Alexander Calhoun
Fahr zur Hölle, Rothaut Apache Cochise Band Nr. 28 Version 1.0
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Prolog Man nannte die Apachen Ba...
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Alexander Calhoun
Fahr zur Hölle, Rothaut Apache Cochise Band Nr. 28 Version 1.0
2
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen. Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen Apachen-Skalp. Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den Indianern fühlten. Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuerund beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von 3
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung abgetan wird. Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung trieb, nicht mit ansehen muß. Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen Arizonas. Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich das große graue Leichentuch über die Stämme und Sippenverbände. Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments gegen die rote Rasse gewesen wäre. 4
Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer rauhen Umwelt. Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter authentische Auf Zeichnung amerikanischer Geschichte, die in Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund. Ihr Martin Kelter Verlag
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*** Sie lagen zwischen den Mesquitebüschen und starrten mit angstverkrampften Herzen zu dem auf die Entfernung undeutlichen Rechteck von Corralitos hinunter. Jemand hatte dort unten gewütet. Dächer waren eingedrückt und Zäune eingerissen. Aus dem Dorf war eine trostlose, leere Ruine geworden. »Nicht bewegen, du Trottel!« Carlos Porfiro Mojada zischte es warnend. Die Beleidigung, die er hinzufügte, lockte bei Rico Montalban nur ein geringschätziges Lächeln auf die olivbraunen Züge. »Was befürchtest du?« »Apachen. Siehst du nicht die Trümmer, hörst du nicht die Stille eines Leichenhauses? Mann, Hombre, mußt du blöd sein.« »Sie sind längst nicht mehr da«, antwortete Estevan zuversichtlich. »Still! Das weiß man bei Apachen nie. Sie können direkt vor uns sein, neben uns, hinter uns. Verhaltet euch still und wartet ab.« Jeder der elf Männer, die hier im Unkraut lauerten, spürte die Gänsehaut wie ein Reibeisen über den Rücken gleiten. Apachen! Ein Wort für unartige Kinder, die nicht hören wollten. Apachen! Ein Schreckgespenst für alle, die sich in ihrem Land aufhielten. »Glaubst du, sie lauern irgendwo dort unten?« fragte Emerito aus dem Hintergrund. Unter dem dichten Dach des Gestrüpps klangen seine Worte wie durch einen Tunnel, aber die Angst in seiner Stimme war unverkennbar. »Das weiß niemand«, antwortete Carlos leise. »Verhaltet euch ruhig. Wenn die Bussarde ihr Werk beginnen, können wir 6
hinunter, nicht eher.« Elf Köpfe fuhren zum Himmel und beobachteten die dunklen Punkte, die wie Rußflocken im Spiel der Winde am Himmel kreisten. Sie kauerten im Unkraut und suchten die Umgebung ab. Mojadas Bande hatte am Morgen die Stelle kurz hinter der Grenze erreicht und war hier abgestiegen, um die Ansiedlung zu beobachten, die sie ausrauben wollte. Carlos Porfiro spannte sein Gewehr und griff nach seinem Colt, um die Ladung zu prüfen. Aus dem Überfall war nichts geworden. Andere waren ihnen zuvorgekommen. Andere, Apachen. Aber man konnte nie wissen. Vielleicht waren sie noch in der Nähe und lauerten auf das Erscheinen ihrer Erzfeinde? »Ich gehe hinunter«, sagte Mojada plötzlich. »Du, Mort, begleitest mich. Die anderen geben uns Feuerschutz, wenn's erforderlich werden sollte.« Trotz der frühen Morgenstunde war es unter dem Dach des Chapparals glühend heiß. Kein Windhauch verschaffte Kühlung. Nur die Insekten waren unterwegs und die huschenden Nager. Die beiden Männer standen auf und huschten gebückt den Hang hinunter. Sie ließen den Friedhof mit seinen eingefallenen Gräbern und schiefen Kreuzen hinter sich liegen. Im Schatten einer ausgebrannten Adobehütte ohne Dach blieben sie lauernd stehen und beobachteten die übrigen Hausruinen. Aus einigen stieg Rauch kerzengerade in die Höhe, ein Zeichen, daß der Apachenüberfall während der Nacht stattgefunden hatte, und daß es im Innern der Bauwerke immer noch schwelte. »Weiter!« Der Befehl an Mort Douglas, dem eiskalten Mann aus Kansas, war ein leiser Hauch. Sie huschten zum nächsten Haus. Ihre Stiefel knirschten über zerbrochenes Glas und stießen 7
gegen verrostete Büchsen und an anderen Unrat. Ein kurzer Blick durch eines der Fenster sagte ihnen alles. Matratzen waren aufgeschlitzt worden, zerschlagene Kisten und Möbel lagen zwischen dem Unrat. Ein Haufen Decken waren zerschnitten und teilweise verbrannt. Carlos Porfiro warf einen Blick zum Dach, es war eingesunken, die Balken angekohlt, die Holzbedeckung verbrannt. Alle Dinge von Wert waren von den Apachen mitgenommen worden. Der schwache Wind wehte stöhnend und wie klagend durch die Ruinen. Hier würden die Banditen nichts mehr von Wert finden, wenn sie überhaupt etwas gefunden hätten. Sonora war arm, noch ärmer die Menschen, die in dieser mexikanischen Provinz lebten. Hinzu kam die Revolution nach dem vorangegangenen Krieg gegen Benito Pablo Juárez liberaler Regierung, der versuchte, die Truppen Kaiser Maximilians von Mexiko außer Landes zu jagen, um selbst wieder den Präsidentenstuhl einnehmen zu können. In diesen Wirren gediehen Banden von Desperados wie Unkraut im Frühjahrsregen. Zahlreiche Banden von Mexikanern, Amerikanern, Indianern und sogar entlaufenen Negersklaven aus den Südstaaten der USA. »Sieht trostlos aus, was?« »Wir kamen zu spät. Mirda!« Carlos Porfiro Mojada spuckte aus und huschte zur nächsten Ruine. Auch hier war es nicht anders. Das Bild, das sich den beiden Desperados bot, war stets das gleiche: Verbrannte Häuser, ausgeplündert und mutwillig zerstört. Sie stießen auf die ersten Toten. Die Apachen hatten sie auf dem Marktplatz zusammengetrieben und dann getötet. Mort Douglas, der eiskalte Revolvermann, verzog kaum die Lippen. »Apachenart«, sagte er. »Ich sehe keine toten Kinder?« »Die haben sie mitgenommen. Werden alle zu perfekten 8
Chiricahuas umfunktioniert. Eines Tages kommen sie als Apachen über uns.«. Mort Douglas schüttelte sich. Gehetzt flogen seine Blicke zwischen den Häusern auf und ab, immer wieder. Aber nichts rührte sich. Der Wüstenwind bewegte lose Teile und spielte mit Unrat und Tumbleweed. »Du brauchst keine Angst zu haben, sie sind fort«, sagte Carlos spöttisch und grinste Douglas an. »Angst? Du bist wohl nicht bei Trost, Greaser? Ich und Angst! Falls du's vergessen hast: ich bin der beste Revolvermann zwischen Oaxaca und dem Pecos. Leg dich ja nicht mit mir an, Carlos, sonst wirst du dein blaues Wunder erleben.« »Der zweitbeste.« »Was? Du hast wohl 'nen Vogel unter deinem Hut? Wer will denn besser sein als ich?« »Ich.« »Was, du? Mann, ich krieg 'nen Schreikrampf. Du und besser. Wenn ich das noch mal höre, glaube ich es fast.« »Du kannst es glauben«, antwortete der Mexikaner kühl. »Und wenn nicht, dann versuch's mal. Das ist eine Aufforderung.« Zufällig starrte der Bandenchef zu den Büschen einer Mulde hinüber, die außerhalb der Ruinen einer zerstörten Dorfgemeinschaft lag. Etwas bewegte sich dort. Carlos machte einen Riesensatz und verschwand hinter der Hausecke. Unbewußt folgte ihm der Amerikaner. »Was ist los?« fragte er. »Indianer?« »Weiß nicht. Warte ab.« Wieder Bewegung bei den Büschen. Ein Maulesel wieherte leise. Carlos huschte um das Haus herum zum nächsten. Von hier aus konnte er kriechend die Büsche erreichen, während ihm Mort Feuerschutz gab. Carlos kroch weiter, bis er das Schimmern von Wasser vor sich erkennen konnte. Noch ein 9
