Schüsse peitschten durch die a b grundtiefe Stille im verschneiten Bergland. Revolver und ein Gewehr, registrierte Lobo...
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Schüsse peitschten durch die a b grundtiefe Stille im verschneiten Bergland. Revolver und ein Gewehr, registrierte Lobo, w ä h r e n d er seine Winchester ergriff und von seinem Platz am Feuer aufsprang. Der Morgan-Hengst schnaubte u n d witterte nach Nordwesten. Dort fielen die Schüsse, und sie näherten sich anscheinend. Lobo v e r h a r r t e am Rand der verschneiten Mulde und spähte aus engen Augen durch die wirbelnden Schneeflocken in die Ebene hinaus. Die Reiter w a r e n n u r als Schemen im Weißgrau zu erkennen. Zwei Reiter. Sie wurden verfolgt. Einer der Flüchtenden hatte sich im Sattel gedreht und schoß mit einem Revolver auf die Verfolger. Der
andere konzentrierte sich ganz aufs Reiten. Die Pferde und die beiden Packtiere w a r e n offensichtlich erschöpft. Schnee tanzte um die Hufe. Der Atem w a r wie milchiger Dampf vor den Nüstern. Die Reiter n ä h e r t e n sich im Galopp. Der Neuschnee über der gefrorenen Schneedecke dämpfte den Huf schlag. Wenn die Reiter die Richtung beibehielten, mußten sie etwa zweihundert Yards westlich an Lobos Camp vorbeikommen. Jetzt konnte Lobo die Verfolger besser erkennen. Vier Männer. Sie w a r e n gerade bis auf Schußweite heran, und sie feuerten blindlings hinter den Flüchtenden her. Munitionsverschwendung, dachte Lobo, während er eine Patrone in die 3
K a m m e r der Winchester hebelte. scheute. Sein Reiter hatte Mühe, es u n t e r Kontrolle zu halten. Auf diese Distanz mußten sie schon Der Gefährte schrie etwas. Glück haben, wenn sie von einem gaBeide Reiter änderten die Richloppierenden Pferd aus etwas trafen. tung, wollten nördlich an der Mulde Im nächsten Augenblick trafen sie. vorbei. Eines der Packpferde brach zuEinen Augenblick lang fiel kein sammen. Es fiel in den Schnee, keilte Schuß mehr. Fast lautlos bewegten wild aus. Das gequälte Wiehern versich die Reiter über die grellweiße riet die Pein des sterbenden Tieres. Wer immer die beiden Flüchtenden Schneedecke, eingehüllt in tanzende auch sein mochten, es sah schlecht Schneeflocken. Dann hatten sich die Verfolger von für sie aus. Sie hatten keine Chance ihrer Überraschung gegen die vier Vererholt und wohl folger. Das mußte D i e Hauptpersonen des Romans: Lobos Standort auch der M a n n erausgemacht. k a n n t haben, der Lobo — Das Halbblut kommt aus dem bisher mit dem ReBlizzard und gerät in einen Bleihagel. Sie feuerten in Procter — Der düstere Mann ist von volver auf sie geseine Richtung. einem Geheimnis umgeben. Das wird schossen hatte. Er nicht nur ihm zum Verhängnis. Das Blei zischte stellte das Feuern Bob — Der Frachtwagenfahrer sieht die weit an ihm vorbei Chance seines Lebens und greift beein, ruckte im Satoder über ihn hindenkenlos zu. tel herum und rief weg. Dann fegte Wego — Der Mann aus den Crazy seinem Gefährten Mountains fühlt sich am Ziel seiner ein Geschoß k a u m Wünsche und begeht einen Fehler. etwas zu, was Lobo einen Yard vor LoVivian — Die Frau w i l l die Vergangenauf die Entfernung bo Schnee u n d Eis heit vergessen und sucht das große nicht verstehen Glück. Doch auf dem Weg in eine hoch. goldene Zukunft liegt Warners Stakonnte. Lobo preßte sich tion . . . in den Schnee. Die beiden ReiDie beiden Flieter änderten die Richtung. Sie hielten jetzt auf die henden hatten inzwischen erkannt, Mulde zu. Vielleicht hofften sie, sich daß die Schüsse aus der Mulde für sie keine Gefahr bedeuteten, im Gedort besser verteidigen zu können. Lobo blickte zu den Verfolgern hin. genteil die Rettung bringen konnten. Sie galoppierten an dem getroffenen Sie galoppierten jetzt von Norden Pferd vorbei, dessen zuckende Hufe her auf die Mulde zu. vom Blut gefärbten Schnee aufwirDrei der Verfolger schossen blindbelten. lings zu Lobo hin. Einer hatte inzwiKeiner kam auf die Idee, dem ver- schen das G e w e h r mit dem Revolver letzten Tier den Gnadenschuß zu ge- vertauscht u n d feuerte auf die ben. Flüchtenden. Immer noch schossen sie hinter Das Pferd des ersten Reiters stolden Flüchtenden her. Die Mün- perte und stürzte. Der Reiter kippte dungsfeuer w a r e n seltsam blaß im aus dem Sattel, rollte durch den Schneeschleier. Schnee und blieb wie tot liegen. Lobo zielte auf das Pferd und erlöSein Gefährte stieß einen heiseren ste es von seinen Qualen. Schrei voller Verzweiflung aus. Er Dann repetierte er und feuerte zügelte sein Pferd, ruckte im Sattel über die Köpfe der Reiter hinweg in herum. den bleigrauen Himmel. Die Verfolger w a r e n bis auf etwa Das Pferd des ersten Flüchtenden hundertfünfzig Yards heran. 4
W e r ist Lobo? Sein Name ist LOBO. Er ist ein Einzelgänger. Ein Mann ohne Freunde. Ein AusgestoBener. Denn Lobo ist ein Halbblut. Sein Vater war ein Weißer, seine Mutter eine Squaw vom Stamme der Pima-Apachen. Sie wollten in Frieden leben, aber weiße Skalpjäger ermordeten sie. LOBO überlebte: ein Junge, der über Nacht begreifen mußte, daß er die falsche Hautfarbe hatte. Daß es nicht genügte, ein Mensch zu sein, sondern daß man weiß oder rot oder schwarz sein mußte, um einen Platz auf der Welt zu haben, wo man hingehörte. LOBO war weder weiß noch rot. Er gehörte nirgends hin. Ihn wollte niemand haben — weder die Weißen, noch die Indianer. An seinem Schicksal offenbart sich die starrköpfige Haltung der weißen Siedler in Amerikas Pionierzeit. Sie richtete sich gegen alles, was andersfarbig war. Gegen Schwarze ebenso wie gegen Chinesen, gegen Mexikaner wie gegen Indianer. Vor allem aber gegen Mischlinge. LOBO steht für alle, die in jenen harten Tagen, an denen das Faustrecht Gesetz war, zu denen gehörten, die aufgrund ihrer Herkunft aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen wurden. Die historische Tatsache, daß in der Gesellschaft der Pioniere meist das Recht des Stärkeren galt, war die Tragik der amerikanischen Minderheiten. Ihnen wurde das Lebensrecht, mehr noch, die Menschlichkeit abgesprochen. Sie waren vogelfrei. Heimatlos in einem riesigen Land, das Heimat für so viele war. Gedemütigt und geächtet, auf der Suche nach ihrer verlorenen Ehre. LOBO war einer von ihnen. Ein Mann, der sein Schicksal annahm und nach bitteren Erfahrungen unbeirrt seinen Weg ging. Eine gewalttätige Zeit und ein teilweise unmenschlich wildes und hartes Land ließen keine Alternativen: Alles In der Ära der Westwanderung war Kampf. Jeder, der den Mississippi überschritt, stieß in ein Territorium der Unsicherheit vor, in dem die nahezu totale Abwesenheit von Zivilisation markantes geschichtliches Merkmal war. Jeder neue Tag, jeder Fußbreit Land — buchstäblich alles mußte errungen werden. Männer wie LOBO kämpften um mehr, um das natürliche Lebensrecht. Sie standen mit dem Rücken an der Wand. Ihnen wurden die einfachsten Rechte vorenthalten: Sie wurden in vielen Städten nicht als Bürger geduldet, in vielen Gebieten nicht als Siedler. Sie waren weder vor Betrug noch vor Gewalt geschützt, es sei denn, sie schützten sich selbst. Mord an Farbigen wurde fast nie bestraft. Noch 1920 wurden öffentlich Farbige gelyncht, nur weil sie nicht weiß waren. Es gab Ausnahmen, aber das Unrecht war die Regel. Zum erstenmal ist mit LOBO ein Halbblut, einer jener Verachteten und Verfemten, in den Mittelpunkt einer Romanserie gestellt worden. Zum erstenmal im deutschen Western wird anhand dieses Mannes aufgezeigt, wie farbige Menschen in der Pionierzeit häufig zu leben gezwungen waren. Die LOBO-Redaktion versucht, auf diese Weise einen düsteren, vergessenen Aspekt der Eroberung des Westens darzustellen und gegen möglicherweise noch vorhandenen Ressentiments ein Zeichen zu setzen, Rassenvorurteile abzubauen. Dabei wird dem Kenner der Pioniergeschichte klar sein: Bei allem Bemühen um Realismus war die Wirklichkeit gewalttätiger und härter als jede Phantasie, als jede romanhafte Beschreibung es sein kann. Denn unsere heutige Zeit ist anders. Vorurteile haben abgenommen, wir sind aufgeklärter. Gewalt ist heute keine Lösung mehr. Was damals geschah, übersteigt häufig unsere Vorstellungskraft. Die Geschichten um das Halbblut LOBO spiegeln eine vergangene Zeit wider, in der andere Regeln herrschten. Eine Zeit, deren Schattenseiten nicht vergessen werden sollten, zur Mahnung für mehr Toleranz und gegen Rassenvorurteile.
Lobo gab noch einen Warnschuß ab. Aus den Augenwinkeln sah er, daß sich der gestürzte Mann hinter dem toten Pferd in Deckung warf, w ä h rend sein Gefährte auf die Verfolger schoß. Einer der vier Reiter preßte eine Hand auf die Brust, schwankte und fiel vom Pferd. Er überschlug sich ein p a a r m a l und blieb steif im Schnee liegen. Das Pferd galoppierte weiter. Alles spielte sich sehr schnell ab. Immer noch krachten Schüsse. Wieder brach ein Pferd zusammen, diesmal das Tier des zweiten Flüchtenden. Der Reiter riß geistesgegenwärtig die Füße aus den Steigbügeln und warf sich aus dem Sattel. Er rollte sich geschickt ab und schnellte sich dann hinter das tote Tier. Lobo änderte seine Position und schoß ein paarmal über die Reiter hinweg, die jetzt ihre Pferde pariert hatten und offenbar nicht wußten, mit wie vielen Gegnern sie es zu tun hatten. Sie wußten, daß es jetzt zumindest gegen drei Gegner zu kämpfen galt, und das neue Verhältnis schien ihnen nicht zu behagen. Sie zogen ihre Pferde herum und ergriffen die Flucht. Die beiden Männer hinter den toten Pferden feuerten hinter ihnen her. „Das ist doch nicht m e h r nötig", murmelte Lobo, legte die Hände vor den Mund und blies auf seine klammen Finger. Dann lud er mit mechanischen Bewegungen seine Winchester auf. Die Schüsse w a r e n verstummt. Die drei Reiter verschwanden im Nordwesten. Ihren toten Gefährten ließen sie zurück. Lobo erhob sich und klopfte Schnee von seiner Kleidung. Die Winchester hielt er schußbereit. F ü r 6
alle Fälle. Das Leben in einer gnadenlosen Wildnis hatte ihn gelehrt, immer wachsam zu bleiben. Es sah zwar aus, als drohte von der schwächeren Partei, die er unterstützt hatte, keine Gefahr, aber man konnte nie wissen. Er warf einen Blick zu den beiden Männern hin, die hinter den toten Pferden verharrten. Eines der Packpferde w a r nach ein paar Dutzend Yards stehengeblieben, das andere w a r fast bis zum Rand der Mulde gelaufen. Es schnaubte, witterte mit gespitzten Ohren zu Lobo hin, und Lobo hatte das Gefühl, daß die großen Augen des Tieres ihn beinahe feindselig anblickten. Lobo stapfte durch den Schnee zu seinem Camp zurück. Die beiden w ü r d e n sich ihr Pferd schon holen und ihm erzählen, wer hinter ihnen her gewesen w a r und warum. Lobo setzte sich ans Fenster. Ein scharf vorspringender Felsen schützte ihn vor dem Schnee. Der Wind hatte nachgelassen. Auch der Schnee fiel nicht m e h r so stark. Lobo holte den Tabakbeutel hervor und drehte sich eine Zigarette. Schneeflocken verdampften auf seiner pelzgefütterten Rehlederjacke u n d hinterließen dunkle Flecke. Das Feuer w ä r m t e . Lobo t r a n k einen Schluck aus der Whiskyflasche. Der Alkohol schien in seinem Magen zu explodieren. Der Whisky w a r gut, doch er schmeckte Lobo nicht. Denn er gehörte Drago, dem Killer. Und jedesmal, wenn Lobo einen Schluck aus der Flasche trank, m u ß te er an Drago denken. Er hatte den Sheriff-Mörder von Butte aus gehetzt. Durch Eis und Schnee und bittere Kälte. Vor zwei Tagen hatte er den Killer fast stellen können. Doch Drago hatte u n w a h r -
scheinliches Glück gehabt. Er war verletzt gewesen, doch es w a r ihm gelungen zu entkommen. Heftiger Schneefall h a t t e seine Spuren verdeckt. Vielleicht gab es eine Chance, den Killer doch noch zu erwischen. Dragos Freundin Conny lebte in Red Lodge. Lobo w a r auf dem Weg zu dieser Stadt, denn er vermutete, daß es Drago dorthin ziehen würde. Er verkorkte die Whiskyflasche und verstaute sie in seiner Deckenrolle. Als er die Zigarette zu Ende geraucht hatte, tauchten die beiden Männer auf, denen er geholfen hatte. Jeder führte ein Pferd am Zügel. Den toten Tieren hatten sie Sättel und Satteltaschen abgenommen. Erst als die beiden bis auf ein Dutzend Yards heran waren, erkannte Lobo, daß es nicht zwei Männer waren, wie er von weitem angenommen hatte, sondern ein Mann und eine Frau. In der dicken Winterbekleidung w a r die Figur der Frau n u r zu erahnen. Sie trug wie der Mann eine dikke, gefütterte Lederjacke, Levishosen und Reitstiefel. Sie bewegte sich auch fast wie ein Mann, steifbeinig, wenig graziös. Ihr Gesicht w a r gerötet, und der Ausdruck ihrer Augen verriet noch Angst. Eine nasse schwarze Haarsträhne lugte unter dem Hut hervor. Die F r a u mochte Ende Zwanzig sein. Das Gesicht mit graublauen Augen, einer kleinen Nase und aufgeworfenen Lippen hatte etwas Puppenhaftes und wirkte dennoch herb, beinahe streng. Eine herbe Puppe, dachte Lobo. Der Mann w a r mindestens doppelt so alt. Sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht wies tiefe Falten und Kerben auf und strahlte H ä r t e aus. Er trug einen schmalen, grauen
Oberlippenbart. Bartstoppeln bedeckten die Wangen und das spitz vorspringende Kinn. Ein düsterer Freier, dachte Lobo. Die schwarzen Augen des Mannes musterten Lobo mißtrauisch, ja fast sogar feindselig. Auch die F r a u blickte Lobo sehr reserviert an. „Wie kommen Sie hierher, Mister?" fragte der Mann mit tiefer, r a u h e r Stimme. „Könnte ich Sie auch fragen", e r widerte Lobo. „Aber wenn es Ihre Neugier befriedigt - ich bin mit dem da gekommen." Er wies zu dem Morgan-Hengst, der neben dem Felsen am Rande des Camps angebunden w a r und h e r über blickte, als verfolge er das G e spräch. Die Miene des Mannes schien sich noch zu verdüstern. Er tauschte einen schnellen Blick mit der Frau, bevor er wieder Lobo anschaute. „Schon mal den Namen Alderman gehört?" fragte er lauernd. „Nein", erwiderte Lobo, „sollte ich?" „Warum fragst du ihn nach Alderm a n ? " sagte die F r a u verwundert. Die schmalen Lippen des Mannes zeigten die Andeutung eines grimmigen Lächelns. „War nur ein Test, Darling." Er heftete seinen Blick wieder auf Lobo. „Ich hätte Ihnen schon an den Augen angesehen, Mister, ob Sie den Namen kennen oder nicht. Sie k e n nen ihn nicht. Ich glaube Ihnen." „Sehr nett", sagte Lobo. Der Mann bemerkte wohl nicht den leichten Spott. „Mit Wego können Sie nichts zu tun haben", fuhr er fort, „sonst hätten Sie nicht auf ihn und die anderen H u n desöhne geschossen." Er blickte sich besorgt um und w a n d t e sich d a n n an die Frau. „Darling, wir reiten gleich weiter." 7
„Aber...", w a n d t e die F r a u ein. „Kein Aber. Die Kerle könnten es noch einmal versuchen." Er blickte zum grauen Himmel. „Wenn mich nicht alles täuscht, hängt noch mehr Schnee in der Luft. Ich habe das Gefühl, es wird einen Blizzard geben. Wir müssen weiter." Ein seltsames Paar, dachte Lobo. Nicht gerade sympathisch. Kein Wort des Dankes, keine Erklärung, n u r Mißtrauen. „Nat", sagte die Frau, „können wir nicht wenigstens 'ne kurze Rast einlegen?" Sie sprach schnell, wie außer Atem, aber das w a r wohl ihre typische Sprechweise. „Solange wir hier sind, werden uns die Kerle bestimmt in Ruhe lassen. Bitte, Nat, wenigstens 'ne halbe Stunde." Und leiser fügte sie hinzu: „Mir t u t v e r d a m m t der Hintern weh.'' Das klang wenig damenhaft, aber Lobo hatte auch schon Schlimmeres aus dem Munde sogenannter feiner Ladys gehört. Nat überlegte. Schließlich nickte er. „Okay, legen wir 'ne kurze Rast ein. Aber ich will so schnell wie möglich in B i . . . " Er brach ab, als hätte er schon zuviel v e r r a t e n und bedachte Lobo mit einem mißtrauischen Blick. Sie wollen also nach Billings, dachte Lobo, denn er kannte keine Stadt im näheren Umkreis, die mit Bi begann. „Binde mal die Pferde an", sagte Nat zu der Frau. Vorhin hatte er „Darling" gesagt und die F r a u fast zärtlich angeblickt, jetzt behandelte er sie ziemlich schroff. Sie gehorchte sofort. Er zog sein Gewehr aus der Sattelhalfter, überprüfte es und schaute in die Runde. „Guter Platz für ein Camp", sagte er. Die F r a u führte erst ihr Pferd zu einer Krüppelkiefer, d a n n das Pferd ihres Begleiters. 8
Nat setzte sich unaufgefordert zu Lobo ans Feuer u n d w ä r m t e sich die Hände. Das Gewehr hatte er griffbereit neben sich gelegt. Einen Augenblick lang sagte niemand etwas. Lobo schob einen halb a n g e b r a n n ten Ast weiter ins Feuer. Funken stoben auf. Es schneite nicht mehr. Kein Windhauch ging. Es war, als hielte die Natur den Atem an. Lobo k a n n t e diese Vorzeichen. Auch er rechnete mit einem Blizzard, und er fragte sich besorgt, Ob er es noch bis Red Lodge schaffen konnte, bevor das U n w e t t e r losbrechen w ü r de. Die F r a u stapfte durch den Schnee und setzte sich auf den Felsbrocken, der n a ß von getautem Schnee war, ans Feuer. Sie zog die Handschuhe aus, klopfte Schnee von ihrer Jacke und der Hutkrempe und rieb sich d a n n die Hände über dem Feuer. „Das tut gut, Mister. War schon fast steif vor Kälte. Na ja, was kann man in diesem verdammten Land zu dieser Jahreszeit schon erwarten? Glauben Sie auch, daß wir mit einem Blizzard rechnen müssen, wie Nat meint?" Lobo nickte. Immer noch hatten die beiden keinerlei E r k l ä r u n g abgegeben, kein Wort des Dankes gesagt oder sich vorgestellt. Auf letzteres konnte Lobo gut verzichten, aber es interessierte ihn doch, w a r u m das P a a r verfolgt worden war. Es w a r um Leben und Tod gegangen. Ein Mann w a r gestorben, zwei Pferde w a r e n getötet worden. Und w e n n Lobo nicht eingegriffen hätte, w ä r e mit Sicherheit noch mehr Blut geflossen. „Sie kennen sich aus, was?" sagte Nat in Lobos Gedanken. „Leben Sie hier in Montana?"
Lobo ignorierte die Frage. Das hätte noch gefehlt, daß er den beiden Fragen beantwortete. Er h a t t e nicht übel Lust, seine Rast zu beenden und davonzureiten, ohne sich von dem seltsamen P a a r zu verabschieden. Es w a r gut möglich, daß die drei Männer zurückkehrten und von neuem angriffen. Und Lobo hatte nicht vor, in einem Spiel mitzumischen, dessen Regeln er nicht kannte. Nat besaß offensichtlich keine Lebensart. Unbeholfen sprach er weiter: „Wir kommen von Big Timber. Kennen Sie Big Timber?" Sein Blick und sein Tonfall hatten plötzlich etwas Lauerndes. „Kenne ich nicht", sagte Lobo gelangweilt. Er drehte sich noch eine Zigarette. „Südlich der Crazy Mountains", sagte Nat. „Kennen Sie die Crazy Mountains?" Lobos Blick verriet den Seufzer, den er n u r m ü h s a m unterdrückte. „Nein, sollte ich?" Der Mann u n d die F r a u atmeten auf, als w ä r e eine Spannung von ihnen genommen worden. Die F r a u lächelte jetzt sogar - zaghaft, aber immerhin. „Mister, darf ich eine Zigarette haben?" fragte sie. Lobo gab ihr die fertig g e d r e h t e Zigarette. Sie zog einen angebrannten Ast aus dem Feuer und zündete sich die Zigarette an. Sie sog tief den Rauch ein, rauchte fast gierig. „Danke", sagte sie. „Jetzt fehlt mir n u r noch 'n richtiger Schnaps." Sie blickte zu Lobos Deckenrolle, aus der der Hals der Whiskyflasche hervorragte. Lobo reichte ihr wortlos die Flasche. Die Frau t r a n k und taute förmlich auf. Sie lachte. „Guter Stoff, Mister wie heißen Sie eigentlich? He, Nat, wir sollten uns vorstellen, wie es sich
gehört." Nat sagte schwerfällig. „Ich bin Nat, das ist Vivian. Und Sie?" „Lobo." Nat und Vivian nickten. Dann fing der Mann Vivians Blick auf, und er sagte: „Sie wollen sicher wissen, w e r die Kerle waren, die uns verfolgten." Er fuhr gleich fort: „Dreckige Banditen w a r e n das. Gut, daß Sie, Mister, im richtigen Moment auftauchten." „Ich w a r sowieso hier", sagte Lobo spöttisch. „Jaja. Jedenfalls haben Sie uns v e r d a m m t geholfen." Er blickte zu Vivian. „Meine - F r a u und ich hätten k a u m eine Chance gegen die vier gehabt. Es ist nämlich so, wir haben eine kleine Herde verkauft." Er blickte Lobo prüfend an. Lobo sagte nichts. Aber er dachte sich seinen Teil: Eine Herde verkauft - zu dieser Jahreszeit? Er spürte, d a ß der Mann nicht die Wahrheit erzählte. Doch Lobos Miene verriet nichts von seinen Gedanken. „Vor einiger Zeit", fuhr Nat fort, „bevor der Schnee einsetzte. Na, es w a r kein großes Geschäft. Wissen Sie, wir sind nur kleine Rancher. Wir h a b e n auch das Geld gar nicht m e h r bei uns, aber das w u ß t e n diese B a n diten nicht. Und sie vermuteten sicher eine größere Summe, sonst h ä t ten sie nicht Kopf und Kragen bei dem Überfall riskiert. Die Kerle w a ren schon einige Zeit hinter uns her. Ich dachte, sie h ä t t e n im Schneetreiben unsere F ä h r t e verloren, aber das w a r eben nicht der Fall. Beinahe h ä t t e n sie uns erwischt. Na, Gott sei Dank, ist ja noch m a l alles gutgegangen." „Wir sollten uns bei Mister Lobo bedanken", sagte Vivian. „Jaja", murmelte Nat, „du hast ganz recht, Vivian." Er nickte ein p a a r m a l und vergaß d a r ü b e r ganz, den Dank auszusprechen. 9
Lobo fand die Story des Mannes recht dürftig. So einiges paßte da nicht so recht zusammen. Wahrscheinlich hatten die beiden doch eine größere Geldsumme bei sich. Woher auch immer sie stammen mochte. Es w ä r e eine E r k l ä r u n g für ihr Mißtrauen ihm gegenüber gewesen. Aber was ging ihn, Lobo, das an? Er hätte auch keinem Fremden gegenüber zugegeben, eine größere Geldsumme zu besitzen . . . Vivian w a r offenbar etwas gew a n d t e r als ihr Mann. Sie streckte Lobo die Rechte hin und sagte: „Wir danken Ihnen, Mister Lobo." Er ergriff ihre Hand und drückte sie leicht. Die Hand w a r schmal und kalt. Sie lächelte und blickte Lobo mit ihren blaugrauen Augen nachdenklich an. „Sie sind ein Halbblut, nicht wahr?" Lobo nickte nur. Wie oft hatte man ihm diese Frage schon gestellt? „Ich kannte mal einen Mann . . . " begann Vivian. „Das tut doch hier nichts zur Sache", unterbrach ihr Mann sie schroff. Ärgerlich blickte er sie an. „Entschuldige", sagte Vivian, und es klang etwas schnippisch. Dann heftete sie ihren Blick wieder auf Lobo. „Warum haben Sie uns eigentlich geholfen?" Lobo zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hab ich mir für jeden Tag eine gute Tat vorgenommen." Vivian lachte. Sie wirkte jetzt gelöster. Der herbe Zug w a r aus ihrem Gesicht verschwunden. „Na, dann haben Sie für heute ja Ihr Soll erfüllt, Mister." Nat schaute sich besorgt um, dann blickte er zum Himmel. „Dann wollen wir mal", sagte er. Seine Stimme verriet Ungeduld. Er rieb sich noch einmal die Hände über 10
dem Feuer, erhob sich und reckte sich. „Komm, Darling, wir müssen weiter." Sie wäre sicher noch gerne länger am Feuer geblieben, doch sie sagte nichts, nur ihre Miene verriet Enttäuschung. Sie holte die Pferde. Nat schob sein Gewehr in die Sattelhalfter und saß auf. Als Vivian ebenfalls im Sattel saß, sagte sie zu Lobo: „Also dann, auf Wiedersehen, Mister Schutzengel." Nat murmelte ebenfalls „Auf Wiedersehen", aber nach seiner düsteren Miene zu schließen, wünschte er genau das Gegenteil. Lobo blickte dem ungleichen P a a r nach. Es ritt im Galopp nach Süden. Nat hatte es eilig. Entweder rechnete er mit einem erneuten Auftauchen der Banditen, oder er sorgte sich wegen des Wetters. Lobo löschte das Feuer mit Schnee und bereitete sich ebenfalls auf den Aufbruch vor. Zehn Minuten später verließ er den Rastplatz. Er ritt nach Süden aus der Mulde, auf den Spuren von Vivian u n d Nat. Die F ä h r t e w a r deutlich im Schnee zu erkennen. Das Paar wollte wahrscheinlich nach Billings. Dann nahm es bis zur Gabelung des Trails hinter Warner's Station rund zwanzig Meilen den gleichen Weg wie Lobo. Er ließ den Morgan-Hengst, der sich gut erholt hatte, ein Stück galoppieren, d a n n versammelte er ihn und ließ ihn traben. Eine Weile beschäftigte er sich noch in Gedanken mit dem Paar, das ihm zufällig im weißen Niemandsland begegnet war, doch dann dachte er n u r an den langen Ritt, der vor ihm lag. Und er dachte an Drago, den Killer. Der Sheriff von Butte w a r ein F r e u n d von Lobo gewesen. Drago hatte ihn hinterrücks erschossen.
