Dan Roberts
Schrei Haß in den Wind,
Rothaut
Apache Cochise
Band Nr. 27
Version 1.0
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Prolog Man nannte die...
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Dan Roberts
Schrei Haß in den Wind,
Rothaut
Apache Cochise
Band Nr. 27
Version 1.0
2
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen. Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen Apachen-Skalp. Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den Indianern fühlten. Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuerund beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von 3
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung abgetan wird. Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung trieb, nicht mit ansehen muß. Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen Arizonas. Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich das große graue Leichentuch über die Stämme und Sippenverbände. Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments gegen die rote Rasse gewesen wäre. 4
Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer rauhen Umwelt. Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund. Ihr Martin Kelter Verlag
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***
Die Wächter glitten von ihren Posten. Einer der Krieger huschte geschickt über ein zerrissenes Felsband, erreichte eine Art Kanzel und legte beide Hände um den Mund. Ein langgezogener Ruf klang über die Felsschroffen der Dragoon Mountains. Aus dem Jacale des Schamanen drang das scharfe Rasseln eines getrockneten Kürbisses, der mit Steinen halb gefüllt war. Tanzend wand sich der Medizinmann der Chiricahuas aus seiner Hütte. Auf dem Kopf trug er ein Gestell, das mit Federn der schnellen Vögel, gefärbten Holzperlen und dem Schwanz des schnellen Hirsches geschmückt war. In weiten Kreisen tanzte der Schamane einen Weg hinauf, der auf einer vollkommen glatten Felsklippe endete. Oben verharrte der Zauberer der Chiricahuas. Respektvoll traten Geronimo, Victorio und Doppelwolf zur Seite. Galt doch Adlerschwinge als einer der besten, fähigsten Zauberer bei allen Völkern der Apachen. Die Krieger waren fest davon überzeugt, daß er mit den Geistern sprach, daß er seine Macht, Krankheiten zu heilen, die Siege und Niederlagen vorauszusagen, den zahllosen übernatürlichen Wesen verdankte, die er kannte. »Es ist soweit«, sagte Cochise zu Naiche. »Der Wind kommt auf.« Der Blick des großen Jefe wirkte kalt und hart. Naiche fragte sich, was sein Vater in diesem Moment wohl bedachte. Überlegte er sich, daß Geronimos und Victorios Tod durch einen Fehlsprung die meisten Probleme lösen würde? Cochise hatte seine Macht eingesetzt. Er mußte die Aufrührer bestrafen. Wollten sie nicht zwei Mondzeiten lang in der San Carlos Reservation bleiben, hatten sie jetzt ihr Leben 6
einzusetzen. Der Sprung über die Klippe gelang nur den kräftigsten und geschicktesten Kriegern. Es war ein Gesetz der Götter, daß diese Mutprobe im Morgengrauen stattfand. Der Schamane hatte sogar einst in rätselhaften Worten davon gesprochen, daß Usen, die oberste Gottheit der Apachen, selbst diesen Befehl vor undenklich langer Zeit gab. Endlich erreichte der Medizinmann die Kante des Steilhanges. Adlerschwinge warf ein Pulver in die Luft. Unendlich langsam sank das feine Staubgemisch hinab. Reglos verharrte der Schamane. Winzige, kaum wahrnehmbare Handbewegungen ließen die Kürbisrassel wie leichten Wind aufrauschen. Und nun setzte er ein, der Wind, der jeden Morgen aus dem Osten her über die Dragoon Mountains zog. Adlerschwinge trat zur Seite. Es war nicht seine Aufgabe, das Zeichen zu geben. Dies stand Cochise zu, dem obersten Führer aller Apachenstämme. Der Jefe schritt gemessen hinauf. Victorio starrte den mehr als sechs Fuß großen Häuptling der Chiricahuas an. Die Augen des Mimbrenjos zeigten unverhüllt blanken Haß. Geronimo, der tapfere Krieger, der nach einer Machtposition unter den Apachen strebte, lächelte spöttisch. Cochise schien nichts davon wahrzunehmen. Er blickte auf Doppelwolf. Unter diesem Namen kannten ihn die Krieger. Vor mehr als zwanzig Jahren hatten die Mimbrenjos den kleinen Jungen in Mexiko geraubt und als Sklave mitgeschleppt. Lange Zeit diente Doppelwolf als Spielzeug für die Grausamkeiten der Halbwüchsigen des Stammes. Er wurde zäh wie ein Apache, vergaß, daß sein eigentlicher Name Juan Antonio Lopez de Garcia war, vergaß alles was noch in seinem Gedächtnis haftete und wurde zum Krieger. Vor wenigen Tagen jedoch war das Blut der anderen Rasse in Doppelwolf durchgebrochen. Der Kriegszug gegen das 7
Goldgräberlager Pearce hatte mit einem Sieg und reicher Beute geendet. Die blonde Frau, die Doppelwolf in seine Hütte bringen wollte, hatte ihn teilweise zurückverwandelt. Fast jedem Apachen erschien diese Frau mit dem Goldhaar als sehr häßlich. Doppelwolf jedoch wußte, daß er nicht ohne sie leben wollte. Darum wagte er heute den Todessprung, unterwarf er sich Cochises Urteil. Denn je länger der hochgewachsene Krieger in der San Carlos Reservation eingesperrt war, desto weiter entfernte sich die Frau mit dem Goldhaar. »Es ist soweit«, rief Cochise mit weithin hallender Stimme. »Wer den Sprung wagen will, möge vortreten. Ihr kennt mein Urteil, Mimbrenjos. Und ihr kennt das Gesetz der Stämme.« Victorio vermochte nicht, sich länger zu beherrschen. Der Jefe der Mimbrenjos warf beide Arme hoch, der Sonne entgegen, die blutrot im Osten über die Berge leuchtete. »Hört mich an, ihr Götter der Apachen«, schrie der Häuptling. »Wenn ein Mann die Stämme verraten hat, so war dies Cochise. Er duldet die Bleichgesichter in unserem Land. Nicht nur das, er schließt sogar einen Pakt mit ihnen, läßt sie ihrer Wege ziehen. Und diese Wege nehmen den Apachen alles, das Wasser, das karge Land und die Freiheit. Cochise ist der wahre Schuldige, nicht wir, die Mimbrenjos. Wir wollen unser Land behalten. Wir sind noch immer Krieger der Wüste und keine Weiber wie Cochise und seine Chiricahuas.« Die Rassel des Medizinmannes zischte so laut und scharf, daß die Worte des Häuptlings übertönt wurden. Die Chiricahuas, die in atemloser Spannung den Todessprung der drei tapferen Krieger erwarteten, nahmen Victorios Hochreißen der Arme als Gebet an die Sonne, die Spenderin allen Lebens und brachen in laute Beifallsrufe aus. Der Chief der Mimbrenjos hörte das zustimmende Geschrei und blickte triumphierend den großen Cochise an. Als der 8
Mimbrenjo das Lächeln des Chiricahuas sah, zuckte er zusammen. Es wirkte verächtlich, ja, höhnisch. Unsicher blickte Victorio zu Geronimo, zu Doppelwolf. Doch der Krieger stand stumpf und starren Blickes am Abgrund und stemmte sich dem Wind entgegen, der die Wagemutigen in den Abgrund wehen sollte. Als der Chief der Mimbrenjos das leise Lachen des Medizinmannes hörte, preßte er die Lippen zusammen. Abermals war er überlistet und gedemütigt worden. Aber Cochise würde noch erfahren, wohin seine Politik der Nachgiebigkeit, der Sanftmut führen würde. Hatte Victorio erst den Todessprung vollbracht, so würde er sich aus der Reservation andere Krieger holen. Hunderte warteten dort auf seinen Ruf, warteten darauf, mit Apachenlist die bleichgesichtigen Eindringlinge zu vertreiben und Beute und Skalps zu erringen. »Spring jetzt, Häuptling«, befahl Cochise gelassen. »Was später aus deinen großen Worten wird, hast du zu verantworten.« Victorio maß die Entfernung mit den Augen ab, schätzte den Wind und verspürte plötzlich nagenden Zweifel in sich. Stärker und stärker stemmte sich der Sturm gegen den Indianer, hinderte ihn am Absprung, am Anlauf, der so weit und lang sein durfte, wie der Prüfling es für nötig befand. Victorio trat ein halbes Dutzend Schritte zurück. Er duckte sich. Sein Oberkörper pendelte über dem Felsboden, und die Hände berührten fast den Fels, als sich der MimbrenjoHäuptling konzentrierte. Und dann rannte er los, wechselte nach drei Schritten die Geschwindigkeit und stieß sich mit aller Kraft von der Kante des Abgrundes ab. Mit vorgestreckten Armen flog der Jefe über die tiefe Schlucht. Sicher landete er auf der anderen Seite auf beiden Füßen und unterdrückte mühsam seinen Triumphschrei. Nicht 9
einmal die Arme riß er hoch. Er drehte sich langsam um, blickte zurück und vollführte eine verächtliche Handbewegung. Gelassen schritt Victorio über den Felsensteig davon. Drei Dutzend Pferdelängen entfernt überbrückte ein schmales Felsband die Schlucht. Mit sicheren Schritten betrat der Chief der Mimbrenjos diesen Übergang und marschierte zurück zu Cochise. Geronimo nahm Anlauf, stieß sich ab, und in genau diesem Moment verstärkte sich die Wucht des Morgenwindes, stemmte sich dem Krieger entgegen, der für eine Sekunde reglos in der Luft zu hängen schien. Langsam flog er weiter. Mit ausgestreckten Armen erreichte er die jenseitige Kante, krallte die Finger in das mürbe Gestein, das unter dem harten Griff nachgab, abbröckelte, und gewann nur mit seiner Körperkraft festen Grund, indem er sich hochschwang. Der Krieger hatte die gleiche Leistung vollbracht, die schwere Prüfung bestanden – genau wie sein Häuptling. Schaudernd wandten sich die übrigen gefangenen Kämpfer der Mimbrenjos ab. Sie würden Usen nicht derart herausfordern. Hatte sich nicht bereits jetzt gezeigt, daß er den Versuchen der Mimbrenjos ungnädig gegenüberstand? Lediglich Doppelwolf blieb unbeeindruckt. Er hatte festgestellt, daß der Wind sich in bestimmten Abständen verstärkte und wieder abflaute. Es galt also, diese Pause abzuwarten und schnell zu handeln. Doppelwolf hörte die Hohnschreie der Chiricahuas gar nicht. Er nahm das erregte Gemurmel seiner Freunde überhaupt nicht wahr, die an seinem Mut zweifelten und laut darüber sprachen, daß er kein Krieger sei. Daß er sich nur mit Worten mutig gezeigt habe und nun die Prüfung verweigerte. Sie kannten Doppelwolf alle nicht. In ihm brannte das Bild der goldhaarigen Frau, die ihm schöner als ein Hirsch in den Bergen erschien. 10
Jetzt! Der Wind flaute ab. Doppelwolf lief los, verlängerte seine Schritte, denn seine Körpermaße waren anders als die der meisten Apachen. Er stieß sich ab, wußte schon während des Fluges, daß er es schaffte und landete sicher auf beiden Füßen, landete weitaus eleganter als Victorio. Sekundenlang blieb es still. Doch dann stieg unbeschreiblicher Jubel über die Draggon Mountains auf. Und wären Goldsucher oder Scouts der Weißen in der Nähe gewesen, so hätten sie sich bestimmt bekreuzigt und die Flucht ergriffen, wäre dieses Gebrüll bis zu ihnen gedrungen. Cochise hob die Linke. Die Krieger wurden still. »Ihr seid frei, vom Urteil befreit«, sagte der große Häuptling klar und deutlich. »Mißachtet nicht weiterhin Cochises Worte, noch bin ich der Chief aller Stämme. Wenn das Blut eurer Krieger zu heiß aufwallt, so zieht zu den Gelbhäutigen, ins Land der Eisenmänner. Dort sollt ihr rauben, Skalps nehmen und Beute machen, nicht in unserer Heimat. Ihr haßt die Weißen, gut. Ich liebe sie nicht. Wir alle lernten ihre Macht kennen. Wenn wir Apachen überleben wollen, wenn es in hundert oder mehr Sommern noch Männer unserer Stämme geben soll, müssen wir Frieden halten. Dies sage ich euch, und dies ist meine Vision, die ich von den Göttern erhielt.« Doppelwolf drängte sich an Victorio vorbei. Der Chief der Mimbrenjos fuhr wild herum. Seine dunklen Augen glommen unheilvoll, als er den großen Krieger anblickte, aber Doppelwolf nahm diesen Ausdruck der Häuptlingsaugen gar nicht wahr. Er sah in weite Ferne, sah das Gesicht und das goldene Haar Myriams vor sich, jener Frau, die sein war, die er in sein Jacale führen wollte. Und Victorio wußte, daß sein Stamm einen Krieger verloren hatte. Denn Doppelwolf war nicht länger ein Mimbrenjo. Das Blut der Gelbhäutigen, die Rasse seiner Ahnen, hatte das weggewischt, was einen Apachen ausmachte. 11
Geronimo spürte das nicht. Er sah noch immer in dem hochgewachsenen Krieger sein Werkzeug. Denn Doppelwolf war ein Rebell – genau wie Geronimo. * Wyatt Earp starrte mißmutig seine Karten an. Das Blatt taugte nicht mal, auch nur einen lausigen Cent zu gewinnen. Trotzdem hielt der junge Abenteurer mit. An winzigen Anzeichen hatte er bemerkt, daß sein Bruder Virgil unbedingt weitermachen wollte. Er schien gute Karten zu besitzen, so gute, daß er jede Summe in den Topf warf, die gefordert wurde. Zwei schmutzige, bärtige Prospektoren saßen als Gegner am Spieltisch. Ihre zerlumpte Kleidung würde in jeder Stadt östlich des Mississippi sofort den Stadtpolizisten auf den Plan rufen. Hier jedoch kümmerte sich niemand um das Aussehen eines Menschen. Die Hauptsache war, daß er Gold, Silber oder Dollars besaß. Und für Dollars bekam jeder in Tombstone alles. Die Boomtown kochte beinahe über. Hier rollte das Geld von einer Tasche in die andere. Leichte Girls, Kartenhaie und Geschäftemacher in weißen Kragen lauerten auf die glücklichen Digger, um ihnen alles abzunehmen, was die Goldsucher besaßen. Endlich verlangte Virgil zu sehen. Er atmete scharf und hörbar, als einer der Zerlumpten einen Straight Flush bis zur Dame auflegte. Und dieses Blatt besaß die höchste Farbe des amerikanischen Pokers: Pik. »Na, Mr. Kartentrickser«, sagte der Digger grinsend. »Pech für dich, was! Du kannst eben nicht immer Glück haben.« Der Goldsucher fegte mit den Händen den Dollarhaufen zusammen, wollte das Geld zu sich heranziehen, als Virgil in seiner trägen Art erwiderte: »Moment, Mann, ich möchte auch 12
aufdecken.« »Nur zu!« rief der Digger lachend, »wenn du dich blamieren willst!« »Nicht blamieren, sieh her«, antwortete Virgil Earp und legte eine Acht nach der nächsten auf den Tisch. Die fünfte, wertlose Karte war ein As. Es zählte nicht bei diesem Vierständer, der höher als jeder Flush war. »Allmählich glaube ich daran, daß jeder Spieler mit dem Teufel im Bunde steht«, sagte der Digger und verzog das Gesicht. »Aus für mich, Leute. Ich muß mich auf den Weg machen.« Die beiden Goldsucher verließen den Tisch. Virgil nickte seinem Bruder Wyatt zu und teilte den kleinen Dollarberg in zwei Hälften. »Na endlich«, sagte Wyatt aufatmend und strich sich über den braunen Schnurrbart. »Der Knoten ist geplatzt, Bruder. Pokern wir weiter?« Virgil schüttelte den Kopf und sagte: »Lieber nicht. Die Kerle hier sehen uns schon wieder schief an. Überlegen wir, wohin wir fahren. Tombstone ist zu heiß und zu eng für uns geworden.« Wyatt fluchte leise auf diese verdammten Narren, die hier ihre Dollars ausgaben. Sicher, die Earps hatten oft Glück im Spiel, vielleicht zu oft. Aber war es bei den anderen Kartenhaien nicht auch so? »Warum stellen sich die Menschen hier denn nicht gegen Charley Recanzone, Dick Clark oder Bones Brannon? Jeder weiß, daß sie die ganz großen Trickser sind, aber uns sehen sie schief an.« Virgil grinste und erwiderte: »Die sind ganz oben, Bruder. Darum wagt sich keiner mehr an sie heran. Uns wollen sie gar nicht erst groß werden lassen. So sieht das aus. Was hast du jetzt vor?« Wyatt lächelte und antwortete: »Ich besuche Myriam. 13
Vielleicht braucht sie Hilfe.« Virgil grinste stärker und zwinkerte seinem Bruder zu. Der ältere Earp vermochte sich gut vorzustellen, woraus Wyatts Hilfe bestand. Die Blonde hatte ihn beeindruckt, war genau die Frau, auf die Wyatt gewartet hatte. Und sie schien nicht abgeneigt, mit dem schlanken jungen Revolvermann und Spieler etwas anzufangen. Nach ihrem Erlebnis bei den Apachen genoß sie die Aufmerksamkeit des Weißen doppelt. Tombstone war größer als Pearce, größer und wilder. Hier pulsierte das Leben noch schneller als in dem Diggercamp, das von den Apachen dem Erdboden gleich gemacht worden war. »Viel Spaß«, wünschte Virgil seinem Bruder Wyatt. Der jüngere Earp stiefelte davon. Er ging zum Alhambra Saloon des Dick Clark. Dort wollte Myriam versuchen, einen Spieltisch zu mieten. Als Frau würde sie bestimmt eine Herausforderung für die Goldgräber sein. Denn jeder Mann im Westen war felsenfest davon überzeugt, daß er besser pokern konnte als eine Frau. Und gerade diese Einstellung brachte das große Geld den wenigen Frauen, die sich mit Glücksspiel ihre Dollars verdienten. Wyatt betrat den Saloon und sah zur Bar hinüber. Charley Recanzone schwenkte den Mixbecher und hatte ein strahlendes Lächeln für Earp. Mehr als ein Dutzend Männer drehten sich um. Ihre Gesichter überschatteten sich, als sie Wyatt Earp erkannten. Doch dann dachten die Burschen an dieses Lächeln des Barkeepers und Spielers und wurden vorsichtig. Der elegante Charley schien den jungen Earp zu mögen. Wyatt marschierte zielstrebig zu dem Tisch hin, der von Männern förmlich umlagert wurde. »Und noch zwanzig«, sagte eine Frau laut. »Wer hält mit, Gentlemen?« Wyatt verzog etwas das Gesicht, denn Gentlemen waren es 14
wirklich nicht, die den Pokertisch umlagerten. Eher sahen die Burschen wie Landstreicher aus. Aber sie hatten die Taschen voller Gold. Nur das zählte in Tombstone. Wer Geld oder Gold besaß war King, durfte sich alles erlauben, alles kaufen, wonach ihm der Sinn stand. Myriam blätterte lächelnd ihre Karten auf den Tisch, als einer der Mitspieler sehen wollte. Die schöne blonde Frau gewann mit einem Royal Flush in Karo den gesamten Topf, den Wyatt auf mindestens dreihundert Bucks schätzte. Sie hatte Erfolg, verdammt noch mal. »Eine Pause, meine Herren«, bat Myriam. »Den Rest Ihres Geldes dürfen Sie heute abend bei mir abliefern.« Die Spieler und Zuschauer lachten dröhnend. Noch immer dachten sie, dieser Frau überlegen zu sein. Und wenn Myriam es geschickt anstellte, würde sie ein paar hohe Spiele verlieren, nachdem sie wieder mit den Karten angefangen hatte. Doch das wußte sie sicher selbst. Die schöne Frau lächelte Wyatt an und sagte: »Ich freue mich, daß du gekommen bist. Gehen wir essen? Lädst du mich ein?« Geschmeichelt grinste der junge Earp, und dieses Grinsen fiel etwas töricht aus. Er bot Myriam den Arm. Die meisten Gäste des Alhambra sahen den beiden nach, als sie Dick Clarks Saloon verließen. Clark selbst setzte ein gütiges Lächeln auf, als er die jungen Menschen davongehen sah. Er konnte sich das leisten, denn Myriam hatte ihm allein heute mehr als hundert Dollar eingebracht. Wyatt Earp protzte nicht, aber er führte die blonde Myriam in ein gutes Speisehaus auf der anständigen, der guten Seite der Allan Street, südlich dieser Grenze, die quer durch die Boomtown verlief. Tombstone besaß sogar ein Opernhaus. Anstandshalber machte Wyatt seiner neuen Freundin den Vorschlag, am 15
Nachmittag die Oper zu besuchen. Er atmete auf, als Myriam ablehnte und sagte: »Wir mieten uns einen Wagen und fahren ein kleines Stück, ja? Ich möchte dir etwas zeigen, Wyatt.« Natürlich war er neugierig und willigte ein. Diese Neugierde hatte nichts mit wilden Vorstellungen oder Träumen zu schaffen, denn Myriam und er waren sich bereits vor zwei Tagen so nahe gekommen, wie es nur Mann und Frau vermögen. Nach dem Essen, als sie endlich den Blicken der sogenannten anständigen Bürger entkommen waren, führte der junge Earp seine Schönheit zum Mietstall und besorgte dort einen Whitechapel Cart, einen Einspänner mit Klappverdeck, das die beiden Insassen vor der Sonne schützte. Das lammfromme Deichselpferd gehorchte jedem Ruck des Zügels. Myriam lehnte sich an Wyatt, der das Tier im Schritt über die Main Street Tombstones marschieren ließ. Mehr als ein Prospektor, mehr als ein »ordentlicher Bürger« sah den beiden nach, als sie in Richtung Osten fuhren. »Girly, bald beginnt das freie Land«, sagte Wyatt. »Ich habe nur meinen Colt bei mir. Es ist zu gefährlich, weit hinauszufahren, ohne ein Gewehr mitzunehmen. Das weißt du doch. Was hast du vor?« Myriam lächelte und erwiderte: »Wir sind gleich da. Siehst du das Haus dort vorn?« Wyatt sah es. Das Gebäude wirkte massiv und war aus dicken Stämmen in der Art einer Blockhütte errichtet. Es sah aus, als würde selbst ein Angriff einer Apachenhorde dieses Haus nicht zum Einsturz bringen. »Das ist jetzt mein Haus«, sagte Myriam leise. »Immer habe ich mir ein eigenes Heim gewünscht. Hier in Tombstone ging mein Wunsch in Erfüllung, Wyatt.« Sie sah zur Seite, sah die zusammengezogenen Brauen und fuhr leise fort: »Du bist jederzeit willkommen bei mir, mein Lieber.« 16
Earp lächelte. Das gefiel ihm schon besser. Natürlich störte ihn, daß Myriam innerhalb von zwei Tagen anerkannt worden war, daß sie am Pokertisch sitzen und Dollars machen konnte, während die Earps schief angesehen wurden. Aber diese Einladung versöhnte Wyatt mit allem. Er half Myriam aus dem Wagen und führte sie zur Tür. Umständlich kramte die schöne Frau einen großen Schlüssel aus ihrer Tasche und sperrte auf. Nach wenigen Minuten waren die Läden geöffnet. Sonnenlicht fiel auf die schäbige Einrichtung. Myriam vollführte eine großartige Handbewegung, die alles einschloß und sagte: »Das Zeug schmeiße ich weg. Ich habe schon neue Möbel bestellt. Sie werden morgen geliefert. Das Geld dafür muß ich heute abend am Kartentisch gewinnen.« Wyatt trat an das breite Bett, das aus massiven Brettern erbaut war, und stemmte prüfend die Fäuste auf den Strohsack. Lächelnd kam Myriam näher. Sie ließ ihre Tasche einfach fallen, schloß nicht einmal die Tür ab, sondern legte Wyatt beide Arme um den Hals. Sie küßten sich heiß, mit einer Art Hunger, die das gesamte Leben in diesem Land, in dieser Zeit kennzeichnete. Denn es ging wahrhaftig nur um schnelles, gutes und reiches Leben. Es mußte gehaltvoll und abwechslungsreich sein, viel bieten und nicht zu viel fordern. Wyatt Earp fingerte an den Bändern und Knöpfen ihres Kleides, öffnete den Stoff und glitt mit den Fingerspitzen zärtlich über die nackte Haut. Als er die festen Brüste Myriams spürte, stöhnte sie leicht. Sekunden später sanken sie auf das breite Bett. * Cochise wirkte wie ein Standbild. Sein Gesicht war unbewegt.