paar Meter und er konnte die verschwommenen Umrisse eines Spitzhutes sehen. Wahrscheinlich war es ein Mexikaner. Der Mann richtete sich auf und hob sein Gewehr. »Wer ist da?« rief er auf Spanisch. »Ein Freund.« Der Gewehrhahn knackte deutlich, die antwortende Stimme klang ziemlich hell. »Welcher Freund? Hier gibt es nur Tote, aber keine Freunde. Bleiben Sie stehen, Hombre.« Carlos erhob sich aus dem Staub und klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. »Sie sind eine Frau, verstecken Sie sich nicht länger. Wir tun Ihnen nichts. Lassen Sie Ihr Gewehr fallen, und kommen Sie aus den Büschen. Was ist das für ein Wasser hinter Ihnen?« »Ein See, das sehen Sie doch. Er wird von einer unterirdischen Quelle gespeist. Ich werde nicht kommen, kapiert? Ihrem Blätterteiggesicht sieht man die Gemeinheit auf hundert Meilen an. Gehen Sie fort. Gehen Sie schnell fort.« »Unsinn! Fort. Wohin fort? Überall können Apachen sein. Wollen Sie mich dem sicheren Tod überantworten?« »Sie sind nicht allein, Hombre. Meinen Sie, ich hätte den Kerl dort bei der Hausruine und die anderen auf dem Hügel nicht gesehen? Hauen Sie endlich ab, aber schnell.« Das schmale Gesicht unter dem spitzen Strohsombrero stieß einen gellenden Schrei aus. Ein Schuß krachte. Die gelbe Mündungsflamme raste zusammen mit Pulverqualm auf Carlos zu, aber keine Kugel traf. Noch einmal brüllte das Gewehr hinter dem Dickicht auf. Weit hinter dem Desperado erklang ein Todesschrei. Carlos war so verblüfft, daß er den Arm nicht sah, der sich um den Hals des Mädchens legte und sie umriß. * 10
»Komm heraus! Mit erhobenen Händen!« Der es sagte, war ein Indianer. Ein Apache. Noch genauer: ein Chiricahua. Man sah es an dem breiten Stirnband, an der hellen Wildlederkleidung und an der majestätischen Gestalt, die gebieterisch den Arm ausstreckte und in die Klippen deutete. Der Gewehrhahn knackte überlaut. Eine angstgepeinigte Stimme zerflatterte wie Staub im Höhenwind. »Wer bist du, Rothaut?« »Cochise, der Jefe aller Apachenstämme. Komm endlich, oder soll ich dich holen?« Naiche warf seinem Vater einen fragenden Blick zu. Cochise schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Finger auf die Spitzen seiner hellen Mokassins. »Hierher kommt er, freiwillig.« Der Mexikaner kam. Urplötzlich teilten sich die Büsche. Er war klein und schlank wie ein Mesquitezweig. Dunkle Augen flitzten ängstlich von Rothaut zu Rothaut und übersahen auch die grimmig dreinblickenden Krieger im Hintergrund nicht. »Du bist wirklich…?« »Ich stelle Fragen«, unterbrach ihn Cochise. »Weshalb lauerst du uns auf?« Der Mex schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm der zu große Hut in die Stirn rutschte. »Allmächtiger! Ich und auflauern? Ich habe mich verkrochen, Chief. In den tiefsten Busch verkroch ich mich. Und weißt du auch warum? Aus Angst vor dir und deinen Kriegern.« »Kröte! Schweig, du Hund von einem Pima! Du hattest das Gewehr schon gehoben, ich sah es deutlich. Laß es fallen! Los, laß es fallen!« »Dann bin ich wehrlos.« »Wirf es weg!« Cochises Stimme klang wie brechendes Glas. Das Funkeln 11
seiner Augen ließ erst nach, als das Gewehr, eine uralte Hauser, auf den Boden polterte. »Geh weg! Zurück!« Naiches Hand legte sich an den Messergriff in den Leggins. Er war nahe daran, dieser feigen, winselnden Kreatur die Klinge bis ins Heft in das falsche Herz zu stoßen. Im stillen wunderte er sich, warum sein Vater so viele Umstände mit dem Gelbhäutigen machte. Irgendwie ahnte er, daß Cochise nie etwas ohne Grund tat, und die sechs Krieger im Hintergrund wußten das auch. Cochise stieß das vorsintflutliche Gewehr mit dem Fuß zur Seite und folgte dem mickrigen Mexikaner. In seiner Angst vor dem Chiricahuas wich dieser weiter und weiter zurück. »Du hast mir das Leben versprochen«, winselte er und brach vor Selbstmitleid fast in Tränen aus. »Du hast es versprochen, Cochise, und der Häuptling der Apachen hält hoffentlich sein Wort.« »Schweig! Ich versprach dir nichts!« Cochises Stimme kam grollend aus seiner gewölbten Brust. Sein scharfgezeichnetes Gesicht mit der großen Adlernase drückte Verachtung und Widerwillen aus. »Du kannst dich freikaufen, Kröte. Wenn du alle meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortest, lasse ich dich laufen.« »Frage…« »Still, du schleimige Kröte! Wenn der Häuptling der Apachen vor dir steht, schweigst du!« Die Angst um sein Leben ließ die Worte des Mexikaners förmlich sprudeln. Er verdrehte dabei die Augen, als hinge er schon am Marterpfahl. »Heilige Mutter Gottes, frage, Cochise.« »Du wirst mich anlügen, um deine schmutzige Haut zu retten.« »Ich werde die Wahrheit sagen. Ich schwöre es bei allen Heiligen Mexikos. Ich werde…« 12
»Du wirst schweigen.« Naiche spuckte angewidert aus. Die Krieger in seinem Rücken bewegten ihre Körper unruhig auf den Satteldecken. Sie haßten nichts mehr als Feigheit und den Ausdruck von Angstgefühlen. Wer bei ihnen um sein Leben winselte, war schon so gut wie tot. »Du bist ein Mann dieses Juárez?« »Nein, Jefe.« Cochise hob das Gewehr auf, hielt es dem Mexikaner vor die Nase. »Ein französisches Gewehr, Bastard. Du lügst!« »Ich sage die Wahrheit!« schrie der Kleine schreckerfüllt. Er zitterte an allen Gliedern. »Du mußt mir glauben, Cochise, daß ich mit diesem Rebell nichts zu tun habe.« »Wenn nicht mit ihm, dann mit den Franzosen?« Miguel warf beide Hände abwehrend in die Höhe. »Auch nicht mit den Franzosen. Kaiser Maximilian ist kein Freund der Mexikaner. Wenn ich…« Cochise ließ ihn nicht zu Wort kommen, kannte er doch die geschmeidigen Zungen der Mexikaner im Reden. »Dann arbeitest du für eine der Verbrecherbanden? Du bist ein Desperado?« Miguel senkte den Blick und nickte. »Ich reite für Carlos Porfiro Mojada und kundschafte Hazienden und Ortschaften aus, die überfallen werden sollen. Nebenher treibe ich Handel mit den Peonen.« Cochises nächste Frage kam wie ein Peitschenschlag. »Du bist von Süden gekommen, durch die Gran Desierto. Kennst du die geheimen Wasserstellen?« »Nein, ich nahm Wasser in Schläuchen mit. Mein Maulesel ist hochbepackt. Du kannst dich davon überzeugen.« Cochise gab Naiche einen Wink, während er mit seinem Verhör fortfuhr. »Sind in der großen Trockenwüste Soldaten? Halten sich Juárez' Männer dort auf, Franzosen, oder 13
irgendeine andere Truppe?« »Ich habe keine gesehen, Chief. Diese Gegend ist gefährlich für Mexikaner und Apachen. Ich mußte immer in der Nacht reiten und mich am Tag verbergen.« Naiche kam zurück und zerrte einen Maulesel hinter sich her. Die Augen der Krieger bekamen einen lichten Glanz. Mauleselfleisch war für sie ein Leckerbissen. Naiche nickte seinem Vater zu und deutete auf die prallen Wasserschläuche. Der Mexikaner sah die gierigen Blicke der Krieger und deutete auf den Maulesel. »Ich kann mich nicht von dem Muli trennen, Cochise. Ohne das Tier bin ich in diesem Land verloren.« Der Häuptling warf einen Blick zurück auf die Berge. Es gab keinen Weg aus ihnen. Nur wenigen weißen Männern war es jemals vergönnt, aus diesen Bergen zurückzukehren. Jenseits der Berge lagen andere, noch weitgestreckter, noch dunkler und gefährlicher. Nur die Apachen kannten die Berge, ihre Canyons, Mesas und ihre geheimen Quellen. »Du kannst deines Weges ziehen«, sagte er. Miguel warf einen scheuen Blick auf die dunklen Wasserspeiergesichter der Krieger und wich ängstlich einen Schritt zurück. Er wußte von der grausamen Art der Apachen, einen Gefangenen laufen zu lassen, um ihn anschließend zu Tode zu hetzen. Aber er irrte. Cochise schwang sich auf sein Pferd und ritt an der Spitze seiner Krieger in die flimmernde Tageshitze hinein. * Carlos warf sich herum und zog den Revolver. Mit dem Daumen spannte er den Hahn. Um den Bruchteil einer Sekunde war er zu spät gekommen. Zwanzig Yards von ihm entfernt hauchte ein Apache im Todeskampf sein Leben aus. Mit einem einzigen Sprung war Carlos Porfiro Majada auf den Füßen und 14
hetzte mit langen Sätzen zum See hinüber. Ein Pfeil zischte an ihm vorbei, ein zweiter, schließlich ein dritter. Mit einem Riesensprung krachte er in das Dickicht und kam neben Mort Douglas und der fremden Mexikanerin auf dem Bauch zu liegen. »Das war knapp«, keuchte er. »Die roten Bestien sind also noch immer in der Nähe.« Er blickte seitwärts. Morts Arm lag wie eine kräftige Liane um den Hals einer noch jungen Mexikanerin. Vor ihr lag ein Gewehr. Der Hut war dem Mädchen vom Kopf gerutscht, schwarzes Haar floß ihr lang über die Schultern. Vom Hügel herüber klangen Schüsse. Graue Pulverwolken stiegen über der unkrautüberwucherten Kuppe auf und verteilten sich. Das Gewehrfeuer richtete sich auf die letzten Ruinen bei der im Halbkreis verlaufenden Straße. »Warum hast du sie überwältigt, Mort? Sie rettete mir das Leben.« »Das konnte ich nicht wissen, als sie schoß. Konnte auch nicht wissen, auf wen sie schoß. Die Wildkatze hat mir ganz schön zu schaffen gemacht.« »Laß sie los!« »Meinetwegen. Wenn sie schreit, stopfe ich ihr die Futterluke mit dem Revolverkolben.« Carlos studierte das aparte Gesicht des sicher kaum zwanzigjährigen Mädchens. Schmales Gesicht, leicht hervorstehende Wangenknochen, hohe Jochbögen, dunkle Augen und füllige Lippen. Alles in allem: sie war schön. Seidig und blauschwarz rahmte das Haar ihr braunes Gesicht ein. »Sind Sie aus diesem Dorf, Señorita?« Sie nickte, warf unter seidigen Wimpern einen prüfenden Blick hervor, der Carlos streifte. Sofort schaute sie wieder fort. »Meine Eltern sind tot, Señor. Sie sind alle tot, die Menschen, die mit uns zusammenlebten. Alle!« »Chiricahuas?« 15