Seither jagte Lobo den Killer. Er hoffte, ihn in Red Lodge zu finden. Am späten Nachmittag, als Lobo noch k n a p p vier Meilen von Warner's Station entfernt war, begann der Blizzard. Und Lobo vergaß Drago. Er hatte n u r noch einen Gedanken: So schnell wie n u r möglich zur Station zu gelangen.
Der Schneesturm tobte um die einsame Station. Der Wind fauchte um das Hauptgebäude u n d den Stall, peitschte Hagel gegen die geschlossenen Fensterläden. Im I n n e r n der Station w a r es behaglich w a r m . Eine gemütliche Oase in eisiger Wildnis. Das Feuer im Kamin knackte. Die Lampen brannten. T a b a k r a u c h hing in der Luft. Die vier Männer am Tisch in der Ecke neben dem Kamin würfelten um Runden. Sie w a r e n Frachtwagenfahrer. Rauhe u n d trinkfeste Burschen, dachte Jack Warner, der Stationsmann, als er von neuem eine Flasche Whisky an den Tisch brachte. Sie verzichteten auf Gläser, ließen die Flasche kreisen und rissen Witze über alles und jeden. Vier Kumpane, die sicher schon manch abenteuerliche F a h r t hinter sich hatten. Burschen, die sich allenfalls von einem Blizzard aufhalten ließen. Jack W a r n e r kannte diese Sorte. Er war selbst einige J a h r e lang Frachtwagenfahrer gewesen. Er wußte, daß es bei diesen Männern zünftig zuging. Einer für alle, alle für einen. Die legten kein Wort auf die Goldwaage und zählten nicht die Drinks, die sie beim Würfeln verloren oder
gewannen. Einer von ihnen knallte gerade die Würfel so heftig auf die Tischplatte, daß zwei der Würfel vom Tisch sprangen und über die rauhen Holzplanken kollerten. „Du Geige!" brüllte der Mann, den die anderen „Bulle" nannten. „He, Joel, ich schlage vor, wir setzten uns alle gleich auf den Boden. D a n n brauchst du nicht immer die Würfel aufzuheben." Joel, ein stämmiger, kleiner M a n n mit roten, wirr abstehenden H a a r e n erhob sich grinsend und suchte die Würfel. „He, Jungs, das w a r ein Meisterwurf!" rief er, als er sie aufgeklaubt hatte. „Gilt nicht, du Schlitzohr", p r o t e stierte ein anderer, „noch spielen wir am Tisch." Joel setzte sich wieder. „Ihr Pfeifen h a b t ja keine Ahnung. Ich hab mal 'ne ganze Nacht mit drei Berufsspielern gewürfelt. Und was soll ich euch sagen?" . „Besser hältst du die Schnauze und würfelst", b r u m m t e der Mann mit dem Spitznamen Bulle. „Und zwar auf dem Tisch. Deine Lügenmärchen kennen wir." Joel knallte die Würfel auf die Tischplatte, blickte mit beleidigter Miene in die Runde und sagte: „Lügenmärchen? Ich sage euch, die drei Profis guckten am Morgen vielleicht d u m m aus der Wäsche! Das heißt, sie saßen nur noch in Unterhosen da. Alles andere, Hemd und Hose, h a t t e n sie an mich verloren." Die anderen lachten, mehr über Joels schlechten Wurf als über seine Worte. „Na und?" sagte Bulle dröhnend. „Ich hab mal 'ne Nacht mit 'ner Berufsspielerin gespielt. Die h a t t e schon nach drei Minuten ihr Höschen aus." „Wir sprachen vom Würfeln", 11
meinte Joel grinsend. Bulle lachte. „Ich sprach vom Spielen. Gewürfelt haben wir nicht ein einziges Mal." Er wandte den Kopf und rief: „He, Warner, du hast nicht zufällig 'ne Spielerin in deinem Laden?" Warner grinste nur. Bulle w a n d t e sich wieder an die anderen. „Dreimal verdammtes Schneegestöber! Ich hätte morgen Abend in Billings sein, kassieren und anständig einen draufmachen können." „Von der miesen Heuer?" warf einer der anderen ein. Bulle ignorierte diesen Einwand. „Statt dessen sitze ich hier fest und m u ß mit euch Pavianen d r u m w ü r feln, wer als erster besoffen ist. Wißt ihr, was mein einziger Trost ist? Daß es euch nicht besser ergeht als mir . . . " Er verstummte. Die Tür ging auf. Das Jaulen des Sturmes verstärkte sich. Schnee wirbelte in die Station. Ein eisiger Hauch wehte den Männern entgegen. Zwei fast weiße Gestalten betraten den Raum. Hastig zogen sie die Tür zu. Sie klopften sich Schnee von der dicken Winterkleidung. „He, Jungs", sagte Bulle, „ihr bringt aber mieses Wetter mit." „Kann man wohl sagen", erwiderte Nat Procter. Er blickte den Stationsm a n n an. „Wo k a n n ich die Pferde unterstellen?" Jack Warner trat hinter dem kleinen Tresen hervor, der nur aus j e weils zwei übereinander gestellten Whiskyfässern und einer Bretterverkleidung bestand. Er n a h m die Schaffelljacke vom Haken neben dem Kamin. „Das erledige ich schon, Mister", sagte er. „Wärmen Sie sich erst mal etwas auf." „Nein, nein", sagte Nat Procter h a 12
stig, „es geht schon. Ich k ü m m e r e mich um die Tiere. Ist das nebenan der Stall?" Warner nickte. „Ja, die letzten Boxen sind frei.", Procter warf einen Blick zu den vier Männern am Tisch, die immer noch die Neuankömmlinge neugierig musterten, d a n n wandte er sich steifbeinig um. „Ich beeile mich", sagte er k r ä c h zend. „Bin sofort wieder da." Er schritt zur Tür und stemmte sich dagegen, um sie gegen den Druck des Sturmes öffnen zu können. Wieder fegte der tosende S t u r m Schnee in den Raum. Ein Eishauch fauchte in die Station und ließ selbst die Männer am Kamin frösteln. Dann schloß sich die Tür. Die Frachtwagenfahrer wollten gerade ihr Würfelspiel fortsetzen, als der zweite neue Gast den Hut a b n a h m und das zerzauste, schwarze Haar richtete. „He, Jungs, seht ihr auch, w a s ich sehe?" rief Bulle dröhnend. „Das ist ja 'ne Lady!" Vivian Warwick spürte die Blicke der Männer auf sich gerichtet. Sie lächelte zaghaft u n d setzte sich d a n n an einen der freien Tische. Sie zog die Handschuhe aus und massierte sich die Hände, dann rieb sie sich über die Wangen. Trotz der dicken Winterbekleidung steckte ihr die Kälte in allen Gliedern. Es w a r ein höllischer Ritt gewesen. Eine Meile durch den Blizzard, das w a r für Vivian fast wie eine Meile durch die Hölle. Sie hatte noch keinen Schneesturm erlebt. Dies w a r ihr erster Winter in Montana. Ihre Wangen begannen zu glühen. Es war, als w ü r d e n tausend winzige Nadeln in ihre H a u t stechen. Der Stationsmann kam zu ihr. Die vier Männer am Tisch gegenüber setzten ihr Würfelspiel fort,
doch Vivian bemerkte, d a ß ihre Aufmerksamkeit immer noch ihr galt. Das w a r sie gewohnt. „Hier läßt sich's doch aushalten", sagte Warner. „Was darf ich Ihnen zum Aufwärmen bringen, Ma'am?" Sie bestellte Whisky. Nat betrat von neuem die Station. Er trug die Satteltaschen über der Schulter und hielt sein Gewehr in der Linken. Er nickte ihr aufmunternd zu, warf einen mißtrauischen, düsteren Blick zu den Würfelspielern und legte dann vorsichtig die Satteltaschen auf einem freien Stuhl neben Vivian ab. „Wir werden wohl 'ne Zeitlang hier festsitzen", r a u n t e er ihr zu. „Wie lange dauert denn so ein Blizzard?" fragte Vivian und knöpfte die dicke Jacke auf. Nat zuckte mit den Schultern. Eis taute von seiner Kleidung. Unter seinen Stiefeln bildeten sich kleine Pfützen. Von der Tür bis zum Tisch w a r eine S p u r aus getautem Schnee und Eis. „Das ist noch gar kein richtiger Blizzard", murmelte Nat. „Ich hab mal einen erlebt, der über 'ne Woche dauerte. Möglich, daß es noch richtig schlimm wird, möglich, d a ß auch in ein paar Stunden alles vorbei ist." Vivian hob fröstelnd die Schultern. Sie zog die Jacke aus. Sofort blickten alle zu ihr hin. Erst jetzt gab es nicht mehr den geringsten Zweifel, daß sie wirklich eine F r a u war. Sie trug eine blauweiß gemusterte Bluse mit langem Kragen und d a r ü b e r einen beigefarbenen Pullover. Die Blicke der Männer tasteten förmlich über ihre Formen. Vivian sah, wie einer der Männer am Tisch sich zu den anderen hinbeugte und etwas tuschelte. Daraufhin brach schallendes Gelächter aus. Nats Miene w u r d e noch finsterer.
Er wischte sich Schnee von den b u schigen, schwarzen Augenbrauen. „Bulle, frag sie doch einfach", sagte Joel, als sich das Gelächter etwas gelegt hatte. Bulle knallte die Würfel auf den Tisch und erhob sich. Vivian und Nat sahen, daß der Mann ein Hüne war, breitschultrig und muskulös. Unter dem halb offenstehenden Baumwollhemd zeichneten sich Muskelwülste ab. Schwarze H a a r e wucherten auf der Brust. Breitbeinig schritt er an den Tisch. Seine grünen, funkelnden Augen musterten die Frau. Seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. Vivian sah, daß dem Mann ein Schneidezahn fehlte. Er bedachte Nat mit einem kurzen, abschätzenden Blick, nickte ihm dann zu und w a n d t e sich wieder der F r a u zu. Er deutete eine Verbeugung an. „Verzeihen Sie, Ma'am", sagte er mit tiefer Stimme. „Meine Kollegen und ich haben da eine Frage." „Bitte", sagte Vivian. „Können Sie würfeln ?" Vivian tauschte einen schnellen Blick mit Nat, d a n n schüttelte sie den Kopf. „Schade", sagte der Hüne grinsend, „ich hätte gewettet, daß Sie gut spielen können." Der Ausdruck seiner Augen ließ keinen Zweifel für Vivian, wie er diese Worte gemeint hatte. Sie w a r erfahren in dieser Beziehung. Sie hielt dem Blick des Mannes stand und sagte mit einem spöttischen Lächeln: „Ich mach mir nicht viel aus Würfeln." Nat knöpfte seine Jacke auf und schlug sie zurück. Aus der Halfter an seiner linken Hüfte ragte der Griff eines Remington Revolvers. „Wir können auch etwas anderes 13
spielen", sagte der Hüne und blickte Vivian tiefer in die Augen. Sie errötete nicht. „Zum Beispiel?" fragte sie gelassen. „Hau ab, Mann", sagte Nat Procter mit h a r t e r Stimme. Plötzlich herrschte S p a n n u n g im Raum. Der H ü n e blinzelte. „Meinst du mich?" „Wen sonst", erwiderte Nat Procter, und seine Stimme verriet m ü h sam unterdrückten Zorn. Stille. Nur das Heulen des Sturmes und das Knacken des Feuers im Kamin w a r e n zu hören. Dann lachte einer der Würfelspieler am Tisch. „He, Bulle, du hast die Wette verloren." „Noch nicht", sagte der Hüne. „Noch hat die Lady nicht nein gesagt." „Aber ich", sagte Nat Procter grimmig und zog blitzschnell seinen Revolver. „Hau ab und laß meine F r a u in Ruhe!" Der schwergewichtige Mann starrte in die Revolvermündung, dann in Nat Procters schwarze Augen. „Deine Frau, aha." Er nickte. „Na, dann hab ich wohl wirklich die Wette verloren. Ich dachte, du wärst ihr Opa." Er grinste und blickte sich wie um Beifall heischend zu seinen Freunden um. Das Grinsen erstarb, als er das Knacken des Revolvernahns hörte. Langsam w a n d t e er den Kopf und hob beschwichtigend beide Hände. „Eh, Mann, n u r die Ruhe. Du wirst mich doch nicht erschießen wollen. Nur, weil ich die Lady höflich gefragt habe . . . " Er verstummte, als er den kalten Ausdruck in Procters Augen sah. „Schon gut, schon gut", murmelte er, ließ die A r m e langsam sinken und 14
w a n d t e sich ab. Nat Procter entspannte den R e mington. In diesem Augenblick wirbelte der H ü n e herum. Er w a r erstaunlich schnell für seine Statur. Aus der Drehung heraus schlug er zu. Der Hieb traf Procters A r m und prellte ihm die Waffe aus der Hand. Der Remington rutschte über den Boden und blieb an der Wand liegen. Im nächsten Augenblick w u r d e Procter von der Stiefelspitze des H ü nen getroffen. Der Schmerz n a h m ihm den Atem. Er k r ü m m t e sich zusammen und hörte Vivians Aufschrei wie aus w e i ter Ferne. Er sah die große Faust des Gegners auf sich zurasen, wollte schützend die Arme vors Gesicht reißen, doch er schaffte es nicht mehr. Die Faust traf ihn wuchtig am Kinn. Sein Kopf flog in den Nacken. Procter hatte das Gefühl, von einem Huf getreten worden zu sein. Er taumelte zurück und stürzte. Er spürte nicht mehr, daß er gegen den Tisch prallte, den Stuhl u m w a r f u n d halb auf seine Satteltaschen fiel. Vivian starrte entsetzt den H ü n e n an, der sich mit der Linken über die Knöchel der massigen Rechten rieb. Einen Augenblick lang herrschte Stille in der Station. „Schläger!" rief Vivian dann zornig. „Dreckiger Schläger!" Der Hüne hob die Schultern. „Ich laß mich nicht gern mit 'nem Eisen bedrohen", sagte er rauh. Er ging zu dem Remington u n d hob ihn auf. D a n n nahm er Procters Gewehr, das an der Wand lehnte, und warf beide Waffen zum Tisch hin, an dem seine F r e u n d e schweigend hockten. „Nur für alle Fälle, Ma'am", sagte er dröhnend zu der Frau. „Damit I h r Mann nicht auf d u m m e Gedanken k o m m t . " Er ging neben dem Bewußtlosen in die Hocke, wuchtete ihn sich über die Schulter und erhob
sich. Er trug Procter zur Tür, trat sie mit dem Stiefel auf. Dann warf er Procter in den Schnee hinaus. Vivian w a r von ihrem Stuhl aufgesprungen und hatte die Satteltaschen aufgehoben. Sie w a r e n prall gefüllt und schienen schwer zu sein. Sie legte sie auf ihren Stuhl, stellte den umgekippten Stuhl auf und setzte sich darauf. Sie traf keinerlei Anstalten, hinauszulaufen, um sich um ihren Mann zu kümmern. „Holen Sie Nat aus der Kälte", sagte sie mit gepreßter Stimme. Der Hüne grinste. „Eine kleine Abkühlung k a n n ihm nicht schaden." „Bulle'', sagte Joel mahnend, „meinst du nicht . . . " „Halt die Klappe", unterbrach ihn der Hüne hart. „Aber du kannst ihn doch nicht da draußen ..." „Du weißt gar nicht, was ich alles kann." Von einem Augenblick zum anderen hatte er sich verwandelt. Vorhin hätte m a n ihn noch für einen im Grunde gutmütigen Witzbold halten können, der einen weichen Kern unter r a u h e r Schale verbarg. Jetzt w a r von dem weichen Kern nichts mehr zu bemerken. „Bitte, Mister ...", sagte Vivian, und jetzt klang ihre Stimme fast flehend. „Der wird sich schon nichts abfrieren", sagte der Hüne. „Ich wette, der kommt schneller zu sich, als uns beiden lieb ist." Wie auf ein Stichwort hin w u r d e die Tür geöffnet. Ein Mann, schneebedeckt und von Schneeflocken umtanzt, tauchte in ihrem Rahmen auf. Ein großer Mann. Er trug Procters schlaffe Gestalt über der linken Schulter. In der Rechten hielt er einen schußbereiten Colt.
„Mister Lobo!" rief Vivian überrascht.
Lobo blickte mit unbewegter Miene in die Runde, erfaßte alle Personen im Raum. Er bemerkte das Gewehr und den Colt am Boden neben dem Tisch, an dem drei Männer saßen, und er erahnte die Zusammenhänge. Alle starrten ihn an. Er ging in die Hocke und ließ Procter zu Boden gleiten. I m m e r noch hielt er den Colt in der Hand. Er war auf einen üblen E m p fang vorbereitet gewesen. Leute, die einen bewußtlosen Mann in die klirrende Kälte hinauswarfen, w a r e n keine Menschenfreunde. Und genau das h a t t e er gesehen, als er um die Ecke der Station gebogen war. Deshalb blieb er wachsam. Doch da keine direkte Gefahr mehr drohte, entspannte er den Army Colt und schob ihn ins Leder. Er nahm seinen Hut ab, auf dem der Schnee zu Eis gefroren war, und klopfte sich damit den Schnee von der Kleidung. „Da draußen ist es ein bißchen zu kalt zum Schlafen", sagte er ruhig in die angespannte Stille. „Ich wollte ihn gerade wieder reinholen", sagte der Hüne. Er schaute Lobo abschätzend an. „He, Mann, wo kommst du denn h e r ? " „Von draußen", erwiderte Lobo trocken. „Ich dachte von den Plattfußindianern", sagte der Hüne. Lobo ignorierte die Anspielung. Jack Warner griff bereits zu seiner Schaffelljacke. „Ich werde Ihr Pferd . . . " „Nicht nötig", winkte Lobo ab. „Es steht bereits im Stall." „Warner, dein Service ist heute a n 15
scheinend nicht gefragt", sagte der Muskelmann mit dröhnender Stimme. „Sieht so aus", erwiderte der Stationsmann und hängte seine Jacke wieder an den Haken. Nat Procter regte sich. Blinzelnd öffnete er die Augen. Er zitterte vor Kälte. Dann setzte die Erinnerung ein, und er tastete zur leeren Colthalfter. Fluchend richtete er sich auf und rieb sich übers Kinn. Haß funkelte in seinen schwarzen Augen, als sein Blick den Hünen erfaßte. Vivian sprang auf und lief zu Procter. Er zog sie an sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie nickte. Er schaute über Vivians Schulter hinweg zu Lobo. „So sieht man sich wieder", murmelte er. Dann erfuhr Lobo, was geschehen war. Es entwickelte sich ein heftiges Wortgefecht zwischen Procter und dem Hünen. Plötzlich schienen beide Parteien Lobo als Schiedsrichter zu betrachten. „Hätten Sie vielleicht zugelassen, daß der Kerl meine F r a u belästigt?" fragte ihn Procter. „Belästigt?" rief der H ü n e zornig. „Ich hab n u r höflich gefragt, ob sie würfeln kann. Und dann h a t dieser Bock sofort zum Eisen gegriffen." Er starrte Lobo an. „Hätten Sie sich so einfach bedrohen lassen?" So ging es eine Zeitlang weiter. Lobo hörte sich alles ruhig an, ohne einen K o m m e n t a r zu geben. Die drei Frachtwagenfahrer u n terstützten ihren Gefährten durch Zwischenrufe. Vivian verteidigte Procter, und Warner versuchte zu vermitteln. „Ich schlage vor, wir trinken alle einen und vergessen den kleinen Zwischenfall", meinte er. 16
Lobo lächelte. „Das ist das Vernünftigste, was ich gehört habe, seit ich hier bin." Er zog sich einen Stuhl an den K a min und setzte sich. Alle nahmen wieder ihre Plätze ein. Die Spannung verlor sich. Warner schenkte Lobo, Vivian und Nat Whisky ein. Die Frachtwagenfahrer t r a n k e n aus i h r e r Flasche. Vivian und Nat sprachen leise m i t einander. Der Hüne und seine Freunde unterhielten sich etwas lauter und setzten schließlich das Würfelspiel fort. Irgendwann ging Nat Procter an den Tisch der vier Männer und n a h m wortlos seine Waffen an sich. Niem a n d erhob einen Einwand. Warner gesellte sich zu Lobo und plauderte mit ihm übers Wetter. Der S t u r m hatte nachgelassen, aber es schneite noch heftig. Lobo verspürte Hunger und bestellte sich ein Abendessen. Die a n deren folgten seinem Beispiel. Warner verschwand in der Küche, um die Bestellung aufzugeben. Seit dem Tod seiner F r a u lebte W a r n e r mit seinem achtzehnjährigen Sohn und zwei Helfern auf der Station. Die beiden Männer w a r e n unterwegs, um in der nächsten Stadt einzukaufen, wie Warner erzählt hatte. Der Sohn kümmerte sich um die Küchenund Hausarbeit. Lobo ließ sich das Essen schmekken. Die Bratkartoffeln und Bohnen w a r e n zwar e t w a s zu stark gesalzen, aber das Steak w a r saftig und zart. Die Atmosphäre in der Station w a r wieder friedlich, fast gemütlich. Niem a n d sprach m e h r über den Z w i schenfall. Nach dem Essen ging Vivian zu Lobo an den Tisch u n d bat ihn um eine Zigarette. Er d r e h t e ihr eine. Vivian setzte sich zu ihm und b e d a n k t e sich überschwenglich. Lä-
chelnd erklärte sie d a n n : „Das ist heute schon die dritte." „Na, Sie werden doch nicht zur Kettenraucherin", sagte Lobo scherzhaft. Sie lachte, u n d das Lachen verschönte ihr Gesicht. Der herbe Zug um ihre aufgeworfenen Lippen verschwand, das Graublau ihrer Augen schien eine w ä r m e r e Tönung anzunehmen. Lobo dachte daran, daß er sie in der dicken Winterkleidung zuerst für ein e n Mann gehalten hatte, und mußte lächeln. Sie sah hübsch aus, schlank und an den richtigen Stellen wohlgerundet. „Nicht die dritte Zigarette", sagte sie in ihrer schnellen, atemlos wirkenden Sprechweise. „Ich hab heute schon ein p a a r m e h r geraucht, aber gegen Mittag ging mir der Tabak aus. Und Nat h a t keinen. Er raucht nicht." Sie sog tief den Rauch ein und stieß ihn durch die Nase aus. „Ich meinte Ihre dritte gute Tat", fuhr sie fort. „Erinnern Sie sich? Sie sagten jeden Tag eine gute Tat. Erst haben Sie uns gegen die Banditen geholfen, dann haben Sie Nat aus der Kälte geholt, und jetzt haben Sie meine Gier nach einer Zigarette befriedigt." „Wenn's weiter nichts ist", sagte Lobo und klopfte auf den T a b a k b e u tel. „Sie dürfen sich bedienen. Ich h a b noch T a b a k in den Satteltaschen." „Ich komme gerne auf Sie zurück", sagte Vivian, und ihr Lächeln hatte jetzt etwas Berechnendes, Doppeldeutiges. „Aber jetzt m u ß ich wieder zu Nat. Er k a n n sehr eifersüchtig werden." Sie warf einen Blick zu ihrem Mann, der zwei Tische weiter saß u n d vor sich hinzudösen schien. „Übernachten Sie auch hier?" fragte sie leise und schaute ihn u n t e r halbgesenkten Wimpern an..