Selbst die schwarzen Augen zeigten keinen Ausdruck. Der
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große Chief nahm jedoch alles wahr, was um ihn herum vorging. So bemerkte er die achtungsvollen Blicke der Mimbrenjos, als sie Geronimo ansahen, sah den Respekt, mit dem die Krieger ihren Häuptling Victorio behandelten. Denn diese beiden Männer hatten den Todessprung gewagt, waren frei vom Urteil des Chiricahua-Häuptlings. Doppelwolf betrachteten die Mimbrenjos mit scheuen Blicken. Von dem hochgewachsenen Krieger ging etwas aus, das Cochise zur Vorsicht mahnte. Der hünenhafte ehemalige Sklave war nicht länger ein Apache, gehörte nicht mehr dem Stamm der Mimbrenjos an. Er verfügte über alle Fertigkeiten und Listen der Wüstenkrieger. Doppelwolf war gefährlich wie eine Giftnatter. Vor allem deshalb, weil nun sein Blut, das Blut der anderen Rasse, in ihm erwacht war. Die Mimbrenjos brachen auf. Sie straften die Chiricahuas mit Verachtung. Waren diese doch nach Meinung von Victorios Kriegern zu Weibern geworden, die duldeten, daß die Weißen ungehindert in den heißen Südwesten eindringen durften. Die Rasseln des Medizinmannes rauschten nur noch leise auf. Die Prüfung war vorbei. Cochise trat vor, versperrte den Mimbrenjos den Weg. Feindselig sahen sie den hochgewachsenen Jefe an. Er stand zwischen ihnen und dem freien Leben, den zügellosen Raubzügen und der Beute. »Ihr alle kennt mein Urteil«, sagte Cochise hart. »Meine Krieger kennen euch. Und ich sage es noch einmal: jeder Apache muß euch töten, trifft er euch in den nächsten beiden Mondzeiten außerhalb der San Carlos Reservation an. Reitet jetzt. Usen möge euch alle beschützen, er soll euren Geist erleuchten, auf daß ihr erkennt, welcher Weg der richtige ist. Denn wir vermögen die Bleichgesichter nicht zu bezwingen. Wir töten hundert, und tausend folgen ihnen. Wir töten diese 18
tausend, und zehn mal tausend drängen in unser Land. Sollen sie doch das wertlose, weiche Sonnenmetall nehmen. Sollen sie doch das Gestein aus dem Boden holen, das wie Mondlicht schimmert. Uns nutzt es nichts, und das wißt ihr alle. Sind diese Dinge endlich dem Leib der Erde entrissen, gehen die Bleichgesichter, da sie die harte Arbeit scheuen.« Victorio lachte auf und rief: »Natürlich gehen sie, wenn das Sonnen- und Mondmetall zu Ende ist. Aber die eigentlichen Feinde unserer Stämme bleiben. Es sind diejenigen, die gute Wasserstellen besetzen, Vieh ins Land bringen und den Boden mit ihren Eisenhaken aufreißen, um Körner hineinzulegen. Das sind die Menschen, die sich mit Zähnen und Klauen verteidigen, die hier in unserem Land eine Heimat finden wollen. Das vergißt du, Cochise, großer Häuptling.« Naiche trat einen kurzen Schritt vor. Der Sohn des Chiefs umklammerte den Griff des erbeuteten Messers. »Nein, Sohn«, sagte Cochise leise. »Dies ist eine Handlung, die das Recht aller Stämme angeht. Das Gesetz dürfen wir nicht brechen.« Und der große Jefe fuhr laut fort: »Victorio, du haßt die Weißen, gut. Ich liebe sie nicht, aber ich weiß, daß wir im Kampf gegen sie nicht bestehen werden, niemals. Ich will, daß in hundert und zweihundert Sommern noch immer Apachen in diesem Land leben. Du willst, daß kein Apache in dieser Zeit mehr lebt, daß unsere Rasse zu einer Legende wurde. Und das darf nicht sein, Mimbrenjo. Reitet jetzt. Denkt an mein Wort, das Frieden heißt. Vergeßt das alte Gesetz nicht.« Doppelwolf kümmerte sich nicht um diese Sätze, die doch die meisten Krieger wenigstens jetzt beeindruckten. Sobald Cochise weit entfernt war, sobald die Mimbrenjos nur noch die wilden Worte ihres Häuptlings Victorio hörten, sehnten sich abermals nach Kampf und Beute. »Doppelwolf, wir reiten«, mahnte Geronimo. Der Krieger saß auf, packte die Graszügel und hieb dem 19
Pinto die Absätze in die Flanken. Dicht hinter Doppelwolf ritt Geronimo. Er dachte immer noch darüber nach, wie er die Verrücktheit des jungen Kämpfers ausnutzen konnte. Endlich, einige Meilen lag die Apacheria der Chiricahuas bereits zurück, kam dem machthungrigen Geronimo der richtige Einfall. Er leitete seinen Mustang dicht neben den Pinto und sagte halblaut: »Du bist neben Victorio und mir der einzige, Doppelwolf, der die Prüfung bestand. Ich habe eine Aufgabe für dich, Krieger. Du wirst berühmt sein unter den Apachen aller Stämme. Sie werden deinen Namen an den Lagerfeuern mit Bewunderung aussprechen, wenn die Tat gelingt.« Geronimo sah sich um, vergewisserte sich, daß niemand so nahe ritt, daß er die Worte verstehen würde. »Hör zu, Doppelwolf«, fuhr der ehrgeizige Krieger fort, »du mußt die Sprache der Weißen lernen, besser beherrschen. Es dauert nur wenige Tage, glaube mir. Und dann läßt du dich bei den Pferdesoldaten als Späher anwerben. Wir jagen dich, verfolgen dich und dein müdes Pony. Es sieht so aus, als wollten wir dich töten. Kurz vor Fort Buchanan geben wir auf. Du hetzt weiter und zeigst so, daß du ausgestoßen bist.« Doppelwolf bewegte keinen Muskel seines Gesichtes. Der Blick des großgewachsenen Kriegers war nach Südwesten gerichtet. Dort lag Tombstone. Dort lebte die blonde Frau, die seine, Doppelwolfs, Beute war. »Du führst die Patrouillen in die Falle, hörst du?« raunte Geronimo. »Wir machen die Hälfte der Pferdesoldaten nieder, ehe wir aufgeben und davonreiten. Alle Krieger können kämpfen. Wir schlagen zu wie die Schlange, pfeilschnell und verschwinden in der Halbwüste.« Erwartungsvoll blickte Geronimo den über sechs Fuß großen Doppelwolf an. Nichts in seinem Blick, in seinem Gesicht verriet, daß er überhaupt verstanden oder zugehört hatte. »Begreifst du?« fragte Geronimo. »Du führst die 20
Pferdesoldaten in die Falle, die wir vorher für sie aufgestellt haben.« »Nein«, sagte Doppelwolf hart. Weiter nichts, nur dieses harte Nein, das Geronimos Bemühungen sofort zunichte machte. Verständnislos sah der ehrgeizige Krieger den ehemaligen Sklaven an und fragte: »Du bist ein Mimbrenjo, Doppelwolf. Du gehorchst, wenn dir dein Jefe einen Befehl gibt. Spürst du denn nicht dein Blut schneller rauschen, wenn du an die Kämpfe und Skalps denkst?« »Ich weiß, daß ich kein Mimbrenjo bin«, erwiderte der Krieger. »Ihr habt mich als Kind mitgenommen, aus dem Süden, dem Land der Gelbhäutigen. Lange Zeit lebte ich als Sklave. Mehr als einmal wäre ich beinahe gestorben.« »Aber du lebst!« rief Geronimo mit einem Ton von Bewunderung in der Stimme. »Du bist so hart und zäh geworden, wie jeder Apache. Du bist ein Apache, Doppelwolf. Vergiß nicht, wie du zu deinem Namen kamst. Du warst gerade in den Stamm aufgenommen worden, als der Winter über uns hereinbrach. Wölfe fielen in unsere Apacheria ein. Sie waren ausgehungert, voller Blutdurst und Hunger. Und du brachtest zwei Wölfe um, indem du sie am Nackenfell packtest und sie mit den Schädeln gegenseitig zerschlugst! Du bist ein großer Kämpfer!« Der große Krieger lächelte kalt. Er hob die Linke, deutete nach Südwesten und sagte gelassen: »Ich werde töten, Geronimo. Ich schlage die Bleichgesichter mit ihren Köpfen zusammen wie damals die Wölfe, wenn sie mich daran hindern, meine Beute zu holen.« Geronimo spürte Wut in sich aufsteigen. Sein schöner Plan war ohne Doppelwolf nichts wert. Denn kein Blaurock würde einem Apachenkrieger die Flucht vor den eigenen Stammesgenossen glauben. Die Späher der Blaßhäutigen, allen voran dieser Haggerty, kannten die Sitten der Stämme. Sie 21
wußten, daß ein Apachenkrieger sich lieber in die Halbwüste zurückzog und dort sein Leben fristete, als zu den verhaßten Eindringlingen zu laufen. Doppelwolf war jedoch kein Apache. Er war Beute, und das würden die Pferdesoldaten erkennen und glauben, daß der Mann Schutz suchte, daß er dankbar war und sich als Späher anbot, weil er die Schliche seiner ehemaligen Gefährten genau kannte. »Vergiß die Ehre nicht, Krieger«, murmelte Geronimo. »Du wirst bald so bekannt sein wie Victorio oder Cochise. Vielleicht werde ich eines Tages der Führer der Mimbrenjos. Dich mache ich zu meinem Unterhäuptling, wenn unser Plan gelingt.« »Ich bin kein Krieger der Mimbrenjos«, sagte Doppelwolf daher. »Ich reite dorthin, wo es mir gefällt. Ich kämpfe, wann es mir gefällt. Und jetzt hole ich mir die Beute, die mir Cochise abjagte.« Geronimo holte Luft und erwiderte scharf: »Dann stoßen wir dich aus dem Stamm aus.« Lächelnd sagte der Krieger: »Dann will ich von diesem Stand der Sonne an kein Mimbrenjo mehr sein.« Er riß am Zügel. Der Pintohengst schwenkte herum und fiel in Galopp. Sand stob unter den unbeschlagenen Hufen hoch, als das Tier auf Tombstone zujagte. Geronimos Gesicht blieb unbewegt. Innerlich verwünschte er den sturen Kerl. Er war wirklich kein Mimbrenjo. Denn jeder Apache hätte für eine solche Chance sein Leben gegeben. * Doppelwolf wurde schmerzlich bewußt, daß er allein war. Er wußte, seine Gedanken liefen anders als die der Stammesgefährten. Die Apachen fühlten sich in kleinen Sippen, lockeren Familienclans wohl. Nur zu den großen 22
Kriegszügen, die unsterblichen Ruhm brachten, schlossen sie sich in den Stämmen zusammen. Doppelwolf, der in Wahrheit ja Juan Antonio Lopez de Garcia hieß, spürte das fremde Blut in sich schneller pulsieren. Nein, er war kein Mimbrenjo, kein Apache mehr. Aber er gehörte auch nicht zu den Gelbhäutigen, die im Süden wohnten. Der junge, hochgewachsene Krieger legte die Rechte auf sein Herz und schrak zusammen. Die Rechte war die unreine Hand, das Werkzeug des Tötens. Düster dachte Doppelwolf darüber nach, daß er ein Mann zweier Eltern war. Stunde um Stunde trabte der Pintohengst durch die Halbwüste. Heiß stach die Sonne herab, brachte den Sand förmlich zum Glühen. Weder Doppelwolf noch sein Pony schienen die Sonnenglut zu bemerken. Pferd und Reiter gehörten zu den Apachen, besaßen alle Fertigkeiten der roten Kämpfer und vermochten lange Zeit ohne Wasser auszukommen. Doppelwolf zügelte seinen Mustang auf dem Kamm einer Sanddüne und spähte in die Ebene hinab. Weiter hinten türmten sich gewaltige Felsen auf. Dort brachen die Weißen das Erz, das wie kaltes Mondlicht schimmerte. Und vor diesen Bergen standen Häuser und Zelte, lag Tombstone, die wildeste Ansiedlung im Südwesten. Aufmerksam musterte Doppelwolf die Stadt, prägte sich jede Einzelheit ein. Wurde er gejagt, vermochten ihm diese Dinge das Leben zu retten. Endlich blickte der Reiter zu einem Blockhaus, das außerhalb der Stadt stand. Ein Wagenpferd stand zwischen den Stangen einer kleinen Kutsche und ließ den Kopf hängen. Doppelwolf lächelte, als ihm ein verwegener Gedanke durch den Kopf zog. Ja, dieses Haus würde sein Jacale werden. Von dort aus machte er sich auf die Suche nach der goldhaarigen Frau, die 23
sein war, seine Beute. An die Menschen, die dort wohnten, verschwendete Doppelwolf keinen Gedanken. Setzten sie sich zur Wehr, würde er sie töten. Doppelwolf preßte dem Pony die Hacken in die Flanken. Das Tier setzte vorsichtig Huf vor Huf, um in dem steilen Sandhang nicht auszurutschen. Als der Mustang die Hälfte der Steigung überwunden hatte, öffnete sich die Tür des Blockhauses. Sofort zügelte der Krieger sein Pferd. Er wußte, daß weder das Tier noch er selbst gegen den Hintergrund der Sanddüne zu entdecken waren. Zumindest nicht von den ungeübten Augen der Weißen. Doppelwolf holte tief Atem und preßte die Zähne zusammen. Wie Gold glänzte das Haar einer Frau auf. Sie wandte etwas den Kopf, schien mit ihrem Begleiter zu sprechen. Der Krieger erkannte Myriam. Nun legte der weiße Mann den Arm um ihre Hüften, zog Goldhaar an sich. Und sie ließ es zu. »Du wirst tausend Tode sterben, weißer Mann«, sagte Doppelwolf grimmig. Der Begleiter der Frau half ihr in den Wagen und schwang sich selbst auf den Sitz. Das Klatschen der Lederzügel auf den Pferderücken drang bis zu dem Beobachter am Hang der Sanddüne. Doppelwolf kannte den Mann nicht. Sein Gesicht prägte er sich jedoch ein. Er war sicher, den Begleiter der blonden Frau jederzeit wiederzuerkennen. Eine Staubfahne stieg unter den Hufen des Deichselpferdes auf, wehte schwach zur Seite und verdeckte wie ein Schleier den Wagen, der auf die Stadt der Weißen zufuhr. Die Geduld der Apachen ließ Doppelwolf verharren. Länger als eine Stunde beobachtete er die Umgebung, das Blockhaus. Erst als er fühlte, allein zu sein, ließ der Krieger den Mustang weitergehen. Hinter der Rückwand der Hütte glitt der hochgewachsene 24
Mann vom Pferd. Lautlos trat er zwei Schritte vor, lauschte angespannt, vernahm aber nur die Geräusche der Halbwüste. Im Haus blieb alles still. Ehe der Indianer eindrang, mußte er sein Pony verbergen. Behutsam huschte er zur Ecke. Als er langsam vorglitt, sah er einen kleinen Stall. Doppelwolf untersuchte diesen Bretterverschlag und holte zufrieden seinen Pintohengst. Das Tier würde sich ruhig verhalten. Die Mimbrenjos wußten, wie Pferde abgerichtet wurden: nicht mit Gewalt, wie bei den Weißen, sondern sanft und freundlich. Der Wille des Tieres durfte nicht gebrochen sein, sollte es ein gutes Indianerpony werden, das auf ein halblautes Wort, auf ein Zungenschnalzen reagierte. Doppelwolf lehnte die Bretterwand nur an. Er glitt wie ein Schatten zur Tür des Blockhauses. Sie war verschlossen. Ein paar Sekunden lang musterte der Krieger das Schloß und schüttelte endlich den Kopf. Nein, er würde dieses Ding nicht beschädigen, denn nichts durfte seine Anwesenheit verraten. Der hochgewachsene Mann lief zur Seite des Hauses und betastete den Rahmen des Fensters. Neugierig kratzte Doppelwolf mit den Fingern über das Glas. Eine richtige Scheibe hatte er noch nie gesehen. Verwundert blickte er in das Innere der Hütte. Sekunden später entdeckte er, wie der Riegel funktionierte und schob die Messerklinge in den Spalt. Ein Ruck genügte, und der Riegel flog zurück. Geschickt schwang sich der Indianer über die Brüstung und schloß das Fenster hinter sich, ehe er zur Seite glitt. Lange Zeit vernarrte Doppelwolf reglos. Er nahm die fremden Gerüche auf, die in der Hütte hingen. Endlich ging er zum Bett, das an der anderen Wand stand. Haß wallte in dem Mann hoch. Er wußte, was hier vor kurzer Zeit geschehen war. Und er schwor abermals, den weißen Mann zu töten. Nun blieb nur das Warten, das er bei den Apachen bis zur Vollendung gelernt hatte. 25
Seine Gedanken kreisten um die Frau mit dem Goldhaar und um den Weißen, der sie vorhin hier geliebt hatte. Doppelwolf wünschte inbrünstig, daß der Mann mit zum Haus kam, wenn seine Beute wieder erschien. * Cochise saß am Feuer vor seinem Jacale. Naiche kehrte von einem Kontrollgang zu den Wächtern zurück, setzte sich mit unterschlagenen Beinen und sah seinen Vater an. Das Gesicht des Chiefs verriet nichts von seinen Gedanken, die schwer waren. Die dunklen Augen schienen blicklos in unendliche Fernen zu starren. »Er reitet, um zu töten, Sohn«, sagte der große Jefe plötzlich und bewegte kaum die Lippen dabei. »Er ist kein Apache mehr, kein Mimbrenjo. Doppelwolf ist ein Mann, in dessen Adern das Blut der Gelbhäutigen und Weißen wallt. Er kennt alle Listen unserer Rasse, weiß, wie ein Krieger in der Wüste kämpft. Und weil er dieses Wissen besitzt, ist er fast allen anderen Kriegern überlegen. Denn jetzt denkt er nicht mehr wie ein Apache, sondern wie ein Weißer. Er selbst weiß das noch nicht, doch seine Taten werden es beweisen.« Naiche horchte der düster klingenden Stimme seines Vaters nach, die über dem Feuer verhallte. Furcht kroch in dem tapferen Sohn des großen Häuptlings empor. Er sah deutlich vor sich, welchen Schaden ein solcher Rebell anzurichten vermochte. Naiche wollte antworten, seinen Vater beruhigen und blickte auf. Die Augen des Häuptlings, sein Blick, verlor sich im Schein der Flammenzungen. Schwer sagte Cochise: »Ich sehe, daß seine Sonne untergehen und nie wieder scheinen wird. Und ich sehe, daß wir, seine eigentlichen Brüder, ihm den Tod bringen werden.« Eine Vision, dachte Naiche fast ehrfürchtig. Mein Vater sieht 26
Dinge, die erst noch geschehen werden. Für Minuten dachte er darüber nach, ob Usen selbst – der große Geist der Apachen – seinen Vater angerührt hatte. Naiche gelangte zu keinem Ergebnis. Cochise erwachte aus seiner Versunkenheit. Der Blick der schwarzen Augen wirkte auf einmal klar und durchdringend. Er schien das gesamte Problem erkannt zu haben und wußte um die Lösung. »Wir müssen ihn selbst aufhalten, Sohn«, sagte der große Jefe. »Wir müssen ihn aufhalten und töten, seine Sonne, die ihm Kraft spendet, erlöschen lassen.« Naiche senkte den Kopf. Sein Vater wußte, was Doppelwolf vorhatte. Er würde hinter der blonden Weißen herjagen und erst aufgeben, wenn er tot war. Ein derartiges Unternehmen vermochte den Feuerbrand des Krieges auszulösen. Die Angst der Bleichgesichter vor den Apachen trieb die weißen Eindringlinge in eine schier ausweglose Grausamkeit. »Glaubst du, Doppelwolf dringt in die Stadt Tombstone ein?« fragte Naiche langsam. »Ja, er gibt nicht auf«, erwiderte der Chief. »Er ist wie ein Apache, wie wir.« »Und wie halten wir diesen Mann auf?« wollte Cochises Sohn wissen. »Er kennt keine Angst. Aber das Blut der Gelbhäutigen ist nun stärker geworden als alles, was er bei den Mimbrenjos lernte. Wir brauchen Hilfe, Sohn, die Hilfe weißer Männer. Wir reiten zum Fort des Pferdesoldaten. Falke muß uns begleiten.« Geschmeidig stand Cochise auf. Naiche folgte seinem Vater. Wenige Minuten später ritten sie über die verschlungenen Pfade der Apacheria. Die Mustangs der beiden Chiricahuas trabten unermüdlich durch die Halbwüste. Stunde um Stunde verrann. Cochise und sein Sohn folgten nicht dem Fahrweg, den die Kutschen 27
benutzten. Die Apachen wußten andere Trails, schmale Pfade, die kein Weißer kannte. Am späten Nachmittag zeichneten sich die Berge, die den Namen von Cochises Stamm trugen, gegen den Horizont ab. Am Fuß der Chiricahua Mountains stand Fort Buchanan. Erbaut aus Adobeziegeln und Palisaden, galt das Hauptquartier der Kavallerie im Südwesten als wichtigster Stützpunkt. Trotzdem verfügte General Howard, der Einarmige, über viel zuwenig Soldaten, um das weite Gebiet kontrollieren zu können. Noch immer galten die Apachen als die eigentlichen Herren des Landes. Ihr Haß gegen die Weißen, die jeden Fußbreit Boden an sich reißen wollten, kannte keine Grenzen. Lediglich Cochise und seine Chiricahuas hielten sich im Zaum. Der große Häuptling wußte um die Zukunft. Er war weiser als alle anderen Stammesführer und wollte verhindern, daß die Apachen untergingen, wie so manches andere Volk der roten Rasse weiter im Norden. Naiche und Cochise ritten geradewegs auf das Tor des Forts zu. Eine Trompete schallte. Befehle hallten über den Paradeplatz hinter den Mauern. Cochise lächelte flüchtig. Er ahnte, daß die Offiziere ihn wie einen General empfangen würden. Natürlich schmeichelte Cochise diese Geste, aber er wußte, daß eingehaltene Versprechen wichtiger als ein großer Empfang waren. Die Torflügel schwenkten zurück. Im Schein der Nachmittagssonne war eine halbe Schwadron zu Pferd angetreten. Waffen und Metallteile des Sattelzeugs schimmerten im Licht. »Aaaachtung!« brüllte ein Sergeant. Die Soldaten strafften sich in den Sätteln, blickten Cochise und seinen Sohn Naiche an, die ihre Mustangs im Schritt gehen ließen. Langsam ritten die Chiricahuas an den Kavalleristen vorbei. Cochise neigte würdevoll den Kopf. 28
»Häuptling, willkommen in Fort Buchanan«, rief Colonel Walman. »Was führt euch zu uns?« Der Oberst strich sich über den gepflegten Spitzbart. Seine Bewegungen wirkten etwas fahrig. Walman vermochte seine Besorgnis nicht zu unterdrücken. Was wollte Cochise? Freundschaftsbesuche wurden zumeist vorher ausgehandelt. Also lag Verdruß in der Luft. »Ich möchte mit meinem Freund Falke sprechen«, erwiderte der Chief und saß ab. Zwei Soldaten liefen heran und führten die Mustangs zu den Ställen. »Bitte, folgt mir«, sagte der Colonel. Er führte die Besucher zu den Quartieren der Scouts. John Haggerty sprach mit Al Sieber, redete eindringlich auf ihn ein und sah plötzlich hoch. »Cochise, Naiche!« rief John. »Eine Ehre für uns!« Der Jefe blickte Walman an und sagte: »Ich danke dir, Pferdesoldat. Und nun möchte ich mit meinem Bruder Falke sprechen.« Walman salutierte unwillkürlich. In der Stimme des Häuptlings hatte so viel Autorität gelegen, daß der Colonel einfach davongehen mußte. Lächelnd sagte Haggerty: »Er verbrennt vor Neugierde, Chief. Setz dich zu uns, Cochise. Al Sieber kennst du ja.« Der Scout reichte dem Häuptling die Hand. Cochise drückte sie nach Art der Weißen und sagte: »Du bist ein guter Mann, Al Sieber.« Er wollte sich abwenden, davongehen, doch Cochise forderte ihn durch eine Geste zum Bleiben auf. »Falke«, begann der Häuptling seine Rede. »Ich habe die Mimbrenjo bestraft. Es ist Sitte, daß sie der Strafe entgehen, wenn sie den Todessprung wagen. Victorio, Geronimo und ein Krieger setzten über den Abgrund und sind frei von meinem Urteil. Doppelwolf ist jener Mann, der die blonde Squaw 29
erbeutet hatte.« Haggertys Gedanken kreisten. Er kannte die Apachen, ihren Starrsinn, wenn es um Beute ging und spürte einen Anflug von Furcht in sich aufsteigen. »Du denkst richtig«, sagte Cochise, der erkannte, was im Kopf seines weißen Freundes vorging. »Doppelwolf ist nach Tombstone unterwegs. Er will die Squaw mit dem goldenen Haar zurückholen.« Al Sieber holte tief Luft und sagte gepreßt: »Ausgerechnet Tombstone. In dem Höllennest fliegt sowieso alle paar Tage der Deckel vom Kochtopf. Ich glaube, du hast recht, John. Dein Gedanke ist richtig. Hoffentlich überzeugen wir den General.« Cochise schwieg. Er verstand zwar die Worte, aber nicht deren Sinn. »Ich möchte nicht mehr länger Chiefscout sein, mein Bruder«, erklärte John Haggerty. »Ich habe mit Al darüber gesprochen. Es ist wichtig, daß ich dort eingreifen kann, wo es nötig ist. Wir müssen handeln, ehe zuviel Unheil geschieht. Mit dir zusammen wäre ich kaum zu schlagen, Jefe. Wir durchstreifen das Land, erscheinen überraschend und verschwinden wieder. Du bist der Häuptling der Apachen. Ich als Weißer vermag hoffentlich meine Rassegefährten ruhig zu halten. Wir haben deine Chiricahuas und die Kavallerie im Rücken.« Cochise lächelte und erwiderte: »Ein guter Gedanke, Falke. Wir werden kaum Zeit finden, uns auszuruhen. Was sagt der Einarmige dazu?« »Ich weiß nicht, wie er sich entscheidet«, antwortete Haggerty. »Aber ich fürchte, er ist nicht sehr begeistert von dieser Idee.« Cochise schwieg ein paar Sekunden, blickte Al Sieber an und fragte ihn: »Was denkst du darüber, Fährtensucher?« Al erwiderte bedächtig: »Ich glaube, das ist der richtige Weg, 30