Sie nickte unter Tränen. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper. Nach einer Weile antwortete sie: »Victorio. Ich habe ihn deutlich gesehen und erkannt. Er ermordete und skalpierte meinen Vater.« Carlos murmelte: »Tut mir leid.« Mort Douglas grinste nur. Die scharfen Züge in seinem Gesicht wanderten über die Figur des Mädchens und begutachteten ihre Jungfräulichkeit. »Wieviel Apachen waren an dem Überfall beteiligt?« »Fünfzig, oder auch mehr. Es ging alles zu schnell. Mit dem sinkenden Abend griffen sie an, und eine Stunde später brannte die Ansiedlung an allen Ecken und Enden.« »Wie sind Sie dem Massaker entkommen?« »Ich war am See, um ein Bad zu nehmen, Señor. Als die ersten Schüsse fielen, versteckte ich mich.« »Und das Gewehr hier? Haben Sie das auch gebadet?« Das Mädchen wurde rot, über und über rot. Beinahe wild schüttelte sie den Kopf. »Ich nehme es immer mit, wenn ich das Dorf verlasse.« »Vor wem hatten Sie Angst?« »Vor den Desperados. Sie sind ein Desperado, nicht wahr?« Carlos nickte. In diesem Augenblick verfluchte er die Stunde, die ihn zum Räuber und Plünderer gemacht hatte. Diese junge mexikanische Frau hatte den hartgesottenen Desperado im Sturm erobert, und der flüchtige Augenblick, der dazu genügt hatte, würde dem Manne ewig unvergessen bleiben. Mort Douglas erhob sich auf die Knie und spähte durch den dichten Chapparal. Hinter ihm gluckerte der See und warf kleine Wellen an das grasbedeckte Ufer. Was Mort sah, ließ ihn den Kopf schütteln. Er sah nichts, und gerade das war es, was ihn verwunderte. Er stand auf und zog seinen schweren Revolvergurt hoch. »Runter!« sagte Carlos heftig. »Oder willst du einen Pfeil zwischen deine Rippen haben?« 16
Morts Lippen verzogen sich spöttisch und abweisend. Seine weißen Zähne und seine eiskalten grauen Augen blitzten. »Unsterblichkeit mag sicher ganz reizvoll sein, Carlos, aber bestimmt auch langweilig. Ich gehe mal nachsehen, wenn du nichts dagegen hast?« »Bleib in Deckung, das ist bestimmt sicherer.« »Ich lasse mich nicht bedrohen. Weder von einer Rothaut noch von einem Spie.« Fort war er. Wie ein Büffel durchbrach der Revolvermann den grünen Ring der Pflanzenmauer. Carlos Porfiro erhob sich auf die Knie, den Revolver in der Faust. Er spähte durch die Blätterwand und verfolgte den Amerikaner mit seinen Augen. Mort war beim letzten Haus angelangt und warf sich dort zu Boden. Den gespannten Colt hielt er in der ausgestreckten Hand. Nichts rührte sich. Staubteufelchen tanzten auf der Calle Royal und verbanden sich mit dem trockenen Dung, der von thermischen Winden aufgewirbelt wurde. Links von ihm lag der tote Apache, rechts davor eine zusammengerollte Klapperschlange in der heißen Sonne. Das ausgebrannte Dorf war tot und leer. Oder doch nicht? Wo ein Apache war, mußten sich mehrere aufhalten. Kein Chiricahua entfernte sich so weit von seinen Jagdgründen und schon gar nicht in die Gran Desierto, wenn er nicht mußte oder wenn er allein war. In seinem Rücken johlten die Kameraden auf dem Hügel und riefen ihm Warnungen und Ermahnungen zu. Mort beobachtete sie nicht. Ein Revolvermann seines Formates kümmerte sich nicht um ein paar rote Halsabschneider, und wenn sie ihn angriffen, würde er mit heißem Blei zu ihnen sprechen. Schwer und vertraut lag der langläufige Revolver in seiner Hand. Wie ein alter Freund, der zuversichtlich und vertraulich mit ihm raunte. Mort kroch weiter. Er traute dem Frieden nicht. Selbst die Jungs oben auf dem Hügel konnten das Dorf nicht ganz 17
einsehen, weil die Hauptstraße diagonal zu ihrer Blickrichtung verlief. Mort gelangte bis zur Straße. Auch hier nichts. Unrat und Tumbleweed torkelte wie trunken über den zusammengewehten Staub, um irgendwo zum Erliegen zu kommen oder einfach weiterzurollen, bis es nicht mehr ging. Ein leises, kaum wahrnehmbares Geräusch war plötzlich hinter ihm. Mort Douglas fegte herum und warf sich auf den Rücken. Die satanische Fratze mit den bunten Querstreifen fletschte ihn hinter dem gespannten Kriegsbogen geradezu faunisch an. Mort schoß, spannte den Hahn wieder und hob die Waffe. Er brauchte keinen zweiten Schuß, um sich des Apachen zu erwehren. Der Krieger ließ den Bogen fallen, warf die Arme in die Höhe und knickte in den Knien ein. Sein letzter Impuls war, den verhaßten Weißen mit dem Messer zu erreichen, was ihm nicht mehr gelang. Der Tod war schneller. Mort wirbelte auf die Knie, drehte sich um seine Achse, immer den Colt im Anschlag, gespannt und mit fünf Patronen in der Trommel. Er erwartete einen weiteren Angriff, sah sich aber getäuscht. Vom Hügel herüber vernahm er das Geschrei der Desperados, die ihm Warnungen zuriefen, die er nicht verstand. Als er die Hufschläge hörte, ahnte er, daß sich der Rest der Krieger fluchtartig absetzte. Er stand auf und trat auf die Dorfstraße hinaus. Dort ritten sie, drei Krieger auf schnellen Mustangs, die die stämmigen Beine wie Dreschflegel warfen. Vom Hügel kamen die Banditen heruntergeritten. Sie hielten beim See an und stiegen aus den Sätteln. Mort setzte sich in Bewegung und ging den Weg zurück. Er hatte sie vertrieben, die lauernden Krieger, und er war so gelassen wie zuvor. *
18
Am Rio Yaqui kauerten in einem offenen Feldlager Soldaten der französischen Armee an kleinen Kochfeuern und bereiteten sich ihre Abendmahlzeit. Im Westen sahen sie nur Berggiganten mit weißen Häuptern und die tiefen Einschnitte der Schluchten. Hinter ihnen lag die große Wüste von Sonora. Im Norden gurgelte der Fluß, und im Süden wellte sich das Hügelland, das der Sierra Madre vorgelagert war. Wenn nicht die Rauchsignale gewesen wären, hätten sie sich in der Bergwelt wie zu Hause gefühlt. Aber so vorsichtig die Gruppe sich im Indianergebiet bewegte, es gab keine Möglichkeit, ihre Spur zu verwischen. Im schlimmsten Fall konnte ein einzelner Reiter den scharfen Augen der Yaquis und Apachen entgehen, eine so große Kolonne jedoch niemals. Der Tag neigte sich. Dunkelheit brach über das Lager, und wenn die Soldaten den Feuern neue Nahrung gaben, flackerten Licht und Holzrauch bis weit hinüber zum Fluß. Wie Tinte floß der Rio Yaqui durch die Hügel, und wie schäumende Tinte unterspülte sein Wasser die Uferböschungen. Der Reiter hinter den Hügeln, noch etwa zwei Meilen entfernt, roch zuerst den Feuerrauch, bevor er die Brandstellen sah. Zwischen zwei Hügeln steigerte er seine Unrast und gab dem Pferd die Sporen. Aber schon bald danach zügelte er den Dunkelbraunen wieder und stieg aus dem Sattel. »Diese Vollidioten!« fluchte er auf Englisch. Er band sein Pferd an einem Kandelaberkaktus fest und ging zu Fuß weiter, dem Geruch des Rauches nach. Endlich sah er die Flammen, als er eine Bodenwelle hinter sich ließ. Er kauerte in der Dunkelheit und blickte zu den Lagerfeuern. Stimmengemurmel drang an sein Ohr. Es waren Franzosen. Die Soldaten trugen seltsame Uniformen, die sich dem malerisch veranlagten Land anpaßten, in dem sie zwangsläufig Krieg spielen mußten. Ein Krieg, der ihnen völlig gleichgültig war. Ihre roten Hosen waren zerrissen, die blauen Uniformjacken 19