Der Ausdruck ihrer Augen und i h re Frage verwirrten ihn. Teufel, dachte er, eine verheiratete Frau. Die gibt bestimmt ihrem Nat gelegentlich einen Anlaß zur Eifersucht. „Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben", erwiderte er. „Hoffentlich sind wir morgen früh nicht eingeschneit." „Also dann . . . " Sie erhob sich und schritt zu ihrem Tisch zurück. Lobo blickte ihr nach. Sie bewegte sich gelockert. Ihre Hüften schwangen. Lobo sah aus den Augenwinkeln, d a ß auch die vier Frachtwagenfahrer die Frau beobachtet hatten. Er schaute zu ihnen hin. Der Hüne bemerkte seinen Blick und grinste breit. „He, Mann, hast du Lust, 'ne Partie mit uns zu spielen?" rief er. „Warum nicht", sagte Lobo. Er erhob sich, n a h m den Tabakbeutel und seinen Stuhl und setzte sich zu den Männern. „Wir hätten zwar lieber mit der Puppe gespielt", flüsterte der H ü n e und zwinkerte Lobo vertraulich zu, „aber ihr Mann w a r dagegen. Na, 'ne zünftige Würfelpartie unter Männern ist auch nicht schlecht, um die Zeit totzuschlagen, was, Jungs?" Er blickte in die Runde. Keiner sagte etwas. „Es geht um 'ne Pulle Feuerwasser", erklärte der Hüne. Jetzt grinsten die anderen. Der Hüne stellte die Runde vor. „Diese Geige da ist Joel, die anderen Affen sind Benjamin und Frank. Meine Wenigkeit heißt Bob, aber du darfst mich auch Bulle nennen, das tun die anderen auch, und ich h a b mich schon daran gewöhnt." Lobo nickte. „Und du bist Loco?" sagte der Hüne namens Bob alias Bulle. Sein Grinsen hatte etwas Provozierendes. Doch Lobo ließ sich nicht provozieren. 17
„Lobo", korrigierte er gelassen. Bob lachte. „Ah, d a n n h a b ich mich vorhin verhört." Er schob Lobo die Würfel hin und sagte in spöttischem Tonfall: „Du darfst anfangen, großer Häuptling." Erwartungsvoll schauten ihn alle vier an. Lobo spürte, daß sie hofften, ihn ausnehmen zu können. Prompt verlor er auch die erste Partie. Er freute sich darüber, daß die anderen sich freuten. „Ich sag ja immer, Rothäute können besser skalpieren als würfeln", stichelte Bob. Lobo ignorierte die Bemerkung. „Immerhin h a t er auf dem Tisch gespielt", sagte Benjamin und grinste Joel an, „und nicht wie du die meiste Zeit auf dem Boden." Joel hatte wieder mehrmals die Würfel aufsammeln müssen, weil sie bei seinen wilden Würfen vom Tisch gekullert waren. Er lachte ebenso wie die anderen. Bis auf Bob fand Lobo die Burschen nicht unsympathisch. Das sind rauhe Kerle, ungehobelt, aber nicht falsch, dachte er. Bobs Art dagegen stieß ihn ab. Der Mann w a r großspurig, und er konnte es nicht lassen, giftige Bemerkungen von sich zu geben. Mehrfach hatte er versucht, Lobo wegen seiner Abstammung zu hänseln. Er hatte eine obszöne Ä u ß e r u n g über Vivian gemacht, und Lobo hatte noch nicht vergessen, d a ß er einen Bewußtlosen in die klirrende Kälte hinausgeworfen hatte. Doch Lobo ließ sich nichts a n m e r ken. Solange der Mann nicht zu beleidigend wurde, wollte Lobo seine Anspielungen überhören. Die vier hatten reichlich Whisky getrunken, da durfte m a n nicht jede Äußerung krummnehmen. Bobs grüne Augen funkelten. „He, Mann", sagte er zu Lobo. „Wie ist das 18
eigentlich mit den Squaws? Ich meine, stimmt das, w a s man so hört?" „Was hört man denn so?" fragte Lobo ruhig. Bob lachte dröhnend und warf einen Blick zu Vivian, die sich leise mit Nat unterhielt. Der Hüne zwinkerte Lobo zu. „Ich meine . . . " Niemand sollte mehr erfahren, w a s er meinte, denn er verstummte, als die Tür der Station geöffnet w u r d e und ein kalter Windstoß in den Raum fegte. Alle blickten zur Tür. Neue Gäste tauchten auf. Es schneite immer noch stark. Die weißen Flocken glitzerten im Lichtschein, der aus der Station über die Planken unter dem Vordach fiel. Gestalten tauchten aus dem D u n kel in die Lichtbahn. Die Männer waren schneebedeckt und vermummt. Über dicker Winterkleidung trugen sie noch Regenmäntel, die bis zu den Stiefelschäften reichten. Sie hatten die Hüte tief ins Gesicht gezogen und die untere Gesichtspartie mit Wollschals vor der beißenden Kälte geschützt. Es w a r e n drei Männer. „Schon wieder Kundschaft", sagte Bob. „Ob vielleicht noch 'ne Lady dabei ist?" Er lachte. „Sieht nicht so aus", sagte Joel. Die drei Neuankömmlinge stampften mit den Stiefeln auf und schüttelten sich. Sie mußten steif vor Kälte sein. Jeder hielt ein Gewehr achtlos in der Hand. Winchesters, fast neu, registrierte Lobo, der die Männer mit der üblichen Wachsamkeit musterte. „Hallo", krächzte der Mann an der Spitze des Trios und blickte sich im Raum um. Er w a r gut einen Kopf größer als seine Begleiter, und er w a r sicher nicht leichter als der H ü n e Bob.
Plötzlich schien sich die Haltung des Mannes noch mehr zu versteifen. Auch die beiden anderen blieben wie starr stehen. Irgend etwas warnte Lobo plötzlich. Doch da überstürzten sich schon die Ereignisse. „Procter!" rief der große Mann und riß sein Gewehr hoch. Seine Gefährten handelten ebenso blitzschnell. Vivian schrie auf. Noch bevor sein Name verklungen war, hatte Procter zum Revolver gegriffen. Er w a r schnell, doch nicht schnell genug. Die anderen hatten ihn um die entscheidende Sekunde eher erkannt und sofort gehandelt. Der große Mann an der Spitze des Trios feuerte als erster. Procters Revolver krachte ebenfalls, doch das Blei klatschte in die Decke, denn Procter taumelte zurück, prallte gegen die Wand. Ein Stuhl fiel polternd um. Die Gewehre der beiden anderen Männer krachten. Das Knallen war ohrenbetäubend in dem geschlossenen Raum. Procter w u r d e von zwei weiteren Kugeln getroffen. Für einen Moment schien er wie festgeklebt an der Wand, den Mund und die Augen weit aufgerissen, sein Gesicht vor Entsetzen verzerrt. Dann stürzte er vornüber und blieb reglos liegen. Den Revolver hielt er immer noch umkrampft. Pulverrauch zerfaserte. Dann sagte der Anführer des Trios in die Stille: „Hallo, Vivian, wo ist das Gold?"
Lobo e r k a n n t e schlagartig, daß es die Banditen sein mußten, die am Mittag Procter und seine F r a u ange19
griffen hatten. Procter hatte den vierten Mann erschossen. Die drei anderen h a t t e n die Verfolgung nicht aufgegeben, vielleicht kannten sie auch das Ziel des Paares, oder sie w a ren zufällig hier aufgetaucht, weil sie Schutz vor dem Unwetter gesucht hatten. Und gleichzeitig verstand Lobo, weshalb Procter sich so mißtrauisch gegeben hatte. Er hatte Gold bei sich gehabt, wahrscheinlich in den Satteltaschen. Lobo bemerkte eine Bewegung seitlich von sich, wollte etwas Warnendes sagen, doch es w a r bereits zu spät. Er konnte n u r noch an sein eigenes Leben denken. Frank, der stillste der vier Frachtwagenfahrer, hatte zum Colt gegriffen. Vielleicht hatte er sich eine Chance ausgerechnet und geglaubt, d a ß seine Freunde ebenfalls ziehen würden. Jedenfalls hatte er die Situation falsch eingeschätzt. Lobo reagierte instinktiv, als der Anführer der Banditen sein Gewehr herumschwenkte. Er schnellte sich von seinem Stuhl zur Seite hinter den nächsten Tisch. Keine Sekunde zu früh, denn noch w ä h r e n d seines Hechtsprungs blitzte und krachte das Gewehr des Banditen, und das Geschoß raste dicht über Lobo hinweg. Es hätte ihn getroffen, w e n n er sitzen geblieben wäre, denn er hatte gen a u in der Schußlinie gesessen. Lobo hütete sich, nach seinem Army Colt zu greifen. Er w a r kein Selbstmörder. Einer der Banditen zielte auf ihn. Das Donnern des Schusses übertönte Franks Todesschrei. Lobo blieb starr liegen. Er hörte einen dumpfen Aufprall und wußte, d a ß F r a n k getroffen worden war. 20
„Keine Bewegung!" sagte der A n führer der Banditen. „Wer auch n u r laut atmet, fährt ebenfalls zur Hölle!" Er wandte sich an seine K u m p a ne. „Paßt auf den Typ da u n t e r dem Tisch auf!" Einer der Männer t r a t mit dem G e wehr im Hüftanschlag näher zu Lobo. Sekundenlang herrschte spannungsgeladene Stille. Dann sagte einer der Banditen: „Wego, sollen wir sie nicht erst entwaffnen?" Wego! Den Namen hatte Lobo schon gehört. Er erinnerte sich daran, daß Procter ihn erwähnt hatte. „Nur die Ruhe", sagte Wego. „Eins nach dem anderen. Wir haben Zeit." Er hob die Stimme: „Eh, du da, bist du der Boß hier?" Lobo drehte ganz langsam den Kopf und sah, daß Warner nickte. Der Stationmann hatte die Hände erhoben. Sein Gesicht war blaß und angespannt. „Wie viele Leute gibt's hier sonst noch?" fragte Wego. „Nur noch meinen Sohn", a n t w o r tete Warner hastig. „Und wo ist der?" „In der Küche." „Ruf ihn her. Sag ihm, daß sein Alter stirbt, wenn er nicht bei drei mit erhobenen Händen antanzt. Eins . . . " Eilig gehorchte Warner. Sein Sohn erschien sofort. Ein hochaufgeschossener junger Mann in verschlissenen Jeans und einer schmuddeligen Schürze. „Alle die Hände hoch!" rief Wego. „Du da - aufstehen!" Lobo wußte, daß n u r er mit „du da" gemeint sein konnte. Langsam erhob er sich. Der Anführer, von dessen Gesicht n u r wenig zu sehen war, ruckte mit dem Gewehr. „Entwaffnen!" Während er und der zweite M a n n alle im Raum mit den Gewehren in
Schach hielten, entwaffnete der dritte zuerst Lobo, dann die anderen. „Alle da drüben aufstellen!" befahl Wego schließlich. „Mit dem Gesicht zur Wand." Die Männer und Vivian setzten sich in Bewegung. „Du nicht, Baby!" fuhr Wego die F r a u an. „Mit dir unterhalten wir uns noch ausführlicher. Ich überlege gerade - he, Bernie, sie dich mal im Haus um. Wir brauchen einen gemütlichen R a u m für unsere F r e u n de. Hier stören sie uns nur." Lobo hörte, wie sich Schritte entfernten. „Diese Dreckskerle!" zischte Bob, der links neben Lobo stand. Der Hüne sprach diesmal Lobo aus dem Herzen. Joel, zu Lobos Rechten, wisperte: „Frank ist tot." Es klang, als könnte er das Schreckliche noch nicht begreifen. „Warum m u ß t e er auch d u r c h d r e hen", sagte Bob leise. „Er h a t t e doch keine Chance. Dieser Idiot . . . " „Frank w a r ein feiner Kerl", sagte Joel heftig. „Ruhe da!" ertönte die Stimme von Wego. „Hier spricht nur einer, und das bin ich." Schritte erklangen, dann sagte Wego: „Zwei Tote. Naja." Es klang kalt und gefühllos. Eiskalte Killer, dachte Lobo. Der dritte Verbrecher k a m zurück. „Die Küche ist ein bißchen klein", sagte er, „da müßten wir sie schon aufeinander stapeln. Aber das Schlafzimmer ist groß genug." „Fenster?" fragte Wego. „Ja, eins. Geht nach hinten raus." Schweigen. Dann sagte Wego: „Fesseln!" „Dachte ich mir", erwiderte der andere. „Ich h a b schon 'ne Rolle dicke Kordel aus der Rumpelkammer mitgenommen." „Wenn sie u n s fesseln wollen, ha-
ben wir vielleicht eine Chance", r a u n t e Joel Lobo zu. „Wir könnten einen überwältigen u n d ..." „Keine Dummheit", mahnte Lobo im Flüsterton. „Du willst doch nicht sterben wie Frank." „Aber wenn wir erst mal gefesselt sind . . . " Lobo gab keine Antwort, denn er hörte die Schritte hinter sich. Er hoffte nur, daß alle die Nerven b e hielten und keinen Widerstand leisteten. „Versucht n u r ja nichts", sagte einer der Banditen. „Ich schieße sofort. Bernie, fang rechts in der Reihe an, damit ich alle gut im Auge behalten kann." Bernie band als erstem Warners Sohn die Hände auf dem Rücken zusammen. „Jüngelchen", sagte er dabei spöttisch, „du hast aber 'ne feine Schürze an. Bist wohl P a p a s Liebling?" Er lachte. „Halt keine Volksreden", sagte sein Kumpan. „Beeil dich lieber. Desto eher k a n n die P a r t y steigen." „Wo ist es, Baby?" hörte Lobo den Anführer des Verbrecher-Trios zu Vivian sagen. Sie gab keine Antwort. Ein klatschendes Geräusch. Vivians Aufschrei. Eine Planke k n a r r te u n t e r Stiefeltritten. Wego schritt wohl zu dem Tisch, an dem Vivian und Nat gesessen hatten. Ein schabendes Geräusch. Die Satteltaschen, dachte Lobo. Er beobachtete eine kleine Spinne, die über die Wand lief und irgendwo in der dunklen Ecke verschwand. D a n n hörte er Wegos zufriedenen Ausruf: „Na also." Der Verbrecher lachte. „Jungs, es ist noch alles fein in Lederbeuteln verpackt. Hier, seht mal . . . " Offenbar hielt er einen der Beutel hoch. „Mann, ich werd verrückt!" rief 21
Bernie. „Mach schon weiter", drängte sein Kumpan. „Jawohl, Jungs", sagte Wego, „erst die Arbeit, d a n n das Vergnügen." Bernie beeilte sich. Schließlich w a r auch Lobo gefesselt. Er m u ß t e zugeben, daß der Bandit seine Sache gut machte. Lobo w a r schon einmal von einem Anfänger gefesselt worden. Damals hatte er die Fesseln im Handumdrehen sprengen können. Das w a r diesmal nicht möglich. Als auch Bob gefesselt war, ertönte wieder Wegos Stimme. „Bringt sie ins Schlafzimmer. Bernie, du hältst bei ihnen Wache." Bernie protestierte. „Wieso immer ich? Ich will mitfeiern." „Und die t ü r m e n aus dem Fenster, du Hampelmann." „Ich fessele sie noch an den Füßen", schlug Bernie vor. „Meinetwegen", sagte Wego nach kurzem Zögern. „Aber beeilt euch. Ich will, daß die Toten rausgeschafft werden." Bernie ergriff sein Gewehr, das er auf den Boden abgelegt hatte. Er stieß Warners Sohn die Mündung in den Rücken. „Los, du zuerst. Du kennst ja den Weg. Die anderen folgen in einer Reihe. Marsch, marsch!" Als Lobo in der Reihe den Raum durchquerte, sah er das Gold. Wego hatte eines der Ledersäckchen geöffnet. Der Inhalt glänzte im Schein der Lampe. Die Satteltaschen w a r e n geöffnet, und weitere Lederbeutel w a r e n zu sehen. Ein Vermögen. Bestimmt nicht der Erlös einer kleinen Herde, dachte Lobo. Vivian stand mit gesenktem Kopf neben dem Tisch. Sie w a r bleich, aber sie weinte nicht und sagte nichts. Sie w i r k t e wie in Trance. Von Wegos Gesicht konnte Lobo 22
immer noch so gut wie nichts erkennen. Der Verbrecher trug noch den Wollschal vor Mund und Nase, und nicht mal die Farbe seiner Augen w a r u n t e r der tief in die Stirn gezogenen H u t k r e m p e genau zu bestimmen. Auch die beiden anderen Banditen w a r e n auf ähnliche Art „maskiert". F ü r Lobo ein Anzeichen, daß sie wohl nicht vorhatten, ihre Gefangenen zu töten. Im Schlafzimmer war es dunkel und kalt. Die Banditen zündeten die Kerosinlampe auf dem Nachttisch an. Sie löschten sie wieder, als sie ihren Gefangenen die F ü ß e gefesselt h a t ten, und wünschten spöttisch eine gute Nacht. Als sie den Raum verließen, sagte Bernie zu seinem Kumpan: „Jetzt aber fix zum gemütlichen Teil. Eine kostenlose P a r t y mit Vivi h a b ich m i r schon immer mal gewünscht." Er lachte. „Aber erst müssen wir noch das Lokal aufräumen", meinte sein Kumpan. „Okay, aber d a n n nichts wie rein ins Vergnügen . . . " Die Tür klappte zu, und die Schritte der Verbrecher entfernten sich. Bob fluchte wild. Warner j a m m e r t e über die Situation. „Nur die Ruhe", sagte Lobo. „Ruhe! Ruhe!" brauste Bob auf. „Halt nur ja dein Maul, du verd . . . " „Sag's besser nicht", unterbrach ihn Lobo gelassen, „du könntest es bereuen." „Wieso?" Das klang verdutzt. „Nun, ich könnte dich gefesselt hier liegen lassen, nachdem ich mich befreit habe", sagte Lobo. Er spürte förmlich, wie alle den Atem anhielten. „Wie - willst du denn das schaffen, du Großmaul?"
Lobo erklärte es ihm. Da sagte der Hüne nichts mehr.
Wego legte Holzscheite nach. Dann wandte er sich am Kamin um und starrte die F r a u an, die am Tisch saß. Vivian h a t t e den Kopf gesenkt. Ihre Hände lagen im Schoß, gefaltet wie in einem stummen Gebet. Ihre Haltung drückte tiefe Resignation aus. Wego h a t t e den Mantel, die dicke Jacke, Schal und Hut ausgezogen und die Sachen an einen der Haken neben dem Kamin zum Trocknen aufgehängt. Er trug eine beigefarbene Reithose, schwarze Stiefel und ein olivgrünes Baumwollhemd, das sich um seinen mächtigen Brustkasten spannte, als w ü r d e n jeden Augenblick die Knöpfe abspringen. Über dem Hosenbund und an den Hüften spannte sich der Stoff über Fettwülsten. Eine Taille w a r nicht zu erkennen. Das Gesicht m i t einer großen, breiten Nase und einem wuchtigen Kinn strahlte eine unbeugsame Härte aus. Die dunkelbraunen Augen blickten stechend. Sein hellblondes Haar w a r kurzgeschnitten. Die fast weißen Augenbrauen bildeten einen Kontrast zu der tiefgebräunten Haut. „Wenn ich dich so ansehe, Vivian", sagte er mit schleppender Stimme, „kann ich k a u m glauben, w a s mir die J u n g s erzählt haben. Da könnte ich dich glatt für ein Kind von T r a u r i g keit halten." Sie blickte auf. In ihren graublauen Augen spiegelten sich Schmerz und zugleich Verachtung. Wego schritt zu ihr und blieb breitbeinig vor ihr stehen. Er umfing sie mit seinem Blick. „Du siehst nicht übel aus, Baby. Wirklich gut. Ich
wette, du bist noch nicht lange im Geschäft. Ich kenne ein paar andere - Goldgräberinnen, die nach ein p a a r J a h r e n in einem wilden Camp abgehalftert waren. Ja, du hast dich gut gehalten. Du gefällst mir." Sie wich seinem Blick aus. Er ging zum Flaschenregal und holte eine Flasche Whisky. Er schenkte in eines der Gläser ein, die auf dem Tisch standen. Vivian nahm das Glas und leerte es in einem Zug. Wego füllte es von neuem. D a n n t r a n k er selbst aus der Flasche. Einen Augenblick betrachtete er die F r a u schweigend und nachdenk-
lich. Dann sagte er grinsend: „Du wolltest auf die Schnelle reich w e r den, nicht w a h r ? Deshalb hast du dich an Procter rangeschmissen?" Zorn funkelte in ihren Augen. „Ich h a b mich nicht an ihn rangeschmissen!" begehrte sie auf. Und dann fügte sie leise, fast hilflos hinzu: „Ich habe ihn geliebt." „Tatsächlich?" Es klang spöttisch. „Und Alderman hast du auch geliebt?" Sie schüttelte den Kopf, d a ß ihr schwarzes Haar flog. „Ich kenne Alderman gar nicht." „Ach nein, du hast nie von ihm gehört!" Jetzt troff Wegos Stimme vor Hohn. „Nat h a t mir von ihm erzählt." Sie senkte den Kopf. 23
Er packte sie am Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Was hat Nat dir erzählt?" fragte er scharf. „Daß sie P a r t n e r waren . . . " „Partner?" „Ja. Daß sie früher mal zusammen geritten sind." Sie hielt seinem forschenden Blick stand. „Das hat er gesagt?" „Ja. Er hat mir alles erzählt." Wego lachte u n d schüttelte ein paarmal den Kopf. „Er sagte, er wäre mit Alderman geritten - früher?" Seine Frage und seine erstaunte Miene verwirrten sie. „Ja, sie waren doch alte Freunde. Und w e n n Alderman nicht gestorben wäre, hätte Nat ihm einen Anteil von dem Gold gegeben. Denn Alderman h a t ihm ja den Tip gegeben. Ohne ihn h ä t t e Nat das Gold nie gefunden." Wegos Miene änderte sich schlagartig. Er h a t t e Vivian prüfend, zweifelnd angeschaut, ernst, als versuchte er, ihre Worte richtig zu deuten., Doch d a n n lachte er plötzlich. Laut und schallend. Er ließ ihr Kinn los und sagte imm e r noch lachend: „Schöne Story, Mädchen. Trink noch einen, es wird dir guttun." Sie trank hastig. Ihre Wangen h a t ten wieder etwas Farbe bekommen. Die Tür ging auf. Wego ruckte herum und zog blitzschnell seinen Revolver. Dann entspannte er sich und stieß die Waffe wieder ins Leder. Bernie stapfte herein. Sein K u m pan folgte. „Tür zu, Matt!" rief Bernie über die Schulter zurück. „Wir wollen es doch mollig w a r m haben bei der Party." Er blickte grinsend zu der Frau, dann zu Wego. „Alles erledigt, Boß. Die Pferde sind im Stall und versorgt, die Toten r u h e n im Schnee." Bernie n a h m den Hut ab und 24
klopfte sich Schnee von der Kleidung. Er hatte schwarzes, strähniges Haar, das fast bis zu den Schultern reichte. „Habt ihr euch die Fracht der Wagen angesehen?" fragte Wego. „Nein, davon hattest du nichts gesagt." „Okay, dann tut es jetzt." Bernie und Matt waren nicht g e r a de begeistert davon, noch einmal in die Kälte hinaus zu müssen. „Und wie sollen wir im D u n keln ...", begann Bernie. „Stellt euch nicht so blöde an. Im Stall findet ihr sicher eine Laterne. Los, ab. Ihr v e r s ä u m t hier schon nichts. Ich hab erst noch ein p a a r Fragen mit ihr zu klären." Er nickte zu Vivian hin, die stumm und wie a b wesend am Tisch saß. Die beiden Banditen gingen zur Tür. „Und gebt euch zu erkennen, w e n n ihr zurückkommt!" rief Wego ihnen nach. Als die Tür h i n t e r den Männern zufiel, wandte er sich wieder an die Frau. „Du hast also Procter geliebt?" Sie sagte nichts, nickte n u r leicht ohne aufzublicken. Plötzlich herrschte Wego die F r a u a n : „Du hältst mich wohl für blöde, was? Du willst mir weismachen, du hättest dich in einen alten Knacker wie Procter verliebt und wüßtest nicht, was in Wirklichkeit gelaufen ist?" Sie blickte auf, sah ihn v e r s t ä n d nislos an. „Du weißt genau Bescheid", fuhr er gereizt fort. „Mich kannst du nicht bluffen mit deinem Märchen. Spiel nicht den ahnungslosen Engel! Du bist weder ahnungslos, noch ein Engel. Du hast mit Procter gemeinsame Sache gemacht. Weil du verrückt auf das Gold warst. Ich kenne deine Sorte. Du weißt, wo die Butterseite ist.