Häuptling. Jede Kleinigkeit kann einen Krieg auslösen. Deine Macht hält die Apachen zurück. John spricht für die Weißen, für die Army. Jefe, du weißt, daß General Howard zu wenig Soldaten hier hat. Wir schaffen es einfach nicht, ständig Patrouillen reiten zu lassen. Und selbst wenn andauernd Hunderte von Männern unterwegs wären, was können einfache Soldaten gegen die Wüstenkrieger ausrichten?« Cochise lächelte abermals. Al Sieber war ein guter Mann, kannte die Macht und die Fähigkeiten der Apachen. Er wußte, daß ein Krieger fast allen Weißen überlegen war. »Sprich mit dem Einarmigen, Falke«, sagte der Chief. »Ich bin bereit, dir zu helfen. Zuerst müssen wir uns um Doppelwolf kümmern. Wie dein Mann Al Sieber gerade sagte: Jede Kleinigkeit kann den Krieg auslösen.« John Haggerty sagte entschlossen: »Al, ich schlage dich als meinen Nachfolger vor. Ich kann mir keinen anderen Mann als Chiefscout vorstellen. Du kennst die wichtigsten Häuptlinge, und Cochise ist dir wohlgesonnen.« Der Jefe nickte nur. »Ehe wir aufbrechen«, fuhr John fort, »sollten wir mit dem General reden. Oder denkst du, Cochise, daß Doppelwolf wie ein tollwütiger Puma in Tombstone einfällt?« »Wer vermag zu sagen, was in seinem Kopf vorgeht«, erwiderte der Häuptling. »Es war ein Sklave, den Victorios Stamm einst aus dem Süden mitbrachte. Er wurde Mimbrenjo, ein guter Krieger. Nun hat das Blut der Gelbhäutigen, das Blut der anderen Rasse alles verdrängt.« John Haggerty wußte, daß dieser Krieger Doppelwolf mehr als gefährlich werden konnte. Ein Mann der weißen Rasse, der sämtliche Fähigkeiten eines Apachenkriegers besaß, vermochte eine Menge Unheil anzurichten. *
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Schwer hingen die Rauchschwaden über den Köpfen der Männer und Frauen. Die Kerosinlampen verbreiteten gelbliches Licht. Das Hämmern der Orchestrione, die lauten Reden, das Klirren der Flaschen und Gläser ließen den Eindruck eines schnell pulsierenden Lebens entstehen. Zwei zerlumpte Digger gerieten in Streit, schwangen die Fäuste, droschen aufeinander ein. Männer sprangen zurück. Einer brüllte eine ganze Serie von Flüchen, als ihm Whisky und Bier übers Hemd lief. Im Nebenraum war es ruhiger. Um die mit grünem Filztuch bezogenen Spieltische hockten die Männer, die das Glück mit den Karten machen wollten. Nur eine einzige Frau saß in einer der Pokerrunden. Ihr Gesicht war schön, jedoch ausdruckslos. Das goldschimmernde Haar hing ihr bis auf die Schultern. »Und noch zwanzig«, sagte Myriam, die ihre Karten zusammengeschoben hingelegt hatte. »Halte ich«, sagte ein Mann im schwarzen Tuchanzug der Spielergilde. »Lady, diesen Topf kassiere ich.« Myriam lächelte und erhöhte abermals. Die Männer an den anderen Tischen witterten abermals eine Sensation. Bereits zur Mittagszeit hatte die schöne Frau eine Menge Geld gewonnen. War es wieder soweit? Strich sie zum zweitenmal an einem Tag einen mächtigen Gewinn ein? Der Mann in Schwarz blickte die Frau abschätzend an. Er besaß keinen Cent mehr, und war dabei sicher, daß er gewinnen würde. Sein Blatt mußte unschlagbar sein. »Lady, ich kann nur meine Uhr dagegen setzen«, sagte der Kartenhai. »Sie ist aus massivem Gold und hat vor zwei Jahren über fünfhundert Dollar gekostet.« Er hatte Myriam richtig eingeschätzt. Sie war kalt wie ein richtiger Gambler. Und sie wollte dieses Spiel gewinnen. »Gut, für dreihundert nehme ich an«, sagte die Blonde. »Mehr Geld besitze ich nämlich auch nicht mehr.« 32
»Okay, dreihundert Bucks von Ihnen, die Uhr von mir, und danach decken wir auf«, erwiderte der Kartenhai und nestelte die Uhr von der Kette. Zugleich drehten Myriam und der Fremde die Karten um. Die Zuschauer stöhnten, als sie die vier Könige des Mannes in schwarz sahen. Jetzt fehlte nur noch das As, und die zweithöchste Pokerkarte überhaupt lag auf dem Tisch. Myriam lächelte sanft. In ihren hellen Augen schien ein Funke zu tanzen. Der Gambler drehte seine letzte, wertlose Karte um. Es war eine Dame. »Nun, Lady«, fragte er. »Es gibt noch eine höhere Karte«, sagte die schöne Frau sanft und wies auf ihre vier Asse, die ebenfalls von einer Dame flankiert wurden. Myriam besaß das höchste Blatt nach den Pokerregeln dieser Zeit. Der Berufsspieler blieb gleichmütig. Er stand auf, verbeugte sich ein wenig und sagte: »Madam, ich bin geschlagen. Ich danke Ihnen für den unterhaltsamen Abend.« Und dann ging der Mann davon. »Heiliger Rauch!« brüllte einer der zerlumpten Digger. »So ein Ding habe ich noch nie erlebt.« Wyatt Earp drängte sich an den Zuschauern vorbei. Wenn er auch nicht annahm, daß Myriam etwas passierte, so war doch ein schneller Colt sicher besser als das Vertrauen in die Anständigkeit der Männer hier. »Gehen wir?« fragte der junge Earp. Er schaute nur Myriam an, schenkte dem Dollarsegen und der goldenen Uhr keinen Blick. Niemand sollte auf die Idee kommen, daß Wyatt an den Bucks interessiert sei. Die Frau war ihm wichtiger. Brachte sie das Geld mit ihm zusammen durch, um so besser. »Wir gehen«, antwortete Myriam, »für heute reicht's mir. 33
Vorher gebe ich noch eine Runde für alle Gäste aus.« Eine Sekunde nach diesen Worten dröhnte der Saloon von den Hochrufen der übrigen Spieler und Gäste. Dem Barkeeper schob die schöne Frau so viele Bucks hin, daß er jedem Mann und jeder Frau drei Drinks ausschenken konnte. »Das erste Glas für die schöne Lady!« rief ein vierschrötiger Bursche. »Sie hat ein mächtiges Abenteuer überstanden und hat dazu alles Glück der Welt.« Myriam nahm das Glas und trank es mit einem Schluck leer. Der Whisky brannte ihr in der Kehle, doch sie ließ sich nichts anmerken, genau wie am Pokertisch. Wyatt brauchte ihr keine Bahn zu schaffen. Die Digger, Spieler und Flittergirls traten so weit zurück, daß Myriam und ihr Begleiter nebeneinander zum Ausgang marschieren konnten. Wyatt trug den Gewinn in seinem Hut. Die Scheine und Nuggets bildeten einen Hügel darin. »Wohin?« fragte der junge Earp, als sie draußen standen. »Nach Hause«, erwiderte Myriam. »Ich habe eine Pause verdient.« Wyatt gab ihr den Hut und besorgte einen Wagen. Die Kunde von Myriams großem Gewinn machte bereits die Runde. Überall grüßten Fremde, winkten ihr zu. Aber auch einige finstere Blicke trafen die blonde Frau, die in das Reich der Berufsspieler eingebrochen war. Earp lenkte das Pferd vorsichtig durch die Straßen. Der Hut lag in Myriams Schoß. Sie starrte unverwandt den Geldsegen an, der sie in eine wohlhabende Frau verwandelt hatte. Selbst wenn sie den Kaufpreis für das Blockhaus abzog, blieb ihr genug, um lange Zeit sorgenfrei leben zu können. »Was hast du jetzt vor?« wollte Wyatt wissen. »Setzt du dich morgen wieder an den Kartentisch?« »Ich weiß noch nicht«, erwiderte die junge Frau. »Vielleicht sollte ich ein paar Tage warten.« Earp lachte leise und sagte: »Besser wär's schon. Natürlich 34
wollen dir die Dummköpfe morgen beweisen, daß du nicht immer gewinnen kannst. Aber laß sie ruhig eine Weile zappeln, ehe du wieder zuschlägst. Virgil und ich waren zu leichtsinnig, gewannen zu oft. Darum sind wir hier nicht mehr gern gesehen. Ich spreche aus Erfahrung, Kleines.« Myriam lächelte. In den beiden Tagen in Tombstone hatte sie so allerlei über die Earps gehört. Nicht nur ihre hohen Gewinne beim Pokerspiel hatten die Earps in schlechtes Licht gebracht. Wyatt ging keinem Streit aus dem Weg, vertraute auf seine Fähigkeit im Umgang mit dem Colt und war zu wild und aufbrausend. Der Wagen rollte an den letzten Häusern vorbei. Das kalte Licht des Mondes tauchte das Land in silbernen Schein. Irgendwo heulte ein Kojote in die Nacht. »Brauchst du noch etwas in deinem Haus?« fragte Wyatt. »Ich fahre dann zurück in die Stadt und besorge, was dir fehlt.« »Nein, ich habe heute morgen alles hingebracht«, antwortete Myriam. »Für uns beide reicht es. Abendessen habe ich schnell gekocht.« Wyatt zügelte seine Freude. Seine Hoffungen wurden nicht enttäuscht. Er hatte an eine Fortsetzung des wunderschönen Mittages gedacht. Und in wenigen Minuten war es soweit. Das Deichselpferd schnaubte, als Earp das Tier vor dem Haus zügelte. Unruhig scharrte der Gaul mit den Hufen, warf den Kopf hoch und prustete. Ihm war wohl der Geruch des Indianerponys in die Nüstern gedrungen, der fremde Geruch der Wildnis, des freien Tieres. Weder Wyatt noch Myriam achteten auf dieses Zeichen. Er hob die schöne Frau aus dem Buggy und stellte sie vor der Schwelle behutsam auf die Füße. »Der Schlüssel steckte in einer Tasche meines Kleides«, sagte Myriam. Earp tastete über den Stoff, spürte den Oberschenkel des Mädchens und riß sich gewaltig zusammen. Endlich berührte 35
er den Schlüssel, zog ihn heraus und sperrte auf. Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte Wyatt eine Gefahr. Aber Myriam lenkte ihn ab. Sie drängte sich an ihn, schob ihn weiter in die Hütte hinein und nahm den Hut in die Linke, während sie mit der anderen Hand die Tür zuwarf. »Die Lampe steht auf dem Tisch«, raunte das Mädchen. Earp tastete sich weiter, stieß gegen einen Stuhl und unterdrückte einen Fluch, denn er hatte sich das Handgelenk geprellt. In diesem Moment handelte Doppelwolf. Er streckte Earp mit einem einzigen Hieb nieder. Seufzend brach der Mann zusammen. »Wyatt, was ist?« fragte Myriam erschrocken. »Nicht Wyatt«, erwiderte eine kehlige Stimme. »Du kennst mich, weiße Squaw. Ich hole dich, denn du gehörst mir.« Myriam war eine Sekunde wie gelähmt. Sie ließ den Hut fallen. Ihre Finger öffneten sich wie von selbst. Lediglich die Uhr des Spielers verfing sich in einer Falte des Kleides. Die Frau öffnete den Mund. Ein gellender Schrei zerriß die Stille, während Myriam herumwirbelte und aus dem Blockhaus hetzen wollte. Doppelwolf war viel schneller. Mit einem Sprung gelangte er hinter Myriam, riß sie an den Schultern zurück und preßte ihr von hinten seine Hand gegen Lippen und Nase. Ein paar Sekunden zappelte die schöne Frau wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ihr wurde die Luft knapp. Ein Krampf schien ihren Oberkörper zu packen. Schlaff sank sie gegen den mächtigen Oberkörper des Indianers. »Du gehörst mir, weiße Squaw«, sagte Doppelwolf noch einmal. »Ich nehme dich mit, denn du bist meine Beute.« Myriam hörte diese Worte wie durch einen Nebel, der so dicht war, daß er selbst Worte dämpfte. Alles umsonst, hämmerte ein Gedanke in ihrem Kopf. Der Apache schleppt mich in seine Berge. Wyatt! Was war mit 36
ihm? Lebte er überhaupt noch? »Bleibst du ruhig, wenn ich deine Lippen freigebe?« fragte Doppelwolf. Myriam nickte schwach. Sie spürte, wie sich der peinigende Druck der Hand lockerte und sog gierig die Luft ein. Keuchend, in hastigen Stößen, atmete die blonde Frau. Sie lehnte noch immer am Oberkörper des Mimbrenjos. »Ich werde dich töten«, stieß sie hervor, als sie wieder reden konnte. »Ich werde jede Sekunde darauf lauern, dich umbringen zu können.« Doppelwolf lachte leise. Myriam schwieg abrupt. Sie erkannte, daß ihre Chancen verschwindend klein waren. Hatte sie der Apache erst in die Berge verschleppt, besaß sie keine Möglichkeit zur Flucht mehr. Denn die anderen Squaws und Krieger würden darauf achten, daß die weiße Gefangene nicht entkam. Sie wußte nicht, daß sich Doppelwolf vom Stamm der Mimbrenjos losgesagt hatte, daß er keinen Chief mehr akzeptierte. Und er selbst dachte erst in diesem Moment daran, daß seine Schwierigkeiten immer größer wurden. Er mußte mit der Squaw verschwinden, irgendwo in der Halbwüste untertauchen und einen Weg nach Süden finden. Denn er war zu einem Mann ohne Heimat geworden. Doppelwolf packte Myriams Handgelenk, beugte sich zu dem besinnungslosen Weißen hinab und betastete sein Gesicht. Prüfend hielt der Indianer die Hand vor Mund und Nase. Earp atmete gleichmäßig. Noch einmal schlug der hünenhafte Krieger zu. Nun war er sicher, ein paar Stunden Vorsprung herausreiten zu können. Selbst wenn seine Gefangene das Pferd müde machte, müßte der Zeitgewinn ausreichen, um die Fährte irgendwo in den Felsen enden zu lassen. 37
»Komm jetzt, Squaw«, sagte Doppelwolf und zerrte Myriam hinter sich her ins Freie. Myriam besaß keine Chance zur Flucht. Jedesmal, wenn sie losrennen wollte, blickte der Indianer auf. Er löste geschickt die Riemen und Seile des Deichselpferdes, verkürzte die Zügel mit seinem Messer und packte endlich Myriam um die Hüften. Mit einem gewaltigen Schwung setzte er sie auf das Pferd, das er am Zügel zu dem windschiefen Stall führte. Ein leiser Pfiff genügte, und das struppige Indianerpony marschierte heraus. »Wohin bringst du mich?« fragte Myriam schwach. »Zu mir«, antwortete Doppelwolf, denn er wußte selbst noch nicht, wo sein Ziel lag. »Was ist das?« fragte der plötzlich mißtrauisch und betastete Myriams Bauch. »Was macht dieses Geräusch?« Das Mädchen rutschte so weit wie möglich auf dem Pferderücken nach hinten, vermochte den suchenden Fingern jedoch nicht zu entgehen. Nun hörte sie auch das Ticken. »Eine Uhr«, erwiderte sie. »Wir lesen darauf die Zeit ab.« Ein Laut der Verwunderung drang aus der Kehle des Kriegers. Er begriff das nicht. Die Zeit war immer da. Es genügte, zur Sonne oder zu den Sternen zu schauen. Jeder wußte danach, wann es dämmerte oder wie lange der Tag noch dauerte. »Wirf sie weg«, forderte Doppelwolf. »Es ist böse Medizin. Vielleicht stiehlt sie mir meine Zeit, Squaw.« Myriam spürte, wie sich eine Idee in ihrem Kopf formte. »Nein«, erwiderte sie fest, »ich behalte die Uhr. Ohne sie geht meine Zeit verloren und ich sterbe.« Doppelwolf zuckte ein wenig zurück. Das war böse Medizin. Er würde einen Weg finden, diesem Schrecken zu entrinnen. War er nicht vor wenigen Tagen in die Hütte eingedrungen, in der die weißen und gelbhäutigen Squaws ihre bösen Geister verlieren sollten? 38
»Du reitest vor mir«, befahl der hochgewachsene Krieger. Er versetzte Myriams Pferd einen Schlag auf die Hinterhand, so daß es mit einem erschreckten Satz lospreschte. Das Mädchen mußte alle Geschicklichkeit aufbieten, um nicht runterzufallen. * General Howard betrachtete Cochise als ebenbürtig. Was den Offizieren der Armee auf den Akademien beigebracht wurde, beherrschte der Führer der Apachen von Natur aus. Vielleicht besaß er auch eine besondere Begabung, Kriegszüge zu planen und siegreich zu bleiben. »Haggerty, es geht nicht so, wie Sie und Cochise sich das vorstellen«, sagte der General nach einer Weile. »Sie müßten die Armee verlassen, bekämen keine Unterstützung mehr, wären ein einfacher Zivilist. Ich kann Sie nicht ohne Reglement umherlaufen lassen.« John schwieg. Es war sinnlos, noch weiter über diese Sache zu reden. Howard zauderte zu stark. Vielleicht wußte er nur keinen Weg, wie er diese Geschichte bewerkstelligen sollte. Vielleicht war er auch nicht vom Erfolg des Planes überzeugt. »Nun, Sir, dann eben nicht«, sagte Haggerty. »Cochise kam her, um meine Hilfe zu erbitten.« Der Chiefscout schilderte, was sich zugetragen hatte, nannte die Vermutungen des großen Häuptlings, und Howard wirkte sehr ernst. »Das könnte alles wieder zum Kochen bringen«, sagte der General schwer. »Ist dieses Land denn nie zur Ruhe zu bringen?« Cochise lachte kurz und erwiderte: »Doch, Soldatenhäuptling, deine Männer sollen jeden Weißen aus unserem Land treiben und danach selbst gehen.« Howard verzog das Gesicht, als hätte er etwas Bitteres im 39
Mund. »Ihren Befehl, Sir«, bat der Chiefscout. »Reiten Sie, Haggerty«, erwiderte der General. »Verhindern Sie, daß der Mimbrenjo diese weiße Frau verschleppt. Wissen Sie, was das bedeutet, wenn der Apache Erfolg hat?« »Ich kann's mir denken«, erwiderte John. »Sämtliche Männer Tombstones bewaffnen sich bis an die Zähne und drehen jeden Felsbrocken um. Sie werden jeden Apachen töten, den sie finden.« »Und dann haben wir Krieg«, rief Howard erbittert. »Cochise, ich beschwöre dich: halte diesen wahnsinnigen Mann auf.« Der Häuptling stand aus dem Sessel auf, nickte und erwiderte: »Du hast mein Wort, Howard. Naiche kehrt zu den Chiricahuas zurück. Falke und ich folgen der Fährte des Abtrünnigen. Reitet er zu den Mimbrenjos, ist unsere Aufgabe schnell erledigt. Zieht er jedoch in eine andere Richtung, haben wir die Wüste vor uns.« Howard blickte seinem Chiefscout und dem Häuptling nach, als sie das Büro des Generals verließen. Kurze Zeit danach klang Hufschlag auf. Naiche trennte sich nach einigen Meilen von seinem Vater und Falke. Cochise ritt schweigend neben Haggerty. Sie würden Tombstone erst spät in der Nacht erreichen. John hoffte, daß die Menschen dort den Indianer nicht angreifen würden. War nichts anderes möglich, mußten sie sich trennen. Cochise sollte dann versuchen, den Mimbrenjo vor der Stadt zu fangen, während Haggerty die Frau beschützte, ständig beobachtete. Weder er noch der Häuptling ahnten, daß Myriam längst entführt war. Je näher sie der Stadt kamen, desto stärker schwang die Unruhe in John auf. Er spürte, witterte, daß etwas geschehen war. 40
»Bruder, es nutzt nichts, die Mustangs schneller gehen zu lassen«, mahnte Cochise. »Du bist unruhig, ich fühle das. Ich fühle auch, daß wir zu spät kommen. Aber wir werden die Spur finden und ihr folgen.« Haggerty riß sich zusammen. Immer wieder dachte er an Victorio und den machtgierigen Geronimo. Diese beiden Männer waren unversöhnliche Weißenhasser. Sie würden niemals aufgeben, die Eindringlinge zu bekämpfen. »Liefern die Mimbrenjos die weiße Squaw aus, wenn du es forderst?« fragte der Scout seinen Freund. Cochise antwortete stolz: »Sie müssen, Falke. Ich habe diese Frauen befreit. Sie gehören mir, den Gesetzen der Apachen nach. Ich habe Beute gemacht, den Mimbrenjos ihre Gefangenen gestohlen. Weigert sich Victorio, verletzt er das Gesetz der Apachen.« John hatte Zweifel, ob Victorio diese Ächtung treffen würde. Der Mimbrenjo gehörte zu den Aufrührern, zu den Rebellen unter den Apachen. Er fühlte sich bestimmt stark genug, allein den mörderischen Kampf gegen die verhaßten bleichhäutigen Eindringlinge fortzusetzen. Victorio weigerte sich einfach, die Macht der Weißen anzuerkennen. Er vermochte nicht über sein eigenes Leben hinauszudenken. Cochise gehörte zu den weisen Führern der Apachen. Er hatte eingesehen, daß selbst der erbarmungsloseste Kampf gegen die Bleichgesichter zum Scheitern verurteilt war. Denn immer mehr und mehr Weiße drangen in den heißen Südwesten ein, besetzten fruchtbares Land, jede Wasserstelle, jeden Flußlauf. Es waren nicht die Digger, die das Ende des freien Apachenlebens einleiteten. Es waren die Menschen, die seßhaft werden wollten, sich eine Heimstatt bauten und den Boden bestellten oder Rinder züchteten. »Deine Gedanken sind schwer, Falke«, sagte Cochise auf einmal. »Woran denkst du, Bruder? Was bewegt dich, daß du 41
nicht mehr auf den Weg achtest?« »Das Schicksal der Apachen und unser eigenes«, antwortete John leise. »Ich verstehe nicht, warum zwei verschiedene Völker nicht in Frieden zusammen leben können.« Cochise lachte leise auf. Verständnis klang in diesem Lachen mit. »Ihr seid anders«, erwiderte der Chief. »Ihr laßt euch irgendwo nieder und bleibt. Wir ziehen weiter. Du kennst einiges von unserer Geschichte. Vor langen Jahren drangen wir von Norden her in dieses Land. Wir kämpften gegen alle Feinde, besiegten sie und eroberten das Gebiet. Dann kamen die Comanchen. Ihnen folgten die Gelbhäutigen, die weit in Richtung Westen vorstießen. Wir mußten ständig kämpfen, um zu überleben. Denn jeder Eindringling mehr bedeutete, daß Wasser und Nahrung weniger wurden. Und nun graben die Weißen das Mondmetall und das gelbe Eisen aus dem Boden. Immer mehr Weiße kommen. Auf einmal erzählt ihr uns, daß dies nicht mehr unser Land ist. Was geschieht in deinem Kopf, in deinem Herzen, wenn ein Mann in dein Jacale tritt und dich davonjagt?« Haggergy schwieg. Innerlich stand er auf der Seite der Apachen. Und doch gehörte er der weißen Rasse an, verstand deren Neugierde, die immer mehr Menschen dazu trieb weiterzuziehen, nachzusehen, was hinter dem nächsten Hügel lag. »Ihr werdet siegen«, sagte Cochise nach einer Weile. »Ich hoffe, daß es in hundert Sommern immer noch Apachen geben wird. Vielleicht wird meine Hoffnung wahr, denn wir leben mit dem Land. Wir wissen um die Dinge, die uns am Leben erhalten. Ihr dagegen verändert das Land, bis es euch gefällt. Mit der Zeit stirbt die Erdmutter, und dann kommt auch euer Ende.« John Haggery war bedrückt. Cochise hatte in vielem recht. Mit dem Instinkt des Naturmenschen erkannte er die Wurzel 42
des Übels. »Ich fürchte jedoch um meine Kinder«, fuhr Cochise fort. »Sie sind unvernünftig, verbringen ihre Zeit mit Kampf und Raub, statt daran zu bauen, trotz des weißen Mannes zu überleben.« Lange Zeit schwiegen Haggerty und auch der Häuptling. Es gab keine Antwort auf diese Sätze, diese Worte, die vom Denken des großen Mannes der roten Rasse geprägt waren. »Sieh, Falke, dort hinten stehen die steinernen Käfige, die Gehäuse, in die sich die Weißen selbst einsperren, weil sie Furcht vor dem Wind, der Kälte und der Sonne haben. Dort liegt Tombstone, die wilde Siedlung. Unsere Aufgabe beginnt, mein Bruder, der du bereits halb wie ein Apache denkst.« John atmete auf. Seine Gedanken lösten sich von all jenen Dingen, die Cochises Worte aufgewühlt hatten. Nun ging es um Tatsachen, um unmittelbare Bedrohung. »Trennen wir uns, Cochise?« fragte der Scout. »Noch nicht«, erwiderte der Häuptling. »Wenn ich richtig gedacht habe, ist Doppelwolf bereits mit der weißen Squaw unterwegs.« Haggerty zuckte zusammen. Der Chief sprach so gelassen, als rede er über ein Stück der Wüste oder einen besonders schönen Mustang. Begriff er denn nicht, was dies bedeutete? »Woher weißt du?« fragte John langsam. Mißtrauen quoll in ihm auf, ein böser Verdacht gegenüber dem Freund. Hatte Cochise seine Finger im Spiel? War dies ein besonderer Schachzug einer Politik, von dem nicht einmal Haggerty ahnte, wie er enden würde? »Ich weiß nichts«, erwiderte Cochise. »Ich denke nur. Und ich kenne das Blut der Gelbhäutigen, wie ich unser eigenes Blut kenne. Nimm einen Apachen, laß ihn bei den Männern in Schwarz lernen, nimm ihn vom Stamm, wenn er kaum zwei Sommer zählt. Irgendwann bricht sein Blut auf. Eines Tages geht er davon, streift alles ab, was er lernte, wendet nur das an, 43
was ihm nützlich erscheint. Und genauso ist es bei den Weißen und den Mexikanern, Falke.« Haggerty schämte sich innerlich, daß er an seinem Freund gezweifelt hatte. Um seine Unruhe und Verlegenheit zu verbergen, zu überspielen, sagte er »Also los, worauf warten wir noch? Suchen wir das Mädchen, bewachen wir sie. Einer von uns sollte außerhalb der Stadt bleiben. Vielleicht gelingt es uns doch, Doppelwolf abzufangen, ehe er eindringen kann.« »Vergiß meine Worte nicht«, mahnte der Häuptling. »Er ist jetzt ein anderer Mann. Niemand von uns vermag sein Denken nachzuvollziehen.« Haggerty schwieg. Behielt Cochise recht, stand ihnen eine üble Sache bevor. Der Chiefscout richtete sich steil im Sattel auf. Zwischen den Gebäuden Tombstones flackerten Fackeln. Gebrüll dröhnte durch die Nacht, hallte bis weit in die Halbwüste hinein. Worte waren nicht zu verstehen, doch eine Drohung strahlte von dem Ort des Geschreis aus. Eine Gefahr, die John beinahe körperlich spürte. »Schneller, Freund«, rief Haggerty und hieb seinem Pferd die Absätze in die Flanken. »Hoffentlich kommen wir nicht zu spät. Es brodelt bereits in Tombstone. Viel scheint nicht mehr zu fehlen, bis die Kerle dort überkochen.« Cochise trieb sein Tier an, das sich willig streckte und schnell mit Johns Mustang gleichzog. Immer größer wurden die Häuser, immer lauter das Geschrei. Einzelne Stimmen waren zu unterscheiden. Zorn, Haß, ja, Mord lag in der Luft. Ein Mann brüllte die anderen nieder, ergriff das Wort und hielt eine Rede, die immer wieder von begeistertem Johlen unterbrochen wurde. »Großer Moses, wir springen mit beiden Beinen in ein Höllenfeuer«, sagte Haggerty leise. »Jetzt reicht's uns!« dröhnte die Stimme, die John irgendwie bekannt vorkam. »Wir müssen uns selbst helfen. Wir werden 44
