SVF 4, S. 128ff.; Pohlenz, Stoa I, S. 126; ders., Stoa 11, S. 53.71.106.152.181.
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Teil 111: Semantische Analyse: eclo~ KTA. in epistemologischem Kontext
Fortgang des Dialogs kurz unterbricht, andeutet, wäre es jedoch verfehlt, den Ausdruck 8alj1oVloS' Kai eELOS' Krypvf TfjS' apETfjS' nur mit dem Königsideal in Zusammenhang zu bringen, was weiterhin durch die Verwendung von dem für die Stoa so bedeutenden Begriff apErry an dieser Stelle nahegelegt wird. Der Ausdruck hat offenbar für Dion eine größere Reichweite: Wenn er in seinem Erzählerkommentar Homer als "Herold der Tugend" auszeichnet, verleiht er dem Dichter einen entscheidend wichtigen Platz in seiner gesamten W eltanschauung, denn Dion war in seinem philosophischen Ansatz Stoiker. 3D Bekanntlich stand die Tugendlehre im Zentrum der stoischen Ethik wie überhaupt in der Mitte des stoischen Denksystems. 31 Die zentrale Rolle der Tugendlehre geht nicht nur aus den vielen Diskussionen über die sittlichen Pflichten der Menschen in Dions Werken hervor, sondern auch aus Aussagen, die die Tugend als das einzige Gut und das wirkliche Glück, als Ev8alj1ovLa bezeichnen. 32 Wie sonst in der Stoa ist die Tugendlehre in dem Gesetz der Natur begründet,33 das nichts anderes als eine Verlängerung des waltenden Logos ist. 34 Dieses Gesetz zu erkennen, fordert Einsicht (cppovryO"lS' / ETTLO"Tryj1ry), Erziehung (TTal8ELa) sowie Philosophie und Vernunft (opeoS' AoYOS').35 Die Quellen dieser Erkenntnis werden in Or. 12,26-48 dargestellt. 36 Zuerst wird die Erkenntnis KaTa cpfr alV genannt, die jedem vernunftbegabten Wesen gemäß der natürlichen Beteiligung am Göttlichen zugänglich sei (Or. 12,27.39). Als zweite Quelle bezeichnet Dion die AOYOl, j1VßOl und tery (Abhandlungen, Mythen und Bräuche), wie sie von den Dichtern und Gesetzgebern überliefert wurden (Or. 12,40f.43), wobei die Dichterüberlieferungen wahrscheinlich älter seien. Überraschenderweise nennt Dion die alte bildende Kunst, die versucht, die 8alj10VLa CPVO"lS' darzustellen, als letzte Quelle der Erkenntnis. Diese drei agieren als Dolmetscher und Lehrer der göttlichen Wahrheit. 37
3D Schmid, Art. Dion, Sp. 858-866, bes. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 45-55; Tzanetas, The Symbolic Heracles, S. 116ff. 31 Zum Primat der praktischen Vernunft in der hellenistischen Philosophie im allgemeinen und der Stoa im besonderen vgl. Hossenfelder, Philosophie, S. 11-25.45-69. 32 Vgl. Or. 3,1; 23,1ff. (wo die Kardinaltugenden in die engste Nähe der Ev8aLflovLa gerückt werden); 31,68; 65,15; 69,2.4; bes. 71,8. Weitere Belege bei Schmid, Art. Dion, Sp. 862f. 33 Vgl. bes. Or. 7,149; auch 12,27; 75,2.7f.; 80,5. 34 Vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 131ff. 35 Vgl. 1,8; 4,24-35; 13,27f.31-37!; 20,11; 26,7; 32,3.16.60; 68,5;70,7. 36 20,11; 26,7, vgl. Schmid, Art. Dion, Sp. 860. 37 Auf einer nächsten Stufe dieser hierarchischen Ordnung steht der Philosoph; vgl. Or. 12,47.
5. Dion von Prusa
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Auf diesem Hintergrund ist der Ausdruck 8alpovloS- Kai 8ELOS- Kr]pV, TijsapETijs- in Or. 2,18 zu verstehen. Die Dichter38 sind die Träger dieses Wissens. 39 Für Dion ist Homer40 ja Anfang, Mitte und Ende aller Bildung (Or. 18,8);41 alles, was er geschrieben hat, sei nützlich und brauchbar (53,11), er sei der beste Dichter schlechthin gewesen (Or. 2,lff.; 16,11), in Weisheit gottgleich (laOeEOSTJ]V aocpiav; Or. 12,23), einer der weisen und wahrhaftigen Männer (Or. 1,14; 30,8; 61,8). Er heißt aocpos- aVr]p (23,5), er sei der weiseste Dichter überhaupt gewesen (Or. 12,73; 80,7), seine Werke hießen aocpa (44,1; 53,1) und sein dichterisches Können sei sogar mit dem Apollons und Orpheus' vergleichbar (Or. 47,5 bzw. 53,7f.).42 Seine Weisheit sei auf die Inspiration durch die Musen selbst zurückzuführen (53,6).43 Dions Homer ist primär nicht Poet und Ästhet, sondern Pädagoge. 44 Da Dions Homerbild nicht in den ästhetischen, sondern in den pädagogischen Aspekten von Homers Werken gründet, zitiert er in seinen Reden mehr als 150mal Inhaltliches aus Homer45 und interpretiert seine Schriften mit Hilfe stoischer Allegorese46 , um dadurch seinen eigenen sittlichen Imperativen den Rükken zu stärken. Zentrale Aspekte stoischer Lehre wie die Tugendkataloge (vgl. Or.. 47,5), die menschlichen Leidenschaften (TTaeT} TWV aVepWTTUJV; vgl. Or. 61,1) und die Ev8alpovia (vgl. 23,5) werden unter Rückgriff auf Homer eingeführt, schließlich wird die so typisch stoische Zeus-Logos-Physik aus der knappen homerischen Formel "Vater (und König) der vernunftbegabten Wesen" abgeleitet (Or. 36,35f.). Für Dion ist Homer also eigentlich ein Philosoph, genauer gesagt ein Wanderphilosoph kynisch-stoischer Art (Or. 47,5; 53,9). In ihm erhält die göttliche TTal8Eia konkrete Gestalt,47 weshalb Dion ihn als Para.. 38 Nur die ältesten Dichter werden in dieser Hinsicht von Dion herangezogen. Vgl. die Uberlegungen hier oben zu Or. 36,32. Weiterhin wird Or. 36,10-15 Phokylides, ein milesischer Spruchdichter aus dem 7./6. Jh., herangezogen. Ein Lyriker aus Paros namens Archilochos (7. Jh.) wird in Or. 33,11-12 mit Homer zusammen als der beste Dichter bezeichnet und erhält den Titel 8cpaTTUJv Movawv. 39 Die Tragiker und Komiker sind von dieser Rolle ausgeschlossen; vgl. Or.21,11 und 36,35. 40 Für das Homerbild Dions kommt Or. 11 nicht in Betracht. Diese Äußerung ist nicht als ernsthafte Homerkritik gemeint, sondern "als willkommene Gelegenheit, solide Dichterkenntnis, Geist, Scharfsinn und Fertigkeit mit Jonglieren mit Argumenten unter Beweis zu stellen", W. EIliger, Dion Chrysostomos, S. xviii. Sie ist ein gutes Beispiel epideiktischer Anaskeue und gehört in dieselbe Klasse wie sein spielerisches Encomium comae. V gl. unten die Diskussion zu Or. 11,4. 41 Zum Verhältnis Homers zu den anderen Dichtern vgl. Or. 18,6-8. 42 Homer wird auch von Dion kritisiert (z.B. 7,97f.;77/78,16); die Kritik ist indes unbedeutend und berührt keine wesentlichen Aspekte des Homerbilds Dions; vgl. Kindstrand, Homer, S. 138-140. 43 Vgl. Kindstrand, Homer, S. 116f. 44 Vgl. Kindstrand, Homer, S. 114ff. 45 Vgl. Kindstrand, Homer, S. 13ff. 46 Vgl. Kindstrand, Homer, S. 128-138. 47 Vgl. Kindstrand, Homer, S. 114. Die Lebensführung ist ein Zeichen seiner "8avJ1aaTijsdv8pcLas- Kat J1cyaAoCPPVVT]S-" (53,9); vgl. auch 4,30, wo TTat8cLa gleichgestellt wird mit av8pcLa und J1cyaAoCPPVVT}.
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtas KTA. in epistemologischem Kontext
digma in bezug auf die Lebensführung benutzt (53,9f.). Deswegen kann Sokrates, auf den die Stoa als den Begründer der Ethik zurückgreift, als Schüler Homers eingestuft werden. 48 Für Dion ist Homer also die Quelle der stoischen Sittenlehre: Gerade von ihm wird in 2,11 gesagt, er sei 8alj16vloS- Kai ßELosKr]pvt TT]5- dPETfjS-, so daß jene jetzt schon öfters gemachte Beobachtung, daß Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition diese Terminologie an sich ziehen, auch an dieser TextsteIle belegt werden kann. Zu der Funktion der Adjektive 8alj16vloS- und ßELOS- an dieser Stelle ist anzumerken, daß dem direkten Kontext keine Hinweise zu entnehmen sind, die zu einer eindeutigen Entscheidung führen würden. Einerseits könnte man den Hinweis auf Alexanders große Bewunderung (OUTUJ acp68pa ... ßavj1a(UJv) zum Anlaß nehmen, die Adjektive hier als Qualitätsadjektive im Sinne von "hervorragend", "vortrefflich", "bewundernswert" usw. zu verstehen. Andererseits kann man die Aussagen in Or. 36,32-36 und 53,6 (auch 1,56f.) als Hintergrund annehmen und auch hier die Vorstellung der Inspiration mitdenken. Die Bezeichnung Homers als Kr]PVt lädt ja förmlich dazu ein: Wer anders als die Götter kann einen solchen Herold beauftragen? Die doppelte Verwendung könnte sogar darauf hindeuten, daß Dion beides meinte: "Damit bewies er eindeutig, daß er in Homer einen bewundernswerten und wahrhaft von den Göttern inspirierten / gesandten Herold der Tugend sah" ! Wir wenden uns jetzt einer Stelle in Or. 11,4 zu. Die unter dem provozierenden Titel "Troia ist nicht erobert worden" überlieferte 11. Rede ist ein typisches Beispiel der in der zweiten Sophistik populären Homerepanorthose. Der Funktion und der Gattung nach ist sie eine witzige Rede, in der Dion die Gelegenheit nutzt, ein so unbestrittenes Faktum wie den Fall Troias durch rhetorisches Geschick auf den Kopf zu stellen. 49 Sie zeigt, daß Dion über außergewöhnlich gute Homerkenntnisse und ein ganzes Arsenal rhetorischer Kunstgriffe verfügt. 50 Vorausgesetzt wird, daß der Hörer den Inhalt nicht als ernsthafte Homerkritik, sondern als reine Sophisterei versteht. 51 Dies bedeutet, daß der Redner, d.h. Dion, nicht die Wahrheit aus seiner Sicht bzw. seine eigentliche Meinung wiedergibt, sondern gerade das, was er nicht glaubt. In der Tatsache, daß die 48 Vgl. Or. 55, da bes. § 3. Diese Anordnung befindet sich in Übereinstimmung mit dem Platz des Philosophen in der Hierarchie der Erkenntnisquellen in Or. 12,39-47. Die Philosophen werden niemals von Dion der grundlegenden Position der Dichter zugeordnet, sie fungieren immer nur als sittliche Beispiele, die die Wahrheit, wie sie bei den alten Dichtern zu finden ist, in die Tat umgesetzt haben. Deswegen kann Dion gerade Sokrates und Diogenes von Sinope als Sprachrohre benutzen; vgl. bes. die Diogenesreden (Or. 6-10). 49 EIliger, Dion Chrysostomos, S. xviif. 50 Vgl. auch Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 12f. und die gründliche Analyse von Wilhelm Kroll, Randbemerkungen (XXXI), RhM NF 70, 1915, S. 607-610, der unter Rückgriff auf die progymnastische Literatur zeigt, daß die Rede zur Gattung der Anaskeue gehört. Sie fordere "die gesamte rhetorische Kunstfertigkeit" und Dion habe die Rede "nicht ohne Geist und Grazie" geschrieben. 51 Für diese Interpretation spricht, daß die Rede nicht nur das ganze Homerbild Dions sprengt, sondern gerade auch die Vorrangstellung alles Altertümlichen in Frage stellt (11,4).
5. Dion von Prusa
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Hörer sich dessen bewußt sind, liegt gerade der Reiz des ironischen Sprachgebrauchs. Dion unterstellt also seine eigene Meinung den Zuhörern als "falsche Meinung", er selbst vertritt als die "Wahrheit" einen absurden Standpunkt, den er in Wirklichkeit in keine Weise einnimmt. Auf diesem Hintergrund ist die Aussage in Or. 11,4 zu interpretieren: Deshalb sollte es mich auch nicht wundern, wenn auch ihr, Männer von Ilion, dem Homer, der die ärgsten Lügen gegen euch hervorgebracht hat (Ta XaAE1T WTaTa ij;EvaapEVOV Ka8 vpCJv), mehr Glauben schenken wolltet als mir, der ich die Wahrheit sage (TGA1]efj AEyovTa), und in ihm einen göttlichen und weisen Mann sähet (KGKELVOV PEv vTToAaßELv eELOV äv8pa Kai aocpov) und eure Kinder schon in jungen Jahren seine Werke, die nichts als V erwünschungen (KaTapa5' ExovTa) - dazu noch völlig unbegründete (OVK GA1]eEL5')gegen eure Stadt enthalten, auswendig lernen ließet, mich aber, der ich sage, was wirklich geschehen ist (Ta öVTa Kai YEvopEva AEYOVT05'), nicht anhören wolltet, weil ich viele Jahre nach Homer geboren bin (ÖTL TTOAAOL5' ETEaLv vaTEpov rOp 7}pOV yEyova).
Dion unterstellt seinen Zuhörern Liebe für schmeichelhafte Lügen (11,1-3) und eine derartige Ruhmsucht, "daß sie lieber durch das äußerste Unglück in aller Welt bekannt werden als frei von jedem Mißgeschick und dafür unbekannt bleiben wollen" (11,6). Darum glaubten die Einwohner Troias lieber die völlig unbegründeten Lügen und Verwünschungen Homers und hielten ihn für einen ßELO:; dvi}p Kai aocjJ6:;. Gerade diesen Anspruch will der Redner Homer strittig machen, da er, obwohl viel später geboren, die Wahrheit rede: Folgendes Bild eines ßELO:; dvryp geht aus dem Text hervor: Dieser weise Mann inkorporiert die Wahrheit hinsichtlich der (geschichtlichen) Traditionen der Zuhörer, so daß diese sich seine Werke schon von Kindesbeinen an aneignen mußten. Ein entscheidender Faktor ist die Tatsache, daß der BEL 0:; dvryp in die Frühzeit gehört: weil seine Weisheit alt ist, halten die Menschen ihn für einen ßELO:; dvryp. Dieses der Menge untergeschobene Bild von Homer als ßELO:; dvryp entspricht offensichtlich jenem Bild des BELO:; dvryp als Garanten der Wahrheit bzw. des Wissens, wie es aus den bisherigen Überlegungen in diesem Kapitel hervorgegangen ist. 52 Jene enge Verbindung zwischen der ßELO:; avßpwTTo:;Terminologie und dem bisher beobachteten epistemologischen Kontext ist also auch an dieser Stelle zu beobachten. Auch an dieser Stelle sind dem direkten Kontext keine Hinweise zu entnehmen, die uns in eindeutiger Weise über die Funktion von ßELO:; aufklären würden. Denkbar ist sowohl BELO:; als Klassenadjektiv als auch ßELO:; als Qualitäts-
52 Kindstrand, Homer, Kap. 11, der Or. 11 nicht als leichtfertige Spielerei sehen will, ist der Meinung, Dion mache Homer nur den Anspruch strittig, auch historiographisch die Wahrheit zu reden. Dies komme ihm nur in bezug auf die Ethik zu. Auch wenn man diese Deutung akzeptieren würde, paßte es in den Rahmen der vorliegenden Interpretation des eEL05' Gv7}p. Dann wäre Homer zwar Garant der stoischen Weltanschauung, aber nicht Garant der Historiographie! Vgl. dazu die Überlegungen hier oben zu Dionysios von Halikarnassos.
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Teil 111: Semantische Analyse: 8cLoS KTA. in epistemologischem Kontext
adjektiv, aber weder das eine noch das andere würde Wesentliches zu dem Verständnis des Textes beisteuern.
6.1.2 Der Bildhauer Pheidias Dion hat jedoch nicht nur die alten Dichter Homer und Hesiod explizit mit der ßEL05' avßpUJ7T05'- Terminologie bedacht, sondern wendet sie auch auf andere Menschen an. In der wahrscheinlich im Jahr 101 n. ehr. am Standort des berühmten Zeusstandbildes der olympischen Festversammlung vorgetragenen53 12. Rede inszeniert Dion eine Apologie des Bildhauers Pheidias, weil die Bilderverehrung im Hellenismus ins Zwielicht geraten war. 54 In der Apologie muß Pheidias nachweisen, daß er das Wesen der Göttlichkeit in seinen Werken erfaßt habe (12,50-54). Er vertritt in seiner Antwort eine Kunstauffassung, in der die Kunst als Vermittlerin verborgener Wahrheiten dargestellt wird (12,55-83).55 In diesem Kontext fällt der folgende Satz als Einführung zur Apologie (12,49): Wenn jemand nun zunächst Pheidias, diesen weisen und göttlichen Schöpfer (TOV (Joq;ov ToDTov Kat 8aL/16vLov lpyaTT]v ToD (Jc/1voD Kat 1TaYKaAOV 81Jf.1LOvpyr7/1aTos-) dieses erhabenen und wunderschönen Kunstwerks, vor den
Griechen zur Rechenschaft ziehen würde, hätte man ... 56
Der Apologie des Pheidias gehen Erörterungen Dions über die Quellen der Erkenntnis voran (12,27-47), in denen er sowohl die alte Dichtung und die Gesetzgeber (12,39-42), als auch die alten bildenden Künste (12,44-47) als derartige Quellen angibt. 57 Dion nennt Pheidias, Alkamenes, Polykleitos, ferner Aglaophon, Polygnotos, Zeuxis und als den ältesten Daidalos als Vertreter jener Künstlergruppe. 58 Unter diesen wird nun Pheidias, der Schöpfer des berühmten Zeusstandbilds in Olympia und des Athena-Standbilds auf der Akropolis in Athen, als TOV uocpov TOVTOV KaL 8aL/1oVLoV lpyaT7]V sowie gleich anschließend als 6 ßEATLUT05' KaL apLuToS' TWV 87]/1LOVPYwv (12,50) bezeichnet. 53S 0 Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 53f.138. Schmid, Art. Dion, Sp. 855-857, datiert auf das Jahr 97; von Arnim, Das Leben und Werke des Dio von Prusa, S. 405ff.438ff und EIliger, Dion Chrysostomos, S. xxxvii halten die Spiele des Jahres 105 für wahrscheinlicher .. 54 Vgl. Nilsson, GgrR 2, S. 283. 55 Vgl. Kindstrand, Homer, S. 127. 56 EIliger, S. 238 übersetzt freier: "Stellt euch vor, Pheidias, der weise und göttliche Schöpfer dieses erhabenen, herrlichen Kunstwerks, müßte sich als erster vor den Griechen verantworten! Man hätte ... ". 57 V gl. oben die Überlegungen zu Or. 2,18. 58 Alle sind Vertreter der Klassik des 5. Jahrhunderts. Alkamenes: Bildhauer und Rivale des Pheidias in AthenlLesbos (5. Jh.), Polykleitos: Erzgießer und Bildhauer in Athen, Haupt einer lange wirkenden Schule (5. Jh.), Aglaophon: Maler aus Thasos (5. Jh.), Polygnotos: Maler aus Thasos, Schüler von Aglaophon (5. Jh.), Zeuxis: Maler aus Herakleia (5. Jh.), Daidalos: mythischer Ahnherr und Schutzpatron der athenischen Handwerker (auch Sokrates hielt ihn für seinen Ahnherrn, vgl. Platon Alk. 1,121a).
5. Dion von Prusa
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Dion läßt Pheidias in seiner Verteidigungsrede die Meinung vertreten, der Künstler vermittle die Wahrheit über die Gottesvorstellung im Einklang mit den alten Dichtern, wobei es sich selbstverständlich um die stoische Gottesvorstellung handelt (vgl. 12,55-83). In 12,56 huldigt Pheidias seinen Vorgängern: Bedenkt aber, daß ich nicht der erste bin (OVK EYW TTPWT05') , der euch die Wahrheit zu erklären und zu lehren versucht (Et77'YTlTT]5' Kai 8L8aa"KaA05' Tij5' dAT]8E{a5'). Denn ich bin nicht in den frühesten Zeiten geboren (OV8E yap lq;vv tTL KaT dpXa5') ... Alle Bildwerke und Gemälde, die älter sind als meine Arbeiten (apxaLoTEpa Tfj5' Eflfj5' TEXVT]5') und die mit dem Wesen des Göttlichen in Einklang stehen, abgesehen natürlich von der Vollendung in der Ausführung (TTAT]V öCJov KaTa rT]V aKp{ßELav Tij5' TT0L17CJEW5'), will ich nicht erwähnen.
Dions Pheidias hält seine Vorgänger und sich selbst, d.h. die berühmten alten Bildhauer der griechischen Plastik, für Vermittler der Wahrheit. Obwohl er selbst in dieser Hinsicht Vorgänger gehabt habe, die zwar dem göttlichen Wesen gemäß schöpferisch gearbeitet hätten, habe es ihren Arbeiten an der technischen Vollkommenheit gefehlt. Die Implikation ist eindeutig: Pheidias selbst, der explizit von Dion als der beste und größte aller Künstler bezeichnet wird (12,50), hat die Entwicklung der alten Plastik zu ihrer Vollendung gebracht. Diese Vollkommenheit ist letztendlich auf sein Verständnis der Wahrheit zurückzuführen. Aus Dions stoischer Perspektive folgt notwendig, daß sein Werk die göttliche Ordnung am vollkommendsten reflektieren muß: Wie 12,5583 zeigt, demonstrieren gerade seine Werke die Richtigkeit der stoischen Gottesvorstellung, wenn man sie auf ihren symbolischen Charakter befragt. 59 Auch an dieser Stelle ist also die Verbindung der 8ELOS- avßpUJTTos-- Terminologie mit dem schon mehrmals beobachteten epistemologischen Kontext nicht zu übersehen. Sie wird schon durch die Verbindung mit o'OcjJos- nahegelegt, aber noch genauer spezifiziert: Pheidias ist nämlich Garant des Wissens in dem Sinne, daß er unter den alten Bildhauern die griechische Plastik zu ihrem schöpferischen Höhepunkt führt. Es kann kein Zufall sein, daß er - und zwar nur er - gerade in diesem Kontext mit der ßELOS- av8pUJTTos-- Terminologie ausgezeichnet wird.
59 Dions Verfahren ist der allegorischen Interpretation der alten Dichter analog; dort wie hier wird die älteste Kunst herangezogen, um Kosmologie und Theologie des stoischen Systems zu stützen.
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Teil III: Semantische Analyse: 8clos KTA. in epistemologischem Kontext
6.2 Zeitgenössische eclOL av8pcS" bei Dion Chrysostomos? Die Redner in Or. 33,4 Wir haben schon zu Anfang dieses Kapitels darauf hingewiesen, daß eine Aussage Dions in seiner etwa um 100 n. Chr. entstandenen 1. Tarsischen Rede 60 (ar. 33,4) in der BeToS" avrlp-Forschung eine wichtige Rolle gespielt hat. So hat Dieter Georgi diesen Text als Beweis dafür angeführt, daß man in neutestamentlicher Zeit geradezu darauf gewartet habe, daß Menschen erschienen, die in pneumatischer Demonstration zeigen konnten, daß sie das Göttliche in sich trügen und vorführen könnten. Es ging Georgi darum, mit dieser Stelle zu belegen, daß solche Erscheinungen nicht Produkte literarischer Phantasie gewesen seien, sondern ein konkretes Phänomen, das in der Kaiserzeit weitverbreitet gewesen sei. 61 Die Rede nimmt unter den Stadtreden eine Sonderposition ein: Sie hat einen leichten Ton und behandelt eine eigentümliche Schwäche der Tarser, nämlich eine Art Schnarchen oder Schnaufen (jJi-YKeLV). Wie in Or. 11 stehen Witzeln und Unterhaltung im Vordergrund,62 wobei der Gebrauch von Ironie eine beachtliche Rolle spielt. Dion beginnt seine Rede, indem er den Tarsern entgegenhält, daß sie mit den vielen Sophisten, die zu ihnen von den Redebühnen aus reden, zu unkritisch umgehen. Dions Abscheu den Sophisten gegenüber, die prahlten und sich aufgrund von Wissen, über das sie gar nicht verfügten, rühmten und die aus der Sucht nach Anerkennung und Gefälligkeit ihren Zuhörern schmeichelten und sie lobten, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Reden 63 . Auch die 33. Rede beginnt damit, daß er den Unterschied zwischen Philosophen und Sophisten in aller Schärfe hervorhebt (33,1-16).64 In diesem Kontext heißt es (33,3-5): (3) ... Nun, ich will euch meine Vermutung sagen. (4) Ich habe den Eindruck, daß ihr schon oft göttliche Männer gehört habt (aK1]KOEVal 8ELUJV av8pwTTUJV), die behaupten, alles zu wissen (oL' TTavTa El8Eval cpaa{) und bei jedem Ding über Ordnung und Wesen Auskunft geben zu können (Kai TTEpi TTavTUJv iPELV i5 8laTETaKTal Kai TLva EXEl cpualv): über Menschen, über irdische Mächte und Götter, ferner über Erde, Himmel und Meer, über Sonne, Mond und Sterne, über das gesamte Weltall, über Werden und Vergehen und unzählige andere Dinge. Dann, so stelle ich mir vor, komnlen sie zu euch und fragen euch, was und über welches Thema ihr sie gerne reden hört, wie schon Pindar gesagt hat, über
60 Ca. 100 n. Chr., vgl. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 136. 61 Georgi, Gegner, S. 192f. Zu Georgis Rolle in der 8ELOS' avryp-Forschung vgl. die Erörterung hier unten in Kapitel 7. 62 Ewen Lyall Bowie, Dio of Prusa, CHCL I, S. 669-672; Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 73f. Vgl. auch Or. 35, dazu Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, S. 65ff.70. Jones sieht in 8laAEYEa8al eine Gattungsbezeichnung, Or. 33 und 35 seien also keine formalen Reden, sondern "talks". 63 Vgl. die Ausfälle gegen die Sophisten in 4,15.28.38.78; 6,132; 8,9; 9,32; 11,6; 12,5; 19,3; 32,11; 35,8; 38,10; 47,16; 54,1; 55,7; 66,12; 77/8,27. 64 Vgl. Or. 32,8-11.
5. Dion von Prusa
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Ismenos, mit goldener Spindel Melia, Kadmos auch. Und wo immer ihr wollt, da hebt der Redner an und läßt die Rede wortreich und lang dahinströmen, und wie ein Schwall sprudelt hervor, was gleichsam in ihm eingeschlossen war. (5) Wenn ihr ihm nun lauscht, haltet ihr es für ungehörig und verfehlt, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und einem weisen Mann keinen Glauben zu schenken (TO PEv t,ETa(Elv Ka8 EKaaTov ij aTTlaTELV av8pl aoif;fiJ), im Gegenteil, von der Kraft und Schnelligkeit seiner Worte seid ihr hingerissen und begeistert, wenn er, ohne Atem zu holen, unaufhörlich Satz an Satz reiht ...
Der Kontext gibt hier keinerlei Anlaß dazu, in dem Ausdruck BELOl av8pUJTTol eine Bezeichnung für Menschen, die das Göttliche vorführen, zu vermuten. 65 Der Ausdruck steht im Gegenteil an dieser Stelle erneut in einem ausgesprochen epistemologisch geprägten Kontext: BELOS' dvf}p war, wie schon gezeigt wurde, für Dion ein Begriff, der bestimmten Menschen ihres besonderen Wissens halber beigelegt wurde. Das legt nahe, daß der Gebrauch der 8EL05' av8pUJTToS'Terminologie an dieser Stelle auf dem bisher erschlossenen Hintergrund zu interpretieren ist. In einem derartig polemischen Kontext und im Lichte der bisherigen Ergebnisse bedarf es kaum gewundener Argumente, um zu belegen, daß Dion den Ausdruck BELOl av8pUJTTol hier ironisch bzw. sarkastisch benutzt. Die Redner treten mit dem Anspruch auf, über alles Mögliche reden zu können: der Themenkatalog will den Eindruck der Vollständigkeit vermitteln. Sie erheben den Anspruch, die kosmischen Zusammenhänge zu durchschauen und fordern gar die Zuhörer auf, ihnen irgendein Thema vorzuschlagen. Nach Dion bringen die Tarser diesen Allwissern, diesen "BELOl av8pUJTTol" in ungebührlicher Weise unkritisch Glauben entgegen, welcher im Grunde genommen nur den wirklichen BELOl avBpUJTTol, nämlich den alten Dichtern, Bildhauern usw. gebührt. Denn nur sie, die unser Wissen begründeten und vollkommenste Einsicht in den kosmischen Zusammenhang hatten, können nach Dions Verständnis einen solchen Anspruch erheben. Dion wendet sich gegen den Anspruch der Sophisten, über alles sinnvoll reden zu können (der Philosoph mache ja im Gegenteil gerade das sokratische Diktum, daß er nämlich nichts wisse, für sich geltend, vgl. 12,14). Damit beanspruchten sie, was nur die 8ELOl av8pES' alter Zeiten von sich behaupten können. Der vorhandene Text zeigt· also, daß Dion damit rechnen konnte (und das auch tat), daß der Ausdruck 8ELOl av8pUJTTol für seine Leser bzw. Hörer solch feste Konturen hatte, daß er diese Bedeutung als Folie voraussetzen konnte, vor deren Hintergrund er den Begriff ironisch benutzen konnte - denn der ironische Gebrauch eines Ausdrucks setzt immer einen festumrissenen, typischen Verwendungskontext des betreffenden Ausdrucks voraus, der gewissermaßen beim
65 So richtig das Urteil von Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 80, Anm. 300, der jedoch Georgi zu Unrecht unterstellt, er hätte hier Wundertätigkeit in den Text hineingetragen.
164
Teil 111: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in epistemologischem Kontext
Gebrauch des betreffenden Ausdrucks mitgedacht wird. 66 Da eine solche Schlußfolgerung weitreichende Implikationen hat, sind wir damit an einem Punkt angelangt, wo es nötig ist, die Ergebnisse der bisherigen Textanalysen zu bündeln und semantisch auszuwerten.
66
Gegen Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 80, Anm. 300, der meint, Dion habe in wahrscheinlich keinen festen Terminus gesehen.
eElOL äVepW1TOL
7. Semantische Auswertung: Vorläufiges Ergebnis und Hypothese Bevor wir mit der Analyse der fJElOS- avfJpUJTTos-- Terminologie fortfahren, ist es nötig, an dieser Stelle ein wenig innezuhalten und zu fragen, welche Ergebnisse unsere bisherigen Analysen zutage gefördert haben und wie sie zu bewerten sind.
7.1 Zwischenergebnis: Die begrenzte Referenz der eELO~ alJepUJ1TO~- Terminologie Die bisherigen Analysen haben eindeutig ergeben, daß die Adjektive ßELOS-, 8alj.16vloS- und ßEaTTEalos-, wenn sie Nomen, die auf Menschen referieren, als Modifikatoren beigelegt werden, nie als adskriptive Klassenadjektive fungieren, welche die betreffenden Menschen der Klasse der göttlichen Wesen zuordnen würden. Die Analysen haben vielmehr gezeigt, daß es für eine solch,e Annahme in den jeweiligen Kontexten schlechthin keinen Anlaß gibt. Denn solche sprachlichen Ausdrücke wären Ausdrücke, die eine bestimmte Frömmigkeit reflektieren, die in den Texten Spuren hinterlassen haben müßte. 1 Dies ist jedoch an keiner einzigen der bisher erörteten Stellen der Fall gewesen, so daß die Behauptung, die ßElOS- avfJpUJTTos-- Terminologie bezeichne Zwischenwesen, die irgendwo zwischen Menschen und Göttern anzusiedeln seien, eine unbeweisbare Hypothese bleibt. Wenn es jedoch vom Kontext her möglich ist zu zeigen, daß die Adjektive ßELOS-, 8alj.16vloS- und fJEaTTEalos- als Klassenadjektive auftreten, dann ist deutlich, daß sie als relationelle Klassenadjektive fungieren: Sie signalisieren, daß zwischen dem jeweiligen Menschen und der Klasse der göttlichen Wesen bzw. Göttern eine gewisse Beziehung besteht. Aus den Kontexten der bisher analysierten Stellen ging hervor, daß es sich dabei meistens um die Inspiration oder Erleuchtung bestimmter Menschen durch die Götter handelt (vgl. bes. Dion Chrys.Or. 1,12.36,32-36). Die bisherige Analyse hat weiterhin gezeigt, daß die Adjektive in ihrer Funktion als Qualitätsadjektive oft Nomen, die auf Menschen referieren, beigelegt werden (vgl. bes. Dionysios von Halikarnassos Dem. 46; Lys. 3; Comp. 20; Epiktet Ench. 15; Dion Chrys. Or. 1,18.2,18(?)). Sie treten dann meistens mit
1 V gl.
die theoretischen Überlegungen in Kap. 2.4.2.
166
Teil 111: Semantische Analyse: 8cloS' KTA. in epistemologischem Kontext
der Bedeutung "bewundernswert", "erstaunlich" bzw. "vortrefflich" auf, gehören also mit anderen sinnverwandten Qualitätsadjektiven wie z.B. ßaV/1auT05', dtLoAOY05' und apLUT05' einem Wortfeld (bzw. semantischen Feld) an. 2 Daß es sich hier jeweils um Qualitätsadjektive handelt, geht nicht nur aus den jeweiligen Kontexten hervor, sondern wird zum Teil daran deutlich, daß die Komparativ- und Superlativformen der Lexeme (vgl. Dion. Halik. Lys. 3; Comp. 20, vgl. auch Dem. 23) verwendet werden. 3 Diese Befunde zeigen, daß man bei der 8EL05' av8pUJ1T05'- Terminologie immer mit dem semantischen Hauptmerkmal der Adjektive ßEL05', 8aL/10VL05' und 8EU1TEUL05', nämlich der Polysemie, rechnen muß. Daraus folgt, daß jegliche Einengung der Bedeutung auf die Verwendung der Adjektive als adskriptive Klassenadjektive dem textuelIen Befund nicht gerecht wird. 4 Es muß also jeweils von Fall zu' Fall neu entschieden werden, welche der Bedeutungen des jeweiligen Adjektivs vorliegt: Dabei ist der Kontext entscheidend, denn nur ihm kann die semantische Relationen entnommen werden, die darüber entscheiden lassen, welchem semantischen Feld das betreffende Adjektiv angehört. Die wichtigste Beobachtung für die vorliegende Untersuchung ist jedoch, daß die Adjektive 8EL05', 8aL/10VL05' und ßEU1TEUL05' nur in Nominalphrasen auftreten, die auf einen auffällig kleinen Personenkreis referieren: Homer, Hesiod, Pheidias, Heraklit, Platon, Diogenes, Thukydides und Demosthenes den Rhetor. Da 8EL05' und 8aL/10VL05' geradezu Allerweltswörter waren, die auch sonst von den betreffenden Autoren oft benutzt werden, kann diese eingeschränkte Referenz kaum zufällig sein. Um so mehr drängt dieser Befund auf eine Erklärung. Zu dieser Beobachtung kommt noch eine andere wichtige hinzu: Nicht nur referieren die Ausdrücke auf diesen sehr begrenzten Personenkreis, sondern die Analysen haben gezeigt, daß die ßEL05' av8pUJ1T05'- Terminologie ausnahmslos in Kontexten auftritt, in denen die betreffenden Referenten in den Blick genommen werden, weil sie als Archegeten bestimmter Erkenntnisse bzw. als Garanten für die Wahrheit solcher Erkenntnisse gerade stehen müssen oder weil sie eine bestimmte Fertigkeit oder "Wissenschaft" vollkommen beherrschen. Das bedeutet, daß die Terminologie nicht nur auf eine begrenzte Zahl von Personen referiert, sondern dies nur tut, sofern diese Personen bestimmte Kriterien erfüllen. Das Phänomen, daß die Terminologie konsequent und ausnahmslos in solchen epistemologischen Kontexten auftritt, ist aus semantischer Sicht hochgra-
V gl. hier oben Kap. 2.3.2. Zum Teil ist es sogar denkbar, daß die Adjektive als Qualitätsadjektive im Sinne der in Teil II herausgearbeiteten Bedeutung auftreten, vgl. Epikt. Ench. 15. 4 Zu Recht moniert Holladay, THEIOS ANER, S. 58, daß in der 8ElOS' aVr}p-Forschung ohne ausreichende Gründe angenommen wird, 8ElOS' hätte nur eine Bedeutung (nämlich "göttlich" als adskriptives Klassenadjektiv). 2 3
167
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
dig bedeutsam,5 denn eine derartige konsequente Begrenzung der Referenz kann kaum zufällig sein, sondern ist aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine entsprechende Beschränkung in der Denotation der betreffenden Lexeme zurückzuführen. Anders ausgedrückt: Eine solche selektive Verwendung der Ausdrükken ist nur dann verständlich, wenn in der Bedeutung der Ausdrücke Restriktionen vorhanden waren, die es den damaligen Sprachbenutzern unmöglich machten, die Ausdrücke im normalen Sprachgebrauch auf andere Menschen referieren zu lassen.
7.2 Eine Hypothese: eELO~ äVepUJTTO~ als phrasale Lexeme?
KTA.
Eine derartige Begrenzung der Referenz kann ihre Ursache selbstverständlich nicht in der Denotation des jeweiligen Nomens (z.B. avßpUJTToS' / dvryp, Eigennamen usw.) haben. Aus den bisherigen Analysen geht ferner hervor, daß diese Begrenzung nicht daran liegen kann, daß die Begrenzung durch die Funktion der Adjektive als relationelle Klassenadjektive bedingt ist. Eine solche Erklärung scheitert einerseits daran, daß die Adjektive an einigen Stellen eindeutig keine Klassenadjektive sind (Komparationsformen!), andererseits daran, daß die Kontexte nur selten Anlaß dazu geben, solche einschränkenden Relationen (wie z.B. Inspiration, Erleuchtung) vorauszusetzen. Ferner taugt solch eine vage Umschreibung der Bedeutung als "bewundernswert", "erstaunlich" bzw. "vortrefflich", wie die Lexikographie sie traditionell den Adjektiven ßELOS', 8aLJ10V LOS' und ßEUTTEULOS' in ihrer Funktion als Qualitätsadjektive zuschreibt, kaum als Erklärung für eine derartige Engführung in der Referenz. Läßt sich die auffällige Einschränkung in der Referenz der Terminologie nicht auf die Denotation der einzelnen Lexeme, aus denen die jeweiligen Syntagmen zusammengesetzt sind, zurückführen, so empfiehlt es sich, zunächst die zusammengesetzen Ausdrücke als solche in den Blick zu nehmen: Die begrenzte Referenz der ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie müßte dann in der Bedeutung der jeweiligen zusam_mengesetzten Ausdrücke als syntagmatische Einheiten gesucht werden, was wiederum darauf schließen ließe, daß wir es in der ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie mit phrasalen Lexemen zu tun haben könnten. Das würde bedeuten, daß die ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie in der damaligen Sprachgemeinschaft eine feste Bedeutung angenommen hat, d.h. als seman5 Gerade diese einheitliche Verwendung drängt auf Erklärung, denn "(d)ie Semantik beschäftigt sich damit, das Maß der Einheitlichkeit in der Sprachverwendung zu erklären, welches die normale Kommunikation ermöglicht", vgl. Lyons, Einführung, S. 411. Darum reicht es aus semantisch-theoretischer Sicht nicht, sich damit zu begnügen, daß die Adjektive ßELOS', 8aLflovLoS' und ßEaTTEaLoS' Nomen mit menschlichen Referenten mal als relationelles Klassenadjektiv, mal als Qualitätsadjektiv modifizieren, denn damit ist nicht einmal ansatzweise erklärt, weshalb eine derartige einheitliche Beschränkung der Referenz vorliegt.
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Teil 111: Semantische Analyse: eELo~ KTA. in epistemologischem Kontext
tische Einheit institutionalisiert und lexikalisiert worden ist, so daß sie in der beobachteten, restriktiven Weise verwendet werden konnte. Wir stellen also auf der Grundlage der bisherigen Textanalysen die Hypothese auf, daß die eElO5' aVepUJTT05'- Terminologie in der Kaiserzeit als phrasales Lexem auftreten konnte, das seine Referenten als Archegeten bestimmter Erkenntnisse bzw. als Garanten für die Wahrheit solcher Erkenntnisse oder als Personen, die bestimmte Fertigkeiten oder eine gewisse "Wissenschaft" vollkommen beherrschen, auszeichnete. 6 Die bisherige Analysen verleihen einen Einblick in die semantischen Beziehungen, die für die Bedeutung dieser phrasalen Lexeme konstitutiv sind: Man kann gewissermaßen schon die Konturen eines semantischen Feldes wahrnehmen. Offenbar steht die Terminologie semantisch gesehen in großer Nähe zu der Vorstellung des aocjx)5' avrjp. Darauf deutet schon die Tatsache, daß die Termini oft parallel verwendet werden (vgl. z.B. Dion Chrys. Or. 11,4; 12,49, vgl. aber auch Dion. Halik. Dem. 25.28). Die Weisheit des eElO5' aVepUJTT05' bezieht sich auf ein bestimmtes Gebiet der Erkenntnis (vgl. z.B. Dion. Halik. Lys. 3 8alf.10vlO5' TWV avyyparpEUJv; Dion Chrys. Or. 2,18, 8alf.10VlO5' KaL eElO5' Kr]pvt Tfj5' apETfj5', wobei apETr] sich hier auf die stoische Tugendlehre bezieht; vgl. auch ol eElOl TTOlT}TaL, Or. 36,32; 8alf.10VlO5' lpyaTT}5', Or. 12,49). Oft wird die Altertümlichkeit der jeweiligen Personen und ihrer Lehre regelmäßig betont (vgl. z.B. die Verbindungen mit apx- / apxal- in Dion Chrys. Or. 12,49.56 ETl KaT apxa5' / apxaloTEpa Tfj5' lf.1fj5' TEXVT}5'; Or. 36,34 TOl5' TTavv apxaLOl5' [TTOl T}Taf5']) oder die so bezeichnete Person gilt als Archeget des betreffenden Gebietes oder Wissens (Dion. Halik. De comp. verb. 24). Ferner gelten die eElOl aVepUJTTOl oft als die Besten auf ihrem jeweiligen Gebiet (vgl. z.B. Dion Chrys. Or. 12,49f. 6 8alf.10vlO5' lpyaTT}5' / 6 ßEATl(T T05' KaL aplaT05' TWV 8T}f.1l0VPYWV; Or. 12,56 über Pheidias; Dion. Halik. Thuc. 2 6 aTTavTUJv KpaTlaT05' TWV IaToployparpUJv, vgl. Lys. 3 8alf.10vluJTaT05' TWV avyyparpEUJv, vgl. auch De comp. verb. 24; Dion Chrys. Or. 12,56 und Epiktet Ench. 15). Der eElO5' aVepUJTT05' gilt als maßgebliche Autorität auf seinem Gebiet (vgl. Dion. Halik. Dem. 23 ÖP05' KaL KavuJv; vgl. auch Dem. 41 KpaTlaT05' f.1EV lYEVETO KavuJv) oder als Gewährsmann für die Wahrheit bestimmter Erkenntnisse (Dion Chrys. Or. 1,56f; 2,17f.; 36,32ff.; vgl. auch 11,4). Diese Elemente, die sich in verschiedenen Kontexten wiederholen, bilden offenbar die Umrisse eines stabilen semantischen Feldes, so daß unsere These, daß wir es hier mit phrasalen Lexemen zu tun haben, stark an Plausibilität gewinnt. Es ist zu beachten, daß dieses semantische Feld anscheinend keine feste religiöse Komponente hat, denn religiöse Vorstellungen fehlen fast immer in den unterschiedlichen Kontexten, in denen die Terminologie auftritt. Nur gelegent6 Es handelt sich hier also um eine Kurzbeschreibung der Denotation dieser phrasalen Lexeme.
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
169
lieh wird im Kontext ausdrücklich auf religiöse Erklärungen Bezug genommen (vgl. Dion Chrys. Or 36,32; 1,57f.). Dies impliziert, daß die ßELOS- avßpUJrTos-Terminologie in erster Linie eine profane Bedeutung hat und erst sekundär einer bestimmten religiösen Vorstellung zugeordnet werden kann. So ordnete Dion die ßELOL avßpUJrTOL, d.h. die Archegeten und Garanten der stoischen Weltanschauung, der allgemein bekannten Vorstellung der Inspiration durch die Musen zu. 7 Die Hypothese, daß uns in der ßELOS- avßpUJrTos-- Terminologie phrasale Lexeme begegnen, drängt sich auf, weil sie die Erscheinung der begrenzten Referenz der Terminologie und das Phänomen, daß die Terminologie immer in epistemologischen Kontexten auftritt, erklären kann. Sie gewinnt weiterhin an Plausibilität, weil man in einigen der hier analysierten Texte mit ihrer Hilfe Eigentümlichkeiten besser erklären kann als mit einer Deutung der Adjektive als relationelle Klassenadjektive bzw. Qualitätsadjektive. So ist es z.B. deutlich, daß die ironische Anwendung der ßELOS- avßpUJrTos-- Terminologie als Bezeichnung für die Redner in Dion Chrys. Or. 33,4 in ihrer Wirkung erheblich gesteigert wird, wenn man voraussetzt, daß der Ausdruck ßELOS- dvryp jenes Bild von Garanten der Wahrheit bzw. des Wissens, wie es aus den bisherigen Überlegungen in diesem Kapitel hervorgegangen ist, denotiert. 8 Dasselbe gilt für Dionysios von Halikarnassos' ironische Anwendung von 8aLl1ovLoS- / 8aLI10vu!JTaTosauf Platon in Dem. 7,28-35 und 26,23-28: Erst wenn man an diesen Stellen ein solches festumrissenes semantisches Feld voraussetzt, wird die Schärfe der beabsichtigten Ironie wirklich erkannt. Auch in Epiktets Ench. 15 kann mit Hilfe dieser Hypothese eine Kuriosität des Textes geklärt werden: Das nachgeschobene Kai l AlyoVTO ist eigentlich erst dann sinnvoll, wenn es darauf aufmerksam macht, daß Diogenes und Heraklit in Epiktets Umfeld als "ßELOL avßpUJrTOL / av8pES-" bekannt waren. 9 Dies wäre wiederum nur dann verständlich, wenn die Terminologie durch Institutionalisierung der Sprachgemeinschaft als gebrauchsfertige Einheit zur Verfügung stand. Genau dies aber behauptet unsere Hypothese, die besagt, daß uns in der ßELOS- avßpUJrTos-- Terminologie phrasale Lexeme begegnen. Versteht man nun die Funktion von ßELOS- an dieser Stelle so, dann sagt Epiktet, daß erst Heraklits und Diogenes' vollkommener Verzicht sie zu ßELOL (avßpUJrTOL) machte, d.h. daß sie erst durch diesen Verzicht zu jenen vollkommenen kynischen Vorbildern
7 Anlaß für diese Zuordnung kann durchaus die Tatsache gewesen sein, ()ELOS" auch als relationelles Klassenadjektiv auftreten kann. Denn es ist ein
daß das Adjektiv wichtiges Nebenprodukt der Polysemie, daß Sprachgebraucher immer das Potential der Doppeldeutigkeit, das die Polysemie in sich birgt, aktivieren können, so daß bei der Verwendung des Lexems in einer Bedeutung durchaus andere Bedeutungen des Lexems konnotiert werden können und von dem Sprachbenutzer aufgenommen werden kann. 8 V gl. Kap. 6.2. 9 V gl. die Überlegungen am Schluß von Kap. 5.
170
Teil 111: Semantische Analyse: BEtO.> KTA. in epistemologischem Kontext
wurden, und daß sie infolgedessen eben als "eELOL (avßpUJTrOL / aV8pE5')" bezeichnet wurden.
7.3 Die Hypothese auf dem Prüfstand Die Stärke einer Hypothese erweist sich an ihrem Potential, Probleme zu lösen. Deshalb soll die hier entwickelte Hypothese an dieser Stelle auf die Probe gestellt werden, indem geprüft wird, ob sie auch dort, wo der Kontext recht wenig oder gar nichts zur Bestimmung der Bedeutung des jeweiligen Ausdrucks beiträgt, erfolgreich als Erklärungsmodell angewandt werden kann, d.h. ob sie den Textbestand plausibel erklären kann.
7.3.1 Philodem
ffEpi (JEtJl/,
Fragment 10:
oE (JElOL KaAoVj.LEI/OL
Wir wenden uns zunächst der Analyse eines Textes zu, der eine Schlüsselrolle in der Entstehung der ßEL05' dv7j~Hypothese gespielt hat, nämlich Philodems llEpl ßE(JV, Fragment 10. Richard Reitzenstein verwendet in seinem Buch über die hellenistischen Mysterienreligionen 1o den Begriff ßEL05' avßpUJTro5' für eine bestimmte historische Erscheinung,11 die mit der raschen Verbreitung synkretistischer Kulte im Hellenismus zusammenhinge. Diese Kulte seien überall in der Ökumene von Wanderpredigern gegründet worden, die ihren Lehren durch Wunder und ekstatische Rede Glaubwürdigkeit verschaffen wollten.1 2 Etwa seit Anfang des zweiten Jahrhunderts habe sich eine allgemeine Vorstellung von dem ßEL05' avßpUJTro5' durchgesetzt. 13 In der dritten Auflage des Buches 14 zieht Reitzenstein ein Fragment Philodems heran, um zu belegen, daß solche herum10 Richard Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen. Ihre Grundgedanken und Wirkungen, Leipzig 1910. 11 Für Reitzenstein ist der ecLoS' dvryp ein Pneumatiker mit dem Selbstbewußtsein, er sei göttlich bzw. Gott. Reitzenstein versucht dies hauptsächlich an den Isis- und Hermeskulten zu belegen, vgl. bes. Mysterienreligionen, S. 22.38.122.126.129.143.151.159. 12 Mysterienreligionen, S. 11f. 13 Mysterienreligionen, S. 12f.Nach diesen orientalischen bzw. ägyptischen Religionen, die die Grenzen zwischen Gott und Menschen verwischten, tut der Zauberer bzw. Wundertäter seine Wunder in der geglaubten Vereinigung mit dem Gott. Reitzenstein erklärt die Erscheinung späterer Wundertäter wie Apollonios von Tyana, Alexander von Abonouteichos und Peregrinos Proteus auf diesem Hintergrund. Neben TTPOcpryT1]S' sei äVepUJTTOS' ecLoS' ein religiöser Ehrentitel für solche Wundertäter gewesen. 14 Richard Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen nach ihren Grundgedanken und Wirkungen. Dritte, erweiterte und umgearbeitete Auflage, Leipzig 1927, da S. 25f.237f.: " ... so scheinen ... Magier und Chaldäer oder ägyptische Wundertäter Italien zu durchziehen ... Es sind die bald danach von Philodem als die 'sogenannten ecLot' erwähnten Männer, aus denen Gott redet." Diese Deutung wurde in der ecLoS' dvryp-Forschung übernommen und weitertradiert; vgl. Bieler, BEJGL; ANHP I, S. 19f., der die Deutung Reitzensteins mit dem Widerstand der Epikureer gegen die sogenannten ecLOt äv8pcS' Alexander von Abonuteichos und Peregrinos Proteus in Verbindung brachte.
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
171
ziehenden Wundertäter kurz nach ihrem Aufbruch gen Westen als ecLOL aVepUJTTOL bezeichnet wurden. In dem Fragment heißt es: 15 ... ich halte seine Gedanken für ausgesprochen schwach und was auch immer ein solcher Mann den Kuriai Doxai des weisen Gründers, die über diese Thema handeln (av[7}p TalS' TTEpl ToD]TO ToD aocpo[D KTLaTov KvpLalS' aV]TEXV 8[O]~'alS'), entgegengebracht hat, ich konnte es nicht begreifen, wie ich auch in (seinen) anderen (Gedanken) nicht fündig werden konnte, wenn er nicht (sogar) nur ein Wortgefecht führen wollte. Denn er hat nicht auf den Rat (geachtet), den der Weise ihm gegeben hatte (8l0TTEp o[VX fjv l8wX eS] aocpoS' [ß]OVA[7j]V), sondern nur auf das, was die sogenannten eElol ihm empfehlen (äAX ä[TTEp äv TTapal]vwa[l]v ol e[E]lol KaAov[j1EvOl]) , als rezeptionswürdig hält er ...
Das Fragment stammt aus einer der schwer beschädigten herculanischen Papyrusrollen, die Philodems Schrift lTcpl ecwv umfaßte. Die Schrift behandelt die Frage nach dem Wesen der Götter und besteht aus zwei Teilen: Vorangestellt sind Erörterungen allgemeiner Art (KoI. 1-6), gefolgt von Einzelfragen (KoI. 7ff.).1 6 Nachdem Philodem die Frage nach dem Wirken der Götter besprochen hat (KoI. 7f.), wendet er sich in KoI. 9 der Frage nach den Furchtgefühlen der Tiere zu. Schon in Fr. 9A nimmt Philodem Bezug auf Polemik eines unbekannten Epikureers gegen einen Stoiker namens Dionysios,17 in Fr. 9B berichtet er aus dieser Polemik: 18 . .. denn er hat, als er merkte, daß Anaxagoras manchmal der Erfinder (seiner Gedanken) war ('Avafayopav l8[wv EVPET7}V]), sich des Streites mit ihm entledigt: überhaupt hat er begriffen, daß Dionysios sich auch anderes von den Worten anderer gegen uns angeeignet hatte (äM' äMwv [l]8lWaaI1EVOV Kae' ry[jL]wv), aus unterschiedlichen Lehren hat er allerlei zu Teppichen zusammengeflickt ...
Der Epikureer habe Dionysios des Plagiats überführt; dieser soll sich das Gedankengut von anderen angeeignet haben. Aus den Trümmern der 10. Kolumne geht hervor, daß Philodem die Frage nach der Furcht bei den Tieren durch einen Vergleich mit der menschlichen Seele zu lösen versucht. Diels zeigt, daß es kein Zufall ist, daß Dionysios bei diesem Thema seine Anleihe bei Anaxagoras gemacht hat, denn Anaxagoras stand schon im Hintergrund der Überlegungen Platons und Aristoteles' zu diesem Thema: Er hat als erster gelehrt, daß der N ous das Ganze beherrscht, die kleineren wie die größeren 15 Philodem, JJEpl eEWV, Fragment 10. Text in Hermann Diels, Philodemos Über die Götter. Erstes Buch. Griechischer Text und Erläuterungen, APAW.PH 7, 1915, Berlin 1916. Diels hat die Texte, die teilweise zur Unleserlichkeit verstümmelt sind, so weit wie möglich rekonstruiert. 16 Vgl. Diels, Philodemos, S. 49-55. 17 Es handelt sich um Dionysios von Kyrene, der ein Zeitgenosse des Panaitios war und im 2. Jh. v. Chr. wirkte, wie Diels, Philodemos, S. 55f., zeigt. Er vermutet, daß es sich bei dem Epikureer um den Lehrer Ciceros, Zenon, handelt, aus dessen Werken Philodem nachweislich schöpfte. 18 Text nach Diels, Philodemos, S. 17.
172
Teil 111: Semantische Analyse: eElo~
KrA. in epistemologischem Kontext
Lebenswesen (D/K 59 B 12), und daß die unterschiedliche Beschaffenheit der Sinnesorgane auch die Unterschiede in der Rationalität erkläre. 19 Diels zufolge ist das Subjekt des Verbs dtuJ in Fr. 10 mit aller Wahrscheinlichkeit dieser unbekannte Epikureer, der seine Polemik gegen Dionysios fortsetzt. Diels hat erkannt, daß ToD aoq;oD / aoq;oS" sich in diesem polemischen Kontext nur auf Epikur beziehen kann und daß 8[6] talS" sich infolgedessen auf seine Kuriai Doxai bezieht. Der epikureische Gegner (wenn der erste Satz von Dionysios' Zeitgenossen stammt, so gilt das ipso facto auch für den zweiten) fügt jetzt noch hinzu, Dionysios folge nicht dem Rate Epikurs, sondern halte sich eher an die Ratschläge der sogenannten eElOl (av8pES"). Der Terminus KaAoVj1EvOl deutet schon an, daß es sich hier um feststehende Terminologie handelt: um diejenigen, die als oi eElOl (av8pES") bekannt sind. Diese eElOl av8pES" sind von dem unmittelbaren Kontext her leicht zu bestimmen: sie sind jene Garanten des Wissens, auf die Dionysios sich beruft, nicht zuletzt jener Gewährsmann, den der epikureische Gegner ausgemacht hat, nämlich Anaxagoras. Fr. 9B macht jedoch deutlich, daß der Stoiker sich noch allerlei von anderen Gewährsmännern (aAl aAAWV l8lWaaj1EVOV / ETEPOLWV AOYWV TTap' aU7]Aa) für seine anti-epikureische Polemik (Ka8 ~j1CJv) zusammengesucht hat, aller Wahrscheinlichkeit nach von den berühmten Stoikern Zenon, Chrysipp und Kleanthes. Auf sie bezieht sich der Epikureer in seiner Polemik und verweist in demselben Atemzug noch auf seinen eigenen Gewährsmann, den weisen Epikur. 2o Darum treffen Diels' Ergänzungen KTLaT7]S" (Fr. 10) und EUPEn}S" (Fr. 9B) sachlich voll ZU: 21 wir haben schon hier oben gesehen, daß ein Gewährsmann einer Tradition auch Begründer oder Archeget der betreffenden Tradition sein kann. 22 Falls Philodern an dieser Stelle in seiner Formulierung tatsächlich von einem zeitgenössischen Gegner des Dionysios von Kyrene abhängig ist, haben wir hier ein Beispiel dafür, daß Epikureer sich im zweiten vorchristlichen Jahrhundert in der Polemik gegen andere Schulen der eElOS" aVepWTTOS"- Terminologie bedient haben. Falls Philodem hingegen den Satz doch selbstständig, d.h. unabhängig von seiner Quelle, formulierte, so bezeugt er, daß dieser Sprachgebrauch in der philosophischen Polemik des 1. Jahrhunderts gebräuchlich war.
19 Diels, Philodernos, S. 58f. Die Stoa ist jedoch nicht nur in diesem Punkt von Anaxagoras beeinflußt worden, sondern steht auch in der Physik in seiner Nachfolge. 20 Man kann also an den Erörterungen Reitzensteins beispielhaft studieren, wie irreführend es sein kann, den unmittelbaren Kontext bei der Bedeutungsbestimmung eines Wortes nicht als Korrektiv fungieren zu lassen. Obwohl im Kontext des Philodemfragments jeglicher Hinweis auf Wundertätigkeit und Vergöttlichung eines Menschen fehlt, wurden diese (nicht dem Text entnommenen) Vorstellungen mittels der Begrifflichkeit in den Text hineingetragen und der Text dadurch einem ihm völlig fremden sozialen Hintergrund zugeordnet. 21 In beiden Fällen wäre auch apXTJYoS' als sachgemäße Ergänzung denkbar gewesen. 22 V gl. Dion. Halik. De comp. verb. 24. Schon an dieser Stelle sei auf Iamblich VP 1 und 56 hingewiesen.
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
173
7.3.2 Panaitios Fr. 56 Die hier vorgeschlagene Hypothese gewinnt weiterhin an Plausibilität, wenn man die Panaitiosüberlieferung23 heranzieht. In Fragm. 5624 heißt es: Sollten wir aber Panaitios glauben, wenn er von seinem (verehrten) Platon abweicht? Ihn nennt er ja an jeder Stelle den Göttlichen, den Weisesten, den Heiligsten, den Homer der Philosophen (Quem enim omnibus locis divinum, quem sapientissimum, quem sanctissimum, quem Homerum philosophorum apellat), nur diese seine Ansicht über die Unsterblichkeit der Seelen billigt er nicht.
Dieses Fragment reflektiert noch deutlich den griechischen Sprachduktus des panaitischen Originals. Offensichtlich hat Panaitios Platon regelmäßig die Epitheta ßELOS- / ßEO"TTEO"LOS-, O"ocpwTaTos- und oO"u!JTaTos- / LEpwTaTos- beigelegt. Daß diese Bemerkung für die vorliegende Untersuchung grundlegende Bedeutung haben kann, geht aus den panaitischen Fragmenten hervor. Bekanntlich führte Panaitios die Stoa auf neue Wege, vor allem im Stil des Philosophierens, wo er die schroffe Polemik gegen die anderen Schulen ablegte und die Stoa für Einflüsse aus der Akademie und dem Peripatos öffnete. 25 Er wandte sich verstärkt den frühen Akademikern und Peripatetikern ZU 26 und räumte in manchen Fragen sogar ihren Ansichten vor denjenigen der stoischen Schulgründer den V orzug ein. 27 Dies ist besonders offenkundig in seinen Neuerungen in der Physik' wo er als einziger Stoiker infolge der Kritik der Neuen Akademie unter Karneades die Mantik und Astrologie aufgibt und angesichts der Einwände des Peripatetikers Kritolaos sogar auf die Ekpyrosislehre verzichtet. Auch in der Ethik ist der Einfluß der alten attischen Philosophie zu spüren, wenn Panaitios den Kosmopolis gedanken dem Staatsgedanken opfert und das theoretische Konstrukt des idealen Weisen für den alten hellenischen Gedanken des rechten
23 Panaetii Rhodii Fragmenta, hg. v. Modestus van Straaten, Leiden 1962. Zu Panaitios vgl. Max Pohlenz, Art. Panaitios 5, RE I 18.3, 1949, Sp. 418-440; ders., Stoa I, S. 191-207; John M. Rist, Stoic Philosophy, Cambridge 1969, S. 173-200. 24 Cicero Tusc. Disp. 132,79. 25 Fr. 55; vgl. Heinrich Dörrie, Art. Panaitios 4, KP 4, Sp. 447f. 26 Fr. 55 (Cicero De finibus 4,28,79): Quam illorum tristitiam atque asperitatem fugiens Panaetius nec acerbitatem sententiarum nec disserendi spinas probavit, fuitque in altero genere mitior, in altero illustrior, semperque habuit in ore Platonem, Aristotelem, Xenocratem, Theophrastum, Dicaearchum, ut ipsius scripta declarant. Zu deutsch: Ihre derbe Strenge und ihren trotzigen Starrsinn vermied Panaitios, er billigte weder die Härte ihrer Lehrsätze noch ihre spitzfindige Dialektik, in der einen Hinsicht war er milder, in der anderen klarer. Ihm waren Platon, Aristoteles, Xenokrates, Theophrast und Dikaiarch immer auf den Lippen, wie aus seinen Schriften hervorgeht. 27 Fr. 57 (Index Stoicorum, Pap. Herculanensis 1018, col. 61): 1'Hv rap luxvpws- rplACT TTAaTWV Kat rplAoaplUTOTEAT]S' aAAa Kat TTapEVE8wKE TWV ZT]VWElWV Tl 8ul Tryv 'AKa8r7j1Elav Kat rT]V JJEp[TTaTOV ... Zu deutsch: Er (sc. Panaitios) war ein großer Verehrer von Platon und Aristoteles und er gibt in einigem, was die zenonische Lehre angeht, der Akademie und dem Peripatos nach ... Vgl. dazu Rist, Stoic Philosophy, bes. S. 191-200.
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtoS KTA. in epistemologischem Kontext
Maßes aufgibt. 28 Indizien dafür, daß er sich mit Echtheitskritik der Schriften der Sokratiker beschäftigte,29 lassen sich sogar als Zeichen dafür interpretieren, daß er eine sokratische Philosophie angestrebt und die Stoa wie auch alle anderen zeitgenössischen Schulen von ihr abgeleitet habe. 30 Seine Neigung zu platonischen Ansichten war so auffällig, daß er gelegentlich in einern Atemzug mit den Platonikern genannt wurde. 31 Panaitios erneuerte die Stoa mit Hilfe von Gedankengut, das aus der Akademie bzw. dem Peripatos stammte. Es ist im antiken Kontext fast selbstverständlich, daß Platon und Aristoteles als Archegeten dieser philosophischen Traditionen für die Richtigkeit solcher Erneuerungen Pate stehen mußten. Cicero erwähnt, daß Panaitios Platon immer wieder die Epitheta ßEL05' / ßEaTTEaL05' / 8aL/16vL05', aoqxJTaT05' und vielleicht oauJTaT05' beilegte, vielleicht ein Indiz dafür, daß er ihn häufig als Garanten für bestimmte Erkenntnisse in Anspruch nahm. Diese Vermutung wird von dem Zusatz bestätigt, er habe Platon für den Homer unter den Philosophen gehalten, denn wie wir noch sehen werden, galt Homer gerade im Hellenismus als der größte Dichter aller Zeiten, außerdem als Archeget aller vernünftigen Erkenntnis. 32 Nach Panaitios kommt Platon ähnliche Würde in bezug auf die Philosophie zu. Aus diesem Panaitiosfragment geht also hervor, daß die ßEL05' avßpUJTT05'Terminologie im zweiten vorchristlichen Jahrhundert, als Panaitios die Stoa erneuerte, schon in Gebrauch war - und zwar vollständig in dem Sinn, wie wir es hier beschrieben haben.
7.3.3 Eine Inschrift zu Ehren des
BEtOS .ApVOZ7T7TOS?
Es dürfte auch bezeugt sein, daß die Stoiker den von ihnen verehrten Chrysipp als ßEL 05' XpvaL TTTT05' bezeichnet haben: Plutarch 33 überliefert die Tradition, Chrysipps Neffe und Schüler Aristokreon 34 habe gegen Ende des dritten Jahrhunderts (vielleicht noch zu Lebzeiten oder kurz nach dem Tod Chrysipps) ein Standbild von ihm mit der Inschrift Tov VEOV XPVUL TTTTOV 'APLO"TOKPEUJV aVE81]Kc T6JV 'AKa81]j1cLKWV uTpayyaA{8UJv KOTT{8a
28 Seneca Ep. 116,5. 29 Z.B. Fr. 124.126.130. 30 Pohlenz I, S. 194f. V gl. Fr. 126ff. 31 Fr. 59 (Proclus In Plat. Timaeum 50B): 32 V gl. Kap. 11. 33 Vgl. Plut. De stoic. rep. 2 (1033 E 5). 34 Vgl. Diog. Laert. 7,185.
JJava{TL05' j1EV Kat äMOL T6JV JJAaTUJVLK6Jv
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
175
aufstellen lassen. 35 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff hat die Inschrift aufgrund von Aristokreons Verwandtschaft zu Chrysipp zu TOV eELOV XPUO"L TTTTOV emendiert36 und zugleich mit der Totenverehrung in Verbindung gebracht. Karl Schefold schließt sich ihm an, interpretiert eELO:; hier jedoch nicht als "Oheim", sondern im Sinne von "göttlich", d.h. als Klassenadjektiv. 37 Für die Bestimmung der Bedeutung des Adjektives 8ELO:; an dieser Stelle ist es m.E. wichtig, auf den Wortlaut der zweiten Zeile zu achten, wo es heißt, Aristokreon habe "die Statue des göttlichen Chrysipp, des Messers der Fallstricke der Akademie" aufgerichtet. Diese Bezeichnung bezieht sich auf Chrysipps Platz in der Geschichte der Stoa, nämlich darauf, daß Chrysipp in Antwort auf die Kritik des Akademikers Arkesilaos der in eine Krise geratenen Stoa eine Neuorientierung verschafft hat. 38 Die Verbindung des Epithetons eELOS" mit Chrysipps intellektueller Leistung gegen die Akademie ist m.E. nicht zufällig. Als 8ELO:; aVepWTTO:; galt er gerade, weil er in diesem Abwehrkampf gegen die Akademie der Begründer und Archeget der modernen Stoa wurde, dessen Lehre in späteren Zeiten als stoische Orthodoxie galt. 39 Auf diesem Hintergrund gesehen gewinnt die Konjektur von Wilamowitz bzw. Schefold an Plausibilität, ohne daß man sie mit der unbeweisbaren Hypothese einer Vergöttlichung des Chrysipp durch die Stoa belasten muß. Ferner zeigt die Inschrift (unter der Voraussetzung, daß die Emendation stimmt), daß Chrysipp schon am Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts in der Polemik zwischen den philosophischen Schulen von seinen Schülern als 8ELO:; av8pwTTo:; bezeichnet wurde.
7.3.4 Plutarch von Chaironeia
Wir wenden uns nun wiederum den Schriften von Plutarch zu. An fünf Stellen (Pericles 8,2; Mor. 90C; 431E; 997C/D; 1119C) taucht die 8ELO:; aVepWTTO:;Terminologie ziemlich unvermittelt auf. In erster Linie wird sie in bezug auf Platon benutzt. An zwei relativ unbedeutsamen Stellen, nämlich in Pericles 8,2
35 V gl. Karl Schefold, Die Bildnisse der antiken Dichter, Redner und Denker, Basel 1943, S.124-127.211. 36 BEToS' = avunculus, vgl. Coniectanea, Index scholarum, Göttingen 1884, S. 15; auch Max Pohlenz, Plutarchs Schriften gegen die Stoiker, Hermes 74, 1939, S. 1-33., da S. 8, Anm.l; ders., Stoa 11, S. 18f. Die metrischen Unstimmigkeiten gaben schon in der Antike Anlaß zu Verbesserungsvorschlägen. Außerdem wurden in der Antike keine Statuen von jungen Philosophen aufgerichtet, vgl. Pohlenz, Hermes 74, 1939, S. 8. Falls das Wort BEToS' hier "Oheim" bedeutet, ist diese Inschrift natürlich für die hier vorliegende Fragestellung ohne Belang. 37 Schefold, Bildnisse, S. 126; vgl. auch die von ihm (S. 96) zitierte analoge Inschrift auf einer Aristotelesstatue, wo vom BEToS' 'ApLaTOTEA:r]S' die Rede ist. 38 Vgl. Pohlenz I, S. 29f.159-180. 39 Vgl. Pohlenz I, S. 164.
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Teil 111: Semantische Analyse: ecfo~ KTA. in epistemologischem Kontext
und Mor. 90C (De capienda ex inimicis utilitate)40 zitiert Plutarch jeweils mit einem Hinweis auf den eEL 0:; Platon aus seinen Schriften. 41 In beiden Fällen wird Platon als autoritative Quelle herangezogen, um das jeweilige Argument mit einem schlagenden Zitat zu untermauern. Dies ist im Kontext des PlutarchKorpusses gar nicht erstaunlich, steht Platon doch für Plutarch im Mittelpunkt all seiner philosophischen Bemühungen. 42 Für Plutarch war er die unangefochtene Autorität, der cj;LAoaocj;o:; 80'7] Kat 8Vval1EL TTPWTO:; (Mor. 700B). Zu Recht urteilt Ziegler: "Er [sc. Plutarch] sah ihn [sc. Platon] mit soviel unbedingter Gläubigkeit als Autorität an, daß er selbst seine offenkundigen Irrtümer ... zu verteidigen suchte ... ", und: "Verhängnisvoll wird ihm dabei [sc. in sprachwissenschaftlichen Fragen] seine blinde Rechtgläubigkeit gegenüber allem, was in Platon steht ... "43 Das würde bedeuten, daß Plutarch gerade dem Archegeten und Garanten seiner Philosophie die eELO:; avßpwTTo:;- Terminologie beilegt, was auf einer Linie mit unseren bisherigen Ergebnissen liegt. Plutarch schließt sich offenbar der bisher beobachteten Praxis an und benutzt die Terminologie im Sinne einer Bezeichnung für die Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition. Auch in der Schrift De defectu oraculorum (Mor. 431E) verwendet Plutarch die Terminologie in diesem Sinne, legt sie jedoch Lamprias, seinem Bruder und Dialogführer, in den Mund. Im Kontext einer Diskussion über den Rückgang der Orakelpraxis in Hellas sagt er: Denn, wenn die Seelen, die von dem Körper getrennt wurden oder auch diejenigen, die niemals am Körper teilhatten, Dämonen sind (l/lvxal 8a{/lOVESElcn), wie du (sc. Ammonios) meinst und auch der 8ELOS- Hesiod (KaTG. al Kai TOV 8ELOV 1!alo8ov), der sagte, daß sie "heilige irdische Wächter der sterblichen Menschen" sind, warum sprechen wir den im Körper weilenden Seelen diese Kraft, mit der die Dämonen von Natur aus begabt sind, die Zukunft vorauszuwissen und vorauszusagen, ab?
Lamprias legt sich eine Grundannahme für sein weiteres Argument (431E438E) zurecht, nämlich daß die Dämonen eigentlich körperlose Seelen seien. Daraus folge nämlich, daß die Seele von Natur aus auch die Fähigkeit des Vorhersehens habe. Er beruft sich dafür auf den ßEL 0:; Hesiod (Erga 123). An Hesiod hat gerade vorher auch Ammonios sich angeschlossen, als er Lamprias fragte: "Glaubst du, daß die Dämonen etwas anderes sind als Seelen, die, wie Hesiod sagt, "in Nebel gekleidet", herumgehen (OiEL rap ETEPOV TL TOU:; 40 C. Brokate, De aliquot Plutarchi libellis (Diss.), Göttingen 1913, S. 24ff. hat den Standpunkt vertreten, nur das Eingangs- und das Schlußkapitel der Schrift stammten von Plutarch. Das würde implizieren, daß auch die Verwendung der Terminologie in Mor. 90C nicht von Plutarch selbst stammt; vgl. jedoch Ziegler, Art. Plutarchos, Sp. 804. 41 Pericl. 8,2 = Phaedr. 270A; Mor. 90C = Nomoi 717C und 935A. 42 Mehr über Plutarchs Verhältnis zu Platon bei Jones, The Platonism of Plutarch, Menasha 1916 (Nachdruck in ders., The Platonism of Plutarch and Selected Papers, New York 1980). 43 Ziegler, Art. Plutarchos, Sp. 734f.926.
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
177
8aL/loVa5' Ti f VXG5' aVTa5' TTEpL TTOAELV Kaß' 1{a-Lo8ov [Erga 125] 7}Epa Eaaa/lEvOV5')?" Dieselbe Meinung vertrat schon an früherer Stelle im Dialog
Kleombrotos, der die mantische Fähigkeit des Menschen auf die Existenz der Dämonen als Zwischenwesen zwischen Mensch und Gott zurückführte (414F ff.). Er begründet seinen Standpunkt mit dem Hinweis, daß Hesiod der erste war, der die vier Arten von Lebewesen unterschieden habe (1{aLo805' 8l ... TTpCJT05' ltEßT}KE TCJV AOYLKCJV TEaaapa YEVT}, eEOV5' El Ta 8aL/loVa5' Ele' ijpwa5' TO 8' lTTl TTaaLv avßpwTTOV5': 415B). Hesiod habe auch die Transfor-
mation von der einen Art in die andere behauptet, auf deren Grundlage andere wiederum gelehrt hätten, daß die besseren Seelen von Menschen zu Heroen, von Heroen zu Dämonen, von Dämonen zu Göttern aufstiegen (415BC). Es ergibt sich das Bild, daß Hesiod im Rahmen des Dialogs als Archeget und Garant der Dämonenlehre dargestellt wird. 44 Auch wenn die vorgetragenen Lehren sich nicht einfach harmonisieren lassen, ist deutlich, daß man sich in diesen Fragen für die grundlegende Voraussetzung, daß die Dämonen die Seelen verstorbener Menschen seien, auf ihn als Autorität beruft. Ob Plutarchs Standpunkt mit einer der vorgetragenen Lehren identifiziert werden darf, ist eine alte Streitfrage. Hier muß zunächst festgehalten werden, daß er die Voraussetzung vom Aufstieg der Menschenseele zum Daimonion in der von ihm in anderen Schriften dargelegten Daimonionlehre festgeschrieben hat45 - auch dort begegnet der Hinweis auf Hesiod. 46 In Klammern ist darauf hinzuweisen, daß die eEloS' ällepWTTOS'-Terminologie in der unechten Schrift Consolatio ad Apollonium47 an zwei Stellen verwendet ist, einmal bezieht sie sich auf Homer (104D), einmal auf Platon (120C). In beiden Fällen wird sie ausführlichen Zitaten aus den zwei Großen der Vergangenheit vorangestellt (Mor. 104D-F: Od.18,130.136 und Il. 6,145; 120E-121E: der Jenseitsmythos aus Platons Gorgias 523a ff.). Diese Zitate bilden den Rahmen für die gesamte Sammlung an Zitaten, die Apollonios zum Trost angeboten werden. Sie stehen im Kontext einer Mahnung, daß die Vernunft das beste Mittel gegen Trauer sei. Pseudo-Plutarch stellt den Zitaten die folgende Bemerkung voran:
44 Auch hierin folgt Plutarch nur seinem Meister, vgl. z.B. Platon Krat. 397e-398a; Politeia 468e-469a. 45 V gl. Brenk, Imperial Heritage, 275 -294 zu einer Diskussion über die Entwicklung der in dieser Schrift vorliegenden Vorstellungen zur Dämonologie. Zu Recht zieht Brenk vor, bei Plutarch statt von einer Dämonologie (im Sinne einer Lehre der bösen Geister) eher von einer Daimonologie (im Sinne einer Lehre der 8aLf.10IlES' bzw. Zwischenwesen) zu reden. Zu Plutarchs überaus positiver Haltung zu seinem Landsmann Hesiod vgl. Ziegler, Art. Plutarchos, Sp. 873f. 46 V gl. die Berufung auf Hesiod in De genio Socratis 593D als Beleg dafür, daß die deinkarnierten Seelen Dämonen werden, die in der Tugend fortgeschrittene Menschen im Leben begleiten. Die Lehre vom Schutzdämon war für Plutarch sehr wichtig, vgl. 1124E, dazu DilIon, Middle Platonists, S. 211-224 47 Zur Unechtheit vgl. Ziegler, Art. Plutarchos, Sp. 793-801; Schmid-Stählin II, Bd. 1, S. 509.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS" KTA.
in epistemologischem Kontext
Dies und ähnliches kann man leicht bei sich und für sich erörtern und von anderen, den Alten und Weisen, vernehmen (Kat äMwv aKovaaL TTaAaLWV Kat aocpwv av8pwv), unter denen der ecLOS" Homeros der erste ist (dJv TTPWTOS" PEv EaTLv 6 ecLOS" tl0f1:TJP0S"). Er sagt ... Auch hier wird also die ecLOS" äVepWTTOS"-Terminologie als Terminus für den Archegeten des Wissens benutzt. Dies wird einige Zeilen später nochmals durch die Bemerkung bestätigt, mit der das erste Zitat Hesiods eingeleitet wird (i05D): 6 8E pcTa TOVTOV [sc. tl0PTJPOV] Kat Tij 80'0 Kat TtjJ XPOVtp ... 1faLo8oS". Noch eine weitere Bemerkung sei erlaubt: Trotz des überaus großen Umfangs des plutarchschen Schriftenkorpusses und der Tatsache, daß Plutarch sich sehr oft auf Homer bezieht,48 wird die ecLOS" avepwTToS"-Terminologie Homer niemals beigelegt, obschon der Ausdruck ecLOS" f'OPTJP0S" als Bezeichnung für Homer als den Archegeten griechischer Schriftstellerei und den Garanten griechischer Bildung im Hellenismus und in der Kaiserzeit fast zu einem feststehenden Ausdruck geworden war,49 der sehr oft in der Literatur vorkommt. Es ist die Überlegung wert, ob daraus zu folgern ist, daß Plutarch mit Absicht die Terminologie für jene zwei Großen der Vergangenheit reserviert hat, auf die er sich inhaltlich bezieht - in erster Linie natürlich auf Platon, jedoch in der für ihn wichtigen Frage nach dem Schicksal der hinauf- und herabsteigenden Seelen bzw. Dämonen auch auf Hesiod.
In Moralia 1119C kommt die eELOS- avepuJ7TOs-- Terminologie im folgenden Kontext vor: 50 Mit solchen Überlegungen [sc. über das Wesen des Menschen], die jeder Naturphilosoph anstellt, hebt Sokrates indes das Leben nicht auf (OUK avaLpcL TOV ßLOV). Doch jene Kundgebung im Phädrus ist entsetzlich und bedrohlich (8cLVa Kat TapaKTLKa) für unser ganzes Dasein, wo er es für nötig erklärt zu erforschen, "ob er ein Ungetüm sei, abenteuerlicher zusammengeschlungen und fürchterlicher aufgebläht als Typhon, oder eins, das von Natur ohne Aufblähung an göttlichem Lose in gewisser Weise Anteil hat"51. Indes durch diese Erwägung hob er doch das Leben nicht auf (yc ... OU TOV ßLOV avrjpcL) , suchte vielmehr durch sie den Wahnsinn und Hochmut aus dem Leben zu verbannen (EpßpovTTJaLaV ... Kat TOV TVcpOV) , auch alle widerwärtigen und überspannten Vorurteile und Prahlereien (TaS" ETTaXecLS" Kat VTTcPOYKOVS" KaToLryacLS" Kat pcyaAavxLaS"). Denn das ist der Typhon, den euer Herr und Meister (6 KaeryycpuJv) euch in reichlichem Maße beigebracht hat im Kampfe gegen Götter und göttliche Männer (Kat ecOLS" TTOAcpWV Kat ecLOLS" av8paaL).
Plutarch richtet sich in seiner polemischen Schrift Adversus Colotem gegen Kolotes 52 , der ein Schüler Epikurs und später Schulhaupt der epikureischen 48 Homers Ilias wird 436 mal, die Odysseia 221 mal zitiert; zu Plutarchs Verhältnis zu Homer vgl. Ziegler, Art. Plutarchos, Sp. 915. 49 V gl. die Überlegungen in Kap. 11. 50 Übersetzung von Otto Apelt, Plutarch. Moralische Schriften. Erstes Bändchen. Streitschriften wider die Epikureer, Leipzig 1926. 51 Phaidros 230A. 52 Vgl. Wilhelm Crönert, Kolotes und Menedemos. Texte und Untersuchungen zur Philosophie- und Literaturgeschichte, Leipzig 1906 (Nachdruck Amsterdam 1965); Rolf Westman, Plutarch gegen Kolotes. Seine Schrift als philosophiegeschichtliche Quelle (Acta Philoso-
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
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Schule in Lampsakos war. Kolotes' literarische Spezialität war die Polemik; er polemisierte besonders gern gegen Platon. 53 In jener verloren gegangenen Schrift, auf die Plutarchs Replik antwortet,54 polemisiert Kolotes gegen die Kyrenaiker, vor allem die sogenannte mittlere Akademie bzw. ihr damaliges Schulhaupt, Arkesilaos von Pitane, den Begründer der skeptischen Tradition in der Akademie. 55 Er ging so vor, daß er diejenigen Philosophen, auf die sich Arkesilaos anscheinend selbst berief,56 bekämpft, diskreditiert und der Lächerlichkeit preisgibt. Gegen alle richtet er den typisch epikureischen Vorwurf, daß ihre Lehren es unmöglich machen, mit externen Objekten umzugehen und darum auch, wirklich zu leben. 57 Plutarch tritt die Verteidigung der alten griechischen Philosophen an, die die Philosophie zu Ruhm geführt hatten (vrrEp ... T(JV dUwv cj>LAOUOCPWV ... ElS' TOVTO 8ofryS' CPLAouocp{av rrpoayayovTwv).58 Es handelt sich um einen Streit um Autoritäten....:. diejenigen der Akademie, die den Menschen das gute Leben brachten, stehen gegen Epikur und Metrodoros, deren Lehren dazu führten, daß die Menschen unsittlich wie Tiere leben «(fjv aYEvv(JS' KaI ßrypu/J8WS').59 Die vorliegende Aussage kommt im Schlußsatz von Plutarchs Widerlegung der Vorwürfe gegen Parmenides, Platon und Sokrates vor. 60 Hier werden die Wirkungen der jeweiligen wegweisenden Lehrer einander gegenübergestellt das, was Sokrates aus der Welt vertreibt, schafft Epikur gerade, nämlich Arroganz und Überheblichkeit. 61 Denn schon Epikur selbst kämpfte gegen die Götphica Fennica 7), Hersingfors 1955; ferner die ausgezeichnete Einführung von Einarson/De Lacy, LCL 14, S. 153-189. 53 Vgl. Crönert, Kolotes, S. 4, Fragmente von Replik auf Platon Lysis, Euthydemos und Politeia, ebd. S. 163ff. 54 JJepl ToD ÖTL Ta TWV äMwv cpLAOaOcpWV 86YflaTa OV8E (fjv EaTLV. 55 Zu Arkesilaos vgl. Carl Müller, Art. Akademie, KWdH, S. 23-47, dort 33-36.42f. 56 Es handelt sich um Demokritos, Empedokles, Parmenides, Sokrates, Platon und Stilpon, vielleicht auch den Parmenidesschüler Melissos von Samos, vgl. 1108B. Plutarch kommt in seiner Widerlegung nicht auf die Polemik gegen Melissos zu sprechen. 57 Demokritos, Empedokles und Sokrates zogen das Zeugnis der Sinneswahrnehmung über äußere Objekte in Zweift?l, Parmenides leugnete es, Platon hielt Meinungen darüber für wertlos, Stilpon erklärte Außerungen darüber für unmöglich, die Kyrenaiker machten gar keine Aussagen und Arkesilaos wollte niemandem zustimmen. Ausgangspunkt ist der epikureische Standpunkt, daß Sinneswahrnehmung ein physikalischer Vorgang und infolgedessen unfehlbar sei. Eine Rekonstruktion von Kolotes' Argumentationsgang und rhetorischer Strategie findet sich in EinarsonlDe Lacy, LCL 14, S. 157-182. 58 Mor. 1108BC. 59 Vgl. Mor. 1108C-E; in 1124Dff., bes. 1124D-F werden Epikur (und Metrodoros) die Lehren von Heraklit, Parmenides, Sokrates und Platon als Garantie für das gute Leben entgegengestellt. Auf jeder Seite der gesamten Schrift wird gegen Epikur und Metrodoros polemisiert. 60 Plutarch geht nicht in der Reihenfolge des Kolotes vor, sondern ordnet seine Antwort nach sachlichen Kriterien, vgl. 1113E. Infolgedessen behandelt er Demokritos und EmpedokIes zusammen, dann Parmenides, Platon und Sokrates, gefolgt von Erörterungen über Stilpon und schließlich über die Kyrenaiker und Arkesilaos. 61 In 1108B wird gerade die Milde und Liebenswürdigkeit von Sokrates hervorgehoben. Kolotes, der in einer vorher nicht gekannten Weise gegen all die anerkannten Autoritäten polemisiert, ist das beste Beispiel für diese Arroganz; vgl. 1124E.
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Teil 111: Semantische Analyse: BeioS' KTA. in epistemologischem Kontext
ter62 und die eELOL av8pES', die Archegeten und Garanten der Schulphilosphie, an. 63 Offenbar sind die eELOL av8pES' hier die ehrwürdigen Philosophen alter Zeiten, genauer gesagt die Archegeten der Akademie - nicht zufällig ist es nämlich, daß der Ausdruck gerade am Schluß der Erörterungen über Parmenides, Sokrates und Platon steht. 64 Wir wenden uns zum Schluß der Bezeichnung von Lykurg als 8ELOS' in Moralia 997CD zu. In einer rhetorischen Jugendschrift mit ausgeprägtem pythagoreischem Ton (De esu carnium 11, Mor. 996D-999C) verteidigt Plutarch den Vegetarismus. Er argumentiert, daß exzessiver Genuß in jedem Bereich notwendig zu einer Sittenverderbnis führt. In diesem Zusammenhang schreibt er: Darum befahl der ßELOS" Lykurgos in den drei Rhetren, daß die Türen und Dächer der Häuser nur mit Säge und Axt gemacht werden dürfen, ja, kein anderes Instrument darf benutzt werden; sicher nicht, weil er Bohrer oder Beile oder was auch immer für Feinarbeit benutzt würde, verpönt hätte, sondern weil er wußte, daß man nicht durch solch grobe Arbeit ein vergoldetes Bett hineinführt oder in ein solch einfaches Haus silberne Tafeln oder purpurne Decken oder kostbare Steine hineinbringt.
Hier wird Lykurgs Auftreten als Vorbild für eine saubere (typisch spartanische) Lebenshaltung angeführt - der Kontext bietet aber keine weiteren Hinweise, die die Verwendung von eELOS' an dieser Stelle aufhellen würden. Es wäre nun einerseits möglich, die Verwendung von eELOS' AVKOVprOS' an dieser Stelle auf die in Vita Lycurgi 31,4 überlieferte Tradition, er sei in Sparta wie ein Gott verehrt worden, zurückzuführen (lEpOV TE rap EaTLv aVTOV, Kat eVovaL Kaß EKaaTOV EVLaVTOV wS' 8E4J)65 bzw. auf das in 5,4 überlieferte berühmte Orakel der Pythia, in dem der Gott ihn "als einen Gottesfreund und einen Gott eher als einen Menschen" angeredet habe (eEOcpLAfj PEV aVTov i) JJvefa rTpOaELrTE Kat 8EOV pdUov ij av8pUJrTov).66 Gegen diese Lösung ist jedoch einzuwenden, daß Plutarch diese Gegebenheiten in der Tradition lediglich berichtet, ohne sich selbst jemals andernorts darauf zu beziehen. Wie wir noch zeigen werden, bezieht er sich in seinen anderen Schriften ausschließ62 Mehrmals bezieht Plutarch sich auf die "Gottlosigkeit" der Epikureer, z.B.1108C. Dagegen steht die Sicht der wahren Philosophen, vgl. 1124E. 63 Es ist kaum möglich zu bestimmen, ob Plutarch den Ausdruck schon bei Kolotes vorgefunden hat. Wir wissen jedoch, daß die ßELOS" avßpwTToS"-Terminologie in der epikureischen Polemik gegen die anderen Schulen eine Rolle gespielt hat, vgl. die Uberlegungen hier oben zu Philodem, lTEpl ßEWV, Fr. 10. 64 In 1120C bezieht sich Plutarch, obwohl er dort eigentlich von allen alten Philosophen spricht, explizit nur auf diese drei. In 1124DE werden sie unter Hinzunahme von Heraklit genannt, wenn Plutarch die Lehren derjenigen, die das gute Leben garantieren, hervorhebt. 65 Es kann nicht mit rein philologischen Mitteln entschieden werden, ob das WS" ßE4J Identität (i.e. "sie opfern ihm als einem Gott") oder nur scheinbare Identität (" ... als ob er ein Gott wäre") bezeichnet, vgl. zum Problem Smith, Prolegomena, S. 182, der meint, das letztere Verständnis sei in Griechenland üblich gewesen. 66 Das Orakel ist bei Herodotos 1,65 überliefert. Es wurde in der Kaiserzeit als moralische Auszeichnung verstanden, vgl. z.B. Philostratos, VA 8,7,7.
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
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lich auf Lykurgs Ruf, ein außergewöhnlich weiser und tüchtiger Mann gewesen zu seIn. Durchaus denkbar wäre es, das Adjektiv eELOS' an dieser Stelle als ein Qualitätsadjektiv im Sinne der im Teil 11 dieser Untersuchung vorgetragenen Bedeutung zu deuten: Dafür spricht außerdem der ausgesprochen ethische Kontext. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß Plutarch berichtet (Lyc. 5,4), daß das pythische Orakel in seinem berühmten Spruch Lykurg als 8EO
Die Zugehörigkeit der eELoS' aVepUJTTOS'- Terminologie zu einem Wortfeld, das aus Adjektiven wie ÖO'LoS', dyvoS' und EvaEß7}S' / 8EoaEß7}S' / eEO
V gl. hier oben Teil II.
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Teil 111: Semantische Analyse: eELO~ KTA. in epistemologischem Kontext
TOlS" r'EM7]al). Darum sagte Aristoteles, er habe in Sparta weniger Anerkennung als angebracht empfangen, obwohl er da die größte Anerkennung genießt.
Es ist ganz klar, daß Plutarch hier zeigt, daß Lykurg als der wirkliche Begründer des Verfassungswesens unter den Griechen zu betrachten ist: von ihm war sogar Platon in seinem Verfassungsentwurf abhängig. 68 Alle anderen Verfassungen stammen im Grunde genommen von seiner idealen Verfassung ab, nur seine hat sich einmalig in der Praxis bewährt. Nach Plutarchs Vita bestätigte das delphische Orakel ihm zweimal, daß seine Verfassung die beste mögliche sei. 69 Er sei also ein Gewährsmann für das politische Wissen, und damit auf diesem Gebiet höher eingestuft als Platon (eine nicht unbedeutende Leistung, wenn man Plutarchs abgöttische Verehrung Platons beachtet!).70 Die Tatsache, daß Plutarch in Mor. 997CD sich auf die Gesetzgebung Lykurgs beruft, um dadurch sein Argument zu stärken, legt nahe, daß die eELOS- avßpUJTros-- Terminologie in diesem Zusammenhang gebraucht wird, um mit dem Gewicht des Garanten und Archegeten der Verfassungskunde bzw. des politischen Wissens zu argumentieren. 71 Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die qualitative Verwendung der Begrifflichkeit hier vorliegt oder wenigstens konnotativ mitschwebt, so daß die qualitative und die "titulare" Verwendung sich gegebenenfalls überlappen, eine Möglichkeit, die bei Polysemie grundsätzlich immer gegeben ist.
7.3.5 Eine Inschrift aus dem 2. Jahrhundert:
eE[O~ E7T{KT7JTo~
Es bietet sich an, an dieser Stelle eine Inschrift zu erwähnen, in der Epiktet als ßELOS- bezeichnet wird. Obwohl Epiktet während des Zeitraums direkt nach seinem Tod, d.h. zur Zeit der großen Vorherrschaft des Stoizismus, sicherlich im griechischen Sprachraum bekannt war,72 gewinnt man nicht den Eindruck, daß er zu großem Ruhm aufgestiegen wäre. Seinen Ruhm gewann er erst später,
Vgl. Mor. 719BC. V gl. Lyc. 5,4: " ... und gab ihin auf sein Verlangen nach einer gesetzlichen Ordnung den Bescheid, der Gott gebe und gewähre ihm eine, die die beste sei von allen" (EvvoIlLaS" 8E Xprj(OVTl 8l8oval Kal KaTalvElv lep7] TOV ßEOV fj TToA-iJ KpaTLaT7] Tt!JV äMwv EaTal TTOAl TElt!JV); vgl. auch 29,4. 70 Dies ist umso plausibler, wenn man beachtet, wie gereizt Plutarch in Adversus Colotem 1127BC auf Metrodors Kritik an Lykurg (und Solon) reagiert - vor allem im Licht der Tatsache, daß es sich dort explizit um einen Streit um die richtigen Autoritäten, um die wahren Garanten der Tradition handelt; vgl. die Diskussion zu Adversus Colotem I1l9C hier oben. 71 Ziel der politischen Ordnung war die dPEn] TijS" TTOAEWS" (29,2) und Ev8alllovLa TfjS" TTOAEWS" (31,1), d.h. daß die Bürger frei, selbstgenügsam und vernünftig würden (ö TTWS" EAEVßtPlol Kal aVTapKElS" YEVOIlEvol Kal aweppovoDVTES"). Sie zielte also auf die ethische Besserung der Menschen. 72 Vgl. z.B. Lukian Alex. 2; Demon. 3.55;Vit. auct. 21; Markus Aurel 1,7; 4,41; 7,19; 11,34.36. 68 69
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
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nicht zuletzt im Christentum. 73 Um so mehr fordert eine Inschrift Aufmerksamkeit' die am Ende des 19. Jahrhunderts während der als The Wolfe Expedition bekanntgewordenen Reise des amerikanischen Philologen J. R. Sitlington Sterrett in Pisidien, am Ufer des Kodjaflußes in der Nähe von Anabura, gefunden wurde: 74 Der guten Tyche. Lies, 0 Fremder, und du wirst etwas Nützliches auf den Weg mitnehmen, indem du lernst, I daß (nur) derjenige, der dem Charakter nach frei ist, (wirklich) frei ist. I Halte die Natur selbst für den Maßstab der Freiheit eines Menschen, I wenn man (also) dem Gemüt nach innerlich frei ist I aufgrund eines aufrechten Herzens, das einen Menschen zu einem Adligen macht. I Und falls du den Freien so beurteilst, wirst du nicht fehl gehen. I Halte (also) den Stolz auf die Vorfahren für Unsinn und leeres Geschwätz. I Denn Vorfahren machen wirklich nicht zum freien Menschen: I Einer, Zeus, ist ja Vorvater aller, eine Wurzel haben alle Menschen, I aus ein und demselben Ton sind alle. Wer eine edle Natur zugeteilt bekam, I ist unverfälscht von nobler Herkunft und wahrhaft frei. I "Sklaven" nenne ich ohne Zögern einen schlechten Menschen, sogar "Erzsklaven ", I (nämlich) wer groß prahlt, obwohl innerlich sein Herz unedel ist. I o Fremder, Epiktet wurde von einer Mutter, die Sklavin war, geboren, I welchen unter den Menschen mein Herz immer für seine Weisheit pries. I Von ihm muß ich wohl sagen: (ein) fJELDS" war er (fJELDS" yiVEi). Wenn doch auch jetzt I ein solcher Mann, ein großer Gewinn und eine große Freude, I - alle wünschen es! - von einer Sklavin geboren würde!
Diese der Tyche 75 gewidmete Inschrift wurde in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts an einer Straße aufgestellt, wo ein Heiligtum bzw. eine Gebetsstätte ApolIons war. 76 Sie ist eine in Hexametern77 verfaßte Diatribe über die
73 Vgl. die ausgezeichnete Darstellung der Nachwirkung Epiktets sowohl in der heidnischen als auch in der christlichen Spätantike von M. Spanneut, Art. Epiktet, RAC 5, 1962, Sp. 599-681, da 615-678. In Rom übte er zwar bis 180 n. Chr. großen Einfluß aus (vgl. bes. Aulus Gellius Noct. 1,2,6-13; 2,18,10; Diss. 2,19,12-17; Mark Aurel 1,7; 4,41; 7,19; 11,34.36), nachher finden sich dort jedoch kaum Spuren von ihm. 74 J. R. Sitlington Sterrett (Hg.), The Wolfe Expedition to Asia Minor. Papers of the American School of Classical Studies at Athens. Volume III. 1884-1885, Boston 1888, da Nr. 438, S. 315f. V gl. auch Georg Kaibel, Inschriften aus Pisidien, Hermes 23, 1888, S. 532-545, da 541ff. Der schwer zugängliche Text ist dieser Untersuchung hier unten in einem Anhang beigefügt. 75 Nilsson, GgrR II, S. 198. 76 Kaibel, S. 541. Damit ist schon deutlich, daß es sich in dieser Inschrift nicht um eine kultische Widmung an den vergöttlichten Philosophen handeln kann, vgl. Betz, Art. Gottmensch II, RAC 12, S. 286, der aufgrund dieser Inschrift (mit Verweis auf Spanneut, Art. Epiktet) behauptet, daß Epiktet von den Stoikern (im kultischen Sinn) göttlich verehrt worden sei. 77 Abgesehen von den ersten zwei Zeilen, die in trochaeischen Tetrametern verfaßt wurden.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
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wahre Freiheit, in der offenbar stoisches Gedankengut verarbeitet wurde. 78 Schon der Eingangssatz reflektiert das stoische Verständnis der Freiheit, die ins Innere des Menschen verlegt wird. 79 Nicht nur taucht typisch stoisches Gedankengut wie die universale Abstammung des Menschen von Zeus (Z. 10) auf, sondern auch typische stoische Schlagwörter kommen vor. Mit opea Kpa8fa (Z. 6.14) ist der stoische op8oS' ,1oyoS' gemeint,80 auch der Terminus YVWIlT] (Z. 5) wird hier im stoischen Sinne als Bezeichnung für die menschliche Psyche benutzt,81 ebenso ist der Gebrauch von cpva"LS' als Maßstab für alles andere ein unverkennbar stoischer bzw. kynischer Gedanke. Des weiteren ist das Thema der wahren Freiheit im Gegensatz zur Scheinfreiheit, um das die Diatribe kreist, ein offenbar in der Stoa oft behandeltes Thema. 82 Auch der Argumentationsgang ist stoisch. In der Abstammung aller Menschen von der Gottheit, hier von Zeus (Z. 10-12a) gründet die wahre Natur aller Menschen (Z. 12b) und damit auch die wahre Freiheit und Nobilität (Z. 13).83 Darum ist es leeres Geschwätz, sich in Sachen der Freiheit großmäulig auf die Herkunft zu berufen (Z. 8f., vgl. 14). Frei ist nur, wer es im Inneren ist (Z. 5 Ev808EV; Z. 14 Ev80v), wer dem Charakter nach frei ist (Z. 3). Zum Adel gehört man nicht der Abstammung halber, sondern wenn man sein Herz bzw. den Logos aufrecht hält. Entsprechend ist derjenige, der sich zwar einer noblen Herkunft rühmen kann, im Innern aber unedel ist, d.h. nicht seinen Logos aufrecht hält,84 ein Sklave (Z. 14) bzw. unfrei. 85 Wenn die Freiheit von der inneren Einstellung abhängt, muß man die cpva"LS' als Maßstab der Freiheit anlegen, d.h. in Einklang mit ihr handeln (Z. 4). Urteilt man so über die Freiheit, wird man auch nicht in seinem Handeln irren. 86
78 Vgl. Epiktet 4,1,1ff.; Dion Chrys. Or. 14.15.80; und die Traktat~.Pro nobilitate von Ps.Plutarch und Quod omnis probus liber sit von (Ps.-) Phiion. Vgl. die Uberlegungen hier oben zu Epikt. Diss. 4,1,1ff. und Ench. 15. 79 Vgl. die zum Teil wörtliche Übereinstimmung mit Ps.-Philon, Quod omnis 3. 80 Vgl. Kaibel, S. 544. Zum Gebrauch der Termini Kap8la und AGYOS' als Bezeichnungen für die Seele des Menschen in der Stoa und insbesondere bei Epiktet vgl. Bonhöffer, Epictet, S.116-118.120-122. 81 Ebd. 82 Vgl. nur Epiktet Diss. 4,1. 83 Vgl. Epiktet Diss. 4,7,7f. 84 Vgl. die gebräuchliche stoische Terminologie: apyoS' AGYOS' und AGYOS' T]/lapT7]/lEvoS'; dazu Pohlenz I, S. 141ff.; Epiktet spricht von der arroO'rpoqyr] roD AGYOV, Diss. 4,3,4; vgl. Bonhöffer, Epictet, S. 116ff. 85 Z. 11 b-14 bilden einen Chiasmus: 11 b: 14, relative Bedingungssätze, Kontrast der edlen Natur und der unedlen Herzen; 12:13, Kontrast von cvrrarpl8aS' rfjvoS' und EAcVf)cpOS' aTpcKES' einerseits und 8oDAoS', KaKoS' und Tpl8oVAOS' andererseits. 86 Es ist berechtigt zu fragen, inwiefern in den Stichwörtern KplvcLV und a/lapraVcLv stoische Grundthemen anklingen. Der absolute Gebrauch von ou KcV a/laproLS' läßt vermuten, daß es sich hier um das sittliche Leben überhaupt handelt, die Zuordnung zu Kp{VcLV, daß hier auf das fundamentale sittliche Urteil überhaupt, auf die O'vYKaraf)cO'LS' oder vielleicht Epiktets rrpoalpcO'LS' angespielt wird. Falls dies zutrifft, wird nochmals deutlich, wie tief unser Verfasser im stoischen Denken verwurzelt war. Zum Gebrauch von KplO'LS' vgl. Bonhöffer, Ethik, Reg., S.v.; ders., Epictet, S. 168-173.
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Der Verfasser der Inschrift beruft sich für seine Ansichten auf jenen letzten großen Stoiker aus Phrygien, Epiktet, der selbst freigelassener Sklave war (Z. 15.19).87 Trotz seiner unfreien Geburt ist er der Welt ein OcjJcAOS" J1Eya KaL J1Eya xapJ1a geworden (Z. 18), ein Beispiel, das man sich noch ein Jahrhundert später herbeisehnte (Z. 18f.). Es kann kaum Zufall sein, daß sich der stoisch gebildete Verfasser dieser kurzen Diatribe über die Freiheit gerade Epiktet als Gewährsmann für seine Überlegungen wählte. Kein anderer Stoiker hat die Freiheit so wie er ins Zentrum der Ethik gerückt, ja zum Hauptthema der Philosophie schlechthin gemacht. Im ethischen System Epiktets avanciert die Freiheit zum Zentrum der Philosophie überhaupt. 88 Sie ist das oberste Gut, der Inbegriff der Tugend selbst. 89 Frei ist, wer lebt, wie er will. 9o In echt stoischem Sinne heißt es, daß nur derjenige tun kann, was er will, der nur das will, was er kann, was an ihm liegt, was in seiner Verfügung steht. 91 Darum ist für Epiktet der rechte Gebrauch der Vorstellungen durch die Seele bzw. den Logos zum Zentralbegriff geworden,92 der dem Menschen die Autonomie gegenüber der Außenwelt ermöglicht. Als Teilhaber am göttlichen Logos hat der Mensch die Fähigkeit, die Vorstellungen mit einem Werturteil zu begleiten und damit seine eigenen Zwecke zu setzen. Frei ist der Mensch nur, wenn er die Vorstellungen mit dem richtigen Werturteil begleitet, wenn er die gesamte Wirklichkeit unter der Einteilung Ta Erp' ryllLv und Ta OVK Erp' ryllLverfaßt: 93 Von dem Seienden steht das eine in unserer Macht, das andere nicht in unserer Macht. In unserer Macht stehen Urteil, Trieb zum Handeln, Begehren, Meiden, mit einem Worte alles, was unsere eigene Betätigung ist, nicht in unserer Macht der Leib, der Besitz, Ansehen, Würden, mit einem Worte alles, was nicht unsere Betätigung ist. Und das, was in unserer Macht steht, ist seiner Natur nach frei, nicht zu hindern, nicht zu hemmen; was aber nicht in unserer Macht steht, ist ohnmächtig, sklavisch, behindert, fremder Verfügung unterworfen. Merke dir nun: Wenn du das, was seiner Natur nach sklavisch ist, als frei ansiehst und das Fremde als dein Eigentum, dann wirst du gehindert werden, klagen, in Affekt geraten, Götter und Menschen schelten. Siehst du aber nur das als dein an, was wirklich dein ist, das Fremde aber, wie es der Fall ist, als fremd, so wird dich niemals jemand zwingen, niemand dich hindern; du wirst niemanden schelten und dich über niemanden beklagen; nichts wirst du wider deinen Willen tun, niemand wird dir schaden, keinen Feind wirst du haben; denn es kann dir nichts widerfahren, was dir schadet. In diesem Grundurteil (8la{pE(J"L5') über den Wert der Dinge, in der grundsätzlichen vernunftgemäßen Vorentscheidung (TTpoa{pEO"l5') ist der Schlüssel zur Freiheit zu finden: sie allein 87 Vgl. Kaibel, S. 543. . 88 Der Stamm EAEv8- kommt mehr als 120mal in den Schriften Epiktets vor. Vgl. außer Diss. 4,1 TTEpl EAEv8Ep{a5' auch 1,12,8-21; 2,1,21-28; 2,2,8-14; 3,22,40-49; 3,24,60ff.; 4,6,33; 4,7,6-11.; Ench 1.14. 89 Vgl. Diss. 4,1,52: aya86v aal BOKEL EAEv8Ep{a; TO IlEYlO"TOV. 90 Diss. 4,1,1. 91 Ench. 1 u. 2. 92 Epiktet unterscheidet drei Funktionen, mit denen die Seele auf die von der Außenwelt kommenden Vorstellungen reagiert: öPEtl5', opyrj, O"vYKaTa8EO"l5', d.h. Begehren, Trieb zum Handeln, Zustimmung. 93 Ench. 1,1-3, Übersetzung entnommen aus Pohlenz I, S. 330.
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macht frei, denn sie besteht darin, daß der Mensch sein Begehren, seinen Trieb zum Handeln, seine Zustimmung beschränkt auf das, was in seiner Macht steht, und auf alle Außendinge verzichtet. Wer Außendinge für Güter hält und sein praktisches Handeln darauf ausrichtet, muß notwendigerweise irgendwann seine Ziele verfehlen und in Affekt geraten. Wer sich nicht darüber im Klaren ist, daß Hab und Gut, Leib und Leben, Lust, Geld, Ehre und sozialer Status ihm nur zeitweilig geliehen sind und jederzeit von der Natur, d.h. von Gott, zurückgefordert werden können, wird zum Sklaven dieser Dinge. Genauer gesagt ist er dann Sklave seiner Affekte, die logische Folge seines Fehlurteils über die Wert der Dinge. 94 Jeder, der unglücklich, aufgeregt oder traurig ist, ist unfrei, ein Sklave seiner falschen Meinungen, ungeachtet seines sozialen Standes, sei er König oder Kaiser, Tribun oder Praetor, Konsul oder Freigesetzter. 95 Frei ist nur derjenige, der sich dem Gang der Dinge, d.h. der Natur bzw. Gott bewußt und aus eigenem Willen unterordnet. Trotzdem ist seine Autonomie nicht bedroht, den er lebt nach dem stoischen Grundsatz, "einstimmig mit der Natur zu leben", d.h. im Einklang mit seiner eigenen Natur, seiner göttlichen Vernunft zu handeln; er lebt, wie er will, weil er nur das will, was er kann. 96
Die Inschrift thematisiert nicht nur das Thema der Freiheit im Gegensatz zur Scheinfreiheit, das ebenfalls an mehreren Stellen von Epiktet angeschnitten wird,97 sondern in einigen Stellen klingt vielleicht sogar Abhängigkeit von Epiktet selbst an. Die in Z. 8f.(14) ausgesprochene Geringschätzung der Abstammungsverhältnisse ähnelt in auffälliger Weise Epiktets Äußerungen in Diss.4,1,6-10.57f.: (6) Falls ein zweimaliger Konsul dies hören würde und du würdest hinzufügen: "Du bist aber ein Weiser. Dies betrifft dich keineswegs!", wird er dir zustimmen. Würdest du ihm aber die Wahrheit sagen: (7) "Du unterscheidest dich was das Sklavensein angeht in nichts von denjenigen, die schon dreimal verkauft worden sind!" (TWV TptS- TTcTTpaf.1EvUJv OU8EV 8LacpEpELS- TTPOS- TO f.1r] Kat aUTOS- 80VAOS- ELvaL), was anders als Schläge müßtest du erwarten? (8) Er würde sagen: "Wieso bin ich denn ein Sklave (80VAOS-)? Mein Vater war frei (EAEVeEpOS-), meine Mutter war frei (EAEVeEpa), es gibt für sie keinen Kaufvertrag. Ich bin auch Senator und ein Freund des Kaisers, ich war Konsul und ich besitze selbst viele Sklaven." (9) Erstens, verehrter Senator, vielleicht war auch dein Vater in der gleichen Weise Sklave (80VAOS- tjv), so auch deine Mutter, Großvater und der Reihe nach alle deine Vorfahren. Und auch wenn sie sogar im vorzüglichsten Sinne frei waren (tjaav EAEVeEpOL), was hat dies mit dir zu tun? (10) Denn warum, wenn diese adlig waren (YEvvafoL tjaav) , bist du unedel (dYEVVrls-), wenn die furchtlos waren, bist du voller Angst, wenn sie maßvoll lebten, lebst du zügellos? ... ... (57) Siehe, bitte sehr, nicht seine Großeltern oder Urgroßgeltern an und suche keinen Kauf- oder Verkaufvertrag, sondern wenn du hörst, daß er aus seinem Innern oder aus Leidenschaft "Herr" sagt, auch wenn ihm zwölf Faszes vorausgingen, nenne ihn "Sklave" (AEYE 80VAOV). Und falls du hörst, daß er sagt: " Ach ich elender, wie schwer habe ich es", nenne ihn "Sklave" (AEYE 80VAOV). Falls du siehst, daß er sich einfach bejammert, daß er schilt, daß er aus dem Gleichgewicht geraten ist, sage, daß er ein Sklave mit toga praetexta ist V gl. Ench. 2 u. 11; Diss. 4,1, bes. 6ff.33ff.81ff.144. Diss. 1,4,52-61. V gl. z.B. Diss. 4,1 ,89ff.; 7,20ff. 97 Diss. 3,24,66-77.95-102; 4,1,6-23.51-65. 94 95 96
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
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(AEYE 80UAOV TTEPLTTOPcjJVPOV ExovTa). (58) Wenn er jedoch keins von diesen Dingen tut, halte ihn dann aber noch nicht für frei (j1r7TTW ElTT1]S' EAEVBEpOV) , sondern erforsche seine Ansichten, ob sie nicht etwa unter Zwang stehen oder ein Hindernis bilden oder zu Unglück führen.
Man möchte fast glauben, daß auch das relativ ungebräuchliche Wort TPL8oVAOS' in Z. 13 eine Anspielung auf Epiktets Satz (§ 7) beinhaltet, in dem es heißt, daß sich der Edelmann in bezug auf das Versklavtsein in nichts von denjenigen, die schon dreimal als Sklaven verkauft worden sind, unterscheidet. Auch das sich viermal wiederholende AEYE 80VAOV bei Epiktet (§ 57f.) scheint in Z. 13 einen Widerhall zu finden. Man kann nicht mit Sicherheit eine Abhängigkeit der Inschrift von Kodja von Epiktet feststellen. Zweifelsohne jedoch bewegt sich der Text im Rahmen typischen epiktetschen Gedankengutes, so daß man einen gewissen Grad von Vertrautheit des Verfassers mit Epiktets philosophischen Gedanken voraussetzen darf. Nur dies würde auch erklären, daß er sich in seinem Lob auf Epiktet (Z. 16f.) nicht einfach auf sein vorbildhaftes Leben bezieht, sondern auf seine O'ocpLa, die ja in der Stoa als ETTLO'Tr]PTJ T6JV ßELUJV Kai avßpUJTTLVUJV TTpaypaTUJzfi 8 definiert wurde. Epiktet wird wegen seiner Einsicht in die Freiheitsproblematik, durch die er den Menschen von großem Vorteil und Nutzen war (Z. 15), von dem unbekannten Verfasser als Garant für seine in Fels gehauene Botschaft herangezogen. Auf diesem Hintergrund ist es einleuchtend, daß er in Z. 17 von Epiktet sagt, er sei ßELOS' gewesen.9 9 Auch dieser Text zeigt, daß die ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie regelmäßig in Kontexten benutzt wird, wo man sich auf eine Autorität beruft, die als Garant für das beanspruchte Wissen gilt, entweder im Sinne des Archegeten der besonderen Wissenstradition, oder aber in dem Sinne, daß die jeweilige Autorität die Erkenntnis zu einem Höhepunkt geführt hat. Auch hier ist es nicht möglich, von einer Verehrung im religiösen Sinn zu reden.
98 SVF 35.36.1017. Poseidonios wandelt sie zu ETTLaTrjj11] TWV BElWV Kat avBpWTTlVWV TTpaYj1aTWV Kat TWV TOVTWV alTlwv ab (Phiion, Congr 79), was von einigen späteren Stoikern übernommen wurde, so Seneca, Ep. 89,4-8. Epiktet benutzt aocjJla nur einmal und definiert sie als ETTLaTrjj11] TTEpt BEOU, Frg. 151. Der Unterschied zwischen aocjJla und cjJLAoaocjJla wurde übrigens oft in der Stoa verwischt; dazu Bonhöffer, Epictet, S. 1f. 99 Kaibel, S. 544f. meint, daß ein Mensch, der seiner Gottverwandtschaft entsprechend lebt, d.h. ein Weiser ist, nach stoischem Verständnis ein Gottverwandter wird und daß der Verfasser ihn in diesem Sinne göttlich nennt. Dagegen spricht aber, daß in dem Text von der Tugend Epiktets gar nicht die Rede ist, geschweige denn davon, daß er der vollkommene Weise wäre. Die Tatsache, daß Epiktets tugendhaftes Leben im Text nicht angesprochen wird, spricht auch dagegen, BEioS' hier als Qualitätsadjektiv im Sinne von Markus Aurelius 7,67 oder Diog. Laert. 7,119 (vgl. Kap 3.2 und 3.3) zu verstehen.
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtOS' KTA. in epistemologischem Kontext
7.3.6 Ironischer Gebrauch der fJELoS aJ/fJpUJ1ToS- Terminologie bei Lukian 7.3.6.1 Rhetorum praeceptor 13 Lukians Schrift P1]TOPWV 8L8aO"KaAos- ist eine bitter ironische Satire auf die zu seiner Zeit herrschenden Praktiken der Sophistik, auf jene Rhetoren, die oft als regelrechte Banausen den Aufstieg in die Publikums gunst schafften, indem sie mit Hilfe allerlei theatralischer Kunstgriffe rhetorische Kompetenz vorgaukelten. Sie ist als eine Anweisung eines Beraters an einen Jungen, der ein Redner werden möchte, strukturiert. Der Berater bedient sich des bekannten Motivs der zwei Wege und verspricht dem jungen Kunden, ihm nicht den beschwerlichen Weg, den er selbst noch gegangen war,100 sondern einen denkbar leichten, kurzen und genußreichen Weg zum Ziele zu zeigen. 101 Es komme eben darauf an, den richtigen Führer zu wählen: 102 Der Führer der unwegsamen Strecke (0 TijSTpaXELas- 080D i]YEj1WV) werde den Aspiranten auffordern, in den Spuren der großen Rhetoren der Vergangenheit, eines Platon (9), eines Demosthenes (9.10) oder eines Aischines (10) zu wandeln. Er werde ihm die alten Meister als uralte Vorbilder ( ... O"E KEAEVO"EL (1]AoDv EKELVOUS- TOUS- apxaLous- av8pas- fWAa TTapa8ELyj1aTa TTapaTLßELs-)103 sowie alte Tote zur Nachahmung (VEKpOUS- Eisj1Lj11]O"LV TTaAaLous- TTPOTLßEis-)104 empfehlen. Anders als dieser altmodische und ewiggestrige Führer, der einen über einen unwegsamen Pfad mit viel Mühe und Arbeit führe, gehe der Führer des leichten Weges voran. Der Berater verweist den jungen Aspiranten auf sich selber als Paradigma: Er werde ihn baldigst zu einem Redner machen, der (wie er selbst) besser als alle anderen sei ( ... KavTos- ... TTpiv ifALOV 8DvaL !n7Topa O"E vTTEP TOUS- TTavTas- aTToq;av(J, O[OS- aUTOS- Eij1L), indem er ihm unterwegs persönlich einiges vorführe und einige Ratschläge unterbreite (ä j1EV TTPOl'oVTL ETTr 8ELKVUS- KaTG. nJv 080v, ä 8E Kai TTapaLv(Jv).1 05 Explizit lehnt er die alten Meister Isokrates, Demosthenes und Platon als Paradigmata ab (17). In diesem Kontext kommt die 8ELOS- av8pwTTos--Terminologie vor: Wenn der Führer dem Jüngling auf dem unbeschwerlichen Weg begegnet, spricht er ihn mit folgenden Worten an: 106 Hat dich etwa, mein Teuerster, (wird er sehr bescheiden sagen), der pythische Gott zu mir geschickt, um mich dadurch für den größten Redner zu erklären (1Tp6S' f1E p7]T6pwv TOV äPLUTOV 1TPOUEL1TWV), so wie er ehmals dem Chärephon, auf seine Anfrage, den weisesten aller damals lebenden Menschen zeigte (rlJU1TEP ÖTE XaLpEcjJwv ifPETO aUT6v, l8EL(EV ÖUTLS' Tjv 0 uocjJwTaToS' EV
100 Rhet. praec. 8. 101 Rhet. praec. 3.6ff. 102 Rhet. praec. 3.9.11. 103 Rhet. praec. 9. 104 Rhet. praec. 10. 105
Rhet. praec. 15, vgl. auch 14.25.
106 Rhet. praec. 13f. Übersetzung von Wieland/Werner/Greiner-Mai.
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TOL:; TOTE)? Oder kommst Du etwa bloß auf meinen großen Ruf von freien Stücken zu mir, da du gehört hast, was für erstaunliche Wirkungen meine Reden tun, wie mein Lob von aller Welt gesungen wird und wie mich alles anstaunt und die Segel vor mir streicht? Wenn dies ist, so sollst du gar bald aus eigener Erfahrung überzeugt werden, zu was für einem 8aLjioVLo:; Manne du gekommen bist (auT{Ka jiaAa EL07J TTPO:; OLOV TLva 8aLjiovLoV äv8pa f]KEL:;). Erwarte nichts zu hören, was sich mit diesem oder jenem vergleichen ließe! Der Unterschied ist so ungeheuer, so außer aller Proportion, daß dir zumute sein wird ... ; denn du wirst finden, daß die anderen so weit von mir übertönt werden ... (14) Weil du aber selbst ein Redner zu werden wünschest und dies durch keinen anderen leichter werden kannst: so horche nur, 0 du Glücklicher, mit lehrgierigem Ohr auf das, was ich sagen werde, und habe die Gesetze, die ich dir geben werde, unverwandt vor Augen (ETTEl 8E Kal P7}TWP aUTO:; t8E AEL:; 'YEVEa8aL Kal ToDTO OUK äv TTap' äAAOV pijov jia80L:;, ETTOV jiOVOV, tJ jiEAryjia, OL:; äv ELTTW Kal (7}AOV TTaVTa, Kal TOU:; VOjiOV:; OL:; äv tTTL Tafw xpija8aL aKpLßw:; jiOL TTapaepVAaTTE)!
Dieser Führer setzt sich selbst an die Stelle der alten Garanten der rhetorischen Tradition. 107 Nicht sie, sondern er steht als Garant für den Erfolg: Von niemand anderem könne man besser erfahren, was nötig ist, um ein guter Redner zu werden. l08 Wie Sokrates damals von der PytQia als der weiseste Weise bezeichnet wurde, so sei er der apluTo:; TWV P7]TOpUJV. Wenn also dieser 8l8duKaAo:; P7]TOPUJV sich als 8alj1ovlo:; dvrjp bezeichnet, läßt Lukian ihn den Anspruch erheben, sich auf einer Ebene mit den alten Garanten der Kunst der Rhetorik, den wahren 8alj10Vlol av8pc:;,109 zu befinden oder sie gar zu übertreffen. 110 Das Ganze gewinnt um so mehr an Brisanz, wenn man bedenkt, daß man schon in der Antike diesen Führer mit Pollux, der den Rhetoriklehrstuhl in Athen seit 178 n. ehr. innehatte, identifiziert hat. 111 Lukian verwendet also die Begrifflichkeit hier im ironischen Diskurs - der Text gewinnt jedoch offensichtlich einiges an ironischer Schärfe, wenn man die Verwendung der Terminologie als Bezeichnung für den Garanten einer Erkenntnistradition, wie wir es hier oben als Hypothese formuliert haben, voraussetzt.
107 Vgl. ETTEa8aL ... TTapaKEAEvojiEVO:; (9) / ETTOV jiovov OL:; äv ELTTW (14); KEAEvaEL (ryAoDv tKE{VOV:; TOU:; apxa{ov:; äv8pa:; (9, vgl. auch 10) / (7}AOV TTavTa (14). 108 Rhet. praec. 14: ETTEl 8E Kal P7}TWP aUTO:; t8EAEL:; 'YEVEa8aL Kal ToDTO OUK äv TTap' äMov pijov jia80L:;, vgl. auch § 12. 109 Zum Gebrauch der 8ELO:; äv8pWTTO:;- Terminologie für Platon als Garanten der Rhetorik vgl. Philostratos, Ep. 73, ferner die Überlegungen hier oben zur Verwendung der Terminologie im Zusammenhang mit Platon bei Dionysios von Halykarnassos. 110 In § 11 wird er als TTavaoepo:; auf die Bühne geführt. V gl. die genaue Parallele in Dio Chrys. Or. 33,4 (80KELTE jiOL TToMaKL:; aKryKoEvaL 8E{WV av8pwTTwV, oLl TTavTa El8EvaL epaal Kal TTEpl TTavTwv tPELV), wo die Terminologie ebenfalls ironisch verwendet ist. 111 Aufgrund von Rhet. praec. 24, wo er sagt, er habe seinen Namen geändert und sei jetzt ein Namensgenosse von Zeus und Ledas Kindern, d.h. von Polydeukes Pollux und Kastor. Vgl. Helm, Art. Lukianos, RE I 13.2, Sp. 1758; Harmon, LCL 4, S. 133.
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Teil 111: Semantische Analyse: 8EloS"
KrA. in epistemologischem Kontext
7.3.6.2 Philopseudes 32 Auch in seiner Schrift Philopseudes verwendet Lukian die Terminologie im ironischen Diskurs. Die Schrift ist ein Fabelkranz, der in einem Dialog zwischen Tychiades (Lukian) und einem Philokles geführt wird. Sie ist eine Satire über die Leicht-und Abergläubigkeit der Philosophen: Tychiades berichtet nämlich, welch fabelhafte, abergläubische und unglaubwürdige Mythen die sonst so ehrwürdigen und vertrauenswürdigen Philosophen glauben und verbreiten. 112 Der skeptische Tychiades, der sich die unglaublichsten Lügengeschichten, die für Tatsachen und die Wahrheit ausgegeben wurden,113 anhören mußte (7-28), setzte seine letzte Hoffnung auf den "berühmten" Pythagoreer Arignotos, der ihm in seinem Widerstand gegen die Lügnerphilosophen Hilfe leisten sollte. Er bekam jedoch lediglich noch eine weitere märchenhafte Wundergeschichte serviert. 114 Diesem Arignotos wird jetzt von Tychiades / Lukian die Bezeichnung 8aLj16vLo:; dvrjp beigelegt: 115 Hernach kam der Pythagoreer Arignotos herein ... - du kennst den wegen seiner Weisheit gefeierten Mann (do{8llloV ETd Tfj aocp{q.), der den Beinamen "der Heilige" hat (70V lcpov E1Tovolla(ollcvoV). Und als ich ihn sah, atmete ich auf, in der Meinung, jetzt sei gerade das gekommen, was ich brauchte, gewissermaßen eine Axt gegen die Lügen; der weise Mann (6 aocpos- dvf}p) , meinte ich, werde ja allen, die solche Wunder erzählen, den Mund stopfen, und ich glaubte, von Tyche sei er mir, wie es im Sprichwort heißt, als ein Deus ex machina gesendet worden ... (32) Als aber Arignotos gesprochen hatte (sc. eine von ihm ausgeübte Dämonenvertreibung), ein dvr,p 8allloVlOS- Tr,V aocp{av Kat ä1TaalV al8ialllos-, da gab es unter den Anwesenden niemanden mehr, der mich nicht großer Torheit bezichtigt hätte (ös- OUXt Ka7cy{ yvwaKE IlOV 1TOM.r,V rr]v ävolav), weil ich solchen Dingen den Glauben versagte, und das, wo ein Arignotos sie erzählte. Ich aber hatte gleichwohl keine Angst vor . R u, f den er geno ß ('cyw, 8'c. . . 7pcaas/ '" , ... seInem ... OVTc 7TJV 8/): o~ av TT]V 1Tcpt aU7ou), und sprach: "Was ist das, Arignotos? Auch du, einzige Hoffnung der Wahrheit (ry IlOVTJ EA1TtS- TijS- dATJBc{as-), warst ein solcher, voller Rauch und Phantastereien? ... "Wenn du aber", erwiderte Arignotos, "nicht meinen Erzählungen glaubst (cl Ilr7Tc Ellot 1TlaTcvclS-) ... , welchen Mann hältst du für glaubwürdiger (7{va 1Tcpl 7WV TOlOV7WV dflo1Tla707cpoV iJy(f) in diesen Dingen, wenn er das Gegenteil von unseren Ansichten behauptet?" "Beim Zeus", sprach ich, "einen sehr bewundernswerten Mann aus der Vorzeit, Demokrit von Abdera (llaAa BavIlaa70v äv8pa 70V 'Aß8TJpoBcv EKcLVOV L1TJIlOKPl70V) ... " "Damit meinst du", erwiderte Eukrates, "daß auch Demokrit ein unvernünftiger Mann gewesen ist, wenn er wirklich so dachte (dVOTJ70V 7lva äv8pa Kat 70V L1TJIlOKPl70V ycviaBal, cL yc OU7WS- Ey{yvwaKcv) "
112 Es handelt sich um die Philosophen Kleodemos, einen Peripatetiker, Ion, einen Platoniker, Deinomachos, einen Stoiker (vgl. § 6) und die zwei Pythagoreer Arignotos und Eukrates (§§ 29.30.34) - alle sind natürlich fiktive Gestalten. 113 Philops. 5.27f. 114 Philops. 29-32. 115 Philops. 29.32. Übersetzung nach Karl Mras.
7. Vorläufiges Ergebnis und Hypothese
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Auch hier handelt es sich um zuverlässige Autoritäten (Tiva dtLoTTLaToTc pov i]rfj), die die Wahrheit garantieren können. 116 Arignotos, berühmt für seine Weisheit (doi8L/10V {TTL Tij aocjJig / aocjJos- dvryp / i] 80ta i} TTEPL aVTOV) , bürgt für die Wahrheit (TTEAEKVS- KaTa TWV ij;Eva/1aTUJv / i) /10Vl] {A TTLS- TfjSdAl]ßEias-).117 Als er sich den Lügengeschichten anschließt, befindet sich Tychiades auf verlorenem Posten - wie kann man wohl gegen einen Garanten der Wahrheit, einen dvTjp 8aL/1ovLoS- nJv aocjJiav, antreten? Mit unverkennbarer Ironie bezeichnet Lukian den lügenden Weisen als 8aL/1ovLoS- dvrypl18 und stellt ihm gleich nachher Demokrit von Abdera als Garant seiner eigenen skeptischen Erkenntnis entgegen.
7.4 Fazit Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich die hier formulierte Hypothese vorläufig an den analysierten Texten bewähren konnte, denn auch hier konnten wir die begrenzte Referenz der ßELOS- avßpUJTTos-- Terminologie beobachten und auch hier fällt auf, daß sie in vorwiegend epistemologischen Kontexten auftritt. So taucht die Terminologie in Kontexten auf, in denen der jeweilige Schriftsteller seine Argumente mit Hilfe eines Verweises auf eine besondere Autorität, den ßELOS- avßpUJTTos-, untermauert (Plutarch Mor. 90C; 431E; Pericles 8,2; AnaburaInschrift) bzw. sich generell in eine bestimmte Tradition stellt, deren Wahrheit von dem ßELOS- avßpUJTTos- garantiert wird (Panaitios Fr. 56; vgl. auch Plutarch Mor. 90C; Pericles 8,2), ferner in Kontexten, in denen der Konflikt zwischen verschiedenen Erkenntnistraditionen thematisiert wird (Plutarch Mor. 1119C; Philodem JIEPL ßEWV, Fr. 10). Die Deutung, daß mit der ßELOS- avßpUJTTos-- Terminologie ein Referent als Garant bzw. Archeget einer betimmten Tradition ausgezeichnet wird, paßt vorzüglich zu solchen Kontexten. 119 Im Fall von Plutarch und Panaitios läßt sich zudem aus dem weiterem Kontext, d.h. aus den übrigen Schriften bzw. Fragmenten, bestätigen, daß die von ihnen als ßELOSKTA. bezeichneten Personen für sie tatsächlich diese Rolle innehatten.
116 Der Kontext ist eindeutig ein epistemologischer: Viele Lexeme und Ausdrücke im Text gehören dem Wortfeld Erkenntnis/ Unkenntnis an, vgl. z.B. KaTaYLyvwaKELv / YLyvwaKELv / TTLaTEVELv; dV01]T05' / ävoLa / aocjJla usw. 117 Man beachte, daß es direkt nach der Bezeichnung von Arignotos als dvi]p 8aLj10VL05' Tt}V aocjJlav lautet, daß alle überzeugt waren von Tychiades Unverstand, d.h. von der Wahrheit der Lügengeschichten. 118 Immer wieder verwendet Lukian adjektivische Bezeichnungen als Mittel der Ironie: Eukrates sei d,LOTTLaT05' (5), die Lügenphilosophen seien rravaocjJoL Kai rravapEToL (6). 119 Gerade das spricht in den analysierten Texten gegen die anderen möglichen Deutungen, nämlich daß das jeweilige Adjektiv als Qualitätsadjektiv im moralischen Sinne, als relationelles Klassenadjektiv oder gar als adskriptives Klassenadjektiv auftritt: Es fehlt in diesen Fällen jegliche Kontinuität zu dem unmittelbaren Kontext, so daß bei diesen Deutungen eine Spannung zwischen Terminus und Kontext entsteht.
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Teil 111: Semantische Analyse: eElO~ KTA. in epistemologischem Kontext
Ferner zeigt die Tatsache, daß die eElO:; aVepUJTTO:;- Terminologie ironisch verwendet werden kann (Dion Chrys. Or. 33,4; Lukian Philops 32; Rhet. praec. 13f.), daß die Terminologie solch feste Konturen hatte, daß sie als Folie dienen konnte, vor deren Hintergrund die Terminologie spöttisch benutzt werden konnte - denn der ironische Gebrauch eines Ausdrucks setzt immer einen festumrissenen, typischen Verwendungskontext des betreffenden Ausdrucks voraus, der bei seiner Verwendung gewissermaßen mitgedacht wird. Ferner spricht die Tatsache, daß Philodem von ol eElOl KaAovllEvol redet, dafür, daß man einen bestimmten Personenkreis mit dem Terminus ol ßElOl (av8pE:;/avßpUJTTol) bezeichnet hat, so daß wir es hier offenbar mit einer feststehenden Terminologie zu tun haben, die der Sprachgemeinschaft als gebrauchsfertige semantische Einheit zur Verfügung stand. Unsere Hypothese, die besagt, daß uns in der ßElO:; avßpUJTTo:;- Terminologie phrasale Lexeme begegnen, behauptet genau dieses. Mit diesen Ergebnissen im Rücken wenden wir uns jetzt drei weiteren Textkomplexen zu, die allesamt in der ßElO:; avrjp-Forschung eine wichtige Rolle gespielt haben, nämlich dem Gebrauch der ßElO:; avßpUJTTo:;- Terminologie bei Lukian, bei Iamblich und in der Pythagorasüberlieferung.
8. Lukian von Samosata Wir gehen nun dazu über, die Frage nach der Bedeutung der von Lukian von Samosata 1 verwendeten ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie2 zu stellen.
8.1 Alexander 61: 'ErrLKOVp05" dvr]p 8carrEaL05" Um Lukians Gebrauch der ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie beurteilen zu können, empfiehlt es sich, bei seiner Aussage am Ende seiner Streitschrift gegen den Pseudopropheten Alexander einzusetzen, wo er Epikur in feierlicher Sprache als av7}p 6JS- aAT}ßrDs- lEPOS- Kai ßEaTTEaLos- T7}v cpvaLv bezeichnet. 3 Dieses, liebster Freund, das nur eine Kostprobe aus noch viel mehr ist, wollte ich als Stichprobe aufschreiben, einerseits dir zuliebe, meinem Kameraden und Freund, den ich mehr als alle andere voller Bewunderung schätze wegen deiner Weisheit (ETd TE aocpLq) , deiner Liebe zur Wahrheit (np rrpoS' aAry(JElav lpWTl), deines milden und anständigen Charakters (Tporrov rrpaoT1]Tl Kai ErrlElKELq) , deines ausgeglichenen Lebenstils (yaArjV1] ßLOV) und deiner Anständigkeit deinen Mitmenschen gegenüber (8EtlOT1]Tl rrpoS' TOUS' avvovTaS'). Andererseits wollte ich dies aber vor allem - was dir auch gefallen wird -, um Epikur, einen seiner Wesensart nach wahrhaft lEPOS' Kai (JEarrEalOS' Mann (av8pi WS' aA1](JwS' lEP4J Kai (JEarrEaLep Tr,V cpvalv), zu rächen ('ErrlKovpep Tl/lWPWV) , der allein wahrheitsgemäß das Schöne erkannt (jl.ovep /lET aA1](JELaS' Ta KaAa EYVWKOTl ) und überliefert hat (Kai rrapa8E8wKoTl) und ein Befreier seiner Anhänger geworden ist (Kai EAEV(JEpwTij TWV O/llATf aavTwv aVT4J YEVO/lEVep). Ich glaube, daß diese Schrift auch für die Leser etwas Nützliches haben könnte, indem sie einerseits einige Irrtümer gründlich widerlegt, andererseits einige Einsichten der Vernünftigen stärkt.