mit den Silberknöpfen starrten vor Schmutz. Ihre Stiefel hatten Löcher und kaum noch Sohlen. Trotz ihres schäbigen Aussehens waren sie immer noch eine willkommene Beute für die Yaquis und Apachen, weil sie noch etwas hatten, was die Indianer wollten: Waffen und Skalps. Der Mann hinter der Bodenhebung trat aus der Dunkelheit und rief gedämpft: »Hallo, Lager!« Dann trat er rasch hinter einen Busch. Der Wachposten fuhr herum und hob das Gewehr. Die Soldaten an den Feuern richteten sich auf und starrten in die Dunkelheit. Ein Offizier erhob sich und ging dem Ruf nach. »Wer ruft?« brüllte der Posten. »Quadis Maurice Guilbert aus dem Hauptquartier in Mexiko.« Der Offizier rief: »Kommen Sie ans Licht, Monsieur!« Der Mann mit dem seltsamen Namen Quadis schritt aus der Dunkelheit dem Lichtkreis entgegen. Bei dem Offizier blieb er stehen und legte grüßend die Hand an den Hut, obwohl er Zivilkleidung trug. »Guten Abend. Sie sind Capitaine Duboi?« »Ja, und wer sind Sie?« »Ich sagte es bereits: mein Name ist Quadis Maurice Guilbert. Ich komme mit Sondervollmachten direkt aus Mexiko. Hier, bitte lesen Sie.« Er zog ein Stück Papier aus der Tasche und reichte es dem Offizier. Der faltete das Schreiben auseinander und drehte sich zum Licht. Nach einer Weile nickte er und gab das Schreiben zurück. »Ich soll Sie mit Ihren Leuten aus dem Indianergebiet heraus und nach Osten führen. Und das heute nacht.« »Wer hat das angeordnet? Mein Befehl lautet, die Yaquis anzugreifen und zur Räson zu bringen.« »Das Hauptquartier«, Guilbert zuckte die Achseln. »Womöglich der Kaiser selbst. Wissen Sie übrigens, worauf 20
Sie sich da eingelassen haben? Die Yaquis zur Räson zu bringen, ist leichter gesagt als getan. Yaquis bändigt man nicht. Man bringt sie um oder man wird von ihnen umgebracht. Lassen Sie das Lager abbrechen.« Der Offizier gab die nötigen Befehle, und Minuten später stand die Truppe feldmarschmäßig bereit zum Marsch ins Ungewisse. Duboi und Guilbert ritten an der Spitze des langen Zuges. Sie unterhielten sich, von Dunkelheit umgeben, von der Nacht gedeckt. Geheimnisvoll rauschten die Büsche im Wind, und noch geheimnisvoller leuchteten die Sterne über ihren Köpfen. »Sie sind Offizier, Monsieur?« »Nein, Scout oder Pfadfinder, wenn Sie wollen. In eine Uniform lasse ich mich nicht stecken.« »Parbleu, wirklich ein Scout? Ich dachte immer, das gibt es gar nicht.« »Sie sehen, daß es das gibt. Erkennen Sie die Hügelkette im Osten? Dort müssen wir hindurch. Haben wir sie hinter uns liegen, gibt es für Sie und Ihre Soldaten keine Probleme mehr.« Duboi warf einen seltsamen Blick auf das Gesicht des neben ihm reitenden Mannes. Hatte das nicht etwas seltsam geklungen, so wie er es durch die Zähne quetschte? So maliziös und zweideutig? Aber Guilberts Gesicht war nichts anzumerken. Die Hügel kamen näher und sahen in der sternendurchdrungenen Dunkelheit wie die Rücken großer schlafender Büffel aus, oder wie ein erstarrtes Meer. Hügel reihte sich an Hügel, Tal an Tal. Dazwischen gab es Buschinseln und Bäume, Kakteen und ganze Distel- oder Yuccafelder. Ein seltsames beklemmendes Gefühl befiel den Offizier. Der Schweiß brach ihm klebrig und in dicken Tropfen aus. Seine dunkeln Augen flogen von Kuppe zu Kuppe, von Busch zu Busch, hinter jeden Baum. Aber die Nacht blieb still und weiterhin gespenstisch. 21
Schweigen legte sich auf die Truppe. Die Angst, in dieser Nacht allein in einem fremden Land zu sein, beflügelte ihre Sinne und ihre Phantasie. Riesige Monster tauchten aus den seitlichen Tälern auf, stampften heran und ließen die Erde zittern. Halluzinationen. Etwa eine Stunde waren sie durch das Labyrinth von Hügeln und Tälern marschiert, als unvermittelt vor ihnen ein Licht auftauchte. Eine Stimme rief: »Feuer! Gebt Feuer, Muchachos!« Guilbert riß sein Pferd nach rechts und gab ihm die Sporen. Das Tier fegte laut wiehernd in ein Hügeltal und verschwand. Gewehre krachten rings um die französische Truppe, viele, nicht zu zählende Gewehre. Es krachte, als seien sämtliche Höllen losgelassen. Das Schreien und Keuchen der zusammenbrechenden Soldaten wurde vielzähliger und lauter, ihr Wut- und Schmerzgebrüll geradezu infernalisch. Capitain Dubois wollte den Befehl zum Rückzug herausschreien, aber der Einschlag einer Kugel in seiner Kehle ließ nur noch ein blutersticktes Gurgeln zu. Er brach zusammen und war tot, bevor der Gedanke an Verrat ihn ganz erreichte. Nach einer halben Stunde lebte keiner der Soldaten mehr. Gestalten mit Wagenradsombreros auf den Köpfen glitten leise und schattenhaft heran, während Guilbert aus einem Hügeltal heraus auf ein großes Militärlager zuritt. Vor einem Doppelzelt sprang er aus dem Sattel und stürmte durch den Eingang. Zwei Mexikaner mit Riesensombreros auf den Köpfen und gekreuzten Patronengurten über der Brust hielten ihn auf. »Zu wem wollen Sie, Señor?« grunzte der eine und stieß den Amerikaner vor die Brust. »Zum Präsidenten, zu wem sonst? Melden Sie mich, Major. Ich bin Mark Bowden und komme vom Rio Yaqui.« Die Leinwand zum Nebenraum teilte sich. Der Flügel 22
klappte wieder zurück, und ein um die Hüften fülliger Indianer erschien. Benito Juárez, gepflegt wie immer, eine breite rote Schärpe unter dem langschößigen Rock. »Laßt diesen Mann eintreten, Pfilippo, ich kenne ihn.« Guilbert betrat das Zelt und blieb vor Juárez stehen. Der ehemalige Präsident zupfte an seinen Koteletten. »Mr. Bowden, Sie haben die Truppe gefunden?« »Es war denkbar einfach, Sir. Sie hinterließ eine Menge Spuren, denen man selbst im Dunkeln folgen konnte.« »Und?« Bowden wedelte ein wenig mit der Hand. »Es hat natürlich geklappt. Von den Rothosen dürfte keiner mehr leben. Ihre Leute waren pünktlich zur Stelle und gut postiert. Wenn ich nicht irre, wird das den Kaiser abhalten, eine weitere Truppe in den Norden zu schicken und massakrieren zu lassen. Das verlorene Material und die Waffen sind für ihn unersetzlich.« »Das haben Sie ausgezeichnet gemacht, Mr. Bowden. Ihre Belohnung können Sie sich beim Zahlmeister abholen. Vielen Dank für Ihre gute Arbeit.« Bowden zögerte. »Sie sollten Anweisung geben, Sir, die Feuer draußen zu löschen. Der Rauch ist meilenweit zu riechen. Keine Indianernase kann… Pardon, Sir, ich vergaß…« Juárez lächelte. »Macht nichts«, erwiderte er. »Die ganze Welt weiß, daß ich ein Ureinwohner dieses Landes bin. Wir sind die Herren Mexikos, nicht die Franzosen. Einverstanden, ich lasse die Feuer löschen, wenn Sie den Rauch und das Licht für gefährlich halten. Durch wen gefährlich?« Bowden lachte trocken. Sein scharfgeschnittenes Gesicht mit den grauen Augen wirkte überheblich und selbstsicher. »Das fragen Sie, Sir? Sie sollten die Yaquis und Apachen eigentlich besser kennen als ich.« »Natürlich! Meine indianischen Späher berichteten mir, daß Cochise, der Häuptling der Chiricahuas, in Sonora eindrang und auf dem Weg zu den Yaquis ist. Wir haben allen Grund, 23
uns für dieses Treffen zu interessieren.« »Wie meinen Sie das, Sir.« »Was haben Sie nach Erfüllung dieses Auftrages vor?« »Am liebsten würde ich nach Texas oder Kansas zurückkehren«, antwortete Bowden trocken und unpersönlich. Juárez' Augen lagen mit einem seltsamen Ausdruck auf dem scharfgeschnittenen Gesicht des Amerikaners. Bowden fragte sich, was den ehemaligen Präsidenten bewegte. »Haben Sie einen weiteren Job für mich? Falls ja, was bringt er ein?« Juárez sagte: »Dreihundert. Die Arbeit dürfte Ihnen gelegen sein.« »Meine Preise richten sich nach der Art des Unternehmens, Sir, und nach seinem Gefährlichkeitsgrad. Wenn es mich meinen Kopf kosten kann, müssen Sie etwas zulegen. Daran geht Ihre Revolution nicht zugrunde.« »Mr. Bowden, Sie verstehen ein Geschäft auszuhandeln, alle Achtung. Ich biete Ihnen das Doppelte. Sechshundert.« Bowden nickte. »Und was muß ich dafür tun?« »Bringen Sie mir die Nachricht, was Cochise bei dem Yaqui will und was er mit Tehueco vereinbart. Es geht um Krieg oder Frieden mit den Stämmen. Trauen Sie sich das zu?« »Warum nicht? Sechshundert Goldpesos bei Erfüllung Ihres Auftrages. Ich bin einverstanden. Bei Tagesanbruch reite ich. Adios und gute Nacht, Sir.« »Buenas noches, Señor Bowden!« * Es war ein brausender Schrei, der die Sterne verdunkelte und mit hundert Echos von den Felsklippen zurückbrandete. Sogar die Steine brachte er zum Beben. Der Schrei wiederholte sich nicht, aber er hallte lange in der aufgewühlten Seele des einsamen Mannes nach, der ein Kochfeuer unterhielt und eine 24