die roten Hunde bis zum Golf von Mexiko jagen, treiben sie ins Wasser und sehen zu, wie sie absaufen!« John ächzte nur. Cochise schien recht zu behalten. Doppelwolf mußte schon in der Stadt gewesen sein. Hatte er die blonde Myriam getötet oder verschleppt?« »Holen wir die Kavallerie!« schrie ein anderer Mann. »Die Blauröcke sollen für unseren Schutz sorgen. Dafür sind sie hier.« »Die Army wird uns nicht helfen«, rief der erste Sprecher. »Wir müssen uns schon selbst schützen. Natürlich dürfen wir Tombstone nicht in Gefahr bringen. Ein Teil von uns muß in der Stadt bleiben. Wir anderen satteln unsere Pferde und folgen dem roten Hundesohn.« »Ich bin dafür, daß wir jeden Apachen umbringen, den wir entdecken«, brüllte ein dritter Mann. »General Sherman hat's schon gesagt: nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.« Haggerty zügelte sein Pferd etwas, leitete es dicht an Cochises Pony heran und sagte: »Bruder, diese Worte müssen dich schmerzen. Du weißt, daß nicht alle Menschen so denken. Vergiß das nicht.« Der Häuptling blickte seinen Freund ernst an. Das Licht des Mondes zauberte merkwürdige Schatten auf das Gesicht mit der Adlernase. »Die meisten Weißen denken so, Falke«, erwiderte der Jefe gleichmütig. »Ich möchte wissen, ob sie in hundert Sommern noch genauso denken.« Das Trommeln der Pferdehufe ging in dem Gebrüll unter, das aus Tombstone aufdröhnte. »Natürlich, Wyatt Earp«, sagte Haggerty gepreßt, als er sein Tier zügelte und aus einer Seitengasse auf die Plaza blickte. Der jüngere Earp stand auf einer alten Holzkiste. Zahllose Fackeln erhellten den Platz, ließen die Blätter der mächtigen Bäume sattgrün aufschimmern. »Er ist jung und wild«, erwiderte Cochise nachsichtig. »Du 45
hast doch selbst gesehen, daß er Gefallen an der blonden Squaw fand. Er nahm sie vor sich auf sein Pferd, als ich die Frauen befreit hatte. Soll er jetzt tatenlos hinnehmen, daß sie verschleppt wurde?« Haggerty antwortete nicht. Er schätzte die Stimmung als geradezu explosiv ein. Ein falsches Wort genügte, und die Menge auf der Plaza verwandelte sich in einen entfesselten Mob. »Was hast du vor? Warte!« rief der Scout, als Cochise seinen Mustang weitergehen ließ. * »Wir folgen der Fährte bei Morgengrauen!« verkündete Earp. »Und wenn wir den roten Hundesohn erwischen, ziehen wir ihm die Haut ab. Wie du eben gesagt hast, kämpfen wir jeden Indianer nieder, den wir sehen. Ja, es muß ein Ende haben. Wir wollen friedlich leben, nicht andauernd unsere Haut riskieren. Und die Army könnt ihr vergessen. Howard hat nicht mal genügend Soldaten, die normalen Patrouillen reiten zu lassen. Nein, ich sage euch, daß wir unser Geschick selbst in die Hände nehmen müssen. Zur Hölle mit jedem Apachen!« Das Geschrei schwoll derart an, daß keiner der Männer und Frauen auf der Plaza verstand, was der Nachbar rief. Cochise zog gelassen das Gewehr aus der ledernen Schlinge, richtete die Mündung gegen den Nachthimmel und feuerte zweimal. »Du bist ein Narr, Bruder«, murmelte Haggerty und versuchte, die Furcht um den Freund zu unterdrücken. Das Peitschen der Winchester ließ die Menschen schlagartig verstummen. Cochises Pony ging weiter. Eine Gasse bildete sich in der Mauer der Leiber. Murren wurde laut. Fäuste hoben sich, und das Gemurmel schwoll zu einem Brausen an, als die erregten 46
Männer und Frauen einen Indianer erkannten. Abermals hob der Chief das Gewehr und drückte ab. »Gut, Wyatt Earp, schick mich in deine Hölle«, rief der Häuptling mit aller Kraft seiner Stimme. »Das willst du doch.« Die Menschen wandten sich um, starrten zur Kiste, den jungen Revolvermann an, dessen Gesicht plötzlich im Schein der Fackeln fahl wirkte. »Cochise!« stieß Earp hervor. »Ja, und ich warte darauf, daß du mit uns aufräumst, weißer Mann«, erwiderte der Jefe kalt. Seine imposante Gestalt wirkte einschüchternd auf die Zuschauer des Spektakels. Einige Männer zogen die Köpfe ein, blickten sich argwöhnisch um, als erwarteten sie jede Sekunde ein paar Dutzend Apachen auftauchen zu sehen. »Cochise, das gilt nicht dir«, erwiderte Wyatt laut. »Du hältst Frieden, dein Wort. Aber Myriam wurde entführt. Du erinnerst dich an die blonde Frau, die du befreit hast, du und Naiche?« »Natürlich, darum bin ich hier«, antwortete der Häuptling gelassen. »Ich erfuhr, daß sie in Gefahr ist.« Ungläubig redeten die Menschen aufeinander ein. Wyatt Earp starrte den hochgewachsenen athletischen Häuptling an, als sei der ein Tier mit zwei Köpfen. Earp konnte und wollte nicht glauben, daß der Führer aller Apachen die Wahrheit sagte. »Du wolltest sie schützen?« rief Wyatt laut. »Ja, ich und mein Freund Falke, den ihr unter dem Namen John Haggerty kennt«, sagte der Jefe. »Ich bin Cochise, und ich halte mein Wort. Selbst dann, wenn es von einem anderen Apachen gebrochen wurde.« Der Häuptling überragte im Sattel selbst den jungen Earp, der doch auf einer Kiste stand, um von allen Zuschauern gesehen zu werden. Cochise trieb seinen Mustang mit einem Schenkeldruck an, leitete das Tier neben die Kiste und betrachtete die Gesichter der Männer und Frauen, die im 47
Fackelschein wie Masken wirkten. »Du bist ein tapferer Kämpfer, Wyatt Earp«, rief der Jefe laut. »Du gehörst zu jenen Männern, die ihr Leben einsetzen, auch für andere. Dies ehrt dich. Du bist jung, verwegen und wild. Ich hingegen bin alt. Und weil ich ein alter Mann bin, habe ich mehr als du gesehen und erlebt und erfahren. Darum frage ich dich jetzt, warum du die Männer hier in den sicheren Tod führen willst? Du weißt doch, wie mein Volk kämpft. Du hast doch selbst gesehen, daß sie aus dem Sand hervorbrechen und töten. Kennst du die Anzeichen eines solchen Verstecks? Kannst du den Tod vieler deiner weißen Gefährten auf dich nehmen? Ich sage nein. Vor allem deshalb nein, weil der Mimbrenjo-Krieger, der die blonde Squaw entführte, dem Gesetz der Apachen verfallen ist. Er muß sterben, von der Hand eines Apachen getötet werden, nicht durch die Kugel eines weißen Mannes.« Cochise ersetzte gemächlich die drei verschossenen Patronen und steckte die Winchester in die Lederschlinge zurück, die am Zaumzeug des Mustangs befestigt war. Eine solche Sicherheit, ein derartiges Selbstbewußtsein ging von dem mächtigen Häuptling aus, daß keiner der Menschen hier auch nur daran dachte, auf den Jefe zu feuern. »Gibst du uns dein Wort, Cochise?« fragte Wyatt Earp lauernd. »Versprichst du uns, Myriam lebend aus den Händen des Schurken zu befreien und ihn zu töten?« »Das vermag ich nicht«, erwiderte der Chief ehrlich. »Genausowenig kannst du versprechen, daß die hellhaarige Squaw lebend gerettet wird, wenn du mit deinen Freunden der Fährte folgst. Ich verspreche, mein Bestes zu geben, mehr kann ich nicht.« Earp zögerte ein paar Sekunden. Er sah ein, daß Cochise nicht mehr sagen konnte, denn es war unmöglich, den Ausgang der Jagd auf den Entführer vorauszusehen. »Einverstanden, Häuptling«, rief Wyatt dann. »Wenn dieser 48
Mimbrenjo eurem Gesetz verfallen ist, so verfahre mit ihm so, wie es die Regeln der Apachen vorschreiben.« Eine Welle der Erleichterung ging von den Zuschauern aus. Sie alle waren vor Minuten noch entschlossen gewesen, die Halbwüste zu durchforschen und jeden Indianer niederzumetzeln, den sie erwischten. Nun, da sie den Mut des Apachenführers erlebt hatten, war ihr eigener geschmolzen wie Schnee in der Sonne. Jetzt kam allen zu Bewußtsein, welch furchtbare Kämpfer die Krieger waren, über welche Listen sie verfügten, Tricks, denen fast kein Weißer etwas entgegenzusetzen hatte. Allmählich zerstreute sich die Menge. Einige Männer drängten in die Seitengassen, verließen die Plaza. Minuten danach standen Cochise und Wyatt Earp allein unter den mächtigen Bäumen, deren Blätter im leichten Wind rauschten. »Deine Jugend ist der Grund für deine Unvernunft«, sagte der Jefe tadelnd zu Earp. »Warum wolltest du einen Krieg entfachen? Weißt du nicht, daß ein solcher Anlaß genügt, um mein gesamtes Volk in Aufruhr zu versetzen? Deine Unbesonnenheit hätte bald mein Wort gebrochen.« Wyatt starrte am Rand der Kiste auf den Staub der Plaza. Langsam stieg der junge Kämpfer von seinem Podium und zog die Schultern hoch. »Ich war wie von Sinnen«, murmelte Earp. »Myriam, ich glaube, ich liebe sie. Als ich sie in ihr Haus brachte, geschah es. Ich besaß nicht mal den Hauch einer Chance. Plötzlich spürte ich einen Hieb gegen den Kopf. Von dieser Sekunde an weiß ich nichts mehr. Ich kam zu mir, als Stunden vergangen sein mußten. Dann nahm ich den fremden Geruch wahr und wußte, daß nur ein Apache Myriam in seine Gewalt gebracht haben konnte.« »Spuren?« fragte der Häuptling. »Ein Mustang im Stall«, erwiderte Earp, »weiter fand ich nichts. Das gesamte Geld ist noch vorhanden. Nur die goldene 49
Uhr verschwand. Hat der Kerl eine besondere Vorliebe für die Uhren der Weißen?« Cochise wußte, was eine Uhr war, wenn er auch deren Sinn nie begriffen hatte. Es lag so fern von ihm, die Zeit mit einem Gerät zu messen, daß er sich beim besten Willen keinen vernünftigen Grund dafür vorzustellen vermochte. »Ich weiß es nicht«, antwortete der Chief langsam. »Aber Doppelwolf ist kein Mimbrenjo. Er ist ein Mann aus dem Süden, ein Gelbhäutiger, ein Mexikaner. Als Kind raubten ihn die Krieger und behielten ihn als Sklaven. Später nahm der Stamm ihn auf. Vielleicht erinnert ihn die Uhr an seine Kindheit. Wer weiß das schon?« Haggerty ritt näher. Wyatt Earp zuckte herum. Die Finger der Rechten umklammerten den Griff des Revolvers. »Es ist Falke, John Haggerty«, sagte der Jefe ruhig. Earp lachte leise und erwiderte: »Also hat er dich die ganze Zeit gedeckt. Hätte einer von uns Ärger angefangen, wäre ihm Haggertys Kugel in den Kopf gesaust.« Cochise lächelte und sagte nichts darauf. Sollte der Weiße doch denken, was er wollte. »Hallo, Earp, wieder mal das Volk aufwiegeln, wie?« fragte John mit einem bissigen Unterton in der Stimme. »Ach, verdammt, rutsch mir den Buckel runter«, erwiderte der junge Kämpfer. »Sie haben ja gehört, was geschah. Würden Sie das denn einfach so hinnehmen?« Nein, dachte Haggerty, das würde ich nicht, auf keinen Fall. Aber ich könnte mir was Vernünftiges ausdenken, um das Girl zu befreien. Davon bist du noch weit entfernt. »Ich wüßte, wo ich die richtige Hilfe finde«, sagte der Scout laut. »Es war doch sinnlos, diese Digger und Stadtfräcke aufzuhetzen. Die Hälfte hätte spätestens morgen mittag kehrtgemacht. Die andere Hälfte nach weiteren zehn oder zwölf Meilen.« Earp knirschte mit den Zähnen. Er sah ja ein, daß dieser 50
Wüstenfuchs recht hatte. Aber mußte er ihm das so unter die Nase reiben? »Und jetzt?« fragte Wyatt. »Was habt ihr vor? Setzt ihr euch ganz allein auf die Fährte des roten Halunken?« »Sicher, jeder Mann mehr ist eine Belastung«, erwiderte Haggerty gelassen. »Vor allem dann, wenn jemand die Wüste nicht kennt. Und er muß sich in ihr wie ein Apache zurechtfinden, muß wie ein Krieger denken und die Tricks der Kämpfer beherrschen. Ein schneller, sicherer Colt genügt in diesem Fall nicht.« »Führe mich zu der Hütte«, forderte Cochise. »Ich möchte die Spuren sehen und prüfen.« Earp holte sein Pferd, das in einer Seitengasse stand und schwang sich in den Sattel. Auf dem Weg zum Blockhaus erzählte der junge Mann, was er wußte. Es war wenig genug. Aufmerksam registrierten Cochise und Haggerty, daß Myriam auf einem ungesattelten Wagenpferd ritt. Dieser Umstand mußte Doppelwolf stark behindern, denn kaum ein Weißer, geschweige denn eine Frau, war daran gewöhnt. Im Schein zweier Fackeln suchte der Häuptling den Boden ab. Er las in den Fährten, wie ein Weißer, in einem Buch und erklärte alles ganz genau. »Wir reiten in der Dämmerung auf den Sonnenaufgang zu«, sagte Cochise nach einer Weile. »Es wird eine gute Spur sein, bis sie irgendwo in den Felsen abbricht.« Wyatt Earp starrte das Gesicht des großen Chiefs an. Die schwarzen Augen funkelten im Schein der Fackelflamme. »Und dann?« fragte der Weiße. »Danach wenden wir uns nach Süden«, erwiderte Cochise. »Doppelwolf hat das Blut eines Mimbrenjos abgestreift. Er hofft sicherlich, im Land der Gelbhäutigen Zuflucht zu finden, denn dies ist seine Heimat. Er vergißt nur, daß er wie ein Apache aussieht, handelt und riecht.« »Vielleicht bricht ihm schon diese Tatsache den Hals«, 51
murmelte John. »Aber was wird aus dem Mädchen?« Wyatt Earp sagte nichts. Er ließ sich seine Besorgnis nicht anmerken. Cochises Worte hatten einen Gedanken in dem jungen Kämpfer gestärkt, den er nun unbedingt ausführen wollte. Er würde sich mit seinem Bruder auf die Spur von Haggery und Cochise setzen. Vielleicht waren zwei weitere schnelle Colts in diesem Höllenspiel entscheidend. * Myriam stöhnte laut und rutschte vom Pferderücken. Den Aufprall fing sie mit den Unterarmen ab und blieb scheinbar ermattet liegen. Der Hufschlag des anderen Tieres brach ab. »Steh auf«, sagte Doppelwolf kehlig. »Steh auf und setz dich auf dein Pferd, Goldhaar.« »Ich kann nicht mehr«, flüsterte Myriam. »Wasser, ich brauche Wasser.« »Kein Wasser«, lehnte der Krieger ab. »Erst wenn die Sonne sinkt. Vorher nicht.« Myriam rührte sich nicht. Sie spürte die Hitze wie einen glühenden Mantel. In den letzten Stunden hatte sie sich mindestens zehnmal vom Pferd fallen lassen. Es war ihr einziges Mittel, den Ritt zu verlangsamen. Sie fragte sich, wie lange Doppelwolf noch geduldig bleiben würde. Packte ihn die Wut, band er sie bestimmt fest. Langsam drehte sich die blonde Frau auf die Seite. Sie hielt die Augen halb geschlossen, blinzelte zu dem Indianer hinauf, der scheinbar turmhoch aufragte. »Ich kann nicht mehr«, wiederholte Myriam. »Ich bin nicht gewohnt, ohne Sattel zu reiten.« Sie tastete nach der Uhr, ließ den Sprungdeckel aufklappen und fuhr leise fort: »Meine Zeit verrinnt bereits schneller. Je 52
mehr Kraft ich verliere, desto weniger Zeit bleibt mir.« Doppelwolf bekämpfte die furchtsamen Gedanken, die durch seinen Kopf schwirrten. Dieses Gerät aus dem gelben Sonnenmetall beeindruckte den Krieger mehr, als er sich eingestehen wollte. »Ich habe keinen Sattel für dich, Goldhaar«, sagte er. »Wenn du nicht wieder auf das Pony steigst, lege ich dich quer über seinen Rücken und binde dich fest.« Die Gleichgültigkeit, mit der diese Drohung ausgesprochen wurde, ließ Myriam innerlich erschauern. Doppelwolf würde nicht zögern, und dann verschwand die ohnehin geringe Chance endgültig. Die Gefangene tastete an dem Rädchen herum, mit dem sich die Zeiger der Uhr verstellen ließen. Es gab nach, bewegte sich, und in der nächsten Sekunden klang der zarte Ton einer Glocke auf. »Usen!« schrie Doppelwolf überrascht und sprang einen Schritt zurück. Myriam nutzte die Situation sofort aus und sagte: »Das war die erste Warnung, Krieger. Wenn die Glocke dreimal schlägt, holt dich der Bote des Todes. Mein Geist will es so.« Zweifelnd starrte Doppelwolf das Gerät an. War es wirklich möglich, daß sich ein so mächtiger Geist in diesem Ding verbarg? Warum eigentlich nicht? Wenn Usen überall lebte, warum denn nicht auch die Götter und Geister der Weißen? »Was will dein Schutzgeist, Goldhaar?« fragte der Krieger scheinbar gelassen. »Nur das, was mich am Leben erhält«, erwiderte Myriam. »Wasser, einen Sattel und Schutz vor der Sonne, damit mein Kopf nicht leer wird.« Finster starrte der Indianer seine Beute an. Das bedeutete Verzögerung. Dabei wollte er einen großen Vorsprung herausreiten, um die Fährte gut zu verwischen, in Ruhe alle 53
Spuren zu vernichten. »Gut, ich gehorche«, sagte Doppelwolf. »Steig auf den Mustang. In zwei Stunden bekommst du einen Sattel und Wasser.« Er vermochte die Verachtung in seiner Stimme nicht zu unterdrücken. Zum erstenmal fragte sich der Krieger, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte. Diese Frau war keine Apachensquaw. Sie würde erst nach langen Jahren an das harte Leben in der Halbwüste gewöhnt sein. Vermochte sie wenigstens ein Feuer zu entfachen, Fleisch zu braten? Myriam stand langsam auf. Mit unsicheren Schritten stapfte sie auf das Pferd zu, umklammerte den Hals und zog sich stöhnend hoch. Mit beiden Armen umschlang sie den Hals des Tieres und preßte ihm die Hacken in die Seiten. Langsam setzte sich das Pferd in Bewegung. Die nächsten beiden Stunden waren für Myriam mehr als hart. Der Weg stieg immer steiler an. Kahle Felsen reflektierten das grelle Sonnenlicht, das in den Augen der blonden Frau brannte. Die Hitze hing wie ein Gluthauch über diesen Bergen. Nur selten lockerte sich ein kleiner Stein unter den Hufen des Tieres. Für jedes noch so winzige Zeichen war Myriam dankbar. Sie hoffte, daß Wyatt ihr folgte, hoffte, daß er so vernünftig war, einen erfahrenen Fährtensucher mitzunehmen. Sie wußte nicht, daß sie die Mule Pass Mountains durchquerten, auf dem Weg nach Süden waren. Myriam sah nur, daß der Trail immer glatter wurde. Nirgendwo blieb eine Spur zurück. Und zahllose Felsspalten und Hohlwege zweigten von dem Trail ab, den Doppelwolf ritt. Die Uhr, dachte Myriam, das Gold könnte ein Zeichen hinterlassen. Entschlossen ließ sie sich abermals fallen, verdeckte ihre Hände mit dem gekrümmten Oberkörper und drückte das goldene Gehäuse der wertvollen Taschenuhr gegen den Felsen. Vorsichtig rieb sie hin und her und atmete auf, als ein gelblich 54
schimmernder Streifen das Gestein verfärbte. Myriam stand mühsam auf, ohne Doppelwolfs Befehl abzuwarten und kletterte auf das Wagenpferd, das geduldig wartete. Noch zweimal fiel die schöne Frau herab und hinterließ das Zeichen, den goldenen Strich auf hellem Gestein. Ein wirklich aufmerksamer Scout mußte diesen winzigen Goldstrich entdecken und wissen, daß er auf der richtigen Fährte ritt. Myriam fragte sich, woher Doppelwolf den Sattel nehmen wollte. In ihr keimte die Angst auf, daß er einen weißen Siedler überfallen könnte, um ihre Wünsche zu erfüllen. Durfte sie das verlangen? Vermochte sie den Tod anderer für ihre Bequemlichkeit vor sich selbst zu verantworten? Die Pferde atmeten schnarchend, als sie eine breite Felsspalte erreichten. Ohne Zögern leitete Doppelwolf sein Tier hinein. Nach wenigen Längen saß er ab und forderte Myriam durch eine herrische Handbewegung auf, es ihm gleichzutun. »Du wartest hier«, sagte der Krieger. »Ich hole deinen Sattel und Wasser. Du wirst nicht fliehen, Goldhaar.« Hatte er ihre Gedanken erraten? »Wo holst du den Sattel?« fragte Myriam. »Weiter vorn leben Weiße an einem Bach, der aus den Felsen rinnt.« Doppelwolf sah, daß ihr Gesicht starr wurde. Was hatte diese Squaw nun wieder vor? Furcht glomm in ihm auf, als sie die Uhr aus ihrem Kleid holte, den Deckel aufspringen ließ und lange auf die fremden Zeichen starrte. Abermals klang die Glocke auf. »Du darfst diese Weißen nicht töten«, sagte Myriam fest und steckte die Taschenuhr wieder weg. »Er will es nicht.« Der Krieger stand reglos. War dieser Geist mächtiger als Usen, der doch über alle Dinge herrschte? Eine Erinnerung, ein Fetzen nur waberte durch das Gehirn des Mannes. 55
Er vernahm Glockenschläge, sah ein großes dunkles Holzgehäuse vor sich, in dem sich Zeiger drehten. ›Es ist Zeit, Elena‹, klang eine Männerstimme auf. ›Wir müssen gehen.‹ Doppelwolf schauderte, zog den Kopf etwas ein und kam zu dem Schluß, daß dieser Gott wahrhaft Macht besaß. Er zwang die Menschen zum Handeln. Und er würde ihn auch zwingen, Dinge zu tun, die kein Apache je vollführte. »Gut, ich töte nicht«, sagte Doppelwolf. Unter seinem Gürtel zog er ein paar dünne Lederriemen hervor. Er packte Myriam an der Schulter, drängte sie gegen einen Gesteinsvorsprung und fesselte sie an den Felszacken. Erschöpft schloß die Frau die Augen. Ihr blondes Haar hing strähnig herab. Es war schweiß- und schmutzverklebt. Der Ritt hatte Myriam viel abgefordert. Doppelwolf glitt zu seinem Pony und saß auf. Die unbeschlagenen Hufe tackten leise über den Felsboden. Während Myriam dankbar über den Schatten war, den die überhängenden Steine boten und in eine Art Dämmerschlaf versank, trieb Doppelwolf seinen Mustang durch einen Hohlweg, der mit kopfgroßen Brocken übersät war. Geschickt tänzelte das Pony um die Hindernisse herum und verursachte nicht viel mehr Geräusche als der Wind, der durch die enge Schlucht strich. Endlich saß der Krieger ab. Lautlos glitt er zum Ende des Hohlweges, verharrte dort lange und spähte in das fruchtbare Tal hinab, das unter ihm lag. Dort würde er alles bekommen, Wasser, einen Sattel und eine Decke. Vielleicht auch Nahrung. Doppelwolf mußte geschickt vorgehen, wollte er Erfolg haben. Er durfte nicht töten. Das ließ ihm seine Aufgabe als schwierig erscheinen. Nach langen Minuten setzte sich der Krieger in Bewegung. Wie ein Schemen glitt er von Deckung zu Deckung, legte einen Teil der Strecke kriechend zurück und blieb hinter einem 56
Joshuabaum liegen und spähte abermals. Alles auf der kleinen Farm war ruhig. Der Wind wehte von Norden, Doppelwolf genau entgegen. Deutlich unterschied er die Gerüche der fremden Tiere, den Duft des Grases und des Getreides, das in der Sonne trocknete. Mittagszeit. Der höchste Stand der Sonne tauchte das Land in eine Hitzewelle, die schwer über dem Tal hing. Doppelwolf glitt weiter. Wie eine Schlange kroch er voran, erreichte einen hölzernen Zaun, hinter dem ein Dutzend Schafe graste. Die Tiere witterten den Apachen, den fremden Geruch. Ängstlich blökten sie, drängten sich aneinander und wichen zurück. Der Krieger huschte zwischen den Stangen durch, lief geduckt weiter bis zur Ecke des Corrals und lauschte. Das dürftige Wohnhaus, aus Balken und Steinen erbaut, stand nur wenige Schritte entfernt. »Fred, was haben die Schafe bloß?« fragte eine Frau. »Vielleicht ein Luchs oder ein Puma«, erwiderte der Mann. »Ich sehe mal nach, Eileen.« Doppelwolf kletterte geschmeidig durch die Corralstangen und stand reglos neben der Tür des Hauses. Sie schwang auf, knirschte leise. Das Metall eines Gewehrlaufes blinkte in der Sonne. * Die drei Männer wirkten wild und verwegen. Alle trugen Wagenradsombreros, die ihre Gesichter in Schatten tauchten. Pechschwarze Schnauzbärte verdeckten die Oberlippen. Die Patronen in den über der Brust gekreuzten Gurten blinkten in der Sonne gelblich auf. Wachsam wandten die Mexikaner immer wieder die Köpfe. Ihr Trail war gefährlich. Sie ritten durch Apachenland. Und nur die harten Goldpesos, die ihnen am Ziel winkten, hatte die Bandoleros überhaupt 57