Dieser Text hat eine nicht unbedeutende Rolle in der Begründung und vor allem in der Neubelebung der ßELOS- avryp- These gespielt, da er zeige, daß sogar der 1 Text (mit englischer Übersetzung) von A. M. Harmon, K. Kilburn, M. D. Macleod (Hg.), Lucian, LCL, Bd. 1-8, London/Cambridge 1913-1967 (Nachdruck von Bd. 1-6, 1961-1972). Deutsche Übersetzung von Christoph Martin Wieland, hg. v. Jürgen Werner u. Herbert Greiner-Mai, Lukian. Werke, Bd. 1-3, BerlinIWeimar 1974; einige wichtige Schriften übersetzte Karl Mras (Hg.), Die Hauptwerke des Lukian, München 1954 (21980). 2 Im Corpus Lucianeum werden die Adjektive (JEtOS', (JEarrEaloS' und 8al/loVloS' an folgenden Stellen Menschen als Prädikat beigelegt: Macr. 7; Dial. mort. 13,3; Cyn. 13 (alle (JEtOS'); Icarom. 2; Men. 6; Alex. 4.61; De lapsu 5 ((JEarrEaloS'); Rhet. praec. 13; Philops. 32 (8al/lOVloS'), weiterhin auch OLOS' in Alex. 11; Symp. 41. Davon kommen Macr. 7 und Dial. mort. 13,3 für die vorliegende Untersuchung nicht in Betracht, weil es sich dort um Herrscherattribute handelt. Zu Rhet. praec. 13 und Philops. 32 vgl. die Betrachtungen hier oben in Kap. 7.3.6; zu Alex. 11 und Symp. 41 vgl. die Überlegungen in Kap. 13. 3 Alex. 61.
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Teil 111: Semantische Analyse: 8clos KTA. in epistemologischem Kontext
bissige Kritiker jeglichen Aberglaubens der immer weiter um sich greifenden ßELOS- avßpUJTTos-- Vorstellung verhaftet gewesen sei. 4 So setzte Hans Dieter Betz in seiner Darstellung von der Vorstellung des "göttlichen Menschen" bei Lukian gerade an dieser Textstelle an. 5 Ihm zufolge war Epikur für Lukian ein typischer ßELOS- dvrjp, wie Bieler u.a. ihn dargestellt haben. 6 Man versteht die Bezeichnung dvr}p rlJs- dAT}ß6JS- lEPOS- Kal ßEO'TTEO'LOS- T7}V cpvO'Lvalso im Sinne von "ein wahrlich heiliger und dem Wesen nach göttlicher Mann", ßEO'TTEO'LOS- wird als adskriptives Klassenadjektiv verstanden, welches Epikur jene Menge von Eigenschaften zuschreibt, die im hellenistischen Schema des göttlichen Menschen gebündelt waren. Das unmittelbare Nebeneinander der aus der religiösen Sprache stammenden Adjektive lEp6s-7 und ßEO'TTEO'LOS- führte sogar dazu, daß man den Begriff ßEO'TTEO'LOS- dvrjp mit einer religiös-kultischen Bedeutung ausfüllt. So hat Hans Windisch den Text auf dem Hintergrund der kultischen Verehrung Epikurs in seiner Schule ausgewertet. 8 Vgl. z.B. Windisch, Paulus und Christus, S. 54. Vgl. Betz, Lukian, S. 100: "Lukian steht ganz innerhalb der antiken literarischen Tradition, wenn sein allgemeines Interesse auf die Schilderung des großen, genialen Menschen gerichtet ist. Zwar übt er als Satiriker Kritik, nicht nur an den 'Genies' seiner eigenen Zeit, aber es ist doch überraschend zu sehen, daß er, wenn er schon nicht die Gesamtkonzeption des 'göttlichen Menschen' - denn um diesen geht es bei ihm - in Frage stellt, auch bei einer ... positiven Beschreibung eines bedeutenden Menschen nicht aus der vorgegebenen Vorstellung herauszuspringen vermag. So bleibt es dabei, daß z.B. sein Urteil über den von ihm verehrten Epikur, dieser sei ein dvryp wS' dAT}()WS' lepoS' Kat ()eaTTEalOS' n]V cpvalV, trotz des beteuernd angebrachten wS' dAT}()WS' eine leere Phrase bleibt [d.h. daß das Urteil nicht das Individuum in seiner Individualität würdigt, sondern sich im Rahmen des Schemas bewegt, vgl. den nächsten Satz, D.d.T.]. War es also Lukian nicht gegeben, aus diesem Schema auszubrechen, so bleibt ihm auch nur eine geringe Möglichkeit zur individuellen Darstellung eines Menschen, jedoch gar keine Möglichkeit zur Erfassung des Menschen als Menschen." 6 Ebd., vgl. den Hinweis auf die Werke von Bieler, Reitzenstein, Windisch usw. Vgl. auch Bieler, BEJOh ANHPI, S. 34.45.136. 7 Das Lexem bezeichnete die (kultische) Konsekration, die wiederum darauf zurückzuführen ist, daß das heilige Objekt sich in der Sphäre bzw. unter dem Schutz der Gottheit befindet oder ihr geweiht ist. Auch Lukian verwendet das Lexem so: Mit lepoS' werden bezeichnet: Kultobjekte (Herrn. 37.39; Philops. 38; Anach. 9; Peregr. 12; De astrol. 7), kultische Riten (Saturn. 1; De salto 21); kultische Bereiche/Orte (Peregr. 22.26; Ver. hist. 11 3; Herrn. 60; Bis acc. 1; Demonax 67!); konsekrierte Objekte (Gallus 28; Anach. 7; De astrol. 7); Dinge, die der göttlichen Sphäre entstammen (Gesetze: Demosth. enc. 46; die Heilkunst: Abd. 23; in diesem Sinne auch die personifizierte Philosophie in Pisc. 14?) oder auf sie referieren (AOrOl lepo{: Peregr. 12; Vit. auct. 4; lepov övo/1a: Philops. 10,3; die Erzählungen der Dichter (ironisch): De sacr. 6); weiter in Redewendungen (Jup. trag. 51; Adv. ind. 25; Rhet. praec. 1; Fugit. 13). Es war im griechischen Raum ungewöhnlich, Menschen das Prädikat lepoS' beizulegen, es sei denn, daß die betreffende Person eindeutig der kultischen Sphäre zugeordnet wurde, denn das Lexem bezeichnete die kultische Konsekration. Solche lepo{ waren Mysten, Priester, Kultbeamte, sogar Freigelassene, die einem kultischen Bereich zugeordnet waren. Im Corpus Lucianeum wird das Wort jedoch nicht in diesem strikten kultischen Sinn gebraucht (vgl. Macr. 21.29; Philops. 24.29.34; Fugit. 18; Amor. 24.31 Vit. auct. 15). Zum Gebrauch des Lexems vgl. LSJ, S.V. lepoS'; Gottlob Schrenk, Art. lepoS', ThWNT 3, S. 221-230 und die Untersuchungen von Albrecht Dihle, Art. Heilig, RAC 14, 1988, Sp. 1-63, da bes. 1-13 und Ingrid Drake Rowland, Hieros aner: An Interpretation of the "Holy Man" in Classical Greece, Ann Arbor 1981, bes. S. 122-137. Zum Gebrauch an dieser Stelle, vgl. hier unten S. 207f. 8 Z.B. Windisch, Paulus und Christus, S. 52-54. 4 5
8. Lukian von Samosata
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Daß Lukian die Adjektive 8ELOS- KTA. im Zusammenhang mit Menschen als Klassenadjektive benutzen kann, zeigt eine Stelle in der satirischen Schrift Icaromenippus. Als Menipp seinem Freund berichtet hat, er sei auf Besuch bei Zeus gewesen und sei eben von seiner Himmelsreise zurückgekehrt, antwortet sein Freund spottend: 9 Wie soll ich, 0 göttlicher und olympischer Menippus (w 8EUTTEUlE Kat 'OAVj1TTlE MEVl TTTTE) , da ich selbst doch nur ein irdischer Mensch bin (YEVVl7TOS- aUTOS- Kat ETT{YElOS-), einem überirdischen Manne (VTTEPVECPEAtp dv8pt) und, um mit Homer zu sprechen, einem der Himmlischen (TWV Oupa:vu!JvUJv EVl) nicht glauben können? Daß 8EUTTEUlOS- an dieser Stelle als adskriptives Klassenadjektiv auftritt, geht eindeutig aus dem Kontext hervor: Es wird parallel zu anderen sinnverwandten adskriptiven Klassenadjekti ven ( 'OAVj1 TTlOS-; VTTEPVECPEAOS-; Oupav{UJvES-; ferner YEVVl7TOS- und ETTt YElOS-) gebraucht, im Hintergrund steht die Mythologie der olympischen Götterwelt. In der Schrift Cynicus wird gar der Ausdruck 8ELOS- dvrjp in diesem Sinne verwendet: Der Kyniker begründet sein bedürfnisloses Leben damit, daß die Stärkeren immer weniger brauchen als die Schwächeren. Die Götter haben also keine Bedürfnisse und die Menschen, die den Göttern nahestehen, haben nur wenige. Er fährt fort: 10 Oder glaubst du, daß Herakles, der Beste unter den Menschen, ein 8ELOS- dvTjp und einer, der zu Recht für ein Gott gehalten wurde, durch elendes Unglück dazu gezwungen war, nackt umherzuziehen, er, der nur in ein Fell gekleidet war und keines von dem, das ihr habt, bedurfte? Aber weder war er elend, der das Schlechte von allen vertrieb, noch war er armselig, der über Land und Meer herrschte. Denn auf was auch immer er stieß, er herrschte überall über alles und begegnete niemandem, der seinesgleichen oder besser als er selbst war, bis er von den Menschen wegging. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darf man annehmen, daß 8ELOS- hier als adskriptives Klassenadjektiv gebraucht wird: Herakles, der trefflichste Mensch, wird der Klasse der Götter zugeordnet, ja, für einen Gott gehalten. Das entspricht der Heraklesmythologie, nach der der sterbliche Herakles als Mensch einen langen Weg im Dienste Heras absolvieren mußte, bevor er als Gott den Einzug auf den Olymp feiern konnte. 11 9 Icarom. 2. 10 Cyn. 13. Die Urheberschaft der Schrift ist umstritten, meist rechnet man sie Lukian nicht zu, vgl. Helm, Art. Lukianos, RE I 13.2,1927, Sp. 1734f. 11 V gl. Kar! Kerenyi, Die Mythologie der Griechen. Bd. II: Die Heroen-Geschichten, München 91987, S. 11-25.105f. BetZ, Lukian, S. 102f. stellte aufgrund dieser Formulierung fest, der Ausdruck 8ELOS- dvTjp sei ein terminus technicus (= ein phrasales Lexem), der jene angeblich festumrissene Vorstellung vom göttlichen Menschen in der hellenistisch-römischen Antike denotiert, die auf dem Hintergrund einer allgemeinen Gottmenschlehre der Antike zu verstehen sei. Es ist jedoch methodisch (sowohl in religionsphänomenologischer als auch in religionsgeschichtlicher Hinsicht) notwendig, Phänomene wie den Kult mythischer Heroen, die Heroisierung von Toten und den Herrscherkult in seinen unterschiedlichen Ausprägungen mit gebotener Differenziertheit zu behandeln und sie nicht einfach alle mit Hilfe einer übergreifenden Bezeichnung wie 8ELOS- dvTjp bzw. Gottmensch in einen Topf zu werfen. Aus linguistischer Sicht genügt es, 8ELOS- an dieser Stelle als adskriptives Klassenadjektiv zu betrachten; die Heraklesmythologie genügt als theologischer Horizont, auf dessen Hintergrund eine solche grundlegende Modifikation der Alltagsmetaphysik möglich ist; vgl. dazu Kap. 2.4.2, da S. 56f. Zur Problematik des Heroenkults sei verwiesen auf Lewis R. FarneIl, Greek Hero Cults, Oxford 1921; Karl Kerenyi, Die Heroen der Griechen, Zürich 1958.
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Teil 111: Semantische Analyse: eE[O~ KTA. in epistemologischem Kontext
Da man im Rahmen der f3ELOS' dvrjp-Forschung dieses Jahrhunderts den Gebrauch der Bezeichnung f3EcrrrE(J'LoS' dvrjp auf einem religiös-kultischen Hintergrund erklärt hat, ist es geboten, kurz auf die Frage nach einem religiösen Horizont der benutzten Terminologie und insbesondere nach der kultischen Verehrung Epikurs innerhalb des Kepos sowie Lukians Verhältnis zu jener Praxis einzugehen. Mit anderen Worten: es ist danach zu fragen, ob sich Lukian an dieser Stelle der quasi-religiösen Verehrung Epikurs durch die Epikureer anschließt oder ob er sich nicht zumindest einer Terminologie bedient, die im Quasi-Heroenkult des Kepos beheimatet war.
8.1.1 Ein religiöser bzw. kultischer Hintergrund von Alex. 61?
Daß Epikur schon zu Lebzeiten im engen Kreis seiner Schule kultische Ehren entgegengebracht wurden, ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Während er noch lebte, wurde am 10. Gamelion Epikurs Geburtstag gefeiert und weiterhin am 20. jedes Monats eine Feier zu seiner und Metrodors Ehre und später zu ihrem Gedächtnis veranstaltet.1 2 Epikur selbst berichtet in einem Brief13 von der Verehrung, die ihm einmal während eines Vortrages sein Schüler Kolotes entgegenbrachte.1 4 Diese Verehrung der epikureischen Weisen 15 im Kepos ist auf dem Hintergrund der Gottähnlichkeit der Weisen zu verstehen. Der Weise hat als Teilnehmer an der Göttlichkeit der f3EoL (J'WTijPES' die göttliche Lebensweise in seiner eigenen Person realisiert und ist dadurch selbst wie die Götter zu einem Paradigma für andere geworden, zu einem So te r für diej enigen, die seine Lebensform nachahmen, so daß es lauten kann: "Die Verehrung des Weisen ist ein großes Gut für den Verehrenden." 16 Unbestritten ist weiterhin, daß die Epikureer jahrhundertelang einen Gedächtniskult für prominente Mitglieder, darunter auch für Epikur, aufrecht 12 Wie es einem Heroen bzw. Gott ziemen würde, Diog. Laert. 10,18; vgl. dazu Diskin Clay,The Cults of Epicurus, Cronache Ercolanesi 16, 1986, S. 11-28, da S.24f.; Festugiere, Epicurus, S. 22f.; Schmid, RAC 5, Sp. 747-749. Wie die Akademie und das Lykeion war der Kepos ein Kultverein, der regelmäßige kultische Handlungen vollzog, vgl. Festugiere, Epicurus, S. 22, bes. Anm. 15. 13 Vgl. H. Usener (Hg.), Epicurea, Leipzig 1887; C. Bailey (Hg.), Epicurus. The extant remains. 'Y"~th short critical apparatus, translation and notes, Oxfor~.1926 (Hildesheim 1970). Deutsche Ubersetzung von Olof Gigon (Hg.), Epikur. Von der Uberwindung der Furcht. Katechismus. Lehrbriefe. Spruchsammlung. Fragmente, Zürich 1949 (München 1983) und Hans-Wolfgang Krautz (Hg.), Epikur. Briefe. Sprüche. Werkfragmente. GriechischlDeutsch, Stuttgart 1980. 14 Plutarch Adv. Colotem 1117 BC (Usener fr. 141); vgl. dazu Festugiere, Epicurus, S. 40f.; Schmid, RAC 5, Sp. 754f.; Rolf Westman, Plutarch gegen Kolotes. Seine Schrift als philosophiegeschichtliche Quelle, Acta Philosophica Fennica 7, Hersingfors 1955, S. 27-31. 15 Clay, Cults, S. 25.27f. betont zu Recht, daß die Verehrung nicht auf Epikur beschränkt war. V gl. dazu auch die Erörterungen Schmids (RAC 5, Sp. 754f.) zu Epiktets Erwiderung der ihm durch Kolotes entgegengebrachten göttlichen Ehren. 16 GV 32, vgl. auch 36.
8. Lukian von Samosata
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hielten. 17 Epikur selbst hat solche Kultfeste für seine verstorbenen Eltern 18, Brüder l9 , Polyainos von Lampsakos 20 und sich selbst2 1 (an ihren jeweiligen Geburtstagen?) feiern lassen und ihre Fortsetzung testamentarisch gesichert. Ähnliches ist auch für einen Pythokles überliefert. 22 Die Eikadenfeiern wurden nach dem Tod Metrodors und Epikurs zu ihrem Gedächtnis gefeiert. 23 Diese Feiern scheinen die äußere Form eines Totenkultes angenommen zu haben,24 obwohl nach epikureischem Verständnis keiner dieser Toten etwa die dargebrachten Opfer hätte genießen können. 25 Natürlich wußten die Epikureer, daß keiner der Weisen, und sei er noch so vollkommen gewesen, auf irgendeine Weise die Unsterblichkeit hätte gewinnen können - mit dem Tod ist auch für sie das Leben entgültig erloschen. Diese Gedächtnisfeier, die der äußeren Gestalt nach ein Heroenkult zu sein scheint, ist jedoch im strengsten Sinne des Wortes Gedächtniskult: Die Teilnehmer rufen die Erinnerungen an diese hervorragenden Menschenleben wach. Sie fungieren analog zu den hervorgerufenen Götteranschauungen (ßEwpf al) als Paradigmen für das eigene Leben, so daß der Teilnehmer in den Lustempfindungen des kultischen Brauchtums die in seiner eigenen Erinnerung vorhandenen paradigmatischen Leben verehrt. 26 In der späteren Geschichte des Kepos wurde diese kultische Verehrung des vollendeten Weisen immer mehr auf die Verehrung des Meisters selbst eingeschränkt. Nicht zuletzt sei hier die von Cicero und Plinius berichtete Praxis der Epikureer, Bilder bzw. Bildnisse von Epikur mit sich herumzutragen, erwähnt. 27 Als weiteres Zeugnis für die Verehrung, die beinahe einer Heroisierung gleichkommt, sei Folgendes erwähnt: Philodem schreibt im Hinblick auf Epikur: ... VPVElV Kai TOV (J"wTfjpa TOV ryPETEpoV28; einige Jahrhunderte später will Diogenes von Oenoanda seinen Lesern Ta Tfjs- (J"wTl]pf as- cj;appaKa29 vermitteln. In einer
17 Wie Plinius HN 35,5 und Plutarch De latenter vivendo 3, 1129A für das 1. Jh. n. Chr. bezeugen. 18 Diog. Laert. 6,110; 10,18. 19 Diog. Laert. 10,18; Plutarch Moralia 1097E. 1129A; Aelian fr. 39 (fr. 218 Usener). 20 Diog. Laert. 10,18; PHerc. 176 fr. 5 XXVII 5-19 Vogliano. 21 Diog. Laert. 6,110; vgl. Cicero De fin. 2,31,101 und Plinius HN 35,5. 22 PHerc. 176 fr. 5 XVII 1-7 Vogliano. 23 Diog. Laert. 10,18; vgl. Cicero De fin. 2,31,101 und Plinius HN 35,5. 24 Dazu ausführlich Clay, Cult, S. 24ff. VgL den Ausdruck ... ryPWlKwv dvepu51TWV EV TEAcl Ycvo/lcV05' in PHerc 1251 col. 22,2f. (W. Schmid (Hg.), Ethica Epicurea, Leipzig 1939). 25 Die Epikureer wurden dann auch wegen dieses Widerspruches von den anderen Schulen getadelt, vgl. z.B. Cicero De fin. 2,31,101. 26 V gl. Schmid, RAC 5, Sp. 750. Seine Bezeichnung "Gedächtniskult" trifft den Sachverhalt genau. 27 Cicero De fin. 5,1,3; Plinius HN 35,5. Vgl. auch Heliodor Aethiopica 1,16,5. 28 PHerc. 346 col. 4,19 (Wilhelm Crönert, Neues über Epikur und einige herkulanensische Rollen, Rh Mus 56, 1901, S. 605-626, da S. 625). Wahrscheinlich bezeichnet auch die Witwe Trajans ihn in einem Brief (im Jahr 121) als (J"WT7}P (Ditt. Syll.3 2,834,21); vgl. auch Werner Foerster, Art. (J"Wn7P A. (J"Wn7P im Griechentum, ThWNT 7, S. 1004-1012, da 1007f. 29 Fr. 2 co!. 5,14 (7=W. = 33 G.)
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Teil III: Semantische Analyse: BcfoS" KTA. in epistemologischem Kontext
Schilderung eines unbekannten Verfassers wird nach aller Wahrscheinlichkeit an Epikur gedacht, wenn ein vollkommener Weiser in den Kreis der Heroen eingereiht wird. 30 Es mutet sehr paradox an, daß die Epikureer, die den Göttern jede Beteiligung an dieser Welt und jeden Einfluß auf sie abgesprochen haben, sich an dem Götterkult beteiligt haben. Um so rätselhafter scheint es zu sein, daß der Kepos trotz der unerschütterlichen Überzeugung, es gebe nach dem Tod kein Nachleben, die von Epikur verordneten kultischen Mahlzeiten zu seiner und anderer Gedächtnis jahrhundertelang gefeiert hat. 31 Von diesen beiden Paradoxen läßt sich die Teilnahme des Epikureers am traditionellen Kult relativ leicht und ohne viel Aufwand erklären, die kultische Verehrung des Schuloberhaupts läßt sich jedoch nur auf dem Hintergrund der gesamten Götterlehre bzw. Theologie Epikurs erklären. 32 In bezug auf die Kultpraxis gilt: "Das Verpflichtende der Kultübung steht außer Frage, es soll nur auf ihre Verinnerlichung und Vergeistigung hingewirkt werden. "33 Die Kultbräuche haben nur insofern Sinn, als sie in den Dienst der philosophischen Anschauung der Götter und der Religion treten, d.h. für den Epikureer setzt seine Teilnahme am Kult gerade die Aufgabe der tradionellen religiösen Inhalte voraus. Der Kult bietet dem Epikureer also eine Gelegenheit, in den Lustempfindungen des kultischen Brauchtums seine eigene philosophische Anschauung vom Göttlichen zu ehren. 34 Die kultische Verehrung der Weisen ist jedoch ein integraler Bestandteil des epikureischen theologischen Systems, welches wiederum in die grundlegende materialistische Weltanschauung integriert ist. Nach Epikur geben die in den Intermundien verkehrenden Götter stets die allerfeinsten EL8wAa von sich. Trotz dieser ständigen Abgabe der auch zu den Menschen strömenden Bilder bleiben die Götter unveränderlich erhalten, weil sie ständig Nachschub aus dem unendlichen Atomreservoir des Alls empfangen. Sie haben die Fähigkeit, sich die ihnen wesensgemäßen Stoffe anzueignen, alles Fremde jedoch abzuwehren, so daß die Götter ihre Unvergänglichkeit bewahren können. In diesem Prozeß gelangen die reinen göttlichen Eidola zum Menschen, so daß er durch den noetischen Kontakt immer eine von den Meinungen der Massen ungetrübte Vorstellung der Götter (r7 V07]O'LS'/ YVWO'LS'/ TTPOA7]l/JLS' ToD BEoD / TWV BEWV ) haben kann, die ihm als Paradigma für die Lebensführung dienen soll.35 So kommt es zu Recht bei Philodem zu dem Satz: "Indem sie (sc. die Götter) sich selbst 30 PHerc 1251 col. 22,2f. (W. Schmid (Hg.), Ethica Epicurea, Leipzig 1939). 31 Alle die Kultpraxis der Epikureer betreffenden Fragmente sind gesammelt und kommentiert worden von Diskin Clay,The Cults of Epicurus, Cronache Ercolanesi 16, 1986, S. 11-28. 32 Es kann sich hier nicht darum handeln, eine ausführliche Darstellung der epikureischen Götterlehre bieten zu wollen. V gl. die ausgezeichneten Darstellungen von A. J. F~stugiere, Epicurus and his Gods, Oxford 1955 (Übersetzung und Erweiterung des Originals, Epicure et ses dieux, Paris 1946), S. 51-93; Cyril Bailey, The Greek Atomists and Epicurus, Oxford 1928, S. 438-481; Wolfgang Schmid, Götter und Menschen in der Theologie Epikurs, RhM NF 94, 1951, S. 97-157, da 127-141; ders., Art. Epikur, RAC 5, 1962, Sp. 681-819, da 714755. 33 Schmid, Götter und Menschen, S. 153. 34 Vgl. z.B. POxy 215 col. 2,2ff. Dazu Schmid, Götter und Menschen, S. 133-136; ders., RAC 5, Sp. 730-734. Vgl. auch Bailey, Greek Atomists, S. 476-481. 35 V gl. auch Epikur Epist. ad Men. 123f., dazu ausführlich Schmid, Götter und Menschen, S. 97-127. Zur Eidolonlehre vgl. Bailey, Greek Atomists, S. 407-414.440-467 und zusammenfassend Schmid, RAC 5, Sp. 692.735-738.
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erhalten, werden sie den andern zu Rettern." 36 Die Götter Epikurs sind gewissermaßen das personifizierte hedonistische Ideal und in diesem passiven Sinne auch 8EOL aUJTijpES", denn sie dienen dem Menschen als Paradigma zur Seligkeit, ohne daß sie sich in den Ablauf der Dinge einmischen müßten. Das Wissen um die wahre Natur der Götter als sorgloser und bedürfnisloser Wesen ermöglicht es dem Weisen, sich ihrem Vorbild anzugleichen, ihre vollkommene Existenz auf Erden zu imitieren und so eine den Göttern in nichts nachstehende Eudaimonie (mit Ausnahme des menschlichen Begrenztseins durch die Zeit) zu erreichen. 37 Der Weise bekommt also Anteil an der Göttlichkeit der Götter, indem er sich ihrer Glückseligkeit (d.h. ihrer Ataraxie) angleicht, so daß man von einer gewissen O/lo{UJaLS" 8EtP reden darf. 38 Darum lautet der Schluß von Epikurs Brief an Menoikeus: "Diese und was dazu gehört, überdenke Tag und Nacht. ... Dann wirst du niemals ... beunruhigt werden, und du wirst unter den Menschen leben wie ein Gott (wS" 8EOS" EV av8pc!JTTOLS"). Denn keinem sterblichen Wesen gleicht der Mensch (OV8EV yap EOLKE 8V1]TtP (c[J4J ... av8pUJTToS"), der inmitten unsterblicher Güter lebt. "39 An die Mauer in Oinoanda hat Diogenes einen Brief (Epikurs an seine Mutter?) meißeln lassen, in dem es heißt: "Denn keineswegs geringfügig oder gar wertlos sind diese Fortschritte, die sich an mir vollziehen, daß sie meine Verfassung gottgleich (la68Eov) werden lassen und zeigen, daß ich nicht einmal wegen meiner Sterblichkeit der unvergänglichen und glückseligen Wesenheit unterlegen bin. Denn solange ich lebe, freue ich mich ähnlich wie die Götter (o/lo{UJS" TOlS" 8EolS") .... "40 Wie im Falle der Götter heißt es folgerichtig an anderer Stelle, daß die Verehrung des Weisen ein großes Gut sei für jenen, der ihn verehrt. 41 Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Angleichung an Gott im ethischen, nicht aber im ontologischen Sinne verstanden wird. Der Weise wird zwar in Hinsicht auf die Eudaimonie der Götter vollkommen, nicht jedoch was das materielle Dasein der Götter (und infolgedessen auch ihre immerwährende Existenz) angeht: 42 Er wird nicht selbst zu einem 36 De pietate 106, 15f. p. 124 Gomperz: ac[J(UJvTES" aVTovS" KaL T6JV aMUJv aUJTijpES" y{voVTaL. Vgl. Schmid, Götter und Menschen, S. 130. 37 Vgl. Philodem De dis. III col. 1,14 p. 16 Diels und die Diskussion bei Schmid, RAC 5, Sp. 730-735, da weitere Textbelege. 38 V gl. Schmid, Götter und Menschen, S. 127ff., ders., RAC 5, Sp. 733f. Zur Entwicklung dieser Vorstellung in der antiken Philosophie vgl. Hubert Merki, faMa! OI!I 8EQ. Von der platonischen Angleichung an Gott zur Gottähnlichkeit bei Gregor von Nyssa, Paradosis 7, Freiburg 1952, S. 1-35. 39 Epist. ad Men. 135, nach Gigons Übersetzung. In demselben Brief (123f.) werden die Weisen als Gottähnliche bezeichnet, die von den Götter (als Freund?) aufgenommen (aTTo8iXEa8aL) werden; vgl. dazu Schmid, Götter und Menschen, S. 97ff. 40 Diog. Oenand. fr. 52, col. 4 (Chilton), nach der Übers. v. Krautz. Philodem schreibt in seinem Traktat über die Götter (De dis III col. 1 p. 16 Diels): "Der Philosoph bewundert Natur und Wesensverfassung der Götter und sucht ihr nahezukommen, ja er hat gleichsam einen unwiderstehlichen Trieb, mit ihnen in Berührung und Verkehr zu kommen. So mag die Charakteristik der Weisen als 'Freunde der Götter' und umgekehrt der Götter als 'Freunde der Weisen' angehen ... " (Übers. v. Schmid, Götter und Menschen, S. 131). Insofern hier von einer reziproken und gar persönlichen Beziehung zwischen Mensch und Gott die Rede ist, ist dies rein metaphorisch gemeint: Zu Recht sagt Schmid, a.a.O., daß die Förderungen der Götter sich völlig in dem noetischen Kontakt erschöpfen. 41 GV 32. 42 Vgl. Philodern De piet. 28 p. 148,12ff. Gomperz: oi ... TTELa8iTES" ... wS" 8V1]TOL /lEL/lEla8aL Tr}V EKE{VUJV Ev8aL/lov{av 8EAr]aovaLv: "Die ... Überzeugten ... werden als sterbliche Wesen ('nach Maßgabe eines Sterblichen' - Schmid, Götter und Menschen, S. 140) ihre Seligkeit nachahmen wollen." Schmids Einschätzung (a.a.O., unter Heranziehung von RS 19), "das einschränkende wS" 8V1]TOL bedeutet nicht etwa, daß die ... Göttlichkeit des Weisen
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Teil 111: Semantische Analyse: ecfo~ KTA. in epistemologischem Kontext
Gott. Die Seligkeit des Weisen hat immer die physikalische Grundlage der Götterlehre als Voraussetzung. 43 Darum wurde im Kepos immer an der Priorität der Götter gegenüber den gottähnlichen Weisen festgehalten: So fordert Epikur dazu auf, daß der Weise in seinem Gebet die ihn überragende Macht der göttlichen Wesenheit gebührend realisiert. 44 An anderer Stelle heißt es trotz der (ethischen) Götterähnlichkeit des Weisen, man solle "im Vergleich zur eigenen Glückseligkeit in den Göttern noch mehr Erhabenheit (a-EflvUJpa) sehen. "45
Einen gewissen Höhepunkt erreichte das Lob auf den verehrten Schulgründer in Lukrez' berühmtem epikureischen Lehrgedicht. 46 Deus UZe fuit, deus! ruft Lukrez einmal. 47 Obwohl Lukrez tief in Epikurs Philosophie verwurzelt ist, fallen gerade in religiösen Aspekten einige Differenzen auf: "Wenn Epikurs Verhältnis zur Religion ein Zwiefaches umschließt: den Kampf gegen die Deisidaimonie ebensosehr wie die philosophische Befestigung der cualßcla, so hat Lukrez jenes Negative übernommen, aber monomanisch übersteigert ... ; das Positive hat erbeträchtlich gewandelt. "48 Diese Wandlung macht sich besonders darin bemerkbar, daß Lukrez fast pauschal jeden gottesdienstlichen Akt der pietas ablehnen und ihr die reine intellektuelle Betrachtung der Dinge entgegensetzen kann. 49 Sie ist auch in der Anschauung vom Weisen festzustellen: Die theologische Grundlage hat sich entschieden geändert. Anders als bei Epikur und im lebendigen Kepos spielt sowohl Epikurs CPlAL a zwischen Göttern und Weisen als auch die 0j10LWa'lS' 8c4J bei Lukrez keine Rolle,50 so daß die Gottähnlichkeit des Weisen nicht mehr in der vorgelebten Ataraxie, die dem anderen zum rettenden Paradigma wird, gründet. Lukrez betont im Gegensatz dazu eher Epikurs übermenschliche Begabung51 und infolgedessen seine Rolle als Kulturstifter , als Entdecker der wahren Natur der Dinge und als Offenbarer der Wahrheit. 52 Richtig hat Diskin Clay beobachtet, daß in der Sprache von Lukrez eine von der Göttlichkeit der Götter wesensmäßig verschieden wäre", ist zu einseitig: Es geht nicht an, sich in dem Vergleich nur auf die ethische Seite der Göttlichkeit der Götter zu beschränken. Die Eudaimonie und Unvergänglichkeit der Götter gründen zu allererst in ihrer materiellen Beschaffenheit. 43 Vgl. Schmid, RAC 5, Sp. 734f.; ders., Götter und Menschen, S. 130f.140.150-154. Er formuliert (a.a.O., S. 152) treffend: "Es läßt sich ... keineswegs erweisen, daß Epikur die Dignität des Weisen je anders als in Abhängigkeit von der göttlichen Sphäre gesehen habe. Der Götterfreund erreicht die Seligkeit der Götter, aber erreicht sie nur dann, wenn die Götter Götter sind" ! 44 Philodem De piet. 110 p. 128 Gomperz (Usener fr. 13), vgl. Schmid, Götter und Menschen, S. 139. 45POxy. II 215 col. 1,29ff., Übers. v. Schmid, Götter und Menschen, S. 152. 46 De rerum natura 1,62-79; 3,1-30; 5,1-54; 6,1-42. Zu Lukrez' Epikurbild vgl. Wolfgang Fauth, Divus Epicurus: Zur Problemgeschichte philosophischer Religiosität bei Lukrez, ANRW 114, BerlinlNew York 1973, S. 205-225. 47 De rerum natura 5,8. 48 Schmid, Götter und Menschen, S. 155f., vgl. auch 97-102.154-156. 49 De rer. nat. 5,1149-2003. 50 Schmid, Götter und Menschen, S. 156. 51 " ... qui genus humanum ingenio superavit", 3,1043. 52 In jedem der vier Eulogien auf Epikur wird seine Erstlingsrolle herausgestellt: 1,66-71 (3x prilnus); 3,2 (primus); 5,9 (princeps); 6,4 (primae). Seine Ursprungsrolle wird durch Prä-
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gesteigerte religiöse Metaphorik ohne realen Bezug zur kultischen Praxis vorliegt. 53 Bei Lukrez wird der Gedächtniskult des Weisen bzw. Epikurs von einer unkultischen Heroisierung abgelöst - Epikur ist zu einern heros ktistes geworden. Für unsere Fragestellung ist jetzt folgende Beobachtung wichtig: Aus der Überlieferung geht nichts hervor, das belegen könnte, daß die ßELOS- avßpwTTos-Terminologie ein fester Bestandteil der Diktion des epikureischen Gedächtniskultes gewesen wäre. Sie taucht niemals in den einschlägigen Texten auf. Dies ist m.E. kein Zufall, der der lückenhaften Überlieferung zugeschrieben werden könnte, denn unsere bisherige Untersuchung hat ergeben, daß die ßELOSav8pwTTos-- Terminologie nur sehr selten in explizit religiösen Kontexten und m. W. niemals in einern kultischen Kontext vorkommt. Die ßELos- avßpwTTos-Terminologie war eben kein religiöse bzw. kultische Terminologie, sondern, wie in dieser Arbeit an vielen Stellen belegt wird, eine profane Bezeichnung, die unabhängig von religiösen Vorstellungen den Garanten von Erkenntnistraditionen beigelegt werden kann. 54 Auf diesem Hintergrund betrachtet erscheint es als äußerst unwahrscheinlich, daß der Ausdruck dv!}p ßEO'TTEO'lOS- in Alex. 61 mit der Epikurverehrung des Kepos in Verbindung gebracht werden kann. Wendet man sich jetzt Lukian zu, sei zu allererst auf seine generelle Indifferenz gegenüber der Religion verwiesen. 55 Es sei weiterhin erwähnt, daß Lukian kein Anhänger der epikureischen Philosophie, geschweige denn ~in aktives Schulmitglied war. Lukian war ein philosophischer Eklektiker, der sich das, was er gerade brauchte, von den Schulphilosophen auslieh, ohne sich ein ganzes System anzueignen. 56 Lukian konnte Epikur zwar in seinem Kampf gegen die dikate wie pater (3,9) und inventor (3,9 vgl. auch 5,9.13ff.; 6,7-10) betont. Er führt auf neue Wege (3,3-7; 5,55f.; 6,27) und als Offenbarer der wahren Art der Dinge (omnem rerum naturam pandere 5,54, vgl. auch 3,10ff.; 6,6f., weiterhin die Lichtmetaphorik z.B. 3,1042-1044) reinigt er den Verstand des Menschen (5,18.43ff.; 6,24). Epikur ist für Lukrez primus inventor rerum, revelator und purgator; vgl. Fauth, Divus Epicurus, S. 217-225. 53 Cults, S. 27. Fauth, Divus Epicurus, S. 217ff. läßt sich in seiner Bewertung der Texte zu sehr von Lukrez' Sprachgewalt hinreißen und beachtet die Tatsache, daß Epikur auch für Lukrez unwiderruflich tot ist, nicht hinreichend. 54 Der Kepos bietet jedoch ein vortreffliches Beispiel dafür, wie der Archeget einer solchen Tradition einer Theologie zugeordnet und religiös verehrt werden kann. 55 V gl. dazu Helm, Art. Lukianos, Sp. 1769f.; Betz, Lukian, S. 23, der Lukians Stellung zur Religion als "religiösen Indifferentismus" bestimmt. 56 Noch immer g:rundlegend (obwohl mit einigen Abstrichen) für Lukians Stellung zur Philosophie ist Rudolf Helm, Lucian und die Philosophenschulen, NJKA 5, 1902, S. 188-213. 263-278.351-369, da S. 263-266. Vgl. auch ders., Art. Lukianos, RE I 15.1,1931, Sp. 17671769. Schon Zell er HI/l, S. 851-853 faßt seine Haltung folgendermaßen zusammen: "Die wahre Philosophie besteht ... in der praktischen Lebensweisheit, in einer Gemütsstimmung und Willensrichtung, welche an kein philosophisches System gebunden ist ... (S)eine eigentliche Meinung spricht er ... nur da aus, wo er ausführt, daß er die Philosophie zwar als die wahre Lebenskunst verehre, ... der beste Philosoph aber sei, welcher ... auf den Anspruch einer besonderen Weisheit verzichte und ... sich an den sittlichen Gewinn der Philosophie halte." V gl. weiterhin Alice Sparberg Alexiou, Philosophers in Lucian, Ann Arbor 1990 bes. S. 70-75; Clay, Four Philosophical Lives, S. 3411-3414, der darauf aufmerksam macht, daß Philosophie auf das Leben reduziert wird.
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Teil 111: Semantische Analyse: fJetOS" KTA. in epistemologischem Kontext
Deisidaimonie folgen, nicht jedoch in dem positiven Teil seiner Philosophie. 57 Dementsprechend lag ihm eine philosophische Befestigung der EvalßELa im Sinne Epikurs fern. Auch die aktive Unterstützung eines Weisenkults, wie er im Kepos begegnet, wäre bei Lukian undenkbar. Dagegen spricht nicht nur, daß Lukian jedem Aberglauben mit Verachtung begegnete,58 sondern auch die Tatsache, daß man weder in der Schrift gegen Alexander noch an anderer Stelle in seinen Schriften entsprechende Hinweise für eine derartige Verehrung Epikurs oder einer anderen Person findet. Auch Lukians Darstellungen von den Philosophen Nigrinus und Demonax bieten dazu keinen Anlaß. Wenn Betz, Lukian, S. 136 schreibt, daß die Rede des Nigrinus auf Lukian ausgesprochen religiöse Wirkung gehabt habe, dann bleiben sowohl die Schwierigkeiten, die eine Identifikation des Erzählers bzw. des impliziten Autors mit Lukian gerade in dieser Schrift mit sich bringt, als auch die Intention der Satire völlig unberücksichtigt. 59 Auch die Vita Demonactis gibt keinen Anlaß, Lukian die Verehrung eines Menschen in welchem Sinne auch immer anzulasten, vor allem in Anbetracht der Tatsache, daß nicht einmal gesichert ist, ob die Person des Demonax (so wie die des Nigrinus) nicht nur lukiansche Fiktion ist. 6o Weiterhin legt Lukian sorgfältig alle Aussagen und Handlungen, die Demonax als ein übermenschliches Wesen darstellen, andern in den Mund (vgl. Dem. 11.63.67). Außerdem ist zu beachten, daß die 8ELOS- äv8pUJTTos-- Terminologie in beiden Schriften fehlt, so daß sie, wenn überhaupt, nur mit äußerster Vorsicht dazu herangezogen werden kann, den Hintergrund dieser Terminologie zu erhellen.
Wie noch zu zeigen ist, hebt auch Lukian Epikur als philosophischen Archegeten hervor, begrenzt jedoch seine philosophische Leistung auf den Kampf gegen den Aberglauben. 61 Anders als bei Lukrez fehlt bei Lukian jegliche Einbettung der Vorstellung vom großen Archegeten in einen religiösen Zusammenhang. Hier sei hervorgehoben, daß die Terminologie, die Lukian verwendet (G.Vl}p lEPOS' Kai eEO'TTEO'LOS' / EAEVeEpWTrJS'), nirgends in der epikureischen Überlie57 Die Lustlehre Epikurs und seines Ziehvaters Aristipp ist oft Zielscheibe seines Spottes (z.B. Auct. vit. 12.19; Pisc. 43; Paras. 11, Conv. 9.43f.), die Götterlehre bildet den Hintergrund von Auct. vit. 19; Jupp. confut. 7f. und Bis ace. 2, andere Elemente des epikureischen Lehrgebildes finden keine Erwähnung. Er brachte den Epikureern ihrer religiösen Freigeisterei wegen eine gewisse Sympathie entgegen, wenngleich ihm ihre wissenschaftliche Spekulation völlig fremd war. 58 Clay, Four Philosophical Lives, S. 3423 sagt zu Recht (im Anschluß an R. B. Rutherford): "It is fair to say of Lucian that 'he treats all religious believers as fools and hypocrits'." Es gibt keinen Anlaß, die Epikureer und ihre Weisenverehrung von diesem Urteil auszunehmen. 59 V gl. dazu die Überlegungen von Diskin Clay, Four Philosophical Lives, da S. 34193425. 3445-3450. Richtig beobachtet er (S. 3423), daß Lukian hier gerade die quasi-religiöse Bekehrung eines Konvertiten zur Philosophie satirisch unter die Lupe nimmt. 60 Vgl. Clay, a.a.O. Außer dem, was Lukian über Nigrinus und Demonax zu berichten weiß, haben wir keine unabhängige Überlieferung über die zwei Philosophen. 61 V gl. Alex. 61: flOVLp flET aAry8E[as- 7(1 KaAcl lYVUJKOTL Kat TTapa8E8UJKOTL. Auch in Auct. vit. 19 wird die Leistung Epikurs über Demokrit und Aristipp hinaus auf seine Götterlehre begrenzt.
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ferung im Kontext der kultischen Verehrung des Weisen bzw. Epikurs benutzt wird. 62 Es sieht sogar eher danach aus, daß er gezielt den mit religiösen Konnotationen geladenen und außerdem im Kepos für Epikur gebräuchlichen Begriff O"urnjp vermeidet und durch den eher neutralen EAEVßEpwTf]s-63 ersetzt. Nimmt man Lukians gesamtes Schriftkorpus als Kontext, gibt es also kaum Gründe, eine religiöse Intention in Lukians Bezeichnung dVr7P wS" dA7]ßWS" lEPOS" Kat 8EO"TTEO"LOS" Tryv CPVO"LV anzunehmen und auf eine religiöse oder krypto-religiöse Verehrung von Epikur durch Lukian zu schließen, geschweige denn, ihm einen gemeinen 8ELOS" dvryp-Glauben zu unterstellen. 64 Dagegen sprechen besonders seine ausgeprägte religiöse Indifferenz und seine Abscheu vor jeglichem Aberglauben. Erschwerend kommt hinzu, daß auch der unmittelbare Kontext in Alex. 61 keinen Anlaß bietet, einen solchen Gebrauch zu vermuten.
8.1.2 Das Epikurbild in der Alexanderschrift
Statt die in Alex. 61 verwendete 8ELOS" av8pwTToS"- Terminologie von vornherein mit Hilfe des von der religions geschichtlichen Schule postulierten 8ELOS" dv7jpSchemas zu interpretieren, wird im folgenden die Aufmerksamkeit zunächst auf den Kontext gelenkt, um so die Funktion und die Bedeutung des Ausdrucks bei Lukian zu eruieren. 65 Wie der Ausdruck zu verstehen ist, geht deutlich aus dem folgenden Teil des Satzes hervor: Epikur allein hat wahrheitsgemäß66 die wahren Güter67 erkannt. 62 Es fehlt Windisch, Paulus und Christus, S. 53 an methodischer Vorsicht, wenn er darauf besteht, daß die 8ElOS- av8pwTTos- - Terminologie das Phän~men der Verehrung Epikurs angemessen beschreibt, obwohl er zugibt, daß sie nicht in der Uberlieferung dazu verwendet wurde. 63 'EAEV8EpwTryS- ist ein sehr ungebräuchliches griechisches Wort, das Lukian nur ein weiteres Mal benutzt (Vit. auct. 8) und das abge.~ehen von einigen späteren christlichen Schriftstellern sonst noch bei Cassius Dio (als Ubers. von liberator?; 41,75,2; 43,44,3; 44,1,2.35,2 und Epitome 272) begegnet. Die Verwendung des Wortes in Vit. auct. 8 als Selbstprädikation von Diogenes von Sinope kommt dem vorliegenden Gebrauch sehr nahe: 'EAEv8EPWTryS- El/lL TWV av8pWTTWV Kat laTpos- TWV TTa8wv. Sie zeigt, daß der Gebrauch hier auf Lukian und nicht auf epikureische religiöse Diktion zurückzuführen ist. 64 Man beachte, daß die gesamte Palette der Merkmale der 8ElOS- avryp-Konzeption der modernen Forschung an dieser Stelle in toto fehlt. 65 Wir beginnen beim unmittelbaren Kontext, der dann mit immer weiter gezogenen Kreisen vergrößert wird. 66 Hier ist /lET aATJ8E[aS' adverbial benutzt, vgl. LSJ, S.v. aAry8ELa 2. 67 Schon seit frühester Zeit bilden KaAoS' und aya8oS' mit ihren jeweiligen Derivaten im Griechischen ein festes Begriffspaar (KaAoS' Kat aya8oS'; KaAoKaya8[a!), seit Sokrates wurde das Schöne mit dem sittlich Guten identifiziert und als eine erlernbare Größe betrachtet. Dies wurde zum Gemeingut der gesamten griechischen philosophischen Tradition, vgl. Walter Grundmann, Art. KaAoS', ThWNT 3, S. 539-553, da 539-543. Es liegt also nahe, daß der Ausdruck 7(1 KaAa auch hier deckungsgleich ist mit Ta aya8a, d.h. den wahren Gütern, die zur Glückseligkeit führen.
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Teil 111: Semantische Analyse: Belos KTA. in epistemologischem Kontext
Wie alle anderen hellenistischen Philosophien war auch die epikureische eine intellektualistische Philosophie: Allein die Erkenntnis, daß die Lust das höchste Gut sei, führe zur GlÜckseligkeit. 68 Diese Erkenntnis, so glaubten die Epikureer, habe Epikur ausreichend in seiner Lehre formuliert und vor allem in seinen Sentenzen, darunter dem berühmten Tetrapharmakon69 , zusammengefaßt. Daß es sich hier um die Lehrsätze Epikurs handelt, geht eindeutig aus der von Lukian gewählten Terminologie hervor: die Partizipien lYVWKOTL und TTapa8E8wKoTL sind termini technici, die den Überlieferungsprozeß bezeichnen.7 0 Epikur, der die entscheidende Erkenntnis hatte, wird hier als der Anfang einer Überlieferungskette betrachtet,7! von dem dieses Wissen an seine Schüler (oj1LAT]a-avTwv aVT~) weitergereicht wurde.7 2 Er wurde dadurch zu einem Befreier (EAEVßEPWn]S") seiner Schüler, denn seine Erkenntnis befreit den Menschen von den versklavenden Leidenschaften, wie der Furcht vor dem Tod und den Göttern, der Begierde und dem Schmerz. 73 Der unmittelbare Kontext deutet also darauf hin, daß Epikur wegen seiner Position bezüglich der von ihm gegründeten Wissenstradition als avryp LEpoS" KaI ßE(J'TTEa"LoS" bezeichnet wird. Richtet man jetzt den Blick über den unmittelbaren Kontext hinaus auf den Gesamtkontext der ganzen Schrift, fällt die zentrale Rolle Epikurs (17.25.43.47) und der Epikureer (17.25.38.43.44f.46.57) in der Darstellung auf. Zwei Passagen (§§ 25.47), in denen Lukian auf Epikur zu sprechen kommt, stechen hervor: Hier kann man deutlich ablesen, welches Bild Lukian von Epikur hatte.74 Überhaupt führte er einen erbitterten und unversöhnlichen Krieg gegen Epikur - dies allerdings begreiflicherweise. Denn wen anders würde ein Scharlatan und Liebhaber des Wunderhaften (y67]so äv8pWTTOSO Kai TEpaTElq. cj>lAoso), ein Feind der Wahrheit (aA7]8Elq. 8E EX8LaToSO), mit größerem Recht bekämpfen als Epikur, einen Mann, der das Wesen der Dinge durchschaut hatte (av8pi 68 Epist. ad Men. 132: TOVTWV BE TTavTwv apXr7 Kai TO flEYLaTov aya80v cj>pOV7]aLSO. 8LO Kai cj>LAoaocj>laso TLflU.JTEPOV vTTapXEL cj>POV7]aLSO, lf liso al AOL TTai TTGaaL TTEcj>VKaaLV apETa l, ... : "Von all diesen Dingen ist die Einsicht Ursprung und das höchste Gut. Denn die Einsicht ist selbst wertvoller als die Philosophie: aus ihr sprießen alle übrigen Tugenden ... " Zum Wert der vernünftigen Einsicht in der epikureischen Philosophie vgl. z.B. Rossenfelder, Philosophie, S. 110f. 69 Epikur, RS 1-4. 70 Eine direkte Verbindung zwischen der Erkenntnis der höchsten Güter, der Glückseligkeit und Epikurs Lehrsätzen liegt schon in seinem Brief an Menoikeus 135 vor: "Dieses (TavTa) und was dazu gehört ... überdenke Tag und Nacht .. , Dann wirst du niemals ... beunruhigt werden, und du wirst unter den Menschen leben wie ein Gott. Denn keinem sterblichen Wesen gleicht der Mensch, der inmitten unsterblicher Güter (lv a8avaToLSO aya8oLSO) lebt." (Übers. v. Gigon). 71 Der epikureische Dichter Lukrez besingt in jeder von den 4 Eulogien, die er über Epikur verfaßt hat, diesen Aspekt seines Werks: Er war der Erste, der die Welt von der Unwissenheit und infolgedessen von der Versklavung befreite: De rer. nat. 1,66 (primum); 3,2 (primus); 5,9 (princeps); 6,4 (primae), weiterhin 3,9 (rerum inventor). 72 Vgl. Lukrez 3,4-13. 73 Mit ähnlichen Metaphern feiert Lukrez Epikur: Er ist der victor, der den oppressiven Volksglauben besiegt und niedergeschlagen hat (1,62ff.); er offenbart die Geheimnisse der Welt und bringt Licht in die Finsternis (3,1-30; 5,10-13; 6,35ff.). 74 Alex. 25.
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n}V cjJvaLv T63v TTpaYJ1aTWv Ka8cwpaKOTL ) und als einziger das Wahrhaftige in ihnen erkannt hatte (Kal J10Vlf) Tryv EV aUTOrS' aAr}8cLav cl8oTL)? Denn Platons, Chrysipps und Pythagoras' Schüler (ol aJ1cjJl TOV JJAaTwva Kal XpvaL TTTTOV Kal JJv8ayopav) sind seine [sc. Alexanders] Freunde (cjJiAOL) und verkehren in tiefem Frieden mit ihm (clpr}VT} ßa8cra TTPOS' EKcivovS' tiv). Der "hartköpfige (äTcYKTOS') Epikur" - den so nannte er ihn - war ihm jedoch zu Recht feind (Ex8LaToS' 8LKaiwS'), denn er hielt all dieses Zeug für lächerliches Witzeln.
Hier wird Epikur dargestellt als avr}p n]v qYVaLV TWV TTpaY/laTUJv KaßEUJpaKOTL Kai /lOVOS- n]v EV aUTolS- aA18ELav El8ws-, als derjenige, der das Wesen der Dinge durchschaute und als einziger ihre wahre Natur entdeckte. Epikur wird als einzigartiger Entdecker der Wahrheit gefeiert. Achtet man weiterhin auf den unmittelbaren Kontext dieses feierlichen Bekenntnisses, sieht man, daß es sich hier um den ersten Widerstand der Epikureer ('ETTLKovpOV ETafpoL) in Pontus gegen die Machenschaften Alexanders handelt (25,1-10.27-32). Dieses Auftreten wird demjenigen der anderen Schulen (oI a/lcjJi TOV JIAaTUJva Kai XpvaL TTTTOV Kai JIvßayopav) demonstrativ entgegengesetzt. 75 Diese Zusammenstellung will offensichtlich nachweisen, daß sich die Wahrheit der Lehren der Schulgründer an den Reaktionen ihrer Nachfolger erkennen läßt. Nur Epikur (mitsamt seinen Anhängern) wird nicht mürbe in seinen Überzeugungen (aTEYKToS-)76 und bleibt unerbittlich ein Feind der Scharlatanerie Alexanders, dieses Freundes des Wunderhaften und Feindes der Wahrheit, denn er sei der einzige (J1ov~!) Entdecker der wahren Natur der Wirklichkeit und Inhaber der Wahrheit selbst. In Alex. 47 kommt Lukian noch einmal ausführlich auf die Tugenden Epikurs zu sprechen: 77 Noch ein höchst lächerliches Ding hat Alexander angerichtet: Denn nachdem er Epikurs Kyriai doxai in die Hand bekommen - das, wie Du weißt, das Schönste von seinen Büchern ist und zusammenfassend die Lehrsätze der Weisheit des Mannes (TfjS' Tav8poS' aocjJiaS' Ta 8oYJ1aTa) umfaßt - und es in die Mitte des Marktplatzes gebracht hatte, verbrannte er es auf Feigenholz - als ob er Epikur selbst verbrennen würde - und streute die Asche über das Meer aus und äußerte außerdem auch noch ein Orakel: "Ich befehle euch, die Lehren des blinden Greises mit Feuer zu verwüsten!" Der verruchte Mensch wußte wohl nicht, zu welchen Gütern (öawv aya863v) das Büchlein seinen Lesern als Anlaß dient und welch Frieden, Unerschütterlichkeit und Freiheit (clpr}vT]v Kal aTapafiav) es (ihnen) bewirkt, indem es sie einerseits befreit von der Furcht vor übernatürlichen Erscheinungen und Vorzeichen (8cLJ1aTwV J1Ev Kal cjJaaJ1aTWV Kal TcpaTwv aTTaAAaTTOV), weiterhin von leeren Hoffnungen und von übermäßigen Begierden (EATTi8wv J1aTaiwv Kal TTcPLTT63v ETTL8vJ1L63v), ihnen andererseits gesunden Verstand und Wahrheit einflößt (vovv 8E Kal aAr}8cLav EVTL8Ev) und ihre Meinungen Es ist kein Zufall, daß Lukian hier die Schulen benennt, indem er explizit auf die Schulgründer Bezug nimmt. Sie werden sehr wirkungsvoll gebrandmarkt als cjJ{AOL des y67]S' äv8pWTTOS', des TcpaTc{q. cjJ{AOS', des aA7]8c{q. Ex8LaToS', Epikur dagegen wird als als J1ovoS' TryV aAr}8cLav cl863S' und Ex8LaToS' Alexanders bezeichnet. Dadurch wird ein direkter Vergleich der jeweiligen Garanten der unterschiedlichen Erkenntnistraditionen erzwungen. 76 V gl. Alex. 17: a8aJ1avTiv7]v TTPOS' Ta TOLaVTa n}v YVWJ17]V EXWV. 77 Alex. 47. 75
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Teil 111: Semantische Analyse: eEtO~ KTA. in epistemologischem Kontext
wahrlich reinigt (Kaea'ipov WS- GATJe6Js- TGS- YVWflas-). Dies tut er nicht mit Hilfe von Fackeln, Meereszwiebeln und derartigem Unfug, sondern mit aufrechter Vernunft, der Wahrheit und freimütigem Reden (AOYlfl opefij Kai aATJeE[g Kai TTapPTJa[g).
Auch hier wird Epikur als weiser Lehrer dargestellt (TT]~ Tav8poS" aocj;taS" Ta 8oyj.1aTa), dessen Lehrsätze Lukian ganz im Sinne der epikureischen Schule als Grundlage der höchsten Güter (oaUJv ayaßwv) betrachtet. Sie bewirken das von jedem Epikureer angestrebte Lebensziel, nämlich den inneren Frieden und die innere Ruhe (clp7}vT]v KaL dTapattav)78. Sie bewirken weiterhin in ihren Lesern die Freiheit,79 so daß der Hintergrund der Bezeichnung EAcVecpUJT7}S" für Epikur in Alex. 61 unmittelbar deutlich wird. Befreier ist Epikur, weil seine Erkenntnis für seine Nachfolger die innere Freiheit von den Ängsten, die sie plagen, bewirkt. Mit Rationalität (vouS"; AOY4J opetjJ)80 und der ihr auf dem Fuße folgenden Wahrheit (d.h. der Erkenntnis der wesentlichen Zusammenhänge aller Dinge)81 rüstet Epikur, indem er mit offenem Freimut (TTappT]atq)82 die Wahrheit aussagt, seine Anhänger aus, um sie dadurch zum einen von der abergläubischen Furcht vor allerlei Schreckgespenstern und übernatürlichen Erscheinungen (8cLj.1aTUJv j.1EV KaL cj;aaj.1aTUJv KaL TcpaTUJv)83 sowie zum anderen von den sinnlosen und überflüssigen Begierden und Hoffnungen (EATTt8UJv j.1aTatUJV Kat TTcpL TTWV ETTLßVj.1LWV) zu erlösen. Damit greift Lukian auf Grundelemente der epikureischen Lehre zurück: Epikur definiert das höchste Gut, das Telos als Freiheit von seelischem Aufgewühlt-Sein und körperlichem Schmerz. 84 Die Ataraxie hat ihre Ursache in unerfüllten Bedürfnissen, die die Zukunft betreffen, nämlich Furcht und Begierde - erstere läßt sich genauer bestimmen als Furcht vor den Himmelserscheinungen einerseits und den Schrecknissen des Todes andererseits. 85 Epikurs gesamtes Denksystem ist daraufhin ausgerichtet, die Lust 78 E' ,/ PISt. ad M en. 128 : ... ETTavaYElV
, , ... TTJV , ,TT]S, \f/UXTJS,Ir ,,' " ... ETTl aTapaf:,}:/lav , ETTEl TOVTO TOV flaKap[ws- (fjv EaTl TEAOS-:" ... zurückzuführen ... auf ... die Unerschütterlichkeit der Seele. Denn dies ist das Ziel des glückseligen Lebens." Für den inneren Frieden benutzt Epikur selbst gerne das Bild der Meeresstille, vgl. Epist. ad Men. 128; Epist. ad Her. 83 (yaATJVlafl0S-); eie. Tusc. 5,16 (Usener Fr. 425). 79 GV 77: "Die größte Frucht des Selbstgenügsamkeit ist die Freiheit": Tfjs- aVTapKE[asKapTTos- flEYlaTos- EAEveEp[a. Vgl. auch GV 67. 80 Der Terminus ist (kynisch-)stoisch, vgl. aber yv6Jals- oper] in Epist. ad Men. 124. 81 Vgl. Alex. 25,21f. 82 Der Terminus war vor allem in kynischen Kreisen geläufig, jedoch dem Epikureismus ebenfalls nicht fremd. Besonders in bezug auf die Kritik am Aberglauben waren sie kaum an Schärfe zu übertreffen. Vgl. GV 29: "Mit allem Freimut (TTapPTJatq.) möchte ich ... allen Menschen lieber das für sie Nützliche weissagen, auch wenn keiner es verstehen wollte, als dadurch, daß ich ihren Meinungen beipflichte, den aus der Masse dicht hereinprasselnden Applaus genießen." 83 Man beachte Alex. 25, wo es heißt, Alexander sei ein TEpaTE[g
8. Lukian von Samosata
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verfügbar zu machen, d.h. die Abwesenheit jeglicher unerfüllten Bedürfnisse und Schmerzerfahrungen zu bewirken. 86 Darauf zielen schon die vier in der Einleitung des Kyriai doxai erwähnten Grundprinzipien: Die Furcht vor den Himmelserscheinungen wird überwunden durch die wahre Erkenntnis des Wesens der Gottheit, die Furcht vor dem Tod durch die Erkenntnis der wahren Natur der Seele, das Begehren wird bezwungen von der Einsicht, daß alle natürlichen Begierden begrenzt und leicht erfüllbar seien, der Schmerz von der Gewißheit, daß heftiger Schmerz kurz, lang andauernder Schmerz dagegen nicht heftig sei. Lukian nimmt nur auf das erste und dritte von diesen Prinzipien Bezug: Epikur gewährt die Seelenruhe, weil er die Wahrheit über die Gottheit erkannt hat, nämlich daß sie unberührt von dieser Welt existiert. Sie hat mit den Menschen nichts zu schaffen und kümmert sich dementsprechend nicht um sie, so daß all die furchterregenden Erscheinungen, Zeichen und Wunder, die aus der göttlichen Sphäre auf die Menschen stoßen, ihre religiöse Bedeutung und ihren Schrecken verlieren.8 7 Weiterhin verhilft Epikur der Seele zur Ausgeglichenheit, weil seine Lehre den Menschen vor leeren Erwartungen und überflüssigen Begierden schützt: Lukians Terminologie (TTEpLTTal ETTL8vIlLaL; EATTL8E5" llaTaLaL)88 zeigt, daß er die Lehre von der Begrenztheit der Begierden vor Augen hat. 89 Man beobachtet also, daß Lukian hier gezielt bestimmte zentrale Aspekte der Philosophie Epikurs aufführt. Daß diese philosophischen Ansichten Epikurs hier nicht nur beiläufig angeführt worden sind, sondern gr~ndlegende Bedeutung für seinen eigenen Kampf gegen die religiöse Scharlatanerie Alexanders haben, deutet schon der gehässige Seitenhieb, Epikurs befreiende Tätigkeit geschehe nicht durch Fackeln und Meereszwiebeln,90 an. Auf diesem Hintergrund ist auch der Gebrauch der Bezeichnung lEPOS- in der Aussage, Epikur sei dvryp dA1]eWS- IEPOS-, in Alex 61 zu verstehen. Dabei ist zu beachten, daß es im griechischen Raum ungewöhnlich war, Menschen das Prädikat IEPOS- beizulegen, es sei denn, die betreffende Person wurde eindeutig der kultischen Sphäre zugeordnet. Denn IEPOSbezeichnete ursprünglich nicht die persönliche Heiligkeit in moralischem Sinne (äYLOS-!),
ws-
86 Das berühmte Tetrapharmakon = RS 1-4: "es ist ... das für die Gesundheit der menschlichen Seele unentbehrliche Minimum philosophischer Einsicht", Gigon, Epikur, S. 13. V gl. auch RS 10f. 87 Vgl. Epist. ad Men. 123f. Weiterhin Usener Fr. 352ff. 88 Auch Epikur selbst (GV 33; Plutarch, Adv. Colotem 1089D = Usener Fr. 68) benutzt den Begriff EATTLS- gelegentlich in bezug auf die Begierden oder Erwartungen, die den Menschen umtreiben. 89 V gl. Epist. ad Men.127: Epikur unterscheidet zwischen "natürlichen" und "leeren"l"sinnlosen" Begierden ( ... TWV ETTLeVIlLWv al IlEV Elen cpvaLKa{, al BE KEva{ ... ). Letztere werden auch als "leere Erwartungen" (KEval Bo,aL; RS 15/GV 8 und RS 39/GV 20) bezeichnet. Weiterhin ist in RS 39; GV 20.21 von den dvaYKa[aL ETTLeVIlLaL die Rede. 90 Ein Hinweis auf die Praktiken während der Mysterienriten in Abonouteichos, vgl. die Erwähnung von Fackelzügen in 38-40 und von Knoblauch in 39.
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sondern die (kultische) Konsekration. 91 Solche lepo{ im Sinne konsekrierter Objekte waren Mysten, Priester, Kultbeamte, sogar Freigelassene, die einem kultischen Bereich zugeordnet waren. Man muß jedoch damit rechnen, daß die Grenzen zwischen lep6s- und den Lexemen äYLOS- und öenos- mit der Zeit verschwammen, so daß lep6s- zeitweilig einen stärkeren ethischen Aspekt hatte, d.h. daß ihm die Bedeutung "rein" oder gar "fromm" anhaftete. 92 Auch an dieser Stelle stellt Lukian dem Lügenproheten Alexander den Philosophen Epikur als leuchtendes Gegenbeispiel gegenüber: Nicht der Kultprophet Alexander, sondern der oft als gottlos verschrieene Epikur ist ein "heiliger" bzw. "reiner" Mann, der als Befreier die Gedanken der Menschen reinigt.
Wie grundlegend Epikurs Ansichten für die Gesamtkonzeption der Schrift sind, wird ferner besonders aus dem programmatischen Abschnitt in Alex. 8 deutlich. Hier also, wie Thukydides gesagt hätte, beginnt der Krieg schon. Wie üblich, wenn zwei Bösewichte, waghalsig und zum Verbrechen entschlossen, sich auf das gleiche Anliegen einlassen, kapierten (KaTev6ryaav) sie leicht, daß das Leben der Menschen von zwei mächtigen Tyrannen, Hoffnung und Furcht (EATT{8os- Kat <jJ6ßov), beherrscht wird. Weiterhin war ihnen klar, daß, wer sich jedes von beiden zu Nutze machen kann, blitzschnell reich werden könnte. Denn sie haben wahrgenommen (luJpCtJv), daß für beide, sowohl für denjenigen, der sich fürchtet, als auch für den Hoffenden (TC;; Te 8e8L6TL Kat TC;; EATT{(OVTL), das Vorherwissen der Zukunft (n]v TTp6yvCtJaLv) absolut unentbehrlich und (deshalb) sehnlichst erwünscht (avaYKaLoTaTryv Te Kat TTO()eLVOTaTT]v) ist - so war schon einst Delphi - und auch Delos, Klaros und Dydima - reich und berühmt geworden, denn die Menschen waren dieser Tyrannen wegen, die ich eben erwähnt habe, nämlich Hoffnung und Furcht (Tf]V EATT{8a Kat TOV <jJ6ßov) , zu ihren Heiligtümern geschwärmt, um die Zukunft zu erfahren (TTp0J.1a()eLV Ta J.1EMoVTa 8e0J.1EVCtJV). Um dessentwillen hatten sie Hekatomben geopfert und goldene Ziegel gewidmet. Nachdem die zwei hin und her über diese Dinge nachgedacht hatten, entschieden sie sich, eine Orakelstätte einzurichten. Sie hofften (ijATTL(OV) nämlich, daß sie, wenn es ihnen gelingen würde, plötzlich reich und glücklich (TTAovaLo{ Te Kat ev8a{J.10VeS-) sein würden - was besser als zuerst erwartet gelang und sich besser als erhofft (KpeLTTOV Tijs- EATT{8os-) verwirklichte.
Dieser Text ist, wie der Hinweis auf Thukydides signalisiert, eine Schaltstelle in der Schrift. Programmatisch beschreibt Lukian hier das ganze Unternehmen Alexanders mit Hilfe epikureischer Kategorien: Lukian unterscheidet jene Quellen der U nausgewogenheit der menschlichen Seele und infolgedessen des Unglücks, nämlich die Furcht und das Verlangen. Auch die direkte Verbindung von den Affekten Furcht und Verlangen mit der Unwissenheit über die Zukunft gehört zur Grundlage der epikureischen Philosophie. 93 Auch im Hinweis darauf, 91 Zu Recht schreibt Fox, Pagans and Christians, S. 253: "On a strict definition, there were no pagan "holy men", for in pagan Greek the word "holy" applied to places, but not to peopIe." Vgl. auch hier oben S. 194, Anm. 7. 92 Vgl. Rowland, Hieros aner, S. 123. 93 Dazu Hossenfelder, Philosophie, S. 111. Zur Zukunft vgl. GV 14; Epist. ad Men. 127b (Gigon): "Es ist ferner zu bedenken, daß die Zukunft weder vollständig in unserer Gewalt ist noch vollständig unserer Gewalt entzogen. Wir werden also niemals erwarten, daß das Künfti ge sicher eintreten wird, noch daran verzweifeln, daß es jemals eintreten werde." - Epikur
8. Lukian von Samosata
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daß das Verlangen, Zukünftiges zu wissen, absolut unentbehrlich sei (dvaYKaLoTaTT]v), klingt epikureische Terminologie an. 94 Nach Lukian beutet Alexander durch die Gründung der Orakelstätte in Abonouteichos gerade jene von Epikur als Quellen des Unglücks erkannten Affekte erbarmungslos aus,95 um sich selbst zu bereichern und sich so das Glück zu verschaffen. 96 Lukians Verbindung der Affekte (besonders der Furcht) mit dem volkstümlichen Aberglauben, auf den die Orakel sich schon seit eh und je stützen, ist so offenkundig epikureisch, daß es keines weiteren Kommentares mehr bedarf. Die gesamte Passage und besonders die Wiederholung des Paares EA1TLS' / cp6ßOs'J7 bereiten offenkundig gezielt den Weg für die spätere Kontrastierung von Alexanders Machenschaften mit Epikurs heilbringender Tätigkeit. Von jetzt an stilisiert Lukian die Tätigkeit des Orakel stifters Alexander als einen ständigen Kampf mit Epikur bzw. den Epikureern. 98 Zwei Orakel habe Alexander gegen Epikur gerichtet,99 ein weiteres gegen den Anführer des epikureischen Widerstandes, Lepidus. 100 Er habe eine Bücherverbrennung von Epikurs Werken veranstaltet,101 habe veranlaßt, daß epikureische Gegner vertrieben werden sollten, in einem anderen Fall, daß einer gelyncht werden sollte. 102 Die erbitterte Feindschaft habe sich sogar in den Mysterienritualen 103 und im Sprachgebrauch Alexanders niedergeschlagen. 104 Nach Lukian fürchtete
hat diese Aussage umrahmt mit Erörterungen über die Furcht vor den Göttern und dem Tod (123-127a) und die Begierden (127c-128)! 94 V gl. RS 39; GV 20f. 95 Auch an anderen Stellen in seiner Darstellung läßt Lukian diese epikureischen Kategorien einfließen, um die Machenschaften Alexanders zu beschreiben. In Alex. 16 beschreibt er die einströmenden Menschen als dvßpwrrwv ... TETapayf.1EVWv ... Tals- tArrLeJ1V Errauv rrovf.1EVwV. In Alex. 25 versucht Alexander, die Menschen mit Furcht (cjJOß7]TPOV TL tri aVTovs-) vor dem Gott zu erpressen, der ihnen gegenüber ungnädig werden dürfte (El YE ßEAOVO"LV L'AEwv EXELV TCJV ßEOV).
96 Die Verbindung von Hoffnung mit Reichtum und Glück ist hier auffällig: Kontrastiert Lukian subtil das Leben Alexanders mit dem epikureischen Bios? Vgl. z.B. zum Thema Reichtum: GV 8 (=RS 15).25.43.67; bes. 81! 97 Das Wortpaar begegnet sonst noch bei Lukian in einer Chrie in Demonax 20, da aber in kynischem Rahmen. Obwohl es als solches in den überlieferten epikureischen Texten fehlt, sind die dadurch bezeichneten Sachverhalte grundlegende Elemente der epikureischen Philosophie. 98 V gl. Alex. 25: äO"rrov8os- Kai dKrjpvKToS- ... 0 rroAEf.10S- rrpos- 'ErrLKovpoV. 99 Alex. 25.47. 100 Alex. 43. Eine Inschrift aus Amastris (C.I.G. 4149) erwähnt diesen Tiberius Claudius Lepidus, der Hoherpriester des Kaiserkultes war. Dies läßt sich problemlos mit der Haltung eines Epikureers verbinden. 101 Alex. 47. 102 Alex. 25.44f. 103 Alex. 38. 104 Alex. 25.45.46. Daß diese Rivalität nicht nur Lukians schriftstellerischer Freiheit zuzuschreiben ist, beweist nicht zuletzt die Tatsache, daß Lukian die von ihm verachteten Christen (vgl. De morte Peregrini 11-13) und die von ihm verehrten Epikureer in einem Atemzug (Alex. 25.38) als Gegner des Orakels erwähnt. Zu Lukian und den Christen vgl. Betz, Lukian, S.5-13.
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Teil 111: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in epistemologischem Kontext
(lBEBLEl) Alexander Epikur, weil dieser sein Rivale (avTLTEXVOs-)105 und Widersacher seiner Gaunerei (avTlaocpl0'17]S- Tf}s- payyavELas- aVTov)106 sei (Alex.
43). Der Philosoph und die Seinigen, die vernünftig sind,107 würden seinen erfinderischen Schwindel durchschauen 108 und sogar mit eigener Kunstfertigkeit übertreffen. 109 Seine Gaunerei wird von Epikur widerlegt (avTlaocplaTr]v TfjspayyavELas- aVToD) und dementsprechend von seinen Nachfolgern der Öffentlichkeit preisgegeben. 110 Lukian betrachtet seine eigene Tätigkeit als Teil dieses Aufklärungsprozesses. Mit seiner Schrift will er Epikur rächen (Alex. 61 TlPUJpWV).lll Sie spiegelt das freimütige Reden wieder, mit dem Epikur gegen Furcht und Hoffnung die Wahrheit sprach. 112 Er schreibt sie einerseits, um seine Leser in ihrer Vernunft zu stärken (Ta BE lv Tals- TWV EU CPPOVOUVTUJV yvwpalS- ßEßaloDaa.), 113 andererseits zur Widerlegung der abergläubischen Irrtümer (Ta PEV BlEteAtyxovaa). Er führt das Programm Epikurs im Hinblick auf Alexander aus. Er entlarvt den sogenannten Orakelpropheten als das, was er in Wirklichkeit ist,114 nämlich als einen Scharlatan und Gauner, einen Feind der Wahrheit und Vernunft, der von der Angst und der Hoffnung der Menschen profitiert. In der Nachfolge Epikurs steht Lukians ausgeprägtes Interesse für die Mechanik von
105 Immer wieder verweist Lukian auf Alexanders erfinderische Kunstfertigkeit (PTJxavT)pa Alex. 17.20; PTJxaVGußaL 13.19.26.32), die der Entlarvung bedarf. Im ausführlichen Lasterkatalog in Alex. 4 wird seine KaKoTExv[a extra erwähnt. 106 Für Lukian ist Alexander ein Scharlatan, ein YOTJ5' (1.5.6.25.60), der sich mit Gaunerei, payyavELa (1.6.17.25.43.54), durchschlägt. Gelegentlich unterstellt er ihm sogar Zauberei (j.1aYELa vgl. 5.6). 107 Vgl. Alex. 47: vovv 8E Kai dArjßELav EVTLßEv!; 17: d8apaVTLVTJV TTP05' Ta TOLaVTa Tr]V YVWpTJV EXOVT05'; 25: TWV vovv EXOVTUJV; 45: povov epPOVELV, Kelsos sei ein uoep05' (61,vgl. auch 20). Dagegen sind diejenigen, die Alexander glauben, dumm (z.B. 20.45), schwerfällig (6.17) und ungebildet (17). 108 Alex. 17: TO PTJxavTJpa E8ELTO L1TJPOKPL TOV TLV05' ij Kai aVTov 'ETTLKovpOV ij MTJTpo8wpov
Ti
TLV05' dMov d8apaVTLVTJV TTP05' Ta TOLaVTa rr]V YVWpTJV EXOVT05'.
Weiterhin Alex. 20, wo sowohl Kelsos als auch Lukian den Trick durchschauen. 109 Alex. 54: Lukian stellt Alexander allerlei ebenso trickreiche Fallen (TTpOETJxaVTJUapTJv). 110 Vgl. Alex 25: ETTEepwpaTo; weiter 44f.: 8LEAiYXELV/EAEYX05' und weiterhin lautet es, Alexander wehre sich gegen die Wahrheit (pr] epipUJv ... rr]v dArjßELav) - dies entspricht Alex. 25, wo er als dATJßELq. EXßLUT05' bezeichnet wird. Vgl. Alex. 47.61, wo es lautet, Epikur flöße seinen Nachfolgern die Wahrheit ein (dArjßELav EVTL ßEv) und Kelsos sei für seine Liebe zur Wahrheit zu bewundern. 111 Ähnlich Robert Bracht Branham, The Comic as Critic: Revenging Epicurus - a Study of Lucian's Art of Comic Narrative, Classical Antiquity 3, 1984, S. 143-163; leicht verändert in: Ders.; Unruly Eloquence, Lucian and the Comedy of Traditions, Cambridge, Mass.lLondon 1989, S. 179-210. 112 Vgl. Alex. 47. 113 Ähnlich schätzt Lukian die Abhandlungen seines Adressaten Kelsos gegen die Magier ein: WCPEALpUJTaTOL5' uvyypappauLv Kai 8vvapivOL5' UUJCPPOVL(ELV TOU5' EVTvyxavOVTa5' (Alex. 21). 114 Gleich am Anfang setzt Lukian damit an, den Unterschied zwischen dem äußerlichen Schein und der sich darunter befindenden Wirklichkeit herauszuarbeiten, vgl. Alex. 3-4.
8. Lukian von Samosata
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Alexanders Betrug: 115 als Waffe gegen die Deisidaimonie hat jener seine vom Kausalitätsprinzip beherrschte Physik eingesetzt, um den Nachweis zu erbringen, daß alle Phänomene sich auf natürliche Weise erklären lassen. 116 Die Parallele zu Epikur geht noch weiter: Lukian durchschaut Alexanders ganze Inszenierung (25: 8pofla; 60: Tpayr.p8ta)117: sie ist für Epikur nur Lächerliches und Belustigung (lv YEAWTL Kai TTaL8uj TL 8EflEVOS-) , wie sie auch für Lukian höchst lächerlich (47: YEAoLoTaTov) ist. Es dürfte also als wahrscheinlich gelten, daß Lukians Absicht, mit dieser Schrift einen Stall des Augias zu reinigen (dvaKaeapaa8aL, Alex. 1), sich auch an Epikurs Schrift Kyriai doxai orientiert, die nach Lukians eigener Einschätzung den Verstand reinige (Ka8a{pELv, Alex. 47). Auf diesem Hintergrund ist es also zu verstehen, wenn Lukian Epikur einen dVT]p ws- dATJ8ws- LEPOS- Kai 8EaTTEaLos- n]v cpvaLv nennt. Er ist das Exempel für Lukians eigenes Agieren, der Urheber und Garant der Tradition, auf die er zurückgreift. 118 Lukian benutzt also den Terminus 8EaTTEaLos- an dieser Stelle, wie wir es bisher in dieser Untersuchung bei anderen kaiserzeitlichen Schrifstellern beobachtet haben. Der Ausdruck referiert auf Epikur in seiner Eigenschaft als Urheber und Garant der Tradition, in die Lukian sich in der Auseinandersetzung mit dem Alexanderkult stellt. 119 Für Lukian war Epikur seiner Wesensart bzw. seiner natürlichen Veranlagung und Fähigkeiten entsprechend (Ti]V cpvaLv
115 V gl. bes. 15-21: diese f.1ExaVr7f.1aTa könnten nur von Personen vom Kaliber eines Demokrits, Epikurs und Metrodors (oder einer wie Lukian!), der einen d8af.1avT{vryv TTP05' Ta TOlaDTa Tr,V yvu5f.1TlV hat, durchschaut werden; vgl. bes. die Selbsteinschätzung Lukians in Alex. 20. 116 Epikur RS 1; Epist. ad Men. 123ff.; Epist. ad Her. 76ff.; Lukrez De rer. nato 1,62-148; 5,1183-1240; 6,35-91. Diesem Kausalitätsprinzip hat Lukian in seinem Kampf gegen Alexanders f.1ExaVr7f.1aTa und f.1ayyavE{a verschrieben (Alex 17): es erfordert eine unerschütterliche Einstellung (d8af.1avT{vTlV TTP05' Tll TOlauTa TryV yvwf.1TlV ), daß solche Dinge unmöglich sind (dTTlaTi]aal / ljJEu865' EaTl / YEvEaßal d8vvaTov) und daß die wahre Ursache erforscht werden soll (ÖTTEp ryv ElKaaal / EVPELV TOV Tp6TTOV (Ti]5' f.1ayyaVE{a5')). 117 In der gesamten Schrift benutzt Lukian Terminologie aus dem Theaterwesen, um dadurch dem ganzen Leben Alexanders die Authentizität abzusprechen und es als bloße Inszenierung zu verun-glimpfen, vgl. 5.12.60 (TpaY4J8{a); 19 (aKTlV7]); 25.60 (avaKEvry TOU 8paf.1aT05'; KaTaaTocpr, ToD 8paf.1aT05'). In der Bezeichnung von der von Alexander vorgeführten Schlange als f.1ExaVTlf.1a (z.B. Alex. 17) und von dem ersten Auftritt Alexanders in seiner Heimatstadt (Alex. 12) als ElaßaM.Elv ... J.1ETCt. ... TpaY4J8{a5' (ElaßoA7] bezeichnet das Vorspiel eines Theaterstücks, s. LSJ, s.v. ElaßoA7] 3) sind die Anklänge an die Theatersprache unüberhörbar, vgl. auch VTTOKPlTlKryV TOU BEAT{OV05' (4). Vgl. hierzu Rudolf Helm, Lucian und Menipp, LeipziglBerlin 1906, S. 44-45 und Diskin Clay, Lucian of Samosata: Four Philosophical Lives, ANRW 11 36.5,1992, S. 3414-3420.3443f. 118 Richtig Clay, Four Philosophical Lives, S. 3443: "In the 'Alexander' Epicurus and the Epicureans represent Lucian's attitude towards the solemn farce ... ". 119 Es ist aller Wahrscheinlichkeit nach nur der bruchstückhaften Überlieferung zuzuschreiben, daß die ßEL05' avßpwTT05' - Terminologie, abgesehen von Alexander 61, nicht in Verbindung mit Epikur als TTPWT05' aocp65' und primus inventar des Kepos auftaucht.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
in epistemologischem Kontext
als accusativus respectus !)120 einer jener erhabenen Philosophen, die mit den Adjektiven eELOS", 8aL/16vLoS" oder eEO'TTEO'LOS" bezeichnet werden konnten. 121
8.2 eEO'TTEULOS- IJveayopas8.2.1. Alexander 4
Wenn der Ausdruck eEO'TTEO'LOS" dvryp in Alex. 61 sich in bezug auf Epikur als Bezeichnung für den Garanten der Tradition, auf die sich Lukian beruft, erklären läßt, stellt sich die Frage, ob der in Alex. 4 für Pythagoras benutzte Ausdruck 0 O'ocpoS" dvryp KaL n}v rVuJ/1T]V eEO'TTEO'LOS" auch in dieser Weise zu verstehen sei. 122 Diese Frage bekommt umso mehr Dringlichkeit, wenn man bedenkt, daß Pythagoras gemeinhin in der eELOS" dvryp-Forschung als das Musterbeispiel eines eELOS" dvryp gilt. 123 Wir setzen wieder beim unmittelbaren Kontext ein. Nachdem Lukian die äußere Gestalt Alexanders geschildert hat (Alex. 3), geht er dazu über, den Charakter bzw. die intellektuellen Fähigkeiten Alexanders in leuchtenden Farben zu beschreiben. Ihm wird attestiert, an Verstand, Geistesgegenwart und Scharfsinnigkeit andere Menschen bei weitem übertroffen zu haben; über Neugier, Gelehrigkeit, Gedächtnis und Begabung für die Wissenschaften habe er in höchstem Maße verfügt.1 24 Lukian fährt jedoch fort, Alexander habe diese Gaben nur zum Schlechtesten eingesetzt: Obwohl er über die edelsten Fähigkeiten verfügt habe, habe er sich als Spitzenkandidat unter den berüchtigtsten Übeltätern etabliert. 125 Dieses Urteil Lukians wird jetzt in den folgenden Sätzen begründet (rap), wenn Lukian unvermittelt einen Vergleich mit Pythagoras in
120
Von Alexander sagt Lukian in Alex. 11 verächtlich, er sei f1clXAO:; Kai yvvalKOf1avry:;
n]v q;valV! 121 Sagt Lukian dies in bewußter Abgrenzung zu einem solchen Anspruch Alexanders? V gl. Alex. 11, wo jn einer Selbstbezeichnung des Propheten von Bio:; 'AAEeav8po:; die Rede ist! Vgl. dazu die Uberlegungen in Kap. 13. 122 Da es wahrscheinlich ist, daß Lukian die Terminologie innerhalb der Schrift einheitlich benutzt, kann diese Stelle dazu dienen, die Richtigkeit der Überlegungen zu Alex. 61 zu überprüfen. Sollte sich herausstellen, daß Lukian an dieser Stelle die 8cLO:; avrj~ Terminologie als Bezeichnung eines Typos im Sinne der 8cLO:; av7jp-Forschung benutzt, wären die unterschiedlichen Gebrauchsweisen der Ausdrücke zu erklären. 123 Vgl. Bieler, BEIOL; ANHPI, passim, zur Terminologie bes. S. 17 (Anm. 19) und 75. Der 8cLO:; av7jp, wie Bieler ihn als Typus in die Diskussion eingeführt hat, ist regelrecht auf die spätantike Pythagorasüberlieferung zugeschnitten, vgl. Kap. 9, Anm. 1. Zu Pythagoras vgl. Kap. 9 u. 10 hier unten. 124 ... TOloa8c f1EV Tryv f1opq;7jv' i} ij;vXTJ 8E Kai i} YVWf1rJ - ... avvEacl f1EV yap
Kai aYXlvo{q. Kai 8Plf1VTT}Tl rrclf1rrOAV T6Jv dMUJv 8lEq;cpcV, Kai TO Tc rrcp{cpyov Kai cUf1a8E:; Kai f1VrJf10VlKOV Kai rrpo:; Ta f1a87jf1aTa cUq;VE:;, rraVTa TaVTa cl:; vrrc{T ßOATJV EKaaTaxov vrrfjPXcv aUT4J. 125 ... ixpfjTo 8E aUToL:; cl:; TO Xc{plaTov, Kai öpyava TavTa ycvvaLa vrroßcßArJf1EVa EXUJV aUT{Ka f1aAa T6Jv irri KaK{q. 8laßo7jTUJv aKpoTaTo:; arrcTcAEa8rJ ...
8. Lukian von Samosata
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den Argumentationsgang einschaltet: Die falsche Verwendung hervorragender Eigenschaften zeige sich darin, daß Alexander sich mit Pythagoras auf eine Stufe stellt: 126 Denn einmal beanspruchte er in einem Brief an seinen Schwiegersohn Rutilianus, in dem er aber auch durchaus Bescheidenes über sich selbst sagt, daß er mit Pythagoras vergleichbar sei (JJv8ayopq. ölloLOS" EIvaL Tjf{ov). Aber Pythagoras, ein weiser und in seiner Erkenntnis ein 8EaTTEaLoS" Mann (aocpoS" av7}p Kat TT]V YVWIlTJV 8EaTTEaLOS"), möge mir verzeihen! - wenn er zu dieser Zeit gelebt hätte, hätte er, davon bin ich überzeugt, gegen jenen wie ein Kind ausgesehen (TTaLS" äv EU 018 ÖTL TTPOS" aVTOV EIvaL t80fEV). Bei den Grazien, denke doch nicht, ich sage dies, um Pythagoras zu verleumden (TTPOS" Xap{ TUJV Ilr] IlE vOIl{a7JS" lcp' ÜßPEL TaQ,Ta TOU JJv8ayopov AEYELV) oder daß ich versuche, sie mit Hinblick auf die Ahnlichkeit ihrer Taten miteinander zu verbinden (i} avvaTTTELv TTELPWIlEVOV aVTovS" TTPOS" 0IlOLOTTJTa TWV TTpafEUJv). Wenn jemand jedoch die schlimmsten und lästerlichsten von den Dingen, die schon über Pythagoras gesagt wurden, um ihn zu verunglimpfen (Ta XE{pLaTa Kat ßAaacpTJIlOTaTa TWV lTTt 8LaßoAij TTEpt TOU JJv8ayopov AEyoIlEVUJV) - an deren Wahrheit ich nicht glauben könnte (oIS" tYUJYE OVK äv TTELa8E{ TJv wS" aATJ8iaLV ouaLv) -, zusammentrüge, dann wären sie allesamt ein Bruchteil von Alexanders Schurkerei.
Lukian bedient sich folgender Argumentationsstrategie: er nimmt eine Trennung vor zwischen dem wahren Pythagoras, dem aoqx)5" dV7]p KaL T7]V yvtfJl1TJV eEaTTEaL05", und dem vulgären, mit fabelhaften Zügen ausgeschmückten Pythagorasbild der populären Überlieferung (TWV ... TTEPL ToD JIveay
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Teil 111: Semantische Analyse: BELOS KTA. in epistemologischem Kontext
Lukian bedient sich derselben Strategie auch im Dialog Piscator: In ihm vollzieht Lukian dieselbe Trennung zwischen den großen Philosophen der Vergangenheit und dem Bild, das durch ihre Repräsentanten von ihnen verbreitet wird. In der Satire wird Parrhesiades bzw. Lukian 130 von den großen Philosophen und Schulgründern der Vergangenheit (Pythagoras, Empedokles, Sokrates, Plato, Aristoteles, Antisthenes, Diogenes, Krates, Chrysipp und Epikur) der üblen Nachrede, Verleumdung und Verspottung bezichtigt. 131 Lukian verteidigt sich erfolgreich, indem er den aufgebrachten alten Philosophen in einer Verteidigungsrede vor der Göttin Philosophie erklärt, er habe nicht sie, sondern die Angeber und Betrüger verspottet, die behaupten, sie seien ihre Nachfolger .132 Den Kern seines Arguments faßt er in Pisc. 32f. zusammen: Am allerschlimmsten schien mir jedoch, 0 Philosophie, dies: Wenn die Menschen nämlich sahen, daß einer von diesen (sc. Pseudo-Philosophen) etwas Böses, Unanständiges und Zügelloses tut, gab es nicht einen, der nicht die Schuld der Philosophie selbst zuschob, oder Chrysipp ~~er Platon oder Pythagoras oder welchem auch immer, wessen Namen jener Ubeltäter sich anhängte und wessen Lehrsätze er nachahmte (TOVS' AOYOVS' I/lL/lcLTo). Und wegen seiner schlechten Lebensweise zogen die Menschen üble Rückschlüsse über euch Philosophen, obwohl ihr schon längst verstorben wart: Denn ein direkter Vergleich von ihm mit euch, als ihr noch lebendig wart, fand nicht statt. Ihr wart abwesend, als sie deutlich wahrnahmen, daß jener allerlei schreckliche und unwürdige Dinge trieb, so daß ihr in Abwesenheit mit ihm überführt und auf denselben Verdacht hin in Mitleidenschaft gezogen wurdet. Als ich dies sah, ertrug ich es nicht, sondern überführte sie und trennte sie von euch (aM' ifAcyXOV aVTovS' Kai 8LEKPLVOV acjJ' v/lClv).
Wiederholt zeigt Lukian, daß keine Ähnlichkeit zwischen den Taten der Schulgründer und denen ihrer angeberischen Nachahmer besteht: Diogenes, Platon, Aristoteles und Chrysipp leugnen jegliche Verwandtschaft mit den sogenannten Repräsentanten ihrer Schulen, die ihnen vorgeführt werden. Wie in Alex. 4 kommt eine Feststellung einer Ähnlichkeit in den jeweiligen Taten einer Ver1eumdung gleich. 133 Dem Piscator analog potraitiert Lukian also den Pseudo-Philosophen Alexander als einen Betrüger und Scharlatan, der sich einbildet, ein zweiter Pythagoras zu sein und durch seine Machenschaften Pythagoras als ähnlichen ScharSatz explizit von Lukian abgelehnt wird: /lrj /lc vO/l{a7]S' .,. avvaTTTcLv TTcLPW/lcVOv aVTovS' TTPOS' O/loL0TrJTa TClv TTpa(cUJv. 130 Daß Parrhesiades nur ein sehr durchsichtiges Pseudonym für Lukian selbst ist, geht spätestens aus Pisc. 19.26.29 hervor. 131 Lukian benutzt die Begriffe KaKClS' ayopcvcLV, Vßp{(cLV, 8LaavpcLv, Pisc. 3.4.5.7.25.26.27.29. 132 Pisc. 29-37. Sie seien aAa(ovcS' und Y01]TcS', die seine üble Nachrede (KaKwS' ayopcvov), Verspottung (KUJ/l4J8Clv) und seinen Haß (ä(LOV ol/laL /lLacLv) verdienen und die er überführen (8LcAEYXUJV) muß (vgl. 29 u. 37). 133 Pisc. 48-51: V gl. Chrysipps Aussage in Pisc.51: vßpLaTLKa iPUJTqS, cJ JJapp1]aLa81], TTpoarjKcLv TL ry/lLV VTTOAa/lßavUJv TOLOVTOS' ÖVTaS' mit Alex. 4: /lrj /lc vO/l{a7]S' icjJ'
ÜßpcL TavTa TOV JJv8ayopov AEycLv 0j10LOTrJTa TClv TTpa(cUJv!
Ti
avvaTTTcLv TTcLPW/lcVOV aVTovS'
TTPOS'
8. Lukian von Samosata
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latan darstellt. Darum kann Lukian seine Schilderung von Alexanders geistigen Fähigkeiten abschließen, indem er fortfährt und schlußfolgert, Alexanders Charakter bestehe aus einer Mischung von Lüge, Betrug, Meineid und Arglist; er tarne sich mit dem Anschein des Guten und gaukle ein Bild von sich vor, das das genaue Gegenteil seiner wirklichen (bösen) Absichten sei; er vermittle allen ein Trugbild, daß er ein rechtschaffener, schlichter, einfacher und anspruchsloser Mensch wäre. 134 Noch bevor Lukian seine chronologische Darstellung der Ereignisse um Alexander beginnt, macht er seine Absicht deutlich, auch in dieser Schrift seinem Ruf, ein flLaaAa(UJv zu sein, der jede Form der Hochstaplerei und Scharlatanerie schonungslos überführt, treu zu bleiben. 135 Das Argument in Alex. 4 gründet darauf, daß Lukian zwischen einem falschen und richtigen Pythagorasbild unterscheidet. 136 Daß es sich bei dem falschen Pythagorasbild, das Alexander durch seine Tätigkeit seiner Umwelt vermittelt, um das vulgäre Bild handelt, das aus einem Teil der Überlieferung stammt, geht eindeutig aus den Anspielungen auf Pythagoras' lange Haare 137 , seine wandernde Seele und seinen goldenen Schenkel 138 hervor: Alexander orientierte sich an dem traditionellen Bild von Pythagoras als einem Zauberer und Wundertäter. 139 Die sonstigen Schriften Lukians zeigen, daß Lukian nur Hohn 134 ... TLVa if;vxfj5' Kpa.ULV EK if;EV8ov5' Kal 80AUJV Kal ETTLOPKU;;V Kal KaKoTExvLiJv UVYKELIlEVTjV, ... VTTOKPLTLKr]V TOU ßEAT{OV05' Kal TC;; EvaVTLUJTaT4J Tfj5' ßOVArjUEUJ5' EOLKvLav. OV8El5' YOUV TO TTPWTOV EVTVXWV OVK dTTijA8E 80fav Aaßwv VTTEP aVTOU W5' ELTj TTaVTUJV dv8pr!JTTUJV XPTjUTOTaT05' Kal ETTLELKEUTaT05' Kal TTPOUETL G.TTAoL"Kr!JTaT05' TE Kal dcpEAEuTaT05'. Wieder stehen gute Eigenschaften ihrer schlechten Verwendung gegenüber: Lukian bescheinigt Alexander Wendigkeit (jJq8{av), Wagemut (ToAIlTjpav,), Risikofreudigkeit (TTapaßoAov), Durchhaltevermögen in der Ausführung seiner Pläne (cpLAOTTOVOV EfEPyauau8aL Ta VOTj8EVTa), Überzeugungskraft (TTL8avrjv; vgl. auch Pisc. 42: TTL8avr!JTEpoL yap oi YOTjTE5' OUTOL TTOAAaKL5' TiJV dATj8iJ5' CPLAOUOCPOVVTUJV!) , Glaubwürdigkeit (dfLOTTLUTOV), weiterhin den Blick für das Großartige. (ETTl TTa.UL 8E TOVTOL5' TO IlEyak ovpyov TTPOaf}V Kal TO IlTj8EV IlLKPOV ETTLVOELV, dM' dEl TOL5' IlEY{UTOL5' ETTEXELV TOV VOUv). 135 Pisc. 20: IlLUaAa(wv Kal IlLUOYOTj5' Kal IlLuoif;EV8r]5' Kal IlLUOTVCP05'. V gl. M. D. MacLeod, Lucian's Activities as a MIXAAAZDN, Philologus 123, 1979, S. 326-328, der zu Recht darauf hinweist, daß Lukians Selbstbezeichnung an jener Stelle als JJappTjuLa87]5' 'AATj8{UJvo5' TOU 'EAEyfLKAEOV5' (Pisc. 19, vgl. auch Pseudolog. 4) sein Selbstverständnis reflektiert (vgl. Pisc. 17, wo Parrhesiades bzw. Lukian als Anhänger (Epaurr]5') von Aletheia, Parrhesia, Eleutheria und Elengchos bezeichnet wird, wie auch seine Verteidigungsrede in 29-37). Wie wir schon gesehen haben, verbindet Lukian gerade diese Trias in der Alexanderschrift mit seinem Vorbild Epikur, vgl. Alex. 25.47.61. 136 Dies entspricht dem Gegensatz von dAa(ovE{a und CPLAouocp{a in Fugit. 10. Eine Zustimmung zu dem volkstümlichen Pythagorasbild würde implizieren, daß Pythagoras der dAa(ovE{a und nicht der Philosophie zugeordnet wird. 137 Alex. 3, vgl. Iamblich De vita pyth. 11.30. Auch das Bild von Arignotos, dem pythagoreischen Zauberer, in der Satire vom Lügenfreund ist deutlich dem legendenhaften Pythagorasbild entnommen, vgl. Philops. 29-32. 138Alex.40. 139In Gall. 4 sagt Mikyllos, die Menschen sagten, Pythagoras sei ein Y07]5' Kal TEpaTOVpY05' gewesen. Er selbst bezeichnet ihn als UOcpLUrr]5' und dAa(r!Jv! Der Hahn mit Pythagoras' Seele bezeichnet Pyt~agoras auch als Sophisten, Gall. 18. V gl. weiterhin die Hinweise auf seinen Aufenthalt in Agypten, Gall. 16; Vit. auct. 3.
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Teil 111: Semantische Analyse: 8ELoS KTA. in epistemologischem Kontext
und Spott für dieses populäre Pythagorasbild der Überlieferung übrig hatte. 140 Gerade die Legende, daß Pythagoras eine Inkarnation der Seele Apollons gewesen sei, daß seine Seele in immer neuen Inkarnationen erscheinen sollte und daß die Griechen in Italien ihn für einen Gott gehalten hätten, wird in der satirischen Schrift Gallus gnadenlos verspottet. Besonders die Legende von Pythagoras' goldenem Schenkel gerät jedoch unter Beschuß: In den Totengesprächen muß Pythagoras beschämt die Frage, ob sein Schenkel noch immer von Gold sei, verneinen (Dia1. mort. 20,3). Auch in den Wahren Ges-chichten, die Lukian selbst von Anfang an als lauter Lügen bezeichnet,141 wird der legendäre Pythagoras schonungslos verspottet, wenn er nach mehrfachem Wandel auf Erden mit einer vergoldeten rechten Seite auf die Insel der Seligen gelangt. 142 Auch der dem pythagoreischen Bios gewidmete Teil der Philosophenversteigerung ist eine boshafte Satire auf die Pythagoraslegende, die ihren Höhepunkt erreicht, wenn der zum Verkauf stehende Sklave seinen goldenen Schenkel zur Schau stellt. 143 Die Spitze der Satire trifft nicht so sehr den alten Philosophen, sondern die wundersüchtigen Zeitgenossen, besonders die Pythagoreer, die allerlei legendenhaften Unsinn über ihn verbreiteten bzw. glaubten.1 44 Daß sich Lukian mit diesem falschen Pythagorasbild nicht zufrieden gab, läßt sich an anderen Stellen in seinen Schriften nachweisen. In dem Piscator ist Pythagoras eine der Gründergestalten der Philosophie, die der Welt die schönsten Dinge besorgt haben (Pisc. 25) und die von der Philosophie als Ta KccpaAaLa POV Tr;)V paßTJpaTUJv bezeichnet werden.1 45 Parresiades bzw. Lukian bezeichnet sie als apLuTov ßLOV VopoßETaL, die jene Lebensregeln festgelegt hatten, mit denen man sein eigenes Leben in Einklang bringen sol1. 146 In
140 Auch der Inhalt pythagoreischer Lehre kam nicht ungeschoren davon: Nicht nur das Schweigegebot (Auct. vit. 3) und das Gebot, keine Bohnen zu essen (Gall. 4; Auct. vit. 6; Dial. mort. 20,3; Ver. hist. II 24), sondern auch die Zahlen- (Auct. vit. 4; Icarom. 9) und die Seelenwanderungslehre (Auct. vit. 5; Dial. mort. 20,3) werden Zielscheibe Lukians bissigen Spottes. 141 Ver. hist. 12. 142 Ver. hist. II 21. Helm, Philosophenschulen, S. 190 hat richtig beobachtet, daß hier "eine treffliche Satire auf das Entstehen und Wachsen des Wunderglaubens" vorliegt. 143 Auct. vit. 3-6. 144 Richtig urteilt Helm, Philosophenschulen, S. 190.193: " ... gerade der Anblick der goldenen Hüfte versetzt ihn in solches Entzücken, daß er sich ohne weiteres versteht, unter allen Umständen zuzuschlagen. Daß Lukian eine solche Äußerlichkeit die Entscheidung bewirken läßt, diese Pointe zeigt ihn recht als durchtriebenen Schalk, der das Wesen der Menschen erkannt hat; wendet sich die Spitze doch weniger gegen den alten Philosophen als gegen die Leichtgläubigkeit und Wundersucht der Menge .... die Wundersucht und der Glaube an übernatürliche Dinge werden ja versteckt der ganzen pythagoreischen Schule vorgeworfen ... ; der Käufer ... ist ein Pythagoreer; so gilt der Hieb Lucians dort nicht nur den Menschen im allgemeinen, sondern vor allem dieser Sekte." Der Aberglaube der Pythagoreer ist auch in Philops. 29-32 Ziel von Lukians Spott., vgl. dazu Helm, a.a.O., S. 193. 145 Pisc. 14. 146 Pisc. 30. Dieser Text bietet eine eindrucksvolle Zusammenfassung dessen, was Lukian unter Philosophie versteht: Sie ist eine Hilfe zum besseren Leben, ja die wahre Lebenskunst selbst. Lukian orientiert sich an der praxisorientierten Popularphilosophie seiner Zeit.
8. Lukian von Samosata
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einer anderen Satire 147 erzählt die Philosophie, wie sie in Griechenland Fuß faßte: KaT' OAL yov 8E TTPOO'OpLAoDoa f-TTTa tK TWV aTTaVTWV f-TaLpovS" Kai paß7]TaS" TTpoOTJyayop7]v, Kai aMov t, };apov Kai aMov t, 'ECPEO"OV Kai 'Aß87]po8cv aAAov, OAL youS" TTavTaTTaO"Lv. Hier werden Pythagoras, Heraklit
und Demokrit mit den sieben Weisen zusammen als die Archegeten der griechischen Philosophie bezeichnet. 148 Immer wenn Lukian also Positives über Pythagoras berichtet, geschieht dies im Zusammenhang mit seiner Funktion als Gründer der Philosophie, jedoch der vulgären Legenden entkleidet, mit denen die Überlieferung ihn umwoben hatte. Wendet man sich jetzt der Bezeichnung O"ocpoS" dvTjp Kai T7}V yvr!JP7]V 8cO"TTEO"LOS" in Alex. 4 zu, ist Folgendes zu beachten: Der gesamte Kontext spricht dagegen, daß die hier verwendete 8cLOS" avßpwTToS" - Terminologie das Bild eines wundertätigen ßcLOS" dVl]p denotieren und beim Leser das traditionelle Bild von Pythagoras als einem TcpaToupyoS" hervorrufen würde. Lukian nimmt hier gerade explizit eine Trennung vor zwischen dem legendären Pythagoras, den er nur der dAa(ovcLa zuordnen kann, und Pythagoras, dem O"ocpoS" dv7}p Kai T7}V yvr!JP7]V ßcO"TTEO"LOS", der als wahrer Philosoph der cjJLAoO"ocpLa zugeordnet wird. Auffällig ist, daß die ßcLOS" avßpwTToS"- Terminologie wieder eingesetzt wird, um einen der Archegeten der Philosophie zu bezeichnen. Für Lukian war Pythagoras ein weiser Mann, dem als Archegeten der Philosophie das Ehrenprädikat ßcO"TTEO"LOS" dv7}p beigelegt werden kann. 149
8.2.2 Pro lapsu inter salutandum 5 Die Plausibilität der hier oben gebotenen Deutung vom Gebrauch der 8cLOS" avßpwTToS"- Terminologie in Alex. 4 kann anhand einer Stelle in Lukians kleiner Schrift Pro lapsu inter salutandum verdeutlicht werden. Sie wurde als kleine (nicht ganz ernst gemeinte) Apologie für ein kleines Mißgeschick, daß ihm beim Grüßen passierte, verfaßt und ist ein rhetorisches Kabinettstückehen, das Lukians Interesse für sprachliche Feinheiten eindrucksvoll dokumentiert. 150 Ausgangspunkt ist, daß Lukian während eines morgendlichen Besuches bei sei-
Fug. 9. Da Lukian die Philosophie eine Linie zeichnen läßt, die über Sokrates, Antisthenes, Diogenes, Krates bis zu Menipp führt, gibt es Grund zu glauben, daß wir hier Lukians eigene Meinung in dieser Frage vernehmen. Denn obwohl Lukian kein Kyniker war, hat er besondere Sympathien für den Kynismus gehabt und stand weiterhin in eineIn besonderen Verhältnis zu Menipp, wie an anderer Stelle noch zu erörtern ist. 149 Insofern hat Helm, Philosophenschulen, S. 193 sein besonderes Fingerspitzengefühl unter Beweis gestellt, als er, ohne in dem besagten Ausdruck einen Hinweis auf die Vergöttlichung des Pythagoras finden zu wollen, ihn als Ehrentitel "eines weisen und vortrefflich gesinnten Mannes" bezeichnete. 150 V gl. in dieser Hinsicht auch den Traktat Pseudologista. 147 148
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
in epistemologischem Kontext
nem Gönner 151 nicht mit der morgens üblichen Grußformel XaiPELV grüßte, sondern mit vYLaivELv (1). Obwohl Lukian weiß, daß sein Mißgeschick eindeutig ein menschlicher Fehler war (1.14.16), will er zeigen, daß sein Versehen glimpflich ausgegangen ist und sich sogar in etwas Vorteilhaftes gewendet hat (15). In seiner Verteidigung weist Lukian vor allem auf die Unentbehrlichkeit guter Gesundheit hin, um deutlich zu machen, daß sein Versehen eigentlich nur Gutes zur Folge haben kann (12f.). Diesem Argument schickt er viele Anekdoten aus der politischen Geschichte (8-11) und der Literatur (6-7) voraus. Der historische Vorspann setzt mit einem Altersbeweis ein,152 der damit beginnt, daß Lukian darauf verweist, daß die älteste Formel XaiPELV ursprünglich nicht nur ein morgendlicher Gruß gewesen sei, sondern ein ganz allgemeiner Gruß für jede Gelegenheit (2): der morgendliche Gebrauch sei jedoch zuerst (TTp{JTOS-) für Philippides, den Herold von Marathon (490 v. Chr.), bezeugt (3). Dagegen habe Platon Xa{pELV abgelehnt und die Formel EO TTpaTTELv vorgezogen (4). Der ßEaTTEaLos-(!) Pythagoras gab jedoch der Form vYLa{vELv den Vorzug (5). Die Bezeichnung Platons im vorigen Abschnitt mit 6 ßaVl1aaTos- JIAaTUJv, dvr}p dtLoTTLaTos- V0I10ßETT]S- T{JV TOLOVTUJV zeigt, daß hier mit dem Gewicht von verläßlichen Autoritäten argumentiert wird. 153 Es ist signifikant, wie der Ausdruck ßEaTTEaLos- JIv8ayopas- hier verwendet wird: Lukian zieht Pythagoras als Garanten für sein Argument für die Priorität von vYLa{vELv als Grußformel heran. Es spricht für die Richtigkeit der hier gebotenen Deutung der ßELOSavßpUJTTos-- Terminologie, daß Lukian sie an dieser Stelle fast beiläufig verwenden und trotzdem damit rechnen konnte, daß seine Leser die damit erreichten feinen Nuancen verstehen würden.
151 Vgl. Pro lapsu 16f. 152 Die Frage Tl aOl TOUS' TTaAalOUS' AEYW ... (6) signalisiert das Ende des Altersbeweises.
153 Pro lapsu 4. Dadurch wird auch deutlich, daß Verläßlichkeit zu den zentralen Komponenten der Bedeutung der 8ELOS' av8pwTToS' - Terminologie gehört: der 8ELOS' av8pwTToS' ist Garant für eine bestimmte Erkenntnistradition. Aus diesem Text geht m.E. weiterhin deutlich hervor, daß es ausgeschlossen ist, daß der Ausdruck 8EaTTEaloS' JJv8ayopaS' die Vorstellung des vergöulichten Thaumaturgen denotiert: das würde in diesem Kontext überhaupt keinen Sinn ergeben.
9. Die Pythagorastradition Abgesehen von ApolIonios' von Tyana spielte keine Figur eine solch zentrale Rolle für die Formulierung der ßELOS- avryp-Hypothese wie die des Pythagoras in den spätantiken Pythagorasbiographien. Der ßELOS- avryp, wie Ludwig Bieler ihn als Typus in die Diskussion eingeführt hat, ist geradezu aus der spätantiken Pythagorasüberlieferung erschlossen worden. 1 Trotz des breiten Konsenses in der ßELOS- aV7}p-Forschung, daß der Pythagorastradition zentrale Bedeutung für das Bestimmen der ßELOS- avryp- Vorstellung zukomme, wurde der Rolle, die die ßELOS- avßpUJTToS-- Terminologie selbst in der Pythagorastradition spielt, kaum eine eingehende Betrachtung gewidmet. 2 Im Folgenden wollen wir zwei Fragestellungen nachgehen: Zum einen fragen wir nach der Distribution der ßELOSavßpUJTToS-- Terminologie in der pythagoreischen Überlieferung, d.h. es soll vor allem untersucht werden, inwiefern die Terminologie fest mit der Pythagoraslegende verbunden war. Zum anderen wird nach Bedeutung und Funktion der Terminologie in der Überlieferung gefragt.
9.1 Der Ort der Terminologie in der Pythagorastradition Der größte Teil der hellenistischen und kaiserzeitlichen Quellen mit biographischen Angaben über Pythagoras ist in Iamblichs Vita Pythagorica überliefert,3 in minderem Maße finden sich auch Angaben in den Pythagorasviten von Dio1 V gl. Bieler, BEIOL; ANHP I, passim: In Bielers Darstellung von dem Typus 8ElO5" dvrjp sind 20 von den 30 "typischen Merkmalen" bei Pythagoras repräsentiert, weit mehr als bei jedem anderen potentiellen Repräsentanten des Typus (zum Vergleich: Orpheus 6; Epimenides 8; Empedokles 10; Sokrates 6; Platon 10; Apollonius von Tyana 17; Plotin 10). Nach Windisch, Paulus und Christus, S. 62 sind "(f)ast alle Erscheinungsformen des griechischen 8ElOS; ... in ihm (sc. Pythagoras) realisiert"; vgl. ebd. S. 59-63. Vgl. weiterhin Betz, Gottmensch I, Sp. 257-259. Auch David Tiede, Charismatic Figure, S. 14-30.60-69, der ein differenzierteres Bild vom Gottmenschen in der Antike vorschlägt, hält an dem Konzept eines wundertätigen pythagoreischen 8ElOS; dvrjp fest, meint jedoch, es sei in der Spätantike mit der Konzeption eines 8ElOS; aoq;os; fusioniert worden zu der umfassenden Gestalt des 8ElOS; dvrjp, die in den Viten von Apollonios von Tyana und Pythagoras vorliegt. 2 Bieler, BEIOL; ANHP I, S. 17 (Anm. 19) und 75 streift nur einige Stellen, in denen die Terminologie selbst auftaucht; vollständiger Windisch, Paulus und Christus, S. 60f. Betz, Gottmensch I, Sp. 257-259 beschränkt sich sogar auf Diog. Laert. 8,41 und Iambl. VP 1. In all diesen Fällen werden die jeweiligen Texte keiner genaueren Analyse unterzogen, sondern man geht davon aus, daß der Terminus 8ElOS; dvrjp eine Chiffre für den Typus eines charismatischen Wundertäters ist, den Pythagoras verkörpert. 3 Ludwig Deubner (Hg.), Iamblichus. De vita Pythagorica liber, Stuttgart 1937 (2. verb. Aufl. hg. v. Ulrich Klein 1975).
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Teil 111: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in epistemologischem' Kontext
genes Laertios und Porphyr. 4 Wir beginnen unsere Untersuchung mit der Beobachtung, daß die ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie bis auf eine Ausnahme (Diog. Laert. 8,41) nur in Iamblichs Vita Pythagorica vorkommt: Dort begegnet sie allerdings gleich an sieben Stellen, die relativ gleichmäßig über den gesamten Text verteilt sind. 5 Wir setzen also in unserer Untersuchung bei Iamblichs Vita Pythagorica an. Wegen des unübersehbaren kompilatorischen Charakters der Schrift - sie ist im Grunde genommen ein aus verschiedenen Quellen zusammengefügter Flickenteppich6 - stellen wir zunächst die Frage, inwiefern die Verwendung der ßELOS' avßpUJTToS'- Terminologie in der vorliegenden Vita kaiserzeitlichen Sprachgebrauch reflektiert, d.h. wir fragen nach dem traditionsgeschichtlichen Ort der Terminologie in der Überlieferung.
9.1.1 Das Fehlen der Terminologie in den nicht-apollonischen Quellen der Vita
Es wird heute generell in der Folge Erwin Rohdes 7 akzeptiert, daß Iamblich in der Benutzung seiner Quellen von Porphyrs Pythagorasvita unabhängig war, daß sie jedoch beide von Nikomachos' Pythagorasvita Gebrauch gemacht haben. 8 Aufgrund dieser Annahme können wesentliche Teile der PythagorasDie Fragmente bei Hermann DielslWalther Kranz (Hg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch und deutsch, Berlin 81961. Kritische Textausgaben der Viten: Armand Delatte (Hg.), La vie de Pythagore de Diogene Laerce, Brüssel 1922; August Nauck (Hg.), Porphyrii philosophi Platonici opuscula selecta, Leipzig 1886 (Hildesheim 1963), S. 17-52. 5 Iambl. VP 1.12.53.56.76.162.255. In § 146 hat Deubner außerdem <8E{UJV> vor av 8PuJTTUJV Kai 8E(JV Kai 8al/16vUJv mit Berufung auf § 31 (Deubner S. 18,17: TTEpl 8E(JV /1EV Kai i}puJUJv Kai 8al/16vUJv) emendiert. Deubners Vorschlag ist m.E. nicht zwingend: Die Reihenfolge ist seltsam (vgl. § 31 Deubner S. 18,17 und auch § 56, Deubner 30,23: ELTE 8EOV ELTE 8a{/1ova Kai 8ELOV äv8pUJTTOV), weiterhin sachlich eher unwahrscheinlich (acpalp(Jv?, vgl. § 31!). Auf jeden Fall ist der Text verderbt (die Folge einer Dittographie 8cÜ]UJv Kai 8E(JV Ka{?) und scheidet für die Untersuchung aus. 6 Der kompilatorische Charakter der Schrift ist nicht zu leugnen: es liegen viele interne Widersprüche vor (vgl. z.B. §§ 29/30 und 82/87!), die Übergänge bei Themenwechseln und zwischen Quellenmaterialien sind gelegentlich sehr unbeholfen und holperig, die Anordnung des Stoffes ist manchmal nicht einleuchtend: So wird z.B. sogar der wohlwollendste Kritiker Schwierigkeiten haben, die Funktion von Kap. 34 (§§ 241-247) innerhalb des Aufbaus zu erklären (vgl. die Einschätzung von John Dillon/Jackson Hershbell, Iamblichus. On the Pythagorean Way of Life (Text and Translations 29. Graeco-Roman Religion Series 11), Atlanta 1991, S. 28f.: "chapter on 'Odds and Ends"'; "ragbag ending"; "It is not clear ... what the justification of this chapter iso "). 7 Eine bis heute noch als grundlegend geltende Quellenanalyse machte Erwin Rohde in seinem brillanten Aufsatz: Die Quellen des Iamblichus in seiner Biographie des Pythagoras, Rh Mus 26, 1871,554-575 und Rh Mus 27, 1872, S. 23-61, unveränderter Nachdruck (nach dem hier zitiert wird) in ders., Kleine Schriften II, TübingenlLeipzig 1901, S. 102-172. Außerdem zu Iamblichs Quellen: Armand Delatte, Etudes sur litterature pythagoricienne, Paris 1915; Isidore Levy, Recherches sur les sources de la legende de Pythagore, Paris 1926, und bes. Kurt von Fritz, Pythagorean Politics in Southern Italy. An Analysis of the Sources, New York 1940 und Walter Burkert, Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon, Nürnberg 1962, bes. S. 86-202. 8 Schlagend ist Rohdes Beobachtung, daß die Nikomachospartien bei Porphyr (2031.46.59-61) ausnahmlos wörtlich wieder bei Iamblich auftauchen, während sonst nur gele4
9. Die Pythagorastradition
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biographie des Nikomachos 9 sogar im Wortlaut rekonstruiert werden. 10 Weiterhin geht aus § 254 hervor, daß Iamblich ausführlich aus einer Pythagorasbiographie des Apollonios von Tyana zitiert hat. ll Iamblich hat offenbar auch andere Quellen benutzt,12 darunter eine Schrift von Nikomachos über Musik (115-121). Weiterhin muß Iamblich eine Sammlung von Texten aus Aristoxenos' Pythagorikai apophaseis vorgelegen haben,13 während die Überlieferung, die vor allem mit Diogenes Laertios' Bericht übereinstimmt, aber nicht der Nikomachosüberlieferung entstammt, auf eine Handbuchquelle deutet. 14 Besonders deutlich jedoch zeigt die Wunderüberlieferung, daß Iamblich noch andere Quellen
gentliehe Berührungen vorliegen. Vgl. Rohde, Quellen, S. 125ff.; weiterhin Burkert, Weisheit, S. 87, Anm. 6. Anders noch Zeller I, S. 365, in diesem Jahrhundert J.A. Philip, The Biographical Tradition - Pythagoras, TAPhA 90, 1959, S. 185-194 und neuerdings Mark Edwards, Two Images of Pythagoras: Iamblichus and Porphyry in H.J. BlumenthaI / E.G. Clark, The Divine Iamblichus. Philosopher and Man of Gods, Bristol 1993, S. 159-172, da 162, die meinen, eine literarische Abhängigkeit Iamblichs von Porphyr feststellen zu können. 9 Nikomachos von Gerasa, neupythagoreischer Mathematiker des 1. Jh. n. Chr, vgl. Jürgen Mau, Art. Nikomachos, KP 3, Sp. 113-115. 10 Aus Nikomachos scheinen mindestens die Partien 30f. (32?) .33f. (58f. ?). 60-67. 134136. 142. 228. 233-237. 248-253 zu stammen, vgl. Rohde, Quellen, passim; Burkert, Weisheit, S. 86ff., zu §§ 134ff. bes. 177ff., zu §§ 248ff., bes. 87, Anm. 7, da weitere Literatur. Weiterhin hat Alfons Städele, Die Briefe des Pythagoras und der Pythagoreer, BKP 115, Meisenheim 1980, S. 203-209 wahrscheinlich gemacht, daß der im Iambl. VP 74-78 aufgezeichnete Lysisbrief aus Nikomachos stammt. 11 Auch Porphyr VP 2 (= Iambl. VP 3f.9 .11) belegt die Abhängigkeit von Apollonios' Pythagorasvita. Die Partien 3-24/25.28f.37-57.68-72.215-222.254-264 stammen sicher aus Apollonios, s. Burkert, Weisheit, S. 88f., Anm. 11-13, 93, Anm. 37.; vgl. auch von Fritz, Pythagorean Politics, S. 55ff. Rohde, Quellen, passim, hat, nach dem Prinzip, was nicht Nikomachos angehört, muß dann von Apollonios sein, noch viele andere Stellen Apollonios zugewiesen (80f.91-93.122-126?185.265f.). 12 Rohdes mechanische Zwei-Quellen-Theorie wurde von Levy, Recherees, bes. S. 111ff. widerlegt; vgl. auch Burkert, Weisheit, bes. S. 86ff. 13 Vgl. die Fragmente 33-41 bei Fritz Wehrli, Die Schule des Aristoteles. 11 Aristoxenos, Basel 1944. Pierre Boyance, Sur la vie pythagoricienne, REG 52, 1939, S. 36-50 führt auch 95-100 auf Aristoxenos zurück. 14 Schon Rohde, Quellen, S. 131 vermutet für die widersprüchliche Angabe in § 35 ein Handbuch als Quelle, vgl. Diog. Laert. 8,45; auch die widersprüchliche Angabe in § 29 (vgl. Nikomachos § 30 = Porph. VP 20; Apollonios in §§ 254.260) entspricht Diog. Laert. 8,15 und deutet auf eine solche Quelle. Daß der Bericht von Diogenes auf Handbücher zurückgeht, hat Armand Delatte, Vie, S. 9-63 gezeigt. Daß die vielfachen Berührungen zwischen Clemens Alexandrinus, Hippolytos, Porphyr und Iamblich auf den Gebrauch von Handbüchern zurückgehen, hat Hans Jäger, Die Quellen des Porphyrios in seiner Pythagoras-Biographie, Diss. Zürich 1919 nachgewiesen; vgl. auch Burkert, Weisheit, S. 90f. Diese Handbuchüberlieferung ist am frühesten für Neanthes von Kyzikos (etwa 200 v. Chr.) bezeugt (vgl. Porph. VP 1/2 =FGrHist 84 Fr. 29).
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benutzt haben muß: er bringt die Pythagoraswunder in doppelter Fassung, einmal nach Aristoteles 15 , ein anderes Mal nach Nikomachos. 16 Betrachtet man jetzt auf dem Hintergrund solcher Quellenanalysen die Passagen, in denen die eELOS- av8pUJTTos-- Terminologie vorkommt, macht man die bemerkenswerte Beobachtung, daß diese nur da zu finden ist, wo Iamblich sich der Pythagorasbiographie des Apollonios bedient oder selbständig formuliert. 17 Da es sehr unwahrscheinlich ist, daß Iamblich die Terminologie überall aus seinen Quellen getilgt, sie jedoch da beibehalten haben sollte, wo sie aus Apollonios stammt, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß er sie aus des Tyaners Pythagorasvita übernommen hat. 18 Man kann also einer Quellenanalyse entnehmen, daß die eELOS- avepUJTTOs-- Terminologie fester Bestandteil eines Teils der Pythagorasüberlieferung war, die aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert stammt, daß sie andererseits jedoch offenbar kein fester Bestandteil der Überlieferung war, die auf Nikomachos und Iamblichs Handbuchquelle zurückzuführen ist. Diese Schlußfolgerung findet weiter dadurch Bestätigung, daß die eELOSavepUJTTOs-- Terminologie bei Porphyr, der auch ausführlich aus Nikomachos' Biographie und der Handbuchtradition geschöpft hat, vollständig fehlt. 19 Dies legt weiterhin die Vermutung nahe, daß die eELOS- av8pUJTTos-- Terminologie kein fester Bestandteil der alten Pythagorasüberlieferung war, die über Nikomachos und die Handbücher auf die biographische Tradition des 4./3. Jahrhunderts (Aristoteles, Herakleides Pontikos, Aristoxenos und Dikaiarch) zurückgeführt werden kann. 20 Diese Vermutung wird dadurch gestärkt, daß die Terminologie auch nicht in den Fragmenten der auf alter Überlieferung fußenden Handbücher, 15 Die Aristoteles-Überlieferung liegt mit einigen Interpolationen in §§ 140-143 vor, vgl. Burkert, Weisheit, S. 89, Anm. 15; ausführlich S. 117ff. M. E. sprechen keine stichhaltigen Argumente dagegen, daß diese aristotelischen Wundererzählungen Iamblich in der Vita von Apollonios vorlagen. Dafür aber spricht, daß in den aus Apollonios stammenden §§ 254-264 mehrere Indizien vorliegen, daß Apollonios Iambl. VA 81-89 kannte (vgl. 255, weiterhin von Fritz, Politics, S. 59f.), was wiederum aus Aristoteles stammt (wie Burkert, Weisheit, S. 180ff. überzeugend nachgewiesen hat). 16 Nikomachosüberlieferung in §§ 60-63. 134f./Porph. P.V. 23-28, vgl. Burkert, Weisheit, ebd. Burkert urteilt (S. 122): "Nikomachos äußert unverhohlen seine Abneigung gegen die groben 'plebeiischen' Wunder, er erzählt die Geschichten in einer Weise, daß das Unerklärliche gemildert oder beseitigt ist ... " Gerade diese Tendenz schließt aus, daß die Doppelüberlieferung schon bei Nikomachos stand. 17 §§ 12.53.56.255 von Apollonios; 1.162 sind von Iamblich selber formuliert worden. Es ist, wie Rohde, Quellen, S. 127 zu Recht bemerkt, nicht möglich, endgültig zu bestimmen, ob §§ If. nicht auch von Apollonios stammt: Sie bleiben weiterhin apolloniosverdächtig. Den Lysisbrief (§§ 75-78), in dem der Ausdruck (; 8aL/16vLoS' dvf}p vorkommt, (76) hat Iamblich vielleicht von Nikomachos übernommen, vgl. Städele, Briefe des Pythagoras, S. 203-209. 18 Andererseits ist es ebenso unwahrscheinlich, falls er die Terminologie selber in die Pythagorastradition hingefügt hätte, daß er dies zufällig nur da getan hätte, wo er aus Apollonios schöpfte. 19 Da Porphyr jedoch auch die Biographie des Apollonios kannte und benutzte (vgl. VP 2), bedarf es außerdem ein~r Erklärung, weshalb er die Terminologie überhaupt nicht übernommen hat. Vgl. dazu die Uberlegungen weiter unten. 20 Dazu Rohde, Quellen, passim; Levy, Recherches, passim; zusammenfassend Burkert, Weisheit, S. 92.
9. Die Pythagorastradition
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die uns besonders durch die Vermittlung von Diogenes Laertios (und Porphyr) zugänglich sind, vorkommt. 21 Diese Beobachtungen gewinnen jedoch erst dann ihre besondere Prägnanz für unsere Fragestellung, wenn man nach dem Zusammenhang mit der Wunderüberlieferung in der Pythagorastradition fragt. 22 Das lange als kanonisch geltende Urteil Eduard Zellers, daß die mit Wundern geschmückte Pythagoraslegende auf späte neupythagoreische Einflüsse zurückgehe,23 wurde von den Forschungsergebnissen dieses Jahrhunderts völlig überholt: Forscher wie Levy und Burkert haben überzeugend nachgewiesen, daß die Pythagoraslegende gerade zur frühesten greifbaren Schicht der biographischen Überlieferung gehört. 24 Dazu gehört, daß Pythagoras ein übermenschliches Wesen gewesen sei, von dem allerlei Fabelhaftes bezeugt ist: Sein übermenschliches Gedächtnis, das in vorige Generationen hineinreicht,25 seine Fähigkeit zur Bilokalisation,26 Tierwunder allerlei Art,27 seine Fähigkeit, allerlei Ereignisse vorauszusagen bzw. vorherzuwissen. 28 Verschiedene Erzählungen berichten, daß er als übernatürliches Wesen anerkannt wurde: 29 Nach Aristoteles 21 Abgesehen von der boshaften Anekdote Rermipps Diog. Laert. 8,21, auf die wir später zurückkommen. Zur Quellenlage in Diog. Laert. 8, vgl. bes. Delatte, Vie, S. 9-63; zusammenfassend B urkert, Weisheit, S. 90f. 22 In der ßELOS' dvrjp-Forschung wird gerade das Wunder- und Legendenhafte in der Überlieferung unter der Bezeichnung ßELOS' dvrjp verhandelt, vgl. Bieler, BEIOI ANHP I, passim; Windisch, Paulus und Christus, S. 59-63; Betz, Gottmensch I, Sp. 257-259; Tiede, Charismatic Figure, S.14-30.60-69. 23 Vgl. Zeller I11, S. 361-381, bes. 365. 24 Bes. Levy, Recherches, passim. Die wunderhafte PythagorasübC;~lieferung hat Burkert, Weisheit, S. 98-175, bes. 113ff. ausführlich untersucht und unter die Uberschrift "Die älteste Pythagorastradition" gestellt. Er hat diese Wundertradition überzeugend dem antiken griechischen Schamanismus zugeordnet (ebd., S. 123-146). Für die Pythagorassage ist die nur in Fragmenten vorliegende Schrift des Aristoteles (Fr. 191 Rose) über die Pythagoreer die wichtigste Quelle, vgl. Burkert, Weisheit, S. 27.117ff. Die Wunderüberlieferung liegt in vierfacher Brechung vor: bei Apollonios dem Paradoxographen, Ristoria mirabilium 6; Aelian, Var. hist. 2,26; 4,17; Diog. Laert. 8; Iamblich VP 140-143, vgl. die Parallelüberlieferung 6063.134f. (= Nikomachos, vgl. Porph. VP 23-28) und 90-92. Im folgenden werde ich mich in den Quellenangaben hauptsächlich auf Iamblich beschränken; vollständige Angaben bei Burkert, a.a.O, 117ff., Anm. 126-140. 25 Schon von Empedokles bezeugt (D/K 31 B 129 = Porph. VP 30/Iambl. VP 67, vgl. Diog. Laert. 8,54), vgl. Burkert, Weisheit, S. 114-117. Nach Iambl. VP 132 sagt Pythagoras, er sei Midas gewesen, vgl. Burkert, Weisheit, S. 118, Anm. 132. 26 Dazu Burkert, a.a.O, Anm. 130.138, vgl. Porph. VP 27/Iambl. VP 134, vgl. 136. Nach ApolI. Rist. mirab. 6 entschwand er einmal nach Metapont. 27 Pythagoras streichelte in Kroton einen weißen Adler (Iambl. VP 143, vgl. Nikomachos Porph. VP 26 = Iambl. VP 63); er habe die Erscheinung eines weißen Bären vorausgesagt (Iambl. VP 142); nach Nikomachos (Porph. VP 23 = Iambl. VP 60) habe er einer Bärin den Vegetarismus und einem Ochsen den Verzicht auf Bohnenfressen (Porph. VP 24 = Iambl. VP 61) beigebracht. Er soll in Etrurien eine Giftschlange zu Tode gebissen haben (Iambl. VP 142). Vgl. Burkert, a.a.O., Anm. 133.136.137. 28 Dazu gehören veschiedene Legenden, vgl. Burkert, a.a.O., Anm. 135f.138.144f., u.a. daß er vorgesagt habe, daß ein Toter an Bord eines einlaufenden Schiffes sei (Iambl. 142; Nikomachos Porph. VP 28), daß es Bürgerkrieg geben (ApolI., Rist. mirab. 6) oder daß ein Erdbeben stattfinden werde (Iambl. VP 142) und daß er schon im voraus gewußt habe, was jemand ihm berichten wollte (ebd.). 29 Als er einen Fluß durchschritt, habe der Fluß ihn laut gegrüßt (Diog. Laert. 8,11; Porph. VP 27); bei Olympia habe man seinen goldenen Schenkel gesehen (Iambl. 140, vollständige
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hätten die Pythagoreer ihn als Apollon Hyperboreios bezeichnepo und gelehrt, es gebe drei Sorten vernunftbegabter Lebenswesen: TO flEV EaTl eEOS-, TO 8E IlvepwTToS-, TO 8E orov JIveayopas-.31 Für die vorliegende Fragestellung ist die Beobachtung entscheidend, daß in der gesamten altpythagoreischen Wunderüberlieferung die eELOs- aVepWTTOS-- Terminologie im strengen Sinne nicht vorkommt. Die Göttlichkeit des Pythagoras wird niemals mit Hilfe der eELOSaVepWTTOS-- Terminologie angedeutet: Dagegen heißt es eher, er sei der hyperboreische Apollon bzw. stamme von Apollon ab. 32 Sogar da, wo man später auf die Angaben der Alten zurückblickte, wird die eELOs- avepWTTOs-- Terminologie nicht verwendet: 33 [Sie] ... zählten Pythagoras von nun an zu den Göttern als einen guten Daimon und einen großen Menschenfreund. Die einen hielten ihn für den pythischen Gott, die anderen für Apollon aus dem Hyperboreerland, manche für Paian, wieder andere für einen der Daimonen, die den Mond bewohnen: jeder erklärte ihn für einen anderen Olympier ...
Wir halten also fest, daß ein enger Zusammenhang zwischen der eELOSavepWTTOs-- Terminologie und der biographischen Pythagorasüberlieferung, wie sie von Nikomachos und der Handbuchtradition vermittelt wurde, nicht festzustellen ist. An dieser Stelle wollen wir uns dem bei Diogenes Laertios überlieferten Fragment Hermipps (Diog. Laert. 8,41 = Hermippos Fr. 20) zuwenden, in dem das Adjektiv 8ELOS' Pythagoras als Prädikat beigelegt wird. 34
Über Pythagoras erzählt Hermippos unter anderem: In Italien angekommen (wS' YEVO/lEVOS' EV 1 TaA{q.) , habe Pythagoras unter der Erde ein Häuschen gebaut (KaTa yijS' OlKÜJKOV TToLfjaaL) und seiner Mutter aufgetragen, die jeweiligen Ereignisse auf ein Täfelchen zu schreiben (ElS' 8EATOV ypacpELv),
Quellenangaben bei Burkert, a.a.O., Anm. 131); Abaris habe er den Pfeil abgenommen und ihm dadurch gezeigt, er sei der Hyperboreische Apollon (Iambl. VP 140f., Nikomachos Porph. VP 28IIambl. VP 135, vgl. 9Off. verbindet die zwei Mythen). 30 Iambl. VP 140, vgl. Burkert, a.a.O., S. 129, da Anm. 129; weiterhin S. 133f. Nikomachos (Porp. VP 20; Iambl. VP 30) berichtet allgemeiner, sie hätten ihn zu den Göttern gerechnet. Seine Angabe reflektiert Differenzierungen, die schon sehr früh gemacht wurden: Die Identifikation mit Apollon wurde geleugnet und durch die Abstammung von demselben ersetzt - so schon Eudoxos, Xenokrates und Epimenides (Iambl. VP 7), vgl. Burkert, Weisheit, S. 122, Anm. 156. 31 Iambl. VP 31 (= Fr. 192 Rose), vgl. Burkert, a.a.O., Anm. 129. 32 Iambl. VP 30.31.140; Porph. VP 20. 33 Iambl. VP 30; Übers. von M. von Albrecht. Die verwendete Terminologie in der Aufzählung der Bezeichnungen verrät späte Einflüsse. Der Abschnitt (ab WS' aya8ov; Deubner S. 18,2-10) stammt m. E., wie der Vergleich mit Porph. VP 20 zeigt, nicht von Nikomachos, sondern eher von Iamblich selbst. 34 Die Fragmente liegen in der Ausgabe von Wehrli, Die Schule des Aristoteles, Suppl. 1, Hermippos der Kallimacheer, Basel/Stuttgart 1974, S. 9-41 (mit Kommentar, S. 43-101; im Folgenden z~tiert als Wehrli, Hermippos) vor, die die noch immer brauchbare Sammlung mit lateinischer Ubersetzung von C. Müller, Fragmenta Historicorum G~~ecorum III, Frankfurt a. M. 1849 (Unveränd. Nachdruck 1975), S. 35-45 (da Fr. 23) ersetzt. Ubersetzung von Burkert, Weisheit, S. 136f., von mir um die kursivierten Partien ergänzt.