Pfanne schwenkte. Zwei Paar Augen beobachteten ihn bei seiner Tätigkeit. Auf ein Kopfnicken Cochises erhob sich Naiche und folgte dem Jefe auf die Lichtung. Als sie so beide unerwartet und lautlos aus der Dunkelheit auftauchten, zuckte der Weiße zusammen und sprang auf die Füße. Wie hingezaubert lag sein großkalibriger Revolver in seiner Hand. »Wer seid ihr?« Cochise blieb stehen und starrte abwechselnd in die Flammen und auf den Fremden. Wenn die Flammen den Weißen anstrahlten, blickte Cochise in die kältesten grauen Augen, die ihm je begegnet waren. »Lösche das Feuer«, sagte er. »Yaquis sind in der Nähe. Du hast ihren Jagdschrei gehört, oder nicht?« Der Weiße nickte. »Wer bist du, ein Yaqui? Aber nein, das kann nicht sein, du würdest mich sonst nicht warnen.« »Ich bin Cochise, der Häuptling aller Apachenstämme. Ich und mein Sohn haben von den Yaquis nichts zu befürchten, aber du. Wirf Sand auf das Feuer.« Cochise trat mit seinem Begleiter näher an das Feuer. Er war um einige Zoll größer als der Amerikaner, mit einem mächtigen Oberkörper, der das Wildlederhemd über der Brust zu sprengen schien. »Ich habe noch nicht gegessen«, protestierte der Weiße in der dicken Buschjacke und dem flachkronigen Stetson auf dem Kopf. Naiche scharrte mit dem Fuß Erde über das brennende Holz. Cochise antwortete: »Wenn du nicht im Dunkeln eine Mahlzeit zubereiten kannst, dann bekommst du dein nächstes Essen in den Ewigen Jagdgründen, Bleichgesicht. Los, lösche es!« Der Fremde schob den Revolver ins Halfter und studierte zweifelnd die Gesichter seines unverhofften Besuches. »Du bist wirklich Cochise, der Jefe der Chiricahuas?« »Ich habe gesagt, wer ich bin. Und wer bist du? Wenn ein 25
weißer Mann das Land der Yaquis betritt, muß er sehr tapfer sein oder verrückt. Die ›Vettern‹sind nicht gut auf Weiße oder Mexikaner zu sprechen.« »Mein Name ist Mark Bowden. Ich komme im Auftrag des Präsidenten Benito Juárez und will zu den Yaquis.« Aus den nahen Klippen schallte der Ruf eines Gebirgskauzes. Langgezogen und klagend drang der Laut bis in den letzten Winkel der wilden Gebirgslandschaft. Noch einmal rief der Kauz alles Leid seiner Art in die schattenerfüllte Dunkelheit, dann war es still. »Du mußt nicht erst zu den Yaquis, sie sind schon da«, sagte Cochise und fuhr dann fort: »Wer ein Feuer anzündet, ist seinen Skalp so gut wie sicher los.« Bowden errötete und löschte die letzte züngelnde Flamme mit einem Schwall Sand, den er mit dem Fuß auf das brennende Holz schleuderte. Als er sich aus seiner halbgebückten Stellung wieder aufrichtete, sah er sich einer Kette von Indianern gegenüber, die mit drohenden Gebärden ihre Gewehre auf die drei Gestalten richteten. Lautlos waren sie herangekommen, und ebenso lautlos hatten sie die Gruppe beim Lagerfeuer eingekreist. Ein hochgewachsener Indianer, der ein geflecktes Fell über der Schulter trug, kam gleitend und lautlos wie ein Panther aus der umgebenen Nacht und blieb vor Cochise stehen. »Willkommen im Lager der Yaquis, Chiricahua. Wer ist dieses Bleichgesicht?« Bowden starrte eingeschüchtert auf die wilden Gesichter. Die Körper der Krieger steckten in heller Leinenkleidung, an den Füßen trugen sie Strohsandalen, auf den Köpfen spitze Sombreros oder nur Stirnbänder. Wild flatterten ihre Haare bis auf die Schultern. Alle trugen sie Waffen in den Händen, gekreuzte Patronengurte über der Brust, ein Messer im Gürtel oder ein Schlagwerkzeug als Waffe. »Ein Abgesandter Juárez', Tehueco. Er will zu dir.« 26
»Ich erwarte keine Botschaft. Tötet ihn!« Zwei Krieger stürzten sich auf Bowden, rissen ihm den Revolver aus dem Halfter und bemächtigen sich seines Gewehres, das in der Nähe des Feuers an einem Stein lehnte. Cochise hob die Hand. Sofort wurde es still auf der kleinen Lichtung. Auge in Auge stand er dem Kaziken gegenüber. »Du solltest dir seine Wünsche anhören, Tehueco. Das ist der Rat eines Freundes. Die Zeiten sind nicht gut für den roten Mann, und wenn wir ihre Zeichen mißachten, gehen wir unserem Untergang entgegen.« Der Häuptling, ein Mann mit einem breitflächigen Gesicht und einer Adlernase wie ein gebogener Schnabel, drehte sich zu dem Weißen herum. Seine Stimme klang dunkel, aber er sprach ein gutes Spanisch. »Sage deine Botschaft, Bleichgesicht, danach wirst du getötet.« »Ich komme als Abgesandter, Kazike, und genieße deinen Schutz und die Garantie meines Lebens. Mein Name ist Mark Bowden. Juárez schickt mich. Ich soll mit dir verhandeln und dir im Namen des Präsidenten Geschenke versprechen«, log Bowden unverdrossen. »Wo sind die Geschenke?« »Du kannst sie dir im Lager abholen oder eine Abordnung schicken, wie du willst.« Ein paar dunkle Augen glühten ihn an, nicht nur ein Paar, mindestens zwanzig. So mancher Finger krümmte sich am Abzug und manche Hand zuckte zum Messer oder zur Schleuder, aber nichts geschah. »Was will der abtrünnige Hund Juárez von mir?« Verachtung klang aus Tehuecos Stimme, eine Verachtung, die allen Indianern galt, die mit den Mexikanern paktierten und ihnen Handlangerdienste leisteten. Bowden spielte seinen letzten Trumpf aus. Er betete still zum Himmel, jetzt die richtigen Worte zu finden, die den Yaqui 27
überzeugen konnten. »Juárez bittet dich um Beteilung am Freiheitskrieg aller Mexikaner gegen die französischen Eindringlinge. Deine Krieger werden wie die regulären Truppen des Präsidenten behandelt. Sie erhalten Lohn, Waffen und Proviant. Sogar eure Unteroffiziere dürft ihr stellen. Ein gutes Angebot, finde ich.« Tehueco spuckte verächtlich zu Boden. In der Reihe der Krieger kam lautes, drohendes Murren auf. Cochise und Naiche verhielten sich still, und ihre Krieger in der Dunkelheit des Lagerumkreises ebenfalls. Alle warteten ab. Die Situation war plötzlich unübersichtlich geworden. Wenn Tehueco Juárez' Abgesandten töten ließ, war ein Krieg gegen die wilden Bergstämme unvermeidlich. Bowden dagegen redete um seinen Kopf. Von Sekunde zu Sekunde pochte sein Herz lauter. Er starrte zum dunklen Nachthimmel empor. Ein Land der Finsternis, schwarz wie die Hölle, um ihn herum und zwischen den Felsen die Schatten des Todes, unberechenbar, launig und das einzige Licht verdunkelnd, das sich in seine Sinne drängte: Benito Juárez. Tehuecos Hand richtete sich auf den Weißen. »Tötet ihn! Das soll meine Antwort auf das Angebot des Abtrünnigen sein!« Mit einem tierischen Geheul stürzten sich die Krieger auf den Weißen. Bowden hatte mit der Reaktion des Kaziken gerechnet. Mit gewaltigen Faustschlägen schmetterte er die beiden ersten Angreifer zu Boden, trat dem dritten in den Unterleib, einem vierten in die Rippen. Einem weiteren Indianer hieb er die Faust so hart an den Kopf, daß der Yaqui sich am Boden überschlug. Bowdens zweite Aktion folgte auf dem Fuß. Mit einem Riesensprung verschwand er aus dem Feuerkreis. Von Pfeilen und geschleuderten Steinen verfolgt, glitt, stolperte und schoß er die Böschung hinab und raste dem Fluß entgegen. Für ihn gab es nur Flucht. Sein Pferd, die Ausrüstung und 28
seine Waffen waren verloren, aber er hatte sein Leben gerettet, und dafür war er dem Schicksal dankbar. Das Gebrüll der Krieger lag ihm noch in den Ohren, als er sich in die schäumenden Wirbel bei den Klippen stürzte und mit langen Armstößen die Flußmitte des Rio Yaqui zu erreichen versuchte. Während er Wasser schluckte und wieder ausspie, dachte er darüber nach, was er falsch gemacht haben könnte. Um Kräfte zu sparen, legte er sich auf den Rücken und ließ sich von der Strömung treiben. Ihm ging es bei diesem Krieg um nichts. Er war nur an Geld interessiert. Patriotismus kannte er nicht, und auch der Bürgerkrieg im Osten der Vereinigten Staaten war ihm nur Mittel zum Zweck, Geld zu machen. Während er unbeweglich mit dem dahinschießenden Wasser trieb, überlegte er sich alle Möglichkeiten, wie er doch noch zum Ziel gelangen konnte. Seine Gedanken waren dabei so abgelenkt, daß er das Tosen eines Wasserfalles überhörte, auf den er pfeilschnell zuschoß. Gischt hüllte ihn wie mit einem weißen Mantel ein. Als er merkte, was geschah, war es für ihn zu spät. Wie ein Geschoß sauste er auf die Fälle zu und ging im brodelnden Wasser unter. Zweimal prallte er heftig gegen Felsen und versuchte verzweifelt, nach oben durchzustoßen, um Luft zu schnappen. Es gelang. Gierig saugte er das Lebenselement in seine Lungen und füllte sie bis in die Spitzen. Um ihn herum war nur Schaum und kochendes Wasser. Einmal wurde er hochgehoben, dann wieder überspült und in die Tiefe gedrückt. Den einsamen Haifischzahn, der auf seinem Weg über den Fall aus dem Strudel ragte, sah er nicht. Aber er fühlte ihn. Als er mit dem Kopf gegen ihn krachte, verließen ihn die Sinne. Er versank im Wasser und wurde von dem Fall weit hinaus in das tiefer liegende Becken geworfen.