Aber lassen wir das jetzt mal. Ich k a n n dich ja verstehen. Du gefällst mir. Ich w ä r e bereit, Procters Stelle einzunehmen." Er zog einen Stuhl h e r a n und setzte sich neben Vivian. Er umfaßte ihre Hüfte. Sie preßte die Lippen aufeinander. „Wir beide passen gut zusammen", sagte er. „Wir sind im Grunde von der gleichen Art - wenn es um Geld oder Gold geht." Er legte eine Hand auf ihren Oberschenkel. „Deshalb mache ich dir ein großzügiges Angebot. Wir vergessen, was war, und du gehörst von jetzt an mir." Ihr Kopf ruckte zu ihm herum. Angewidert starrte sie ihn an.Er lächelte. „Ich bin bestimmt besser als Procter, Baby. Und vor allem - ich habe jetzt das Gold." „Dreckiger Mörder!" schrie Vivian ihm ins Gesicht. „Ich sagte, wir vergessen, w a s war. Wir ziehen einen Schlußstrich. Die Vergangenheit ist tot. Und da ...", er wies auf die Satteltaschen mit dem Gold, „ . . . ist unsere Zukunft." „Du bist wahnsinnig", stieß Vivian hervor. „Ich bin n u r scharf auf dich." „Du m u ß t verrückt sein. Du glaubst, ich könnte mich für Gold an dich verkaufen? An einen Verbrecher? An den Mörder des Mannes, den ich geliebt habe?" Er zog sie besitzergreifend an sich. Sie wehrte sich. Er lachte, hielt ihre Arme fest. Sie konnte gegen seine Kraft nichts ausrichten. Er zog sie vom Stuhl hoch und preßte sie an sich. Sein Atem ging heftig. „Du hast Pfeffer, Baby", sagte er mit belegter Stimme, „das gefällt mir." Er wollte sie küssen. Sie warf den Kopf zurück, bäumte sich in seinem Griff auf. Er preßte die Lippen auf ihren
Hals. „Du wirst m i r gehören - n u r mir allein." „Eher w ü r d e ich mich umbringen!" keuchte Vivian. „Ich hasse dich, oh, wie ich dich hasse!" Tränen schimm e r t e n in ihren Augen. „Stell dich nicht so an.'" schrie Wego. „Du warst doch bisher nicht so zimperlich." Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel u n d r a n n über die Wange. Ihre Schultern zuckten. „Hör mit der Schau auf!" sagte Wego zornig. Er stieß sie plötzlich von sich, so daß sie gegen den Tisch t a u melte. Sein Gesicht w a r verzerrt. „So w a s k a n n ich nicht leiden. Ich mache dir das Angebot deines Lebens, du v e r d a m m t e H u r e müßtest mir freudestrahlend um den Hals fallen, und statt dessen . . . " Er ließ den Rest unausgesprochen, griff zur Whiskyflasche und t r a n k hastig. „Okay", sagte er d a n n etwas r u h i ger, „schaffen wir klare Verhältnisse. Ich bitte nicht gerne. Ich nehme mir, was ich haben will. Und ich will dich. Du hast die Wahl. Entweder gehörst du mir freiwillig . . . " „Niemals!" schrie sie. „ . . . und bist von jetzt an für jeden anderen tabu", fuhr er fort, „oder ich nehme dich mit Gewalt. Dann allerdings wird es nichts mit der First Lady . . . " J e m a n d h ä m m e r t e an die Tür. Wahrscheinlich mit einem G e w e h r kolben. Dann w u r d e die Tür einen Spalt geöffnet, und Bernie rief: „Wir sind's, Boß!" Wego starrte Vivian an. Sie weinte. „Ich will jetzt n u r ja oder nein hören!" „Nein!" Es klang wie ein Aufschrei. Ein Schrei, der H a ß und Verachtung enthielt - und gleichzeitig Verzweiflung und Angst. Bernie und Matt stapften in den Raum. 25
„He, Boß", sagte Bernie, „sag nur, du hast sie gefragt, ob sie will?" Er lachte wie über einen Witz. Wego fuhr zu ihm herum. „Halt's Maul!" schrie er unbeherrscht. Bernie und Matt blickten verständnislos. Sie konnten sich nicht erklären, weshalb ihr Boß so aufgebracht war. Sie zogen ihre Mäntel und Jacken aus. Bernie n a h m einen Schluck Whisky. Eine Weile sagte keiner ein Wort. Die Stille w a r lastend. „Was ist mit den Wagen?" fragte Wego schließlich. Bernie zuckte mit den Schultern. „Eine Lieferung an einen Store. Mehl, Salz und so was. Uninteressant für uns." Er blickte zu Vivian u n d fragte Hoffnungsvoll: „Und wie geht's jetzt weiter im Programm, B o ß ? " . Wego rieb sich über das Kinn. Er zögerte mit einer Antwort, warf noch einen Blick zu Vivian, d a n n nahm seine Miene einen entschlossenen Ausdruck an. Er w a n d t e sich an die Männer. „Schneit es noch?" „Und wie. Man sieht k a u m die Hand vor Augen." „Okay, wir bleiben also hier und warten, bis es hell wird. D a n n verschwinden wir mit dem Gold und sämtlichen Pferden." „Und was passiert mit den Gefangenen?" „Bis irgend jemand hier auftaucht und die findet, sind wir längst über alle Berge. Nach dem Schneesturm kommt kein Wagen durch, u n d w a n n kommt zu dieser Jahreszeit schon mal ein Reiter hier vorbei." Bernie nickte. „Wenn jetzt einer unterwegs sein sollte, wird er entweder eingeschneit, oder er verirrt sich." „Oder er bricht sich die Knochen, w e n n er vom Trail abkommt", sagte 26
Matt. „Wir brauchen also heute nacht nicht mit unliebsamen Besuchern zu rechnen", sagte Bernie. Er schlenderte zu den Waffen der Gefangenen. Die Gewehre, Revolver und Messer lagen in einer Ecke des Raumes. Bernie tastete zwischen den Waffen herum. „Ein schöner A r m y Colt", m u r m e l te er und n a h m Lobos Colt an sich. „Wir werden uns alle noch vor dem Abritt bedienen", sagte Wego. „Okay", sagte Bernie und w a n d t e sich grinsend um. „Dann k a n n der Tanz ja endlich beginnen." „Ja." Wego blickte Vivian an.
Das Glas der L a m p e zerbarst u n t e r Lobos Stiefeltritt. Lobo hatte die L a m p e vom Nachttisch gestoßen. Sie w a r auf seine Beine gefallen und u n versehrt geblieben. Dann hatte Lobo mit beiden gefesselten Füßen den Glasschirm zertreten. Die Gefangenen lauschten mit a n gehaltenem Atem. Lobo rollte sich zur Seite und t a stete mit den gefesselten Händen nach den Scherben. Er stieß gegen den Sockel der L a m p e und ritzte sich die Haut an einem Glassplitter auf, der noch aus der Fassung ragte. „Hast du's?" fragte Bob angespannt. „Ja", murmelte Lobo, änderte seine Lage und hielt die Stricke über den Glassplitter. Vorsichtig rieb er ü b e r den gezackten Splitter. Er rutschte ab u n d schnitt sich in den H a n d b a l len. „Hoffentlich k o m m t jetzt keiner", sagte Warner besorgt. „Die Kerle sind jetzt beschäftigt", meinte Bob. „Und w a r u m sollten sie sich Gedanken um uns machen? Schließlich glauben sie, sie hätten alle unsere Waffen kassiert." Er lachte.
Warners Sohn hatte keine Waffe getragen, als sein Vater ihn aus der Küche gerufen hatte. Sein geladener Colt lag im Küchenschrank. Lobos Plan basierte darauf, daß die Banditen sich nicht die Mühe gaben, die Station nach weiteren Waffen zu durchsuchen. Verbissen arbeitete er weiter. „Habt ihr das Gold gesehen?" sagte Bob in die Stille. „Mein Gott, w a s schätzt ihr, wieviel das ist?" „Mindestens zehn Beutelchen voll", ertönte Benjamins Stimme aus der Dunkelheit. „Mehr", behauptete der Hüne. „Die ganzen Satteltaschen w a r e n doch dick gefüllt. Da geht mindestens das Doppelte rein." „Ein Vermögen", murmelte Joel. „Damit hätte man ein für allemal ausgesorgt." Bobs Stimme klang rauh. Lobo konnte sich vorstellen, daß die Augen des Hünen bei diesen Worten leuchteten. Ja, dachte Lobo, ein Vermögen in Gold. Dafür konnten Menschen zu mordenden Bestien werden. Drei Männer w a r e n schon gestorben: ein Bandit, Procter, ein Frachtwagenfahrer . . . Die Gefangenen unterhielten sich weiter über das Gold, stellten abenteuerliche Schätzungen an, ergingen sich in Vermutungen über die Herkunft des Goldes. „Wie ein Digger sah dieser Procter eigentlich gar nicht aus", meinte Joel. „Wie sehen die denn aus, du Witzbold", sagte Bob. „Vielleicht h a t er es irgendwo geklaut", überlegte Benjamin. Lobo hörte n u r mit halbem Ohr hin und konzentrierte sich ganz darauf, die Fesseln loszuwerden. Alles andere hatte Zeit. Wenn alles so weiterging, wie er sich das vorstellte, würde er schon
bald eine Antwort auf die Fragen erhalten, die alle in dem dunklen R a u m beschäftigten. Zwei Minuten später hatte er es geschafft. Er rieb sich über die schmerzenden Handgelenke und fühlte Blut an seiner Rechten. Er setzte sich auf und entledigte sich eilig der Fußfesseln. Bob bemerkte Lobos Bewegung und hörte auf, davon zu schwärmen, welche Wünsche er sich erfüllen würde, wenn das Gold ihm gehören würde. „Bist du soweit?" fragte er gespannt. „Ja", sagte Lobo, „wo ist der junge Warner?" „Hier", meldete sich der Sohn des Stationmannes aus dem Dunkel. Lobo tastete sich zu ihm hin und befreite ihn von den Fesseln. „Wir holen jetzt deine Waffe", sagte er zu dem Jungen. „Binde uns schon los!" forderte Bob. „Gleich"; sagte Lobo, „erst brauche ich den Colt. Für den Fall, daß die Kerle doch auf die Idee kommen, nach uns zu sehen." Lobo und Warners Sohn schlichen über den stockdunklen Gang zur Küche. Die T ü r zum H a u p t r a u m war verschlossen, doch Lobo konnte gedämpftes Lachen hören. J e m a n d klatschte rhythmisch in die Hände. Eure Party könnt ihr gleich vergessen, dachte Lobo. Sie gelangten unbemerkt in die Küche. Die Lampe w a r ausgegangen, und Lobo war froh, d a ß er den J u n gen mitgenommen hatte, der sich blind in der Küche auskannte. Lobo überprüfte den Colt, den der Junge ihm gab. Sie nahmen zwei Küchenmesser mit. D a n n schlichen sie zurück ins Schlafzimmer. „Warner", sagte Lobo in das Dunkel, „glauben Sie, d a ß es möglich ist, 27
unbemerkt hinter den Tresen zu gelangen?" Er w u ß t e von dem Stationmann, daß dessen Schrotflinte in einem Fach unter dem Tresen lag. Es war möglich, daß die Banditen sie nicht bemerkt hatten. Mit einem Colt gegen drei Banditen standen die Chancen nicht so sehr gut. Und dann w a r noch Vivian in der Gewalt der Verbrecher. Sie brauchten sie nur als lebenden Schild an sich zu reißen. Wir müssen die Schrotflinte haben, dachte Lobo, während er ungeduldig auf Warners Antwort wartete. „Ja", r a u n t e Warner. „Ich zeig's Ihnen. Beeil dich, Tom." Sein Sohn schnitt die Stricke durch. „Was soll der Blödsinn?" zischte Bob ungeduldig. „Warum wollt ihr denn unbemerkt hinter den Tresen? Wir stürmen einfach in den Laden und überraschen die Kerle." „Indem wir Buuuh rufen?" erwiderte Lobo spöttisch. „Ihr bleibt hier und u n t e r n e h m t nichts, bis wir mit der Schrotflinte zurück sind. Tom kann euch inzwischen befreien." Er verließ hinter Warner das Schlafzimmer. Lobo hielt den Colt schußbereit in der Hand. „Gut, daß ich vorgestern die Türangeln geölt habe", wisperte Warner, als er die Hand nach der Klinke ausstreckte. Die Tür ließ sich lautlos öffnen. Langsam zog Warner sie auf. Die rauhen Stimmen w a r e n jetzt lauter zu hören. „Tanz, Baby, tanz!" „Weiter!" Die Stimme verriet Erregung. J e m a n d lachte und klatschte in die Hände. Lobo kroch lautlos hinter den Tresen. Die Schrotflinte war da. Er zog sie vorsichtig aus dem Fach. Eine Diele knarrte leicht, als er sein Gewicht 28
verlagerte. Er verharrte. Die Verbrecher hatten nichts gehört. Sie waren zum Glück zu sehr abgelenkt. Lobo preßte die Lippen aufeinander, als er ihre B e m e r k u n gen über Vivians erzwungenen Tanz hörte. Er zog sich zurück und atmete auf, als er den Gang erreicht hatte. Warner lehnte auf Lobos Geheiß hin die T ü r n u r an. Sie schlichen zurück ins Schlafzimmer. Warners Sohn Tom hatte inzwischen die Frachtwagenfahrer von ihren Fesseln befreit. Lobo berichtete kurz über die Situation im H a u p t r a u m . „Ich sag's ja immer", erklärte der H ü n e Bob. „Bei Weibern werden selbst die abgebrühtesten Verbrecher schwach. Die werden ihren Leichtsinn noch in der Hölle verfluchen. Tanzt die P u p p e wirklich für die Kerle? Ich wette, die muß sich für sie ausziehen. Na, dann bin ich aber gespannt, wie sie nackt aussieht. Die hatte ja allerhand im Pullover." Er lachte. Wieder einmal fand Lobo den Mann äußerst unsympathisch. Seine A r t stieß ihn ab. Warner sprach ihm aus dem H e r zen, als er sagte: „Als wenn wir jetzt nicht andere Sorgen hätten, Mister." „Ah, Warner", sagte Bob großspurig, „jetzt ist doch alles geritzt. Die Kerle schaffen wir doch mit links." Mit ruhiger Stimme erklärte Lobo seinen Plan. Es w a r wiederum Bob, der e r staunt sagte: „Was, wir sollen diese Hundesöhne auch noch schonen? Ich w ü r d e sie auf der Stelle umlegen." „Sie haben unseren Freund e r schossen", murmelte Joel. „Ich schlage vor ...", begann Bob. Lobo fiel ihm h a r t ins Wort: „Niem a n d wird umgelegt. Wir sind keine
Killer und keine Richter. Wir nehmen sie gefangen und übergeben sie dem nächsten Sheriff oder Marshal." „Schon gut, schon gut", lenkte Bob ein. „War nicht so gemeint. Aber w e n n die Kerle zu ihren Eisen greifen?" „Sie werden einsehen, daß sie keine Chance haben", sagte Lobo. „Wir m a chen es so . . . " Er erläuterte, w a s er vorhatte. „Das müßte klappen", sagte Warner. Auch Bob w a r anscheinend mit Lobos Vorschlag zufrieden. „Na klar klappt das. Was meint ihr, Jungs?" „Ja", ertönten Joels und Benjamins Stimmen aus dem Dunkel. „Ich bin gespannt, was die Kerle für Gesichter machen werden", sagte Bob. „Also - d a n n wollen wir mal."
„Genug getanzt, Baby!" sagte Wego und starrte mit lüsternem Blick die F r a u an. Vivians Tanz w a r alles andere als schön gewesen, steif, erzwungen. „Ich schlage vor, wir gehen zur nächsten N u m m e r im P r o g r a m m über", sagte Bernie kichernd. „Einverstanden!" rief Lobo und tauchte hinter dem Tresen auf. Er hielt die Schrotflinte im Anschlag. Die Zwillingsläufe zielten auf Wego, der ihm den Rücken zuwandte. Die Köpfe der Banditen ruckten herum. Lobo nahm die Szene blitzschnell in sich auf. Vivian sah hilflos und verzweifelt aus. Auch sie blickte überrascht zu ihm hin. Die Banditen w a r e n wie erstarrt. Bernie hockte auf einem Stuhl. Matt stand seitlich von Vivian. Er hielt eine Whiskyflasche in der Hand. Alle drei Verbrecher trugen noch ihre Revolvergurte. Die Ge-
w e h r e lehnten an der Wand. „Keine Bewegung!" sagte Lobo hart. Neben ihm tauchte Joel auf. Lobo wußte, d a ß das Überraschungsmoment vorüber war, sah den Mienen der Verbrecher an, daß sie schon ihre Chancen abwogen. Wo bleiben die anderen? dachte er. Er hatte drei Minuten hinter der Tür gewartet, damit sie das Stationh a u s u m r u n d e n konnten. In diesem Augenblick flog die Tür auf. Bob stürmte in den Raum. Er hielt den Colt im Anschlag. Der Hüne sprang ein p a a r Schritte in den Raum, um Platz für die anderen zu schaffen. Benjamin und Warner folgten ihm. Sie liefen, wie abgesprochen, zu den Waffen, die die Banditen ihnen abgenommen hatten. Die Überraschung w a r perfekt. Die drei Verbrecher erkannten, d a ß sie keine Chance mehr hatten. Wego fluchte. „Nehmt jetzt die Hände hoch!" sagte Lobo. „Oder es knallt!" fügte Bob hinzu. Der Hüne grinste verzerrt. Seine Stimme klang seltsam angespannt. Die grünen Augen funkelten, als sein Blick von der nackten F r a u zu dem Gold glitt. Zögernd gehorchten die Verbrecher. Benjamin und Warner hatten schon Revolver ergriffen. Sie richteten die Waffen auf die Banditen. Lobo atmete auf. Es w a r vorbei. Alles w a r nach Plan verlaufen. Ohne Blutvergießen. Lobo hörte Joel ebenfalls tief a u s atmen. D e r Frachtwagenfahrer b e wegte sich hinter dem Tresen. „Entwaffne sie!" sagte Lobo, ohne den Blick von Wego zu nehmen, denn dessen Haltung spannte sich, als wollte er doch etwas versuchen. 29
In diesem Augenblick knallte etwas gegen Lobos Kopf. Sein Schädel schien förmlich zu explodieren. Lobo fiel vornüber, prallte gegen den Tresen, rutschte daran herab. Joel! Durchfuhr es ihn, während der blutrote Schleier vor seinen Augen dunkler wurde. Das Gold hat ihn verrückt gemacht! Wie aus weiter Ferne hörte er Vivians Aufschrei, das Donnern von Revolvern. Dann hörte er gar nichts mehr.
Es w a r die Hölle. Innerhalb von Sekunden geschah in der einsamen Station in der verschneiten Wildnis Unfaßbares, Grauenvolles. Menschen wurden zu mordenden Bestien. Der Raum erbebte förmlich unter dem Krachen der Waffen. Todesschreie gellten. Wego starb als erster. Bobs Kugel traf den Verbrecher in Höhe des Herzens. Nur einen Sekundenbruchteil später brach Bernie zusammen. Benjamin hatte ihn erschossen. Der Bandit Matt wollte noch zur Waffe greifen, doch bevor seine Hand auf den Coltkolben klatschte, traf ihn Bobs zweite Kugel. Matt taumelte zurück. Sein markerschütternder Schrei erstarb, als er stürzte. Dann fiel auch Vivian. „Was . . . ? " schrie Warner fassungslos. Zwei Geschosse stießen ihn zurück. Immer noch fielen Schüsse. Plötzlich herrschte Stille. Die Stille des Todes. Pulverrauch waberte in dem Raum. Bobs Blick w a n d e r t e über die reglosen Gestalten. Sein Gesicht war verzerrt. Eine grausame Maske. Schweiß perlte auf seiner breiten 30
Stirn. Sein Atem ging heftig. Er fing Benjamins Blick auf. Auch Benjamins Gesicht hatte einen u n natürlichen Ausdruck. Harte Linien kerbten sich um seinen halb geöffneten Mund. Seine Augen glänzten wie fiebrig. Joel richtete sich hinter dem Tresen auf. Der stämmige rothaarige M a n n war leichenblaß. Er hatte dem bewußtlosen Halbblut die Schrotflinte abgenommen, während Bob und Benjamin das Feuer eröffnet hatten. Er w a r gar nicht mehr dazu gekommen, einen Schuß abzugeben. Alles hatte sich rasend schnell abgespielt. Er starrte wie in Trance auf das Bild des Grauens. Seine Unterlippe zitterte. Bob begann plötzlich zu lachen. Es w a r ein schrilles, fast hysterisches Lachen. Ein schauriges Lachen. „Na also", sagte er heiser, gepreßt. „Sie sind tot - und wir sind reich!" Er blickte zu Benjamin, d a n n zu Joel. „Was s t a r r t ihr mich so a n ? " Benjamin zuckte mit den Schultern und stieß den Colt in die Halfter. Seine Augen t r ä n t e n vom P u l v e r rauch. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich übers Gesicht. Joel stand immer noch wie verstein e r t da. „Es hat alles geklappt wie am Schnürchen", sagte Bob. „Genau wie ich mir das dachte. Wir haben das Gold. Wir haben das Gold. Wir sind reich!" Er s t ü r m t e plötzlich zu dem Tisch, wühlte in den Satteltaschen, warf die Lederbeutel auf die Tischplatte. Gold fiel aus dem Ledersäckchen, das Wego geöffnet hatte, um seinen Kumpanen den Inhalt zu zeigen. Aus glitzernden Augen starrte Bob auf das Gold. Auch Benjamin lief zum Tisch. Seine Miene verriet Gier.
„Wir brauchen nie wieder verdammte Wagen bei Wind und Wetter durch das verdammte Land zu kutschieren!" rief er krächzend. „Was waren wir für a r m e Hunde! Jetzt haben wir ausgesorgt." Seine Augen weiteten sich, als er das Gold anstarrte. „Du hattest recht, Bob", sagte er. „Es ist noch mehr, als ich dachte." Auch Joel schaute wie gebannt auf das Gold, das im Schein der Lampe blinkte.„Mein Gott", stieß er fast flüsternd hervor. Einen Augenblick lang w a r e n alle im Bann des Goldes. Bob fand als erster in die Wirklichkeit zurück. Er verstaute die Ledersäckchen wieder in den Satteltaschen. „Wir teilen später", sagte er. Er warf einen Blick in die Runde. „Schade, d a ß es die F r a u auch erwischt hat. Das w a r Pech. Sie geriet mir genau in die Schußlinie. Moment mal . . . " Er sprang zu Vivian und kniete sich neben ihr nieder. Sie lebte. Die Kugel h a t t e ihre linke Schulter getroffen. Bob starrte auf die bewußtlose Frau. „Wirklich schade", murmelte er. Joel lief zum Kamin und n a h m eine Jacke vom Haken. Er breitete sie über der Frau aus. „Der geborene Kavalier", sagte Bob spöttisch. Benjamin w a r inzwischen zu Lobo gegangen. „Der schläft eine Weile", sagte er. „Wenn er ü b e r h a u p t jemals aufwacht. Joel, du hast aber kräftig hingelangt." Bob grinste verzerrt. Sein breiter Brustkorb hob sich unter einem tiefen Atemzug. „Das erstemal, Jungs", sagte er. „Hätte nicht gedacht, daß ich jemals . . . " Er ließ den Rest unausgesprochen. 32
Joel und Benjamin wußten, was er meinte. Es war für sie das erste Verbrechen. Sie h a t t e n den letzten Schritt getan, die unsichtbare Linie überschritten, die bisher ihren L e bensweg bestimmt hatte. Von einem Augenblick zum a n d e ren hatten sie sich entschieden - für das Böse. Nein, es w a r keine klare, überlegte Entscheidung gewesen. Sie h a t t e n sich treiben lassen von ihrer Gier, die sie wie ein Fieber überfallen hatte, hatten sich mitreißen lassen in den verhängnisvollen Strudel, aus dem es kein Zurück mehr gab. Eine Weile herrschte tiefe Stille. Keiner der drei Mörder mochte oder konnte etwas sagen. Sie w a r e n zu aufgewühlt von dem Geschehen. Sie versuchten alle Gedanken zu verdrängen, mit dem Aufruhr ihrer Gefühle fertig zu werden. Ihre Blikke irrten von den Leichen zu dem Gold. „Und wie geht's jetzt weiter?" fragte Benjamin schließlich mit b e legter Stimme. Er und Joel blickten den Hünen fragend an. Bob w a r zu ihrem Anführer geworden. Er hatte immer schon den Ton angegeben. Dieses Mal w a r er die treibende Kraft gewesen. In seinem Hirn war der teuflische Plan entstanden. Er hatte sie allerdings nicht zu überreden brauchen. Was zunächst wie ein Scherz von Bob geklungen hatte, w a r immer tiefer in sie eingedrungen, hatte sie imm e r m e h r beschäftigt. Als Lobo in die Küche gegangen war, um mit Tom den Colt zu holen, hatte Bob gesagt: „Man müßte den Banditen das Gold einfach abnehmen." Später, als Lobo und Warner das Schlafzimmer verlassen hatten, um die Schrotflinte zu holen, hatten sich die drei Frachtwagenfahrer flü-
sternd verständigt, so daß Warners Sohn Tom nichts davon mitbekommen konnte. Bob hatte alles ganz einfach dargestellt: Die Banditen töten und mit dem Gold verschwinden. Joel sollte Lobo ausschalten,, um die anderen wollten sich Bob und Benjamin „kümmern" - so hatte Bob es genannt. Sie hatten die letzten Skrupel verdrängt. Die Banditen w a r e n Mörder. Sie hatten Frank, ihren Freund, auf dem Gewissen. Dreckige Killer. Sie würden ohnehin zum Tode verurteilt werden. Das Gold gehörte ihnen nicht. Sie begriffen noch nicht, daß sie sich durch ihr Handeln mit den Mördern und Banditen auf eine Stufe gestellt hatten. Jetzt w a r e n sie selbst Mörder und hatten sich etwas angeeignet, w a s ihnen nicht gehörte. „Wir verschwinden mit dem Gold", sagte Bob. „Und zwar höllisch schnell." „Bei dem Schnee?" „Schnee hin, Schnee her", sagte Bob entschlossen. „Wir wissen doch von Warner, daß er zwei Leute zur nächsten Stadt geschickt hat, um einzukaufen. Selbst w e n n heute nacht k a u m mit ihrer Rückkehr zu rechnen ist - morgen könnten sie auftauchen. Dann müssen wir längst über alle Berge sein. Außerdem hat der Schnee sein Gutes - er verdeckt unsere Fährte. Wir nehmen am besten alle Pferde mit. Dann haben sie höchstens die Gespannpferde, mit denen sie unterwegs waren und die nicht so ausgeruht sind. Ja, Jungs, so machen wir es. Bis man hier die Toten findet, haben wir einen riesigen Vorsprung. Und bis das Gesetz alarmiert wird, sind wir längst irgendwo untergetaucht. Niemand wird uns je finden. Wo sollte man auch suchen?" „Aber man wird unsere Wagen finden und vermuten ...", w a n d t e Joel ein.