aufbrechen lassen. Nun befanden sie sich auf dem Rückweg. Wichtige Nachrichten trugen die drei Männer nach Mexiko. Hatten sie die Mule Pass Mountains erst überwunden, durften sie sich in Sicherheit wähnen. Obwohl überall Apachen umherstreiften, waren Kämpfe unmittelbar an der Grenze selten. Und auf der anderen Seite, in der mexikanischen Provinz Sonora, warteten Männer auf die drei Kundschafter. Benito Pablo Juárez versteckte sich mit seiner Armee im Bergland von Sonora. Die französischen Hilfstruppen und Kaiser Maximilian hatten den rechtmäßigen Präsidenten vertrieben. Juárez benötigte dringend moderne Waffen und Munition. Seine Melder hatten die drei Bandoleros ausfindig gemacht und sie auf den heißen Trail in die Staaten geschickt. Dort sollten die Burschen erkunden, ob die Americanos gegen harte Pesos oder Gold oder Silber Waffen und Patronen verkaufen würden. Die Bandoleros hatten einen Mann gefunden, der liefern wollte. Und nun spukte in den Köpfen der drei Mexikaner ein Plan herum. Sie würden sich in die ganze Geschichte einschalten, die Transporte durchführen und eine Menge Pesos machen. »Enrico, warte«, sagte einer der drei Männer. Der vorderste Reiter zügelte sein Pferd, einen braunen Wallach. »Hörst du nichts?« fragte der zweite. »Manolos Ohren sind besser als die eines Luchses«, sagte der letzte Mann. »Halt's Maul, Pedro«, erwiderte Manolo. »Da, jemand ruft um Hilfe, hört sich nach einer Frauenstimme an.« Die rauhen Kerle tasteten nach ihren Waffen. »Eine Falle«, stieß Enrico hervor, »die roten Teufel haben jemanden gefangen und liegen nun auf der Lauer. Sobald wir uns sehen lassen, reißen sie uns in Stücke.« Manolo zupfte am Zügel. Die Fuchsstute ging an, änderte die 58
Richtung und marschierte über ein schmales Felsband bergauf. »Er ist verrückt geworden«, sagte Pedro zu seinem Freund Enrico. »Wir sehen ihn niemals wieder.« »Nicht nur das«, erwiderte der andere, »er hetzt uns auch noch die Apachen auf den Hals. Los, hinterher.« »Der zweite Verrückte«, sagte Pedro fassungslos, doch er folgte seinem Freund auf den schmalen Felsenweg. Das Rufen war deutlicher geworden. Sie konnten nicht mehr weit entfernt sein. Manolo sprang aus dem Sattel, nahm den Sombrero ab und lief zur Steilkante. Der große Schatten des Hutes hätte den Mann vielleicht verraten, wenn er über den Abhang spähte. Manolo zuckte zurück. Seine Freunde liefen heran, setzten ihre Schritte vorsichtig, um das Geklingel der großen Radsporen zu vermeiden. »Was ist? Was hast du gesehen?« »Eine Frau, eine blonde Americana«, erwiderte Manolo. »Sie ist an einen Felszacken gefesselt. Ein ungesatteltes Pferd steht in ihrer Nähe. Keine Ausrüstung, Amigos.« Einrico fluchte halblaut und sagte schließlich: »Eine Falle, wie ich schon sagte. Irgendwo lauern die roten Hunde, um die Idioten abzuschlachten, die sich in den Kopf setzen, dieses Weib zu befreien.« Manolo schob sich erneut zur Kante vor und blickte lange hinab. Enrico glitt neben ihn, musterte das felsige Land, die unzähligen Spalten und Einschnitte und raunte: »Da können sich hundert Apachen verbergen. Wir sterben, wenn wir runtergehen. Sei vernünftig, Manolo. Laß die blonde Pute doch. Außerdem: was willst du mit ihr anfangen?« Manolos Lächeln wurde böse und gemein. »Kannst du dir das nicht vorstellen?« fragte er. »Wir behandeln sie freundlich und höflich, bringen sie nach Mexiko. Bei Elvira wird sie schon ihre Arbeit lernen. Und wir, 59
Compadres, wir brauchen nichts zu bezahlen.« Verblüfft starrten die beiden Gefährten den dritten Mann an. Beinahe hätten sie ihm auf die Schulter geklopft und laut ihre Zustimmung hinausgebrüllt. Denn das war ja eine tolle Idee. Diese blonde Americana zu Elvira in das Freudenhaus zu bringen, das die Mexikanerin in Del Rio betrieb. »Ich glaube auch nicht, daß eine Menge Aachen in der Nähe lauern«, fuhr Manolo fort. »Ich habe einfach ein gutes Gefühl bei der Sache. Ihr wißt doch, daß ich die Apachen wittere wie ein guter Jagdhund.« Das stimmte genau, und so ließen sich Enrico und Pedro überreden. »Wie gelangen wir zu der Frau?« fragte Pedro. »Mit den Reatas«, raunte Manolo, »holt sie. Ihr laßt mich runter. Haltet nur fest. Sobald ich unten bin, nehmt ihr die Revolver, falls sich doch noch Apachen sehen lassen.« Nach wenigen Minuten waren die Wurfseile zusammengeknotet. Manolo streifte sich die Schlinge über und setzte sich auf die Kante des Abgrundes. Langsam ließen ihn seine Freunde in die Tiefe hinab. »Locker lassen«, sagte Enrico. Manolo streifte sich die Schlinge ab, trat mit zwei Schritten an die gefesselte Frau heran und durchschnitt die Riemen mit seinem Dolch. Haltlos fiel Myriam nach vorn. »Was ist geschehen?« fragte der Mexikaner leise in ausgezeichnetem Englisch. »Ein Apache, er hat mich entführt«, murmelte die schöne Frau undeutlich. Ihre Zunge war geschwollen, lag wie ein fremder Klumpen im Mund und hinderte sie, deutlicher zu reden. »Nur einer?« »Ja, ein Krieger«, flüsterte Myriam. »Nichts wie weg«, sagte Manolo und streifte der Blonden die Schlinge über. Myriam nahm gar nicht richtig wahr, daß der 60
Mexikaner sich ziemlich lange damit beschäftigte, das Seil zurechtzurücken und dabei gierig ihren Busen betastete. Sie war froh, dieser Höllenhitze zu entkommen, vielleicht sogar Wasser zu erhalten. Myriam schwebte nach oben, fühlte sich von kräftigen Fäusten gepackt und zu Boden gelegt. Die Schlinge fiel wieder hinab, und kaum eine Minute später schwang sich Manolo über die Kante. Grinsend deutete er auf die Blonde und fragte seine Gefährten: »Na, was sagt ihr dazu Amigos?« Enrico schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen vor Entzücken. So ein Klasseweib konnte einem Mann schon die Stunden versüßen. Und Elvira würde diese Americana schon gefügig machen. Darin war die Mexikanerin unerreicht. »Also, verschwinden wir«, sagte Pedro. »Je schneller wir reiten, desto eher erreichen wir Sicherheit.« Manolo kratzte sich in den fettigen Haaren, die ihm bis auf die Schultern hingen und murmelte einen Fluch. »Was ist los?« fragte Enrico. »Laßt mich noch mal runter«, erwiderte der andere. »Ich habe was vergessen.« »Jetzt ist er wirklich übergeschnappt«, erklärte Pedro nachdrücklich. »Nein, diese Señorita wurde von einem einzigen Apachen entführt«, erwiderte Manolo. »Wir besitzen nur drei Pferde, kommen also mit doppelter Last auf einem Gaul nicht schnell genug voran. Der Indianer hat jetzt zwei Tiere, wird uns einholen, kapiert?« »Du willst den Gaul doch nicht erschießen?« fragte Pedro entsetzt. Manolo zog seinen Dolch aus dem Gürtel und antwortete: »Ich bin lange nicht so verrückt, wie du denkst, Amigo.« Sie ließen ihren Freund also noch einmal hinab. Manolo huschte zu dem Pferd, das mit hängendem Kopf dastand. Ein 61
blitzschneller Hieb mit der Messerklinge genügte. Die Schlagader war durchtrennt. Mit einem fast menschlichen Seufzen brach das Tier einige Sekunden später zusammen. Der Mexikaner rannte zum Seil zurück und ließ sich hochziehen. Die blonde Frau hatte sich aufgesetzt. Pedro wickelte die Reatas auf, und Enrico gab der Americana die Wasserflasche. »Langsam trinken«, riet der Mexikaner, »immer nur ein paar Tropfen und erst den Mund anfeuchten.« Myriam befolgte diesen Rat und spürte schon nach ein paar Sekunden, daß es ihr besserging. Sie musterte die Mexikaner genauer und vermochte ein unbehagliches Gefühl nicht zu unterdrücken. Sicher, viele Männer liefen so gekleidet herum. Die Reiter der Wildnis trugen fast alle gekreuzte Patronengurte und hielten ihre Waffen tadellos in Ordnung. Aber die Augen, der Ausdruck der Gesichter gefiel Myriam nicht. Sie spürte, daß die drei Mexikaner auf der anderen Seite des Zaunes standen. Sie gehörten zu den Nachtfalken, den Langreitern, die für harte Pesos oder Dollars jeden Job annahmen und ausführten. »Danke, Señores«, sagte Myriam nach ein paar Minuten. »Sie haben mich gerettet. Dieser Krieger sieht mich als Beute an. Wohin reiten Sie? Können Sie mich in Sicherheit bringen?« Manolo grinste breit und antwortete: »Señorita, für eine schöne Frau lassen wir alle Geschäfte fahren. Wir bringen Sie über die Grenze nach Mexiko. Ich habe in Del Rio eine Schwester. Dort können Sie sich erholen und überlegen, was Sie unternehmen werden.« Myriam nickte. Es war gleichgültig, in welche Richtung sie ging. Wenn dieser Weg nur weit genug von Doppelwolf wegführte. »Wir wechseln uns ab, jeder nimmt sie ein Stück weit aufs Pferd«, schlug Enrico vor und fuhr sich mit der Zunge über die 62
Lippen, denn seine Gedanken beschäftigten sich mit den Rundungen dieser Frau. Myriam gelangte auf die Beine. Sie spürte noch immer Schwäche, Mattigkeit und Hunger. Unsicher ging sie auf eines der Tiere zu, einen kräftigen braunen Wallach. Sie schaffte es nicht, allein in den Sattel zu steigen. Enrico half und achtete darauf, während des Hinaufhebens möglichst viel vom Körper der Americana zu betasten. Seine Kumpane sahen neidisch zu, trösteten sich jedoch mit dem Gedanken daran, daß die Blonde nach einigen Meilen das Pferd wechseln mußte. Myriam selbst schloß die Augen. Es war sinnlos, sich gegen die gierigen Hände zu wehren. Diese Kerle würden sie eiskalt in der Felsenwildnis zurücklassen. Sollten sie doch an ihr herumtasten. Schlimmer als Doppelwolfs Absichten konnte dies auch nicht sein. Sie ahnte nicht, welches Schicksal die drei Banditen ihr bereiten wollten. Vielleicht wäre sie zu Doppelwolf zurückgekehrt. Die Hufeisen klirrten über das Gestein, als die drei Halunken zu ihrem alten Trail zurückritten, der durch die Berge nach Süden führte, zur Grenze, hinter der schon mehr als ein Mensch spurlos verschwunden war. * Doppelwolf packte blitzschnell zu. Der Weiße schrie überrascht auf, ließ die Waffe fallen und brüllte: »Indianer!« Er versuchte zurückzuspringen, in die Sicherheit der Hütte zu gelangen, aber Doppelwolf warf ihm das Gewehr zwischen die Beine. Der Mann stolperte, fiel hin, und mit einem pantherartigen Sprung setzte der Krieger über den Weißen hinweg. Eine Frau warf sich über eine Holzkiste. Ein Kind schrie 63
erschrocken und wimmerte, als es die Last der Mutter spürte, zu wenig Luft bekam. Der hünenhafte Apache stand mitten in dem einfach möblierten Raum. In der linken Hand hielt er das Messer, dessen Klinge im Sonnenlicht aufblinkte, das durch ein winziges Fenster drang. Die Rechte umklammerte einen erbeuteten Revolver. Hinter Doppelwolf scharrten Stiefel über den Boden. Der Krieger federte zur Seite, richtete die Mündung auf den Weißen, der sich aufrichtete und auf die Winchester blickte, die zwei Armlängen entfernt lag. »Ich brauche einen Sattel«, sagte Doppelwolf kehlig. »Sattel, Wasser und Nahrung der Weißen.« Die Frau wimmerte fast im gleichen Tonfall wie ihr Kind. Sie hörte gar nicht, was der Eindringling sagte. Ihr Mann blickte den Krieger mißtrauisch an. »Wenn du alles hast, tötest du uns«, sagte der Farmer rauh. »Also bring uns lieber gleich um und suche deinen Kram selbst.« Doppelwolf zeigte grinsend seine starken weißen Zähne und lachte rollend. »Nicht töten«, erwiderte er, »der Geist hat es verboten. Bring mir einen Sattel. Die Squaw und das Kind bleiben bei mir.« »Eileen, hörst du?« rief der Mann drängend. Das Wimmern der Frau erstarb. Sie hob den Kopf. Angst flackerte in den hellen Augen, Todesangst verzerrte ihr Gesicht. Doppelwolf glitt lautlos über die Bodenbretter, die sonst bei jedem Schritt knarrten. Wie fasziniert blickten die Weißen auf die geschmeidigen Bewegungen des Apachen, der zum gemauerten Kochherd ging und mit dem Messer den Deckel von einem Topf stieß. Doppelwolf verzog das Gesicht bei dem Geruch, der aus dem Kessel aufstieg. Dies war keine Nahrung, wie er sie kannte. Er 64
würde sämtliches Essen der Weißen gegen ein Stück Maultierfleisch eintauschen. »Was ist das?« fragte er. »Ein Stew, mit Hammelfleisch«, erwiderte der Farmer. »Überlebt ein Weißer, wenn er davon ißt?« wollte Doppelwolf wissen. Für eine Sekunde erschien ein Grinsen auf dem Gesicht des Farmers, und er sagte: »Er fühlt sich sogar dabei wohl.« »Gut, den Sattel und Wasser«, forderte der Krieger, »schnell.« »Geh, Fred, hol ihm, was er will«, flüsterte die Frau, die sich langsam aufrichtete. »Vielleicht bleiben wir am Leben, wenn du ihm etwas gibst. Ich weiß es nicht.« Der Mann atmete schwer und stapfte zur Tür. Er blieb stehen, wandte den Kopf und erwiderte: »Vielleicht warten aber auch draußen die Kumpane des Kerls und wollen mich in Stücke schießen.« Trotz seiner Furcht verließ der Farmer das einfache Haus und marschierte zum Stall hinüber. Es dauerte nicht lange, bis er mit einem Sattel in der Türöffnung stand. »Ich hole die Wasserflasche und fülle sie am Bach«, sagte der Weiße und ging abermals davon. »Was willst du noch?« fragte die Frau mit bebender Stimme. »Nichts, Squaw«, erwiderte Doppelwolf. »Ich brauche die Dinge der Bleichgesichter nicht.« »Wem willst du dann den Sattel geben und das Essen?« fragte die Farmersfrau erstaunt. Der Apache steckte den Colt in den Bund seiner Hose und klemmte sich das Messer zwischen die Zähne. Er bückte sich, nahm die Winchester auf und beobachtete die Squaw, deren Augen sich weiteten. In rasender Schnelligkeit betätigte Doppelwolf den Unterhebel und schnellte Patrone um Patrone aus dem Röhrenmagazin. Die Messingzylinder schob er mit dem Fuß 65
zusammen und scharrte sie unter das einfache Bett, das in einer Ecke des Raumes stand. »Wo ist der Revolver deines Mannes?« fragte er. »Neben der Tür«, erwiderte die Farmersfrau gepreßt. Der Apache entlud auch den Colt. Diese Patronen warf er zu den übrigen, ehe er den Gurt vom Haken nahm und sich um den Hals hing. Ein paar Sekunden überlegte Doppelwolf. Ja, er hatte alles beachtet, was ihm gefährlich werden konnte. Er glitt zum Herd, prüfte die Temperatur des Kessels und stellte fest, daß er kalt genug war. »Nimm dein Kind«, sagte er zur Frau, die abwehrend die Hände ausstreckte. »Nein!« schrie sie. »Warum willst du uns töten? Wir haben dir nichts getan, nie Streit mit einem Indianer gehabt.« »Geh zu den Schafen«, befahl Doppelwolf grinsend. »Dort gehört ihr Bleichgesichter hin.« Die Frau preßte das kleine Kind an sich, als sie unsicher hinausging und auf den Pferch zumarschierte. »He, was ist denn jetzt?« schrie ihr Mann, der vom Bach herbeigerannt kam und eine Wasserflasche schwang. »Leg die Flasche neben den Sattel«, verlangte der Apache. »Und dann gehst du auch zu den Schafen. Ich brauche hundert Schritte Vorsprung.« Der Farmer begriff, als er den Revolvergurt um den Hals des Indianers sah. Hundert Schritte genügten dem Apachen. In dieser Entfernung vermochte er sicherlich jeder Kugel auszuweichen. Und der Weiße mußte erst die Patronen suchen und das Gewehr laden. Widerwillig gab Fred innerlich zu, daß sich der Indianer einen guten Plan zurechtgebastelt hatte. Sämtliche Vorteile waren auf seiner Seite. Der Farmer legte die Canteen ab und lief hinter seiner Frau her, die sich in die hinterste Ecke des Schafpferches 66
zurückgezogen hatte. Doppelwolf löste den Gurt, hing sich die Wasserflasche um und darüber das Revolverleder. Anschließend wuchtete er sich den Sattel auf die Schultern, steckte das Messer in den Gürtel und zog den eigenen Revolver. Vom Herd holte der hünenhafte Kämpfer den Topf und trat danach wieder ins Freie. Er lief los, als spüre er die Last überhaupt nicht. Instinktiv wußte er, wann er die sichere Entfernung erreicht hatte und wandte sich um. Die Weißen standen noch immer innerhalb des Gatters und starrten ihm nach. Sie machten keine Anstalten, ins Haus zu laufen und das Gewehr zu holen, um hinter dem Apachen herzufeuern. Doppelwolf setzte den Topf ab, nahm den Coltgurt vom Hals und ließ ihn fallen. Er wußte selbst nicht, warum er so handelte. Nur noch wenige Schritte, und er stand vor seinem gescheckten Mustang. Doppelwolf stieg auf, legte den Sattel auf die Oberschenkel, packte die Graszügel und schnalzte mit der Zunge. Willig marschierte der Pinto los. In wenigen Minuten gelangte der ehemalige Mexikaner zu seiner Beute, zur Squaw mit dem Goldhaar. Sie würde essen, trinken und im Sattel weiterreiten. Irgendwann erreichten sie das Land der Gelbhäutigen, wie Doppelwolf seine eigentlichen Rassegenossen noch immer nannte. Dort mußte er sich das Haar abschneiden, um nicht wie ein Apache zu wirken. Für Sekunden schwindelte dem jungen Kämpfer. Denn plötzlich tauchten all die Dinge in ihm auf, die er noch lernen mußte. Und seine indianische Erziehung lehnte sich mit aller Kraft dagegen auf. Noch eine Biegung. Tief sog der muskulöse Krieger die Luft in seine Lungen. Der fremdartige Geruch des Essens störte ihn beim Prüfen des Duftes, den er zu wittern glaubte. Es roch nach Blut! Doppelwolf hieb seinem Pony die Hacken in die Flanken. 67
Das Tier streckte sich, wurde schneller, erreichte die Biegung, trabte weiter und blieb jäh stehen, als Doppelwolf einen lauten Schrei ausstieß. Blitzschnell verwandelte sich der junge Mann wieder in einen Apachen. Er ließ die fremden Gegenstände fallen, riß sich die Canteen vom Hals und warf sie weit weg. Mit einem Sprung gelangte Doppelwolf zu Boden. Witternd wie ein Hund, weit vorgebeugt, suchte er nach Spuren. Das tote Pferd war noch warm. Die rohledernen Riemen lagen zerschnitten unter der Felszacke, an die der Krieger seine goldhaarige Beute angebunden gehabt hatte. Kratzer auf dem Gestein der Wand erregten Doppelwolfs Aufmerksamkeit. Er schwang sich auf seinen Mustang und trieb das Tier an. In scharfem Trab legte es ein Stück Felsenweg zurück, bis sein Reiter einen Pfad entdeckte, der steil in die Höhe führte. Ohne Zögern lenkte der Mann sein Pferd auf das schmale Felsband. Als er die Oberkante erreichte, sah er sich um. Langsam näherte er sich der Stelle, an der die Pferde der Diebe gestanden hatten. Deutlich erkannte Doppelwolf, daß es sich um drei Reiter handelte, deren Tiere alle nach Art der Weißen Hufeisen trugen. Zorn und Haß brachen in dem jungen Mann auf. Er fühlte ein Glühen in sich, das er kaum zu beherrschen vermochte. Weiße oder Gelbhäutige hatten ihm die Squaw mit dem Goldhaar gestohlen. Zum erstenmal war es Cochise gewesen, der die Squaws befreite. Und nun, nachdem sich Doppelwolf seine Beute zurückerobert hatte, stahlen ihm Menschen einer anderen Rasse die weiße Frau. Der Krieger hob beide Arme zur Mittagssonne empor und rief in der Sprache der Mimbrenjos: »Usen, Großer Geist unseres Volkes, wenn du mit deinem Kind bist, so helfe mir. Gib mir Kraft, laß den Haß nicht versiegen, bis ich die Männer gefunden und getötet habe. Wenn du mich als dein Kind siehst, 68
so hilf mir. Ich kehre zum Stamm zurück und werde bis an das Ende meiner Zeit wie ein Krieger unter den anderen leben.« Ein Wind fauchte auf, wurde stärker und wehte heiße, glühende Luft von der Wüste in die Berge. Doppelwolf nahm dies als ein Zeichen des Großen Geistes. Obwohl dieser peitschende Sturm, der die Sandkörner in gefährlich scharfe, winzige Messer verwandelte, die Spuren der Flüchtenden verwischte, fühlte sich Doppelwolf zufrieden. Er spürte seinen Haß mächtig aufflammen und schrie Worte in den Sturm, deren Sinn nicht einmal er selbst begriff. Doppelwolf wußte, daß er die blonde Squaw abermals finden würde. Denn er vermochte sich kein Leben ohne sie mehr vorzustellen. Und er war fest entschlossen, mit ihr zu den Mimbrenjos zurückzukehren. Nun kannte er seinen Platz. Das Blut der Gelbhäutigen in seinen Adern war schwach. In Zeiten der Not überwog die Erziehung der Apachen. Minuten später trieb der Mann seinen Mustang an. Er folgte der Fährte der gelbhäutigen Banditen, würde sie stellen und töten. Und ihre Skalps würden sein Jacale zieren, das er mit der blonden Frau teilen wollte. * Cochise überließ Haggerty das Verfolgen der Fährten. Der Chief sah weder einmal, daß sein Freund Falke ein hervorragender Scout war. Die wenigsten Weißen besaßen die Fähigkeit, auf solch kargem Boden eine Spur zu erkennen und zu deuten. »Er reitet auf dein Gebiet zu, auf die Dragoon Mountains«, sagte John erstaunt zu Cochise. »Weiß er nicht, daß die Chiricahuas ihn jagen wollen?« Der Chief lächelte und erwiderte: »Falke, er will uns täuschen. Irgendwo biegt er nach Süden ab. Ich glaube, daß er in die Heimat seines Vaters möchte.« 69
Stunde um Stunde folgten der Apachenhäuptling und der Chiefscout der Fährte des Rebellen. Mitten in der Mule Mountains zügelte John Haggerty sein Pferd und blickte sich um. Ein halbes Dutzend Wege zweigten ab. Doppelwolf konnte jede Richtung eingeschlagen haben. John hielt Ausschau nach Kratzern im Felsen, die von den Eisen des beschlagenen Wagenpferdes stammten. Er fand nichts, keinen einzigen Hinweis auf die Richtung, die der Flüchtende eingeschlagen hatte. »Aus«, sagte Haggerty bitter. »Wir haben ihn verloren. Dieser Doppelwolf ist schlauer als zwei Wölfe, schlauer als ein ganzes Rudel, mein Freund.« Der Häuptling lächelte und ritt an Falke vorbei. »Diese Richtung«, sagte Cochise nach einigen Sekunden bestimmt und deutete auf den Trail, der südlich verlief. »Woher weißt du das?« rief John verblüfft. »Wo entdeckst du eine Spur?« »Deine Augen sind gut, mein Freund«, erwiderte der Häuptling. »Aber dein Kopf arbeitet nicht richtig. Sag, wie oft ist die gelbhaarige Squaw vom Pferd gefallen?« »Achtmal, denke ich«, erwiderte Haggerty ohne Zögern. »Zehnmal«, korrigierte der Jefe, »einmal hast du die Anzeichen übersehen. Und das zehnte Mal fiel sie hier. Ich meine, sie ließ sich absichtlich fallen. Sie ist klug, diese Frau mit dem Goldhaar. Sie weiß, daß ein Mustang auf dem Felsen kaum Spuren hinterläßt. Darum brachte sie ein Zeichen an, welchen Weg Doppelwolf einschlug.« Ungläubig starrte John seinen indianischen Freund an und schwang sich aus dem Sattel. Langsam, Schritt für Schritt ging der Scout weiter, suchte jeden Quadratfuß mit seinen Blicken ab, entdeckte jedoch nichts. »Stell dich so, daß die Sonne auf die Felsen scheint«, forderte Cochise seinen weißen Bruder auf. 70
Haggerty schüttelte den Kopf, nahm aber die gleiche Position ein, wie vorhin der Jefe und bemerkte plötzlich ein goldschimmerndes Aufblinken in der Sonne. »Bei allen tausend Teufeln der Hölle«, murmelte Haggerty. »Das gibt's doch gar nicht!« Er ging langsam weiter, behielt den goldenen Strich im Auge und beugte sich weit hinab. Ja, auf dem Grau der Felswand schillerte ein Streifen, der eindeutig aus abgeriebenem Gold bestand. »Cochise«, sagte John, nachdem er sich aufgerichtet hatte, »du bist nicht zu schlagen. Verrate mir, wie du dieses Zeichen gefunden hast. Ich begreife das nicht.« Cochise lachte leise und hielt alle Finger gespreizt hoch. »Zehnmal, Falke«, erwiderte der Apache, »fiel die goldhaarige Squaw vom Pferd. Das gab mir zu denken. Ist sie nicht auf ungesattelten Tieren bis nach Tombstone geritten, nachdem Naiche und ich sie befreiten? Wieso vermochte sie nach einem Tag in der Stadt nicht mehr ohne Sattel zu reiten? Das fragte ich mich. Und in meinem Kopf hörte ich wieder die Worte der Frau. Sie sprach davon, daß sie etwas gelernt habe, daß sie nun wüßte, daß nicht alle Menschen schlecht wären, nur weil sie Apachen sind.« Oder Weiße, fügte Haggerty in Gedanken hinzu. »Sie ist eine kluge Squaw, Falke«, fuhr Cochise fort. »Sie ahnte, daß Doppelwolf dann die Richtung ändern würde, wenn keine Spuren zu sehen waren. Darum ließ sie sich immer aus dem Sattel fallen.« Haggerty schüttelte den Kopf. Gut, bis hierher vermochte er den etwas verworrenen Gedanken des Häuptlings zu folgen. Aber was Myriams Klugheit mit dem goldenen Streifen am Gestein zu schaffen hatte, brachte John einfach nicht zusammen. »Dein Kopf arbeitet nicht richtig, Falke«, wiederholte der Häuptling der Chiricahuas. »Ich dachte an die Uhr aus Gold, 71