9. Die Pythagorastradition
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auch die Zeit anzumerken und ihm dann hinabzulassen, bis er wieder heraufkomme ({1TeL Ta KaeLEvaL aVTcp {ai äv dVE;\BO). Dies habe die Mutter getan. Pythagoras sei aber nach geraumer Zeit wieder heraufgekommen (j1eTG Xpovov dVeAeeLV), zum Skelett abgemagert; er sei vor die Volksversammlung getreten (elaeAeovTa i els- Tr]V EKKA1]atav) und habe gesagt, er komme aus dem Hades (qxlaKeLv WS- dcj;LKTaL Et 1j8ov); und er las ihnen vor, was sich ereignet hatte. Sie aber, angetan von seinen Worten, weinten und wehklagten und glaubten, daß Pythagoras von göttlicher Art (E1TtaTevov eivaL Tav JIvea: yopav eeLOV TLva) sei, so daß sie ihm auch ihre Frauen übergaben, damit sie etwas von ihm (c!Js- Kat flae1]aOflEVas- TL T6JV aVToD) lernten. Diese seien auch Pythagoreerinnen genannt worden. Soweit Hermipps Bericht. Herrnippos, Schüler des Kallimachos in Alexandrien und Halbperipatetiker 35 , verfaßte um 200 v. ehr. mehrere Biographien36 berühmter Männer, darunter eine über Pythagoras. Daß Diogenes das vorliegende Fragment als ganzes ohne redaktionelle Eingriffe aus einer Schrift Hermipps übernommen hat, steht außer Zweifel: 37 Der unüberhörbar spöttische, sogar sarkastische Ton, in dem von dieser "Hadesfahrt" erzählt wird, passt genau zu dem Tenor der anderen erhaltenen Fragmente des Herrnipp, die ein denkbar absonderliches, sogar böswilliges Bild von Pythagoras reflektieren. 38 In diesem Fragment erscheint Pythagoras als ein Scharlatan, der mittels unlauterer Praktiken Ruhm geerntet hat, und seine Nachfolger sind höchst einfältige Leute, die auf solch durchsichtige Tricks hereinfallen. 39 Herrnipp zufolge 35 So F. Leo, Die griechisch-römische Biographie nach ihrer literarischen Form, Leipzig 1901 (Unveränd. Nachdruck, Hildesheim 1965), S. 102. Zur Bezeichnung "Peripatetiker" als Bezeichnung für literarhistorische und biographische Schriftsteller vgl. Johann Stephan Heibges, Art. Hermippos 6, RE I 8, 1913, Sp. 845-852, da 846 und Wehrli, Die Schule des Aristoteles, S. 7f. 36 Genaueres über die Schriften und die Gattung bei Wehrli, Herrnippos, bes. S. 102-106. Zu seiner literaturgeschichtlichen Stellung: "Durch ihn gelangt das spielerisch-anekdotische Element, welches von jeher in der Gattung angelegt war, zu prägender Wirkung", S. 106. 37 Diogenes hat das Fragment zusammen mit einer Notiz des Herrnipp über den Tod des Pythagoras einem Abschnitt über das Sterben des großen Philosophen angehängt (8,39f.). Es hat keinen Bezug zu seinem unmittelbaren Kontext und ist offenbar ohne redaktionelle Absicht von Diogenes aus Hermippos übernommen worden. Dies passiert oft in dem Werk des Diogenes - zu seinem Kompositionsverfahren vgl. J. Mejer, Diogenes Laertius and his Hellenistic Background (Hermes Einzelschriften 40) Wiesbaden 1978, S. 16-29, auch Wehrli, Herrnippos, S. 55. 38 Burkert, Weisheit, S. 91 redet von dem Absonderlichsten, was über Pythagoras überliefert sei. Böswillige Elemente treten z.B. deutlich in den Pythagorasfragmenten Wehrli, Hermippos, Fr. 20-22 zutage. Rohde, Quellen, S. 111 sah in der Abhandlung "eine giftige Satire auf Pythagoras und seine Anhänger"; Leo, Biographie, S. 124-128 bezichtigt Hermippos der systematischen Fälschung und der böswilligen Erfindung: Er habe sich an seinem Vorgänger und dem Begründer der hellenistischen Biographie, Aristoxenos dem Peripatetiker, der ein schwärmerischer Pythagorasanhänger und zugleich Sokrates- und Platonhasser war, rächen wollen; vgl. a.a.O, S. 102-104.126. Positiver urteilt schon H. Diels, Doxographi Graeci, Berlin 1879, S. 150; Wehrli, Herrnippos, S. 60f. meint, man dürfe Hermippos keine persönliche Abneigung Pythagoras gegenüber unterstellen. Daß Herrnipp jedoch kein schmeichelhaftes Bild von Pythagoras hatte, steht m. E. außer Zweifel. 39 Er tut dies, indem er die Pointe der Geschichte ändert: Mit Hilfe des Berichts über die Hilfeleistung der Mutter wird der Eindruck geweckt, Pythagoras habe den Italiern nur berichtet, was in seiner Abwesenheit in der Stadt passiert war - er sei also gar nicht im Hades gewesen! Burkert, Weisheit, S. 139 vertritt die Meinung, daß Herrnipp ein altes Element rationalisiert habe: Im Hintergrund stünde die Vorstellung, Pythagoras brächte Aufträge der göttlichen Mutter Demeter mit. Daß Pythagoras ursprünglich berichtete, was den Verwandten im Hades passiert, erklärt auch die Reaktionen der Zuhörer: in Hermipps Version ist das Weinen und Wehklagen fehl am Platze.
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hätten die Italier Pythagoras, nachdem er ihnen seine angeblich im Hades erworbenen Erkenntnisse vermittelt hat, für ein göttliches Wesen gehalten (ETTLCJTEVOV ElvaL Tav JIveayopav eELOV TLva),40 Da er dies offenbar nicht ist, stehen auch die italischen Pythagoreer als einfältige und abergläubische Leute da. Es stellt sich nun die Frage, ob sich hinter Hermipps Verleumdung nicht vielleicht Spuren der Entstehung des Gebrauchs der eELOs- ävepUJTTos--Terminologie bzw. eine Verbindung zwischen der pythagoreischen Wundertradition und der eELOs- ävepUJTTOs--Terminologie feststellen lassen. Hat Herrnipp vielleicht die Bezeichnung des Pythagoras mit dem Adjektiv eELOS- in der von ihm parodierten Überlieferung vorgefunden? Haben die Pythagoreer bereits am Anfang der hellenistischen Epoche oder gar viel früher schon ihren Schulgründer als eELOS- (dvrjp) bezeichnet? Man hat Herrnipp wegen der Boshaftigkeit seiner Pythagorasbiographie oft der freien Erfindung verdächtigt,41 aber es besteht wenig Zweifel, daß die vorliegende verleumderische Erzählung eine Parodie auf ihm vorliegende pythagoreische Tradition ist. Schon Rohde 42 vermutete, daß Hermipp eine Schrift gekannt habe, in der von einer Hadesfahrt des Pythagoras berichtet wird. 43 Daß Herrnipp auf ältere Tradition zurückgreift, wird einerseits dadurch bewiesen, daß schon der Peripatetiker Hieronymos von Rhodos (etwa 250 v. ehr.) einen Bericht über eine Hadesfahrt des Pythagoras kennt. 44 Andererseits gab es eine alte auf einen Bericht des Antiphon zurückreichende Tradition, daß Pythagoras sich zum Philosophieren in unterirdischen Räumen aufgehalten habe. 45 Beide Traditionskomplexe hatten das Ziel zu zeigen, daß Pythagoras Vermittler göttlicher Erkenntnis sei: So zielte die Hadesfahrttradition ursprünglich darauf, zu zeigen, daß Pythagoras Erkenntnisse aus der Unterwelt mitbringe. 46 Dies ist offenbar auch in der Antiphonüberlieferung der Fall: Pythagoras verbringt viel Zeit in einer Höhle bzw. einem kultischen Raum, damit er die dadurch gewonnene Erkenntnis unter die Menschen bringen kann. 47 In der Überlieferung, die nicht von Herrnipp abhängig ist,
40 Das Adjektiv eELOS- ist hier also als Klassenadjektiv adskriptiver (ein göttliches Wesen) oder relationeller Art (ein von den Göttern kommendes/gesandtes Wesen) zu verstehen. 41 So schon Rohde, Quellen, S. 111; Leo, Biographie, S. 124-128. Wehrli, Herrnippos, S. 104f. steht der These der freien Erfindung der Geschichte sehr skeptisch gegenüber. Burkert, Weisheit, S. 91 urteilt mit Vorsicht, daß nicht alles Erfindung sei, man müsse eher damit rechnen, daß gerade ein Kallimachosschüler Altertümlich-Kurioses sammle, so daß auch bei Herrnipp Richtiges erhalten sein könne. 42 Rohde, Quellen, S. 106, Anm. 1. 43 Vgl. Diog. Laert. 8,14. Man hat ein Katabasisgedicht postuliert; vgl. Burkert, Weisheit, S. 116, Anm. 122, der meint, daß die Aussage aus dem in Diog. Laert. 8,6 erwähnten Tripartiturn kommt, die Hadesfahrttradition aber auf mündliche Erzähltradition zurückführen will. 44 Diog. Laert. 8,21 = Fr. 42 Wehrli (Die Schule des Aristoteles VIII): Nachdem Pythagoras die Kunde gebracht hatte, daß diejenigen, die ihren Frauen untreu gewesen waren, im Hades gequält worden seien, wurde er von den Krotonianern verehrt. 45 Iambl. VP 27 = Porph .. yP 9, daß er außerhalb von Samos eine Höhle zum Philosophieren eingerichtet habe. Die Uberlieferung wurde Iamblich und Porphyr durch Nikomachos vermittelt; schon Rohde, Quellen, S. 129 hat vermutet, dieser habe sie aus Aristoxenos übernommen. Eine verwandte Überlieferung, die auf Diogenes Antonios zurückgeht, liegt in Porph. VP 34 vor; vgl. Burkert, Weisheit, S. 139. 46 Vgl. Diog. Laert. 8,21, dazu Burkert, Weisheit, S. 136. Die Mitteilung aus dem Hades begründet die Verehrung des Pythagoras durch die Krotonianer: Kat 8ul TOVTO TLJ.11]eijvaL UTTa TWV EV KpOTUJVL.
47 Die Höhle wird als OlKELOV TijS- iavTov CPLAOCJOCPLas- (Porph. VP 9 = Iambl. VP 27) eingerichtet. Nach Porphyr verkehrt er dort mit seinen Schülern; nach Iamblich beschäftigt er
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werden diese bei den Komplexe (Aufenthalt in einem unterirdischen Raum; Hadesfahrt) niemals miteinander verbunden,48 so daß es kaum möglich ist, gesicherte Ergebnisse über die Gestalt der Herrnipp vorliegenden Überlieferung zu erzielen. Auf diesem Hintergrund gesehen ist es unmöglich, ein einigermaßen wissenschaftlich begründetes Urteil darüber abzugeben, ob die Bezeichnung 8ELOS- (aVT]p) in der von Herrnipp parodierten Tradition vorhanden war. Die Terminologie kommt in keinem der betreffenden parallelen Fragmente vor, was eher dagegen spricht, daß Hermipp die Terminologie schon in der Tradition vorgefunden hat. Die Verankerung der 8ELOS- äv8pWTTOs--Terminologie in der biographischen Pythagorastradition läßt sich also auch nicht mit Hilfe des Herrnippfragments plausibel machen.
9.1.2 Herkunft der in der apollonischen Quelle vorhandenen Terminologie
Es bleibt jedoch noch die Frage, ob Apollonios die Begrifflichkeit in seinen Quellen vorgefunden oder ob er sie neu in die Überlieferung eingeführt hat. Dieser Frage ist genauer nachzugehen, weil an drei Stellen innerhalb der apolIonischen Partien der Vita, wo die 8cLOS- aV8pUJ7TOS-- Terminologie vorkommt, Parallelen zu Timaiosfragmenten vorliegen. Daß Apollonios eine Darstellung des Historikers Timaios benutzt hat, ist seit Rohde 49 unumstritten. Die Meinungen gingen in der Vergangenheit jedoch weit auseinander, was die Frage angeht, inwiefern man von Apollonios auf seine timäische Vorlage schließen könnte. 50 Eine eingehende Untersuchung der Parallelüberlieferung der Timaiosfragmente durch von Fritz 51 hat jedoch gezeigt, wie schwierig es ist, auf den Wortlaut des Timaios zu schließen. Von Fritz hat weiterhin nachgewiesen, daß Apollonios sich einer Arbeitsweise bedient, die er als "Iarge historical fresco-painting" beschreibt: Er erstellt eine Collage aus unterschiedlichsten Materialien und verbindet sie durch eigene phantasievolle Interpolationen zu einem einheitlichen Gebilde. 52 Mit dieser Mahnung zur Vorsicht vor Augen wollen wir jetzt danach sich mit Untersuchungen über die Anwendbarkeit seiner Lehren. Iamblich zieht jedoch eine Parallele zu Minos, dem Sohn des Zeus, der der Sage nach im Gespräch mit Zeus in einer Höhle auf dem Ida die Erkenntnis gewonnen habe, aufgrund derer er die Gesetzgebung für sein Volk entwickelt habe, vgl. Hans von Geisau, Art. Minos, KP 3, Sp. 1332ff. Offenbar wurde der Aufenthalt in einer Höhle als eine Begegnung mit dem Jenseitigen verstanden. 48 Burkert, Weisheit, S. 136-141 versucht mit beachtenswerten Argumenten glaubhaft zu machen, daß hier ein sehr alter Traditionskomplex vorliegt, welcher einen Ritus reflektiert, der seinen Ort in der schamanistischen Praxis des Pythagoras gehabt hat und zur Seelenwanderungslehre gehört. In der Überlieferung sind sie jedoch nur in der späteren, von Hermipps Bericht abhängigen Überlieferung miteinander verknüpft; vgl. Tertullian De Anima 28,2; Scholion Sophokles Elektra 62; Suda s.v. f'H8rJ 88 (Adler II 552,7). 49 Quellen, S. 133ff. 50 V gl. B urkert, Weisheit, S. 92f. Sichere Parallelen sind Timaios (FGrH 566) Fr. 17 (= Diog. Laert. 8,11) und Iambl. VP 56; Fr. 13 (= Diog. Laert. 8,10) und Iambl. VP 71f.; Fr. 131 (= Porph. VP 4) und Iambl. VP 170. 51 Pythagorean Politics, S. 33-67. 52 So urteilt von Fritz, Pythagorean Politics, S. 35: "A glance at [the] paralleIs shows that Timaios has been used many times by later authors ... without being quoted. But even where
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Teil 111: Semantische Analyse: eclo~ KTA. in epistemologischem Kontext
fragen, ob sich die ßElOS- avßpUJTTos-- Terminologie, die in den Apolloniospartien bei Iamblich begegnet, auf die Quellen des Apollonios zurückführen läßt. Daß Iamblich in §§ 37-57 die Pythagorasvita des Apollonios als Quelle heranzog, hat Rohde überzeugend nachgewiesen. 53 Daß Apollonios wiederum aus Timaios geschöpft hatte, ist unumstritten,54 es ist jedoch unmöglich, die Beiträge der beiden Schriftsteller säuberlich zu trennen. 55 Gerade die Endgestalt des Textes ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Apollonios' eigene Formulierung. Dies wird durch einen Vergleich von Iambl. VP 56 mit dem Timaiosfragment Diog. Laert. 8,11 bestätigt: 56 Weiterhin hat derjenige, den man den Allerweisesten nennt und der die Sprache der Menschen strukturiert hat und überhaupt zum Erfinder der Namen geworden ist - war es jetzt ein Gott, oder ein Daimon oder ein göttlicher Mensch -, in der Erkenntnis, daß das Geschlecht der Frauen am tiefsten zur Frömmigkeit veranlagt ist, jeder Altersstufe den Namen einer Göttin gegeben: er nannte die Unverheirateten Kore, die Verheirateten Nymphe, die Mütter Meter, die Großmütter im Dorischen Maia (Kai Ka)..Eaal rr}v /lEV aya/lov KOP TJ v, rr}v 8E TTP0S' av8pa 8E8oJ1EVTJV VV/l
durch eine Frau offenbart werden. Durch das Lob ihrer Frömmigkeit soll er eine gewaltige Veränderung bewirkt haben: sie kleideten sich fortan einfacher, keine wagte mehr, ihre teuren Gewänder anzuziehen, vielmehr hängten alle Frauen von Kroton Zehntausende von Kleidern als Weihgaben im Heraheiligturn auf (8la BE TWV EiS' T1]V EvaEßElav ETTaLvUJv TTP0S' T1}V EVTEAElav T1]V KaTa TOV l/laTla/lOV TTJAlKaVTTJV TTapa8E8oTal KaTaaKEvaaal rr}v /lETaßoA7}v, tlJaTE Ta TTO)..VTEAfj TWV l/laTLUJV /lTJBE/lLaV Ev8vEa()al TO)../lav, d)..)..a ()ELval TTaaaS' EiS' TO TfjS' fHpaS' lEPOV TToMaS' /lvpla8aS' l/laTLUJv) .
Die Worte KaI Ka),.Ea"GL ... KaTa TT]V .JUJPLK7}V 8LaAEKTOV j1alav haben eine deutliche Parallele in dem bei Diogenes überlieferten Timaiosfragment (FGH 566 F 17 = Diog. Laert. 8,11):
he is quoted by name ... much less of the original wording, if any, is preserved than in the case of ... Aristoxenos. Everywhere the original text has undergone a good deal of rernolding"; ähnlich Walter Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, Philol. 105, 1961, S. 1643.226-246, da 20: " ... alle Versuche, die Darstellung des Timaios aus Apollonios zurückzugewinnen, sind gescheitert". 53 Rohde, Quellen, 131-135. Die Einheit des Abschnittes ist offensichtlich. Daß Apollonios auch hier die Quelle ist, zeigt die Übereinstimmung von 50 und 264. 54 Vgl. Iamblich VP 56, wo eine Parallele zu Diog. Laert. 8,11 (Timaios FGrH 566 F 17) vorliegt. Darüber hinaus besteht eine Reihe von Koinzidenzen zu Iustin 20,4 (das eine Epitome eines Berichtes des Pompeius Trogus ist, der nachweislich Timaios als Quelle hatte; dazu ausführlich Rohde, ebd. und von Fritz, Politics, S. 33-42, bes. die Synopse von Iambl. VP 37.42.50.54 und Iustin 20,4,16). 55 Zu der Kornpositionstechnik des Apollonios (bes. in den Reden) vgl. Rohde, Quellen, S. 134f. Rohde hat nachgewiesen, daß Timaios als erster Pythagoras als Sittenprediger präsentierte. Apollonios baute seine Vorlage wiederum zu Reden aus. 56 Übersetzung von Michael von Albrecht.
9. Die Pythagorastradition
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TLflaLOS' TE CPT]OIV EV 8EKaT4J 1 aTopu:Jv AlYELV aVTov (sc. JJv8ayopav) TaS' avvoLKovaaS' av8paaL 8EWV EXELV 6voflaTa, KopaS', NVflcpaS', ElTa MT]TEpaS' KaAOVflEvaS'.
Die Weiterführung der Erzählung in Iambl. 56 (8ul 8E ... 1To;Ua~ pvpLa8a~ lpaTLwv) hat außerdem eine inhaltliche Parallele bei Iustin 20,4, 18ff. 57 Der Vergleich mit dem Timaiosfragment zeigt, daß es kaum möglich ist, Schlußfolgerungen bezüglich des Wortlautes der timäischen Vorlage des Apollonios zu machen. Die Tatsache, daß da gerade für den Teil des Textes, in dem der Ausdruck eELO~ aVepW1TO~ vorkommt, keine Hinweise auf Parallelen bestehen, legt jedoch die Vermutung nahe, daß diese Zeilen nicht von Timaios stammen und auf Apollonios selbst zurückzuführen sind. 58 Auch in § 255 taucht die eELO~ aVepW1TO~- Terminologie in der Nähe timäischer Überlieferung auf. Unbestritten ist, daß der Abschnitt §§ 254-264 von Apollonios stammt. Daß der gesamte Text aus Timaios stamme, hat Kurt von Fritz jedoch überzeugend widerlegt. 59 Ein Vergleich mit den Parallelen in Iustin 20,4,14 und Diog. Laert. 8,3 zeigt, daß Apollonios in § 254ff. mehrere Quellen mit unterschiedlichen Perspektiven verarbeitet hat. Einerseits wird der Aufstand als Widerstand gegen eine von den Pythagoreern angeführte aristokratische Staatsform dargestellt,60 andererseits entstand der Aufstand gegen die Pythagoreer nach dem Bericht von Iustin bzw. Timaios, weil 300 der Jünglinge sich in einem kameradschaftlichen Verbund zusammengeschlossen hätten, der die Gestalt eines geheimen Vereins angenommen hätte. Hier erscheinen die Pythagoreer als politische Erneuerer, denen von den herrschenden Klassen Widerstand geleistet wird. 61 lustins Bericht zeigt, daß der Grund für den Aufstand in der Darstellung des Timaios auf die Geheimhaltung und Abgrenzung des Vereins von den Mitbürgern zurückgeführt wurde. Entsprechend heißt es in Iamblich VP 254, daß mehr als 300 politisch aktive junge Männer einen Verein bildeten (TWV vEavLaKwv / i]aav yap v1TEP TpLaKoaLov~ / pEyaAT]V PEv ETac Vgl. die Synopse bei von Fritz, Politics, S. 37. Die umständliche Formulierung und der offenkundige Versuch, die Erzählung in § 55 mit der Aussage über die Frauenbezeichnungen thematisch zu korrelieren (v gl. wS' fl1] olKELov aVTwv (sc. TrDv appEvwv) Tfj cpvaEL im letzten Satz von 55 und OlKELoTaTov EaTL TO YEVOS' TWV yvvaLKwv) entsprechen der Technik des Apollonios an anderen Stellen. Apollonios versieht die bei Timaios vorgefundene Aussage des Pythagoras mit einer passenden Einleitung, indem er Pythagoras sich auf den allerersten Namensgeber berufen läßt. 59 Armand Delatte verfocht die These, der ganze Abschnitt stamme von Timaios; dagegen von Fritz, Polities, S. 55-67. Er findet Spuren von drei unterschiedlichen Versionen, die Apollonios zu einer großen Einheit verarbeitet hat. 60 Vgl. 254 (Deubner S. 136, Z. 19-24); 255 (Deubner S. 137, Z. 4-8) und 257 (Deubner S. 138, Z. 22-139, Z. 6). Vgl. die Parallele in Diog. Laert. 8,3: arrfjpEv (sc. JJv8ayopaS') ElS' KpoTwva TfjS' 'I TaALaS' 'KaKEL vOfloVS' 8ELS' TOLS' 'I TaAu!JTaLS' E80,da8T] auv TOLS' 57
58
fla 8T] TaLS', oLl TTPOS' TOUS' TpLaKoaLOVS' ÖVTES' cjJKOVOflOVV äpLaTa Ta TTOAL TLKa, waTE aXE80v apLaTOKpaTLav ETvaL Tfjv TTOAL TELav. 61 Vgl. 254 (Deubner S. 136, Z. 25 - 137, Z. 3). 258. Vgl. lustin 20,4,14: Sed CCC ex iuvenibus cum sodalicii iure sacramento quodam nexi separatam a ceteris civibus vitam exercerent, quasi coetum clandistinae coniurationis haberent, civitatem in se converterunt.
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Teil 111: Semantische Analyse: 8cio~ KTA. in epistemologischem Kontext
pELav avvaYTJox6aLv). Obwohl als Grund für das Zerwürfnis jetzt ein ganzer
Katalog von Ursachen (255-257) angeführt wird, ist der von Timaios angeführte Grund von Apollonios beibehalten worden (aLTLov 8 Tjv): insofern ihr Auftreten privaten Charakter hatte (lrjJ' oaov l8Laaj1oV EXEL), bewirkte es Anstoß. Apollonios wiederholt dies sogar: ihr Auftreten bewirkte Anstoß, insofern man erkannte, daß die Pythagoreer sich absonderten (257: lrjJ' oaov EyvUJaav l8LaeOvTas- lv aVTols TOUS- aVj1TTETTaL8EVj1EVOVs-).62 Wie der Vergleich mit den Parallelen zeigt, geht alles, was über sie hinausgeht, auf die redaktionelle Tätigkeit des Apollonios zurück: 63 Wie in der Tyrannenrede Ninons (258-260)64 werden hier verschiedene Brocken pythagoreischer Tradition von Apollonios zu einer Einheit verarbeitet. 65 Als erstes Ergebnis der Analyse ist also festzuhalten, daß auch hier die eELOSavepUJTTOs-- Terminologie nicht aus ApolIonios' Timaiosquelle stammt. Da jedoch deutlich ist, daß er sich in seinem Ursachenkatalog zum Teil sehr alter pythagoreischer Traditionen bedient hat, gilt es jetzt noch zu prüfen, ob die Herkunft der Begrifflichkeit nicht genauer bestimmt werden kann. Die Aussage in § 255, daß niemand Pythagoras bei Namen nannte, hat Parallelen in §§ 53 und 88: 66 Nannte doch kein Pythagoreer den Pythagoras beim Namen (ovo/la(ELv JJvea: yopav): zu seinen Lebzeiten sprachen sie, wenn sie ihn meinten, von dem "göttlichen Mann" (KaAELv aVTov eELOV), nach seinem Tode nannten sie ihn "jenen Mann" (EKELvov TOV äv8pa) ... Iambl. VP 255 Durch diese Ermahnungen hat er - darüber ist man sich einig - erreicht, daß keiner seinen Namen aussprach (TTPOO7Jyop{av OVO/la(ELV) , sondern daß alle ihn den "Göttlichen" nannten (eELOV aVToD KaAELv). Iambl. VP 53
Diese Formulierung zeigt, daß hier eine Explikation von der in seiner Quelle genannten Ursache vorliegt. Man beachte auch, daß eigentlich nur von einer Ursache (aLTLov 8' fjv) die Rede ist, dann jedoch ein ganzer Katalog folgt. 63 Auch andere Beobachtungen unterstützen diese Schlußfolgerung: Der abrupte Übergang zu A.c.I.-Sätzen läßt vermuten, daß Apollonios diese Traditionen aus anderer Quelle hier eingefügt hat. Weiterhin ist der gesamte Katalog umschlossen von der eigenwilligen Interpretation, der Aufstand sei vor allem von eifersüchtigen Verwandten der Pythagoreer angestachelt worden (Deubner § 255, Z. 11-13; 257, Z. 16-22). Diese Interpretation berührt sich in bemerkenswerter Weise mit Lukian Alex. 41f., wo berichtet wird, der innere Kreis um Alexander (einen Enkelschüler des Apollonios 1) zeichne sich dadurch aus, daß die Beteiligten als OL EVTOS" ToD
9. Die Pythagorastradition
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Von Hippasos insbesondere behaupten sie, er habe zwar zu den Pythagoreern gehört, da er aber erstmals schriftlich da~ Geheimnis der einem PentagonDodekaeder umschriebenen Kugel an die Offentlichkeit gebracht habe, sei er als Mysterienverräter im Meer umgekommen; der Erfinderruhm sei ihm freilich zuteil geworden, obwohl doch alles von ihm (EKELVOU TOU dv8p6S') stammt; denn so bezeichneten (TTpoaayopEvouaL) sie Pythagoras und nennen ihn nicht mit Namen. Iambl. VP 88
Die Parallel stelle in § 88 geht auf sehr alte Überlieferung zurück67 und zeigt deutlich, daß die eELOS' av8pUJTToS'- Terminologie auch in diesem Fall in der ältesten Schicht der Tradition nicht vorkam: In der frühesten Überlieferung heißt es, Pythagoras wurde mit EKELVOS' 6 dvrjp bezeichnet. Die Verbindung der Überlieferung von der Scheu der Pythagoreer, den Namen des Pythagoras zu benutzen, mit der eELOS' av8pUJTToS'- Begrifflichkeit begegnet erst in der Vita des Apollonios (und nur da). Wo in § 253 offensichtlich noch ein Versuch vorliegt, die Diskrepanz mit der alten Überlieferung auszugleichen, ist in § 53 nur noch von 8ELOS' die Rede. Es liegt auf der Hand, daraus zu schließen, daß Apollonios die Terminologie an dieser Stelle in die Überlieferung einführt hat. 68 Auch in § 12 begegnet die 8ELOS' av8pUJTToS'- Terminologie an einer Stelle, wo Apollonios 69 aus alter Überlieferung schöpft, so daß sich auch hier die Frage stellt, ob sie nicht alter Überlieferung zugeordnet werden kann (VP 11f.):70 Darum drang, solange er noch Ephebe war, von ihm großer Ruhm zu den Weisen: nach Milet zu Thales und nach Priene zu Bias ... Als aber die Tytrannis des Polykrates sich eben erst herausbildete, sah der etwa Achtzehnjährige voraus, wohin sie führe, und daß sie seinem Vorsatz (auTou TTp08taEL) und Lerneifer (cpLA0j1a8ELa), der ihm über alles ging, im Wege stehen werde (wS' Ej1TT68LoS' EaTaL). So flüchtete er bei Nacht, ohne daß jemand etwas ahnte, mit Hermodamas .... Mit diesem fuhr er übers Meer zu Pherekydes, zu dem N aturphilosophen Anaximander und zu Thales nach Milet. (12) .... So nahm auch Thales ihn gerne bei sich auf .... Nachdem Thales ihm, soviel er vermochte, von den Wissenschaften mitgeteilt (j1ETa80vS' TE öawv 7j8vvaTo j1a8rr j1aTWV) , ... forderte [er] ihn auf, nach Ägypten zu segeln und dort vor allem mit den Priestern in Memphis und Diospolis zusammenzukommen. Denn von diesen beiden habe auch er selbst empfangen, um dessentwillen er bei der großen Menge als Weiser gelte (8L' ä aocpoS' TTapd TOLS' TTOAAOLS' VOj1{(ETaL) . ... So konnte er in jeder Beziehung nur Gutes verkünden EuryYYEA{(ETO): wenn Pythagoras mit den bezeichneten Priestern verkehre, so
67 Iamblich zitiert diese Überlieferung in der Schrift De communi mathematica sci~ntia 25 mit demselben Wortlaut. Burkert, Weisheit, S. 180ff. (bes. 190f.) hat gezeigt, daß die Uberlieferung auf Aristoteles zurückzuführen ist (gegen von Fritz, Politics, S. 60, der sie in Nachfolge von Bertermann Androkydes zuschreibt). Daß die Pythagoreer sich gescheut haben, Pythagoras beim Namen zu nennen, ist gut bezeugt, vgl. Iambl. VP 150, vgl. auch das sprichwörtliche aUTOS' Ecpa in Diog. Laert. 8,46. 68 Dies bekommt umso mehr Gewicht, wenn von Fritz' Beobachtung stimmt, daß in Iambl. 254-264 mehrere Anklänge .~n § 88 vorliegen, ders., Politics, S. 59f. Das würde implizieren, daß Apollonios bewußt die Uberlieferung korrigiert hat. 69 §§ 3-28 stammt aus der Vita des Apollonios, vgl. Porphyr VP 2 = Iambl. VP 3.9.11, vgl. von Fritz, Politics, 45ff. 70 Übers. von Michael von Albrecht.
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Teil 111: Semantische Analyse: eELO~ KTA. in epistemologischem Kontext
werde er der Göttlichste und der Weiseste sein und über allen Menschen stehen (()EtoTaTov aVTOV Kat aoq){!JTaTOV UTTEP äTTaVTaS' EaEa()at av()pr!;TTOVS').
Die Parallelüberlieferung zeigt, daß Apollonios die Schrift des Timaios seiner Darstellung vom voritalischen Abschnitt des Lebens des Pythagoras zugrunde gelegt hat.?1 Man muß jedoch damit rechnen, daß vieles seiner eigenen schriftstellerischen bzw. redaktionellen Tätigkeit zuzuschreiben ist. 72 Ein Vergleich von §§ Ilf. mit den Timaiosparallelen zeigt jedoch, daß ihnen keine genauen Angaben über die Lehrer des Pythagoras nach seiner ersten Abreise aus Samos entnommen werden können: Fest verankert in der timäischen Überlieferung scheint nur zu sein, daß Pythagoras sich nach der Abreise aus Samos in Ägypten und Babylonien aufgehalten habe. Da die Angaben in § 11, daß er bei Pherekydes und Hermodamas und darüber hinaus bei Anaximander studiert habe, jedoch ohne Zweifel in der Vita des Apollonios standen,73 liegt es nahe, daraus zu folgern, daß diese Angaben von Apollonios in die timäische Darstellung eingefügt wurden. Da das Apolloniosfragment bei Porphyr Thales nicht erwähnt, stellt sich die Frage, ob diese Angabe nicht von Iamblich selber gemacht wurde. 74 Es spricht jedoch einiges dafür, daß die Thalesangabe von Apollonios stammt. Betrachtet man die Erzählung in §§ 11-19, scheint Thales hier die Rolle eines Brückenkopfs in der Erzählung zu spielen: Weil Apollonios den Aufenthalt in Asien und Ägypten in das Geschehen eingeführt hatte, war er gezwungen, Gründe für die Reise nach Ägypten anzugeben: Dies tat er mit Hilfe der Thaleserzählung,75 Es besteht also eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß §§ Ilf. von 71 Justin 20,4,3 und Strabon 14,638, weiterhin Diog. Laert. 8,2f., vgl. die Synopsen in von Fritz, Polities, S. 43.53. Zweifelsfrei liegt timäischer Einfluß in §§ 11.19.20.25.28 vor, ohne daß man jedoch mit Sicherheit auf den Wortlaut des Timaios schließen könnte. 72 Von Fritz, Politics, S. 43.45-55 hat gezeigt, daß der Abschnitt nicht als ganzer Timaios zugeschrieben werden darf. So hat er z.B. überzeugend nachgewiesen, daß die chronologisehen Angaben in § 19 nicht von Timaios stammen können, so daß diese Konstruktion vom Ablauf des Lebens des Pythagoras von Apollonios hier eingefügt worden sein muß (so hat auch schon Rohde, Quelle, S. 116-124 betont, es sei alles "pure Erfindung"); weiterhin hat Apollonios versucht, eine andere Version der Rückkehr des Pythagoras nach Samos (§ § 20b25a) mit der timäischen (§§ 20a.25b.28) zu verschmelzen. Außerdem scheint es wahrscheinlich, daß Iamblich selbst hier Interpolationen vorgenommen hat, vgl. Edwards, Two Images, S. 169, der in der Karrneigeschichte (14f.) antichristliche Polemik von Iamblichs Seite sieht und Dillon/Hershbell, Iamblichus, S. 39, Anm. 13, die in waTE EX TTavToS' EVTJYYEA.{(ETO (12) einen antichristlichen Hinweis finden wollen. 73 Die gleiche Angabe gibt Porph. VP 2 mit Berufung auf Apollonios. Daß er bei Pherekydes und Hermodamas studiert habe, geht auf Neanthes von Kyzikos (etwa 200 v. ehr.) zurück, vgl. Zeller I/l, S. 381, Anm. 1; Burkert, Weisheit, S. 90f. 74 Falls die Phrase waTE EK TTaVTOS' EVTJYYEA.{(ETO außerdem antichristliehe Polemik reflektiert, ist ein solcher Schluß faßt unumgänglich. Man sollte jedoch dem Fehlen von Thales' Namen in Porph. VP 2 nicht zuviel Gewicht beimessen: Porphyr hat selber nicht ApolIonios' Vita benutzt, sondern sie nur mittels einer Handbuchquelle rezipiert, in der die Angabe schon fehlen konnte. Außerdem hat er sie auch tilgen können, weil er sie für falsch gehalten hat. 75 Dafür spricht auch folgende Beobachtung: Der Thalesbericht findet seine logische Weiterführung in dem Satz ayaaeEtS' KaTa TaS' edAEUJ TOU 8t8aaKdAov uTTo()ryKaS' 8tETTOp8f.LEV()7] af.LEAATJTt UTTO TtVUJV AlYVTTT{UJV TTOp()f.LEUJV in § 14. Daß dieser Satz von Apollonios
9. Die Pythagorastradition
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Apollonios und nicht von Iamblich stammen. 76 Sicher ist, daß man die Verbindung mit Thales nicht, ohne in Spekulation zu verfallen, früher als Apollonios bzw. das erste Jahrhundert n. Chr. datieren kann. Die 8ElOS- avßpuJ7Tos--Terminologie ist nun engstens mit der Thalesangabe verbunden, so daß auch hier gilt, daß sie frühestens in der von Apollonios repräsentierten Schicht der Überlieferung angesiedelt werden kann.
9.1.3 Der Lysisbriej Die ßElOS- avßpwTTos--Terminologie begegnet weiterhin in § 76, wo der Ausdruck 0 8aLj16vLos- dvf}p vorkommt. In §§ 75-78 ist der sogenannte Lysisbrief7 7 aufgezeichnet. Iamblichs Version, die einerseits kürzer als die Version der epistolographischen Überlieferung ist, andererseits im Vergleich mit ihr den Text in einer anderen Reihenfolge bietet,78 ist ohne Zweifel sekundär: Sie stellt eine spätere Bearbeitung des Originals da. 79 Wenn die Fassung der Epistolographenstammt, zeigt der Gebrauch 1er Begriffe 8lETTOpe/lEVel] und TTOpe/lEWV: genau dasselbe Verb benutzte Apollonios, um die Uberfahrt von Samos nach Milet zu bezeichnen. 76 Dagegen scheint allerdings die Reiseerzählung (abgesehen vom genannten Satz in 14) von Iamblich zu sein: Wie schon angedeutet häufen sich in diesem Abschnitt (13-17) Parallelen zu biblischen Geschichten. Wichtiger ist jedoch, daß die Reiseerzählung aus der Behauptung, Pythagoras sei in Sidon geboren worden (§§ 5b-7), gesponnen worden ist: Diese Behauptung ist nicht nur Sondergut Iamblichs, sondern auch seine eigene Erfindung, vgl. dazu Zeller 111, S. 380, Anm. 2. M. E. sind die Partien §§ 5b-7a (S. 21, Z. 8-22 Deubner), § 9 (Weiterführung der Einfügung Iamblichs, auch der verfrühte Auftritt des Pherekydes!, vgl. § 11) und § lOb (ab Z. 20 Deubner: der absolute Gebrauch von ö signalisiert, daß hier Kommentar vorliegt) Iamblich zuzuschreiben. 77 Der Lysisbrief liegt in zweifacher Überlieferung vor, einerseits als Teil der Überlieferung von Iamblichs Vita Pythagorica (in der Forschung bekannt als Fassung A), andererseits als Teil der Epistolographenüberlieferung (Fassung B). Die Ausgabe von Rudolph Hercher, Epistolographi Graeci, Paris 1873 (Nachdruck Amsterdam 1965), S. 601-608 wurde ersetzt von der neuen kritischen Ausgabe (mit Übersetzung und Kommentar) von Alfons Städele, Die Briefe des Pythagoras und der Pythagoreer, BKP 115, Meisenheim 1980; der Text befindet sich auf S. 154-159. Alle Textverweise auf die Fassung B erfolgen nach Städeles Ausgabe. 78 V gl. Städele, Briefe, S. 203; Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, S. 21. Es fehlen der erste Satz und jener Teil der Fassung B, der von den Hypomnemata des Pythagoras handelt (1,1-6 und 7,58-66). Iamblich hat die Reihenfolge 7,57f. (= VP 75b); 6,54-56 (= VP 75c); 7,66f. (= VP 75d); 1,6-6,54 (= VP 75e-78). 79 Armand Delatte hat in seinem Aufsatz La Lettre de Lysis a Hipparque, RPh 35, 1911, S. 255-275 versucht, den Nachweis zu erbringen, daß Iamblichs Fassung das Original und daß Fassung B eine spätere Erweiterung des Originals sei, angefertigt, um als Vorspann zu einem gefälschten Hieros Logos zu dienen. Dies wurde überzeugend von Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, S. 17-28 widerlegt, der nachwies, daß Iamblichs Fassung nur von Eustathius (12. Jh.) ausdrücklich zitiert wird, Fassung B jedoch spätestens im 1. Jh. n. ehr. ziemlich bekannt gewesen sein muß. Andererseits haben die vorgenommenen Veränderungen deutliche Spuren in der Fassung Iamblichs hinterlassen: Das BE ... Ka{ in § 75 (Deubner S. 43, Z. 1) zeigt, daß noch ein Vorwurf diesem Satz vorangestellt gewesen sein muß; weiterhin zeigt das q;l]a{v (ebd., Z. 6), daß Iamblich hier ein neues Zitat bringt; vgl. auch den Gebrauch des Konjunktivs an der Stelle: Iamblich hat öalov ELl] Ka für das elliptische öalov Ka (= öalov [ryv] Ka), welches ein bewußt gewolltes Zitat reflektiert.
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überlieferung jedoch ursprünglich ist, ist der Lysisbrief zweifelsohne ein Produkt pseudonymer Schriftstellerei, das geschaffen wurde, um eine apokryphe pythagoreische Schrift zu legitimieren. 8o Der Lysisbrief entstand also als Teil des Stroms apokrypher pythagoreischer Schriften,81 die seit dem Ende des 3. Jh. v. Chr. bis tief in die Kaiserzeit nacheinander in der antiken Welt auftraten.8 2 Er ist der späteren Phase dieser Entwicklung, d.h. dem 1./2. Jh. n. Chr. zuzuordnen. 83 Wem die Fassung des Briefes in Iamblichs Vita zugeschrieben werden muß, ist sehr umstritten. 84 Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch für unsere Fragestellung nicht von entscheidendem Interesse, denn es steht fest, daß das Original dem späten Hellenismus bzw. der Kaiserzeit zuzuordnen ist. Infolge80 Fassung B ist in Blick auf § 7 komponiert worden, wie schon Delatte, Lettre de Lysis, S. 247f. sah, vgl. auch Burkert, Hellenistische Pseudepigrapha, Philol. 105, 1961, S. 22. 81 Alexander Polyhistor hat im 1. Jh. Hypomnemata des Pythagoras exzerpiert (Diog. Laert. 8,24.[25-33].36); das sogenannte Tripartitium des Pythagoras lag Herakleides Lembos um 167 v. Chr. vor (Diog. Laert. 8,6). Daß Satyros den diese Schrift begleitenden apokryphen Platonbrief kannte (Diog. Laert. 3,9), belegt, daß das Tripartitium schon um 200 v. Chr. in Umlauf war. Diog. Laert. 8,7 erwähnt jedoch eine andere Pythagorasschrift (die allerdings offenbar als Fälschung erkannt wurde, darum die Zuweisung dort an Lysis), die Burkert mit den Hypomnemata des Alexander Polyhistor identifizieren will, s. ders., Hellenistische Pseudopythagorica, S. 18f.24-27. 82 Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, S. 226ff.; ders.; Weisheit, S. 84ff. bietet folgende plausible Erklärung für das Aufkommen der pythagoreischen Pseudepigraphien: Mit der skeptischen Wende in der Akademie im 3. Jh. habe das pythagoreisierende Element in der Akademie seine Heimat verloren, so daß die Vertreter der metaphysischen Spekulation sich einerseits nicht mehr auf Platon berufen konnten und sich gewissermaßen im Untergrund befanden, andererseits gezwungen waren, ihre (platonische) Lehre auf Pythagoras zurückzuführen. 83 Terminus ante quem ist Nikomachos' Pythagorasvita: § 7 des Briefes wird zitiert in Iambl. VP 253 = Porphyr VP 58). Delatte, Lettre de Lysis, S. 247f. datiert ihn in die alexandrinische Zeit; Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, S. 24-28 hat mit Hilfe eines phantasievollen Hypothesengebildes versucht, ihn mit den Hypomnemata, die Alexander Polyhistor exzerpierte und die aus dem Anfang des 3. Jh. stammen sollten, in Verbindung zu bringen. Holger Thesleff, On the Problem of the Doric Pseudo-Pythagorica. An Alternative Theory of Date and Purpose, in Pseudepigrapha 1. Pseudopythagorica - Lettres de Platon Litterature Pseudepigraphique juive, Fondation Hardt, Entretiens sur l'antiquite classique 18, Genf 1971, S. 59-87, bes. S. 65f.78 wollte die uneinheitliche dialektische Färbung zum Anlaß nehmen, ein ionisches bzw. Koine-Original aus dem 4./3. Jh., das im 3./2. Jh. ins Dorische übersetzt worden sei, zu postulieren. Städele, Briefe des Pythagoras, S. 212. 217-251 (217222 und 239-241 ausführlich gegen Thesleffs These) hat jedoch mittels einer detaillierten ~prachlichen Analyse gezeigt, daß· der Brief viele kaiserzeitliche Sprachmerkmale aufweist. Uber die Entstehung dorischer pseudopythagoreischer Schriften, vgl. Walter Burkert, Zur geistes geschichtlichen Einordnung einiger Pseudopythagorica, Pseudepigrapha 1. Pseudopythagorica - Lettres de Platon - Litterature pseudepigraphique juive (Entretiens sur l'Antiquite Classique. Publies par Olivier Reverdin), Genf 1972, S. 23-55, da 41-49. 84 Der Brief befindet sich zwischen Passagen (68-74), die aus Apollonios bzw. Timaios (§§ 72f. = Timaios FGrH 566 F 13 / Diog. Laert. 8,10) übernommen wurden. Daraus hat Delatte, Lettre de Lysis, geschlossen, auch der Brief selbst sei Iamblich von Apollonios übermittelt worden, dies jedoch mit der unbeweisbaren These belastet, Apollonios habe den Brief aus Timaios übernommen. Schon Rohde, Quellen, S. 137f. hat an der Vermittlung durch Apollonios gezweifelt und zögernd Nikomachos als Quelle vermutet. (Rohde spricht Apollonios jedoch mit ungenügenden Argumenten § 74 ab.) Städele, Briefe des Pythagoras, S. 206-212 hat mit neuen Argumenten die Vermittlung durch Nikomachos plausibel gemacht. Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, S. 24 verzichtet auf einen Vermittler und traut Iamblich die selbständige Umbildung des Originals zu.
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dessen ist es auch in diesem Fall nicht möglich, die BELOS- avBpUJ1Tos-- Terminologie mit älterer pythagoreischer Tradition zu verbinden: Sie wurde offenbar erst zu einem späten Zeitpunkt in die Tradition aufgenommen.
9.2 Bedeutung und Funktion der Terminologie in der Überlieferung In einem nächsten Schritt wollen wir jetzt die Frage nach der Bedeutung und Funktion der eELOS- avepUJ1TOs-- Terminologie in den betreffenden Überlieferungsschichten, d.h. in der Pythagorasvita des Apollonios und in dem sogenannten Lysisbrief, stellen.
9.2.1 Die Verwendung der Terminologie in der apollonischen Vita Wir setzen bei der Verwendung des Terminus in § 56 im Kontext einer Rede des Pythagoras an: 85 Weiterhin hat derjenige, den man den Allerweisesten nennt und der die Sprache der Menschen strukturiert hat und überhaupt zum Erfinder der Namen geworden ist - war es jetzt ein Gott, oder ein Daimon oder ein göttlicher Mensch -, in der Erkenntnis, daß das Geschlecht der Frauen am tiefsten zur Frömmigkeit veranlagt ist, jeder Altersstufe den Namen einer Göttin gegeben: er nannte die Unverheirateten Kore, die Verheirateten Nymphe, die Mütter Meter, die Großmütter im Dorischen Maia ...
In diesem Text stecken die Begriffe aoqxJTaToS' TWV a1TavTUJv, EVPEn]S- und aVl/L8uJv deutlich das Wortfeld ab, in dessen Rahmen die Bedeutung des Terminus eELOS' avBpUJ1Tos- bestimmt werden kann. Apollonios läßt Pythagoras in seiner Rede an die Frauen sagen, die Frauen seien besonders veranlagt zur Frömmigkeit, und läßt ihn dies u. a. belegen, indem er darauf hinweist, daß jedes Frauenalter in der Sprache nach einer Göttin benannt wird. Dies führt er jetzt auf jene Urzeit zurück, zu der die menschliche Sprache entstanden ist: Er läßt jedoch offen, wer diese großartige Strukturierung der Sprache bzw. die Zuordnung der Namen zu den Dingen vorgenommen hat: sei es ein Gott, ein Daimon oder eben ein unbekannter eELOS' aVepUJ1TOS' gewesen. 86 Entscheidend für unsere Fragestellung ist jedoch, daß der schöpferisch Tätige dargestellt wird als der Erfinder bestimmter Erkenntnisse, auf die Pythagoras sich selbst berufen kann. Falls das Subjekt der Erkenntnis, daß Frauen naturgemäß zur Frömmigkeit veranlagt sind, und der darausfolgenden Strukturierung der Sprache nicht ein Gott oder ein Daimon war, sondern ein Mensch, dann wird er eben als BELOS' 85
§ 56: Übers. in Anlehnung an die Übersetzung von Albrechts. Für den Text vgl. 9.1.2.
86 M.W. besteht kein griechischer Mythus über die Entstehung der Sprache, was die Unsicherheit des Pythagoras bzw. Apollonios in dieser Frage erklären dürfte.
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Teil 111: Semantische Analyse: eclO~ KTA. in epistemologischem Kontext
avßpUJTTO:; bezeichnet. 87 Für Apollonios ist eELO:; aVepUJTTO:; offenbar eine Chif-
fre, mit der man einen Menschen in seiner Funktion als Begründer oder Entdekker bestimmter Erkenntnisse bezeichnet: Er steht also am Anfang der eigenen Tradition, so daß man sich infolgedessen auf ihn als Garanten für jenes Wissen berufen kann. Daß diese Interpretation zutrifft, zeigt die Verwendung des Terminus ßcLO:; avßpUJTTo:; in dem Erzählzusammenhang der apollonischen Vita: Die Konturen der Pythagorasvita des Apollonios kann man noch Iamblichs Text entnehmen: Nach dem Bericht über seine Herkunft (3-11) folgt ein Bericht über die Ausbildung in Samos, Kleinasien, Ägypten und BabyIon (11-19), ein weiterer über die Rückkehr nach Samos und die Auswanderung nach Italien (20-28) und weiterhin eine Beschreibung der Gründung (36-75) und Organisation der Schule (6880/88?). Der Erzählung von der italischen Katastrophe (254-264) war weiterhin wahrscheinlich ein Bericht mit wunderhaften Erzählungen aus seinem Leben (vgl. 215-222)88 vorangestellt. In diesem Erzählzusammenhang taucht die eELO:; avßpUJTTo:;- Terminologie an Schlüsselstellen auf. Wir setzen bei der Aussage des Apollonios in Iamblich VP 12 an: 89 Mit Hermodamas fuhr er übers Meer zu Pherekydes, zu dem Naturphilosophen Anaximander und zu Thales nach Milet. (12) .... So nahm auch Thales ihn gerne bei sich auf .... Nachdem Thales ihm, soviel er vermochte, von den Wissenschaften mitgeteilt (I1ETa8ovS' TE öawv 1j8vvaTo 11 a{)TJl1aTWV) , ... forderte [er] ihn auf, nach Ägypten zu segeln und dort vor allem mit den Priestern in Memphis und Diospolis zusammenzukommen. Denn von diesen beiden habe auch er selbst empfangen, um dessentwillen er bei der großen Menge als Weiser gelte (8L' ä aocpoS' TTapa TOlS' TToMo'iS' VOI1L(ETaL) . ... So konnte er in jeder Beziehung nur Gutes verkünden EVTJYYE)..{(ETO): wenn Pythagoras mit den bezeichneten Priestern verkehre, so werde er der Göttlichste und der Weiseste sein und über allen Menschen stehen ({)ELoTaTov aUTOV Kat aocpWTaTOV VTTEP äTTaVTaS' EaEa{)aL av{)pWTTOVS').
Der Thalesbericht hat offenbar eine Schlüsselposition in Apollonios' Erzählung innegehabt: Er hat einerseits die Geburts- bzw. Jugendgeschichten in Samos mit der Ägypten- und der Babylonreise verbunden und andererseits programmatische Funktion gehabt: Thales schickt Pythagoras zu den ägyptischen Priestern, damit er dort das Wissen erwerben kann, um dessentwillen Thales selbst als ein aocjJo:; gelte. Wenn Pythagoras dies tue, werde er seiner hervorragenden Eigenschaften wegen ßEloTaTo:; KaL aocjJwTaTo:; sein und alle Menschen (in Weisheit) übertreffen. Man beachte hier den kausalen Zusammenhang zwischen erworbener Erkenntnis und der ßcLO:; aVepUJTTO:;- Terminologie. 87 Die Tatsache, daß der Begriff {)ElOS' äV{)pWTTOS' hier mit den Termini {)EOS' und 8aLI1wV zusammengestellt wird, darf nicht dazu verleiten, ihn als eine Bezeichnung für eine ontologische Kategorie ("Gottmensch") zu betrachten; der Kontext zeigt deutlich, daß der Begriff aus funktionalen Gründen in die Reihe Gott-Daimon aufgenommen wurde. 88 Gehörten die Wundererzählungen 140-143, die von Aristoteles stammen, dazu? 89 Übers. von Michael von Albrecht.
9. Die Pythagorastradition
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Interessant ist weiterhin jedoch, daß Apollonios ausdrücklich erzählt, wann und wo Pythagoras zu einem solchen 8EL05" wurde. Nach dem erfolglosen Versuch, nach der Rückkehr aus Ägypten (und BabyIon) in seiner Heimat den Samiern seine Weisheit zu vermitteln, wandert Pythagoras nach Italien aus, wo man ihn, anders als bei den Samiern, mit Begeisterung aufnimmt (36.45.50.57). Nachdem Pythagoras den Jünglingen, Männern und Knaben seine Lehre in drei Reden vermittelt hat, folgt der Satz, es sei allgemein anerkannt, daß Pythagoras durch diese Ermahnungen, d.h. durch die Vermittlung seiner Lehre, erreicht habe, daß alle ihn fortan nicht mehr mit seinem Vornamen, sondern als ßEL05" ansprechen: Durch diese Ermahnungen hat er - darüber ist man sich einig - erreicht, daß keiner seinen Namen aussprach, sondern daß alle ihn 8ELOS' nannten.
Dadurch wird die Voraussage des Thales in § 12 erfüllt. Vorbereitet wird dies durch Kommentar des Apollonios nach der Rede vor den Jünglingen: 9o In den darauffolgenden Zeiten, in denen er selbst noch lebte, zeichnete sich nur ein einziger in der Philosophie aus. Denn als "Freund der Weisheit" bezeichnete er sich selbst, statt sich einen Weisen zu nennen.
Dadurch wird Pythagoras zum ersten richtigen Philosophen gemacht. Apollonios zeigt also, daß die Einwohner Krotons bzw. die Pythagoreer die philosophische Lehre bzw . Weisheit des Pythagoras annahmen und ihn fortan aus diesem Grund als einen ßEL05" dvrjp betrachteten. Er wird so bezeichnet in seiner Funktion als Begründer und Vermittler der eigenen Erkenntnistradition der italischen Pythagoreer. Diese synchronen Beobachtungen werden von Beobachtungen auf der diachronen Ebene bestätigt. Es wurde schon hier oben darauf hingewiesen, daß die Aussage des Apollonios, daß Pythagoras nicht mit Namen angesprochen wurde, sich auf alte Tradition zurückführen läßt. 91 Es wurde zudem darauf hingewiesen, daß sie sich jedoch in bedeutender Weise von jener Tradition der Namensscheu der Pythagoreer unterscheidet - in älteren Schichten ist nur die Rede von der Bezeichnung "jener Mann". Es ist bezeichnend, daß jene Tradition in § 88 mit einem anderen traditionellen Komplex verbunden ist, nämlich. mit 90 91
§ 44, Übers. nach Michael von Albrecht.
V gl. die aus Aristoteles stammende Überlieferung in Iambl. VP 88 = De communi mathematica scientia 25. Die Namensscheu der Pythagoreer hat ihren Ursprung gewiß dem Schamanismus des Pythagoras zu verdanken (Burkert, Weisheit, S. 112ff, bes. Anm. 105. 162f.) Der Pythagoreismus hat jedoch schon sehr früh den Bezug zum 'originalen', zum historischen Pythagoras eingebüßt, wie dies bereits bei Epimenides, Eudoxos und Xenokrates durch die Abwandlung der Bezeichnung als 'Hyperboreischer Apollon' zu 'Sohn des Apollon' belegt wird: "Hier ist ... die Andeutung einer Identität mit Apollon eliminiert und die Gottnähe in der üblichen Form als göttliche Abstammung ausgesprochen", a.a.O, S. 122. Schon zu Platons Zeit ist aus dem Schamanen ein Philosoph geworden, auf den man sich seiner göttlichen Erkenntnis wegen berufen hat, a.a.O., S. 80. In diesem Prozeß muß also auch die Namensscheu eine Rekontextualisierung erfahren haben.
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtos KTA. in epistemologischem Kontext
der alten Überlieferung, daß die Pythagoreer für sich keine Originalität in Anspruch genommen hätten, sondern alle wesentlichen Erkenntnisse dem Schulgründer Pythagoras zugeschrieben hätten. 92 In § 88 berichtet Iamblich mit Rückgriff auf aristotelische Tradition, die Mathematiker hätten sich im Rahmen innerpythagoreischer Streitigkeiten mit der offenbar alten Wendung Elval 8E TTaVTa EKELVOV TOU av8poS' gegen den Vorwurf der Akusmatiker gewehrt, ihre Erkenntnis lasse sich nicht von Pythagoras, sondern nur von Hippasos herleiten, weshalb sie keine wirklichen Pythagoreer seien. 93 Die Verbindung zwischen diesen beiden Traditionskomplexen, d.h. zwischen der Scheu, den Namen des Pythagoras zu verwenden, und der Überzeugung, daß Pythagoras die Quelle aller wesentlichen Erkenntnisse sei, liegt auch an anderen Stellen vor. Eine Schwurformel der Pythagoreer, die in Iamblichs Vita angeführt wird, um die Namensscheu der Pythagoreer zu illustrieren, lautet: 94 N ein, bei dem, der die Tetraktys unserer Weisheit erfunden hat (ou, flG. TOV GflETEpaS' aocplaS' EvpovTa TETpaKTlJv), einer Quelle, die über die GrundlauJflaT' gen der immerwährenden Natur verfügt (TTayav dEvaov cpvaEUJS' " ~ Exovaav).
tue
Anstelle des Namens "Pythagoras" steht eine Umschreibung, die sich auf seine Rolle als Entdecker wesentlicher Erkenntnisse und als Garant grundlegenden Wissens bezieht. Daß diese Verbindung tatsächlich sehr eng gewesen sein muß, geht weiterhin daraus hervor, daß Diogenes Laertios die Entstehung der Redewendung aUTOS' lcpa damit verbindet, daß man die Entdeckung der Geheimnisse der Philosophie Pythagoras zuschreibe. 95 Es bestand offensichtlich ein enger traditioneller Zusammenhang zwischen der Überlieferung von der Scheu vor Pythagoras' Namen und der Überzeugung, daß er der wahre Archeget der Philosophie war. Auf diesem Hintergrund betrachtet ist es sehr einleuchtend, liegt es sogar auf der Hand, daß Apollonios gerade die eElOS' I1vepUJTToS'- Terminologie mit der Tradition verbindet, daß die Pythagoreer den Namen des Pythagoras nicht ausgesprochen hätten. Dies war deswegen naheliegend, weil diese Terminologie für ihn (wie überhaupt in der Kaiserzeit) eine Chiffre dafür war, daß jemand für einen Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition gehalten wird. Gerade weil solches Gedankengut traditionell mit der Namens scheu in Verbindung gebracht worden war, konnte er ohne weiteres die nicht zu der Tradition gehörende eElOS' aVepWTTOS'- Terminologie mit der Überlieferung verbinden. 92 V gl. §§ 158.198 und das alte, sogar sprichwörtliche aUTOS' lcpa, vgl. Diog. Laert. 8,46. Burkert, Weisheit, S. 74ff., bes. 79f. hat gezeigt, daß die Pythagoreer schon zu Platons Zeit ihre eigenen philosophischen Interpretationen nur als Ausführungen der Lehre des Meisters betrachteten. 93 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Burkert, Weisheit, S. 188ff. 94 V gl. Iambl. VP 150 und auch 162. 95 Diog. Laert. 8,46: [l1v8ayopaS'] , ou cpaaLv ELvaL TdTTOPPTlTa TfjS' cpLAoaocplaS" lcp' ou Kat TO AUTOS' lcpa TTapoLflLaKov EiS' TOV ßlov tjA8EV.
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9. Die Pythagorastradition
Dies erklärt auch, warum Apollonios in § 255 so unvermittelt die Scheu vor Pythagoras' Namen bzw. das Bezeichnen von Pythagoras als 8cfo5" oder 6 EKcLV05" dvTjp als Ursache des Neids der aufständischen Führer anführen kann: Für ihn hängt das Vermeiden des Namens direkt mit seiner Position als dem einzigen und überragenden Archegeten und Garanten pythagoreischer Lehren zusammen. 96 Ihm allein kommt infolgedessen die Ehre der Schüler zu - Apollonios lastet den Aufständischen an, daß sie aus Neid über die angebliche Mißachtung ihrer persönlichen Ehre gehandelt hätten.
9.2.2 Der Gebrauch der
(JELO~ al/(JpUJ7To~- Terminologie
im Lysisbriej
Der Gebrauch der 8cL05" aV8pWTT05"- Terminologie im Lysisbrief (6 8aLf.1oVL05" dvTjp in Iambl. VP 76 = Ep. Lys. 2 Städele) läßt sich ähnlich deuten. Der apokryphe Brief gibt vor, aus dem inneren Kreis der Pythagoreer der ersten Generation nach dem Tod des Pythagoras zu sein, von dem bekannten Pythagorasschüler Lysis an einen unbekannten Pythagoreer Hipparch gerichtet. 97 In dem Brief macht 'Lysis' 'Hipparch' den Vorwurf, er lehre aus Gewinnsucht in aller Öffentlichkeit Philosophie (6/7). Obwohl es zwar recht und billig sei, nach dem Tod des Pythagoras an seine Lehren zu erinnern, sei es jedoch unangemessen, daß jedermann Anteil an diesen "göttlichen und erhabenen Lehren" bekomme, "denn es ist nicht recht, den Erstbesten darzureichen, was unter solchen Anstrengungen erworben wurde" (1). Diese zentrale These begründet der Verfasser mit der langwierigen Aufname- und Reinigungspraxis, die Pythagoras selbst gehandhabt habe: 98 Gut aber ist es zu überlegen, welch langen Zeitraum wir durchmaßen, damit beschäftigt, Flecken von uns abzuwaschen, die sich in unserer Brust eingegraben hatten, bis wir endlich nach Jahren fähig wurden, seine Worte in uns aufzunehmen. Wie die Färber die Kleider, die gefärbt werden sollen, zuvor reinigen und beizen, damit sie die Farbe nicht auswaschbar und niemals verblassend in sich aufsaugen, auf die gleiche Weise bereitete der göttliche Mann (6 Bar f.10VLOS- aVr7p) die Liebhaber der Philosophie vor, um keine Enttäuschung zu erleben mit einem von denen, die zu der Hoffnung Anlaß geben, sie würden sittlich vollkommen werden.
Die "Sophisten" hätten jedoch seine Lehre mißbraucht, um junge Leute zu unterrichten (3), obwohl ihre Sinne noch von Affekten verunreinigt waren (4f.). Man müsse ihre Vernunft unbedingt zuerst von solchen Affekten befreien, bevor 96 Man beachte: nach § 12 wird Pythagoras als ()ELoTaTos- Kai aoq){(;TaToS- über alle herausragen (VTTEp äTTavTas- EaEa()aL av()pWTTOVS-). 97 Nach Diog. Laert. 8,42 war der Brief nicht an Hipparch, sondern an den bekannten Hippasos gerichtet. Eine Gleichsetzung beider ist nicht auszuschließen, doch die Handschriftenüberlieferung und Iamblich haben eindeutig Hipparch, vgl. darüber Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, S. 17, Anm. 4. 98 Ep. Lys. 2 = Iambl. VP 76a, Übersetzung von Städele, Briefe, S. 155.
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man ihnen die Lehre des Pythagoras vermittele (6). An diese Praxis habe sich Pythagoras' Tochter trotz ihrer Armut gehalten, nachdem er ihr persönlich nahegelegt habe, seine Aufzeichnungen nur in der Familie weiterzugeben (7). 'Lysis' droht 'Hipparch' mit dem symbolischen Tod, falls er nicht von seiner Praxis abrückt, uneingeweihten Hörern die pythagoreische Philosophie zu vermitteln. Die rhetorische Strategie des Verfassers der Schrift ist einfach: einerseits wird 'Hipparch' subtil mit dem, was Pythagoras' Gegner getan hätten, assoziiert, andererseits wird auf die einmalige Autorität des Pythagoras verwiesen. 99 In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, daß der Verfasser Pythagoras just an dem Punkt als (; 8al/16vloS' dvryp anführt, wo er sich auf die Praxis beruft, die von dem Meister selbst verbürgt wird. Diese Praxis habe er seinen Schülern, 'den Liebhabern der Philosophie', vermittelt und daran solle man sich als Pythagoreer halten. 100 Auffällig ist weiterhin, daß der Verfasser an drei Stellen die dorische Form von (; EKeLVOS' im Zusammenhang mit Bezeichnungen für die Lehre des Pythagoras benutzt, 101 so daß auch hier eine enge Verbindung der BeLOS' avBpUJTToS'- Terminologie und der Bezeichnung (; EKeLVOS' zu verzeichnen ist. Sowohl der Kontext (Berufung auf Pythagoras als den Garanten der eigenen Meinung) als auch die Verbindung mit der Bezeichnung (; TfjvoS' deuten darauf hin, daß die Verwendung des Begriffes 8al/16vloS' dvryp hier dem Gebrauch bei Apollonios entspricht.
V gl. Ep. Lys. 1 (Iambl. VP 75): /lE/lvaa8aL TWV n]vov 8E{UJV TE Kai av8pUJTTE{UJV TTapaYYEA/lGTUJV; Pythagoras macht keine Geschäfte mit falschen Lehren (ou yap KLß8ryAOVS' E-VETTOPEVETO AOYOVS'), er war vielmehr göttlicher und menschlicher Dinge kundig (8E{UJV Kai av8pUJTT{VUJV TTpaY/laTUJv ljv ETTLaTa/lUJv: vgl. Ep. Lys. 3 bzw. Iambl. VP 76). In § 7 wird das Geheimhalten der Lehren auf Pythagoras selbst zurückgeführt. 100 Vgl. § 6, Z. 54ff.: Hipparch hat dieses Verfahren gelernt, jedoch nicht daran festgehalten. 101 Vgl. TWV TryVOV 8E{UJV TE Kai av8pUJTTE{UJV TTapaYYEA/laTUJv (1, Z. 6 Städele = Iambl. VP 75, Deubner S. 43,7); TWV n]vov AOYUJV (2, Z. 15 Städele = Iambl. VP 76, Deubner S. 44,2 ); TaV Tr]vov 8L8aaKaA{av (3, Z. 24 Städele = Iambl. VP 76, Deubner S. 44,11). Wie sehr diese Bezeichnung ihren ursprünglichen Sinn (Vermeidung von Pythagoras' Namen) eingebüßt hat, zeigt die Tatsache, daß der Verfasser an anderen Stellen ohne jede Scheu den Namen verwenden kann. In dem Brief wird Pythagoras' Name immer dort verwendet, wenn auf "historische Fakten" verwiesen wird. Wenn sich der Verfasser jedoch auf die Autorität des Pythagoras beruft, wird die Bezeichnung 6 TfjvoS' verwendet. 99
10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer Wir wenden uns jetzt der anderen Seite des Spektrums der historischen Entwicklung innerhalb der Pythagorastradition zu, d.h. der Verwendung der Terminologie durch Iamblich selbst. Es gilt, die Frage zu beantworten, ob der Gebrauch der Begrifflichkeit durch Iamblich auf semantische Verschiebungen hinweist. Dies ist umso mehr gefordert, wenn man beachtet, daß die eELOS' dvf]p- Forschung den Inhalt der mit allerlei Wunderhaftern ausgeschmückten Vita gerne mit der Bedeutung von ßELOS' aVepWTTOS' bzw. ßELOS' dvf]p identifiziert: Die Terminologie sei eine Chiffre für den Lebenslauf eines derartigen Übermenschen - sie beinhalte einen schematischen Typus, dessen Elemente in Iamblichs Vita Pythagorica ausführlich dargestellt seien. 1
10.1 Pythagoras als
eELOS'
dvr}p in Iamblichs Vita Pythagorica
Obwohl Iamblichs Vita Pythagorica im Grunde genommen ein aus verschiedenen Quellen zusammengefügter Flickenteppich ist, hat Iamblich das ihm vorliegende Material nach einem gut konzipierten Plan angeordnet. 2 Er hat verschiedene Quellen in beachtenswerter Weise mittels einer einheitlichen übergeordneten Struktur ediert bzw. kompiliert. 3 Dies erkannt ~nd nachgewiesen zu haben, ist das Verdienst Michael von Albrechts: Er hat in überzeugender Weise 1 Bieler, BE/DL: ANHPI, passim; Windisch, Paulus und Christus, S. 60f.; Tiede, Charismatic Figure, S. 14-30; Betz, Gottmensch I, Sp. 257-259, vgl. auch Anm. 1. 2 Eine gute Übersicht über Aufbau und Struktur der VP bietet Michael von Albrecht, Iamblichos. Pythagoras. Legende, Lehre, Lebensgestaltung, Zürich / Stuttgart 1963, S. 1-13, vgl. auch Dillon / Hershbell, Iamblichus, S. 24-29. Zum Ort der Vita in Iamblichs zehnbändigem Gesamtwerk über den Pythagoreismus vgl. Dominic J. O'Meara, Pythagoras Revived. Mathematics and Philosophy in Late Antiquity, Oxford 1989, S. 30-40. 3 Daß Iamblich sich dabei meistens auf die Kompilation bzw. Neuanordnung seines Quellenmaterials begrenzte und nicht in die ihm vorliegende Textgestalt eingriff, ist in der Forschung unumstritten, vgl. von Albrecht, Menschenbild, S. 52; Burkert, Weisheit, S. 86ff. Wie sparsam Iamblich mit eigenem Kommentar sein kann, zeigt die Analyse seines Werkes Theologumena arithmetica: Nikomachos hat zwei Quellen miteinander verflochten, ohne selbst schriftstellerisch tätig zu werden. Auf ihn geht nur die Einleitung zurück (vgl. Burkert, Weisheit, S. 87). Umstritten ist im Falle der Vita Pythagorica nur, wieviel Iamblichs eigener Tätigkeit zugeschrieben werden kann: Nachdem Guilelmus Bertermann, De Iamblichi vitae Pythagoricae fontibus, Diss. Königsberg 1913, bes. die Tabelle auf S. 75-77, Iamblichs Anteil nur auf die Einleitung (lf.) beschränkt hatte, wird in jüngerer Zeit immer wieder auf Rohdes Analyse zurückgegriffen, vgl. Burkert, Weisheit, 86ff., bes. Anm. 1~; von Albrecht, Menschenbild, S. 51f., da Anm. 11. Rohde führt, abgesehen von einigen Uberleitungen, die Passagen in 103-105. 157-162. 167-186 (teils). 198f. 214. 223-228. 240/241. 244-247 auf Iamblich selbst zurück, vgl. ders., Quellen, S. 125ff.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
in epistemologischem Kontext
gezeigt, daß dem Aufbau der Schrift das porphyrisch-iamblichsche Tugendschema zugrundeliegt. 4 Iamblichs Schrift ist nur bedingt eine Biographie, denn es geht in erster Linie nicht um den Lebensgang des Pythagoras, sondern um eine exemplarische Lebensform: Es handelt sich um das tugendhafte Leben neuplatonischer Prägung, in dem die Tugenden die hierarchisch strukturierte Wirklichkeit reflektieren. Dieser Beobachtung entspricht, daß das Gros des Werkes (33-247) nicht chronologisch, sondern systematisch aufgebaut ist. 5 Eine systematische Darstellung des pythagoreischen Bios, die aus drei Teilen besteht, ist in einen Rahmen gestellt worden, der Pythagoras' Werdegang (3-32), seinen Tod und den Untergang seiner Schule (248-267) umfaßt. Der erste Teil (33-57) dieser Darstellung berichtet von der exoterischen Lehre des Pythagoras, in der die politischen Tugenden vermittelt werden, die auf die Erkenntnis des veränderlichen und wahrnehmbaren Seins ausgerichtet sind. Darauf folgt die esoterische Lehre (58-133): Allen Schülern zugedacht sind zunächst die auf die Erkenntnis der eigenen Seele ausgerichteten kathartischen Tugenden (58-79), dem inneren Kreis dann auch noch die die göttliche Ordnung durchdringenden theoretischen Tugenden (80-121). In einem letzten Teil (134-240) werden die paradigmatischen Tugenden in ihren irdischen Auswirkungen dargestellt, da sie nur dem N ous eigen sind und sich deshalb nicht unmittelbar darstellen lassen. 6 Auf diesem Hintergrund also ist unserer Frage nachzugehen: Iamblich stellt in der Vita das neuplatonische Tugendschema als das maßgebende Menschenbild dar und beruft sich dafür auf die Lebensweise und Lehre des Pythagoras. Dieser Darstellung stellt Iamblich einen Prolog voran:? Am Anfang jedes Philosophierens pflegen doch wohl zumindest alle Besonnenen einen Gott anzurufen; ganz besonders ist dies bei derjenigen Philosophie angebracht, die, wie man glaubt, mit Recht den Namen des göttlichen Pythagoras trägt (Ti] ToD ()ELOV JJv()ayopov 8LKaütJS' ITTUJvv/14J VO/1L(O/1EVO). Denn da sie anfangs aus Götterhand empfangen wurde, läßt sie sich nur mit Hilfe der Götter erfassen. Zudem übersteigt ihre Schönheit und ihre Größe ja das menschliche Vermögen zu sehr, als daß man sie auf einmal erschauen könnte: nur wenn ein Gott gnädig die Anleitung gibt, kann man wohl in schrittweiser Annäherung sich langsam ein Stücklein von ihr aneignen. Aus all diesen Gründen wollen wir die Götter als Führer herbeirufen, ihnen uns selbst und unsere Rede anbefehlen und ihnen auf allen Wegen folgen, die sie uns führen ... Nach den Göttern wollen wir den Stifter, den Vater (TOV apXTJYov Kat TTaTEpa) der göttlichen Philosophie als Leiter (ryYE/1ova) vor uns hinstellen - vorher allerdings etwas weiter ausholen und über seine Abkunft und sein Vaterland berichten.
4 Michael von Albrecht, Das Menschenbild in Iamblichs Darstellung der pythagoreischen Lebensform, Antike und Abendland 12, 1966, S. 51-63. Im Folgenden halte ich mich, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, an seine Darstellung. 5 In §§ 33-57 tritt das Biographisch-Chronologische gegenüber dem Systematischen zurück. 6 Aus ersichtlichen Gründen fehlen die hieratischen Tugenden, die nur dem Einen, dem Iv, eigen sind, in diesem Aufbau. ? Iambl. VP If.; Übers. v. Michael von Albrecht.
10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer
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Dieser religiös gestimmte Prolog ist nicht nur ein Topos: Entscheidend für Iamblichs Menschenbild ist das Verhältnis des Menschen zur göttlichen Sphäre. Den Göttern und der von ihnen ausgehenden göttlichen Philosophie kommen Schönheit, Größe und das augenblickliche Erfassen des Ganzen zu. Gnädig (EVj1EVELS-) wenden sie sich den tieferen Stufen des Seins zu und werden so den Menschen zu Führern (lfTJYELaßaL; rlYEj10VES-). Die Menschen dagegen kennzeichnet ihr geringes Vermögen, das Schönheit und Größe nicht auf einmal erfassen kann, sondern der Mensch kann sich nur, indem er die Götter anfleht und ihnen nachfolgt, langsam und stückweise die göttliche Wahrheit aneignen. 8 Hier kommt Pythagoras eine Vermittlungsrolle zu: Er ist Vermittler der Philosophie, die ursprünglich aus Götterhand stammt, ist also Archeget dieser Philosophie (dpXTJYoS- KaL TTarr]p Tijs- ßEfas- cpLAoaocpfas-) und so geeigneter Führer (rlYEj1WV) der Menschen zur göttlichen Wahrheit. 9 Der unmittelbare Kontext des Prologs der Schrift deutet also wiederum darauf hin, daß die ßELOSavßpUJTTos-41 als Bezeichnung für den Archegeten einer Erkenntnistradition galt. Diese Feststellung wird dadurch untermauert, daß Iamblich Pythagoras bzw. dessen Seele einer bestimmten Ontologie zuordnet. Gleich nach dem Proömium bezieht er entschieden (TOVTO j1EV 01)v ovBaj1W:; BEL TTpoafEaßaL!) Stellung dagegen, daß Pythagoras ein leiblicher Sohn Apollons gewesen sei (§§ 5-8).1 0 Vielmehr geht es ihm um die Seele des Pythagoras,ll die unter der Führung Apollons (rl ~ TToMUJvos- rlYEj1ovfa) stand: Sie war entweder eine ,Begleiterin (avvoTTaBos-) des Gottes oder war ihm sonstwie in vertrauensvoller Verbundenheit zugeordnet (aAAUJS- OlKELOTEPOV TTPOS- TOV ßEOV TOVTOV avvTETay j1EVTJ). Den Hintergrund bildet der Jenseitsmythos in Platons Phaidros 246e248c: Die Seele folgt (ßEOLS- ETTOj1EVTJ) in der von Zeus (J1EyaS- rlYEj1WV) angeführten Heerschar (aTpaTLa), die am Rande des Himmel vorbeizieht, um das Wesentliche zu schauen. Jede Seele ist einem bestimmten Gott als Begleiterin (fvvoTTaBos-) zugeordnet, der auch die Beschaffenheit der Seele bestimmt (252d253c).1 2 Der platonische Hintergrund schafft also einen Kontext, der die mateV gl. von Albrecht, Menschenbild, S. 59. Dadurch wird der Leser auf einen Tenor eingestimmt, der immer wieder in der Schrift angestimmt wird: In § 31f. wird im Grunde genommen die Einführung aller rationalen und wissenschaftlichen Aktivitäten der Griechen ihm zugeschrieben, vgl. auch §§ 157ff.; nach §§ 44.58f.159 habe er den Terminus "Philosoph/-ie" gemünzt, sei also Begründer der Philosophie überhaupt gewesen; in §§ 70.230 wird er als EVPETT]5' Kai VOjiOetT1]5' der Freundschaftslehre bzw. der Lehre von der Zusammengehörigkeit aller Dinge bezeichnet, die für Iamblich grundlegende Funktion hat (vgl. dazu von Albrecht, Menschenbild, S. 57f.); in § 130 heißt es, er sei überhaupt Erfinder (EVPErr]5') der staatsbürgerlichen Erziehung gewesen, so daß es nicht verwundert, wenn seine Schüler die besten Gesetzgeber gewesen sind (172f.). 10 Er entnahm dies seiner apollonischen Vorlage; zur Quellenproblematik von §§ 1-20 vgl. oben Kap. 3.5, S. 163f. und Anm. 60f. 11 So richtig Martin Hengel, Der Sohn Gottes. Die Entstehung der Christologie und die jüdisch-hellenistische Religionsgeschichte, Tübingen 1975, S. 59f. 12 V gl. O'Meara, Pythagoras Revived, S. 36-37.88f. Auf einen platonischen Hintergrund deutet schon das Proömium hin, ein von Tim. 27c veranlaßtes traditionelles Motiv in der platonischen Literatur. V gl. die dem Timaios entnommene Terminologie r] ~ TTOAAWV05' 8 9
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rialistische Anschauung der Gottessohnschaft des Pythagoras sprengt; 13 mittels des platonischen Gleichnisses ordnet Iamblich sie seiner (neuplatonischen) Weltanschauung zu. Zugleich wird jedoch die Unterscheidung der Seele des Pythagoras von anderen Seelen aufrechterhalten: Im Phaidros wird geschildert, wie die Seelen kämpfen müssen, um in dem Gefolge des Gottes zu bleiben und wie sie (meistens) aus selbstverschuldeter Schwäche aus dem Gefolge und sogar aus dem Himmel hinausfallen. Pythagoras' Seele ist jedoch keine gefallene, sondern eine von Gott heruntergesandte Seele (KaTaTTcTTEf.1cpßaL), ein Motiv, daß Iamblich an anderer Stelle ausführlich behandelt hat. 14 Er löst die in der Spätantike schmerzhaft empfundene Spannung in Platons Seelenlehre 15 dadurch, daß er zwischen zwei Sorten von Seelen unterscheidet: Einerseits gibt es diejenigen Seelen, die in enger Verbundenheit mit dem Noetischen existieren und Begleiterinnen der Götter (avvoTTa8oL!) sind, andererseits gibt es die schon korrumpierten Seelen. Die erstgenannten Seelen können bei ihrem Abstieg ins Materielle ihre Freiheit und Reinheit (aKrypaToL) von dem Körperlichen beibehalten, damit sie die materielle Welt reinigen, zur Vollkommenheit führen und retten. Dieses Motiv begegnet auch an anderer Stelle in Iamblichs Darstellung (§§ 3032): 16 Die einen hielten ihn für den pythischen Gott, die anderen für Apollon aus dem Hyperboreerland, manche für Paian, wieder andere für einen der Daimonen, die den Mond bewohnen, andere wieder für einen anderen Olympier, um dadurch auszusagen, daß er den damals Lebenden erschienen sei, um dem todgeweihten Leben in menschlicher Gestalt aufzuhelfen, es zurechtzubringen, damit der rettende Funke der Glückseligkeit und der Philosophie (TO TfjS" Ev8aL/lov{aS" TE Kai 1>LAoao1>{aS" aUJrr]pLov EVava/la) der vergänglichen Natur (Tfj BV1]Tfj 1>vaEL) gnädiglich beschert werde (xap{aryTaL): "es kam nie und wird nie kommen. ein größeres Gut als jener (rettende Funke) (ou /lEl(OV ayaBov), das von den Göttern durch diesen Pythagoras geschenkt wurde (8UJp1]BEV EK BEWV 8ul TOVTOV TOU JJvBayopov) ... " (31). Auch berichtet Aristoteles ... , im allergef]YE/lOv{a, avvoTTa8oS", f] ljivX7} ... TTPOS" TOV BEOV ... avvTETaY/lEV1]. "Iamblichus is providing a context ... which attenuates considerably the literal, materialist point-of-view by stressing the divine origin of Pythagoras' soul, Pythagoras' spiritual rather than bodily genealogy", a.a.O., S. 37. Dieser Kontext hebt sich also deutlich von der Fleischwerdung eines Gottessohnes im christlichen Sinne ab, vgl. von Albrecht, Menschenbild, S. 53. 13 Die seit Wetter in der BEtOS" av7jp-Forschung beliebte Vorstellung, daß die Gottessohnschaft ein fester Bestandteil des BEtOS" aV7}p-Schemas sei, wurde durch von Martitz, Art. vloS", S. 335 überzeugend widerlegt. Seine Schlußfolgerung, "[d]ie Verbindung von Gottessohnschaft und Bezeichnung als BEtOS" , sofern sie auftritt, ist also akzidentiell", gilt auch an dieser Stelle uneingeschränkt. Deshalb muß jeder Versuch (wie er oft in der BEtOS" aV7}p-Forschung vorgenommen wird), die angebliche Gottessohnschaft des Pythagoras als den eigentlichen Erlärungshorizont der in der Vita benutzten BEtOS" dV7}p- Terminologie heranzuziehen, abgelehnt werden. 14 In seiner Schrift De anima, überliefert bei Stobaios, Anth. 1,380,6-29, vgl. dazu O'Meara, Pythagoras Revived, S. 38f. 15 V gl. Plotin, der in seiner Schrift Über den Niedergang der Seelen in die Körper (Enn. 4,8) versucht, die Spannung zwischen der negativen Anschauung der gefallenen Seele in Phaidon 62b, Politeia 514a-117b und Phaidros 246c-249a einerseits und der sehr positiven Anschauung in Timaios 34b andererseits auszugleichen. 16 Übers. mit einigen Veränderungen nach von Albrecht, Iamblichos.
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heimsten Kreis bewahrten die Pythagoreer etwa folgende Unterscheidung: von den vernunftbegabten Lebewesen ist das eine Gott, das andere Mensch, das dritte wie Pythagoras. Und ganz mit Recht haben sie ihn so hoch eingeschätzt. Ist doch auf Grund seines Wissens über Götter, Heroen, Daimonen und die Welt, über die mannigfache Bewegung der Sphären und Gestirne, über deren Voreinandertreten, Verfinstertwerden und unregelmäßiges Abweichen, über Exzentrizitäten und Epizyklen, ja über alle Dinge auf der Welt - Himmel, Erde und die dazwischenliegenden offenbaren und verborgenen Naturbereiche - eine richtige und wirklichkeits gemäße Vorstellung aufgekommen, die durchaus keinem Ding der Erscheinungswelt und auch keinem intelligiblen widerspricht. Auf Grund seines Wirkens sind auch Wissenschaften, geistige Anschauung und alles, was mit Erkenntnis zusammenhängt, was die Seele sehend macht, was den Geist reinigt von der Verblendung durch die anderen Bestrebungen, so daß dieser die wirklichen Prinzipien und Urgründe des Alls zu erkennen vermag, unter den Griechen heimisch geworden. (32) Die beste Staatsverfassung, die Eintracht im Volke, Gütergemeinschaft der Freunde, religiöse Verehrung der Götter, fromme Pflichterfüllung an den Verstorbenen, Gesetzgebung, Geistesbildung, die Kunst des Schweigens, die Schonung der anderen Lebewesen, Selbstbeherrschung, Besonnenheit, Geistesschärfe, göttliche Wesensart und um es mit Worten zu fassen - sämtliche übrigen Güter: dies alles erschien den Lernwilligen um seinetwillen erstrebenswert. Mit Recht war also aus all diesen Gründen ihre soeben erwähnte Bewunderung für Pythagoras so ungewöhnlich tief.
Aus kritischer Distanz 17 berichtet Iamblich, daß man Pythagoras mit allerlei höheren Wesen identifiziert habe, relativiert dies indes, wenn er diese Hochschätzung zwar richtig findet, sie jedoch anders, d. h. nicht im buchstäblichen Sinn, begründet: Höchstachtung gebührt Pythagoras wegen seiner Erkenntnis der wahren Zusammenhänge und Prinzipien, d. h. wegen seiner richtigen und wirklichkeits gemäßen Vorstellung, der Wissenschaft, geistigen Anschauung und Erkenntnis, die er den Griechen als erster brachte. Dies deutet er in § 30, indem er aus Platons Timaios zitiert: Lva Ta TfjS" Ev8aLJ-l0VLaS" TE Kai CPLAOUOCPLasUUJrr7PLOV EVaVUJ-la xaplaTjTaL Tij 8VT}Tfj CPVUEL, OU J-lEL(OV aya80v OUTE ljA8EV OUTE ffeEL 7TOTE 8UJpT}8EV EK 8EWV: 18 Das Geschenk der Götter an die verfallene Menschheit, die Philosophie und durch sie die Glückseligkeit, kommt zu den Menschen durch Pythagoras. Im Hintergrund steht wieder die Lehre von den Seelen, die von den Göttern heruntergesandt werden, um die vergängliche Welt zu retten (ElS" wcpEAELav Kai E7Tavop8UJuLV ToD 8VT}TOD ßlov; UUJrr7PLOV).19 Iamblich deutet die Traditionen über die Herkunft des Pythagoras auf dem Hintergrund der Frage der platonischen Dialoge nach dem Zweck der Seele in der materiellen Welt. Er vertritt also gegenüber der materialistischen Perspektive der Überlieferung einen platonisch-heidnischen Spiritualismus, der
Dieselbe distanziert-berichtende, kritische Haltung begegnet z.B. in § 143. Tim. 47b 1f. Bei Platon lautet es: ou IlEL(OV dra80v OUTE ryA8EV OUTE fleEL 1TOTE T4J 8vrJ7fj riVEL 8wpry8EV EK 8EWV; vgl. dazu O'Meara, Pythagoras Revived, S. 38f. 19 Auf demselben Hintergrund ist die Aussage in § 10 (sie ist mit einiger Wahrscheinlichkeit Iamblich selbst zuzuschreiben), er sei wie ein gutes Daimonion gewesen, zu verstehen. 17 18
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Teil 111: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in epistemologischem Kontext
die Verwandtschaft von Pythagoras' Seele mit der Gottheit betont und darauf zielt zu erklären, warum diese Seele in die materielle Welt gesandt wurde. 20 Auch in § 16221 deutet der unmittelbare Kontext darauf hin, daß Iamblich das Adjektiv ßcLOS" in diesem Sinne verwendet. Es ist zunächst auffällig, daß die Terminologie innerhalb dieses Hauptteiles (über Pythagoras als Führer zu den Haupttugenden: §§ 133-240) just in dem Kapitel über die Tugend der Weisheit verwendet wird. 22 Der weitere Kontext ist also eindeutig epistemologisch gefärbt, aber auch der engere Kontext bestätigt dies: 23 Über all dies (sc. das Erkennen des Seienden, D.d.T.) vermittelte er die sachgemäßesten Kenntnisse und ließ nichts unerforscht. Aber auch die allgemeinen Kenntnisse, wie die Lehren vom Beweis, von der Definition und der Dihairesis teilte er den Menschen mit, wie man aus den pythagoreischen Schriften erfahren kann. Er pflegte auch durch ganz kurze Aussprüche seinen Jüngern tausendfältigen und vielschichtigen Sinn symbolisch zu offenbaren, so wie ApolIon Pythios durch handliche Sprüche oder wie die Natur selbst durch Samenkörner, die gering an Masse sind, eine unerschöpfliche und schwer zu durchschauende Fülle von Gedanken und Wirkungen erahnen lassen. Solcher Art ist der Satz: "Der Anfang - die Hälfte des Ganzen", ein persönlicher Ausspruch des Pythagoras. Nicht nur in diesem Halbvers, sondern auch in anderen ähnlichen hat der göttliche (fJELoTaToS") Pythagoras die Feuerglut der Wahrheit verborgen für diejenigen, welche sie entfachen können. In knapper Form verschlüsselt er so eine unerreichbare Weite und reiche Fülle geistiger Schau.
Der zitierte Abschnitt fängt schon in § 157 an. Dort heißt es, seine 'Yeisheit enthalte über alle Dinge die Wahrheit, er vermittele das Wissen über das Noetische und über die Götter von Grund auf (avUJßcv) , alles, was jemals zur Kenntnis gelangt ist, sei in den pythagoreischen Schriften aufgezeichnet, er sei zur Genüge in aller Weisheit erfahren gewesen (§ § 57f.). Des weiteren soll Pythagoras der Philosophie ihren Namen gegeben und sie als ein Wissen um die Wahr20 Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, das Pythagorasbild des Iamblich vollständig und in aller Differenziertheit darzustellen, so daß einige gezielte Hinweise genügen müssen: So erklärt Iamblich das Rätsel von den drei Sorten von Zweifüßlern (Mensch; Vogel; Pythagoras) in ähnlichem Verfahren, indem er Pythagoras' Sonderstatus seiner Frömmigkeit zuschreibt (144). In ähnlicher Weise weist Iamblich in seiner Darstellung der auf die Erkenntnis der eigenen Seele zielenden kathartischen Tugenden (63) darauf hin, daß Pythagoras gesagt habe, er sei früher der homerische Held Euphorbos gewesen, der mit ApolIons Hilfe Patroklos schlug. Auch jener war also eine Seele, die unter der Führung ApolIons stand, was Iamblichs Pythagorasbild entspricht. Von Albrecht betont richtig, daß es Iamblich hier just daran liegt, daß Pythagoras in seiner Selbsterkenntnis die hierarchische Stufung des Kosmos gewährt und daß der Graben zwischen Göttlichem und Menschlichem unangetastet bleibt. Von Albrecht, Menschenbild, S. 60 hat sicher recht, wenn er Deutungsversuche ablehnt, denen zufolge Pythagoras eine Verkörperung Apollons gewesen sei. Richtig beobachtet Edwards, Two Images, S. 170: "He (sc. Iamblichus) has stripped hirn (sc. Pythagoras) of his divinity, but only to reveal hirn as a man of divine capacities ... ". 21 § § 157-162 gehören zu den Passagen, die üblicherweise Iamblich zugeschrieben werden, vgl. Burkert, Weisheit, S. 86. 22 Falls die fJELOS" äVfJPWTTOS"- Terminologie für Iamblich eine zentr.ale religiöse Kategorie gewesen wäre, wäre sie sicher eher in dem Kapitel über die Tugend der Frömmigkeit (§ § 134157) am Platze; dort kommt sie jedoch überhaupt nicht vor. 23 § § 161 f. Übersetzung nach von Albrecht.
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heit des Seienden definiert haben (59f.). Nach einer kurzen Entfaltung seiner Meinungen über die Erkenntnis des Seienden fährt Iamblich fort: Pythagoras habe über diese Dinge die sachgemäßesten Kenntnisse vermittelt und nichts unerforscht gelassen. Als Inhaber der Wahrheit und Begründer der Philosophie offenbare er (dTTOcpOLßd(ELV) vielschichtigen Sinn, unerschöpfliche und schwer durchschaubare Gedanken mittels symbolischer Sprüche, er vermittle eine reiche Fülle geistiger Schau. Wiederum stellt der Kontext Pythagoras als den Garanten der Wahrheit und der maßgebenden Erkenntnis dar. 24 Die Tradition, der zufolge Pythagoras die Philosophie so benannt habe und also am Anfang der gesamten philosophischen Erkenntnistradition stehe, begegnet auch an anderer Stelle in der Nähe der ßELO:; av8pUJTTo:;- Terminologie: Iamblich stellt sie (§ 58f.) der Erzählung, wie Pythagoras in Italien als ßELO:; anerkannt wird (§ 3557, da bes. 53), nach. 25 Dieser redaktionskritischen Beobachtung können jetzt einige weitere hinzugefügt werden: Iamblich überschreibt im Prolog seine Abhandlung gewissermaßen mit der ßEL 0:; av8pUJTTo:;- Terminologie und wiederholt diese rückblikkend im Schlußteil (§ 255), so daß die Begrifflichkeit sozusagen programmatischen Charakter erhält. Bei der Durchführung dieses Programms stützt Iamblich sich auf das Schema des Apollonios: Er zeigt, wie die Ankündigung, daß Pythagoras ein ßELO:; avßpUJTTo:; werden kann (§ 12), zunächst nach außen in einem größeren Kreis (Italien; §§ 35ff., da 44/53) und dann nach innen im Jüngerkreis (§§ 60ff., da 75f.) realisiert wird. Er baut jedoch das apollonische Schema durch die geschickte Kompilation seiner Quellen aus: So fügt Iamblich zwischen die Ablehnung (§ § 20-29) in Hellas und die euphorische Aufnahme in Italien (§ § 35ff.) einen Bericht ein, in dem Pythagoras die Einführung aller rationalen und wissenschaftlichen Aktivitäten in Hellas zugeschrieben wird (§ 31f.). Weiterhin fügt er die Tradition über Pythagoras als Begründer der Philosophie als Nexus zwischen die Teile über die exoterische und esoterische Lehren ein (§§ 58f.). Die darauffolgenden Tierwunder (§§ 60-62), die zeigten, daß seine Rede die Kraft hatte, in die unteren Stufen der Wirklichkeit hineinzudringen (§ 60a), sind ein Beweis dafür, daß er allen andern Intellektuellen überlegen war (60b).26 Sol-
24 Man beachte, daß die Samenkornmetapher auch an anderen Stellen in dem iamblichsehen Korpus (In Alcibiadem, Fr. 1 Dillon) gebraucht wird, um zu signalisieren, daß alles Wissen embryonal in einer Person bzw. in einem Werk vorhanden ist. 25 Dieselbe Verbindung hat schon Apollonios gemacht, vgl. § 44: In dem Aufbau der apollonischen Erzählung liefert diese Angabe die Begründung für die Anerkennung des Pythagoras als 8ELOS', vgl. die Diskussion zu § 53 hier oben. 26 Überhaupt tut man gut daran zu beachten, daß das religiöse Element auch anderenorts in den Hintergrund gedrängt wird. So z.B. ist Pythagoras kein leiblicher Gottessohn (§ § 5ff.); der traditionellen Zuordnung des Pythagoras zu übermenschlichen Kategorien wird der Boden entzogen, indem diese Zuordnung zwar als Würdigung des Meisters anerkannt, jedoch anders, nämlich mit seiner Rolle als Erkenntnisvermittler, begründet wird (§§ 30ff.) - "Theologie" wird gewissermaßen der Epistemologie untergeordnet. Auch der Katalog in § § 134-144 listet die Wunder als Reflektionen seiner Tugend (Ta TWV apETWV lpya: § 134, Z. 26 Deubner)
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che Beobachtungen können an vielen Stellen gemacht werden: So wird der Meister in §§ 70.230 als cvpcn]S' KaL VO/lOeETT]S' der Freundschaftslehre bzw. der Lehre von der Zusammengehörigkeit aller Dinge bezeichnet, die für Iamblich grundlegende Funktion hat;27 in § 130 (zum Abschluß der exoterischen Lehre, also an markanter Stelle) lautet es, er sei Erfinder (cVpcTr]S') der staatsbürgerlichen Erziehung gewesen, so daß seine Schüler in seiner Nachfolge sich zu den besten Gesetzgebern entwickelt hätten (172f.).28 Betrachtet man diese Durchgestaltung der Schrift, scheint es unwahrscheinlich, daß es bloß Zufall ist, daß unsere Terminologie jeweils einmal in jedem der sechs Hauptteile der Vita29 als Bezeichnung für Pythagoras gebraucht wird. Iamblich stellt in seiner Schrift die von ihm propagierte Lebensform mit Hilfe eines neuplatonischen Tugendschemas dar und zieht dafür Pythagoras, den Begründer der Philosophie, als Garanten dieser Erkenntnis heran, indem er das Menschenbild zunächst im Spiegel des Werdegangs des Pythagoras selbst darstellt (§§ 3-75), es dann in der Form des von ihm geübten Erziehungsweges (nach innen und nach außen) präsentiert (§ § 37 -13 3) und schließlich zeigt, daß es sich in der beispielhaften Verwirklichung der Haupttugenden durch die Pythagoreer bewährt hat (§ § 134ff.). Der ecLOS' aVepuJ7TOS'- Terminologie bedient sich Iamblich als Chiffre, um diesen Sachverhalt zu bezeichnen. Daß die ecLOS' avßpUJTToS'- Terminologie bei Iamblich als Bezeichnung für eine besondere Kategorie Lebewesen wie einen Gottmenschen, einen (leiblichen) "Gottessohn" oder gar für einen auf der Erde herumwandelnden oder inkarnierten Gott diente, muß jedoch als ausgeschlossen gelten. 30 Dieser Stand der Dinge überrascht nicht, wenn man ihn auf dem Hintergrund von Iamblichs Gesamtwerk und seines Ortes innerhalb der Entwicklung des Neuplatonismus betrachtet. Dominic J. O'Meara hat diesem Thema eine Monographie gewidmet und gezeigt, daß Iamblich eine entscheidende Wende in der geschichtlichen Entwicklung des Neuplatonismus herbeigeführt hat, indem er ein Programm verfolgte, durch das er die platonische Philosophie völlig zu "pythagorisieren" versuchte. 3 ! O'Meara zeigt, wie Iamblich eine Tendenz im auf, sie belegen seine Frömmigkeit und sind so dem neuplatonischen Tugendschema zugeordnet. Folglich werden sie funktional und nicht ontologisch verstanden. 27 Für Iamblich ist die Freundschaft bzw. Zugehörigkeit das integrative Prinzip im Kosmos und darum auch die oberste Tugend, vgl. dazu von Albrecht, Menschenbild, S. 57f. 28 Ich erinnere an die Nähe der 8cLOS- äv8puJ1Tos--Terminologie zu diesem Wortfeld in § 56, vgl. die Analyse dieses Textes hier oben. 29 (1) Prolog (1f.); (2) ein 1. historischer Abriß (3-34 da 12); (3) die exoterische Lehre (3557, da 53); (4) die esoterische Lehre (58-133, da 76); (5) Pythagoras als Führer zu den Tugenden (132-240, da 162); (6) 2. historischer AbrißlEpilog (254-267, da 255). 30 V gl. z.B. die undifferenzierte Stellungnahme von einem der Väter der 8cLOS- äv8pWTTos-Forschung, Gilles P. Wetter, Sohn Gottes, S. 31f.: "Er (sc. Pythagoras) tritt uns als 8cLOS-, als Gott entgegen ... ". 31 Dominic J. O'Meara, Pythagoras Revived. Mathematics and Philosophy in Late Antiquity, Oxford 1989, bes. S. 30-105. In Gegensatz zu Zeller (111/2, S. 735ff., da bes. 741: "weitschweifig", "schwerfällig"; "die Gelehrsamkeit .. , geht ... ungleich mehr in die Breite, als in die Tiefe") hat Praechter schon das Verdienst des Iamblichos als des großen Systemati-
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Neuplatonismus der ersten drei Jahrhunderte aufnimmt und die neuplatonische Philosophie gründlich und systematisch seiner Vorstellung der pythagoreischen Philosophie anpaßt. Das gesamte System Iamblichs sei ein dem Pythagoreismus zugeordneter Neuplatonismus. Pythagoras' Offenbarung der göttlichen Erkenntnis stehe für die Wahrheit in der Geschichte der griechischen Philosophie; Platon, die späteren Platoniker und Aristoteles seien Pythagoreer gewesen, sofern sie Pythagoras treu geblieben waren. 32 Iamblich lieferte eine Einführung in dieses auf pythagoreischen Prinzipien aufgebaute System in seinem zehnbändigen Werk JIEpl TfjS- JIvßayopLKfjs- alpiCJEUJS-, dessen Einleitung die Vita Pythagorica bildet. Die Vita hat die Aufgabe zu zeigen, daß Pythagoras' Erkenntnisse alle spätere philosophische Erkenntnis schon embryonal in sich trugen, weil sie göttlichen Ursprungs waren. 33 Iamblich legt Pythagoras also als dem Begründer der Philosophie bzw. als dem Garanten der Wahrheit den Titel ßELOS- avßpUJTToS- bei. 34
10.2 Ein Vergleich mit Iamblichs neuplatonischen Vorläufern Diese Beobachtungen lassen sich durch einen Vergleich mit den Werken von Iamblichs Lehrer Porphyr und anderen Neuplatonikern in überraschender Weise bestätigen. 35 kers des Neuplatonismus erkannt, vgl. Überweg/Praechter, S. 613ff. Er stellte fest, daß die Bedeutung Iamblichs darin liegt, daß er für die Exegese der platonischen Dialoge eine feste Methode schuf und die Interpretation einem einheitlichen System zuordnete. O'Meara zeigt, daß dieses Projekt als ganzes von pythagoreischen Motiven getragen wurde (im Gegensatz zu z.B. Heinrich Dörrie, Art. Iamblichos 2, KP 2, Sp. 1305ff., der den Einfluß des Pythagoreismus noch auf die Rolle der Mantik, des Okkultismus und der Person des Pythagoras beschränkt) . 32 O'Meara, Pythagoras Revived, S. 30-105, Zusammenfassung S. 211f. O'Meara zeigt, daß Iamblich die Wissenschaften nicht nach platonischen, sondern nach pythagoreischen Prinzipien angeordnet habe, wobei die Wissenschaft vom Göttlichen, die Theologie, die Spitze bilde. In seinen Kommentaren zu Aristoteles habe Iamblich sowohl seine Logik als auch seine Ethik pythagorisiert, die Exegese der Dialoge Platons und ihre Anordnung in einem Kanon zweier Zyklen seien Reflektionen dieses Programmes, das einer konsequenten Mathematisierung des neuplatonischen Systems gleichkomme. 33 Nach O'Meara, Pythagoras Revived, S. 36-37.88f., bedient er sich dafür der Geburtslegenden des Pythagoras, entkleidet sie jedoch ihrer körperlich-materialistischen Elemente, indem er sie spiritualisiert und der neuplatonischen Anschauung vom Ursprung und von der Bestimmung der Seele in der Welt zuordnet. Dadurch wird Pythagoras der religiösen Weltanschauung bzw. der von ihm konzipierten kosmischen Ordnung zugeordnet. 34 Da Iamblich trotzdem Neuplatoniker bleibt, verwundert es nicht, daß auch Platon vereinzelt mit (; ßELoTaTos; JI)..aTwv in seinen Schriften bezeichnet wird, vgl. Comm. mathe 7,66 (Klein/Pistelli); In Nicom. arithm. 9,7; 83,13 (KleinIFesta). Der Ausdruck (; EV VflLV ßELOS; äVßPWTTOS; in Protr. 31,26 (Pistelli) bezeichnet den Logos im Menschen - es handelt sich um eine Metapher innerhalb eines größeren Bildkomplexes vom Streit zwischen dem Tier (d.h. den Leidenschaften) und dem Menschen (d.h. der Vernunft) im Menschen, so daß die Stelle strenggenommen nicht zu der ßELOS; äVßPWTTOS;-Terminologie gerechnet werden kann. 35 An dieser Stelle soll nicht der Gebrauch der ßELOS; ävßpwTTos;-Terminologie im Neuplatonismus vollständig erarbeitet werden, sondern lediglich Iamblichs Verwendung der ßELOS;
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10.2.1 Porphyr
Es fällt nämlich auf, daß Porphyr in seiner Pythagorasvita, obwohl er sich nicht scheut, Pythagoras' angebliche göttliche Abstammung (2) und einen ganzen Katalog von Wundertaten des großen Philosophen (§§ 23-31) zu überliefern, Pythagoras niemals als eEL05" bezeichnet. Dies hätte man jedoch erwarten können, falls der Begriff in fester Verbindung mit der Pythagorasüberlieferung stünde oder eine technische Bezeichnung für einen Gottessohn bzw. Gottmenschen oder einen Thaumaturgen gewesen wäre. Auf dem Hintergrund der hier nachgewiesenen Bedeutung der ßEL05" avßpuJ1T05"- Terminologie ist es jedoch möglich zu zeigen, daß es nicht zufällig ist, daß Porphyr hier diese Begrifflichkeit in bezug auf Pythagoras vermeidet, obwohl er sich einer antiken Gattung bedient, in der man den Helden oft überschwenglich lobte. Der Grund liegt darin, daß Porphyrios, anders als sein berühmter Schüler, keineswegs ein "pythagorisierender" Neuplatoniker war. Da er jedoch die Pythagorastraditionen, die ihm zur Verfügung standen, mit der Distanz eines Berichterstatters und nicht mit dem missionarischen Eifer eines überzeugten Anhängers überliefert, erfahren wir auch wenig über seine eigene Haltung zu Pythagoras. Es gibt jedoch einige Indizien, daß Porphyr Pythagoras in einigen wichtigen Fragen nicht als letzte Autorität angesehen hat: So überliefert er, der sich in seiner Schrift De abstinentia so heftig gegen das Verzehren von Fleisch, gegen Tieropfer und gegen Selbstmord wendet, daß Pythagoras dies alles getan habe (§§ 15.34.3642f.57).36 Die fragmentarische Porphyriosüberlieferung gestattet nicht, sein Pythagorasbild vollständig zu rekonstruieren. Sie liefert jedoch genug Stoff, um den Schluß zuzulassen, daß Porphyr Pythagoras als einen unter vielen alten Propheten, Weisen, Dichtern und Philosophen ansah, in denen er immer die Lehren Platons entdeckte. Porphyr war kein pythagorisierender, sondern, wie O'Meara ihn treffend bezeichnet, ein universalisierender Platoniker. 37 Wendet man sich Porphyrs Plotinvita zu, so fällt auf, daß er, trotz des exaltierten, fast hymnischen Tons der Schrift, nicht einmal die ßEL05" aVepUJTT05"Terminologie in Verbindung mit seinem Lehrer benutzt. Dies ist umso beachtenswerter, wenn man bedenkt, daß Porphyr erzählt, Plotin habe qua Geburt etwas mehr als andere Menschen gehabt (§ 10,14f.), er habe ein Daimonion
av()pWTTOS-- Terminologie mit Bezug auf Pythagoras auf dem Hintergrund der Entwicklung des Neuplatonismus verdeutlicht werden. 36 Vgl. Edwards, Two Images, S. 159f.165-168, der zeigt, wie vorsichtig Iamblich diese Überlieferung zurechtstutzt. 37 O'Meara, Pythagoras Revived, S. 25-29: " ... Pythagoras loses some of his prominence as he joins a vast chorus auf voices from the past and from different religions and cultures all giving expression to a divinely revealed philosophy. Porphyry, then, is not a Pythagoreanizing Platonist, i.e. one who singles Pythagoras out as the fountainhead of all true (Platonic) philosophy, but rather universalizing Platonist: he finds his Platonism both in Pythagoras and in very many other quarters", ebd. S. 27.
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göttlicher Art bzw. einen Gott als Begleiter gehabt,38 er sei imstande gewesen, Magie abzuwenden (§ 10) und habe in die Zukunft schauen können (§ 11), weiterhin habe er viermal während der Bekanntschaft mit Porphyr die unio mystica mit dem Einen bzw. mit Gott erlebt. 39 Abgesehen von sachlichen Gründen 40 liegt der Grund für das Fehlen der Terminologie offenbar darin, daß sie etwas anderes als einen Gottmenschen bezeichnet, nämlich den Garanten der eigenen Erkenntnistradition. Plotin ist für Porphyr zwar ein verehrenswürdiger , sogar der größte Lehrer seiner Zeit,41 ist jedoch nur derjenige, der die pythagoreischen und platonischen Prinzipien deutlicher und präziser als all seine Vorläufer ausgelegt habe (§§ 20,72ff.; 21). Für Porphyr war Plotin eben Platoniker42 und kein Begründer eines Neuanfangs - sein Leben habe im Dienste der Auslegung der großen Meister vergangener Zeiten, besonders Platons, gestanden. Es ist also bezeichnend und keineswegs zufällig, daß Porphyr das Adjektiv ßELOS' nur einer konkreten Person beilegt, nämlich Platon (Ad Mare. 10).43 In dieser protreptischen Schrift, gekleidet in die Form eines Trostbriefes an seine Frau Markella, behandelt Porphyr das Thema, "daß es in jeder Hinsicht auf das Seelische und im besonderen auf das Noetische ankomme ... " und entwirft "das Bild des echten Weisen ... und das seines Gegenüber, der metaphysisch-ethischen Wirklichkeit".44 Dieses programmatische Thema wird in § 10 der Schrift (mit Rückgriff auf § 8,16ff.) in bezug auf das Verhältnis Porphyrs zu seiner Gattin konkretisiert. Porphyr ermahnt seine Frau, seine Gegenwart könne ihr nichts nutzen, denn seine leibliche Existenz sei uneigentliehe Existenz; sie könne jedoch immer mit ihm zusammensein, wenn sie sich auf seine eigentliche, geistig-seelische Existenz konzentriere. Dies erreiche sie, indem sie durch die Verleugnung des Leiblichen zu sich selbst komme, d.h. indem sie die aufge38 Vita Plot. 10. 39 Vita Plot. 23. Im Neuplatonismus kommt dies am ehesten einer Vergöttlichung nahe, ist jedoch kein dauerhafter Zustand. An gleicher Stelle sagt Porphyr, auch er selbst habe diese Erfahrung einmal gemacht. Plotinos selbst sagt (Enn. 5,8,1), dies sei ihm oft passiert. In diesem Zusammenhang steht auch das berühmte Wort Plotins, die Götter sollten zu ihm kommen, nicht er zu ihnen, was sich auf die niedrigen Dämonen in der Götter- und Dämonenhierarchie bezieht. 40 Trotz dieser außergewöhnlichen Fähigkeiten bleibt Plotin für Porphyr ein Mensch: erst bei seinem Tod wird die Kluft zum Göttlichen überbrückt, vgl. den Apollonhymnus § 22, bes. dessen Anfang: 8a'ij1ov, äVEP TO TTapol8Ev, dTap vvv 8aLj1oV05' aLav 8ElOTEPV TTEAaUJv - "Dämon, vorhin ein Mensch, jetzt aber dem göttlichen Schicksal eines Dämons nähernd ... ", vgl. weiterhin § 23,24ff.; Edwards, Two Images, S. 160f.; Patricia Cox, Biography in Late Antiquity. A Quest for the Holy Man, Berkley 1983, S. 42f. 41 Vita Plot. 20. 42 In § 23 wird er ausdrücklich in die Nachfolge Platons gestellt. Er beging trotz seiner Abneigung Geburtstagen gegenüber feierlich die Geburtstage von Platon und Sokrates (§ 2), bat den Kaiser darum, in Kampanien eine Stadt namens Platonopolis auf der Basis der Gesetze von Platons idealer Stadt zu gründen (12), und widerlegte die Gnostiker, die die skandalöse Behauptung aufstellen, Platon sei nicht in die Tiefe des Seins vorgedrungen. 43 Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Walter Pötscher, Porphyrios. JJPOL; MAPKEAAAN, Leiden 1969. 44 Vgl. z.B. § 8, 16ff. Pötscher, JJPOL; MAPKEAAAN, S. 132.139.
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splitterte wahrnehmbare Körperlichkeit nur als Ausgangspunkt nehme, um durch das Denken, das N oetische, zu der Einheit zu gelangen. 45 Just an dieser Stelle, wo das Leitthema ausformuliert wird, wird die ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie von Porphyr angeführt. Platon bürgt als Garant, als "quasi-göttliche Autorität" (Pötscher) für diese zentrale Einsicht: "Davon ausgehend hat auch der vortreffliche (ßELOS-) Platon den Rückgriff von den mit Sinnen wahrnehmbaren Dingen auf die noumenalen Inhalte unternommen." Dementsprechend oft zitiert oder erwähnt Porphyr den großen Philosophen in seinen Schriften. Wie für jeden anderen guten Neuplatoniker ist Platon für ihn Garant der Erkenntnistradition, in der er selbst steht: Ihm und nur ihm gebührt die Bezeichnung ßELOS-.46
10.2.2 Platin
Diesbezüglich folgt Porphyr den Fußspuren seines verehrten Lehrers, denn auch bei Plotin selbst gestaltet sich die Sachlage nicht anders. Daß Plotin sich nicht als Erneuerer, sondern nur als Interpret der von Platon gewonnenen Erkenntnisse sah, steht außer Zweifel. Treffend beschreibt Heinrich Dörrie sein Selbstverständnis: "P[lotin] verstand sich selbst als Bewahrer der Wissens- und Wissenschafts-Tradition, die in Platon kulminiert .... Mehrfach lehnt es P[lotin] nachdrücklich ab, so verstanden zu werden, als wenn er etwas neues brächte. Sondern alles Wissen ist von Platon und seinen Vorgängern gewußt worden nur wurde es nicht in Einzelheiten auseinandergefaltet und dargelegt. Daß eine Mehrung des Wissens möglich sei, läuft P[lotins] Begriff von der Wahrheit zuwider: diese ist ewig mit sich selbst identisch .... In seinem Selbstverständnis ist P[lotin] durchaus Traditionalist. "47 Diesem Selbstverständnis entspricht der Gebrauch der ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie durch Plotin; nur einer konkreten Person wird sie beigelegt: Platon (Enn. 3,5,1; 4,8,1). Dies geschieht jeweils in einem Kontext, wo Plotin sich auf Platon als Garanten der Tradition beruft, der die von ihm angeführte Erkenntnis verbürgt. In der Schrift JIEpl tPWTos- (Enn. 45 Den Hintergrund dieser doppelten Wiklichkeit bildet Platons Auffassung des empirischen Kosmos, der völlig von der höheren Wirklichkeit des Ideen-Kosmos abhängig sei. Vgl. den Kommentar von Pötscher, JJPO;; MAPKEAAAN, S. 74-78. 46 Sinngemäß ergänzt Ingemar Düring in ihrer Edition von Porphyrs Kommentar zur Harmonienlehre des Ptolemaios, Göteborg 1932, S. 92,12 T4J 8EloTaTlp <JJAaTUJvl ... >. In den übrigen Fällen wird die 8ELOS- äv8pUJTTos-- Terminologie nur mit unbestimmter Referenz verwendet. In De abstinentia 2,45 (Nauck) ist die Rede von 8ELUJV Kai 8EoaoifyUJv av8pwv: es handelt sich um die im unmittelbaren Kontext mehrfach erwähnten 8EOAOYOl, um jene heiligen und alten Gewährsmänner, von denen man lernen und die man nachahmen soll (2,35), in erster Linie natürlich um Platon und Pythagoras. Der zweite Hinweis einige Zeilen weiter scheint sich jedoch auf den reinen Menschen als solchen zu beziehen. Unklar ist weiterhin die Referenz der Terminologie in 2,61, wo die Rede von einem göttlichen Chor der 8EWV TE 0f10V Kai av8pwv 8ELUJV ist. Nichts spricht dagegen, daß es wie in 2,45 verstanden werden muß. Dagegen scheint der Terminus in 3,16 auf die Heroen zu referieren. 47 Dörrie, Heinrich, Art. Plotinos, KP 4, Sp. 939-943, da 940.
10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer
253
3,5)48 sagt Plotin gleich nach der Exposition des Themas (ob die Liebe ein Gott,
ein Dämon oder eine Leidenschaft sei), es lohne sich, die Ansichten der anderen Menschen über diese Frage zu betrachten, was für welche in der Philosophie aufgetreten sind sowie besonders, welche der 8ElOS- Platon vertreten habe. Was folgt, ist jedoch eine Auslegung der (seiner Meinung nach richtigen) platonischen Ansichten über Eros bzw. eine allegorische Interpretation der (seines Erachtens wahren) platonischen Mythen über den Eros im Phaidros und im Symposion. 49. Ähnlich verhält es sich in der Schrift JIEpi Tfjs- Eis- Ta aWllaTa Ka8680v Tfjs- lj;vxfjs- (Enn. 4,8): Nach der Exposition des Themas (warum die Seele nach der mystischen Vereinigung mit dem Göttlichen wieder in den Körper zurückfällt) wendet sich Plotin der Tradition zu, um das Problem zu klären. Die Meinungen von Heraklit, Empedokles, Pythagoras und den Pythagoreern werden jedoch kurzerhand beiseite geschoben: Heraklit habe uns bloßen Vermutungen ausgeliefert, weil er untergelassen habe, seine Gedanken deutlich (aaqxfj) zu formulieren; Empedokles, Pythagoras und die Pythagoreer hätten in Rätseln geredet (VVLTTOVTO), Empedokles habe unklar (ou aacpEL) geredet, weil er sich poetischer Sprache bediente. 50 Übrig bleibe nur der 8ElOS- Platon, der viel Gutes über die Seele und ihren Niedergang geschrieben habe, so daß Plotin sich davon erhofft, daß er ihm etwas klares (aacpES- TL) entnehmen könne. 51 Darauf folgt eine Darstellung der platonischen Lehre über den Dualismus Körper - Seele, wie sie in den Dialogen (Tirnaios, Phaidon, Phaidros) vorliegt. In beiden Fällen wird Platon als Garant der eigenen Wissenstradition den anderen Philosophen gegenübergestellt: Seine Lehre (in der Interpretation Plotins) ist der Kulminationspunkt der Wahrheit. Auch dort, wo Plotin die 8ElOS- av8pwTTos-- Terminologie in allgemeinerem Sinne, d.h. nicht mit direktem Bezug auf Platon benutzt, liegt dieselbe Bedeutung vor. So wird die Schrift [JEpi TOU vou Kai T(JV i8E(Jv Kai TOU OVTOS(Enn. 5,9) mit einem Abschnitt eröffnet, in dem drei philosophische Ansätze einander gegenübergestellt werden: 52 es habe diejenigen gegeben, die sich lediglich mit der materiellen, wahrnehmbaren Wirklichkeit zufriedengeben und infolgedessen das Schmerzhafte mit dem Schlechten, das Angenehme mit dem Guten identifizieren und entsprechend nach diesem streben, jenes zu meiden 48 Textausgabe der Schriften Plotins von P. Henry und H.-R. Schwyzer, Plotini opera I-lU, Leiden 1959-73. Grundlegend zu Plotins Denken ist H.-R. Schwyzer, Art. Plotinos, RE I 21.1,1951, Sp. 471-592. 49 Symposion 203ff.; Phaidros 242D.265C. 50 Enn. 4,8,11-23. Er zitiert Aussagen von Heraklit (D/K B 60.84a.84b) und Empedokles (D/K B 115). Vgl. A. H. Armstrong, Plotinus, LCL, London 1966-88, Bd. 4, S. 398f., Anm. 1 der auf "(t)he impatience with which Pythagoras and his followers are dismissed" aufmerksammacht. 51 Enn. 4,8,24-27. 52 Man kann dies entweder allgemein auf die chronologische Entwicklung der Philosophie über die Vorsokratiker und Sokrates zum Platonismus deuten oder aber auf Polemik gegen die Epikureer und die Stoiker beziehen, so A. H. Armstrong, Plotinus, LCL, Bd. 5, S. 286, Anm.1.
254
Teil 111: Semantische Analyse: ec[o~ KTA. in epistemologischem Kontext
versuchen. Andererseits habe es diejenigen gegeben, die dem Guten in ihren Seelen Nachfolge geleistet hätten und ein wenig von der unteren Wirklichkeit abgehoben seien, die sich jedoch im Namen der Tugend den TTpdfElS- und EKAoyaL der unteren Wirklichkeit gewidmet hätten. Ihnen gegenüber habe es das TPL TOV YEVOS- ßELUJV avßpwTTUJV gegeben, das mit besserem Können und scharfer Sicht nicht nur den Glanz der oberen Wirklichkeit wahrgenommen hätte, sondern auch an jenem Ort - der wahr und ihrer Natur eigen sei - geblieben seien und infolgedessen die untere Wirklichkeit überblicken konnten: Es handelt sich um die Leistung derjenigen, die die wahre, doppelte Struktur der Wirklichkeit (nach platonischem Verständnis) erkannt hatten. Was folgt, ist eine platonische Erörterung über den Aufstieg der Seele von der materiellen Wirk1ichkeit zu dieser noetischen Wirklichkeit. Am anschaulichsten ist dies jedoch in der Schrift JJpos- TOUS- YVUJaTlKovs(Enn. 2,9) zu erkennen. Aus der ganzen Schrift geht Plotins unverhohlene Abscheu vor den Gnostikern hervor: Ihre Lehre scheint ihm irrational, unmoralisch und vor allem traditionsfeindlich. In § 6 entzündet sich an dem Gebrauch von neuer Terminologie für allerlei Hypostasen eine wütende Attacke Plotins gegen die Gnostiker: Er wirft ihnen vor, daß sie durch die Einführung neuer Termini (KalvoAoYOVVTUJV) versuchen, eine neue Schule zu gründen (Els- avaTaalV TijS- l8Las- alpEaEUJS-; KalvoTollovalv Lva l8Lav eplAoaoepLav ß6Jv Tal) und dies alles so betreiben, als ob keine Verbindung zur alten Hellenischen Schule bestünde (ws- yap TijS- apxaLas- nAA7]VlKijs- OUX aTTTollEvol) und als ob sie - und nicht Platon und die anderen glückseligen Männer - die noetische Welt gedanklich durchdrungen hätten (ws- aVToL IlEV TT]V V07]TT]V epvalv KaTaVEVo7]KOTES-, EKELVOV [sc. JJAaTUJvos-] 8E KaL T6Jv aAAUJv TWV llaKaPLUJV av8p6Jv Ilry). Tatsächlich aber haben die alten Griechen dieses alles schon gewußt und deutlich artikuliert (El8oTUJV KaL aaep6Js- T6Jv nMryvUJv aTvepUJSAEyOVTUJV). Die Gnostiker haben jedoch ihre Terminologie und Lehre von Platon übernommen (Ta IlEV aUTolS- TTapa TOV JJAaTUJvos- ElA7]TTTal) bzw. von den alten Griechen (pq8LUJS- YVUJaßryaETal Ta8 vaTEpov TOVTOlS- TTap' EKELVUJV A7]epßEvTa). Was sie hinzugefügt haben, haben sie nicht der Wahrheit entnommen (TavTa #fUJ Tijs- aA7]8ELaS- EVP7] Tal ;), überhaupt haben sie nur Unpassendes hinzugenommen (TTpoa8ryKas- 8E Tlvas- OV8EV TTpoa7]KOVaasElA7]epoTa). Sie haben dadurch Platons (wahre) Lehre verfälscht und zum Schlechteren degradiert (TToAAa Ka TaljiE v80vTal aVTov [sc. JJAaTUJvos-] KaL TTPOS- Ta XELpOV EAKoval Tas- 8ofas- TOU av8pos-). Plotin empfiehlt ihnen, sich der Wahrheit zuzuwenden (TTpOS- Ta aA7]ßES- ßAETTovTas-): Sie sollen die ßElol av8pES- nicht verhöhnen (1l7]8EV TOUS- 8ELOVS- av8pas- 8laavp ovTas-; ou8 EV Tej] TOUS- r'EM7]vas- 8laaupElv KaL VßPL(ElV; [TTpOS-] av8pas- KEKpr IlEVOVS- EK TTaAalov ... aya80us- Eival ljiEYElV), indem sie meinen, sie wären besser als sie (AEyovTaS- EavTous- EKELVUJV allELvovS- Eival). Sie sollen stattdessen eher ihre Lehren artig übernehmen (aAA' EVIlEVWS- 8ExoIlEVOVS- Ta
10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer
EKELVUJV
255
KaI ä KaAw:; AEYOVO"L TTap' EKELVUJV Aaß6vTa:;) und sie deutlich
(wie die Älteren selbst es getan haben) artikulieren, denn sie sind älterer Provenienz (av8pa:; KEKPLf.1EVOV:; EK TTaAaLov ... aya80v:; EivaL; w:; TTaAaLoTEPUJV) bzw. sie lagen schon bei Platon vor (TavTa yap KELf.1Eva TTapa T41 JJAaTUJvL). Die Alten haben es gut und auf jeden Fall besser gesagt (ä KaAw:; AEYOVO"L; 'ETTEI Ta YE Elp7]f.1EVa TOL:; TTaAaLOL:; TTEpl TWV V07]TWV TToU41 af.1ELvUJ KaI TTETTaL8EVf.1EVUJ:; ELp7] TaL ). Plotin selbst faßt das Wesentliche die-
ser Ausführungen später in derselben Schrift zusammen (Enn. 2,9,10), wenn er sagt, die Gnostiker hätten die Frechheit, die guten und mit der Wahrheit übereinstimmenden Aussagen (Ta KaAW:; KaI TT]5"" aA7]8ELa:; EX0f.1EVUJ:; Elpryf.1Eva) der TWV TTaAaLwv KaI 8ELUJV av8pwv zu verhöhnen. Der vorliegende Kontext dieser Erörterungen macht deutlich, wer in den Augen Plotins als eELO:; av8pUJTTo:; gilt: Es sind die alten griechischen Philosophen, insbesondere Platon, die als Garanten der Wahrheit am Anfang der "hellenischen Schule" stehen. Deutlich ist auch, daß die Wahrheit eben Platons Lehre der doppelten Wirklichkeit ist. Sie wird in anachronistischer Weise pauschal auf alle alten griechischen Philosophen, eben die 8ELOL av8pE:; zurückgeführt, denn sie und nicht die Gnostiker haben die noetische Wirklichkeit entdeckt und durchdacht. Für Plotin sind die 8ELOL av8pUJTToL jene Entdecker der Wahrheit der Gründerzeit der Philosophie. Besonders gilt dies natürlich für Platon, dem als einzigem das Prädikat 8EL 0:; beigelegt wird, weil er Garant des wahren Wirklichkeitsverständnisses ist. Wie selbstverständlich hat Plotin die Alten insgesamt als Repräsentanten derselben philosophischen Anschauungeneben der Wahrheit - angesehen: Platon bildete gewissermaßen nur den Kulminations punkt aller dieser Manifestationen der Wahrheit und ist insofern der 8ELO:; aVepUJTTO:; par excellence. 53
53 Die übrigen eELoS' ävepw1ToS'-Stellen (Enn. 3,3,6; 6,9,11) müssen konsequenterweise auch auf diesem Hintergrund gedeutet werden. In Enn. 3,3,6 sagt Plotin, es liege nicht in der Kompetenz eines Menschen oder eines weisen und (gar) eines göttlichen Menschen, zwischen der Vorsehung (i] 1TpovoLa) und ihrem Substrat (TO V1TOKE{/1EVOV) zu trennen. Man könne sagen, nur ein Gott verfüge über diese Gabe. Man beachte einerseits die Steigerung Mensch Weiser - eELoS' äVepW1TOS', andererseits die Trennung zwischen Menschen und Göttern. In Enn. 6,9,11 sagt Plotin, daß der stete Prozeß, der die mystische Vereinigung mit dem Einen, das Herausfallen aus der Einheit und den Wiederaufstieg mittels der Tugenden zum Einen umfaßt, ein Leben von Göttern, göttlichen Menschen und Glückseligen sei: nur die Götter, die eELoL äVepW1TOL, die den Weg zur Vereinigung mit dem Einen überhaupt eröffnet hatten (vgl. Enn. 5,9,1; vgl. auch 4,8,1), und die Weisen (= die Glückseligen: nach allgemein griechischem Verständnis konnte nur der Weise wahrlich die Ev8aL/10v[a innehaben) haben an diesem Prozeß Anteil; vgl. Enn. 5,9,2 für den Aufstieg der Seele des Philosophen.
256
Teil III: Semantische Analyse: eEio~ KTA. in epistemologischem Kontext
10.2.3 Kelsos und Numenios Wirft man einen Blick auf die 178 n. Chr. von Kelsos, dem platonischen Widersacher des Christentums, verfaßte Schrift ~A7]ßryS" AOroS",54 in der er die Werte des Hellenentums dem Christentum gegenüber verteidigt, zeigt sich, daß auch er die ßEL os" avßpwTToS"- Terminologie in derselben Weise verwendet. Kelsos ist wie Plotin ein Traditionalist: Wie später Plotin die Gnostiker, so kritisiert auch er die Christen vor allem wegen ihrer Traditionsfeindlichkeit, d.h. weil sie sich anmaßen, neuen Offenbarungen einen höheren Stellenwert als den alten Traditionen einzuräumen. 55 Er selbst jedoch wolle nichts Neues aussagen (4,14), sondern nur die von altersher überlieferte Weisheit56 weiterreichen: mit ihr hätten sich Ta EßV7] Ta aoqX()TaTa Kat TTOAELS" Kat av8pES" aocj>ol schon beschäftigt (1,14). Letztere, die av8pES" apxaLOL Kat aocj>ol (1,16), hätten sowohl ihren Zeitgenossen als auch - durch ihre Schriften - ihren Nachkommen genutzt, sie hätten diese Weisheit schon erfaßt, ihre Lehren in Büchern festgehalten, die bis heute aufbewahrt worden seien. 57 Kelsos verfolgt in seiner Polemik gegen die Christen die Strategie, christliche Einzellehren und Bräuche als Pervertierung dieser uralten Lehren und Bräuche darzustellen. 58 Folgerichtig verweist Kelsos, wenn er eine positive Darstellung der eigenen (platonischen) Gotteslehre bietet, die Christen auf die TTaAaLOt iJrEj10VES" Kat av8pES" apxaLOL bzw. EVßEOL TTOL7]Tal KaI aocj>ol cj>LAoaocj>oL (7,41), die den "Weg der Wahrheit" gefunden hätten. 59 Der wirksamste Lehrer in Sachen, die die Gotteslehre betrefText rekonstruiert von R. Bader, Der ~"l7]8ryS' "loyoS' des Kelsos, Stuttgart 1940, wie üblich beziehen sich Zitatangaben jedoch auf Origenes' Contra Celsum. Noch imm~r sehr brauchbar ist die Einführung von Theodor Keim, Kelsos / Celsus. Wahres Wort. Alteste Streitschrift antiker Weltanschauung gegen das Christentum vom Jahr 178 n. Chr., Zürich 1873 [1969 Aalen], S. 171-292; Carl Andresen, Logos und Nomos. Die Polemik des Kelsos gegen das Christentum (AKG 39), Berlin 1955. Vgl. auch. Heinrich Dörrie, Art. Kelsos, KP 3, Sp. 179-181. 55 So macht Dörrie, KP 3, Sp. 180 die folgende zutreffende Bemerku~g: "Im ganzen wird das Christentum darum abgelehnt, weil es mit der althergebrachten Uberlieferung, dem TTa"lau)S' "oyoS', unvereinbar ist und weil es sich an dessen Stelle setzen möchte. Der Grundpfeiler von K[elsos]' Kritik ist sein Traditions-Bewußtsein, das jede Neuerung als Verschlechterung ansieht". 56 Vgl. 4,14 TTa"laL 8E8oY/lfVa und 3,16 TTa"lau)S' "loyoS', weiterhin 1,14 apxa'ioS' ävw8EV "OYOS'. 57 Or. Contra Cels. 1,16: A[vov 8E Kai Movaa'iov Kai 'OpepEa Kai TOV if>EPEKV87]v Kai TOV JIEParyV ZUJpoaaTp7]V Kai JIv8ayopav epr]aaS' TTEpt T(Jv8E 8LEL"l7]epEvaL, Kai ES' ß[ß"lovS' KaTa TE8E'ia8aL Ta EaVT(Jv 8oY/laTa Kat TTEepv"lax8aL aUTa /lEXPL 8EVpO. Er bezieht sich in seinem Werk dann auch auf viele griechische Dichter und Philosophen der Frühzeit wie Homer, Hesiod, Herodot, Pythagoras, Pherekydes, Empedokles, sehr oft auf Heraklit. Dabei ist zu beachten, daß Pythagoras nicht als Autorität für bestimmte Lehren, sondern nur als Beispiel für die (konsequente) Enthaltsamkeit in der Antike (5,41; 8,28) herangezogen und als einer, von dem erzählt wird, er sei aus dem Tode auferstanden (2,54), genannt wird. 58 V gl. bes. 6,1-7,58. 59 Origenes beklagt sich an dieser Stelle darüber, daß Kelsos seine Führer nicht mit Namen genannt hat, nimmt jedoch in seiner Replik an, er beziehe sich mit dem Begriff Ev8EOL TTOL7]Ta[ auf Orpheus, Parmenides, Empedokles, Homer und Hesiod. 54
10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer
257
fen (EvEPYEaTEpov 8L8aaKaAOV TWV 8EoAoYLaS" TTpaYj1aTUJv), sei jedoch Platon (7,42). Wie die vielen Zitate und Anspielungen auf Platon zeigen, war Kelsos seinem Selbstverständnis nach Platoniker. 6o Niemand wird öfter als Autorität angerufen als Platon, manchmal zitiert Kelsos zustimmend ganze Abschnitte aus seinen Schriften. 61 Platon ist für ihn "Zugführer und Zug schließer der ganzen Philosophie"62, dessen Philosophie die einzig mögliche Weisheit ist. Darum findet er diese Weisheit in den Lehren aller anderen Weisen wieder. 63 Kelsos ist also in der Terminologie O'Mearas ein universalisierender Platoniker gewesen. Seine Verwendung der ßELOS" av8pUJTToS"- Terminologie läßt sich problemlos auf diesem Hintergrund deuten: 64 Am Ende der positiven Darstellung der platonischen Theologie (7,36-7,58) kommt Kelsos zu dem Fazit, dies habe Platon genügt und sei schon vorher auch die Lehre göttlicher Männer gewesen (JIAaTUJvL j1EV oUv OVTUJS" i}pEaEv, i]v 8E Kat TTpoaßEV ETL ßELOLS" av 8paaL 8E8oYj1Eva). Die Christen werden auf die Wahrheit in ihrer endgültigen
Gestalt bei Platon verwiesen, die jedoch schon lange vorher von den Archegeten des Wissens, eben den 8ELOL av8pUJTToL gelehrt worden sei. Auch in Einzelfragen beruft er sich auf die 8ELOL av8pUJTToL: Wenn er die Frage nach dem Ort des Weiterlebens der Seelen erörtert (7,28), wendet sich Kelsos jenen Garanten jeglicher Erkenntnis zu: 7 aTopT] TaL 8ELOLS" av8paaL TTaAaLOLS" Ev8aLj1UJV ßLOS" <j;VXaLS" Ev8aLj10aLV - im Anschluß zitiert er aus Homers Odyssee und Platons Phaidon, um zu zeigen, daß auch diese Lehre schon bei den Alten vorlag und ihre endgültige Gestalt in der Lehre Platons erreichte. 65 Wir sehen also, daß Kelsos ein universalisierender Platoniker war, der seine Wissenstradition auf möglichst viele Archegeten, die "den Weg der Wahrheit gefunden haben", zurückführen wollte und dementsprechend die 8ELOS" avßpUJTToS"- Terminologie speziell
60
Vgl. Keim, Wahres Wort, S. 220, Anm. 1 und die Anmerkungen zum Text, passim.