„Vermuten, vermuten!" sagte Bob gereizt. „Na und? Wir hatten eben keine Lust mehr weiterzufahren. Wir sind einfach abgehauen. Oder verschollen. Niemand k a n n uns etwas beweisen, denn es gibt ja keine Zeugen . . . " „Aber die F r a u und ...", begann Joel. „Ich sagte es gibt keine Zeugen", unterbrach ihn Bob kalt. „Die F r a u und das Halbblut werden sterben. Dann ist alles perfekt. Dann wissen n u r wir drei, was geschehen ist. Und wir werden uns hüten, jemals unser Geheimnis zu v e r r a t e n oder gar gegeneinander auszusagen. Dann w ü r den wir nämlich alle drei hängen." Er lachte. „Wie heißt es so schön - mitgefangen, mitgehangen." „Moment mal", sagte Benjamin. Seine Augen verengten sich plötzlich. Er starrte Joel an. „Nicht, daß ich dir nicht traue, mein Freund, aber mir fällt gerade auf, daß du keinen einzigen Schuß abgegeben hast." „Es ging alles so schnell", sagte Joel mit einem Schulterzucken. Bob nickte. „Höllisch schnell. Okay. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Joel, du wirst die beiden t ö ten. Ben und ich haben schließlich genug getan." Joel nickte. Bob nahm die Satteltaschen mit dem Gold. „Nehmen wir alle Waffen mit?" fragte Benjamin. Bob schüttelte den Kopf. „Nur u n sere eigenen. W a r u m sollen wir das Risiko eingehen, daß jemand fremde Waffen bei uns sieht? Jemand könnte zum Beispiel die eine oder andere Waffe wiedererkennen und falsche ...", er unterbrach sich grinsend, „ . . . das heißt, richtige Schlüsse ziehen." Benjamin nickte. Die drei Verbrecher zogen ihre Jacken an. 33
Benjamin wollte die Taschen der Toten durchwühlen. „Laß das", sagte Bob. „Das haben wir doch gar nicht mehr nötig. Wir sind doch satt." Er klopfte auf die Satteltaschen. Benjamin grinste. „Du hast recht. Ich kann es noch gar nicht begreifen." „Sollen wir nicht gleich teilen?" fragte Joel begierig. „Warum denn? Das hält doch nur auf. Ich will weg hier." Der Hüne heftete seinen Blick auf Joel, und seine Augen verengten sich. „He, sag nur, du traust mir nicht?" „Na klar t r a u e ich dir", versicherte Joel hastig. Er n a h m einen Schluck aus der Whiskyflasche. „Wollte ich auch meinen, Partner", sagte Bob. „Schließlich kennen wir uns lange genug. Und jetzt kennen wir uns sogar ganz genau. Bring das hier hinter dich. Wir holen schon die Pferde aus dem Stall." Er wandte sich zur Tür. Benjamin folgte ihm. Als Bob die Tür öffnete, sahen sie, daß das Schneetreiben nicht m e h r so stark war. Bob und Benjamin zündeten im Stall die Laterne an und suchten sich drei Pferde aus. Bob wählte mit kundigem Blick Lobos Morgan-Hengst. „Sieht gut aus", murmelte er, als er das Pferd sattelte. Der Hengst schnaubte wie zur Bestätigung. „Da kannst du unsere Gespanngäule vergessen", meinte Benjamin. Er sattelte einen Appaloosa. Das Pferd hatte Wego gehört. Für Joel wählten sie einen braunen Wallach. „Wenn wir einen genügend großen Vorsprung haben, steigen w i r auf andere Pferde um", sagte Bob. „Ich möchte nicht das Risiko eingehen, daß uns irgend jemand auf den Gäu34
len sieht und sich an uns erinnert." Benjamin nickte. „Du denkst aber auch wirklich an alles." „Na klar", sagte Bob geschmeichelt. Benjamin schlug sich plötzlich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Mann, beinahe h ä t t e n wir einen k a pitalen Fehler begangen." „Und?" fragte Bob angespannt. „Der Junge. Der ist doch n u r b e wußtlos und k a n n uns beschreiben . . . " „Irrtum", sagte Bob. Benjamin starrte ihn überrascht an. Der Schein der Stallateme geisterte über das Gesicht des Hünen. „Hast du i h n . . . ? " „Ja", sagte Bob. „Als wir aus dem Fenster kletterten und du mit Warner schon um die Hausecke warst, h a b ich ihn erstochen." Benjamin erschauerte plötzlich, als ihm klar wurde, d a ß Bob von A n fang an den Tod aller einkalkuliert hatte. Er selbst h a t t e n u r an das Gold gedacht - okay und an die drei B a n diten. Erst später h a t t e er weitergedacht. Er schlug fröstelnd den Kragen seiner Jacke hoch. „Du denkst wirklich an alles", m u r m e l t e er. Sie führten die Pferde aus dem Stall vor die Station. Die Hufe der Tiere sanken im Neuschnee ein, der die dicke, gefrorene Schneeschicht bedeckte. Benjamin holte d a n n die anderen Pferde aus dem Stall. Bob saß auf. Der Morgan-Hengst schnaubte und tänzelte, doch Bob parierte ihn hart. Er streckte die Hand aus, um nachzugurten. In diesem Augenblick fiel in der Station ein Schuß. Der Morgan-Hengst wieherte. Bob tätschelte ihm den Hals. „Was meinst du, Bob?" rief er. „Wen h a t Joel als ersten umgelegt - das
Unser Leser Herr A fergrund schrieb uns:
W
aus
Ebsdor-
„Heute muß ich Ihnen schreiben, weil ich an der RONCO- und auch an der LOBOSerie einiges zu kritisieren habe. Als langjähriger Leser weiß ich zwar, daß eine solche große Serie wie RONCO auch mal einen kleinen Tiefpunkt hat, aber ich befürchte, daß dieser Tiefpunkt bei der jetzigen Entwicklung bestehen bleibt. Positiv beurteile ich den Gedanken, daß RONCO jetzt Texas Ranger ist. Am Anfang glaubte ich, daß die Serie dadurch wieder an Spannung gewinnen würde. Mittlerweile glaube ich das nicht mehr. In den letzten Romanen fehlt der „rote Faden", der die Handlung der einzelnen Romane miteinander verbindet. Die RONCO-Romane sind teilweise in sich abgeschlossen und von Roman zu Roman nicht mehr aufeinander abgestimmt. Einzelabenteuer aber gehören meiner Meinung nach nicht in diese Serie. Wenn der „rote Faden" und das bis vor kurzem noch sehr gut durchdachte Konzept jetzt fehlen, ist RONCO bald nur noch eine Western-Serie unter vielen anderen. Ich weiß nicht, tvie das jetzt weitergehen soll. Ich glaube, daß man mit der Figur Samuel Hollisters manches anfangen könnte. Aber man sollte ihn nicht zu sehr mit Andrew Hilton vergleichen, damit sich nicht einiges wiederholt. RONCOS Familienleben sollte etwas mehr betont werden. Nun zur LOBO-Serie. Hier muß ich sagen, daß die einzelnen Autoren und die Qualität ihrer Romane mittlerweile so verschie-
den sind wie Tag und Nacht. LEE ROY JORDAN, JOHN GREY und STEVE McMILLAN stehen weit vorn. Nr. 95 von John Reno und Nr. 97 von John Tyler dagegen sind derartig trivial geschrieben und vom Inhalt her vollkommen unrealistisch, daß ich mich frage, wie lange das noch gutgehen kann. Die Taschenbücher sind von einem viel besseren Niveau. Ich weiß, daß das ziemlich viel Kritik auf einmal ist. Aber da ich RONCO und LOBO von Anfang an lese, mußte ich das auch einmal irgendwann sagen. Ich bin aber ein treuer RONCO-Leser und werde es bleiben." Frau L
F
aus Rodheim schrieb uns:
„Immer wieder stößt man in Western-Romanen auf den Ausdruck „Mountain Men". Erst kürzlich erschien in den StarWestern-Taschenbüchern ein Roman über einen solchen Trapper. Was waren das für Männer?" Meistens wird als Symbolfigur für die amerikanischen Pionierjahre schlechthin der Cowboy genannt. Dies ist falsch. Zwar waren die Cowboys auf ihre Art typisch für die wilden Jahre der amerikanischen Westbesiedelung, sie repräsentierten viele Eigenschaften der Pioniere, aber sie bildeten zugleich eine Gemeinschaft, die sich selbst isolierte, die sich von den Entwicklungen der amerikanischen Gesellschaft abkapselte, ja, sogar dagegen rebellierte, wenn man bedenkt, wieviele Cowboys mit dem Fortschreiten der Zivilisation zu Banditen wurden. Die Cowboys waren
keine Pioniere im Sinne des Aufbauens, des Vorwärtsdrängens, des Suchens neuer Grenzen und Möglichkeiten. Viel mehr treffen die Eigenschaften des Pioniers auf eine fast vergessene Gruppe von Menschen zu, die der amerikanischen Pionierzeit unauslöschlich ihren Stempel aufgedrückt haben. Gemeint sind die Mountain Men. Bei dieser Beurteilung kommt man an der Tatsache nicht vorbei, daß die Mountain Men nie Pioniere sein wollten, daß sie die Zivilisation verachteten, daß sie aber, ohne es zu wollen, zum Wegbereiter der westwärts ziehenden Siedler wurden. Sie waren in erster Linie Abenteurer, und sie waren Individualisten, die sich keiner zivilisierten Gesellschaftsform unterwerfen wollten. Daher zogen sie in die Wildnis Amerikas hinaus, dorthin, wo kein weißer Mann vor ihnen je gewesen war. Sie riskierten ihr Leben, um die Freiheit zu suchen, die sie sich vorstellten, die es aber nirgends gab. Manche stammten aus Frankreich oder Kanada, andere aus den Oststaaten, aus England, dem schottischen Hochland, Irland oder Spanien. Sie drangen ins Unbekannte vor, in die himmelhohen Berge, in die tiefen Wälder, verbrüderten sich mit den indianischen Stämmen, heirateten Squaws, zeugten Kinder und machten mit ihrem Vordringen in den Westen das Nachstoßen derjenigen, die die Welt der Indianer und der Trapper zerstörten, die die Wildnis zivilisierten, erst möglich. Wider Willen wurden sie zu Pfadfindern für die Siedler, die sie verachteten. So wie Jedediah Smith, der als erster einen Landweg nach Kalifornien entdeckte, oder wie der berühmte Jim Bridger, der als erster weißer Mann den großen Salzsee in Utah sah, wo wenig später Salt Lake City entstand und sich der Staat der Mormonen bildete. — Ende des 18. Jahrhunderts traten die Mountain Men ins Bewußtsein der Öffentlichkeit. Der expandierende Pelzhandel, der dringend Nachschub brauchte, Nachschub, der nur in den Wäldern des unerforschten amerikanischen Westens zu finden war, sorgte für den unaufhaltsamen Aufstieg der Trapper, der zwischen 1820 und 1840 seinen Höhepunkt erreichte. Sie waren die einzigen, die die Wildnis kannten. Sie wußten, wo die begehrten Biber lebten. Sie wußten, wie man Handel mit den Indianern trieb, denn sie sprachen die indianischen Dialekte. — Nach der Hudson Bay Company in Kanada bildeten sich in Amerika mehrere Pelzhandelsunternehmen. Die Missouri-Fur-Company, die Rocky Mountains Fur Company, die American Fur Company. Sie alle hatten ihren Sitz in St.
Louis. Sie alle nahmen Kontakt mit den Waldläufern auf und brachten sie dazu, gewerbsmäßig auf die Jagd nach Biberpelzen zu gehen. — Im Herbst und Frühling stellten sie ihre Fallen, im Sommer stiegen sie mit ihrer Beute zu Tal, um sie in St. Louis zu verkaufen. Mit Maultieren oder Kanus, aber auch zu Fuß kamen sie in die Ortschaften der verhaßten Zivilisation. — 1825 trafen sie sich alle zum erstenmal zu einem ,,Rendezvous" am Green River. Schon bald wurden diese Treffen der Mountain Men zu einer legendären und romantisierten Institution. Die Männer in Wildleder kamen, um nach der monatelangen Einsamkeit, in die sie bald zurückkehren würden, zu feiern, Geschichten zu erzählen, Nachrichten auszutauschen, um zu trinken und zu spielen, um Wettkämpfe oder Streitigkeiten miteinander auszutragen. Sie trafen sich mit fahrenden Händlern und den Agenten der Pelzhandelskompanien. Sie verkauften ihre Beute, rüsteten sich neu aus und zogen in die Einsamkeit zurück. — Es waren Mountain Men, die als erste jene Wege beschritten, auf denen wenig später die Planwagen nach Oregon, Kalifornien und Santa Fe rollten. Sie markierten die Trails nach Westen. Dann gingen sie unter. Die Zivilisation ging über sie hinweg, und als um 1840 der Pelzhandel unvermittelt geringer wurde, wurden sie nicht mehr gebraucht. Die Zeit der Mountain Men, der Männer wie Daniel Boone, Davy Crockett und Jim Bridger war vorbei. Bis zur nächsten Woche! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
Zeitgenössische Darstellung eines Mountain Men. Sie ist nicht ganz realistisch. Die wenigsten Mountain Men zogen zu Pferde in den Westen, und meist sahen sie noch viel rauher und verwilderter aus, als auf dieser Abbildung. Archiv D. Kügler.
Halbblut oder die Frau?" Benjamin schwang sich in den Sattel des Appaloosa. „Keine Ahnung. Was macht das auch schon für einen Unterschied?" Wieder knallte es in der Station. Dann w u r d e die Tür geöffnet. In der gelblichen Lichtbahn u n t e r dem Vordach tauchte Joel auf. Langsam schob er seinen Revolver in die Halfter und knöpfte die schwere, gefütterte Jacke zu. Seine Bewegungen hatten etwas Müdes, Erschöpftes. Er verharrte einen Augenblick und starrte in den Schnee hinaus. Sein Gesicht war im Dunkel nicht zu erkennen. „Alles klar?" rief Bob. Joel zog wie fröstelnd die Schultern hoch. „Alles klar", antwortete er mit schwerer Stimme. Wie in Trance schritt er auf das Pferd zu, das für ihn bereitstand. „Na, wen hast du n u n zuerst erschossen?" rief Benjamin. „Diesen Lobo oder die F r a u ? " „Lobo", sagte Joel.
„Warner wird ganz schön sauer auf uns sein", sagte Mac und rieb sich die Hände über dem Feuer. Bruce spuckte in den Schnee hinaus, der vor der kleinen Höhle tanzte, in der sie Schutz vor dem Schnees t u r m gesucht hatten. „Das Wetter hat uns eben aufgehalten", murmelte er. „Das ist doch 'ne gute Entschuldigung, oder?" Mac lachte. „Jack ist kein D u m m kopf. Er weiß, w a n n der Schnee a n gefangen hat. Da hätten wir längst zurück sein können, w e n n wir nicht ..." „Wenn der Hund nicht gepinkelt hätte, wäre der Baum nicht n a ß geworden", gab Bruce zurück. Der kleine, krummbeinige Mann blickte Mac
über das Feuer hinweg an. Der Altersunterschied zwischen ihnen betrug fast vierzig J a h r e , doch sie h a t ten vieles gemeinsam - der junge und der alte Mann. „Übrigens, was heißt wir?" b r u m m t e Bruce. „Du hast dich doch nicht von deiner süßen Glenda losreißen können." „Ja", sagte Mac, „Glenda ist süß." Seine Stimme n a h m einen schwärmerischen Klang an. „Das süßeste Mädchen von Montana." „Immer diese Übertreibungen", erwiderte Bruce. „Ich sag ja immer, ihr jungen Spunde habt doch keine Ahnung. Ihr seid noch nicht herumgekommen in der Welt. Es fehlt euch an Vergleichsmöglichkeiten." „Hört, hört", entgegnete Mac. Er w a r neunzehn, aber m a n hätte den großen, schlaksigen Jungen auch noch gut auf siebzehn schätzen können. „Wenn ich Glenda mit deiner Margaret vergleiche, dann ist das wie - wie ein knackiger Apfel und 'ne verschrumpelte Birne." Bruce hob fast majestätisch eine Hand. „Du hast keine Ahnung, mein Sohn. Reifes Obst schmeckt köstlich und ist bekömmlicher als grünes, u n reifes." „Besonders, w e n n m a n keine Zähne m e h r hat", sagte Mac grinsend. „Werd nicht frech, du Hüpfer", b r u m m t e Bruce gutmütig. „Auch ich w a r mal ein forscher Jüngling mit scharfem Biß. Zugegeben, deine Glenda ist noch ein bißchen frischer als Margaret, aber auch sie wird mal reif - äh - verschrumpelt, wie du es nennst. Das vergeßt ihr Hüpfer alle. Ich möchte nicht sehen, wie sie aussieht, w e n n sie so alt wie Margaret ist . . . " „Fünfundneunzig wird Glenda bestimmt nicht", spottete Mac. „Du bist ein Lümmel", sagte Bruce. „Margaret ist fünfündfünfzig, und sie hat sich prächtig gehalten. Die 37
drei Ehen h a b e n ihr gutgetan. So 'ne reizvolle Witwe sieht m a n nicht alle Tage. Und wie sie kochen k a n n . . . " Plötzlich hob er lauschend den Kopf. Eines der Pferde wieherte. Mac ergriff sein Gewehr und sprang auf. „Da wird doch nicht 'n Wolf r u m schleichen", murmelte er. „Ich seh mich mal um." „Paß auf dich auf!" rief Bruce ihm nach. Er lächelte, als er dem Jungen nachblickte. Ein prächtiger Bursche, dachte er. Aus diesem Jungen wird mal was. Dann seufzte er, denn er dachte: Was ist aus mir geworden? Aus dem himmelstürmenden Draufgänger, der so vieles im Leben versucht hatte, vom Scout, Digger, Saloonkeeper, über Hilfsmarshal bis zum kleinen Arbeiter auf einer F r a c h t w a g e n Station im Niemandsland? Der ganz große Wurf w a r ihm nie gelungen. Mac tauchte wieder vor der Höhle auf. „Alles klar", sagte er. „Kein Wolf. Reiter auf dern Trail nach Laurel. Die müssen von der Station gekommen sein. Mann, die hatten's aber eilig." „Vielleicht hat Warners Küchenfee Tom mal wieder die Bohnen versalzen und die Steaks angebrannt, und sie wollen anständig in Laurel speisen." „Mitten in der Nacht?" zweifelte Mac, schlug die Hände um die Schultern und setzte sich wieder ans Feuer. „Ich möchte jetzt lieber in der warmen Station sein, als in der Eiseskälte herumzureiten. Naja, jedem das Seine. Übrigens hat der Schnee nachgelassen. Sollen wir zu 'ner kleinen Rutschpartie aufbrechen?" Bruce schüttelte den Kopf. „Zu riskant im Dunkeln. Warten w i r ab, bis es hell wird. Auf ein p a a r Stunden 38
k o m m t es jetzt auch nicht mehr an."
Schreie. Schmerzen. Lobo brauchte einen Augenblick, bis beides in sein Bewußtsein drang. Die Schreie schienen in seinem Kopf widerzuhallen und die Schmerzen zu verursachen. U n b e w u ß t preßte er die Hände gegen die Ohren. Ein Stöhnen k a m tief aus seiner Kehle. Etwas schien in seinen Hinterkopf zu stechen. Seine tastende Hand b e r ü h r t e etwas Verkrustetes auf seinen Haaren. Blut. Blinzelnd öffnete er die Augen. Mattes Licht, doch es blendete ihn. Die Decke schien auf ihn herabzufallen. Abwehrend zuckte seine H a n d hoch. Nichts geschah, die Decke blieb, wo sie war. Das Schwindelgefühl ließ etwas nach. Die Schreie, diese gellenden, k r e i schenden Schreie hallten immer noch durch seinen Kopf. Verdammte Schreie! Sie lösten diesen Schmerz in seinem Schädel aus, oder? Er drehte etwas den Kopf und sah verschwommen Flaschen in einem Regal. Die Flaschen tanzten auf u n d ab. Seltsam, dachte er und schluckte. Sein Mund war trocken. Die Zunge schien am Gaumen festzukleben. Ein Schluck aus einer der Flaschen konnte nicht schaden. Er blinzelte. Die Flaschen tanzten nicht mehr. Er stemmte sich hoch. Übelkeit packte ihn. Aber die Schreie, die ihn gepeinigt hatten, w a r e n leiser geworden, die Schmerzen ließen etwas nach. Er zog sich an dem Tresen hoch.
Tresen? Wie k a m er hinter einen Tresen? In welchem Saloon w a r er überhaupt? Schwankend stand er da und hielt sich mit beiden Händen an der Holzplatte fest. Einen Augenblick lang drehte sich alles vor seinen Augen. Er schloß sie. Als er sie wieder öffnete, konnte er alles klarer erkennen. Er erschrak, als er die Frau sah, ihren weit aufgerissenen Mund. Wer war die F r a u ? Warum schrie sie so schrecklich grell und gepeinigt? Und w a r u m saß sie am Boden zwischen schlafenden Leuten? Blut! Durchfuhr es ihn, das ist ja Blut . . . Schlagartig setzte die Erinnerung ein. Es war, als risse ihn eine eisige Faust in die Wirklichkeit zurück.
Blitzschnell zog noch einmal an ihm vorüber, was geschehen war, bevor es dunkel um ihn geworden war. I m m e r noch schrie die Frau, stammelte Unzusammenhängendes. Es w u r d e ihm klar, daß sie unter einem Schock stehen mußte. Er vergaß seine eigenen Schmerzen. Irgendeine neue Kraft durchpulste ihn, vertrieb seine Benommenheit. Er setzte sich in Bewegung, ging mit weichen Knien, doch er schaffte es, auf den Beinen zu bleiben. Er ließ sich neben der F r a u nieder. Vivian starrte durch ihn hindurch, n a h m ihn gar nicht wahr. Lobo gab ihr einen Klaps auf die Wange. Sie schrie weiter. Er schlug mit der flachen Hand fester zu. Ihre Schreie verstummten.
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Sie blinzelte wie erwachend. Er sah ihre Verletzung. Vorsichtig zog er die Jacke, die auf ihren Schoß gerutscht war, als sie sich aufgerichtet hatte, fort, drehte sie h e r u m und bettete die F r a u sanft und behutsam auf das Fellfutter. Erst jetzt e r k a n n t e sie ihn. „Ganz ruhig", sagte er u n d w u n derte sich, d a ß seine Stimme so fremd klang. „Es ist alles vorbei. Es ist alles gut." Er wußte, d a ß nicht alles gut war, aber sie b r a u c h t e beruhigende Worte. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Ihr Kopf sank plötzlich zur Seite. Sie w a r ohnmächtig geworden. Er untersuchte ihre verletzte Schulter. Es sah schlimm aus. Das Geschoß steckte. Er erhob sich und blickte sich in dem Raum um. H a r t preßte er die Lippen aufeinander, als er den Anblick des G r a u e n s in sich aufnahm. Ein anderes Bild tauchte vor ihm auf. Ein schreckliches Bild aus der Vergangenheit. Seine Eltern und sein Bruder, die von weißen Skalpjägern ermordet und skalpiert worden waren. Er glaubte, die Leiche seines Vaters, des weißen Pelzjägers Henry Gates, zu sehen, das Gesicht seiner toten Mutter, der P i m a - S q u a w Tavoneh . . . Er hatte die Mörder gejagt, und der letzte war am Galgen gestorben. Er w a r zum ruhelosen Einzelgänger geworden, zu einem Mann zwischen zwei Welten, der Welt der Roten und der Weißen. I m m e r wieder hatte er sich gefragt, w a n n die Menschen einsehen würden, d a ß es nur eine Welt gab, eine Welt der Menschen, aller Menschen, der weißen, roten, gelben, schwarzen - egal in welcher Reihenfolge. Er h a t t e oft gegen Vorurteile kämpfen müssen, hatte sich immer wieder aufs neue in einer gnadenlo40
sen Wildnis behaupten müssen. Sein Leben w a r ein Kampf u m s Überleben geworden. Er hatte versucht, die Vergangenheit zu vergessen, an das Gute zu glauben, das es genauso auf dieser Welt gab wie das Böse - wie Tag u n d Nacht, wie Kälte und Hitze. Die Bitterkeit w a r im Laufe der J a h r e e t w a s abgeklungen. Er hatte F r e u n d e gefunden, Verständnis, Liebe, G ü t e w a r e n ihm zuteil geworden, und das h a t t e ihn mit Kraft und Zuversicht erfüllt. Doch jenen schrecklichen Tag, an dem er die Leichen seiner Familie auf der kleinen Farm in A r i zona gefunden hatte, w ü r d e er nie vergessen können. Beim Anblick des Todes tauchten die Bilder der Vergangenheit mit brutaler Deutlichkeit wieder vor ihm auf. So wie jetzt. Seine Miene w a r wie aus Stein gemeißelt. Plötzlich w a r eine eisige Kälte in ihm. Die Gegenwart h a t t e ihn wieder. Seine Benommenheit verschwand. Er ignorierte die Kopfschmerzen u n d tat ruhig und überlegt, was zu tun w a r . Alle anderen Gedanken h a t t e n Zeit. Zuerst k ü m m e r t e er sich um Vivians Verletzung. Als er das Geschoß aus der Schulter herausgepult, die Wunde gereinigt u n d Vivian einen Verband angelegt hatte, deckte er sie mit einer Wolldecke zu, die er im Schlafzimmer gefunden hatte. D a n n breitete er Mäntel und Jakken über den Toten aus, um Vivian den Anblick zu ersparen, wenn sie zu sich kommen würde. Er sah in der Halfter eines der toten Banditen seinen Army Colt und n a h m ihn an sich. Das Feuer im Kamin war h e r u n tergebrannt, und es w a r kalt in dem R a u m . Er mußte lange bewußtlos gewesen sein.