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* Es war stockfinster in der Schlucht. Ein Coyote heulte. Der Wind stöhnte durch die weite Schlucht, raschelte im Laubwerk und erfüllte die Klippensiedlung mit einem geisterhaften Geflüster. Unter vorspringenden Felsplatten und in Höhlen kauerten sie unter gespannten und lichtschluckenden Decken an Feuern, die zwar Licht spendeten, aber keinen Rauch verbreiteten. Lagerposten lagen geduckt hinter Gestrüpp, das im Wind trocken raschelte. Beim Schluchtausgang gurgelte der Rio Esmeralda, der dem Rio Yaqui entgegenstrebte. In der größten Höhle flackerte ein bescheidenes Feuer, das von trockenen Kakteenästen genährt wurde. Cochise lehnte an der Wand. Naiche saß mit Tehueco und zwei weiteren Yaquikriegern beim Feuer. Tehuecos große Fäuste baumelten zwischen den Knien. Er zupfte wiederholt an seiner Unterlippe. Von der glatten Felswand herüber sprach Cochise. Seine Stimme klang ruhig und sonar wie immer. »Deine Späher leisteten gute Arbeit, Häuptling. Die Nachricht, die sie brachten, klingt wohltuend in meinen Ohren. Wieviel Gewehre sagtest du?« »Drei Wagen voll, hochbepackt bis unter die Planen.« Cochise kannte die Fahrzeuge der französischen Armee nicht, stellte sich jedoch die Prärieschoner vor, in denen die Weißen sein Land durchführen, um Kalifornien zu erreichen. »Jeder Wagen faßte hundert Gewehre, dazu Pulver und Blei und die langen Messer, die sie Bajonette nennen. Hohahe, gute Jagd!« »Du wirst sie angreifen, Häuptling der Yaquis?« »Ich werde sie vernichten und viele Skalps erbeuten.« »Wie viele?« Tehueco hob die Hände und spreizte zweimal alle zehn Finger. Cochise hob den Kopf und starrte den Kaziken an. Der 30
wich seinem Blick aus und ritzte eine Landkarte mit dem Finger in den weichen Höhlensand. »An dieser Stelle mündet der Yecora in den Rio Yaqui. Das Land ist flach. Umgeben von Bergen wächst an dieser Stelle Gras für ihre Pferde. Sie werden einen Tag damit verbringen, ihre Wasserfässer zu füllen und im Fluß zu baden.« Er spuckte aus.« Dort überfallen wir sie in der Morgendämmerung. Folgt Cochise mit seinen Kriegern Tehuecos Ruf?« Cochise stieß seine Schulter von der Wand ab und trat ans Feuer. Die dunklen Augen der Yaquis verfolgten jeden seiner Schritte. »Alle Chiricahuas werden teilhaben«, sagte er. »Auch an den Gewehren?« Tehuecos Stimme klang leise und lauernd. »Chiricahuas brauchen keine Gewehre von den Franzosen. Sie holen sie sich von den Soldaten im Norden.« Tehuecos Gesicht entspannte sich. Er stand katzengewandt auf und reichte über die Flammen hinweg dem Jefe der Apachen die Hand. »Wann brechen wir auf?« fragte Cochise. Teheuco antwortete: »Eine Stunde nach Mitternacht. Wir machen keine Gefangenen. Yaquis machen nie Gefangene.« »Keine Gefangenen«, antwortete Cochise beipflichtend. Die Eingangsdecke schlug zurück. Lautlos glitt ein Krieger auf seinen Maisstrohsandalen in den Höhlenraum. Er blieb vor Tehueco stehen und wartete, bis dieser ihn ansprach. »Du bist zurück, Tejotitan. Was hast du zu berichten?« »Viele Reiter nähern sich dem Unterlauf des Rio Yaquis. Sie besitzen gute Waffen und Pferde, und sie führen auf Packmulis Proviant mit.« »In welche Richtung reiten sie? Banditos?« Der Späher nickte und gurrte ein paar Worte, die Cochise nicht verstand. Tehueco drehte den Kopf und sprach über das Feuer hinweg: 31
»Der Bastard nennt sich Carlos Porfiro Mojada. Die Männer, die sich ihm anschlossen, sind seine Bande. Manchmal spricht er auch von einer Armee Soldaten.« »Sind sie Soldaten?« Tehueco spuckte angewidert ins Feuer. »Desperados«, antwortete er auf Spanisch. »Mörder, Plünderer, Frauenschänder!« »Was wollen sie in den Jagdgründen der Yaquis?« »Rauben und zerstören. Sie überfallen Haziendas, treiben Vieh und Pferde fort, erschießen alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Die Soldaten sagen dann, das haben Yaquis getan.« Tehueco wiegte den Kopf wie jemand, der mit seinen Sorgen nicht fertig wurde. Mit gedämpfter Stimme fuhr er fort: »Meine Krieger werden auch sie vernichten. Zuerst die Soldaten mit den roten Hosen, danach die Desperados. How!« »How!« grunzten die Anwesenden. Das flackernde Feuerlicht zeichnete ihre Gesichter auf die Wände und ließ sie ins Dämonische verzerrt auf den weißen Flächen des Kalkgesteins erscheinen. Für einen unbeteiligten Weißen mußte es aussehen, als hätte die Hölle ihre Bewohner ausgespien, die sich in dieser Naturhöhle ein Stelldichein gaben. Aber Weiße waren nicht anwesend. »Dein Angriffsplan ist fertig«, sagte Cochise und wechselte einen Blick mit Naiche. »Du hast nichts vergessen, Tehueco?« »Was?« »Deinen Krieger nach der Anzahl der Weißen zu fragen.« Tehueco winkte ab. »Das ist unwichtig, Cochise. Die Yaquis zählen ihre Feinde nicht, bevor sie angreifen.« »Es könnten mehr sein als du Krieger hast. Außerdem sind sie besser bewaffnet.« »Wir erbeuten Gewehre, Cochise. Für jeden Yaquikrieger eines jener Gewehre der Franzosen. Ist das nicht genug für ein paar Desperados?« 32
Cochise wollte eine scharfe Erwiderung geben, wurde aber abgelenkt. Ein hochgewachsener Krieger betrat die Höhle. Mit seiner Breite wirkte er noch größer als der Häuptling der Apachen. Er blieb beim Feuer stehen und richtete sich auf. »Wenn Cochise, der Häuptling aller Apachenstämme Angst vor den Banditos hat, muß er nicht mit den Yaquis in den Kampf ziehen. Um so größer ist die Beute, die den Yaquis zufällt.« Cochise kam mit einem weiten Schritt um das Feuer. Naiche stand schnell auf, die Hand am Messer. Aber er blieb stehen, um abzuwarten, was sein Vater vorhatte. »Du willst sagen, daß die Chiricahuas feige sind?« Cochises Stimme war ein dunkles Grollen, das lange nachhallte. Pitcar, Tehuecos Sohn, war um einen Zoll größer als er, noch breiter in den Schultern, und er war jünger. Der Yaqui hatte gerade das achtzehnte Lebensjahr erreicht und war durch den Rat der Ältesten zum Krieger erklärt worden. Das Schweigen beim Feuer wurde lähmend. Wieder durchmaß Cochises Blick den Kreis der Welt, die dem Indianer geblieben war. Es war kein fruchtbringendes Schauspiel, das sich ihm in dieser Höhle bot. Wo er hinsah, überall stieß er auf die gleiche anmaßende Gefühllosigkeit, auf das sinnlose Imponiergehabe des roten Mannes. Ihm war, als wate er durch milchiges Wasser, schäumend und gischtend, und jenseits dieses Wassers sah er eine ungeheure Öde, die ihn mit eigener Schwere weiterschob, während sie alles, was eine rote Haut hatte, gnadenlos zermalmte. Pitcar schien zu ahnen, was in dem großen Häuptling vorging. Er senkte den Blick und murmelte Worte der Entschuldigung. Tehueco richtete sich auf, schob sich unmerklich zwischen den Häuptling und seinen Sohn. »Du hast dem Jefe der Apachen Ehre erwiesen und dich entschuldigt, mein Sohn. Geh nun, bevor es den Mann reut, den 33
du mit deinen Worten schmähtest. Geh!« Pitcar ging. Grußlos verließ er die Höhle. Cochise wandte sich um. »Die Chiricahuas werden die Desperados angreifen und vernichten, die Yaquis die Soldaten in den roten Hosen. Die gesamte Beute gehört den Yaquis. How!« Aufgerichtet und stolz verließ er die Höhle. Naiche folgte ihm. * Der auseinandergezogene Reitertrupp hielt auf ein Handzeichen Majadas jäh an. Carlos deutete auf die Flußbiegung und rief dem neben ihm reitenden Mort Douglas etwas zu, aber die Worte gingen im Brausen der Fälle unter. Mort sah auch so, was der Bandenchef meinte. Die Sohle des Tales, in das sie ritten, war feucht. Dichtes Moos klebte wie nasser Schwamm an den Felsen und schickte seine Ausläufer bis zum Wasser. Es gurgelte und rauschte, schäumte und gischtete dort drüben bei den doppelten Fällen. Aber das alles beachtete der Revolvermann nicht. Dem zusammengekrümmten Körper galt seine Aufmerksamkeit, einem Körper, der sich wie ein nasses Tuch um einen herausragenden Felsen geschlungen hatte. »Ich reite hin und hole ihn heraus.« »Du bleibst hier, Mort. Emerito kann das besser als du. Dich und deine Revolver brauche ich hier.« »Hast du Angst, Greaser?« kam es spöttisch zurück. »Wenn du Angst hast, dort drüben ist ein Gebüsch. Dort kannst du die Hose wenden.« Carlos Porfiro Mojada bezwang seinen Zorn, der bei solchen Situationen und bei den spöttischen Worten des Gringos in Jähzorn ausartete. Innerlich kochte er, zumal das hinter ihm reitende Mädchen jedes Wort mithören konnte. 34
»Emerito macht das, du bleibst hier!« befahl er scharf. »Wir sind auf Yaquiland und können jeden Augenblick auf sie stoßen oder auf Apachen. Emerito, hol ihn heraus.« Der mexikanische Bandit trieb sein Pferd zum Fluß und ließ es in das seichte Wasser plantschen. Bis zu ihm herauf spritzte das feuchte Element. Bei der Klippe neigte er sich aus dem Sattel, packte den Mann beim Arm und riß ihn auf den Rücken. Es war ein Weißer. Seine Stirn zierte eine fastgroße Beule. Der Mann war hochgewachsen, breitschultrig und schwer. Emerito stieß einen Ruf aus und winkte. Es war der Hilferuf eines Mannes, der sein ihm auferlegtes Werk nicht vollbringen konnte, weil er hilflos auf einem Pferd saß und das kalte Wasser scheute. »Ziehe ihn ans Ufer.« »Er ist schwer, ich kann nicht. Außerdem ist er ohne Bewußtsein!« schrie er zurück. Und nach einem keuchenden Atemzug setzte er hinzu: »Schicke noch einen Mann, am besten Pila, der ist stark und kann schwimmen!« Pila ritt auf einen Wink Mojadas an und kam durch das seichte Wasser herüber. Beiden zusammen gelang es leicht, den Bewußtlosen ans Ufer zu schleifen. Mojada und Mort Douglas trieben ihre Pferde an die Uferstelle und stiegen ab. Bei dem Verwundeten blieben sie stehen und sahen sich um. Sie verstanden, was geschehen war. Sie begriffen auch, was der Himmel tief am Horizont zu bedeuten hatte. Seltsam fahl glomm die Sonne, fast verborgen hinter gestaltlosen Nebel und Dünsten, die wie feste Massen, aber ohne Konturen und Linien wirkten. »Den Mann hat's ganz schön erwischt«, sagte Mojada und warf einen prüfenden Blick zu den Höhen hinauf. Zu sehen war nichts. Das hatte aber nichts zu bedeuten. Die Indianer in dieser Region sah man nicht, wenn sie nicht gesehen werden wollten. Yaquis oder Apachen, es blieb sich gleich. »Was machen wir mit ihm?« 35