61 V gl. bes. 6,3ff., wo ausführlich aus Platons Gesetzen wie auch aus dem Phaidros und dem Timaios zitiert wird; 7,31 aus seinem Phaidon; 7,41f. aus Timaios und der Politeia; 7,58 aus Kriton. 62 So zu Recht Keim, Wahres Wort, S. 206. Weiterhin heißt es, Platons Aussagen seien inspiriert (lv8EWS' Elprlf.1Eva) gewesen (6,17); vgl. auch 4,36, wo Kelsos den Juden in der Frage nach der Entstehung der Menschheit vorwirft, völlig ungebildet und ohne Kenntnisnahme von den Dingen, die von Hesiod und äAAOLS' f.1Vp{OLS' dv8paaLv Ev8toLS' gesungen wurden. 63 Vgl. dazu Dörrie, KP 3, S. 179. 64 Hier sei eine Bemerkung zur Rolle des Kelsos in der 8ELOS' dvrjp-Forschung erlaubt: in ihr spielten bes. Kelsos' Aussagen über herumziehende Wundertäter (Or. Contra Cels. 1,68; vor allem aber 7,9) eine wichtige Rolle (vgl. dazu Koskenniemi, Apollonios, S. 44.82.83f.) sie reflektieren ja die wesentlichen Elemente des sogenannten Typos des 8ELOS' dVrlP und sind in 7,9 mit den Termini Gott, Gottessohn und göttlicher Geist in Verbindung gebracht. Auffällig ist jedoch das Fehlen der 8ELOS' äv8pWTTOS'-Terminologie an dieser Stelle. Dies hat umso mehr Gewicht, als Kelsos selbst die Terminologie verwendet. Dieser Tatsache hätte man in der Forschung viel mehr Beachtung schenken sollen. 65 Od. 4,563ff.; Phaidon 108c-110b.
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Teil 111: Semantische Analyse:
8ELOS KTA.
in epistemologischem Kontext
für diese Autoritäten verwendet, jedoch immer unter der Voraussetzung, daß ihre uocjJla mit der platonischen Philosophie identisch ist. 66 Wie oben ausgeführt, verfolgte Iamblich im Gegensatz zu anderen Mittel- und Neuplatonikern des 2. und 3. Jh. das Programm, den Neuplatonismus zu pythagorisieren und bezeichnete dementsprechend Pythagoras als ecLOS' aVepUJTTOS', als Archegeten und Garanten seiner Wissenschaft. Dadurch bringt er eine Tendenz, die seit dem ersten Jahrhundert überall im Neuplatonismus vorhanden war, konsequent zum Abschluß. Diese Tendenz kann am deutlichsten anhand des Mittelplatonikers Numenios von Apamea aufgezeigt werden. 67 Sein Wirken ist wahrscheinlich der 2. Hälfte des 2. Jh. n. ehr. zuzuordnen. 68 Numenios war, was die Struktur seiner Philosophie angeht, zweifelsfrei ein Platoniker,69 wurde jedoch (wie wir noch sehen werden, mit gutem Grund) von einigen seiner Zeitgenossen als Pythagoreer angesehen. 70 Für sie war er insofern kein Platoniker, als er die Wurzeln der Weisheit nicht auf Platon, sondern auf Pythagoras zurückführte und diesen als eigentlichen Archegeten der (wahren, platonischen) Philosophie betrachtete.?! Dies geht eindeutig aus seiner Schrift IJcpl TfjS' 'AKa8lJj1aLKwv TTPOS' IJAaTUJva 8LauTaucUJS' hervor, aus deren erstem Buch Euseb ausführlich zitiert. 72 In ihr stellt Numenios die Geschichte der Akademie dar als einen fortschreitenden Abfall von der reinen Lehre, wie sie noch von Platon vertreten wurde und einigermaßen von seinen direkten Nachfolgern,
66 Origenes beginnt in 7,28 nach dem Platonzitat seine Widerlegung mit folgenden Worten: rr1ToAaflßavcL TO{VVV 6 KEAaoS' Ta 1Tcpl TfJS' äM.TJS' yfjS' Kpc{ TTOVOS' Kal 1T0M.4J TaVTTjS' 8LaepcpOVaT}S' clATJepEvaL T]flGS a1TO TLVUJV VOflL(OflEVUJV aVT4J ec{UJV 1TaAaLWV av8pwv Kal flaALaTa lJAaTUJvoS'. Obwohl Kelsos dies nicht selbst explizit mit Hilfe der eclOS' ävepUJ1ToS'-Begrifflichkeit andeutet, wußte Origenes jedoch, daß Platon der eigentliche eclOS' äVepUJ1TOS', der eigentliche Garant von Kelsos' Erkenntnistradition ist. Einen Blick auf Origenes selbst sei an dieser Stelle erlaubt: In seiner Erwiderung verwendet auch er die ecLOS' äVepUJ1TOS'- Terminologie (7,49). Dort verweist er Kelsos auf die christlichen göttlichen Männer: flc{(ova Kal ecLOTcpa AEAcKTaL flEV 1Tapa TOlS' ec{OLS' dv8paaL, 1Tpoep7}TaLS' ToD ecoD Kal a1ToaToAoLS' ToD 1 TJaoD - spätestens hier hat die Begrifflichkeit Einzug in das Christentum genommen. Auch Origenes bezeichnet seine Gewährsmänner, die Garanten der eigenen Erkennnistradition, nämlich die Propheten und die Apostel als eclOL äv8pcS'. 67 Fragmentensammlung und Kommentar von E.-A. Leemans, Studie over den wijsgeer Numenius van Apameia, Brüssel 1937. Vgl. Rudolf Beutler, Art. Numenios 9, RE Suppl. 7, 1940, Sp. 664-678; Heinrich Dörrie, Art. Numenios 4, KP 4, Sp. 192-194; O'Meara, Pythagoras Revived, S. 10-14; Dillon, Middle Platonists, S. 361-379. 68Leemans, Numenius, S. 12ff., Dörrie, KP 4, Sp. 192, vgl. für eine mögliche frühere Datierung (1. Hälfte des 2. Jh.) Beutler, RE Suppl. 7, Sp. 664f. 69 Vgl. Leemans, Numenius, passim; Dörrie, KP 4, S. 192, "unbestreitbar Platoniker"; Beutler, RE Suppl. 7, Sp. 664 "Der Kern der Lehre des N[umenios] ist ... als mittelplatonisch völlig einwandfrei zu bestimmen". 70 Alle früheren Zeugen bezeichnen ihn als Pythagoreer, nur Iamblich und Proklos als Platoniker, vgl. Leemans, Test. 4f. Leemans, S. 14-16 führt dies auf seine pythagoreische Lebensweise und mögliche Zugehörigkeit zu einer pythagoreischen "Gemeinde" zurück. 71 Vgl. Dörrie, KP 7, Sp. 192. 72 Fr. 1-8 Leemans = Euseb, Praeparatio Evangelica 14,5-9.
10. Iamblich und seine neuplatonischen Vorläufer
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Speusipp, Xenokrates und Polemon, eingehalten worden sei. 73 Platon selbst habe zwischen den Lehren von Pythagoras und Sokrates vermittelt,74 Sokrates selbst habe jedoch nur Pythagoreisches gelehrt. Im Grunde genommen sei Platon Pythagoreer gewesen, der seine Lehre nicht immer allzu deutlich vermittelt habe.7 5 Numenios macht dies noch klarer: Man müsse Platon von Aristoteles, der Stoa und der Akademie abtrennen, um zu dem reinen Platon, dem Pythagoreer Platon, vorzudringen. 76 Platons direkten Schülern sei es vor allem zu verdanken, daß Pythagoras (noch) zu hohen Ehren kam. 77 Die übrigen Fragmente des N umenios zeigen jedoch, daß er durchaus auf den Lehren des Platonismus fußt und nicht wenig zu dessen späterer neuplatonischer Gestalt beigetragen hat. 78 Den Fragmenten sind, abgesehen davon, daß er in seiner Ontologie vom pythagoreischen Dualismus ausgeht,79 kaum Indizien für die Haltung des Numenios gegenüber Pythagoras und den ihm traditionell zugeschriebenen mathematischen Fächern zu entnehmen - darin unterscheidet Numenios sich von seinem pythagoreischen Zeitgenossen Nikomachos und dem späteren neuplatonischen Vollstrecker des von ihm angedeuteten Programms, Iamblich. Er war allem Anschein nach nur insofern Pythagoreer, als er der Meinung war, die philosophische Wahrheit kulminiere nicht in Platon, sondern schon in Pythagoras. Er sah seine Aufgabe darin, die platonische Philosophie in ihrer originalen, d.h. pythagoreischen, Integrität wiederherzustellen, denn die Lehren der beiden seien ja grundsätzlich identisch. Interessanterweise schreibt Numenios an einer Stelle: Kai TOl IitlOS" ljv aUToLS" [sc. TOLS" YVUJpiflolS"] 6 JJAaTUJv, OUK dflELVUJV flEV JJueayopou TOU flEyaAou, ou flEVTOl LO"UJS" ou8E cpAaupoTEpOS" EKELVOU ... Trotz prinzipiell gleicher Würde wird nicht Platon, sondern lediglich
Pythagoras (als dem Archegeten der Philosophie?) eine Art Würdebezeichnung beigelegt: JJueayopaS" 6 flEyaS",so Erst Iamblich vollzog als Neuplatoniker das 73 V gl. Fr. 1 Leemans. O'Meara, Pythagoras Revived, S. 1Off. zeigt, daß sich Numenios dafür einiger Motive aus Platons politischer Philosophie und Ontologie bedient. 74 Fr. 1 Leemans, S. 115, Z. 19ff. 75 Fr. 1 Leemans, S. 115, Z. 5f.: 0 BE JJAaTwv TTvf)ayopLaaS' (tiBEL BE TOV bWKpaTT]V J1T]Baj1of)Ev ij EKELf)EV Br) Ta aUTa TaVTa ElTTovTa Kai yvovTa) rJJBE ouv Kai aUTOS' avvEBryaaTo Ta TTpa Yj1a Ta, OUTE Elwf)OTWS' OUTE Br} ElS' TO ;aVEpOv. Zu Recht formu-
liert O'Meara, Pythagoras Revived, S. 12: "What then is Plato thus purged? Pythagoras!". 76 Fr. 1 Leemans, S. 115, Z. 12-16: TOVTO BE Xpr} j1af)ovTaS' T]j1aS ETTavEvEYKELV EKELaE j1G.AAOV Tr}V yvuJj1T]V, Kai waTTEp Ef apxfjS' TTpouf)Ej1Ef)a XWpL(ELV aUTov 'ApLaToTEAoVS' Kai ZryvwvoS', OVTWS' Kai vvv rfiS' 'AKaBT]j1LaS' ... XWpL(OVTES' Eaaoj1EV aUTov E;' lavTov vvv E[vaL JJvf)ayOpELOV. 77 Fr. 1 Leemans, S. 113, Z. 20f: (sc. JJvf)ayoP4J) avvaKoAovf)ovVTES' aE;f)EvTES' TE OL YVuJPLj10L [TOV JJAaTuJvov] EYEVOVTO TTOAVTLj1T]TL(Eaf)aL al TLuJTaTOL TOV JJvf)ayopav.
4i
78 Plotin wurde unterstellt, Numenios nur wiederholt zu haben, Porphyr Vita Plot. 17 (Test. 15 Leemans). 79 V gl. zum Dualismus Test. 30 Leemans. 80 Man fragt sich, ob Numenios sich noch nicht dazu durchringen konnte, Pythagoras mit der üblichen Würdebezeichnung des Archegeten bzw. Garanten der eigenen Erkenntnistradition, nämlich f)ELOS', auszuzeichnen. Vielleicht liegt dies jedoch nur an unserer lückenhaften Überlieferung. O'Meara, Pythagoras Revived, S. 1Off. , vertritt die Meinung, Numenios habe sich tatsächlich als Pythagoreer verstanden und sich selbst auch so bezeichnet, was erklären
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Teil 111: Semantische Analyse: eclo~ KTA. in epistemologischem Kontext
von Numenios angedeutete Programm der konsequenten Pythagorisierung der neuplatonischen Philosophie. 81 Infolgedessen bezeichnet er als erster Neuplatoniker Pythagoras durchgängig als ßELOS- avßpUJTTos-.
würde, warum alle frühen Testimonien ihn als Pythagoreer bezeichnen. Wie er selbst feststellt, kann dies jedoch nicht durch die vorhandenen Fragmente bestätigt werden. 81 Die Wende, die Iamblich durch seine konsequente Neuauslegung der platonischen Texte im Neuplatonismus bewirkt hatte, wurde von seinen Nachfolgern erkannt und dadurch honoriert, daß sie ihm die Würdebezeichnungen 8ELOS- (regelmäßig bei Proklos und Simplikios, z.B. Simpl. In Arist. phys. 639,23.642,18; weiter Julian Or. 4,157C; Damaskios De princ. 1,148,6 [Ruelle]; Ammonios De interpret. 135,14 [Busse]), 8aL/1oVLOS- (Julian 6,188B.222B) und /1EyaS- (Ammonios De interpret. 202,17; Damaskios De princ. 1,310,3) beilegten. Daß Iamblich diese Bezeichnungen in erster Linie seinem Ansehen als Systematiker der platonisehen Texte zu verdanken hat und nicht den ihm (vor allem von Eunapios) zugeschriebenen Wundern (so Zeller III/2, S. 738), ist auf dem Hintergrund dieser Untersuchung kaum zu leugnen: vgl. z.B. Eunapios VS 458: TL ... (J 8L8aaKaAE 8ELoTaTE ... /1ETa8L8ovs- rfjsTEAEUJTEpaS- uOCPLas- TJ/1LV, wo es sich darum handelt, daß seine Jünger von seiner vollkommenen Weisheit lernen wollen; Damaskios De principiis 113,1,291,23: äv8pa TWV 8ELUJV 1TpaY/1aTUJv äMUJV TE Kal TWV VOEPWV äPLUTOV E"fr]'YTJn]v. Daß einer, der Einblick in die Zusammenhänge des gesamten Alls hat, Wunderbares verrichten kann, versteht sich in der am Ausgang der Antike herrschenden geistigen Atmosphäre von selbst. Vgl. auch Praechter: "Wer nun den Weg wies, die neuen Lehren in einheitlicher und konsequenter Weise auf dem Grunde der platonischen Dialoge aufzubauen, verdiente von neuplatonischem Standpunkte aus ... den Namen des 'Göttlichen' ... ", ÜberweglPraechter, S. 615.
11. Semantische Auswertung 11.1 Das semantische Feld bzw. die Denotation Aus der hier gebotenen sprachlichen Analyse der Kontexte, in denen die 8ELOSav8pUJ7ToS-- Terminologie begegnet, geht hervor, daß diese Terminologie im Sprachgebrauch der Kaiserzeit eine fest umrissene Bedeutung hatte. Dies zeigt sich zunächst daran, daß die Adjektive 8ELOS-, 8aLJ10VLOS- und 8Ea7TEaLos- relativ selten auf Menschen referierenden Nomen beigelegt werden, obwohl 8ELOS- und 8aLJ10vLoS- geradezu "Allerweltswörter" waren, die dem Leser auf Schritt und Tritt in der überlieferten griechischen Literatur begegnen. Diese Tatsache deutet darauf hin, daß in der Denotation der Lexeme Regeln vorhanden waren, die ihre Anwendbarkeit auf Menschen einschränkten. Diese Beobachtung muß im Zusammenhang mit einer anderen gesehen werden: Die drei genannten Adjektive werden fast nur Nomen beigelegt, die auf eine begrenzte Anzahl von Menschen referieren. Es handelt sich dabei fast ausnahmslos um große Dichter, Künstler, Philosophen, Rhetoren, Historiographen und Ärzte vergangener Epochen der griechischen Geschichte. Ferner haben die im dritten Teil dieser Studie durchgeführten Analysen gezeigt, daß die Terminologie immer in epistemologischen Kontexten auftritt, in denen Fragen nach gewissen Traditionen der Erkenntnis und des Wissens, ihrem Wahrheitsgehalt, ihrem Ursprung und ihrer Vermittlung im Mittelpunkt des Interesses stehen. Daß die Referenz der Terminologie so eingeschränkt war, ist ein sicheres Indiz dafür, daß in der Denotation der Terminologie Bedingungen vorhanden waren, welche die Anwendbarkeit der Terminologie auf nur bestimmte Personen oder Personenkreise reguliert haben müssen. Die Analysen haben ferner gezeigt, daß die Kontexte, in denen die Terminologie begegnet, regelmäßig wiederkehrende Merkmale aufweisen, die es ermöglichen, die 8ELOS- avßpUJ7Tos-- Terminologie einem bestimmten Wortfeld bzw. semantischen Feld mit deutlich umrissenen Konturen zuzuordnen. Semantisch gesehen steht sie in großer Nähe zu der Vorstellung des aoq)(]s- avr}p (vgl. z.B. Dion Chrys. Or. 11,4; 12,49; Lukian Alex. 4; Philops. 29ff.; Iambl. VP 12.56). Die Analyse hat weiter ergeben, daß dies noch weiter eingeschränkt und wesentlich genauer bestimmt werden kann. Die ßELOS- avßpUJ7Tos-- Terminologie tritt nämlich gelegentlich explizit in bestimmten Syntagmen auf, die zeigen, daß man von dem jeweiligen Referenten als ßELOS- KTA. in bezug auf ein bestimmtes Gebiet der Erkenntnis gesprochen hat (v gl. z.B. Dion. Halik. Lys. 3 8aLJ10VLOSTrnV avyypacjJEUJv; Dion Chrys. Or. 2,18, 8aLJ10VLoS- Kal ßELOS- Kr}pvt TfjS-
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Teil 111: Semantische Analyse: BEtOS' KTA. in epistemologischem Kontext
apcTfjS', wobei apcTr] sich hier auf die stoische Tugendlehre bezieht, vgl. auch
Lukian Alex 4). Hierzu gehören auch Ausdrücke, in denen die Adjektive Wörtern beigefügt werden, die sich auf einen Berufsstand oder dergleichen beziehen (z.B. ol eclOL TTOL7]TaL, Or. 36,32; 8aLllovLoS' EpyaT7]S',Or. 12,49). Sie zeigen, daß die jeweilige Person als eclOS' KTA. in bezug auf dieses Tätigkeitsfeld gilt. Diese Einschränkung auf ein Tätigkeitsgebiet oder einen Aspekt der Erkenntnis, die nur gelegentlich durch eine syntagmatische Modifikation explizit gemacht wird, ist jedoch auch dort, wo sie nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird, immer ein fester Bestandteil des Kontextes, in dem die Terminologie auftritt. Man war eben ein eclOS' aVepWTTOS' in bezug auf bestimmte Aspekte der menschlichen Erkenntnis, z.B. (einen Aspekt) der Philosophie, der Rhetorik o.ä. Ferner tritt die eclOS' aVepWTTOS'- Terminologie regelmäßig in Kontexten auf, in denen die so bezeichnete Person zugleich als Archeget der betreffenden Tradition gilt bzw. als diejenige, die der Tradition ihre entscheidende Wende gab. Abgesehen davon, daß gelegentlich explizit vom Archegeten (vgl. Iambl. VP 1: o apX7]YoS' TijS' <jJLAoao<jJLaS') oder Entdecker (vgl. Iambl. VP 56: cUP7]Tr]S') gesprochen wird, taucht oft in unmittelbarer Nähe der Terminologie ein Hinweis darauf auf, daß der jeweilige eclOS' aVepWTTOS' der erste (TTp6JTOS') bzw. der einzige (llovoS') gewesen sei, der das jeweilige Wissen entdeckt habe (vgl. z.B. Iambl. VP 157ff.; Lukian De Lapsu Iff. und Lukian Alex. 25). Ferner kann dies mit Hilfe unterschiedlichster Metaphern ausgedrückt werden: So redete man gerne in bildreicher Sprache von der Quelle (Dion. Halik. De comp. verb. 24) oder dem Vater (Iambl. VP 1: TTaTr]p TijS' ecLaS' <jJLAoao<jJLaS') des Wissens oder bestimmter Erkenntnisse. Hiermit hängt zusammen, daß in den Kontexten, in denen unsere Terminologie vorkommt, regelmäßig die Altertümlichkeit der jeweiligen Personen und ihrer Lehre betont wird (Verbindungen mit dpX- / apxaL-, z.B. Dion Chrys. Or. 12,49.56 lTL Kai apxaS' / apxaLoTcpa TfjS' EllijS' TEXV7]S'; Or. 36,34 TOlS' TTavv apxaLoLS' [TToL7]TalS'J und TTaAaL-, vgl. z.B. Plotin Enn. 2,9, Kelsos bzw. Origines Contra Cels. 7,28). Die Terminologie tritt also in Kontexten auf, in denen die Perspektive rückwärts gewandt ist - eclOL aVepWTTOL gehören grundsätzlich der Vergangenheit an (vgl. auch Dion Chrys. Or. 12,56). Wo dies nicht so ist, ist entweder Sarkasmus (Dion Chrys. Or. 33,4; Lukian Philops. 32) oder maßlose (Selbst-)Überschätzung (wie dies bei Alexander von Abonuteichos der Fall war, vgl. unten Kapitel 13) im Spiel. Andererseits gelten die eclOL aVepWTTOL immer als die Besten auf ihrem jeweiligen Gebiet. So wird der jeweilige eclOS' aVepWTTOS' oft mit Hilfe von Superlativen als der beste Rhetor, Philosoph, Historiograph usw. beschrieben (z.B. Dion Chrys. Or. 12,49f. 0 8aLllovLoS' EpyaTT]S' / 0 ßEATLaToS' Kai apLaToS' T6Jv 87]IlLOVpy6Jv; Dion. Halik. Thuc. 2 0 aTTavTwv KpaTLaToS' T6Jv laTopLoypa<jJwv; vgl. Lys. 3 8aLllovuJTaToS' T6JV avyypa<jJEwv; Thuc. 55 6 aTTavTwv P7]TOPWV KpaTLaToS'; Iambl. VP 56 6 aocjxJTaToS' T6Jv aTTavTwv) oder im Vergleich mit anderen als der Bessere dargestellt (vgl. bes. Dion Halik.
11. SeInantisehe Auswertung
263
Dem. passim). Zu diesem Komplex gehört, daß der als eELOS- ävepwrrosbezeichnete Mensch im Kontext fast immer als nachahmenswertes Vorbild und als Maßstab für andere dargestellt wird, was manchmal sogar explizit formuliert wird (Dion. Halik. Thuc. 2 Kavt!Jv TfjS- laTopLKfjs- rrpaypaTELas-; Dem. 41 KpaTLaTos- PEV lYEVETO Ka vt!J v; vgl. auch Dem. 23). Hiermit hängt es ferner zusammen, daß der als ßELOS- avepwrros- bezeichnete Mensch immer berühmt ist - er ist ein bewundernswerter, wenn nicht gar der bewundernswerteste! - Vertreter seiner Zunft und verdient als solcher, augezeichnet und hervorgehoben zu werden (vgl. nur Dion Halik. Dem. 6.23.25.33; Lukian Philops 31f., Rhet. praec. 13; Iambl. VP 12.53.255). Indem man jemandem die eELOS- ävßpwrros-Terminologie beilegt, stimmt man in dieses Lob ein und steigert den Ruhm des betreffenden Weisen. Der Mensch, die mit der eELOS- avepwrros-- Terminologie bezeichnet wird, gilt entweder als derjenige, der sein Fachgebiet vollkommen beherrscht (vgl. Or. 12,56 über Pheidias) oder als Inhaber umfassenden Wissens (z.B. Iambl. VP 157ff.; Dion Chrys. Or. 1,27; 36,32ff.; 33,4: oLl rravTa El8EvaL cpaat). Hiermit hängt eng zusammen, daß er infolgedessen für die Wahrheit der jeweiligen Tradition bzw. für die Wahrheit schlechthin bürgt (Dion Chrys. Or. 12,56 ltTJYTJn]s- KaI 8L8aaKaAos- Tfjs- aATJßELaS-; Iambl. VP 161 Ta TfjS- aATJßELasf-VEKpVrrTE (u5rrvpa). Daraus wiederum folgt, daß der jeweilige ßElOSavepwrros- als der einzige (J16vos-) betrachtet wird, der den Zusammenhang der Dinge durchschaut habe (vgl. z.B. Lukian Alex. 61, ferner 25; Iambl. VP 44). Wegen dieser einzigartigen Stellung und des umfassenden Charakters seiner Erkenntnis genießt er unbedingte Autorität (Dion Chrys. Or. 11,4!; Lukian Philops. 29ff.; Rhet. praec. 13f.), so daß jedes Argument ungleich mehr Gewicht bekommt, wenn man sich auf einen solchen eELOS- avepwrros- berufen kann. Aus diesem Grunde findet sich die Terminologie vorzugsweise entweder in polemischen Kontexten - sie war eine ideale Waffe im Konflikt zwischen unterschiedlichen philosophischen, rhetorischen und religiösen Schulen und Sekten (vgl. Dion Chrys. Dem. 46; Lukian Alex. 61 vgl. 25; Plotin Enn. 2,9; 4,8) - oder in Kontexten, wo der Autor unter Legitimationsdruck steht und seinem Argument mehr Gewicht verleihen will (z.B. Dions Versuche, Homer und Hesiod für sein stoisches Gedankengut zu gewinnen, vgl. Or. 1,57ff.; 36,32ff.; AnaburaInschrift; Lysisbrief [= Iambl. VP 71ff.]).1 Diese sich in verschiedenen Kontexten wiederholenden Elemente, die wir hier zusammenfassend skizziert haben, bilden die Umrisse eines stabilen semantischen Feldes. Es hat sich gezeigt, daß diese Elemente zum Verständnis der Texte vorausgesetzt werden müssen, wenn die Terminologie völlig unver1 Hier sei auf Galens Schriften verwiesen, der oftmals seinen Argumenten mehr Gewicht verleiht, indem er sich auf den 8EL05' / 8ElOTaT05' 1 TTTToKpaT1]5' beruft, vgl. De nat. facult. 2,189,6 (Kuhn); Quod animi meres 4,798,5 (Kuhn); De causis pulsuum 9,88,12 (Kuhn); De diebus 9,775,8 (Kuhn).
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Teil 111: Semantische Analyse: eclo~ KTA. in epistemologischem Kontext
mittelt in der Literatur auftaucht (häufig in der Auseinandersetzung zwischen einander bekämpfenden Parteien) oder in ironischem Sinne verwendet wird. Sie müssen also zur Bedeutung der Terminologie gehört haben. Der griechische Muttersprachler hat sie "mitgedacht" , wenn er die Terminologie gebraucht, gelesen oder gehört hat. Diese Elemente gehören also fest zur Denotation der Terminologie und zwar in dem Sinne, daß sie den Rahmen für den Gebrauch der Terminologie abstecken. In ihnen reflektieren sich die Bedingungen, die bestimmen, in welchem linguistischen Kontext oder in welcher Situation die (JELO~ a//(JpUJ7To~-Terminologie anwendbar war. Die Analyse hat eindeutig gezeigt, daß die ßElOS" avßpwTToS"- Terminologie in der Literatur der Kaiserzeit keineswegs als fester Terminus benutzt wurde, um die Menschen, auf die sie referiert, als Gottmenschen oder Gottessöhne zu qualifizieren. 2 Dies läßt sich aus den Texten schlechterdings nicht ableiten, denn meistens wird die Terminologie gar nicht in einem religiösen Kontext verwendet. Ist dies gelegentlich doch einmal der Fall, dann spricht der gesamte religiöse Kontext gerade gegen eine Vergöttlichungsvorstellung (z.B. Epikur bei Lukian; Pythagoras bei Iamblich). Dort, wo Vergöttlichung und religiöse Verehrung nachweislich vorhanden sind, fehlt die ßElOS" avßpwTToS"- Terminologie hingegen vollständig (vgl. die alten Schamanentraditionen in der Pythagorasüberlieferung; Verehrung Epikurs im Kepos). Auch wenn der ßElOS" dvrjp-Hypothese ihre religiöse Spitze der Vergöttlichung eines Menschen geno~men wird und die Terminologie "nur" noch als Bezeichnung für Wundertäter oder offensive Charismatiker betrachtet werden soll, kann sie sich nicht auf den Gebrauch der ßElOS" avßpwTToS"- Terminologie berufen, weil diese in der Antike keineswegs regelmäßig als Bezeichnung für solche Figuren verwendet wird - dort aber, wo es deutliche Anhaltspunkte für solche Wundertraditionen gibt, fehlt die Terminologie auffälligerweise (vgl. z.B. die gesamte pythagoreische Wundertradition; Peregrinos Proteus bei Lukian). Insbesondere die These, ßElOS" dvf}p bzw. ßElOS" avßpwTToS" gehöre zusammen mit Begriffen wie Y07]S", fldyoS" und ßavflaTovpy0S" zu demselben Wortfeld, wurde von der hier vorgenommenen Analyse nicht bestätigt. 3 Das heißt natürlich nicht, daß die jeweiligen Archegeten bzw. Garanten bestimmter Wissenstraditionen, denen die ßElOS" avßpwTToS"- Terminologie beigelegt wird, nicht unter gewissen Bedingungen einem religiösen Kontext zugeordnet wurden. Eine solch explizite Zuordnung zu einer bestimmten religiösen Vorstellung ist bei Dion von Prusa vorhanden: Er verbindet die Funktion der 2 Dies dürfte nur in Lukian Cyn. 13 der Fall sein, wo von Herakles gesagt wird, daß er zu Recht für einen eElOS- dVr7P gehalten wird: TCiv TTavTCiv dVepWTTUJV aplaTov eElOV 8E av8pa Kai eEOV opeCis- VO/1laetvTa. Diese Aussage ist nicht auf dem Hintergrund einer allgemeinen Gottmenschlehre der Antike zu verstehen, sondern auf dem spezifischen Hintergrund der Heraklesmythologie. 3 Vgl. Smith, Jesus, S. 124-126; Jones, Concept, S. 189-191; ähnlich Speyer, Numinoser Mensch, S. 134.140f.
11. Semantische Auswertung
265
alten Dichter als Archegeten stoischer Lehre, d.h. ihre Bezeichnung als ßELOL, explizit mit der Vorstellung der Inspiration durch die Musen (Dion Chrys. Or. 1,56ff.; 36,32ff.). Daß aber auch die Vorstellung der Inspiration nicht fest zur Bedeutung der ßELO:; avßpwTTo:;- Terminologie gehört, zeigt schon die weitere Verwendung durch Dion selbst. An anderen Stellen liegt sie nämlich nicht explizit vor und kann auch nicht dort eingetragen werden, ohne den jeweiligen Kontext zu sprengen. 4 Auch Epikur, Archeget und Garant der Wahrheit der epikureischen Lehre, wurde im Kepos einer Theologie zugeordnet und in einem Gedächtniskult verehrt. 5 Ein weiteres Beispiel dafür, daß der Archeget einer Tradition bestimmten religiösen Vorstellungen zugeordnet werden kann, ist das Pythgagorasbild des Iamblich: Pythagoras wird auf dem Hintergrund einer bestimmten Interpretation des Jenseitsmythos in Platons Phaidros der durchaus religiösen Weltanschauung des Neuplatonismus zugeordnet. 6 Daß die Referenten eines sprachlichen Ausdrucks gelegentlich einem religiösen Kontext zugeordnet werden, impliziert jedoch nicht, daß man den gesamten Kontext in die Bedeutung des Ausdrucks eintragen und gar als wesentlichen Aspekt der Bedeutung betrachten dürfte. Nur das, was nachweislich regelmäßig zum semantischen Umfeld eines Begriffes gehört, darf zu seiner Denotation gerechnet werden. Gerade dieses regelmäßige Vorkommen religiöser Elemente fehlt den Kontexten, in denen die ßELO:; avßpwTTo:;- Terminologie auftritt.
11.2 Das Wortfeld bzw. die Sinnbeziehungen Die Tatsache, daß die Denotation der ßELO:; avßpwTTo:;- Terminologie die Referenz der jeweiligen Nominalphrasen auf einen ganz bestimmten Kreis weiser Männer eingeschränkt hat, hat direkte Implikationen für die Ebene der Sinnbeziehungen. So ergibt sich aus diesen Beobachtungen, daß die ßELO:; avßpwTTo:;Terminologie auf dieser Ebene mit dem Ausdruck o'Ocpo:; avßpwTTo:; einem Wortfeld angehört. Darauf deutet schon die Tatsache, daß die Termini öfters in denselben Kontexten auftreten und sich auf dieselben Referenten beziehen (vgl. z.B. Dion. Halik. Dem. 25-28.; Dion Chrys. Or. 11,4; 12,49; Lukian Alex. 4, Philops. 31f.; Origines Contra Cels. 7,41.58). Diese semantische Nähe dürfte der Kategorie der Sinnrelationen, d.h. den paradigmatischen Substitutionsrelationen zuzuordnen sein: Es handelt sich um sinnverwandte Ausdrücke. Offenbar sind die Begriffe nicht einfach bedeutungsgleich, wie schon die Überlegungen hier oben gezeigt haben. Die Denotation der ßELO:; avßpwTTo:;- Terminologie engt die Referenz der jeweiligen Ausdrücke auf einen bestimmten Typus des 4 5 6
V gl. Kap. 6.1. V gl. Kap. 8.1.1. V gl. Kap. 10.1.
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Teil 111: Semantische Analyse: ecfo~ KTA. in epistemologischem Kontext
UOcpoS" aVepUJTTOS" ein. Daraus folgt, daß die Begriffe in einer hyponymischen bzw. hyperonymischen Beziehung zueinander stehen - und zwar so, daß eELOS" aVepUJTTOS" KTA. Hyponyme von uocpoS" avßpUJTToS" sind. Die Bedeutung der eELOS" aVepUJTTOS"- Terminologie beinhaltet also eine syntagmatische Modifikation des übergeordneten Ausdrucks uocpoS" avßpUJTToS". Diese Modifikation wird in den Texten gelegentlich dadurch reflektiert, daß der eELOS" aVepUJTTOS" als uocpwTaToS" (aVepUJTTOS") umschrieben wird (vgl. z.B. Iambl. VP 12.56). Auf der
Ebene der Sinnbeziehungen ist die Terminologie folglich eine semantische Engführung von uocpoS" (aVepUJTTOS"), also ein Hyponym dieses Ausdrucks, so daß sie eine Bezeichnung für den Allerweisesten bzw. für jenen Menschen, der in seiner Weisheit im besonderem Sinne vortrefflich bzw. bewundernswert ist. Diese Beobachtung wird ferner bestätigt durch Ausdrücke wie dV7}p 8alf.16vloS" T7}V uocptav (Lukian Philops. 32, vgl. auch Lukian Men. 6) und dV7}p T7}V YVWf.17Jv eEUTTEUlOS" (Lukian Alex. 4), in denen der im Kontext als uocpoS" dvrjp bezeichnete Mensch als besonders vortrefflich im Hinblick auf seine Weisheit bzw. seine Erkenntnis ausgezeichnet wird, also ein besonders vortrefflicher uocpoS" aVepUJTTOS" ist. Bisher haben wir diese Beobachtungen als Indizien dafür gewertet, daß Ausdrücke wie eEL oS" aVepUJTTOS" KTA. phrasale Lexeme seien, die als lexikalische Einheiten fungiert haben. Ausdrücke wie die gerade eben zitierten (Lukian Alex. 4; Philops. 32) zeigen jedoch, daß diese Hypothese der Korrektur bedarf, denn die dort verwendeten Adjektive haben eindeutig ihre Funktion als Qualitätsadjektive innerhalb der jeweiligen syntagmatischen Verbindung beibehalten (vgl. auch den Gebrauch mit einem.accusativus respectus in Dion. Halik. Dem. 23; Lukian Alex. 4; Philops. 32; Men. 6 uocpoS" dV7}p KaL eEUTTEUlOS" T7}V TEXV7]V). Darauf deuten auch gelegentlich auftretende direkte Parallelen hin, wie z.B. 6 8alf.16vloS" lpyaT7]S" / 6 ßEATlUTOS" KaL apluToS" T(JV 87Jf.1l0Vpy(Jv (Dion Chrys. Or. 12,49f.) und 6 8alf.10VlWTaToS" T(JV lUTopoypacpUJv / 6 aTTavTUJv KpaTluToS" T(JV lUToploypacpUJv (Dion. Halik. Lys. 3 / Thuc. 2).7 Ferner weisen die in der eELOS" aVepUJTTOS"- Terminologie auftretenden Adjektive Steigerungsformen auf (vgl. z.B. Dion. Halik. Lys. 3; Dem. 23; Iambl. VP 12) und werden gelegentlich in der prädikativen Satzstellung verwendet (z.B. Epiktet Ench. 15; Anabura-Inschrift; Iambl. VP 12.53.255). Dies alles deutet darauf hin, daß die Adjektive eELOS", 8alf.16vloS" und ßEUTTEUlOS", wenn sie in Nominalphrasen mit menschlichen Referenten auftreten, ihre Funktion alles Qualitätsadjektive im Sinne von "bewundernswert", "erstaunlich" bzw. "vortrefflich" beibehalten. Die Tatsache, daß sie trotzdem die hier oben skizzierte beschränkte 7 V gl. z.B. auch die hier oben in Kap. 4 angeführten Texte, in denen die semantische Nähe von 8aLflovLoS' zu anderen Qualitätsadjektiven in Ausdrücken wie TrJALKof)TOS' dvrjp (Dion Halik. Dem. 6), ETTLcpavEaTaToS' TWV cpLAoaocpwv (Dion Halik. Ep. ad Pomp. 1) und ()avflcr auJTaToL äv8pES' (Dion Halik. Dem. 32) zutage treten. V gl. ferner auch die Nähe der Adjektive zu ()avflaaToS' in Lukian Pro lapsu 4f. und Philops. 32.
11. Semantische Auswertung
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Referenz aufweisen und ferner nur in den beschriebenen epistemologischen Kontexten auftreten, läßt sich nur durch die Annahme erklären, daß in der Denotation der Adjektive selbst die erforderlichen Bedingungen vorlagen, die zu einem solchen restriktiven Gebrauch führen konnten. Es gehörte also zur Bedeutung der Qualitätsadjektive ßclOS', 8aLJ16vLoS' und ßc(J"TTE(J"LOS', daß sie eigentlich nur auf Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition angewandt werden dürfen. Wenn eins der Adjektive einem Nomen beigelegt wird, das auf einen Menschen referiert, der offensichtlich nicht zu diesem Personenkreis gehört, liegt also ein Verstoß gegen die Sprachregel vor. Dies läßt sich in zweierlei Weise deuten. Zum einen kann die Terminologie wie in Dion Chrys. 33,4 und Lukian Philops. 32; Rhet. praec. 13 ironisch verwendet sein. Zum anderen kann es so gedeutet werden, daß das Adjektiv der jeweiligen Person beigelegt wird, weil sie aus irgendeinem Grund jener nur für wenige Menschen reservierten Bezeichnung des Lobes würdig ist. Dies geschieht dann ohne die Implikation, daß die Person selbst zum Kreis der Archegeten und Garanten des Wissens gehört. Ein solcher Fall liegt m.E. in Lukian Men. 6 vor: Menipp - gerade von einer Unterweltsreise zurückgekehrt - erzählt einem Freund, daß er, nachdem er von den Philosophen hoffnungslos enttäuscht war, sich entschieden hatte, Teiresias in der Unterwelt um Rat zu bitten, wie man das gute Leben (0 äpLaT05' ß{05') erreichen könne. Weil die persischen Magoi fähig seien, die Tore des Hades zu öffnen, habe er sich unter ihnen einen Führer besorgt, der ihn dann auch tatsächlich in den Hades führte. Von diesem Chaldäer Mithrobarzanes heißt es, er sei ein aoq)()5' dvr}p Kai 8EaTTEaL05' TTJV TEXVf]V. Der Akkusativ der näheren Bestimmung (T7}v TEXV1JV) zeigt schon, daß es sich hier wahrscheinlich um ein Qualitätsadjektiv handelt. Das Adjektiv 8EaTTEaL05' wird hier also in der Bedeutung "hervorragend", "ausgezeichnet", "wunderbar" benutzt - vgl. Harmons Übersetzung (LCL): "a wise man of miraculous skilI" . Obwohl der Kontext eindeutig epistemologischer Art ist, ist es sehr unwahrscheinlich, daß Menipp seinen Begleiter in Zusammenhang mit den anderen Archegeten der Erkenntnis bringen will. Er zollt ihm nur höchstes Lob für seine Weisheit und Kunstfertigkeit, indem er ihm als 8EaTTEaL05' auszeichnet, was man sonst nur bei jenen großartigen Philosophen und Dichtern der Vergangenheit tut.
Die Tatsache, daß die Adjektive ßclOS', 8aLJ1oVLoS' und ßc(J"TTE(J"LOS' ihre Funktion als Qualitätsadjektive beibehalten, wenn sie in Nominalphrasen mit menschlichen Referenten auftreten, nötigt uns, unsere bisherige Arbeitshypothese, nämlich daß uns in der ßclOS' avßpwTToS'- Terminologie phrasale Lexeme begegnen, einer Korrektur zu unterziehen: Die begrenzte Referenz der ßclOS' avßpwTToS'Terminologie bzw. ihre Beschränkung auf den hier beobachteten epistemologischen Kontext läßt sich - wenn die Adjektive ihre Funktion als Qualitätsadjektive beibehalten - nur dadurch erklären, daß die Regeln, die eine solche Verwendung regulierten, in der Denotation der Adjektive selbst vorhanden waren;8 die Vorstellung vom Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition war in 8 Vgl. hier oben Kap. 2: Die Denotation beschränkt die Referenz bzw. die Anwendbarkeit eines Lexems innerhalb referierender Ausdrücke.
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Teil 111: Semantische Analyse: eElo~ KTA. in epistemologischem Kontext
der Bedeutung der Adjektive integriert. 9 Daß die Bedeutung der Qualitätsadjektive eELOS", 8aLf.16vLoS" und eEaTTE(J"LoS" in dieser Weise institutionalisiert war, zeigen jene Aussagen, die davon reden, daß jemand als eELOS" (avf]p / aVepUJTTOS") bekannt war oder so genannt wurde (Philodem, IJEpi eE[JV, Fragment 10: ol eELOL KaAovf.1EvOL; Iambl. VP 53.255: KaAELv aVTov eELOV; vgl. auch Epiktet Ench. 15). Die Adjektive ßELOS", 8aLf.16vLoS" und eEaTTEaLoS" hatten also gewissermaßen titulare Funktion: Durch sie werden die jeweiligen Referenten als "vortrefflich" oder "bewundernswert" im Hinblick auf ihre Weisheit bzw. Fähigkeit ausgezeichnet und zugleich der Vorstellung des Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition bzw. Kunstfertigkeit zugeordnet. Eine Begriffsgeschichte der fJEloS' ävfJPUJTTOS'- Terminologie ist in dieser Studie nicht angestrebt worden. Trotzdem wollen wir an dieser Stelle einige Anmerkungen zu der diachronen Fragestellung machen und damit einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des titularen Gebrauchs der Terminologie werfen. Die Terminologie bezieht sich an den frühesten erhaltenen Belegstellen 10 ausnahmslos auf Dichter. Dabei sind zwei Muster zu erkennen: Einerseits wird dem jeweiligen Dichter das Adjektiv fJEloS' als relationelles Klassenadjektiv beigelegt, um damit der Beziehung zwischen dem Dichter und den Göttern bzw. Musen Ausdruck zu verleihen. So bezeichnet Bakchylides sich selbst als Movaav YE lOßAEq)(ZPUJV fJElOS' TTPOcjJaTaS' (Epinicia 9,3) - es handelt sich zweifelsohne um ein relationelIes Klassenadjektiv: "ein von den Musen inspirierter Prophet". Daß auch Platon fJEloS' in diesem Sinne als relationelles Klassenadjektiv (subjektiver Art) verwenden kann, geht eindeutig aus Platons Ion hervor. Dort argumentiert Sokrates, daß keiner der Dichter und Rhapsoden bei vernünftigem Bewußtsein dichtet bzw. rezitiert (vgl. bes. 533e-534a, dort vor allem das Magnetgleichnis 533e; 536cd), sondern daß sie dies unter Verzicht auf die Vernunft unter Begeisterung und Bessenheit durch die Musen tun: "die Dichter sind nichts als Dolmetscher der Götter" (01 8E TTOlT]Tal OV8EV dM' fj EPflT]vfjS' Elalv TWV fJEWV), die Rhapsoden "Dolmetscher der Dichter" (VflElS' av 01 pa lj;4J80l Ta TWV TTOlT]TWV EpflT]VEVETE) (535a). Am Ende des Dialogs (541e-542b) zwingt Sokrates Ion, dazwischen zu wählen, ob er behaupten will, er preise Homer durch Kunstfertigkeit und Wissen (TEXVTJ Kal ETTlaTr7flTJ) - dann tue er jedoch Sokrates unrecht (ä8lKOS' El), weil er ihm die Beschaffenheit dieses Könnens nicht erklären will- oder ob er zugeben will, er preise den Dichter ohne Kunstfertigkeit (flT] TEXVlKOS' El) durch göttliche Schickung (fJE[q. flO[Pq.): 11 Sokr.: ... So wähle nun, wofür du lieber von uns willst gehalten sein, für einen unrechtlichen Mann oder für einen göttlichen (ä8lKOS' dVT]p Elval ij fJEloS').
9 Es handelt sich hier also um ein klassisches Beispiel des semantischen Phänomens der Versteinerung: Durch überwiegenden Gebrauch in den hier beschriebenen epistemologischen Kontexten wurde die Verwendung der Qualitätsadjektive fJEloS', 8alfl6vloS' und fJEaTTEaloS' auf diese Kontexte eingeengt, so daß auch die Denotation der Adjektive sich allmählich änderten. Infolgedessen wurden die regelmäßig vorhandenen Eigenschaften der Referenten der betreffenden Syntagmen in die Denotation der drei Lexeme aufgenommen. 101m folgenden beziehe ich mich nur noch auf jene TextsteIlen, die nicht schon im Schlußteil von Kap. 3 (= Teil II) berücksichtigt worden sind. 11 Die folgenden Übersetzungen der Platontexte sind Schleiermachers Übersetzung entnommen.
11. Semantische Auswertung
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Ion: Ein großer Unterschied ist das, Sokrates! Denn weit schöner ist es, für einen göttlichen gehalten zu werden (eElOV vO/l{(EaBa). Sokr.: Dieses Schönere also, 0 Ion, trägst du von unsertwegen davon, ein göttlicher zu sein (eElOV ELval), nicht aber ein kunstmäßiger Verherrlicher des Homeros (Jl:!) TEXVlKOV TTEpl V/lr]pov ETTalVE77]v).
Hier fungiert das Adjektiv eindeutig als relationelIes Klassenadjektiv im Sinne von "durch die Gottheit (z.B. die Musen) inspiriert". Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Gebrauch von eElOS" vorliegt, wenn Sokrates im Menon 81ab die Lehre von der Wiedererinnerung auf Pindaros und" viele andere Dichter, welche eElOl seien" zurückführt: Sokr.: ... Denn ich habe es von Männern und Frauen, die in göttlichen Dingen gar weise waren (uoepwv TTEpl Ta eEla TTpaY/laTa) . ... Menon: ... Und wer waren die, die es sagten? Sokr.: Die es sagen, sind Priester und Priesterinnen, so viele es deren gibt, denen daran gelegen ist, von dem, was sie verwalten, Rechenschaft geben zu können. Es sagt es auch Pindaros, und viel andere Dichter, die eElOl sind. Der Kontext legt nahe, daß eElOS" hier als relationelles Klassenadjektiv zu deuten ist: Es handelt sich um Dichter, welche nicht nur in menschlichen, sondern auch in göttlichen Dingen Bescheid wissen. Dies dürfte ebenfalls der Fall sein, wenn Sokrates in Politeia 331e die Autorität des Simonides in der Frage nach der Beschaffenheit der Gerechtigkeit damit begründet, er sei ein aoepoS" Kal eElOS" dVr]p: Sokrates bezeichnet ihn damit als weisen und von den Göttern inspirierten Mann. Andererseits gibt es Stellen, aus denen hervorgeht, daß man dem jeweiligen Dichter die Adjektive eElOS" KTA. als Qualitätsadjektive beilegte, um damit seine hervorragende und bewundernswerte Fähigkeit bzw . Weisheit auszuzeichnen und anzupreisen. Wenn Sokrates in Ion 530b Homer als äPlUTOS" Kal eEloTaToS" TWV TTOl77TWV bezeichnet, legt der unmittelbare Kontext nahe, daß eElOS" hier (trotz der Nähe zu Ion 541e-542b) als Qualitätsadjektiv auftritt: Sokr.: Wahrlich, oft habe ich schon euch Rhapsoden beneidet um eure Kunst. Denn ... daß ihr in der Notwendigkeit seid, mit vielen andern guten Dichtern euch zu beschäftigen, besonders aber mit Homeros, dem besten und eEloTaToS" der Dichter (äplaToS" Kal eEloTaToS" TWV TTOl77TWV), ... ist beneidenswert. Daß Homer hier als der beste und bei weitem vortrefflichste aller Dichter ausgezeichnet wird, geht ferner aus dem Fortgang des Dialogs hervor. Zunächst geht es nämlich darum, daß Homer besser gedichtet hat als alle anderen Dichter (531d-532a): Ion: Sie haben aber doch gar nicht so gedichtet wie Homeros. Sokr.: Wie denn? Schlechter (KaKlov)? Ion: Bei weitem. Sokr.: Und Homeros besser (ä/lElVOV)? Ion: Besser, jawohl, beim Zeus .... Sokr.: Nun behauptest du doch, daß Homeros und die anderen Dichter, unter denen ja auch Hesiodos und Archilochos sind, über dieselben Gegenstände sprechen; aber nicht auf gleiche Art, sondern jener (sc. Homeros) gut, diese aber schlechter (dMa TOV /lEV EU YE, TOUS" 8E XElpOV)?
Das Adjektiv eEloTaToS" tritt in Ion 530b also als Qualitätsadjektiv auf und nicht als Klassenadjektiv. Diese Deutung wird schon durch die Tatsache nahegelegt, daß hier ein Superla-
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Teil 111: Semantische Analyse: 8EloS' KTA. in epistemologischem Kontext
tiv vorliegt. 12 Auch in Aristoteles' Poetica 1459 a 30 scheint das Adjektiv fJEaTTEaLoS' als Qualitätsadjektiv aufzutreten. An dieser Stelle lobt Aristoteles Homer dafür, daß er sich in seinen Epen im Gegensatz zu meisten anderen Dichtern auf eine einzige geschlossene Handlung beschränkt: Darum, wie wir schon gesagt haben, erscheint Homer auch darin fJEaTTEaLoS' im Vergleich zu den anderen (Kal TavTV fJEaTTEaLoS' av rpaLvE{V (/OjiTJP0S' TTapa TOUS' aMovS'), weil er nicht den ganzen Krieg ... hat dichten wollen. Aristoteles verweist hier auf Poetica 1451 a 16ff., wo er dasselbe Thema anspricht und auffälligerweise ebenfalls Homers Superiorität unterstreicht (24f.): Homer hat, wie er ja auch in anderen Fragen hervorragt (8LarpEpEL), auch dies gut gesehen, sei es durch Kunstfertigkeit oder durch Veranlagung. Da Aristoteles nirgendwo in seiner Ars Poetica auf das Inspiriertsein des Dichters anspielt, Homer jedoch vielfach als den besten Dichter überhaupt auszeichnet, l3 versteht man wohl fJEaTTEaLoS' hier als Qualitätsadjektiv: Im Vergleich zu den anderen Dichtern war Homer eben "besonders vortrefflich" bzw. "hervorragend". Es ist auffällig, daß sowohl Platon als auch Aristoteles Homer das Adjektiv fJELOS' bzw. fJEaTTEaLoS' in Kontexten beilegen, wo seine Superiorität gegenüber anderen Dichtern hervorgehoben wird. Damit stimmen sie in die allgemeine Bewunderung ein, die man in der Antike besonders Homer und Hesiod entgegengebracht hat. Die Adjektive fJELOS' KTA. reflektieren eben jene ganz besondere Hochachtung, die der Grieche nur für den Allerbesten hegen konnte; durch ihre Verwendung konnte er jemandem das höchste Lob zollen. Eindrucksvoll formuliert das Certamen Homeri et Hesiodi gleich in den ersten Worten mit Hilfe des Adjektivs fJELOS' sein Thema: (/OjiTJPOV Kal lIa{o8ov TOUS' fJELoTaTovS' TToLTJTaS' TTdvTES' avfJpwTToL TTOA{ TaS' lB{ovS' EvxovTaL AEYEafJaL. Es geht in der Schrift um Homer und Hesiod, die hervorragendsten und vortrefflichsten Dichter Griechenlands. 14 Im Zuge der weitverbreiteten Homerbewunderung unter den Griechen wurde fJELOS' zu einem stehenden Epitheton für Homer. Schon in Aristophanes' Ranae 1034 wirkt die Verwendung von fJELOS' (/OjiTJP0S' wie eine traditionelle Floskel. 15 Es läßt sich nur noch indirekt der Überlieferung entnehmen, wie verbreitet das fast formelhafte Syntagma fJELOS' r'OjiTJP0S' im Hellenismus und der frühen Kaiserzeit war. 16 In der Anthologia Graeca begegnet es viel-
12 Auch in der hier oben bereits behandelten Stelle Politeia 331e, wo die Autorität des Simonides damit begründet wird, er sei ein aorpoS' Kal fJELOS' dvr,p, ist es grundsätzlich auch möglich, fJELOS' als Qualitäsadjektiv zu lesen, denn es geht keineswegs eindeutig aus dem Kontext hervor, daß fJELOS' als Klassenadjektiv zu verstehen ist. Dann begründet Sokrates die besondere Beachtung, die man der Ansicht des Simonides schenken soll, damit, daß Simonides ein weiser und vortrefflicher Mann ist, d.h. ein in Weisheit hervorragender Mann. l3 Vgl. Poetica 1448 b 34ff.; 1459 b 10ff.; 1460 a 5. 14 Zur Entstehung und Datierung des Certamen vgl. die Studie von Konrad Heldmann, Die Niederlage Homers im Dichterwettstreit mit Hesiod (Hypomn. 75), Göttingen 1982. 15 Im Zuge einer Aufzählung seiner Dichterlehrmeister nennt Aischylos neben Musaios, Orpheus und Hesiod auch den fJELOS' r'OjiTJP0S'. 16 Vgl. z.B. Athenaios Deipn. 2,13; 5,1; 13,7. Ferner sei auf ein Grabepigramm in der aus der Kaiserzeit stammenden Herodotschen Homervita 515f. verwiesen, das in fast allen anderen Homerviten im kaiserzeitlichen Certarnen Homeri et Hesiodi (337f.) wiederholt wird.
11. Semantische Auswertung
271
fach,17 mehrfach in dem Certan'len Homeri et Hesiodi. 18 Wie fest das Adjektiv ßElOS- mit der Person Homers verbunden war, geht besonders deutlich aus Vita Hesiodi 36ff. hervor. Dort reicht der Ausdruck Ta ETT7] ToD ßELOV EKELIIOV dIl8p6s-, um Homer eindeutig zu identifizieren und von den vielen anderen Homeren zu unterschieden. In Athenaios Deipn. 5,9.10 genügt ein Verweis auf den ßElOS dOl86s-, um zweifelsfrei deutlich zu machen, daß es sich um Homer handelt! Spätestens im Hellenismus gewann Homer den unbestrittenen Ruf, der beste und weiseste Dichter aller Zeiten gewesen zu sein. 19 Der Ausdruck ßElOS- tl0fJ:rypos- bzw. ßElOS- dVr]p (vgl. das Ta ETT7] ToD ßELOV EKELIIOV d1l8p6s- in Vita Hesiodi 36f.) wurde infolgedessen zu einem Synonym für vollkommene Dichtung und allesumfassende Weisheit. Diesen engen Zusammenhang illustriert das (in hellenistischer Zeit entstandene?) Siegesepigramm von Hesiod, der sich dort seines Sieges über den ßElOS- tl0f17JP0s- und damit über den Dichter schlechthin rühmt. 20 Der Ausdruck ßElOS- f'0f17Jp0S- war ausreichend, um die gesamte Reichweite eines solchen Sieges zu verdeutlichen, denn der ßElOS- tl0f17JP0S- war eben der allerbeste und allerweiseste aller Dichter. Man kann also anhand der Verwendung der Adjektive ßElOS- KTA. für Homer beobachten, wie ein Institutionalisierungsprozeß ablief: Zunächst hat man Homer ßElOS- KTA. als Prädikat beigelegt, mit der Zeit jedoch hat sich ßElOS- zu einem stehendem Eponym Homers entwickelt, so daß das Syntagma den Griechischsprechenden als gebrauchsfertige lexikalische Einheit zur Verfügung stand, mit der man sich auf Homer als den größten und weisesten aller Dichter beziehen konnte. Während des Hellenismus muß das Adjektiv ßElOS- in Analogie zu der Bezeichnung für Homer als dem vortrefflichsten Dichter auf andere Personen, insbesondere auf alte, ehrwürdige Philosophen, übertragen worden sein. Wir konnten in unserer Analyse noch Spuren davon in der kynischen Tradition erblicken, die schon auf das dritte vorchristliche J ahrhundert hinweisen: In einem von Theodoridas verfaßten Epigramm wird Heraklit als ßElOS- KVUJII bezeichnet. 21 Gegebenenfalls zeigt eine von Plutarch überlieferte Inschrift, daß auch die Stoa etwa zu dieser Zeit die Terminologie auf Chrysipp übertragen hat. 22 Auch die Übertragung auf Platon muß relativ früh stattgefunden haben, wie ein von Diogenes Laertios (3,43) überliefertes Grabepigramm andeuten dürfte. 23 Dies gewinnt weitere Plausibilität, wenn man das
Vgl. z.B. AG 2,1,321; 7,2b,4; 7,7,1; 7,53,2; 7,159,3; 9, 204,3; 9,455,1; 11,57,6; 16,217,2; 16,295,1; 320,3. Diese Epigramme, in denen auf den ßElOS tl0f17JP0S- verwiesen wird, sind unterschiedlichen Alters. 18 Certarnen 213.309. 19 Vgl. das Urteil Heldmanns, Niederlage Homers, S. 14f.: "Homer ist nach dem Urteil der ganzen griechisch-römischen Antike der unvergleichbare Dichter schlechthin. Zwar geben seine Bewunderer zu, daß auch Homer wohl mal einmal 'geschlafen' habe, und gegen Einzelkritik ist auch er nicht gefeit. In der relativen Bewertung der alten Dichter wird ihm jedoch so fraglos und einmütig der erste Rang zuerkannt, daß sich die Belege dafür erübrigen". 20 Cert. 213f.; AG 7,52; Dion Chrys. Or. 2,11. Das Epigramm lautet: 1falo8os- MovaalS17
bAlKUJIILal T6118 dIlEß7JKEIII Vf1114J IIlKr]aas- Eil Xa}..KL8l ßElOII tl0f17JPOII.
21 AG 7,79, vgl. Kap. 5.2.3. 22 Plutarch De stoic. rep. 20033 E), vgl. Kap. 7.3.5. 23 "In Besonnenheit und gerechter Gesinnung I den Menschen überragend, I Liegt hier der ßElOS- 'AplaTOKAE7JS-. I Wenn irgendjemand jemals großes Lob für Weisheit erntete, I dann hatte er es vollkommen, ja Neid gesellte ihm nicht". Die Tatsache, daß Platon hier mit seinem eigentlichen Namen Aristokles bezeichnet wird, könnte auf einen Ursprung im vertrauten Kreise der Akademie hindeuten.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS KTA.
in epistemologischem Kontext
hier oben analysierte Fragment 56 des Panaitios von Rhodos heranzieht,24 denn dort heißt es, daß Panaitios Platon immer wieder die Epitheta 8ElOS- / 8EaTTEalos- / 8all1ovlOS- beilegte. Dies beweist wiederum, daß die 8ElOS- äv8pWTTOS-- Terminologie schon im zweiten vorchristlichen Jahrhundert vollständig in dem titularen Sinn, wie wir es hier beschrieben haben, für Platon in Gebrauch war. Ferner zeigt das hier oben herangezogene Fragment Philodems (Fr. 10), daß Epikureer sich im zweiten vorchristlichen Jahrhundert in der Polemik gegen andere Schulen der 8ElOS- äv8pWTTos-- Terminologie bedient haben. 25 Damit steht auch der kulturgeschichtliche Ort der Entstehung dieses Sprachgebrauches fest: Er entstand aus jener Rückwendung zu früheren Zeiten, die während des Hellenismus einsetzte. Man besann sich zurück auf die glorreiche Vergangenheit und blickte zurück auf jene großen Philosophen der Vergangenheit wie Pythagoras, Heraklit, Platon usw., um sich an ihnen zu orientieren. Diese im späten Hellenismus entstandene Bewegung verstärkte sich mit der Zeit erheblich und setzte sich bis in die Kaiserzeit fort. Von daher wird es verständlich, daß die 8ElOS- äv8pWTTos-Terminologie gerade in den ersten drei christlichen Jahrhunderten gehäuft auftritt.
Bevor wir nun dazu übergehen, den Gebrauch der ßElO:; aVepUJTTO:;- Terminologie in bezug auf Apollonios von Tyana, Alexander von Abonuteichos und Mose auf dem Hintergrund der bisher erzielten Ergebnisse zu untersuchen, fassen wir diese Ergebnisse der in Teil 11 und 111 durchgeführten Analysen noch einmal zusammen. Der Gebrauch der Adjektive eELO:;, 8aLj16vLo:; und ßE(J'TTE(J'LO:; in kaiserzeitlichen Texten zeigt, daß die diese Adjektive in höchstem Maße polysem sind. Die Lexeme gehören jeweils drei unterschiedlichen Wortfeldern bzw. semantischen Feldern an. Erstens gehören sie mit zusammen mit stammverwandten (ßE6:;, 8aLj1UJv) und anderen Lexemen (z.B. komplementären Antonymen: avßpwTTELO:; / -LVO:;) einem semantischen Feld an. Als Teil dieses Feldes sind sie Klassenadjektive und üben zwei semantische Funktionen aus: Die Adjektive treten entweder als adskriptive oder als relationelle Klassenadjektive auf. Als adskriptive Klassenadjektive ordnen sie den Referenten des betreffenden Nomens der Klasse der göttlichen Wesen bzw. Götter ZU. 26 Da dies im Falle menschlicher Referenten einer (zumindest zeitweiligen) Modifikation des Sprachsystems oder der Alltagsmetaphysik gleichkommt, setzt dieser Gebrauch eine gesellschaftliche Vorstellung bzw. eine "Theologie" voraus, die eine solche Modifikation erklärt. Die Anal yse hat gezeigt, daß solches keinesfalls auf dem Hintergrund einer allgemein verbreiteten, festumrissenen hellenistisch-römischen Gottmenschvorstellung geschieht, sondern daß vielmehr je nach Fall ganz bestimmte religiöse Vorstellungen wirksam sind, die es ermöglichen, den jenen zusammengesetzten
24 Vgl. Kap. 7.3.4. 25 Vgl. Kap. 7.3.3. 26 Vgl. Lukian Cyn. 13; Icaromen. 2 und dazu Kap. 8.1. Gegebenenfalls ist auch Diog. Laert. 8,41 = Hermippos Fr. 20 (dazu Kap. 9.1.1) hier zu nennen.
11. Semantische Auswertung
273
Ausdrücken inhärenten Widerspruch (göttlicher Mensch = Mensch, der ein göttliches, d.h. kein menschliches Wesen ist) aufzulösen. 27 Als relationelle Klassenadjektive ordnen die Adjektive zwei Klassen bzw. Elemente zweier Klassen einander zu und beziehen sie in einer von dem (außersprachlichen) Kontext bedingten Relation auf einander. 28 Auch dieser Gebrauch setzt jeweils eine gesellschaftliche Vorstellung voraus, die die Art der Relation zwischen der göttlichen und der menschlichen Partei spezifiziert. 29 Zweitens treten die Adjektive ßcLOS-, 8allloVlOS- oder {Jc(]'TTE(],lOS- in der kaiserzeitlichen Literatur als Qualitätsadjektive auf, die einem Wortfeld mit anderen Qualitätsadjektiven wie dßcos- / dv6(],lOS- / d(]'cßrJs- / 8V(]'(]'EßrfS(Antonymie) oder O(],lOS- / cv(]'cßrJs- / ßco(]'cß1s- (Synonymie) angehören. Die Lexeme {JcLOS- KTA. sind Steigerungsformen dieser Lexeme (z.B. "zutiefst fromm" / "überaus gottgefällig" / "sittlich hochstehend"). In dieser Bedeutung ist die {JELOS- avßpwTTos-- Terminologie also eine Kategorie der antiken Ethik. Drittens treten die Adjektive {JcL os-, 8allloVlOS- oder ßcUTTEUlOS- in der kaiserzeitlichen Literatur als Qualitätsadjektive auf, die mit anderen lobenden Qualitätsadjektiven wie z.B. ßavllauTos- und ETTupavr}S- einem Wortfeld angehören und ferner mit Superlativen wie ßEATlUTOS-, apluTos- und KpaTluTos- sinnverwandt sind. Entscheidend für die Bedeutung in diesem Sinne ist jedoch, daß in der Denotation der Adjektive Beschränkungen vorlagen, die die Referenz bzw. die Anwendbarkeit der Lexeme innerhalb referierender Ausdrücke auf eine relativ begrenzte Anzahl von Menschen einschränkten, nämlich große Dichter, Künstler, Philosophen, Rhetoren, Historiographen und Ärzte vergangener Epochen der griechischen Geschichte. Dadurch gewinnen die Adjektive titulare Funktion: sie modifizieren die zusammengesetzten Ausdrücke, in denen sie auftreten, zu Hyponymen des übergeordneten phrasalen Lexems uocpo SavßpwTToS-: Durch sie werden die jeweiligen Referenten als "vortrefflich", 27 V gl. Kap. 2.4.2. Die Adjektive werden offenbar nur selten in diesem Sinne in auf Menschen referierenden Ausdrücke verwendet - daß fJELDS' äVfJPWTTDS' bzw. fJELDS' dVr7P gar ein terminus technicus sein sollte, der eine festumrissene Vorstellung vom göttlichen Menschen in der hellenistisch-römischen Antike denotieren sollte, ist allerdings nicht belegbar. Im Falle von Cyn. 13 (fJELDS' dVr7p) bietet die Heraklesmythologie den Hintergrund für die Modifikation der Alltagsmetaphysik, in Icarom. 2 (cD fJEaTTEaLE Kai 'O;\'Vj1TTLE MEVLTTTTE) bietet die altgriechische Göttermythologie die Folie für die ironische Verwendung des adskriptiven' Klassenadjektivs. Hierhin gehört auch die Terminologie des Kaiserkultes bzw. der griechischen Herrscherverehrung, die in dieser Studie ausgeklammert wurde. V gl. zu den dazugehörenden gesellschaftlichen bzw. religiösen Vorstellungen Fritz Taeger, Charisma, Bd. 1111, Stuttgart 1957/60; Christian Habicht, Gottmenschenturn und griechische Städte, München
21970. 28 Vgl. Dion Chrys. Or. 1,12 (fJELDL TTDL17TaL
= von den Göttern / Musen inspirierte Dichter). Wahrscheinlich ist die Bezeichnung von Pythagoras in Diog. Laert. 8,41 = Hermippos Fr. 20 (ETTLaTEvDv ELvaL TOV JJvfJayopav fJELov TLva) auch so zu verstehen: "sie glaubten, er sei eine von den Göttern herkommende / geschickte Person" (dazu Kap. 9.1.1, dort Anm. 40). 29 Im Falle der "göttlichen Dichter" in Or. 1,12 ist es der Glaube an die Inspiration durch die Musen, in Herrn. Fr. 20 die altgriechische Götter- bzw. Hadesmythologie.
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Teil 111: Semantische Analyse:
BEtOS' KTA.
in epistemologischem Kontext
"großartig" oder "bewundernswert" im Hinblick auf ihre Weisheit bzw. Fähigkeit ausgezeichnet und zugleich der Vorstellung des Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition bzw. Kunstfertigkeit zugeordnet. Die Ausdrücke ßELOS' / 8aLj16vLoS' / ßE(TTTf-ULOS' avßpUJ1ToS' / dvrjp sind nahezu phrasale Lexeme, die die Vorstellung eines Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition bzw. Kunstfertigkeit denotieren. Sofern also die Adjektive ßELOS', 8aLj16vLoS' oder ßEU1Tf-ULOS' zu diesem semantischen Feld gehören, fungiert die eELOS' avßpUJ1ToS'Terminologie als ein Element der antiken Epistemologie.
TEIL IV
ApPLIKATION UND INTERPRETATION Interpretation einiger kaiserzeitlicher Schlüsseltexte der die ßcL05" avrjpHypothese rezipierenden neutestamentlichen Christologieforschung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der semantischen Analyse
12. Die
ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie
in
Philostrats Vita Apollonii Keine andere antike Persönlichkeit hat größere Bedeutung für die ßEL05" avrypForschung gehabt als Apollonios von Tyana (bzw. das philostrateische Bild von Apollonios): Apollonios stellt in dieser Hinsicht sogar Iamblichs Pythagoras in den Schatten. 1 Nicht nur hat er konstitutive Bedeutung für die ßEL05" avßpUJTT05"Forschung gehabt,2 sondern wie kein anderer bot Apollonios das Muster, auf dessen Grundlage die ßElO5" avryp- Konzeption entwickelt wurde. 3 Als Zeitgenosse von Jesus, Paulus und den Evangelisten bietet er als "charismatischer" bzw. "göttlicher" Wundertäter so manchem Forscher den notwendigen religionsgeschichtlichen Haftpunkt, an dem bestimmte urchristliche Phänomene (Wunder; Christologie!) erklärt werden konnten. 4 Dies ist umso verständlicher, wenn man beachtet, daß er von seinem Biographen Philostrat mehrfach ausdrücklich als ßEL05" bzw. 8aLj1ovL05" avryp5 und sogar als ßEOs-6 bezeichnet wirdwas in der ßEL05" avryp-Forschung als Beleg für die fortschreitende Vergöttlichung, die er in der Kaiserzeit erfahren habe, gewertet wurde. 7 Seit Reitzenstein wird akzeptiert, daß die Wendung ßElO5" avßpUJTT05" / avryp ein term~nus technicus des antiken Sprachgebrauches gewesen sei, dessen Denotation das Konzept eines Gottmenschen umfaßt, der jene Merkmale in sich birgt, die Bieler später als Eigenschaften des Typus bestimmte. Infolgedessen geht man generell davon aus, daß die ßElO5" avßpUJTT05"- Terminologie in der Vita Apollonii dieses 1 Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 1-168, da bes. 64-168 hat die Rolle des philostrateischen Apolloniosbildes in der eELOS' dvryp-Forschung in einer ausgezeichneten forschungsgeschichtlichen Analyse dargestellt und ausgewertet. 2 Der Begriff eELOS' dvryp wurde erstmals von Reitzenstein, Hellenistische Wundererzählungen, S. 50 im Rahmen einer Diskussion über die Damisquelle Philostrats als terminus technicus in die Forschung eingeführt; in seinem 1910 erschienenen Buch Hellenistische Mysterienreligionen, S. 11f. werden die ersten Konturen der später vollständig ausgearbeiteten Konzeption des eELOS' dvryp gerade mit dem Hinweis auf Apollonios von Tyana umrissen. 3 V gl. Bieler, BE/OI ANHP I, passim: In Bielers Darstellung des Typus eELOS' dvrjp sind 17 von den 30 "typischen Merkmalen" bei Apollonius von Tyana repräsentiert (Pythagoras 20). Fächert man diese Merkmale jedoch auf, finden sich von 68 Merkmalen 33 bei ihm (Pythagoras 31), weit mehr als bei jedem anderen potentiellen Repräsentanten des Typus! Der bielersche Typus ist regelrecht auf Philostrats Apollonios zugeschnitten, so daß der philostrateische Apollonios auf diese Weise (fast unmerklich) zum Modell des eELOS' dvryp avancierte. 4 Z.B. Wetter, Sohn Gottes, S. 14f. und u.ö; Windisch, Paulus und Christus, S. 70-77 u.ö.; Smith, Jesus der Magier, bes. S. 143-163. 5 Vgl. VA 1,2.21; 2,17.40; 7,21; 8,13.15. Die eELOS' ävepw7ToS'-Terminologie wird in bezug auf andere Menschen auch noch in 1,2; 2,21.40; 3,19.(25); (4,13); 6,3.11.19; 8,7,3.4 benutzt, vgl. weiterhin 3,42; 7,38. 6 VA 3,50; 8,7,7 (mit Bezug auf andere Menschen in 3,18.29). 7 Z.B. Petzke, Traditionen, S. 19-24.187-194.
12. Philostrats Vita Apollonii
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Konzept denotiert, d.h. man überträgt gewissermaßen den gesamten narrativen Inhalt des Werkes auf die Terminologie. 8 Semantisch bedeutet das, daß die jeweiligen Adjektive als Klassenadjektive fungieren, die die betreffenden Personen der Klasse der göttlichen Wesen zuordnen. Es ist bisher noch keine systematische Analyse des Gebrauches der ßELOSav8pwTTos-- Terminologie in der Vita gemacht worden. 9 Es gilt also, im folgenden die Plausibilität der Annahme der ßEfos- d vrjp-Forschung, die ßELOSav8pwTTos-- Terminologie sei in Philostrats Vita eine Bezeichnung, die Apollonios als wundertätiges bzw. göttliches Wesen qualifiziert, auf dem Hintergrund der bisher erzielten Ergebnisse zu überprüfen. Mit Rücksicht darauf, daß die Bedeutung der Terminologie gerade in ihrem Bezug auf Apollonios problematisch ist, wird im folgenden zunächst nach dem Gebrauch der Terminologie in den anderen philostrateischen Schriften gefragt; ferner wird in der Analyse der jeweilige Texte in der Vita selbst zuerst nach der Bedeutung der Terminologie, wenn sie auf andere Menschen referiert, gefragt. In unseren Überlegungen halten wir uns an den Konsensus, der sich in der Philostratforschung etwa der letzten 75 Jahre herauskristallisiert hat: Philostrats Vita ist ein einheitlich konzipiertes literarisches Werk, seine sogenannte Damisquelle ein fingiertes literarisches Konstrukt. Es ist das Verdienst Eduard Meyers, in seinem epochemachenden Aufsatz Apollonios von Tyana und die Biographie des Philostratos 10 gezeigt zu haben, daß die Damisquelle eine Fiktion ist. Dies hat schon Ferdinand Christian Baur in seiner Abhandlung Apollonios von Tyana und Christus 11 vermutet. Eduard Schwartz hat diese Meinung nachdrücklich vertreten, ohne sie jedoch eingehend zu begründen. 12 Meyers Meinung hat sich in der Philostrat- und Apolloniosforschung weitgehend durchgesetzt. 13 Joseph Mesk 14 und Wolfgang Speyer 15 8 V gl. Bieler I, S. 17; Windisch, Christus und Paulus, S. 70-77; Petzke, Traditionen, S. 191-195; Georgi, Gegner, S. 196f.; Betz, Art. Gottmensch II, Sp. 250f.; ferner hat Bruce Lyle Taggart, Apollonius of Tyana: His Biographers and Critics (Diss. Tufts Univ.), Ann Arbor 1972, S. 99-168 am vollständigsten die Konzeption eines übermenschlichen Wesen aus der V A destilliert und unter dem Terminus 8cLOS' dvrjp zusammengefaßt: Danach seien die Kennzeichen des 8cLOS' dvrjp eine wunderbare Geburt und Kindheit, die Fähigkeit des Vorhersehens und der Wunderheilung; Macht über dämonische Mächte, ein außergewöhnlicher Tod und Apotheose. 9 Einer solchen Analyse am nächsten kommt wohl Windisch, Christus und Paulus, S. 7077, der sich an den Stellen, in denen die Terminologie begegnet, orientiert. 10 Eduard Meyer, Apollonios von Tyana und die Biographie des Philostratos, Hermes 52, 1917, S. 370-424. 11 Ferdinand Christian Baur, Apollonios von Tyana und Christus oder das Verhältnis des Pythagoreismus zum Christentum. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte des ersten J ahrhunderte nach Christus, 1832 (Neudruck in Eduard Zeller (Hg.), Drei Abhandlungen zur Geschichte der alten Philosophie und ihres Verhältnisses zum Christentum, Leipzig 1876; Nachdruck Aalen 1978), dort S. 113ff. 12 Eduard Schwartz, Fünf Vorträge über den griechischen Roman, Berlin 1896 (Nachdruck Berlin 1943), dort S. 126. 13 Vgl. Friedrich Solmsen, Art. Philostratos 8-12, RE I 20.1, 1941, Sp. 124-177, dort Sp. 149-152; Jones, The concept of the BEIDL; 'ANHP, S. 100-205; Taggart, Apollonius of Tyana, S. 68-76; Ewen Lyall Bowie, Apollonius of Tyana: Tradition and Reality, ANRW II
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Teil IV: Applikation und Interpretation
vertreten eine Abwandlung dieser These, nämlich daß die Damisquelle eine vorphilostrateische Fälschung sei, die Philostrat in seine Biographie eingearbeitet habe. Gerd Petzke 16 teilt aus ideologischen Gründen diesen Konsens nicht, denn sein Versuch, der VA die neutestamentliche formgeschichtliche Methode überzustülpen, erlaubt ihm dies nicht. Graham Anderson 17 versuchte die Glaubwürdigkeit der Damisquelle zu retten, ohne dies jedoch dazu verwenden zu wollen, den einheitlichen Charakter des literarischen Werkes in Frage zu stellen. Sein Buch ist der erste Versuch (vorbereitet von den scharfsinnigen Beobachtungen Meyers und Solmsens), die VA konsequent auf ihrem sophistischen Hintergrund als literarisches Werk zu lesen. Wichtige Anstöße dazu gingen bereits von Thomas Gregory Knoles 18 aus.
12.1 Der Gebrauch der eELO~ avepUJ7To~-Terminologie in den anderen Schriften Philostrats Bevor wir uns Philostrats Apolloniosvita zuwenden, werfen wir einen Blick auf seine anderen Werke, 19 zunächst auf einen Brief Philostrats an seine Gönnerin Julia Domna (Ep. 73)20. An Iulia Augusta. Auch wenn einige dies fest glauben, stand der 8caTTEaloS' Platon den Sophisten nicht mit verleumderischer Eifersucht gegenüber (OvBE 0 8caTTEaloS' IJAaTUJv TOlS' aoeplaTalS' lßaaKT]Vcv), sondern er trat zu ihnen in Konkurrenz, denn sie reisten herum und entzückten kleinere und größere Städte nach dem Vorbild eines Orpheus und eines Thamyris. Er war jedoch so weit entfernt von der Eifersucht, wie das Wetteifern von dem Neid entfernt ist (ToD 8E ßaaKa{vclv aTTclXc ToaoDTov, öaov eplAoTlJ1{a ep86vov). Denn Neid nährt minderwertige 16.2, 1978, S. 1652-1699, dort bes. 1653-1671; Maria Dzielska, Apollonius of Tyana in Legend and History , PRSA 10, Rom 1986. 14 Joseph Mesk, Die Damisquelle des Philostratos in der Biographie des Apollonios von Tyana, Wiener Studien 41,1919, S. 121-138. 15 Wolfgang Speyer, Zum Bild des Apollonios von Tyana bei Heiden und Christen, JbAC 17,1974, S. 47-63. 16 Gerd Petzke, Traditionen, S. 67-72. 17 Graham Anderson, Philostratus and BeIles Lettres in the Third Century, London 1986. 18 Thomas Gregory Knoles, Literary Technique and Theme in Philostratus' Life of Apollonius ofTyana (Diss. New Brunswick NJ), Ann Arbor 1981. 19 Außer Betracht bleiben jene Texte, wo die 8cLOS' äv8pUJTTOS'- Terminologie Heroen bzw. Heroinnen der Mythologie mit Bezugnahme auf ihre göttliche Herkunft bzw. ihre Göttlichkeit beigelegt wird, so z. B. Her. 691 (Hera; Palamedes, vgl. auch VA 4,13); 719 (Aias), 725.727 (Protesilaos) und VA 3,19 (generell); weiterhin Texte, die die Titulatur des Kaiserkultes reflektieren, d.h. wo die 8cLOS' äv8pUJTTOS'- Terminologie "divus" übersetzt, so VS 2,562 und Dialexeis 1 ("Divus Marcus Aurelius"). 20 Text in Carolus L. Kayser, Flavii Philostratii opera, 2. Bde., Leipzig 1871, dort Bd. II, S. 256f. Abgesehen von der abweichenden Meinung von G. W. Bowersock, Greek Sophists in the Roman Empire, S. 104f. ist die Echtheit des Briefes nicht umstritten. Bowersocks Argumente werden überzeugend widerlegt von Robert J. Penella, Philostratus' Letter to Julia Domna, Hermes 107, 1979, S. 161-168. Vgl. auch die Anmerkungen von Allen Rogers Benner; Francis H. Fobes, The Letters of Alciphron, Aelian and Philostratus, LCL, London 1962, S. 540-545, F. Solmsen, Art. Philostratos 8.-12., RE I 20.1, Sp. 165 und Graham Anderson, Putting Pressure on Plutarch: Philostratus Epistle 73, CP 72, 1977, S. 43-45; ders., Philostratus, S. 4f.
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Naturelle (cp80voS' /1EV '1ap TPECPEL TaS' /10X&r]paS' cpvaELS'), das Wetteifern dagegen feuert glänzende Persönlichkeiten an (cpLAoTL/1{a BE TaS' Aa/11TpaS' E'1ELpEL). Man ist eifersüchtig auf das, was man selbst nicht erreichen kann (KaL ßaaKa{vEL /1EV TLS' Ta /17] laVT4) EcpLKTa) , wetteifert jedoch in solchen Bereichen, wo man bessere oder wenigstens keine schlechteren Leistungen vollbringt (ä 8E ä/1ELVOV ij /17] XElPOV BLa8rjaETaL, CPLAOTL/1ElTaL 1TPOS' TavTa). Platon beeilt sich infolgedessen, sich der Stilmittel der Sophisten zu bedienen (0 '1ovv lTAaTUJv KaL ES' TaS' lBEaS' TWV aocpLaTWV LETaL) und überläßt es nicht Gorgias, die gorgianischen Stilmittel besser als er selbst zu verwenden (KaL OUTE T4) rOP'1Lg 1TapL17 aL TO laVTOV ä/1ELVOV '1OP'1La(ELV). Vieles formuliert er auch im Stile eines Hippias und eines Protagoras. Einige sind Verehrer von diesen, andere von anderen Sophisten ... Die besten und die meisten waren aber Bewunderer von Gorgias (rOP'1LOV 8E 8aV/1aaTaL i]aav äpLaTO{ TE KaL 1TAElaToL) ... Überzeuge Du dann, 0 Kaiserin, Plutarch, der dreister als jeder andere Grieche ist, den Sophisten nicht so grimmig gegenüber zu stehen und keine üblen Verleumdungen über Gorgias zu verbreiten (/17] äx8Ea8aL TOlS' aocpLaTalS', /1178E ES' 8LaßOAaS' Ka8LaTaa8aL TOV rOP'1LOV) ...
Den Hintergrund des Briefes bildet die Kritik Plutarchs an den Sophisten im allgemeinen und an Gorgias' rhetorischen Stilmitteln im besonderen. 21 Aus dem Tenor von Philostrats Brief wird deutlich, daß Plutarch sich in seiner Kritik an der Sophistenzunft auf Platon berufen hat. 22 Apollonios verfährt in seiner Erwiderung ähnlich wie an anderer Stelle Aelius Aristides. Dieser hat nämlich in seiner Rede JIpos [JAaTwva VTTfP PTjTOPLKfjs23 Platon, trotz all seiner Kritik an der Rhetorik, zum Vater und Lehrer der Rhetoren gemacht. 24 Auch Philostrat nimmt jetzt Platon als großen Vertreter der Rhetorik für sich in Anspruch. Platon, so behauptet er, habe sich nicht gescheut, sich der rhetorischen Mittel der Sophisten zu bedienen. Wie auch andere Große der Vergangenheit (apLO"ToL TE KaL TTAELO"TOL, namentlich genannt sind Perikles, Thukydides und Kritias) war er ein (TjAWTr]S und eaVj1aO"Tr]S unter den Archegeten der griechischen Rhetorik: er hat indes den Urheber der Sophistik, Gorgias,25 sogar in seiner eigenen Kunst übertroffen (OUTE Tej] TOPYLg TTapL TjO"L TO EavTov aj1ELVoV YOPYLa(cLV). Dadurch wird Platon zu dem ersten jener "sophistischen Philosophen" gemacht, die auch anderenorts in Philostrats Werken begegnen, Philosophen, die den Ruf haben, außergewöhnliches rhetorisches Geschick zu haben. 26 Von 21 Isidor von Pelusium Ep. 2,42 (= Plutarch Fr. 186 Sandbach) berichtet von einer uns verlorenen Schrift Plutarchs, in der er Gorgias' Rhetorik kritisiert hat. Ob Julia Domna eine solche Schrift gerade gelesen hat, wie Solmsen, RE I 20.1, S. 165 meint, sei dahingestellt. 22 Bekanntlich hat Platon die Rhetorik hart kritisiert, vgl. Gorgias (447a -481b) und Phaidron (257b -278b). Isidor von Pelusium (Plutarch Fr. 186 Sandbach) berichtet jedoch, daß Plutarch (in einem seltenen Augenblick der Objektivität) auch Platon ins Visier genommen hat, weil er gorgianische Stilmittel benutzt hatte. 23 Ael. Arist. Orat. 2 (Behr). 24 Ebd., Z. 465. 25 Für Philostrat begann die Rhetorik mit Gorgias, vgl. VS 1,481-483.492-494. 26 Vgl. ol cpLAoaocpoL ol fvv EVpO{g EP/117VEVOVTES', vgl. VS 1,484; ol cpLAoaocprjaaVTES' EV 80f1] TOV aocpLaTEvaaL, vgl. VS 1,492. In VS 1,484-492 erwähnt er 8 Vertreter dieser Gruppe, von denen er Dion von Prusa und Favorinus eine ausführliche Darstellung
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dieser Vorstellung bietet seine Apolloniusvita ein eindruckvolles Zeugnis Apollonios wird als ein Philosoph sophistischer Prägung dargestellt. 27 Philostrat fand in Platon den Garanten für seine Vorstellung, daß Philosophie und Sophistik bzw. Rhetorik vollkommen kompatibel seien, ja Platon sei geradezu das Paradebeispiel dafür. Darum kann er sich auch in dem Konflikt mit Plutarch auf die Autorität Platons berufen, auf den fJEaTTEaLoS' JJAaTUJv.28 Philostrat verwendet also die fJElOS' avfJpUJTToS'- Terminologie hier im Sinne des titularen Gebrauches; fJEaTTEaLoS' wird nicht als Prädikat benutzt, sondern markiert den besonderen Status des Referenten als den eines Garanten für den von dem Redeführer vertretenen Standpunkt. Die fJElOS' avfJpUJTToS'- Terminologie begegnet offenbar auch in diesem Sinne im Rahmen von Philostrats Vita über den Sophisten Hippodromos von Larissa (VS 2,616). In einer Anekdote, die die Bescheidenheit Hippodromos' illustrieren soll, wird Polemon, der berühmte Sophist aus Smyrna, als ein fJElOS' dvrjp bezeichnet: Als die Griechen ihn (sc. Hippodromos) einmal überschwenglich lobten und ihn wohl auch mit Polemon verglichen, erwiderte er: "Warum vergleichst du mich mit Unsterblichen (T[ /1' dßaIJaTOLaLIJ l[aKELS';)?" Dadurch brachte er weder Polemon um seinen Ruf, ein ßElOS' dvrjp zu sein, noch leistete er es sich, mit einem solchen Mann verglichen zu werden (OUTE TOIJ ITo).l/1UJIJa dq;E).,o/1EIJOS' TO IJO/1[(EaßaL ßElOIJ äIJ8pa, OUTE lauTe;; 8L8ovS' TO TOLOVTlp o/1oLovaßaL ).
Diesem Text zufolge hat Polemon zu Philostrats Lebzeiten den Ruf eines fJElOS' avryp gehabt. Dies ist gut zu vereinbaren mit der These, daß die Terminologie eine Würdebezeichnung für die Archegeten einer Tradition oder TEXVT} bzw. für diejenigen, die den Höhepunkt der Entwicklung einer solchen Tradition bilden, ist. Polemon war einer der beiden hervorragenden Figuren der zweiten Sophistik, die alle anderen Vertreter dieser Richtung in den Schatten stellten. Philostrats zweibändiges Werk über die Leben ruhmreicher Sophisten ist so aufgebaut, daß der erste Band auf Polemons Leben als ersten Höhepunkt in der Entwicklung der Sophistik zusteuert. Der zweite Band setzt mit der zweiten Kliwidmet. Für Dion hat Philostrat nur die höchste Achtung und meint, er reflektiere den Stil von Demosthenes und Platon (VS 1,487). 27 Anderson, Philostratus, S. 121ff.: " ... Apollonius is assimilated to the role of an ideal sophist. He often seems to emerge as ablend of Pythagoras with the most ostentatious of Scopelian, Polemo and Herodes ... He has the wealth and family background appropiate to a sophist; and he is also an uncorrupted Atticist ... all the trappings of a sophist can be transferred to Apollonius ... ", ebd. S. 124f.; Dzielska, Apollonius of Tyana, S. 53-55; "As all the reliable sources indicate, this nimbus of glory surrounding Apollonius the sophist was created by Philostratus hirnself ... ", ebd., S. 54. Es wurde schon öfters beobachtet, daß die Themen, die Apollonius in der Erzählung erörtert und mit anderen diskutiert, typische Themen der Sophistik waren, vgl. Solmsen, RE I 20.1, Sp. 150ff., auch Penella, Philostratus' Letter, S. 166f. Der philostrateische Apollonios ist rhetorisch bewandert, er kritisiert stilistische Exzesse (4,30; 5,40; 8,22) und liefert selbst Reden, die rhetorische Kabinettstücke sind (z.B. 6,35; 8,7: Dzielska, ebd., "brilliant apology"). 28 Vgl. auch Penella, Philostratus' Letter, S. 168.
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max, nämlich Herodes Atticus, ein. 29 Sein Ruhm war fast unbegrenzt und sein öffentliches Ansehen nahm fabelhafte Züge an. 30 Auf diesen Ruhm, der ihn unvergeßlich und auf diese Weise auch unsterblich machte, spielt auch die Erwiderung von Hippodromos (TL p' d8avaTouJ'lv lLOKElS";) an. 31 Gesteigert wurde sein Ansehen auch dadurch, daß Polemon der einzige Sophist war, den Herodes für seinesgleichen oder sogar für ihm überlegen hielt32 - als dieser selbst schon ein erfolgreicher Rhetoriklehrer war, ging er noch einmal bei Polemon in die Schule. 33 Auf diesem Hintergrund betrachtet erstaunt es nicht, daß Philostrat berichtet, Polemon wurde zu seiner Zeit (in seinem Umkreis) für einen 8ElOS" dvryp gehalten. Es scheint nicht so, als ob Philostrat unbedingt selbst diese Meinung teilte; dafür berichtet er dies zu distanziert. 34 Überhaupt ist es interessant, darauf zu achten, daß Philostrat in den Sophistenviten sehr reserviert mit der ßELOS- ävßpw7Tos--Terminologie umzugehen pflegt: Auch da, wo man sie erwarten würde (d.h. als Bezeichnung für Gorgias als Begründer der "ersten Sophistik", für Aeschines als Begründer der "zweiten Sophistik" und für Herodes Atticus oder Polemon als den vollkommenen Sophisten). Er scheint allerdings die ßELOSävßpw7Tos--Terminologie mit einer anderen Metapher, nämlich mit der des Ziehvaters, zu ersetzen: In VS 1,492 bezeichnet er Gorgias folgendermaßen: ES ÖV (sc. ropy{av) avaCPEPElV 7}ywflEßa n}v TWV aocplaTwv TEXVT]V, wa7TEp ES- 7TaTEpa. Ähnlich beschreibt Philostrat Aischylos in VA 6,11 als 7TaTEpa flEV aVTov (sc. AlaxvAov) Tfjs- TpaY4J8{as7}YOVVTO, nachdem er vorher ausführlich über seine Archegetenrolle in der Geschichte der griechischen Tragödie berichtet hat. In VA 4,16 und 8,7,4 (S. 308 Kayser) bezeichnet Apollonios von Tyana im Zusammenhang mit der von ihm vertretenen Lehre Pythagoras als aocp{as- Eflfjs- 7TPOYovos- und an anderen Stellen ausdrücklich als ßELOS- (8,7,4 S. 307 Kayser, vgl. auch 1,2).35 Weiterhin bezeichnet Philostrat Gordian, an den er das Buch adressiert, mit aOl (sc. rOp8lav@ ... ES- 1/pw8T]v avacpEpOVTl. Offenbar stand Gordian, wie Philostrat
29 Vgl. dazu Solmsen, RE I 20.1, S. 170. 30 VS 1,539f. 31 Natürlich ist der Ausdruck nicht so zu verstehen, als ob Hippodromos sagte, Polemon wäre ein Gott. Vielmehr ist er ein gutes Beispiel einer gelungenen Hyperbel. Sein Ruhm wirkte tatsächlich über den Tod hinaus zum Vorteil seiner Heimatstadt, vgl. VS 1,540. 32 In einer Anekdote in VS 1,539, die in vieler Hinsicht mit dem vorliegenden Text vergleichbar ist, reagiert Herodes auf die Zurufe der Griechen, daß er einer wie Demosthenes sei, damit, daß er ausruft: "Wäre ich doch wie der Phrygier", d.h. wie Polemon ! 33 VS 1,539. Angesichts der Tatsache, daß Philostrat selbst ein Enkelschüler von Herodes war, war Polemon somit gewissermaßen der Anfangspunkt der Tradition und Schule, zu der Philostrat selbst zählte; vgl. Solmsen RE I 20.1, Sp. 172, der jedoch die Tradition nur bis Herodes zurückführt. 34 Dies würde dem Bild entsprechen, welches das Gesamtwerk vermittelt: Für Philostrat ist Herodes (und nicht Polemon) der Größte unter den Sophisten, in ihm erreicht die Sophistik ihren Höhepunkt, vgl. Anderson, Philostratus, S, 82-88; " ... somehow or another, Herodes is always first", ebd., S. 88. Polemon ist nur ein weiterer Höhepunkt neben dem eigentlichen, neben Herodes; vgl. auch Solmsen, RE I 20.1, Sp. 170. 35 V gl. weiter unten die Erörterungen zu diesen Stellen.
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selbst, in der Schultradition des Herodes. 36 Wenn der große Herodes in VS 1,537 Polemon mit rrG.Tep anredet, bezeichnet er sich selbst dadurch also als Ziehkind des Meisters.
Wie behutsam Philostrat in seinem Gebrauch der eELOS" av8pUJTToS"- Terminologie vorgeht, kann an noch einer anderen Beobachtung festgemacht werden. In dem Heroikos begegnet der Ausdruck 8ELOS" (1011 TJpOS", dessen Gebrauch zu dieser Zeit üblich war, nur einmal (Her. 747), obwohl das Werk sich mit homerischen Themen beschäftigt und Homer sehr oft mit Namen genannt wird. 37 In dem ebengenannten Fall taucht der Ausdruck außerdem in einem in den Text eingefügten Lied auf - er stammt also nicht von Philostrat. Man kann also mit Recht vermuten, daß hinter dieser konsequenten Vermeidung der eEL oS" aVepUJTTOS"Terminologie Absicht steckt. Dies verträgt sich gut mit dem hervorragendsten Merkmal des Werkes, dem Korrigieren der homerischen Mythologie. 38 Auch wenn die Homerepanorthose bloß literarische Spielerei ist,39 ziemt es sich offenbar nicht, in einem Werk, in dem Homer regelrechter Betrug unterstellt wird,40 den zu einer festen Verbindung gewordenen Ausdruck eELOS" (l0IlTJP0S" zu verwenden, der ja gerade die Berufung auf Homer als die letztgültige Autorität der Mythologie und Dichtung signalisiert.
12.2 Der Gebrauch der 8ELOS- av8pwTTos-- Terminologie in Philostrats Apolloniosvita . 12.2.1 Der titulare Gebrauch der
(JElo~ aj/(JpUJ1To~- Terminologie
Die bisherigen Erörterungen zeigen, daß Philostrat den titularen Gebrauch der eELOS" aVepUJTTOS"- Terminologie aus seinem direkten Umfeld kannte (VS 2,616) und die Wendung selbst einsetzte (Ep. 73) oder aber auf ihren Gebrauch verzichtete (Heroikos). Diese Ergebnisse fordern geradezu dazu auf zu überprüfen, ob diese auch sonst gut bezeugte Verwendungsweise der 8ELOS" av8pUJTToS"- Terminologie den semantischen Hintergrund für den Gebrauch in der Apolloniosvita bildet. Daß dies tatsächlich der Fall ist, kann man am besten anhand von VA 8,7,4 verdeutlichen. Als Teil seiner Verteidigungsrede vor Domitian recht-
36 Daß es sich hier um eine "akademische" Verwandtschaft, um eine Lehrer-SchülerBeziehung handelt, zeigt Anderson, Philostratus, S. 297 in überzeugender Weise. Meine Beobachtungen stärken die von ihm vorgebrachten Argumente. 37 Mehr als 80 mal auf etwa ebensoviel Teubnerseiten. 38 Eine solche Homerepanorthose war eine der beliebtesten Beschäftigungen der zweiten Sophistik, vgl. z.B. Dio Chrys. Or. 11; weiter Solmsen, RE I 20.1, Sp. 155-158; "Correction of Homer is the sophistic device par excellence", Anderson, Philostratus, S. 241ff., Zitat S. 243. 39 Solmsen, ebd., S. 156. 40 Her. 195f.
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fertigt Apollonios seinen pythagoreischen Lebensstil (8,7,4-6: § 4 Vegetarismus; § 5 Kleidung; § 6 Haartracht) und beruft sich dafür auf Pythagoras:'41 Um uns aber nicht in widersinnigen Reden zu verlieren, wollen wir den Ankläger fragen, worüber ich zuerst sprechen soll. Doch wozu fragen! Er sprach ja zu Beginn von meiner Tracht und von dem, was ich esse. Hier übernimm nun du, 8ELE Pythagoras, meine Verteidigung. Ich soll ja darüber gerichtet werden, was du entdeckt hast (VTTEp WV av /lEV EVPES') und was ich billige (ETTaLvW).
Pythagoras wird als Garant für die Wahrheit und Rechtmäßigkeit der Tradition, in die Apollonios sich stellt, herangezogen. Als solchem wird ihm die eElOS' av8pUJTToS'- Terminologie beigelegt. Höchst informativ ist jedoch der folgende Satz, in dem Pythagoras als Entdecker des Wissens (EVPETT]S') bezeichnet wird. Einige Zeilen weiter heißt es: Die indischen Brahmanen allein mißbilligten (OUK ETT1jvoVV) dies [d.h. den Verzehr von Fleisch] und übertrugen ihre Lehre (E8{8aaKov /l7] ETTaLvELv) auch auf die Gymnosophisten Ägyptens. Von dieser Stätte ging auch Pythagoras aus, der erste Grieche (EUr]vUJv 8E TTPWTOS'), der mit den Ägyptern verkehrte. Er überließ die beseelten Wesen der Erde und ernährte sich mit dem, was diese hervorbringt, da diese Nahrung nach seinen Worten die einzig reine sei und allein zur Erhaltung von Leib und Geist diene.
Pythagoras wird hier als der erste Grieche bezeichnet, der der Reinheitslehre huldigte, die Apollonios selbst vertritt. Er ist der Archeget jener Tradition in Griechenland. Einige Zeilen weiter (S. 308 Kayser) wird dies nochmals eingeschärft: Er zog aus dieser Reinheit vielfältigen Gewinn, deren erster und größter darin bestand, daß er seine eigene Seele erkannte. . .. Nachdem er nun gemäß dem Seelenwanderungsgesetz der Adrasteia mehrere Körper durchlaufen hatte, nahm er wieder Menschengestalt an ... und erlangte eine so unsterbliche Natur, daß er nicht vergaß, Euphorbos gewesen zu sein. Diesen also habe ich zum Ahnherrn meiner Weisheit ernannt (TOV /lEV 87] TTp6yovov TfjS' E/laVTof) aoq;{aS' ELpTJKa) , die ich nicht selbst erfunden (Kat TO /l7] aUTOS' EVpWV) , sondern von einem andern geerbt habe.
Apollonios ist nicht selbst Entdecker seiner Reinheitslehre, sondern er hat sie von seinem geistigen Ziehvater übernommen, der diese Reinheit so vollkommen praktiziert habe, daß er seine eigene Seele erkannte, d.h. erkannte, daß er die Seele des Euphorbos hatte. Auch an anderen Stellen beruft sich Apollonios ausdrücklich auf Pythagoras als Quelle seiner Weisheit. So führt er in 1,32 seine
41 VA 8,7,4. Text nach der Ausgabe von Carolus L. Kayser (Hg.), Flavii Philostratii opera, 2 Bde., Leipzig 1871 (editio minor). Im folgenden gebe Ach bei jedem Texthinweis in Klammern auch die Seitenangabe in der Ausgabe Kaysers an. Ubersetzungen sind der Ausgabe von Vroni Mumprecht (Hg.), Philostratus, Das Leben des Apollonius von Tyana. Griec~isch deutsch, Tusculum, München/Zürich 1983 entnommen; ich nehme jedoch gelegentlich Anderungen vor, ohne dies immer explizit anzuzeigen.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
blutlose Opferpraxis, 42 Kleidung und Haartracht auf ihn zurück (aocpia EflOl llv8ayopov ~afliov av8pos-). In einem Gebet in VA 4,16 lautet es: Mein Achilleus, die meisten sagen, du seist tot, ich aber stimme dieser Ansicht nicht bei, wie auch Pythagoras, der geistige Vater meiner Philosophie, dies nicht getan hat (ovBE llv8ay6pas- ao<jJ{as- ljJ:fjs- TTp6yovos-). Ist die Wahrheit auf unserer Seite (cl BE aAry8cuoj1cv), dann zeige dich in voller Gestalt!
Apollonios führt hier die Seelenwanderungslehre auf Pythagoras zurück. 43 Pythagoras ist Garant der Wahrheit (aAT}8Evo/lEV) , die an dieser Stelle von der prompten Erscheinung des Achilles bestätigt wird. Göttliche Bestätigung, daß die pythagoreische Lehre die wahre Philosophie sei, empfing Apollonios auch von dem trophonischen Orakel: Auf die Frage, welche Philosophie die vollkommendste und reinste sei, bekam er ein Buch, in dem die pythagoreische Lehre aufgezeichnet war. 44 In VA 1,1 berichtet Philostrat, daß die Pythagoreer sogar behauptet hätten, Pythagoras' Lehre sei Pythagoras höchstpersönlich von ApolIon, Athena, den Musen und anderen, unbekannten Göttern offenbart worden. Diese Ansicht spielt jedoch weiter in Philostrats Werk keine Rolle, dort wird immer nur die Abhängigkeit des Pythagoras von den Ägyptern und besonders den Indern betont. So beruft sich Apollonios während seiner Verteidigung auf Pythagoras und über ihn auf die Ägypter und Inder: 45 Die indischen Brahmanen allein mißbilligten (den Verzehr von Fleisch) und ~bertrugen ihre Lehre (lB{BaaKov j1r] lTTaLvclv) auch auf die Gymnosophisten Agyptens. Von dieser Stätte ging auch Pythagoras aus, der erste Grieche (FMrjvUJv BE TTp(JTOS-), der mit den Ägyptern verkehrte. Ich habe nicht geopfert, ich opfere überhaupt nicht. Ich berühre kein Blut, auch kein Opferblut vom Altar. So dachte Pythagoras, desgleichen seine Jünger, die ägyptischen Gymnosophisten und die indischen Weisen (Kai KaT' ALYVTTTOV BE rVj1vol KaI lvB(Jv ol ao<jJo{), von denen der Weisheit Anfänge auch zu der Schule des Pythagoras kamen (TTap' WV TOlS- aj1<jJI llv8ay6pav al TfjSao<jJ{as- apxal l<jJOL Trjaav).
Auch anderenorts wird der indische Ursprung der pythagoreischen Philosophie betont. In VA 6,11 (S. 219 Kayser) lautet es, Apollonios liebe die Weisheit, die die Inder entdeckt haben (aocpias- ouv EPCJV, fjv 1v80l EVpOV).46 Einige Zeilen weiter ist von der pythagoreischen Philosophie die Rede, die "göttlichen Sinnes ist, wie dies schon vor Pythagoras bei den Indern der Fall war" (ws- TTPO llv8ayopov 1v80{). Als Apollonios während seines märchenhaften Indienbesuches die Inder fragt, wie sie über der Seelenlehre denken, antworten sie, daß sie die Lehre den Ägyptern überliefert hätten, wie auch Pythagoras sie den Griechen überliefert hat (ws- YE llv8ayopas- /lEV V/lLV, 7]/lELS- 8E Al YVTTTioLSSo auch in 1,32; 8,7,12 (S. 320 Kayser). So auch in VA 3,19; 6,11; 7,8,4, vgl. auch 1,lf. Vgl. VA 8,19. 45 8,7,4 (S. 307 Kayser) und 12 (S. 320 Kayser). 46 Im unmittelbaren Kontext handelt es sich um die platonisch-pythagoreische Seelenlehre. 42 43 44
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rrapE8wKapEV (VA 3,19).47 Wenn Apollonios also bei den Indern in die Lehre
geht, trinkt er aus der uralten und originalen Quelle der pythagoreischen Weisheit: Da richtete ich nun, jung und unerfahren wie ich noch war, mein Augenmerk auf euch, weil man von euch sagte, daß ihr außerordentlich weise seid (ETTELBTj TTAELaTa EAiYEa8E VTTEPrpVW5' El8illaL). Ich erwähnte dies auch gegenüber meinem Lehrer. Dieser aber hielt mich zurück und sagte: "Nehmen wir an, du wärest verliebt ... und stießest auf einen schönen Jüngling. Hingerissen von seiner Schönheit versuchtest du, seine Herkunft ausfindig zu machen und fändest heraus, daß sein Vater vom Ritterstande oder ein Feldherr und seine Großväter Choregen gewesen sind. Würdest du ihn nun etwa dadurch gewinnen, daß du ihn Sohn eines Trierarchen oder Phylarchen nenntest? Würdest du ihm nicht vielmehr zuwider werden, wenn du ihm die Ehre des väterlichen Namens versagtest und ihn wie einen fremden und vaterlosen Sproß behandeltest? Obwohl du die Philosophie liebst, die indischen Ursprungs ist (aorp{a5' 0011 EPWII, fjll 'IIIBol EVpWII) , willst du sie nun nicht nach ihren natürlichen, sondern ihren angenommenen Vätern benennen und den Ägyptern mehr zugestehen (als ihnen gebührt) ... " Dies führte mich denn früher zu den Indern als zu euch; denn ich dachte, daß die Einsichten solcher Männer . . . feiner und eindringlicher seien (AETTTOTEPOL JiEII T1}1I ,vIIEaLII) und ihre Lehren von der Natur und den Göttern wahrhafter seien (dAry8iaTEpoL 8E TaS TTEpl rpvaEt!J5' TE Kal 8EWII Bo,a5') ...
Den Hintergrund dieses Textes bildet der an Apollonius gerichtete Aufruf des Sprechers der Gymnosophisten, zwischen ihrer und der Lehre der Inder zu wählen (6,10). Es sei eine Wahl zwischen ihrer ungeschminkten Weisheit, die in dem einfachen Leben gründe (EvTEAEla yap 8l8daKaAos- PEv aocp{as-, 8l8daKaAos- 8E aA7]8E{as-) und der eitlen Weisheit der Inder, die sich allerlei Wundertuerei und Zauberei bedienten (ßavpaalovpy{as- TE Kai ßla{ov TEXV7]S- PT] 8ELaßal aArj8Elav). ApolIonios' Antwort (6,11) zielt darauf, die ununterbrochene Verbindung der pythagoreischen Philosophie zu der ursprunglichen Weisheit der Inder hervorzuheben und so ihre große Überlegenheit über die gymnosophistische Philosophie zu behaupten. 48 Dies erreicht er insbesondere, indem er die Gymnosophisten als entartete Inder, die ihre indische Identität für eine ägyptische eingetauscht haben, darstellt. 49 Ihre Weisheit sei nur ein schwacher Abklatsch der ursprünglichen indischen Weisheit. Wenn er fortfahrend über seine Begegnung mit den Indern berichtet, vergleicht er diese Begegnung mit der Begegnung der Athener mit Aischylos, die ihn wegen seiner Pio47 Man beachte, wie Apollonios' indischer Gesprächspartner Iarchas sich und seine Gesellen völlig mit ihren Vorfahren, die Zeitgenossen des Pythagoras und noch älter gewesen seien, identifiziert. Wie deutlich aus den Büchern 3 und 6 hervorgeht, sind Apollonios' indische Zeitgenossen eine Replika ihrer Vorfahren; sie repräsentieren die (indische) Philosophie in vollkommener Gestalt. 48 Meyer, Apollonios von Tyana und Philostratos, S. 393-395 hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Polemik gegen die Gymnosophisten sich eigentlich gegen die Kyniker richtet. Es handelt sich um einen Streit zwischen dem kynischen und dem pythagoreischen Bios, um eine Kampfansage an den kynischen Anspruch, die wahre Weisheit sein zu wollen. V gl. auch Mumprecht, S. 1087f., Anm. 13. 49 VA 6,11 S. 220 Kayser U.Ö. im 6. Buch.
286
Teil IV: Applikation und Interpretation
niersarbeit für die griechische Tragödie als Vater der Tragödie betrachteten (V A 6,11 S. 219f. Kayser). Wir haben schon gesehen, daß Philostrat diese Metapher gerne an Stelle der eELOS' av8pUJTToS'- Terminologie gebraucht, so daß es auch hier nicht verwundert, wenn er kurz nachher in diesem Kontext die Inder als eELOl bezeichnet (VA 6,11 S. 223,1 Kayser): Wenn du meine Worte nicht übel nehmen willst, Thespesion, möchte ich dir folgendes sagen: Alte Weiber, welche mit umgebundenem Siebe zu den Schäfern, bisweilen zu den Rinderhirten gehen, um das kranke Vieh durch W ahrsagen, wie sie behaupten, zu heilen, erheben auch Anspruch auf die Weisheit und wollen sogar weiser sein als die wahren Seher (deloDal BE aoq;ai 6vofla(E
Die Gymnosophisten sind zwar Weise, 50 aber im Vergleich mit den Indern, wie auch das Gleichnis von den wahrsagenden Weibern zeigen will, ist ihre Weisheit vollkommen unbedeutend, denn (rap) diese sind ja eELOl, d.h. sie sind vollkommene Weise, die die Wahrheit garantieren, weil sie der Quelle der Weisheit am nächsten stehen. 51 Diese Deutung läßt sich jetzt am Bericht über Apollonios' Besuch bei den Indern überprüfen. In Antwort auf die Frage des örtlichen Königs, was Apollonius zu ihnen geführt habe, verwies dieser ihn mit den Worten OUTOl ol eELOl TE Kal oocpol av8pES' auf die indischen Philosophen (3,29).52 In seinem Empfehlungsbrief an die indischen Philosophen (VA 2,41) 50 Daß auch die Gymnosophisten weise sind, wird von Apollonios nicht in Zweifel gezogen, vgl. z.B. 6,17.22. Nur ihren Anspruch, den Indern überlegen zu sein, läßt er nicht gelten. 51 Wie der Folgeausdruck "und sie sind geschmückt im Sinne der Pythia" zu verstehen ist, läßt sich nur auf dem Hintergrund des Kontextes erklären. Die Nacktheit der olympischen Athleten und die Schmucklosigkeit des delphischen Orakels werden von Thespesion, dem Fürsprecher der Gymnosophisten, als Vorbild ihrer eigenen ungeschmückten bzw. nackten Existenz herangezogen (VA 6,10 S. 214f. Kayser). Gegen den Vergleich mit der delphischen Pythia wendet Apollonios ein, Apollon liege sehr wohl an dem "Schmuck", d.h. er freue sich an schönen Tempeln und Weihgeschenken. Darum gibt er auch seine Orakel nicht in ungeschmückter Prosa aus, sondern geschmückt als Versorakel und kann trotzdem behaupten, es gebe nichts, was er nicht weiß (6,11, S.222 Kayser: 0 BE ... 1TOlT}TlKTjV r7pflOaaTo, Kai OVK deldE Elval, Ö Tl fl7] olBEV: Man beachte, daß auch die Inder behaupten, alles zu wissen bzw. zu verstehen, VA 3,18). Der Ausdruck KEKoaflT}VTal KaTa T7]V JJve{av bedeutet also, daß, wie in Delphi, der "Schmuck" (in diesem Fall die eaVflaalOVpr{a TE Kai ßla{ov TExvT}) eben dazu gehört und, wie ja der poetische Schmuck auch nicht die pythische Allwissenheit beeinträchtigt, auf jeden Fall ihre Weisheit nicht beeinträchtigt, d.h ihren Status als eELOl nicht berührt. 52 Zu Unrecht hielt Carolus L. Kayser, Flavii Philostrati quae supersunt, Zürich 1846 (editio maior), S. 184 unter Hinweis auf VA 3,28 an der Überlieferung (OUTOl oi eEO{ TE Kai aoq;oi ävBpES') fest. Huetius und Hamacker hingegen erkannten bereits, daß die Überlieferung an dieser Stelle verderbt ist. Syntaktisch gesehen muß hier ein Adjektiv stehen. Diese Korrektur wird dadurch bestärkt, daß die Kombination von aoq;oS' mit der eELOS' äVepW1TOS'Terminologie in der Literatur mehrmals bezeugt ist (vgl. z.B. Lukian Alex. 4: aoq;oS' dV7]p Kai eEa1TEaloS') , des weiteren auch durch die engen syntaktischen Parallelen in der VA selbst, z.B . VA 7,8 ToD rcVva{ov TE Kai eE{OV dvBpoS' und 1,2 8alflOVlOS' TE Kai eELOS';
12. Philostrats Vita Apollonii
287
schreibt Praotes, daß Apollonios, ein überaus weiser Mann (aoq){!JTaTo:;), die indischen Philosophen für weiser als sich selbst hält (aoq){JJTEPOV:; vJia:; EavToD iJYELTaL) und zu ihnen kommt, um von ihnen zu lernen (J1aßT]aOJiEVO:; Ta vJiETEpa). Bei seiner Ankunft bei den Philosophen antwortet Apollonios auf ihre Frage, was er glaube, daß sie mehr als er selbst wissen würden, daß ihre Kenntnisse aocpwTEpa und TToAAriJ BELoTEpa als seine eigenen seien. Er bittet darum, daß er von ihnen die ganze Weisheit erlernen dürfe (VA 3,16 S. 95 Kayser). Auf diesem Hintergrund läßt sich auch die Bezeichnung von Iarchas, dem Anführer des aus 18 indischen Philosophen bestehenden Kreises, in VA 6,3 (S. 207 Kayser) und 7,14 (S. 268 Kayser) als BELO:; 'Iapxa:; verstehen. Im ersten Fall fällt die Bezeichnung in einem Gespräch zwischen Apollonios und einem ägyptischen Jüngling namens Timasion: "Ägyptischer Jüngling ... , sage mir, was du bisher Gutes und Böses getan hast" .... Als er sah, daß Timasion ... mit dem Reden zauderte, stellte er die Frage noch einmal nachdrücklich .... Da ... sprach (Timasion): "Ihr Götter, wie soll ich von mir reden? Böse bin ich nicht, ob ich mich aber für gut halten soll, weiß ich nicht; denn noch kein Unrecht getan zu haben ist kein Lob." Apollonios erwiderte: "Toll! Jüngling, du sprichst ja, wie wenn du bei den Indern in die Schule gegangen wärst; denn genauso urteilt der eELOS- Iarchas (TaVTi rap Kai 1apxf1. 80KEL TfiJ eEL4J) ... "
Noch einmal begegnet die ßELO:; avBpUJTTo:;- Terminologie in einem ausgesprochen epistemologischen Kontext: Apollonios erkennnt in der Antwort die Weisheit des Jünglings, die Iarchas ihn während seines Besuches in Indien gelehrt hat. 53 Iarchas, der ApolIonios' Meinung in einer Schlüsselfrage der Ethik korrigiert hat, gebührt die Ehrenbezeichnung ßELO:;. Daß die Bezeichnung von Iarchas als BELO:; 'I apxa:; in V A 7,14 (S. 268 Kayser: TOVTt 8 äv
288
Teil IV: Applikation und Interpretation
quent Apollonios auch hier den Unterschied zwischen dem Inder Iarchas und dem Gymnosophisten Thespesion festhält: diesem legt er zwar das Eponym ycvvaLos- bei und bescheinigt ihm nochmals moralischen Anstand, nur jener ist jedoch für Apollonios ßcLOS-, d. h. Garant der Wahrhaftigheit der Weisheit, die er selbst vertritt. Aus den bisherigen Erörterungen zur Verwendung der ßcLOS- avßpUJTTos--Terminologie durch Philostrat geht eindeutig hervor, daß er sie als einen institutionalisierten Ausdruck verwendet, wie wir dies auch bei anderen Autoren der Kaiserzeit beobachtet haben. Der ßcLOS- avßpUJTTos- / dvTjp ist als vollkommener Weiser der Garant für die Wahrheit der Erkenntnistradition, in der sich der jeweilige Sprecher selbst befindet. 55
12.2.2
eE[O~ KTA.
als ethisches Prädikat für Menschen
Nicht an allen Stellen lassen sich die ßcLOS- avßpUJTTos--Belege diesem Muster zuordnen. In Buch 6 von Philostrats Vita Apollonii (VA 6,19) wird ein Streitgespräch über das Thema der bildlichen Darstellung der Götter zwischen Apollonios und Thespesion, dem Führer der Gymnosophisten, dargestellt. Apollonios greift die ägyptische Darstellung der Götter in der Gestalt v.on Tieren als unvernünftig und gar als unfromm an. Daraufhin wendet Thespesion sarka~tisch ein: "Es gab einst einen gewissen greisen Athener namens Sokrates, der unvernünftig (aVOTJToS") wie wir war und den Hund, die Gans und die Platanen für Götter hielt und bei ihnen seinen Schwur leistete". "Er war nicht unvernünftig", versetzte Apollonios, "sondern 8ElOS" und wahrhaft weise, schwor er doch bei diesen nicht, als ob es Götter wären, sondern eben um nicht bei den Göttern schwören zu müssen" ("OUK aVOTJToS"," EI1TEv "aMa 8ElOS" Kal aTEXvwS" acr cjJoS", d5f1vv rap TavTa OUX wS" 8EOVS", aM' Lva f17] 8EOVS" Of1VVOL").
Mir scheint die bisher beobachtete Verwendung der Terminologie durch Philostrat hier nicht vorzuliegen, obschon auch hier ein Kontext der Berufung auf eine höhere Autorität vorhanden ist und obwohl ßcL os- hier in engster Nähe des O"osbos--Begriffes verwendet wird. 56 Gegen eine Deutung im Sinne eines Garanten der Tradition spricht, daß Thespesion Sokrates nicht als Urheber der "richtigen" Art der bildlichen Darstellung der Götter in Anspruch nimmt, sondern nur darauf hinweist, daß eine solche "unvernünftige" Praxis auch bei einem so 55 Petzke, Traditionen, bes. S. 191-193 scheint die semantischen Verhältnisse nicht klar gesehen, jedoch manches Richtige geahnt zu haben. So urteilt er an einer Stelle (ebd., 192) richtig: "Das Prädikat aocjJoS" drückt daher gleiche Sachverhalte aus wie 8ElOS" und hat daher auch den gleichen Wert". 56 Das Ka{ ist hier nicht koordinierend oder gar epexegetisch zu verstehen, sondern im gewöhnlichen additiven Sinn, vgl. Kühner/Gerth 1112, S. 246, § 521,1: " ... [Ka{ bezeichnet] die verbundenen Begriffe und Gedanken als Verschiedenes ... " Darauf deutet auch eine Stileigentümlichkeit Philostrats hin: er verbindet mit Vorliebe und fast ausschließlich semantisch eng verwandte Lexeme und Ausdrücke (bes. Adjektive) durch TE Ka{.
12. Philostrats Vita Apollonii
289
berühmten Griechen wie Sokrates zu beobachten ist. 57 Apollonios' Antwort beinhaltet nur eine Richtigstellung der Tatsachen; er beruft sich hier nicht auf Sokrates als Garanten für seine eigenen Anschauungen über die bildliche Darstellung der Götter. Dies entspricht der sonstigen Praxis des philostrateischen ApolIonios, der sich als Pythagoreer nicht auf Sokrates, sondern nur auf Pythagoras oder die indischen Philosophen bzw. Iarchas beruft. Noch wichtiger ist jedoch eine syntaktische Beobachtung: 8clOS- wird wie die Adjektive avoT]TOSund a"Ocpos- prädikativ verwendet. Wir haben bisher beobachtet, daß die ßcLOSav8pUJTToS-- Terminologie in der titularen Verwendung normalerweise nicht freistehend, sondern nur in Verbindung mit einem Nomen bzw. in attributiver Stellung auftritt. 58 Es ist folglich wahrscheinlich, daß das Lexem ßcLOS- Sokrates hier als Prädikat beigelegt wird und, wie anderenorts beobachtet, als Qualitätsadjektiv mit der Bedeutung "fromm" oder gottesfürchtig" benutzt wird. Darauf deutet auch der vorliegende Kontext hin: Apollonios zufolge war Sokrates nicht unvernünftig in seinem Handeln, sondern er war ßclOS- KaL aTcxv(Js- (J'ocpos-, weil (yap) er es vermied, bei den Göttern schwören zu müssen. Dadurch erfüllte er eine Forderung von Pythagoras selbst, der der Tradition zufolge das Schwören bei den Göttern verboten hat. 59 Es versteht sich, daß ein Pythagoreer solch ein moralisches Benehmen gut heißen wird und sogar mit dem Gebrauch des Adjektivs 8clOS- würdigen kann. Das Adjektiv ist hier also als Bezeichnung für gutes religiös-ethisches Handeln verwendet und fungiert als ein Qualitätsadjektiv, das ein Antonym von dßcos- bzw. sinnverwandt mit Lexemen wie ßco(J'cß7}S- und O(J'LOS- (und in weiterem Sinne (Hyponomie/nichtkontradiktorische Ko-Hyponymie) mit Lexemen wie ayaß6s- / KaAos- / TEAcLOS/ 8LKaLos-) ist. 60 Wenn in VA 3,25 der Heros Tantalos als 8clOS- Tc KaL aya8os- bezeichnet wird, ist damit zu rechnen, daß 8clOS- hier ihm als moralische Kategorie beigelegt wird. Schon die enge Anbindung an aya8os- deutet darauf hin, und der Kontext bestätigt diese Vermutung. Denn Iarchas belehrt in diesem Abschnitt ApolIonios, daß die Griechen ein defizitäres Verständnis von Gerechtigkeit und Güte hätten, denn sie halten Menschen, die nichts Unrechtes oder Böses tun, obwohl sie nichts Positives vorzuweisen haben, für gerecht bzw. gut. Auch wenn sie gut und gerecht sein wollen, erlauben es ihnen ihre Dichter nicht (ou8 57 Zu Sokrates' Schwören bei Tieren und Bäumen, vgl. Gorgias 461 a; 482 bund Phaidros 236 e. Sokrates galt in der Antike als das moralische Vorbild, vgl. Klaus Döring, Exemplum Socratis, Hermes Einzelschriften 42, Wiesbaden 1979. 58 Es wäre natürlich möglich (m.E. jedoch unnötig), hier mit einer Ellipse des Nomens zu rechnen, d.h. daß man eigentlich OVK av61]TOS; ... atUd 8ElOS; Kat aTEXVWS; aoq;6s; [avryp / äv8pUJTTOS; / :4.8ryvalos;J lesen müsse. 59 Iamblichos VP 47.144.150. 60 Trotz alledem kann damit gerechnet werden, daß für den antiken Leser die Konnotation von Sokrates als Garant einer Wissenstradition mitgeschwebt haben dürfte - nicht zuletzt deshalb, weil er auch in der Vita (1,2; 8,7,9) Urbeispiel dafür war, daß ein Mensch durch seine Weisheit Einblick in die Zukunft gewinnen könne.
290
Teil IV: Applikation und Interpretation
El ßOVAEaBE 8LKaLOL TE Kat XPT}a"TOt EIvaL, ,vYXUJpoDa"Lv VIlLV YEvEaBaL) ,
denn diese machen sogar den grausamen Minos zum Richter über die Seelen (8LKaLoaUVT}S" aK7}TTTptp TLllwVTES" EV r~L8ov Ka ei(o vaL 8LaL TGV TaLS" ljivxa'is), verleumden jedoch einen guten Menschen wie Tantalos: " ... Den Tantalos dagegen, obwohl er gut war und seinen Freunden Anteil an der Unsterblichkeit der Götter gab, halten sie (sc. ol aoq){!J Ta TOt TTOtT]Tal) von Speise und Trank fern, hängen sogar Steine über sein Haupt und verhöhnen auf schändliche Weise den (JEL05' und wackeren Mann ((JE{4J TE Kai dya(J~ dv8pl), den sie vielmehr mit einem See voll Nektar umgeben sollten, weil er sie menschenfreundlich und reichlich davon kosten ließ." ... Auf alle Fälle ist anzunehmen, daß Tantalos von den Dichtern zwar angegriffen wurde, weil er seine Zunge nicht zügeln konnte und den Menschen vom Nektar kosten ließ, den Göttern aber keineswegs verhaßt ist ((JEOl5' 8E flr] 8taßEßkija(Jat aUTov); denn wenn er den Göttern verhaßt wäre (El (JEOl5' aTTr]x(JETO), würde er von den Indern ... nicht als guter Mensch betrachtet (ou yap äv ... Kpt(Jfjva[ TTOTE UTTa TWV 'I v8wv aya(Jov).
Man beachte die Parallelität der benutzten Ausdrücke: 8LKaLoL TE Kat XPT}aTOL / eELOS" TE KaL ayaeoS" / eEOLS" ... 8LaßEßAi}aeaL bzw. eEOLS" aTTEXeEaeaL und ou ... ayaeoS". Den Synonymen ayaeoS" und XPT}aToS" werden auf engstem Raume regelmäßig die Lexeme bzw. Ausdrücke eELOS", 8LKaLoS", eEOLS" 1lT] 8Lo.ßEßAi}aeaL und eEo'is (1lT]) aTTEXeEaeaL zur Seite gestellt, so daß es folgerichtig ist, daraus zu schließen, daß letztere auch sinnverwandte Ausdrücke sind. Der Ausdruck eEOLS" 1lT] 8LaßEßAi}aeaL ist außerdem offenbar eine Periphrase für Lexeme wie z.B. oaLoS", der Ausdruck eEOLS" aTTEXeEaeaL für Lexeme wie z.B. lieEOS". Daß eELOS" als Qualitätsadjektiv ein Wortfeld mit Lexemen wie lieEOS" / aaEßr]S" / 8vaaEßrf S" (Antonymie); EvaEßr]S" / eEoaEßrfS" / eEOcpLAr]S" (Synonymie) und 8LKaLoS" (nicht-kontradiktorische Ko-Hyponymie / Hyponymie) teilt, haben wir schon nachgewiesen. In dem vorliegenden Text sind die semantischen Grenzen zwischen eELOS" und sinnverwandten Ausdrücken einerseits und den Lexemen ayaeoS" und XPT}aToS" andererseits kaum zu erkennen. Sie neigen offenbar zu gegenseitiger Hyponymie,61 neigen also zur Synonymie. Wir haben eine ähnliche Unschärfe in den Bedeutungsunterschieden zu ayaeoS" KTA. in der Verwendung der eEfoS" avepUJTToS"-Terminologie durch Markus Aurelius beobachtet. Der qualitative Gebrauch der eELOS" IiVepUJTTOS"- Terminologie begegnet noch in der angeblichen Verteidigungs rede des Apollonios vor Domitian. 62 Im ersten der vier Anklagepunkte, 63 die der Ankläger gegen ihn vorbrachte, beanstandete dieser seine Kleidung und Haartracht und deutet sie daraufhin, daß sie belegten, 61 Ausdrücke wie (JEOl5' ... 8taßEß"Afja(Jat bzw. (JEOl5' aTTEx(Jia(Jat sind offenbar Bedeutungsäquivalente von Lexemen wie ä(JE05' oder daEßr]5'::::: ou (JElO5'; im letzten Satz werden diese Ausdrücke als Äquivalente von OUK aya(Jo5' behandelt, so daß auch (JElO5' und aya(Jo5' (fast?) äquivalent sein sollten. 62 VA 8,7. 63 VA 7,20; 8,5.
12. Philostrats Vita Apollonii
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Apollonios sei ein Magier bzw. Goet, der sich mit Hilfe dubioser Mittel bereichere. Apollonios verteidigt sich gegen diese Anklage, indem er die wahre Philosophie als das einzige Gewerbe darstellt, das nicht auf Gewinnsuche aus ist, und die Goeten als cj;E086uoCPOL brandmarkt, die nach übermäßigem Reichtum streben. In diesem Zusammenhang beruft er sich auf seine engen Beziehungen zu Vespasian, Domitians V ater (VA 8,7 ,2f.). Vespasian habe weder von ihm Zauberkünste erwartet, noch seine Tracht beanstandet. Vielmehr habe er viel Lob von dem Kaiser für seine einfache Lebensweise geerntet. Um dies zu belegen, zieht Apollonios einen Brief, den Vespasian an ihn gerichtet haben soll, heran: 64 Wann aber und wo, mein Kaiser, hast du bei mir Reichtum wahrgenommen, daß du mich für einen solchen Falschwisser hältst (i/JEo8oaocp{av ETn T1]8EVELV j1E)? Hat denn nicht gerade dein Vater der Meinung gehuldigt, ich sei über Schätze jeder Art erhaben? Als Beweis, daß ich die Wahrheit sage, habe ich hier den Brief des YEvvaL05' Kai 8EL05' Mannes, der darin unter anderem auch die Armut preist. .. (Brief folgt).
Auch hier ist damit zu rechnen, daß ßELOS- auf eine moralische Qualität bezogen ist. 65 Dies wird umso wahrscheinlicher, wenn man beachtet, daß Philostrat das Lexem YEvvaLos- kaum verwendet, um auf edle Herkunft bzw. Nobilität Bezug zu nehmen, sondern als Qualitätsadjektiv, das sich auf eine moralische Kategorie bezieht. 66 Öfters wird YEvvaLos- eng mit anderen derartigen Qualitätsadjektiven verbunden: XPT]uT6s- TE Kai aAAws- YEvvaLos-;67 YEvvaLOS- TE Kai clyaß6s-;68 8LKaL6s- TE Kai YEvvaLos- Kai uwcppUJV. 69 Das Lexem tritt also in syntagmatische Relationen, die allesamt auch für ßEL os- (in der Bedeutung "fromm", "moralisch überragend", "rechtschaffen") bezeugt sind, so daß das Lexem YEvvaLos- etwa mit "rechtschaffen" oder "tüchtig" übersetzt werden muß. Es wird also schwer fallen, im vorliegenden Text die Grenzen zwischen den Lexemen ßELOS- und YEvvaLoS- genau abzustecken. Sie gehören jedoch deutlich demselben Wortfeld an, so daß eine Übersetzung wie "eines tüchtigen und rechtschaffenen Mannes" wohl das Richtige treffen wird. Dies wird vom Vespasianbild im vorliegenden Abschnitt wie auch im Gesamtwerk bestätigt. Apollonios zufolge wäre Vespasian nicht geeignet für die Herrschaft, falls er VA 8,7,3 S. 306 Kayser. Auf jeden Fall ist 8EL05' hier nicht als Übersetzung von "divus" zu verstehen, dagegen spricht die enge Verbindung mit einem anderen Adjektiv (derselbe Ausdruck wird in 3 ,28 für Apollonios gebraucht, vgl. 5,27), so~ie das Fehlen des Namens des Kaisers, vgl. VS 2.,.562 und Dialexeis 1, wo das griechische Aquivalent von "Divus Marcus Aurelius" vorliegt. Uber den Gebrauch von "divus", vgl. Leo Koep, Art. Divus, RAC 3, 1957, Sp. 1251-7; ein Verzeichnis der Belege findet sich bei W. Schwering, Art. Divus, ThesLL, S. 1649-59. 66 V gl. die Übersetzung von Mumprecht an den jeweiligen Stellen, wo das Wort vorkommt, weiterhin die Wörterbücher s.v. YEvvaL05': Menge/Güthling: "tüchtig", "aufrichtig"; LSJ: "noble of mind". vgl. z.B. VA 1,33.34; 2,20; 3,23 u.ö. 67 Vgl. VA 1,33; 2,20. 68 Vgl. VA 1,34. 69 Vgl. 5,28, da in bezug auf Vespasian! 64 65
292
Teil IV: Applikation und Interpretation
versucht hätte, sie durch Zauberei zu erlangen, denn er habe sie nur durch die Tugend erlangen können (fjv [sc. dpX7}v] apETal:; l8El KaTaKTGaBal).7 0 Wenn Apo11onios Vespasian zur Aufnahme der Herrschaft drängt, redet er ihm folgendermaßen zu: 71 Ich wünsche aber, daß die Menschenherde nicht aus Mangel an einem gerechten und weisen Hirten (BLKa[ov TE Kal awcppovos-) zugrunde geht; denn ein einziger Mann, der sich in der Tugend auszeichnet (apETfj TTPOVXUJV), kann die Demokratie so gestalten, daß sie zur Alleinherrschaft des Besten (ToD apLaTov) wird; genauso wird eine Monarchie, die in allem das gemeinsame Wohl bedenkt, zur Demokratie.
Das Urteil über Vespasian ist in der Vita - abgesehen von dem Vorwurf, er unterjoche Griechenland - durchaus positiv, so daß Philostrat resümieren kann, daß er seine Regierung zur Freude des Apollonios gut führte. 72 Auch im Rückblick war er, wie bei seinem Regierungsantritt, ein ßaulAEv:; 8lKalo:; TE KaL YEvvalO:; KaL uuJ
12.2.3 Sophistische Sprachspielerei: "Gute Menschen sind Götter"
Bevor wir jene Texte untersuchen, in denen Philostrat die eElO:; aVepUJTTO:;Terminologie Apollonios beilegt, wenden wir uns einigen anderen Texten zu, die in diesem Rahmen Beachtung verdienen. Es handelt sich dabei um Texte der Apolloniosvita, in denen Menschen als Götter bezeichnet werden. In VA 3,18 fragt Apollonios während seiner ersten Unterredung mit den indischen Philosophen, wofür sie sich hielten. Er bekommt die überraschende Antwort, sie hielten sich für Götter: Er stellte die Frage, wofür sie sich denn hielten, worauf Iarchas erwiderte: "Für Götter!" (TTGALV ouv ijPETO, T{vas- aVTovs- r]YOLVTO, 0 BE "fJEOV~' ELTTEV). Und als Apollonios nach dem Grund fragte, hieß es: "Weil wir gute Menschen sind!" (lTTEPO/lEVOV BE aVTov, Bul TL, ÖTl" tCPT] "ayafJoL la/lEV avfJpUJTTOl."). Dieser Ausspruch schien Apollonios so viel gesunden MenschenI
VA 8,7,2 S. 304 Kayser. VA 5,35 S. 194 Kayser. 72 VA 5,41. 73 V gl. 5,28. 74 Vgl. Suetons Bericht von der Heilung eines Blinden und eines Krüppels durch Vespasian in Alexandrien, Suetonius Hist. 4,81f. 70 71
12. Philostrats Vita Apollonii
293
verstand zu enthalten, daß er ihn später bei seiner Verteidigungsrede gegen Domitian verwendete.
Philostrat deutet also selbst an, daß diese Texte sich gegenseitig bedingen. Dieselbe Aussage taucht dann auch tatsächlich in ApolIonios' Verteidigung während seines Prozesses vor Domitian auf (V A 8,5): Des weiteren fragte der Kaiser: "Warum nennen die Menschen dich einen Gott?" (TTaALv ifPETO "ToD XaPLV OL av()pwTToL ()EOV aE oVO/l a(o vaL v;") "Weil jeder Mensch, den man für gut hält, mit dem Namen eines Gottes gegehrt wird", erklärte Apollonios (ÖTL TTGS-" ELTTEV "av()pwTTos- aya()osVO/lL(O/lEVOS- ()Eof) ETTWVV/lÜ!- TL/lGTaL). Woher diese Lehre in die Philosophie des Mannes eingeflossen ist, habe ich in der indischen Erzählung dargelegt.