Er setzte vorsichtig seinen Hut auf und zog die dicke gefütterte Rehlederjacke an, bevor er die Station verließ. Beißende Kälte schlug ihm entgegen. Es hatte aufgehört zu schneien. Die Scheibe des Mondes, milchig, fast weiß, lugte durch die aufgerissene Wolkendecke. Die Schneekristalle glitzerten in dem bleichen Schein. Es mußte weit nach Mitternacht sein. Tiefe Stille umgab Lobo. Er atmete die klare Frostluft ein. Sein Blick tastete über den Boden. Die Spuren w a r e n fast zugeschneit, doch noch zu erkennen. Sie führten von der Station fort nach Süden. Ob die Verbrecher über die Grenze nach Wyoming wollten? Er schob den Gedanken von sich. Alles der Reihe nach. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, als Lobo zum Stall schritt. Es überraschte ihn nicht, d a ß er kein Pferd mehr vorfand. Er dachte an seinen Morgan-Hengst, und von neuem wallte Bitterkeit in ihm auf. Sein Blick streifte die beiden Frachtwagen, die neben dem Stallgebäude standen. Die Planen w a r e n mit einer dicken Schneeschicht bedeckt, die alle scharfen Linien und Kanten weicher erscheinen ließen. Der Sturm hatte Schnee zu einem Wall gegen die Seitenwand der Station getrieben. Lobo ging ins Haus zurück. Vivian kam gerade zu sich. Sie wollte sich aufrichten. „Bleib ruhig liegen", sagte Lobo. „Ich hole etwas zu trinken." „Whisky", bat sie mit schwacher Stimme. Es klang wie ein Flüstern. Sie hatte sich in ihrem Schock heiser geschrien. Lobo hatte daran gedacht, in der Küche vielleicht eine kräftige Fleischbrühe zuzubereiten. Aber das w ü r d e lange dauern. Er erinnerte
sich an seinen eigenen trockenen Mund und ging zum Flaschenregal, um eine Flasche Whisky zu holen. Dankbar t r a n k Vivian. Sie w a r leichenblaß und zitterte. Ihre Augen spiegelten noch das Entsetzen wider. „Ich - ich dachte, alle wären tot", stammelte sie. „Der Mann . . , " Sie konnte nicht mehr weitersprechen. „Ruhig, ganz ruhig", sagte Lobo. Sie schloß die Augen. Lobo sah ihr an, daß sie Schmerzen verspürte. Kurz darauf w a r sie eingeschlafen. Der Blutverlust hatte sie geschwächt. Lobo ließ sie liegen, wo sie war. Im H a u p t r a u m w a r es w a r m , im Schlafzimmer dagegen kalt. Er drehte sich eine Zigarette und hing seinen Gedanken nach. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis jemand kam, bis er ein Pferd hatte, um die Verbrecher verfolgen zu können. Er rief sich noch einmal das G e schehen in Erinnerung, soweit er es miterlebt hatte, bevor er das Bewußtsein verloren hatte. Der Bandit Wego und seine K u m pane. Sie hatten Procters Gold haben wollen. Ihr Fehler w a r es gewesen, daß sie - auch bedingt durch das Wetter - nicht sofort damit verschwunden waren, sondern erst noch ihre „Party" hatten feiern wollen. Die Frachtwagenfahrer. Sie hatten die Banditen getötet und waren mit dem Gold verschwunden. Ob sie Vivian und ihn für tot gehalten hatten? Das w a r n u r eine der vielen F r a gen, die Lobo beschäftigten. Als der Morgen dämmerte, ging Lobo wieder hinaus, um sich noch einmal die Spuren im Schnee anzusehen. Er fand Toms Leiche, sah das Messer, das aus dem schneebedeckten Rücken ragte, und folgerte daraus, daß entweder der Hüne Bob oder 41
sein K u m p a n Benjamin den Jungen ermordet haben mußte. Leichter Schneefall hatte wieder eingesetzt. Bald würde die Fährte zugeschneit sein. Lobo kratzte Schnee von der Plane eines der Wagen und entzifferte die Aufschrift. Ein T r a n s p o r t u n t e r n e h m e n aus Billings. Die F ä h r t e der Verbrecher führte nach Süden, Billings lag im Osten. Lobo bezweifelte, daß die Verbrecher sich jemals wieder in Billings sehen lassen würden. Aber wenn sich ihre F ä h r t e im Schnee verlor, w a r das Transportunternehmen sein bisher einziger Anhaltspunkt. Vielleicht erfuhr er dort Einzelheiten über die drei Männer, über ihre Heimatorte, über Freunde, über Pläne. Er kehrte ins Haus zurück und bereitete in der Küche ein Frühstück. Als der Kaffee kochte, w a r Vivian erwacht. Sie rief nach ihm. Er n a h m die Kaffeekanne und zwei Becher und ging zu ihr. Sie erbat einen Schluck Whisky in den Kaffee. Sie tranken. Der Kaffee w ä r m t e sie. Keiner von beiden verspürte Appetit auf das Frühstück. Der Schlaf hatte Vivian gutgetan. Sie w a r zwar immer noch leichenblaß, aber ihre Augen blickten wieder klarer u n d ihre Stimme klang kräftiger. Sie schien den Schock überwunden zu haben. „Ist - die Verletzung schlimm?" fragte sie. „Die Kugel ist raus", erwiderte er. „Es wird schon bald heilen." Er lächelte ihr aufmunternd zu und verschwieg ihr, daß noch längst nicht alles überstanden war. Die Wunde konnte sich entzünden. Vivian gehörte eigentlich in die Obhut eines Docs. Behutsam stellte er ihr die ersten Fragen. 42
Sie erzählte, was geschehen w a r : „Als ich zu mir kam, sah ich den Mann. Es war der mit den roten Haaren." „Joel", sagte Lobo. Sie nickte leicht. „Er hielt einen Revolver in der Hand. Er hatte g e r a de geschossen, Rauch kräuselte noch vor der Mündung. Er blickte traurig, irgendwie traurig. Und dann - lächelte er. Ein seltsames Lächeln, das ich noch nie gesehen habe. Ich wollte schreien, weil er den Revolver in der Hand hielt, weil ich dachte, er wollte mich töten. Aber er hat mir nur die Hand auf den Mund gepreßt. D a n n knallte es, und ich dachte: Das ist der Tod. Ich m u ß ohnmächtig geworden sein. Irgendwann w u r d e ich wach. Und als ich die Leichen sah ..." „Ja," sagte Lobo, „der Anblick ist für jeden ein Schock." Er nippte an seinem Kaffee und überlegte. Was hatten die beiden Schüsse von Joel zu bedeuten? Ob er ihn, Lobo, und Vivian als letzte Zeugen töten sollte und seine K u m p a n e geblufft hatte, indem er einfach in die Decke oder die Planken gefeuert hatte? Lobo untersuchte den Boden und fand seine Vermutung bestätigt. Er entdeckte zwei Geschosse im Boden, dicht nebeneinander, nicht weit von Vivian entfernt. Joel hatte also vor Mord zurückgeschreckt. Lobo erinnerte sich daran, daß der M a n n auf ihn keinen schlechten Eindruck gemacht hatte. Plötzlich sah er wieder den Hünen Bob vor sich, dachte an seine Bemerkungen, an sein Auftreten, und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen: Bob w a r wahrscheinlich die treibende Kraft gewesen. Das Böse m u ß t e in ihm geschlummert haben. Und beim A n blick des Goldes w a r es explosionsartig erwacht. „Hast du noch mitbekommen, w e r
geschossen h a t ? " fragte er Vivian. Sie erzählte es ihm. „Joel hat dich niedergeschlagen. Die anderen beiden schossen wie rasend. Sie w a r e n von einem Augenblick zum anderen wie Bestien. Verstehst du, es w a r e n keine Menschen mehr. Wego und die anderen w a r e n schlimm. Sie - sie h ä t t e n mich vergewaltigt, aber ich glaube nicht, d a ß sie vorhatten, uns zu töten. Nein, aus ihren Ä u ß e r u n gen ging hervor, d a ß sie die Gefangenen am Leben lassen wollten. Die a n deren waren schlimmer. Die wollten töten. Der Große, dieser Bob schoß noch auf Wego, als er schon am Boden lag." Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerzen. „Wer mich getroffen hat, weiß ich nicht. Es ging alles so schnell. Aber trotzdem habe ich so vieles gesehen. Die Gesichter, diese grausamen, verzerrten Gesichter ich werde sie wohl nie vergessen können . . . " „Erzähle mir von dem Gold u n d von Procter", sagte Lobo. Die Erinnerung an Nat Procter trieb ihr Tränen in die Augen. Sie w a r nicht fähig zu reden. Lobo ließ sie weinen. Es tat ihr gut, löste ihre Verkrampfung. Lobo wartete geduldig, bis sie sich gefaßt hatte und weitererzählte. Er erfuhr, daß sie Procter vor zwei Monaten in einem Goldgräber-Camp in den Crazy Mountains kennengelernt hatte. Sie w a r dort „Tänzerin" gewesen, wie sie sagte. Lobo wußte, wie und was in einem Goldgräber-Camp getanzt wurde. Sie w a r ein leichtes Mädchen. „Nat hatte nicht einmal genug Geld, um mir einen Drink zu spendieren, wie es üblich war, w e n n einer mit uns Mädchen nähere B e k a n n t schaft schließen wollte." Sie blickte Lobo an, als versuchte sie seine Gedanken zu erraten. „Du verstehst, w a s ich meine?" Er nickte.
Mit leiser Stimme fuhr sie fort: „Nat himmelte mich an. Er war a n ders als die anderen Kerle, nicht so ordinär, feinfühliger . . . " Sie hatte den wesentlich älteren Mann mit auf ihr Zimmer genommen u n d ihm geschenkt, wofür sie sonst kassierte. Es h a t t e sich ein Liebesverhältnis entwickelt. Schon bald hatte das u n gleiche P a a r Pläne geschmiedet. Procter wollte sie fortbringen, weg von diesem wilden Camp. Er wollte sie heiraten. Procter t r ä u m t e vom großen Gold. Vivian w a r realistischer eingestellt. Sie kannte das Gerede der Männer, die alle hofften, eines Tages reich zu werden. Sie glaubte nicht daran, daß Procters T r a u m in Erfüllung gehen würde. Einige der Digger h a t t e n es t a t sächlich geschafft. Doch die wenigsten, die fündig geworden waren, hatten sich lange ihres plötzlichen Reichtums erfreuen können. Mord und Totschlag w a r e n im Camp an der Tagesordnung. Keiner traute mehr seinem Nachbarn, konnte nachts noch ruhig schlafen, w e n n Diebe u n d Räuber durch das Camp schlichen. Schließlich hatten einige Digger die Idee, sich zusammenzuschließen und eine Art Selbstschutz-Organisation zu gründen. Wer Gold fand, zahlte es bei der Organisation ein wie bei einer Bank. Jeder Fund w u r d e korrekt gutgeschrieben, der Besitzer erhielt eine Quittung. Sein Gold konnte er jederzeit wieder abholen. Die Organisation stellte Wachen rund um die Uhr auf und gab Diggern, die das Camp mit ihrem Gold verlassen wollten, gegen eine geringe Gebühr, die in den gemeinsamen Fond eingezahlt wurde, Geleitschutz bis zur nächsten Stadt. Immer mehr Digger schlossen sich der Organisation an, m e h r oder weniger notge43
drungen, denn immer wieder gab es Raubüberfälle von Banditen, die ausspioniert hatten, w a n n einer fündig geworden war. Geier, die sich nicht die Mühe gaben, selbst nach Gold zu schürfen, die eiskalt a b w a r teten, bis andere die Arbeit für sie getan und Glück gehabt hatten. Wego und seine Banditen zum Beispiel. „Ich hielt Nats T r a u m vom großen Fund natürlich erst für die typische Phantasterei - eben für einen Traum", sagte Vivian. „Aber ich liebte ihn, und ich w ä r e auch mit ihm fortgegangen, raus aus dem Sumpf, w e n n er a r m geblieben wäre. Um so überraschter w a r ich, als er plötzlich tatsächlich Gold fand. Wir waren völlig aus dem Häuschen, konnten es k a u m fassen. Ich riet Nat, das Gold bei der Organisation zu deponieren, aber er wollte das nicht. Noch in derselben Nacht haben wir das Camp verlassen, heimlich, voller Angst, d a ß uns jemand entdecken könnte. Es w a r wie - wie eine Flucht. Wir glaubten schon, wir hätten es geschafft. Wir k a m e n bis Big Timber. Dort haben w i r uns trauen lassen . . . " Sie atmete tief ein und blickte Lobo an, als erwartete sie eine Reaktion auf ihre Worte. Als er schwieg, fügte sie hinzu: „Dann tauchten die Banditen doch noch auf. Aber das hast du ja miterlebt." Lobo erinnerte sich an das erste Zusammentreffen mit Vivian und ihrem Mann. Er nickte. „Dieser Wego, den ihr ja kanntet, w a r also der Banditenboß in dem Camp?" „Nein", antwortete Vivian zu seiner Überraschung. „Er w a r einer der Digger. Er hatte sogar zusammen mit Alderman die Organisation zum Schutz der Goldgräber gegründet." „Alderman", sagte Lobo nachdenklich, „den Namen hab ich doch schon 44
mal gehört. Richtig, Nat Procter h a t ihn erwähnt." „Clay Alderman war Nats Freund. Er h a t Nat ü b e r h a u p t erst auf die Idee gebracht, in den Crazy Mountains nach Gold zu suchen. Er starb bei einem Überfall. Deshalb wollte Nat das Gold ja auch nicht m e h r der Organisation anvertrauen. Er sagte: ,Jetzt, da Clay tot ist, traue ich den anderen nicht mehr.' Er meinte, d a ß es Verräter in der Organisation geben könnte, die mit den Banditen zusammenarbeiten." Sie schluckte. „Er hatte recht. Wego w a r der Verräter." „Wieviel Gold ist es eigentlich?" fragte Lobo aus seinen Gedanken heraus. „Ich weiß es nicht. Nat sagte, es w ü r d e bis an unser Lebensende reichen." F ü r Lobo rundete sich das Bild ab. Vivian hatte sich in den wesentlich älteren Goldgräber verliebt. Procter hatte Gold gefunden und war mit ihr bei Nacht und Nebel aus dem Camp geflohen. Die Banditen hatten Wind davon bekommen und w a r e n der F ä h r t e gefolgt. Den Rest hatte Lobo selbst miterlebt. Die Frachtwagenfahrer w a r e n durch Zufall in die Sache verwickelt worden. In ihrer Gier nach dem Gold w a r e n sie zu Verbrechern geworden. Sie w a r e n mit ihrer Beute auf dem Weg nach Süden. Ihr Vorsprung w a r beträchtlich und wuchs mit jeder Minute, die Lobo zur Untätigkeit v e r d a m m t in der Station zubringen mußte. Vivian sagte leise: „Das Gold gehört jetzt mir. Es gibt niemand sonst, der einen Anspruch darauf erheben könnte. Ich w ü r d e es hergeben, w e n n ich Nat damit wieder lebendig m a chen könnte." Sie schluchzte auf. Schmerz war in ihren Augen. Und plötzlich Haß. „Lobo, ich gebe dir einen Anteil von dem Gold ab, w e n n du die Kerle zur
Hölle schickst." „Ich bin kein Killer", sagte Lobo. Sie blickte ihn fast verwundert an. „Aber - es sind doch Verbrecher!" „Ja", sagte Lobo. „Es sind Mörder. Aber auch Mörder haben ein Recht auf einen fairen Prozeß." Er blickte Vivian in die Augen. „Wego und seine K u m p a n e w a r e n ebenfalls Verbrecher. Sie w ä r e n an den Galgen gekommen, w e n n m a n sie gefaßt hätte. Und wir hatten sie ja schon gestellt, und hätten sie n u r noch dem Gesetz zu übergeben brauchen. Aber die drei Frachtwagenfahrer sind zu Mördern geworden. Als sie töteten, w a r e n Wego und seine P a r t n e r noch nicht verurteilt." Und mit h a r t e r Stimme fügte er hinzu: „Abgesehen davon haben sie Warner und seinen Sohn ermordet." Vivian blickte ihn lange schweigend an. „Du wirst sie jagen, Lobo?" „Sobald ich ein Pferd habe." Sie schloß die Augen. Kurz darauf w a r sie eingeschlafen.
Am Vormittag trafen Bruce und Mac, Warners Mitarbeiter, auf der Station ein. Fassungslos hörten sie von Lobo, w a s geschehen war. Lange standen sie erschüttert bei Warners Leiche. Schließlich erfuhr Lobo von Mac, d a ß er die Banditen auf der Flucht in der Nacht beobachtet hatte. Es konnte sich nur um die drei Männer h a n deln, die er im Mondlicht auf dem Trail nach Laurel gesehen hatte, als er nach einem vermeintlichen Wolf Ausschau gehalten hatte. F ü r Lobo w a r Macs Information äußerst wichtig. Denn es h a t t e im Laufe des Morgens wieder geschneit, u n d die F ä h r t e w a r nicht m e h r zu erkennen. Lobo w ä r e nach Süden geritten - in die Irre.
Jetzt w u ß t e er, d a ß die Verbrecher irgendwann nach Osten abgebogen sein mußten. Sie hatten bisher in Billings gearbeitet. Es w a r möglich, d a ß sie im sicheren Gefühl, einen genügend großen Vorsprung zu haben, dorthin ritten, um noch etwas zu erledigen. Vielleicht wollten sie ihren Besitz aus ihrem Quartier holen oder F r a u en oder Freundinnen mitnehmen, bevor sie irgendwo untertauchten. Bis Laurel waren sie zumindest geritten. Lobo hatte jetzt einen Anhaltspunkt. Er schirrte zwei der vier Gespannpferde aus. Bruce und Mac k a m e n zu ihm, als er eines der Tiere sattelte. „Es ist unsere v e r d a m m t e Pflicht, Warners Mörder zu jagen", sagte Bruce. „Mister, ich denke, Mac und ich werden Sie begleiten." Lobo blickte von einem zum anderen. Der hochaufgeschossene Junge und der kleine, krummbeinige Mann gefielen ihm. Sie w i r k t e n wie Vater und Sohn. Er wußte, d a ß er Vivian in ihrer Obhut lassen konnte. Sie schlief fest. Lobo hatte ihren Verband erneuert. Die Wunde sah gar nicht g u t aus. „Es m u ß jemand bei der Frau bleiben", sagte er. „Eigentlich müßte sie zu einem Doc." Bruce nickte ernst. „Daran hab ich gar nicht gedacht." Er tauschte einen Blick mit Mac. „Ja, wir bleiben hier. Die Station w a r für W a r n e r sein ein und alles - besonders nach dem Tod seiner F r a u . Wir werden den Betrieb weiterführen, bis sich ein Nachfolger gefunden hat." Lobo nickte und saß auf. „Sie informieren uns doch, w e n n Sie die Kerle haben?" fragte Bruce. Lobo lächelte. „Ja. Sagen Sie der Frau, sie soll hier auf mich warten. Sie soll sich keine Sorgen machen 45
und bald wieder gesund werden. Ich komme wieder." Ob mit oder ohne Gold, dachte er. Er hatte sich lange und ausführlich mit den beiden unterhalten, alles geschildert, w a s sich in der Station a b gespielt hatte. Doch von dem Gold h a t t e er nichts gesagt. Nicht, d a ß er den beiden mißtraut hätte. Doch er wollte vermeiden, daß jemand auf seiner F ä h r t e ritt, daß jemand in Versuchung kam, auf eigene Faust hinter dem Gold herzujagen. Je weniger Leute davon wußten, desto besser. Vielleicht erfuhren sie es von Vivian, vielleicht auch nicht. Im Augenblick nützte es keinem, wenn er davon erzählte. „Viel Erfolg", b r u m m t e Bruce, als Lobo die Zügel nahm. Lobo nickte und ritt an. Bruce u n d Mac schauten dem einsamen Reiter nach, bis er in einer Senke verschwunden war. „Meinst du, daß er es schafft?" murmelte Mac. Bruce nickte. „Wenn einer es schaffen kann, dann er. Das ist ein ganz Harter. Ich kenne die Sorte. Der gibt nicht so leicht auf.
„Das - k a n n doch nicht dein Ernst sein", stammelte Benjamin. Auch Joel s t a r r t e Bob entgeistert an. Der Hüne hielt seine Winchester im Anschlag. Kalt und spöttisch blickte er die beiden Männer an, die am Campfeuer saßen. „Es ist", sagte er mit seltsam gepreßter Stimme. Benjamin bewegte sich. Die Winchester blitzte und krachte. Das Geschoß zischte haarscharf an Benjamins rechter Schulter vorbei Das Echo hallte von den Felsen w i 46
der. Eines der Pferde wieherte. Benjamin erstarrte, fassungslos, entsetzt. „Ihr seht, daß ich nicht spaße", sagte Bob h a r t und hebelte eine neue P a t r o n e in die K a m m e r der Winchester. „Du - würdest u n s tatsächlich erschießen?" fragte Joel. „Nachdem wir uns so lange kennen? Nach allem . . . " „Halt's Maul, Joel." Bobs wulstige Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. „Und fang nicht an zu plärren. Du w a r s t immer schon zu zart besaitet. Ich h a b n u r auf diesen Augenblick gewartet." Es fiel Benjamin und Joel wie Schuppen von den Augen. Bob h a t t e von Anfang an nicht vorgehabt, das Gold zu teilen! „Los jetzt", sagte der Hüne hart, „zieht hübsch vorsichtig eure Eisen u n d werft sie her." Sie tauschten einen Blick, zögerten. „Ich wiederhole mich nicht gern", sagte Bob drohend. Sie erschraken vor dem Ausdruck seiner Augen und gehorchten. Bob bückte sich u n d hob die Revolver auf. „Deshalb wolltest du bei der ersten Rast nicht teilen", murmelte Benjamin. „So ist es", erwiderte Bob kalt. „Warum sollte ich? Ich hab euch Idioten doch n u r gebraucht, damit in der Station alles k l a r ging." „Du warst schon immer ein Schwein", sagte Benjamin. Joel sagte nichts. Sein Mund stand offen, und seine Miene war die eines Mannes, der die Welt nicht mehr v e r stand. „Jetzt bin ich ein reiches", sagte Bob hämisch. „Und ihr seid arme. Ich wünsche euch viel Spaß. B a u t Schneemänner oder würfelt. Irgendw a n n kommt mal jemand hier v o r -
bei. Aber seid vorsichtig und erzählt nichts von mir und dem Gold. Sonst n i m m t man euch als Mörder fest." Er lachte. Rückwärts, mit dem Gewehr im Hüftanschlag, ging er zu den Pferden. Er schob die Winchester in die Sattelhalfter des Morgan-Hengstes, zog seinen Colt und saß auf. Benjamin und Joel r ü h r t e n sich nicht. Sie w i r k t e n wie benommen. In stummem H a ß schauten sie zu, wie Bob die Zügel aufnahm und den Hengst mit leichtem Schenkeldruck antrieb. „Auf Nimmerwiedersehen", sagte Bob spöttisch. Benjamin ballte in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten. Joel schluckte. „Bob, laß uns doch wenigstens die Waffen hier. Was sollen wir tun, wenn ..." Er brach hilflos ab. Irgendwo im verschneiten Felsland heulte ein Wolf. Bob lachte nur. Er nahm alle Pferde mit. „Ben, was jetzt?" fragte Joel kläglich. Heißer J ä h z o r n brach aus Benjamin heraus. Er hämmerte wie von Sinnen mit den Fäusten auf den Boden. „Dafür schicke ich ihn zur Hölle!" schrie er. „Zur Hölle!" Und es klang wie ein Schwur.
Lobo gönnte sich und den Pferden keine Rast. Er hielt n u r an, um die Tiere zu wechseln. Am späten Abend tauschte er die erschöpften Pferde auf einer F a r m westlich von Laurel gegen ein frisches Pferd ein. Der Farmer w a r zufrieden mit dem Handel. Lobo erfuhr von dem Mann, daß gegen Mittag drei Reiter von Westen h e r über den Trail nach Laurel ge-
k o m m e n waren. Lobo gab eine Beschreibung der Verbrecher, doch der F a r m e r zuckte n u r mit den Schultern. Er hatte die Männer nur flüchtig aus etwa vierh u n d e r t Yards Entfernung gesehen und ihnen keine große Beachtung geschenkt. Er erinnerte sich daran, d a ß sie nicht sehr schnell geritten w a r e n und Ersatzpferde bei sich geh a b t hatten. Lobo w a r überzeugt davon, d a ß es sich bei den drei Reitern um das Verbrecher-Trio handelte. Er setzte seinen Ritt fort. Kurz vor Mitternacht traf er in Laurel ein. Er hörte sich in der Stadt um, beim Marshal und im Saloon. Die drei Verbrecher w a r e n gesehen worden. Sie hatten am Abend Whisky eingekauft und die Stadt nach Norden verlassen. Im Nordosten lag Billings. Lobo ritt weiter. Es w a r eine klare Vollmondnacht. Es h a t t e aufgehört zu schneien, und etwa drei Meilen hinter Laurel entdeckte Lobo eine frische Fährte. Die Hufeindrücke w a r e n deutlich im glitzernden Weiß zu erkennen. Lobo ritt vom Trail fort, suchte nach dem Ausgangspunkt der F ä h r te und fand keine zweihundert Yards entfernt in einer geschützten Mulde den Rastplatz. Das Campfeuer w a r mit Schnee gelöscht worden. Eine leere Whiskyflasche lag daneben. Stiefelabdrücke führten zu der Stelle, an der die Schneedecke von Hufeindrücken übersät war. Die Spuren verrieten Lobo, d a ß drei Männer an diesem Platz gerastet hatten. Er folgte der Fährte. Das erste Grau verkündete den neuen Tag, als Lobo sah, d a ß die Spuren im Schnee vom Trail wegführten. Eine weitere Rast der Verbrecher? Lobo spähte aus engen Augen zu 47
den verschneiten Felsen, zu denen die Spuren führten. Das Pferd, ein großer, kräftiger Wallach, schnaubte plötzlich und witterte mit gespitzten Ohren zu den Felsen hin. Das w a r n t e Lobo. Er streckte die Rechte aus, um die Winchester aus der Sattelhalfter zu ziehen. Da rief eine r a u h e Stimme: „Stop, w i r haben dich im Visier! Hände hoch und . . . " Lobo reagierte blitzschnell. Er zog die F ü ß e aus den Steigbügeln, riß gleichzeitig das Gewehr aus dem Sattelschuh und schnellte sich vom Pferd. Seine Muskeln verkrampften sich während des Sprunges, denn er rechnete damit, daß die Männer das Feuer eröffneten. Statt dessen fluchte jemand. Die dicke Schneeschicht dämpfte Lobos Aufprall. Er rollte durch den Schnee und brachte sich h i n t e r einem kleinen Felsen in Deckung, der so mit Schnee bedeckt war, daß er wie ein r u n d e r Hügel wirkte. Stille. Kein Schuß w a r gefallen. Lobo lauschte mit angehaltenem Atem. Nichts geschah. Das Pferd stand ruhig, aber immer noch mit erhobenem Kopf und gespitzten Ohren. Weißer Atem wölkte vor den Nüstern. Lobo riskierte einen Blick. Nichts bewegte sich zwischen den Felsen, die sich weiß vom dunklen Himmel abhoben. Warum haben sie nicht geschossen? überlegte er. Er versuchte, sich an den Klang der Stimme zu erinnern. Sie hatte seltsam angespannt und r a u h geklungen und w a r ihm nicht bekannt vorgekommen. Ob er einer falschen F ä h r t e gefolgt war? Irgendwelchen Reitern, die sich a b seits des Trails einen Platz für ihr Nachtcamp gesucht hatten und von 48
ihm aufgeschreckt worden waren? Er w a r entschlossen, es herauszufinden. Lautlos kroch er weiter bis zum nächsten Felsen. Das Terrain w a r für sein Vorhaben günstig. Felsen, verschneite Büsche und Schneehügel boten ihm Deckung. Er schlug einen Bogen um die Stelle, an der die Stimme erklungen war. Plötzlich sah er zwischen zwei Felsbrocken F e u e r schein. Er robbte weiter und sah das Campfeuer. Dann die beiden M ä n ner. Sie kauerten im Schnee am Rande der Felsmulde und h a t t e n Lobo den Rücken zugewandt. Ihre Haltung w i r k t e angespannt. Sie spähten offensichtlich zwischen zwei Felsblökken hindurch zu dem Pferd hin, das nach Lobos Schätzung etwa dreißig Yards von ihnen entfernt sein m u ß te. Lobo e r k a n n t e die beiden Männer an der Statur und Kleidung. Joel und Benjamin. Wo steckte der dritte Verbrecher? Lobo v e r h a r r t e mit der Winchester im Anschlag und blickte sich w a c h sam um. Der Schnee jenseits des Feuers am Rande der Mulde w a r von Pferdehufen aufgewühlt, doch kein einziges Pferd w a r zu sehen. Lobo schlich weiter, hinter den Felsen zur Linken der beiden Verbrecher. Er konnte ihre gedämpften Stimmen hören. „Verdammt, wo ist der Kerl?" r a u n t e Joel. „Er k a n n sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!" „Du Idiot hättest w a r t e n sollen, bis er n ä h e r heran war!" zischte Benjamin. „Was machen wir jetzt?" fragte Joel besorgt. „Freiwillig gibt der uns sein Pferd bestimmt nicht." „Aber wir müssen es haben", sagte Benjamin dumpf. „Das Pferd und seine Waffen." „Und wie willst du das schaffen?