Douglas zog seinen Colt. Der Hahn rastete knackend ein und der Lauf mit dem abgefeilten Korn richtete sich auf den blutverkrusteten Mann am Boden. »Ein Schuß löst alle Probleme«, knurrte Mort und entblößte seine Oberzähne. »Mort!« sagte der Mexikaner hastig. »Kannst du kein Blut sehen, Spie?« der Revolvermann grinste verschlagen. »Nur einen Schuß. Ich schieße bestimmt nicht vorbei.« »Nein! Man kann den Schuß weit hören. Wir wissen nicht genau, wo wir sind. Möglicherweise sind Rothäute in der Nähe…« »Na und?« unterbrach ihn Douglas. »Sollen sie doch kommen. Wir schießen sie ab wie auf einem Scheibenstand und…« »Dazu mußt du Narr sie erst sehen, aber du wirst sie erst sehen, wenn sie vor dir aus dem Boden wachsen und dir ihr Messer in den Wanst stoßen. Laß es sein, Hombre.« »Du bist feige, Spie, ich wußte es, und du hast Angst und womöglich die Hose schon gestrichen voll, deswegen stinkst du wie ein Skunk.« Carlos zuckte zusammen und war mit einem Sprung vom Pferd. Seine Hand zuckte zum Revolver, während er seine Beine spreizte, um beim Rückschlag der Waffe genügend Stand zu haben. »Stecke deine Kanone ein und komm von deinem Pferd. Wir tragen es jetzt aus, hier an dieser Stelle. Komm runter, Bastard.« Mort Douglas steckte seelenruhig den Colt ins Halfter und schwang ein Bein über die Pferdekruppe. Gemächlich stieg er aus dem Sattel und trat vier Schritte von dem Tier weg. Dabei blinzelten seine hellen Augen, als sei er über den plötzlichen Mut des Mexikaners verwundert, den er ständig beleidigte, um ihn herauszufordern. 36
Beide gingen zehn Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Zehn Schritte für Mort, zehn für Carlos. Als sie abgeschritten waren, blieben sie beide wie auf ein Kommando stehen. »Zieh!« rief Mort bissig. »Zieh, Spie, damit wir es hinter uns bekommen.« Ein heller Schrei ließ beide zusammenzucken und herumfahren. Aller Augen waren auf sie gerichtet, nur das Mädchen schaute in eine andere Richtung. Ihr Blick hing auf dem zerklüfteten Bergland im Süden, das der Rio Yaqui in zwei Hälften teilte. Mort und Carlos drehten gleichzeitig ihre Köpfe herum und zuckten zusammen. Acht Indianer hielten auf ihren Ponys hoch oben auf den Klippen. Genau acht. Weder Mort noch Carlos zählten sie. Carlos sagte: »Begraben wir unsere Meinungsverschiedenheit bis zur nächsten Gelegenheit? Oder willst du dich im Angesicht des sicheren Todes doch noch mit mir schießen?« »Yaquis«, murmelte Mort Douglas. »Alle Wetter, gleich acht auf einem Haufen.« Carlos erwiderte: »Apachen.« »Was?« »Das sind Apachen«, wiederholte der Mexikaner. »Chiricahuas.« »Wie willst du das erkennen?« »Ich weiß es eben. Ein Dummkopf wie du kann keinen Yaqui von einem Apachen unterscheiden.« »Den Dummkopf schieße ich dir eines Tages mit einem Pfund Blei in deinen Bauch, verlaß dich darauf. Was machen wir? Hauen wir ab?« »Wir sind in der Überzahl und bestimmt besser bewaffnet. Vielleicht ziehen sie ja auch wieder ab, wenn sie erkennen, daß sie keine Chance haben. Nein, wir nehmen es mit ihnen auf.« »Laß uns verduften«, sagte Esteban kläglich. »Meine Kopfhaut juckt auf einmal so sonderbar.« 37
»Halt's Maul, du feige Laus«, knurrte Carlos Porfiro Mojada. »Sie werden uns vom Hügel aus abschießen wie Kaninchen.« »Das können sie nicht«, trumpfte Carlos auf. »Zu weit, viel zu weit. Wenn sie nicht herunterkommen, haben wir nichts zu befürchten.« »Die sind schneller da, als du bis drei zählen kannst.« Carlos drehte sich zu Mort um. »Dein großes Maul wird dir eines Tages gestopft werden, so wahr ich ein Caballero bin.« »Du und Caballero?« grunzte Mort verächtlich. »Du dämlicher Hund spielst dich doch nur vor der glutäugigen Kleinen auf, mehr ist nicht dahinter. Wir verteilen uns und warten auf das, was kommt. Ich glaube nicht, daß sie uns von oben anfallen werden. Aber sie könnten die andere Hangseite benutzen, um ungesehen in die Flußniederung zu gelangen. Von dem Felsenlabyrinth und den Büschen dort drüben wäre es noch ein Katzensprung. Falls sie angreifen, legt euer Feuer vor die Lücke dort drüben. Sind sie erst einmal in unserer Nähe, wird's zum Kampf Mann gegen Mann kommen, und im Nahkampf sind sie uns überlegen.« »Einen feuchten Dreck sind sie, wir haben die besseren Waffen«, widersprach Carlos. »Wer gibt die Kommandos, du? Noch bin ich der Führer der Bande und gebe die Befehle.« »Du und Befehle…« Mort lachte herausfordernd, dabei ließ er offen, was er dachte. Er ging in Deckung hinter einen bemoosten Stein, getrieben von der stummen Drohung auf dem Hügel. Nichts rührte sich in der Landschaft. Das Schweigen des nahen Todes hing wie ein Alptraum über der Wildnis. Carlos war zu dem Mädchen gehuscht und legte sich neben sie hinter einen Kieshaufen, den das letzte Hochwasser angeschwemmt hatte. »Wird es schlimm für uns werden, Señor?« »Nein, sicher nicht«, log der Desperado. Er blickte zum Himmel und dann wieder zu den Hügeln. Heftig zuckte er 38
zusammen. Die Indianer waren verschwunden. Esteban kam angekrochen. Er kratzte sich am Hals. »Was nun?« Carlos stierte auf die Felsen und den Einschnitt. Das Land sah so leer aus wie ein Mondkrater. Etwas drängte ihn, umzukehren und wegzureiten. Apachen waren nicht gerade sympathische Menschen. »Verduften wir, noch ist's Zeit«, sagte Esteban. »Sie schlängeln sich wie Reptilien an uns heran, und wir werden sie erst hören und sehen, wenn sie vor uns aus dem Boden wachsen.« Carlos' Augen verengten sich. »Amigo«, erwiderte er leise. »Du spielst doch nicht mit dem Gedanken zu verschwinden?« »Habe ich nicht vor«, ereiferte sich der Mexikaner. »Ich will nur eine reelle Chance, wenn ich schon kämpfen muß.« »Du wirst sie erhalten, wenn sie angreifen.« Mehr sagte Carlos nicht. Die Stille des Todes bedrückte sie alle und machte sie unsicher. Einige zitterten so, daß sie ihre Gewehre aus den Händen legen mußten. Andere murmelten Gebete und flehten die heilige Jungfrau an, an die sie glaubten, obwohl sie Banditen und Mörder waren. Carlos blickte auf den undurchschaubaren Mort neben sich. »Du bleibst hier«, sagte er. »Gib mir Deckung, bis ich die Lichtung überquert habe.« Mort nickte lässig. Doch sein Tonfall war nicht ohne Rat. »Sei vorsichtig«, flüsterte er. »Mann, was hast du vor? Wäre doch schade, wenn einem so hübschen Spie etwas zustoßen würde.« »Deine Besorgtheit rührt mich zu Tränen«, erwiderte Carlos trocken. »Du bist ein gottverdammtes Schlitzohr, Muchacho.« Alle wußten sie, daß die Apachen keine Zeit mit Verhandlungen verschwenden würden. Sie würden sich heranschleichen und plötzlich da sein, als hätte sie die Hölle 39
ausgespuckt. Die Augen der Männer suchten jeden Stein, Busch oder sonstwie geartete Deckungen ab. Kein Lufthauch bewegte die zundertrockenen Büsche zu ihrer Linken. Selbst der Gesang der Vögel war verstummt. Und als Mario, einer der Jüngsten der Bande, einen Blick zum Himmel warf, sah er die kreisenden schwarzen Punkte, die ohne Kraftaufwand im Auftrieb schwebten. Er zuckte entsetzt zusammen und legte sein schweißnasses Gesicht auf den Unterarm. Carlos sprang auf und huschte zu dem verstaubten Gestrüpp hinüber. Er nutzte jede noch so kleine Deckung aus, bis er in einer Lücke im Buschwerk angekommen war. Hier warf er sich in den Staub und lockerte das Messer in der Scheide. Nach einer Weile tastete er nach dem Revolvergriff. Dann schlich er weiter, rund um die Basis des Hügels. Seine Nerven waren dabei aufs Äußerste gespannt. Während er hinter den Hügel zu kommen versuchte, lagen die anderen in wachsamer, angespannter Angst hinter ihren Deckungen. Die Tageshitze und das Grauen vor dem, was sie erwartete, wenn die Apachen unbemerkt über sie kamen, preßte sie förmlich an den Boden. Als ein Schrei des Entsetzens und der Todesfurcht über die Lichtung zitterte und sogar das Rauschen des Flusses übertönte, kam die Panik genausoschnell über sie wie die Apachen. * Lieutenant Gaston de Meville ritt dem Wagenzug hundert und manchmal mehr Meter voraus. Ihm folgten ein Zug Kavallerie, die drei Munitionsfahrzeuge und schließlich ein Halbzug Infanterie angeführt von einem Corporal. Gaston de Meville war stolz auf sein Kommando, weil es das erste war, für das er ganz allein die Verantwortung trug. Verwegen hatte er das Käppi aufs rechte Ohr gedrückt, und 40