In der Verteidigungsrede des ApolIonios, die er nach Philostrats Erzählung aufgezeichnet haben soll (VA 8,7,6), aber nicht habe vortragen können, nimmt er gleich im ersten Satz auf die Anschuldigung, er habe sich göttlich verehren lassen, Bezug: Sokrates sei zwar von den Athenern für einen Erneuerer in göttlichen Dingen (KaLvov j1EV Ta 8aLj10VLa) gehalten worden, sei jedoch weder "ein Dämon/Gott" (8aLj1ova) genannt, noch für einen gehalten worden.7 5 Apollonios wehrt sich gegen diesen Vorwurf und erklärt ausführlich, warum es gerechtfertigt sei, daß die Menschen ihm das Eponym ßEOS- beilegen. Er verfolgt dabei eine Doppelstrategie: Erstens bestreitet er unter Anführung verschiedener Gründe, daß er von den Menschen als göttlich verehrt worden sei. Daraus folgt zweitens,76 daß die Menschen mit der Bezeichnung ßEOS- etwas anderes bezweckt haben müssen als seine Vergöttlichung. Apollonios bietet dann eine sprachhistorische und eine philosophische Erklärung für diese Verwendungsweise des Lexems. Zunächst der erste Punkt 77 Der Ankläger behautet nämlich, die Menschen hielten mich für einen Gott (TOUS- av()pwTToVS- ()EOV ryYELa()a{ /lE) und scheuten sich, von mir betört, keineswegs, dies offen zu verkünden. Vor der Beschuldigung hätte er jedoch zeigen sollen, was ich gelehrt und was ich so Wunderbares gesprochen und getan habe, um die Leute zur Anbetung meiner Person (TOUS- av()pwTToVSTTpoaEvXEa()a{ /lOL) zu verführen. Denn weder habe ich, trotz meines klaren Wissens darüber, den Griechen jemals gesagt, worin und woraus meine Seele verwandelt wurde und zukünftig verwandelt werden wird, noch habe ich solche Meinungen über mich verbreitet, noch bin ich herausgegangen, um Orakelaussprüche und -gesänge (über mich) einzuholen, wie dies die Leidenschaft ist von denen, die die Götter anflehen,78 Ich kenne auch keine Stadt, wo man zusam75 Vgl. die in VA 7,11.20.21 und 8,5 formulierte Anklage und die Erzählung in 7,21, wo ein zynischer Spötter Apollonios empfiehlt, mit ihm vor die Stadtmauer zu gehen, wo er dem Philosophen den Kopf mit dem Schwert abtrennen werde: falls Apollonios stirbt, war er unschuldig und wird "frei" sein, falls er den Soldaten so erschreckt, daß er seinen Schwert fallen läßt, muß er tatsächlich göttlich sein (()ELOV TE avaYKT} VO/l{(Ea()aL) und wird für schuldig gefunden werden. 76 VA 8,7,7 S. 310f. Kayser. 77 VA 8,7,7 S. 310 Kayser. 78 Conybeare (LCL) übersetzt TWV ()EOKAVTOVVTWV <popa mit ':ils is the instinct of candidates for di vine honours". Vom Kontext her gesehen würde diese Ubersetzung sehr gut
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Teil IV: Applikation und Interpretation
mengekommen wäre, um Apollonios zu opfern (lv
-6
f80tE tvvLovTaS'
/1 TToMwVL4J ßVELV).
Nachdem er seine Wohltaten in den Städten aufgezählt hat, schließt er mit der Aussage, daß sie nur zum Vorteil des Kaisers geschahen: 79 . .. so daß, falls sie mich also wirklich für einen Gott gehalten haben (war El Kal ßEOV i]YOVVTO /lE), diese Täuschung (i] aTTaT7]) für dich nur Gewinn gebracht hat ... Aber in Tat und Wahrheit haben sie dies gar nicht geglaubt (aM' ovxl TOVTO 450VTO) ...
Apollonios weist also das Ansinnen, er sei von den Menschen für ein göttliches Wesen gehalten worden, von sich. Diese Ablehnung entspricht einer Tendenz, die aus der gesamten Vita hervorgeht, nämlich die Abweisung der Verehrung von Menschen als göttlichen Wesen. Als Apollonios dem Kaiser das erste Mal vorgeführt wird, als jener gerade der Athene geopfert hatte,80 staunt Domitian über seine Erscheinung und sagt seinem Begleiter, er habe ihm einen Dämon vorgeführt (BaLllova 1l0l E1TEaryyaYES-). Darauf erwidert ApolIonios, er habe gedacht, Athene hätte Domitian wie einst Diomedes die Gabe geschenkt, Götter und Menschen unterscheiden zu können. Jetzt erkennt er jedoch, daß sie dies nicht getan hatte, obwohl es gewiß nötig war, damit er nicht die Menschen (konkret: ApolIonios) unter die Gestalten der Dämonen reiht (ws- ... TOUSavBpas- 117] ES- Ta TWV BallloVWV ErBT] TaTTolS-). Philostrat gibt sich sehr viel Mühe, jeglichem Verdacht entgegenzutreten, daß Apollonios sich in irgendeiner Weise zu göttlichem Status emporheben ließ. Als er von einer dem Buch des Maximos von Aigai entnommenen Lokaltradition,81 nämlich daß die Menschen Apollonios 1TaLS- ToD L1loS- genannt hätten, berichtet, fügt er sofort hinzu, Apollonios habe sich selbst immer nur als Sohn des Apollonios bezeichnet. Auch am Ende seiner Erzählung, als er berichtet, daß viele Menschen in den olympischen Zeustempel geströmt seien, um Apollonios dort nach seiner wunderbaren Rückkehr aus Rom zu sehen, überschreitet Philostrat diese Grenze nicht: Es sei fast dazu gekommen, daß Apollonios angebetet wurde (ou 1TOPPW ToD 1TpoaKvvELv aUTov), aber eben nur fast. 82 Als die Menschen ihn bei einer passen - Apollonios sagt, er habe sich nicht von Orakeln bestätigen lassen, daß er göttlich sei, wie dies Aspiranten für göttliche Ehre leidenschaftlich tun würden. Allerdings ist ßEOKAVTELV m.W. in dieser Bedeutung nicht bezeugt. 79 VA 8,7,7 S. 311, Z. 2ff. Kayser. 80 VA 7,32. 81 Nachdem man seit Meyer meistens annahm, daß sowohl die Damispapiere als auch das Buch des Maximos eine Fiktion Philostrats waren, gibt es neuerdings einige Forscher, die für die Echt~~it des Maximosberichtes plädieren, vgl. Fritz Graf, Maximos von Aigai. Ein Beitrag zur Uberlieferung über Apollonios von Tyana, JbAC 27/8, 1984/5, S. 65-73; Dzielska, Apollonius of Tyana, S. 34f.62-63: "The historicity of Maximus and his work cannot be questioned ... ", ebd., S. 62. Vgl. Rufus Fears, Art. Herrscherkult, RAC 14, 1988, Sp. 1047-1093, da bes. 1073-1084 zum weitverbreiteten Widerstand während der Kaiserzeit gegen die Vergöttlichung von Herrschern, die noch lebten. 82 In 1,19, wo von Damis' Verehrung für Apollonios die Rede ist ("er blickte zu ihm wie zu einem Dämon auf / als ob er ein Dämon wäre": waTTEp 8aL/lOVa fßAETTE) , liegt jedoch
12. Philostrats Vita Apollonii
295
anderen Gelegenheit in Olympia übermäßig feierten, fragte ein darüber verärgerter Korinther, ob sie ihm nicht Theophanien feiern wollten, woraufhin einer begeistert zustimmte. Apollonios jedoch lenkte sofort davon ab,83 Jedoch gebühren nicht nur ihm selbst, sondern keinem Menschen göttliche Ehren: In demselben Abschnitt, nur einige Zeilen weiter, berichtet Philostrat von einem Dialog mit den Stadtoberen in Sparta, in dem man ihn der Reihe nach fragte, wie man die Götter, die Heroen und Menschen verehren solle (1TtDS- ()EOL / ijpwEs- / aVepW1TOl ()Epa1TEvTEol). Philostrat läßt seinen Apollonios die ersten beiden Fragen in der für ihn üblichen knappen und etwas kryptischen Art (ws8EO'1ToTal / 1TaTEpES-) beantworten, die letzte Frage jedoch brüsk als Spartas nicht würdig zurückweisen (ou AaKwvlKoV).84 Als Apollonios in BabyIon ankommt, verweigert er dem König die übliche Reverenz. 85 Dieser Tendenz entspricht es, wenn Apollonios während seines Prozesses, nach der Aufforderung "zum Gott aller Menschen" [ES- TOV G1TaVTWV av()pu51TwV ()EOV, d.h. zum Kaiser] aufzublicken, "seine Augen zur Decke emporhob, zum Zeichen, daß er zu Zeus aufschaue. Denjenigen, der sich auf eine so gottlose Weise (d O'EßWS-) schmeicheln ließ [d.h. Domitian], hielt er indes für schlimmer (KaKLw ... i}YOVIlEvos-) als den Schmeichler selbst" .86 Einen Menschen für einen Gott zu halten, kommt also der Asebie gleich und ist moralisch schlechtes Handeln. All diese Stellen zeigen, daß es der Konzeption des Gesamtwerkes entspricht, wenn Apollonios in seiner Verteidigungsrede in Abrede stellt, daß er für ein göttliches Wesen gehalten worden sei.
keine explizite Ablehnung vor - wahrscheinlich reichte Philostrat das vergleichende und somit einschränkende cfJaTTEp aus. 83 Vgl. VA 4,31. 84 Wie jeder andere Grieche hat Philostrat gar nichts gegen die jahrhundertelang gepflegte Sitte der Heroisierung der Toten einzuwenden gehabt: Auch für Apollonios ist mindestens in Tyana ein Heroon errichtet worden, wie Philostrat selbst es bezeugt, VA 1,5; 8,29.31, vgl. Dio Cassius 77,18,4. Er berichtet dann auch von verschiedenen Lokaltraditionen (VA 8,30), die seine Heroisierung klassisch im Sinne der Entrückung deuteten, vgl. dazu Erwin Rohde, Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglauben der Griechen, 2 Bde., 5. u. 6. Aufl., Tübingen 1910, hier Bd. I, S. 68-75; Georg Strecker, Art. Entrückung, RAC 5, 1962, Sp. 461-476, da 465f. Zu der (zweifelsohne historischen) Heroisierung des Apollonios vgl. die Diskussion in Dzielska, Apollonius of Tyana, S. 58-73. Auf dem Hintergrund der hier vorliegenden Untersuchung ist die von ihr stellenweise vorgenommene Verbindung von der 8EfoS' äv8pwTToS'-Terminologie mit dem Heroenkult (ebd., S. 61f.67) jedoch revisionsbedürftig. 85 Vgl. VA 1,27f. 86 VA 8,4: avtaXEv 0 ~TTOM.wvlOS' TOUS' ocp8aAflouS' ES' TOV öpocpov Ev8ElKvvflEVOS' flEV TO ES' TOV iJ.{a OPo.v, TOV 8E aaEßwS' KOAaKEv8tvTa KaK{w ToD KOAaKEvaavToS' iJYOVflEVOS'. Bekanntlich ließ Domitian sich seit seinem Dakertriumph im Jahr 86 deus et dominus nennen. Wer diesem Herrscherkult, der sich deutlich von dem üblichen Kaiserkult absetzte, entgegentrat, kam in Konflikt mit ihm, wie die große Stoikerverfolgung des Jahres 93 eindrucksvoll zeigte. Sie bildet auch die Kulisse für Philostrats Fiktion eines Prozesses, in dem Apollonios Domitian zum Opfer gefallen sein soll. Mit geschickter Ironie spielt er auch in der Verteidigungsrede hierauf an: Die Anklage, er werde vergöttlicht, soll nicht nur den Kaiser, sondern sogar Zeus das Fürchten lehren, vgl. den Anfang von VA 8,7,7.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Unvermittelt geht Apollonios jetzt dazu über zu erkären, in welchem Sinne ein Mensch, auch wenn dies nicht zu religiöser Verehrung führt, für einen eEOSgehalten werden darf: 87 ... denn (sie glaubten,) es besteht (nur) eine gewisse Verwandtschaft zwischen Mensch und Gott (ÖTL 8 EaT{ TLS- dv8pwrr4J rrpos- 8EOV 'VYYEvELa), kraft derer der Mensch allein unter allen Lebewesen die Götter kennt und sowohl über seine eigene Natur als auch über die Beschaffenheit seiner Teilnahme am Göttlichen philosophiert. Dementsprechend sagt man einerseits (<jJT}at /lEV ODV Kat), daß die menschliche Gestalt selber Gott ähnlich sei, wie es sich die Bildhauerei und Malerei vorstellt; andererseits ist man davon überzeugt, daß seine Tugenden von Gott auf ihn kommen (Tas TE dPETaS- 8E68EV ijKELV Err aUT6v) und daß diejenigen, die an ihnen teilhaben (/lETEXOVTaS- aUTCJv), gottnah und göttlich (dYXL8EOVS- Kat 8E{OVS-) sind. Als Lehrer dieser Überlegung wollen wir aber nicht die Athener nennen, weil sie als erste die Gerechten (TOUS- 8LKa{ovs-) sogar mit dem Eponym "Olympier" und mit dergleichen Eponymen bezeichnet haben (Kat TOUS- JOAVf.1 rr{ovs- Kat TaS- Touia8E ETI WVVf.1{as- rrpCJTOL l8EVTO) - Eponyme, die aller Wahrscheinlichkeit nach allzu göttlich sind, als daß sie einem Menschen beigelegt werden könnten (8ELOTEpaS-, WS- Ta ElK6s-, ovaas- ij Eri dv8pwrr4J KELa8aL) -, sondern ApolIon im pythischen Tempel.
J
Gott und Mensch sind verwandt in dem Sinne, daß sie vernünftige Wesen sind. Seine vernünftige Art ermöglicht es wiederum dem Menschen, zu untersuchen, inwiefern er am Göttlichen teilhat. Zwei Antworten werden gegeben: Einerseits deutet man die Teilnahme auf eine gemeinsame Gestalt hin, andererseits versteht man sie moralisch als Teilnahme an den moralischen Qualitäten bzw. Tugenden Gottes. 88 An dieser Stelle taucht jetzt die eELOS- av8puJ1TOs-- Terminologie in der bisher beobachteten qualitativen Verwendung auf: Den, der an den Tugenden Gottes teilnimmt, bezeichnet man als ayxteEoS- bzw. 8ELOS'. Auch hier ist deutlich, daß das Prädikat 8ElOS- sich auf eine moralische Qualität bezieht. 89 Apollonios gibt jetzt eine "historische" Erklärung für diesen Gebrauch: Urheber dieser Verwendung, daß die tugendhaften bzw. gerechten Menschen aYXletovs- Kat eELOVS- genannt werden, seien jedoch nicht die Athener. Sie haben zwar die Gerechten als JOAVj1TTlOl und ähnliches bezeichnet,90 doch scheinen diese Eponyme Apollonios ihrer Erhabenheit wegen nicht dazu
87 VA 8,7,7 S. 311, Z. 6ff. Kayser. 88 Hier kommen auf engstem Raum alle drei Theorien vor, die die Griechen vorgebracht hatten, um die Verwandtschaft von Gott und Mensch zu beschreiben: Das primitive genealogische Verständnis schlägt sich in der bildlichen Darstellung nieder, dazu kommen die späteren, sich gegenseitig beeinflussenden Modelle, die Mensch und Gott als vernünftige bzw. moralische Wesen verstehen; vgl. Heinrich Dörrie, Art. Gottesvorstellung, RAC 12, 1983, Sp. 81-154, dort 127-129.135-138. 89 Auch das Lexem dyX{ 8EOS- gehört offenbar demselben Wortfeld an. Die semantische Nähe zu Lexemen wie 8EO<jJLAr7S-, vgl. auch öaLos- / EuaEßr7S- / 8EoaEßr7S-, ist offenbar. 90 Gedacht ist an Perikles, der in Athen "der Oympier" genannt wurde, vgl. Plutarch PerikIes 39.
12. Philostrats Vita Apollonii
297
geeignet, die Gerechten zu bezeichnen. Der Ursprung des Gebrauchs lasse sich auf den pythischen Apollon zurückführen: 91 Als Lykurgos zu Apollons Tempel kam, nachdem er gerade seine Gesetze geschrieben hatte, mit denen er Sparta geordnet hatte, rief Apollon ihn aus und prüfte seinen Ruhm. Am Anfang des Orakels sagte er, er sei unsicher, ob er ihn "Gott" oder "Mensch" nennen solle (dTTOpELV, TToTEpa Xpry eEOV fj aVepUJTTOV KaAELv), als er jedoch hervortrat, entschied er sich, ihm die Bezeichnung "Gott" beizulegen (l/JrlcpL(ETaL T7}V ETTUJvV/1LaV TaVTTJv), weil er ein guter Mensch ist (wS' dv8pl dyaeep). Und niemand brachte etwas gegen Lykurgos vor, noch drohte ihm wegen dieser Ereignisse Gefahr unter den Spartanern, als ob er die Unsterblichkeit anstreben würde (wS' deaVaTL(OVTa), (nur) weil er, als er von dem pythischen Apollon in dieser Weise angesprochen worden war, ihn nicht zurückgewiesen hatte ...
Apollonios (bzw. Philostrat) definiert hier die Bedeutung des Nomens ßEOS' mit Rückgriff auf die Lykurgostradition92 neu. Lykurg sei das Lexem beigelegt worden, weil er als avT}p ayaßoS' gilt. 93 Das Lexem ßEOS' wird dadurch seiner herkömmlichen Bedeutung entleert und einem anderen Wortfeld zugeordnet, nämlich demjenigen, dem auch das Adjektiv ßELOS' angehört. Dadurch ist Philostrat eine Sprachspielerei, wie sie die Sophisten nur liebten, gelungen: Ausgehend von der Polysemie des Lexems ßELOS' wird dieselbe Bedeutungstruktur dem Lexem ßEOS' übergestülpt, so daß 6 ßEOS' zu einem Äquivalent von 6 ßELOS' und dadurch sinnverwandt mit Ausdrücken wie 6 ayaßoS' /8LKaLoS' (aVTjp) gemacht wird. 94 Dieses Sprachspiel hat Philostrat, wie wir schon gesehen haben, auch an anderen Stellen in seiner Vita angewandt. So sagt Iarchas in VA 3,18, die Inder hielten sich für ßEOL, weil sie gute Menschen seien (6 8E ßEOVS' EL1TEV ... ÖTL ... ayaßoL EUj.1EV avßpUJ1ToL), und Apollonios sagt in VA 8,5, jeder gute Mensch werde mit diesem Eponym bezeichnet (1TaS' avßpUJ1ToS' ayaßoS' vOJ.1c (Oj.1EVOS' ßEOV E1TUJVVj.1Lg TLj.1aTaL). Das darf jedoch nicht so verstanden werden, als ob die Bezeichnung geeignet wäre, jedem Menschen, der sich in irgendeiner Weise gut benimmt, angehängt zu werden. Denn in der Vita ist das TO ayaßov ELvaL das höchste Ziel des Lebens, ayaßoS' das höchste ethische Prädikat überhaupt. Dementsprechend formuliert Apollonios als höchstes Lebensziel für sich selbst, daß er als ein guter Mensch betrachtet werden könnte, wenn er ein (richtiger) Philosoph w,äre (TO YE avr}p ayaßoS' 80KELV, El CPLAOUOCPOL l]v).
Was dies konkret zum Inhalt hat, ist das Thema der Überlegungen, die auf die Lykurgoserzählung folgen: 95
VA 8,7,7 S. 311 Kayser. Vgl. Herodot 1,65; Plutarch Lykurgos 4,5. Geschickt unterstreicht Apollonios dadurch nochmals seine Unschuld: Die Prädikation mit eEOS' implizierte nicht, daß Lykurg dadurch zu einem Gott wurde, wie man daran sehen kann, daß man ihn auch nicht der Asebie bezichtigte. 94 Vgl. auch Petzke, Traditionen, S. 218. 95 VA 8,7,7 S. 311f. Kayser. 91
92 93
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Die Lehre [der Inder und Ägypter] hält fest, daß einerseits Gott der Urheber von sowohl der Entstehung als auch der Existenz aller Dinge ist (Tijs- f1Ev TtJV ÖAUJV YEVEaEWS- TE Kai oua{as- ()EOV BTJf1LOVpyov), daß andererseits der Grund dafür, daß er diese Dinge bewerkstelligt (ToD BE EV()vf1TJfJf]vaL TaDTa aLTLov), darin liegt, daß er selbst das Gute ist (TO aya()ov ELvaL aUTov). Ferner, weil diese Begriffe [d.h. ()EOS- und aya()oS-/To aya()ov, D.d.T.] verwandt sind (tVYYEVfj), halte ich an der Lehre fest und behaupte, daß auch die Guten unter den Menschen etwas von Gott in sich tragen (TOUS- aya()ous- TtJV av ()pWTTUJV ()EoD TL EXELV).
Demzufolge sind die Begriffe (JE6s- / (JElDS- und aya(J6s- nicht nur semantisch gesehen sinnverwandt, sondern auch ontologisch gesehen ist Gott das Gute. Ferner lasse sich aus der engen Verwandtschaft von Göttlichem und Gutem schließen, daß auch der gute Mensch etwas Göttliches (nämlich das Gute) in sich trage, d.h. daß die Äquivalenz (JE6s- / (JElDS- und aya(J6s- auch für Menschen gelten kann (jedoch ethisch eingeschränkt: nur der gute Mensch hat teil am Göttlichen).96 Diese ontologische Äquivalenz wird jedoch auch für den funktionalen Bereich nützlich gemacht: Sie begründet die Tätigkeit Gottes als Schöpfer und Unterhalter des Alls. Entscheidend ist jetzt, daß Apollonios fortfährt und parallel zum göttlichen Bereich für den menschlichen Bereich eine Tätigkeit konstatiert, die ihren Grund im Guten hat: 97 Was im Himmel ist, im Meer und auf der Erde, an dem Menschen (abgesehen von Tyches Schicksalbestimmungen) gleichermaßen beteiligt sind, solle als Ordnungsbereich gelten, der in der Verfügungsmacht Gottes, des Urhebers, liegt (KOaf10S- BE 0 f1Ev ETTi ()Etj] BTJf1LOVp4J KE{f1EVOS-). Aber es gibt auch einen gewissen Ordnungsbereich, der in der Verfügungsmacht des guten Mannes liegt (EaTL BE TLS- Kai ETT' äv8pL aya()tj] Koaf10S-), der jedoch nicht die Grenzen der Weisheit sprengt (ouX UTTEpßaAAUJV Ta aoq;{as- f1ETpa). Er bedarf, wie du, 0 Kaiser, vielleicht selbst sagen wirst, eines dem Gotte ähnlichen Mannes (avBpos- BELa()aL ()Etj] ElKaaf1EVov). Welche Form nimmt jetzt dieser Ordnungsbereich an? Undisziplinierte Seelen haften sich rasend an jede Modeerscheinung ... Trunkene Seelen stürzen sich auf alles mögliche ... Es ist jedoch ein Mann gefordert, der sich um den Ordnungsbereich dieser Seelen kümmern wird (aMa BEL avBpos-, ös- ETTLf1EA-TjaETaL ToD TTEpi aUTas- KOaf1ov), weil er durch die Weisheit dazu gelangt ist, ein Gott zu sein (()EOS- UTTO aoq;{as- fjKUJV). Denn nur er vermag (ouToai yap aTTOXPTJ) die Seelen von ihren Begierden abzubringen ...
Wie Gott, weil er gut ist, sich um den Fortbestand des Alls kümmert,98 so hat der gute Mann als Aufgabe, Menschenseelen auf den richtigen Weg zurückzuführen, sich also um das Wohl der Menschen zu kümmern. 99 Sein Ordnungsbe96 Diese metap'hysischen Überlegungen muten sehr platonisch an, obwohl Apollonios sie den Indern und Agyptern zuschreibt. Dadurch bringt er auch die früher nicht vollendeten Überlegungen zur Teilhabe des Menschen am Göttlichen (VA 8,7,7 S. 311 Kayser) zum Abschluß. 97 VA 8,7,7 S. 312, Z. 4ff. Kayser. 98 8,7,7 S. 312, Z. If. Kayser: ToD BE EV()vf1TJ()ijvaL TaVTa aLTLov TO aya()ov ELvaL aUTOV.
99 Aus dem Katalog der Vergehen der Seelen geht hervor, daß er sich einsetzen muß für eine neue Gesetzgebung, die Neuordnung kultischer Bräuche, die Abschaffung gemeinge-
12. Philostrats Vita Apollonii
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reich sprengt die Weisheit nicht, d.h. er kann nur dort tätig werden, wo die Weisheit anwendbar ist. Darum wird der Mensch auch durch die Weisheit zu einem guten Menschen bzw. einem Gott. Offenbar ist dies auch der Interpretationshorizont für die übrigen Texte, wo Menschen in der Vita als "Gott" bzw. "Götter" bezeichnet werden. lOO Da soll zunächst der Dialog von Apollonios und Domitian während seiner Audienz mit dem Kaiser in Betracht gezogen werden: 101 "Wie kommt es denn," fuhr der Kaiser fort, "daß du meine schlimmsten Gegner für Götter hieltest (1TWS- o{w cl1Tc TOUS- Ej10L 1TOAcj1lUJTaTovs- äv8pas- ßcousEVoj1laas-)?" "Welche Feindschaft", versetzte Apollonios, "besteht denn zwischen dir und jenen Indern Iarchas und Phraotes, die ich unter allen Menschen allein für Götter und dieser Bezeichnung würdig halte (ous- Eye); j10VOVS- dv ßPuJ1TUJV ßcOVS- Tc iJYOVj1al KaL d,{ovs- Tfis- E1TUJvVJ1{as- TaVT7]S-)?"
Es ist offenkundig, daß dieser Text nur dann sachgemäß interpretiert wird, wenn er auf dem bisher erörterten Hintergrund verstanden wird. Apollonios verweist hier auf die Inder Phraotes und Iarchas als ßEOL, weil sie seiner Ansicht nach gute Menschen sind, nicht jedoch, weil er der Meinung wäre, sie seien göttliche Wesen, die zeitweilig auf der Erde verkehren. Nur die moralisch hervorragendsten Menschen hätten Anspruch auf diese Bezeichnung. Es ist das Ziel des gesamten dritten Buches sowie der Auseinandersetzung mit den Ägypern im sechsten Buch zu zeigen, das ApolIonios' indische Lehrer alle anderen Menschen in moralischer Qualität übersteigen. 102 An dieser Stelle sei eine Zwischenbemerkung erlaubt: Es sei darauf aufmerksam gemacht, daß der Gebrauch von ßEOS' als Bezeichnung für den dyaßoS' dvf}p sich nur geringfügig von der qualitativen Verwendung der ßElOS' avßpwTToS'- Terminologie unterscheidet,103 er scheint von Philostrat als Spezialfall jener qualitativen Verwendung des allgemeinen Sprachgebrauchs konzipiert zu sein. 104 Ferner ist zu beachten, daß regelmäßig sowohl mit der Bezeichnung ßEOS' (als dyaßoS' dvf}p) als auch mit der ßElOS' avßpwTToS'-Terminologie (im Sinne eines Hinweises auf den Garanten der Tradition) auf die indischen Philofährdender Leidenschaften und die Wiederherstellung eines einfachen Lebenstils. Man vergleiche dies mit dem, was Apollonios nach seinen eigenen Worten (8,7,7 310, Z. 310ff.) in den Städten getan hat. 100 Falls man in 3,29 die Lesung Kaysers akzeptiert (OUTOl ol ßcLO{ Tc KaL ao<j;OL äv8pcs-), gehört auch dieser Text in diese Kategorie: Apollonio~.ist durch die Inder, die gute und weise Männer sind, dorthin geführt worden; vgl. jedoch die Uberlegungen hier oben. 101 VA 7,32. 102 Entsprechend beschließt Apollonios seinen Brief an die indischen Philosophen (VA ~.,51, Ep. 77c Penella) mit lppUJaßc dyaßoL <j;lAoaoq;ol, vgl. weiterhin VA 6,11 und die Uberlegungen dazu hier oben; vgl. 3,28 zu Apollonios' Urteil über Phraotes. 103 Wie schon hier oben gezeigt wurde, läßt sich einer Kontextanalyse von VA 3,25; 6,19; 8,7,7 entnehmen, daß das Lexem ßcLOS- und Lexeme wie dyaßos- / XpryaTos-einem gemeinsamen Wortfeld angehören, wobei die semantischen Grenzen zwischen den Lexemen nicht immer präzise bestimmt werden können. 104 Darauf deutet auch das Auftauchen der ßcLOS- ävßpUJ1Tos-- Terminologie am Anfang der Argumentation in VA 8,7,7, daß ein guter Mensch ein Gott ist (ebd. S. 311, Z. 8 Kayser), hin.
300
Teil IV: Applikation und Interpretation
sophen Bezug genommen wird. Die indischen Philosophen in Philostrats Erzählung sind nicht nur die Garanten derjenigen Tradition, in die Apollonios sich selbst stellt, sondern sie sind vor allem auch in ethischer Sicht die vollkommenen Menschen, d.h. die Guten. Deshalb ist damit zu rechnen, daß besonders dort, wo sie als Garanten der Tradition bezeichnet sind, auch die Bedeutung der qualitativen Verwendung bzw. der Konstruktion eEOS' als ayaeoS' avrjp konnotativ mitschwebt. 105 Wir wenden uns in diesem Zusammenhang schließlich VA 3,50 zu. Wenn es dort von Apollonios heißt, viele würden nicht nur nach seinem Tod, sondern schon zu seinen Lebzeiten die Meinung vertreten, er sei ein Gott (ßEOV TOlS' TTOAAOlS' Elval 80tElV ou TEevEwTa /10VOV, aAAa Kai (wvTa), muß auch dieser Text innerhalb des abgesteckten Interpretationsrahmens verstanden werden. I06 Auf dem Hintergrund der klaren Tendenz des Werkes, die Vergöttli chung eines lebendigen Menschen, speziell die des Apollonios, abzulehnen, muß auch diese Aussage das Jonglieren Philostrats mit der Bedeutung des Lexems ßEOS' als Interpretationsrahmen haben. Die indischen Philosophen (die ja in die Zukunft schauen können), versichern Apollonios, ihm werde noch zu Lebzeiten das höchste Prädikat für das gute Leben zuerkannt werden - ihm wird also prophezeit, er werde auf die Stufe seiner verehrten Vorbilder aufsteigen und wie sie selbst das Eponym ßEOS' tragen. 107 Tatsächlich mußte sich Apollonios später vor Domitian wegen des Vorwurfes, er habe sich als Gott bezeichnen lassen, verantworten. Nach Philostrats Darstellung handelte er sich diese Beschuldigung ein, als er in Ephesus die Pest vertrieb (v gl. 7,21), also im Zusammenhang mit seiner Fürsorge für die Menschen. Damit sind wir bei Philostrats Gebrauch der eElOS' aVepUJTTOS'- Terminologie mit Bezug auf Apollonios angelangt.
12.2.4 Der philostrateische Apollonios als (JELosdMjp
An insgesamt acht Stellen in seiner Apolloniosvita (in 1,2.21; 2,17.40; 3,28.42; 8,13.15) und einmal in den Sophistenleben (VS 2,570) verwendet Philostrat die Terminologie im Zusammenhang mit Apollonios. Wir haben bisher die Voraussetzungen geschaffen, um den Gebrauch der ßElOS' avßpUJTToS'- Terminologie mit
105 Vgl. VA 3,29; 6,3; 6,11; 7,14; des weiteren die Überlegungen zu Ps-Apollo Ep. 48; M. Aurelius Medit. 67 im vorigen Kapitel und zu VA 7,14 hier oben, wo auf die Erscheinung aufmerksam gemacht wurde. 106 Daß Apollonios für einen Gott gehalten wurde, wird auch in den Briefen behauptet, vgl. Ep. 44: ... J.lE TiJV diUwv av8pwrrwv lao8Eov ryYOVJ.lfVWV, TLViJV 8E Kai 8EOV. Falls der Brief vor der Abfassung der VA entstanden ist (oder gar echt ist), dürfte dies sogar der Anlaß gewesen sein, daß Philostrat selbst das Thema aufgriff und so umbildete, daß Apollonios nicht mehr dem Verdacht der Vergottung ausgesetzt war. 107 So auch Petzke, Traditionen, S. 191.
12. Philostrats Vita Apollonii
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Bezug auf den Weisen aus Tyana beurteilen zu können. l08 Die Bedeutung der Terminologie für das Gesamtverständnis der Vita darf nicht unterschätzt werden, stellt doch Philostrat sein Werk unter die programmatische Aussage, es müsse überprüft werden, durch welche Art der Weisheit Apollonios in den Ruf geraten ist, er sei BaLJ1ovLoS' Tc Kai ßcLOS'.109 Wir beginnen die Untersuchung mit einer Aussage in VA 3,28: Als der Wein seine Runde gemacht hatte, sagte Iarchas, nachdem er auch mit der Hand auf Apollonios, der unter ihm am Tische saß, gezeigt hatte: "Ich lasse dich jetzt, 0 König, auf den griechischen Mann trinken" und kündigte dadurch im voraus an, daß er YEvvaLOS- TE Kat 8ELOS- sei.
Dieser Text hat eine direkte Parallele in dem weiter oben schon behandelten Text über Vespasian in VA 7,8,3: Dort wie hier wird der betreffende Referent als ycvvaL oS' Kai ßcLoS' bezeichnet. Es ist also zu erwarten, daß die beiden Wendungen gleichbedeutend sind. Das würde implizieren, daß auch hier der qualitative Gebrauch der ßcLOS' avßpwTToS'- Terminologie vorliegt, daß Iarchas also auf die moralische Qualität des Weisen aus Tyana aufmerksam macht. Wie schon in der Analyse von 8,7,3 gezeigt wurde, werden ycvvaLoS' und ßcLOS' von Philostrat als eng sinnverwandte Begriffe verwendet,110 um eine Person als überaus rechtschaffen, aufrichtig oder tüchtig zu beschreiben. Dies kann jetzt mit Beobachtungen am unmittelbaren Kontext in V A 3,28 unterstützt werden. Während des nachfolgenden Dialogs mit Phraotes und Apollonios erwiderte der König, Iarchas spende seinem Gast kein Lob, wenn er sagt, er widme sich der Philosophie, die es auch Phraotes nicht erlaubte, ein tüchtiger Mann zu werden (J1T}BE ... ycvVaL4J ycvEaBaL): das Wort ycvvaLOS' wird hier eindeutig in seiner ethischen Bedeutung benutzt. Der König behauptet ferner, er selbst habe ohne die Philosophie jede Tugend (f-J1oi BE dpcTr]V TTaaav) erworben. Apollonios erwidert, (nur) wenn man ein richtiger Philosoph sei, könne man als guter Mensch gelten (TO yc dVr]p dyaßoS' BOKcLV, cl cpLAoaocpoLT}v). Auch hier ist der Kontext eindeutig ethisch gefärbt, so daß die Wendung ycvvaLoS' Tc Kai ßcLOS' sich zweifelsohne auf Apollonios' moralische Qualität bezieht und nicht als ontologische Aussage mit der Bedeutung "von göttlicher und adliger Herkunft" gewertet werden darf. Der eindeutig ethisch gefärbte Kontext macht weiterhin den Gebrauch vonßcL oS' als Bezeichnung für den Garanten einer Erkenntnistradition bzw. für einen, der eine solche Tradition zu ihrem voll108 Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß Philostrat hierin von seinem sonstigen Sprachgebrauch abweichen würde. Insofern sind die folgenden Überlegungen nur eine Applikation der bisher erzielten Ergebnisse. Natürlich werden diese Ergebnisse bei jedem Text nochmals auf den Prüfstand gestellt, damit sie auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden können. 109 VA 1,2 S. 3, Z. 15ff. Kayser: 80KEL oov j10L 111} ... ttaKpLßwaaL TOV av8pa ... TOLS-
TE Tfjs- aoif;Las- TPOTTOLS-, vif;' wv bj;avaE ToD 8aLj10VLOS- TE Kat 8ELOS- v0j1La8fjvaL. 110 Vgl. die Überlegungen hier oben zu VA 7,8,3: Vor allem tritt YEvvaLos- in denselben syntagmatischen Verbindungen wie 8ELOS- auf, vgl. z.B. XPTJaTOS- TE Kat aAAWS- YEvvaLOS", YEvvaL05' TE Kat dya8os-; 8LKaLOS- TE Kat YEvvaLoS-.
302
Teil IV: Applikation und Interpretation
kommenen Höhepunkt geführt hat, unwahrscheinlich. Iarchas signalisiert dem König nur im voraus, daß er es mit einem überaus tüchtigen und rechtschaffenen Menschen zu tun hat. Nur einige Paragraphen weiter (VA 3,42) liegt eine weitere Aussage von Iarchas vor, die fast wie eine Definition des ßELos- dvrjp aussieht: Als sich das Gespräch einmal um das Vorherwissen (7TEpl 8E 7TpoyvwaEUJSO) drehte, legte Apollonios dieser Weisheit großen Wert bei .c 7TpoaKELIlEvov rfj aoq;lq. Ta{rrv) und brachte die meisten Reden auf dieses Thema. Iarchas lobte ihn deshalb und sagte: "Diejenigen, mein guter Apollonios (xPTJaTE :47ToMwVLE), die sich an der mantischen Weisheit freuen (ol llaVTLK7} xalpOVTES-) , erweisen sich durch sie als eELOL und handeln zum Wohle der Menschen. Denn wer dies, mein Guter (xPTJaTE), was man sonst durch ein Orakel erfahren muß, für sich selbst voraussieht und anderen voraussagt (lq;' lavToD 7TpoL8EaeaL 7TPOEL 7TELV TE lTEpOLS-) , was ihnen unbekannt ist, den halte ich für einen sehr glücklichen Menschen, weil er dieselbe Kraft besitzt wie der delphische Apollon. "
Strukturell gesehen bietet dieser Text eine bemerkenswerte sachliche Parallele zu der oben behandelten Aussage über die Aufgaben des guten Menschen: dMcl 8EL dv8pos-, ÖS- ETTlflEA7}aE TaL ToD TTEpl aVTclS- Koaflov, ßEOS- UTTO aocp[asfjKUJV.lll Iarchas fährt nämlich fort und zählt die Bedingungen auf, die es jemandem ermöglichen, in die Zukunft zu schauen: " ... Und da das Ritual denen, die ein Orakel befragen wollen, vorschreibt, rein in den Tempel zu treten (Kaeapovs- KEAEVEL ßa8l(ovTaS- q;OL TGV) , ... scheint mir auch derjenige Mann, der das Kommende vorausweiß (TOV 7TpoyvUJa6IlEVOV äv8pa), von gesunder Wesensart zu sein (vyuJs- EXELV) und keinen Schandflecken in der Seele (Kal Ilr]TE KTJAL8a 7TpoallEil aXeaL T7] fVX7] IlTJ8EIl{av) und keine Narben von Sünden im Gemüte zu haben (jJ.r]TE OVAllSapapTTJllaTUJv lVTETv7TwaeaL rfj yvwIlV). Erst unter diesen Umständen vernimmt ja ein solcher Mann sich selbst und das Orakel in sich und vermag mit reinem Sinne zu weissagen (Kaeapws- 8E aVTov 7Tpoq;TJTEVELV) und seine Sprüche vernehmlicher und aufrichtiger erscheinen zu lassen. Daher braucht man sich nicht wundern, wenn auch du dieses Wissen besitzest, da du in deiner Seele soviel Äther hast.
Wie die Weisheit dort den guten Mann als einen Gott erscheinen läßt, der sich um das Wohl der Seelen kümmert, so läßt die mantische Weisheit die seelisch reinen Menschen im vorliegenden Text als eELoL erscheinen. Auch sie handeln zum Heil der Menschen. Diese strukturelle Parallelität legt schon nahe, daß ßELos- hier parallel zu ßEOS- dort, also im Sinne eines dyaeos- dV7}p, zu verstehen ist. Das kann jetzt anhand von Beobachtungen zu der Konzeption des Vorherwissens, die in der Vita vorliegt, bestätigt werden. Es ist nämlich Philostrat daran gelegen, nicht den Eindruck zu erwecken, daß die Kunst des Vorhersehens geheimnisvollen und wunderhaften Vorgängen zuzuschreiben wäre oder
111
VA 8,7,7 S. 312, Z. 19f. Kayser.
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12. Philostrats Vita Apollonii
gar aus magischen Fähigkeiten hervorginge. So sagt er programmatisch, er wolle mit der Vita der Ansicht entgegentreten, daß man Apollonios' Voraussehen der Magie und nicht seiner Weisheit zuschreibt (acpaLpo[)vTaL TOV ~ TTOAAWVLOV TO KaTo. aocpiav TTpOrL rVWa"KcLV Kai cpaaLv, wS' Jiarlp TEXVlJ
TaDi ETTpaTTcv).112 Entsprechend wehrt sich sein Apollonios gegen den Vor-
wurf, seine Vorhersage der Pest in Ephesus sprenge den Rahmen der Weisheit (TOUTt rap VTTEP aocpiav clvaL)113 und sei ein wunderhafter Vorgang (TcpaT(J8cS'), weil ein solch genaues Ergebnis nur auf Magie und verdecktes Treiben zurückzuführen sei. 114 Um dies zu beweisen, bedient sich Apollonios (bzw. Philostrat) zweier Argumente: einerseits weist er darauf hin, daß mehrere weise Männer in der Vergangenheit Zukünftiges voraussagten, ohne in den Verdacht der Zauberei zu geraten, andererseits versucht er aufzuzeigen, weswegen Apollonios dies auch tun könnte. Zunächst hebt Philostrat Apollonios auf eine Stufe mit den alten Weisen Anaxagoras, Thales, Demokrit und Sokrates,115 deren Weisheit seinem und generell dem antiken Verständnis nach nicht dem Verdacht der Irrationalität bzw. der Zauberei ausgesetzt ist. Dies geht besonders deutlich aus den nächsten Zeilen der Verteidigungsrede und dem programmatischen zweiten Kapitel des ersten Buches hervor. So lautet es dort: 116 Was würde wohl Sokrates dazu [sc. zur Beschuldigung, seine Vorhersage der Pest in Ephesus sei auf Wundertätigkeit und Zauberei zurückzuführen] sagen, der von einem Dämon zu lernen behauptete, was Thales und Anaxagoras, die Ionier, der eine eine Olivenernte, der andere viele himmlische Erscheinungen prophezeite? Oder haben sie dies etwa durch Zauberei bewirkt (i] YOTJTEVOVTE TTPOEL TTElV TavTa)? Auch die Männer wurden vor Gericht gezogen, aber wegen anderer Dinge. Nirgends jedoch kommt unter diesen Beschuldigungen vor, daß sie Zauberer gewesen seien, weil sie Kommendes voraussahen (ov8aflov TWV al TLWV TTPOYL yvwO'KoUO'L).
El'PTJTaL
YOTJTaS'
El vaL
O'<j>GS',
ETTEL8ry
Daß Apollonios vieles schon vorher bemerkt und vorausgesehen hat (TO TTpoaLO'fJEO'fJaL TTOAAa Kat TTpoyvwvaL), berechtigt keineswegs, ihm jene Art der Weisheit [sc. die Magie] zur Last zu legen; denn sonst müßte auch Sokrates ... das gleiche Urteil zuteil werden, desgleichen Anaxagoras wegen seiner 112 VA 1,2 S. 3, Z. Ilf. Kayser. Gleich von Anfang an also ist es ein zentrales Interesse Philostrats, den Vorwurf der Zauberei bzw. der Wundertäterei gegen Apollonios zu entkräften. Da dieser Vorwurf sich vor allem daraus speist, daß Apollonios die Zukunft vorhergewußt haben soll (vgl. VA 1,2), bemüht sich Philostrat, die Kunst des Vorherwissens von dem Geruch der Wunderhaftigkeit zu befreien. 113 V gl. 7,8,7 S. 312, Z. 7ff., wo gesagt wird, der Aufgabenbereich des guten Menschen sprengt nicht die Grenzen der Weisheit (OUX VTTf.pßaAAwv Ta O'o<j>{aS' flETpa). 114 VA 8,7,9 S. 314, Z. 27ff. Kayser: ... [0 KanJYop0S"] ... <j>TJO'Lv, ... ypa<j>EO'fJa[ flE, ...
ETTEL8T] TTPOElTTOV EflTTEO'ElO'fJa{ O'<j>LO'L TT]V v6O'ov, TOUTt yap VTTEP O'o<j>{av ElvaL Kat TEpaTw8ES', TfjS' 8 ETTt ToO'6v8E aATJfJE{aS' OUK äv E<j>LKEO'fJaL flE, El flT] y6TJS' TE 7]V Kat a TTOPPTJ TOS'. Die Tradition über Apollonios' Tätigkeit in Ephesus ist aller Wahrschein-
lichkeit nach historisch zuverlässig, vgl. Dzielska, Apollonius of Tyana, S. 30ff.79ff. 115 V gl. dazu die Diskussion in L. Belloni, Aspetti dell'antica O'o<j>{a in Apollonio di Tiana, Aevum 54, 1980, S. 140-149. 116 VA 8,7,9 und 1,2.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Weisagungen .... Während man dies der Weisheit des Anaxagoras zuschreibt, spricht man dem Apollonios die Fähigkeit, dank seiner Weisheit vorauszusehen, ab (Kai aoq;lg TavTa TOV :4.vatayopov TTpoaTdJEvTEs- dq;aLpovvTaL I
TOV
'A .f1
11 / A,/ / 1\ TTOIV\WVLOV TO KaTa aOyAaV TTPOYL yvwaKELV, ... I
I
Zweitens trachtet Philostrat danach, eine Erklärung für Apollonios' Fähigkeit des Vorherwissens zukünftiger Dinge zu geben. Denn nach der Konzeption der Vita ist das Vorherwissen ein vernünftiger, in der rationalen Weisheit begründeter Vorgang. Als Begründung gibt Apollonios vor dem Gericht folgende Erklärung ab: 117 Woher hatte ich das Vorgefühl von dem Unglück in Ephesus? Du hast vom Ankläger selbst gehört, daß ich nicht nach der Weise der anderen lebe. Auch ich sagte dir zu Beginn, daß meine Kost leichter und süßer sei als die sybaritischen Mahle der übrigen Welt. Dies, mein Kaiser, bewahrt meinen Sinnen eine unaussprechliche Klarheit (TOVTO j10L ... TaS- ala8rjaELS- EV al8plg TL vi dTTOpprjT4J q;vAaTTEL), wehrt alles Trübe von ihnen ab (KOVK Ei! 80AEPOV TTEpi aVTas ovBEv ElvaL) und erlaubt mir, wie im Licht des Spiegels zu erkennen, was geschieht und was geschehen wird (BLOpaV TE... TTaVTa YL YVOj1Eva TE Kai EaOj1Eva). Der Weise (0 aoq;os-) wird ja nicht warten, bis die Erde ausdünstet oder die Luft verdorben ist, wenn sich das Übel von oben herabsenkt. Er nimmt es vielmehr schon wahr, wenn es noch an der Schwelle steht (dMa tvvrjaEL aVT(Jv Kai ETTi 8vpaLs- ÖVTWV), später zwar als die Götter, früher jedoch als die Massen (vaTEpov j1EV fj oi 8EOl, 8aTTOV BE fj oi TToMol). Denn die Götter nehmen Ereignisse wahr, wenn sie noch bevorstehen, die Menschen jedoch erst, wenn sie stattfinden, die Weisen indes, wenn sie sich noch nähern (8Eoi j1Ev yap j1EMOVTWV, äv8pWTTOL BE YL YVOj1EVWV, aorpoi BE TTpoaLovTwv ala8avovTaL). Frage mich jedoch über die Gründe der Pest (AOLj1(JV 8 alTlas-) privat aus, 0 Kaiser, denn sie sind allzu weise (aoq;wTEpaL yap), als daß man sie den Massen erklären kann.
Apollonios führt also seine hellseherische Fähigkeit auf seine reine Lebensart bzw. seine Weisheit zurück. Das Vorhersehen wird in allererster Linie mit einer zunächst sehr merkwürdig anmutenden physikalischen Erklärung begründet: Der Weise sei imstande, Zukünftiges zu ergründen, weil er Kost ißt, die seine Sinne nicht trübt. Den Hintergrund bildet eine verbreitete antike Vorstellung, daß die Seele bzw. der Geist teils aus ungetrübtem Äther besteht 118 und daß die Nahrung, die der Mensch zu sich nimmt, sich direkt auf die Verfassung seiner Seele auswirkt. 119 So trübt der Wein den Äther in der Seele,120 Diese Vorstellung spielt in der gesamten Vita eine überaus wichtige Rolle, denn sie ist in der pythagoreischen Weisheit beheimatet und dient dazu, jene Lebensart, die auf
VA 8,7,9 S. 315 Kayser. VA 3,42 S. 117, Z. 18f. VA 8,7,4 S. 308, Z. If. In VA 1,8 wird derselbe Sachverhalt negativ ausgedrückt: die pythagoreische Diät beugt dem vor, daß durch tierische Nahrungsmittel der Verstand stumpfsinnig gemacht wird (TOV vovv TTaXVVELV). 120 VA 1,8; nach 6,11 S. 217 Z. 32f. trübt der Wein den Mischkrug der Weisheit, der nur in nüchternen Seelen steht. V gl. auch die ausführlichen Erörterungen in 2,35-37, dort auch, daß Traumweissagung nur in nüchternen Seelen stattfinden kann; vgl. auch 8,7,5. 117 118 119
12. Philostrats Vita Apollonii
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Schritt und Tritt in der Vita begegnet, zu motivieren. 121 Mehrmals schreibt Apollonios sein Vorauswissen ausdrücklich der pythagoreischen Weisheit zu: 122 " ... Ich selbst habe meine Weisheit von dem Samier Pythagoras, welcher mich gelehrt hat ... [es folgt eine Beschreibung der pythagoreischen Lebensart] ... Außerdem ist es ein Gebot jener Weisheit, sich jeglicher tierischen Nahrung zu enthalten. Ich kann also nicht ... an einem Trinkgelage oder am Müßiggang und am Luxus teilnehmen. Dagegen kann ich dir wohl die Lösung heilloser und schwer zu erklärender Probleme bieten, da ich nicht nur weiß, was zu tun ist, sondern sie auch voraussehe (ou YL YVWO"KUJV Ta TTpaKTEa /lOVOV, aUa Kat TTPOYL YVWO"KUJV). "
" ... Da erblickte ich jene unaussprechliche Art der Weisheit, der sich Pythagoras ergeben hat (El8ov O"ocp{aS' El8oS' äpp7] TOV, OU Kat JJveayopaS' TTOTE J]Tn]e7]) . ... sie redete mich an: " ... [es folgt eine Beschreibung der pythagoreischen Lebensart] ... Wenn du aber rein bleibst, werde ich dir die Voraussicht verleihen (Kaeap4J 8E OVTL O"OL Kat TTPOYL YVWO"KELV 8wO"UJ) ... "
Die pythagoreische Lehre ist also Bedingung für die Gabe des Vorherwissens, sie geht aus der Weisheit und Reinheit, die einen klaren Verstand gewährt, hervor. 123 Es gibt folglich in der Vita eine festumrissene Konzeption, daß das Vorherwissen auf die Weisheit zurückzuführen ist, im Falle eines Apollonios auf die pythagoreische Weisheit, die in der Vita vor allem eine Reinheitslehre umfaßt. Für die Aussage in VA 3,42 bedeutet dies: Der Mensch, der der pythagoreischen Weisheit gemäß seine Seele rein hält, der also ein den Göttern gefälliges und überaus gutes Leben führt, wird dadurch befähigt, die Zusammenhänge in der Welt so deutlich wahrzunehmen, daß er auch Kommendes wissen kann. Die Fähigkeit des Vorherwissens erweist jemanden als überaus gut im ethischen Sinne, als ecLOS". Das an dieser Stelle prädikativ verwendete Adjektiv tritt also auch hier in dem bisher bei Philostrat beobachteten Funktionszusammenhang
121 Programmatisch dem Gesamtwerk vorangestellt in VA 1,1: Seelenwanderungslehre, das Pflegen engen Umgangs mit den Göttern, die Ablehnung blutiger Opfer, der Verzicht auf Kleider und Nahrungsmittel aus tierischer Produktion sowie Schweigepflicht. Weiterhin (vgl. 1,8.32; 6,11; 8,7,4-6) das Tragen von langem Haar, Verzicht auf den Weingenuß, Verzicht auf jeglichen Luxus, sexuelle Abstinenz. Es handelt sich um ein heiliges, gottgefälliges Leben; die gottesdienstlichen Aspekte sind zentral, vgl. bes. 1,32 u.ö. 122 VA 1,32 und 6,11 S. 218, Z. 13ff. Kayser. 123 Man beachte, daß das Vorherwissen des Apollonios sich als rationaler, in der Weisheit begründeter Vorgang von der üblichen Orakelpraxis, die von kultischen Propheten ausgeübt wurde, unterscheidet. Dem entspricht es, wenn Apollonios in VA 4,44 sich weigert zu weissagen, weil er kein Prophet sei und, auf eine von ihm geäußerte Vorhersage angesprochen, fordert, daß dies nicht der Kunst der Mantik, sondern der Weisheit zugeschrieben werden muß (TOVTO 8E /lT] /lavTLKij TTpOO"T{eEL, O"ocp{q. 8E /lG)..)..ov). In ähnlicher Weise fragt Apollonios in seiner Verteidigungsrede, warum er die auf Opfer begründete Mantik bräuchte, wenn er Dinge schon selbst wissen kann: "Wie könnte ich als ein Weiser (O"ocpoS') gelten, wenn ich der Mantik (/laVTLKij /lEv TTLO"TEVUJV) mehr vertraue als der Weisheit (aTT{O"TUJv 8E O"oCP{q.), wenn ich die Ansichten eines Menschen deuten will?" (VA 8,7,9). Ein Kapitel weiter sagt er, den Weisen offenbarten die Götter ihren Willen auch ohne Befragung der Orakel (8,7,10).
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und somit in derselben Bedeutung auf. 124 Dies wird eindrucksvoll von einer Aussage in VA 8,7,10 unterstrichen: In welchen Wahnsinn müßte ich mich verloren haben, wenn ich, der ich so oft über die Mantik spreche und über die Bedingungen, unter welchen sie zur Wirkung kommt oder nicht, der ich am meisten weiß, daß die Götter frommen und weisen Männern (TOLs- oaLOlS' TE Kat aocpOLS' dv8pdal) ihren Willen auch ohne Befragung der Orakel offenbaren, meine Hände mit Blut und Eingeweiden besudelte, was mir ja verboten ist und nur Unglück bringen kann. Dann würde mir mein Dämon sicher seine Stimme entziehen, da ich nicht mehr rein wäre (dTTEAl TTEV äv JiE Kat 7} ToD 8alJiOVLOV 0JiCP1] Ji1] Kaeapov 11 •••
öVTa)."
Das Vorauswissen zukünftiger Dinge bescheren die Götter den oalol TE KaL aocj>oi av8pES' - offenbar sind dies diejenigen, die die Reinheitsbedingungen der pythagoreischen Weisheit einhalten, d.h. sachlich jene Menschen, die nach VA 3,42 sich durch ihre mantische Fähigkeit als BELOl erweisen. Es sei hier nochmals darauf aufmerksam gemacht, daß derselbe Sachverhalt an anderer Stelle mit dem Ausdruck BELOS' KaL aTEXvwS' aocj>6S' bezeichnet wird.1 25 Die zwei Lexeme BELoS' und oaloS' tauchen in demselben Funktionszusammenhang an derselben Stelle auf: Demjenigen, der die pythagoreische Lehre bzw. die pythagoreischen Reinheitsvorschriften einhält, wird das Prädikat BELOS' /oaloS' beigelegt. Wir haben also auch hier einen deutlichen Beweis dafür, daß die Lexeme BELOS' und oaloS' demselben Wortfeld angehören, denn sie tr~ten in denselben Substitutions- und Kombinationsrelationen auf. Dieser Zusammenhang begegnet auch in den Eingangskapiteln des Werkes, so daß auch dort damit zu rechnen ist, daß das Lexem BELOS' als Qualitätsadjektiv in der Bedeutung von "überaus fromm" bzw. "gottgefällig" auftritt: 126 Obwohl Apollonios ja denselben Beschäftigungen [sc. wie Pythagoras und Empedokles] nachzugehen pflegte (d8EAcpa yap TOVTOlS' iTTl TT]8EVaavTa) und sich, gar eElOTEpOV als Pythagoras (Kat eElOTEpOV fj 0 JJveayopaS'), der Weisheit näherte (Tij aocpLCf TTpoaEAeOvTa) und sich über die Tyrannei erhob, und obwohl er weder in uralter noch in jüngster Zeit lebte, kennen die Men124 Es gilt an dieser Stelle, einer möglichen Fehlinterpretation entgegenzutreten, die sich leicht einstellen könnte, falls man den Text in Isolation betrachten würde. Der Text soll nämlich nicht im Sinne der herkömmlichen eELOS' dVr7p-Hypothese aufgefaßt werden, als ob die Fähigkeit, die Zukunft vorherzuwissen, zeigen würde, daß hier übermenschliche Kräfte und Fähigkeiten wirksam wären, die signalisierten, daß der Betreffende bzw. Apollonios ein göttliches Wesen wäre. Dieses herkömmliche Verständnis würde implizieren, daß das Adjektiv eELOS' hier Klassenadjektiv wäre, vgl. Windisch, Paulus und Christus, S. 71f.: "Die Kunst der Mantik erhebt die Menschen in die Sphäre der Göttlichkeit ... " Gegen eine solche Auffassung spricht nicht nur die schon beobachtete Tendenz des Werkes, die Vergöttlichung von Menschen und speziell von Apollonios abzulehnen, sondern auch, wie wir gezeigt haben, die Sicht des Vorherwissens, die in dem Gesamtwerk entwickelt wird. Eine solche Konzeption verbietet es, die Aussage in VA 3,42 als Beweis dafür anzuführen, daß die Mantik eine übermenschliche Fähigkeit sei, die die Zuordnung zu einer Klasse göttlicher Wesen erfordern würde. 125 VA 6,14, dort von Sokrates, der sich des Schwörens enthält. Vgl. die Diskussion dazu hier oben. 126 VA 1,2.
12. Philostrats Vita Apollonii
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sehen ihn noch nicht genügend von der Seite der wahren Weisheit (OUTTW oi äv8pWTTOL YL yvwaKovuLv aTTa TfjS' aATJ8LvfjS' uocp{aS'), die er mit Wißbegier und in gesunder Art lebte (fjv CPLAOUOCPWS' Tc Kat VYLWS' Em]UKT}UcV) ...
Philostrat bezieht sich mit a8EAc/)(l yap TOVTOl:; ETn TT]8EVaaVTa auf den im ersten Kapitel des Werkes beschriebenen pythagoreischen Bios, in dem die zentralen Elemente der pythagoreischen Lehre (wie sie in der Vita eine Rolle spielen werden) aufgelistet werden: die Seelenwanderung, Verzicht auf Kleider aus tierischer Produktion, Enthaltung von Fleisch und blutigen Opfern. In diesem Zusammenhang wird Pythagoras' besondere Gottesnähe hervorgehoben: ,vvElval yap 87} TOl:; ßEOl:; Kai flavßavElv TTap' aVT(Jv.127 Apollonios habe nun die Weisheit angesteuert, indem er das pythagoreische Leben sogar besser als sein Vorbild Pythagoras geführt habe, er rage im ethischen Vollzug des Lebens über Pythagoras hinaus, war eben weit frommer und gottgefälliger als der Meister, ßElOTEPOV fj (; JIvßayopa:;. Daß Philostrat Pythagoras in seiner Sittlichkeit übertraf, wird prompt in der nachfolgenden Vita thematisiert: Anders als Pythagoras habe Apollonios nie geheiratet und sich nie vom Liebesdrang überrumpeln lassen! 128 Philostrat formuliert also gleich am Anfang das Ziel seines Werkes: Er will den Menschen Apollonios von dieser Seite zeigen als einen, der die wahre Weisheit (d.h. die pythagoreische Lehre) in ihrer reinsten Gestalt vertreten hat. Dazu ist er genötigt, da einige Apollonios für einen Zauberer (flayo:; / ßlaLUJ:; aocpo:;) halten, weil er bei den babylonischen Magiern, indischen Brahmanen und ägyptischen Gymnosophisten war bzw. weil er vieles vorher bemerkt und vorausgesehen habe (TO TTpoalaßEaßal TToMa Kai TTpoyv(Jval). Philostrat tritt diesen Vorwürfen entgegen, indem er argumentiert, weder habe man Pythagoras, Empedokles, Demokrit oder Platon, die jeweils mit Magiern bzw. ägyptischen Priestern und Propheten Umgang hatten, magische Praktiken vorgeworfen (OVTTUJ vm]xßT]aav Tij TEXVfJ [flaY4J] / OVTTUJ flaYEVElV t80,E) , noch habe man Sokrates und Anaxagoras wegen ihrer Fähigkeit, Zukünftiges vorherzuwissen, Zauberei unterstellt. Er fährt fort: 129 Während man dies der Weisheit des Anaxagoras zuschreibt, spricht man dem Apollonios die Fähigkeit, dank seiner Weisheit vorauszusehen, ab (Kat Uocp{q. TaDTa ToD 'Avafayopov TTPOUTL8EVTcS' acpaLpoDvTaL TaV 'A TTOAAWVLOV Ta KaTG uocp{av TTPOYL YVWUKcLV) und behauptet, er bewirkte dies mit Hilfe magischer Künste (Ka{ cpauLv, wS' paY4J TEXV1] TaDi ETTpaTTcv). Es scheint mir
deshalb erforderlich, über diese Unkenntnis der Menge nicht hinwegzusehen, sondern den Mann genau zu prüfen, sowohl nach der Zeit, da er dieses oder jenes sagte oder tat, als auch nach der Art der Weisheit, durch die Apollonios in den Ruf geraten ist (vopLu8ijvaL), er sei 8aLpoVLoS' Tc Kat 8cLOS'.
127 128 129
Vgl. VA 1,1 S. 1,11ff. VA 1,13, S. 13. VA 1,2 S. 3,10ff.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Philostrat sieht sich also vor die Aufgabe gestellt zu zeigen, daß Apollonios nicht durch Zauberei, sondern, wie auch die alten Weisen, durch seine Weisheit imstande war, Zukünftiges voraus zu merken und vorherzuwissen. Nachzuweisen ist auch, welche Art der Weisheit es ist, die ihm den Ruf einbrachte, 8alp6v l6S" TE KaL ßElOS" zu sein. Welches Verhältnis in der Vita zwischen diesen zwei Elementen besteht, haben wir hier oben erörtert: Rein muß man sein, d.h. ein gottgefälliges Leben muß man führen, damit die Seele auch Kommendes wahrnehmen kann - wer dies kann, hat sich in ethischer Hinsicht als überaus hervorragend, als vollkommen fromm erwiesen, eben als eElOS" und öaloS".130 Philostrat stellt sich die Aufgabe zu zeigen, daß Apollonios durch die Erfüllung der pythagoreischen Lehre so überaus rein und gottgefällig wurde, daß ihm das Prädikat ßElOS" zuerkannt wurde. Wie steht es jedoch mit dem Prädikat 8alp6vloS"? Es mag sein, daß die zwei Adjektive hier fast synonym benutzt werden,131 es scheint mir jedoch wahrscheinlicher, daß hier mit der Aufnahme des Lexems 8alp6vloS" auf einen ganz bestimmten Aspekt der in der Vita vorliegenden Konzeption des Vorherwissens Bezug genommen wird. 132 Denn nach der hier oben zitierten Aussage von VA 8,7,10 würde die Stimme von Apollonios' Daimonion (l} TOU 8alpovLoV 6pcp~) ihn verlassen, wenn er nicht mehr rein wäre. In dieser Weise wird sonst nur noch von Sokrates geredet, der dank seines Daimonions Kommendes gewußt (TTapa ToD 8alpovfov TTpoEyfyvUJaKE: 1,2 S. 3,3f.) bzw. von seinem Daimonion Zukünftiges gelernt habe (ToD 8alpovLoV pavßavElv: 8,7,9 S. 313,33ff.). Und in 5,12 heißt es, daß Apollonios Ta TOlaDTa [sc. das Dreikaiserjahr] 8ar POVLC/- KlvrjaEl TTpoEyfyvUJaKE, also durch einen von einem Dämon bewirkten Impuls. Einleuchtend ist auch der Gebrauch des Adverbs 8alpovfUJS" in 6,3 und 7,10: Einmal sagt Apollonios "in dämonischer Weise" voraus, was ein ägyptischer Jüngling nachher über sein Leben zu berichten hat (8alpovLUJS" aUTa ToD ~ TTOAAUJVLOV TTPOEl TT6vTOS"), d.h. offenbar durch Eingebung seines Daimonions. Wenn Domitian Pläne schmiedet, um Apollonios zu verhaften, sieht er dies wie gewöhnlich "in dämonischer Weise" (8alpovfUJS" TE KaL rJJaTTEp Elt/JßEl) voraus, d.h. wiederum - nach dem in der Vita vorliegenden Verständnis des Vorhersagens - durch die Eingebung seines Daimonions. Dies scheint auch der Zweck des Berichtes in der Geburtserzählung zu sein, in der berichtet wird, daß der ägyptische Dämon Proteus der Mutter des Apollonios erschien und mitteilte,
Vgl. die Diskussion zu VA 3,42 und 8,7,10 hier oben. Wir haben schon beobachtet, daß Apollonios gerne sinnverwandte Adjektive mit TE Ka[ verbindet. Die Synonymität von 8ELOS' und 8al/16vloS' ist gut bezeugt, vgl. die Lexika s.v., ferner Werner Foerster, Art. 8a[/1UJv KTA., ThWNT 2, 1935, S. 1-20, dort 1-9. 132 Philostrat bewegt sich dabei im Rahmen der Dämonenlehre, wie sie im Neopythagoreismus sowie im Mittel- und Neuplatonismus entwickelt wurde. Vgl. die sehr wertvollen Artikel von C. Colpe, J. ter Vrugt-Lentz, C. Zintzen, Art. G~~ster (Dämonen), RAC 9, 1976, Sp. 546-762, dort 546-553; 598-615; 640-668, bes. Zintzens Uberlegungen, Sp. 640-647. 130 131
12. Philostrats Vita Apollonii
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daß sie ihn gebären würde. 133 Diesem Ereignis läßt Philostrat einen wichtigen Erzählerkommentar folgen (VA 1,4): Wozu sollte ich erzählen, mit welcher Weisheit Proteus begabt war? Weiß man doch aus den Dichtern, wie wendig er war, wie er es verstand, seine Gestalt immer zu wechseln und jedem Zugriff zu entziehen und wie er umfassendes Wissen und die Voraussicht alles Kommenden zu besitzen schien (Yl yvwaKElV TE wS' l80KEl Kat TTPOYlyvwaKElV TTdvTa). Man wird sich also im Laufe der Erzählung vor allem dann an Proteus zu erinnern haben, wenn es sich erweisen wird, daß der Mann noch mehr im voraus gewußt hat als Proteus (äv8pa TTAELW JiEV fj 6 JJpWTEVS' TTPOYl yvovTa) und über viele Schwierigkeiten und Gefahren triumphiert hat, wenn er ohne alle Rettung schien.
Die Vorstellung eines Daimonions, das Sokrates begleitete und ihm Zukünftiges mitteilte, wird also auf Apollonios in der Form des Proteus übertragen. 134 In Anbetracht dieser Sachlage scheint es vernünftiger, das Lexem 8aLj16vLos- in 1,2 als "unter Führung eines Dämons stehend" zu verstehen. Dies paßt nahtlos in . den unmittelbaren Kontext, handelt es sich dort ja gerade darum, daß Philostrat die Leitfrage seines Werkes formuliert, nämlich welche Weisheit Apollonios die Gabe der Voraussicht beschert hat. Die Antwort, die er in der Vita gibt, ist eben dies, daß Apollonios durch die Beachtung der Reinheitsvorschriften des Pythagoras derart ethisch hervorragend und gottgefällig (ßELOS-) war, daß er die Eingebungen seines Begleitdämons klar vernehmen konnte (8aLj16vLos-). Derselbe Sachverhalt steht im Hintergrund, wenn Damis in VA 8,13 berichtet, wie er zu der Erkenntnis gekommen sei, Apollonios sei ßEUTTEULOS-, als er sein Bein im Gefängnis aus der Fessel gezogen hatte. Nachdem Apollonios aus Rom in Dikaiarchia eingetroffen war, machte sich Demetrios Sorgen um seine Zukunft. Damis beruhigt ihn, indem er berichtet, wie Apollonios ihm in ähnlicher Lage Mut gemacht hatte, indem er ihm gezeigt hatte, daß er sein eigenes Schicksal vorherwußte: " ... Und als er aber, wie es mir erschien, gefesselt war und ich seine Umstände für aussichtslos hielt (äTTopa 8 iJYOVJiEV4J Ta TTEpt aUTOV) , sagte er, die 133 Diese Erzählung ist offenkundig nicht so zu verstehen, als sei Apollonios eine Inkarnation des Dämons bzw. Gottes gewesen. Wenn in der Vita im Rahmen der Seelenwanderungslehre auf Apollonios' voriges Leben Bezug genommen wird, wird niemals auf Proteus, sondern immer nur auf sein Leben als ägyptischer Steuermann verwiesen, vgl. 3,23f.; 6,21. Außerdem ist hier methodischer Hinsicht zu beachten, daß jeder Versuch, die angebliche Gottessohnschaft des Apollonios als eigentlichen Erlärungshorizont der in der Vita benutzten eELOS' GVryp- Terminologie heranzuziehen, abgeleht werden muß. Die Vorstellung, die Gottessohnschaft sei ein fester Bestandteil des eELOS' Gvryp-Schemas gewesen, die sich in der eELOS' avryp-Forschung seit Wetter großer Beliebtheit erfreut, wurde durch von Martitz, Art. vloS', S. 335 überzeugend widerlegt. Seine dortige Schlußfolgerung, die Verbindung von Gottessohnschaft und der Bezeichnung als eEL oS' sei nicht fest, sondern jeweils zufällig gewesen, gilt auch an dieser Stelle uneingeschränkt. 134 Wie das Daimonion des Sokrates diesen, so bewahrt der Dämon Apollonios vor allerlei Gefahr. Nach VA 8,6 entschwand er aus dem Gerichtssaal 8alJioVlOV TE Kat OU pcf.8l0V Ei TTELV TPOTTOV; seine Blitzreise schreibt Apollonios in 8,12 einem Gotte zu, wobei Demetrius hinzufügt, er meine, daß ein gewisser Gott immer über Apollonios' Worte und Taten wache
(eEOV GEL Tlva TTpOOpaV).
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Befreiung sei in seiner Gewalt (lavTe;; {cpTJ Ta AEAva-(}al Elval) , und nachdem er sein Bein aus der Fessel gezogen hatte, zeigte er (es mir). In diesem Moment verstand ich den Mann erstmals (T6TE TTPWTOV KaTEV6Tjaa ToD av8p6S') und begriff, daß er 8EaTTE(]"loS' und unserer herkömmlichen Weisheit überlegen ist (8EaTTEal6v TE Elval aVTov Kai KpE{aaUJ TfjS' ryjiE8aTTfjS' aocplaS') ... "
Der Text muß zusammen mit VA 7,38 gelesen werden, wo über dasselbe Ereignis berichtet wird: Damis sagt, er selbst sei ratlos über ihre Umstände (aTTopElv jiEV vTTEP TWV TTap6vTUJv) gewesen und habe keine Erlösung von ihnen gesehen (Avalv 8E aVTwv opav ov8El1iav) ... Da habe er kurz vor Mittag gesagt: " 0 Tyaner, ... was wird uns passieren?" "Was uns passiert ist", sagte er, "nichts weiter, niemand wird uns töten." "Und wer", erwiderte Damis, "ist so unverwundbar? Wann wirst du dann befreit werden (Av8rya7] 8E TT6TE;)?" "Was den Richter angeht", sagte er, "heute, was mich angeht, jetzt schon." Als er das sagte, zog er sein Bein aus der Fessel und sagte: "Dies habe ich dir als Beweis meiner Freiheit getan (ETTl8ElelV TTETTo{TJjia{ aOl TfjS' EAEv8Ep{aS' TfjS' EjiavToD). Sei zuversichtlich!" Damis sagt, daß er in diesem Moment erstmals die Natur des Apollonios genau erkannt habe (T6TE TTPWTOV ... aKplßwS' eVVElval TfjS' ~TTO;UUJV{ov cpvaEUJS'), daß sie 8E{a und der Natur eines gewöhnlichen Menschen überlegen sei (ÖTl 8E{a TE ELTJ Kai KpE{TTUJV av8pwTToV). Denn ohne zu opfern (j1ry rap 8vaavTa) - denn wie sollte er das auch im Gefängnis? -, ohne irgendein Gebet zu sprechen (jiTJ8 EVeajiEV6v Tl) und ohne zu reden (j1ry El TT6vTa) hat er seine Fesseln verhöhnt ...
Diese Erzählungen spielen eine Schlüsselrolle in der herkömmlichen eEL05' avryp-Hypothese, begegnet doch hier die 8EL05' av8pUJTT05'- Terminologie in dem Kontext eines Wunders. Man hat behauptet, VA 7,38 zeige, daß Apollonios ein Gottmensch bzw. eEL 05' avryp sei, der ohne Hilfe der Götter oder der Magie Wunderhaftes tUt. 135 Falls die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zutreffen, bedarf diese Sichtweise jedoch der Korrektur. Denn einerseits denotiert die eEL05' d VepUJTT05'- Terminologie in dem Sprachgebrauch der Zeit keineswegs wundertätige göttliche Wesen, so daß es sehr seltsam wäre, wenn Philostrat die Terminologie an dieser Stelle so benutzen würde, andererseits widerspräche dies der deutlichen Tendenz der Vita, die Vergöttlichung von Menschen abzulehnen. Ferner sind Wunder, d.h. Handlungen, die der Erfahrungswelt zuwiderlaufen, in Philostrats Vita keinerlei Beweis für die Göttlichkeit eines Menschen. Trotz alles Wunderhaften, das Apollonios in der Vita verrichtet, kommt es nicht dazu, 135 Otto Weinreich, Gebet und Wunder. Zwei Abhandlungen zur Religions- und Literaturgeschichte, in Genethliakon. FS für Wilhelm Schmid, TBAW 5, Stuttgart 1929, S. 169-464, dort 295f. Nachdruck in ders., Religionsgeschichtliche Studien, Darmstadt 1968, S. 1-298, dort 133f. Apollonius' Wunder seien in der Antike Beweise für seine Göttlichkeit gewesen, denn Damis meine, das Befreiungswunder gelte als sicherster Beweis seiner 8E{a und KpE{TTUJV av8pwTToV cpvalS'. Morton Smith, Jesus der Magier, S. 132f. schreibt, indem er sich auf VA 8,13 bezieht: " ... [Der göttliche Mensch] wirkte seine Wunder durch die ihm innewohnende göttliche Kraft und bedurfte daher keiner Rituale oder Zauber. Dies war der entscheidende Punkt, durch den sich ein göttlicher Mensch von einem Magier unterscheiden ließ - so dürfen jedenfalls seine Anhänger argumentiert haben".
12. Philostrats Vita Apollonii
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daß er in einem solchen Zusammenhang als göttliches Wesen bezeichnet wird. 136 Auch die indischen Philosophen tun Außergewöhnliches,137 werden jedoch nirgendwo in diesem Zusammenhang als göttlich bezeichnet. Ebenso demonstrieren die ägyptischen Gymnosophisten ihre thaumaturgischen Fähigkeiten,138 werden jedoch ebenfalls nicht mit der ßELOS- avßpUJTTos-- Terminologie bedacht. Sogar jeder gemeine Zauberer kann nach dem Verständnis der Vita Wunderhaftes vollbringen, ja Apollonios sagt ausdrücklich, daß Fesseln einen Zauberer nicht halten können. 139 Betrachtet man Damis' Aussage ßEaTTEalov TE Eival aVTov Kai KpELaaUJ TfjS- T]J1E8aTTfjs- aoepL as- nicht isoliert, sondern auf dem Hintergrund des Gesamtkontextes, dann ergibt sich ein anderes Bild. Apollonios zieht sein Bein in VA 7,38 aus der Fessel als Beweis (ETTL8Elfls-) dafür, daß er frei werden wird, d.h. als Beweis dafür, daß seine Vorhersage, daß er an demselben Tag aus den Fesseln befreit würde, eintreffen wird. Die Entfesselung ist also kein "Befreiungswunder" , sondern eine symbolische, auf die Zukunft weisende Handlung. Dem entspricht die Wiederaufnahme der Geschichte in VA 8,13: Damis erzählt die Geschichte, um Demetrios klarzumachen, daß es keinen Sinn hat, sich über die Zukunft des Weisen Sorgen zu machen, wenn er im voraus weiß, was ihm widerfahren wird und darum seine Zukunft selbst in der Hand hat. 140 Hierauf folgt die Feststellung des Damis, daß er in diesem Augenblick begriffen habe, daß Apollonios ßEaTTEalos- sei und der herkömmlichen Weisheit überlegen (KpELaaUJ TfjS- T]J1E8aTTfjs- aoepLas-), bzw. daß seine Natur ßELa und besser als die eines Menschen (KpEL TTUJV avßptfJTToV) sei. Als Begründung führt er an, Apollonios habe dies ohne Opfer, Gebet und Reden 141 getan. Apollonios erweist sich also als ßEaTTEalos- TE Kai KpELaaUJv TfjS- T]J1E8aTTfjs- ao ep Las-, weil er die Zukunft auch ohne Gebets- und Opferhandlung deuten kann. 142 Dies ent136 Vgl. die Aufzählung der "außergewöhnlichen Fähigkeiten" des Apollonios bei Petzke, Traditionen, S. 172ff., der auch, S. 69, diese Inkonsistenz bemerkt. Schon Eusebios, Contra Hieroclem 35 hat dies übrigens bemerkt und gefragt, warum Damis nicht das göttliche Wesen seines Meisters bei den andern, größeren Wundertaten erkannt hatte. 137 Vgl. VA 3,15.17.27, auch 5,12 und 6,10 S. 213 und 215. 138 Vgl. VA 6,10 S. 214. 139 VA 7,34. Nach Philostrat (VA 5,12) können die Zauberer sogar in den Ablauf der Geschichte eingreifen, es wird jedoch explizit gesagt, Apollonios enthalte sich solcher Aktivitäten - dazu stünde die Entfesselung im Widerspruch, falls sie andeuten sollte, daß Apollonios aus eigener Kraft in den Geschichtsablauf eingreifen kann, um sein Schicksal zu verändern. 140 Demetrios' Vermutungen, der Kaiser würde Apollonios per Steckbrief suchen und wieder gefangennehmen lassen, weist Apollonios mit der Bemerkung, er wisse genau, wie es um den Kaiser stehe, von der Hand (8,13 S. 330, 3f.). Am nächsten Morgen weiß er ganz genau, daß niemand ihn verfolgen wird (8,14 S.331, 2f.). 141 Weinreich, Gebet und Wunder, S. 296, stellte die plausible Hypothese auf, daß das j1T] El1TovTa sich auf das Aussprechen einer Zauberformel beziehe. 142 Es ist die Überlegung wert, danach zu fragen, warum Philostrat gerade an dieser Stelle und nur hier das Lexem 8Ea1TiaL05' verwendet. Hat Philostrat beabsichtigt, daß die Bedeutung stammverwandter Wörter wie 8Ea1TL(ELV, 8ia1TLaj1a und 8ia1TL5' (d.h. das Wortfeld des Weissagens) bei dem Leser mitschweben sollte?
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Teil IV: Applikation und Interpretation
spricht offenbar der Aussage in V A 8,7,10, daß die Götter ihren Willen auch ohne Befragung der Orakel- im Kontext handelt es sich ja um eine orakuläre Opferhandlung - den frommen und weisen Männern (TOlS' oalOlS' Te Kat aocpoLs- dv8paal) bekanntgeben; nach VA 3,42 erweisen sich die reinen und weisen Menschen als ßelOl, wenn sie Kommendes voraussehen können. Dies ist also auch der Hintergrund der Aussagen in VA 7,38 und 8,13: Damis verstand erstmals in voller Klarheit (aKplß6JS' ,vvelval), welch ein gottgefälliger, reiner und überaus frommer Mensch Apollonios sein mußte und über welche außergewöhnliche Weisheit er verfügen mußte,143 damit er die Zusammenhänge der Wirklichkeit so klar durchschauen konnte. Der Sachverhalt ist also derselbe wie hier oben: die ßelOS' avßpUJTToS'- Terminologie wird denjenigen beigelegt, die durch ihre Weisheit so rein und gottgefällig sind, daß sie Kommendes sehen können. Auch hier wird das Lexem 8eaTTEaloS' nicht als Klassenadjektiv, sondern als Qualitätsadjektiv verwendet. In ähnlicher Weise müssen dann wohl auch die verbleibenden Texte verstanden werden, in denen die ßelOS' avßpUJTToS'- Terminologie im Zusammenhang mit Apollonios vorkommt, nämlich VA 1,21,2,17,2,40,8,15 und VS 2,570. In VA 1,21 spricht der babylonische Satrap, nachdem er erfahren hat, wer Apollonios ist, ihn mit ßeLe ~ TTOi\i\WVle an. Dann behauptet er, schon längst von ihm gehört zu haben und versichert ihm, daß der König gerne seinen Thron einem aocpoS' dv7jp abtreten würde. Auch hier begegnet in engem Zusammenhang die uns schon vertraute Kombination von ßelOS' und aocpoS'. Eine weitere Beobachtung könnte hier nützlich sein, darf jedoch nicht überstrapaziert werden: In der Apolloniosvita begegnen (substantivierte) Adjektive kaum im Vokativ; wenn dies dennoch gelegentlich geschieht, werden Qualitätsadjektive wie XP7]aToS' und dyaßoS' verwendet,l44 die sich schon an anderer Stelle als mit ßelOS' sinnverwandt erwiesen haben. 145 Auf jeden Fall gäbe es keinen Grund, an dieser 143 Der Ausdruck q;vaLS'
KpE{TTCUV avfJpwTrOV in 7,38 muß auf dem Hintergrund der parallelen Formulierung KpE{aacuv TijS' 1]f1E8arrfjS' aoq;{aS' in 8,13 verstanden werden: Hier wird
keine ontologische Aussage über die übermenschliche oder göttliche Natur des Apollonios gemacht - eine solche Interpretation setzte die Christologiedebatte des frühen Christentums für Philostrat voraus - sondern es wird nur gesagt, daß Apollonios den normalen Menschen wegen seiner außergewöhnlichen Weisheit (KpE{ TTCUV avfJpwTrOV = KpE{aacuv TfjS' 1]f1E8arrfjS' aoq;{aS') überlegen sei; gegen Weinreich, Gebet und Wunder, S. 295. 144 Vgl. xpryaTi VA 1,30; 3,42; ayafJE 3,29; 4,28; vgl. auch )..tiJaTE 1,21; 4,32; 5,20.25; 7,14; ßiATLaTE 1,41; 3,28; 4,36; 5,20; 6,9.11; 7,36; 8,7. Daß diese Anredeformen nicht immer leere Floskeln sind, ergibt sich aus 3,42: ayafJE ZEV, av yap OUTCU TL ayafJoS', und 3,42, wo Apollonios an einer Stelle mit xpryaTE angesprochen wird, an der es sich gerade um seine moralische Güte handelt; vgl. die Diskussion zu 3,42 hier oben. 145 Man wird also damit rechnen müssen, daß beim Ausdruck fJElE JIvfJayopa in VA 8,7,4, der hier oben dem titularen Gebrauch der fJElOS' avfJpcuTroS'- Terminologie zugeordnet wurde, der qualitative Aspekt konnotativ mitschwebt. Dies ist umso wahrscheinlicher auf dem Hintergrund des programmatischen ersten Satzes von VA 1,2, in dem das fJELoTEPOS' fj 0 JIvfJ« yopaS' impliziert, daß auch Pythagoras des Prädikats fJElOS' würdig war: Der mit der Ehrenbezeichnung fJElOS' JIvfJayopaS' bedachte Garant der wahren Weisheit ist natürlich auch des moralischen Prädikats fJElOS' würdig.
12. Philostrats Vita Apollonii
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Stelle zu vermuten, daß Philostrat mit dem Ausdruck signalisieren wollte, ApolIonios werde vom Satrap als göttliches Wesen erkannt. 146 Auch wenn in VA 2,17 der Satrap am Indus aufgrund einer Empfehlung des babylonischen Königs Vardanes in einem Brief an den indischen König Phraotes schreibt, es handele sich um einen dv8pa t'HAAT]Va Tc KaI ßclOV, der nicht geringer als Vardanes selbst sei, so spricht nichts dafür, daß Philostrat sich der ßclOS- avßpUJTTos-- Terminologie an dieser Stelle in einer anderen Bedeutung als sonst bedienen würde. Apollonios wird dem König als ein gebildeter, zivilisierter 147 und außerdem gottgefälliger, guter Mann empfohlen. Es liegt also wiederum die schon bekannte Kombination der weisen und frommen (pythagoreischen) Lebensweise vor. In V A 2,40 verabschiedet sich der indische König Phraotes von Apollonios und seinen Begleitern und gibt ihnen einen Empfehlungsbrief an die indischen Weisen mit: " ... Schließlich werde ich an Iarchas, den Ältesten der Weisen schreiben, damit er Apollonios als einen, der in keiner Hinsicht schlechter als er selbst ist (wsflTj8lv KaK{cu EavTof)) , und euch als Philosophen und Begleiter eines eELOSdvrjp empfängt. "
Aus dem Kontext geht nur soviel hervor, daß Apollonios als ßclOS- dvrjp nicht schlechter (im sittlichen Sinne?) als larchas ist. Das flT]8lv KaKLUJ lavTov bezieht sich jedoch zweifelsohne auf das Sittliche, denn nach 2,30 gilt die Reinheit in sittlicher Hinsicht gerade als Voraussetzung, um in den Kreis der Weisen aufgenommen zu werden und bei ihnen in die Lehre zu gehen. 148 Wir haben schon gesehen, daß die indischen Philosophen, insbesondere larchas, als sittlich vollkommene Menschen (dyaßol av8pcs-) gelten, die das Prädikat ßclOS- / ßc6s-
146 So z.B. Wetter, Sohn Gottes, S. 91, vgl. auch Bultmann, Evangelium des Johannes (KEK), dort den Kommentar zu Jh 19,9. Dagegen spricht nicht nur die konsistente Verwendung der eELOS- ävepCUTTOs-- Terminologie in der Vita, sondern auch die Tatsache, daß die sonstige Literatur der Kaiserzeit die Terminologie nicht in dieser Weise benutzt. Es wäre außerdem verfehlt, das kurze Vorspiel zu dem vorliegenden Text als Beweis für eine solche Interpretation heranzuziehen. Dagegen spricht die Tendenz der Vita, die Vergöttlichung des Apollonios abzulehnen, vgl. die parallele Szene in VA 7,32 und die Diskussion dazu hier oben. . 147 In der Vita ist die Bezeichnung "Hellene" nicht nur eine Herkunftsbezeichnung, sondern außerdem eine Bezeichnung, die Bildung und Güte signalisiert. So lautet es z.B. in VA 2,31, daß derjenige, der der griechischen Sprache mächtig ist, den indischen Philosophen in Art und Gesinnung näher steht als andere Menschen. In 3,43 sagt Damis, er erhofft sich vom Verkehr mit dem mit aoifJ{a,8ElVOTTjS- und acuifJpoavvTj erfüllten Apollonios, daß er aus einem l8u!JTTjS- TE Kai äaoifJos- in einen ao ifJ OS-, aus einem ßdpßapos- in einen TTETTal8ElI flEvos-, kurzum, in einen Hellenen verwandelt würde! 148 Die Tatsache, daß im Empfehlungsbrief selbst (2,41) betont wird, daß Apollonios den Weisen in der Weisheit unterlegen ist und zu ihnen kommt, um von Iarchas ihre Ansichten zu lernen, bestärkt die Meinung, daß sich flTj8lv KaK{cu EavTof) auf die Sittlichkeit bezieht: In Anbetracht der Ergebnisse dieser Untersuchung darf man erwarten, daß es sich um Sittliches handelt, wenn die eEL os- ävepCUTTOs-- Terminologie (qualitativer Gebrauch) den Kontext bestimmt.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
beanspruchen können. Apollonios bekommt also von Phraotes bescheinigt, dem Weisen Iarchas in dieser Hinsicht keineswegs unterlegen zu sein, so daß er in seinen Kreis aufgenommen werden kann. In seiner Darstellung des Lebens des Sophisten Alexander Peloplaton kommt Philostrat en passant auf Apollonios von Tyana zu sprechen: 149 Die Mutter von Alexander, den viele Peloplaton nannten ... , war außergewöhnlich schön ... Sie erzählen, daß auch andere, aber offenbar auch Apollonios von Tyana sich in sie verliebt haben, aber daß sie die anderen abgelehnt hat, wegen ihres brennenden Verlangens nach gutem Nachwuchs (8L' tpUJTa EVTTaL8{aS') jedoch Apollonios beigewohnt hat, weil er ()ELOTEPOS' dV()pWTTUJV gewesen sei. Aus welchen Gründen dies unglaubwürdig ist, wird in meinen Abhandlungen über Apollonios deutlich gesagt.
Die Mutter des Peloplaton soll Apollonios auserwählt haben, weil sie sich von ihm guten Nachwuchs versprochen hat und er ihrer Meinung nach ecLOTcpOS" als die anderen Männer war. In Anbetracht der bisherigen Ergebnisse ist es naheliegend, daß es sich auch hier darum handelt, daß Apollonios in sittlicher Sicht besser als die anderen war, eben frommer bzw. gottgefälliger. Dies ist auch in dem Kontext sinnvoll, wo die Wahl der Frau mit ihrem Verlangen nach guten Kindern begründet wird,150 denn hinter dem Text steht die Vorstellung, daß Kinder auch im moralischen Sinne wie ihre Eltern bzw. ihr Vater werden. 151 Aus diesem Grunde reagiert Philostrat ablehnend und verweist auf seine Apolloniosvita, denn eine solche Geschichte widerspricht seinem Bild von Apollonios als einem eclOS" avryp, der sich gerade darin als äußerst sittsam erwies, daß er im Zölibat lebte und nie der Leidenschaft der Liebe verfiel. 152 Man muß ecLOTcpOS" avepwTTUJvalso etwa mit "sittlicher / gottgefälliger als andere Menschen" übersetzen. 153 Desgleichen, wenn in VA 8,15 gesagt wird, die Hellenen hätten Apollonios für eclOS" gehalten, ist auch diese Aussage am Ende des Gesamtwerkes wie bisher zu verstehen. Auf die Frage, wie er dem Tyrannen entronnen sei, meinte er nicht, in unverschämter Weise reden zu müssen (OV8EV c!5ETO 8ELV CPOPTLKOV cppa(ELv), sondern erklärte, er habe sich verteidigt und sei gerettet worden (Kat aEaiJa()aL). Da aber auch viele aus Italien kamen und die Ereignisse im Gerichtsaal erzählten, war Hellas nicht weit davon entfernt, ihn anzubeten (8LEKEL TO /lEV 1]
149 VS 2,570. 150 Vgl. LSJ S.V.
EVTTaL8{a: "a goodIy race of children, bIest in his children" und EVTTaLS': "BIest with children i.e. with many or good, fine children". 151 Zu dieser Vorstellung bei Philostrat vgl. VA 2,30: Rein sei ein Jüngling erst dann, wenn man ihm bis in die dritte Generation seiner Ahnen nichts Frevelhaftes nachweisen kann! 152 Vgl. VA 1,12f., dort bes. S. 13,4ff. 153 Die Übersetzung von Wilmer C. Wright, Philostratus and Eunapius. The Lives of the Sophists, LCL, London 1921, mit "because of her desire for noble offspring, since he more than ordinary man had in hirn something divine" läuft Gefahr, falsche Elemente in den Text hineinzutragen, insbesondere wenn man sie mit dem Muster der herkömmlichen ()ELOS' dvf}pVorstellung liest.
12. Philostrats Vita Apollonii
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EMaS' ou TTOPPW rov TTpoaKvvELv aUTov) und sie hielten ihn nicht zuletzt deshalb für (JEt OS', weil er sich überhaupt nicht über diese Ereignisse prahlerisch anstellte ((JELOV ryyovllEVOL äv8pa 8i' aUTO llaALara TO Ilry8 ES' KOIlTTOV Ilry8Eva VTTEP aurwv Ka(Jlaraa(JaL).
Auch hier ist der moralische Bezug eindeutig: Selbst wenn die Griechen wegen der Ereignisse im Gerichtssaal Apollonios beinahe auf ihren Knien huldigten, rühmte er sich in dieser Hinsicht nicht selbst, sondern sagte lediglich, er habe sich verteidigt und sei gerettet worden. Das war der Grund, weshalb ihm das Prädikat 8ELOS' beigelegt wurde. Apollonios fehlte nämlich jegliche unsittliche Selbstgefälligkeit,154 aber vor allem jeder Übermut gegenüber den Göttern nach 8,13 ist seine Rettung ja einem Gott zuzuschreiben. 155
12.3 Die Rezeption der Vita durch Hierokles und Euseb Gegen die klassische ßELOS' clt'ryp-Hypothese, daß die ßELOS' äVßPWTTOS'- Terminologie in Philostrats Vita Apollonii das Konzept eines göttlichen Wundertäters bezeichne, spricht jedoch vor allem die Rezeption des Werkes. Dem Werk war in den Jahren und Jahrzehnten nach seiner Entstehung nur wenig Wirkung beschieden, denn es wurde kaum gelesen. 156 Erst als Sossianus Hierokles, einer der Anstifter der großen Christenverfolgungen zu Anfang des vierten J ahrhunderts, das Werk aufgriff, um seine Polemik gegen das Christentum zu untermauern, wurde ihm ein gewisser Ruhm zuteil. Hierokles veröffentlichte bekanntlich etwa im Jahr 302 seinen cpLAaAry8T]S' AOYOS', in dem erstmals in der Geschichte der philostrateische Apollonios als Alternative zu Christus erscheint. 157 Leider ist Hierokles ' Werk nur äußerst fragmentarisch erhalten geblieben, nämlich in Eusebs polemischer Gegenschrift Contra Hieroclem und Laktanz' Divinae Institutiones (5 ,2f.) .158 Aus ihnen geht hervor, daß Hierokles' anti-christliche Polemik eine doppelte Spitze hatte. Einerseits griff er die christlichen Tradenten an: Petrus und Paulus und die anderen Tradenten seien ungebildete Lügner und Scharlatane gewesen, die die Jesusgeschichte in bombastischer Weise verbreitet hätten (Laktanz 5,2; Euseb C.H. 2: Ta IlEV rov 1ryaov ... KEKOIlTTGxaaLV äV(JPWTTOL ljIEvaTaL Kai aTTal8EToi Kai yoryTES'). Ihnen stellt er die höchst gelehrten und wahrheitsliebenden Biographen des Apollonios, nämlich Maximos von Aigai, Damis und
154 Mehrmals wird überhebliches und selbstgefälliges Benehmen in der Erzählung scharf abgelehnt, vgl. z.B. 1,21; 3,28-33; 6,8f. 155 Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um seinen Schutzdämon, welcher nach VA 1,5 Proteus war. Proteus war ein Spezialist, wenn es darum ging, schwierigen Lagen zu entkommen. Ist das Passiv aEawa(JaL (vgl. auch 8,13 aEawallEvov) als passivum divinum zu verstehen? 156 V gl. Dzielska, Apollonius of Tyana, S. 96f.153ff. 157 Euseb C.H. 1. 158 Taggart, Apollonius ofTyana, S. 170-181.
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Philostrat gegenüber (Euseb C.H. 2: TTaLBEvaEUJS' /lEV iTTi TTAELaTov ifKOVTES', Ta 8' dAry(}ES' TL/lWVTES' ... ). Zweitens hat er offenbar Jesus zu rechten Maßen zurechtstutzen wollen: Er sei nur ein Zauberer und Führer einer Räuberbande gewesen (Laktanz 5,3). Ihm hat er Apollonios gegenübergestellt, der selbst eine große Zahl Wunder gewirkt habe (Laktanz 5,3; Euseb C.H. 2: TToMa Kai (}aV/laaTa BLETTpa,aTo) - Aus Euseb geht hervor, daß Hierokles offensichtlich sein gesamtes Apolloniosbild der Vita Philostrats entnommen hat: als Quellen nennt er Maximos, Damis und Philostrat; die ersten bei den hat er offenbar durch Apollonios rezipiert (wie hätte es auch anders sein können, wenn Damis eine literarische Schöpfung Philostrats war!).
Hierokles hat vor allem die Leichtsinnigkeit, mit der die Christen aufgrund der Wunder Jesu auf seine Göttlichkeit schlossen, verspottet. Ihrer EuxtpEla TE KaL KOVCPOTT]S' stellte er die nichtchristliche Beurteilung solcher Dinge entgegen: 159 Betrachten wir jedoch, wieviel besser und verständiger wir (sc. Nichtchristen) solche Dinge [Ta TOLaiJTa sc. (}aV/laaLa] auffassen und welche Ansicht wir über die tugendhaften Männer (TTEpi TWV ivapETUJv av8pwv) vertreten ...
Nach Eusebs Darstellung führte Hierokles Apollonios an dieser Stelle auf die Bühne und fuhr nach einer Aufzählung seiner Wundertaten (Hierokles: Ta eavj1aaTa; Euseb: Ta 1Tapa8ofa) fort: 160 Warum erinnere ich an diese Dinge? Damit du unsere genaue und zuverlässige Beurteilung in jedem Punkt (T!}V r7/lETEpaV aKpLßij Kai ßEßalav iifJ' EKaaTlP KplaLv) mit der Leichtgläubigkeit der Christen (n]v TWV XpLaTLavwv KovifJOTrJTa) vergleichen kannst. Denn, wo wir denjenigen, der solches verrichtet hat, nicht für einen Gott, sondern für einen den Göttern wohlgefälligen Mann halten (ou (}EOV, dMa (}EOLS' KExapLapEvov ävBpa r7rOVpE(}a), proklamieren sie auf Grund einiger weniger Wunder, Jesus sei ein Gott (ol BE BL' oAl raS' TEpaTElaS' TLvaS' TOV 'J ryaoDv (}EOV avarOpEvovaL).
Weiterhin beteuerte er (S. 371,12ff.), daß die Biographen des Apollonios (d.h. Philostrat) aus Respekt vor der Wahrheit und aus Liebe zur Menschheit (TO 8 GAT]eES' Tlj1CJlITES' 8la cplAaVepUJ1TLav) die Taten eines aufrichtigen und den Göttern lieben Mannes nicht in Vergessenheit geraten lassen wollten (av8poS' YEvvaLOV Kat eEOLS' CPLAOV 1TpafELS' j1T] ßOVAOj1EVOL Aa8ELv). Nach Eusebs Version von Hierokles' Werk hat dieser also die Meinung vertreten, daß Philostrat Apollonios nicht für ein göttliches Wesen gehalten hat,161 159 Euseb C.H. 2, Text mit englischer Übersetzung von Frederick C. Conybeare (Hg.), Philostratus. The Life of Apollonius of Tyana. The Epistles of Apollonius and the Treatise of Eusebius 1/11, London 1912, S. 484-605. 160 Euseb C.H. 2. 161 Vgl. auch Speyer, Zum Bild des Apollonios, S. 48, Taggart, Apollonius of Tyana, S. 178-181. Denselben Standpunkt vertrat Porphyr in seiner Schrift Contra Christianos, Fr. 4.63 (Harnack), vgl. Dzielska, S. 97f. Porphyr verfügte jedoch außerdem über andere Quellen als nur über Philostrats Vita. Auch Porphyr versucht keineswegs, Apollonios als Gott bzw. Gottmenschen darzustellen, sondern stellt vielmehr die Gleichwertigkeit der Wundertäter Jesus, Apollonios und Apuleius heraus.
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sondern für einen gottgefälligen Mann (ecOLS- KcXaPLO'PEVOV av8pa ryyovpcea). Offenbar bezieht sich Hierokles damit auf jenes Leitmotiv der Vita, daß Apollonios ein ecLOS- dVrJp gewesen sei (vgl. VA 8,15 ecLOV ryYOVpcVOL av8pa!, auch 1,2 ecLOS- VOpLO'efjvaL). Er versteht infolgedessen den Gebrauch der ecLOS- avepUJTTOs-- Terminologie in der Apolloniosvita im ethischen und nicht im ontologischen Sinn. Dies wird ferner durch seine Aussage bestätigt, Philostrat wollte nicht, daß die Taten eines dv8pos- ycvvaLov Kat ecOLS- cjJLAOV in Vergessenheit geraten; man vergleiche Philostrats Bezeichnung von Apollonios in VA 3,28 mit ycvvaLos- Tc Kat ecLOS-. Wir haben schon mehrfach gezeigt, daß das Lexem ecL os- im kaiserzeitlichen Sprachgebrauch mit Lexemen wie OO'LOS- (Synonymie, vgl. auch cvO'cßrJS- / ecoO'cßrJs- / ecOcjJLArJS-, auch ayvos-) und mit decos- (Antonymie, vgl. auch dVOO'LOS- / dO'cßrJs- /8vO'O'cßrfs-) ein Wortfeld bildet, d.h. mit Begriffen, die sich auf Religiös-Ethisches bzw. auf das Tugendhafte beziehen, also Hyponyme von Lexemen wie XpryO'Tos- und dyaeossind. In dieser Hinsicht ist auch die Bezeichnung von Wundertätern wie Apollonios durch Hierokles als EvapcToL av8pcs- (C.H. 2 S.) bedeutsam. Am Ende seiner polemischen Analyse von Philostrats Vita in § 38 162 zitiert Euseb HierokIes in sarkastischer Weise: 163 Würde der" ßcLOS' Kal EvapcToS' Kal ßcOLS' KcXaPLO'j1EVOS''' nun aufgrund dieser Dinge den Siegespreis umgebunden bekommen und beurteilt werden als "ßcLOTcpOS' und viel glückseliger als Pythagoras und seine Nachfolger" ... ?
Hier werden die drei offenbar eng sinnverwandten, wenn nicht gar synonymen Ausdrücke aneinandergereiht: ecLOs- sei Apollonios nach Hierokles' Rezeption von Philostrats Vita gewesen, eben tugendhaft und gottgefällig (EvapcTOS- Kat ecOLS- KcxapLO'pEVOS-).164 Hierokles zeigt: Man hat Philostrats Apollonios nicht für ein göttliches Wesen, einen Gott oder einen Gottmenschen gehalten, obwohl die ecLOS- aVepUJTTOS-- Terminologie eine zentrale Stelle in der Erzählung einnahm. Der Vergleich von Jesus mit einem wirkungsmächtigen und wundertätigen heidnischen Philosophen ließ Euseb aufschrecken: Räumt man einmal prinzip i ell die Möglichkeit der Existenz eines Gottmenschen ein, dann birgt die Vita die Gefahr in sich, daß man sie so verstehen könnte, daß sie die Göttlichkeit des Apollonios propagiert. Er reagierte mit einem vehementen, vor Sarkasmus triefenden Angriff auf Philostrats Glaubwürdigkeit und Hierokles' Leichtgläubigkeit. 165 Euseb hat Apollonios als Philosophen sehr geschätzt,166 so daß ihm 162 Nachher kommt, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung in § 50, nur noch Polemik über die Schicksalsmächte und die Eigenverantwortung. 163 Immer wieder greift Euseb mit sarkastischen Zitaten die Worte seiner Gegner Philostrat und Rierokles auf, vgl. §§ 4.14.16.19.22.37. 164 So richtig Windisch, Paulus und Christus, S. 70, Anm. 4. 165 Vgl. bes. C.R. 16.19, 166 P.E. 4,13; D.E. 3,11; C.R. 5 U.Ö.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
daran liegt, das Bild eines Thaumaturgen und Zauberers, das die VA vermittelt, zu korrigieren. Dies tut er, indem er den Verfasser der VA diskreditiert und als unglaubwürdig darstellt. Dafür bedient er sich folgender Strategie: Nachdem er einen direkten Vergleich mit Jesus als nicht sinnvoll abgelehnt hat (C.H. 4), analysiert er den Text konsequent von den Voraussetzungen seiner eigenen Christologie ausgehend. 167 Falls Apollonios ein Gottmensch gewesen sei, fordert er von Philostrat eine konsistente Darstellung im Sinne der Anforderungen der christologischen Reflexion. Falls er ein Mensch gewesen sei, dann möge Philostrat ihm keine übermenschlichen Eigenschaften beimessen (C.H. 7). Da Apollonios jedoch von Philostrat als "göttlicher Mensch" auf die Bühne geführt wurde (C.H. 8 mit Bezugnahme auf VA 1,2: dMd /1T]V ElaijKTaL aVTfiJ eELOS' aVepW7TOS'), liest Euseb jetzt die Vita konsequent aus dieser Perspektive (C.H. 938)168 und läßt sie an inneren Widersprüchen zerbrechen. Er bedient sich dabei bewußt des polysemischen Potentials des Lexems eELOS', indem er es durchgängig als Klassenadjektiv (also ontologisch) versteht, m.E. wohl wissend, daß die Vita dadurch in ein Korsett gezwängt wird, an dem sie scheitern muß.169 Seine Vorgehensweise im gesamten Werk kann exemplarisch an seinem Fazit aus den Überlegungen über ApolIonios' Aneignung der pythagoreischen Lehre illustriert werden: 170 Falls er also von göttlicher Natur war (El 8i] ouv ()E[a5' i}v q;vaEUJ5') , dann war die Erzählung von seinen Lehrern gelogen, falls sie jedoch wahr war, dann ist die Legende gelogen und ist die Schrift, die behauptet, er sei göttlich gewesen, auch unwahr (Kal OVK aA1]()i]5' ry TTEpl ToD ()ELOV YEYOVEval aVTav ypaq;f}).
So oder so steht Philostrat als unglaubwürdiger Lügner und Hierokles als Liebhaber von Altweibergeschichten da. Zusammenfassend gilt: Erst auf dem Hintergrund der christlichen christologischen Debatte, genauer gesagt auf dem Hintergrund der Christologie Eusebs, wird die eELOS' aVepW7TOS'- Terminologie in Philostrats Apolloniosvita ontologisch gelesen, und dies mit verheerenden Folgen für die philostrateische Konzeption von Apollonios als reinem, gottgefälligem und weisem Mann. 167 C.H. 6, bes. S. 370,10ff. Vgl.Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I. Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalkedon (451), 21979 Freiburg, S. 300-321, bes. 312-315. Abwegig ist Taggart's Meinung (Apollonius of Tyana, S. 183-192), daß Euseb hier nicht Christus, sondern Konstantin vor Augen habe. 168 Im Anschluß an VA 7,28 (TOTE TTPWTOV ... aKplßW5' (VVELVal Tij5' ~ TTOAAUJV{OV q;vaEUJ5' ÖTl ()E{a TE EL1] Kat KpE[ TTUJV av()pwTToV) wird ApolIonios' q;val5' ()E[a an einem von außen auferlegten Kriterienraster gemessen. 169 Das Provokative an Eusebs Vorgehen wird besonders deutlich, wenn man beachtet, daß auch er die ()EL05' av()pUJTT05'-Terminologie durchaus nicht im ontologischen Sinne, sondern in ihrer titularen bzw. qualitativen Verwendung gebrauchen kann, vgl. C.H. 16: TWV ryj1ETEPUJV ()E[UJV EvaYYEAlaTwv TTpOKp{VUJV Tav (/>lAoaTpaTOV.
170 C.H. 11. Vgl. auch C.H. 12.38.42 Schluß. Richtig Taggart's Beschreibung von der Methode: " ... to put Herocles ... on the horns of unacceptable dilemmas" (Apollonius of Tyana, S. 185).
12. Philostrats Vita Apollonii
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Die christologische Debatte bereitete dem Heidentum den Weg, den philostrateischen Apollonios den göttlichen Wesen zuzuordnen und ihn als Gottmenschen zu sehen. Erst die Auseinandersetzung mit dem Christentum schuf die Voraussetzung dafür, so daß es nicht verwundert, wenn Eunapios etwa hundert Jahre später die V A rezipiert und schreibt: 171 Apollonios von Tyana war nicht nur ein Philosoph, sondern etwas zwischen den Göttern und einem Menschen (aAA' ijv TL 8EWV TE Kai aV8PWTTOV f1EO"ov) ... Philostrat der Lemnier hat einen Bericht über ihn verfaßt und seinem Buch den Titel "Leben des ApolIonios" gegeben (ßlov ETTL ypdl/JaS" ~ TToMUJvlov Ta ßLßA{a) - er hätte es jedoch "Reise eines Gottes zu den Menschen" nennen sollen (8EOV 'ETTL8TJf1{av ES" aV8PWTTOVS" 8EOV KaAELv).
Eine interessante Beobachtung kann jedoch bei Eunapios gemacht werden: Obwohl er offensichtlich die ßEL 0:; avßpwTTo:;- Terminologie in Philostrats Apolloniosvita ontologisch gelesen hatte, verwendete er sie in seinem eigenen Sprachgebrauch so, wie es in der Kaiserzeit üblich war - als Titel für die Archegeten bzw. Garanten der Tradition. Eunapios teilte nämlich die Philosophiegeschichte in Epochen auf: in die Epoche vor Platon, die zwischen Platon und Plutarch, die zwischen Plutarch und Plotinos. 172 In seinem Werk legt er Plutarch, dem Archegeten der dritten Epoche und dem einzigen Philosophen, den er gut kannte und oft zitierte,173 die ßELO:; avßpwTTo:;- Terminologie zweimal bei (VS 454: 'Aj1j1WVLO:; ... JIAovTapxov ToD ßELoTaTov rErOVW:; 8L8aoKaAo:;, JIAovTapx6:; TE aUT6:;, ~ cpLAoaocp{a:; GTTaaT}:; acpp08{ TT} Kai Avpa),174
12.4 Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten: Philostrat verwendet die ßEL 0:; avßpwTTo:;Terminologie so, wie es in seiner Umwelt üblich war. Keinesfalls ist sie in seinem Sprachgebrauch eine Bezeichnung, die einen Gottmenschen bzw. ein göttli-
171 Vitae sophistarum 454 (Text hg. v. J. Giangrande, Eunapii vitae sophistarum, Rom 1956). Zur Rezeption der Apollonioslegende in der Spätantike vgl. Petzke, Traditionen, S. 1924; Dzielska, Apollonius ofTyana, S. 152-183; Taggart, Apollonius ofTyana, S. 200-211. 172 Vgl. Eunapios VS 455. 173 Vgl. die Einführung von Wilmer Wright, Philostratus and Eunapius. The Lives of the Sophists, LCL, London 1921, S. 321. 174 An einer weiteren Stelle (VS 455) redet er von 6 8EO"TTEO"LOS"
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Teil IV: Applikation und Interpretation
ches Wesen mit einem Arsenal typischer Eigenschaften denotiert. Einerseits wird die Terminologie titular verwendet, als Bezeichnung des Garanten einer Erkenntnistradition (Homer, Platon, Polemon), insbesondere der Wahrheit der pythagoreischen Lehre. In letzterem Sinne bezieht sie sich auf Pythagoras selbst und die sogenannten indischen Philosophen, besonders auf ihren Führer Iarchas. Andererseits verwendet Philostrat sie als qualitatives Adjektiv, das nominalen Ausdr~cken als Prädikat beigelegt wird. Das Adjektiv gehört zu einem Wortfeld, in dem Begriffe der religiös-ethischen Qualifikation angesiedelt sind (Antonym: dßEOS-; Synonyme: ßEoaEß7}S-, EvaEß7}:;, Galo:;; nicht-kontradiktorische Ko-Hyponymie: 8{Kalo:;; Hyperonyme verschiedener Grade: oalos-, 8LKalos-, dyaßo:; / XPT]aTo:;). In dieser Weise findet die Terminologie Verwendung in bezug auf verschiedenste Referenten, z.B. Sokrates, Vespasian, Pythagoras und gelegentlich auf die indischen Philosophen. In dieser Weise wird sie auch konsequent auf Apollonios selbst angewandt. Das Überlappen der Referenten der beiden Verwendungen weist jedoch darauf hin, daß man zumindest in Einzelfällen mit der Konnotation der jeweiligen anderen Bedeutung rechnen darf - so sind Pythagoras und die indischen Philosophen nicht nur Garanten der Wahrheit, sondern sie sind auch Paradigmen jener wahren, gottgefälligen Lebensweise, weil sie selbst in überragender Weise gut und gottgefällig lebten. Die bisher in der ßEL os- d v7jp-Forschung übliche Vorgehensweise, an jenen Stellen, wo die ßELOS- dvßpUJTro:;- Terminologie auf Apollonios bezogen wird, ein Raster typischer Eigenschaften des Typus eines Übermenschen als Bedeutung (= Denotation) vorauszusetzen, muß also strikt abgelehnt werden. 175 Noch wichtiger jedoch: Man darf nicht dieses Raster, das an der Darstellung Philostrats gewonnen wurde, als Denotation des Ausdrucks voraussetzen und an jeder Stelle, wo die Begrifflichkeit begegnet, in den jeweiligen Text hineinlesen.
175 Dies ist aus semantischer Sicht ein ungeheuerlicher Irrtum: In Analogie zu Barrs Terminologie (unberechtigte Totalitäts-lldentitätsübertragung, vgl. ders., Bibelexegese S. 218f.) können wir hier von unberechtigter Inhaltsübertragung reden - daß ein einziges Objekt in einem Text mit verschiedenen semantischen Inhalten in Verbindung gebracht wird, berechtigt nämlich nicht dazu, all diese semantischen Inhalte auf einen Ausdruck zu übertragen, der regelmäßig auf das jeweilige Objekt referiert. Das folgende Beispiel mag dies verdeutlichen: Wie man nicht aufgrund einer Biographie einer beliebigen Universitätsprofessorin, in der sie als Ehefrau, Mutter, Freizeitsportlerin, Musikliebhaberin usw. präsentiert wird, schließen darf, daß die Summe dieser Inhalte die Bedeutung des Lexems "Professor" ausmachen würde, so darf man auch nicht die Summe der Inhalte der VA auf den Ausdruck fJELOS" dvrfp übertragen!
13. Alexander von Abonuteichos als 8ELOS- avryp? In der traditionellen ßELOS" avrjp- Forschung spielte Lukians Schrift über Alexander von Abonuteichos eine nicht unerhebliche Rolle. Schon bei der Formulierung der Hypothese nahm Alexander eine zentrale Stelle ein,l die er durch die Jahre behauptete. 2 Einerseits hält man den Lügenpropheten für ein klassisches Beispiel eines ßELOS" avrjp, andererseits betrachtet man die Darstellung Lukians als eine Parodie auf das Phänomen des göttlichen Menschen. 3 Dabei nimmt der Ausdruck 0i0S" 'AAEtav8poS", der in Alex. 11 in einem Versorakel als Selbstbezeichnung Alexanders begegnet, eine besondere Position ein. Vor der Auslegung der betreffenden Textstelle und der Erörterung der damit verbundenen religionsgeschichtlichen Problematik müssen wir jedoch auf die eigentümliche semantische Problematik, die das Lexem 0i0S" mit sich bringt, eingehen.
13.1 Der Gebrauch von
8io~
im Griechischen
13.1.1 Der restriktive Gebrauch von Otos
Bevor wir uns der kontextuellen Analyse bestimmter Texte zuwenden, wollen wir zunächst versuchen, uns ein Bild vom Gebrauch des Lexems 0i0S" in der griechischen Literatur zu machen. Verschafft man sich einen Überblick über die Verwendung des adjektivischen Lexems 0i0S",4 so kommt man zu überraschenden Ergebnissen. Das Lexem kommt im Singular nur knapp 850mal in der umfassenden Textsammlung des TLG vor, davon sind fast die Hälfte der Belege (mehr als 410) Homer entnommen. 5 Schon ein erster Blick auf die homerischen Belegstellen (und überhaupt die der frühen griechischen Dichtung) zeigt, daß das Lexem Oios" nur in einer kleinen Zahl fester syntagmatischer Verbindungen 1 Weinreich, Alexandros der Lügenprophet, S. 136ff., und ders., Antikes Gottmenschenturn, S. 649. 2 Vgl. Smith, Jesus der Magier, S. 32.37-41. 3 Vgl. Bieler, BEIOX ANHP I, S. 11 u.ö.; Windisch, Paulus u. Christus, S. 54.77; Weinreich, Antikes Gottmenschenturn, S. 649; ders., Alexandros der Lügenprophet, S. 531ff.; Betz, Gottmensch, Sp. 251f. 4 Die folgenden Angaben basieren auf einer computerunterstützten Untersuchung, in der ich versucht habe, mit Hilfe des TLG3 allen Belegen für 8ioS' KTA. in den dort gesammelten griechischen Texten nachzugehen. 5 Das Lexem taucht in all seinen grammatischen Formen weniger als 900mal in der gesamten Textsammlung des TLG vor. Hier interessieren an erster Stelle jedoch die Ergebnisse für den singularen Gebrauch.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
auftritt. Im vorliegenden Kontext ist besonders der Gebrauch des maskulinen Singulars von Belang. Die maskuline Form des Lexems 8loS' wird bei Homer beinah ausschließlich in syntagmatischer Verbindung mit Namen von Menschen bzw. den homerischen Helden gebraucht. 6 Nur viermal wird von diesem Gebrauch abgewichen, wobei 8loS' noch immer nur in Kollokation mit Namen auftritt. 7 Deutlich weniger restriktiv tritt die weibliche Form des Lexems bei Homer und Hesiod in syntagmatische Verbindungen ein. Sie liegt nicht nur in Kollokationen mit Personennamen vor,8 sondern wird auch häufig Naturerscheinungen und -kräften 9 oder Orten und Landschaften 10 beigelegt. Das Gesamtbild läßt jedoch deutlich erkennen, daß innerhalb der homerischen und hesiodischen Schriften enge kollokationelle Restriktionen für den Gebrauch von OLOS' KTA. vorliegen)1 Dieselben Beobachtungen können bei den ältesten Dichtern und den Vorsokratikern gemacht werden. 12 Relevant für die vorliegende Untersuchung ist jedoch nicht die Struktur der Verwendung des Lexems in der frühen Schriftstellerei, sondern eher die Tatsache, daß das Lexems OLOS' offenbar nachher noch immer demselben restriktiven Gebrauch unterliegt. Dies ist schon durch die Tatsache bedingt, daß OLOS' KTA. außerhalb dieser Schriften beinahe nur in Textstellen vorkommt, in denen Homer, Hesiod und gelegentlich andere der frühen Dichter und Philosophen zitiert werden oder in denen indirekt auf diese Schriften Bezug genommen wird. 13 Aber auch dort, wo Schriftsteller das 6 Weiterhin kommen die Syntagmen DLO:;/-OV, vrjJopßo:;/-ov (z.B. Od 14,4.401 u.ö.) und DLE YEpalE (Il 24,68) vor, die jeweils Eumaios dem Schweinehirten und Priamos beigelegt wer-
den. Bei Hesiod können dieselben Beobachtungen gemacht werden, obwohl das Lexem viel seltener vorkommt; dort jedoch einmal die Ausnahme DLO:; 8aL/1UJv (Hesiod Theog. 991). Für die Funktion und die metrische Bedingtheit des homerischen Epithetgebrauchs sei hier nur auf Milman Parrys epochemachenden Untersuchungen verwiesen, zusammengestellt in Adam Parry (Hg.), The Making of Homeric Verse. The Collected Papers of Milman Parry, Oxford 1971. 7 Die Ausnahmen (innerhalb von 293 Kollokationen) bilden Il 2,522 (KErjJlaov Diov), Il 12,21 (Dio:; hKG.j1av8po:;) sowie Il 8,158 (Ad/11TE DiE) und 23,346 ('ApELova Diov), wo die N amen jeweils Flüsse bzw. Pferde als Referenten haben. 8 Sie wird sowohl göttlichen oder halb göttlichen Figuren (Aphrodite, Thetis, Kalypso, Eos usw., auch Selene in den Homerischen Hymnen; vgl. auch Il10,290 Dia 8Ed) als auch heroischen Frauen (Klytaimnestra, Alkestis, Penelope, Phrontis; in Hesiod Fragm. 25 auch Hypermestra) als Prädikat (besonders häufig sind die Kollokationen Dia 8EatDv und Dia yvvalKtDv) beigelegt. Abweichend ist der Gebrauch von Dia KapT)Va in Hymni Horn. In merc. 142. 9 V gl. den häufigen Gebrauch mit X8wv, äA:;, al8rjp, auch in personifizierter Gestalt wie Dia Xapvß8l:;,Od 12,104.235 und 8LT) MEVL1T1TE, Hesiod Theog. 260. 10 Elis, Arisbe und Lakedaimon. 11 Das Neutrum tritt nur in dem Syntagma Diov YEVO:; (Il 9,538; Hymni Horn. (West et al.) Fragm. in Bacchum 2; bei Hesiod Opera 299) auf. Zu restriktiver Kollokation und ihren semantischen Implikationen vgl. Lyons, Semantik I, S. 238-254.272-277; Semantik II, S. 225f. 12 Alkman, (Selene, Fragm. in Plutarch 659B.918A.940A), Asius, Fragm 1 (Amphion); Bakchylides, PMG (Page) 96 (Helena); Pindar, Isthmia 7 (Python). 8 (Aiakos); Theognis, Elegiae 1087 (Lakedaimon). 1331 (0 1Taf DiE); Empedokles, D/K Fragm. 86 (Aphrodite). 109 (Diov al8Epa).
13. Alexander von Abonuteichos
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Lexem unabhängig von den alten Dichtern verwenden, begegnet es primär in Syntagmen, deren Referenten die homerische bzw. traditionelle mythische Welt der Götter und Heroen bevölkern. 14 Auch dort, wo OioS' KTA. in Syntagmen verwendet wird, deren Referenten keine Personen sind, werden fast ausschließlich Kollokationen benutzt, die schon in den Schriften der frühesten Autoren vorliegen. 15 Wenn Ausnahmen vorliegen, ist die Bestrebung, altertümliche Sprache nachzuahmen, offensichtlich. 16 13 Z.B. Platon, Hippias min. 371c; Arist., De soph. elenchis 166 a 38; Fragm. 640.641 (Rose); Aeschines, In Tim. 150,5; Theokrit, Idyl. 25,51; in der Kaiserzeit Galen, De soph. 14,583,13; Lukian, De paras. 45,17; Dio Chrys., Or. 2,58; in der Spätantike: Porhyrios, Zetern. 330; Asclepius, In Arist. metaph. 198. Weiterhin in spätantiken Homerkommentaren, z.B. Porphyrios, Quaest. ad Iliad. 9,682; Quaest. ad Od. 3,151 und die mittelalterlichen Kommentare des Eustathius, passim, der auch die meisten Belege liefert. Das Lexem taucht häufig bei den Grammatikern auf, die meistens ihr Material Homer entnehmen, z.B. Dion. Halik., De comp. 3,35.39,26,75; Ael. Herodianus 3,1,80,15, De figuris 100.104 und viele andere. Aus Platzgründen muß ich darauf verzichten, diese Beobachtungen hier ausführlich zu belegen. 14 Vgl. z.B. Aeschylos, Suppl. 967; Sophokles, Ajax 757.771; Euripides, Cyclops 294, Heracl. 850.1031, Phoen. 666; Arist., PMG (West), Fragm. 1,9; Callimachos, Hymn. 5,97.103. Weiterhin in späteren epischen Darstellungen mit den traditionellen Mythen als Thema: Apoll. Rhod., Argon. 1,949; 2,1037; Quintus, Posthomerica 1,530.604 et passim; Orphica, Argon. z.B. 503.968. Interessant ist die Bezeichnung 0 BpflxWV BLos- aOL8os- für Orphe~s in Euseb, Oratio ad coet. sanct. 20,10,20: Der Ausdruck kommt in einem Zitat aus einer Ubersetzung von Vergils Ekloge 4 vor, wo im Lateinischen einfach vom 'Thracius Orpheus' (Z. 55) die Rede ist. Man muß jedoch darauf achten, daß BLos- in der gesamten Literatur niemals einem Gott beigelegt wird (wo BLos- rIpaKAfjs- in Aristoteles, PMG (West), Fragm. 1,9 einen diesem (Halb-)Gott entsprechenden Grenzfall bildet). 15 Häufig BLos- al8rjp (z.B. Aesch. Prometh. vinctus 88; Arist. Metaph. 1000 b 7; Sext. Emp. Adv. math. 7,92.121; Galen, De plac. 7,5,48 (Kuhn) usw.); BLa X8u5v (Platon Politeia 379d; Sext. Emp. Adv. math. 1,291,11; Plut. Cons. ad Apoll. 105D; Orac. sibyl. 3,83.180); BLa äAS (AG 14,4; Quintus, Posthorn. 11,63; Orphica, De lapidis 581 und nach Analogie BLa BGAaaaa in Quintus, Posthorn. 14,601). Wenn BLa in Euripides, Helena 2ljiaKGs- (zitiert von Aristophanes, Thesm. 856, Ael. Aristides, Aigypt. 334,28) beigelegt wird, ähnelt es offenbar dieser Verwendung von BLa in Verbindung mit Naturgewalten. Weiterhin das bei Homer und Hesiod gebrauchte BLov YEvos- (z.B. in Orphica, Argon. 139). Offenbar hat das alte Eponym hartnäckig an geographischen Namen gehaftet, vgl. Elis (z.B. Strabo, Geogr. 8,3,1.8.26; AG 14,4; Quintus, Posthorn. 4,526), Arisbe (Strabo, Geogr. 13,1,7.20; AG 9,381), den Fluß Enipeus (vgl. Apol. Rhod., Argon. 1,38); Lakedaimon (AG 7,544), nach Analogiebildung in AG 9,321 (Antirnachos) bzw. 7,81 (Antipater von Sidon) mit Tritonis bzw. Priene und in Orac. Sib. 13,49 mit J-lEYGAT] rrOALS-. 16 Abweichender Gebrauch liegt m.W. nur in etwa zehn Fällen vor, ausnahmslos in metrischen Texten: Euripides, Helena 2 mit ljiaKGs- (zitiert von Aristophanes, Thesm. 856, Ael. Aristides, Aigypt. 334,28); Callimachos, Fragm. 186 (BLa rrETEvpa); weiterhin in Lukian, Alex. 40 mit cpp rj V, in Quintus, Posthorn. mit aarr{s-, aKo{ TLS- und r]Epa (nach Analogie von al8rjp gebildet?), in Orphica, De lapid. 477 mit CPAO, und in Elias, In Arist. comm 125, 27 BLos- aETos-; in Orphica, De lapid. 748 wird ein Stein mit vermeintlicher Heilungskraft als BLE XaAG(LE angesprochen. Der Gebrauch von LlLOS- als Adjektiv, wie es erstmals in Aeschylos, Prom. 619.654.1033 in Verbindung mit ßovAEVJ-la (der 'zeus'sche' Wille/der Wille des Zeus), öJ-lJ-la (das 'zeus'sche' Auge/das Auge des Zeus) und aToJ-la (der 'zeus'sche' Mund/der Mund des Zeus) begegnet, impliziert eine Adjektivisierung des Zeusnamens (vgl. Aelius Herodian 3,2,334: BLos- Ta Irr{8ETov KTT]TLKrjJ Tvrrq; arro Tfjs- LlLOS- YEVLKfjS-) und ist also nicht einfach mit BLos- im herkömmlichen Sinne gleichzusetzen. Hier liegt ein Beispiel der Homonymie bzw. Polysemie vor (so offenbar auch LSJ, S.v. BLos- 11).
324
Teil IV: Applikation und Interpretation
Diese Beobachtungen deuten unmißverständlich auf besondere kollokationelle Restriktionen beim Gebrauch des Lexems hin. Das Lexem BiaS" in der griechischen Sprache zu benutzen heißt, sich der altertümlichen homerischen bzw. dichterischen Sprache mit ihren festen Konnotationen zu bedienen. Dies beinhaltet, daß das Lexem Bios" in festen Kollokationen mit einer beschränkten Zahl an Nomina l7 und geographischen Namen l8 auftritt. Am weitaus häufigsten tritt BiaS" in Syntagmen mit Eigennamen und Nomina ein, die jedoch immer auf die nichthistorischen, traditionellen Figuren der griechischen Mythologie referieren. Diese kollokationellen Restriktionen werden so konsequent durchgehalten, daß man damit rechnen muß, daß die Referenz auf die Welt der traditionellen Mythologie zur Denotation 19 des Lexems gehörte. 20
13.1.2
L1Lo~ in
Syntagmen mit historischen Referenten
Wenn BiaS" also historischen Personen als Prädikat beigelegt wird bzw. in Syntagmen, deren Referenten historische Personen sind, eintritt, liegt eine Verletzung des normalen Sprachgebrauchs VOr. 21 M.W. tritt BiaS" nur neunmal in Syntagmen auf, deren Referenten Menschen und nichtmythologische Gestalten sind. 22 Abgesehen von der Stelle bei Theognis stammen alle aus dem Späthellenismus, der Kaiserzeit und Spätantike. Zwei der Texte (Lukian, SYI?1P. 41; AG 5,285) bilden weiterhin nur scheinbar eine Ausnahme zum normalen Gebrauch. In beiden wird der besungenen Frau, wie schon dem Jüngling Kyrnos bei Bes. X()wv, äAs", al()ip und yivos-. Bes. Elis, Arisbe, Lakedaimon und der Fluß Enipeus. 19 Lyons, Semantik I, S. 272 macht darauf aufmerksam, daß es unmöglich ist, "die Bedeutung von kollokationeIl restringierten Lexemen zu beschreiben, ohne die Menge von Lexemen zu berücksichtigen, mit denen sie ... syntagmatisch verbunden sind". 20 Man täte folglich gut daran, BLos- nicht übereilig als ein Synonym von ()ElOS- KTA. zu behandeln und die gesamte Bandbreite der Verwendungen von ()ElOS- auf BLos- zu übertragen. Lexikalische Elemente "sind dann synonym, wenn die Sätze, die sich aus der gegenseitigen Substitution der Elemente ergeben, die gleiche Bedeutung haben", Lyons, Einführung, S. 438. Vgl. oben und Lyons, Einführung, S. 437f.; ders., Semantik I, S. 210-216.296f. Trotzdem ist gegenseitige Substitution wegen der äußerst restriktiven Kollokation von BLos- nicht gewährleistet, vgl. Lyons, Semantik I, S. 272. Es ist weiterhin bezeichnend, daß Aelius Herodian die Bedeutung von BLos- als Ev80fos- (Partitiones 20; also ein Qualitätsadjektiv) und BLos- TO ETT{()ETOV KT1]TLKtjJ TVTTCfj aTTo TfjS- LlL6s- YEVLKfjS- (3,2,334; also ein relationelles Klassenadjektiv) beschreibt. 21 In der vorkaiserzeitlichen Literatur wird 8l0S- nur in Theognis, Elegiae 1331 (u) TTal BLE) einer historischen Person als Eponym beigelegt. In dieser Weise adressiert Theognis den Jüngling Kyrnos, Sohn seines Freundes Polypaos, an den das Lehrgedicht gerichtet ist. 22 Theognis, Elegiae 1331 (Kyrnos); Galen, De comp. med. 12,628,9 (Gaius, ein Arzt); Lukian, Alex. 11 (Alexander v. Abonuteichos), Symp. 41 (Kleanthis, Tochter des Aristaenetos, Braut des Chareas [alle fiktive Personen]); Vit. Horn. 101,11 (Homer); Euseb., Praep. Ev. 9,22,7,2 = Theodotos, Fragm. 5 (Abraam); AG 16,274 (Oreibasios, Arzt des Julian); Agathias Scholastikos, AG 5,285, (Rodanthe, [fiktive] Geliebte des Dichters); Gregorius von Nazianz (dubiös), Christus patiens 1248 (Joseph, Vater Jesu). Letzteres ist ein plumper Versuch, die antike Dichtersprache zu imitieren und trägt für unsere Fragestellung nichts aus. 17
18
13. Alexander von Abonuteichos
325
Theognis,23 mittels hyperbolischer Sprache geschmeichelt, indem sie der Welt der Götter und Heroen zugeordnet wird. In dem Hochzeitslied, das der Grammatiker Histaios während Lukians fiktivem Symposion vorträgt,24 liegt sogar ein expliziter Vergleich mit einer Göttin (Kythera = Aphrodite ) und einer HeIdin (Helena) vor.2 5 Daß der Gebrauch von OLOS' spätestens während der Kaiserzeit der üblichen eELOS' avßpuJ1TOS'- Terminologie angeglichen worden ist, geht aus den übrigen Stellen hervor. Wenn in der Proklos zugeschriebenen Vita H omeri2 6 das bekannte Epigramm, das Hesiod den Musen nach seinem Sieg über Homer geweiht haben soll, als fingiert abgelehnt wird, wird es in leicht geänderter Weise zitiert: 27 llalo8oS' MovaalS' EAlKUJv{al T6v8 dVEßT]KEV, vllvq; vUa]aaS' EV Xa"AK{8l 8iov °OIlT]pov.
Anstatt des üblichen eELOV rl0j.1T7pOV28 lautet es hier 8LOV rlOj.1T7pOV. Da die Bezeichnung eELOS" f'0j.1T7P0S' auf den unbestrittenen ersten Rang Homers als Archegeten der Dichtung überhaupt hinweist,29 ist dies ein deutlicher Hinweis, daß der Ausdruck OLOS' rl0j.1T7p0S" von dem kaiserzeitlichen Verfasser der Chrestomatheia in diesem Sinne verstanden wurde.
23 Da Kyrnos nicht nur unpersönlicher Adressat des Lehrgedichtes ist, sondern Geliebter des Theognis, paßt manches Schmeichelhafte zu dem "erzieherischen, aber dabei sinnlichen Eros" (Schmid-Stählin I 1, S.375-386, Wortlaut 382). Schon in den ersten Strophen des (ersten) Gedichts wird der junge Kyrnos als 1'[1 äva, AT]TOVS' VlE, LluJS' TEKOS' (1) und 4>O'ißE ävae angesprochen und also in die Welt der Götter und Heroen gehoben. 24Die erste Hälfte des Liedes heißt:
r
"H oL1] TTOT äp' ff 'APlUTaLvtToV EV ll e yapOlal Oia KAcaveiS' ävaud ETptcpcT Ev8vKtOJS', TTPOVxovd dMaOJv TTauaOJV TTap8cvlKaOJv, KptuUOJV TijS' K v8tp1]S' 7j8 gvTijS' 'EAlV1]S'.
In einer Anmerkung zu seiner Ubersetzung des Textes schreibt A.M. Harmon (LCL), seine Übersetzung sei vielleicht sogar besser als das Original, auf jeden Fall könne sie nicht schlechter sein! Auch das kurze Liebesgedicht über die 'göttliche Rhodanthe' (AG 5,285) von dem Rechtsanwalt, Dichter und Historiker Agathias (536-582 n. Chr.), der bekanntlich fiktive Epigramme verfaßte (vgl. Rudolph Keydell, Art. Agathias, KP 1, Sp. 116f.), ist sicherlich keine Meisterleistung. 25 Wie oben gezeigt wurde, wird das Adjektiv 8ia beiden traditionellerweise beigelegt. Lukian rechnet offenbar damit, daß dies seinen Zuhörern bewußt ist. In Lukians Schriften Imagines I und 11 wird ausführlich ein hyperbolischer Vergleich durchgeführt. 26 Umstritten ist die Verfasserschaft der Schrift, aus der die Vita stammt, vgl. SchmidStählin II, S. 882-3. Mit Suda hielten Gelehrte wie Wilamowitz, Kaibel u.a. an Proklus als dem Verfasser der Chrestomatie fest. Einiges spricht jedoch für einen unbekannten Verfasser aus dem 2. Jh. n. Chr., vgl. Schmid-Stählin, a.a.O. 27 Vita Horn. Procul. 101,10f. (Allen). 28 Vgl. Dion Chrys., Or. 2,11; Certarnen 213f.; AG 7,52. 29 Zum 'göttlichen Homer' vgl. die Überlegungen hier oben, Kap. 11.
326
Teil IV: Applikation und Interpretation
Dies wird von einem Epigramm, das frühestens am Ende des 4. Jh. entstanden ist, bestätigt: 30 Ein großartiger Arzt ist dieser des Kaisers Julian, Ehrfurcht verdient der göttliche Oreibasios (OL05" 'OpelßaalO5"). Denn weise und vernünftig wie eine Biene war er, indem er von überall andere Blüten früherer Ärzte pflückte.
In diesem Epigramm wird dem berühmten Leibarzt des Julian das Prädikat OlOS" beigelegt. Er war der früheste und wohl bedeutendste medizinische 'Anthologiker' der Antike. 31 Im Auftrag von Julian fertigte er eine Zusammenfassung des galenischen Schrifttums an, danach ein umfangreiches Werk in siebzig Bänden mit dem Titel 1 aTpLKal avvaYUJyai, in dem er aus den Schriften der besten Ärzte exzerpierte. Aufschlußreich ist jedoch, daß der unbekannte Verfasser des Epigramms Oreibasios' Anspruch auf Verehrung 32 mit seiner Exzerpiertätigkeit in kausalen Zusammenhang (yap!) bringt. Auch hier kommt die Terminologie in einem Kontext vor, wo die Rede von dem Anfang einer bestimmten Tradition des Wissens ist. Für den Epigrammisten war Oreibasios ein Archeget bzw. Vollender eines bestimmten Kenntniszweiges der Medizin, also ein OlOS" / eELOS" " Ll avupUJ7ToS".