Der wartet jetzt mit der K n a r r e in der Hand. Wir haben keine Chance gegen ihn." Er fluchte leise. „Ich könnte Bob erwürgen, d a ß er uns nicht wenigstens die Eisen gelassen hat." Lobo hatte genug gehört. Zufrieden lächelnd richtete er sich auf. „Paß auf, ich h a b 'ne Idee", sagte Benjamin. „Wir bluffen ihn. Und w e n n er sein Mißtrauen verloren hat, überwältigen wir ihn." Lobos Lächeln vertiefte sich. Benjamin hob die Stimme. „He, Mister, Sie dürfen sich an unserem Campfeuer aufwärmen. War n u r ein Spaß!" „Ein prächtiger Spaß", sagte Lobo ruhig. Die Köpfe der beiden Männer zuckten herum. Der Schreck w a r ihnen in die Glieder gefahren. Joel hob unaufgefordert die Hände. Benjamin v e r h a r r t e wie festgefroren in der Drehung. Lobo trat mit der Winchester im Anschlag langsam näher auf sie zu. Er verzichtete darauf, eine Patrone in die K a m m e r zu hebeln. Die beiden w a r e n ja waffenlos, und auch von Bob drohte keine Gefahr, wie er ja ihren Worten entnommen hatte. Dann kam der zweite Schock für sie, und er w a r noch größer als der erste. Sie e r k a n n t e n ihn. „Lobo!" stieß Benjamin fassungslos hervor. Er starrte das große Halbblut an, als sehe er einen Geist. Joels Miene zeigte eine Mischung aus Überraschung und Entsetzen. „Ich soll euch grüßen", sagte Lobo wie im Plauderton. „Von eurem Henker. Er w a r t e t schon." Benjamins Kopf ruckte plötzlich zu Joel herum. Er starrte seinen K u m p a n an und stammelte: „Ich dachte, du hättest ihn - du solltest ihn doch . . . " „Ich konnte es nicht!" schrie Joel,
und es klang wie ein Schluchzen. „Ich konnte es nicht!" Er schlug die Hände vors Gesicht, sank vornüber in den Schnee zu Lobos Füßen. „Ich - konnte - es - nicht", w i m merte er. Ein hilfloses Bündel Mensch. In diesem Augenblick empfand Lobo Mitleid mit ihm. Der Mann w a r zum Verbrecher geworden, aber die letzte Grenze hatte er nicht ü b e r schritten. Das Gute in seinem Kern hatte ihn davor bewahrt, zum Mörder zu werden. Lobo w a r überzeugt davon, daß Joel ihm bereitwillig jede
Frage beantworten würde, sofern er es konnte. Benjamin dagegen w a r aus h ä r t e rem Holz geschnitzt. Er fluchte wild. Er verwünschte Joel und Bob und beschimpfte schließlich in seinem ohnmächtigen Zorn Lobo. Lobo hörte gelassen zu und blickte den Mörder kaltlächelnd an. Erst als Benjamin einen verzweifelten Angriff versuchte, handelte Lobo. Er wich dem Verbrecher, der auf ihn zuhechtete, im letzten Augenblick aus. Benjamin landete neben ihm im Schnee. Und da blieb er auch eine Weile liegen. Denn bevor er aufspringen u n d von neuem angreifen konnte, schlug ihn Lobo nieder. D a n n blickte er von dem Bewußtlosen zu Joel. „Und n u n zu dir. Ich wette, du wirst mir eine Reihe von Fragen beantworten." 49
Joel nickte nur. Er w a r ein gebrochener Mann.
Die Reiter trafen bei Sonnenuntergang auf Warners Station ein. Sie hatten einen langen Ritt hinter sich. Das Fell der Pferde dampfte und w a r dunkel vom Schweiß. An der Spitze des sieben Mann starken Trupps ritt US Marshal William Craig. Bruce und Mac redeten gleichzeitig auf den Marshal ein. Craig, ein untersetzter Mann mit einem grauen Vollbart und kalten grauen Augen, hob eine Hand. „Ruhe. Einigt euch erst mal, wer etwas sagen will. Und d a n n soll sich derjenige kurzfassen, denn wir wollen nur die Pferde wechseln." Er saß ab. Die anderen Männer folgten seinem Beispiel. „Die Mörder ...", begann Mac aufgeregt, doch Bruce fiel ihm ins Wort. „Laß mich erzählen. Sieh nach der Frau." Mac nickte, warf noch einen Blick zu dem Marshal und lief ins Haus zurück. Bruce berichtete. Schon bei den ersten Worten tauschten die Männer der Posse bedeutungsvolle Blicke. Einer der Reiter, ein großer, hagerer Mann, der den rechten Arm in einer Schlinge trug, wollte eine Zwischenfrage stellen, doch der Marshal gebot ihm zu schweigen. Bruce schilderte knapp das wichtigste. Als er geendet hatte, nickte der Marshal. „Sie waren beim Militär, stimmt's?" „Ja, wieso?" „Ihr Bericht w a r zackig und präzise"; antwortete der Marshal mit der Andeutung eines Lächelns. „Gehen wir ins Haus. Ich möchte mit der F r a u sprechen." Er gab seinen Männern Anwei50
sung, die Pferde zu versorgen und folgte Bruce in die Station. Andere schlossen sich an. Bruce bot den M ä n n e r n zu trinken an. Sie bedienten sich aus dem Flaschenregal. Mac tauchte aus dem Schlafzimmer auf. „Sie hat Fieber und p h a n t a siert", sagte er. „Was sollen wir t u n ? " Der Marshal gab einem seiner Männer einen Wink. „Brady, sieh mal nach der Frau." Zu Bruce gewandt sagte er: „Brady w a r mal Doc." Er zog seinen Wintermantel aus und setzte sich zu Bruce an den Tisch. „Wir sind seit einer Woche u n t e r wegs", sagte er, n a h m den Hut ab und strich sich über das graue Haar. „Wir w a r e n hinter den Banditen her . . . " „Hinter welchen?" fragte Bruce. Der Marshal setzte zu einer A n t wort an, entschied sich dann jedoch anders. „Später. Kommen wir jetzt zu den Einzelheiten. Was ist dieses Halbblut für ein Mann?" Bruce hob kurz die Schultern. „Ich hatte einen guten Eindruck. „Okay", sagte der Marshal, „Sie scheinen mir alt genug zu sein, um einige Menschenkenntnis zu besitzen. Beschreiben Sie mal diesen Lobo etwas genauer." Bruce tat es. Der Marshal holte eine Zigarette aus der Innentasche seines Rocks, biß das Mundstück ab und spuckte es auf den Boden. Er k r a m t e in der T a sche nach Zündhölzern und fand keine. „Immer dasselbe", murmelte er. Bruce rieb ein Zündholz an u n d gab dem Marshal Feuer. Craig paffte ein p a a r Züge und w e delte den blauen Qualm zur Seite. „Die Fährte führt also nach L a u rel", sagte er nachdenklich, „und dieser Lobo vermutet, daß die Kerle nach Billings geritten sein könnten?"
Bruce nickte. Der Mann namens Brady tauchte, gefolgt von Mac, wieder im H a u p t r a u m auf. Craig blickte ihn fragend an. Brady nickte und gab ein p a a r medizinische Fachausdrücke von sich. „Was heißt das?" b r u m m t e der Marshal. „Du weißt doch, d a ß ich dieses Chinesisch nicht verstehe." Brady grinste. „Ich denke, d a ß sie bald wieder tanzen kann." „Ist sie verhörfähig?" fragte der Marshal. „Ja", antwortete Brady. Und grinsend fügte er hinzu: „Den Schock, Sie zu sehen, wird sie wohl verkraften. Ich hole inzwischen schon mal meine Sachen aus den Satteltaschen. Sie braucht etwas gegen das Fieber." Bruce blickte verständnislos von Brady zu dem Marshal. Mac sagte: „Sie phantasiert wieder von einem Goldschatz." „Na prächtig", sagte der Marshal und erhob sich. „Dann will ich mir mal anhören, was sie mir sonst noch zu sagen hat."
„Sie sind ein F r e u n d von Bob?" Die alte F r a u holte ihre Nickelbrille aus der Schürzentasche, setzte sie umständlich auf und musterte Lobo a u s kurzsichtigen grünen Augen. Ihr rundliches Gesicht mit dem rosigen Teint wies unzählige Runzeln u n d Falten auf, ihr Haar w a r grau, einige Strähnen fast weiß. Sie mochte Mitte sechzig oder auch älter sein. Sie lächelte Lobo an. Eine freundliche alte Dame, dachte Lobo. So einen Sohn hat sie bestimmt nicht verdient. „Sagen wir besser, ich kenne Bob, Ma'am", erwiderte Lobo und drehte den Hut, den er höflich abgenommen hatte. „Ich hab ihn einige Zeit nicht gesehen, und als ich hier vorbeiritt,
erinnerte ich mich daran, daß er von Ihnen erzählt hat. Da dachte ich mir, sag mal guten Tag." „Das ist aber lieb", sagte die alte Frau. „Er ist leider nicht hier, aber bitte, kommen Sie doch herein." Lobo zögerte. Er h a t t e sich bereits auf dem Anwesen umgesehen. Kein Pferd stand in dem kleinen Stall. Lobo h a t t e enttäuscht weiterreiten wollen, als die alte Dame auf die Veranda hinausgetreten w a r und ihn bemerkt hatte. Da h a t t e er sich eine Begründung für seinen Aufenthalt
beim Stall einfallen lassen müssen. Jetzt w ä r e er am liebsten schnell weitergeritten. Wenn Bob nicht bei seinen Eltern war, konnte er bei Rose Cartfield sein, der Freundin, von der Joel gesprochen hatte. Wenn er den Verbrecher dort nicht fand, w a r die Spur tot. Die alte Frau öffnete mit einer einladenden Geste weit die Tür. „Ich h a b e gerade Kaffee gekocht, Mister", sagte sie freundlich. Sie wandte sich um und ging ins Haus. Lobo folgte ihr mit gemischten Gefühlen. Einerseits b r a n n t e ihm die Zeit u n t e r den Nägeln, andererseits w a r es möglich, d a ß er etwas über 51
Bob erfahren konnte, was ihm vielleicht weiterhalf. Die F r a u bot Lobo einen Platz an. Er setzte sich. „Machen Sie sich's bequem, Mister", sagte sie. „Bobs F r e u n d e sind auch unsere Freunde. Wir alten Leute bekommen so selten Besuch." Sie hob die Stimme: „Herbie, k o m m doch mal!" Ein kleiner, magerer M a n n tauchte in der Küchentür auf. Er ging gebeugt und stützte sich auf einen Krückstock. Sein schmales, faltiges Gesicht w u r d e von großen b r a u n grünen Augen beherrscht. Die w e n i gen Haare, die er noch besaß, waren schlohweiß. Er musterte Lobo, und ein beinahe erschreckter Ausdruck t r a t in seine Augen. „Wer ist das?" fragte er mit brüchiger Stimme u n d hielt den Kopf schräg, eine H a n d trichterförmig vor das Ohr. „Ein F r e u n d von Bob", rief die alte F r a u laut. Der Alte begann zu kichern. „Hihi, ein Indianer. Daß ich das noch erlebe." Er schlurfte zu einem Schaukelstuhl neben dem Kamin und ließ sich ächzend darin nieder. D a n n blickte er wieder Lobo an. „Ich hole n u r eben den Kaffee", sagte die F r a u und nickte Lobo lächelnd zu. Eine Weile w a r es still in dem kleinen Raum, der ärmlich eingerichtet aber sauber war. Lobo w a r von dem S t a r r e n des alten Mannes unangenehm berührt. Die Tasse Kaffee trinken, dachte er, und dann nichts wie weg. Ihm fielen Joels Worte ein: „Bob h ä n g t sehr an seinen Eltern. Arme Leute. Leben auf einer kleinen F a r m südwestlich von Billings. Wir wollten gar nicht nach Billings zurück, aber Bob bestand darauf. Ich k a n n mir denken, 52
d a ß er noch einmal seine Eltern sehen will, bevor er das Land v e r l ä ß t . . . Vielleicht zieht es ihn auch zu Rose Cartfield. Er h a t immer von ihr geschwärmt. Wollte sie heiraten. Aber er konnte ihr nichts bieten. Sie ist die Tochter eines reichen R a n chers. Der hat ihn achtkantig aus seinem Haus geworfen. Das h a t Bob bis jetzt nicht verwunden. Er sagte, Rose hätte ihn geliebt, es w ä r e n u r am Geld gescheitert. Jetzt, wo er das Gold h a t . . . " Lobo wurde aus seinen Gedanken gerissen. Der Greis kicherte. „Daß ich das noch erlebe! F r ü h e r habe ich gegen die Indianer gekämpft, und jetzt sitzt einer friedlich in meinem Haus, h i hi." Er tastete mit zittriger Hand zu seinem blanken Schädel, der n u r noch von einem dünnen weißen H a a r k r a n z umgeben war. „Da ist auch nichts m e h r zu skalpieren." Sein Kichern ging Lobo auf die Nerven. Die F r a u brachte den Kaffee u n d eine Schale mit Salzgebäck. Sie h a t t e die letzten Worte ihres Mannes noch mitbekommen. „Herbie!" rief sie laut. „Der Mister ist doch gar kein Indianer." „Nicht?" Lobo lächelte. „Nur ein halber. Meine Mutter w a r eine P i m a Häuptlingstochter. Mein Vater w a r ein Weißer." „Was sagt er?" rief der Alte und beugte sich vor. Die Frau wiederholte laut Lobos Worte. „Soso", murmelte der Alte, „dann ist es ja gut." Lobo nippte an dem Kaffee, lobte das Aroma und pries das Gebäck. Bobs Mutter freute sich. Ihre A u gen strahlten. Lobo überlegte, wie er das G e spräch auf Bob bringen konnte. Da sagte die Frau schon: „Wollen Sie mit
Bob nach Texas?" „Vielleicht", sagte Lobo ausweichend. Seine Miene verriet nichts von der Spannung, die ihn erfaßt hatte. „Der gute Junge", fuhr die F r a u fort. „Will groß ins Rindergeschäft einsteigen. Naja, schon immer h a t t e er den Kopf voller Pläne. Sie kennen ihn ja. Ach, wir sind so glücklich, daß er es jetzt geschafft hat ..." Lobo nickte. Bob war also schon bei seinen Eltern gewesen. Die Frau sprach weiter. „War das eine Freude, als er gestern so plötzlich nach langer Zeit auftauchte. Ich wußte, daß er eines Tages wieder zu seinen Eltern kommen würde. Er hat u n s trotz all seiner Geschäfte nicht vergessen. Er ist ein guter Junge." „Was sagst du?" rief der Alte und hielt eine Hand ans Ohr. Sie wiederholte es laut. Der Greis nickte ein paarmal. „Ein g u t e r Junge", murmelte er. Ein dreckiger Mörder, dachte Lobo, und Bitterkeit erfüllte ihn. Diese beiden armen alten Leute w a r e n a h nungslos. Stolz auf ihren Sohn. Glücklich, daß er sie besucht hatte. Wer weiß, w a s er ihnen vorgelogen hatte ... Lobo t r a n k seinen Kaffee. Eine Weile herrschte Schweigen. Keiner w u ß t e so recht, w a s er sagen sollte. Die alten Leute hatten ihre Gastfreundschaft einem Mann gegenü b e r bewiesen, den sie für einen Freund ihres Sohnes hielten. Außer ü b e r ihren Sohn fanden sie keinen Gesprächsstoff mehr. Schließlich w a r er ein Fremder. Die F r a u versuchte krampfhaft, die U n t e r h a l t u n g fortzusetzen, indem sie übers Wetter sprach. Schließlich erhob sich Lobo. „Dann will ich mal weiter." Er bedankte sich für die Einladung. „Schade, daß ich Bob nicht angetroffen habe. Ich h ä t te ihn so gern wiedergesehen . . . "
Er erhoffte sich irgendeine Äußerung der Frau, aus der hervorging, w a n n Bob die F a r m verlassen hatte' doch sie nickte n u r und sagte: „Jaja." Da fragte er direkt: „Hat er gesagt, wohin er geritten ist? Vielleicht k a n n ich ihn doch noch treffen." Zu seiner Überraschung erwiderte sie: „Er wollte gegen Abend noch mal vorbeikommen und sich verabschieden. Er h a t noch etwas auf irgendeiner Ranch zu erledigen, wollte sich über Rinderpreise erkundigen oder so was." Sie seufzte. „Schade, daß er d a n n schon wieder weiter muß. Jaja, die Geschäfte. Er ist ja jetzt ein gem a c h t e r Mann. Da m u ß er schon sein Kapital richtig einsetzen." Lobos Gedanken jagten sich. Er h a t t e doch noch erfahren, was er wissen wollte. Bob w a r nicht zu irgendeiner Ranch geritten, sondern zur Cartfield Ranch, zu Rose. Joels Vermutungen h a t t e n ins Schwarze getroffen. Er brauchte n u r noch auf der F a r m zu warten und Bob in Empfang zu nehmen! Doch d a n n verlor sich Lobos Begeisterung. Nein, er wollte den Verbrecher nicht auf der F a r m stellen, obwohl das das einfachste gewesen wäre. Nicht vor diesen alten Leuten. Eine Welt w ü r d e für sie zusammenbrechen, w e n n sie die Wahrheit über ihren geliebten Sohn erfuhren. Das wollte er ihnen ersparen. Er w u ß t e von Joel, wo die Cartfield Ranch lag. Er war entschlossen, Bob auf dem Weg zwischen Ranch und F a r m abzufangen. Er wechselte noch ein p a a r belanglose Worte mit der F r a u und verabschiedete sich d a n n von den alten Leuten. Eine halbe Meile von der F a r m entfernt zügelte er das Pferd in einem Waldstück am Rande des Trails. Er führte das Pferd in Deckung und 53
band es an. Mit der Winchester in der Hand ging er zum T r a i l zurück. Dann begann das Warten . . .
Bob fluchte. Seine Stimmung w a r auf dem Nullpunkt. Diese v e r d a m m t e Rose! Er hatte sich seinen Besuch auf der Cartfield Ranch anders vorgestellt. Der liebe Bob ist wieder da. Reich. Seht her, wie reich! Er hatte sich ausgemalt, wie Rose in seine Arme sinken würde. Wie ihr Vater glitzernde Augen bekommen würde, wenn er das Gold sah. Auf dem ganzen Ritt hatte er sich in euphorischer Stimmung vorgestellt, wie man ihn auf der Cartfield Ranch feiern würde. Na klar, daß Rose seinen Antrag mit einem glücklichen Jubelschrei beantworten w ü r d e . . . Er hatte sie schon als seine B r a u t gesehen, auf der großen Ranch in Texas, die er mit dem Gold noch kaufen wollte. Er hatte sich an dem Gedanken berauscht, d a ß Cartfield sich für die damalige Abfuhr entschuldigen w ü r d e : „Mein Sohn, ich w u ß t e immer, daß etwas Großes aus dir wird. Nimm meine Tochter und mach sie glücklich." So oder ähnlich hatte er sich alles gedacht. Die Wirklichkeit war anders gewesen. Brutal w a r er aus seinen T r ä u men gerissen worden. Bob preßte die Zähne aufeinander, versuchte zu vergessen, aber immer tauchte die Szene vor ihm auf: Rose. Schön wie eh und je. Das w a r etwas anderes als die billigen Flittchen, die er sonst kennengelernt hatte. Sie stand auf der Veranda des H a u p t hauses bei irgendeinem Cowboy. Sie lächelte kurz, als sie ihn erkannte. Voller Vorfreude begrüßte er sie. 54
„Ich bin gekommen, um dich zu h o len", sagte er dann mit belegter Stimme. I h r e himmelblauen Augen blickten überrascht. Warum lachte sie nicht? Warum w u r d e ihre Miene plötzlich so kühl und abweisend? „Ich hab's geschafft, Rose . . . " Er saß ab und wollte die Satteltaschen öffnen. Er freute sich auf ihr Gesicht. Ob sie einen kleinen überraschten Schrei ausstoßen würde, wenn sie das Gold sah? Oder ob sie es n u r s t u m m und ehrfürchtig anstaunen würde? Vielleicht fiel sie ihm auch gleich um den Hals? Der Cowboy schlenderte neugierig näher. Na, der Bursche würde auch Augen machen. Wo w a r der R a n cher? Ah, der w ü r d e schon bald auftauchen. „Rose, Baby, ich h a b immer n u r an dich gedacht. Wir werden ..." Weiter k a m er nicht. J e m a n d riß ihn plötzlich an der Schulter herum. Und d a n n knallte auch schon die Faust in sein Gesicht. Der Cowboy hatte zugeschlagen. Bob landete im Schneematsch vor der Veranda. „Scher dich zum Teufel, du Strolch!" sagte der Cowboy hart. „Meiner Verlobten nachzustellen! Ich w e r d e dir helfen!" Der Cowboy w a r kleiner, aber von kräftiger Statur. Mit geballten H ä n den stand der Kerl ü b e r ihm. Bob brauchte einen Augenblick, um den Schlag und m e h r noch die Worte zu verdauen. Rose verlobt! Deshalb w a r sie nicht gleich auf ihn zugelaufen hatte sich nicht an seine Brust geworfen, wie er sich das unzählige Male ausgemalt hatte, seit er das Gold besaß. D a n n ging der Jähzorn mit ihm durch. Dieser v e r d a m m t e Cowboy! Er wagte es, ihn vor Roses Augen a n zugreifen!