die verschwunden war. Der junge Kämpfer erzählte davon. Dieses Zeichen ist Gold, das weiche Sonnenmetall. Denkst du jetzt?« Haggerty nannte sich innerlich einen vollkommenen Narren. Da lagen alle Fakten und Beweise vor ihm. Und er schaffte es einfach nicht, sie miteinander zu verknüpfen. Ein Naturmensch, ein Mann der Wildnis dachte weiter als der sogenannte zivilisierte Weiße, der die Zusammenhänge nicht erkannte. »Ich gebrauchte meinen Kopf nicht richtig«, gab der Scout zu. »Reiten wir weiter?« Statt einer Antwort trieb der Häuptling seinen Mustang an. Lange Zeit später, die Sonne neigte sich schon dem westlichen Horizont entgegen, verhielt der Führer der Chiricahuas abermals sein Tier. Prüfend sah sich Cochise um. »Wir nähern uns einem Ort, der nach Blut riecht«, verkündete der große Apache. »Ich rieche das getrocknete Blut, das tote Fleisch eines Tieres.« »Oder das eines Menschen«, erwiderte John unruhig. Cochise schüttelte nach Art der Weißen den Kopf und entgegnete lächelnd: »Nein, ein toter Mensch riecht anders. Und ein toter Apache wiederum anders als ein lebloses Bleichgesicht. Eine Squaw anders als ein Mann. Ein Tier starb vor Stunden in diesem Gebiet. Wir sehen nach, Falke.« Haggerty gab auf. Er war dem Häuptling nicht gewachsen. Cochise übertraf Johns Fähigkeiten als Spurenleser um ein Vielfaches. Erst als sie bereits ziemlich nahe am Pferdekadaver angelangt waren, roch auch Haggerty den Tod. Nach einiger Zeit fanden sie einen Kochtopf, der auf der Seite lag. Ein Stew war zum Teil herausgelaufen. »Hier, ein Coltgurt ohne Waffe«, rief Haggerty. »Und dort liegt ein Sattel, wie ihn die Blaßhäutigen benutzen«, erwiderte Cochise. »Doppelwolf war hier. Was 72
suchte er?« John fand die Wasserflasche und benutzte diesmal sein Gehirn. »Er holte Essen, Wasser und einen Sattel«, sagte der Scout langsam. »Den Waffengurt nahm er wegen der Patronen mit. Niemand sollte hinter ihm herschießen. Das bedeutet, daß die Menschen noch leben, die er ausplünderte. Jefe, weißt du, was ich glaube? Daß Myriam am Ende war, daß sie einen Sattel brauchte, um weiterreiten zu können. Daß sie Nahrung und Wasser benötigte, denn sie ist eine Weiße und keine Apachensquaw.« Cochise suchte weiter und entdeckte die zerschnittenen Riemen unter der herausragenden Felszacke. Ihm entgingen weder die Kratzer an der Steilwand noch die kaum sichtbaren Fährten eines unbeschlagenen Pferdes, wie es die Apachen ritten. »Suchen wir die Weißen, denen Doppelwolf die Dinge abnahm«, sagte John. »Velleicht können die uns einen Hinweis geben.« Gelassen sah der Chief zu, wie sein weißer Bruder die fremden Dinge aufsammelte und seinem Pferd aufpackte. Nebeneinander ritten sie in die Richtung, die Cochise wies und entdeckten bald schon die Farm, die wie ausgestorben unter ihnen lag. Nach langer Zeit blökten ein paar Schafe. Kein Mensch ließ sich blicken. »Wir reiten offen auf das Haus zu«, entschied Haggerty. Cochise hatte Bedenken, schwieg jedoch. Wenn die Menschen durch Doppelwolf erschreckt worden waren, würden sie sofort feuern, sobald sie einen Indianer sahen. Bis auf vier Pferdelängen kamen die beiden Freunde an das kleine Farmhaus heran. Plötzlich flog die Tür auf. Aus dem Halbdunkel des Raumes blühten orangerote Feuerblumen auf. Eine Winchester 73
hämmerte ihr tödliches Lied. Das Blei schwirrte dicht an Cochise und John vorbei. Haggerty duckte sich hinter dem Hals seines Tieres. Als er dreizehn Schüsse gezählt hatte, richtete er sich wieder auf. »Hallo!« brüllte der Scout, »ich bringe euch den Coltgurt zurück. Ihn und den Sattel und den Kochtopf. Wir fanden das Zeug in den Bergen. Seid ihr übergeschnappt, oder was ist mit euch los?« Es blieb lange still, zu lange, fand John. Die Zeit reichte aus, ein halbes Dutzend Winchestergewehre aufzuladen. »Wer ist dieser verdammte Indianer, Mister?« brüllte ein Mann aus dem Halbdunkel des Hauses. »Wir hatten heute schon mal Besuch. Und er benahm sich mächtig schlecht, dieser rote Kerl. Er könnte glatt ein Sohn von dem Roten neben dir sein.« »Doppelwolf«, sagte Cochise leise. »Er ist groß und kräftig, wie Naiche und ich es sind.« »Mann, ich bin John Haggerty, der Chiefscout der Army im Südwesten«, rief der Falke. »Neben mir sitzt Cochise, der Chief aller Apachen auf seinem Mustang. Wir sind hinter einem Rebellen der Mimbrenjos her. Er hat eine weiße Frau aus Tombstone entführt. Wir brauchen ein paar Auskünfte.« Wieder blieb es lange Zeit still. John schien es, als beriete sich der Farmer mit anderen. Endlich kam die Antwort. »Okay, kommt näher, aber versucht keine Tricks. Ich schieße ohne Warnung. Der Besuch von heute mittag hat uns gereicht.« »Schon gut, Mann, du hast nichts zu befürchten«, erwiderte Haggerty und preßte seinem Pferd die Absätze in die Seiten. Langsam marschierte das Tier auf die Farm zu. Die Schafe drängten sich in die Ecke ihres Pferches. Sie schienen gewarnt zu sein. Vielleicht erinnerten sich die Wollbiester noch an den Geruch des anderen Indianers. »Er hat Angst, Bruder«, murmelte Cochise, der sein Pferd 74
dicht neben Johns Tier trieb. »Ein Mann voller Angst handelt oft unbesonnen. Vergiß das nicht bei deinen Worten.« John nickte und saß ab. Er wuchtete den Sattel herunter und legte ihn neben die Tür. Kochtopf und Gurt warf er ins Innere des Hauses. »Zufrieden, Mister?« fragte der Scout gedehnt. »Leg endlich die Kanone weg und rede vernünftig mit uns. Der Mann, der sich um das Zeug erleichterte, heißt Doppelwolf. Er ist ein Mimbrenjo, der dem Gesetz der Apachen verfiel.« In groben Zügen und einfachen Worten erzählte der Scout, was in den letzten Tagen um Tombstone geschehen war. Bevor der Farmer antworten konnte, klang erneut Hufschlag auf. »Erwartest du Besuch?« fragte Haggerty scharf. »Nein, aber ihr sicherlich«, lautete die Antwort. »Sei doch nicht so ein Narr!« fuhr John auf. »Dreh mir jetzt nicht durch. Wir verschwinden, decken das Haus von den Seiten, klar?« »Ich wünsche bei Gott, daß du ehrlich bist«, erwiderte der Farmer mit sorgenvoller Stimme. »Verlaß dich drauf, Mann«, sagte Haggerty. »Cochise und ich kämpfen für den Frieden in diesem Land, nicht für Krieg und Tod.« * Myriam saß vor Manolo auf der Fuchsstute. Allmählich kehrte die Kraft in den Körper der jungen Frau zurück. Trotz der Unbequemlichkeit ruhte sie sich aus. Und mit jeder Minute wuchs der Widerwille gegen die tastenden Hände des Mexikaners. Er überließ es seinem Pferd, sich den richtigen Weg zu suchen, beschäftigte sich nur mit der schönen Frau. »Hören Sie, Amigo«, sagte Myriam plötzlich kalt und hart. »Sie haben mich gerettet. Gut, ich schulde Ihnen Dankbarkeit. 75
Aber mein Leben und mein Körper gehören immer noch mir. Verstehen Sie mich?« Manolo lachte rauh und schloß seine Hände um Myriams Rundungen. Eine Sekunde später zischte er einen ellenlangen spanischen Fluch. Denn das verdammte Weib hatte ihm in die Hand gebissen. Blut tropfte auf Myriams Bluse, und die Kumpane des Banditen lachten grölend. »Das wird dir noch vergehen, du verfluchtes Weibsstück«, brüllte Manolo. »Wenn wir erst in Mexiko sind, bleibt dir keine andere Wahl mehr.« Myriam saß stocksteif auf dem Pferd. Sie spürte einen Schauer der Furcht über ihren Rücken kriechen. Was hatten diese Männer mit ihr vor? Sie wußte plötzlich, daß sie üblen Schurken in die Hände gefallen war. Aus einer verborgenen Quelle schöpfte die schöne Frau neue Kraft, ließ sich jedoch nichts anmerken. »Wann erreichen wir Mexiko?« wollte sie wissen. »Ich freue mich auf das Land. Und ich hoffe, daß sich dort die Männer zu benehmen wissen.« Manolo vergaß seinen Zorn und lachte belustigt auf. »Señorita«, erwiderte er, »du mußt sehr nett zu den mexikanischen Männern sein, wenn dein Leben nicht schlimm werden soll. Du hast keine Wahl.« Heiße Schrecken wallten in Myriam hoch wie eine Welle. Plötzlich wurde der dumpfe Gedanke zur Gewißheit. Diese Halunken wollten sie in irgendein Bordell verkaufen. »Wo überqueren wir die Grenze?« fragte Myriam. Sie bemühte sich, ein halbwegs normales Gespräch in Gang zu bringen. »Irgendwo, Señorita«, antwortete Manolo, »die Grenze ist gefährlich geworden. Überall treiben sich die Männer des Kaisers herum. Dazu kommen Juárez' Kämpfer, der seine Armee im Norden unseres Landes aufbaut.« 76
»Ihr seid Schmuggler?« wollte Myriam wissen. Manolo lachte belustigt und erklärte ihr ganz genau, daß er und seine beiden Freunde jeden Job annahmen, der ihnen nur genügend Goldpesos oder harte Dollars einbrachte. Myriam erkannte, daß ihre Befürchtungen gerechtfertigt waren. Sie kämpfte gegen die Angst an, die sie zu überwältigen drohte. »Warum seid ihr jetzt unterwegs?« fragte sie. »Welchen Auftrag habt ihr in den Staaten erledigt?« »Das geht dich nichts an«, erwiderte der Mexikaner hart. »Sei froh, daß wir dich vor dem verfluchten Apachen gerettet haben.« Myriam lachte bitter auf und rief: »Ist das denn schlimmer als das, was ihr mit mir vorhabt?« Manolo machte sich im Sattel steif. Verflucht! Woher wußte diese Pute, was er sich ausgedacht hatte? Wie konnte sie nur Lunte riechen? »Was haben wir denn mit dir vor?« fragte der Mexikaner scheinheilig. »Ihr schleppt mich in ein Freudenhaus«, erwiderte Myriam kalt. »Ich habe mehr als einmal davon gehört. Und irgendwann kommt die Zeit, da ich nicht mehr stark genug bin und nachgebe. Ihr kassiert eure Belohnung und verschwindet. Ist das eine Rettung?« Manolo stieß die Luft mit einem pfeifenden Geräusch aus seinen Lungen. Was ging im Kopf dieser blonden Americana eigentlich vor? War es denn nicht besser, sich mit richtigen Männern statt mit Wilden abzugeben? »Hör zu, in Del Rio leben viele Americanos«, sagte Manolo. »Aber du hast doch nichts gegen uns Mexikaner, oder? Mach dir keine Gedanken, Senorita, du wirst es gut haben. Und richtige Männer sind doch was anderes als so ein stinkender Apache. Das mußt du zugeben, denke ich.« Myriam unterdrückte ihr Zittern und erwiderte: »Das weiß 77
ich noch nicht. Bei den Apachen würde ich wenigstens den Schutz meines Kriegers genießen. Wer schützt mich in Del Rio?« Myriam schwankte, rutschte seitlich vom Pferd und landete schwer auf dem Boden. Mit dem Gehäuse schabte sie in wahnsinniger Hast über den Felsen. Sie mußte einfach ein Zeichen hinterlassen! Sonst war sie verloren, für immer in Mexiko gefangen. »Chica, was ist los mit dir?« fragte Manolo scheinbar erstaunt. Er wußte genau, daß die blonde Frau den Ritt verzögern wollte. Hatte sie vor, der Rothaut eine Chance zu geben? Sollte der Apache sie befreien? War es in Wirklichkeit so, daß sie bereits mit ihrem Schicksal zufrieden war? Manolo erinnerte sich an den Moment, in dem er sie befreit hatte und vergaß den vorherigen Gedanken sofort wieder. Nein, die Blonde wollte weder zu den Apachen noch in Elviras Freudenhaus in Del Rio. Sie gehörte zu jenen Frauen, die zäh und verbissen ihren eigenen Weg verfolgten, zu den Frauen, die halb wie Männer waren, wie Manolo dachte. Und vielleicht war auch Myriam ihrer Zeit und ihren Rassegefährten weit voraus. Denn noch immer galt eine Frau als ein Wesen, das zu gehorchen hatte, für Küche und Herd zuständig war. Sie sollten Kinder gebären, die Feldarbeit verrichten und mit dem zufrieden sein, was der Mann ihnen gewährte oder schenkte. Manolo sprang aus dem Sattel, packte die blonde Americana jäh unter den Achseln und riß sie hoch. Ein Metallgegenstand klapperte auf den Felsboden. Unwillkürlich blickte Manolo hin, sah das goldene Glitzern und lachte freudig, als er die Uhr entdeckte. Enrico sagte scharf: »Wir müssen weiter. Der Apache wird nicht aufgeben, Compradre. Also los, in den Sattel. Die Frau kommt zu mir.« 78
Manolo nahm mit einer schnellen Bewegung die goldene Uhr an sich. Die drei gelblichen Striche auf dem Felsboden übersah der Mexikaner. Wenig später trabten die Pferde mit klirrenden Eisen weiter südwärts. Keiner der Männer ahnte, daß Doppelwolf bereits in der Nähe war. Auch Myriam witterte nicht die Gefahr. »Wir reiten durch das Tal der Ritter«, entschied Enrico. »Dort finden wir einige verlassene Silberminen aus der Zeit der Spanier. Rückt uns dieser verdammte Schlangenfresser auf den Leib, bieten uns die Stollen Deckung. Wir können uns tagelang verteidigen.« Pedro und Manolo schwiegen. Sicher, verkriechen konnten sie sich in diesen Stollen. Ob sie in dieser Lage jedoch einem Apachenkrieger überlegen waren, mußte sich noch herausstellen. Endlich erreichten die Pferde eine V-förmige Schlucht, deren Seitenwände am Talboden kaum hundert Yard voneinander entfernt aufwuchsen. Ohne Zögern bog Enrico in den Einschnitt. Myriam saß willenlos vor dem Mexikaner auf dem Pferd. Pedro folgte seinem Kumpan, während Manolo den Schluß des kleinen Trupps bildete. Als der Halunke am Zügel rupfte, sein Tier in den Einschnitt leiten wollte, peitschte eine Winchester. Wie vom Blitz getroffen brach die Fuchsstute zusammen. Manolo fiel hart zu Boden. Das Tier war auf die linke Seite gefallen und lag auf den Satteltaschen. Mühsam kam Manolo hoch und riß die Winchester aus dem Scabbard. Abermals peitschte das Gewehr des unsichtbaren Schützen. Die Kugel pfiff dicht über die Schulter des Mexikaners und prallte von einem Felsen jaulend als Querschläger ab. Manolo verbiß sich den Schmerz, der wie ein glühendes Eisen in seinem rechten Fußknöchel wühlte. Der Halunke 79
humpelte in den Taleingang, erreichte die Deckung und ließ sich fallen, während er die erste Patrone ins Lager hebelte. Dabei dachte er grimmig daran, daß Enricos Worte vom Verkriechen in den alten Stollen der Spanierminen sehr schnell zur Tatsache geworden waren. Nun besaßen sie nur noch zwei Pferde. Zum erstenmal zweifelte Manolo daran, daß die Befreiung der blonden Americana eine gute Idee gewesen war. Notfalls lassen wir das Weibsstück eben zurück, überlegte sich der angeschlagene Mann. Der verfluchte Apache wird sich hoffentlich mit ihr zufrieden geben und uns ziehen lassen. Die Pesos von Juárez' Beauftragten waren wichtiger als eine Frau mit blonden Haaren, die Elviras Freudenhaus in Del Rio zieren sollte. Manolo wartete reglos, wie ein Apache, bildete er sich ein. Dabei war er vom Können der Wüstenkrieger noch weit entfernt, beherrschte er nicht mal ein Bruchteil ihrer Fähigkeiten. Er merkte dies, als ein Gewehr krachte und die Kugel einen grauen, bleiernen Strich auf dem Felsen dicht vor seinen Augen hinterließ. Der rote Hundesohn wußte genau, wo sein Gegner sich verbarg. Und nun spielte er mit dem Mexikaner so lange, bis sich Doppelwolf entschloß, dem Gelbhäutigen den Tod zu geben. * Haggerty hielt die Winchester schußbereit an der Schulter. Er wußte, daß Cochise ebenfalls kampfbereit war. Aus dem Farmhaus klang leises Klicken. Der Mann lud das Gewehr auf. Lauter wurde der Hufschlag. Weiße ritten dort heran, denn die Eisen klirrten über den Felsboden. Natürlich war es auch möglich, daß eine umherstreunende Apachenhorde Beute gemacht hatte und die Mustangs der Weißen in ein Versteck 80
brachte. Haggerty erkannte zwei Reiter. Die beiden Gestalten kamen ihm bekannt vor. Er kniff die Augen etwas zusammen. Nun erkannte er die Männer: Die Brüder Virgil und Wyatt Earp. Cochise erschien plötzlich neben John. Der Scout hatte nicht das geringste Geräusch vernommen, als der Jefe herangeglitten war. »Was machen wir mit den beiden Burschen?« fragte John. »Sie geben nicht auf. Wyatt will die blonde Frau zurückholen. Ich frage mich, ob er sie wirklich liebt.« Cochise lächelte sanft und murmelte in der Sprache der Chiricahuas: »Nicht so, wie du Tla-ina liebst, Falke. Wyatt Earp ist jung und heißblütig. Er wird einmal ein guter Krieger. Viele Frauen werden an seinem Weg stehen. Er sucht das Abenteuer, mein Bruder, im Kampf und bei den Squaws. Dabei muß ein Mann wissen, daß nur List und Kampf Abenteuer ist.« Haggerty ließ das Gewehr sinken und sah den Chief von der Seite her an. Tla-ina, Sanfter Wind in der Sprache der Weißen, war Cochises Schwester. John hatte eine tiefe Zuneigung zu dieser jungen Frau gefaßt. Und er wußte, daß Tla-ina seine Liebe erwiderte. Doch wie vermochten zwei Menschen verschiedener Rassen in dieser Zeit, in diesem wilden, heißen Land ihrer Liebe nachzugeben? Nicht nur die Bleichgesichter würden Haggerty verurteilen. Auch Tla-ina würde von ihrem Volk verachtet, wenn nicht gar verstoßen werden. »Du mußt warten, mein Bruder«, sagte Cochise ruhig. »Zeige die Geduld eines Apachen. Du besitzt sie. Ich weiß es.« John war, als hätte der Häuptling seine Gedanken erraten. Virgil und Wyatt Earp zügelten ihre Pferde. Ein Dutzend Längen vor dem Farmhaus blickten sich die beiden Männer mißtrauisch um. Sie schienen förmlich zu wittern, daß sie nicht allein waren. 81
John sah, daß sie die Köpfe zusammensteckten und redeten. Kein Laut drang bis zu Johns Standort. Hoffentlich spielt der Farmer nicht verrückt, dachte der Scout. Wenn er feuert, veranstalten die beiden Earps einen Zauber mit heißem Blei. »Hallo, Haus!« rief Wyatt nach ein paar Sekunden, »wir haben 'ne Frage, weiter nichts. Keine Angst, wir sind keine Banditen, arbeiten auch nicht mit den Apachen zusammen.« Nichts rührte sich im Haus. John sah, daß die Brüder Earp unbehaglich in den Sätteln hin und her rutschten. Sie fühlten sich mächtig unwohl, ahnten, daß sie beobachtet wurden und vermochten ihrerseits diese Beobachter nicht zu entdecken. »Komm, Falke«, sagte Cochise, »sie zerplatzen sonst wie eine Kröte, die vom Huf eines Mustangs getroffen wird.« Ohne das geringste Geräusch zu verursachen, traten Haggerty und der Häuptling aus ihrer Deckung heraus. Die Gewehre hielten sie in den Armbeugen. »Ich habe euch doch gesagt, daß ihr in Tombstone bleiben sollt«, sagte der Scout ruhig. Die Earps schienen plötzlich zu explodieren. Wie der Blitz sausten sie aus den Sätteln, duckten sich hinter den Pferden und zeigten die Colts. »Da siehst du es, mein Bruder«, spottete Haggerty, »dies sind die Männer, die dein Land erobern wollen. Sie fürchten sich vor einer Stimme. Was mögen sie erst empfinden, wenn sie die Wölfe heulen hören?« Wyatt Earp stapfte um sein Pferd herum und verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Bilde dir nur nicht ein, daß wir Angst vor dir haben, du nachgemachter Fährtensucher. Wir sind nur vorsichtig, weiter nichts.« Virgil trat mit trägen Schritten hinter seinem Gaul hervor. Der ältere Earp lächelte flüchtig und sagte: »Ich wette, die 82
beiden haben damit gerechnet, daß wir ihnen folgen. Jetzt wollen sie uns festnageln.« Die Tür des Farmerhauses flog auf. Der Mann hielt die Winchester im Hüftanschlag und fragte: »Mister, kennen Sie diese beiden Burschen?« »Schon gut«, erwiderte Haggerty. »Das sind Wyatt und Virgil Earp. Sie verdienen sich ihre Dollars mit den Karten. Beide halte ich für recht ordentliche Kämpfer, aber von diesem Land verstehen sie nicht die Bohne.« Wyatt plusterte sich auf wie ein Geier, den ein Kojote von der Beute vertreiben will. »Jetzt sag nur noch, daß wir deinen Befehlen nicht gehorchen, und ich lache bis zum Winter«, rief der jüngere Earp hitzig. »So ist es, Revolvermann«, erwiderte John lächelnd. »Ihr stört. Cochise und ich wissen, was wir tun, ihr nicht. Im Gegenteil, ihr stolpert durch dieses Gebiet, als sei es die Allen Street in Tombstone. Das kann tödlich enden, Earp.« Wyatt holte tief Luft. Er sah so aus, als wollte er eine Kanonade von Schimpfwörtern auf den Chiefscout loslassen, beherrschte sich jedoch im letzten Moment. Denn er dachte daran, daß Haggerty ihnen eine Menge Knüppel zwischen die Beine werfen konnte, wenn sie in den Forts die Soldaten um ihren Sold beim Kartenspiel erleichterten. »Myriam«, sagte der jüngere Earp etwas schwerfällig. »Was ist mit ihr?« Cochise erwiderte: »Sie ist in der Gewalt von drei Gelbhäutigen. Doppelwolf wird jedoch um sie kämpfen. Und das ist unsere Stunde.« »Wir reiten mit«, rief Wyatt scharf. »Zwei sichere Colts bringen vielleicht die Entscheidung, Jefe.« Der Häuptling schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, ihr seid so laut wie eine Büffelherde. Doppelwolf besitzt die Ohren 83
eines Luchses. Kommt ihr mit, ist er schon gewarnt, ehe wir ihn sehen.« Wyatt Earp wollte aufbrausen, aber sein Bruder Virgil legte ihm die Hand auf den Arm und sagte ruhig: »Cochise hat recht. Wir sind keine Männer der Wildnis. Sicher, wir schaffen es, uns an ein Haus oder ein Camp heranzuschleichen. Einen Apachen täuschen wir niemals. Es geht um das Leben deiner Freundin, Wyatt. Überlaß es Cochise und Haggerty.« Feindselig sah der jüngere Earp den Apachenchief und John an. »Ich möchte wissen, worum es eigentlich geht«, sagte der Farmer in diesem Moment. »Ich heiße Fred Rancon. Meine Frau Eileen und unser Sohn Mark sind im Haus. Noch etwas: bisher haben wir keinen Kampf mit den Apachen zu bestehen gehabt. Ich möchte nicht, daß sich das ändert. Wenn nun Weiße durch das Gebiet streifen, folgen bald die Indianer. Und unsere Skalps sitzen dann verdammt locker. Mister, es geht nicht nur um Ihre Freundin. Es geht vor allem um uns.« Wyatt sah den Mann verblüfft an und dachte sich, daß der Farmer recht hatte. »Also gut, wir bleiben hier, Mr. Rancon, wenn Sie erlauben«, sagte Wyatt. »Viel Geld besitzen wir nicht. Aber ich bin bereit, für mein Essen zu arbeiten. Sobald Cochise und Haggerty zurückkehren, reiten mein Bruder und ich nach Tombstone zurück.« John atmete auf. Er kannte den Starrsinn des jungen Revolverkämpfers und war froh, daß der Farmer eingegriffen hatte. So wild und verwegen die Earps auch waren, sie achteten das Leben und den Besitz anderer. »Kommen Sie ins Haus«, lud Fred Rancon die Männer auf dem Hof ein. »Ich würde zu gern erfahren, was es mit dem Besuch des Indianers heute mittag auf sich hatte. Er benahm sich mächtig seltsam.« Haggerty erzählte in dem einzigen Raum des Hauses, was 84
sich in den letzten Tagen zugetragen hatte. Der kleine Mark erwachte, als er die Stimme vernahm und krähte vergnügt, als Cochise ihn aus der Holzkiste hob, die mit Decken gepolstert war. Der Kleine griff nach dem Schweißband des Chiefs und spielte mit den schwarzen Haaren. Cochise lächelte Eileen an, die furchtsam zuschaute und sagte: »Auch wir lieben unsere Kinder, weiße Squaw. Kein Apache würde je sein Kind oder das eines anderen schlagen.« Eileen Rancon holte tief Luft und erwiderte gepreßt: »Und trotzdem bringt ihr alle Menschen um, die eine weiße Haut besitzen? Ihr tötet Alte, Säuglinge und Halbwüchsige. Was haben euch die Kinder getan?« »Nichts«, antwortete Cochise ernst. »Doch eines Tages sind sie erwachsen und kämpfen gegen uns. Es ist besser, sie jetzt zu töten. Sieh, weiße Frau, dies ist unser Land. Wir haben euch nicht gerufen. Und ihr und die Gelbhäutigen aus dem Süden nehmt Apachenskalps und verkauft sie nach Sonora. Dort zahlt der Gouverneur Goldpesos für jeden Skalp. Sollen wir weniger hart sein als deine Rasse? Es geht um uns als Menschen und um unser Land.« Eileen senkte den Kopf. Sie hatte davon gehört und billigte es nicht. Aber was vermochte sie schon gegen solche Grausamkeiten auszurichten? »Es ist besser, miteinander zu leben, als sich gegenseitig zu töten«, sagte sie leise. »Du sprichst weise Worte«, murmelte Cochise. »Würden alle Menschen deines Volkes so denken, trügen die Krieger und Squaws der Apachenstämme die gleichen Gedanken in ihren Herzen, bräuchte niemand mehr zu sterben.« Ein paar Minuten wirkten die schwarzen Augen des athletischen Häuptlings matt, wie in endlose Fernen gerichtet. »Ich denke«, sagte er danach bedächtig, »daß in hundert Wintern noch immer Menschen gegen Menschen kämpfen. 85