Wesentlich unklarer ist die Lage in Galen, De comp. med. 12,628,9. Im Rahmen einer Aufzählung von 24 Rezepten des Pharmakologen Andromachos gegen Ohrbeschwerden wird unvermittelt einem gewissen Gaios das Prädikat OL05" beigelegt: lß8oj1T} TTapaTTAT}ala Tij TTpOyeypaj1j1EVf} YEypaTTTal KaTG Tov8e TOV TPOTTOV' I1MT} 8lov ralov aVj1epUJvo5".33 Andromachos, Sohn von Neros gleichnamigen Leibarzt, wirkte gegen Ende des 1. Jh. als Pharmakologe. Er hat ein dreibändiges Werk JJepl epapj1aKUJv aKevaala5" geschrieben, von dem einige Auszüge bei Galen überliefert sind. 34 Unklar ist, wer der Gaios ist, der hier genannt wird,35 so daß man über die Gründe, warum ihm dieses erhabene Eponym beigelegt wurde, nur mutmaßen kann. 36 Wählt man jedoch den Weg, 8Lo5" bedeute hier schlicht
30 AG 16,274: 'IT}n7P J1Eya5" OUT05" 'IovAlavov ßaalAij05", I l1,lO5" evaeßl7]5" OL05" 'OpelßaalO5". I elXe yap ora j1EAlaaa aoepov v60v I1Mo()ev I1Ma IlT}TPWV TTPOTEPUJV I1V()ea 8pel/laj1eVO". 31 Vgl. Friedolf Kudlien, Art. Or(e)ibasios, KP 3, Sp. 334. Vgl. zu Oreibasios' Leben und Werk Schmid-Stählin II, S. 1095-1097. 32 Der Ausdruck l1'lO5" evaeßlT}5" (Z. 3) darf nicht vorschnell mit religiöser Verehrung gleichgesetzt werden. Dazu gibt es in der Überlieferung keinen Anlaß. Vielmehr bezieht evaeßla sich auf die Ehre, die der Verfasser dem gelehrten Arzt erweist, indem er das Epigramm über ihn, den OL05" I1V()PUJTT05", dichtet. Dementsprechend übersetzt W. R. Paton mit "right worthy of this pious gift". 33 Der einführende Satz (lß8oJ1T} ... Tp6TTOV') stammt von Galen, der Rest wird aus Andromachos' Schrift zitiert. 34 V gl. Schmid-Stählin II, S. 454. 35 Noch zweimal begegnet ein Arzt mit dem Namen Gaios in Galens Werk. In De comp. med. 13,830 (Kuhn) wird ein Heilmittel eines gleichnamigen Arztes aus Neapolis genannt, in De comp. med. 12,771 (Kuhn) ist von einem Augenarzt, der Gaios heißt, die Rede. Es könnte sein, daß hier dieselbe Person gemeint ist. 36 Da kaum etwas von Andromachos' Werk überliefert ist, ist es nicht möglich, sein Verhältnis zu dem unbekannten Gaios zu bestimmen. Sah er in dem Neapolitaner ein großes
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"berühmt" ,37 hat man zwar einen akzeptablen Ausweg gefunden, aber der oben aufgezeigten restriktiven Kollokation nicht Rechnung getragen.
Von Theodotos,38 einemjüdischen39 Epiker des 2. Jh. v. Chr. 40 sind Fragmente41 eines Epos überliefert, das sich mit der Geschichte der samaritanischen Stadt Sichern befaßt. 42 In dem 5. Fragment wird dem Erzvater Abraham das Prädikat DioS' beigelegt: 43
Vorbild für seine eigene Tätigkeit? Man könnte auch in Erwägung ziehen, daß das Prädikat 0i05' hier von Galen stammt und der bekannte Platoniker gemeint ist, dessen Schüler Galens Lehrer in Pergamon (ein unbekannter Platoniker, vgl. De dign. et cur. 5,41,13 [De Boer CMG]) und Smyrna (der Platoniker Albinos) waren. Wäre er für Galen ein Beispiel eines Arztes, der zugleich Arzt und Philosoph ist, wie er das bekanntlich selbst angestrebt hat, dann wäre es verständlicher, warum das Prädikat gerade hier auftaucht. Die Tatsache aber, daß nirgends in der antiken Überlieferung von einer ärztlichen Betätigung des Philosophen Gaios berichtet wird, spricht eher dagegen. 37 V gl. Aelius Herodian, Partitiones 20, der Ev80fo5' als die Bedeutung von Bio5' anführt. Seine Erklärung ist allerdings auf den homerischen Gebrauch zugeschnitten. 38 Textausgabe mit englischer Übersetzung, Einleitung, Kommentar und vollständigen Literaturangaben von Carl R. Holladay, Fragments from Hellenistic Jewish Authors. Volume II Poets. The Epic Poets Theodotus and Philo and Ezekiel the Tragedian, Text and Translati0ns 30. Pseudepigrapha Series 12, Atlanta 1989, S. 51-204. Die Fragmente befinden sich auf S. 106-127. Die Fragmente sind auch vorhanden bei Jacoby, FGH III C 2, 732, S. 692-694. Deutsche Übersetzung mit kurzer Einführung und Anmerkungen von Nikolaus Walter, Fragmente jüdisch-hellenistischer Epik: PhiIon, Theodotos, in Werner Georg Kümmel (Hg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Bd. 4. Poetische Schriften (3. Lieferung), Gütersloh 1983, S. 154-171. Vgl. auch Francis T. Fallon, Theodotus. A New Translation and Introduction, in J ames H. Charlesworth, The Old Testament Pseudepigrapha. Volume 2, London 1985, S. 785-793 sowie den älteren Artikel von Richard Laqueur, Art. Theodotos 21, RE II 5.2, 1934, Sp. 1958f. 39 Der zuerst von Jakob FreudenthaI, Alexander Polyhistor und die von ihm erhaltenen Reste jüdischer und samaritanischer Geschichtswerke I1II, Breslau 1874/75, S. 99f. vertretenen Auffassung, Theodotos sei Samaritaner gewesen, wurden inzwischen viele Argumente entgegengebracht, so daß man heute eher zur Annahme jüdischer Verfasserschaft neigt. Dies um so mehr, wenn man die Entstehung des Epos mit den Geschehnissen um Johannes Hyrkanos in Zusammenhang bringt. Vgl. dazu Walter, Fragmente, S. 157-162; Holladay, Fragments II, S. 57-68.81-91. 40 Die genaue Datierung des Epos, dem das Fragment entnommen wurde, ist umstritten. Allgemein akzeptiert ist aber, daß es irgendwann während des 2. Jh. v. Chr. entstanden ist. Aufwind hat die Hypothese, daß bestimmte inhaltliche Aspekte des Epos mit dem Wirken des Johannes Hyrkanos zu korrelieren seien. Dies ließe auf eine Entstehungszeit zwischen 129109 V. Chr. schließen. Vgl. Holladay, Fragments II, S. 68-70.90-92, wo die Forschungsgeschichte und die gegenseitigen Argumente zusammengefaßt sind; vgl. Walter, Fragmente, S. 159-161, der die letztgenannte Hypothese in positiver Weise darstellt. 41 Acht Fragmente sind uns mittels eines Zitats aus einem Werk Alexander Polyhistors über J acob in Eusebs Praeparatio Evangelica 9,22 überliefert worden. 42 Ob das Gedicht sich ausschließlich mit Sichern befaßt hat oder ob die überkommenen Fragmente nur einen Ausschnitt aus einem größeren Werk repräsentieren, ist heute nicht mehr zu klären. Dies hängt mit der sehr umstrittenen Echtheit des bei Alexander Polyhistor überlieferten Titels JJepl 'lov8aLwv zusammen, vgl. Holladay, Fragments II, S. 53-57. Sicher ist jedoch, daß das Gedicht in der Tradition der hellenistischen Epik steht (ausführlich belegt von Holladay, Fragments II, S. 72f.93-99, der eingehenden Gebrauch macht von einer unveröffentlichten Abhandlung von Francis T. Fallon U. Adela Yarbro, Fragments of an Epic Poem attributed by Alexander Polyhistor to Theodotus (unpublished Seminary Paper, Harvard New Testament Seminar, 1970 - non vidi). Bei dem Gedicht handelt es sich vielleicht sogar um ein
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Teil IV: Applikation und Interpretation Und weiterhin fährt er über die Beschneidung fort: Dieser (= Gott), als er den hehren Abraam (Biov 'Aßpaa/l) aus (seinem) Vaterhaus herausführte, forderte selbst vom Himmel her den Mann auf, daß er mit seinem ganzen Hause das Fleisch der Vorhaut berauben solle; und so vollführte er es. Dies ist unabdingbar (daTE/lcpES' BE TETvKTaL) - denn Gott selbst hat es gesagt.
Die Frage, ob Theodotos Abraham nur in Nachahmung des epischen Stils das Prädikat OLOS' beilegte44 oder ob er mehr damit beabsichtigte,45 ist in Anbetracht der fragmentarischen Überlieferung schwer zu beantworten. Stilistische Untersuchungen haben gezeigt, daß Theodotos den epischen bzw. homerischen Stil in hervorragender Weise beherrschte. 46 Es ist also durchaus denkbar, daß er Abraham das Epitheton in bewußter Nachahmung Homers beilegte,47 vieleicht sogar mit leichter polemischer Spitze, wohl wissend, daß er dadurch das normale Sprachgefühl eines Griechisch-Sprechenden verletzte. Andererseits ist es jedoch höchst bemerkenswert, daß der Ausdruck OLOS' 'Aßpadfl just in einem Kontext auftaucht, in dem es sich um den Anfang der Beschneidung und um Abraham als Garanten ihrer immerwährenden Gültigkeit (Z.5: GUTEflCPES' BE TE TVKTal ) handelt. Die Garantie für die Gültigkeit des Ritus liegt darin, daß Abrahams Handeln explizit auf Gottes eigenen Befehl zurückgeführt wird (Z. 3 und 5). Die Tatsache, daß der Ausdruck OLOS' 'Aßpadfl gerade in einem solchen Kontext vorkommt, ist so frappierend, daß man berechtigt ist, die Vermutung zu äußern, er werde hier in Analogie zur eElOS' aVepWTTOS'- Terminologie im Sinne einer technischen Bezeichnung für den Archegeten bzw. Garanten einer bestimmten Tradition benutzt. Hat Theodotos den in seiner Umwelt gebräuchlichen Terminus eELOS' 'Aßpadfl dem homerischen Stil angepaßt und daraus OLOS' 'Aßpadfl gemacht? Leider erlauben die kurzes Städteepos, wie es in Alexandrien zu der Zeit üblich war, vgl. Walter, Fragmente, S. 155. 43 The090tos, Fragm. 5 = Euseb., Praep. Ev. 9,22,7,2. Text aus Holladay, Fragments II, Fr. 5, S. 118, Ubersetzung von Walter, Fragmente, Fr. 4, S. 168. Da es das angestrebte Ziel dieser Arbeit ist, den Gebrauch der 8ELOS' äv8pUJTTOS'- Terminologie im hellenistischen Judentum auf dem Hintergrund des allgemeinen hellenistischen Sprachgebrauches zu verstehen, wurde das Fragment von Theodotos in dem vorliegenden Abschnitt zunächst zurückgestellt, obschon es m.W. das früheste Beispiel dafür ist, daß einem Menschen, der nicht aus der griechischen Mythologie stammt, das Prädikat BioS' beigelegt wird. 44 Wie es zweifelsohne in der mittelalterlichen Tragödie Christus patiens, Z. 1248, der Fall ist. 45 Vgl. Holladay, Fragments 11, S. 179f., Anm. 94: "An interpretive question worth considering is whether Theodotus merely employs stock epie language to glorify Abraham, or whether the term is to be understood more literally as enhancing his status beyond the human". Holladay, Fallon und Walter übersetzen alle im Sinne der ersten Alternative. 46 Holladay, Fragments 11, S. 72: "The most striking literary feature of Theodotus' work is its thoroughly Homeric complexion ... Theodotus takes a biblical idea or motif and thoroughly recasts it into Homeric or epic style"; "It seems then that in terms of diction, versification, morphology, and style, Theodotus' work is dosest to Homer, and was probably with the Homeric epics as direct model", zitiert aus Fallon u. Yarbro, Fragments of an Epie Poem durch Holladay, Fragments 11, S. 93, Anm. 57; da weitere Literaturangaben. 47 So auch Holladay, Fragments 11, S. 180, Anm. 94.
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wenigen überlieferten Fragmente uns nicht, diese Vermutung endgültig zu klären. Sicher scheint mir jedoch, daß das Epitheton nicht die göttliche Natur Abrahams im Sinne der traditionellen ßcL05" avryp-Hypothese bezeichnet. Dagegen spricht die besonders restriktive Kollokation des Lexems, die davor warnen sollte, voreilig die Synonymie von Bio5" und Lexemen wie ßcL05" oder 8aLj1oVL05" zu behaupten. Auch in der Antike selbst wurde die Bedeutung von 8i05" nicht mit Lexemen wie ßcL05" oder 8aLj1oVL05" in Zusammenhang gebracht. 48 Zusammenfassend ist folgendes zu bemerken: Das Lexem 8i 05" zeigt in der griechischen Literatur über Jahrhunderte hinweg bemerkenswerte kollokationelle Restriktionen. Wenn es in Syntagmen mit Personen auftritt, referiert der betreffende Ausdruck fast immer auf die Welt der griechischen Mythologie. Falls es Personen als Prädikat beigelegt wird, die nicht jener Welt angehören, werden sie ihr durch den Gebrauch von 8i 05" zugeordnet. Einige wenige Texte belegen, daß spätestens im 2. Jh. n. Chr. 8i05" in Verbindung mit Menschennamen im Sinne der ()EL05" avßpUJ1T05"- Terminologie als Bezeichnung für Archegeten und Garanten von Wissenstraditionen benutzt wurde.
13.2 Alexander 11: L1Zo,) 'AAi-tav8po,) Mit diesen Ergebnissen im Hintergrund ist jetzt die Frage zu stellen, in welchem Sinn der Ausdruck 8i05" 'AAitav8po5" in Lukians Alexanderschrift49 benutzt wird. Bevor dazu übergegangen wird, die betreffende TextsteIle auszulegen und die damit verbunden religions geschichtliche Problematik zu erörtern, müssen jedoch einige Vorentscheidungen, in derem Rahmen die Untersuchung durchgeführt werden wird, erläutert werden. Die Art und der Charakter der Alexanderschrift sind in der Forschung sehr umstritten. Obwohl sie seit dem letzten Jahrhundert als historisches Dokument Gegenstand intensiver Untersuchung war,50 klaffen die Meinungen über die Verläßlichkeit der Mitteilungen Lukians weit auseinAelius Herodian, Partitiones 20: Bios; = Ev8ofos;. Text mit englischer Übersetzung von A. M. Harmon, Lucian, LCL 4, Lgndon 1961. Eine neue Textausgabe unter Berücksichtigung aller Textzeugen mit deutscher Ubersetzung, einer Einleitung in den literarischen und historischen Hintergrund und Erklärungen zu den einzelnen Stellen ist in Vorbereitung: Ulrich Victor (Hg.), Lukian von Samosata. Alexandros oder der Lügenprophet, Religions in the Graeco-Roman World, Leiden [1997]. Victor stellte mir freundlicherweise sein Manuskript vor der Drucklegung zur Verfügung. Im Folgenden wird in den Anmerkungen auf die entsprechenden Kapitel von Victors Studie (hier zitiert als Victor, Alexandros) verwiesen, weil die Seitenzahlen noch nicht feststanden. 50 Die wichtigsten Untersuchungen sind: Franz Cumont, Alexandre d' Abonotichos. Une episode de l'histoire du paganisme au lI-me siecle de notre ere, Memoires couronnes et autres memoires publies par l'Academie R. des Sciences etc. de Belgique 40, Brussels 1887; ders., Alexandre d' Abonotichos et le neo-pythagorisme, RHR 86, 1922, S. 202-210; Otto Weinreich, Alexander der Lügenprophet und seine Stellung in der Religiosität des zweiten J ahrhunderts, NJKA 47, 1921, S. 129-151; E. de Faye, Alexandre d'Abonotique a-t-il ete un char48 49
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Teil IV: Applikation und Interpretation
ander. Einerseits hält man seine Angaben über die Vorgänge für zuverlässig,51 andererseits gab es immer Stimmen, die vor der Glaubwürdigkeit Lukians warnten. 52 Eng hiermit verbunden ist die Frage nach dem sozialen bzw. historischen Bezug der Abhandlung und die damit zusammenhängende Frage nach ihrer Gattung und Intention. Traditionell galt sie als eine dem Peregrinos Proteus analoge Streitschrift Lukians zur Offenlegung religiös-philosophischen Wahns. 53 Richard Reitzenstein stellt jedoch schon am Anfang des Jahrhunderts die These auf, die Schrift sei eine satirische Parodie Lukians auf eine ihm vorliegende Aretalogie, die Alexanders wunderbare Taten lobte. 54 1. Bompaire hat sich im Rahmen seines groß angelegten Werkes 55 über Lukians mimetische Arbeitstechniken diesem Gedanken der Verarbeitung vorliegender Stoffe angeschlossen. Er hat jedoch geleugnet, daß der Bezug des Textes zu seinem sozialen Umfeld für das Textverständnis wesentlich ist. Vielmehr hat er den Text als Pamphlet bezeichnet, in dem Lukian ein ganzes Kompendium literarischer und parodistischer Kunstgriffe benutzt habe, um, auf alte kodifizierte literarische Traditionen zurückgreifend, ein jeu d'esprit, eine Phantasie, zu schaffen. Der primäre Fokus dieses Textes sei die fiktive recreation an sich und nicht eine satirische Attacke, die aus ideologischen oder persönlichen Motiven gegen eine bestimmte Aretalogie, religiöse Strömung oder sogar gegen Alexander selbst gerichtet gewesen sei. 56 Neuerdings ist Bompaires einseitige Betonung der Nachahmung traditioneller Motive korrigiert worden, indem man versucht hat, die satirische Bezugnahme Lukians auf sein soziales Umfeld systematisch aufzuzeigen. 57 Dagegen vertritt Ulrich Victor den Standpunkt, daß Lukian in erster Linie keine Satire verfassen will, sondern primär latan ou un fondateur de religion?, RHPhR 5, 1925, S. 201-207; Arthur D. Nock, Alexander of Abonoteichos, CQ 22, 1928, S. 160-162; Marcel Caster, Etudes sur Alex~ndre ou le faux prophete de Lucien, These supplementaire, Paris 1938; Louis Robert, A travers l'Asie lYIineure: Poetes et prosateurs, monnaies grecques, voyageurs et geographie, Bibliotheque des Ecoles Franc;aises d' Athenes et de Rome 239, Paris 1980, S. 393-421; C. P. Jones, Culture and Society in Lucian, London 1986, zu Alexander S. 133-148 sowie R. L. Fox, Pagans and Christians, New Haven 1987, S. 241-262. 51 Positiv äußern sich Cumont, Weinreich, De Faye, Nock, Robert. Victor, Alexandros, Kap. II hält Lukians Beschreibungen von Tatsachen für glaubwürdig, seine Wertungen jedoch nicht. 52 So schon A. Thimme, Alexander von Abonuteichos. Ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit Lukians, Ph 49, 1890, S. 507-514, auch Caster, Etudes. Fox, Pagans and Christians zieht die Genauigkeit vieler Angaben Lukians in Zweifel. 53 Vgl. Schmid-Stählin II, S.734. So z.B. Cumont, Weinreich, Nock. 54 Hellenistische Wundererzählungen, S. 1-8. 38f., ihm folgend Tiede, Charismatic Figure, S. 61-69. Ähnlich Isidore Levy, Recherches, S. 141, der die Schrift als eine satirische Parodie auf Pythagoraslegenden betrachtet. Die Theorie einer Parodie auf eine Aretalogie erfreute sich großer Beliebtheit in der fJelOS dvryp-Forschung. 55 J. Bompaire, Lucien Ecrivain, Imitation et Creation, Bibliotheque des Ecoles Franc;aises d' Athenes et de Rome 190, Paris 1958. 56 Lucien Ecrivain, bes. S. 460.480-484.613-621. Bompaires Bu.~h war besonders in der französisch- und englischsprachigen Forschung sehr einflußreich. Uberzogen ist das Urteil von Alexiou, Philosophers in Lucian, S. 21: "... Bompaire's conclusions about Lucian's techniques are incontrovertible". Gegen Bompaires Ausklammern des sozialen Kontextes wurde scharf polemisiert von Barry Baldwin, Studies in Lucian, Toronto 1973. 57 So Jones, Culture and Society, zl! Alexander S. 133-148, der sich in diesem Teil auf Arbeiten Louis Roberts stützt, bes. auf A travers l'Asie Mineure, S. 393-421. Jones redet von einer "personal satire". V gl. auch Branham, Comic as Critic: Revenging Epicurus, S. 143163; ders.; Unruly Eloquence, S. 179-210, der beide Linien aufgreift und die Schrift als "topical pamphlet" oder if;6yos bezeichnet, der jedoch nicht eindeutig ernsthaft gemeint sei. Ihm schließt sich Clay, Four Philosophical Lives, ANRW II 36.5 an.
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Geschichte schreibt. 58 Dabei gehe Lukian nach Kriterien vor, die er selbst in seiner Schrift Historia quomodo conscribenda sit aufgestellt habe. Ich schließe mich in den folgenden Überlegungen der Linie der Forschung 59 an, die an der historischen und sozialen Aktualität der Schrift festhält.
In Alexander 11 begegnet der Ausdruck BioS" :4.AEtav8poS" in einem Versorakel als Selbstbezeichnung Alexanders: Alexander wurde vorausgeschickt und trug jetzt langes Haar mit hinunterwallenden Locken, außerdem war er gekleidet in ein purpurnes Gewand mit einem weißen Band (j1caoAcvKoV XL Twva TTOpq;Vpovv) und hat einen weißen Mantel darübergestreift. Er hatte eine Sichel nach dem Beispiel des Perseus (äPTTT]V EXUJV KaTG TOV JIcpaia), von dem er seine Herkunft mütterlicherseits herleitete (dq;' ou EavTov lycvcaAoycL /1T]Tpo8cv). Jene jämmerlichen Paphlagonier, obwohl sie seine bei den Eltern kannten, die ja unscheinbare und einfache Leute waren (cl8oTcS' aVTov ä/1q;UJ TOUS' yoviaS' dq;avcLS' Kai TaTTcLvovS'), glaubten ja dem Orakel, das folgendes aussagte: Dieser, der hier erscheint, ist seiner Herkunft nach ein Sproß des Perseus, Phöbos' Freund, der göttliche Alexander (BLoS' 'AAi,av8poS'), der am Blut des Podaleirios teilhat. Podaleirios war also seinem Wesen nach so wollüstig und frauenbesessen gewesen, daß er über die Entfernung von Trikka bis Paphlagonien von Alexanders Mutter erregt worden war.
Dies ist eines der etwa 25 Versorakel Alexanders, die Lukian im Wortlaut in seiner Schrift aufgezeichnet hat. Vieles deutet darauf hin, daß diese Orakel tatsächlich von Alexander persönlich oder aus seinem unmittelbaren Umkreis stammen. 60 Dafür spricht erstens die Tatsache, daß man im syrischen Antiochien eine Inschrift mit dem Wortlaut des von Alexander erlassenen und in die Provinzen verbreiteten Orakels gegen die Pest (Alex. 36) gefunden hat. 61 Weiterhin spricht dafür die Qualität der Orakel, insbesondere die des Metrums. 62 Inhaltlich Victor, Alexandros, Kap. 11. 59 Diese Debatte hat ihren Ort innerhalb einer größeren Diskussion in der Lukianforschung über die Bestimmung des literarischen Charakters der gesamten Schriftstellerei Lukians. Eine ausgezeichnete Bibliographie der Lukianforschung bis 1960 findet sich bei Betz, Lukian von Samosata, S. 218-251; für die wichtigsten Erscheinungen seit 1960 vgl. Jones, Culture and Society, S. 172-188. 60 Gegen die oft vorgetragene Meinung, sie seien entweder von Lukian aus anderen literarischen Quellen übernommen oder frei erfunden, so z.B. Bompaire, Lucien..ecrivain, S. 460; Caster, Etudes, jeweils z. St.; Fox, Pagans and Christians, S. 243. V gl. die Uberlegungeh bei Victor, Alexandros, Kap. I. 61 Veröffentlicht von P. Perdrizet, Une inscription d'Antioche qui reproduit un oracle d'Abonotichos, CRAI 1903, S. 62-66. Vgl. auch Robert, Asie Mineure, S. 404; Jones, Culture and Society, S. 142. 62 Es gehörte zu der Sprache der Götter, daß die Orakel in Versen abgefaßt wurden: Dies war jedoch nicht immer selbstverständlich, denn Cicero, De divin. 2,115-117 berichtet, daß Delphi aufgehört hat, Orakel in Versen zu liefern, vgl. auch Plut. Moralia 396C; 402B. Versorakel, die manchmal poetische tours de force waren, kennzeichnen jedoch die Orakel, die seit der Neubelebung im 2. Jh. von den Orakelstätten ausgingen; vgl. dazu Fox, Pagans and 58
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Teil IV: Applikation und Interpretation
stellen sie zudem Alexander in einem durchaus positiven Licht dar. 63 Vielleicht darf man sogar vermuten, daß Lukian eine für Propagandazwecke angelegte Sammlung von Orakeln vorlag. 64 Wir haben es in Alex. 11 also mit einer Selbstaussage Alexanders zu tun, so daß wir diesem Orakel nicht nur indirekt vermittelte Auskunft über diese schillernde Figur, der Geschichte entnehmen können. Angesichts der Tatsache, daß man unter Rückgriff auf die Verwendung des Ausdrucks BloS" 'AAltav8poS" und dessen unmittelbaren Kontext in Alex. 11 Alexander als klassischen ecLOS" dVTjp bezeichnet und dies mittels des hier vorliegenden Anspruchs auf göttliche Herkunft mit der Gottessohnvorstellung verbunden hat,65 bedarf diese Frage überaus dringend der Klärung. Die vorangegangenen Überlegungen zum restriktiven Gebrauch des Lexems in der griechischen Literatur sollten davor warnen, den Ausdruck BioS" 'AAitav8poS" vorschnell im Sinne eines Hinweises auf die Göttlichkeit des Propheten zu verstehen. Wie schon gezeigt, war es äußerst ungewöhnlich, daß das Epitheton BioS" einer Figur beigelegt wird, die nicht aus der Welt der Mythologie stammt - um so befremdlicher wirkt als Selbstprädikation. Es kann kaum die Absicht Alexanders gewesen sein, sich jener mythologischen Welt längst vergangener Zeiten, die von erhabenen und übermenschlichen Helden bevölkert wird, zuordnen zu wollen, indem er sich das für sie geläufige Eponym beilegt. Möglich wäre aber, daß Alexander hier das Eponym als typischen und allgemein gebräuchlichen Ausdruck poetischer Sprache wählte: Dann würde es hier in einer 'neutralen' Bedeutung, d.h. in einem um die mythologischen Konnotationen des Begriffes gekürzten Sinn auftreten und etwa Ev8otos-6 6 bedeuten und allein Alexanders Erhabenheit (lider hehre Alexander") bezeichnen. Andererseits scheint die für die Kaiserzeit bezeugte Verwendung der Terminologie als Bezeichnung für den Garanten einer Erkenntnistraditionen auf den ersten Blick
Christians, S. 237ff. Es fällt auf, daß Kokkonas aus Byzanz, der Mitarbeiter Alexanders, ein xopoypacj;o5' war. Jones' Vermutung (Culture and Society, S. 136), daß er in Chalkedon zurückbleibt, um weitere Orakel anzufertigen, ist sehr plausibel. 63 Lukian hat offenbar kein Interesse daran gehabt, das Beste unter den ihm vorliegenden Orakeln auszuwählen. Trotzdem kann er nur ein verpatztes Orakel der Lächerlichkeit ausliefern, vgl. Alex. 25. Wenn es von Lukian allein abgehangen hätte, hätte er wohl nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen, Alexander mit Hilfe der Orakel in der übelsten Weise zu verleumden. Man muß jedoch damit rechnen, daß Lukian mit seiner aristophaneischen Gabe, Hexameterparodien zu schreiben (Robin Lane Fox), Alexander auch einige Fälschungen untergeschoben hat. Sehr fälschungsverdächtig scheinen mir die Orakel in §§ 35.51. 64 Vietor, a.a.O. V gl. Alex. 27, wo Lukian sagt, Alexander habe ein verfehltes Orakel aus den vTToflVrlflaTa entfernt. Dieser Begriff bezeichnet wahrscheinlich eine Sammlung von Orakeln, die für Propagandazwecke angelegt wurde, vgl. Alex. 50. 65 So schon Reitzenstein, Mysterienreligionen, S. 12f.; Wetter, Sohn Gottes, S. 91f.; Weinreich, Alexandros der Lügenprophet, passim, aber bes. S. 127f.; ders., Antikes Gottmenschenturn, S. 633-651: der Gottmensch werde durch eine göttliche Genealogie vergöttlicht bzw. zum Gottessohn gemacht. 66 V gl. Aelius Herodian, Partitiones 20, der die Bedeutung von 8f 05' mit Ev80to5' umschreibt.
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an dieser Stelle nicht am Platze zu sein. Wir werden jedoch noch sehen, daß dieser Eindruck täuscht. Das zweizeilige Orakel, das in dem Kontext die Erscheinung des Propheten ankündigt (OUTOS" OpaTal), lautet: JJcpacL8T}S' ycVcryv
In dem aus einem Satz bestehenden Vers werden dem Subjekt vier Prädikate beigelegt: JJEpaEi8T]S" YEVEr]V; oißtp cpiAOS"; BLoS" 'AAttav8poS"; JJo8aAELpiou afJ1a AEAOYXuJS". Lukian bezieht sich vor und nach dem Orakel jeweils schmähend auf das erste und letzte Glied, in denen Alexanders Abstammung von Perseus und dem mythischen Arzt Podaleirios 67 behauptet wird. Die erste Prädikation zeichnet Alexander als Abkömmling des Geschlechts der Pers iden aus. Alexander hat offensichtlich auch sonst den Bezug zu Perseus unterstrichen, wie das Tragen eines Sichelschwerts 68 und eines purpurnen Gewandes mit weißem Streifen während seines Einzuges in Abonuteichos bezeugt: 69 Pontos lag früher in persischem Hoheitsgebiet, und Münzfunde, auf denen Perseus dargestellt ist, beweisen, daß die pontischen Achämeniden Perseus als ihren Ahnherrn beanspruchten. 70 Es ist also wahrscheinlich, daß Alexander aus einem angesehenen Patriziergeschlecht von Abonuteichos stammte, das sich seiner persidischen Abstammung rühmte. 71 Alexander bzw. seine Fami1ie hat offensichtlich Einfluß in der Stadt gehabt: Es war üblich, daß die Propheten der berühmten Orakel stätten aus reichen und einflußreichen Familien kamen, nicht zuletzt weil das Amt große Kosten mit sich brachte. Wegen des mit den Tempeln verbundenen sozialen Prestiges haben die Städte solche Ämter mit Vorsicht besetzt - es wird in Abonuteichos nicht anders gewesen sein. 72 67
11. 2,731.11,833. Vgl. Hans von Geisau, Art. Podaleirios, KP 4, Sp. 961. Die Sichel ist bekanntlich ein Wahrzeichen des Heros: Mit einem Sichelschwert, das er von Hermes bekommen habe, habe Perseus die Medusa enthauptet. 69 Das Gewand ist eindeutig das persische Königsgewand (vgl. Xenephon, Cyropaed. 8,3,13) und war in Klein-Asien ein bekanntes Machtsymbol: Athenaios 5,54 berichtet, daß ein von Tarsos zum Priester des Herakles gewählter Epikureer sich als Tyrann ausgab, indem er den persischen Königsmantel trug (ie LpaTLov TvpavvoS' tjv, TTOP
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Handfeste politische und wirschaftliche Interessen der Familie würden erklären, weswegen er überhaupt in seine Heimat zurückkehrte und weshalb die Selbstbezeichnung als Perseusnachkömmling in seiner Heimat keineswegs auf Widerstand stieß73 - eine solche Erklärung ist viel plausibler als Lukians Versuch, die Paphlagonier einfach als schwerfällige und dumme Leute zu brandmarken (Alex. 9.11). Daß die Stadt sich schon im Vorlauf der Einführung des neuen Asklepioskults auf Veranlassung des Alexanders auf das kostspielige Projekt einläßt, einen neuen Tempel zu bauen (Alex. 10)74, ist nur unter der Voraussetzung beträchtlicher Hausmacht in der Stadt selbst verständlich. Es ist auch die Voraussetzung dafür, daß er in relativ kurzer Zeit durchsetzen konnte, daß die Stadt später sogar auf seine Veranlassung ihren Namen änderte. 75 Das Orakel hatte die Funktion, die sozio-politische Machtbasis Alexanders in seiner Heimat zu legitimieren und zu festigen. Es dient gewissermaßen als Empfehlung des Gottes, der Alexanders Abstammung von den Pers iden beglaubigt, und dadurch auch als Bestätigung seines Status in der Stadt. In ähnlicher Weise hat das vierte Glied des Orakels über Alexanders Abstammung vom Heilgott Podaleirios in erster Linie die Funktion, seinen Anspruch auf das Amt als Prophet des Heilkultes des N euen Asklepios von göttlicher Seite her zu legitimieren. 76 Obwohl Alexanders Anspruch, von göttlicher Herkunft zu sein, in der 8ElOS" avrjp-Forschung eine große Rolle spielt,77 hat man jedoch der Frage, warum Alexandros seine Herkunft gerade auf Podaleirios und nicht auf Asklepios oder gar Apollon oder Zeus selbst zurück-
terial und Literatur. Vgl. auch Victor, Alexandros, Kap. 111 für ähnliches in Pergamon und Eleusis. 73 Die Stadt prägte sogar später Münzen mit dem Bildnis Alexanders, der das Sichelschwert des Perseus hält, darauf (58). 74 Eine Münze (W.H. Waddington, E. Babelon, T. Reinach, Recueil general des monnaies grecques d'Asie Mineure I, Paris 1908-1925, S. 130, Nr. 3), auf der Asklepios und Hygieia abgebildet sind, läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß ein Asklepioskult bereits in den vierziger Jahren in Abonuteichos existierte, vgl. Fox, Pagans and Christians, S. 244. Alexander war also eher Kultreformer als Kultgründer, was auch die merkwürdige Bezeichnung Glykons als 'AaKAT]TTUJS- VEOS- (§ 43) verständlich macht. 75 Vgl. Alex. 58. Für Alexanders(allerdings spätere) Macht; für seinen Einfluß im soziopolitischen Bereich spricht außerdem das Auftreten des Prokonsuls L. Lollianus Avitus, Alex. 57. 76 Das Gottessohnverhältnis diente in der griechischen Antike gerade in Zusammenhang mit dem Arztberuf als Funktionsbestimmung, auch die vlos- 8Eov-Bezeichnung war somit eine Funktionsbezeichnung, die die Zugehörigkeit zu einem Berufstand bezeichnete, vgl. dazu von Martitz, Art. vlos- KTA., A. vlos- im Griechischen, ThWNT 8, S. 336f. bes. Anm. 18; 339f. 77 Vgl. die Literaturhinweise hier oben.
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führt,78 keine Aufmerksamkeit gewidmet. 79 Die Vaterschaft des Podaleirios bzw. die Abstammung von diesem Gott spielte für Alexander aber offen sichtlich keine nebensächliche Rolle, wie man aus der Tatsache schließen kann, daß er die Hochzeit von Podaleirios und seiner Mutter am dritten Tag seiner Mysterien darstellte. 80 Da den Menschen der Antike nicht einfach arglose Gutgläubigkeit unterstellt werden darf, muß es - ungeachtet der gegenteiligen Beteuerungen Lukians über die Paphlagonier (§§ 9.11) - plausible Gründe gegeben haben für die generelle Akzeptanz, die Alexanders Anspruch Lukian zufolge bei den Bewohnern von Abonuteichos geerntet hat. Auf diese Problematik kann eine im 1888 von Karl Buresch in Kaisareia Troketta entdeckte Inschrift ein erhellendes Licht werfen. 81 BEOLS- IEßaanoLs-l KarG XPT}aIlOV KAap{ cl vl Ji TToMwvosKalaapELS- TPOKETTT}voi Ka8lEpwaav Ji TToMwva IwTfjpa, xaplaallEvov ro apyvpl cl vl Eis- rov 8EOV Kai rr]v ßaalv MElAr}TOV rou rAVKWVOS- JlarpAayovos- rou LEPEWS- aVTou, vTToaxollEvoV rr]v lpYETTlaTaa{av EpIlOYEVOVS- TOU ...
Miletos, Sohn des paphlagonischen Glykon, war ein Priester Apollons und spendete das Geld für das Aufrichten der Statue. Louis Robert hat darauf bestanden, daß dieser Glykon nur der Gott sein könne, dessen Kult Alexander in Abonuteichos gegründet hat. 82 Er war nach aller Wahrscheinlichkeit eines der
78 Wenn es Alexander darum gegangen wäre, sein Ansehen weitmöglichst zu steigern und sogar die Herkunft anderer Propheten zu übertreffen (so Victor, Alexandros, a.a.O.) warum hätte er sich dann damit begnügt, der Sohn des Podaleirios (Jlo8aAElptov a[lla AEAOYXuJS-; Jlo8aAElptov vlos-, Alex. 59) und infolgedessen auch nur Enkelkind des Asklepios (rou TTaTTTTov JiaKAT}TTloU, Alex. 58) zu sein? 79 Normalerweise begnügt man sich damit, darauf hinzuweisen, daß der Abstammung Alexanders von dem Gott entsprechende Parallelen zur Seite stehen. Victor, Alexandros, Erklärung z.St. verweist z.B. auf die göttliche Abstammung Platons (von Apollon, vgl. Olympiodoros, Vita Platonis), Alexanders des Großen (Plut. Alex. 2) und Pythagoras' (Philostr. 1,4; vgl. auch Iambl., Vita Pyth. 5.8.25.35; Porph., Vita Pyth. 2). Bieler, BEJOI ANHP I, S. 134f. hat Beispiele derartiger Abstammung gesammelt: Homer (Melesigenes); Pythagoras (Apoll; entfernte Abstammung von Ankaios, Sohn des Zeus); Epimenides (Abstammung von der Nymphe Balte); Hippokrates (Herakles u. Asklepios); Platon (entfernte Abstammung von Poseidon); Aristoteles (entfernte Abstammung von Asklepios); Apollonios von Tyana (entfernte Abstammung von Zeus). Victor, a.a.O. bleibt eine Erklärung schuldig, wenn er meint, die göttliche Herkunft, die Alexandros sich beilegt, dürfte für die Zeitgenossen wenig Befremdliches gehabt haben. Denn es besteht ein entscheidender Unterschied, ob einer ehrwürdigen Person der Vergangenheit eine derartige Herkunft zugeschrieben wird oder ob ein unbekannter Winkelprophet, der Alexander am Anfang seines Wirkens noch war, sich selbst eine solche Abstammung beilegt. Unsachgemäß ist es, hier den Brauch verschiedener Herrscherkulte, dem Herrscher eine göttliche Genealogie beizulegen, als Parallele heranzuziehen. 80 Alex. 39. 81 IG IV 1498; vgl. Robert, Asie Mineure, S. 407f. 82 Robert, Asie Mineure, S. 407f. Resonanz erntet er von Fox, Pagans and Christians, S. 242f.; Jones, Culture and Society, S. 143; Victor, Alexandros, Kap. 11.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Kinder, deren Mütter als Kinderwunschpatientinnen zu der Heilstätte83 in Abonuteichos gepilgert und dort schwanger geworden waren, wie auch Lukian in Alex. 42 höhnisch berichtet. Es ist mehrfach bezeugt, daß kinderlose Frauen im Zusammenhang mit dem asklepischen Heilbetrieb schwanger wurden. 84 Da der Kult in Abonuteichos offensichtlich auch als asklepischer Heilbetrieb organisiert war, ist anzunehmen, daß ähnliches sich dort abspielte. Die Eltern schrieben im Nachhinein die Schwangerschaft dem Gott zu, Skeptikern wie Lukian war jedoch klar, daß hier der Priester tätig gewesen war. Darum sagt er, die Frauen hätten sich gerühmt, Alexander sei der Vater.8 5 Wichtig ist, daß diese Kinder, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so viele waren wie Lukian in seiner verleumderischen Absicht vorgibt, als Kinder des Gottes betrachtet wurden (MELA.ryTOV TOU rA.VKUJVOS- JIacpA.ayovos-). Es liegt jetzt nahe, den gleichen Hintergrund im Falle Alexanders (JIo8aA.ELptov a[j1a, vgl. § 59) vorauszusetzen: Wurde auch er nach einem Besuch seiner Mutter in einem der vielen asklepischen Heilkulte geboren und die Vaterschaft dem dort verehrten Asklepiossohn Podaleirios zugeschrieben ?86 Ein solcher Hintergrund würde außerdem eine plausible Erklärung für seinen Werdegang vom "heiligen Kind" bis zum Propheten des Neuen Asklepios bieten. 87 Dies würde nicht nur zeigen, warum die beanspruchte Gottessohnschaft den Zeitgenossen Alexanders auf dem Hintergrund zeitgenössischer Heilkulte plausibel erschien, sondern außerdem verdeutlichen, weswegen Alexander nicht den Versuch macht~, sich eine "bessere" Genealogie zuzulegen: Die Kunde über seine (wunderbare) Geburt
83 Daß in dem neuen Kult ein medizinischer Betrieb eingerichtet wurde, belegt Lukians Mitteilung in Alex. 25, daß auch Heilvorschriften erteilt worden seien. Alexander war ein guter Arzt, wie sogar Lukian eingestehen mußte (22), er praktizierte eine diätische Medizin (22.25) und legte großen Wert auf die Wirkung von Salben (22). Es gibt indirekte Hinweise, daß in Abonuteichos auch die Inkubation praktiziert wurde (§ 42; IG IV 1498, vgl. Robert, Asie Mineure, S. 407-408 u. Victor, a.a.O.). Weiterhin ist es auffällig, daß gerade der Arzt Paitos als Nachfolger Alexanders in Betracht kam. Es wäre undenkbar, daß Alexander bei der Gründung des neuen Asklepionkultes auf diese traditionelle Säule des Asklepionkultes verzichtet hätte. Robert schlußfolgert zu Recht: "L'orac1e servait de centre medical ... ", a.a.O., S. 419, Anm. 137; zum ärztlichen Betrieb in Abonuteichos, vgl. Victor, Alexandros, Kap. I.IV. 84 V gl. z.B. R. Herzog, Die Wunderheilungen von Epidaurus. Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin und Religion, Ph.S. 22, Leipzig 1931, S. 24f. Die Hintergründe dieser Praxis hat Victor, Alexandros, Kap. II schön beschrieben. 85 Auch Robert, Asie Mineure, S. 408 geht von der Beteiligung des Priesters an der Kinderzeugung aus. Victor, a.a.O. w~ist hingegen darauf hin, daß psychosomatische Hintergründe eine Rolle gespielt haben mögen, und kommentiert zu Recht: "Da die Menschen in der Antike nicht dümmer waren als die der Moderne, sollte man, von den selbstverständlichen Ausnahmen abgesehen, nicht annehmen, daß hier die Priester in sehr menschlicher Weise tätig gewesen sind"! 86 Alexander betonte die Blutsverwandtschaft mit der Formulierung JJo8aAcLptov a[j1a AcAOYXwS' und legte in den Mysterien offenbar Wert darauf, daß die Zeugung durch den Gott selber vollzogen wurde (yaj1oS'!), was Lukian unverhohlen mit Spott übergießt (§ 11). 87 Es ist auffällig, daß Miletos, Sohn des Glykon, Priester eines Apollonkultes war. Es ist naheliegend zu vermuten, daß solche Kinder von Geburt an von ihren Eltern mit Blick auf höheren Dienst an dem Gott aufgezogen worden sind.
13. Alexander von Abonuteichos
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infolge des Besuches seiner Mutter bei dem Podaleiriosheiligtum muß in der ganzen Stadt bekannt gewesen sein. Der vom Orakel beglaubigte Anspruch darauf, Sproß des Heilgottes Podaleirios und Enkel des Asklepios zu sein, hat jedoch vor allem die Funktion, den besonderen Anspruch Alexanders, die Führung des neuen Heil- und Orakelkultes innezuhaben, zu legitimieren. Daß Orakelpropheten ihre Herkunft von Göttern ableiten konnten, ist auch für das Apollonorakel in Telmessos bezeugt. Dort gab es eine Prophetengilde, die ihre Herkunft von Telmessos, einem Sohne Apollons herleitete. 88 Dies ist eine bestechende Parallele zum Kult in Abonuteichos: Auch hier wird die Herkunft nicht direkt, sondern über einen Sohn des Gottes auf den Orakelgott zurückgeführt. Niemand wäre ein geeigneterer Prophet eines asklepischen Heil- und Orakelkultes als ein Sohn des Heilgottes Podaleirios, Sohn des Asklepios. Dieser exklusive Anspruch erklärt auch die seltsame Konstellation, daß das Prophetenamt nach dem Tod nicht auf einen anderen überging, sondern auch nach dem Tod dem Alexander vorbehalten blieb (§ 60). Das letzte Glied des Orakels dient gewissermaßen als Bestätigung der Qualitäten des Alexander seitens des Gottes, denn es legitimiert seinen alleinigen Anspruch auf das Führungs- bzw. Prophetenamt des neugegründeten Heil- und Orakelkultes . Im Orakel fällt der Ausdruck otßtp cjJt)..05'89 auf, weil er auf den ersten Blick aus dem Rahmen zu fallen scheint. Anders als das erste und das letzte Glied bezieht er sich nicht auf die Herkunft des Propheten. Mit ihm wurde jedoch ganz gezielt die enge Beziehung Alexanders zu dem Orakelgott Apollon dokumentiert,90 spielte er doch in Alexanders Kult eine nicht unwichtige Rolle. Aus Alex. 10 kann man schließen, daß die Gründungsaktion des neuen Kultes von dem Apollonheiligtum in Chalkedon aus gesteuert wurde. 91 Dort heißt es außerdem ausdrücklich, daß ein Orakel zirkulierte, daß Asklepios zusammen mit seinem Vater Apollon seinen Einzug in Abonuteichos nehmen werde. Dementsprechend wurden Asklepios sowie Apollon im Kult besungen (Alex. 13f.), in den Mysterien ist der erste Tag den Geburten Letos, der Mutter ApolIons, des Apollon selbst und des Asklepios gewidmet (Alex. 38). Der Kult hatte Verbindungen zu den anderen apollonischen Orakelstätten, denn von
88 Victor, Alexandros, Kap. III; Herbert William Parke, The Orades of Apollo in Asia Minor, London 1985, S. 184. 89 Der delphische Apollon hat bekanntlich Lykurgos spontan als seinen Freund bezeichnet (Herod. 2,26). Darauf bezugnehmend wird in Heliodor, Aethiopica 1,65 von einem ägyptischen Priester, der Apollon erstmals seit Lykurgos so bezeichnet hätte, erzählt. 90 Vgl. Kurt Treu, Art. Gottesfreund, RAC 11, 1981, Sp. 1043-1060, da 1044: " Den Griechen war es eine geläufige Vorstellung, daß bestimmte, vor allem durch besondere Fähigkeiten und Funktionen ausgezeichnete Personen mit den Göttern bzw. mit bestimmten Göttern in einer besonderen Beziehung standen. Das galt für Seher, Priester, Dichter, auch Herolde ... ". 91 Daß Apollon Orakel ausgab, die zu Kultgründung aufriefen, ist mehrfach bezeugt; vgl. Fox, Pagans and Christians, S. 226f.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Abonuteichos aus wurden Kunden nach Didyma und Klaros verwiesen. 92 Der Frage eines Sakerdos, ob die traditionellen apollinischen Orakelstätten Klaros, Didyma und Delphi wohl Apollon noch als Orakelspender hätten, ist zu entnehmen, daß Apollon auch in Abonouteichos als Orakelgott galt, der durch die neue Manifestation seines Sohnes Asklepios zu den Menschen spricht. 93 Dementsprechend wehrt Apollon und nicht Glykon im Orakel von Alex. 36 die Pest ab. Der Kult in Abonouteichos sah sich offenbar in der Tradition der apollinischen Orakelstätten - daß Alexander ein Freund des Gottes sei, legitimiert von der Seite der Gottheit her seinen Anspruch, der Orakelprophet des Kultes zu sein. 94 Drei der vier Glieder des Orakels legitimieren also Aspekte der Tätigkeit Alexanders im Kult seiner Heimatstadt. Es wäre naheliegend, daß das Orakel auch im letzten Glied eine solche Funktion erfüllt und einen Aspekt der kultischen Tätigkeit Alexanders beglaubigt. Eine solche legitimierende Funktion hat die ßELOS- avßpwTToS-- Terminologie durchaus gehabt. Die vorangegangene Untersuchung zum Gebrauch von OLOS- KTA in der griechischen Literatur hat belegt, daß OLOS- spätestens im 2. Jh. n. ehr. in Verbindung mit Menschennamen im Sinne der ßELOS- avßpwTTos-- Terminologie als Bezeichnung für Archegeten und Garanten von Wissenstraditionen benutzt wurde und deutet also auf den Bereich der Philosophie hin. Hat der Gott Alexanders Kompetenz im philosophischen Bereich bestätigt? Wir schicken den Überlegungen hier eine letzte Beobachtung zum Prädikat if>ofßLp cpfAOS- voraus: Ein Freund Gottes zu sein, wurde in bestimmten Strömungen kaiserzeitlicher Philosophie zu einer Metapher für das Verhältnis zwischen dem Mensch und der Gottheit,95 so daß schon das Prädikat if>ofß4J CPLAos- in Alex. 11 zum Bereich der Philosophie überleitet. Daß orakuläre Praxis 92 Alex. 29. 93 Alex. 43; diese unangemessene Frage wurde scharf zurückgewiesen. Daß Asklepioskulte auch Orakel stätten sind, zeigen die Inschriften des Pergamonheiligtums, vgl. Fox, Pagans and Christians, S. 205f. 94 Es ist mehrfach bezeugt, daß ApolIon in sowohl in Klaros als auch in Didyma durch Orakel Kultpropheten legitimiert hat, vgl. Fox, S. 222-225. Fox merkt dazu Folgendes an: " ... these 'testimonies' helped traditional pagan religion to run smoothly. They confirmed the choice of a prophet and also gave an honorary return to the very people who were spending great fortunes on the burdens of office ", ebd. S. 225. Es ist weiterhin bezeugt, daß ein Prophet ApolIons in Didyma Aelius Granianus Ambeibios Maker auf einer von seiner Frau aufgerichtete Statue als oLßep CPLAOS' bezeichnet war. Von einem Prophet heißt es, er sei von ApolIon umsorgt, I. Didyma 223A. Die Gottesfreundterminologie wurde jedoch in der griechischen Antike nur ausnahmsweise allgemein gebräuchlich, erst recht jedoch nicht zu einem Titel, vgl. Treu, Gottesfreund, RAC 11, S. 1043ff., da bes. 1044.1059f. 95 Vgl. Epiktet Diss. 2,17,29; 4,3,9; Plut. Numa 4, vgl. Treu, Gottesfreund, RAC 11, S. 1043ff. Bestimmt sind die Erwähnungen von dem Guten als Gottesfreund in Platons Werken (Politeia 621c; Nomoi 716cd) nicht spurlos an den Mittel- und Neuplatonikern vorbeigegangen, obwohl das Bild von der oj1oLUJa"lS' (}ctjJ für sie zur leitenden Metapher wurde. Bei Iamblich VP 69 ist die Gottesfreundschaft nur noch ein Aspekt einer großangelegten Freundschaftslehre d.h. einer Lehre der Zugehörigkeit; sie geht aber wahrscheinlich auf Traditionen von der Gottesfreundschaft zurück, die im Pythagoreismus gepflegt wurden.
13. Alexander von Abonuteichos
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und philosophische Lehre sich gegenseitig sehr gut ergänzt haben, ist gut bezeugt. 96 Auch in Abonuteichos ist es unter den Fittichen Apollons zu lebhafter Lehrbildung gekommen, war doch die pythagoreische Schule seit ihrem Anfang engstens mit Apollon verbunden. Die Bedeutung des N eupythagoreismus für das Verstehen wichtiger Aspekte des Kultes ist schon früh erkannt worden. 97 Bedeutsam ist, daß Lukian erwähnt, daß Alexander Schüler eines Arztes aus Tyana war, der seinerseits wiederum ein Schüler von Apollonius, dem berühmten pythagoreischen Arzt aus derselben Stadt war (5). Infolgedessen war Alexander selbst auch Arzt pythagoreischer Prägung (5.22)98 und praktizierte dementsprechend auch eine diätische Medizin (22.25), wie in der pythagoreischen Tradition üblich (Iamblich, VP. 244.264) und legte großen Wert auf die Wirkung von Salben (22; Iamblich, VP. 244). Hat Alexander seine Ausbildung in der von Apollonios in dem Asklepieion von Aigai gegründeten Schule empfangen?99 Daß der Orakelprophet der pythagoreischen Lehre nahestand, dürfte auch aus einem Orakel (33) hervorgehen, das Rutilianus empfangen haben soll: In ihm wird Rutilianus empfohlen, seinem Sohn Pythagoras und Homer als Lehrer zu geben. Homer bildete in der Antike die Grundlage jeglicher Erziehung; interessant ist hier die Zuspitzung auf Pythagoras. IOO Es gibt weitere Indizien, die auf eine Beeinflussung des Kultes in Abonuteichos durch den Neupythagoreismus hindeuten. Das rigorose Verbot der Knabenliebe in § 41 korrespondiert in der griechischen Antike nur mit der strengen Enthaltungsethik der Pythagoreer, die den sexuellen Verkehr nur zwecks Prokreation erlaubte. IOI Derselbe Abschnitt (41) bietet einen weiteren 96 Man beachte nur den Fall Plutarchs als Orakelprophet in Delphi. Fox, Pagans and Christians, S. 184-200 bietet eine lebhafte Beschreibung der Nähe von ApolIons Orakelpropheten in Delphi, Klaros und Didyma zur platonischen Philosophie des 2. Jh. 97 Noch immer grundlegend: Franz Cumont, Alexandre d'Abonotichos et le neo-pythagorisme, RHR 86, 1922, S. 202-210. Vgl. auch Victor, Alexandros, Kap. IV. 98 Der Vorwurf der Magie, Zauberei usw., den Lukian Alexander macht, war ein häufig gegen Pythagoreer gerichteteter Verdacht, vgl. Cumont, Alexandre, S. 204. 99 Vgl. Philost. VA 1,7. Fox, Pagans and Christians, S. 24Sf. macht darauf aufmerksam, daß Perseus als Gründer von Aigai galt und daß es der Stadt dieser Herkunft wegen im 2. Jh. nicht an Hochachtung fehlte. War dies vielleicht mit ein Grund, warum der aus einem Persidengeschlecht stammende Patriziersohn für seine Ausbildung nach Aigai ging? 100 V gl. Cumont, Alexandre, S. 207, der eine in Pesaro gefundene Inschrift auf dem Grab eines Zwölfjährigen zitiert, welche eine genaue Parallele zu Alex. 33 bietet: Dogmata Pythagorae sesi studiumque sophorum / et libros legi, legi pia carmina Homeri, / sive quot Euclides abaco praescripta tulisset und schlußfolgert zurecht: "Les preceptes du grand moraliste et les recits du poete, interpretes symboliquement, etaient en effet, le fondement de l'education pythagoricienne" . 101 V gl. Iambl. VP 209f. Die anderen Schulen taten sich mit der Knabenliebe, die in der klassischen Antike so gepriesen wurde (Platon Phaedr. 22ff.), schwer - obwohl sie die Knabenliebe nicht ausdrücklich förderten, sie rafften sich nicht zu einem Verbot auf, wodurch sie diese Praxis de facto tolerierten, vgl. Cumont, Alexandre, S. 205. Die Behauptung Lukians (41), Alexandros habe die Chorknaben mißbraucht, ist Polemik, die auf der gleichen niedrigen Ebene angesiedelt ist wie die Behauptung, Alexandros habe sich als Knabe an seine Liebhaber verkauft (Sf.). Die Tatsache jedoch, daß er in so krasser Weise das Zerrbild des
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Hinweis: Weder die Mysterien, noch die Asklepioskulte kannten irgendeine Form der Gemeinde, einer Versammlung der Gläubigen. 102 Die Pythagoreer bildeten schon von Anfang an eine Art straff organisierter Gemeinde, in der sich ein innerer Kreis von einem äußeren unterschied. 103 Für das Wiederaufleben des Pythagoreismus spielte diese Kommunalität offenbar eine wichtige Rolle: Die Pythagoreer scheinen sich anhand des Beispiels des Meisters selbst in kleinen "Gemeinden" organisiert zu haben, die sich von der Außenwelt abtrennten. 104 In Abonouteichos gab es offenbar eine Regelung, daß Alexander Vertraute umarmte und mit einem Kuß grüßte, Außenstehenden jedoch nur die Hand reichte: In dem Kult herrschte der pythagoreische Brauch, eine von der Außenwelt abgegrenzte kultische Gemeinde zu bilden und die Abgrenzung mit einem Ritual zu besiegeln. 105 Wir können dem verzerrten Bild, das Lukian der Nachwelt von Alexander hinterlassen hat, kaum Konkretes über den Inhalt der pythagoreischen Lehre, die im Kult gelehrt wurde, entnehmen. Die wichtigste Übereinstimmung mit dem Pythagoreismus besteht jedoch in der Seelenlehre. Die Seelenwanderungslehre war, obwohl keine festumrissene, fixierte Lehre, schon im Altertum das hervorragende Merkmal des alten Pythagoreismus 106 und fiel schon sehr früh dem Spott anheim,107 was dazu führte, daß die spätere Tradition versuchte, sie totzuschweigen oder wegzudeuteln. 108 Sie muß mit der Renaissance des Pythagoreismus in der Kaiserzeit zumindest in bestimmten Kreisen wiederbelebt Propheten zeichnen kann, sollte ein Fingerzeig sein, Ähnliches auch an anderen Stellen zu vermuten. In § 41 begegnet dann auch die pythagoreische Vorschrift, man solle die Knaben so erziehen, daß sie erst mit zwanzig Jahren nach sexuellem Verkehr streben (Iambl. VA 110), in einer von Lukian in ihr genaues Gegenteil verkehrten Form: Alexander habe nur Knaben, die jünger als achtzehn Jahre waren, umarmt und geküßt. 102 Vgl. Victor, a.a.O. Zum Asklepioskult vgl. bes. Howard C. Kee, Self-Definition in the Asclepius Cult, in B. F. MeyerlE. P. Sanders (Hg.), Jewish and Christian Self-Definition, Volume 3. Self-Definition in the Graeco-Roman World, 1982, S. 118-136, da 124: "Other than the priestly group which managed the shrine, there is no evidence of a movement or an organized religios group gathered in his name." 103 Vgl. dazu den Artikel von Walter Burkert, Craft Versus Sect: The Problem of Orphics and Pythagoreans, in Meyer/Sanders, Self-Definition 3, S. 1-22, bes.12ff.: "Pythagoreanism comes dosest to the phenomenon of sect ... in pre-Hellenistic Greece ... What is decisive is the emergence of a communal 'we' ... ", ebd., S. 19. 104 Iambl. VP 71ff.254.257. Alle diese Texte sind der apollonischen Vorlage des Iamblichos entnommen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch Apollonios seine" Schule" in Aigai so organisiert hat ("seine Schule [ist] in erster Linie ein religiöser Verein", Zeller III/2, S. 163). Eine zu Beginn dieses Jahrhunderts in Rom entdeckte Basilika zeugt in sehr konkreter Weise von einer solchen pythagoreischen Gemeinde, vgl. die Beschreibung in B. L. van der Waerden, Die Pythagoreer. Religiöse Bruderschaft und Schule der Wissenschaft, ZürichlMünchen 1979, S. 279-286; s.a. Walter Burkert, Hellenistische Pseudopythagorica, Philol. 105, 1961, S. 16-43.226-246, da 227, Anm. 1 für weitere Literatur. 105 Richtig Victor, a.a.O. Der innere Kreis war als "die innerhalb des Kusses" bekannt; vgl. auch Iambl. VP 257, wo es heißt, die Pythagoreer reichten sich nur gegenseitig die Hand, jedoch nicht Außenstehenden, nicht einmal Verwandten. 106 Burkert, Weisheit und Wissenschaft, S. 98ff., bes. 110f. 107 Z.B. Xenophanes D/K 21 B 27 (= Diog. Laert. 8,36). 108 B urkert, Weisheit und Wissenschaft, S. 101.
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worden sein und galt auch zu dieser Zeit als typisch pythagoreisch. 109 So wurde sie z.B. in Zusammenhang mit der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele ohne Zweifel von Apollonios von Tyana vertreten. 110 Wie nun aus dem Bericht Lukians hervorgeht, spielten der Glaube an ein Nachleben 111 und die Seelenwanderungslehre in dem Kult Alexanders eine wichtige Rolle.1 12 Der Stellenwert dieses Glaubens innerhalb des Kultes wird eindrücklich dadurch belegt, daß die Darstellung von Selene, die sich zu dem schlafenden Endymion gesellt, einen prominenten Platz im Ablauf der Mysterien einnahm. Diese Geschichte wurde in der Kaiserzeit zu einem Symbol für das Leben nach dem Tod: Endymion ist das Symbol für die fromme Seele, die auf den Mond gelangt. l13 Sie umfaßte offenbar folgende Elemente: Die Seele durchlebt nach und nach mehrere Einkörperungen: 114 Die Folge der Einkörperungen kann dadurch beendet werden, daß eine Seele nach einem reinen Leben in den Bereich der Sonne aufgenommen wird. 115 Aus der Antwort auf die Frage nach Epikurs Lage im Hades geht hervor, daß die Seelen nach dem Tod für ihre Übertretungen büßen müssen 116 (und umgekehrt für ihre Wohltaten entlohnt werden): Dies erklärt weiter die großen zeitlichen Lücken zwischen den Einkörperungen. 117 Die Art der jeweiligen Lebensführung in einer Einkörperung bestimmt offenbar nicht die Gattung der nachfolgenden Einkörperung, denn jede Seele empfängt nach dem 109 Wie nicht zuletzt der beißende Spott Lukians belegt, vgl. Gallus, passim. Victor, Alexandros, Kap. IV, Anm. 161 macht auf zwei Grabinschriften in Ephesus (IEph. 3901) und Athen (IG II2 3816) aufmerksam, in denen die Seelenwanderungslehre als pythagoreisch betrachtet wird (El Kanl JIv8ayopav l/lvXr7 IlETaßa{vEL E5' ä"uo). 110 Philostr. VA 3,19-22-24. Vgl. auch 5,42; 6,21,1; 7,7,15.20. Für die Unsterblichkeit der Seele, vgl. 4,11,7; 6,22; 8,31. 111 Vgl. die Reaktion von Rutilianus, dem Vater des verstorbenen Jungen in Alex. 33. Die höhnische Anmerkung über den Verbleib in Hades ist vielleicht Lukians Formulierung. 112 Alex. 25.33.34.39.40f.43. V gl. Cumont, Alexandre, 206ff. (" ... il enseignait la metempsychose, le dogme le plus caracteristique de la secte", ebd. S. 206); Victor, Alexandros, Kap. IV. Aus unerfindlichem Grund behauptet Burkert, Weisheit und Wissenschaft, S. 101, Anm. 17, Alexander habe die Seelenwanderungslehre verworfen! Auch wenn Lukian alle diese Orakel gefälscht hätte, wäre sein Vorgang nur auf dem Hintergrund der in dem Kult praktizierten Lehre verständlich. 113 V gl. Cumont, Alexandre, S. 208f.; Victor, ebd .. In der Kaiserzeit gilt der Mond in bestimmten Kreisen als Aufenhaltsort der Seele nach dem Tod, vgl. Plutarch Mor. 563566.766B. 114 In Alex. 34 heißt es, daß Rutilianus die Seele Achills und Menanders in sich aufgenommen hat; in § 43, daß Sacerdos in der Zukunft ein Kamel, ein Pferd und ein weiser Prophet wie Alexander sein wird. Nach § 40 ist die Seele von Pythagoras in Alexander. 115 In Alex. 34 heißt es, daß Rutilianus nach seinemjetztigen Leben in einen Sonnenstrahl verwandelt werden wird, vgl. Iambl. VP 82, wo die Sonne und der Mond mit den Inseln der Seligen gleichgesetzt werden. Schon Aristoteles (De anima 409a) berichtet von dieser Verbindung von Seele und Sonnenstrahlen. 116 Alex. 25: "Mit den Füßen in bleiernen Fesseln sitzt er im Schlamme". Platon Phaidon 69c beschreibt den Abstieg der Seele in die Unterwelt als einen Abstieg in den Schlamm. Von Pythagoras ist überliefert (Diog. Laert. 8,21), daß er im Hades gesehen hat, daß Hesiods Seele wegen seiner Gotteslästerung an ei.1).e Säule gefesselt war. Auch der verstorbene Knabe Rutilians befindet sich im Hades (33). Uber Lepidus orakelt der Gott, daß ihm gewiß ein verderblicher Tod verliehen wird (43). 117 Alex. 34: Achill- Menander - Rutilianus; § 40: Pythagoras-Alexander.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Tod den von ihr während der jeweiligen Einkörperung erworbenen Lohn und tritt dann unabhängig davon in einen neuen (menschlichen oder tierischen) Körper ein.! 18 Das letztgenannte Merkmal deutet schon an, woher diese Lehre stammen könnte, denn die Vorstellung, daß eine Seele mal in einem tierischen, mal in einem menschlichen Körper weilt, begegnet mehrfach in den platonischen J enseitsmythen. 119 Überhaupt zeigt die Konzeption der Seelenwanderung, wie sie uns bruchstückhaft in Lukians Schrift vorliegt, erstaunliche Übereinstimmung mit jenen Jenseitsmythen Platons, die das Schicksal der Seele nach dem Tod zum Thema haben. 120 Jenen Mythen gemeinsam ist die Vorstellung, daß die Seele nach dem Tod gerichtet wird,121 um dann eine Zeit lang 122 Lohn oder Strafe - je nach der Qualität des von ihr geführten Lebens - zu empfangen.1 23 Zum Empfang von Lohn oder Strafe hält die Seele sich an einem extra dafür bestimmten Ort auf. Fast alle Mythen kennen die Vorstellung von der unheilbaren Seele, die ewig in der Unterwelt für ihre begangenen Freveltaten büßen muß.124 Andererseits vermitteln fast alle Mythen die Vorstellung, daß die Seele,
118 Aus der Serie Einkörperungen des Sakerdos (Mensch-Kamel-Pferd-Mensch d.h. weiser Prophet) ist keine steigende Linie zu entnehmen, auch die Linie Achill- Menander - Rutilianus läßt sich kaum so interpretieren. Auch die Tatsache, daß die Gattungen der zukünftigen Einkörperungen des Sakerdos vorausgesagt werden können, setzt voraus, daß sie nicht von der Qualität des jeweiligen vorherigen Lebens bestimmt werden. 119 Phaidros 249b; Politeia 620a-d. 120 Gorgias 253a-256e; Phaidon 107c-114c; Phaidros 246a-256d; Politeia 614a621b;Timaios 41d-42d. 121 Ausführlich Gorgias 523a-525a; weiter Phaidon 107de.113d; Phaidros 249a.256d; Politeia 614cd; Timaios 42bc. 122 Phaidon 107e: "Nachdem sie ... die gehörige Zeit dort dageblieben, bringt ein anderer Führer sie wieder ... zurück nach vielen und großen Zeitabschnitten". Im Gorgias wird die Dauer nicht bestimmt; vgl. jedoch Phaidr. 249b und Pol. 615ab, die beide von 1UOO Jahren sprechen. 123 Nach Gorgias 525a-526c gehen die unreinen Seelen in die Unterwelt und verweilen dort eine Zeit, die reinen gelangen auf die Insel der Seligen, 523b.526c. Nach Phaid. 112e114b werden die unreinen Seelen an unterschiedlichen unterirdischen Orten durch Buße gereinigt - Seelen, die ein mittelmäßiges Leben geführt haben, gelangen nach Acheron, wo sie Strafe und Lohn ihrem jeweiligen Verdienst gemäß empfangen. Seelen, die schwere, jedoch nicht unheilbare Verbrechen begangen haben, stürzen zur Reinigung in den Tartaros - die Dauer der Reinigung hängt von der Schwere des Verbrechens ab. In Phaidr. 249ab.256d geht die unreine Seele in unterirdische Zuchthäuser, die reine steigt in den Himmel empor. Pol. 614e-615b berichtet von einer himmlischen Wanderung der reinen Seelen, von einer unterirdischen Wanderung der unreinen. Nur Timaios 41d-42d scheint davon auszugehen, daß die Seele bruchlos in einen anderen Körper eingeht, und zwar eine reine in eine höhere Gattung, eine unreine in eine niedrigere. 124 Gorgias 526c: unheilbare Frevler bleiben ewiglich in der Unterwelt im Gefängnis; Phaid. 113e: unheilbare Frevler (u.a. die Raub an den Heiligtümern begangen haben) büßen ewiglich im Tartaros; Pol. 615d-616a: die unheilbaren Seelen (die u.a. Ruchlosigkeit gegen die Götter begangen haben) kehren niemals aus dem Tartaros zurück. Epikur, der sich nach Alex. 25 im Tartaros befindet, ist also als Gotteslästerer der ewigen Verdammnis ausgeliefert worden.
13. Alexander von Abonuteichos
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falls sie eine Einkörperung rein übersteht, zu dem Bereich, aus dem sie ursprünglich stammt, zurückkehrt. 125 Den wichtigsten Beleg für die in Abonuteichos vertretene Seelenwanderungslehre bietet jedoch das Orakel des Gottes, das den Anspruch Alexanders, Pythagoras' Seele zu beherbergen, bestätigt (40):126 Pythagoras' Seele schrumpft das eine, wächst das andere Mal; Die prophetische Gabe geht aus dem göttlichen Geist hervor. Ja, der Vater schickt sie als eine Stütze guter Menschen; Und getroffen von Zeus' Blitz geht sie wieder zu ihm zurück.
Der Schlüssel zum Verständnis des Orakels ist die Formulierung in der dritten Zeile: Pythagoras' Seele ist vom Vater, d.h. Zeus, geschickt worden. Dies ist eine genaue Parallele zu den aus der Pythagorasvita des Apollonios übernommene Worten in Iamblich VP 8: 127 Daß freilich die Seele des Pythagoras unter der Führung des Apollon stand, sei es als Begleiterin, sei es in vertrauter Beziehung zu diesem Gott - und so zu den Menschen herabgesandt war, wird niemand bezweifeln ... ".
Weiter oben haben wir gesehen, daß dieser Text auf den Hintergrund des platonischen Jenseitsmythos in Phaidros 246e-248c gemünzt worden ist: Pythagoras' Seele, die im Himmel Apollon begleitet, wurde zu den Menschen hinuntergeschickt. 128 Ähnlich bei Alexander, der ja ein geistiger Enkel des Apollonios war: Die Seele des Pythagoras ist eine reine Seele, die im himmlischen Bereich Begeiterin des Zeus ist, und den Menschen zuliebe Alexander eingegeben wurde. Die Aussage in der letzten Zeile, daß die Seele wieder von Zeus mittels eines Blitzes heimgeholt wird, besagt, daß die Seele, ohne gerichtet zu werden, direkt in den Himmel zurückkehren wird.1 29 Wie im Apolloniostext wird der 125 Nach dem Phaidonmythus gelangen die reinen Seelen unter göttlicher Begleitung (1 08c) auf die wahre Erde unter dem wahren Himmel (vgl. 108c-111 c), wo sie körperlos selig leben (114c). Nach Phaidros 249a können die Seelen erst nach 10000 Jahren (die von Philosophen ausnahmsweise jedoch nach 3000) in den Götterhimmel zurückkehren, wo sie herkamen und Begleiterinnen der Götter waren (246a-248c). In Timaios 41d-42e heißt es, der Demiurg habe soviele Seelen wie Sterne geschaffen und die Seelen diesen zugeordnet, so daß die Seele nach einem guten Leben zu ihrem Wohnsitz, dem ihr verwandten Stern, zurückkehrt. (Handelt es sich nur um die Fixsterne, d.h. öpyava Xp6vov?, vgl. GdH II, S. 249). V gl. dazu Alex. 34, wo die Seele zu einem Sonnenstrahl wird. 126 Alex. 40: JTvßayopov l/lvXrJ TTOTE J-lEv cpßlV€L, äMoT€ 8 aÜ(€L' i] 8E TTPOCP1]Td1] 8l1]S' CPP€voS' €anv aTTOppW(. Kal J-lLV €TT€J-ll/l€ TTaTrjp ayaßtDv av8ptDv €TTapwyov' Kai rraALv €S' Lluk €TaL LluJs- ßA1]߀'i~a K€pavvfiJ.
127 V gl. oben Kap. 3.5, S. 163f. und Anm. 60f. Ubersetzung von v. Albrecht. Daß Apollonios sich auf Platons Timaios bezogen hat, wird von Philostrat VA 6,22 bezeugt: Er habe TTcpl q;vacUJS' TTapaTTArlaLa TaLS' JIAaTUJvoS' EV TLf.1aLq; 86,aLS' gelehrt. Die spekulative metaphysische Tradition Platons wurde in der mittleren Akademie mißachtet, gewissermaßen in den Untergrund gezwungen, wo sie von den Pythagoreern gepflegt wurde. 128 Vgl. oben Kap. 3.6, S. 178f. 129 Sie kehrt also als Lichtstrahl in den himmlischen Bereich zurück, vgl. die Verwandlung der Seele des Rutilianus in einen Sonnenstrahl. Diese Aussage deckt sich also mit der bereits oben gemachten Feststellung, daß die Seele beim Tod als Lichtstrahl in den Bereich ihres Ur-
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Unterschied zu anderen Seelen aufrechterhalten: Pythagoras' Seele ist keine gefallene, sondern eine gesandte Seele; anders als die anderen Seelen bedarf sie nicht der Reinigung nach der Einkörperung und kehrt deshalb direkt zu ihrem Ursprung zurück. Die ersten zwei Zeilen drücken den gleichen Sachverhalt 130 in einer eher metaphysischen Terminologie aus: Die Seele geht von dem göttlichen Geist (8LT}S' cppcvoS' EO"TLV arroppw{J, i.e. von der Weltseele, aus.1 31 Nach dem Tod kehrt sie dorthin zurück (cpßlVcL), um dann wieder von dort in einen anderen Körper einzugehen (aV,cL ).132 Es ist deutlich, daß die in Abonuteichos vorhandene "pythagoreische" Seelenwanderungslehre im Rahmen der platonischen Jenseitsmythen entwickelt wurde. 133 Alexander hat also im Rahmen einer Seelenwanderungslehre behauptet, er selbst beherberge die Seele des Pythagoras - er hielt sich für eine neue Inkarnation des Pythagoras, des Gründers und Archegeten der pythagoreischen Schule. Dies äußerte sich darin, daß er lange weiße Haare trug 134 und während der Mysterien den legendären goldenen Oberschenkel des Pythagoras zur Schau stellte. 135 Weiterhin konnte er sich wie Pythagoras an seine vergangenen Existenzen erinnern und besaß die Gabe der Prophetie. 136 Lukian kannte einen Brief an Rutilianus, in dem Alexander beansprucht, Pythagoras ähnlich zu sein. 137 In der pythagoreischen Tradition war Pythagoras jedoch der Inhaber sprungs, in den Himmel, zurückkehrt. Hängt diese Vorstellung vielleicht mit der Zuordnung der Seelen und Sterne in Timaios 41d-42e zusammen? Nach Timaios 40a-d sind die Götter ebenfalls Sterne, so daß auch hier die Vorstellung von der Zuordnung der Seele zu einem Gott in anderer Form (vgl. Phaidros 246a-248c) vorliegt. Im zweiten Jahrhundert war die Identifikation von Apollo mit der Sonne bekanntlich sehr üblich: Bedeutete die Vorstellung der Seele als Sonnenstrahl (Alex. 43) in Alexanders Kult, in dem ApolIon ja eine zentrale Rolle spielte, daß die Seele zu ApolIon als ihrem Begleiter in dem himmlischen Bereich zurückkehrt? 130 Darauf deuten schon die chiastischen Strukturen hin: Sowohl die Zeilen (A-B-B-A) als auch die Glieder der mittleren Zeilen (a-b-b-a) sind einander chiastisch zugeordnet. Das ergibt einen komplexen chiatischen Aufbau: A-Bab_Bba-A. 131 Obwohl es möglich wäre, daß die Unterscheidung zwischen ifJvxrf und vovs- in Abonuteichos eine Rolle gespielt haben könnte, liegt sie hier nicht vor (gegen Victor, Alexandros, Kap. IV, Anm. 167, der TTpOqYfJTElTJ mit dem vovs- identifizieren will). 132 Die Vorstellung vom Wachsen und Schrumpfen der Seele scheint vorauszusetzen, daß die Seele nicht ganz in den Körper eingeht, sondern eine Verbindung zur göttlichen Seele aufrechterhält. Eine ähnliche Vorstellung liegt im Timarchosmythos Plutarchs (Moralia 591DE) vor. Auch Plotin (Enn. 4,8) lehrte, daß die Seele nicht gänzlich in den Körper eingeht. Den Hintergrund bildet Platons Timaios 90a. 133 Dies sollte eigentlich überhaupt nicht befremdlich sein, denn es ist ein gutbezeugtes Phänomen der Zeit. So nahm auch der pythagorisierende Neuplatoniker Numenios, ein Zeitgenosse Alexanders, die platonischen Jenseitsmythen dogmatisch auf und entwickelte von dort aus seine Psychologie und Eschatologie, vgl. die Darstellung von E.-A. Leemans, Numenius van Apameia, Brüsse11937, S. 56-68. 134 Alex. 3.59. Pythagoras' langes Haar war sprichwörtlich, vgl. Iambl. VP 11.30. 135 Der goldene Schenkel war längst zu dem hervorstechenden Merkmal des Pythagoras geworden, vgl. Lukian, Dial. mort. 20,3; Auct. vit. 3-6; Ver. hist. II 21. 136 Das Orakel hat die Frage, ob Alexanders Seele die Seele des Pythagoras oder eine andere verwandte Seele sei, mit einem Hinweis auf die Prophetie beantwortet: Er verdankt seine prophetische Gabe der Tatsache, daß ihm die pythagoreische Seele innewohnt. 137 Alex. 4; auch andere Neupythagoreer haben Pythagoras in dieser Hinsicht nachgeahmt, vgl. Philostr. VA 1,8; Philops. 29-32.
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grundlegender Erkenntnis und aller Wahrheit, was mit der Chiffre ßELOS' llvfJdyopaS' bezeichnet wurde. 138 Wenn Alexander sich von dem Gott bescheinigen läßt, BLoS' 'AAE,av8poS' bzw. ßELOS' 'AAE,av8poS' zu sein, kann dies nur in Anspielung auf die verbreitete Tradition, daß Pythagoras ein ßELOS' avßpUJTToS' gewesen sei, geschehen sein: die Bezeichnung führt unweigerlich in den Bereich der philosophischen Tätigkeit. Daß es auch im Kult in Abonuteichos zu philosophischer Lehrbildung gekommen ist, läßt sich trotz Lukians Entstellung der Nachrichten über den Kult zeigen, wie schon hier oben anhand der Seelenwanderungslehre beobachtet werden konnte. Wenn der Gott Alexander im Orakel bescheinigt, des Prädikats 8LoS' würdig zu sein, so attestiert er ihm, daß er über die besten Voraussetzungen eines Lehrers der Philosophie verfüge - ja er hat Zugang zur Wahrheit selbst. 139 Dies hat Alexander mit Hilfe der Lehre, er beherberge die Seele des Pythagoras, ideologisch untermauert. Ob Alexander für sich den Anspruch erhoben hat, einer jener Männer zu sein, die für Garanten der wahren Erkenntnis gehalten wurden, weil sie entweder die Wahrheit entdeckt oder ihr ihre endgültige Gestalt gegeben hätten, läßt sich aus Lukians Bericht nicht eindeutig entnehmen. Die Tatsache aber, daß Lukian es in Alex. 4 für nötig hält zu beteuern, daß Pythagoras im Gegensatz zu Alexander tatsächlich ein O'ocpoS' dVl}p Kai n]v yvwJ1T]V fJEO'TTEO'lOS' war, und daß er in Alex. 61 betont, daß Epikur wahrlich (wS' dAT]fJ6JS'!) - im Gegensatz zu dem Pseudopropheten und Pseudopythagoreer Alexander? - ein dv!}p lEPOS' Kai ßEO'TTEO'lOS' T7}V CPUO'lV war, deutet in diese Richtung.
13.3 Alexanders Stellung auf dem Hintergrund der Religiosität seiner Zeit Morton Smith hat die religions- und kulturgeschichtliche Forschung aufgefordert, die sozialen Typen hervorzuheben, mittels derer sich der Lebenslauf hervorragender Menschen in der Antike interpretieren läßt. Nach Smith soll ihre soziale Identität mit Hilfe von Kategorien, die in der Antike geläufig waren, bestimmt werden. Eine solche Einordnung solle anhand von Kategorien, die durch die besondere Mythologie einer Gesellschaft geformt wurden, geschehen. 140 In seinem einflußreichen Aufsatz über Alexander hat Otto Weinreich diese Aufgabe schon einige Jahrzehnte früher in Angriff genommen. 141 Wein138 Vgl. hier oben in Kapitel 3.5 die Erörterungen zur Rolle der ßELOS- ävßpunTos--Terminologie innerhalb der Pythagorastradition. 139 Alle vier Glieder des Orakels in Alex. 11 legitimieren also Aspekte der Tätigkeit Alexanders im Kult seiner Heimatstadt. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Alexander im Asklepeion in Abonuteichos eine Philosophenschule nach dem Vorbild von Apollonios in Aigai eingerichtet hat, auch wenn sich diese Vermutung nicht endgültig beweisen läßt. 140 Smith, Jesus der Magier, S. 32.37-41. 141 Weinreich, Alexandros der Lügenprophet, S. 136ff.
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reich resümiert, Alexander sei nicht nur Gründer und Organisator einer Orakelfabrik und Prophet eines neuen Gottes gewesen, sondern "er ist selbst ein ßELOS" dvf}p, ein 'göttlicher Mensch'. "142 So zeige er den Typus des Ekstatikers in einem Kontext, in dem die alten Götter ihre Bedeutung verloren hätten und man neue Götter, die leibhaft umherwandeln, bräuchte.1 43 Bestimmte mythologische Elemente dienten besonders dazu, seinen Anspruch als Gottmensch zu untermauern: Durch seine Genealogie steige er zum Rang eines Göttersohnes empor, werde in einem lEPOS" yapoS" Geliebter einer Göttin und zeige den goldenen Schenkel des Pythagoras. "Er sucht also ... auf diesem Wege sein Ansehen zu steigern: er will als ßELOS" dvf}p gelten."l44 Alexanders geschichtliche Stellung wird von Weinreich mit Hilfe der zeitgenössischen Kategorie und zugleich religionsphänomenologischen Typologie des ßELOS" dvf]p bestimmt. 145 Wenn man jedoch die soziale Identität Alexanders mit Hilfe von der Antike geläufigen Kategorien bestimmen und sich im Sinne Smiths ein Bild von seiner Stellung innerhalb des soziologischen Spektrums seiner Zeit machen will, empfiehlt es sich eher, terminologisch anzusetzen und sich von den Prädikaten leiten zu lassen, die ihm beigelegt wurden. Liest man Lukians Beschreibung von Alexanders Machenschaften sorgfältig, so fällt auf, daß Lukian Alexander, abgesehen von den Prädikaten in Alex. 11 und Schmähund Schimpfwörtern,146 nur einige wenige Prädikate beilegt, nämlich öfters rrpocjxr]Tl]S" (11.22.24.43.55, vgl. 60) bzw. vrrocjxrfTT]S" (24.26) sowie paßT]T7}S" TOU ßEOU (24), weiterhin indirekt lEpocpaVTT]S" (39.60) und in demselben Zusammenhang 8la8ouxoS" (60). Diese Beobachtung bekommt um so mehr 142 A.a.O. S. 136. 143 A.a.O. S. 140-145. 144 A.a.O. S. 147f. Weinreich hat sein Bild vom eEL05'
dVr]p einige Jahre später präsentiert, vgl. ders., Antikes Gottmenschenturn, S. 633-651. Darin versucht er, Kriterien für die Anerkennung des göttlichen Anspruches in der Antike zu entwickeln. Er unterscheidet eine doppelte Rolle der Mythologisierung, nämlich eine genealogische und eine funktional paradigmatische. Nicht nur werde der Gottmensch durch eine göttliche Genealogie vergöttlicht bzw. zum Gottessohn gemacht, sondern er leiste auch für die Menschen, was die Götter oder die Gottmenschen bzw. Heroen der Vorzeit geleistet haben. Hier schließt sich das Kriterium des Wunderbaren an. Grund der gesteigerten Macht sei der Besitz von Mana. 145 Weinreichs Meinung kann hier als repräsentativ für viele andere angegeben werden. V gl. z.B. Bieler, BElO}; ANHP I, passim, der eine Reihe typischer Züge des eEL05' dVr]p bei Alexander vorfindet, so auch Betz, Lukian, s. Register; ders., Art. Gottmensch II, RAC 12, S. 251f. 146 Begriffe wie YOT}5' (bzw. YOT}TEVUJV) (1.6.25.60), (Tpla-)KaTapaT05' (2.32.47), juapo5' (16.48.57), KaKlaT05' (8), j1ayyavEvUJv (6.54), j1EyaAoToAj105' (8) werden im Zusammenhang mit Alexander benutzt, weiterhin auch A1]aTr}5' (1) und TWV ITTt KaKL« 8laßor]TUJv aKpOTaT05' (4). Smith, Jesus der Magier, S. 124-126.132f. hat den Versuch unternommen zu zeigen, daß die Begriffe YOT}5', j1dyo5' und eEL05' dVr]p ein Wortfeld bilden, in dem YOT}5' und eEL05' dVr]p in einer antonymischen Beziehung stehen. Diese Vermutung läßt sich jedoch nicht anhand der Texte erhärten. Zu Recht sagt Victor, Alexandros, Erklärung zu § 1, daß das Wort YOT}5' eine recht abgegriffene Münze ist, vgl. Walter Burkert, rOH};, Rh Mus 105,1962, S. 50. Der Gebrauch dieser Prädikate hängt eindeutig mit Lukians Absichten zusammen, Alexander zu verunglimpfen. Sie lassen sich nicht verwenden, um Alexanders soziale Identität zu bestimmen.
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Gewicht, wenn man beachtet, daß es sich in der Mehrheit der Fälle (11.22.24.43) um Orakelverse, also gewissermaßen um Selbstaussagen Alexanders, handelt, die als Zeugnisse des Gottes (und in § 11 der Sybille) stilisiert sind. 147 Daß es sich um Termini handelt, die auch den Kultanhängern geläufig waren, geht aus § 55 hervor, wo es heißt, Lukian habe den Propheten als Alexander angesprochen und nicht als "Prophet". Die verwendete Terminologie deutet an, daß Alexander von sich selbst, seinen Anhängern und auch seinen Feinden (Lukian!) als Orakelprophet eingestuft worden ist. In Abonuteichos errichtete er im Rahmen eines asklepischen Heilkultes eine Orakelstätte 148 nach dem Vorbild der großen Orakel stätten der Zeit, nämlich Didyma, Klaros und Mallos. 149 Ekstatische Auftritte gehörten zum religiösen Alltag der Antike und zu den Merkmalen eines Orakelpropheten. 15o Es gehörte fest zum Bestand solcher Orakelstätten, daß sie einen Propheten im Dienst hatten, der mit anderen "Kultbeamten" zusammen den Orakelbetrieb aufrecht hielt.1 51 Wie in anderen Orakel stätten der Zeit 152 und traditionell im Asklepiuskult 153 spielten in Abonuteichos Gesang und Knabenchöre eine prominente Rolle. 154 Mysterienspiele, die die Mythologie des Gottes dramatisch darstellten, bildeten in Abonuteichos wie in anderen Orakelstätten 155 und im Asklepioskult anderer
147 Diese Aussagen halten die Grenzen zwischen dem Gott und seinem Propheten durchaus aufrecht, so daß nichts darauf hindeutet, daß er für sich kultische Verehrung in Anspruch genommen hätte. So urteilt auch Fox, Pagans and Christians, S. 249: "He was 'prophet for life' and hierophant of the mysteries at one and the same time, yet the honours were paid to Glycon and his god, not to the prophet's own person." 148 Orakeltätigkeit ist im Rahmen des Asklepiuskults bezeugt, vgl. Herzog, Wunderheilungen, S. 112f. für Epidauros; Fox, Pagans and Christians, S. 201.246 erwähnt Orakeltätigkeit im Asklepeion in Pergamon, ohne dies jedoch zu belegen. 149 Alex. 19.28f.43, Vgl. Robert, Asie Mineure, S. 402-406. Vgl. auch § 8, vgl. aber zu der Erwähnung von Delphi und Delos an dieser Stelle Robert, a.a.O. 402f. Alexander hat wahrscheinlich das Orakel in Abonuteichos besonders nach dem Vorbild von Mallos eingerichtet. Dies betraf vor allem den Brauch, nicht allein standardisierte Fragen zu beantworten, Vgl. Alex. 19, Philops. 38 und die Erörterungen von Victor, Alexandros, Kap. IH. 150 Alex. 12. Fox, Pagans and Christians, S. 175.182f. 151 V gl. Alex. 19.22f. Zu Ämtern in Orakelkulten der 2./3. Jh., Fox, Pagans and Christians, S. 169-241, bes. 171ff. In Didyma diente die Prophetin lebenslang im Tempel, ihr stand ein jährlich neugewählter Prophet zur Seite, a.a.O., S. 181-183. In Klaros waren die Thespoden lebenslang an dem Orakel tätig, a.a.O., S. 172f.240f. Nach Alex. 38 habe Alexander während der in Abonuteichos eingerichteten Mysterienriten das Amt eines Hierophanten (LcpocpavTta / LcpocpavTcLv / LcpocpavTLKW5': 38f.) bzw. eines Fackelträgers (8q.8ovXta / 8q.8ovXcLv' 38f.) verwaltete. Falls diese Informationen Lukians zutreffend sind, finden wir in der Person Alexanders eine sonst nicht bezeugte Ämterhäufung vor, was zu den Eigentümlichkeiten des Kultes in Abonuteichos zählt. 152 Eine direkte Parallele wurde in Stratonikeia gefunden. Vgl. Victor, Alexandros, Kap. H und Komm. zu § 41, da Literaturangaben. Zu Gesang und Knabenchören in Didyma und Klaros, Fox, Pagans and Christians, S. 178f.219-223. 153 Edelstein, Ludwig u. Edelstein, E. J., Asc1epius. A collection and Interpretation of the Testimonies, 2 Bde., Baltimore 1945 (Nachdruck New York 1975), da Asc1epius I, Test. 608617; 11, S. 199-208. 154 Alex. 14.41. 155 Bezeugt für Klaros im 2. Jh., vgl. Fox, Pagans and Christians, S. 173, Anm. 20.
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Orte 156 einen festen Teil des kultischen Rituals. 157 Wie in anderen Orakelstätten wurden auch in Abonuteichos Orakel zur Regulierung des Kultes ausgegeben; 158 wie in Klaros und Didyma wurde auch die Orakel stätte in Paphlagonien um Hilfe gegen Epidemien gebeten. 159 Die These, Alexander sei ein eclOS' dvryp, wurde insbesondere mit Berufung auf Lukians Darstellung der in Abonuteichos eingerichteten Mysterienspiele aufgestellt. 16o Anlaß dazu boten die dramatische Darstellung der Vermählung mit Selene (35.39) und das Vorzeigen eines goldenen Schenkels nach dem Vorbild des Pythagoras (40).161 Zieht man jedoch Lukians ganze Darstellung in Betracht, so wird deutlich, daß diese letzten zwei Elemente ihren Platz im größeren Kontext von Alexanders Nähe zum Neupythagoreismus haben. Auch diese Vertrautheit mit bzw. Nähe zu einer bestimmten philosophischen Tradition ist für das Orakel wesen der Zeit gut bezeugt. 162 Wir haben weiterhin gesehen, daß der angeblich durch eine Genealogie sichergestellte Anspruch auf göttliche Herkunft ohne Rückgriff auf die ecLOS' avepuJ1ToS'-Hypothese auf dem Hintergrund zeitgenössischer Erscheinungen erklärt werden kann. Es ist also durchaus möglich, die soziale Identität Alexanders mit Hilfe von Kategorien, die in der Antike geläufig waren, zu bestimmen, ohne von der vagen ecLOS' dvryp- Kategorie Gebrauch zu machen. Die gut bezeugten sozialen Kategorien der Orakel- und Heilkultpropheten, wie sie sich im zweiten J ahrhundert in Kleinasien manifestiert haben, bieten einen hinreichenden Rahmen, um das religionsgeschichtliche Phänomen "Alexander" zu verstehen. Auch die eher ausgefallenen Elemente, wie der Anspruch auf göttliche Herkunft oder die Vermählung mit Selene, lassen sich auf diesem Hintergrund erklären. So urteilt Fox zu Recht: " ... Alexander was one more contemporary prophet, capable of bringing philosophy to bear on oracles" .163 Vgl. L. u. E. Edelstein, Asclepius I, Test. 556-575; 11, S. 127f.208-213. Alex. 38-40. V gl. dazu Victor, Alexandros, Kap. IV. Vgl. Alex. 24: In einer Inschrift in Didyma (A. Rehm, Didyma 11. 1958, S. 165, Nr. 217) aus dem Jahr 200 n. Chr. fordert Apollo die Gläubigen auf, ihn mit Gesang zu ehren, denn die unsterblichen Götter bräuchten keine Hekatomben (ov flEVTOL d8]avaToL KTEavUJv E1TL8EVEE5' Ela{v), teure Weihgeschenke aus Gold und Statuen aus Silber, vgl. Fox, Pagans and Christians, S. 219ff. Auch Glykon bedurfte keiner Reichtümer und forderte die Gläubigen dazu auf, seinen Propheten in angeinessener Weise zu ehren, s. auch Victor, Alexandros, Kap. IV. 159 Alex. 36; ein Fragment dieses Orakels wurde in Antiochien gefunden, vgl. oben. Zu ähnlichen Funden von Orakeln, die der klarische ApolIon gab, vgl. Fox, Pagans and Christians, S. 231ff. 160 Vgl. das Zitat von Weinreich hier oben. 161 Z.B. Bieler, BEI02: ANHP I, S. 138. Die Bedeutung von Metallgliedmaßen in den alten schamanistischen Religionen Griechenlands, denen auch das Auftreten Pythagoras' zuzuordnen ist, ist sehr schwer zu bestimmen, vgl. Burkert, Weisheit und Wissenschaft, S. 134f. Zur Zeit Lukians war der goldene Schenkel fest mit der vulgären Pythagorastradition verwachsen, so daß er sogar zu einem Symbol für den alten Philosophen wurde, nicht jedoch generell Göttlichkeit signalisierte. 162 Fox, Pagans and Christians, S. 246. 163 Fox, Pagans and Christians, ebd. 156 157 158
14. Der Gebrauch der BEtos- avBpUJTTos--Terminologie im hellenistischen Judentum 14.1 Ein forschungs geschichtlicher Überblick Seit den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts setzte sich in der neutestamentlichen Forschung die Erkenntnis durch, daß das hellenisierte Judentum bei der Entstehung des Christentums eine wesentliche Rolle spielte. Das hellenistische Judentum wird jetzt als ein unverzichtbarer Brückenkopf zwischen dem palästinischen Judentum bzw. Judenchristentum und dem Heidenchristentum betrachtet. Diese neuerkannte Relevanz des hellenistischen Judentums für die Erforschung des N euen Testaments wirkte sich unvermeidbar auch auf die Rezeption der ßELOS" avryp-Hypothese in der neutestamentlichen Forschung aus. Die These, das hellenistische Judentum habe die Helden der biblischen Tradition (insbesondere Mose) mittels der hellenistischen Vorstellung des ßELOS" avryp zu typischen hellenistischen Gottmenschen uminterpretiert, wurde seit den sechziger Jahren (zunächst explizit, später jedoch meistens implizit) ~n der Christologieforschung als religions geschichtlicher Hintergrund herangezogen, um die Wunder und die fortschreitende Vergöttlichung des irdischen Jesus in der nachösterlichen Tradition zu erklären. 1 Neutestamentler konnten dafür auf die grundlegende Vorarbeit von Bieler und Windisch zurückgreifen, die nicht nur den Inhalt der Vorstellung umrissen, sondern auch gezeigt hatten, welche Rolle die BELOS" av7]p- Vorstellung im hellenistischen Judentum gespielt haben könnte. Es gilt jetzt zu zeigen, daß der semantische Aspekt auch bei der Übertragung der ßELOS" avryp- Vorstellung auf das hellenistische Judentum einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, die Hypothese zu begründen. Das hellenistische Judentum wurde zuerst von Otto Weinreich mit der ßELOS" avryp- Vorstellung in Zusammenhang gebracht. 2 N ach Weinreich sei der bei Euseb fragmentarisch überlieferte Bericht des Artapanos ein erbaulicher Bios gewesen, in dem die Mosegestalt dem allgemeinen synkretistischen Typus des ßELOS" avryp angenähert worden sei und die Funktion gehabt habe, den Verleumdungen heidnischer Schriftsteller wie Apollonios Molon und Lysimachos, daß Mose ein yoryS" gewesen sei, entgegenzutreten. 3 Nach der Artapanos-Erzählung wirke Mose aus eigener Machtvollkommenheit Wunder, was ihn als einen 1 Vgl. die forschungs geschichtliche Darstellung von Holladay, THEIOS ANER, S. 1-22, bes. 15-18, auch Tiede, Charismatic Figure, S. 241-292, bes. 243-253. 2 Weinreich, Gebet und Wunder, S. 298-309. 3 Weinreich, Gebet und Wunder, S. 308.
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der mit Mana begabten eELOl avßpUJ7Tol ausweise. Er sei Musaios, Lehrer des Orpheus und somit Stifter der griechischen Mystik gewesen, ferner wird er als Erfinder ägyptischen Kulturguts dargestellt. Obwohl Artapanos Mose in den überlieferten Fragmenten nicht mit der eELOS- avßpUJ7Tos-- Terminologie bezeichnet, legt Weinreich großen Wert darauf, daß er Artapanos zufolge von den Ägyptern gottgleicher Ehre (laoeEou Tlllfjs-) gewürdigt und Hermes genannt wurde: "Da haben wir den Gottmenschen handgreiflich, den VEOS- F;Pllfjssozusagen ... "4 Hans Windisch zufolge erfolgte die Synthese der hellenistischen Vorstellung des eELOS- dvf}p und der des israelitisch-biblischen Gottesmannes zuerst bei Philon von Alexandrien. "Er (sc. Philon) interpretiert die Gestalten der Bibel im Sinne der Vergottungslehre der Stoa und der Mysterienlehren"; "So erscheint der Mose der phiIonischen Spekulation als die grandioseste Zusammenfassung der griechisch-biblischen eELos--Anschauung"; "Die eELos--Lehre Philo's erweist sich ... als eine Synthese und Übersteigerung der griechischen eELOS-- Theologie" bzw. "Philo verschmilzt den eEL os- der griechischen Religion, Mysterienlehre und Philosophie mit dem Gottesmann der Bibel. Die großen Figuren des A.T., Abraham und Mose, die Propheten und Hohenpriester, erscheinen bei ihm als eELOl Plato's, der Stoa, der Mysterien. Er beschreibt nicht nur ihr gottähnliches, mittlerhaftes Sein, er beschreibt auch den Vorgang ihrer Vergöttlichung".5 Dadurch bilde PhiIon eine Brücke zum Christentum: "Mit dem allen steht er in nächster Nähe des Christentums. Zwar fehlt ihm die Synthese des eEL os- mit dem 'Messias', ebenso wie mit dem 'Apostel', aber da der Christus des N.T.s ja auch Profet, Weiser und Priester, Mystagoge, König und Gesetzgeber und vor allem eELOS- ;l6ros- ist, so sind die beiden Gestalten auch bei ihm vorgebildet "6
Windisch geht in seiner Beweisführung so vor, daß er die Prädikate, die den jeweiligen Personen, insbesondere Mose, beigelegt werden, aufzeigt und untersucht, welchen theologischen Hintergrund sie haben: "Die Synthese ist schon daran zu sehen, daß er die beiden typischen Titel avepUJ7TOs- eEOV und (seltener) eELOS- verwendet. "7 Nach kurzen Erörterungen zu Abraham, den er als "urbildlich repräsentierten Weisen" betrachtet, und zu den von göttlicher Raserei 4 Weinreich, Gebet und Wunder, S. 301. Weinreichs These, Artapanos habe einen hellenistischen Bios von Mose, dem hellenistischen 8EL05' dvr,p, geschrieben, wurde zunächst von Tiede, Charismatic Figure, S. 146-177 mit guten Beobachtungen angezweifelt, dann aber von Holladay, THEIOS ANER, S. 199-132 überzeugend widerlegt. Es handle sich bei Artapanos' Schrift JJEpL '1ov8aLUJv um eine romanhafte q..ationalis~~sche Geschichtserz~hlung in ßer Tradition solcher Erzählungen durch Hekataios (Uber die Agypter), Manetho (Uber die Agypter) oder Berossus (Über die Babyloniker), in der Artapanos mehrere Helden Israels (Abraham, Joseph) als Teil seiner Erzählung vom Volk der Juden romantisch aufbauscht. Er zeigt, daß Artapanos keineswegs die Vergottung Mose betrieben hat, sondern im Gegenteil daran interessiert war, J ahwes Macht auf dem Hintergrund von Dionysostraditionen hervorzuheben. 5 Windisch, Paulus und Christus, S. 101.106.108.113. 6 Windisch, Paulus und Christus, S. 113. 7 Windisch, Paulus und Christus, S. 101.
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ergriffenen Propheten,8 die Phiion mit dem altgriechischen ßELOS" dvrjp verschmolzen habe, wendet er sich Mose zu: "Dann ist vor allem gemäß der Bezeichnung Dt 33,1 Mose der avßpwTToS" ßEOV im exemplarischen Sinne. Er ist der TE AELoS", ... Philo verbindet damit gleich die noch höher steigende Benennung ßE oS", die Ex 7,1 dem Mose gegeben wird ... Eine singuläre biblische Wendung ermächtigt den Theologen, das avßpwTToS" ßEOV noch zu überbieten. Daß der griechische ßELOS" im Hintergrunde steht, ist deutlich .... Das Wort (sc. ßE6S") ist für ihn eine Hauptstütze für seine vorbehaltlos vorgetragene Lehre von der Vergottung und Göttlichkeit des Mose. "9 Nachdem Windisch versucht hat, den Erweis dafür zu erbringen, daß Phiion Mose vergottet haben soll, schlußfolgert er: "Die Bezeichnungen avßpwTToS" ßEOV und ßE6S" für Abraham, Mose und die Priester entnimmt Philo dem Bibeltext. Das Prädikat ßELOS"lO ist griechische Prägung und seine Verwendung trägt griechische Theologie in das jüdische Denken hinein. Vom ßELOS" dvrjp scheint Philon nur einmal zu reden (Virt 177), wo er ihn näher bestimmt als den, der vielleicht, wie Gott, überhaupt nicht sündigt, eine stoische Definition, die wohl mit der jüdischen Überlieferung zusammengeschaut ist, wonach einige Männer der Bibel sündlos geblieben sind." 11 "Man könnte meinen, daß Philo das Prädikat ßELOS" vermeide. ... Daß der Begriff des ßELOS" dvrjp dem Philo vertraut ist, wenngleich er den Ausdruck meidet, ergibt sich endlich auch daraus, daß er ein Synonymon mehrfach verwendet, den ßE(]'TTE(]'LOS" dvrjp, den 'gotterfüllten', also inspirierten, heiliger Weisheit vollen Mann ... So hat Philo eine Griechisches und Biblisch-Jüdisches umfassende Lehre vom ßE(]'TTE(]'LOS" dvryp = ßELOS" dvryp. Hatte er Bedenken, zu oft den überlieferten Ausdruck ßELOS" d[vryp] zu gebrauchen, so deckt das häufiger verwendete ßE(]'TTE(]'LOS" den Sinngehalt vollkommen ... "12 Was dieser Sinngehalt sei, hat Windisch ausführlich anhand von Mose aufgezeigt. Die Auffassung von Moses Aufstiegs auf den Berg Sinai als Vergottungsmysterium, 13 die Deutung von Moses Tod,14 seine Darstellung von Mose
Windisch, Paulus und Christus, S. 102. Windisch, Paulus und Christus, S. 103f. 10 Windisch verweist an dieser Stelle (S. 108, Anm. 3) auf die vielfältigen Verbindungen in denen 8ELOS' bei Philon auftritt. . 11 Windisch, Paulus und Christus, S. 108. 12 Windisch, Paulus und Christus, S. 108.110.111 mit Hinweis (ebd., S. 110f.) auf Plant. 29; Migr. Abr. 90; SpecLeg. 1,8; 1,314; 3,178; Virt. 8; Praem. 43. 13 Windisch, Paulus und Christus, S. 104f. Windisch meint, Phi Ion stelle den Sinaigang des Mose in Quaest. in Ex. 2, 29ff. als Einweihung in Gottes Mysterium dar: "So ist der Aufenthalt des Mose auf dem Berg Sinai als seine Vergottung aufgefaßt, als Verwandlung seiner Natur in übermenschliche, göttliche Substanz ... ". Mose sei also seit seinem Sinaierlebnis ein 8ELOS'. Die nächsten Parallelen seien Jesu Taufe (Mk 1,9-11 parr.) und vor allem Verklärung (Mk 9,2-13 parr.; 2 Pet3 1,16ff.), weiterhin Pauli Aufstieg in den dritten Himmel (2Kor 12,lff.). 14 Windischs Ausführungen zufolge beschreibt Phiion am Schluß der Vita Mosis (288ff.) das Sterben Moses als einen Vergottungsprozeß, wofür er zum Teil dieselben Begriffe des Sinaiaufstiegs verwende. 8 9
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Teil IV: Applikation und Interpretation
als göttlichem Weisen griechischer Prägung 15 und die Verbindung von Mose mit dem göttlichen Hohenpriester zeigten, 16 daß die 8ELos-Lehre Phiions sich als eine Synthese und Übersteigerung der griechischen 8ELOS- Theologie erweist.!7 Aus seiner Darstellung geht immer wieder eine gewisse Irritation darüber hervor, daß Philon gerade Mose, der so eindeutig als hellenistischer 8ELOS dvf]p dargestellt sei, bzw. dem idealen Weisen nicht explizit 8EL os als Prädikat beilegt. 18 Wie Phiion sei auch Josephus ein Mittler zwischen Judentum und Hellenismus sowie zwischen hellenistischem Judentum und Urchristentum gewesen. 19 Obwohl die Gottmenschlehre bei J osephus weniger stark ausgeprägt sei, verwende er die 8ELOS av8pUJTToS- Terminologie. Mose sei auch für Josephus nicht bloß ein Mensch, ein lj;LAoS aVepUJTTOS gewesen, denn er wird in Ant 3,180 ausdrücklich als 8ELOS dvf]p bezeichnet. Ferner bezeichnet Josephus auch Jesaja (Ant 10,35) als 8ELOS.20
15 Nach Windisch (ebd., S. 105f.) stellt die Vita Mosis, in der Mose explizit als König, Gesetzgeber, Hoherpriester und Prophet dargestellt wird (VitMos 2ff.), Mose als griechischen 8cLOS' dar. Das Göttliche der vier Funktionen werde unter Heranziehung griechischer Gedanken stark hervorgehoben: "Es bedarf keines näheren Nachweises, daß in dieser Darstellung [sc. der VitMos] des vergotteten und göttlichen Mose, die ganze vielfältige griechische Lehre vom 8cLOS' dvrjp mitschwingt. Mose 'ist' göttlicher Herrscher, Gesetzgeber, Seher, Wahrsager, göttlicher Philosoph, "oyoS', Myste und Hierophant; er ist Pythagoras, Empedokles (der 'Gott'), Lykurg, Plato, Chrysipp, Augustus, alles in einem, er ist Gott für die Menschen, und Philo betont auch, daß Mose wirklich alle denkbaren Repräsentanten des vergotteten Menschen in sich vereinigt" (ebd., S. 106). Nach Windisch sei der Weise bei Phi Ion als göttlicher Weiser gedacht. So impliziere der Satz in Plant 177, daß der Weise nicht dem Tod vefallen sei, daß er göttlich, keineswegs aber bloßer Mensch sei (ebd. S. 108). In der Liste mit paradoxen Prädikaten des stoischen Weisen in Sobr 56-58 fehle zwar die Bezeichnung 8cLOS', in der Vorstellung, daß er Macht über alles empfangen hat, sei jedoch auch der 8cLOS' enthalten (mit Hinweis auf Mt 28,18!). Aus der Aussage in Prob 11 12f. (ferner 20.42f.71ff.), daß die Weisheit das 8cLoTaTov ist, was es gibt, schließt Windisch, daß der aoifJoS', Hauptträger der aoifJ{a, dann ein 8cLOS' und der Empfang der Weisheit im Mysterium "seine Vergottung" sein müsse (ebd., S. 109). 16 Die Identifikation von Mose mit dem Hohenpriester sei auf dem Hintergrund der Theologie des sündlosen Hohenpriesters in Som 185ff. (wenn der Hohepriester in das Allerheiligste hineingeht, ist er kein Mensch - av8pwTToS' OVK taraL), VitMos 133f. (Allegorese des hohenpriesterlichen Kleides) und Fug 108 (in Anlehnung an Lev. 16 heißt es, der Hohepriester sei OVK äv8pWTTOS' dMd "oyoS' - er werde als Inkarnation des 8cLOS' "oyoS' gefeiert) zu verstehen. 17 Windisch, Paulus und Christus, S. 108. 18 V gl. Windisch, Paulus und Christus, S. 106: " ... doch erweist er ... , daß er schon immer ein 8cLOS' war - der Ausdruck nur fehlt hier ... "; S. 107 heißt es in Bezug auf die ZwischensteIlung des Hohenpriesters zwischen Gott und Mensch: " ... kein 8coS' ,aber ein 8cLOS' würde der Hellene sagen"; S. 108: " ... potentiell ist jedenfalls der Satz gegeben, daß der Weise ein 8cLOS' ist"; S. 109: " ... eigentlich also 8V7]TOS' 8coS', Gott auf Erden, Prädikate die folgerichtig hieraus abgeleitet werden müssen, von Philo dem Monotheisten gestrichen ... " 19 Windisch, Paulus und Christus, S. 114. 20 Nach Windisch habe Josephus sich selbst in seinem Buch über den jüdischen Krieg als Priester, Ekstatiker, Prophet und Volksführer (Bell 3,8f.) dargestellt, so daß auch er "vom hellenistischen Standort aus, ein 8ELOS', ein kleiner Mose" sei, ebd., S. 114.
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Auch Ludwig Bieler kommt schon in seinen "sprachlichen Vorbemerkungen" auf Phiion und J osephus zu sprechen. Er führt Philon Virt. 177 und andere Texte als Belege dafür an, daß der 8ElOS" dvrjp eine Zwischenposition zwischen Gott und Mensch einnehme, denn obwohl er einerseits in Wendungen mit den Göttern verbunden werde, werde er doch andererseits scharf von ihnen unterschieden. 21 Zwei Seiten weiter schreibt er: "Andererseits sieht das hellenisierte Judentum seine großen Männer, Propheten, Helden und Könige, bald auch als BElOL av8pES" im hellenistischen Sinne" und bezieht sich dann auf Josephus Ant 3,180, wo Mose als BElOS" dvf}p bezeichnet wird, und auf 8,34, wo von Salomons BEta 8LavoLa die Rede ist. Daraufhin bemerkt er: " ... Salomo wird nicht geradezu BElOS" dvf}p genannt; die ganze Ausdrucksweise bewegt sich aber doch in der Richtung auf hellenistisches Gottmenschenturn" .22 Wie diese Umbildung geschieht, hat Bieler im zweiten Band seines Buches ausgearbeitet, indem er untersucht, inwiefern die typischen Züge des BElOS" dvf}p, wie er sie im ersten Band dargestellt hat, von den hellenistisch-jüdischen Schriftstellern auf die alttestamentlichen Figuren übertragen wurden. 23 Josephus tue das, indem er die Überlieferung bereichere und Wunderzüge vermehre und steigere. Außerdem verweltliche er die alttestamentliche Tradition: er dränge Gott ein wenig zurück, um damit dem Wundertäter mehr Selbständigkeit zuzubilligen. Außerdem machten sich bei ihm gewisse Ansätze zur Vergöttlichung alttestamentlicher Persönlichkeiten bemerkbar. Diese Tendenzen zeigt Bieler anhand von Josephus' Moseerzählung (Ant 2,201-4,331) auf. 24 Philon wiederum kleide die alttestamentlichen Figuren wie sittliche hellenistische Propheten. Seine Vita M osis zeichne Moses weder als einen alttestamentlichen Propheten, noch als üblichen hellenistischen BElOS" dvf}p im Sinne wunder süchtiger Aretalogien, noch als griechischen Philosophen klassischer Prägung (auch wenn er versucht, seine Persönlichkeit mit stoischen Begriffen und Formeln zu beschreiben), sondern als TTVEVj.1aTLKoS", wie er sich später in der Gnosis meldete. 25 Sehr einflußreich war außerdem Erwin Goodenoughs berühmte Philonmonographie,26 in der er die Meinung vertrat, Philon sei ein Beispiel für die Transformation des Judentums in eine mystische Philosophie. Er entdeckte in Philon eine Tendenz, die Kluft zwischen Gott und Mensch durch Mittlerfiguren zu überbrücken: "A marked part of this tendency was the increasing regard for what was called the 8ElOS" av8pUJTToS", the human being who had by his virtue raised himself, or been raised by God or the gods, to relations with the deity so 21 Bieler, BEJOL; ANHPI, S. 16. Die anderen Texte sind Platon Soph. 216b; Phileb. 18b; Arist. EN 1,110Ib; Fr. 178 Rose; Plutarch Mor. 1119C; Iambl. VP 56. 22 Bieler, BEJOL; ANHPI, S. 18f. 23 Bieler, BEJOL; ANHPII, S. 24-36. 24 Bieler, BEJ OL; ANHP II, S. 31-34. 25 Bieler, BEJ OL; ANHP II, S. 34-36. 26 Erwin R. Goodenough, By Light, Light: The Mystic Gospel of Hellenistic ludaism, New Haven 1935.
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far beyond those of ordinary people that he had become in a sense divine. Such men were inspiring models, but still more usefu! in popular eyes as mediators and saviours for other men" .27 Ihm zufolge hat Philon den Hohenpriester Aaron umstrukturiert in einen ecLOS" aVepWTTOS", "the man who is between the human and the divine natures because he shares in both, and who is hence in a position to mediate the salvation of God to men".28 Insbesondere Mose wird von Phiion mittels des hellenistischen Konzeptes des ecLOS" aVepWTTOS" zu einem göttlichen Mittler uminterpretiert. 29 Nach Goodenough habe Philon zwar an einigen Stellen eine Vergöttlichung Moses explizit abgelehnt, sei jedoch inkonsequent gewesen und habe in Wirklichkeit den Patriarchen vergöttlicht und so den traditionellen jüdischen Monotheismus gesprengt. 30 Infolgedessen lege er ihm in Virt 177 die Bezeichnung ßcLOS" avryp bei. 31 Daß die Ansicht, die ecLOS" avryp- Vorstellung sei dem frühen Christentum durch das hellenistische Judentum vemittelt worden, sich so rasch seit den sechziger Jahren in der neutestamentlichen Forschung verbreiten konnte, wird verständlich, wenn man sich die zentrale Rolle vergegenwärtigt, die einige Veröffentlichungen in diesem Prozeß gespielt haben. Zunächst übernahm J oachim Jeremias die ecLOS" avryp-Vorstellung in seinen ThWNT-Artikel über Mose und verschaffte so der Hypothese von Windisch und Bieler nicht nur Zugang zu einem sehr großem Leserkreis,32 sondern sicherte ihr zudem eine lange Lebungsdauer, die nicht zuletzt der einmaligen Autorität dieses Sammelwerkes in der Forschung zu verdanken war. Jeremias wendete die Ansichten von Windisch und Bieler auf ein Schema an, das eine strikte Trennung zwischen hellenistischem und palästinischem Judentum voraussetzte - die Vorstellung von Mose als einem Übermenschen des hellenistischen Judentums unterscheidet sich vom palästinischen Judentum, in dem Mose unbeschadet aller Einflüsse ein fehlbarer Mensch geblieben sei. 33 Hier sei nur darauf verwiesen, daß Jeremias sich zum Beweis für die hellenistisch-jüdische Ansicht, Mose sei ein ecLOS" avryp, explizit auf Jos Ant 3,180 bezog. Drei Monographien von Ferdinand Hahn, Dieter Georgi und Wayne Meeks, die zwar anderen Themen gewidmet waren, jedoch die Thesen von Windisch und Bieler übernommen hatten, sicherten durch ihre weite Verbreitung dem 27 Goodenough, Light, S. 126. Man beachte die Formulierung "for what was called the BeLOS" avBpUJ1ToS-", die zeigt, daß Goodenough der Meinung war, der Begriff sei ein technischer Terminus gewesen, mit dem man in der Antike diese Mittlerfiguren bezeichnet habe. 28 Goodenough, Light, S. 210. 29 "Moses is equated more explicitely with such current conceptions as the ideal king and the hellenistic BeLOS" ävBpUJ1Tos- than was done in the case of any other patriarch", vgl. Goodenough, Light, S. 181. 30 Goodenough, Light, S. 199-234, bes. 223ff. unter Berufung auf Sacr 9f.; Prob 43; QuEx 2,29.46; Mut 19,24-26.127f.; Post 28-30. 31 Ihm zufolge referiert der Text an dieser Stelle offensichtlich ("obviously"!) auf Mose, vgl. Goodenough, Light, S. 233. 32 Joachim Jeremias, Art. MUJvaijS", ThWNT IV, 1942, S. 852-878, dort 852-860. 33 Jeremias, Art. MUJvaijs-, S. 860.
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Vermittlungsmodell und vor allem dem Bild von Mose als ßEL05' avryp im hellenistischen Judentum einen festen Platz in der neutestamentliche Forschung. Ferdinand Hahn diskutiert die Vermittlungsrolle der ßEL05' avryp-Vorstellung des hellenistischen Judentums im Rahmen seiner Erörterungen über Entstehung und Herkunft des Gottessohntitels. 34 Obwohl J osephus einerseits die Beteiligung von Menschen am Göttlichen ablehnt,35 verwendet er andererseits ßEL 05' als Attribut für Mose und den Propheten. 36 So werde zwar die Grundstruktur jüdischen Denkens festgehalten, aber gleichwohl sei durch die Bezeichnung mit hellenistischer Begrifflichkeit de facta eine weitgehende Hellenisierung eingetreten. 37 Für Philon gelte, daß Abraham, Mose und die Propheten keine Erdenmenschen mehr sind. In Nachfolge von Windisch verweist Hahn auf die Prädikation von Mose mit ßE65' im Anschluß an Ex 7,1, ferner auf den Gebrauch des Begriffes ßEaTTlaL05' avryp statt ßEL05' avryp. Er vertritt jedoch die Meinung, daß das Diasporajudentum der ßEL05' avryp- Vorstellung ihre spezifisch heidnische Spitze, nämlich die Annahme einer naturhaft gegebenen Göttlichkeit, 38 genommen habe, denn Philon führe die Vergottung von Menschen, ihre Auszeichnung und ihre Machttaten bzw. die Verwandlung der menschlichen in eine göttliche Natur auf das Eingreifen Gottes, der die Menschen dazu ausrüstet, zurück. 39 Das habe im hellenistischen Judenchristentum zu einer auf Geistbegabung und Adoption beruhenden Gottessohnchristologie geführt. 40 In einem zweiten Schritt sei die Gottessohnchristologie im Heidenchristentul11 durch die Übernahme der hellenistischen ßEL05' avryp- Vorstellung umgeprägt worden zu einer im Sinne der wesensmäßigen Durchdringung und naturgemäßen Veranlagung verstandenen Wesenschristologie. 41 Damit war die schon seit langem von Rudolf Bultmann vertretene Verbindung der Prädikationen ßEL05' avryp und vlo5' ßEOV mit Vergöttlichung des irdischen Jesus im Urchristentum endgültig zementiert worden. 42 34 Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 280-333, dort 292-308. 35 Bell. 7,344: KOLvwv{a 8E{4J 1TPOS" ßVT]TOV a1TpEm]S" t-aTLV. 36 Ant 3,180 (Mose); 8,243 (Jadon); 10,35 (Jesaja). 37 Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 294. 38 Für Hahn ist das konstitutive Element der heidnischen 8ELOS"
aVrlP- Vorstellung die Göttlichkeit des Menschen oder die Möglichkeit zur Partizipation am Göttlichen bzw. zur Vergottung, ebd., S. 293f. 39 Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 295.308. 40 Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 295-308. So seien die Gottessohntitel in Mk 1,9ff.; 3,22ff.; 4,lff.; 5,lff. und auch die Jungfrauengeburt nach Lk 1,26ff. zu verstehen. 41 Wie dies z.B. aus der Verklärungsperikope Mk 9,2ff., ferner aus den Epiphanien Mk 4,35ff.; 6,47ff., der Jungfrauengeburt nach Mt 1,18ff. sowie den Sendungsaussagen GaI4,4; Röm 8,3; Mk 12,lff.; Jh 1,lff. hervorgehe, vgl. ebd., S. 309-319. In dem Anhang zur 5. Auflage, S. 482f. rückt Hahn von der ßELOS" GVrlP- Vorstellung ("unhaltbares Konstrukt"!) als religionsgeschichtlichen Hintergrund für die Entstehung einer Wesenschristologie im Neuen Testament ab. 42 Vgl. Rudolf Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT 29, Göttingen 2. rev. Aufl. 1931, S. 256: "Bei Mk ist er ein ßELOS" avßpw1ToS", ja mehr: der über die Erde wandelnde Gottessohn"; ferner ders., Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1953, S.
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Dieter Georgi43 hat im Rahmen seiner Darstellung der Missionstätigkeit des hellenistischen Judentums eine ausführliche Beschreibung von der dort vorherrschenden eElOS' avryp-Vorstellung und der ihr unterliegenden Weltanschauung geboten. Seiner Ansicht nach war die jüdische Mission eine an der Auslegung von Schrift und Tradition sowie der Apologetik der Diasporasynagoge orientierte Anwerbung von Heiden,44 die sich jedoch inner- und außerhalb des Kultes in der theatralischen Demonstration von pneumatischen bzw. ekstatischen Kräften und prophetischen Begabungen äußert: 45 Schriftauslegung sei ein prophetischer Vorgang gewesen. 46 Diese Missionstechnik, d.h. Mission mittels pneumatischer Demonstration, sei in der Konkurrenz mit anderen Religionen und popularen Heilslehren47 vom frühen Christentum übernommen worden und bilde den Hintergrund des Auftretens von Pauli Gegnern in Korinth. 48 Georgi erklärt diese an pneumatischen bzw. prophetischen Demonstrationen orientierte Mission des hellenistischen Judentums auf dem Hintergrund der dort vorherrschenden Gottes- und Weltanschauung. Ausgehend davon, daß das Wesen Gottes den Menschen verborgen bleibt, richte die Apologetik sich auf das ständige Wirken Gottes, seine Werke und Macht als Gegenstand wahrer Gotteserkenntnis. Gottes Natur zeige sich in seinen Werken und stelle das Modell für das rechte Leben dar, Gottes Wille bzw. Gesetz sei mit dem Naturgesetz identisch. 49 Man interessiere sich also nicht für sichtbare Erscheinungen Gottes, sondern für Bekundungen seiner Kraft. Es entspreche dieser Gottesanschauung, daß allen Menschen die Gegenwart göttlicher Kraft in Gestalt der Seele zugebilligt werde, und daß das Wirken Gottes sich in Menschen konkretisiert: Der Mensch gelte also als von Natur aus mit Gott verbunden. 5o In bestimmten Fällen verdichte sich nun in Einzelpersonen eine den Menschen mit ihrer Natur gegebene göttliche Potenz. Es sei nur konsequent gewesen, wenn für solche Personen, in denen sich 127-132.386-396. Obschon die hellenistisch-jüdische Vermittlung der 8ElOS" dvJjp-Vorstellung in der Christologieforschung weithin akzeptiert wurde, rechneten viele Forscher im Umkreis von Bultmann (Herbert Braun, Helmut Köster, James Robinson, Philipp Vielhauer, Werner Kelber, ferner die Braun- und Vielhauerschüler Hans Dieter Betz, Gerd Petzke und Gerd Theissen) weiterhin auch mit der direkten Einwirkung der 8ElOS" GvJjp- Vorstellung des hellenistischen Heidentums auf das frühe Christentum; vgl. Koskenniemi, Apollonios von Tyana, S. 49ff.119ff. 43 Georgi, Gegner, 1964. V gL die ausgezeichnete Diskussion bei Holladay, THEIOS ANER, S. 34-40. Völlig richtig ist seine Einschätzung, daß man vor Georgi nur behauptet hat, daß das hellenistische Judentum der Umschlagplatz war, wo die dem Judentum fremde 8ElOS" dvJjp- Vorstellung in das jüdische Denken hineingezogen worden sei. Georgi jedoch war der erste, der versuchte, den Ort der Vorstellung innerhalb der hellenistisch-jüdischen Metaphysik und Theologie zu bestimmen, ebd., S. 39. 44 Georgi, Gegner, S. 82-105. 45 Georgi, Gegner, S. 105-137. 46 Georgi, Gegner, S. 126-129. 47 Mysterienreligionen, kynische Popularphilosophie, Neupythagorismus; vgl. Georgi, Gegner, S. 187-205. 48 Georgi, Gegner, S. 205-213.220-234. 49 Georgi, Gegner, S. 140-144. 50 Georgi, Gegner, S. 145-147.
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Gott bekundet, für die inspirierten EVecOL, der Begriff eclOS- dvf}p angewendet wurde. 51 Die Teilhaber Gottes zu sein, an seiner Macht und seinem Wirken beteiligt zu sein, reflektiert das Selbstverständnis der Missionare des hellenistischen Diasporajudentums bzw. des frühen Christentums: sie verstanden sich als eclOL av8pcS-, die durch ihre pneumatische Auslegung der gotterfüllten Tradition Zugang zum Göttlichen und so auch die Anteilnahme an ihm und seiner Macht gewinnen. 52 Man verstand sich auf einer Linie mit den Figuren der Tradition, den Erwählten Gottes, in denen er sich den Menschen bekundet hat, nämlich Henoch, Isaak, Jakob, Joseph, Elia, Elisa, David, Jesaja und Daniel, aus denen Abraham, Salomo und vor allem "der eclOS" dV7}p schlechthin: Mose"53 weiter hervorragten. Die Christen hätten Mose und Elia herausgehoben, die noch von Jesus als "eclOS" dV7}p schlechthin" in den Schatten gestellt wurden. 54 In der missionarischen Konkurrenzsituation habe, abgesehen von der wirkungsvollen Machtdemonstration, der Besitz einen OclOS" dV7}p in der eigenen Tradition als entscheidender Trumpf gegolten. 55 Obwohl gelegentlich Skrupel zu spüren seien, könne es keinen grundsätzlichen Widerstand gegen die Tendenz, Menschen als göttlich zu bezeichnen, gegeben haben, weil die gemeinten eclOL av8pcS" zunächst die Großen der biblischen Tradition waren. 56 Es gehe ja um die Manifestation göttlicher Macht, . wenn man über die Großen der Tradition bzw. des Volkes rede. Wer von Gott herausgehoben sei, sei grundsätzlich zu jeder Leistung auf jedem Gebiet fähig. Dies habe seinen Grund darin, daß in der Apologetik Göttliches und Kosmisches gleichgesetzt würden. Göttliche Macht gleiche der Natur, und die Naturordnung dem Willen bzw. Gesetz Gottes, d.h. der Prozeß der Natur werde als Manifestation der Macht und des Willens bzw. Gesetzes Gottes gesehen. Der eclOS" dvf}p, der Erwählte Gottes habe wesentlichen Anteil daran. 57 Weil Moses Gesetze nach jüdischem Verständnis dem Willen Gottes bzw. der Natur vollkommen entsprechen, sei Mose für das hellenistische Judentum der vornehmste ecLOS- dvf}p gewesen. Georgi zeigt mit Hilfe einer Analyse von Ant 3,180, daß Josephus die "Göttlichkeit des Mose" mittels des kosmischen 51 Georgi, Gegner, S. 147. An dieser Stelle, ebd., Anm. 4 weist Georgi darauf hin, daß der Begriff selbst in jüdischen Texten vorkommt. Vgl. Jos. Ant 3,180 (Mose); 10,35 (Jesaja); Philo VitMos 1,158 wird Mose ()EOS" genannt. Jos. Ant 8,34 redet von der ()E{a 8uivoLa Salamos. 52 Georgi, Gegner, S. 168-182 (Missionare des Judentums); 210-213 (Wandermissionare im frühen Christentum); 220-229 (die Gegner in Korinth). 53 Georgi, Gegner, S. 145-167, bes. 145-148. 54 Georgi, Gegner, S. 213-218.258-265.282-292. Hier habe besonders die Wunderüberlieferung eine erhebliche Rolle gespielt, bes. jedoch die Verklärung Mk 9,2ff., wo Jesus Mose und Elia als eELOS" dvryp übergeordnet werde, ferner Ag 3,13ff.; 7,22ff., wo eine eELOS" dvrypTypologie von Mose vorliege (vgl. ebd., S. 215-218). 55 Georgi, Gegner, S. 152. 56 Georgi, Gegner, S. 147. 57 Georgi, Gegner, S. 148-150.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Charakters seiner Gesetze beweise. Seine Argumentation setze voraus, daß die Natur des Gesetzgebers der Ordnung der Natur bzw. dem Willen Gottes entspricht, und daß sie vom Gesetz reflektiert wird. 58 Dadurch gewinnt dieser Text, wo Mose explizit als ecLOS" dVrlP bezeichnet wird, eine Schlüsselstelle in Georgis Argument, daß Mose vom hellenistischen Judentum als wesenhaft göttlich betrachtet worden sei. Er expliziert dies weiter anhand von Philo VitMos 1,155158. 59 Der ecLOS" dvrlP habe Anteil an Gottes Macht und könne Macht über die Natur ausüben, d.h. Wunder tun. 60 Solche Macht erhalte Mose bei seinem Sinaiaufstieg durch eine Schau des Wesens (ouala) der kosmischen Geheimnisse. Dies sei faktisch identisch "mit dem Verschwinden der Trennung zwischen Menschlichem und Göttlichem", deswegen stehe ihm auch die Unsterblichkeit offen. In Philo VitMos 2,288ff. und Josephus Ant 4,323ff. werde das Ende des Mose dann auch als "eine Verwandlung in ein übermenschliches Wesen hinein" beschrieben; man habe offenbar im hellenistischen Judentum die Frage nach der endgültigen Vergottung des Mose diskutiert. Obwohl das Vermittlungsmodell in Wayne Meeks' Monographie 61 keine entscheidende Rolle für seine Erklärung der Herkunft der prophetisch-königlichen Tradition in der johanneischen Christologie spielt, erfuhr die Vorstellung, daß J osephus und Phiion Mose als ecLOS" dVTjp dargestellt hätten, durch dieses Werk unter Neutestamentlern im englischen Sprachraum eine breite Rezeption. Nach Meeks ist es offenkundig, daß Philon Mose als etwas mehr als ein menschliches Wesen darstellt, aber anders als Goodenough vertritt er die Meinung, Phiions Mose bleibe innerhalb des Rahmens eines ecLOS" dVrlP, wie Bieler ihn skizzierte. Wo von der Erhöhung Moses die Rede ist (VitMos 2, 288ff.; Virt 73ff.; Sacr 8), werde sie nicht als Rückkehr eines inkarnierten Gottes, sondern als Apotheose eines göttlichen Menschen gezeichnet. 62 Bieler folgend meint Meeks, daß auch Josephus Mose für einen ecL os" dVrlP gehalten habe. Dafür beruft er dafür auf Ant 3,180, wo Josephus den technischen Terminus eELOS" dvl}p auf Mose anwende ("applies the technical term"). Es gebe eine bestimmte,
Georgi, Gegner, S. 152. Georgi, Gegner, S. 153-16l. Andererseits betone die Apologetik die Unwandelbarkeit des Kosmos. Die beiden scheinbar unversöhnlichen Tendenzen seien aber unterschiedliche Seiten einer Gesamtanschauung. Was auf einer Seite als Wunder erscheint, sei auf der anderen Seite ganz natürlich. Der Unterschied bestehe in der Tiefe der Welteinsicht. Was dem einen als unmöglich erscheine, gelte einem zweiten, der seinen Blick für die Hintergründe der Welt und die w.elt bewegende göttliche Kraft geöffnet hat, als Wunder, für den, der überlegende WeltkenntnIs se besitzt, erscheine auch dies als eine der vielen göttlich gebotenen Möglichkeiten, vgl. ebd., S. 154-156. 61 Wayne A. Meeks, The Prophet-King. Moses Traditions and the Johannine Christology, NT.S 14, Leiden 1967. 62 Meeks, Prophet-King, S.103-106. Vgl. auch ders., The Divine Agent and his Counterfeit in Philo and the Fourth Gospel in Elisabeth Schüssler Fiotenza, Aspects of Religious Propagand in Judaism and Early Christianity, Notre Dame/London 1976, S. 43-67. 58
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jedoch moderate Tendenz bei Josephus, Mose als wundertätigen eELOS" dVr]p zu darzustellen. David Tiedes Untersuchung der Kriterien, die man im Hellenismus anlegte, um die Göttlichkeit charismatischer Persönlichkeiten zu belegen, ergab, daß man bis zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert Menschen entweder aufgrund ihrer Wundertätigkeit oder aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit und Weisheit für göttlich gehalten habe. Ferner habe es Helden ägyptischer Romane gegeben, deren Göttlichkeit im Rahmen ägyptischer Herrscherideologie von ihren thaumaturgischen Fähigkeiten beglaubigt wurde. 63 Auf der Grundlage dieser Ergebnisse stellt Tiede die Frage, nach welchen Kriterien das Judentum für Mose Göttlichkeit beansprucht hat. Unumstritten sei, daß Mose für Philon ein göttlicher Mensch ist - in Virt 177 werde offenbar mit dem Terminus eELOS" dvrjp auf ihn referiert - es sei nur die Frage, was für einer. 64 Tiedes Antwort lautet: Philons Darstellung von Mose und den Patriarchen als Paradigmen der Tugend und als göttliche Männer sei direkt abhängig von der stoischen Konzeption des idealen Weisen, dessen dPETr] ihn als göttlich qualifiziert. Nicht der Besitz magischer oder wunderhafter Fähigkeiten, sondern die Darstellung ihrer Tugend beglaubigt Philons charismatische Persönlichkeiten als göttlich. 65 Auch dort, wo Philon explizit auf Moses Status als Zwischenwesen zu sprechen kommt, seien seine Weisheit und Tugend die Kriterien für eine solche Einschätzung,66 ebenso dort, wo Mose für ein göttliches Wesen gehalten werde. 67 Auf diesem Hintergrund sei auch die Verwendung des Begriffes eELOS" dvrjp in Virt 177 zu verstehen: hier sei die Rede von dem vollkommenen Weisen, der in seiner Göttlichkeit nur noch Gott selbst untergeordnet ist. 68 Eine Analyse der phiionischen Darstellung der biblischen Wunder zeige ferner, daß Phiion versuche, die Zuverlässigkeit der Schrift zu demonstrieren, wobei die Wundertaten jedoch nicht die primäre Basis bildeten, mit der Philon Mose als eELOS" dvrjp darstelle. 69 63 Tiede, Charismatic Figure, S. 1-100, vgl. die Zusammenfassung in Kapitell. 64 Tiede, Charismatic Figure, S. 105.108. 65 Tiede, Charismatic Figure, S. 109f.120-13 8 passim. "Philo is elevating Abraham, Isaac and Jacob to the status of 'divine men' by direct appeal to the criterion of virtue"; "When Philo's view of Moses as a 'divine man' is assessed ... it is clear that his divine or semi-divine status is only different from theirs [sc. the patriarchs] in degree" (120); "Philo's treatment of Moses as a 'divine man' is clearly under the direct influence of the philosophical and particularly the Stoic conception of the BELOS" (Jocp6S". This observation is further documented in the general descriptions of Moses' divine or semi-divine status" (123). 66 Tiede, Charismatic Figure, S. 123-125, es handle sich um Som 2,234; Det 162; VitMos 27. 67 Tiede, Charismatic Figure, S. 125. Nach Tiede ist in Sac 8-10 von Moses Präexistenz und Unvergänglichkeit die Rede. Er schlußfolgert aus seiner Analyse: " ... even when Moses' status as god is elaborated, it is his possession and representation of virtue that documents his divine stature." 68 Tiede, Charismatic Figure, S. 130-132. 69 Tiede, Charismatic Figure, S. 132-135: " ... this is not Moses the Hellenistic fJELOS" dvr,p who documents his divine status with the performance ofmiracles", ebd., S. 135.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Tiede setzt seine Untersuchung der Kriterien für Göttlichkeit mit einer Analyse des Mosebildes des Josephus fort. Sie zeige, daß J osephus sehr vorsichtig sei, Mose als göttlich zu bezeichnen, denn er lege solche Aussagen meistens anderen in den Mund. 70 Eine Analyse der Rolle des Wunders bei ihm zeige jedoch, daß Moses Subordination unter Gott bei den Wundern ein konstantes Thema in den Antiquitates sei. 71 Trotzdem werde Mose ein ausgezeichneter, ja göttlicher Status zugesprochen. Dies geschehe jedoch aufgrund seiner Weisheit und Tugend: J osephus zeichne ein idealisiertes Bild von Mose als dem größten Weisen, der sich der Göttlichkeit nähere. 72 Tiede belegt dies mit einer Analyse von Josephus' apologetischer Schrift Contra Apionem und zeigt, daß Mose dort als Weiser dargestellt wird, der die Tugend besitze und die beste Konzeption von Gott erreicht habe. 73 Aber auch in den Antiquitates werde Mose als tüchtiger und weiser Gesetzgeber gezeichnet,74 was Tiede vor allem anhand von Ant 3,180ff. 75 und dem Bericht über den Tode Moses 76 belegt. Tiedes Studie bedeutet eine Wende in der ßcLO:; dvryp-Forschung, denn die Ergebnisse seiner Studie sind inkompatibel mit dem sogenannten Vermittlungsmodell, wonach das hellenistische Judentum dem Christentum die Vorstellung des wundertätigen ßcLO:; dvryp vermittelt habe. 77 Kontinuität mit seinen Vorgängern besteht indes darin, daß auch Tiede mit Göttlichkeit (oder, in seinen 70 Tiede, Charismatic Figure, S. 229. Vgl. den Verweis Tiedes (S. 211) auf Ap 1,279, wo Mose von Ägyptern als 8EL 05' bezeichnet wird. Nach Tiede sei dies nicht als Josephus' Meinung' sondern vielmehr auf dem Hintergrund von Diodoros 1,13,1 zu verstehen, der berichtet, daß die Ägypter Kulturstifter vergöttlicht hätten, ebd., Anm. 191. 71 Tiede, Charismatic Figure, S. 216-228, da bes. S. 227: "Moses' elevated status does not rest on his miracles". Er stützt sich dabei vor allem auf Untersuchungen zur Funktion der Wunder bei Josephus durch George MacRae (Miracles in the Antiquities ofJosephus, in Charles F. D. Moule (Hg.), Miracles, London 1965, S. 122-134) und Gerhard Delling (Josephus und das Wunderbare, NT 2,1958, S. 291-309). 72 Tiede, Charismatic Figure, S. 237. 73 Tiede, Charismatic Figure, S. 208-213. 74 Tiede, Charismatic Figure, S. 229-239. 75 Tiede, Charismatic Figure, S. 230-234: "This is Josephus' strongest statement on the semi-divine stature of Moses and the only instance where he calls Moses a 8EL05' dvryp ... the basis of Moses' elevated status is his role as lawgiver ... If Moses is accorded any kind of divine status, the basis for such consideration would have to be his possession of virtue." 76 Ant 4,316-331, wo außergewöhnlich oft auf die Tugend und Einsicht des Helden Bezug genommen wird; vgl. Tiede, Charismatic Figure, S. 234-236. 77 Tiedes Analyse der Überlieferung von Eupolemos und Aristobolos zeigt, daß auch ihre Mosedarstellungen keineswegs versuchten, Mose aufgrund seiner Wundertätigkeit göttlichen Status zuzusprechen (S. 138ff.), und daß Artapanos' Mosedarstellung auf dem Hintergrund der ägyptischen Königsromane gelesen werden müsse (146ff., vgl. Anm. 4 oben in diesem Kapitel). Auch die Moseüberlieferung in Palästina scheint nicht in besonderem Maße an Mose als einem Wundertäter interessiert gewesen zu sein (178-206), so daß nur die Zeugnisse von Mose als Zauberer (jüdische magische Papyri/antijüdische Propaganda) übrig bleiben, um die Vorstellung von Mose als wundertätigem 8EL05' dvrjp zu belegen. Dieser Standpunkt ist jüngst von Corrington, "Divine Man", S. 129-143.190f. vertreten worden: nicht in den Schichten eines Phiion oder Josephus, sondern in den niederen Schichten der magischen Papyri und eines Artapanos solle man die 8EL05' dvrjp- Vorstellung aI?;siedeln. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die 8EL05' dvrjp- Terminologie in diesem Uberlieferungsmaterial nicht belegt ist.