Seine Rechte zuckte zum Colt. Doch bevor er ziehen konnte, traf ihn die Stiefelspitze des Cowboys am Handgelenk. Und dann blickte er auch schon in die Mündung eines Colts, und der Cowboy sagte: „Pack dich, du Dreckstück. Schwing dich auf deinen Gaul, u n d hau ab, bevor ich dich tanzen lasse!" Er hatte keine Chance. Sein Handgelenk schmerzte. Sein ganzer Arm w a r wie betäubt. Der Cowboy hielt eine Waffe auf ihn gerichtet. Aus dem Bunkhouse w a r e n weitere Cowboys aufgetaucht. Dann ertönte plötzlich die Stimme des Ranchers: „Was ist los, Fred?" „Der Tramp wollte Rose nachstellen!" „Und - hast du's ihm gezeigt?" „Noch nicht richtig, Boß. Aber w e n n er nicht bei drei auf seinem Gaul sitzt, k a n n er bald nur noch Suppe essen." Das Lachen der Cowboys schallte in Bobs Ohren. Er warf noch einen Blick zu Rose. Auch sie hatte über die Bemerkung des Cowboys gelacht. Das traf ihn am meisten. Jetzt wurde ihre Miene ernst. Fast mitleidig blickte sie ihn an. Wie damals, als sie ihm gesagt hatte: „Sicher, ich mag dich - aber mein Vater will n u n mal keinen Hungerleider als Schwiegersohn . . . " Hungerleider. Er w a r jetzt reich. Er besaß einen Goldschatz. Dieser Cowboy w a r ein Hungerleider! Und mit dem hatte Rose sich verlobt? „Eins!" sagte der Cowboy drohend. „Laß ihn doch, Freddy Darling!" Freddy Darling. Bob schluckte. „Zwei!" „Verschwinde doch schon!" rief Rose, und ihre Stimme klang fast a n gewidert. Ein Aufruhr der Gefühle tobte ihn
ihm. Zorn, Haß, Enttäuschung. Benommen richtete er sich auf und schwang sich aufs Pferd. Wild trieb er es an. Zur Hölle mit euch allen! schrie eine Stimme in ihm. „Na also", rief der Cowboy hinter ihm her. „Und laß dich hier nie wieder sehen!" Er gab einen Schuß ab. Bob zuckte zusammen und duckte sich instinktiv über den Pferdehals. Das Lachen der Cowboys gellte in seinen Ohren. Erst nach einer Meile w a r er wieder etwas ruhiger geworden. Plötzlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, den Cowboy zu ermorden. Aber es w a r zu riskant. Der Mann h a t t e zu viele F r e u n d e auf der Ranch. Und er hatte keine Zeit, ihm irgendwann einmal aufzulauern. Er wollte so schnell wie möglich aus der Gegend verschwinden. Noch ein kurzer Besuch bei Ma und Pa, und d a n n nichts wie ab, bevor Benjamin und Joel auf die Idee kamen, hier nach ihm zu suchen . . . Der Gedanke an die ehemaligen P a r t n e r beunruhigte ihn nicht sonderlich. Im Gegenteil. Es amüsierte ihn. Die h a b ich fein reingelegt, dachte er. Er spuckte aus und lachte vor sich hin. Wie die Schafe hatten sie ihm vertraut! Er dachte an das Gold, schwelgte wieder in Zukunftsplänen, und seine Stimmung besserte sich etwas. Doch d a n n fluchte er wieder. Nicht zu fassen. Da hatte man ein Vermögen in Gold in den Taschen und konnte sich doch nicht alles k a u fen, was man haben wollte, oder? Ich hätte Rose das Gold zeigen müssen, überlegte er. D a n n hätte sie ihren verdammten Freddy Darling auf der Stelle vergessen. Aber zum Teufel, er w a r ja gar nicht dazu gekommen, ihr seinen Reichtum zu zeigen . . . 55
Ich kann F r a u e n genug haben, tröstete er sich. Ich brauche n u r mit dem Gold zu winken, und sie laufen mir nach. Zum Teufel mit Rose, zum Teufel mit allen . . . Ein P a n t h e r flog auf ihn zu und fegte ihn förmlich aus dem Sattel. Es ging alles so rasend schnell. Bevor er wußte, wie ihm geschah, fand er sich benommen im Schnee wieder. Der heiße Atem des P a n t h e r s schlug ihm in den Nacken. Verzweifelt wollte er zum Colt greifen. Da traf ihn e t w a s am Kopf, und der Schnee vor seinen Augen w u r d e pechschwarz.
Als er die Augen öffnete, sah er verschwommen ein Gesicht vor sich. Die Erinnerung setzte ein. Das Gesicht w u r d e klarer. Dann erschrak er bis ins Mark. „Hallo, Mörder", sagte Lobo. Er hatte dem Verbrecher die Waffe a b genommen u n d ihn gefesselt. Bobs Lippen bewegten sich, doch er brachte keinen Laut hervor. F a s sungslos s t a r r t e er Lobo an. „Ich hoffe, du hast mein Pferd gut versorgt", sagte Lobo und warf einen Blick zu dem Morgan-Hengst, der nach ein p a a r Längen stehengeblieben war. Das Tier warf den Kopf hoch und schnaubte. Lobo lächelte. „Er sagt ja. Dein Glück." Kalt blickte er auf den Verbrecher nieder. Bobs linkes Auge w a r geschwollen. „Ist wohl nicht alles so bei Rose verlaufen, wie du dir das vorgestellt hast", sagte Lobo. „Wieso - woher weißt du . . . ? " „Deine Kumpane haben mir so einiges erzählt", erwiderte Lobo. „Sie sitzen übrigens im Jail von Billings. Dorthin w e r d e ich dich ebenfalls bringen. Sie w e r d e n sich freuen, dich wiederzusehen. Sie sprachen nicht gerade gut über dich. Sie wünschten 56
mir sogar viel Erfolg für meine Suche nach dir. I h r e Tips haben m i r weitergeholfen." ,,Diese Verräter!" keuchte Bob. „Der Verräter w a r s t du. Du hättest sie nicht um ihren Anteil betrügen sollen. Sie haben ein Geständnis a b gelegt und wünschen n u r noch, d a ß du ebenso baumelst wie sie. Das heißt, Joel wird wahrscheinlich mit einer Gefängnisstrafe davonkommen. Er war an eurem Verbrechen beteiligt, aber er h a t nicht gemordet." „Dieser dreckige . . . " „Halt den Mund", sagte Lobo angewidert. „Er ist noch nicht so v e r k o m men wie du. Er h a t t e noch einen Rest Menschlichkeit in sich." Lobo wandte sich ab und holte das Pferd. Der Verbrecher starrte dumpf brütend vor sich hin, als Lobo zurückkam. Er hob den Kopf, und plötzlich w a r ein lauernder A u s druck in seinen Augen. „Das Gold", sagte er. „Ich mache dir ein Angebot. Du bekommst ein Drittel, w e n n du mich freiläßt." Lobo lächelte kalt. „Die Hälfte." Lobo schüttelte den Kopf. „Dreiviertel!" Bob kreischte fast. „Stell dir vor, du w ä r s t mit einem Schlag ein reicher Mann!" Lobo tat, als überlegte er. „Wo ist denn das Gold?" „In den Satteltaschen", sagte Bob hastig. „Ich w u ß t e doch, daß du . . . " „Vergiß es", sagte Lobo. Er schritt zu dem Morgan-Hengst, öffnete die Satteltaschen und warf einen Blick hinein. „Dachte ich mir daß du's bei dir hast", sagte er. „Es hätte allerdings auch auf der F a r m sein können. Aber dann hätten wir's jetzt geholt. Gut, daß deinen alten Eltern das erspart bleibt." Er schaute zu Bob. Der Hüne senkte den Kopf, als Lobo von seinen Eltern sprach.
„Du wirst doch wohl darauf verzichten, dich von ihnen verabschieden zu wollen?" Bob schluckte. Erst jetzt schien er seine ausweglose Situation völlig begriffen zu haben. „Du - warst bei ihnen?" fragte er gepreßt. Lobo nickte. „Es sind nette, gastfreundliche Leute." „Hast du - ihnen etwas gesagt?" Lobo schüttelte den Kopf. „Warum sollten sie auf ihre alten Tage noch erfahren, d a ß ihr geliebter Sohn ein Schweinehund ist?" Bob starrte Lobo voller H a ß an. Plötzlich n a h m das Gesicht des H ü n e n einen betroffenen Ausdruck an. „Ma wird sich sorgen, w e n n ich nicht komme", murmelte er und schluckte. „Und sie hatten sich schon so auf das Geschenk gefreut, das ich ihnen zum Abschied versprochen hatte . . . " „Wie nett von dir", sagte Lobo. „Was sollte es denn sein?" „Zwei Beutel mit Gold." „Sehr großzügig", sagte Lobo. Bob überhörte den beißenden Spott. „Sie brauchen nicht viel zum Leben. Sie wären damit glücklich gewesen." „Du hängst an deinen Eltern?" „Sie haben immer alles für mich getan", erwiderte Bob, und seine Stimme klang wie erstickt. Plötzlich blickte er Lobo flehend an. „Laß mich frei! Reite mit mir zu ihnen! Ich verspreche, daß ich nichts versuchen werde . . . " Lobo blickte ihn an, horchte auf seine innere Stimme. Sie sagte: Nein. In diesem Augenblick mochte der Verbrecher vielleicht wirklich vorhaben, sein Wort zu halten. Doch die Versuchung w ü r d e zu groß für ihn sein. Lobo erinnerte sich an das Geschehen in Warners Station. Auch da h a t t e Bob sich von einem Augenblick
zum anderen verwandelt. In Sekundenschnelle spielte sich die Szene vor Lobo a b : Bob, der vorgab, seiner Mutter einen Abschiedsk u ß zu geben. Er zog die alte Frau an sich, duckte sich plötzlich, wirbelte mit der F r a u herum. Hielt sie als lebenden Schild vor sich. Zog sich r ü c k w ä r t s ins Haus zurück. Ergriff eine Schrotflinte oder irgendeine Waffe, die im Haus w a r . . . Später w ü r d e er d a n n seinen Eltern erzählen, d a ß Lobo ein Bandit sei, der es auf sein Vermögen abgesehen hatte. Und selbst wenn Lobo mit Bob fertig wurde, w ü r d e es genau das Schauspiel geben, das er den beiden alten Leuten ersparen wollte. „Nein", sagte er. „Du bist ein dreckiger, herzloser Bastard!" schrie Bob. Lobo lächelte. „Sei froh, daß ich das überhört habe. Ich schlage dir folgendes vor: Ich lasse dich gefesselt zurück." Er bemerkte den Hoffnungsschimmer in Bobs Augen und sagte: „Nicht hier, wo dich jemand finden könnte. Dann reite ich zu deinen Eltern, grüße sie von dir und erzähle ihnen eine Story, weshalb du verhindert bist." Er überlegte. Vivian hatte ihm einen Anteil des Goldes angeboten, wenn er es wiederbeschaffte. Über die Höhe des Anteils hatten sie nicht m e h r geredet. Aber ein Säckchen mit Gold w ü r d e es schon sein, oder? Er blickte Bob an. D a n n ging er zu dem Morgan-Hengst und holte eines der Lederbeutelchen aus den Satteltaschen hervor. „Zwei, sagtest du?" rief er und warf einen Blick über die Schulter. Bob nickte stumm. „Eines reicht auch", sagte Lobo grinsend. „Schließlich gehört uns das Gold nicht."
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Lobo zügelte den Morgan-Hengst auf dem Höhenrücken. Die verschneite Station lag im rötlichen Schein der Abendsonne. Lobo gab dem Hengst einen freundschaftlichen Klaps auf den Hals. „Na also, alter Junge", murmelte er. Der Hengst schnaubte und scharrte mit dem rechten Vorderhuf. Lobo lachte. „Ich weiß, du freust dich auf gutes Futter. Und ich freue mich auf einen guten Schluck." Er trieb den Hengst mit leichtem Schenkeldruck an. Außerdem, dachte Lobo, freue ich mich auf Vivians Gesicht. Die wird Augen machen, w e n n ich ihr das Gold wiederbringe. Drei Tage w a r e n vergangen. Lobo hatte Bob dem Gesetz in Billings übergeben. Auch die letzten Fragen w a r e n geklärt worden, im Grunde Kleinigkeiten, die n u r am Rande interessierten - zum Beispiel, wo die anderen Pferde geblieben waren, die die Banditen aus dem Stall der Station gestohlen hatten: Bob h a t t e sie unterwegs verkauft und n u r den Morgan-Hengst behalten. Die Aussagen von Joel und Benjamin lagen schriftlich vor, u n d Lobos Aussagen w a r e n ebenfalls protokolliert worden. Bevor der Sheriff auf die Idee gekommen war, das Gold zu konfiszieren, hatte sich Lobo aus dem Staub gemacht. Er h a t t e verhindern wollen, daß Vivian später allerlei Formalitäten zu erledigen hatte. A u ß e r dem hätte er erst lange erklären müssen, weshalb ein Ledersäckchen mit Gold fehlte. Unter Umständen hätte man ihn noch bezichtigt, sich an fremdem Eigentum vergriffen zu haben, solange Vivian nicht bestätigen konnte, d a ß sie ihm einen Anteil versprochen hatte. Der Sheriff hatte die genaue Anzahl der Goldbeutel in 58
den Protokollen vermerkt. Er h ä t t e n u r nachzuzählen brauchen. Lobo hatte alle Komplikationen vermeiden wollen. Und schließlich machte es sich auch besser, w e n n er das Gold Vivian persönlich überreichte, oder? Er dachte an die glücklichen Gesichter von Bobs Eltern. Sie h a t t e n sich r ü h r e n d über das Gold gefreut, über das vermeintliche Abschiedsgeschenk ihres Sohnes, der auf den großen T r a i l nach Texas gehen wollte, um seinen Reichtum in riesige Rinderherden zu investieren, wie Lobo erzählt hatte. Sie lebten einsam und abgeschieden von der Welt auf ihrer kleinen F a r m . Vielleicht blieb ihnen bis an ihr Lebensende erspart, zu erfahren, w a s a u s ihrem Sohn geworden war. D a ß sein Trail nicht nach Texas führte, sondern an den Galgen . . . Plötzlich dachte Lobo an Drago, den Killer. Ob er ihn noch in Red Lodge finden würde? Er war jedenfalls entschlossen, die Suche fortzusetzen. Vor der Station standen drei Frachtwagen. Der Wagentrail w a r jetzt auch für schwere Wagen wieder passierbar. Einige Männer traten aus der Station und blickten Lobo entgegen. Lobo erkannte den kleinen, krummbeinigen Bruce. Daneben stand ein graubärtiger Mann mit einem Stern auf der dicken Felljacke. Das Gesetz w a r also informiert. Bruce grinste Lobo an, als er sein Pferd zügelte. „Ich wußte, d a ß Sie wiederkommen", rief er. „Alles klar?" Lobo nickte und saß ab. Der Marshal t r a t einen Schritt vor u n d musterte Lobo. „Sie sind also Lobo." „Erraten", sagte er und b a n d die Satteltaschen los. Er warf Bruce einen fragenden Blick zu. „Geht es Vi-
vian wieder besser?" „Jaja", sagte Bruce. Lobo warf sich die Satteltaschen über die Schulter. Ein Mann t r a t aus der Station, schob Bruce zur Seite und starrte Lobo an. Es w a r ein großer, hagerer Mann, der den rechten Arm in einer schwarzen Schlinge trug. „Sie sind also dieses Halbblut Lobo?" sagte er und blickte Lobo von oben bis unten an. „Vor allem dieses", erwiderte Lobo. „Und wer sind Sie?" „Alderman."
Lobo blickte Alderman überrascht an. Er e r k a n n t e schlagartig, daß doch noch nicht alles geklärt war. Er sah es an den angespannten Mienen der Männer. Der Marshal w a n d t e sich an Lobo. „Deputy Marshal William Craig", stellte er sich vor. „Haben Sie das Gold, Mister Lobo?" Lobo nickte. Alle atmeten erleichtert auf. „Ich hab's doch gesagt!" rief Bruce triumphierend. „Ich wußte, daß er's schafft. Haben Sie Warners Mörder zur Hölle geschickt?" Er blickte Lobo gespannt an. „Sie bekommen ihren Prozeß", antwortete Lobo. Der Marshal lächelte. „Gehen wir ins Haus, Mister Lobo. Sie werden einen anständigen Schluck vertragen können nach Ihrem langen Ritt. Und außerdem haben Sie eine E r k l ä r u n g verdient." Bruce sagte: „Ich k ü m m e r e mich schon um das Pferd." Lobo blickte von ihm zum Marshal u n d zu Alderman. Dann nickte er. Es war gemütlich w a r m in der Station. Zwei der Tische w a r e n besetzt. F r a c h t w a g e n f a h r e r pokerten. Sie
musterten Lobo neugierig, bevor sie ihre P a r t i e fortsetzten. Mac hantierte hinter dem Tresen. Von Vivian w a r nichts zu sehen. Lobo legte die Satteltaschen auf den freien Tisch und setzte sich. Alderman streckte die Linke nach den Satteltaschen aus. Lobo klopfte ihm mit der flachen Hand auf die Finger, nagelte Aldermans Hand förmlich auf der Tischplatte fest. Er sah Aldermans entgeisterte Miene u n d sagte r u h i g : „Erst die E r klärung." Dann gab er die Hand des Mannes frei, der sie ärgerlich fortzog. Der Marshal lachte. Er nahm n e ben Lobo am Tisch Platz. „Harter Bursche, wie?" sagte er zu Alderman. „Aber er h a t recht. Ich w ü r d e genauso handeln wie er." Er nickte Lobo freundlich zu. Mac brachte ein Glas mit Whisky, ohne Lobos Bestellung abzuwarten. Er grinste Lobo an. Der Marshal zündete sich eine Zigarre an. Lobo trank einen Schluck Whisky. Verdammt, dachte er, was wird hier gespielt? Kein Zweifel, der Marshal ist echt, aber dieser Alderman . . . Craig paffte an seiner Zigarre. Mit der Linken fächerte er den Rauch zur Seite. Beide Männer blickten ihn an, als erwarteten sie Fragen von ihm. Lobo bezwang seine Neugier und wartete ab. Sie würden ihn schon aufklären. Der Marshal ließ schließlich die Katze aus dem Sack. „Das Gold gehört nicht Vivian Warwick, wie Sie wohl annehmen müssen, Mister Lobo." So etwas Ähnliches hatte sich Lobo in den letzten Minuten schon gedacht. Der Marshal sprach weiter: „Das Gold gehört Mister Alderman, beziehungsweise der Organisation, die er 59
vertritt." „Die Vereinigung der Goldgräber", warf Alderman ein. Lobos Gedanken überschlugen sich. Von Anfang an war ihm klargewesen, d a ß Procters Geschichte vom Verkauf der Herde nicht stimmen konnte. Aber Vivians Erzählung . . . „Nathaniel Procter h a t das Gold geraubt", fuhr der Marshal fort. „Er h a t Mister Alderman, mit dem er übrigens lange J a h r e befreundet war, b r u t a l überfallen. Procter hat Mister Alderman mit vier Messerstichen verletzt u n d wahrscheinlich für tot gehalten. Er ließ ihn jedenfalls liegen, und Mister Alderman w ä r e womöglich verblutet, wenn er nicht durch Zufall gefunden worden wäre. Die Organisation verbreitete die falsche Nachricht von Mister Aldermans Tod. Man hoffte, auf diese Weise die unbekannten Täter in Sicherheit wiegen und überführen zu können. Denn niemand h a t t e das Tal bisher verlassen. F r ü h e r oder später würden der oder die Täter das Camp verlassen, um mit dem Gold zu verschwinden." Der Marshal paffte ein p a a r m a l an seiner Zigarre, bevor er mit ruhiger Stimme weitersprach. „Trotz v e r s t ä r k t e r Wachen gelang es Procter, mit Vivian nachts aus dem Camp zu entkommen. Procter k a n n t e sich aus wie keiner, und er m u ß auch Glück gehabt haben. Die Flucht w u r d e erst am Morgen bemerkt. Sofort n a h m ein T r u p p der Organisation die Verfolgung auf. Doch Procter verwischte seine Spuren, und die Leute gaben schließlich auf. Aber nicht alle." Er blies einen Rauchring. „Wego und seine drei K u m p a n e suchten weiter. Sie wollten Procter das Gold abjagen. Sie h a t t e n Glück und entdeckten Procter und die F r a u in Big Timber. Das Paar wollte sich gerade trauen lassen. Aber d a r a u s 60
w u r d e nichts . . . " Vivian hat also gelogen, dachte Lobo. Ich hab mich in ihr getäuscht. „Procter hatte wieder einmal Glück", sagte der Marshal. „Er k o n n te mit Vivian entkommen. Wego und seine Kumpane schossen hinter den Flüchtenden her, und ein Querschläger traf Marshal John Craig tödlich." Seine Stimme h a t t e einen harten, bitteren Klang angenommen. „John Craig war mein Bruder, Mister Lobo." Einen Augenblick lang herrschte Schweigen bei den drei Männern. An den anderen Tischen ging es recht laut zu. Zwei der Frachtwagenfahrer diskutierten lautstark über das letzte Spiel. Lobo hörte nicht hin. Er w a r zu sehr mit seinen Gedanken b e schäftigt. „Und so komme ich ins Spiel", erklarte der Marshal. „Ich war gerade in Big Timber, um einen Gefangenen zu übernehmen, der nach Billings überführt werden sollte. Ich ließ den G e fangenen im Jail, stellte eine Posse zusammen und n a h m die Verfolgung der Kerle auf. Irgendwann d a n n stieß ich auf Mister Alderman, der wieder so weit genesen war, daß er mit einem zweiten Suchtrupp auf Procters Fährte reiten konnte. Er vermutete, daß Procter mit der F r a u nach Billings wollte, wofür vieles sprach." „Ich k a n n t e Nat ja gut", warf Ald e r m a n ein. Offenbar nicht gut genug, dachte Lobo, aber er sagte nichts. „Und Vivian h a t t e einer ihrer Kolleginnen erzählt, d a ß sie bald wieder ihre Heimatstadt besuchen werde", sagte der Marshal. „Wir stellten fest, daß w i r im Grunde hinter denselben Banditen her waren, und ich nahm Mister Alderman mit. Die anderen Männer schickte Mister Alderman zurück, sie wurden im Camp gebraucht. Wir verfolgten also Wego
u n d seine drei Kumpane, und diese verfolgten Procter. Im Schneesturm verloren wir die Fährte und trafen schließlich hier ein." Er zuckte mit den Schultern. „Leider zu spät. Den Rest kennen Sie ja." Er forderte Lobo auf, zu erzählen, w a s er inzwischen erlebt hatte. Lobo berichtete kurz. Er leerte sein Glas und hielt es auffordernd hoch. Mac brachte gleich eine ganze Flasche und zwei weitere Gläser. Er schenkte ein und ließ die Flasche auf dem Tisch stehen. „Die hätte Warner bestimmt a u s gegeben", sagte er, bevor er sich wieder zurückzog, um andere Gäste zu bedienen. Die Männer tranken. Schließlich sagte der Marshal: „Wir überlegten, ob wir Ihnen folgen sollten, entschieden uns aber d a n n dagegen. Ihr Vorsprung war zu groß, und wir wußten nur, daß die Verbrecher in Richtung Laurel ritten. Wir w ä r e n zu spät d r a n gewesen und das Risiko eingegangen, Sie zu v e r p a s sen. So blieben w i r hier und konnten n u r hoffen, d a ß Sie Erfolg haben würden." „Und daß Sie das Gold tatsächlich zurückbringen", sagte Alderman. Z u m erstenmal s a h Lobo den M a n n lächeln. Lobo hob den Kopf. Vivian w a r in der Tür seitlich hinter dem Tresen aufgetaucht. „Lobo!" rief sie und eilte auf den Tisch zu. Sie trug eine Küchenschürze. „Ich w a r beim Kochen", sagte sie in ihrer atemlosen, hastigen Sprechweise. „Niemand h a t mir gesagt, d a ß du da bist. Hast du . . . " Er nickte. »Sind sie tot?" „Noch nicht", sagte Lobo. Er blickte in Vivians graublaue Augen. „Hast du es gewußt?" „Was?" fragte sie zögernd. „Daß Procter d a s Gold g e r a u b t
hatte?" Ihr Blick glitt zu den Satteltaschen. Dann senkte sie den Kopf. „Nein", sagte sie leise. Sie schaute auf, und ein trotziger Zug lag auf ihren schwellenden Lippen. „Ich m u ß wieder in die Küche - sonst brennt noch w a s an." Sie w a n d t e sich um, ohne Lobo a n zusehen, und ging eilig davon. Es k a m einer Flucht gleich. „Sie bleibt bei ihrer Aussage", m u r -
melte der Marshal. „Na, sie w ä r e auch dumm, w e n n sie etwas anderes sagen würde." „Hauptsache, das Gold ist wieder da", sagte Alderman. Er holte einige Schriftstücke aus seiner Jackentasche und hielt sie Lobo hin. „Die kompletten Unterlagen, Besitztitel, 61
Quittungen . An die vierzig Digger habe n ihr Gold der Organisatio n an vertraut . Ich dank e Ihne n im Name n aller. Darf ich das Gold jetzt in E m p fang nehmen , Miste r Lobo?" „Bitte", sagte Lobo nur. „Nun - äh - ich werd e mit de r Organisatio n spreche n - übe r eine Belohnun g für Sie. Wenn jede r Digger einen Teil . . . " „Ich verzichte" , sagte Lobo, un d er dacht e an den Goldbeutel , der den Diggern schon fehlen würde . „Verstehe" , nickt e Alderman . „Es sind zu viele Mensche n dafür gestor ben."
„Deswegen" , sagte Lobo. „Jaja, deswege n verzichte n Sie." „Nein, deswege n gestorben" , k o r r i giert e Lobo. Er dacht e an Procter , an Wego un d seine Bandite n un d an die Frachtwa genfahrer , die zu Mörder n geworde n waren . Die Gier nac h dem Gold h a t t e sie alle verrück t gemacht . Un d Vivian ? Er w ü r d e wohl nie erfahren , ob Sie Procter s Komplizi n oder ein a h nungslose r Engel gewese n war . . . Nein dacht e er, ahnungslo s viel leicht, abe r Engel bestimm t nicht.
ENDE Weiter kam Reverend Selman Parks nicht mehr. Plötzlich krachte ein Schuß. Lobo, der beim Fenster stand, erstarrte. Er war unfähig, die Schrotflinte hochzureißen und Arkansas Pierce zu erschießen, denn der Revolvermann stand so, wie zuvor, beide Hände in den Hüften. Selman Parks taumelte. Das Kreuz entglitt seinen Fingern. Er stürzte gegen den Vorbau und versuchte, sich am Stützpfosten festzuhalten, aber er schaffte es nicht. Langsam ging er in die Knie und fiel vornüber. Pierce wich nicht vom Fleck. „Parks!" rief er. „Heh, was ist denn los?" Lobo schluckte. Langsam hob er die Schrotflinte. In diesem Moment stieß Consuelo einen Schrei aus. Sie rannte zur Tür, riß sie auf und lief auf die Straße hinaus. Bei Reverend Parks fiel sie auf die Knie nieder. Sie hob seinen Oberkörper an und drückte seinen Kopf gegen ihre Brust, und Lobo sah die Tränen, die über ihr schmales Gesicht rannen. „Sie haben ihn umgebracht", sagte sie leise. „Sie haben ihn getötet!" Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbittliche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche Band 121 dieser großartigen Western-Serie:
Drei aus der Hölle von Lee Roy Jordan
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010 Printed in Germany. Februar 1979