Und das aus den nichtigsten Gründen. Wir hingegen wehren uns, weiße Squaw. Ihr kommt in unser Land, nehmt die guten Wasserstellen und steckt Körner in die Erde. Die Berge, die fruchtbaren Täler und die Halbwüste schenken uns alles, was wir brauchen. Wir wollen kein Gold, kein Silber, kein brennendes Wasser. Wir wollen unser Recht, das seit ungezählten Sommern und Wintern gut für uns war. Wir sind mit unserem Leben zufrieden.« Wyatt Earp lachte halblaut und fragte: »Aber moderne Waffen wollt ihr doch von uns, wie?« »Selbstverständlich«, erwiderte der Häuptling. »Unsere Waffen sind gut, richten jedoch gegen so viel Bleichgesichter nicht genug aus. Wir müssen euch mit den Dingen bekämpfen, die ihr selbst besitzt.« Niemand sprach mehr im Farmhaus. Die Weißen starrten den hochgewachsenen Häuptling an, der so anders aussah als die meisten Apachen. »Ich hatte zwei Träume«, sagte Cochise nach einer langen Weile leise. »Der erste zeigte mir, daß es in hundert Sommern keinen Apachen mehr gab. Alle Krieger, Squaws und Kinder starben in dem Kampf gegen die Eindringlinge. Der zweite Traum ließ mich Männer meines Volkes sehen. Darum gab ich mein Wort, Frieden zu halten. Mein Volk muß leben. Es darf nicht untergehen wie schon so viele rote Kinder starben, weit im Sonnenuntergang.« Lediglich Haggerty verstand, was der Chief mit den letzten Worten ausdrückte. Der Scout interessierte sich seit jeher für die Indianer, für die gesamte rote Rasse und hatte erfahren, daß im Nordosten der Union, in jener Gegend, in der die ersten Weißen an Land gingen, bereits einige Stämme nicht mehr existierten. »Wir reiten, Falke«, sagte Cochise brüsk und stand auf. Eileen nahm den kleinen Mark entgegen, den ihr der große Häuptling behutsam reichte und verspürte Unsicherheit. Dieser 86
Mann gehörte zu den barbarischen Wilden, deren Grausamkeiten im Südwesten jedem Weißen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Und doch schien er ein Weißer zu sein, ein Mensch, der über seinen eigenen Schatten hinauszublicken vermochte. Eileen Rancon bekam plötzlich eine Ahnung davon, daß nicht alle Apachen von Natur aus böse waren. Sie lebten, handelten, wie es ihnen ihre Umgebung aufzwang, mußten jedes Wasserloch mit ihrem Blut verteidigen. Und verloren sie, so starben vielleicht die Kinder und Alten. An der Tür ließ Cochise seinem Freund Falke den Vortritt, wandte sich um und sagte eindringlich: »Ihr bleibt hier, in diesem Jacale. Ich strafe nach unserem Gesetz den Rebellen Doppelwolf. Denn mein Wort heißt Friede.« Lautlos glitt der muskulöse Häuptling ins Freie. Selbst die wilden und verwegenen Earps schwiegen beeindruckt. Auch sie hatten begriffen: Cochise tötete einen Krieger der Apachen, um sein Wort nicht zu brechen. * »Dieser verfluchte Diabolo!« brüllte Manolo, als eine Kugel seine Kopfhaut aufriß und einen Streifen Haare mitnahm. Sofort rann ihm Blut in die Augen. Der Mexikaner sah seine Umgebung nur noch wie durch einen roten Schleier. »Gebt mir Feuerschutz, ihr Narren?« gellte seine Stimme auf. »Ich muß in das Tal!« Sofort hämmerten zwei Gewehre los. Ein wahrer Bleihagel rauschte über Manolo hinweg. Keines der Geschosse schien auch nur in die Nähe des Angreifers zu gelangen, denn er feuerte langsam weiter. Der Mexikaner spürte einen harten Schlag und zog ruckartig sein linkes Bein zurück. Eine Kugel hatte den Absatz seines Reitstiefels weggerissen. 87
»Dieser verdammte Bastard!« fluchte Manolo und kämpfte gegen die Todesangst an, die in ihm aufstieg. Plötzlich schnellte er hoch, stieß sich mit aller Kraft ab und landete auf der anderen Seite des Felsbrockens, der ihm Deckung gewährte. Der Feind feuerte. Glühend heiß stieg es in Manolos Oberschenkel hoch. Er blickte hinab, die staubbedeckte Hose wies ein Loch auf, aus dem es rot herauslief. Er spielt mit mir, hämmerte es in Manolos Kopf. Er sitzt irgendwo oben, sieht den Eingang des Tales und weiß genau, wo ich liege. O Madonna, vernichte diesen elenden Heiden. Dem Mexikaner kam gar nicht zu Bewußtsein, was er dachte. Er und seine Kumpane waren auf ihre Art keinen Deut besser als der Apache Doppelwolf, der doch eigentlich zu Manolos Rasse gehörte. Enrico, Pedro und Manolo waren eiskalte Schurken, die für Geld jeden noch so dreckigen Job durchführten. Aber nun spürten sie die Angst vor dem Ende, vor dem Erlöschen des eigenen Lebens. Und die Furcht nagte an allen wie ein Tier. Manolo kroch dicht an den Stein heran, schmiegte sich an die Deckung, schien zu versuchen, in den Felsen hineinzukriechen, aber vergeblich. Er vernahm noch das Peitschen der Winchester, mehr nicht. Einen Sekundenbruchteil später sank der Bandit tot zusammen. Ein Stück weiter im Tal fluchte Pedro haltlos. Er sah Enrico an, der sich in den letzten Stunden zum Anführer der kleinen Gruppe aufgeschwungen hatte. Angst flackerte in ihren Augen, die Angst vor dem Ende. »Wir lassen die Puta laufen«, sagte Pedro gepreßt. »Der verfluchte Apache lauert dort draußen. Wenn er die Americana sieht, hat er genug mit ihr zu tun.« Enrico überlegte und schüttelte den Kopf. »Nein, Amigo, das ist zu einfach«, erwiderte er. »Der Indianer fesselt sie und rächt sich an uns. Nein, wir zeigen ihm, 88
daß wir sie töten, gibt er nicht auf. Das hält ihn vielleicht zurück.« Pedro verzog sein Gesicht zu einem gemeinen, häßlichen Grinsen. Er richtete sich auf, sprang neben Myriam und packte sie an ihren schulterlangen blonden Haaren. Er riß der jungen Frau den Kopf herum und fragte: »Versteht dein stinkender Apache unsere Sprache?« Myriam stöhnte vor Schmerz und erwiderte: »Englisch ja, Spanisch weiß ich nicht.« »Das genügt uns«, sagte Pedro rauh. »Hör zu, du Apachenbastard!« brüllte Enrico. »Wir haben deine Squaw hier. Entweder stellst du das Feuer ein, oder wir jagen ihr eine Kugel durch den Kopf. Ich weiß, daß du die Sprache der Gringos verstehst. Versuch nur keine Tricks. Bist du einverstanden, schieß zweimal schnell hintereinander.« Zwei Schüsse peitschten. Das Blei sirrte harmlos in den Himmel. »Na, endlich«, sagte Enrico aufatmend. »Wir ziehen uns in die Stollen zurück. Wasser und Essen haben wir auf deinem Pferd, Pedro. Mein Tier trägt genügend Munition. Wir nehmen es mit diesem verfluchten Diabolo auf. Los, kommt!« Nichts geschah, während die beiden Mexikaner ihre Pferde an den Zügeln hinter sich her zerrten. Myriam mußte ein Dutzend Schritte vor den Banditen marschieren. Ab und zu riefen Enrico oder Pedro ihr die Richtung zu, die sie einschlagen sollte. Endlich erreichte die junge Frau ein Felsband, das sich in die Höhe wand. Ein paar Sekunden zögerte sie, aber Enricos Stimme brachte Myriam wieder in Bewegung. »Los, weiter, wenn dir dein Leben lieb ist«, drohte der Mexikaner. »Du mußt auf die Plattform dort oben. Hinter ihr mündet ein Stollen. Dort finden wir Sicherheit.« Myriam erreichte drei Schritte vor Enrico die Plattform und hetzte in die dunkle Stollenmündung. Der erste Mexikaner 89
folgte ihr, zerrte sein Tier hinter sich her. Pedro trat auf die Steinplatte, die aus der Felswand herausragte. Sein Pferd gewann die ebene Fläche, und in diesem Moment peitschte die Winchester wieder auf. Hart ruckte der Zügel aus Pedros Hand. Er hörte das Keuchen seines Tieres und sprang mit einem mächtigen Satz in den Gang. Drei, vier Kugeln schrammten über die Felswände, die grau aufschimmerten. »Der Hurensohn hat unser Proviantpferd abgeknallt«, sagte Pedro stöhnend. »Woher wußte er, daß mein Gaul fast nur Wasser und Essen trug?« »Apachen wissen das eben«, erwiderte Enrico grob, um seine Unsicherheit und Angst zu überspielen. »Los, sammelt Steine auf. Wir benötigen eine Brustwehr, damit uns der Kerl nicht einfach abschießt.« Myriam lehnte an der Wand des Stollens. Blicklos starrte sie die beiden Mexikaner an und sagte: »Baut eure Barrikade selbst. Mir tut Doppelwolf nichts an. Das weiß ich sicher.« Enrico schwenkte den Colt, richtete die Mündung auf den Oberkörper der jungen Frau und sagte gemein: »Er nicht, aber wir. Los, fang an. Ich bleibe hier vorn.« Myriam fügte sich und schleppte Stein um Stein heran. Allmählich wuchs die Mauer. Ab und zu fegte ein Geschoß herüber und prellte einen kleinen Stein von der oberen Kante. Pedro wuchtete einen Felsen hoch. Abermals krachte das Gewehr des Apachen, und der Mexikaner schrie gellend auf. Innerhalb von Sekunden verfärbte sich sein Hemd. Hoch in der linken Schulter steckte das Blei. Pedro vermochte nicht länger, die Barrikade mit aufzubauen. Bleich wie ein Leinentuch sank er zurück. »Wir hocken in der Falle«, sagte er jammernd. »Draußen liegt mein Pferd. Wir haben keinen Tropfen Wasser. Der Dreckskerl kann uns aushungern, Amigo. Es ist vorbei.« Enrico schüttelte wild den Kopf und schrie: »Nein, noch 90
lange nicht! Wir haben die Frau. Warte ab bis zur Nacht. Wir schicken die Puta hinaus. Sie muß uns holen, was wir brauchen.« »Und wenn sie flieht?« fragte Pedro. »Geben wir ihr eine Kugel«, erwiderte Enrico hart. »Aus Manolos schönem Plan wird nichts, das ist klar. Also benutzen wir die Americana so, wie es für uns nötig ist.« Myriam spürte, daß sie innerlich zitterte. Doppelwolf würde sie nicht absichtlich umbringen, ganz bestimmt nicht. Aber vermochte er in der Dunkelheit zu unterscheiden, wer hinausschlich, um Proviant und Wasser zu holen? Ein Schuß peitschte. Haarscharf an Enricos Kopf vorbei sirrte die Kugel und schrammte hinten im Stollen gegen die Seitenwand. Myriam setzte sich, lehnte mit dem Rücken an der Wand und schaffte es nicht, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie gab keinen Laut von sich, aber salziges Wasser rann aus ihren Augen und verwandelte den Staub im Gesicht in eine schmierige Paste. * Haggerty und Cochise lagen nicht weit entfernt in ausgezeichneter Deckung. Der Chief wußte, an welcher Stelle Doppelwolf lauerte. Er beherrschte das gesamte Tal mit seiner Winchester. Ging dem Mimbrenjo nicht die Munition aus, konnte er die Eingeschlossenen tagelang niederhalten. »Wir müssen ihn stellen«, sagte John drängend. »Die Mexikaner werden verrückt. Sie töten das Mädchen, Cochise. Und dann wird alles noch viel schlimmer. Die Earps verbreiten, was sie wissen, und dann brodelt es wieder im Südwesten.« Der Häuptling schüttelte nach Art der Weißen den Kopf. Cochise war nicht bereit, den abtrünnigen Mimbrenjo mit Falkes Hilfe zu überwältigen. Diese Angelegenheit ging nur 91
die Apachen etwas an. Sicher, Doppelwolf durfte frei herumziehen, da er die Prüfung des Todessprungs bestanden hatte. Aber er war erneut gegen die Weißen vorgegangen, hatte die blonde Frau abermals entführt und maßte sich an, ein Recht auf die weiße Squaw zu besitzen. »Er wird angreifen, Bruder«, sagte der Jefe. »Ich zeige mich, fordere ihn auf, sich dem Gesetz der Apachen zu stellen. Gehorcht er nicht, feuern wir.« John stöhnte leise und erwiderte: »Welch ein Unsinn! Du vergißt, daß die weiße Frau in der Gewalt der Mexikaner ist. Die Kerle sehen uns, benutzen das Girl als Druckmittel, und wir müssen uns zurückziehen.« Cochise gab seinem Freund innerlich recht. Aber ging es nicht um mehr als um das Leben eines einzigen Menschen? Ging es nicht darum, das Wort des großen Häuptlings einzuhalten? Doch Cochise erkannte auch das Unheil, das aus einer starrsinnigen Haltung zu erwachsen vermochte. Die Earps waren harte Kämpfer, wilde Burschen, und sie würden überall verbreiten, daß Cochise am Tod der weißen Squaw die Schuld trug. »Gut, Falke, hör genau zu«, sagte der Häuptling. »Es gibt einen Weg in den Gang, in dem die Gelbhäutigen liegen. Ich kenne diese Stollen der uralten Silbermine. Du wirst eindringen und die Mexikaner niederkämpfen. Alles andere ist nicht mehr deine Sache.« Cochise erklärte John, wie die Gänge im Berg zusammenhingen. Zum besseren Verständnis zeichnete er mit einem Zweigende im glattgestrichenen Sand den Verlauf der Gänge auf. »Hast du dir alles gemerkt?« fragte der Chief eindringlich. »Vergiß nicht, daß viele Stollen an einem Abgrund enden. Bist du unvorsichtig, fällst du in die Tiefe und stirbst. Die Leitern der Eisenmänner sind längst zu Staub verfallen.« 92
Haggerty lächelte, nahm dem Jefe den Zweig aus der Hand und wischte den Sand wieder glatt. Innerhalb der nächsten Minuten wiederholte der Scout jede Einzelheit und zog mit dem dünnen Ast die gleichen Linien in den Sand, wie vorhin Cochise. Zufrieden nickte der Häuptling und sagte: »Gut, du gelangst zu den Gelbhäutigen. Was willst du sagen? Sie sind voller Mißtrauen, Falke.« Haggerty lächelte und erwiderte: »Ganz einfach, ich erzähle ihnen, daß ich helfen will. Wenn sich Myriam nicht verrät, bekomme ich eine große Chance.« John nahm seine Winchester aus dem Scabbard, hob die Linke kurz und wollte loslaufen. »Vergiß nicht, Falke«, sagte Cochise ernst, »Doppelwolf muß nach dem Gesetz der Apachen bestraft werden. Töte ihn nicht.« Der Scout lief gebeugt hinter den schützenden Felsen und Büschen davon. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte Cochise seinem Freund nach, einem der wenigen weißen Freunde, die überhaupt ein Apache besaß. John erreichte das Gebiet, das der Häuptling ihm in den Sand gezeichnet hatte und fand nach kurzem Suchen die enge Röhre, die schräg hinabführte. Ohne Zögern glitt Haggerty mit den Füßen zuerst in die dunkel gähnende Öffnung. Das Gewehr hielt er mit der Rechten. Beide Hände hatte er nach oben ausgestreckt. Sand, mürbes Gestein und Geröll behinderten den Fährtensucher. Mit ruckenden Bewegungen stieß er sich weiter, gelangte auf glatten Untergrund und rutschte langsam in die Tiefe. Die Mündung des Ganges war nur noch als kleiner Lichtfleck zu erkennen. Endlich hörte die Abwärtsbewegung auf. Sekunden später schlängelte sich Haggerty aus der Röhre und lauschte. Irgendwo knirschte Gestein. Sand rieselte herab. 93
Wahrscheinlich genügte in diesem Teil der verlassenen Mine ein einziger Schuß, um den Stollen einstürzen zu lassen. Die alten Spanier waren keine Meister im Bergbau gewesen. Sie verstanden nichts von dem richtigen Abstützen mit Hölzern, sondern trieben einfach Gänge in den Berg. Behutsam glitt John weiter. Mit der linken Hand tastete er über die Seitenwand. An jeder Quermündung verharrte er und rief sich den Plan ins Gedächtnis zurück. Cochise mußte dieses System von Tunneln und Stollen im Fackelschein erkundet haben. Wie konnte er sonst so genau den Weg wissen? Endlich erreichte der Scout die Abzweigung, glitt hinein und wechselte das Gewehr in die Linke. Nun fuhr er mit den Fingerspitzen der Rechten die Seitenwand entlang. Es war bald nicht mehr nötig, denn in einen der Stollen fiel Lichtschein von weit oben hinein. Dies war der richtige Weg. John sah die Helligkeit vor sich und blickte hoch. Blinzelnd schloß er die Augen. Der Sonnenschein war zu grell. Erst nach Sekunden vermochte Haggerty wieder richtig zu sehen. Als er weiterglitt, sah er eine brüchige Mauer aus Adobeziegeln. Ein Lichtreflex blitzte zwischen der teilweise zusammengefallenen Mauer auf. Neugierig trat John näher, drückte prüfend mit der Rechten gegen die Lehmziegel, die knirschend auseinanderfielen und mit Getöse und Staub zu Boden prasselten. Der Scout hustete und wartete, bis sich die Wolke verzogen hatte. Lautlos glitt er dann weiter, beachtete alle Zeichen und Wege, die Cochise erwähnt hatte und vernahm plötzlich Stimmen. »Dieser rote Hurensohn gibt nicht auf«, sagte ein Mann. »Warte, bis es dunkel wird«, entgegnete ein anderer. »Die Blonde muß rausgehen. Knallt er sie ab, haben wir Pech gehabt.« John glitt weiter, atmete leise und entdeckte hinter einer 94
Biegung den hellen Fleck der Stollenmündung. Ein paar Sekunden später hatten sich seine Augen an das veränderte Licht gewöhnt. Deutlich unterschied John zwei Mexikaner und Myriam, die auf dem Boden saß und mit dem Rücken an der Wand des Ganges lehnte. Haggerty holte Luft und sagte in normalem Tonfall: »Dreht nur nicht durch, Amigos. Ich will euch helfen.« Die beiden Männer wirbelten herum, als hätte ein Gespenst hinter ihnen gesprochen. Myriam unterdrückte einen Aufschrei nur unvollkommen. »Bleibt ruhig«, fuhr John fort, »ich beobachte seit einer halben Stunde, was hier passiert. Der rote Halunke sitzt am Drücker. Ohne Hilfe habt ihr keine Chance.« Langsam ging Haggerty weiter. Nun kam der entscheidende Moment. Verriet Myriam sich, würde es nicht ohne Verwunderung abgehen. Die blonde Frau atmete nur scharf aus, als sie den Scout erkannte. »Wer bist du, Hombre?« fragte einer der Mexikaner. »Wie kommst du in unseren Rücken? Gibt's etwa einen zweiten Ausgang?« »Langsam, Freunde, immer langsam«, erwiderte John grinsend. »Ich bin Digger John. Kenne die Gegend wie meinen Tabaksbeutel. Vor ein paar Jahren kratzte ich noch ein paar Pfund Silber aus den alten Adern. Jetzt ist's mit dem Segen endgültig vorbei.« »Woher kommst du?« wollte Enrico wissen. Sein Colt schwankte nicht um den Bruchteil eines Inches. Die Mündung wies auf Haggertys Oberkörper. »Es gibt 'ne Röhre, weit hinten«, erklärte der Scout. »Rein kommt man dort, aber nicht wieder raus. Ich bin also freiwillig in die Falle gehüpft.« Enrico sagte verächtlich: »Du hältst uns wohl für dämlich, wie? Wo ein Mann reinkommt, kann er auch wieder raus.« 95
Haggerty lächelte mitleidig und erwiderte: »Du hast keine Ahnung, Hombre. Das ist 'ne Röhre, die mächtig steil runterführt. Da klettert kein Mensch hoch. Und den Gaul müßtet ihr in Stücke schneiden, um ihn durchzubekommen. Nein, für uns gibt's nur einen Weg: den verdammten Mimbrenjo erledigen. Außerdem braucht ihr doch wohl noch einen zweiten Gaul, oder?« Pedro und Enrico sahen sich betroffen an. Daran hatten sie noch nicht gedacht. »Na also. Der Indianermustang ist zäh und ausdauernd«, sagte John. In diesem Moment hämmerte die Winchester des Apachen wieder los. Die Kugeln sausten eine Handbreit über die Brustwehr. Enrico feuerte das Röhrenmagazin seines Gewehres leer, erzielte jedoch keinen Treffer. Haggerty lief geduckt zu der provisorischen Barriere und spähte durch die Lücken zwischen den einzelnen Steinen. Er wußte, wo Doppelwolf lauerte, vermochte ihn aber von hier aus nicht zu erreichen. »Weißt du genau, wo der Kerl liegt?« fragte Pedro. »Wenn zwei Mann ihn niederhalten, kann der dritte ihn sich schnappen?« John schüttelte den Kopf. »Unmöglich«, erwiderte er. »Seht ihr dort oben die Felszacken, die wie Finger aufragen? Dahinter lauert der Bursche. Wir müßten ein Dutzend geladener Gewehre haben, um ihn am Feuern zu hindern. Aber auch dann kann er noch zur Seite weggleiten, ohne daß wir ihn sehen. Nein, wir warten, bis es dunkel genug ist.« »Und was passiert dann?« fragte Enrico. »Schnallst du dir Flügel um und greifst ihn aus der Luft an?« Grinsend erwiderte der Scout: »Schön war's ja, aber irgendein Kerl hat mir meine Flügel gestohlen. Nein, ich sause 96
raus und sehe zu, daß ich in den Rücken des Mimbrenjo gelange. Sobald der Morgen anbricht, feuert er wieder, und ich schnappe mir den Kerl von hinten.« Staunend fragte Pedro: »Bist du so gut? Einen Apachen überlistet doch keiner von uns.« John lachte halblaut. Bitterkeit schwang in diesem Lachen mit und erweckte die Neugierde der beiden Mexikaner. »Ich schon«, sagte Haggerty kalt. »Vier Jahre lebte ich bei den Roten, ehe ich fliehen konnte. Ich kenne jeden ihrer Tricks. Mir gelang die Flucht erst, als ich so gut wie der beste Krieger geworden war.« Enrico lachte laut und fragte: »Du hast die roten Halunken also ganz besonders in dein Herz geschlossen, wie?« »Verlaß dich drauf«, erwiderte John mit einem haßvollen Unterton in der Stimme. »Ich knalle jeden ab, den ich erwische.« Eine Weile schwiegen die Männer. Haggerty gab sich Mühe, nicht zu Myriam zu schauen. Er beachtete die blonde Frau gar nicht. Für ihn schien es völlig normal zu sein, daß zwei Mexikaner, die wie Halunken wirkten, mit einer Amerikanerin durchs Apachenland trailten. »Warum hast du denn nicht bis zur Nacht draußen gewartet?« fragte Enrico lauernd. »Du kannst dich doch genausogut anschleichen, ohne daß wir es wissen.« John tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn und fragte: »Hältst du mich für blöd? Wenn ihr einen anderen Plan habt, geht alles schief. Nein, erst mußte ich mit euch sprechen, ist doch klar.« Allmählich schlief das Mißtrauen der Mexikaner ein. Abwechselnd spähten sie ins Tal. In unregelmäßigen Abständen peitschte Doppelwolfs Gewehr auf. Doch nach einiger Zeit stellte der Mimbrenjo das Feuer ein. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Pedro, dem Schweiß von der Stirn perlte. 97
Er spürte bereits Fieber. Sicherlich war Schmutz in seine Schulterwunde geraten und sie entzündete sich. »Vielleicht greift er an«, vermutete John. »Dann wird er sich aber wundern.« * Doppelwolf trug sich tatsächlich mit dem Gedanken, ein Ende zu machen. Vorsichtig glitt er hinter seiner Deckung entlang. Er war sicher, daß die Gelbhäutigen seinen Standort kannten. Sie durften nicht merken, daß er sich in den nächsten Minuten langsam zur Talsohle hinabarbeiten wollte. Der Weg war weit, doch dafür sicher. Keine Sekunde durchquerte der Krieger freies Gelände. Immer huschte er hinter guten Deckungen weiter. Nur ein Apache vermochte ihn zu erkennen. Vielleicht auch der eine oder andere Weiße, der mit den Listen der Wüstenkämpfer vertraut war. Aber Doppelwolf wußte, daß kein solcher Mann in der Nähe sein konnte. Der Krieger kauerte neben dem toten Manolo. Golden glitzerte es im Sonnenlicht auf. Die Uhr! Heiße Wut flammte in Doppelwolf auf. Er riß den Dolch aus dem Gürtel und stach auf das Gerät ein, bis er das weiche Metall aufgebrochen hatte. Eine Feder schnellte ins Freie. Doppelwolf zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zurück, denn er dachte an einen Angriff des fremden Gottes. Die Klinge fuhr nieder, preßte die Feder gegen den Boden. Sie zitterte noch schwach, vibrierte hin und her. »Jetzt bist du tot, fremder Geist«, sagte der Indianer zufrieden. Er verspürte Triumph. Nun würde ihm alles gelingen, da er den Gott der blonden Squaw umgebracht hatte. Dicht an der Wand des Tales lief der Krieger weiter. Er 98