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eigenen Worten, auch "semi-divinity") des Mose rechnet und als Belege dafür jene Texte heranzieht, in denen die 8ELOS' av8pwTToS'- Terminologie verwendet wird (Josephus Ant 3,180; Philo Virt 177).78
14.2 Die eELOS" aVepWTTOS"- Terminologie in den Schriften des Phiion von Alexandrien In den Schriften des Phiion von Alexandrien79 kommen Ausdrücke, in denen ßELOS' oder ßEaTTEaLoS' Menschen beigelegt wird, mehrfach vor. 80 Lediglich an einer Stelle ist der Ausdruck 8ELOS' dvrjp belegt (Virt 177). Außerdem gibt es in der Schrift De Providentia zwei (nur in armenischer Übersetzung erhaltene) Stellen, die offenbar einen Ausdruck wie ßELOL / 8EaTTEaLoL av8pES' als Vorlage hatten, 81 ferner in der armenischen Übersetzung der Quaestiones in Exodum eine Aussage über "den göttlichen und heiligen Mose", der offenbar ßELOS' oder ßEaTTEaLoS' zugrunde liegt. 82 Besonders die Aussage in Virt 177 über den sündlosen ßELOS' dVl}p spielte in der 8ELOS' dvrjp- Forschung eine wichtige Rolle: Sie wurde vor allem im Zusammenhang mit der These, daß Mose bei Phiion unter Aufnahme der hellenistischen ßELOS' dVl}p- Vorstellung zu einem Mittlerwesen zwischen Gott und Mensch geworden sei, als schlagkräftige Belegstelle herangezogen. . Es ist nun das Verdienst earl Holladays, die These, daß Philon dazu neigte, die Helden Israels (insbesondere Mose) zu vergöttlichen, gründlich widerlegt zu haben. 83 Er zeigt, daß Philons grundlegende theologische Annahme im 78 Tiedes Ansichten werden weitgehend von Willy Schottroff, Art. Gottmensch I, RAC 12, 1983, Sp. 155-234, dort 228ff. übernommen. 79 Textausgabe von Leopold Cohn, Paul Wendland, Siegfried Reiter (Hg.), Philonis Alexandr~p.ii opera quae supersunt, Bd. 1-6, Berlin 1896-1915 (Nachdruck Berlin 1962). Deutsche Ubersetzung von Leopold Cohn, Isaak Heinemann, Maximilian Adler, Willy Theiler (Hg.), Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung". Bd. 1-7, Berlin 21962-64. Eine englische Ubersetzung der hauptsächlich in armenischer Ubersetzung überlieferten Schriften Quaestiones in Genesin und Quaestiones in Exodum bietet Ralph Marcus, Philo. Supplement I/II, LCL, LondonlCambridge, Mass. 1953 (Nachdruck 1961). Dort (Bd. lI, S. 179-263) sind auch die griechischen Fragmente dieser Schriften gesammelt:.Einführungen in die jeweiligen ~.chriften (abgesehen·von den jeweiligen Einführungen der Ubersetzer in den angegebenen Ubersetzungen) finden sich in Schmid-Stählin lI/I, S. 625-656; Hans Leisegang, Art. Phiion 41, RE I 20.1, 1941, Sp. 1-50; Emil Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ. A new English Version revised and edited by Geza Vermes, Fergus Millar, Martin Goodman, Bd. 1-3, Edinburgh 1987, dort Bd. III/2, S. 809889. Ferner ist der gesamte Band ANRW II 21.1, 1984 Philon gewidmet. 80 Plant 29; Migr 90; SpecLeg 1,8.314; 3,178; Virt 8,3; Praem 43 (alle ßEarrEaLos-); VitMos 2,188 (ßELOS-). 81 Plant 2,39.48, Jo. Baptist Aucher (vgl. S. 265 h.u.) übersetzt an den Stellen jeweils mit "divini viri" und "divi homines". 82 Quaest in Ex 2,54. Marcus übersetzt "the divine and holy Moses". 83 Holladay, THEIOS ANER, S. 103-173, vgl. auch Larry W. Hurtado, One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, London 1988, S. 59-69. Einen ersten wichtigen (allerdings zaghaften) Schritt in dieser Richtung machte schon Tiede,
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Anschluß an Num 23,19 84 lautet, daß Gott nicht wie ein Mensch ist85 und daß ein Mensch daher nicht zu Gott werden kann.8 6 Daher erklärt sich auch seine Polemik gegen den Herrscherkult87 und gegen die Verehrung sogenannter Halbgötter. 88 Holladay zeigt ferner, daß jene Texte, die auf den ersten Blick eine Vergöttlichung bestimmter Menschen belegen, dies nur scheinbar tun, tatsächlich jedoch nicht zu Philons grundlegender Prämisse in Widerspruch stehen. Er unterzieht besonders jene philonischen Texte, die sich auf Ex. 7,1 (und 4,16)89 beziehen,90 einer gründlichen kontextuellen Analyse und zeigt, daß Philon niemals bereit ist, die Aussage in ihrem buchstäblichen Sinne zu verstehen, sondern sie immer allegorisch deutet. 91 Obwohl die Allegorien unterschiedlich ausfallen können,92 gilt der in Det 161 formulierte Grundsatz, daß Mose, trotz der Einsetzung durch Gott als "Gott", nicht wirklich (ein) Gott sei (ÖTl 6 aorpoS" AEYETal flEV ßEOS" TOV arppovoS", TTPOS" aAry8Elav 8E OVK laTl ßE65").93
Holladay weist überzeugend nach, daß die These, Phiion erhöhe bestimmte Individuen zu göttlichem Status, nicht aufrechterhalten werden kann, wenn man den unmittelbaren Kontext der jeweiligen Aussagen und ferner den GesamtzuCharismatic Figure, S. 100-138, der zeigte, daß Philon Mose mit Hilfe der Vorstellung des stoischen Weisen darstellt. Tiede hielt jedoch an der Vorstellung fest, daß der stoische Weise irgendwie ein göttliches Wesen gewesen sei - diese These läßt sich jedoch, wie wir hier oben gezeigt haben, nicht an den stoischen Quellen selbst belegen. 84 LXX: OUX clJS' äV()PUJTTOS' 0 ()EOS'. 85 Das ist ein Leitmotiv in Philons Werken, vgl. VitMos 1,283; 2,194; LegGai 118; Imm 53; Ebr 30; Migr 42; Decal32; Quaest in Gen 1,55; 2,54. 86 In LegGai 118 heißt es, Gott würde eher zu einem Menschen werden als ein Mensch zu (einem) Gott «()GTTOV yap äv EIS' äV()PUJTTOV ()EOV Ti ElS' ()EOV äV()PUJTTOV /lETaßaAElv); in einem unidentifizierten griechischen Fragment aus der Schrift Quaest in Ex (Marcus, Philo Supplement II, S. 258) sagt Phiion, daß man erst Gott werden müsse, um Gott erfassen zu können - und gerade dies sei nicht möglich «()EOV YEvia()al 8El TTPOTEPOV - ÖTTEP ouSE o[OV TE - Lva ()EOV laxv07J TlS' KaTaAaßElv)! Vgl. auch Prov 2,42: " ... weil der Mensch nicht ein ... Gott sein durfte, sondern ein zum Menschengeschlecht gehöriger Mensch bleiben mußte, dem Irrtum und Fehler anhaften" (Übers. v. Früchtel). 87 LegGai 114.118.154.162.198.201. 88 VitCont 6 (TT[JS' rap äv 0 aUTOS' d()avaToS' TE Kal ()VT}TOS' ELT};); Ebr 110. 89 Ex 7,1: BiBUJKa aE (sc. Mose) ()EOV if>apaUJ; 4,16: av (sc. Mose) BE aUTfiJ (sc. Aaron) E07J Ta TTPOS' TOV ()EOV. 90 Es handelt sich um VitMos 1,158; Prob 42-44; Somn 2,189 und Mut 19; All 1,40; Migr 8; Mut 125ff.; Det 160ff. Zur Verwendung dieser Texte als Belegstellen für die Vergöttlichung des Mose vgl. Windisch, Christus, S. 103-108; Goodenough, Light, 225f.; Meeks, Prophet-King, S. 104f. 91 Holladay, THEIOS ANER, S. 108-155. 92 In Sacr 8f. wird Ex 7,1 als Allegorie dafür gedeutet, daß Gott Mose, den vollkommenen Weisen, als Herrscher über den Nous und den Körper eingesetzt habe; in VitMos 157 als Allegorie für den Reichtum des Weisen: die Teilhabe eines Menschen am Namen Gottes zeige, daß er als weiser Herrscher bzw. Freund Gottes (Ex 33,11) an Gottes Besitz und Reichtum Anteil habe; in Prob 42-44 al~ Allegorie für die Freiheit des Weisen, denn die Teilhabe am Namen Gottes, bestätige ihn als Freund Gottes, der an seiner Herrschaft und deshalb seiner Freiheit, teilnimmt. Nach Det 160; Mut 128 sei Ex 7,1 eine Allegorie für den Weisen, der über den Toren herrscht. 93 Vgl. auch Prob 44, wo es heißt, daß er war nicht aufgrund seiner Person des Ranges eines Gottes würdig erachtet war (OUK i)tlUJTal l1olpaS' Ka()' aVTov).
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sammenhang des philonischen Gedankensystems genügend beachtet. 94 Ist also die Möglichkeit der Vergöttlichung eines Menschen im Gesamtzusammenhang der philonischen Theologie und Metaphysik nicht gegeben, so impliziert dies, daß jene Ausdrücke, in denen die Lexeme ecLOS- oder ßcarrtalos- einem Menschen als Prädikat beigelegt werden, jetzt umso mehr nicht apriori als Aussagen über die Göttlichkeit bzw. die Teilnahme an Gottes Natur der jeweiligen Person gedeutet werden dürfen. 95 In jedem Einzelfall ist das ganze Bedeutungsspektrum, das diese polysemen Wörter in sich tragen, unbedingt mitzubedenken. Auf diesem Hintergrund gehen wir jetzt dazu über, den Gebrauch der ecLOSavepUJrros-- Terminologie in Phiions Schriften zu untersuchen.
14.2.1 Der titulare Gebrauch der Terminologie 14.2.1.1 Die
f)cCT7TEOZOL aJ/opcS:
Archegeten philosophischer Erkenntnis
Als erstes wenden wir uns einer Aussage Philons in der Schrift De praemiis et poenis zu. Im Rahmen der Besprechung der Belohnungen der Guten kommt Phiion auf die Belohnungen der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob zu sprechen (24-51).96 Innerhalb der Erörterungen über Jakob sagt Philon, er habe als Preis das Schauen Gottes bekommen, d.h. den Anblick, der nicht zeigt, was die Gottheit ist, sondern daß sie ist, also die Erkennnis der Existenz Gottes. Diese Erkenntnis der Existenz Gottes ist jedoch alles andere als selbstverständlich (wie die Atheisten, Agnostiker bzw. Skeptiker und gedankenlose Traditionalisten belegen: 41). Einige jedoch hätten die Existenz Gottes durch wissenschaftliche Erforschung erschlossen: 97 (41) Diejenigen dagegen, die durch wissenschaftliche Erkenntnis die Vorstellung des Schöpfers und des Alls zu gewinnen vermochten (TU/ES" Kai 8L' ETnarr7J1TJS" Laxvaav epavTaaUJJ()ijvaL rov TTOLTJn7V Kal r7YE/1oVa ToD TTav roS"), haben, wie man zu sagen pflegt, den Weg "von unten nach oben eingell
schlagen. Sie traten in die Welt wie in einen wohlgeordneten Staat ein, sahen fruchtbares Bergland und fruchtbare Ebene, (sahen die Erde) angefüllt mit Saaten und Bäumen uund Früchten und Tieren aller Art, sahen auf der Erde weitausgedehnte Meere, Seen, Quellflüsse und Wildbäche, die schönen Mischungen von milder Luft und Winden und die harmonischen Veränderun Holladay, THEIOS ANER, S. 152-173, vgl. auch Hurtado, One God, S. 59-69. Eine solche Deutung würde eine erhebliche Modifikation von PhiIons Denksystem implizieren, eine Modifikation, die in jedem Falle mit Hilfe des Kontextes ausreichend begründet werden muß. Falls der Kontext dies nicht leistet, ist eine solche Deutung tunlichst zu vermeiden, wenn man sich nicht in unkontrollierbare Spekulation verlieren will. 96 Nach einer allgemeinen Einführung (24-27) behandelt Philo die Belohnung jedes einzelnen Erzvaters (Abraham: Vertrauen zu Gott 28-30; Isaak: Freude 31-35; Jakob: Gottesschau 36-48) und schließt mit einer zusammenfassenden Betrachtung (49-51). 97 Praem 41f., Übers. v. Cohn, in Cohn, Heinemann et al. (Hg.), Werke. Im Folgenden werden alle Zitate in Übersetzung der obengenannten Übersetzung von Cohn, Heinemann et al. (Hg.), Werke entnommen. 94 95
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gen der Jahreszeiten, und schließlich die Sonne, den Mond, die Planeten und Fixsterne, den ganzen Himmel mit seiner Heerschar in Reihen geordnet, eine wahre Welt, die in der Welt herumkreist: (42) da staunten sie und waren voll Bewunderung und gelangten zu der diesen Erscheinungen entsprechenden Annahme (Els Evvolav ijA80v dKOAov8ov TOls cpavElalv), daß soviel Schönheit und solche alles übertreffende Ordnung nicht von selbst entstanden sei (ÖTl äpa ToaaVTa KaM7] Kat OVTUJS uTTEpßaMovaa TaelS OVK dTTaVTO/1aTUT 8EVTa YEYOVEV) , sondern durch einen Bildner und Welt schöpfer (dAX UTTO TlVOS 87]/1l0VPYov KoapoTToloV), und daß es auch eine Vorsehung geben müsse (Kat ÖTl TTpOVOlav dvaYKdiov Elval); denn es besteht ein Naturgesetz,
daß das schaffende Wesen für das geschaffene sorgt.
Was Phiion hier darstellt, ist ein Beispiel des klassischen kosmologisch-teleologischen Gottesbeweises, wie er vor allem von den Stoikern gepflegt worden war,98 der jedoch auf eine viel ältere Geschichte zurückblicken konnte. 99 Diejenigen, die in dieser Weise von kosmologischen Beobachtungen zur Gotteserkenntnis fortgeschritten sind, bezeichnet Philon im nächsten Satz (43) als ol ßEaTTE-aLOL (av8pES"): Diese gotterfüllten Männer (dM' OUTOL YE ol 8EaTTEalol), die sich vor den anderen besonders auszeichneten (TcJV äMUJv 8lEV7]VOXOTES), sind freilich, wie gesagt, "von unten nach oben" wie auf einer Himmelsleiter fortgeschritten (KaTUJ8Ev ävUJ TTPOfjA8ov ora 8la TlVOS ovpavLov KAL/1aKOS) , sie haben aufgrund anscheinend richtiger Überlegung von den Werken auf den Bildner geschlossen (dTTO Tt.iJv EPYUJV ElKOTl AOYla/1&) aToxa aa/1 EVOl TOV 87]PlOVPYOV).
Es handelt sich hier offenbar um jene alten Philosophen, die mittels solcher Beweise auf die Existenz Gottes geschlossen haben. In All 3,97ff. sagt Philon, daß die alten Philosophen (ol TTp(JTOL) die Frage nach Gott gestellt haben und daß die Männer, die am besten philosophierten (ol 80KOVVTES" apLaTa CPLAOaocpELv), gesagt haben, daß man von der Welt und ihren Teilen (ol a1To TOV Koaflov Kai T(JV flEP(Jv aVTov ... aVTLAT}if;LV ETToLT}aaflEßa TOV alTLov)
zur Gottesvorstellung vorstoßen könne. IOO Es handelt sich dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Platon und Aristoteles, ferner wohl um die großen Stoiker Zenon, Kleanthes und vielleicht Chrysipp.I01 Sie waren nach
98 Klassisch Kleanthes SVF I 529; ferner SVF II 1010-1015.1019. Vgl. Pohlenz I, S. 94f. Ferner Hans-Jürgen Horn, Art. Gottesbeweis, RAC 11,1981, Sp. 951-977, dort 956ff. Zu den Gottesbeweisen bei Philon s. Harry Austryn Wolfson, Philo. Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity and Islam, 2 Bde., London 41968, Bd. II, S. 73-93; Horn, Art. Gottesbeweis, Sp. 961f. 99 Der kosmologisch-teleologische Gottesbeweis läßt sich über Aristoteles (Fr. 12f.16 Rose), Platon (Nomoi 10,886a; 12,966e) und Xenophon Mem. 1,4,2-14; 4,3,3-12 wahrscheinlich auf Diogenes von Apollonia oder gar auf Xenophanes zurückführen, vgl. Horn, Art. Gottesbeweis, Sp. 953-958; Wolfson, Philo II, S. 75-77.' 100 Es folgt jetzt All 3,98-100 ein kosmologisch-teleologischer Gottesbeweis, der demjenigen in Praem 41ff. in vielerlei Hinsicht ähnelt. 101 Wie Wolfson II, S. 73ff. zeigt, bezieht sich Phiion, wann auch immer er auf den Beweis der Existenz Gottes zu sprechen kommt, auf Platon (Tim. 28a), Aristoteles (Phys. 7,255a254b; Metaph. 12,1072a) und stoische Argumente, die schon von Zenon und Kleanthes aus-
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Philons Verständnis diejenigen, die mittels des Erkenntnisweges von unten nach oben zuerst und richtig auf Gottes Existenz schlossen. Bei der Bezeichnung oi ßEO'TTEO'LOL (av8pES-) handelt es sich an dieser Stelle folglich um die Archegeten der Gotteserkenntnis. Philos Gebrauch der ßELOS- av8pUJTToS-- Terminologie deckt sich an dieser Stelle also vollständig mit der in seiner Umwelt üblichen Verwendung der Begrifflichkeit für die Archegten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition. 102 Diese Beobachtungen lassen sich jetzt anhand zweier Stellen in der Schrift De providentia 103 erhärten. Das zweite Buch ist als Dialog über die Vorsehung, geführt zwischen Philon und seinem Neffen Tiberius Julius Alexander, strukturiert. 104 Darin argumentiert Alexander mit epikureischen und skeptischen Einwänden gegen das Bestehen einer Vorsehung, Philon verteidigt sie hauptsächlich mit traditionell stoischen Gegenargumenten. Das Buch besteht aus acht Wechselgesprächen, in denen Alexander seine Einwände äußert und Philon darauf antwortet. Im zweiten Wechselgespräch (34-44) schließt Alexander seine Einwände mit folgenden Worten: 105 (Lügner sind) vielmehr die Dichter, denn Wahres spricht über die Götter kein Dichter; stets berichten nämlich diejenigen, die ähnliche Ungerechtigkeiten (sc. Diebstahl, Ehebruch, Lügen etc.) vollbringen, zu ihrer Verteidigung das Gleiche auch über den höchsten und besten Gott. Nicht ebenso machen es Xenophanes, Parmenides, Empedokles oder andere von der Poesie ergriffene göttliche Männer, die Theologen sind (sive alii, quicumque theologi a poesie capti sunt divini viri); sie haben vielmehr die Naturbetrachtung in anständiger Weise sich zu eigen gemacht und ihr ganzes Leben der Frömmigkeit und dem Lob der formuliert worden waren und nachher von zahllosen Stoikern wiederholt wurden, vgl. Fug 8.12; Opif 8; Post 19.28; Mut 54. 102 Gegen Holladay, THEIOS ANER, S. 161, Anm. 279 und Windisch, Paulus und Christus, S. 110f. ("de[r] 'gotterfüllte', also inspirierte, heiliger Weisheit volle Mann") ist festzuhalten, daß das Lexem 8EarrlaLoS' hier keineswegs Ev8EOS' oder etwas ähnliches bedeutet. Im Kontext wird gerade die rationale Art der Erkenntnisgewinnung (8L' ETTLaTr7/lT]S' / ElKOTL AOYLa/l4J (J"TOxaad/lEVoL / die Erkennnis wird KdTW8EV avw gewonnen) betont; ferner wird ihr, wie wir noch zeigen werden, gerade die Erkenntnis durch Offenbarung entgegengestellt! Für die Behauptung von Windisch, ebd., es handle sich hier um den 8ELOS' ifJLAoaoifJoS' im Sinne des sogenannten hellenischen Gottmenschentums (8EarrEaLoS' dVr7P sei ein Synonym für 8c'ioS' dvr]p) gibt es im Text gar keinen Anhaltspunkt. 103 Sie ist vollständig nur in einer armenischen Übersetzung überliefert: Textausgabe mit lateinischer Übersetzung von Jo. Baptist Aucher (Hg:), Philonis Iudaei sermones tres hactenus inediti, Venedig 1822. Die bei Euseb überlieferten Fragmente des zweiten Buches sind (mit englischer Übersetzung) von F. H. Colson (Hg.), Philo, Bd. 9, LCL, LOJ}don/Cambridge, Mass. 1941 (Nachdruck 1967) herausgegeben worden. Eine deutsche Ubersetzung von Auchers lateinischer Übersetzung durch Ludwig Früchtelliegt in Cohn et al., Werke, Bd. 7 vor. Vgl. ferner zu der Schrift A. Terian, An Introduction to Philo's Dialogues, ANRW II 21/1, S. 272-294. In der früheren Forschung (vgl. Schmid-Stählin IIfl, S. 629f.; L. Früchtel in der Einleitung zu seiner Übersetzung, Cohn (Hg.), Werke, Bd. 7, S. 267-271) wurde die Schrift fast einstimmig für ein Frühwerk Phiions gehalten, heute akzeptieren die meisten Forscher eine Datierung näher am Phiions Lebensende (Terian, Introduction, S. 291; SchürerVermes, History, S. 864-866). 104 Vgl. die Eintragungen im Index in Schürer-Vermes, S.v. Alexander, Tiberius Julius. 105 Prov 39 nach der Übers. v. Früchtel. Auchers lateinische Übersetzung ist bei Holladay, THEIOS ANER, S. 184 mit einer englischen Übersetzung abgedruckt.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Götter gewidmet; so haben sie sich zwar als überaus treffliche Männer (optimi viri) erwiesen, aber nicht als glückliche Dichter; diese hätten von der Gottheit einen erhabenen Geist bekommen sollen und vom Himmel Anmut, Versgewandtheit, Melodie und einen himmlischen und göttlichen Rythmus, um wahrhafte Gedichte als vollkommene Muster und herrliche Vorbilder für alle hinterlassen zu können.
Im Kontext argumentiert Alexander, daß, falls es die Vorsehung gäbe, Gott dann nicht seinen Tadlern, Anklägern und Lästerern Gutes erweisen, diejenigen jedoch, die sein Lob reden und ihn preisen, schlecht behandeln würde (34). Dichtern wie Homer und Hesiod, die den Göttern besonders Schlimmes nachgesagt haben, wurde jedoch große dichterische Fähigkeit und auch viel Ruhm beschert (34-38), obwohl sie nichts Wahres über die Götter gesprochen haben. Ungerechte Menschen rechtfertigen ihre Missetaten unter Berufung auf die Aussagen der Dichter. Ihrem Vorbild gemäß übertragen sie außerdem jene Lästerungen auf den höchsten und besten Gott. Den Dichtern werden jetzt die berühmten Vorsokratiker Xenophanes, Parmenides und Empedokles sowie andere Theologen gegenübergestellt, die zwar in angemessener Weise von Gott redeten, aber keine guten Dichter waren. Bekanntlich übte Xenophanes scharfe Kritik an den unmoralischen Göttern Homers und Hesiods und der herkömmlichen anthropomorphen Göttervorstellungen 106 und setzte diesen einen einzigen, den Menschen keineswegs ähnlichen Gott entgegen,l07 Parmenides vertrat eine Lehre des kugelförmigen Seienden, dem er Attribute einer nicht-anthropomorphen Gottheit zuschrieb. 108 Auch Empedokles redete von einer nicht-anthropomorphen kugelförmigen Gottheit Sphairos, die in sich ruhend und einzig sei,l°9 Diese drei großen Philosophen, die wie kein anderer das neue Verständnis von Gott und Welt während der Dämmerung der griechischen Philosophie bewirkten und maßgeblich für die Auflösung der homerischen und hesiodschen Göttervorstellung verantwortlich waren, werden jetzt (mitsamt anderen nicht genannten Theologen) von Alexander als (JELOl / (JEUTTEUlOl av8pE~ bezeichnet. 1 10 Auch Philon bescheinigt ihnen in seiner Erwiderung, den obersten Rang in der Erforschung der Wahrheit innegehabt zu haben: 111 Vgl. D/K 21 B 10-12.14f. Vgl. D/K 21 B 23-26. 108 Z.B. Vollkommenheit, Mangellosigkeit, Notwendigkeit, vgl. D/K 28 B 8,30ff. 109 V gl. D/K 31 B 27-29. Ob Empedokles den Sphairos für die Gottheit gehalten hat, ist umstritten. Auf jeden Fall hat man Empedokles' Lehre in der Antike so gedeutet, vgl. Simplikios, Phys. 1124 (bei D/K 31 B 29), der sagt, Empedokles habe den Sphairos Gott genannt. 110 Es kann als sicher gelten, daß in der griechischen Vorlage an dieser Stelle 8ElOl / 8EO"TTEO"lOl äv8pE5' stand. Vgl. auch Holladay, THEIOS ANER, S. 183f., der die Meinung vertritt, 8EL05' habe im Hintergrund gestanden. Dies ist nicht notwendig: Angesichts der Tatsache, daß Philon 8ElO5' nur einmal mit GVf}p/äv8pUJTT05' gebraucht, öfters jedoch mit 8E(T TTE(J'105', ist es sogar wahrscheinlicher, daß 8EO"TTEO"105' in der Vorlage stand. Dies kann jedoch nicht entschieden werden und ist letztendlich im Lichte der weitgehenden Synonymie der beiden Wörter auch unerheblich. 111 Prov 39 nach der Übers. v. Früchtel. Auchers lateinische Übersetzung ist bei Holladay, THEIOS ANER, S. 18Sf. abgedruckt. 106 107
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Jene Männer (sc. Xenophanes, Parmenides und Empedokles) mußten also mit dem obersten Rang in der Erforschung der Wahrheit (ultimo loco in veri investigatione) zufrieden sein; zu dem, wozu sie von Natur nicht bestimmt waren, durften sie sich überhaupt nicht bemühen zu gelangen (sc. große Dichter zu sein). Und sie hätten besser für sich und für die Philosophie gesorgt, wenn sie auf das Dichten verzichtet und Disputationen und dialogische Darstellungen verfaßt hätten. Das hat durchweg der große Platon (magnus Plato) getan.
Der Gebrauch der eELOS- aVepuJ7TOS-- Terminologie deckt sich an dieser Stelle also mit jener Verwendung der Terminologie, die wir sonst bei kaiserzeitlichen Schriftstellern beobachtet haben: sie dient als technische Bezeichnung für die Archegeten bzw. Garanten der Erkenntnis, an dieser Stelle für die Archegeten bzw. Garanten einer nicht-anthropomorphen Gottesvorstellung. 112 Nur wenige Zeilen weiter im nächsten Wechselgespräch (45-51), in dem Alexander die Anfangslosigkeit und Ewigkeit der Welt verteidigt und daraus folgert, daß sie nicht durch Vorsehung geschaffen wurde (45), erwidert PhiIon, daß die ewige Existenz der Materie keineswegs gegen eine Schöpfung durch Vorsehung spreche (47-50).1 13 Er leitet sein Gegenargument folgendermaßen ein: 114 Wohlan, wollen wir vorderhand unter uns (interim ponamus inter nos) annehmen, das Weltall sei ungeworden und ewig, entsprechend jener Behauptung, die uns die Lehre der hervorragendsten Philosophen (celeberrimorum philosophantium) an die Hand gibt, wie sie von Parmenides, Empedokles, Zenon und Kleanthes und anderen göttlichen Menschen (aliique divi homines), einer geradezu wahrhaften und im eigentlichen Sinn heiligen Versammlung (sacer coetus), niedergeschrieben ist. Nun könnte die Welt doch aus der ungewordenen Materie entstanden sein ...
Philon beruft sich auf die Vorsokratiker Parmenides und Empedokles sowie auf die Stoiker Zenon und Kleanthes und "andere göttliche Menschen" für die von ihm für den Augenblick akzeptierte Ansicht, das Weltall sei ungeworden und ewig. 115 Zweifelsohne steht hier wiederum die eELOS- av8pwTTos-- Terminologie 112 Es wiederholen sich wiederum mehrere Elemente, die sich auch anderenorts gebündelt gefunden haben: die Betonung der Altertümlichkeit, der Wahrheit (ultimo loco in veri investigatione) und die Hervorhebung der eELOt av8pES' (optimi virilultimo loco). 113 Philon wendet sich in seinen Schriften mehrmals gegen die aristotelische Lehre, daß die Welt unentstanden und unvergänglich sei (vgl. Opif 7-11), akzeptiert jedoch, daß die Welt unvergänglich sei (Somn 2,283; Aet 10). Auch die Lehre der Stoiker, daß es ohne Anfang oder Ende mehrere Welten in Folge gebe, verwirft er, vgl. Aet 20-51. V gl. dazu Wolfson, Philo I, S. 295-300. 114 Pro v 48 nach der Übers. v. Früchtel. Auchers lateinische Übersetzung ist bei Holladay, THEIOS ANER, S. 185 abgedruckt. 115 Tatsächlich verbindet die Ansicht, daß Nichts aus Nichts entstehen könne und daß das Universum bzw. das Sein deswegen ungeschaffen und unvergänglich sei, die genannten Personen, vgl. D/K 28 B 8,3-12 (Empedokles); D/K 31 B 7.12 (Parmenides); SVF I 87f.; 11 597.599 . Ferner liegt allen eine Elementenlehre zu Grunde, die die Ewigkeit dieser Elemente betont, vgl. Parmenides D/K 28 A 37; B 10f.; Empedokles D/K 31 B 6f., zur stoischen Elementenlehre SVF II 412ff. Der Hinweis auf "andere göttliche Menschen" schließt mit Sicherheit Platon ein, dessen Handwerkergott im Timaios die Welt aus präexistenter Materie bzw. vier Elementen schafft, vgl. Tim. 53c-56c. Ob Philon diese Ansicht hier nur der Argumenta-
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im Hintergrund, d.h. ein Ausdruck wie ßELOL / ßE(J"TTE(J"LOL dVßpWTTOL. Wiederum beruft sich der Schriftsteller auf die Archegeten einer bestimmten Erkenntnis, in diesem Fall der Erkenntnis, daß die Welt von Gott aus präexistenter Materie geschaffen worden sei. Jene ßELOL / ßE(J"TTE(J"LOL dVßPWTTOL sind die Garanten jenes Wissens, sie seien die hervorragendsten unter den Philosophen gewesen. 116 Wenden wir uns mit diesen Erkenntnissen im Hintergrund jetzt wieder Praem 43 zu, dann kann kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß sich die Bezeichnung ol ßE(J"TTE(J"LOL (av8pE~) dort auf Platon und Aristoteles, ferner auf die Stoiker Zenon, Kleanthes und vielleicht Chrysipp, ja eventuell sogar auf Xenophanes bezieht. Sie waren die Garanten jener Erkenntnisweise, die vom Kosmos auf die Existenz Gottes schließen läßt. Diesem Weg der Erkenntnis der Existenz Gottes stellt Phiion jedoch einen anderen entgegen (43-46): Manche aber besaßen die Fähigkeit, ihn (sc. Gott) aus sich selbst zu begreifen, ohne daß sie irgendwelche anderen Vernunftgründe zu Hilfe zu nehmen brauchten, um zu seinem Anblick zu gelangen: solche müssen in Wahrheit zu den frommen und echten Dienern und Lieblingen Gottes gezählt werden (lv oaloLS' Kal yvryaloLS' fJEpaTTEvTalS' Kal fJEo<jJLAlaLv wS' aAryfJ6]S' avaypa<jJEafJwaav). (44) Zu diesen gehört der Mann, der in chaldäischer Sprache Israel
genannt wird, auf Griechisch der Gott Schauende, nicht welcher Art Gott ist denn das ist, wie gesagt, unmöglich - sondern daß er ist: er hat es nicht von anderen gelernt, auch nicht von den Erscheinungen auf der Erde und am Himmel und nicht von den Dingen, die entweder Elemente oder Zusammensetzungen sterblicher und unsterblicher Natur sind, sondern von Gott allein ward er umbenannt, der ihm auf sein Flehen seine Existenz kundtun wollte. (45) Auf welche Weise aber die Erkenntnis ihm zuteil wurde, kann man an einem Gleichnis sehen. Unsere sichtbare Sonne schauen wir doch durch nichts anderes als die Sonne? Ebenso die Sterne durch nichts anderes als die Sterne? Und wird nicht überhaupt das Licht nur durch das Licht gesehen? Ganz ebenso ist Gott sein eigenes Licht und wird durch sich allein gesehen, ohne daß ein anderer hilft oder helfen kann zur reinen Erkenntnis seines Daseins. (46) Gute Treffer (aToxaaTa{) sind also die Menschen, die sich bemühen, aus der Schöpfung den ungeschaffenen Schöpfer des Alls zu erkennen, sie handeln ähnlich denen, die aus der Zweiheit die Natur der Einheit erforschen, während man umgekehrt von der Einheit - diese ist ja der Anfang - ausgehen müßte, um die Zweiheit zu betrachten; zur Wahrheit aber gelangen nur die Menschen, die die Vorstellung von Gott durch Gott gewinnen, die Vorstellung vom Licht durch das Licht.
tion halber vorläufig teilt (vgl. das interim ponamus inter nos), ist sehr schwer zu entscheiden, wie die divergierenden Forschungsmeinungen darüber zeigen, vgl. Schürer-Vermez, History , S. 885f., dort Anm. 61 die wichtigste Literatur zum Thema. Die Herausgeber entscheiden sich dort für die Koexistenz von Materie und Gott. Wolfson, Philo I, S. 300ff. hat jedoch versucht, anhand von Phi Ions Überarbeitung von Platons Schöpfungsbericht im Timaios (Opif 29 .129f.) zu zeigen, daß Philon Gott auch als Schöpfer der Materie ansieht, der dann aus dieser Materie die Welt schuf. Auch die Bemerkung in Prov 51, daß Gott genau die richtige Quantität Materie für seine Schöpfung bereitgestellt habe, scheint in diese Richtung zu deuten. 116 Richtig bringt Wolfson, Philo II, S. 100f., Anm. 68 die Terminologie mit der Bezeichnung fJElOS' [JAaTwvoder fJElOS' 'ApLaToTEAryS' in Zusammenhang.
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Diese Konstellation findet sich auch an anderer Stelle in Philons Schriften. In All 3,97ff. wird einerseits auf den Vorgang mittels des ontologisch-teleologischen Gottesbeweises hingewiesen, andererseits (All 3,100ff.) wird diesem Erkenntnisweg "eine vollkommenere und reinere Geistesrichtung" entgegengestellt, ein direkter Weg, der einen direkten Blick auf das Ungewordene selbst ermögliche. Eine solche Erkenntnis sei Mose beschert gewesen. 117 Verständlich wird diese Konstellation, in der die philosophische Erkenntnis einer höheren Erkenntnis gegenübergestellt wird, wenn man beachtet, daß PhiIon die Philosophie lediglich als eine Dienerin betrachtet, die der Herrin Weisheit untergeordnet ist,118 wobei die Weisheit für Phiion das jüdische Gesetz iSt. 119 Darum ist der Glaube der rationalen Erkenntnis übergeordnet, denn menschliche Erkenntnis sei grundsätzlich mangelhaft, Glauben sei jedoch das direkte Wissen, das von Gott durch Offenbarung eingegeben wird. 120 Aus diesem Grunde enthält die Schrift eine bessere und sicherere Erkenntnis als die Erkenntnis, die Philosophen durch die Vernunft gewinnen wollen. Deshalb kann Philon sagen, griechische Philosophen und Gesetzgeber hätten von Mose ihre Meinungen und Gesetze übernommen. 12l Weil die Erkenntnis der Erzväter und Moses grundsätzlich von einer anderen Qualität ist als diejenige der großen Philosophen der Vergangenheit, werden nur diese Philosophen in Praem 43 als oi ßEaTTEaLoL (av8pE5") bezeichnet: Die Erzväter übertreffen jedoch wegen ihres direkten Zugang zur Offenbarung sogar jene Archegeten und Garanten philosophischer Erkenntnis. Infolgedessen bezeichnet Philon sie im Unterschied zu den Philosophen als fromme und wahre Diener und Lieblinge Gottes (oaLOL5" Kai YVT]aLOL5" ßEpaTTEVTaL5" Kai ßEocpLA.EaLV). 117 Nach Praem 25f. wird nur wenigen "ein Strahl der Wahrheit ins Herz geschenkt", darunter befinden sich natürlich die Erzväter, die sich der rein unkörperlichen Welt zugewandt und für diese Betrachtungen keinerlei Sinneswerkzeuge in Anspruch genommen hätten. 118 V gl. Congr 79f.: OUTW Kai cpLAoaocp{a 80VA7] aocp{as-, ferner KVpLaI8EparraLv[s-. V gl. Wolfson, Philo I, S. 87-163 ("The handmaid of Scripture"), bes. 145ff., der die problematische Beziehung der Philosophie zur Offenbarung ausführlich behandelt, vgl. auch Ursula Früchtel, Die kosmologischen Vorstellungen bei Phiion von Alexandrien, ALGHJ 2, Leiden 1968, S. 164-171.179-183. Das Prinzip der Erkenntnis durch Offenbarung als die eigentlich wahre Erkenntnis wird von Phiion auf das ganze Volk Israel ausgeweitet, indem er die Bezeichnung für Jakob-Israel als "derjenige, der Gott sieht" für grundsätzlich auch auf Israel zutreffend hält, vgl. dazu Gerhard Delling, The 'One who sees God' in Philo, in Frederick E. Greenspan, Earle Hilgert, Burton L. Mack (Hg.), Nourished wit Peace. Studies in Hellenistic Judaism in Memory of Samuel Sandmel, Chicago 1984, S. 27-41. 119 Vgl. Wolfson, Philo I, S. 20-27. 147ff. 120 Vgl. Wolfson, Philo I, S. 151ff. 121 Vgl. Quaest in Gen 3,5; 4,152; SpecLeg 4,152; Prob 57. Auch als Gesetzgeber überragt Mose alle anderen Gesetzgeber, vgl. VitMos 2,12ff. Vgl. den ersten Satz des Abschnittes: ÖTL 8 aUTOS- TE VOj.108ETWv äPLaTOS- TWV rraVTaxov rraVTWV, wo viele der von Josephus in Contra Apionem verwendeten Argumente schon vorhanden sind. Als göttlich eingegebene Gesetze entsprechen seine Gesetze außerdem jedem Naturgesetz (vgl. Opif 3; VitMos 48; Somn 2,174f.; Migr 128), das die Philosophen durch ihre rationalen Bemühungen zu entdekken versucht haben, und übertreffen insofern die nur von Menschen ersonnenen Gebote bei weitem, vgl. Wolfson, Philo II, S. 189-196.
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14.2.1.2 Die f)c(]"TTEOZOL avöpcs: Archegetenjüdischer Traditionen
Die ßELO:; avOpUJTTo:;-Terminologie wird jedoch von Phiion nicht nur auf die Garanten philosophischer Erkenntnis angewandt, sondern auch als Bezeichnung für Menschen innerhalb der jüdischen Tradition verwendet. Besonders einleuchtend in dieser Hinsicht ist eine Textstelle in der Schrift De migratione, wo Philon auf die allegorische Bedeutung und den Wortsinn der Gebote zu sprechen kommt: 122 Dieser gute Name kommt aber wohl allen zu, die mit den bestehenden Gesetzen zufrieden, nichts an ihnen ändern, sondern achtsam die väterliche Staatsordnung hüten. (89) Es gibt nämlich Leute (Elut yap TlVES-), die in der Annahme, die verkündeten Gesetze seien nur Symbole von Gedachtem (01.' TOUS- P7]TOUS- vOj1ovs- uVj1ßo"Aa V017TWV TTpaYj1aTUJv vTToAaj1ßavovTES-), letzterem (dem Gedachtem) mit höchstem Eifer nachgehen (Ta j1EV ayav r]Kpt ßUJuav) , erstere leichtsinnig vernachlässigen (TWV 8E Pq.ßvj1UJSWAL yc!Jp7]uav); diese muß ich wegen ihrer Leichtfertigkeit tadeln (0 ÜSj1Ej1l/Jalj117V äv tYUJYE TijS- EVXEpElas-). Denn sie hätten an Zwiefaches denken sollen: sowohl das Unsichtbare (den Sinn) recht genau zu erforschen ((7]Tr}UEc!JS- TE TWV aiflavwv aKplßEuTEpaS-), alsdann auch das Offene (den Wortlaut) tadellos zu beachten (Kat Taj1lElas- TWV iflaVEpwv aVETTlA-r]TTTOV). (90) Jetzt leben sie in Wahrheit so, als wären sie in der Einsamkeit für sich, oder als wären sie körperlose Seele geworden, als wüßten sie nichts von Stadt, Dorf, Haus, überhaupt von menschlicher Gesellschaft, sehen über das hinweg, das die Allgemeinheit billigt, und suchen die nackte Wahrheit für sich allein zu erforschen. Sie belehrt die heilige Schrift, auf eine gute Meinung zu achten (ous- 6 lEPOS- "Aoyos- 8l8aUKEl XP17UTijs- VTTOA-rjl/JEUJs- TTEiflpovTlKEval) und nichts von den Satzungen aufzuheben (Kai j1178EV TWV EV TOls tßEUl AVELv), die gottbegnadete, uns überlegene Männer gegeben haben (ä ßEUTTEUlOl Kat j1El(OVS- Gv8pES- ij Ka8 r7j1Iis- Wpluav).
Phiion wendet sich gegen Menschen, die die Gesetze nur noch nach ihrem symbolischen Sinn erforschen wollen, den Wortsinn aber vernachlässigen. Er selbst hält daran fest, daß die Gebote in ihrem wörtlichen Sinn unverändert gültig bleiben und eingehalten werden müssen. 123 Die Gesetze seien von OECJTTECJlOl av8pE:; verordnet worden: es handelt sich offensichtlich um die großen Gesetzgeber Israels, in der ersten Linie um Mose, ferner vielleicht auch um Adam, Noah und Abraham, aber auch um Urheber anderer Gebote, die sich in der Schrift finden. 124 Wenn sich Philon also auf diejenigen Menschen, die für den Wahrheitsgehalt und die Autorität der jüdischen Gesetzgebung bürgen, berufen will, verwendet er eben die OELO:; avOpUJTTo:;-Terminologie, die in seiner Umwelt üblicherweise für die Archegeten und Garanten von Erkenntnistraditionen benutzt wurde. Migr 88-90, Übers. v. Posner. Zu Phiions Verständnis vom Verhältnis der Allegorie zum Wortsinn vgl. Wolfson, Philon I, S. 115-138, zur doppelten Interpretation der Gesetze s. ebd., S.127-131. 124 Zu Recht lehnt Posner (Cohn et al., Werke) in einer Anmerkung Z.St. ab, daß es sich hier um die Urheber der palästinischen Halacha handele. Zu den prämosaischen, bes. den noachitischen Gesetzen vgl. die Ausführungen von Wolfson, Philo II, S. 182-189. 122 123
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Derselbe Sprachgebrauch liegt m.E. in Plant 29 vor, wenn Philon sich dort im Rahmen der allegorischen Erklärung von Gen 9,20 auf den Psalmisten als Zeugen für die Richtigkeit der von ihm vorgetragenen Meinung beruft: 125 Nachdem wir also die wichtigsten Pflanzen im Kosmos betrachtet haben, wollen wir sehen, wie auch im Menschen, der Welt im Kleinen, der allweise Gott die Gewächse schuf. Erstlich nahm er unseren Körper wie ein tiefscholliges Ackerland und schuf ihm als Empfangsorgane die Sinneswerkzeuge; (29) alsdann setzte er in jedes einzelne Organ gleichsam ein edles, höchst nützliches Gewächs ein, das Gehör in das Ohr, das Gesicht in das Auge, in die Nase den Geruch und so die anderen in die angemessenenen, entsprechenden Stellen. Ein Zeuge für meine Worte ist der gottbegeisterte Mann, der in den Psalmen ausgesprochen (/lapTVpEL 8E /lOV TcjJ AOY4J 6 8EarrE()LoS' dv7jp EV V/lVOLS' AEYWV tiJ8E): "Der das Ohr gepflanzt, sollte nicht hören? Der das Auge gebildet, nicht sehen?"
Wie oben in Migr 90 wird der Ausdruck 6 BEO"1TEO"LO:; dvf}p auch hier als Bezeichnung für den Urheber der autoritativen Tradition verwendet. Die eindeutige Weise, in der PhiIon die Terminologie hier oben für die Garanten philosophischer Erkenntnis benutzt hat, deutet darauf hin, daß Philon die Terminologie auch an dieser Stelle in diesem Sinne verwendet, diesmal jedoch für die Garanten jüdischer Tradition. Obwohl Philon das Gesetz und überhaupt die heiligen Schriften für Produkte eines orakulären Geschehens hält,126 ist es m.E. unwahrscheinlich, daß er beim Gebrauch des Ausdrucks ()EO"1TEO"LO:; dvf}p für die Gesetzgeber und Psalmisten beabsichtigt hat, daß die Stammverwandtschaft mit Lexemen wie BEO"1TL(ELV beim Lesen mitschwingen sollte. 127 Es ist im Lichte dieser Texte zu erwägen, ob der Ausdruck 6 BELO:; 1Tpocpf}Tl]:; in VitMos 2,188 nicht auch in diesem technischen Sinn verwendet wird: 128 Wohl weiß ich zwar, daß alles, was in den heiligen Büchern aufgezeichnet ist (öaa EV TaLS' lEpaLS' ßLßAOLS' dvaYEyparrTaL), durch ihn mitgeteilte göttliche Offenbarungen sind (wS' rravT Elat XPTJal10L ... XPTJa8EvTES' 8t' aVTofJ); aber ich will von den ihm besonders eigentümlichen Leistungen (als Prophet) sprechen (AEfw 8E Ta l8LaL TEpa) , nachdem ich nur das folgende vorausgeschickt habe. Die Gottesworte (TWV AOYLWV) wurden teils von Gott selbst (Ta I1EV EK rrpoau5rrov ToD 8EOV) durch Vermittlung des göttlichen Propheten verkündet (AEYETaL 8t' lP/lTJVEWS' ToD 8ELOV rrpoqYr7TOV), teils in Form von Frage und Antwort als Gottes Wille offenbart (Ta 8 EK rrEvaEWS' Kat arroKpLaEWS' E8EarrLafJr}), teils von Mose selbst (Ta 8 EK rrpoau5rrov MwvaEwS')
125 Übers. von Heinemann. 126 Vgl. VitMos 2,188. 127 Abgesehen davon, daß 8EarrEaLoS' im Griechischen normalerweise nicht in der Bedeutung "begeistert" oder "inspiriert" gebraucht und schon gar nicht in diesem Sinne Orakelpropheten beigelegt wird (vgl. die lexikographischen Beobachtungen in Kapitel 2), ist darauf zu achten, daß das Wort 8EarrL(ELV bei Philo nur ausnahmsweise von einem Menschen gebraucht wird (Her 26 von Noah; SpecLeg 1,65 von den kommenden Propheten; YitMos 1,274.277 von Bileam; 2,187 Mose), sonst ist Gott Subjekt des Verbs. In der Schrift Uber den Dekalog kommt das Verb gerade in dem Teil, in dem von den durch Mose vermittelten Gesetzen berichtet wird, überhaupt nicht vor (Dec 50-174); öfters jedoch im Teil, der von Gottes direkter Verkündigung des Dekalogs berichtet. 128 Übers. v. B. Badt.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
im Zustande innerer Begeisterung und Verzückung ausgesprochen (ETTLf)EulaavTo5' Kat Ef aVTou KaTaaXEf)i"vT05').
Es spricht einiges dafür, daß es sich an dieser Stelle tatsächlich um die besagte technische Verwendung der eELO:; aVepUJTTO:;- Terminologie handelt. In diesem zweiten Buch der Schrift De vita Mosis stellt Philon im vierten Teil des Buches Mose als Propheten dar (187-287), nachdem er ihn vorher in seiner Eigenschaft als bester Gesetzgeber (8-65) und Oberpriester (66-186) geschildert hat. Im dritten Teil will Phiion jetzt nach eigenem Bekunden nur auf einen bestimmten Aspekt der prophetischen Leistung Moses eingehen, nämlich auf jene Prophezeiungen, die eher als seine eigenen Leistungen (Ta l8lal TEpa) betrachtet werden können. Was folgt, ist genau das: einerseits Gesetzgebung, die das Produkt einer Art orakulären Gespräches zwischen Mose und Gott war (192-245), andererseits Zukunftsweissagungen Moses, die er in einem Zustande der Begeisterung sprach (246-287). Entscheidend ist, daß diese beiden prophetischen Leistungen durch ihren enthusiatischen Charakter gekennzeichnet sind: Im Falle des Gesprächsorakels befragt Mose Gott in einem Zustand des Inspiriertseins (0 TTpoqY!}TTJ:; lveovalq TTVVeav0f.1Evo:;; VitMos 2,192), auch im Falle der Zukunftsweissagungen tritt die Begeisterung zu Tage (TO Tpl TOV EI80:;, EV iß TO TOU AEYOVTO:; lveoval(J8E:; Ef.1cpa{ VETal; VitMos 2,191 129 ). Außer Betracht bleiben jene prophetischen Offenbarungen (xpTJaf.1o{ / XPTJaeEVTE:;), die die Grundlage für die Heilige Schrift (öaa Iv TaL:; lEpa'i:; ßlßAOl:; avaYEypaTTTal) bilden. Diese Art von Prophetie werde im Gegensatz zu jenen anderen beiden von Gott persönlich verkündet (IK TTpoaoJTTov TOU BEOU) , sie ist ganz und gar Zeichen seiner gnädigen Zuwendung (apETwv eELUJV 8ELYf.1aTa EaTl, Tij:; TE LAEUJ Kat EVEPYETl80:;: 191) und wird durch einen Dolmetscher vermittelt (8l lPf.1TJVEUJ:;: 188; AEYETal (/)aaVEt 81 lPf.1TJVEUJ:;: 191).130 Ziel dieser Art von Prophetie sei es, alle Menschen zum tugendhaften Leben zu führen und insbesondere dem Volk Israel den Weg zur Glückseligkeit zu bahnen. 131 Bekanntlich war besonders die Eudaimonie, die auf der Tugend gründet, das Ideal der griechischen Philosophie - sie war auch das Lebensideal, das man 1
129
1
Vgl. auch VitMos 2,189: ETTLf)EulaavTo5' Kat Ef aVTou KaTaaXEf)i"vT05'; 2,246: KaT'
Evf)ovaLaa/10v.
130 Diese zwei Arten der Prophetie werden von Phiion deutlich getrennt: lp/1TJVE[a 8E Kat rrporpTjTE[a 8Larpi"povaL lautet es in VitMos 2,191. Im nächsten Satz sagt Philon, daß die enthusiatische Weissagung Mose im eigentlichen Sinne des Wortes als Prophet erscheinen läßt: TO Tp[ TOV El805', EV cß TO TOU 'AlYOVT05' Evf)ovau;]8E5' E/1rpa[vETaL, Kaf) Ö /ldALaTa Kat KVp[UJ5' VEVO/lLaTaL rrporpr]T1]5', ebd., zum Schluß. Zu Phiions Prophetieverständnis vgl. Wolfson II, S. 3-54, dort findet sich eine ausgezeichnete Analyse von MosVit 2, 187-192, ebd., S. 33-45, vgl. auch Holladay, THEIOS ANER, S. 160f. 131 Vgl. VitMos. 189: ärraVTa5' /lEv avf)pwrrov5' rrpo5' KaAoKayaf)[av aAE[rpEL, /laAUT Ta 8E TO f)EparrEvTLKOV aVTou yi"V05', cß n]V rrpo5' Ev8aL/lov[av äyovaav avaTE/lVEL 680v. Man beachte die zwei zentralen ethischen Kategorien KaAoKayaf){a i.e. apETr] und Ev8aL/10v[a, die hier formuliert sind.
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nach Phiion anstreben muß und infolgedessen Ziel des Gesetzes und der Schrift schlechthin. 132 In einem solchen Kontext könnte die von Phiion verwendete Bezeichnung (; eElOS' TTpoqYrlTT]S' für Mose tatsächlich im technischen Sinne der (JEt oS' aVepWTTOS'- Terminologie benutzt sein. Mose sei der Dolmetscher Gottes gewesen, der die Worte Gottes, d.h. die gesamte Gesetzestradition, die zur Tugend und Glückseligkeit führt, den Menschen vermittelt habe - er ist eben der Archeget jener Gesetzestradition. 133 Das Adjektiv ßElOS' könnte jedoch auch einfach als relationelles Klassenadjektiv gelesen werden, dann wäre der Ausdruck 8L' ... TOV eELOV TTpoqYrlTOV als "durch den göttlichen Propheten" im Sinne von "durch Gottes Prophet" zu verstehen. 134 Was das Verhältnis zwischen den zwei Objekten (Gott / Prophet) ist, kann nur dem Kontext entnommen werden: es wird mit dem Wort EPIlT]vEVS' angedeutet. 135 Ferner geht aus diesen Beobachtungen nochmals eindeutig hervor, wie gefährlich es ist, EV(JEOS' als Synonym von eElOS' zu betrachten,136 denn an dieser Stelle kann gerade nicht vom Propheten gesagt werden, daß er inspiriert oder begeistert im Sinne von EVßEOS' wäre - er ist es just nicht. 137 Dieser Gebrauch liegt auch im ersten Buch über die Einzelgesetze vor: PhiIon schließt das Buch mit einer Ermahnung ab, fromm und gottesfürchtig zu 132 Praem 11, vgl. Wolfson, Philo II, S. 165-167. Phiions Ethik beruht auf der Annahme, daß der Pentateuch ein offenbartes Gesetzessystem ist, das das Leben der Tugend gemäß ordnen soll und folglich zur Glückseligkeit führt, vgl. ebd., S. 165-199, bes. 196ff. 133 Ähnlich dürfte auch Quaest in Ex 2,54 zu deuten sein, wo in der griechischen Vorlage etwas wie 8ELos-18EaTTEaLos- (?) (Kai) lEpos-löaLOS- (?) Mwvafjs- gestanden haben muß. Im Kontext handelt es sich um die Erklärung von Ex 25,10. Sowohl der Wortsinn als auch die allegorische Bedeutung werden auf Mose zurückgeführt; letztere ist eine kompakte Zusammenfassung des phiionischen Dualismus und seiner ethischen Implikationen. 134 So Wolfson, Philo II, S. 42: " ... 'God spoke in his own person through his interpreter, the divine prophet,' that is, Moses, who was the prophet of God ... ". Holladay, THEIOS ANER, S. 161 neigt dazu, sich in diesem Sinne zu entscheiden und folgt darin Colson (LCL: "with His prophet for interpreter") und R. Arnaldez (BelIes Lettres: "donnee par son prophete"). Sicher darf 8ELOS- hier nicht als adskriptives Klassenadjektiv, d.h. als "göttlich" im Sinne eines göttlichen Wesens, gelesen werden. 135 Wolfson, Philo II, S. 42 formuliert die Beziehung so: " ... Moses, who was the prophet of God and heard directly the 'voice' of God, and was himself the interpreter of that voice". 136 Es sei hier wiederum betont, daß die Bedeutung "inspiriert" nur ein Sonderfall von 8ELOS- in der Funktion eines relationellen Klassenadjektivs subjektiver Art ist. Diese Bedeutung geht allerdings erst aus dem Kontext hervor - oder, wie im vorliegenden Fall, eben nicht. Holladay, THEIOS ANER, S. 161 zieht Ev8EOS- als eine mögliche Bedeutung für 8EL os- an dieser Stelle in Betracht, meldet dann jedoch selbst Bedenken an. 137 Welche Psychologie Philons Vorstellung von der direkten Kommunikation Gottes durch sein Wort (im Gegensatz zu der enthusiatischen Art, die durch den Geist Gottes geschieht) zugrundeliegt, hat Wolfson, Philo II, S. 36-39 aufgrund von Dec 32-35 ausgearbeitet. Das Wort Ev8EOS- ist in Philons Schriften außerdem ein Begriff, mit dem par excellence den Zustand des Inspiriertseins bezeichnet wird, vgl. Her 264; Migr 35.84; Mut 39; Dec 35.175; Conf 59; Prob 80; Her 249; SpecLeg 4,48; Fug 168; Immut. 138; Flacc 169; VitMos 1,175.201.277.288. Zu den Begriffen, die Philon für die enthusiastische Prophetie verwendet, vgl. Wolfson, Philo II, S. 24-26.34.
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leben (299-314). Man solle am "festbegründeten, unveränderlichen und unwandelbaren Guten" festhalten (312) und weder nach einem Sieg über ein fremdes Volk, noch im Falle eines verlorenen Kriegs zur fremden Frömmigkeit abwandern. Gerade der Kriegsverlust dient der Besserung: 138 ... es ist aber auch wohlbegründet, daß sie (sc. Israels siegende Feinde) unverdienten Erfolg haben, nicht etwa um ihretwillen, sondern damit wir (sc. Israel) stärkeren Schmerz und Kummer erfahren, weil wir kein frommes Leben führen, obwohl wir in einer gottgeliebten Gemeinschaft geboren wurden, aufgewachsen sind unter Gesetzen, die zu jeglicher Tugend anleiten und von frühester Jugend in den herrlichsten Dingen bei den ()EaTT-EaLOL äv8pES' ausgebildet ...
Grundlage der Frömmigkeit seien die biblische Staatsverfassung, die Gesetze und jene wunderschönen Lehren der ßEaTTEaLoL av8pES", in denen jeder Jude von Kindesbeinen an unterrichtet wird. Darunter fallen sicherlich auch die von der Schrift umfaßten Lehren. Die ßEaTTEaLoL av8pES" sind die Archegeten jener Erkenntnisse, die zum tugendhaften und frommen Leben führen. Daß Philon diese Verwendung innerhalb der jüdischen Tradition nicht nur auf die Archegeten der Gesetze und der Schriften beschränkt, geht aus dem Gebrauch der Terminologie in SpecLeg 1,8 hervor: 139 (3) ... man sollte, wie billig, erwägen, ... daß viele Gründe sie bestimmen, die Einrichtung ihrer Vorfahren (sc. die Beschneidung) aufrecht zu halten und zu beobachten, vorzüglich aber folgende vier ... (8) Dies sind die Gründe, die uns zu Ohren gekommen sind (TavTa j1EV oOv ElS' aKOaS' 77A()E TaS' 1]/lt TEpaS'); sie sind uns überliefert von gottbegnadeten Forschern der Vergangenheit (apxaLoAoyovj1Eva 1Tapa ()Ea1TEa{oLS' av8paaLv), die Moses' Werk zum Gegenstande der sorgfältigsten Studien gemacht hatten (oi' Ta MUJvaEUJS' ou 1TapEPYUJS' 8LrJPEvV'laav). Mir aber scheint die Beschneidung überdies als Symbol gelten zu müssen für zwei höchst wichtige Gedanken ...
An dieser Stelle führt Phiion die Gründe für die Einrichtung des Beschneidung 140 auf die ihm zu Ohren gekommenen alten Überlieferungen von ßEoTTEaLoL av8pES" zurück, die offensichtlich Autoritäten in der Auslegung mosaischer Gesetze waren (Ol Ta MUJvaEUJS" ou TTapEPYUJS" 8LT]pEvVT]aav). Daß der Ausdruck hier wieder in seiner technischen Funktion als Bezeichnung für die Garanten bestimmter Erkenntnistraditionen, hier der Gesetzesauslegung, verwendet wird, wird sofort einleuchten. Phiion untermauert sein Argument, indem er sich auf die Überlieferungen aus vergangenen Zeiten (dpxaLoAoyovIlEva) bzw. die frühesten Ausleger (in § 6 werden sie explizit als ol TTPWTOL bezeich-
SpecLeg 1,314. Heinemanns Übersetzung leicht geändert. SpecLeg 1,3.8: Übers. v. Heinemann. 140 Beschnitten werde aus Gründen der Hygiene (4), der Reinheitsvorschriften (5), der Fruchtbarkeit (7) und weil die Beschneidung ein Symbol für die Beschneidung des Herzen sei (6). Phiion fügt diesen vier Gründen zwei weitere symbolische hinzu (9-11). Weitere Gründe nennt er in Quaest in Gen 3,47f. 138 139
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nett) beruft - es ist jener apologetische Kontext, der sich als typisch für die ßEL05' avßpUJrro5'- Terminologie herausgestellt hat. Derselbe Gebrauch liegt auch in SpecLeg 3,169-180 vor, wo PhiIon die Vorschrift in Dtn 25,11 f., man solle einer Frau, die in ein Handgemenge zwischen ihrem und einem anderen Mann eingreift und dabei die Geschlechtsteile des anderen Mannes berührt, die Hand abhauen, auslegt. Als Begründung für die Maßnahme wird angeführt, daß die Hand (im Gegensatz zu den Augen, die frei herumschweifen können) dem Willen untertan ist und ein solcher Handgriff also auf den Willen der Frau zurückzuführen sei (177). PhiIon schiebt dieser Deutung jedoch noch eine zweite, allegorische nach (178-180), nach der das Gesetz symbolisch vorschreibe, daß man alle gottlosen Gedanken aus der Seele ausschneiden solle und "nicht (etwa) in dem Sinne, daß der Körper verstümmelt und eines höchst wichtigen Teiles beraubt werden solle" (179).141 Zu dieser symbolischen Deutung leitet er mit folgender Bemerkung über: 142 Dies ist die erste Begründung, die von vielen gegeben zu werden pflegt (if8E I1Ev alTLa fj TTapa TToMoTs ELUJ8E A.EYEa8aL); eine andere aber hörte ich von gottbegnadeten Männern (ETEpav 8E ifKovaa 8EaTTEaLUJv av8pwv), die den größten Teil der Gesetzesbestimmungen als sichtbare Symbole des Verborgenen und ausgesprochene (Andeutungen) des Unausgeprochenen auffassen (Ta TTAELaTa T6]v Iv TOLS" v6110LS" VTTOAal1ßaVOVTUJV ElvaL aVI1ßOAa q;aVEpa aq;avwv Kai PT/Ta apPr7TUJv).
Seine eigene Erklärung, weshalb diese Gesetzesstimmung gültig bleibt, führt PhiIon also auf die Begründung der ßEarrEaLoL aV8pE5' zurück,143 die nach seinen Angaben die meisten Gesetze mittels einen symbolischen Verfahrens erklären. Die ßEarrEaLoL aV8pE5' sind jene Autoritäten, auf die PhiIon sich als Garanten für die Wahrhaftigkeit seiner eigenen allegorischen Auslegungsmethode berufen kann. Auch hier wendet er also die Terminologie in ihrem technischen, titularen Sinn an: jene ßEarrEaLoL aV8pE5' bürgen für die allegorische Auslegungsmethode, die bekanntlich für Phiion von unermeßlichem Wert war.
141 Philon scheint hier mit größer Zurückhaltung am Wortsinn festzuhalten (175-177), weil die biblischen Gesetze für ihn in ihrem Wortsinn immer Geltung haben, vgl. Migr 89ff... (hier oben zitiert), relativiert die harte Maßnahme indes nach Kräften. Dies entspricht einer Außerung in SpecLeg 2,244ff., in der er sich scharf gegen Strafe durch Abtrennung von Körperteilen ausspricht. Auch wenn Phiion den Wortsinn der Gesetze gewahrt haben will, spricht er sich in Det 13 für eine allegorische Erklärung solcher Gesetze aus, die den Leser zwingen würden, etwas Niedriges oder Unwürdiges anzunehmen. Zum Problem des Verhältnisses des Wortsinnes und der symbolischen Bedeutung eines Gebotes vgl. Wolfson, Philo I, S. 127131. 142 SpecLeg 3,178: Übers. v. Heinemann. 143 Ob Philon mit der Formulierung lTEpav 8E ifKovaa 8EaTTEaLUJv av8pwvandeuten will, daß er die 8EaTTEaLoL äv8pES" selbst mit eigenen Ohren gehört habe, oder ob er nur sagen will, er habe die Begründung einiger 8EaTTEaLoL äv8pES" vernommen, ist unklar. V gl. auch Abr. 99, wo Philon sagt, er habe eine Allegorie von cpvaLKwv av8pwv vernommen.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
14.2.2 Der ethische Gebrauch der Terminologie Die verbliebenen Texte, in denen die (JElOS- aVepWTTOS-- Terminologie in Philons Schriften auftritt, lassen sich nicht diesem Muster zuordnen, so daß man dort jeweils eine andere Lösung für das Problem finden muß. Wir untersuchen zunächst zwei Texte aus der Schrift De virtutibus. Im ersten Teil dieser Schrift (1-50) behandelt Philo die Tugend der Tapferkeit. 144 Wahre Tapferkeit zeige sich im Verhalten des Menschen angesichts von Anfechtungen wie Armut, Blindheit und Krankheit. Der tapfere Mensch stelle der Armut den wahren Reichtum der Einsicht des Tugendhaften entgegen,145 er weiß, daß es in Wahrheit keine Armut gibt, denn die Natur stellt ihm einen großen Reichtum bereit, aus dem er seine Grundbedürfnisse befriedigen kann, d.h. Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und Nahrung zum Essen (6-8). Er fährt fort: 146 Wir müssen aber auch von dem edleren (Reichtum) sprechen, der nicht allen (ou 1TGaLv), sondern nur den wahrhaft ehrwürdigen und gottbegnadeten Männern (aAAa TOLs- aA7]eWS- acpvoLs- Kai eca1TcaLoLS- aVBpGaL) zuteil wird. Diesen Reichtum beschert die Weisheit (aocpLa) durch die Grundsätze und Lehren der Logik, Ethik und Physik, aus denen die Tugenden (Tas- apcTGS-) hervorgehen, die der Seele den Hang zu großem Aufwand nehmen und die Liebe zur Einfachheit und Genügsamkeit in ihr erzeugen, wodurch sie Gott ähnlich wird (KaTa TT]V 1TPOS- ecov EeOpOLUJaLV). Denn Gott ist bedürfnislos (EaTL rap 0 PEv ecos- aVc1TLBcrJs-), er braucht nichts (ouBcvos- XpclOS- NV,), sondern ist selbst durchaus genug (auTapKE-aTaTos-). Der Unverständige hat viele Bedürfnisse (0 BE cpavAos- 1ToAvBcrjs-), er dürstet immer nach den Dingen, die nicht da sind, aus unstillbarer und unersättlicher Begierde, die er wie ein Feuer immer wieder anfacht und entzündet und auf alle Dinge, kleine wie große, hinlenkt. Der Weise dagegen braucht wenig (0 BE a1TovBalos- aAL roBcrJs-) , er steht auf der Grenze zwischen unsterblicher und sterblicher Natur (aeaVGTOV Kai eV7]Tfjs- cpvacUJS- pceopLOS-), er hat zwar Bedürfnisse wegen seines sterblichen Leibes (TO PEv E1TLBcES- EXUJv BLa aW/1a fJV7]TOV), braucht aber nicht viel wegen der Seele (TO BE PT] 1ToAvBcEs- Bul lj;vxrjv), die nach Unsterblichkeit strebt. So stellen sie der Armut den Reichtum entgegen (OVTUJs- PEv 1TcVLq. 1TAOVTOV aVTL TGTTOvaLv).
Wie die vielen stoischen Schlagwörter in diesem Text zeigen, stellt Philon den tugendhaften Menschen hier, wie oft in seinen Schriften, mit Hilfe des stoischen Gegensatzes vom Weisen und Toren dar. 147 Die Weisheit beschere einigen
144 Wie aus Virt 51 und dem überlieferten Titel der Schrift zu schließen ist, fehlt wahrscheinlich der Mittelteil, der von der Frömmigkeit gehandelt hat, vgl. Cohns Einführung zu seiner Übersetzung in Cohn et al., Werke; Schürer-Vermes IIII2, S. 850-853. 145 Virt 6: 1Tcv{q. PEv 1TAoVTOV aVTL TGTTOVTcS-, ou TOV TVcpAOV aAAa TOV Dei; KafJop(JvTa. Der "scharfblickende Reichtum" ist ein Platon entnommener Ausdruck für die wahre Tugend, vgl. Abr 25 und Cohns Anmerkung dort. 146 Virt 8-10. 147 Phiion ist, was seine ethische Ansichten angeht, gänzlich im stoischen Ansatz verhaftet, Vgl. Zell er IIII2, S. 446-465, bes. 451ff. Eine Zusammenfassung von Zell er findet man in Schürer-Vermes, S. 886-888. Vgl ferner David Winston, Philo's Ethical Theory, ANRW II, 21,1, S. 372-416. Eine sehr wertvolle Behandlung der phiionischen Ethik, obwohl mit einer
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aAT]ßwS" aef.1VOlS" Kai ßeaTTeaLoLS" av8paaL jene Tugenden (TaS" apeTaS"), die
beim Weisen beinahe völlige Bedürfnislosigkeit (d.h. Reichtum im Überfluß) erzeugen und ihn dadurch gottähnlich machen. Entscheidend für unsere Fragestellung ist zunächst, daß nicht alle Menschen (ou TTdaLv), die gegen die Armut ankämpfen, am erhabenen Reichtum der Bedürfnislosigkeit teilhaben. Dieser Reichtum ist nur wenigen, eben den ßeaTTiaLoL av8peS", vorbehalten. Diese Unterscheidung korrespondiert mit der von Phiion aus der kaiserzeitlichen Stoa übernommenen Unterscheidung zwischen dem Weisen und den Fortschreitenden. 148 Unter denjenigen, die sich um die Tugend bemühen, gibt es danach nur ganz wenige, die die Stufe der vollkommenen Tugend und Weisheit erreichen. 149 Dementsprechend wird einige Zeilen weiter in Virt 10 betont, daß die Zahl dieser Menschen gering sei (OAL roS" 8E TOVTWV apLßf.16S" laTLv), weil die Tugend unter Menschen nicht sehr verbreitet sei (aperT] rap ou TTOAVXOVV lv ßVT]Ttii riveL). Diese Weisen haben das Ziel des menschlichen Strebens erreicht, das Phiion hier mit der platonisch anmutenden Wendung r} TTPOS" ßeOV l'Of.1oLwaLS" bezeichnet. 15o Die Gottähnlichkeit ist jedoch eine ethische (und keine ontische) Qualifikation - wie Gott vollkommen bedürfnislos ist (aVeTTL8er]S", ou8evoS" XpelOS" &v, aVTapKEaTaToS"), so hat der Weise wenig Bedürfnisse (OAL r08er}S"; f.1~ TToAv8eES" 8La l/lvXr}V).151 Philon bezeichnet also im dem vorliegenden Text die vollkommenen Weisen in Gegensatz zu den Fortschreitenden und den Toren mit dem Ausdruck TOlS" aAT]ßwS" aef.1VOlS" Kai ßeaTTeaLoLS" av8paaL. Daß das Lexem ßeaTTiaLoS" kein bemerkenswerten Unterbewertung des stoischen Einflusses, bietet Wolfson, Philon II, S. 165303. 148 Vgl. bes. Mut 19, wo zwischen den Schlechten (ol cjJaVAOL) , den Forschreitenden (ol EV 1TpoKo1TafS' Kai ßcATLcaiaL) und den Weisen (ol äpLaToL Kai TcAcLoTaToL) unterschieden wird. Vgl. ferner All 3,129.141; Gig 60-65. Es gibt jedoch in dieser Angelegenheit auch wesentliche Unterschiede zwischen Philon und Stoikern wie Seneca und Epiktet. Letztere griffen die Vorstellung vom Fortschreitenden gerade auf, um den in weite Ferne gerückten idealen Weisen durch etwas Lebensnahes ersetzen zu können. Philon jedoch hält unbeirrbar am vollkommenen Weisen (und vor allem an seiner geschichtlichen Realisierung!) festdie Fortschreitenden sind für ihn die vielen um die Tugend bemühten Menschen, die offenbar keine Toren bzw. ungläubige und unfromme Menschen sind. 149 All 1,102: a1TavLov EaTL Taya8ov ... BUI TOVTO aocjJov IlEV cvpcfv Eva 1l0VOV tpyov, ferner Gig 2; Mut 213.225. i'The rational state of apatheia characterizing the wise man is envisaged by Philo neither as easily accesible nor as frequently attained", Winston, Ethical Theory, S. 405. 150 V gl. Fug 63, wo er Platon Theaet. 176ab zitiert, dazu Winston, Ethical Theory, S. 398.400f. Die Gleichstellung der platonischen 0lloü.uaLa 8c~ mit dem stoischen Ideal, im Einklang mit der Natur zu leben, vollzog sich in der hellenistischen Zeit, wahrscheinlich bei Poseidonios. 151 Auch in seiner Menschenliebe ähnelt der Weise Gott, vgl. SpecLeg 4,73; Congr 171. An anderen Stellen jedoch bezieht sich die Gottähnlichkeit auf die Apathie des Weisen: da Gott a1Ta8r}S' ist (Opif 8; All 3,2.81.203; Cher 44.46.86 u.ö.), ähnelt der Weise Gott, wenn er sich dem stoischen Ideal der Apathie nähert. Dem stoischen Ideal der Apathie, das nur der Weise erreicht, steht die Metriopathie des Fortschreitenden gegenüber; vgl. All 3,129, wo Mose und Aaron als Weiser und Fortschreitender einander gegenübergestellt werden: MwvoijS' ... ou IlcTpLo1Ta8cLav aUa avvoAwS' a1Ta8cLav aya1Twv.
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adskriptives Klassenadjektiv ist, das die Zugehörigkeit zur Klasse der göttlichen Wesen signifiert, geht eindeutig aus dem ethischen Kontext hervor, ganz abgesehen davon, daß auch die phiionische Ontologie dies nicht erlaubte. Das Wort ist hier eine ethische Qualifikation, so daß der Gebrauch des Lexems an dieser Stelle durch Philon der Verwendung von eElOS' als Qualitätsadjektiv in anderen stoischen Texten entspricht. 152 Allerdings ist zu beachten, daß die Tugend bei Phiion, trotz aller Nähe zu stoischem Gedankengut, etwas entschieden anderes ist als die Tugend nach stoischem Verständnis. Denn dem Stoiker zufolge ist die Tugend ein einfaches Gut, das in der reinen Vernunfterkenntnis des Menschen, daß es keine echten Güter gebe, besteht - eine Erkennnis, die vor falscher Wertschätzung schützt und insofern die Apathie und damit das Glück gewährt. Das ethische Subjekt ist autark. Da der Mensch nach Philons Vertändnis jedoch ein sinnliches Wesen und insofern grundsätzlich fehlbar und in der Sünde verhaftet ist, ist der stoische Weg der' reinen Vernunfterkenntnis abgeschnitten. Daher lehrt Phiion, daß alle Tugend der göttlichen Weisheit, d.h. dem Gesetz Gottes entspringe,153 Gott allein stehe es zu, die Tugenden in die Seele einzupflanzen. 154 Die wahre Tugend besteht also in der Frömmigkeit bzw. in der N achahmung der Gottheit. Deshalb sind die Frömmigkeit (EvalßEla) und die fromme Gottesfurcht (oalOT7]S') die größten Tugenden (j1EyaAal apETaf)155 und werden jeweils als Führerin (ryYEJi-0VLS'; t(apxoS') oder gar als Fürstin (ßaalA[S') aller Tugenden bezeichnet. 156 An die Stelle der Tugend als rationale Vernunfterkenntnis tritt also bei Philon die Frömmigkeit bzw. die Gottesfurcht, so daß die Bezeichnung aEJi-voS' Kat eEaTTEaloS' in Virt 9 sich auf die Frömmigkeit des Tugendhaften bezieht: der erhabene Reichtum bzw. die Bedürfnislosigkeit wird eben nur den bezüglich der Weisheit bzw. Frömmigkeit erhabenen und außergewöhnlichen Menschen gewährt. Auf dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Untersuchung über die Verwendung von der eElOS' av8pUJTToS'- Terminologie als ethisches Qualitätsadjektiv 157 ist es naheliegend, 8EaTTEaloS' an dieser Stelle als "überaus fromm" oder "gottesfürchtig" zu interpretieren. Daß der ethische Gebrauch der 8ElOS' av8pUJTToS'- Terminologie in Phiions Schriften vorliegt, läßt sich eindeutig an einer anderen Aussage Phiions in derselben Schrift nachweisen: 158 152 Vgl. Mark. Aurel. Medit. 7,67; Diog. Laert. 7,119, vgl. die Erörterungen dazu hier oben in Kapitel 5. 153 All 1,63ff., bes. 64: "Die allgemeine Tugend nimmt ihren Ausgangspunkt von Eden, der Weisheit Gottes ... ". Für PhiIon ist die Weisheit jedoch die fromme Erkenntnis, die das Gesetz Gottes gewährt, vgl. dazu Zeller III/2, S. 453-455; Wolfson, Philo I, S. 148f; II, S. 211f. 154 Alll,48f.82; 3,219; Praem 25. 155 Plant 35; Virt 95. 156 Decall19; SpecLeg 4,135.147; Praem 53. Ähnliches wird an anderen Stellen auch von der Gerechtigkeit und dem Glauben gesagt, vgl. Plant 122; Abr 27. Zu diesen führenden Tugenden, die der Weisheit gleichen, vgl. Wolfson, Philo II, 214f.219f-221.277f. 157 Vgl. hier oben Kap. 5. 158 Virt 176f.
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(Es gibt nämlich Güter ersten Ranges und Güter zweiten Ranges:) Güter ersten Ranges (aya()a rrpOT]yovj1Eva) sind, wenn es sich um den Körper handelt, vollkommene Gesundheit, wenn es sich um Schiffe handelt, eine ohne Gefahr vollendete gute Seefahrt, wenn es sich um die Seele handelt, ein Gedächtnis, das nie vergiBt, was im Gedächtnis behalten zu werden verdient. Güter zweiten Ranges (BEvTEpa) sind solche, die in einer Wiederherstellung bestehen (Ta KaT Erravop()waLv aVVLaTaj1Eva): die Genesung von Krankheiten, die glückliche Errettung aus den Gefahren einer Seefahrt, die aus dem Vergessen hervorgehende Wiedererinnerung. Sehr nahe verwandt mit dieser (sc. mit der Wiederherstellung bzw. Erravop()waLs-: lis- a8EArpov Kat aVYYEVEaTaTov) ist die Sinnesänderung (TO j1ETavoELv EaTLv), die nicht zu der ersten und obersten Klasse der Güter gehört (OVK EV Tfj rrpWT7] Kat aVWTaTW TETaYj1EVOV TdfEL TWV aya()wv), sondern zu der nach ihr kommenden, die die zweite Stelle einnimmt (aAX EV Tfj j1ETG. TaVTT]V rpEPOj1EVOV 8EvTEpE'ia). Denn überhaupt nicht zu sündigen kommt nur Gott zu (TO j1Ev yap j1 T]8EV avvoAwsaj1apTE'iv t8LOV ()EOV), vielleicht auch einem gottbegnadeten Manne (Taxa 8E Kai ()E{OV av8pos-) , die Umkehr aber vom Sündigen zu einem sündenfreien Leben (TO 8E GpapTOVTa j1ETaßaAELv rrpos- avvrraLTLov (wr]v) ist die Aufgabe eines verständigen Mannes (rpPOV{j10V) , der sein wahres Heil nicht für immer verkennt (TO aVj1rpEpoV Eis- ärrav OVK ayvor]aavTos-).
Wie hier oben im Forschungsüberblick mehrfach angedeutet, spielte dieser Text in der 8EL05' dvryp-Forschung eine außergewöhnlich bedeutende Rolle als Beleg dafür, daß Philon Mose als 8EL05' dv7jp betrachtet haben soll. Dies ist, wie schon Holladay bemerkt hat,159 insofern sehr merkwürdig, als sich die Bezeichnung ßEL05' dvryp an dieser Stelle gar nicht auf Mose bezieht, sondern auf ·eine Klasse oder Gattung von Menschen - um wen es sich handelt, ist in erster Linie dem Kontext zu entnehmen. Die Umkehr weg von einer sündhaften Existenz entspricht den Gütern zweiten Ranges, die alle auf die Wiederherstellung (ETTavopßUJo'L5') eines verlorenen Zustandes ausgerichtet sind. Denselben Gedanken formuliert Philon auch in Abr 26: Man darf aber nicht unbeachtet lassen, daB die Reue (j1ETavoLa) die zweite Stufe nach der Vollkommenheit bildet (Ta 8EvTEpE'ia rpEpETaL TEAEL oTT] TOS-) , wie nach dem gesunden Körper der Übergang (j1ETaßoAr]) aus einer Krankheit zur Gesundheit. Das in der Tugend Beständige und Vollkommene (TO BL rr VEKES- Kai TEAELOV EV apETaLS-) steht der göttlichen Macht am nächsten, hingegen die mit einem gewissen Zeitpunkt beginnende Besserung (arro TLVOSXpovov ßEATLwaLS-) ist ein besonderer Vorzug einer gut veranlagten Seele, die nicht bei ihren kindlichen Spielen verbleibt, sondern mit reiferen und wirklich mannhaften Gedanken einen ruhigen Gemütszustand zu gewinnen sucht und eifrig nach der Anschauung des Guten strebt.
Auch hier ordnet Philon der Reue den zweiten Rang zu, indem er zwischen demjenigen, der von einem gewissen Zeitpunkt (dem der Umkehr) an anfängt, sich zur Tugend hin zu bessern, und demjenigen, der immer beständig und vollkommen in den Tugenden war, unterscheidet. Es liegt auf der Hand, daß derselbe Vergleich in Virt 176f. vorliegt: Im Gegensatz zur Reue, die auf Wieder159 Holladay, THEIOS ANER, S. 174.176.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
herstellung eines verlorenen Zustandes ausgerichtet ist, steht ein Verhalten, das in seiner Beständigkeit keine Umkehr erfordert. Ein solches sündloses Verhalten sei jedoch nur Gott und vielleicht einem eELO:; dvryp möglich. Der eELO:; dvryp nimmt im Vergleich die Stelle ein, wo in Abr 26 von dem in der Tugend Beständigen und Vollkommenen die Rede ist: er ist offenbar der vollkommene Weise. Wie schon angedeutet, ist das Ziel der vollkommenen Tugend für Philon nur sehr schwer zu erlangen und faktisch nur von ganz wenigen Menschen erreicht worden,160 weil der Weg dorthin schwierig ist. Diesen langen, mühsamen und beschwerlichen Weg zur Tugend schildert Philon oft in seinen Schriften. 161 Es gab aber einige wenige Männer, die von ihrer Naturanlage dazu befähigt die Tugend von Anfang mühelos gefunden haben, wie Noah, Isaak 162 und Mose. Von letzterem heißt es beispielsweise, er habe die Tugend mühelos und leicht erreicht. 163 Auch auf der allegorischen Ebene wird diese Unterscheidung zwischen Menschentypen, die die Tugend gewissermaßen wegen ihrer natürlichen Veranlagung leicht erwerben können und denjenigen, die erst im Folge einer Umkehr und eines Lern- und Übungsprozesses zu der Tugend gelangen, vollzogen: 164 Ganz harmonisch ist aber die Reihenfolge der drei genannten Männer oder Charaktere (ijJvxi7s- TPOTTr;]V): der letzte (Noah) ist der von Anfang an Vollkommene (TEAElOS- OAOKA1]POSapxf]s-); der Entrückte (Enoch) ist der halbfertige Mann, der seine frühere Lebenszeit (ToD ßloD TOV flEV TTPOTEPOV Xpovov) dem Laster (Ti} KaK{q.) und die spätere der Tugend (TOV 8' vaTEpov apETij) widmete, zu der er hinwanderte und übersiedelte; der Hoffende (Enos)
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160 Praem 26. 161 Gig 60-65, Abr 48ff.; Praem 24ff., wo die Erzväter Abraham und Jakob als Allegorien dienen für Seelentypen, die durch Lernen (f1a81]alS-) oder Übung (aaK1]alS-) zur Tugend kommen. 162 Noah: All 3,77; Isaak: A1l3,85ff., vgl. die Aussagen über die zwei Klassen von Weisen in Congr 34-36; Sacr 64.78; Deus 92f.; Migr 167. Undeutlich ist, ob Abraham und Jakob diesen zuzurechnen sind (so Wolfson, Philo I, S. 451, dagegen Winston, Ethical Theory, S. 404). Beachtenswert ist jedoch, daß nach PhiIon die Seelen von Abraham und Jakob sich nach dem Tod zusammen mit den Seelen aller anderen Gerechten, die die Tugend gelernt haben, bei den Engeln im Himmel befinden, vgl. Sacr 5. Isaaks Seele dagegen gehe nach dem Tod in das Reich der Ideen, weil Isaak für würdig befunden worden sei, aus eigener Kraft und mühelos Erkenntnis zu gewinnen, vgl. Sacr. 6f. Auch von Henoch heißt es, seine Seele sei ins Reich der Ideen aufgenommen worden, vgl. Quaest in Gen 1,86. Moses Seele wurde sogar über das Reich der Ideen erhoben, um in der Gegenwart Gottes zu sein, vgl. Sacr 8, dazu Wolfson, Philo I, S. 402-404. Andererseits scheint PhiIon alle großen prämosaischen Figuren für vollkommene Weise zu halten, die die Tugend leicht und mühelos erreicht haben. So sagt er in Abr. 4ff., diese Männer hätten tadellos und sittlich gelebt, die Gesetze seien in ihnen verkörpert gewesen, so daß sie die ungeschriebenen Gesetze leicht und mühelos vollbracht hätten. Man muß m.E. wohl eher damit rechnen, daß Philon alle diese Männer für solche Menschen gehalten hat, die natürlich zur Tugend veranlagt waren. 163 All 3,135 164 Abr 47, vgl. die Ausführungen vorher in Abr 1-46. Vgl. auch Abr 48ff.;..Praem 24ff., vgl. auch Gig 60-65, wo Jakob für das Erreichen der Tugend durch mühselige Ubung, Abraham für das Erwerben der Tugend mittels Belehrung, Isaak jedoch für die angeborene Veran1agung zur Tugend (vgl. bes. Abr 52) steht.
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ist ... der unvollkommene Mann, der zwar stets nach dem Edlen hinstrebt, es aber noch nicht erreichen kann, der den Seefahrern gleicht, die sich beeilen, in den Hafen einzulaufen, aber noch auf dem Meere bleiben müssen, weil sie nicht landen können.
Abgesehen von den Fortschreitenden, die die Tugend noch nicht ergriffen haben, ist hier die Rede von zwei Arten von Menschen, die das Ziel der Tugend erreicht haben, nämlich denjenigen, die nach einer Umkehr die Tugend erworben haben und denjenigen, die von Anfang an immer die Tugend innegehabt haben. Wir haben es also in Virt 176f. mit einer festen Struktur in Philons Denken zu tun, wenn er dort zwischen den Reuigen und anderen Weisen unterscheidet, die nicht der Umkehr bedürfen, die also von Anfang an die Tugend innehaben. Daß Philon sich nicht sicher war, ob diese vollkommene Tugendhaftigkeit einiger Menschen auch impliziert, daß sie tatsächlich nicht sündigen, signalisiert er mit jenem "vielleicht" (Taxa), mit dem er den Teilsatz über den 8ElOS- avryp, der nicht sündige, einleitet. Denn für Philon gehört die Sündhaftigkeit des Menschen zu seinem Wesen: sie hängt mit der Sinnlichkeit, die notwendigerweise fehlerhaft ist, zusammen. 165 Darum kann er sagen, daß "jedem Geborenem, auch wenn er tugendhaft ist (Kav 0"1Tov8alov W, dadurch daß er zu Geburt gekommen ist, das Sündigen angeboren ist (O"VllcpvES- TO allapTavELv lO"TLV)".166 Kein Mensch durchlaufe aus eigener Kraft das ganze Leben von Geburt zum Tod ohne Fehltritt, sondern jeder begehe bald freiwillige, unfreiwillige Fehltritte. 167 Manchmal jedoch macht Philon trotzdem Aussagen, die auf die Möglichkeit eines schuldfreien Lebens deuten könnten: so hätten die Erzväter wie auch Mose tadellos gelebt (avE1TLAry1TTWS-),168 In einer Allegorie von Lev 3,19 heißt es, daß der Weise (0 O"ocp6s-) seine ganze Seele opfert, die würdig sei, Gott dargebracht zu werden, weil sie frei sei von jeder freiwilligen und unfreiwilligen Sünde (8La TO 1lT]8EVa EXELV Ilry8' EKOVO"LOV IlryT' aKovO"LoV IlWIlOV).169 Phiion scheint sich also, obwohl sein System dafür keinen Raum läßt, nicht ganz sicher gewesen zu sein, ob jene außergewöhnlich tüchtigen Menschen, die von Anfang ihres Lebens an über die Tugend verfügten, nicht vielleicht doch fehlerfrei lebten. 170 Es bleibt noch die Frage, warum hier gerade die Bezeichnung ßElOS- aVr7P verwendet wird. Fest steht, daß es an dieser Stelle um jene Klasse von Weisen Vgl. Zeller IIII2, S. 446-451. VitMos 2,147, vgl. SpecLeg 1,252: " ... auch der Vollkommene (0 TEAELOS-) kann als geschaffenes Wesen der Sünde nicht entgehen". 167 Immut 75, man beachte aber jene Einschränkung EavTof), "aus eigener Kraft". Gesteht Phi Ion zu, daß es aus Gottes Gnade möglich wäre? Ferner Mut 47-51, Sacr. 15. Vgl. zum Thema Zeller IIII2, S. 450-451 und Holladay, THEIOS ANER, S. 176 für weitere Hinweise zur Sündhaftigkeit des Menschen. 168 Abr 4; VitMos 2,1. Nach Abr 6 taten sie willentlich nichts Schuldhaftes. 169 All 3,141. 170 Wolfson, Philo I, 450f. sieht die Möglichkeit, daß Philon eine solche Fehlerfreiheit für möglich gehalten hat. Zeller III/2, S. 450, Anm. 1 dagegen sieht in Virt 177 einfach eine Inkonsistenz seitens PhiIons. 165 166
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Teil IV: Applikation und Interpretation
geht, die von ihrem Lebensanfang an mit der Fähigkeit, ein tugendhaftes Leben zu führen, handeln - nach PhiIons Verständnis der Tugend geht es also um außergewöhnlich fromme und gottesfürchtige Menschen. Deshalb verwundert es nicht, wenn er Mose häufig als 0 LEpwTaTos bezeichnet,171 an einer Stelle gar als 0 o(J'LWTaTo:; TCJV TTWTTOTE YEvoIlEVCJv.172 f\uch Noah und dem Erzvater Jakob wird das Lexem o(J"LwTaTo:; beigelegt. 173 Ferner werden Jakob und' Mose gelegentlich als 8EOcpLAE(J"TaTo:; bezeichnet. 174 Die Erzväter heißen auch CPLA08EOL Kai 8EOCPLAEL:;,175 auch Mose sei CPLAOßEO:; TE Kai 8EOCPLAf}:;.176 Wir haben schon nachgewiesen, daß all diese Wörter einem Wortfeld angehören, zu dem auch das Qualitätsadjektiv ßELO:; zählt. 177 Dort haben wir nachgewiesen, daß 8ELO:; als eine gesteigerte Form von Lexemen wie Ö(J"LO:; und ßEOcpLAf}:; in der Bedeutung "zutiefst fromm" bzw. "überaus gottgefällig" verwendet wird. Wenn jener Weise, der von Anfang an ein tugendhaftes und gottgefälliges Leben führte, das keine Umkehr zur Tugend erfordert, als 8EL 0:; avf}p bezeichnet wird, ist es naheliegend, daß 8ELO:; hier im Sinne von "überaus / in höchstem Maße fromm" verwendet wird. 178 Damit ist ausgeschlossen, daß diese Textstelle verwendet werden kann, um die Existenz einer ßELO:; avf}p- Vorstellung bei Philon zu belegen. Dagegen spricht nicht nur die Tatsache, daß Philons Denksystem die Vergöttlichung eines Menschen verbietet,179 sondern vor allem, daß die in der Kaiserzeit gebräuchliche Verwendung von 8ELO:; als Qualitätsadjektiv mit der Bedeutung "überaus / in höchstem Maße fromm" hier dem Kontext genaustens entspricht.
14.3 Die eElO~ aVepUJTTOS-- Terminologie in den Schriften des Flavius Josephus In den Schriften des Flavius Josephus 180 begegnet die 8ELO:; av8pUJTTo:;- Terminologie nur selten. 181 Die Forschungsgeschichte zeigt jedoch einen allgemeinen 171 Vgl. All 3,185; Cher45; Det 135; Gig 67; Immut 140; Virt 175 u.ö. 172 VitMos 2,192. 173 Virt 201; Jos 96. 174 Vgl. Jos 167.200 (Jakob); VitMos 41; SpecLeg 1,41 (Mose). 175 Abr 50. In Praem 24 wird die Trias als oautJTEpa KaL 8EorpLAEaTEpa bezeichnet, in Praem 43 werden jene, die ohne Vernunftgründe zur Erkenntnis der Existenz Gottes kommen, unter ihnen Jakob, öaLoL KaL yvryaLoL 8EpaTTEvTaL KaL 8EOrpLAELS" genannt. Zu dem Wortfeld bei Phiion vgl. Dirlmeier, BE04>IAIA - 4>IAOBEIA, S. 190f., Anm. 37. 176 VitMos 2,67. 177 Vgl. hier oben Kap. 5. 178 Holladay, THEIOS ANER, S. 194f. hat auf den Versuch, die Bedeutung des Ausdrucks an dieser Stelle präzise zu bestimmen, verzichtet. 179 Vgl. Holladay, THEIOS ANER, S. 196-198. 180 Textausgabe von Benedikt Niese (Hg.), Flavii Iosephi opera, Bd. 1-7, Berlin 1885-90 (Nachdruck 1955). Deutsche Übersetzung von Heinrich Clementz, Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Geschichte des jüdischen Krieges. Kleinere Schriftel)" Bd. 1-4, Wien 1899 (Nachdruck Darmstadt/Köln 1960/67). Textausgabe mit englischer Ubersetzung von
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Konsens, daß das ßELOS" dvrjp- Konzept vom hellenistischen Judentum und so auch von J osephus als Interpretationsmuster für die großen Männer der Geschichte Israels übernommen worden sei und daß der Terminus ßELOS" dvrjp dieses Konzept denotiere. Um das zu belegen, wird ausnahmslos auf J osephus' Verwendung des Ausdrucks in Ant 3,180, gelegentlich auch auf andere Textstellen verwiesen. Im folgenden wollen wir diese Annahme auf dem Hintergrund der in der vorliegenden Untersuchung für den Sprachgebrauch der Kaiserzeit erzielten Ergebnisse überprüfen. 182
14.3.1 Die göttlichen Propheten
Bevor wir uns mit Ant 3,180 beschäftigen, wenden wir uns zwei Stellen zu, in denen das Lexem ßELOS" den Propheten Jadon (Ant 8,243) und Jesaja (Ant 10,35) beigelegt wurde. Zunächst Ant 10,35: Dieser Prophet (sc. Jesaja), der bekanntlich ein göttlicher und außergewöhnlich wahrheitsliebender (Prophet) war (wv 8' OUTOS; 0 TTpoq>r]TT]S; 8clOS; OJiOAoYOVJiEVWS; Kat 8aVJiaaLOS; n]V aAr]8cLav), schrieb in der Überzeugung, überhaupt nichts Unwahres zu sagen, alles, was er prophezeite, in Büchern auf und hinterließ sie, damit sie bei ihrem Eintreffen von späteren Generationen erkannt würden. Nicht nur dieser Prophet jedoch, sondern der Zahl nach noch zwölf andere taten dasselbe. Und wann auch immer bei uns etwas Böses passiert, ereignet es sich gemäß der Prophetie jener Propheten. Ich werde aber später über jeden von diesen berichten.
Windisch hat die Verwendung von ßELOS" als Bezeichnung für Jesaja an dieser Stelle auf dem Hintergrund der aus dem Hellenismus übernommenen ßELOS" dvryp-Vorstellung erklären wollen: er betrachtete ßELOS" also als Klassenadjektiv. Er verschließt dabei jedoch den Blick vor der großen Bandbreite von Bedeutun-
Henry St. 1. Thackeray, Ralph Marcus, Allen Wikgren, Louis H. Feldman, Josephus in Nine Volumes, LCL, Cambridge (Mass.)/London 1926-1963. 181 Das Lexem 8clOS; wird Mose (Ap 1,279; Ant 3,180), einem Propheten Jadon (Ant 8,243), Jesaja (10,35) und Augustus(Ant 19,289) beigelegt; 8aLJiovLoS; und 8caTTEaLos; kommen als Attribute für Menschen nicht vor. Holladay, THEIOS ANER, S. 62-65 zeigt, daß J osephus die Lexeme überhaupt selten mit Handlungen (z.B. TTaTEpwv tpya 8aLJioVLa Bell 5,377), Aktivitäten (8cLa TTpoyvwaLS; Ant 8,234) und anderen Aspekten (8cLa Jiopcprj) von Menschen in Verbindung bringt. Für unsere weitere Untersuchung scheidet die Stelle Ant 19,289 aus: Dort wird in einem von Josephus zitierten Edikt des Claudius mit der Phrase lTTt ToD 8clOV hcßaaToD auf die Regierungszeit des Augustus Bezug genommen - sie ist auf dem Hintergrund der Terminologie des Kaiserkults zu verstehen. 182 Holladay, THEIOS ANER, S. 47-102 hat bestritten, daß der Ausdruck 8clOS; aVr]p in Ant 3,180 das Konzept denotiert. Den Ergebnissen der Studie Holladays ist im großen und ganzen zuzustimmen, wenn auch, wie noch zu zeigen ist, mit einigen Modifikationen. Holladay geht in seiner Untersuchung nur auf den Ausdruck 8clOS; aVr]p bzw. Ant 3,180 ein, untersucht jedoch die anderen schon genannten Stellen, in denen die 8clOS; av8pwTToS;-Terminologie auftritt, nicht eingehend.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
gen, die dieses polyseme Lexem denotieren kann.l 83 Es gibt keinerlei Grund, eine dieser Möglichkeiten von vornherein auszublenden - in jedem Fall ist die tatsächlich vorliegende Bedeutung nur aus dem Kontext zu ermitteln. Die These, ßELOS" werde hier verwendet, um eine Teilhabe Jesajas am Göttlichen zu signalisieren, würde auf dem Hintergrund des strikten jüdischen Monotheismus überhaupt eine erhebliche Modifikation des jüdischen Gottesverständnisses voraussetzen. Eine solche Voraussetzung wäre im Lichte der spärlichen hellenistischjüdischen Traditionen über Jesaja (nicht zuletzt bei Josephus selbst) kaum überprüfbar, so daß man in dem Fall eine wesentlich kompliziertere Hypothese aufstellen muß, um einen mit leichteren Mitteln zu erklärenden Sachverhalt zu erhellen. 184 Ungleich einfacher ist es, hier zwar mit ßELOS" als einem Klassenadjektiv zu rechnen, jedoch mit einem Klassenadjektiv relationeller Art. 185 Dann besagt der Ausdruck, daß der Prophet ein von Gott gesandter Prophet sei, was dann auch tatsächlich ein Thema im unmittelbaren Kontext ist. Denn in Ant 10,28 fordert Hiskia Jesaja mißtrauisch auf, ein Wunder zu verrichten, damit er ihm glauben kann, daß Jesaja, von Gott her kommend, die Prophezeiung, der König werde bald wieder gesund sein, gesprochen hatte ( ... aTrLaT6]v a7]J1ELOV TL TEpaaTLOV 1ftov rroLijaaL Tav 1!aatav, Lva aVTrjJ rrLaTEvav ;\.ErOVTL iaVTa fjKoVTL rrapa TOV ßEOV). In Ant 10,33 rechtfertigt er seine Prophezeiung von Judas Fall mit dem Hinweis, Gott habe ihm dies vorausgesagt (TavTa rap rrpoAtYELV Tav ßEOV). Auch in Ant 10,12 ermutigt er den König, nachdem 183 Es wurde schon in der semantischen Einleitung darauf verwiesen, daß die Lexeme 8ELOS-, 8al/16vloS- und 8EaTTEa{os- als Klassenadjektive adskriptiver oder relationeller Art auftreten können. Bei relationellen Klassenadjektiven ist zwischen aktiven und passiven Relationen zu unterscheiden. Bei aktiven Relationen könnte die Handlung von der denotierten Gottheit ausgehen (aktive Relation subjektiver Art) oder auf sie ausgerichtet sein (aktive Relation objektiver Art). Ferner rechnet die lexikographische Tradition damit, daß sie als Qualitätsadjektive mit der Bedeutung "außergewöhnlich", "bewundernswert" (also als Synonym von 8av/1aalos-18av/1aaTos-) auftreten können. Aus dieser Studie geht ferner hervor, daß sie als Prädikate für Menschen die Bedeutung "sehr fromm/gottesfürchtig" (sinnverwandt mit öalos- usw.) haben können, ferner in festen, institutionalisierten Ausdrücken gewissermaßen als "titulare" Bezeichnung für den Garanten einer Erkenntnistradition auftreten können. 184 Eine solche Interpretation wäre eben nur innerhalb einer metaphysischen Gesamtkonzeption (wie z.B. der von Dieter Georgi konstruierten Metaphysik oder der Konzeption Tiedes vom göttlichen Weisen) plausibel - eine solche Metaphysik, das können wir an dieser Stelle schon vorausschik-ken, ist jedoch für Josephus nicht nachweisbar. Holladay, THEIOS ANER, S. 64 weist ferner darauf hin, daß Josephus eher das Lexem 8al/1ovloS- als Antonym von dv8pWTTlVOS- (vgl. Bell 6,429) verwendet, was darauf hindeuten dürfte, daß man bei der Verwendung von 8ELOS- mit seinen anderen Bedeutungen rechnen sollte. 185 Es wäre grundsätzlich möglich, 8ELOS- hier einfach als Qualitätsadjektiv (= 8aV/1aalOSoder öalos-) zu betrachten: gegen die Bedeutung "außergewöhnlich" spräche jedoch das gleich nachfolgende 8aV/1aalos- TryV a).rj8Elav, denn das wäre unnötig tautologisch. Daß Josephus den Propheten für außergewöhnlich gottesfürchtig gehalten hat, darf man wohl voraussetzen, scheint mir jedoch vom Kontext her nicht das unmittelbare Interesse an dieser Stelle zu sein. Man könnte ferner anläßlich der Betonung von Jesaias wahrheitsgemäßer Prophetie und seiner Stellung als eines der dreizehn Schriftpropheten (vgl. Ap 1,38-42 und Clementz' Anmerkung z. St.) auch erwägen, ob Josephus ihn hier nicht als 8ELOS- dvryp im Sinne des Garanten der Tradition bezeichnet - doch m.E. ist auch dies nicht das zentrale Interesse an dieser Stelle.
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Gott ihm geweissagt hat (xpT)llaTLaavToS" aVTciJ TOV eEOV). Im Kontext geht es immer darum, daß J esaia der Prophet Gottes ist, daß er im Auftrag Gottes handelt. Aus diesem Grund lautet es m.E. auch abschließend in Ant 10,35, daß dieser Prophet ein eELOS" 0IlOAOyoVIlEVUJS" Kai 8avIldaLos T7}V dAr]eELav [1TPOrpr]TT)S], d.h. daß er bekanntlich ein göttlicher bzw. ein von Gott ausgegangener und in Sachen der Wahrheit außergewöhnlicher Prophet gewesen sei. 186 Ähnlich verhält es sich in Ant 8,243f., wenn Jerobeam in einem Gespräch mit einem falschen Propheten den Propheten J adon als eEL oS" 1TPOrpr] TT)S bezeichnet: 187 Er begab sich, boshaft und gottlos wie er war, zu Jeroboam und sprach zu ihm: "Wie konntest du dich durch die Worte jenes Toren (uTra T{JV ToD avor}rov AOYWV) so verwirren lassen?" Als der König (sc. Jerobeam) ihm darauf erzählte, was mit dem Altar und mit seiner Hand sich ereignet habe, und den J adon einen wahrhaft grossen und göttlichen Propheten nannte (6 ßaaLAc-vS' 8c-LOV aA1J86JS' Kal TrpocjJryT1JV äpLaTov aTrOKaA{Jv,), fing er in verschmitzter und boshafter Weise an, diese Meinung zu erschüttern und die Wahrheit des Geschehenen durch Zweifel herabzusetzen ... Dann verkündigte er ihm, wie den Verkündiger dieser angeblichen Wunderzeichen ein Löwe zerrissen habe. Das beweise doch, daß er kein wirklicher Prophet gewesen sei.
Im Kontext handelt es sich um die Glaubwürdigkeit des Propheten Jadon. Der Einschätzung des Königs, er sei eELOS" aAT)8wS" Kai 1TPOrpr}TT)S" apLaTos gewesen, stellt der falsche Prophet seinen Tod entgegen. J erobeam greift auf die Erzählung in Ant 8,230-234 zurück,188 wo er erkannte, daß der Prophet über wahre und göttliche Vorkenntnis verfüge (j1aewv 8E dAT)efj TOV aVepUJ1TOV Kai eELav ExovTa 1TpoyvUJaLv). Der Erzähler berichtet vorher, daß Jadon aus Jerusalem von Gott geschickt wurde (TOV eEOV 1TEIli/JavToS": 8,231) - auch der falsche Prophet beruft sich darauf, von Gott geschickt zu sein (Kai 1TdpELIlL VVV ud aVTov 1TEllrpeELs: 8,239). Auch hier ist also damit zu rechnen, daß eELOS als relationelles Klassenadjektiv auftritt: Jerobeam erkennt an, daß Jadon wahrlich ein von Gott geschickter und vortrefflicher Prophet sei (eELOS dAT)eiJs Kai 1TPOrpr]TT)S" apLaTos). Es wäre unnötig kompliziert, das Lexem hier mit meta-
186 Clementz übersetzt 8c-LOS' ebenfalls als relatione1les Klassenadjektiv: "der ... von Gottes Geist erfüllt ... war". Auch Holladay, THEIOS ANER, S. 63, vgl. Anm. 106 sagt, 8c-LOS' rücke im Zusammenhang mit prophetischer Aktivität in die Nähe von Ev8c-oS'. Es sei jedoch zu beachten, daß sowohl im vorliegenden Kontext wie auch in den entsprechenden biblischen Texten (4Reg 19f.; 2Chr 32,24-26; Jes 38,1-8) nirgends explizit auf die Inspiration Jesaias durch den Geist Gottes Bezug genommen wird, so daß man die mit 8c-LOS' bezeichnete Relation des Propheten zu Gott nicht auf die Inspiration beschränken sollte. 187 Übersetzung von Clementz. Die in 3Reg 12,28-13,32 vorliegende Erzählung ist in Ant 8,230-245 stark ausgebaut. Im biblischen Bericht wird der Name des unbekannten Mannes Gottes aus Juda nicht erwähnt. 188 Dort wird berichtet, wie Jadon prophezeit, daß Josias später auf dem Altar Jerobeams falsche Priester und die Gebeine der Volksverführer verbrennen werde, und als Zeichen für die Wahrhaftigkeit seiner Prophetie voraussagt, daß der Altar in sich zusammenfallen werde. Die gegen den Propheten Gottes erhobene Hand des Königs erlahmte und wurde erst auf Bitte des Propheten hin von Gott geheilt.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
physischen Konnotationen über die Teilhabe des Propheten an Gott zu überfrachten. 189
14.3.2 Mose als flcfos dMjp
Wie aus der obigen Forschungsübersicht hervorgeht, spielte Ant 3,180 wie keine andere Textstelle in der hellenistisch-jüdischen Literatur eine zentrale Rolle in den Bemühungen derjenigen, die den Nachweis dafür zu erbringen versuchten, daß das hellenistische Judentum seine nationalen Helden, insbesondere Mose, mittels der ßcL05" avryp- Vorstellung seiner griechischsprachigen Umwelt neuinterpretiert und ins Göttliche gesteigert habe. Ausnahmslos geht man davon aus, daß Mose hier im Sinne der von Bieler und Windisch ausgearbeiteten Vorstellung des göttlichen Menschen als ßcL05" dvryp bezeichnet werde.
14.3.2.1 Contra Apionem 1,279
Bevor wir jedoch den Text Ant 3,180ff. analysieren, wollen wir uns zunächst einem Text in Josephus' Streitschrift gegen Apion JJcpi apxaLOTT}T05" 1ov8aLUJv (Ap 1,279) zuwenden, weil Mose auch dort das Adjektiv ßcL05" beigelegt wird: 190 Übrigens will)ch ihn (sc. Manetho) bezüglich Mose widersprechen. Einerseits halten die Agypter diesen Mann für einen bewundernswerten und gottgesandten Mann (TOVTOV BE TOV äv8pa eavllaaTov IlEv Al YV1TTlOl Kat ()ElOV VOIl{(oval), andererseits wollen sie ihn aber sich selbst aneignen (ßov)..ovTal 8E 1Tpoa1TolElv aVTolS-), indem sie die unglaubliche Verleumdung ausstreuen, er sei ein Priester aus Heliopolis gewesen und wegen seines Aussatzes vertrieben worden, während doch aus den Urkunden hervorgeht, daß er fünfhundertundachtzehn Jahre früher gelebt und unsere Väter in das jetzt von ihnen bewohnte Land geführt hat.
Josephus stellt hier zwei Auffassungen der Ägypter von Mose einander gegenüber. Einerseits hätten die Ägypter ihn für einen dvTjp ßavllaaT05" Kai ßcL05" gehalten, andererseits für einen aussätzigen heliopolitanischen Priester, also einen Ägypter, der aus dem Land vertrieben worden sei. Den zuletzt genannten verleumderischen Gesichtspunkt der Ägypter 191 über Mose hat Josephus gerade 189 Wie oben wäre es an dieser Stelle grundsätzlich möglich, ()ElOS- als Qualitätsadjektiv ("gottesfürchtig" / "fromm") zu verstehen, aber hier wie dort ist der Fokus im unmittelbaren Kontext ein anderer, so daß die Interpretation als relationelles Klassenadjektiv jener Alternati ve vorzuziehen ist. 190 Übersetzung von Clementz, leicht überarbeitet. 191 Auch an anderer Stelle wirft Josephus pauschal den Ägyptern Verleumdung der Juden vor; vgl. Ap 1,223-226, bes. Ap 1,223: TCJV BE ElS- rJIlGS- ß)..aaCP7JlllCJv ijpfavTo I1 EV Alyv1TTlol.
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vorher ausführlich aus einer Schrift des ägyptischen Schriftstellers Manetho zitiert. 192 Um diesen Vorwurf zu entkräften, beruft J osephus sich zum einen auf urkundliche Bezeugung: Die Urkunden bezeugten, beteuert er, daß Mose die Israeliten schon etwa 500 Jahre vorher aus Ägypten geführt habe. 193 Zum anderen zeigt er, daß die angebliche Aussätzigkeit mit Moses eigenen Reinheitsgeboten völlig in Widerspruch stehe. 194 Auf die erste ägyptische Meinung über Mose, er sei ein dvr}p eaVflaaToS" Kai acioS" gewesen, kommt Josephus jedoch nicht wieder zu sprechen, in der ganzen Schrift (sogar im ganzen Schriftkorpus des Josephus) wird eine solche Bewertung von Mose durch die Ägypter mit keinem einzigen Wort erwähnt. Trotzdem sind hier zwei Spuren zu verfolgen, die beide, wie noch zu zeigen ist, zum selben Ziel führen. Der erste Hinweis, dem nachzugehen ist, ist die Tatsache, daß Josephus offenbar behauptet, von zwei sich gegenseitig widersprechenden Mosebildern der Ägypter zu wissen. Es ist das Verdienst J ohn Gagers, nachgewiesen zu haben, welche verschiedenen Bilder von Mose in der Mose-Rezeption der nichtjüdischen Antike vorgeherrscht haben. 195 Dominierend war das Bild von Mose als dem Gesetzgeber und Führer der Juden, das sich dadurch auszeichnet, daß es eine positive und eine negative Ausprägung hatte. 196 Einerseits gab es eine sehr positive Rezeption von Mose als dem großen, altertümlichen und darum hochgeschätzten Gesetzgeber der Juden (Hekataios von Abdera197 , Strabon 198 , Pompeius Trogus 199 ), andererseits eine alexandrinische Tradition, die auf einheimisch-ägyptische Überlieferung zurückgriff und Mose als ägyptischen Priester, der als Aussätziger aus dem Land vertrieben worden sei, darstellte (Manetho, Lysimachos, Chairemon, Apion). Entscheidend für unsere Fragestellung ist jetzt, daß sowohl dem Bericht von Hekataios 20o als auch dem von Strabon201 192 Ap 1,238.250, dort im Rahmen eines Auszugsberichtes 1,227,-252, der die Israeliten als einen Haufen von Aufsatz, Krankheit und Gebrechen befallenen Agyptern darstellt. V gl. zu Mose auch 261.265. Josephus zieht alle Register, diesen Bericht Manethos (vgl. Ap 1,251278, weiterhin in bezug auf Mose selbst 1,281-287) zu entkräften und zwei von Manethos Bericht in einigen Punkten abweichende Varianten des Chairemon (1,288-292) und des Lysimachos (1,304-311) zu widerlegen (jeweils Ap 1,293-303.312-320). 193 Dazu zog er in Ap 1,73-105 ausführlich Manethos Bericht über die Zeit der sogenannten Hyksos heran und identifizierte die Israeliten mit diesen, vgl.ap'-ch Ap 1,230-232.253. Besonders betont er, daß die Vorfahren des jüdischen Volkes keine Agypter waren, sondern aus einer Gegend außerhalb Ägyptens stammten, vgl. Ap 1,104, auch 228.252. In Ant 2,210ff.226 betont er auch Moses gute hebräische Abstammung. 194 Ap 1,281-285; dasselbe Argument liegt in Ant 3,265-268 vor. 195 John Gager, Moses in Graeco-Roman Paganism, SBL.MS 16, New York 1972. 196 Gager, Moses, S. 15-133, bes. 25-63.113-133. Ein zweites, von diesem Bild unabhängiges Mosebild ist das vom Magier Mose, vgl. S. 134-161. 197 Fragmente bei Jacoby, FGrH III B, 264, S.46ff. Es handelt sich um einen bei Photius Bibliotheca 244, col. 380a,7ff. überlieferten, von ihm aus Diodorus Siculus 40,3,1-8 übernommenen Text. 198 Geogr. 16,2,35-39. 199 lustin, Epitoma 36,2,1-16. 200 So übereinstimmend Jacobi, FGH III A, S. 50f.; Werner Jaeger, Greeks and Jews: The First Greek Records of Jewish Religion and Civilization, JR 18, 1938, S. 127-143, dort 139
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Teil IV: Applikation und Interpretation
ägyptische Quellen zugrunde legen. In Ägypten waren also nachweislich während der hellenistischen und frühkaiserzeitlichen Epoche positive Mosebilder im Umlauf. So stellt sich die Frage nach dem Inhalt eines solchen positiven nichtjüdischen Mosebildes. In dieser Hinsicht ist der bei Diodoros überlieferte Bericht von Hekataios sehr aufschlußreich. Im Hekataiosbericht (Diod. Sic. 40,3,lff.) wird Mose als der weise Gesetzgeber (Ta KaTG nJV TTOAL TcLav EVOllo8ETT]ac; VOIlOßETT]S") der Juden dargestellt, der einen Idealstaat nach den Kriterien des platonischen Idealstaats gründet. 202 Mose habe sich im höchsten Grade in vernünftigem Wissen und Tapferkeit ausgezeichnet (cppovr]acL Tc Kai av8pcLg TTOAV 8LacpEpUJv; 40,3,3). Zu Recht macht Gager darauf aufmerksam, daß eine solche Bezeichnung Mose in die Nähe anderer großer ägyptischer Gesetzgeber in den Schriften des Diodorus rückt: so wird beispielsweise Sasychis als einer bezeichnet, der sich in dem vernünftigen Wissen ausgezeichnet habe (8cVTcpOV 8E vOlloßETT]v AlYVTTTLOL cpaaL YcvEa8aL 2JaavXLv, av8pa avvEacL 8LacpEpovTa; 1,94,3).203 Es ist bestimmt kein Zufall, daß der Name Moses gerade an dieser Stelle in eine Reihe mit anderen großen nichtägyptischen Gesetzgebern gestellt wird, die wie der Ägypter Mneues ihre Gesetzgebung auf göttliche Eingebung zurückführen: Minos auf Zeus, Lykurgos auf ApolIon, Zarathrustes auf einen ayaßoS" 8aLIlUJv, Zalmonxis auf Hestia, Mose auf Iao (1,94,lf.).204 Dieses positive Mosebild, das während des Hellenismus und der frühen Kaiserzeit in Ägypten unter Nichtjuund Gager, Moses,,,S. 37. Hekataios war Historiker am Hofe von Ptolemaios I und lebte und arbeitete lange in Agypten. Man muß damit rechnen, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach sein Material aus alexandrinischen Quellen, die auf jüdischer Propaganda fußen, entnommen hatte. 201 Gager, Moses, S. 47. Strabon hat bekanntlich längere Zeit in Ägypten bzw. Alexandrien verbracht, was erklären würde, warum sein Bericht über Mose und die Juden den alexandrinischen Berichten in vielem ähnelt. Gager meint, die Berührungen in Strabons Bericht mit dem Hekataiosbericht seien auf dem Hintergrund jüdischer Propaganda auf der Grundlage des Hekataiosberichtes zu erklären - eine These, die umso plausibler ist, wenn man bedenkt, daß die pseudo-hekatäischen Schriften in Alexandrien entstanden und in Umlauf gewesen sind; vgl. Gager, Moses, S. 47, Anm. 72. Zu Ps-Hekataios vgl. Nikolaus Walter, PseudoHekataios I und II in JSHRZ 1,2, S. 144-160 und R. Doran, Pseudo-Hecataeus in OTP 2, S. 905-919. 202 Vgl. Gager, Moses, S. 26-37; Jaeger, Greeks and Jews, S. 141ff. 203 Vgl. Gager, Moses, S. 29f. Von Bokchoris heißt es, er sei weise gewesen und habe sich in Geschick ausgezeichnet (TETapTov BE VOflO()ETTJI~ q;aai YEvEa()al BOKXOPlV TOV ßaar AEa, aoq;ov Tlva Kai TTavovpy[q. Blaq;EpovTa; 1,94,5); von Mneues, er sei groß in der Seele und sehr freigebig in seinem Leben gewesen (ävBpa Kai Tij l/Ivxfi flEyav Kai T43 ßlep KOlvoTaTov; 1,94,1).
204 Gager, Moses, S. 30f. Ob dieser Bericht bei Diodorus auf Hekataios zurückgeht, mag dahingestellt bleiben. Deutlich ist jedoch die ägyptische Provenienz solcher Traditionen und infolgedessen, daß Mose im ägyptischen Umfeld auch als großer Gesetzgeber q.,er Juden anerkannt war. Über viele Wege könnte Diodorus während seines Aufenthaltes in Agypten dieses positive Mosebild vermittelt bekommen haben. Auf die ägyptische Herkunft der bei Diodorus, Strabon und Pompeius Trogus überlieferten Mosetradition deutet schon die ähnliche Struktur der überlieferten Geschichte hin: "The basic structure of the story, including the central role of Moses, remains the same in both camps, but among the anti-Jewish writers Moses' virtues have turned into vices", Gager, Moses, S. 132.
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den in Umlauf war, war offensichtlich das Ergebnis jüdischer Propaganda205 - es ist das Bild, welches aus den Mosedarstellungen von Eupolemos 2 0 6 , Artapanos 207 und Philon (vgl. VitMos 1,1) hervorgeht. Wie noch zu zeigen ist, ist es auch das Bild, das Josephus in seiner Apologie gegen den Alexandriner Apion von Mose zeichnet. Die Aussage, Mose habe bei den Ägypern als ein dV7}p ()aVj1aaTo~ KaL ()ELO~ gegolten, führt jedoch noch auf eine zweite Spur, der hier nachzugehen ist. In Ap 2,135f. ist von ()avj1aaToL äv8pE~ die Rede: Aber wir hatten keine bewundernswerten Männer hervorgebracht ('AAAd ()avJiaaTOV5' äv8pa5' ou rrapEaXr]KaJiEv), wie z.B. Erfinder gewisser Künste (o[ov TEXVtJV TLVWV EVpETa5') oder Personen, die sich in der Weisheit auszeichneten (f] aoq;Lq. 8Laq;ipoVTa5')." Dann zählt er (sc. Apion) Sokrates, Zenon, Kleanthes und andere solche Personen auf. Dann kommt das erstaunlichste (El Ta TO ()aVJiaauJTaTov) überhaupt: er zählt sich selbst zu den genannten Männern und preist Alexandrien selig, daß es einen solchen Bürger hat. Denn er muß Zeuge in eigener Sache sein, weil alle anderen Menschen ihn für einen üblen Volkshetzer halten, im Handeln und Wandeln verdorben, so daß man sie zu Recht bemitleiden würde, wenn sie sich etwas Großes deswegen einbilden würde. Diejenigen, die in unseren alten Schriften über die Männer, die es bei uns gegeben hatte, lesen, wissen jedoch, daß ihnen keineswegs weniger Ehre als sonst jemandem zukommt (rrEpl 8E TtJV rrap' 11
ryJiLV dv8ptJv YEYOVOTWV OU8EV05' 77TTOV ErraLvov TvyxavELv dtLWV LaaaLv oi TaL5' ryJiETEpaL5' apxaLoAoYLaL5' EVTvyxavOVTE5').
Apion hat den Juden abgesprochen, in den eigenen Reihen sogenannte ()avj1aaTOL äv8pE~ zu haben: es handelt sich dabei um Erfinder gewisser Künste (o[ov TEXVWV TLVltJV EvpETa~) oder um solche Männer, die sich in der Weisheit von anderen Menschen unterschieden haben (aocjJ{g 8LacjJipovTa~208). Gleich nachher weist J osephus darauf hin, daß Apollonios Molon sich wiederum die Beschimpfung erlaubt habe, daß die Juden die ungebildetsten aller Barbaren Gager, Mose, S. 78f. 206 Nach Eupolemos sei Mose der rrptJT05' aoq;o5' gewesen. Als erster (rrptJTov) habe er den Juden Buchstaben gegeben, sie wiederum hätten sie den Phöniziern und sie wiederum den Griechen weitergegeben, ferner habe er als erster den Juden Gesetze gegeben (VOJiOV5' TE rrptJTOV ypaif;aL Mwafjv TOL5' 10v8aLOL5'; Fr. 1 [FGH 3C 723] = Euseb PE 9,25,4; par. Clemens Alex. Strom. 1,153,4). 207 Nach Artapanos (Fr. 3,3f. [PGH 3C 726] = Euseb PE 9,27,4) soll Mose bei den Ägyptern Musaios geheißen haben und der Lehrer von Orpheus gewesen sein, er wird als der Erfinder von vielen technischen Geräten und u.a. auch der Philosophie bezeichnet, d.h. als der Grundleger der ägyptischen Zivilisation dargestellt. V gl. die ausgezeichnete Diskussion bei Holladay, THEIOS ANER, S. 218-229. 208 Vgl. die hier oben genannten Stellen bei Diodorus Siculus 1,94,1.3.5 und 40,3,3. Kann die bis in den Wortlaut hineinreichende Ähnlichkeit Zufall sein? M.E. weist sie auf feste sprachliche Assoziationen hin - wir haben die Umrisse eines semantischen Feldes vor uns. Dafür spricht auch, daß Josephus in Ap 2,25 Apion sarkastisch als ()aVJiaaT05' 'ArrLwv bezeichnet - offensichtlich eine Anspielung auf sein Ansinnen, sich zu den großen Männer der Antike zu zählen, die er als ()avJiaaTol äv8pE5' bezeichnet hatte. In Ap 2,239.242 wird mit den Bezeichnungen oi rrapa TOL5' r'EUrJaLv Errt aoq;Lq. TE()avJiaaJiEVOL und ol q;povr]aEL 8Laq;ipoVTE5' auf jene alten Philosophen verwiesen, die sich kritisch gegen die Göttermythen wandten. 205
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Teil IV: Applikation und Interpretation
seien und deswegen keine für das Leben nützlichen Erfindungen hervorgebracht hätten (AEYEl BE Kat acpVEaTaTOVS- EIval TWV ßapßapUJv Kat Buz TOVTO /1TJBEv Eis- Tav ßfov EUPTJ/1a aVJ.1ßEßAfjaeal J.16vovs-. TaVTa BE 1TavTa Blc AEyxerjaEaeal vOJ.1f(UJ aacpiJs-; Ap 2,148). Josephus weiß genau, was unter solchen Umständen seine Aufgabe als Apologet ist: 209 ... ich möchte vorab darauf hinweisen, daß diejenigen, die zuerst (rrp6JTol) das Verlangen nach einem gesetzlich geordneten Gemeinschaftsleben hegten und demgemäß ein solches einführten (ol TafEUJS' Kai VO/lOV KOlvUJv{aS' lrrl8v/lTJTai YEVO/lEVOl Kai rrp6JTol KaTapfavTES'), zu Recht dafür gelobt werden, daß sie sich in der Gesittung und der natürlichen Tugend auszeichneten (iJ/lEP01TJTl KaL cpvaEUJS' apETij 8lEVEYKELV). Aus diesem Grunde sucht auch jede Gemeinschaft die bei ihr geltenden Gesetze möglichst weit ins Altertum hinaufzurücken (rrpoS' Ta apxalOTaTOV avdYElv), damit es nicht den Anschein erwecke, als habe sie fremde Einrichtungen nachgeahmt ( lva /l1] j1l/lELa8al 80fUJalv ETEPOVS'), sondern damit umgekehrt sie selbst als diejenige gelte, die anderen das Leben auf gesetzlicher Grundlage beigebracht habe (aU' aVToL ToD (fjv VOj1L/lUJS' aUolS' uCPTJyrjaaa8al).
Auf diesem Hintergrund sagt J osephus einige Zeilen weiter: 210 Ich stelle nun die Behauptung auf, daß unser Gesetzgeber alle irgendwo sonst in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter übertrifft (cpTJj1L TOLvvv Tav iJ/lETEPOV VO/108ETTjV T6Jv orrov8TJrroToDv /lVTJ/lOVEVO/lEVUJV VOj1a8ET6Jv rrpoaYElv aPXalOTTjTl). Denn Lykurgos und Solon wie auch der Lokrer Zaleukos und alle anderen bei den Griechen in hoher Bewunderung stehenden Gesetzgeber sind, mit ihm verglichen, offenbar erst von gestern oder vorgestern (lX8ES' 81] Kai rrpt/JTJv wS' rrpaS' EKELVOV rrapaßaAAoj1EVOl cpa{vovTal YEYOVOTES') . ... Unser Gesetzgeber dagegen, der älteste von allen (0 iJ/lETEPOS' VO/108ETTjS' apxaloTaToS' YEYOVuJS') - das gestehen ja selbst diejenigen zu, die sonst nichts Gutes an uns lassen - bewährte sich als der beste Führer und Ratgeber der Massen (aplaTov TOLS' rrA1j8Ealv iJYE/lOva Kai aV/lßovAov) ...
Wie die griechischen Gesetzgeber darauf Anspruch erhoben haben, ihre Gesetze eingegeben bekommen zu haben (V1TOTfeEvTal), z.B. Minos von Apollon und dem delphischen Orakel, so kann auch Mose beanspruchen, in seinen Gesetzen Gottes Willen erfaßt zu haben (EiKoTUJs- EV0J.1l(EV ryYEJ.10Va TE Kat avJ.1ßOVAOV eEav EXElV; Ap 2,160-162). Eine Entscheidung darüber, wer seine Gesetzgebung am besten durchgeführt und in Bezug auf den Gottesglauben das Richtige getroffen habe, gehe jedoch nur aus einem Vergleich der Gesetze her-
Ap 2,151-153. Ap 2,154-156. Vgl. auch 2,14, wo es heißt, Pythagoras habe nur gestern oder vorgestern gelebt, Mose dagegen viele Jahre vorher (OV8E rrEpL JJv8ayopov ... EX8ES' Kai rrpcfr TJv YEYOVOTOS', rrEpL 8E MUJaEUJS' ToaovTtp rrA1j8El rrpoayovToS'), und 1,7, wo Josephus sagt, daß alles bei den Griechen gestern und vorgestern passiert sei, auch die Städtegründungen, die Entdeckung der Künste, die Aufzeichnung der Gesetze und vor allem die Geschichtschreibung. Noch in den letzten Sätzen seiner Schrift betont Josephus diese Priorität: sie seien Importeure der besten Tugenden in andere Völker (rrAELaTUJv ä/la KaULaTUJv iJ/lGS ElaryY77TaS'; 2,293) und er habe bewiesen, ihre erste Entdeckung sei den Juden zuzuschreiben (n]v rrpuJTTjv EÜPTJalV aVT6Jv iJ/lETEpav ovaav ErrE8ELfaj1EV; 2,295). 209
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vor (Ap 2,163).211 Im Gegensatz zu anderen Gesetzgebern habe Mose eine Theokratie begründet. Josephus fährt fort (Ap 2,167f.): Gott selbst stellt er (sc. Mose) als einen Einzigen, als ungeschaffen und in alle Ewigkeit unveränderlich dar; an Schönheit sei er erhaben über jede vergängliche Gestalt, und offenbar werde er uns durch seine Macht, weil wir ihn seinem Wesen nach nicht zu erkennen vermöchten. Daß die weisesten unter den Griechen (ol aoq){JTaToL TTap' ('EAA17aLv) von ihm gelernt haben (E8L8axf3r]aav EKe{VOV) , so über Gott zu denken (TauTa TTePL Beou epPOVeLV), nachdem er schon den Anfang darin gemacht hatte (Tas- apxas- TTapa axoVTOS-) , will ich jetzt nicht weiter erörtern; daß es aber vortreffliche, dem Wesen und der Herrlichkeit Gottes angemessene Gedanken sind, davon legen sie lautes Zeugnis ab. Denn sowohl Pythagoras, als auch Anaxagoras und Platon und die Stoiker, die nach ihm kamen, und beinahe alle anderen haben offenbar so über Gottes Natur gedacht (OVTUJS- epaLvovTaL TTePL Tfjs- TOU Beou epvaeUJS- TTeepPOV17KOTeS-).
Schon früher äußerte Josephus unter Berufung auf Herrnipp die Meinung, griechische Philosophen seien vom Judentum abhängig (Ap 1,162-166):212 So war der Samier Pythagoras, der in grauer Vorzeit lebte (dpXaLos- WV,) und von dem gemeinhin angenommen wird, er habe sich in Weisheit und Frömmigkeit weit vor allen anderen Philosophen ausgezeichnet (aoepLq. 8E KaL Tfi TTePL TO BeLov evaeßelq. TTdvTUJV VTTeLA17JiJiEVOS- 8LeveYKeLv TWV epLAoaoep17aavTUJv), offenbar nicht nur mit unseren Einrichtungen vertraut, son-
dern in sehr vielem ein eifriger Bewunderer dieser (Einrichtungen) .... Dann fügt (Herrnipp ) hinzu: "Dies hat er (Pythagoras) getan und gesagt und dadurch die Lehren der Juden und der Thraker nachgeahmt (Tas- 'Iov8a{UJv KaL 8pq.KWV 8otas- JiLJiOVJievos-) und in seine eigene übersetzt. Mit Recht wird also behauptet, daß jener Mann viel aus den Gesetzen der Juden (TToMa TWV TTapa 10v8aLoLS- VOJiLJiUJV) in seine Philosophie übernommen habe."
J osephus schließt seine Apologie mit dem Hinweis, daß die jüdischen Gesetze sich überall durchgesetzt hätten (Ap 2,280f.284):213 Von uns nun sind die Gesetze auch allen anderen Menschen beigebracht worden (vep' ryJiWV Tc 8L17AEyxB17aav oi VOJiOL KaL TOLS- dAAOLS- äTTaaLV avBpwTToLS-), und immer mehr haben sie sich selbst den Eifer (vor den Gesetzen) eingeflößt. Denn zuerst sind die griechischen Philosophen (oi TTapa TOLS('EM 17 aL epLA oaoepr1aaVTeS-), während sie die heimischen Satzungen dem Anschein nach festhielten, in ihrem Handeln und Philosophieren ihm (EKeLV4J KaTr]KoAovf3r]aav; sc. Mose) gefolgt, denn sie denken ähnlich über Gott und lehrten das einfache Leben und die Gemeinschaft untereinander. Aber nicht nur bei ihnen, sondern auch bei den Massen besteht seit längerer Zeit ein großer Eifer für unsere Frömmigkeit. ... Am meisten freilich muß man sich darüber wundern, daß das Gesetz dies ohne den verlockenden Köder des Genusses lediglich aus eigener Kraft vermocht hat: wie Gott den Kosmos durchdringt, so ist das Gesetz unter allen Menschen fortgeschritten (waTTep 0 Beos- 8La
211 Es folgt eine positive Darstellung der jüdischen Gesetze, vgl. Ap 2,164-235. 212 Vgl. Ap 1,14. Dort betont Josephus die Abhängig~eit der ältesten griechischen Philosophen wie Pherekydes, Pythagoras und Thales von den Agyptern und Chaldäern. Zur weiteren Behauptung der Abhängigkeit Platons von Mose vgl. Ap 2,257 (j1aALaTa 8E JJAaTUJv JieJiLJi17TaL TaV r7JiETepOV VOJiOBETr]V ... ). 213
Ähnlich Philon VitMos 2,19f.