wußte um die Lichtverhältnisse hier unten. Nur ein besonders aufmerksamer Beobachter vermochte ihn zu entdecken. Und wie er die Mexikaner einschätzte, sahen die nicht mal eine Mustangherde, wenn sie lautlos herangaloppierte. Plötzlich peitschte eine Winchester. Eine Handbreit vor seinem Gesicht klatschte das Blei gegen den Felsen. Das Gewehr hämmerte in rasender Folge. Doppelwolf wirbelte herum und rannte geduckt davon. Wie war er entdeckt worden? Gehörten die Mexikaner zu jenen Männern, die auf Indianerskalps Jagd machten? Die ihre Beute in Sonora gegen blanke Goldmünzen eintauschten? Diese Gelbhäutigen kannten die meisten Listen der Apachen und wußten ihnen zu begegnen. Doppelwolf schien seine Gegner unterschätzt zu haben. Er mußte in sichere Deckung zurück und einen neuen Plan ausarbeiten. Auf halbem Weg sah der Krieger eine Felsspalte und zwängte sich hinein. Nachdem er sich umgesehen hatte, stemmte er Rücken und Füße gegen die Wände und arbeitete sich in die Höhe. Es dauerte nicht lange, bis Doppelwolf eine Kanzel erreichte, die etwas höher als die Stollenmündung lag. Von hier aus würde er die Verteidiger mit seinen Schüssen in Atem halten. Und brach erst die Nacht an, wollte der Mimbrenjo die alte Mine stürmen. Er hatte einen Teil seiner Furcht vor den Geistern der Dunkelheit verloren. Es ging um alles, um seine Beute, um einen großen Sieg. Kehrte er mit der blonden Squaw und drei Mexikanerskalps zu Victorio zurück, würde ihn der Jefe wieder in den Stamm aufnehmen. Aufmerksam beobachtete Doppelwolf die Höhle. Drei Menschen unterschied er, vermochte aber nicht zu erkennen, wer Myriam war. Er ahnte nicht, daß der Scout, den Cochise 99
Falke und Freund nannte, zu den mexikanischen Banditen gestoßen war. John grinste die anderen an und sagte: »Der Kerl ist geschickt. Beinahe hätte er Glück gehabt.« »Mann, wir haben überhaupt nichts gesehen, bis du gefeuert hast«, rief Pedro. »Du bist wirklich so gut wie einer der roten Teufel.« »Aber jetzt hat er seinen Standort gewechselt«, sagte Enrico. »Kommst du nun immer noch in seinen Rücken, Hombre? Kennst du das Tal, die Umgebung?« »Ich sagte doch schon«, erwiderte Haggerty, »wie meinen Tabaksbeutel, und vielleicht noch ein wenig besser.« Doppelwolf eröffnete wieder das Feuer. Eine Kugel zertrümmerte einen kleinen Stein in der Brustwehr. Scharfe Splitter sirrten durch den Gang. Myriam schrie auf. Blut tropfte aus verschiedenen kleinen Schnittwunden in ihrem Gesicht. Erst jetzt sah Haggerty die Frau an. »Harmlos«, sagte er, »lohnt sich nicht, deswegen Geschrei zu veranstalten.« »Ich glaube, ich erwische ihn mit dem Colt«, sagte Pedro verbissen. Er zog seinen Revolver, zielte sorgfältig und drückte ab. Dumpf wummerte die Waffe auf, und der Mexikaner fluchte enttäuscht. »Nimm lieber die Winchester«, riet John. »Meine Schulter, du Idiot«, fuhr Pedro auf. »Ich halte den Rückschlag nicht aus.« Verbissen zielte und feuerte er wieder und wieder, fehlte jedoch. »Was habt ihr mit der Señorita vor?« fragte Haggerty. »Jetzt sieht sie erst richtig aus für Elviras Haus«, rief Pedro und lachte gemein. John überlegte blitzschnell und kam zu dem Schluß, daß es sich nur um das Haus der leichten Mädchen in Del Rio handeln 100
konnte. Hoffentlich liege ich richtig, dachte der Scout. Laut fragte er: »Wollt ihr sie zu Elvira nach Del Rio bringen?« »Kennst du dich da aus?« wollte Enrico wissen. »Nicht besonders«, antwortete Haggerty, »aber wenn dieses Vögelchen erst dort ist, werde ich sicher mal vorbeikommen.« Pedro und Enrico lachten gemein. Der Verwundete feuerte abermals. Die Winchester des Mimbrenjo peitschte, und Pedro fiel auf den Rücken. Über seiner Nasenwurzel war ein kleines Loch entstanden, das kaum blutete. Er war tot. Enrico fluchte minutenlang auf den verdammten roten Teufel und Pedro abwechselnd. »Jetzt stehen unsere Chancen verdammt schlecht«, sagte der Mexikaner. »Viel schlechter als du denkst«, rief Myriam gellend und sprang auf. Mit einem Schritt gelangte sie neben den Toten, fiel auf die Knie und riß seinen Revolver an sich. Sie hob die Rechte und drückte ab. Ein trockenes Klicken ertönte. Pedro hatte seinen Colt leergefeuert. Enrico zog durch. Das Wummern seines Revolvers dröhnte in der Höhle nach. Myriam schrie auf. Ein blutroter Striemen erschien an ihrem Oberarm. Sie ließ die nutzlose Waffe fallen und versuchte, über die Brustwehr zu klettern. »Aus für dich«, sagte der Mexikaner grimmig. »Du nutzt uns nichts mehr. Wenn du uns in den Rücken fällst, sterben wir alle.« Er zielte, wollte den Finger krümmen, aber Haggerty rief: »Nicht! Sie ist ein Faustpfand. Wenn du sie loswerden willst, kaufen wir uns frei.« Sekundenlang zögerte Enrico. Er blickte den Scout an und erwiderte: »Du gefällst mir nicht, Hombre. Du hast mir von der ersten Sekunde an nicht gefallen. Mit dir stimmt was nicht.« 101
Er schwenkte die Waffe wieder herum, und in diesem Moment feuerte John mit der Winchester. Er traf Enrico tödlich. Haggerty hatte keine Wahl gehabt. Der Mexikaner war entschlossen, die blonde Frau umzubringen. Langsam rutschte Myriam zurück. Trockenes Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Sie schlug die Hände vors Gesicht und sank mit dem Rücken gegen die Barrikade. »Bald ist es vorbei«, tröstete John die junge Frau. »Cochise ist in der Nähe. Wir holen Sie hier raus, Lady. Der Chief ist mächtig zornig, daß Doppelwolf Sie entführte. Cochise setzt alles daran, den Burschen zu erwischen und zu bestrafen.« Es dauerte lange, bis sich Myriam beruhigte. »Es ist furchtbar«, flüsterte sie. »Ich bin nicht für dieses Land geschaffen. Vor wenigen Tagen der Überfall auf Pearce. Wir Frauen wurden weggetrieben wie Vieh. Dann Doppelwolf, der mich aus der Hütte zerren wollte. Tombstone, ich fühlte mich wohl, gewann sogar viel Geld beim Pokern. Und dann wieder der Mimbrenjo. Mr. Haggerty, ich halte nicht mehr lange durch. Dann zerspringt etwas in mir.« John dachte an Tombstone. Dort würde Myriam sicher sein. Wenn sie so geschickt pokerte, vermochte sie sich ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Ging der Boom zu Ende, konnte sie genügend Geld besitzen, um in einem anderen Ort der Union ruhig zu leben. »Sie halten durch«, sagte der Scout hart, »ein paar Stunden noch. Länger dauerte es nicht mehr. Und in der Stadt fühlen Sie sich wieder wohl. Wyatt Earp und sein Bruder Virgil sind uns gefolgt. Sie warten auf der Farm, von der Doppelwolf Sattel, Wasser und Essen für Sie holte. In der Nähe der Stelle, an der Sie die Mexikaner schnappten.« Myriam lächelte freudig. Sie hatte ihr Herz zwar nicht vollständig an den jungen Abenteurer verloren, doch er war ein angenehmer Gesellschafter, der sie mit seiner leichtlebigen Art und den schnellen Entschlüssen beeindruckte. 102
John Haggerty gehörte zur ruhigen, verläßlichen Sorte. Myriam war vielleicht noch zu jung, die Vorzüge solcher Menschen zu schätzen. »Wyatt Earp, das ist schön«, sagte sie halblaut. * Der Scout schleppte die beiden Toten in den Hintergrund des Stollens. Auf dem Rückweg klopfte er dem Pferd, das vor dem Blutgeruch scheute, den Hals und beruhigte das Tier. Von draußen drang Gestank herein. Der Kadaver des toten Pferdes auf der Plattform blähte sich bereits auf. In wenigen Stunden würde er derart stinken, daß Myriam und Haggerty kaum noch Luft bekamen. »Wir müssen hier raus«, sagte John leise und starrte in das Dunkel des Ganges. »Schaffen wir es wirklich nicht auf dem Weg, den Sie nahmen?« fragte die blonde Frau. John schüttelte den Kopf. Er selbst vermochte die Steigung vielleicht zu bezwingen, aber Myriam war erschöpft und ausgelaugt. Sie schaffte es niemals. Der Scout spähte zur Felskanzel hinüber, auf der Doppelwolf lauerte. Seit der Schießerei im Stollen hatte der Indianer nicht mehr gefeuert. Lag er überhaupt noch dort oben? Es gab nur eine Möglichkeit, dies festzustellen. Haggerty zog das Gewehr an die Schulter und jagte eine Serie von sechs Kugeln aus dem Lauf. Deutlich erkannte er, daß die Geschosse eine Handbreit über der Barriere des Gesteinsvorsprunges gegen die Felsen schlugen. Nichts rührte sich drüben. »Er ist weg«, sagte John halblaut. »Er hat was vor, dieser Beutemimbrenjo. Er ist ein verdammt guter Krieger. Eigentlich schade um ihn.« Myram starrte den Scout an und fragte: »Was heißt das? Ist 103
er tot?« »Noch nicht, Lady«, erwiderte John mit ausdruckslosem Gesicht, »aber Cochise wird ihn umbringen. Das ist Apachengesetz. Denn durch Doppelwolf kann das Lodern im Südwesten zu einem wüsten Feuerbrand werden, der uns alle verschlingt. Sie ahnen ja nicht, wie gefährlich die Lage hier ist. Und dann morden sich Apachen und Weiße in einem grausamen Krieg.« Myriam schwieg beeindruckt. Sie wußte nicht viel über die Situation in Arizona, hatte nur vor wenigen Tagen erfahren, daß es auch unter den Apachen gute und schlechte Menschen gab. Irgendwie fand sie es richtig, daß Cochise den abtrünnigen Doppelwolf bestrafte. Denn der war Häuptling aller Stämme. John Haggerty verspürte einen harten Klumpen in seiner Magengegend, als er sich alles genau überlegt hatte. Es gab keinen anderen Weg. Er mußte ins Tal hinunter. Doppelwolf von der Höhle weglocken, aus der Deckung herausreizen. »Können Sie mit einer Winchester umgehen?« fragte er hoffnungsvoll die blonde Frau. Myriam schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, ich habe noch nie mit einem Gewehr geschossen, nur ein paarmal mit dem Colt.« John unterdrückte einen Fluch. Mit einem halbwegs guten Schützen im Rücken wäre seine Aufgabe leichter geworden. Egal, dachte er, ich muß es riskieren. Wir können nicht in dem Stollen bleiben. In zwei Stunden wird der Gestank übermächtig. Vielleicht wartet der Krieger nur darauf und rechnet dann mit unserem Ausbruch. Was mag er über die Schießerei hier denken? Langsam ging Haggerty zu dem Banditenpferd und überprüfte alle Riemen und Gurte. »Was haben Sie vor?« fragte Myriam verwundert. »Wollen Sie einfach davonreiten?« 104
John lachte freudlos und erwiderte: »Nicht ganz, Lady. Ich will Doppelwolf aus seiner Deckung locken und stellen. Wir ersticken, wenn der tote Gaul draußen erst mal richtig stinkt.« Ungläubig starrte Myriam den hochgewachsenen Scout an. »Sie reiten ins Tal?« fragte sie mit Angst in der Stimme. »Was wird aus mir, wenn der Apache Sie verwundet oder tötet?« »Cochise ist in der Nähe«, erwiderte Haggerty. »Er hilft Ihnen, sobald er kann. Hat er Doppelwolf erst in die ewigen Jagdgründe geschickt, bringt Sie der Jefe zu Wyatt Earp und seinem Bruder.« »Nein, Sie dürfen nicht reiten«, flüsterte Myriam. »Sie bringen sich unnötig in Gefahr. Wenn wir dorthin gehen, wo Sie in die Mine gekrochen sind, bekommen wir doch frische Luft. Wir warten ab, Mr. Haggerty.« Auch das hatte John bereits erwogen und wieder verworfen. Doppelwolf war nicht dumm. Er würde eindringen, denn ihn störte der Geruch des verwesenden Pferdes kaum. Kam es in den hinteren Gängen zu einer Schießerei, konnten die Stollen einstürzen und sie alle lebendig begraben. Dieses Risiko durfte der Scout nicht eingehen. Da war es besser, auszubrechen, das Leben aufs Spiel zu setzen und auf die eigene Schnelligkeit und Kraft zu vertrauen. »Gehen Sie zur Seite«, verlangte John. »Ich reiße jetzt die Barrikade nieder.« »Nein, das erledige ich«, erwiderte Myriam entschlossen. »Vergessen Sie nicht, daß Sie nach kaum einem halben Dutzend Schritten über das tote Pferd müssen.« Haggerty blickte Myriam an und nickte, bevor er aufsaß. Die Winchester hielt er schußbereit über den Oberschenkeln. Myriam hantierte mit den Steinen, zog einen Brocken heraus, und bis auf einen Fuß Höhe brach die provisorische Mauer zusammen. »Los jetzt«, sagte John hart und preßte dem Pferd die 105
Absätze in die Flanken. Das Tier lief ein paar Schritte, sprang leicht über den Mauerrest und wollte stehenbleiben, als es die Witterung des Todes in die Nüstern bekam. John hieb ihm die Faust zwischen die Ohren. Erschreckt wieherte der Wallach auf und vollführte einen mächtigen Satz. »Weiter, los!« schrie Haggerty und hackte erbarmungslos die Absätze in die Flanken. Mit einem schwerfälligen Sprung überwand der Braune das Hindernis seines toten Artgenossen. Schnaubend rutschte das Banditentier auf dem Felsenweg aus, geriet gefährlich nahe an den Abgrund und fing sich im letzten Moment. Mehr rutschend als trabend brachte der Wallach den Pfad hinter sich. Wo war Doppelwolf? Unaufhörlich suchte der Scout die Felswände mit seinen Blicken ab, erwartete jede Sekunde das Aufblitzen eines Mündungsfeuers, das Krachen einer Winchester zu hören. Nichts rührte sich. Der Mimbrenjo hatte doch nicht aufgegeben? Plötzlich sprang John das untrügliche Gefühl drohender, unmittelbarer Gefahr an. Er riß mit der Linken am Zügel, hob mit der anderen das Gewehr und sah gleichzeitig die Feuerblume aufblühen. Der Mimbrenjo leitete sein Pony nur mit den Knien. In weiten Sprüngen galoppierte der Pinto durch den Taleingang. Unaufhörlich feuerte Doppelwolf. Durch das Peitschen seiner Winchester gellten die haßvollen Schreie des Apachen. Haggerty wußte, wie schwierig es war, von einem galoppierenden Pferd aus etwas zu treffen, doch er beantwortete das Feuer mit einem eigenen Kugelhagel. Keines der Geschosse traf. Immer näher hetzten die Pferde aufeinander zu. Haggerty hatte nicht mitgezählt, wunderte sich jedoch nicht, als die Waffe in seinen Händen nicht mehr ruckte. 106
Doppelwolf stieß einen gellenden Schrei aus, der alte Ruf der Apachen, wenn sie kämpften: »Zastee! Töte!« John riß den Wallach nach links, wechselte das Gewehr in die andere Hand und wollte den Colt ziehen, als ein harter Schlag gegen seine Hüfte prallte. Die Hand tastete ins Leere. Ein Zufallstreffer des Mimbrenjos hatte das Halfter vom Gurt gerissen! In fieberhafter Eile zerrte der Scout Patronen aus dem Gürtel, verlor die erste, vermochte auch die zweite nicht in die Ladeklappe zu pressen. Aber Doppelwolf hatte sich ebenfalls verschossen. Der Krieger warf das nutzlose Gewehr einfach weg. Eine Sekunde danach blinkte die Schneide des Kriegsbeiles im Licht der Sonne auf. John riß am Zügel. Der Wallach änderte die Richtung, galoppierte nach rechts und gehorchte willig den Zeichen des fremden Reiters. Haggerty ließ die Winchester durch die Hand rutschen, packte das nutzlose Gewehr am Lauf, um es als Keule zu verwenden und besaß nur wenig Hoffnung. Er wußte zu genau, daß die Apachen Meister mit dem Kampfbeil waren. Selbst vom galoppierenden Pferd aus trafen sie bewegliche Ziele mit tödlicher Genauigkeit. Beide Pferde rasten aufeinander zu. Die Hufe hämmerten in wildem Stakkato über den Boden. John wünschte sich inbrünstig, daß Myriam wenigstens ein paar Schüsse zur Ablenkung abfeuern würde, doch die Rettung erfolgte durch einen anderen Menschen. Eine Winchester peitschte. Doppelwolf duckte sich unwillkürlich, als das heiße Blei dicht über seinen Kopf pfiff. Er sah auf und erkannte Cochise. *
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Haggerty zügelte den fremden Wallach und brachte das Tier am Talrand zum Stehen. Doppelwolf hielt seinen Mustang ebenfalls an. Deutlich erkannte John den Haß im Gesicht des ehemaligen Mimbrenjosklaven, als er zu dem großen Häuptling hinaufstarrte. Cochise stand auf einer Felsklippe, umflossen vom Licht. Der Lauf seiner Winchester blinkte in der Sonne. »Genug, Falke«, rief der Häuptling, »dies ist mein Land, und hier gilt das Gesetz der Apachen. Doppelwolf, du kennst dieses Gesetz.« Ruhig kletterte der Chief abwärts. Haggerty legte die leergefeuerte Winchester quer über seine Oberschenkel. Unauffällig schob er eine Patrone nach der anderen in die Ladeklappe. John verspürte eine Warnung, ein Gefühl, als müßte er kampfbereit bleiben. Cochise erreichte ein schwierig zu bewältigendes Felsstück. Er nahm beide Hände zu Hilfe, stützte sich ab, und diesen Moment nutzte Doppelwolf. Er beugte sich weit im Sattel zurück. Grell brach sich das Sonnenlicht auf der Schneide des Tomahawks, als der Krieger ausholte. Haggerty riß die Winchester an die Schulter und feuerte. Wie vom Blitz getroffen brach der Mustang des Mimbrenjos zusammen. Der Apache stieß einen Wutschrei aus, als er über den Hals seines sterbenden Tieres geschleudert wurde. Er rollte sich zusammen, kugelte über den harten Boden und schnellte federnd wieder auf die Füße. »Ich töte dich, weißer Hund!« brüllte Doppelwolf. »Dein Skalp wird über dem Feuer meines Jacales hängen.« Cochise sah sich um und kletterte ruhig weiter. Falke hatte ihn vor einer Verwundung gerettet, vielleicht verdankte der Häuptling seinem weißen Freund sogar das Leben. Endlich erreichte der Chief die Talsohle und ging ruhig auf den abtrünnigen Krieger zu. 108
»Du kennst das Gesetz, Doppelwolf«, sagte Cochise laut. »Du bist ein Mimbrenjo und weißt, daß du dich außerhalb des Stammes gestellt hast.« Der Apache, der nur zwei Inches kleiner als der Jefe war, pendelte mit dem Oberkörper hin und her. »Ich bin kein Mimbrenjo, roter Hund«, erwiderte er kehlig in der Sprache der Weißen. »Ich bin Juan Antonio Lopez de Garcia. Dein Gesetz gilt nicht für mich, Apache.« Cochises Gesicht blieb ausdruckslos. »Das ist alles, was du von dir weißt, Krieger«, sagte der Häuptling. »Die Mimbrenjos gaben dir Nahrung, lehrten dich das Jagen, Rauben und Töten. Du bliebst bei ihnen. Du bist ein Indianer.« »Nein! Sie knechteten mich«, brüllte Doppelwolf. »Ich war ein Sklave, weniger als ein Mustang. Jetzt bin ich frei und wähle meinen Weg selbst.« »Du hast Unfrieden in mein Land gebracht«, sagte Cochise schwer. »Du hast mein Wort gebrochen, zweimal, Mimbrenjo. Einmal gestattete dir das Gesetz den Todessprung. Du wirst nicht noch einmal springen können.« Doppelwolfs Pendeln verstärkte sich. Er trat einen Schritt zur Seite, noch einen, versuchte, die Sonne in den Rücken zu bekommen, damit sie den Häuptling blendete. Cochise lächelte nur über diesen Versuch. Ohne sich durch eine Bewegung zu verraten, warf der Mimbrenjo seinen Tomahawk. Cochise neigte nur den Kopf zur Seite. Das Kriegsbeil klirrte hinter ihm gegen die Felswand. Doppelwolf riß das Messer aus dem Gürtel und sprang mit weiten Sätzen auf den Häuptling zu. Cochise machte keine Anstalten, die Winchester zu heben, dachte offensichtlich gar nicht daran, zu feuern. Haggerty riß sein Gewehr hoch. »Nein, Falke«, sagte der Jefe scharf. 109
Seine ganze Autorität lag in diesen beiden Worten, und John ließ die Winchester wieder sinken. Doppelwolf raste heran wie eine Maschine aus Muskeln. Er würde seinen Stoß von schräg unten nach oben führen, denn die Spitze des Messers wies aufwärts. Er kam nicht dazu, seinen Angriff zu vollenden. Cochise warf ihm das Gewehr zwischen die Beine. Der Mimbrenjo vergaß in seinem Haß einen Teil der Lehren, die doch jedem Krieger in Fleisch und Blut übergehen. Er stolperte, prellte sich das Schienbein, landete hart auf dem Boden und verlor das Messer. Er sah hoch, sah den Chief ohne Waffen vor sich stehen und grinste breit. »Jetzt töte ich dich, Cochise«, brüllte Doppelwolf triumphierend. Er stieß sich ab, rollte zur Seite und packte das Messer erneut. Wie ein flirrender Blitz wirbelte es auf den Chief zu. Der Häuptling sprang zur Seite. Auch die letzte Waffe des Mimbrenjos vermochte Cochise nicht zu töten. »Du mußt sterben«, sagte er hart. »Doch du wirst wie ein Mann sterben, wie ein Krieger im Kampf, wenn du das verlangst. Du kennst das Gesetz.« Doppelwolf stand auf, starrte den Chief an und sagte mit widerwilliger Bewunderung in der Stimme: »Ich fordere den Kampf, Häuptling.« Cochise deutete auf das Kriegsbeil und löste seinen eigenen Tomahawk vom Hosenbund. John schien es, als wären sich die Gegner ebenbürtig. Sie waren fast gleich groß, besaßen mächtige Muskeln und mehr Kraft als die meisten anderen Apachen. »Bis zum Tod, Cochise?« fragte der Mimbrenjo. »Du kennst das Gesetz«, erwiderte der Jefe. »Ja, ich kenne es«, erwiderte Doppelwolf beinahe heiter. »Töte ich dich, bin ich frei.« 110
Der Häuptling lächelte und antwortete: »Wenn du mich tötest, wirst du auch sterben. Victorio reißt danach die Führung der Stämme an sich. Er will Krieg, jeden Weißen vernichten. Mein Sohn Naiche ist noch nicht stark genug, deinem Chief Widerstand zu leisten. Und der Krieg, Doppelwolf, bringt auch dir den Tod.« Statt einer Antwort griff der hünenhafte Mimbrenjo an. Er rannte auf seinen Widersacher zu, brach blitzschnell zur Seite aus und flog zwei Handbreit über den Boden, als Cochise zuschlug. Die Schneide seines Tomahawks riß Doppelwolfs Haut auf seinem Rücken auf. Der Mimbrenjo vollführte einen halbkreisförmigen Hieb gegen die Füße des Häuptlings, der hochfederte und auf der anderen Seite einen Schritt neben dem Todgeweihten wieder landete. Doppelwolf krümmte sich wie ein Puma, stieß sich ab und jagte mit gesenktem Kopf auf Cochises Magen zu. Im letzten Moment warf er sich nach links, hatte sich jedoch getäuscht. Denn als er zuschlug, stand der Häuptling bereits an einer anderen Stelle. Cochise vermochte die Manöver des Mimbrenjo zu durchschauen, wußte jedoch auch, wie gefährlich und stark der Krieger war. Doppelwolf wirbelte herum, täuschte einen Angriff vor und warf sein Kampfbeil. Cochise holte aus und schlug mit seiner Waffe den heranwirbelnden Tomahawk aus der Luft herab. Der Stiel zerbrach. Doppelwolf stand drei Sekunden reglos, starrte den großen Jefe an und schien seinen Tod zu erwarten. Langsam schritt Cochise heran. »Du hast gekämpft wie ein Krieger«, sagte er. »Du wirst im Totenreich so leben, wie ein Krieger lebt.« Der Mimbrenjo dachte nicht daran, sich zu ergeben. Er schnellte vor, packte die breiten Schultern des anderen und glitt mit der Linken an Cochises Kampfarm herab, bis er das Handgelenk umfaßte. Mit schier übermenschlicher Kraft bog 111
Doppelwolf den Arm seines Gegners zur Seite, während er mit der anderen Hand auf die entgegengesetzte Schulter Druck ausübte. Der Chief lächelte. Er spannte seine mächtigen Muskeln an, leistete Widerstand und schob Stück um Stück seinen rechten Arm wieder in die alte Position. Doppelwolf keuchte vor Anstrengung und Überraschung. Er spürte das verzweifelte Gefühl, dem Führer der Chiricahuas nicht gewachsen zu sein. Und doch trieb ihn etwas an, sein Leben nicht einfach aufzugeben. Sein Fußtritt folgte überraschend, trat den Jefe schmerzhaft, aber er handelte, riß den Mimbrenjo zu sich heran. Doppelwolf verlor das Gleichgewicht, stolperte, streckte beide Arme aus, wollte sich an Cochise festklammern, doch der Abstand war zu groß. Und als Doppelwolf fiel, schlug der Häuptling zu. Der Mexikaner, der als kleines Kind von den Mimbrenjos geraubt worden war, lebte nicht mehr. Er war ein Apache, trotz des mexikanischen Blutes, das in den letzten Tagen so mächtig in ihm aufgewallt war. Und das Gesetz der Apachen hatte ihn ereilt. »Geh, Falke«, sagte Cochise. »Einer meiner Söhne ist tot. Ich warte hier auf Bu, die Eule, die seine Seele in das andere Land bringt. Ich singe einem tapferen Krieger das Totenlied, wie es die Sitte verlangt. Bring die Squaw mit dem Goldhaar weg. Sie soll nicht sehen, was hier geschah.« Haggerty nickte und sagte leise: »Du hast für den Frieden gekämpft, Bruder. Ich möchte, daß du dieses nicht vergißt.« »Ich weiß«, erwiderte der große Häuptling. »Es ist ein merkwürdiger Friede, wenn ein Mann für ihn töten muß.« Haggerty ritt zur alten Silbermine und winkte Myriam zu. Sie lief die Steigung hinab. Gefaßt ließ sich die Frau vor John aufs Pferd heben. Er ritt aus dem Tal zu seinem eigenen Tier. In wenigen Stunden würde Myriam wieder unter weißen 112
Menschen sein.
ENDE
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