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Teil IV: Applikation und Interpretation TTaVTOS' TOU KOaJ.10V TTErpOL TrJKEV, OVTUJS' 6 vOJ.1oS' 8uz TTavTUJv av8puJTTUJV ßEßa8LKEv).
Der Kreis schließt sich also: Dieses in Contra Apionem vertretene Mosebild deckt sich genau mit jenem positiven nichtjüdischen Mosebild, das als Produkt jüdischer Propaganda im hellenistischen und kaiserzeitlichen Ägypten vorhanden war. Mose wird als eine der großen altertümlichen Gesetzgebergestalten dargestellt, der als Garant aller jüdischen Bräuche gelte oder, in der spezifisch jüdischen Zuspitzung, gar der Entdecker und Garant aller entscheidenden philosophischen Erkenntnisse der hellenistisch-römischen Welt sei. Es ist auf dem Hintergrund der bisher in dieser Studie erzielten Ergebnisse nur konsequent, daraus zu folgern, daß Josephus den Ägyptern in Ap 2,279 dieses Mosebild unterstellt, wenn er sagt, sie hielten ihn für einen dVl}p ßavflaaTo:; KaL ßclO:;. Denn alle Elemente jenes in dieser Studie für die Kaiserzeit erschlossenen semantischen Feldes des ßclO:; dvrjp sind in dieser Schrift vertreten: Mose als Stifter der Erkenntnis, die Betonung seiner Priorität und Altertümlichkeit, ferner die Vollkommenheit seiner Leistung und die konsequente Hervorhebung des ßclO:; dvrjp als desjenigen, der sich unter den Weisesten in Weisheit, Tugend usw. auszeichnet. In Ap 1,279 wird die ßclO:; aV8pUJ7TO:;- Terminologie also in ihrer technischen, titularen Bedeutung eingesetzt, um als Folie zu dienen, auf deren Hintergrund Josephus die Unglaubwürdigkeit jener Ägypter (Apion und seiner Quellen wie Manetho, Apollonios Molon, Poseidonios), die Mose verunglimpfen, herausarbeiten kann. 214 So dient sie auch als proleptischer Hinweis auf das Mosebild, das Josephus erst im zweiten Buch seiner Schrift vollständig schildern wird.
14.3.2.2 Antiquitates 3,180
Wenden wir uns nun jener Stelle zu, die für die eclO:; dvrjp-Forschung von solch zentraler Bedeutung war, nämlich Ant 3,180. Schon die die Untersuchungen Tiedes und Holladays haben gezeigt, daß die Vorstellung des charismatischen bzw. wundertätigen ecLO:; dvrjp der Forschung hier fehl am Platze ist, denn J osephus, der sogar eher die wunderhaften Komponenten der biblischen Mosegeschichte abschwächt, stellt Mose als großen weisen Führer und Ratgeber Israels dar. 215 Tiede hat noch versucht, daran festzuhalten, daß Josephus Mose
214 Der Formulierung von Georgi, Gegner, S. 152, "der entscheidende Trumpf, den man ausspielen konnte, war der Besitz eines 8ElOS' avryp in der eigenen Tradition", ist voll zuzustimmen - wenn man allerdings den Begriff 8ElOS' avryp nicht als Bezeichnung für einen wundertätigen Charismatiker, sondern für einen Archegeten und Garanten der eigenen Erkenntnistradition versteht. 215 Tiede, Charismatic Figure, S. 207-240; Holladay, THEIOS ANER, S. 47-100. Vgl. auch die umfassende Studie von Louis H. Feldman, Josephus' Portrait of Moses, Part I, JQR
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einen göttlichen oder semi-göttlichen Status zuschreibe, obzwar dies nicht mehr aufgrund seiner charismatischen Begabung und Wundertätigkeit geschehen sei, sondern indem er das biblische Mosebild mittels der stoischen Tradition des sogenannten göttlichen Weisen uminterpretiert habe: Der Grund von Moses Göttlichkeit sei seine Tugend. 216 Holladay und neuerdings auch Feldman haben jedoch überzeugend gezeigt, daß bei Josephus keineswegs eine Tendenz besteht, die jüdischen Heroen bzw. Mose in irgendeiner Weise zu vergöttlichen. 217 Holladay hat sich in seiner Monographie besonders der Frage nach der Bedeutung des Ausdrucks ßELOS' dvTjp an jener Stelle (Ant 3,180) gewidmet und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß das Lexem hier nicht eine der sonst üblichen Bedeutungen dieses polysemen Wortes innehabe,218 sondern daß es aufgrund einer eingehenden Kontextanalyse hier als EvaEßrjS' verstanden werden müsse. 219 Holladay verspürte dabei indes ein gewisses Unbehagen mit dieser von ihm für das Lexem (JELOS' postulierten Sonderbedeutung. 220 Dieses Unbehagen dürfte jedoch im Lichte der Ergebnisse der hier vorgelegten Untersuchung unnötig gewesen sein, denn sie hat eindeutig gezeigt, daß (JELOS' in der Kaiserzeit als Qualitätsadektiv gerade die Bedeutung "sehr fromm" / "gottesfürchtig" hatte, d.h. ein Synonym von EvaEßrJS' / öaLoS' war. 221 Zunächst muß also festgehalten werden, daß die bisher erreichten Ergebnisse dieser Studie Holladay den Rücken 82,1991/2, S. 285-328; Part IIIIII, JQR 83, 1992/3, S. 7-50.301-330, dort bes. Part II, S. 8-13; III, S. 301ff. 216 Tiede, Charismatic Figure, S. 229-237, wenn auch sehr zurückhaltend: "He idealizes Moses as a supreme sage who approaches divinity in virtue ... ", ebd., S. 237. Der von Tiede behauptete Hintergrund eines göttlichen Weisen scheitert, wie im vorigen Kapitel gezeigt, schon an den stoischen Quellen selbst, ganz abgesehen davon, daß Tiede nicht nachweist, wie diese angebliche Vergöttlichung mit dem monotheistischen Ausgangspunkt des Josephus zu vereinbaren wäre. 217 Holladay, THEIOS ANER, S. 79-82. "Josephus' willingness to hellenize, ... is matched not by a corresponding willingness to portray Israel's heroes as divine, but by a constant reluctance to do so ... ", ebd., S. 82. Vgl. Feldman, Josephus' Portrait I, S. 322-326: " ... Josephus takes great pains to make sure that he (sc. Moses) would not be worshipped as a god" (322); " ... Josephus was careful to avoid deifying Moses" (325). 218 Holladay geht zu Recht davon aus, daß GEL oS' ein polysemes Wort ist, das nicht einseitig im Rahmen einer dieser Bedeutungen interpretiert werden darf ("The danger of uniformly interpreting a multivalent term by only one of its meanings must be avoided", ebd., S. 66). Aufgrund einer Kontextanalyse hält er es zwar für möglich, letzten Endes jedoch für unzureichend' GELOS' an der Stelle als Qualitätsadjektiv mit der Bedeutung "außergewöhnlich" / "erstaunlich" (= GaV/laaToS') oder als relationelies Klassenadjektiv im Sinne von "durch Gott inspiriert" (= EVGEOS') zu verstehen. Zur Recht urteilt er, daß die Frage, ob GELOS' im Sinne eines Klassenadjektivs adskriptiver Art ("divine in its most literal meaning") gebraucht würde, nur auf dem Hintergrund von Josephus' Anschauungen über die Vergöttlichung von Menschen beantwortet werden kann (ebd., S. 67) und schlußfolgert infolgedessen, daß GELOS' in Ant 3,180 nicht "göttlich" bedeuten könne (ebd., S. 82). 219 Vgl. Holladay, THEIOS ANER, S. 89-101: "The context of Ant 3,180 ... seems to demand that theios aner be taken to mean dVrlP EvaEßr]S', or something similar ... ", ebd., S. 89. 220 Holladay, THEIOS ANER, S. 89: " ... yet, theios is not realy a synonym of EvaEßr7S' ... Even so, this is the most plausible meaning ... " 221 Vgl. Kap. 5 hier oben.
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Teil IV: Applikation und Interpretation
stärken und seine These umso plausibler machen. Trotzdem habe ich Bedenken, ob ßcLOS' dvf]p an dieser Stelle tatsächlich als dvryp cuacßTJS' interpretiert werden sollte, so daß wir uns der Stelle aufs neue zuwenden wollen. Der Text steht im Kontext einer Beschreibung der Ausführung jener Anordnungen Gottes, die Mose von seinen beiden Sinaibesteigungen mitgebracht hatte (Ant 3,102-178.188-294).222 Unmittelbar im Anschluß an eine Beschreibung der darauffolgenden Einrichtung des Stiftzeltes (102ff.) sowie der Kleidung der Priester (151-158) und des Hohenpriesters (159-178) geht Josephus zu folgender apologetischer Anmerkung über (179-180a): Man könnte sich nur wundern über die Feindseligkeit (dTrExOELav), die die Menschen fortwährend gegen uns hegen, weil wir angeblich die Gottheit (Ta OELOV), welche auch sie selbst sich vorgenommen haben zu verehren (ÖTrEP aVTOt OlßELV Trpo7jP77vTaL), gering schätzen würden (EKcpavAL(ovTUJV). Denn wenn man den Aufbau des Stiftszeltes betrachtet und auf die Kleidung des Priesters und die kultischen Geräte schaut (El rap TLS- TfjS- oK77vfjsKaTavoryaELE rr]V rrfj,LV Kat ToD LEPEUJS- [80L rr]v aTOAr,v Ta TE aKEVr,) , wird man finden, daß unser Gesetzgeber ein OElOS- avrjp ist (TOV TE VopoOET77V EupryaEL OELOV äv8pa) und daß wir uns ohne Grund die Verleumdungen durch andere anhören müssen (Kat /laTa{UJS- ryJ1GS UTra TtJv äMUJV TaSßAaa
Josephus wehrt sich gegen den den Juden entgegengebrachten Vorwurf, sie würden der Gottheit nicht die gebührende Ehre erweisen. Es handelt sich dabei nicht generell um die Götter der Völker, sondern um den einen über allem stehenden Gott,223 den auch andere Menschen sich anschickten zu verehren. 224 Auch an anderer Stelle muß Josephus sich gegen diese Behauptung, daß die 222 Die Mose- bzw. Exoduserzählung erstreckt sich von Ant 2,201 bis 4,331. In 3,75-101 werden der Aufstieg Moses auf den Sinai und die Verkündigung der Gebote beschrieben, dann folgt eine Beschreibung der Einrichtung des Stiftszeltes (102ff.), der Kleidung der Priester (151-178), der Einsetzung des Hohenpriesters und der Einweihung des Stiftzeltes (188ff.), ferner der Opferrituale (224ff.), Reinheitsgebote (258ff.) und anderer Gebote (274294). 223 Josephus verwendet Ta OELOV und seine Derivate etwa 120mal in seinen Schriften, und zwar ausnahmslos als Bezeichnung für den einzigen Gott, den Gott Israels. In 3,187 wird TO OELOV im unmittelbaren Zusammenhang wieder aufgenommen, dort offensichtlich als Syn0nym für 6 OEOS- in demselben Satz, wobei es sich dort offensichtlich um den Gott Israels handelt (vgl. den Hinweis auf den auf der Krone des Hohenpriesters inskribierten Gottesnamen). Es handelt sich also in 3,179 um den Gott, dem nach Josephus' Verständnis auch die Juden dienen. Wenn die Gottheiten der Völker gemeint gewesen wären, hätte er (wie sonst üblich) den Plural verwendet. 224 Es gehört zu den festen Überzeugungen des Josephus, daß es nur einen Gott gibt; Vgl. Gerhard Delling, Josephus und die heidnischen Religionen, Klio 43, 1965, S. 263-269 (Nachdruck in ders., Studien, S. 45-52). Darum ist er auch fest davon überzeugt, daß es sich dort, wo man von der einen Gottheit redet, die am Anfang war und tranzendent ist, nur um den Gott Israels handeln kann. Infolgedessen kann Josephus insbrünstig behaupten, die Philosophen (Pythagoras, Platon u.a.) hätten die jüdische Gotteslehre übernommen, Vgl. dazu bes. Ap 2,167f. 280f. Er bezieht sich hier offenbar auf den sich in der Kaiserzeit in allen Schichten der Bevölkerung verbreiteten Glauben, es gebe einen Gott, der über allem throne und alles lenke; vgl. die ausgezeichnete Beschreibung dieses Phänomens durch Nilsson, GgrR II, S. 292-300.569-578.702-711.
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Juden Gott nicht ehren, wie es sich ziemt (flrlTc Tav Bcav cvacßctv flJ:; 7TPOaijKcV) , wenden. 225 In seiner Erwiderung auf diesen Vorwurf macht Josephus die auf den ersten Blick befremdende Aussage, eine genaue Betrachtung von Stiftszelt, Priesterkleidung und kultischen Geräten würde nicht nur diesen Vorwurf der ungenügenden Verehrung der Gottheit entkräften, sondern in der erster Linie zeigen, daß Mose ein Bcto:; aVrlP sei. Zu Recht weist Holladay darauf hin, daß der Argumentationszusammenhang hier nicht unmittelbar einleuchtend sei - warum wird gerade an dieser Stelle das Thema, daß Mose ein Bcto:; avrjp sei, aufgeworfen ?226 Es bedarf m.E. jedoch keiner gewundenen Argumente, daß auch in Ant 3,180 die technische Bedeutung der Bcto:; avBpUJ7To:;- Terminologie im Sinne einer Bezeichnung für den Garanten der Erkenntnis vorliegt. Denn in einer ausführlichen symbolischen Deutung des Stiftzeltes und des hohenpriesterlichen Kleides 227 in Ant 3,180b-183.184-187 führt Josephus ihre Bedeutung als kosmische Symbole,228 die auf den Zusammenhang des Universums referieren (a7ToflLflTJaL:; Kai 8LaTv7TUJaL:; TWV ÖAUJV), auf Mose selbst zurück: 229 Denn, wenn man bereit ist, dies ohne Vorurteil und mit Einsicht zu prüfen, wird man finden, daß jedes einzelne von diesen Dingen zur Abbildung und Darstellung des Weltalls dient: (181) Denn, indem er das dreißig Ellen lange Zelt in drei teilte und zwei Teile allen Priestern widmete, einem öffentlichen und allgemein zugänglichen Ort gleich, wies er auf die Erde und das Meer, denn auch sie sind allen (Menschen) zugänglich. Den dritten Teil wies er jedoch nur Gott zu, weil auch der Himmel den Menschen unzugänglich ist. (182) Indem er zwölf Brote auf den Tisch legte, deutete er an, daß das Jahr in
225 Vgl. Ap 2,125. Generell wurden die Juden für Atheisten (ä8EOL, Apollonios Molon bei Jos. Ap 2,148) bzw. abergläubische Vertreter eines sinnlosen Glaubens (vgl. Horatius Sat. 1,5,100) gehalten, die den Himmel oder die Wolken anbeten (vgl. Hekataios Fr. 1 bei Diodoros 40,3,4; Tacitus, Hist. 5,2ff.; Juvenal 14,97). Ihre eigentümlichen religiösen Bräuche und ihre isolierte Lebensweise lösten in der Antike zumindest Befremden aus, meist jedoch völliges Unverständnis oder blanken Haß; vgl. Isaac Heinemann, Art. Antisemitismus, RE Suppl. 5, 1931, Sp. 3-43; Johannes Leipoldt, Art. Antisemitismus, RAC 1, 1950, Sp. 469-476. 226 Holladay, THEIOS ANER, S. 56f.: " ... the first discovery seems to be superfluous, since 3,180 would make equally good, if not better sense, if the words TOV ... VOllo8E77}v ... 8ELOV äv8pa Kal ... were deleted .... If they (sc. die Juden) are being accused of impeity, what would it matter if Moses were a theios aner? This raises the whole question of the logic and structure of the response." 227 Zu der Frage, ob hier eine Allegorie, eine Typologie oder eine symbolische Interpretation anderer Art vorliegt, vgl. die Diskussion bei Holladay, THEIOS ANER, S. 83(-86), Anm. 262, dort weitere Literaturangaben. 228 Dies deutet Josephus schon in Ant 3,123 an: die Dreiteilung des Stiftszeltes sei eine 1l{IlT]aLS' TfJS' TWV öAwv cpvaEwS' gewesen. Schon in Bell 5,212f. findet sich eine solche symbolische Deutung für den Tempelvorhang: seine Zusammensetzung sei eine 1l{IlT]aLS' ElKu5v TWV öAwv. Eine ähnliche symbolische Deutung des Stiftszeltes und des hohenpriesterlichen Kleides findet sich in Philon VitMos 2,74ff.l09ff.117ff. und SpecLeg 1,71ff., vgl. die Analyse dieser Texte durch Früchtel, Kosmologischen Vorstellungen, S. 69-81. 229 Richtig Holladay, THEIOS ANER, S. 83-86: "Simply stated, the tabernacle, its equipment and the priestly vestments are said to have cosmic significance, and that this was so intended by Moses hirnself"; vgl. auch Feldman, Josephus' Portrait II, S. 48: "Josephus ... implies that the items in the tabernacle and the vestments were Moses' creation and that the symbolism was likewise his."
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Teil IV: Applikation und Interpretation
ebensoviel Monate aufgeteilt wird. Indem er den Leuchter aus siebzig Teilen zusammenstellte, deutet er verschlüsselt die aus zehn Grad bestehenden Bezirke der (sieben) Planeten an und mit den sieben Lampen über ihm den Lauf der Planeten selbst - denn soviel sind sie der Zahl nach. (183) Ferner deuten die aus vier Stoffen gewebten Vorhänge die natürlichen Elemente an: denn der Byssos scheint auf die Erde zu deuten, weil der Flachs aus der Erde hervorgeht, der Purpur auf das Meer, weil mit dem Blut von Fischen gefärbt wird, der Hyazint will auf die Luft hinweisen und der Scharlach wäre dann ein Zeichen für das Feuer. (184) Das Unterkleid des Hohenpriesters aus Flachs weist auf die Erde, das hyazintfarbene Oberkleid deutet auf das Himmelgewölbe und gleicht bezüglich der Troddeln und Glöckchen dem Blitz und dem Donner. Auch der Schultermantel bezeichnet die natürliche Zusammensetzung des Weltalls, die nach Gottes Verordnung aus vier (Elementen) entstand, und ist mit Gold zusammengewebt worden, vermute ich, als Zeichen des in allem vorhandenen Sonnenlichts. (185) Auch den Brustlatz setzte er in die Mitte des Schultermantels gemäß (der Lage) der Erde, denn auch sie ist ganz im Zentrum gelegen. Mit einem Gürtel, den er dem Mantel umlegte, bezeichnete er den Ozean, weil auch er das Ganze umfaßt. Die beiden Sardonyxe, womit er den Mantel des Hohenpriesters befestigte, deuten jeweils auf die Sonne und den Mond. (186) Die zwölf Steine könnte man entweder als die Monate verstehen, oder als die Zahl der Sternzeichen, die die Griechen als Zodiak bezeichnen - darin würde man nicht entscheidend von seiner Absicht abirren. Der aus hyazintfarbenem Stoff angefertigte Kopfbund, glaube ich, ist ein Zeichen für den Himmel, (187) sonst wäre ihm der Name Gottes nicht daraufgesetzt, der auf einer Krone prangt, einer goldenen, wegen des Glanzes, an dem die Gottheit sich besonders erfreut. Soviel möge zunächst über diese Dinge gesagt sein, denn die (noch zu beschreibenden) Ereignisse werden uns häufig und viel Gelegenheit bieten, die Tugend des Gesetzgebers darzulegen.
Mose wird hier von Josephus dargestellt als einer, der die Zusammenhänge des Weltalls erkannte und sie seinen Nachfolgern durch seine kultische Gesetzgebung vermittelte. 230 Das Weltbild, das dieser Symbolik unterliegt,231 ist zunächst das gängige Weltbild des ersten nachchristlichen Jahrhunderts: Grundlegend ist die Trennung zwischen der von den Menschen bewohnten Erde (Erde und Meer) und dem den Menschen nicht zugänglichen Himmelsbereich. 232 Die Erde befindet sich in der Mitte des Alls (TOV pEaaLTaTov T61TOV EXEl; 3,185), der Hinweis auf die Planeten und ihre Laufbahnen durch den Himmel (Td~ TWV 1TAaVT}TWv 8EKapolpLaS- / TWV 1TAaVT]T6Jv nJv cpopav; 182) zeigt, daß es sich um jenes hellenistische Weltbild von der freischwebenden Erdkugel im kugelförmigen All handelt, die von den sieben Planetensphären umgeben ist, die wiederum von der achten Sphäre der Fixsterne umschlossen sind (wie der Hinweis auf die Sternbilder zeigt: TOV OÜTW~ [dpl8pov TWV] daTEpwv, ÖV ('UJ8laKov
230 Vgl. Ap 2,153, wo Josephus von dem Gesetzgeber eine Zusammenschau der Dinge fordert (Tll ßEATLuTa UVVL8ELV). 231 Die Behauptung Früchtels, Kosmologische Vorstellungen, S. 99, daß bei Josephus im Gegensatz zu Phiions kosmologischen Allegorien eine einheitliche kosmologische Konzeption fehle, muß im Licht der folgenden Erörterungen entschieden zurückgewiesen werden. 232 Dieselbe Vorstellung symbolisiere die hohepriesterliche Kleidung, die aus einen Unterund Oberkleid mit Troddeln und Glöckchen besteht: die Erde sei vom Himmel, dem Schauplatz der Naturphänomene des Blitzes und des Donners, umgeben (184).
14. Dashellenistische Judentum
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KVKAOV t'EAAT]VcS' KaAoDal; 186).233 Das Weltbild ist jedoch deutlich stoisch gefärbt: Die Vorstellung, die Welt sei aus vier Elementen entstanden (ToD TTaVToS' 77}v cpvalV EK Tcaaapwv 80xßcLaav ycviaßal T4J ßc4J; 184), ist in
Kombination mit der Vorstellung, daß die Sonnenstrahlen alles durchdringen (TfiS' TTpOaoVaT]S' äTTaalV avyfjS'; 184), typisch stoisch. 234 Hieraus folgt, daß die Welt aus vier Elementen oder Teilen bestehe, die von innen nach außen bzw. von unten nach oben angeordnet sind und trotzdem ein organisches Ganzes bilden (wie die Reihenfolge in der Symbolik andeutet, 183): Im Zentrum ist die Erde (T7}V yfjV) , auf ihrer Oberfläche hat das Meer seinen Platz (77}V ßaAacr aav), um es herum legt sich die Luftregion (TOV 8E dipa), dann folgt die aus Feuer bestehende Himmelsregion (ToD TTVpOS').235 Die Aussage, alles sei vom Ozean umgeben, zeigt, daß hier die Vorstellung von der vom Ozean eingeschlossenen Ökumene vorliegt (OUTOS' [sc. 6 wKcavoS'] EPTTcPLcLAT]cpc Ta TTaVTa; 185).236 Die ganze symbolische Auslegung führt hin zu der transzendenten Gottheit, die über allem steht (Ta avopa ToD ßcoD / TO ßcLOV; 186f.).237 Mose wird also von Josephus dargestellt als derjenige, der die Grundpfeiler der damaligen Weltanschauung durchschaut und anderen vermittelt habe. Entscheidend ist jetzt, daß J osephus am Anfang seiner Schrift in einem Exkurs einige wichtige Informationen über den Gesetzgeber Mose vorausschickt und 233 Daß hier mit Absicht suggeriert wird, daß Mose die Ergebnisse der h~llenistischen Astronomie und Astrologie vorweggenommen habe, zeigt der Hinweis auf den Zodiak und der Gebrauch von technischer Terminologie wie al T6JV TTAaVl]r6Jv 8EKafloLp{aL (vgl. dazu Thackeray, LCL, S. 404f., Anm. a; auch Emilie Boer, Art. Astrologia, KP 1, 1975, Sp. 660665, dort 661); zur grundlegenden Bedeutung der Astrologie bzw. Astronomie für die in der Kaiserzeit neuentstehende Weltanschauung vgl. Nilsson, GgrR II, S. 292ff.702ff. Daß die Sonne und der Mond in 3,185 gesondert hervorgehoben werden, hängt mit der Sonderstellung, die diese zwei Himmelskörper ("Planeten" nach damaligem Verständnis) damals in jeder Kosmologie inne hatten; welche Bedeutung sie in der Weltanschauung des Josephus einnahmen, ist jedoch nicht dem Text zu entnehmen. Der Hinweis auf die Zahl der Monate macht Mose ferner zum Entdecker des Zwölf-Mon at-Kalenders (3,182.186). 234 Zur stoischen Vierelementenlehre (im Gegensatz zu der aristotelischen Lehre von 5 Elementen) vgl. Pohlenz, Stoa I, S. 71f. Besonders Kleanthes vertrat in der alten Stoa die Ansicht von den allesdurchdringenden Sonnenstrahlen, die den Kosmos zusammenhalten, vgl. ebd., S. 83.95f. In Aufnahme von Kleanthes hat Poseidonios die Rolle der Sonne in der stoischen Physik stark ausgebaut, vgl. ebd., S. 223f. 235 V gl. Pohlenz, Stoa I, S. 8I. 236 Man darf hier nicht an die alte mythische Vorstellung vom Ozean, der die flache Erdscheibe umgibt, denken - sie ist ja gerade von der Vorstellung der freischwebenden kugelförmigen Erde abgelöst worden -, sondern an jene Theorie, die Poseidonios in Nachfolge des Geographen Pytheas entwickelte, nämlich daß der Ozean die bewohnbare Erde, die Okumene wie eine Fessel umschließt; vgl. Jacoby, FGH 87 Fr. 28, ferner Pohlenz, Stoa I, S. 221, F. Lasserre, Art. Okeanos, KP 4, Sp. 267-270. Diese zwei Spezifika der Kosmologie des Poseidonios (die Rolle der Sonne und des Ozeans) lassen es als sehr wahrscheinlich erscheinen, daß das von Josephus gehuldigte Weltbild, das deutlich stoische Züge aufweist, unter poseidonischem Einfluß stand. 237 Anders als in 3,181 bezieht sich ovpav6s- hier auf den Ort, an dem Gott sich befindet. Wie der Kopfbund nicht Teil des hohenpriesterlichen Kleides ist, so thront die Gottheit über dem All als der Lenkergott; vgl. Ap 185, wo Josephus fragt, welche Verfassung besser und gerechter sein könne als jene, die Gott für den Lenker des Alls hält (rfis- eEOV flEV ryYEfl6va r6Jv ÖAUJV TTETTOLTJflEVT]s-).
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Teil IV: Applikation und Interpretation
dabei betont, daß Mose schon vor zweitausend Jahren geboren worden sei, zu einer Zeit, in welche die griechischen Dichter nicht einmal gewagt hätten den Ursprung ihrer Götter, geschweige denn die Taten oder Gesetze sterblicher Menschen, zu verlegen (Ant 1,16). Mose hat also nach Josephus die Rolle eines Archegeten des grundlegenden Wissens der damaligen Welt inne - wie die vorliegende Studie immer wieder gezeigt hat, ist dies ist genau der Kontext, in dem die eELOS' aVepUJTTOS'- Terminologie verwendet wird. So liegt es auf der Hand anzunehmen, daß auch hier der Ausdruck ßELDS' av1p bedeutet, daß Mose ein Archeget und Garant wesentlicher philosophischer Erkenntnisse ist. Es bleibt jedoch die Frage nach der Kohärenz des Textes, nach der "Logik" des Arguments. Inwiefern erbringt die Tatsache, daß Mose in diesem Sinne ein eELOS' av1p ist, den Nachweis, daß die Juden Gott geziemend verehren? Dafür müssen wir einen weiteren Blick auf Josephus' Apologie gegen Apion werfen: Nachdem er die Griechen wegen ihrer niedrigen Ansichten über die Götter an den Pranger gestellt hat (Ap 2,239-249), fragt er nach der Ursache solchen verkehrten Verhaltens gegen die Gottheit (TL TOLVUV TO aLTlov TijS' TOuaVTTlS' aVUJflaALaS' KaL TTEPL TO eELOV TTATlflflEAELaS'; Ap 2,250). Die Antwort (2,250-252) ist überaus einleuchtend: Meines Erachtens ist es dem Umstand zu verdanken, daß ihre Gesetzgeber nicht von Anfang an das wahre Wesen Gottes durchschaut hatten (flr]TE TTP,J dAT}fJij TOU fJEou cpvaLv l f dpxijS' avvL8ElV aVTC;v TOUS' vOflofJETaS') und, insofern sie es erfassen konnten (öaov Kat AaßElv rj8vvrjfJT}aav) und zu genauer Erkenntnis (über Gottes Wesen) vordrangen (dKPLßij yvC;aLv 8Lop{aavTES'), nicht mit Hinblick darauf eine andere Verfassung machten {f1r]fJ ... TTPOS' TOUTO TToLr]aaafJaL n}v (jUT}V TafLv TaU TTOAL TEvfla TOS') , sondern es, als wäre es etwas völlig Unwichtiges, den Dichtern überließen, um die Götter einzuführen (lcpijKav TOlS' TToLT}Ta'is' ... fJEOUS' ElaaYELV) , welche auch immer sie nur wollten ...
Umgekehrt gilt natürlich, daß nur derjenige Gesetzgeber, der die wahre Gotteserkenntnis hat, auch eine Gemeinschaftsordnung schaffen könnte, in der der wahre und angemessene Gottesdienst möglich ist. Folgerichtig heißt es in Ant 1,19f., Mose habe es für unerläßlich gehalten, daß ein Gesetzgeber zuerst das Wesen Gottes begreifen (ßEOV TTPWTOV CPVUlV KaTavofjual) und ein Betrachter seiner Werke (TWV tpyUJv TWV EKELVDU ßEar1v) werden muß. Denn ohne jene Schau (aTToAEl TToflEVfiJ T7]'"'s- eEaS') könne weder der Geist des Gesetzgebers gut, noch aus dem, was er mit Hinsicht auf die Tugend schreibt, bei den Empfängern etwas werden (OV8EV aTToß1uEUeal TOls" AaßOVUlV) 1238 Gott kann man allerdings nicht seinem Wesen nach kennen, vielmehr ist er nur aus seinen Werken dem Menschen offenbar (Ap 2,190-192):239 238 Man beachte die Verbindung zwischen der Gotteserkenntnis und der daraus resultierenden Tugend des Betrachters; vgl. die Erwähnung der Tugend Moses am Ende der symbolischen Deutung in Ap 3,187. 239 Vgl. Ap 2,167: "... offenbar wird Gott uns durch seine Macht, weil wir ihn seinem Wesen nach nicht zu erkennen vermögen" (vgl. vollständiges Zitat hier oben).
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14. Dashellenistische Judentum
Gott umfaßt alles, er ist vollkommen und selig, sich selbst und allen genügend. Er ist Anfang, Mitte und Ende von allem, durch seine Werke und Gnade anschaulich (lpYOLS- IlEv Kai xapLaLv Evapyr]S-) und besser erkennbar als alles andere (TTavTos- OUTLVOS- cpavcpwTcpOS-), uns jedoch in seiner Gestalt und Größe unfaßbar (llopcp7}v 8E Kai IlEyc8os- T]IlLV äcpaTos-) ... seine Werke schauen wir (lpya ßAETTOllcV aVTou): Licht, Himmel, Erde, Sonne und Mond, die Gewässer, die Entstehung der Lebewesen, das Fruchttragen ... Diesem Gott muß man in Tugendübung dienen (TOUTOV 8cpaTTcvTEoV aaKouvTas- apcTr]v), denn dies ist die frommste Art der Gottesverehrung (TpOTTOS- yap 8cou 8cpaTTcias- OUTOS- oaLwTaTos-).
So wird der Zusammenhang in Ant 3,179-187 deutlich: Weil Mose ein ecL05' dvryp war, d.h. weil er den Zusammenhang des Weltalls, das Schöpfungswerk Gottes,240 durchschaute, besaß er die wahre Gotteserkenntnis. Nach Josephus' Verständnis kann nur ein solcher Gesetzgeber (im Gegensatz zu den vielen anderen berühmten Gesetzgebern der Antike) Gesetze vermitteln, die zu einem wahren, Gott geziemenden Gottesdienst führen. Darin liegt der Grund, weshalb der Vorwurf, die Juden würden Gott bzw. der Gottheit nicht die gebührende Ehre erweisen, für Josephus jeder wahren und einsichtigen Grundlage entbehrt.
240 Vgl. den expliziten Hinweis auf Gottes Schöpfungstätigkeit in 3,184: cpvaLv EK Tcs-aapUJv 8ox8cLaav ycvEa8aL T4J 8c4J.
TOU TTavTos- Tr]V
15. Ergebnis und Auswertung für die Christologieforschung "The term 'Divine Man Christology' designates a Christology that presents the earthly J esus of N azareth by making use of motifs from the hellenistic concept of the Divine Man (theios aner). This concept must be seen within the framework of hellenistic anthropology, for which man was not simply a species of being. Man in this concept is not simply what he is, but he is a being hovering between his two possibilities, the divine (theion) and the animal (theri8des). Only the Divine Man is man in the full sense; then his humanity becomes the epiphany of the divine. He is exceptionally gifted and extraordinary in every respect. He is in command ·both of a higher, revelational wisdom and of divine power (dynamis) to do miracles. Yet he is not identical with a deity, but can be called 'a mixture of the human and divine', 'a higher being', or 'superhuman'. Depending on the religiohistorical context, the concept of Divine Man is open to considerable variation ... It was a Hellenistic-Jewish variation of the concept that influenced primiti ve Christianity ... "1 "Damit (sc. mit der Vorstellung der Göttlichkeit des erhöhten Herrn) war eine folgenreiche Entscheidung gefallen. Sie blieb nicht ohne Auswirkung auf die Anschauung von Jesu Erdenwirken. Am Anfang steht ... die Auffassung von Jesus als 'Davidssohn', was im Sinne einer vorläufigen Hoheitsstufe verstanden worden ist. Aber alsbald drängte die Christologie darüber hinaus. Jesus war ja schon in palästinischer Tradition als Charismatiker und Geistträger verstanden worden, und dies wurde nun von dem ßELOS' aV7}p-Motiv her aufgenommen und weitergeführt. Das Diasporajudentum hatte die hellenistische Anschauung im Zusammenhang mit den besonders ausgezeichneten Gottesmännern ... aufgegriffen ... , so daß das hellenistische Judenchristentum daran anknüpfen konnte, was dann auch die Übertragung der Messias- und GottessohnvorsteIlung auf den irdischen Jesus ermöglichte .... Im hellenistischen Heidenchristentum ... (werden) Kyrios und Gottessohn ... noch stärker unter hellenistischen Voraussetzungen umgebildet ... Gottessohn dient fortan in erster Linie zur Bestimmung des göttlichen Wesens Jesu ... "2 Diese beiden Zitate von Hans Dieter Betz und Ferdinand Hahn machen in anschaulicher Weise deutlich, welchen Ort die ßELOS' aV7}p-Hypothese in der neutestamentlichen Christologieforschung dieses Jahrhunderts eingenommen hat. Seit Richard Reitzenstein rechnete man mit einer hellenistischen ßELOS' Betz, Jesus as Divine Man, S. 116f. 2 Hahn, Hoheitstitel, S. 349f. 1
15. Ergebnis und Auswertung für die Christologieforschung
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dV7}p- Vorstellung, die erheblichen Einfluß auf das frühe Christentum ausgeübt
habe, seit Gilles P . Wetter nimmt man an, daß diese Vorstellung mit der neutestamentlichen Gottessohnprädikation von Jesus zusammenhinge. Die eElO5" dV7}p- Vorstellung wird in der Forschung als ein gedankliches Schema, als ein Bewußtseinsinhalt damaliger Menschen betrachtet. Dabei wird ausnahmslos ein semantischer Konzeptualismus vertreten - Ausdrücke wie eElO5" aVepWTT05" und eElO5" dvf]p seien die sprachlichen Bezeichnungen dieser gedanklichen Vorstellung gewesen. Dabei werden die Adjektive eElO5", BaLj16vL05" und eEaTTEaL05" für Klassenadjektive gehalten, die solchen Nomina, die auf Menschen referieren, als Prädikat beigelegt werden. Oder aber es werden Ausdrücke wie eElO5" avßpwTT05" und ßEL05" dvrjp als termini technici angesehen, die wundertätige bzw. charismatische Gottmenschen denotieren. Diese Annahmen fungierten in der Forschung einerseits als heuristisches Instrument der Datengewinnung, d.h. man spürte mit Hilfe der Terminologie die Texte auf, auf deren Grundlage die Vorstellung des eElO5" dV7}p konstruiert wurde. Andererseits dienten sie jedoch als hermeneutischer Schlüssel, so daß solche Texte, in denen die Terminologie vorkommt, beinahe ausnahmslos auf dem Hintergrund dieser Vorstellung gedeutet wurden. Die (mutmaßliche) Bedeutung der ßEL05" avßpwTT05"- Terminologie spielte also in der Begründung der ßElO5" dV7}p-Hypothese eine Schlüsselrolle. 3 Diese Annahmen bezüglich der Bedeutung der Terminologie in der Kaiserzeit überprüfte die vorliegende Studie und fragte nach der Relevanz der Terminologie für die Entstehung der (Gottessohn-)Christologie. Die Untersuchung ergab, daß die eElO5" aVepWTT05"- Terminologie eine feste semantische Struktur aufweist: Die Adjektive eEL05", BaLj16vL05" und ßEaTTEaL05" gehören drei unterschiedlichen semantischen Feldern an. Zum ersten und am häufigsten treten sie als Qualitätsadjektive mit titularer Funktion auf: Sie zeichnen die betreffenden Personen als Archegeten und / oder Garanten einer Erkenntnistradition aus. Die Ausdrücke eElO5" / BaLj16vL05" / ßEaTTEaL05" avßpwTT05" / dvf]p sind nahezu phrasale Lexeme, die diese Vorstellung denotieren. 4 Zum zweiten treten die Adjektive ßElO5", BaLj16vL05" und ßEaTTEaL05" als Qualitätsadjektive auf, die zusammen mit anderen sinnverwandten Lexemen wie dßE05" / dVOaL05" / daEßrj5" / BuaaEß7}5" (Antonymie) und ÖaL05" / EvaEß7}5" / ßEoaEß7}5" / ßEOCPLA7}5" (Synonymie) zu einem Wortfeld gehören. Die Lexeme eElO5" KTA. sind Steigerungsformen dieser Lexeme (z.B. "zutiefst fromm" / "überaus gottgefällig" / "sittlich hochstehend").5 Zum dritten: Als adskriptive Klassenadjektive treten die Adjektive eElO5", BaLj16vL05" und eEaTTEaL05" nur selten im Zusammenhang mit Nomen, die auf Menschen referieren, auf. Ferner treten die Adjektive auch als relationelle V gl. Kap. 1.4 der vorliegenden Untersuchung. Es handelt sich linguistisch gesehen nicht um phrasale Lexeme in reinster Form; dazu sei auf die zusammenfassenden Erörterungen in Kap. 11, ferner Kap. 7.1-2, 7.4 verwiesen. 5 Vgl. dazu die Zusammenfassung in Kap. 3.5. 3 4
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Klassenadjektive in referierenden Ausdrücken auf, die je nach konkretem Kontext eine Relation zwischen dem betreffenden Menschen und einer Gottheit / den Göttern bezeichnen. Die Art dieser Relation bestimmt der jeweilige religiöse Kontext. Die Analyse zeigte ferner, daß die 8ElOS' av8pUJTToS'- Terminologie in der Literatur der Kaiserzeit keineswegs als Bezeichnung für Gottmenschen oder Göttersöhne benutzt wurde. 6 Dies läßt sich den Texten schlechterdings nicht entnehmen. Es ist im Gegenteil so, daß dort, wo Vergöttlichung und religiöse Verehrung eines Menschen gelegentlich tatsächlich vorhanden sind, die ßElOS' avßpUJTToS'- Terminologie fehlt. Den analysierten Texten ist nicht zu entnehmen, daß Ausdrücke wie ßELoS' avßpUJTToS' und ßEL oS' dvryp einem Wortfeld mit Lexemen wie avßpUJTToS', 8afJ1UJv, fjpUJS' und ßEOS' angehörten; die Terminologie fungiert keineswegs als Element der antiken Anthropologie. 7 Auch wenn die Vertreter der ßELOS' dvf]p- Hypothese die Terminologie "nur" als Bezeichnung für Wundertäter oder Charismatiker betrachten, ohne die Vergöttlichung der betreffenden Personen zu intendieren, können sie sich nicht auf den tatsächlichen Gebrauch der ßElOS' avßpUJTToS'- Terminologie berufen. In der Antike nämlich dient die Terminologie keineswegs regelmäßig als Bezeichnung für Wundertäter bzw. Charismatiker,s An den Stellen jedoch, wo es deutliche Anhaltspunkte für Wundertraditionen gibt, fehlt die Terminologie auffälligerweise. 9 Die semantische Analyse zeigte eindeutig, daß die ßElOS' avßpUJTToS'- TelIDinologie in der Umwelt des Urchristentums keine Vorstellung bezeichnet hat, die als Vorstufe der neutestamentlichen Christologie gedient haben könnte. Die betreffenden Adjektive gehören semantischen Feldern an, die nicht der antiken Anthropologie, sondern entweder der Epistemologie oder der Ethik zuzuordnen sind; sie zeichnen nicht Gottmenschen oder charismatische Wundertäter aus, sondern Archegeten und Garanten der Erkenntnis, oder aber sie fungieren als Qualitätsadjektive, die die besondere Frommheit der betreffenden Person hervorheben. Der ßElOS' dvryp-Hypothese diente von Anfang an Philostrats Apolloniosvita als Dreh- und Angelpunkt für die religionsgeschichtliche Vermittlung der hellenistischen Vorstellung des 8ElOS' dvryp an das Christentum)O Obwohl die Philostratforschung nach Reitzenstein immer deutlicher herausgestellt hat, daß das Apolloniosbild der Vita als ein Produkt philostratischer Phantasie betrachtet werden muß, das wenig (wenn überhaupt etwas) mit dem historischen Apollo6 Vgl. Kap. 11, ferner die Erörterungen zu Philostrat (bes. Kap. 12.3), PhiIon und Josephus. 7 Gegen Betz, Gottmensch, Sp. 235-238. 8 Insbesondere die These, fJElOS' dVrlP bzw. fJElOS' avfJpwTToS' gehöre zusammen mit Begriffen wie rOT]S', flaroS' und fJavflaTOVprOS' einem Wortfeld an (vgl. Smith, Jesus, S. 124-126; Jones, Concept, S. 189-191, ähnlich Speyer, Numinoser Mensch, S. 134.140f.), konnte anhand des untersuchten Textmaterials nicht erhärtet werden. 9 V gl. die zusammenfassenden Erörterungen in Kap. 11. 10 V gl. die Einleitung zu Kap. 12 hier oben und Koskenniemi, ApolIonios, S. 18ff.
15. Ergebnis und Auswertung für die Christologieforschung
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nios von Tyana zu tun hat, hat Philostrats Apolloniosvita trotzdem ihre Schlüsselstellung in der neutestamentlichen Exegese beibehalten: nicht mehr die religionsgeschichtliche Parallele Apollonios-J esus, sondern die gattungs- und formgeschichtlichen Analogien zwischen der Vita und den Evangelien als literarischen Darstellungen des Lebens eines sogenannten ecLOS- dvryp stehen im Mittelpunkt des Interesses. Dabei spielte die Tatsache, daß Apollonios in der Vita oft die ecLOS- avepuJ1TOs-- Terminologie beigelegt wird, eine überaus zentrale Rolle. Die hier durchgeführte Analyse des Gebrauches der ecLOSavepUJTTOs-- Terminologie durch Philostrat ergab jedoch, daß er sie so verwendet, wie dies aufgrund unserer Analyse kaiserzeitlicher Quellen zu erwarten war: entweder als Bezeichnung für die Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition oder als qualitative Bezeichnung für in ethischer Hinsicht ausgezeichnete Menschen. l l Ferner nahmen jene Textstellen, wo die ecfosavepUJTTOs-- Terminologie durch die jüdisch-hellenistischen Schriftsteller Flavius Josephus und Phiion verwendet wird (bes.Josephus Ant 3,180; Philon Virt 177), in der ecLOS- dvryp-Hypothese eine Schlüsselstelle ein.1 2 Die Untersuchung der Verwendung der Terminologie durch die zwei Autoren zeigte jedoch, daß auch sie die Terminologie so benutzen, wie es in ihrer Umwelt üblich war, nämlich als Bezeichnung für die Archegeten bzw. Garanten der Tradition oder als qualitatives Prädikat für in religiös-ethischer Hinsicht ausgezeichnete Menschen. 13 Die in der Forschung häufig gemachte Beobachtung, daß die ecLOSavepUJTTOs-- Terminologie im Neuen Testament nicht vorkommt, insbesondere daß Jesus nicht mit dem "terminus technicus" ecLOS- dvryp bezeichnet wird, läßt sich auf dem Hintergrund dieser Ergebnisse leicht erklären: Die Terminologie fehlt im N euen Testament als Bezeichnung für J esus, weil sie einem semantisehen Feld angehört, das in der neutestamentlichen Literatur keine Rolle spielt. Sie fehlt nicht, obwohl die von ihr bezeichnete Vorstellung sachlich vorhanden wäre,14 sondern eben weil die von ihr denotierte Vorstellung von Jesus als dem Archegeten bzw. Garanten einer Erkenntnistradition oder Lehre nicht vorhanden ist, bzw. weil die besonderen ethisch-religiösen Qualititäten Jesu nicht im Blick der neutestamentlichen Autoren war. Daß die ecLOS- aVepUJTTOS-- Terminologie keineswegs einen Vorstellungskomplex der hellenistischen Umwelt denotiert hat, der dem frühen Christentum als religionsgeschichtlicher Horizont für die Interpretation des göttlichen Wesens J esu diente, also als Vorstufe der Christologie angesehen werden könnte, zeigt die Verwendung der Terminologie im frühen Christentum in eindrucksvoller Vgl. Kap. 12. Vgl. Kap. 13.1. 13 Vgl. Kap. 13.2 und 13.3. 14 So z.B. Betz, Jesus as Divine Man, S. 116f., der die Meinung vertritt, daß die Terminologie fehle, obwohl die hellenistische Vorstellung eines "göttlichen Menschen" von den neutestamentlichen Autoren übernommen worden sei. 11
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Teil IV: Applikation und Interpretation
Weise. Denn die eElOS" aVepUJ7TOS"- Terminologie spielte in der gesamten christologischen Entwicklung der ersten drei Jahrhunderte keine Rolle: Niemals wird Christus als eElOS" aVepUJ7TOS" oder eELOS" dvrip bezeichnet. 15 In Gegenteil: Die Terminologie wird schon relativ früh im Christentum so verwendet, wie wir den Sprachgebrauch für die Kaiserzeit beschrieben haben. So haben wir schon früher beobachtet,16 daß Origenes in seiner Schrift Contra Celsum Kelsos die Garanten der eigenen Erkenntnistradition entgegenhält und sie, nämlich die Propheten Gottes und die Apostel Jesu, als eElOL av8pES" bezeichnet: /lE{(ova KaL eELoTEpa AEAEKTaL /lEV 7Tapa TOlS" eE{OLS" av8paaL, 7TpoqxriTaLS" ToD eEoD KaL a7ToaToAoLS" ToD 1T]aoD (7,49). In derselben Weise beruft sich Origenes in
seinem Buch De principiis dort, wo er den typologischen Sinn der Heiligen Schrift erläutert, auf Paulus als den Garanten seiner eigenen exegetischen Methode: 17 Nach dem Gesagten werden die, welche den Apostel überhaupt als göttlichen Mann gelten lassen (Tav aTToaToAov äTTa, ws- fJELov äv8pa TTpOalE/1EVoVS-), hinsichtlich der sogenannten 5 Bücher Moses (an deren typologischem Sinn) gewiß nicht zweifeln.
Hier wird die Terminologie, wie auch in Buch 7 der Streitschrift gegen Kelsos, auf den Garanten der eigenen Lehre angewandt. Aus diesen Belegen geht deutlich hervor, daß das Christentum, was die eElOS" aVepUJ7TOS"- Terminologie angeht, den üblichen Sprachgebrauch seiner Umwelt übernommen hat. Origines übernahm diesen Sprachgebrauch offensichtlich von anderen griechischsprachigen Christen. Sie haben in der Nachfolge des griechischsprachigen Judentums die Väter, Mose und die Propheten mit der eElOS" aVepUJ7TOS"- Terminologie bedacht: Schon Ignatius Magn 8,2 schreibt von den eELoTaToL 7TPOcjJfjTaL,18 die Christus gemäß gelebt haben, Clemens von Alexandrien redet von dem eEa7TEaLoS" MUJvafjS" (Protr. 8,80,4), Origenes bezeichnet in seinem Genesiskommentar Jakob als eEa7TEaLoS" 'I aKuJß (Selecta in Gen. 12,125). Relativ früh wurde die Terminologie auch auf rein christliche Autoritäten übertragen. So beruft sich Irenäus in seiner Polemik gegen den Gnostiker Markus auf den eElOS" 7TpEaßvTT]S" (Adv. haer. 1,8,17), bei Clemens von Alexandrien wird der
15 Vgl. Alois Grillmeier, Art. Gottmensch 111 (Patristik), RAC 12, 1983, Sp. 312-366, dort 318ff. 16 V gl. Kap. 10.2.3, bes. Anm. 66 hier oben. 17 De princ. 4,2,6. Übersetzung von Görgemanns und Karpp. 18 Man beachte die superlative Verwendung. Dies spricht dagegen, daß wir es hier mit einem relationellen Klassenadjektiv zu tun haben. Obwohl es bei den im Folgenden genannten Texten jeweils möglich wäre, das jeweilige Adjektiv als Qualitätsadjektiv (im Sinne von "sehr fromm", "heilig") oder als relationelles Klassenadjektiv (im Sinne von "durch Gott gesandt / erwählt / eingesetzt usw. ") zu deuten, scheint es mir auf dem Hintergrund der in dieser Studie erarbeiteten Ergebnisse fast unumgänglich, sie in titularem Sinne zu interpretieren. Das schließt jedoch nicht aus, daß die anderen Bedeutungen mitschwebten - bei Polysemie ist immer die Möglichkeit der Konnotation der jeweils "anderen" Bedeutungen gegeben.
15. Ergebnis und Auswertung für die Christologieforschung
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Apostel Paulus öfters als 6 8EO"TTEO"LOS- dTTOO"TOAOS-19 bzw. 6 ßElOS- aTToO"TOAOS-20, auch mal einfach als eS ßEO"TTEO"LOS- JIavAos-21 bezeichnet. Letzterem Gebrauch schließt sich auch Origenes an,22 der zudem auch Petrus das Adjektiv 8EO"TTEO"LOS- beilegt 23 und gelegentlich die Jünger kollektiv als ßEO"TTEO"LOL pa8T]Tat bezeichnet. 24 Die Adjektive ßElOS-, 8aLpovLoS- und ßEO"TTEO"LOS- hatten ihren festen Ort in der lexikalischen Struktur des damaligen Griechisch, sie waren mit der hier herausgestellten Bedeutungen besetzt und besonders ihre Verwendung in zusammengesetzten Ausdrücken war in solchem Maße institutionalisiert, daß 8ElOS- bzw. die Ausdrücke 8ElOS- av8pwTTos- bzw. 8ElOS- dvrjp infolgedessen nicht als Termini zur Verfügung standen, mit denen das göttliche Wesen Christi hätte bezeichnet werden können. Dies macht das vollständige Fehlen der Terminologie als Bezeichnung für Christus als Gottmenschen in der christologischen Debatte der ersten christlichen Jahrhunderte plausibel. Ferner läßt sich so erklären, weshalb die christlichen Theologen zu Neuschöpfungen wie ßEOSavßpwTTos-, ßEav8pwTTos- und später ßEOS- dvrjp und der Adjektivbildung ßEav 8PLKOS- greifen mußten: die Begriffe ßElOS- av8pwTTos- bzw. ßElOS- dvrjp waren eben anderweitig belegt und deshalb als Bezeichnung für den Gottmenschen Jesus Christus nicht geeignet. Wir kehren zu der Frage nach der Relevanz der 8ElOS- avßpwTTos-- Terminologie für die Anfänge der Christologie, insbesondere der Gottessohnchristologie zurück. Die vorliegende Studie hat ergeben, daß die 8ElOS- av8pwTTos-- Terminologie in der Kaiserzeit keine Bezeichnung für einen Gottmenschen oder charismatischen Wundertäter war. Dadurch wird die Vermutung, die Wülfing von Martitz für die vorchristliche Antike geäußert hat, auch für das christliche Zeitalter bestätigt. Ferner ist die Beobachtung Barry Blackburns, daß die göttlichen Wundertäter der Antike nicht als ßElOS- dvryp bezeichnet wurden, von der anderen Seite her bestätigt worden: 25 In den hier herangezogenen kaiserzeitlichen Texten, seien es Texte paganer oder jüdischer Provenienz, denotiert die Terminologie keinesfalls göttliche Wundertäter. Für die Erforschung der Entstehung und der Anfänge der Christologie bedeutet dies, daß die 8ElOS- dvrjp-Hypothese als Erklärungsmodell für die Entstehung der Christologie an einer zentralen Stelle geschwächt ist. Denn die 8ElOS- avrypHypothese gründet darauf, daß die Vorstellung vom 8ElOS- dVr7P bzw. dem göttlichen Menschen ein Bewußtseinsinhalt damaliger Menschen war, der dann in Vgl. Protr. 1,7,2; Strom. 1,19,94,4; 5,9,60,1. 20 Vgl. Strom. 1,1,10,5; 2,2,8,4; 2,20,109,2; 3,3,18,1; 4,12,87,2; 4,16,100,6; 4,21,132,2; 5,9,57,5; 6,11,95,2. 21 Strom. 5,1,5,1. 22 Fr. in Lnc. 205; Fr. ex comm. in Ep. i ad Cor. 21: 0 ßcaTTEaLoS' JIavAoS'. 23 Selecta in Ps. 12,1101. 24 Fr. ex comm. in Ep. i ad Cor. 23; Selecta in Deut. 12,817. 25 Zu von Martitz und Blackburn vgl. oben Kap. 1, S. Iff. 19
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Teil IV: Applikation und Interpretation
den religiösen Sprachgebrauch und in die religiöse Literatur Eingang gefunden hat. Dieses Verständnis des Typus des ßElO:; dvryp als Bewußtseinsinhalt oder gedankliche Vorstellung kommt in vielem dem Begriff des Schemas in der neueren Semantik nahe. Die moderne Semantik hat jedoch auch gezeigt, daß Schemata und Rahmen begrifflich getragen werden - sie sind als semantische Felder in Texten nachweisbar. Fehlt der ßElO:; dvf]p-Hypothese die Möglichkeit, die ßElO:; avßpwTTo:;- Terminologie für sich in Anspruch zu nehmen, so verliert sie das wesentliche Element, das bisher in der Forschung entscheidend zu ihrer Kohärenz beitrug, ohne daß jedoch andere Termini bereitstünden, die Stelle der ßElO:; avßpwTTo:;- Terminologie einzunehmen. Dies ist ein um so gravierenderes Problem, als die Hypothese ohnehin darunter leidet, daß es ihren Vertretern trotz intensiver Bemühung nicht gelungen ist, den ßElO:; dvf]p präzise zu definieren. Natürlich heißt das nicht, daß die ßEL 0:; dvf]p- Hypothese endgültig widerlegt wäre. 26 Es bedeutet jedoch, daß man, fürsofern man an eine ßElO:; dvryp- Vorstellung als einen Bewußtseinsinhalt kaiserzeitlicher Menschen bzw. als ein Deutungsschema der antiken Gesellschaft festhalten will, sich erneut auf den Weg machen müßte, um die Existenz einer solchen ßElO:; dvf]p- Vorstellung in der Antike plausibel zu machen, indem man das semantische Feld, welches das Konzept sprachlich tragen sollte, aufzudecken versucht. 27 In jedem Falle wird man künftig nicht mehr auf die ßElO:; avßpwTTo:;- Terminologie zurückgreifen dürfen, um die Existenz eines Konzeptes des göttlichen Menschen nachzuweisen, das den religions geschichtlichen Horizont für die Anfänge der Christologie und für den Glauben an Jesus als göttliches Wesen im Urchristentum bilden sollte. Falls man dennoch weiterhin an einem solchen antiken Konzept eines göttlichen Menschen festhalten will, sollte man infolge der Ergebnisse dieser Studie auf den Gebrauch des Terminus ßElO:; dvf}p als Bezeichnung für dieses religions geschichtliche Konzept verzichten. Denn seine Beibehaltung könnte nur unter dem Vorbehalt erfolgen, daß man sich bewußt einer Redeweise bedient, die nicht der antiken Verwendung der Terminologie entspricht.
26 Es soll hier betont werden, daß diese Studie weder die Möglichkeit der Existenz eines Konzeptes des göttlichen Menschen in der Antike bestreitet, noch gar die Berechtigung eines religionsgeschichtlichen oder sozialgeschichtlichen Ansatzes in Frage stellen will. 27 Speyer, Verehrung, S. 48 meint zwar zu Recht, daß der Inhalt auf den sich ein (moderner) Begriff (wie "Heiliger" dort, in unserem Fall "göttlicher Mensch") bezieht, auch ohne eine feste terminologische Bezeichnung (wie äYLos-/sanctus, hier (JELOS- dVrlP) im Bewußtsein der (antiken) Menschen vorhanden sein konnte. Dem ist jedoch hinzuzufügen, daß ein solcher Inhalt, insofern es sich um einen Bewußtseinsinhalt antiker Menschen handlen sollte, nur über die Sprache zu ermitteln ist und darum sprachlich als ein einigermaßen kohärentes semantisches Feld nachweisbar sein muß.
Anhang: Inschrift aus Anabura in Pisidien (Übersetzung auf S. 180) => S. 183
Die Inschrift wurde am Ende des 19 . Jahrhunderts während der als The Wolfe Expedition bekanntgewordenen Reise des amerikanischen Philologen J. R. Sitlington Sterrett in Pisidien, am Ufer des Kodjaflußes in der Nähe von Anabura, gefunden. Den kurze Zeit später von Sterrett veröffentlichten Text (J. R. Sitlington Sterrett (Hg.), The Wolfe Expedition to Asia Minor. Papers of the American School of Classical Studies at Athens. Volume II!. 1884-1885, Boston 1888, da Nr. 438, S. 315f.) unterzog Georg Kaibel noch in demselben Jahr einer gründlichen Untersuchung (G. Kaibel, Inschriften aus Pisidien, Hermes 23, 1888, S. 532-545, da 541ff.).
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ayaen TVxo· EVTVXE, dJ fEVE, Kat )·.r)/llfrv xpf)al/lOV EcjJo8Lov, /la8tiJv WS- 0 TOlS- TPOTTOlS- EAEV8EPOS- /lOVOS- EAEV8EpOS-. av8pos- EAEv8Ep{as- aTa8/lav EXE TaV cjJlxnv aVTfiv, aL Ka TaV yvtiJ/lav TlS- EAE(;()EpOS- Ev808EV EL7] op8as- EK Kpa8{as-, ä YEVVlKOV aVEpa TTOl(d). Kat TaVTq. KpE{VUJV TOV EAEV8EPOV OU KEV a/l ap TOlS-, OYKOV 8E TTPOYOVUJV AijpOV Kat cjJ}..ryvacjJov aYEV. ov yap TOl TTPOYOVOl TOV EAEV8EPOV äv8pa T{8EVTl ErS- yap ZEls TTaVTUJV TTpOTTaTUJp, /l{a 8' av8paal p{ea, ErS- TTaAos- TTavTUJv. ö 8E TaV cjJvalv EMaXEv Ea8Aav, EwaTp{8as- Tijvos- Kat EAE(;()EpOS- aTpEKES- EVTl, 80VAOV 8' OVK OKV7]/ll AEY77V KaKov ov8E Tp{80VAOV, ös- [/lEyaA]UJS- avxf!, Kpa8{a 8E OL Ev80v aYEvv1js-. iJ dEVE 'Em{KTaTos- 80vAas- aTTo /laTpOs- ETEXOr], aläv öv] av8ptiJTTUJV aocjJ{q. ETTl KV8av' [~/la cjJpf)v, öv [Tl] Xpry /lE AEYElV· fJ.E)lOS- YEVET: aL8E 8E Kat vw TOlOVTOs- Tls-avl]p OcjJEAOS- /lEya Kat /lEya xap/la TTavTUJv Evfa/lEvUJv 80vAas- aTTo /laTp0S- ETEXOr].
Anmerkungen zum Text: Zeile 11: Sterrett ließ sich von der dorischen Form zu einem Mißverständnis verleiten und verbesserte des Metrums wegen ErS [BE] rraAos rra VTUJV. Trotz der Aufnahme des gleichen Wortfeldes im nächsten Satz (EAAaXEv) ist die Lesung rraAos (= Los) in diesem Kontext kaum denkbar, vgl. Kaibel, Inschriften, S. 544, Anm. 2. Eher denkbar ist, daß der Verfasser der Inschrift die bekannte Metapher von
Anhang: Anabura-InschriJt
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der Entstehung des Menschen aus Ton aufnahm, vgl. z.B. Kallimachos, Fr. 493: EL aE JJp 0 I1T]8EV:; ETTAaaE, Kai TTT]AOD 111 lt lTEPOV yEyova:;. Vgl. LSJ s.v. TTT]AO:; für weitere Belege. Mit Sterrett ist I1EyaAUJ:; zu lesen. Kaibel schlägt TTPOYOVUJ:; vor, aber das Adverb ist im Griechischen überhaupt nicht bezeugt. Sowohl Sterrett als auch Kaibel füllen die Lücke so aus, daß iJ) dEvE 'ETTJiKTaTo:; gelesen werden muß. Sterrett hat: ale{ TO:;] av8pt!JTTUJV, aocp{g ETTL Kv8alA{]l1a cppryv. Dieser Vorschlag wurde von Kaibel, a.a.O., S. 453, Anm. 2 als unbefriedigend empfunden, ohne daß er jedoch einen überzeugenden Gegenvorschlag machen konnte. Gegen ihn spricht nicht nur, daß al ETO:; im vorliegenden Kontext kaum einleuchtend ist, sondern auch, daß die Veränderung von KYfJANMA zu KYfJAAIMA durch die Entfernung der einzigen Verbform in der Zeile eine auch für unseren Verfasser außergewöhnlich holprige Syntax zur Folge hat. Liest man aber alEv ÖV (vgl. auch den Anschluß in Z. 17), bleibt die Möglichkeit, K YfJAN als Imperfekt Kv8avE (die 2. Silbe ist kurz, vgl. LSJ, s.v. Kv8avUJ) zu verstehen. Die von mir vorgeschlagene Lesung (Kv8az) [t-1I1a cppryv) setzt zwar auch einen Steinmetzfehler voraus (KYfJANMA statt KYfJANEMA), gewährt jedoch eine ausgeglichene Syntax. Sterrett hat zu Recht einen Steinmetzfehler (auf dem Fels steht J/) identifiziert und korrigiert, so daß man TI lesen soll. Im Lichte der hier oben vorgeschlagenen Emendation von Z. 16 wäre es gegebenenfalls besser, nicht TL im Sinne der Fragepartikel (Sterrett, Kaibel), sondern Ti im Sinne des adverbialen Gebrauchs zu lesen.
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Autorenregister
An den durch Kursivierung hervorgehobenen Stellen werden forschungsgeschichtlich wirksame Aspekte des betreffenden Verfassers zusammenfassend referiert.
Abel, K. 89, 141,416 Achterneier, P. 38 Adler, A. 48, 52, 54 Adler, M. 361,413 Aland, B. u. K. 48, 50ff., 57, 415 Albrecht, M. von 224, 228, 23lf., 235-7, 241-4,246,248,343,412,416 Alexiou, A. S. 202,330,416 Anderson, G. 278, 280-2, 416 Andresen, C. 256,416 Apelt, O. 178 Armstrong, A. H. 253, 414 Arnim, H. von 149f., 154, 160,410,416 -, SVF 82f., 88, 155, 187,364,368 Attridge, H. W. 142-4 Aucher, Jo. B. 361, 365,413 Babelon, E. 334 Babbitt, F. C. 97 Babut, D. 98f., 102f., 416 Bader, R 256, 412 Bailey, C. 196, 198,411 Baldwin, B. 330,416 Barr, J. 25, 320 Basore, J. W. 92,414 Bauer, W. 48, 50-2, 57, 415 Baur, F. C. 277, 416f., Beaugrande, R-A. de 43, 49 Beck, H. 18,36 Beckby, H. 145,410 Belloni, L., 303,417 Benner, A. R 278,413 Berger, K. 23, 44f., 133 Berkowitz, L. 410 Bernays, J. 77f., 85, 91, 142f., 145,417 Bertermann, G. 231, 417 Bethe, E. 48, 415
Betz, H. D. 4, 12, 22, 24f., 26, 34, 34-38, 39, 58, 61-3, 85, 98, 183, 194f., 20lf., 210,219,223,241,277,321,331,346, 356,400,402,417 Betz, O. 31, 39 Beutler, R 258, 417 Beyer, H. 92 Bieler, L. 18-24, 25f., 29, 38, 58, 61, 63, 77,97, 103, 110f., 170, 194,212,219, 223, 241, 276f., 321, 335, 346, 348f. 353f., 358,386,417 Billerbeck, M. 138f., 141,411 Bingham Kolenkow, A. 30 Blackburn, B. 3, 34f., 63, 405, 418 Boer, E. 397,418 Bol, P. C. 18, 36 Bompaire, J. 330f., 418 Bonhöffer, A. 78, 80, 83-5, 89f., 92, 129132,134-8,184,187,418 Borret, M. 413 Bowersock, G. W. 114, 119, 124,278,418 Bowie, E. L. 68, 162,277,418 Boyance,P.221,418 Branham, R B. 210, 330,418 Brenk, F. E. 97f., 418 Brokate, K. 176,418 Brunius-Nilsson, E. 55,97 Buffierre, F. 70f., 412 BuHmann, R 38, 87, 313,418 Burkert, W. 220-8,231-4,237-9,241,246, 340f.,346, 348,418 Camp, J. van 48, 50f., 418 Canart, P. 48, 50f., 418 Capelle, W. 127, 142,411,419 Caster, M. 330,419 Charlesworth, J. H. 327,419
Autorenregister . Clay, D. 196f., 202, 21lf., 330,419 Clementz, H. 383, 385f., 411 Cohn,L.361,363,365,371,413 Cohoon,J. VV. 149,410 Colpe, C 20, 308,419 Colson, F. H. 365, 373,413 Conybeare, F. C. 68, 72, 293, 316, 41Of., 414 Corrington, G. P. 4, 3OJ., 360,419 Cox, P. 251,419 Crönert, VV. 178f., 197,419 Crosby, H. L. 149,410 Cumont, F. 329f., 339, 341,419 Deißner, K. 78, 83,419 Delatte, A. 220f., 223, 229, 233f., 410, 419 Delling, G. 360, 369, 394,419 Deubner, L. 219f., 412 Diels, H. 171f., 225, 413, 420 Dihle, A. 194,420 Dijk, T. A. van 43f., 49 Dillon, J. 97, 241, 247, 258, 420 Dirlmeier, F. 101, 382,420 Doran, R. 388, 420 Döring, K. 289,420 Dörrie, H. 69, 97, 142, 173,249,252,2568,420 Dressler, VV. 43, 49 Dudley, D. R. 140,420 Düring,1. 252,414 Dzielska, M. 278, 280, 294f., 303, 315f., 319,420 Edelstein, E. J. 347f.,420 Edelstein, L. 83-86, 347f.,420 Edwards, M. 221, 232, 246, 250f., 420 Eisenhut, VV. 92, 420 EHiger, VV. 149-51, 153, 157f., 160,410 Erickson, R. J. 40f., 44, 420 Fallon, F. T. 327f., 421 Fanselow, G. 43,421 Farnell, L. R. 196,421 Farquharson, A. S. L. 73,413 Fauth, VV. 200f., 421 Faye, E. 329f., 421 Fears, R. 294,421 Feldman, L. H. 383, 393, 395,421
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Festugiere, A. J. 196, 198,421 Fobes, F. H. 278,413 Foerster, VV. 197,308,421 Fox, R. L. 330-5, 337-9, 347f., 421 Freudenthal, J. 327,421 Fritz, K. von 220-2,227-9, 23lf.,421 Früchtel, L. 362, 365-7 Früchtel, U. 369, 395f., 421 Gager, J. 387-9,421 Gallagher, E. V. 4, 7, 19,23, 33J, 63,421 Ganss, VV. 83, 86-90,93,421 Geckeler, H. 44 Geffcken, J. 145,421 Geisau, H. von. 227,421 Georgacas, D. 53 Georgi, D. 26-28, 30, 147, 162f., 354, 3568,384,392,354 Gerth, B. 108,288 Giangrande, G. 319,411 Gigon, O. 196, 198,204,207,411 Goodenough, E. R. 353f., 358, 362, 422 Goodman, M. 361,428 Görgemanns, H. 404, 422 Gow, A. S. F. 145f., 410 Graf, F. 294, 422 Greiner-Mai, H. 188, 193,412 Gretenkord, J. C. 128f., 422 Grillmeier, A. 404, 422 Grimal, P. 85, 90, 422 Groß, VV. 92, 422 Gruehn,VV.21,422 Grundmann, VV. 204,422 Guthrie, VV. K. C. 61,422 Habel, P. 92,422 Habicht, C. 273,422 Hadas, M. 79, 422 Hahn, F. 15, 354f., 400, 422 Hamann, C. 48f., 61,422 Hamilton, W. 98,422 Hansen, G. 80,422 Harmon, A. M. 193,412 Heibges, J. S. 225,422 Heinemann, 1. 142, 361, 363, 365, 371, 413 Heintze, H. 36, 422 Heldmann, K. 154f., 270f., 422
434
Autorenregister
Helm, R. 189, 195,200,211, 216f., 423 Hempel, J. 68,423 Hengel, M. 8,243,423 Henry, P. 253,414 Hereher, R. 142, 233,423 Hershbell, J. 241,420 Herzog, R. 336,347,423 Hirschberger, J. 81,423 Höistad, R. 139f., 144,423 Holl, K. 7, 423 Holladay, C. R. 2, 4, 15,51,63,65, 327f., 349f., 356, 361-3, 365-7, 372f., 379, 381-5, 389,392-~ 415,423 Holler, E. 87, 423 Horn, H.-J. 364, 423 Hossenfelder, M. 83, 142,207,209,423 Hurtado, L. W. 361, 363, 423 Jacoby,F.114,410 Jacoby,lC. 327, 387,397,423 Jaeger, W. 388,423 Jäger, H. 221,423 Jeremias, J. 354, 423 Jones, C. P. 97, 149f., 152, 154, 156, , 158, 160, 162,277, 330{., 423 Jones, E. 12, 16, 23, 29, 32j, 35, 58, 63, 264,402,423 Jones,H. S.48,50-53,55,57,94,415 Jones, R. M. 98, 176,424 lCaibel, G. 183-5, 187, 408f., 424 lCarpp, H. 92, 404, 422 lCayser, C. L. 68f., 276, 283, 286, 299, 414 lCee, H. C. 23,424 lCeim, Th. 256f., 412 lCerenyi, K. 195f., 424 lCeydell, R. 141, 424 lCilburn, K. 193,412 lCindstrand, J. F. 151-4,157, 159f., 424 lCintsch, W. 43f., 49 }(lein, U. 92, 112,424 lCnoles, T. G. 278,424 lCock, T. 111,424 lCoep, L., 291,424 lCoskenniemi, E. 4f., 19, 25, 31, 65, 163f., 276,356,424 lCöster, H. 38, 356, 424 lCrautz, H.-W. 196, 199,411
lCroll,W.158,424 lCudlien, F. 326,424 lCühner, R. 108, 288, 424 lCümmel, W. G. 415,427 Lampe, G. W. H. 48, 50, 52, 57,415 Laqueur, R. 327,424 Lasserre, F. 397, 425 Latacz, 1. 40, 425 Latte, K. 48, 50f., 54,415 Lausberg, H. 133, 424 Leemans, E.-A. 258f., 344,413 Leipoldt, J. 395,425 Leisegang, H. 20, 22, 361,425 Leo, F. 225f., 425 Lesky, A. 114,425 Levy, I. 220-3,425 Liddell, H. G. 48, 50-53, 55, 57, 94,415 Lipsius, I. 77, 85,425 Long, A. A. 142,425 Louw, 1. P. 41, 415, 425 Lyons, 1. 5, 38f., 40-44, 53f., 59-64 MacLeod, M. D. 193,412 MacRae, G. 360, 425 Malherbe, A. 142f. Marcovich, M. 146,425 Marcus, R. 36lf., 383,411,413 Martitz, W. von 2j, 24, 31, 39, 63, 334, 425 Mau,1. 221,426 Mauersberger, A. 142 MclCenzie, R. 48, 415 Meeks, W.i\. 354,358,362,425 Mesk, 1. 278, 426 Meyer,E.277,285,294,426 Millar, F. 361,428 Mras, K. 193,412 Mugnier, R. 48, 50f., 426 Müller, C. 179, 426 Mundolfo, R. 142, 426 Nachstadt, W. 97,411 Nauck, A. 220,414 Nickel, R. 73-75, 411 Niese, B. 383,411 Nilsson, M. P. 80f., 160, 183, 395, 397
Autorenregister Nock, A. D. 330, 333, 426 Norden, E. 142,426 O'Meara, D. 241, 243f., 248-50, 258f.,426 Page, D. L. 145f., 410 Pape,W.48,414 Parke, H. W. 337,426 Parry, A. 322,426 Passow, F. 48, 50-53, 55,414 Paton, W. 326,410 Penella, R. J. 68f., 278, 280f., 299, 410, 426 Perdrizet, P. 331,426 Perrin, B. 97, 411 Petzke, G. 68, 276-8, 288, 297, 300, 311, 319,426 Philip, J. A. 221,426 Pohlenz, M. 73f., 78, 80-7, 89, 92, 95, 129132, 134, 150f., 155f., 173-5, 184f., 364,397,426 Porter, S. E. 40 Pötscher, W. 25lf., 414 Pritchett, W. K. 123, 426 Radermacher, L. 114,410 Reed, J. T. 40,427 Reinach, T. 334,430 Reiter 361, 413 Reitzenstein, R. 5-7, 24, 26, 170-2, 194, 270,276,330,332,400,402,427 Riley, M. 98, 103,427 Rist, J. M. 73, 173, 427 Robert, L. 232, 234, 241, 295, 320, 330f., 335f.,347,427 Rowland, I. D. 194,208,427 Sayre, F. 140, 427 Schefold, 175, 427 Schenkl, H. 127, 411 Schmid, Wilh. 115, 143, 149-52, 156, 160, 177, 325f., 330, 361,365,427f. Schmid, Wolfg. 196-200,411,427 Schmidt, J. G. H. 52f., 55-58, 415 Schmidt, L. 44 Schmidt, M. 48 Schmidt, P. L. 69,428 Schottroff, W. 361,428
435
Schrenk, G. 70, 194,428 Schürer, E. 361, 365, 376f., 428 Schwartz, E. 277, 428 Schwering, W. 291, 428 Schwyzer, E. 49 Schwyzer, H.-R. 253,414 Scott, R. 48, 50-53, 55, 57, 94 Smith,M.4,23,28J,30,32J,58,63,264, 276,310,321, 345f., 402, 428 Solmsen, F. 277-82,427 Sophokles, E. A. 48, 50, 416 Spanneut,M.183,428 Speyer, W. 17f., 30, 264, 402 Squitier, K. A. 410 Städele, A. 22lf., 233, 239f., 414 Stählin, O. 97, 115, 143, 177, 325f., 330, 361,365,427f. Staudacher, P. 43, 427 Stephanus, H. 48, 50-53, 55, 57, 416 Sterrett, J. R. S. 183, 408f., 428 Stoeßl, F. 121,429 Stoike, D. E. 97, 429 Straaten, M. van 173,413 Strecker, G. 62, 429 Stutzinger, D. 18,429 Taeger,F.68,149,273,429 Taggart, B. L. 277, 315f., 318f., 429 Talbert, C. 33f., 63, 429 Taran, L. 142, 412 Terian, A. 365, 429 Thackeray, H. St. J. 383, 397,411 Theiler, W. 73, 361, 413 Thesleff, H. 234, 429 Thimme, A. 330, 429 Tiede, D. L. 23, 31, 33, 34f., 78f., 84f., 89, 92f., 103, 219, 223, 241, 292f., 330, 349f.,359-62, 384,429 Treu, K. 337f., 429 Trillhaas, W. 18, 429 Tzanetas, P. 149, 152, 154, 156,429 Überweg,F.249,260,429 Usener, H. 196f., 200, 206f., 411 Usher,S. 114, 117, 119,410 Vermes ,G. 361, 365, 376f., 428 Vetter, A. 18,430
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Autorenregister
Victor, U. 329-37, 339-41, 344, 346-48, 430 Vielhauer, P. 38, 356, 430 Vretzka, K. 109,430 Vrugt-Lentz, J. ter 308, 419 Wach, J. 18 Waddington, W. H. 334 Waerden, B. L. van der 340,430 Walter, N. 327f., 388,415,430 Wehrli, F. 221, 224-6, 412, 430 Weinreich, O. 14/, 16, 19f., 305, 311f.,
Wilamowitz-Moellendorff, U. 110f., 325,412 Windisch, H. 11-17, 19f., 24, 26, 38, 81, 86, 89, 92f., 127, 132, 136, 203,219,223, 241, 276f., 306, 349-52,354,362,365,384,386 Winston, D. 376f., 380, 430 Wolfson, H. A. 364, 367-70, 372f., 377f.,380f.,430 Wright, W. C. 314, 319,411,414 Wuhrmann,W.97,411 Wüst, E. 109, 430
175, 78f., 194, 317,
375,
321,329f.,33~345f.,348,349f.,430
Wendland, P. 361,413 Werner, J. 188, 193,412 West, M. L. 110f.,430 Westman, R. 178,196,430 Wetter, G. P. 7-11, 20, 29, 133, 244, 248, 276,309,313,332,401,430 Wicker, K. O'Br. 25, 430 Wieland, Chr. M. 188, 193,412 Wikgren, A. 383,411
Zeller, D. 32,431 Zeller, E. 78, 80-3, 85, 87-9, 92, 97, 201, 221, 223, 232f., 248, 260, 340, 376, 378,381,431 Zgusta, L. 53,431 Ziegler, K. 97-99, 105f., 111, 153, 176-8, 411,431 Zintzen, C. 308,419
Personen- und Sachregister Abraham 15, 324, 327ff., 350f., 355, 357, 359,363,370;380 Adjektiv passim - attributive Satzstellung 44, 72, 75, 289 - prädikative Satzstellung 44, 147, 266, 289,305 Adjektivsemantik 48ff. Alexander der Große 15,20,33, 142, 144, 154ff. Alexander Polyhistor 234, 327 Alexander, Tiberius Julius 365ff. Alexander von Abunoteichos 3, 6, 12, 14f., 34, 36, 170, 173, 205ff., 212ff., 230, 262,272,321,329-348 passim Alltagsmetaphysik 62f., 195, 272f. Altertümlichkeit, s. Archaismus Anaburainschrift 183ff., 191, 263, 266, 408f. Anaxagoras 17lf., 303f., 307f., 391 Anaximander 23lf., 236 Anthropologie 4, 82f., 87,402 Antonymie 44, 46, 54, 61f., 70f., 109f., 112,272f.,289,346,384 Apollon (s. auch Pythia) 19, 33, 157, 177, 216, 224, 237, 243f., 246, 251, 286, 292, 296f.; 302, 333ff., 343f., 348, 388, 390 Apollonios Mo1on 349,389,392,395 Apollonios von Tyana 2-9, 12, 15f., 19,29, 33f., 36f., 55, 68ff., 170, 219, 272, 276f., 280f., 282-320 passim, 335, 33941,343,345 - Briefe de~ (Ps.-)Ap. 68ff., 103, 105, 109 - Pythagorasvita des (Ps.-)Ap. 7, 22lf., 227ff., 235ff., 243, 246f. - Ap.-Vita (des Philostrat) 5, 7f., 34, 276f., 282ff. Apotheose 12,25,36, 77, 85, 91, 277, 358 Apuleius 36, 316 Archaismus 80, 86, 93, 118, 142, 15lf., 154, 156, 158, 160f., 163, 168, 178, 218, 226, 250,252, 254f., 256f., 262f.,
271, 303, 308, 323f., 353, 367, 374, 387,389f.,392 Archeget (s. auch Schulgründer) 142, 145f., 148, 158, 166, 168f., 172, 174ff., 180, 182, 187, 191, 20lf., 217, 238f., 243, 257ff., 262, 264f., 267f., 274, 27981, 283, 319, 325f., 328f., 338, 344, 363ff., 370ff., 392, 398 Archetypus 20,22 Aretalogie 7, 23, 31 Aridaios 105 Arignotos 3, 190f. Aristoteles 37,174,182,214, 222f., 231, 237,244,249,259,270, 335,364,367f. Aristoxenos 22lff. Aristobolos 360 Artapanos 349f., 360, 389 Asklepios 3, 32f., 334-40, 345, 347 - Asklepios Neos 334, 336 Assoziationsfeld (s. auch Feld) 44f. Bedeutung 2, 4f., 8, 38f., 40-44, 45f. 47, 50ff., 68f., 7lf., 73, 75, 81, 109ff., 115, 122, 126, 147f., 163f., 165ff., 193f., 203, 208, 218, 219, 235, 241, 250, 26lff., 272ff., 277, 289f., 294, 297, 300f., 306, 311, 313, 320, 324, 327, 329, 332, 371, 373, 382ff., 392f., 395, 401,404f. - mehrfache B., s. Polysemie Bedürfnis10sigkeit 76, 84, 91, 133f., 13840, 195,199,206,376ff. Betz, Hans Dieter 4f., 24ff., 35ff. Bewußtseinsinhalt 6f., 1O{, 19,21,25,31, 38,401,405f. Bieler, Ludwig 18ff., 353 Bildhauer 160ff. Biographie, antike / Bios (als Gattungsbezeichnung, s. auch Vita) 7, 23, 27, 33, 36f., 95, 105f., 181, 221, 223-5, 242, 27~ 315, 319, 349f.
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Personen- und Sachregister
Bios (ß{o:;), s.J.-ebensart Bramanen 36, 283f., 307 Cato 90f., 93, 107 Charismatiker 2f., 4, 15, 23f., 27, 33, 39, 264,392,400,402 Christentum, christlich 3f., 6ff., 15, 18, 20, 24, 209, 232, 244, 256ff., 276, 312, 315ff., 349f., 354, 356f., 360, 400ff. Christologie 2, 18, 27, 31, 38, 244, 312, 318,358,400ff. Chrysipp 78, 87, 89, 131, 134, 172, 174f., 205,214,271,352,364,368 Damis 309ff., 315f., 394 Damisquelle 276ff., 294, 316 Dämonologie, Dämonen 9, 18, 28f., 34, 37, 81, 98ff., 176-8, 190, 224, 228, 235f.,245,251,252f.,272,277,293f., 303,306,308f.,315 Deisidaimonie 20lf., 21Of., 316 Demokrit von Abdera 179, 190f., 202, 211, 217,303,307 Demonax202 Demosthenes 115ff., 166, 188, 280f. Denotation 5, 42ff., 53, 55, 57, 59f., 126, 148, 167f., 261, 264f., 267, 276, 320, 324 - Definition 42f. Deutungskategorie, kulturelle 24ff., 36f. Dichter 2,12,19,25,30, 45f., 71,81,111, 125f., 143, 146, 152ff., 160ff., 174, 194, 204, 250, 256, 261, 265, 267ff., 273, 282, 289f., 309, 321ff., 337, 365ff.,398 Diogenes Antonios 226 Diogenes Laertios 225 Diogenes von Sinope 13, 37, 78, 85, 96, 132ff., 158, 166, 169, 181,214,217 Distribution 64, 79, 148, 166 Domitian 149, 282f., 287, 290ff., 299f., 308 Ehrenbezeichnung - Ehrenprädikat / -titel 6f., 120, 170,217, 287,312 Ehrenbezeugung (s. auch Verehrung) 92f., 108, 119, 126, 142, 145, 147, 173f.,
18lf., 186, 196, 209, 226, 239, 251, 252,259,271,285,300,326,389 Eigenname 42, 57f., 60, 167, 324 Eigenschaft 16,21, 32,39, 42f., 48ff., 75f., 78,89,276,281,320 Ekstase / Ekstatiker 5, 12f., 17, 28, 170, 346f.,352,356 Empedokles 2f., 12, 15, 19-21,35,37, 179, 214, 219, 223, 253, 256, 306f., 322, 352,365ff. . Entdecker 146, 200, 205, 236, 238, 258, 262,283f.,345,390,392,397 Epiktet 13, 75, 79, 81, 127ff., 182ff., 377 Epikur 16, 32, 37, 75, 89, 172, 179, 193212 passim, 264f., 342f., 345 Epikureer 80, 96, 170ff., 179f., 193ff., 204f., 209, 253, 272, 365 Epimenides 3, 19, 33, 35-37, 219, 224, 237,335 Epistemologie 246f., 261, 267, 274, 402 Epitheton, stehendes 2, 9, 20, 97, 173-5, 268,332 Erkenntnis 6, 17, 36, 84, 125, 130, 140f., 151, 153f., 156, 158, 160, 166, 168, 174, 187, 191, 204ff., 213, 225ff., 235ff., 242, 245ff., 252, 254, 257, 26lff., 266f., 345, 363ff., 367ff., 370f., 374, 378, 39lf., 395, 398f., 402 - E.-tradition 125f., 141, 158, 176, 189, 191, 201, 205, 218, 237f., 243, 247, 25lf., 267f., 274, 288, 301, 320, 332, 365,370, 374,401,403f. Erleuchtung 153, 165, 167 Ethik, ethisch 17, 18,36, 74ff., 80, 83, 868,94-6, 100f., 106f., 109f., 112, 13lf., 134f., 137, 147f., 155f., 158f., 173, 181f., 185f., 199f.,208,249, 273 Eudoxos 224, 237 Euhemerismus 8, 32, 63, 96 Eupolemos 360, 389 Euripides 23, 36, 181 Euseb 315ff. Eunapios 318f. Feld, semantisches (s. auch Wortfeld) 44f., 53, 55, 58, 60f., 166, 168f., 261ff., 272ff., 389, 392, 40lff.
Personen- und Sachregister
Fortschreitender (rrpoK6rrTwv, s. auch Weiser) 85, 89ff., 134, 138,377,381 Freiheit 13, 26, 74, 82f., 91, 94f., 98, 100, 123, 127ff., 132, 138f., 140ff., 183ff., 189, 193, 204ff., 239f., 244, 310, 362 Frömmigkeit 62, 165 Galen 263 Garant 142,145ff., 158f., 161, 166, 167ff., 172, 174, 176ff., 187, 188f., 190f., 201, 21lf., 218, 236, 238f., 240, 247f., 250ff., 264f., 268, 274, 280, 283f., 288f., 319f., 328f., 332, 345, 365, 367, 374f., 384, 392, 395, 398, 401ff. Geburtstag 12, 93, lOlf., 185, 198f., 236, 251,277,308,336f., Georgi, Dieter 26ff., 356ff. Geschichtsschreibung, antike 122f., 330f., 390 Gesetzgeber 37, 179ff., 272, 298f., 350, 360, 369ff., 386-8, 390ff., 394, 396ff. Gewä~lfsmann 124ff., 154, 168, 172, 182, 185,207,246,252,258 Glykon 334-8, 348 Gottessohn 3, 7ff., 27, 37f., 227, 237, 243f., 248f., 250, 257, 264, 294, 309, 328,332,335ff.,346,355,400f.,405 Göttlichkeit, Kriterien für 34 Gottmensch 1-39 passim, 195, 219, 236, 248, 250f., 264, 272, 276, 292, 310, 316ff., 332, 346, 349f., 352f., 365, 40lf., 405 Gymnosophist 36, 283ff., 288, 307, 311 Heilkult, s. Kult Hekataios 350, 387f. Herakles 12, 28, 33, 37, 81, 91, 144f., 152ff.,195,264,273,323,333,335 Herakleides Pontikos 37, 222 Heraklit 13, 37,71, 132ff., 166, 169, 179f., 217,253,271f. Hermipp 224ff. Herodes Atticus 280ff. Herodian 324, 329, 332, 383f. Herodot 256 Herrscherkult, s. Kult Hesiod 23,36, 151, 153-5, 160, 166, 176-
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439
179, 256f., 263, 269-71,322,325,341, 366 Hesych 48-54 Hierokles 315ff. Historiker, s. Geschichtsschreibung Homer 16, 19-21, 36f., 52, 54f., 70ff., 81, 118, 125ff., 151, 153, 154ff., 160, 166, 173f., 177f., 195,256,263, 268ff., 282, 320, 321f., 325,328,335,339,366 Homerepanorthose 158ff., 282 Hyponymie 44,46,50, 53f., 57, 6lf., 266, 273f.,289f.,317,320 Iamblich 3, 8, 20f., 37, 241ff., 258f. Iarchas 285, 287f., 289, 292, 297, 299, 301f., 313f., 320 Idealbild / -vorstellung (s. auch Vorstellung) 6f., 12, 19, 2lf., 24f., 26, 32, 63 Idealtypus, von Max Weber 19 Identität, soziale 28, 345f., 348 Inspiration, göttliche 12f., 35ff., 51, 57, 153ff., 165, 167, 169,257,265, 268ff., 351,357,365, 37lff., 385, 393 Institutionalisierung, semantische 59f., 63, 112, 126, 167ff., 268, 271, 288, 384, 405 Interpretationskategorie / -schema, s. Deutungskategorie Ironie, Sarkasmus 52, 76, 119ff., 137, 158f., 162ff., 169, 188ff., 19lf., 194, 225,262,264,267,273,288,295,317, 389 Isaak 357,363,380 Jadon 355, 383, 385 Jakob 357, 363, 369, 380, 382 Jenseitsmythos 243f., 342ff. Jesaja 352,357, 383ff. Jesus 7ff., llff., 20, 25, 28f., 36, 276, 315ff., 324, 349, 355, 357, 400f., 404ff. Josephus, Flavius 2, 21,23, 352ff., 382ff. Judentum, hellenistisches 2f., 21, 26, 65, 349-61 passim, 383, 386 Julia Domna 278f. Kaiserkult, s. Kult Kelsos 8, 12, 36, 256ff., 404 Kimon 111
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Personen- und Sachregister
Klasse - semantische 48ff., 58, 61 - soziale 29, 225 Klassenadjektiv 48ff., 72, 96f., 103, 109, 111, 126, 167, 175, 195,269, 272f., 306,312,318,383,401 - adskriptives Kl. 49, 50ff., 56, 58, 60, 62f., 103, 136, 147, 165f., 191, 194f., 226,272,277f.,373,384,393,401 - relationelies Kl. 49, 50ff., 56, 57f., 59, 60ff., 152, 154, 159f., 165ff., 191,226, 268f., 273, 324, 373, 384ff., 393, 401, 404 Kleanthes 37, 85, 93, 129, 172, 364f., 367f., 389, 397 Kollokation 44,64, 321ff., 327, 329 Komparativform 60, 110, 166f. Kompetenz (s. auch Peifonnanz) 40, 42 Kompositionalität 60ff. Komplementarität 54, 61f. Konnotation 47, 56, 77, 103, 169, 182, 289,300,312,320,324,329,332,386 Kontextanalyse 2, 59ff. Konzept / Konzeption (s. auch Bewußtseinsinhalt) 302, 304f., 318, 342, 359, 384,396 - eines OdoS' Gvrjp 1-39 passim, 97f., 276f.,308,315,354,36~383f.,406
Konzeptualismus 38, 41, 43, 401 Kosmologie, Kosmos 364, 368f., 371, 375f., 395ff. Kult, religiöser 26, 80, 86, 92, 194, 207f., 226, 329-48 passim, 356, 394ff. - Gedächtniskult Epikurs 37, 196ff., 265 - Heilkult in Abonuteichos 211, 334, 336ff., 347f. - Heroenkult 32, 194f., 196,201,252,295 - Herrscherkult 12, 26f., 32, 36, 149, 195, 273,294f.,335,362 - Kaiserkult 8, 10, 12, 86, 92, 149, 209, 278,295,383 - K. des OELOS' dvf}p 8f., 25, 37, 93, 183 - K. des stoischen Weisen 13, 78, 86, 92, 133 - Mysterienkult 5f., 7, 92, 150ff., 170,210, 335ff., 340f., 344, 347f. - Orakelkult in Abonuteichos 336ff., 347 -Totenkult 32,175,195,197
Kyniker, Kynismus 9, 16, 32f., 37, 91, 131f., 138ff., 157, 169, 195, 206, 209, 217,271 Lebensart (ß{oS') 214, 216f., 285, 291, 308, 320, 34lff., 356, 372ff., 377, 379, 381f., 391 - des OdoS' dvf}p 16, 22f. - epikureische 193, 196ff., 206 - kynische 138ft., 195f., 285 - pythagoreische 180, 216, 242, 245, 258, 283,285, 298f., 304ff., 313 Lexem 40, 42 Lykurg 33, 180ff., 297f., 337, 352, 388, 390 Lysimachos 349, 387 Lysisbrief 233f., 239f. Magier, magisch (J.1.dyoS') 17f., 26, 28f., 31,210,213,215,251,267,285,291f., 303f., 307f., 310f., 316, 318, 339, 360, 387 Manetho 350, 386f., 392 Maßstab (öpoS'), s. Nonn Mehrfache Bedeutung, s. Polysemie Menipp 195,217,267 Metaphysik, s. Alltagsmetaphysik Mittler / Mittelwesen 17, 21, 52, 58, 63, 165,177, 352ff., 359, 361 Modifikation - syntagmatische M. 49ff., 56, 60 - M. der Alltagsmetaphysik 62f., 195, 272f., 363, 384 Mose 2f., 15, 20f., 23, 349-99 passim, 404 Musaios 3, 35, 350, 389 J Mystagoge 9, 11,32, 150ff., 194,208,347 Mysterien, s. Kult Namenscheu der Pythagoreer 231f., 237ff. Neuplatoniker 2f., 20, 22, 241ff., 308, 338 Neupythagoreismus 69, 223, 230, 339, 344,348,356 Nigidius Figulus 23, 36, 69 Nigrinus 202 Noah 370f., 380, 382 Norm 69f., 138, 263 - OdoS' GVr7P als N. (Kavwv) 25,117, 120ff., 144,263
Personen- und Sachregister
- der ideale Weise als N. 84, 89f., 137, 196ff. Numenios 258f.,344 Numinoser Mensch 11, 17f., 29f. Opposition, semantische (s. auch Antonymie) 54, 6lf. Orakel 5, 100,. 104, 176, 180ff., 205, 208ff., 228, 284, 286, 293f., 297, 302, 308f., 312, 321, 331-348 passim, 371f., 390 Oreibasios 324, 326 Orpheus 3, 20, 33, 35, 69, 72, 153, 157, 219,256,278,323,350,389 r-
Panaitios 74,87,89, 173ff., 191,272 Pantheismus 86 Pantomime 108f. Parmenides 179f., 256, 365ff. Paulus 11ff., 276, 315, 351, 356, 404f. Peloplaton 314 Peregrinus Proteus 6, 9, 36, 170,264, 330 Performanz 40, 42 Phänomenologie 11ff., 29 Pheidias 160f., 166, 168,263 Philipp von.Makedonien 154ff. Philodem 6, 170ff. Philon von Alexandrien 2, 16, 20, 37, 51, 65, 349-82 passim, 389, 396 Philosoph 9, 12f. 21, 25, 31, 35f. 37, 78, 93, 109, 117ff., 126, 133, 14lf., 147, 156, 162, 173f., 179, 190, 199f., 20lf., 208, 210, 212, 214, 216f., 228, 231, 236f., 241, 250, 252f., 255f., 26lf., 267, 271-73, 279f., 286f., 289, 292, 297, 300f., 311, 313, 317, 319f., 322, 327, 348, 352f., 364, 366ff., 389, 391 Philostrat 5, 20, 23, 29, 65, 276ff. Phraotes 287, 299, 301, 313f. Phrasa1es Lexem 58ff., 126, 148, 167ff., 192, 195, 266f., 272f., 401, 405 Platon 2f., 12f., 16, 20f., 23, 28, 36f., 48, 51,55,57,72,78, 89f., 93, 100f., 111, 115ff., 122ff., 126, 166, 169, 171, 173f., 175-82, 188,205,214,218,219, 225, _234, 237f., 243ff., 249, 25lf., 252ff., 256ff., 265, 268ff., 278ff., 307,
441
319f., 342, 350, 352, 364, 367f., 391, 394 Plotin 37, 219, 250ff., 319 Plutarch 45f., 175ff., 279f., 319 Pneumatiker 6,9, 14, 170, 353, 356f. Podaleirios 3, 331, 333-7 Polemik 10, 36, 12lff., 143f., 163, 17lff., 179f., 232, 253, 256, 263, 272, 285, 315ff. Polemon 280ff., 320 Pollux 48, 52 Polysemie 2, 45f., 50ff., 53ff., 57f., 68f., 77, 166, 169, 182, 272f., 293, 297, 318, 323,363,383f.,404 Porphyr 20, 36f., 220-3, 226, 232, 249, 250ff., 316, 319 Prädikat 2,9, 11,31,44,59,61, 68f., 7lf., 75,102,107,109,111,127,148, 193f., 200f., 207, 224, 255, 271, 280, 288f., 296f., 300, 306, 308, 312f., 315, 32~ 324, 326ff., 333, 338, 345f., 350ff., 355,363,384,401,403 - ethisches P. 75, 97, 102, 108, 112, 181, 193f., 288f., 294, 296f., 305, 312, 378, 401,403 -laudatives P. 120, 217 Propaganda, religiöse 5ff., 11, 26f., 31, 79, 143f.,332,356f.,36~388f.,392
Prophet 5f., 8, 10, 12f., 15,23,28,31,57, 133,153,193,208,210,212,250,258, 268, 321, 332f., 334, 336ff., 343ff., 350ff., 37lff., 383ff. Pythagoras 2f., 8, 12, 15f., 33, 35, 64, 69, 72, 181, 205, 212-8, 219ff. passim, 24lff. passim, 264, 281, 283ff., 289, 305ff., 317, 320, 339, 343ff., 352, 390f.,394 Pythagorastradition 33, 241, 264f., 272, 339,344f. Pythagorasviten 33 - (Ps.)-Apollonios 7, 22lf., 227ff., 235ff., 343 - Iamblich 3, 219ff., 24lff., 276, 343 - Nikomachos 220ff. - Porphyr 220-3, 226, 232 Pythagoreer / Neupythagoreer 36, 68f., 98, 105, 190, 216, 224-6, 229ff., 237ff.,
442
Personen- und Sachregister
245, 248f., 258ff., 289, 317, 339ff., 344f.,348,356 Pythagorisierung 249f., 258, 260 Pythia (s. auch ApolIon) 19, 180f., 188f., 286,296f. Qualität 48f., 58 - ethische / moralische Q. 25, 27, 96, 114, 18lf., 291, 296, 299, 301, 342, 378,403 Qualitätsadjektiv 49, 5Off. , 55f., 58, 60f., 64, 7lff., 75, 77, 96, 103, 105, 107f., 109ff., 114, 126, 147, 158f., 165ff., 18lf., 187, 266ff., 277, 290ff., 299f., 306, 312f., 318, 320, 324, 378, 383f., 386, 393, 40lff. Redner, s. Rhetor Referent 43, 50, 57, 60, 64, 97, 112, 126, 149, 165ff., 191, 261, 265ff., 280, 301, 320, 322ff. -mythischer 323f. Referenz 42f., 57, 64, 112, 114, 147, 165ff., 211, 252, 261, 264ff., 320, 329, 354,359,395,401f. - begrenzte 64, 126, 165ff., 191,261,265, 267, 273, 322ff. . - Definition 42 - R. und Denotation 43, 64 Reinheit 13, 74, 78, 80, 82ff., 95f., 99f., 146, 151, 208, 211, 213, 252, 313f., 342,374,387,394 - pythagoreische 239, 244f., 283f., 305f., 308f.,344 Reitzenstein, Richard 5ff., 170f. Religionsphänomenologischer Ansatz, s. Phänomenologie Religionspsychologischer Ansatz, s. Bieler, Ludwig Restriktion, kollokationelle, s. Kollokation Rhetor 28, 115, 117f., 120f., 123f., 125f., 156, 158f., 162f., 166, 169, 188, 26lff., 271,279ff. Roman, ägyptischer 20, 33, 359 Schaman 14, 28, 33, 35, 223, 227, 237, 264,348 Scharlatan (Y0T]s-) 15, 18, 31, 204f., 207,
210, 213ff., 225, 315 Schema 7, 9, 20, 24f., 36, 39, 43, 194,203, 241,244,309,401,406 Schmidt, Heinrich 52f., 56-8 Schulgründer (s. auch Archeget) 77, 85, 94, 138, 158, 172f., 175, 179, 181,281, 344,382 Seele, Seelenlehre 13, 73f., 76, 8lf., 87f., 94, 99ff., 104f., 132, 134f., 153, 171, 173, 176ff., 184f., 198, 200, 205f., 226, 238, 254f., 283f., 29~ 293, 298, 302, 304f., 307, 309, 340ff., 356, 370, 375f., 378f., 386ff. Seher 2f., 5f., 12, 19f., 35, 153, 286, 304, 337,352 Semantik 5,25, 40ff. Seneca 86ff. Sertorius 106f. Simon Magus 3, 8f., 12, 15, 36 Sinn, Sinnrelationen 42ff., 58, 60 - Substitutionsrelationen 43f., 57ff., 265 - Kombinationsrelationen 43f., 53ff. Sinnverwandtschaft 53ff., 69ff., 75, 77, 96, 102ff., 109ff., 166, 195, 265, 273, 289ff., 297f., 301, 308, 312f., 317, 384, 401 Sittlichkeit 72, 74, 76f., 87f., 102ff., 108. 111, 135, 138, 143, 146ff., 156ff., 180, 184, 201, 203, 228, 239, 273, 307, 313ff., 353, 380 - des" eäos- aVT]p" 25 - radikale S. des Weisen 85ff., 138 Sokrates 3, 13, 16, 22f., 33, 35, 37f., 64, 72, 76ff., 85, 90, 93f., 98ff., 118, 129, 137f., 141f., 147, 158,-160, 163, 174, 178ff., 189, 203, 214, 217, 219, 225, 251, 253, 259, 268f., 293, 303, 306ff., 320,389 Sophistik, sophistisch 76, 162f., 215, 278ff. - Zweite Sophistik 158, 188, 280ff., 314 - soph. Sprachspiell58, 292ff. Sophokles 23 Sozialgeschichtlicher Ansatz 26ff. Stephanus (TGL) 48, 50ff., 57 Stil/Stilist 115ff., 122ff., 125
Personen- und Sachregister
Stoa / stoisch - allegorische Mythendeutung 8, 70ff., 157 - Anthropologie 13, 74, 82f., 87f. - Ethik 73f., 83ff., 87f., 95ff., 128ff., 376ff. - Freiheitsbegriff 128ff., 184ff. - Gottesbegriff 79ff., 96, 158f., 364f. - Herrscherideal154f. - Kosmologie 79ff., 149ff., 169, 391, 393, 397 - Physik 79ff., 171,393,397 - TugeJ).dideal, s. Tugend, stoisch u. auch Weiser
Suda / Suidas 48, 52, 54 Superlativ form 60, 110, 166f., 262, 269f., 273,404 Synonymie 8ff., 53f., 56, 61, 69, 71, 109ff., 271, 273, 290, 308, 317, 320, 351,365f.,373,384,393f.,401 Syntagma 40, 46, 53, 57ff., 60, 112, 126, 148, 167ff., 192, 261f., 266, 270f., 291, 301, 321ff., 329 Tarsus 161ff. Telauges 76 Terminologie / Terminus - BdoS" avBpwTToS"-T. passim - BdoS" dvf]p als terminus technicus 2f.,
6f., 8, 10, 25, 35, 39, 195, 250, 273, 276, 328, 350, 354, 358, 371ff., 376, 392,395,401,407 Thales 33, 181, 231ff., 236f., 303, 391 Thaumaturg (Bav/laTovPY0S", s. auch Wunder) 11, 26, 31, 36, 215, 218f., 250, 257,264,276,286, 31Of., 316ff., 353, 359f.,39~401f.,405
Theodotos 325ff. Theognis 324f. Theokrit 20 Theologie 7, 26, 33, 63, 79ff., 102, 198f., 201, 247, 249, 257, 272, 35 Off. , 356, 363,365f. Thespesios (Eigenname) 104ff. Thukydides 114f., 122ff., 126, 166 Titel, titularer Gebrauch 6, 8, 11, 13, 25, 32,38,268, 272f., 280,282, 289, 312, 318ff., 328, 363, 371ff., 376, 392, 395, 401,404
443
Tugend 292, 296, 301, 316f., 359f., 372ff., 390,392f.,39~398f.
- stoisch 37, 73, 75, 84, 132ff., 156, 168, 184f., 376ff. - neuplatonisch 242, 246ff., 254f. Tyche 183, 190,408 Typologischer Ansatz 18ff. Typus 2-39 passim - psychologischer T. 19ff., 31 - religionsphänomenologischer T. 13-5, 17f., 24f. - sozialgeschichtlicher T. 28-31 - T. als gedankliches Schema 18ff., 24ff. Verehrung, kultische / religiöse 3, 8, 12, 18, 27, 32, 57, 70, 81, 86, 91f., 93f., 127f., 132f., 149, 152, 160, 175, 180, 183, 187, 226, 245, 264, 293ff., 326, 336,347,350, 362,394f.,398f.,402 - des stoischen Weisen 76ff. - von Epikur 37, 194, 196ff., 264 Vergöttlichung, Vergottung 2, 9, 12f., 15, 27,32,37,50,111,133,136,172,175, 183, 217f., 226, 251, 264, 276, 293ff., 300, 306, 310, 313, 332, 346, 349-363 passim, 382, 393, 402 - Konzeption / Lehre d. V. 6, 13, 32f., 37, 198ff., 350ff. - Verwerfung der V. 127ff., 147, 292ff. Vermittlungsmodell 349ff. Versteinerung, semantische, s. Institutionalisierung
Vita / Biographie - Alexander 20 - Apollonios von Tyana 5, 7f., 34, 282ff., 402f. - Augustus 19f. - Cato 107 - Demonax 202 - Hesiod 36f., 270f. - Homer 19-21, 36f., 270f., 325f. - Lykurg 180ff. - Mose 23, 351ff., 372 - Pindar 36 - Plotin 37, 250f. - Pythagoras, s. Pythagorasviten - Vergil 22, 24, 36
444
Personen- und Sachregister _
Vorherwissen 208, 277, 302ff., 308f., 311 Vorstellung (s. auch Bewußtseinsinhalt) 43f. - eines (}dos- dV17P 2-39 passim, 194f., 349-363 passim Wahrheit 72, 117, 123, 143, 150f., 153, 156, 158f., 160ff., 166, 168f., 172, 190f., 193, 200, 203ff., 210, 213, 243, 246f., 249, 252ff., 261, 263, 265, 283f., 286, 288f., 315f., 320, 345, 366ff., 376, 383ff. Wandermissionar / -prediger, s. Propaganda Weinreich, atto 14f., 345ff., 349f. Weiser 7f., 10, 12, 70, 118, 138, 153ff., 163, 17lff., 181, 188ff., 196ff., 23lf., 237,246, 250f., 261, 263, 265ff., 273f., 303,308, 350f., 38lf., 392 - epikureischer W. 196ff. - kynisch-stoischer W. 9, 137f. - idealer / vollkommener W. der Stoa 13, 75, 83ff., 86ff., 94ff., 137, 173, 352, 359f., 362, 376f., 362, 371, 376ff., 380 - indischer W. 3, 284, 286f., 312ff. - pythagoreischer W. 276, 288, 301, 304, 311 - vergöttlichter W. 8, 10, 13, 19, 25, 37, 70, 77ff., 96, 196-200, 352, 359f., 362, 393f. Weisheit 15f., 25, 32f., 72, 87f., 146, 15lff., 168, 183, 19lf., 193, 201, 205, 236ff., 246, 256ff., 260, 266ff., 269,
271, 274, 283ff., 287f., 298f., 30 lff. , 351, 359f., 369, 376ff., 389, 391 - pythagoreische W. 72, 236ff., 283ff., 304ff. - ursprüngliche W. 15lff., 168,284,303 Wetter, Gilles P. 7ff. Windisch, Hans Ilf., 350ff. Wortfeld (s. auch Feld) 29, 44f., 46f., 52ff., 60ff., 69ff., 103, 106, 109f., 114, 134,166,.1 81 ,191,235,248,261,264, 265ff., 272ff., 290f., 296f., 299, 306, 311,317,320,346,382,40lf. Wunder (s. auch Thaumaturg) 2f., 5f., 9, 13f., 17,27,29,31, 35f., 163, 170f., 190, 204f., 207, 216, 22lff., 236, 241, 247, 25~ 260, 264, 276f., 285, 302f., 310f., 316, 330, 336f., 349f., 353, 358ff.,382,385,393 - als Beweis / Kriterium der Göttlichkeit 5, 9,25,29,31,34,316 Wunderüberlieferung / -tradition - von Pythagoras 221ff., 264 Zauberer (j.1ayos-), s. Magier Zenon 37,85,89,93, 141, 147, 172f., 181, 364f., 367f., 389 Zeus 33, 46f., 71, 74, 80, 118, 121, 129, 132, 139, 141, 150-2, 157, 160, 183f., 189,191,195,227,243,295,334,343 Zusammengesetzter Ausdruck, s. Syntagma und phrasales Lexem Zwischenwesen, s. Mittler
Register griechischer Wörter (Auswahl)
dya8oS' 72, 74-6, 101-3, 106f., 110f., 144, 203f., 206, 224, 245, 254f., 289-92, 297-302, 312f., 317, 320, 343, 377, 388 äyycAOS' 9, 11, 139 äywS' 109,208,406 ayvoS' 70f., 103, 181,317 dYXL8EOS' 296 d8uiif>opov, TO 76, 83, 141 ä8LKOS' 112, 268 deaVaTOS' 61,63, 77, 204, 281, 348, 362 ä8EOS' 68-72, 96, 109, 112, 114,273,289, 290,317,320,395,401 afj1a JJo8aAELpLoV 333, 335f. al TLa 46, 364 alTLov 129, 230, 298, 398 dKOAOv8ELV 8E4J 75 äKPOS' 212,346 dAa(ovda 215,217 dAa(wv 99, 214f. dArj8ELa 100, 143, 191, 202f., 205, 210, 254f., 263, 285, 303, 362, 384f. dA7]8dJELV 284 dA7]87]S' 76,141,254,316 dj1dl/wV 255,259,279 dl/8pda 155, 157, 388 dl/rjp passim äI/8pWTTOS' passim - äv8pWTTOS' 8EOV 15, 350f. dI/8pWTTOT7]S' 61 dv8pWTTEWS' 55f., 272 dl/8pwTTLvoS' 55f., 61, 272, 384 al/oa'WS' 69-71, 109, 112-4,273,317,401 dI/TLaoif>urrrjS' 210 dVTL TEXVOS' 210 dtLOAOYOS' 54-6, 166 dtLOTTLaToS' 191, 215, 218
ätLoS' 102, 11lf., 135,259, 326 dOL8oS' 271,323 dTTa{8EvToS' 315 dTToaroAoS' 9, 11,258, 404f. dPEn] 85, 96, 102, 106f., 139, 144, 156, 168,182,204,247,262,292,301,359, 372, 377f. apLaToS' 25, 51, 56, 101, 103, 110f., 160, 166,168,189,217,229,260,262,264, 266-9,273,377,279, 364, 369, 385f. dpXawAoYELI/ 374 dpxa'ioS' 168, 189,254,256,262 dpxTjI39,168,204,259,262 dpX7JYoS' 172, 243, 262 daißELa 71 daEßTjS' 69, 71, 109, 114, 273, 290, 317, 401 daEß(Jk295 äaoif>oS' 313 dTapat{a 134, 206 dTExl/(Jk 287, 289, 306 äif>pw// 362 ßaaLALKOS' 55 ßlATLaToS' 55, 101, 103, 110, 160, 168, 262,266,273,312 ßcAT{WI/ 104, 215, 377 ß{oS' 104, 138, 140, 148, 181, 217, 238, 245,257,267,388 ßuJJI/ 75, 104 YEwa'ioS' 102, 286, 287f., 29lf., 301, 316f. Yl/wj17] 143, 184, 205, 210-3, 217, 259, 266,345 Y07]S' 6, 10, 11, 28f., 58, 63, 69, 205, 210, 213-5,264,303,315,346,349,402
446
Register griechischer Wörter
Y01]Tda 31, 69 Y01]TEVELV 346 8aL/lOVLO:; (Adj.) passim - TO 8aL/lOVLOV 52, 71, 98-102, 293, 308f. 8a{/lwv 4, 10, 5lf., 55f., 58, 63, 74, 99, 102f., 111, 177, 236, 251, 272, 293f., 322,388,402 8LacpEpELV 100, 110, 258, 372, 388f. 8LacpEp6vTW:; 101, 110 8L8aaKaAo:; 181, 189,232, 257, 260, 263, 285,319 8{KaLO:; 69-72, 75f., 96, 101, 104f., 110, 112,289-92,297,301,320 81.0:; 15, 65, 321-348 passim 80fa 140, 175, 178f., 191,207,215, 343 8VVa/lL:; 8-10, 30f., 46, 82, 175 8va8a{/lwv 55 8V(J(JEßlj:; 69-71, 109, 114,273,290,317, 401 cl8ivaL 205, 263 - TTavTa 55, 189 EAEv8Ep{a 185,206 EAcV8EPO:; 74f., 129, 184 EAEv8EPWT1j:; 203f., 206 Ev80fo:; 324,327,329,332 Ev8co:; 12, 51, 256f., 357, 365, 373, 385, 393 Ef1]Y1]T1j:; 260, 263 ETTL8v/l[a 134f., 206f. ETTWT1j/l1] 26, 70, 156, 187,365 ETTLcpav1j:; 119,273 ETTovpavLO:; 25 EpyaT1]:; 160, 168, 262, 266 EpyovI39,247,377,383 Ev8aL/lov{a 156f., 182, 199,245,255,372 Ev8aL/lovw:; 75 Ev8a{pwv 55, 257 EVp[(JKELV 284, 377 EvpEm:; 390
EVPET1j:; 172, 235, 243, 248, 254, 262, 283,389 EV(JEßäv 395 EV(JEßELa 70f., 200, 202, 326, 378 EV(JEßlj:; 69-71, 101, 103, 109, 111-4, 181, 273,290, 296,317,320, 393f.,401 (7]AWT1j:; 279 (fjv/(wv45, 84, 131, 179,206 iJYE/lu5v 74, 188,243,256,390 1780:; 57, 105f. fjpw:;4, 58, 63,177,295,402 8aV/la(ELV 158 8av/lamo:; 25,55,266,316, 384f. 8av/la(JLOvpy{a 285f. 8av/la(JTo:; 25, 31, 54, 56, 102, 108, 157, 166, 218, 266, 273, 279, 316, 384, 386f.,389,392f. 8aV/laTovpyo:; 29, 58, 63, 264, 402 8Eav8pLKo:; 405 8Eav8po:;4 8Eav8pwTTo:; 4, 405 8äov (Schwefel) 46 8äo:; (Adj.) passim 8äo:; (Oheim) 46 8ELOT1]:; 61 8EOEL8lj:; 25 8EOWixo:; 71 8EOTTE/lTTTO:; 52-4 8EoTTPETT1j:; 25 8EO:; 4,8-12,25,37, 45f., 55f., 58, 61, 68, 70, 78, 8lf., 111, 133, 139, 144, 148, 177, 180, 182, 199, 209, 223, 236, 244f., 252, 264, 268, 272, 276, 286, 290,293,295-300,302,307,309,313, 316f., 351, 355, 357, 362, 377, 391, 394f., 397f., 402, 405 8EO(JEßELa 70 8EO(JEßlj:; 70f., 76, 96, 101, 103, 109-11, 114,181,273,289f.,296,317,320,401
Register griechischer Wörter ()EOUOcjXUV 252
f1.afJr]TTjS' 229,346,405
()Eov8r]S' 110
f1.aKaploS' 54f., 103,254
()EOrpLAr]S' 70f., 101, 103, 109-12, 114, 149,
f1.LUaAa(UJv 215
180f.,29~29~317,36~38~401
447
f1.Ludv 214
()EpaTTEvTTjS' 68-70, 148, 369, 382
f1.LUOy07]S' 215
()EUTTEUWS' passim
f1.LUOTVrpOS' 215
er]PEWS' 61
f1.LUOl/JEV8r]S' 215
fJr]pu!J87]S' 61, 179
f1.ovoS' 205,262,263
()V7]TOS' 61, 63, 77f., 140, 199, 245, 352,
355,362,377
V0f1.0()ET7]S' 218, 243, 248, 369, 388, 391,
l8u!JT7]S' 102, 313
voDs' 74, 99, 103, 109, 206, 210, 215, 304,
395 LEPOS' 25, 57, 100f., 103, 109f., 173, 180,
193f.,203f.,208,211,345f.,373,382 [EpOUVAOS' 71 lUO()EOS' 25, 199f., 350 LUTopwyparpoS' 123f., 168,262,266
326,344 087]YoS' 9, 11 'OAV/lTTWS' 195, 273, 296 0f1.0{UJULS' ()Elj'J 111, 199,200,338,377 öPEtLS' 134f., 185
KaLVOAOYOVVTUJV 254
opf1.r] 82f., 134
KaLvoS'293
öpoS' 117,120,124,168
KaLVOTOf1.dv 254
öuwS' 69-71, 76, 96, 101, 103-5, 109f.,
KaKLa 143,212,346 KaKoS' 75, 110, 129, 143, 184 KaAoKaya(){a 203,372
112, 114, 173, 181, 208, 273, 289f., 296,306,308,312,317,320,369,373, 382,384,394,401
KaAoKaya()oS' 137
OULOT7]S' 378
KaAoS' 25, 75, 106f., 110, 202f., 289
oupavwS' 141, 146
- Kai aya()oS' 75,203
oupavLUJvES', o[ 195
Kavwv25, 117, 120, 124, 168,263 Idjpvt 9, 11, 139, 155-8, 168,261
TTaLS' 294, 324
KpaTwToS' 123f., 168, 182, 262f., 266, 273
- LiLOS' 91
KpdTTUJV 25,99,258,310-12,318
- ()EOV 8, 15, 37
KVUJV 141, 146,271
TTaAaL8E80Yf1.EVa256
AOYOS' 74, 79, 82, 84f., 95, 99, 150, 156,
TTavapEToS' 191
TTaAaLoS' 218, 254-8, 262
172,184,194,206,240,256,350,352
TTavuorpoS' 189, 191 TTapa80tov 316
f1.ayyavda 21Of.
TTapp7]uLa 141, 144, 147,206
f1.ayyavEvELv 346
TTETTaL8Ev/lEVOS', 0 90f., 313
f1.ayda 31,69,210
TTVEVf1.a 6,8,"80
f1.aYEvELV 307
TTvEVf1.aTLKoS' 6,353
f1.ayoS' 9f., 28f., 58, 63, 68f., 264, 307,
TToL7]TaL 15lf., 168,256,262,268-70,273
346,402
TTOL 7]TLKOS' 286
448
Register griechischer Wörter
rroVl]p{a 104, 144
UW
rrov7]poS' 104 rrpoa{pEULS' 71, 131, 134f., 184f.
TEKOS' LiLOS' 325
rrpOaLpETLKa, n:l 134, 136, 138
TEAEWs:75, 110,289,351,377,381
rrpoYL YVWUKELV 307f.
TEpaS' 31, 206
rrpoYVlJJULS' 383, 385
TEpaTda 316
rrpoKom] 85, 377
TEpaTovPYoS' 213,215,217
rrpoKorrTELv 85, 90
TEpaTw&S' 303
rrpOA.EYELV 308, 385 rrpOA7]i/JLS' 129-31, 198
vI OS'
rrpovoLa 50, 255
- BEov2f., 8-11, 51, 334, 355
rrpo
- IJo8aAELp{oV 335
rrpo
vrrEpavBplJJrroS' 25
346,371-3, 385f., 390,404
vrrEpvE
rrplJJTEtoS' 120
VTTEP
rrpwTOS' 85, 176f., 211, 215, 262, 318, 364,
VTTO
374f.,389 rrvBayop{(ELV 259
pf}TlJJP 124, 188f., 262
UEj1VOS' 76, 377f.
uoif>{a 57, 95, 143, 146, 155, 157, 187,
- BEotS' 107, 316f.
191, 206, 258, 260, 266, 281, 284f., 301-3,305,311-3,352,369,389
- TEpaTE{fJ 205f. - l/>o{ßtp 333, 337f.
UO
UO
uo
159-61, 168, 172-4, 181, 191, 210, 212f.,217,219,235f.,239,25~ 261f., 265-7, 269f., 273, 286-9, 299, 305-7, 312f., 326, 345, 352, 359, 362, 377, 381,388f. urrov8atoS' 70, 75, 85, 137,381 uvyypa
238,243,245,254,262,319,369
256,266,279,299
uVj1rroT7]S' TWV BEWV 135 uwapXELv 133, 148 UlJJTTjp 196f., 199
XP7]UTOS' 72, 101, 110,215, 290-2, 299,
301,312,317,320
ulJJT7]p{a 198 UlJJTTjpwv 245
i/JEv8ouo{a 291
UlJJ
i/Jvxfl57, 74, 82, 177,206,212,215,244,
UlJJ
25~29~341,343f.,377,388
J
Stellenregister (Auswahl) Anthologia Graeca 2,1,321 271 5,285 324 7,2b,4 271 7,52 271,325 7,53,2 271 7,71 271 7,79 145f.,271 7,159,3 271 7,479 146 9,204,3 271 9,445,1 271 11,57,6 271 16,217,2 271 16,295,1 271 16,274 324,326 16,320,3 271
(Ps-)Apollonios von Tyana Epistulae 16 17 44 48
69f. 68f., 148 300 21,72
Aristophanes Ranae 1034 270 Aristoteles Ars poetica 1451 a 270 1459 a 270 Ethica Nicomachea 1101b 21 7,1145a 11,21, 111
Fragmenta (Rose) 21,224 192
Athenaios Deipnosophistae 270 2,13 5,1 270 5,9f. 271 270 13,7 Bakchylides Epin icia 9,3 268 Biblische Schriften Exodus 362 4,16 351,362 7,1 Leviticus 352 16 Numeri 362 23,19 Deuteronomium 351 33,1 Matthäus 355 1,18ff. 352 28,18 Markus 351,355 1,9-11 355 3,22ff. 355 4,1ff. 355 4,35ff. 355 5,1ff. 6,47ff. 355 351,355 9,2-13 12,1ff. 355
450
Personen- und Sachregister
Lukas 1,26ff. 355 Johannes l,lff. 355 19,9 313 Apostelgeschichte 3,13ff. 357 7,22ff. 357 Römerbrief 8,3 355 Galaterbrief 4,4 355 2. Petrusbrief 1,16ff. 351 Certamen Homeri et Hesiodi 270 213f. 271,325 303 271 337f. 270 Clemens Alexandrinus Protrepticus 1,7,2 405 8,80,4 404 Stromateis 1,1,10,5 405 1,19,94,4 405 2,2,8,4 405 2,20,109,2 405 3,3,18,1 405 4,12,87,2 405 4,16,100,6 405 4,21,132,2 405 5,9,57,5 405 5,9,60,1 405 6,11,95,2 405 Cicero Definibus 2,31,101
197
Tusculanae disputationes 1 37 Diodoros Bibliotheca historica 1,94,lff. 388 40,3,lff. 387f. Diogenes Laertios De clarorum philosophorum vitis 3,43 271 4,22 37 6,lff. 140f. 6,77 141, 144, 146 6,110 197 7,117-20 13, 35, 70, 94ff., 378 8,11 228f. 8,21 35,223 8,41 220, 224ff., 272 8,46 231,238 9,2-15 144 10,18 197 Dion Chrysostomos Orationes 1,56ff. 149, 152ff., 158, 165, 168f., 263,265 2,lff. 157,325 2,11 154,158,271 2,17f. 149, 154ff., 168,261,263 11,4 149, 158f., 165, 168, 261, 265 12,23 157 12,26ff. 156 12,49 149, 160f., 168, 26lf., 265f. 12,56 161, 168, 262f. 12,73 157 16,11 157 23,5 157 33,4 7, 12, 26, 35, 149, 162ff., 169, 192, 262f., 267
Personen- und Sachregister
36,32ff. 53,6 80,7
149, 158, 165, 168f., 262f., 265,273 158 157
Dionysios von Halikarnassos De compositione verborum
18 120f. 20 125f., 165f. 24 125f.,168,262 Epistula ad Pompeium 1 125,266 13 122 De Demosthenis dictione 3 117f. 118, 263, 266 6 122, 169 7 23 117f., 120, 166, 263, 266 119,168,263,265 25 12lf., 169,265 26 28 119,168,265 120,266 32 116, 120,263 33 125, 168 41 115ff., 165,263 46 De Lysia 122ff., 165f., 168, 26lf., 266 3 De Thucydide 2 123f., 262f., 266 123 8 51 124 55 124,262 Epiktet Dissertationes 1,4,28 13 3,21,18f. 141, 147 4,1,6ff. 186f. 4,1,57 186f. 4,1,58ff. 127ff.,147 4,8,30ff. 148
451
Encheiridion 1,1-3 185f. 15 10, 13,37,127, 132ff., 168f., 266,268 Epikur Epistula ad Menoeceum 128 206 131 206 132 204 135 199,204 Fragmente (Usener) 141 196 Herculaneum Papyri 176 197 346 co!. 4 197 1251 c. 22 197f. Ratae sententiae lff. 204,207 Eunapios Vitae sophistarum 458 260 454f. 319 Euseb Contra Hieroclem 316f. lf. 317 5 318 7f. 318 11 311 35 38 317 Demonstratio evangelica 3,11 317 Praeparatio evangelica 4,13 317 9,22,7 324 Galenos (Kuhn) De causis pulsuum 9,88,12 263
452
Personen- und Sachregister
De compositione medicamentorum 12,628,9 324, 326f. De diebus 9,775,8 263 De naturalibus facultatibus 2,189,6 263 Quod animi meres 4,798,5 263 Hekataios von Abdera (FGH) III B 264 387 (Ps-)Herakleitische Briefe 2,56 143 2,62 143 4,58 145 9,80 143 9,84 144 Herakleitos Quaestiones Homericae 70f. lf. Hermippos (Wehrli) 224ff.,272f. Fr. 20 Herodian Partitiones 324,327,329,332 20 JJepl rra8wI/ (Lentz) 3,2,334 324 Hesiod Opera et dies 727-32 21, 110 Iarnblichos De vita pythagorica lf. 10, 220, 222, 24lff., 262 5 335 243f.,335,343 8 10 37 23lf. Ilf.
12 25 30-32 30 35-57 44 53 56 60-63 76 88 134f. 140-43 146 150 157ff. 161f. 244 254 255 257 264
220, 222, 236f., 261, 263, 266 335 244f. 224 228f.,335 237 220, 222, 230f., 263, 266, 268 220,222, 228f., 235f., 26lf., 266 222ff. 220, 222, 233f., 239f., 263 230f. 222ff. 223f. 220 238 262 220, 222, 238, 246f. 339 221, 229f. 220, 222, 229ff., 263, 266, 268 230 339
Ignatius Epistula ad Magnesios 404 8,2 Inschriften Wolfe-Expedition (Sterrett) III438 182ff., 191,263,266, 408f. [GRom IV 1498
335f.
Josephos Antiquitates ludaicae 3,l80 21, 352ff., 357, 361, 382f., 392ff.,403 4,323ff. 358
Personen- und Sachregister
8,34 353,357 8,243 355, 382f., 385f. 10,35 352, 355, 357f., 383ff. 19,282 382f. De bello ludaico 3,8f. 352 7,344 355 Contra Apionem 1,279 382f., 386ff. 2,135f. 389f. 2,148 390 2,15lff. 390f.,398 2,282ff. 39lf. 2, 190ff. 398f. Irenäus Adversus haereses 1,8,17 404 Kratinos (Kock) Fr. 1 111 Laktanz Divinae Institutiones 5,2f. 315f. Lukian Alexander 4 5
11 22 25 34 36 38 43 47 59 61
35, 212ff., 26lf., 265f., 286, 345 10, 339 10, 325, 329ff., 346 339,346 204f., 262f., 339, 341 34lf. 331,348 337,348 344,346 205f.,209f. 335,344 35, 193f., 203ff., 263, 345
Cynicus 25,35, 195, 264, 272f. 13 Demonax 202 11 202 63ff. Dialogi mortuorum 20,3 344 Fugitivi 217 9 I caromenippus 2 195, 272f. Menippus 6 266f. Philopseudes 32 35, 190f., 192, 261ff., 265ff.,344 Piscator 215 20 25 216 214f. 32f. 214 51 Pro lapsu inter salutandum 5 217f., 262, 266 Rhetorum praeceptor 13 188f., 192,263,267 Symposium 41 324 Verae historiae TI 21 344 Vitarum auctio 344 3ff. 203 8 Lukrez De rerum natura 200f.,204 1,66ff. 204 3,2ff. 200f.,204 3,9 200f.,204 5,8f. 200f.,204 6,4
454
Personen- und Sachregister
Markus Aurelius
Meditationes 4,17 4,39 5,26f. 6,30 7,44 7,55 7,66f.
8,5 8,10 10,8 11,15
75 75 73f. 76 75 73 21, 73ff., 76, 96, 110,300, 378 75 75 76 76
Numenios (Leemans)
1
259
Origenes
Contra Celsum 6,11 8 7,8f. 8 7,28 12,35, 257f., 262 7,41 256f.,265 7,49 258,404 7,58 257,265 De principiis 4,2,6 404 Fragmenta in Ep. I ad Cor. 21 405 Fragmenta in Lucam 205 405 Selecta in Genesim 12,125 404 Selecta in Psalmos 12,1101 205 Panaitios (Van Straaten)
Fr. 56
173f., 191, 27lf.
Philodernos De Pietate 106
198f.
JJepl ()dJv
Fr. 9b Fr. 10
171 6, 12, 21, 170ff., 191, 268, 272
PhiIon von Alexandrien DeAbrahamo 26 379f. 47 380f. De cherubim 45 382 De decalogo 32 362 De ebrietate 30 362 De fuga et inventione 108 352 De Josepho 96 382 167 382 200 382 De migratione Abrahami 8 362 42 362 90 351,361,370 De mutatione nominum 19 354,362 125ff. 362 De plantatione 29 351,361,371 177 352 De posteritate Caini 28ff. 354 De praemis et poenis 43 351, 361, 363f., 368f. De providentia 2,39 361, 365ff. 2,48 36lf., 367f.
455
Personen- und Sachregister De sacrificiis 8ff. 354, 358f. De sobrietate 56ff. 352 De somniis 2, 185ff. 352,362 2,234 359 De specialibus legibus 1,3 374 1,8 351, 361, 374f. 1,41 382 1,314 351, 361, 373f. 3,178 351,361,375 De virtutibus 8ff. 351, 361, 376ff. 73ff. 358 175 382 177 351, 353f., 359, 361, 379ff., 403 201 383 Legatio ad Gaium 67 382 118 362 Legum allegoriae 1,40 362 3,97ff. 364,369 3,185 382 Quaestiones in Exodum 2,29ff. 351,354 2,46 354 2,54 373 Quaestiones in Genesim 1,55 362 2,54 361f. "\ Quod deus sit immutabilis 362 53 140 382 Quod deterius ... soleat 382 135 160ff. 359,362 Quod omnis probus liber sit 352,362 43
Vita Mosis 1,] 1,27 1,41 2,67 1,158 1,283 2,188 2,192 2,194 2,288ff.
389 359 382 382 357,362 362 361 382 362 351, 358, 371ff.
Philostrat Epistulae 278ff.,282 73 Heroicus . 282 747 Vita Apollonii 1,1 284,307 1,2 35,276,281,286,301,303, 306ff., 312, 317f. 309,335 1,4 1,8 344 8,10 1,19 1,21 276,312 1,27f. 295 305 1,32 276,313 2,17 2,21 276 2,30f. 313f. 276,313 2,40 287,313 2,41 3,16 287 3,18f. 276, 284f.,292f., 297 3,25 276, 289f., 299 3,28 286,291,317 3,29 276, 286, 299f. 3,42 276, 302ff., 312 3,50 27 3,51 299 4,13 21,276 281,284 4,16
456
Personen- und Sachregister
4,31 295 5,12 308,311 5,27 291 5,35 292 6,3 276,287,300,308 6,11 276,281, 284ff., 299f., 305 6,14 306 6,19 276,287, 288f., 299 7,8 286 7,14 287,300 7,21 10 7,28 318 7,32 299 7,34 311 7,38 65, 276, 31Off. 8,4 295 8,5 293 8,7,2f. 276,291,301 8,7,4 27~281f.,283f.,312 8,7,6 293 8,7,7 276, 293f., 296ff., 302 8,7,9 303f.,308 8,7,10 306,308,312 8,7,12 284 8,13 65,276;309ff. 8,15 21,37,276, 314f., 317 Vitae sophistarum 1,492 281 1,537 282 2,562 291 2,570 314 2,616 280ff.
99d Minos 318f. Nomoi 1,642d 2,666d 7,818 12,945 12,951 Phaidros 246e-248c Philebos 18b Politeia 331e 383c 500cd Symposion 203a 219c Timaios 40a-42e 90a Plotin Enneades 2,9,10 3,3,6 3,5,1 4,8,1 5,9 6,9,11
254f.,262f. 255 252 252,263,344 253f. 255
Platon Ion 530f. 533ff. 541f. Kratylos 398bc Menon 81ab
Plutarch /v!oralia 24A 90C 117BC 410A 415B 431E 563D
21,45-7 37, 175f., 191 196 25 177 175ff., 191 110
269f. 268 37,268 111 37,269
11,22,35, 111 100f., 111 36f. 21, 111 12 12 12,21 243f.,343f. 21,37 269f. 21, 111 35 21 21 (
344 344
457
Personen- und Sachregister
564C 104f. 589CD 35, 99f., 109f. 591DE 344 592F 102 593AB 21, 100ff., 110 700B 176 734F 97 748CD 108f. 926DE 97 997CD 175, 180ff. 1033E 174f.,271 175, 178ff., 191 1119C 1129A 196f. Vitae parallelae Alexander 2 335 Cato 21,8 107 Cimon 10,4 111 Lycurgus 4,5 297 31,2 18lf. 31,6 110,181 Numa 4,4 101, 110 Pericles 8,2 175f.,191 Se rtorius 12,1 106 20,5 106f. Comparatio Cimonis et Luculli 3,6 105f. (Ps-)Plutarch Consolatio ad Apollonium 104D 177f. 37, 177f. 1200 Porphyr Ad Marcellam 25lf. 10
15 l1lf. De abstinentia 2,45 252 2,61 252 3,16 252 Vita Plotini 250f. 1Of. 23 251 Vita Pythagorae ( 2 221,335 23-28 222ff. Seneca De constantia sapientis 2,1 90 7,1 90 De vita beata 25,4 93f. 26,7f. 9lf. Epistulae morales 64,7ff. 93 Theodotos (Holladay) 324, 327ff. Fr. 5 Theognis Elegiae 1331
324f.
Timaios (FGH) 566F 17 228f. Vita Hesiodi 272 36ff. Vita Homeri (Herodotos) 270 515f. Vita Homeri (Proklos) 324f. 101
Bezeichneten die frühen Christen Jesus aufgrund einer hellenistischen theios aner- Vorstellung als "Gottessohn"? Der Autor untersucht die kaiserzeitliche Verwendung' griechischer Ausdrücke, die man tradItionell mit "göttlicher Mensch" bzw. "Gottmensch" übersetzt, stellt ihre Bedeutungen heraus und weist nach, daß diese nicht mit einer solchen Gottmensch-Vorstellung korrelieren. So wird einer der wirksamsten Hypothesen zur Erklärung der Entstehung der frühchristlichen Gottessohnchristologie der Boden entzogen.