ebenso verwegen saß er bolzengerade im Sattel. Ein wenig schläfrig war er. Die Hitze war infernalisch und trocknete die Haut schneller aus als man Flüssigkeit durch die Kehle jagen konnte. Aber auch die Hitze mußte einmal der Nachtkühle weichen, und wenn die Sonne hinter der Sierra Madre versank und lange Schatten den Zug einhüllten, würde es erträglich werden. Er warf einen Blick über die Schulter, sah die taumelnden Gestalten der Infanteristen, die hängenden Köpfe der Pferde und ihre schleppenden Hufe, die bei jedem Schritt strauchelten. Sie taten ihm leid, alle, aber er konnte nicht helfen. Sein Befehl lautete, Waffen und Proviant so schnell wie möglich zur letzten französischen Garnison nach Matachic zu bringen, und Matachic war noch weit. Die Garnison lag am Rio Moctezuma, zehn Meilen von Suaqui entfernt. Er würde sie übermorgen erreichen, wenn er Wasser für die Soldaten und die Tiere fand. Wenn? Er lenkte sein Pferd in einen breiten Hohlweg und nahm übergangslos bestialischen Geruch wahr. Er hielt an, stieg vom Pferd und zerrte es ein paar Schritte weiter. Aber das Tier zitterte an allen Gliedern und weigerte sich, dem Offizier Folge zu leisten. Gaston de Meville, uralter Adelssproß, nahm all seinen Mut zusammen und drang in eine schmale Schlucht ein, die im rechten Winkel auf den Hohlweg stieß. Mit jedem Schritt wurde der Verwesungsgeruch infernalischer. Gaston blieb stehen, band sich ein seidenes Tuch um Mund und Nase, gab Sergeant Fabien Seyrig, der ihm gefolgt war, einen Wink ihm zu folgen und ging weiter. Die Schlucht machte einen Knick. Als der Lieutenant ihm folgte, stieß er unerwartet auf eine Verbreiterung und auf eine spärliche Vegetation, die zundertrocken bei jedem Windstoß wie Pergament knisterte. Aber er sah noch etwas. Mitten in diesem braungelben Wall verkümmerter Pflanzenreste hoben sich zwei dunkler gefärbte 41
Punkte ab, von denen dieser entsetzliche Verwesungsgestank auszugehen schien. »Mon Dieu!« stöhnte der Sergeant hinter ihm. »Allmächtiger, das ist ja schrecklich.« Gaston nickte, ging weiter und versagte es sich, öfter als einmal in der Minute Luft zu holen. »Folgen Sie mir, Sergeant!« Die wenigen Worte bereiteten ihm Höllenqualen, und als er schließlich vor dem entsetzlich verstümmelten Etwas stand, das ehemals zwei Menschen gewesen waren, erbrach er sich. »Sie wurden skalpiert«, sagte der Sergeant hinter ihm. »Von Yaquis.« »Woher wollen Sie das wissen, Mann? Es gibt auch noch andere Stämme in Sonora, ganz bestimmt Apachen. Sie sind nicht weniger grausam als die Ureinwohner Mexikos. Ein Beerdigungskommando soll die beiden armen Teufel unter die Erde bringen. Dalli, Sergeant.« Er machte einen weiten Bogen um die Stätte der indianischen Hinrichtung und näherte sich einem Wall aus aufgeschichteten Steinen. Er kroch auf allen vieren auf dem Wall weiter, schob lose Steine aus dem Weg, setzte dann mit der mühsamen Kriecherei eine Weile aus, als seine Hände und Füße schmerzten. Schließlich kroch er in den Schatten eines überhängenden Felsens. Mit einem langen Blick starrte er die Böschung hinunter. Plötzlich wurde ihm klar, weshalb es auch hier unangenehm nach Verwesung roch, wenn auch nicht so stark wie bei den Gemarterten. Er konnte das große, weiße Knochengerippe im Licht der sinkenden Sonne deutlich sehen. Das Fleisch war so sauber entfernt, als hätten Geier und Bussarde ihre Arbeit beendet. Apachen und Yaquis ließen gutes Maultierfleisch nicht so schnell verderben. Das Sonnenlicht glänzte matt auf etwas, was jenseits der gebleichten Knochen lag. Es sah aus wie Silberplatten. Gaston 42
de Meville kroch ein Stück weiter über den Wall und verließ ihn an einer Einbruchstelle. Mit gezogenem Revolver näherte er sich dem glänzenden Etwas. Als sein Fuß gegen zwei Säcke stieß, zuckte er zurück. Dem Klang nach war Metall enthalten. Er ließ sich auf die Knie nieder und öffnete das Lederband, das den Sack zusammenhielt. Silbergeschirr kollerte vor seine Füße. Platten, Schüsseln und Leuchter aus reinem Silber, alles Gegenstände, zu denen auch eine Frau gehören mußte. Gaston schlängelte sich eine Geröllböschung hinunter. Im Schatten eines einsamen Felsblocks blieb er liegen. Vor sich sah er etwas. Er kroch langsam weiter, spürte den Reibungsschmerz an seinen Knien und fluchte unterdrückt. Als er sich einen Kaktusdorn in die Hand riß, wurde sein Fluchen vehementer. Trotzdem kroch er weiter, bis er erkennen konnte, was dort lag. Der Körper lag auf dem Rücken. Schwarzes Haar zeichnete sich dunkel gegen die weiße Haut ab. Der nackte Körper einer Frau war erstaunlich hell, nur das verzerrte Gesicht hatte eine dunklere Farbe. Tote Augen starrten blicklos zum Himmel. Man hatte sie erschlagen. Was diese Tragödie ausgelöst hatte, konnte Gaston nur ahnen. Die Frau, noch jung und außergewöhnlich hübsch, war nicht von Indianern getötet worden. Sein Blick glitt nach links. Ein Gewirr von Felsen und losen Steinbrocken türmte sich an der Basis der Wand in die Höhe. Spuren dorthin gab es nicht. Der Offizier zwang sich dazu, langsam und vorsichtig zurückzugehen, obwohl ihn die Angst gepackt hatte. Lautlos kehrte er über den Wall zurück, bis er beim Begräbniskommando angelangt war. Er brauchte kein Wort zu sagen. Sergeant Fabien Seyrig wußte Bescheid. Die Toten waren bestattet. Nach einem Gebet schloß man das Doppelgrab. 43
»Hinter jenem Wall, Sergeant, liegt eine tote Frau. Wenn ihr sie in die Erde gebettet habt, rasten wir zwei Stunden.« »Sollen wir nicht besser über Nacht Biwak aufschlagen?« »Nein, wir ziehen weiter. Sie kennen unseren Befehl, Sergeant.« * Die braune Faust hieb donnernd auf den Tisch. Geschirr, Kerze und Pläne wackelten oder segelten zu Boden. Benito Suárez war außer sich. Sein braunes Falkengesicht mit den nach der neuesten Mode gestutzten Bartkoteletten wandte sich im Zorn zwei Männern zu, die mit gekreuzten Patronengurten vor ihm standen und recht betreten dreinsahen. »Ich fühle mich von allen Seiten verraten und verkauft. Korruption in den eigenen Reihen, Befehlsverweigerungen am laufenden Band, Widerstand gegen die Offiziere. Dazu keine Nachrichten aus dem Süden, keine Meldung von diesem Bowden. Nur Widerwärtigkeiten! Ich frage Sie, Señores, wo das hinführen soll? Machen wir eine Revolution oder sind wir eine Räuberbande?« Colonel Destinguez zuckte so heftig zusammen, daß ihm die Zigarre aus den Fingern fiel. Colonel Alberque drehte den Kopf zur Seite, um die funkelnden Tigeraugen nicht sehen zu müssen. »Es gibt auch gute Nachrichten«, sagte Destinguez zurückhaltend. »Welche? Nennen Sie mir nur eine einzige, Señor!« Juárez schnappte wie ein Hai. »Maximilians Wagenzug mit Gewehren und Proviant, Señor Präsident.« »Ein Gerücht, nichts weiter.« »Kein Gerücht. Die Nachricht ist zuverlässig. In zwei Tagen ist der Troß in unserer Nähe. Befehlen Sie den Angriff, 44
Señor?« fragte Destinguez. »Ich befehle nicht nur den Angriff, Señores, sondern erwarte auch Erfolge. Dringende Erfolge, verstehen Sie? Die Armee wird unruhig, und eine unruhige Armee ist immer eine Gefahr für einen Heerführer, dem für den Augenblick die Hände gebunden sind. Hiobsbotschaften dürfen von jetzt an nicht mehr weitergegeben werden. Deserteure sind standrechtlich zu erschießen, Korruption abzuurteilen. Auch das ist ein Befehl, Señores.« »Um welche Hiobsbotschaften handelt es sich, Señor Präsident? Man vernimmt in einem so großen Lager viel, weiß aber nichts Genaues.« Juárez bückte sich, hob die am Boden liegenden Pläne und Aufzeichnungen auf. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht krebsrot. »Selbstverständlich wissen Sie nichts«, antwortete er bissig. »Einfach deswegen, weil Sie nichts wissen wollen. Oder haben Sie die Befehlsbekanntgabe von gestern schon wieder vergessen? Was las ich denn vor? Ich darf Ihnen Einzelheiten des Offiziersgespräch noch einmal vortragen, oder ermüdet Sie mein Geschwätz?« »Señor Präsident…« »Seien Sie still, Colonel. Hören Sie zu: Proviantmangel, verlustreiche Kämpfe gegen Desperadobanden und Indianer, kein Futter für die Pferde und das Schlachtvieh, das steht im Vordergrund. Nachrangig sind die Yaquis und Apachen, die uns das Leben sauer machen. Wenn wir überleben wollen, müssen Pferde und Mulis geschlachtet werden. Sofort. Das war meine Anordnung, das war ein Befehl. Und was ist geschehen? Nichts!« Albergue fuhr sich mit dem Finger um den runzeligen Hals. Er machte Kalbsaugen, wagte aber doch eine Erwiderung. »Wir sind Reiter, Señor Präsident, Kavalleristen. Keiner der Männer kann ein Pferd leiden sehen, aber schlachten kann er es 45
auch nicht.« Juárez funkelte ihn an und schmetterte seine Hand erneut auf den Kartentisch. »Wir haben Tiere zuviel. Gott weiß, wir haben nicht genug Wasser und Futter für die Herde, aber wir werden uns noch eine Weile gedulden müssen, bis wir wissen, was wir zu tun haben. Die überschüssigen Tiere sind zu töten und ihr Fleisch an den Kochfeuern zu verteilen. Und das sofort.« »Das ist unmöglich, unsere Männer würden sofort meutern.« »Albergue, dann stelle ich alle Beteiligten vor ein Kriegsgericht und vor ein Erschießungskommando!« »Lassen wir sie laufen, sie schlagen sich allein durch.« Juárez starrte den Mann an, als hätte er ihn nicht verstanden. »Hören Sie«, antwortete er. »Ich mag weder Muli- noch Pferdefleisch. Aber, caramba, ehe ich verhungere, würge ich auch das in mich hinein. Veranlassen Sie sofort alles, sonst bringe ich Ihnen bei, wer in diesem Lager die Befehle gibt. Und Sie, Señor Destinguez, bereiten einen Trupp ausgesuchter Leute und den Überfall auf den Wagenzug vor. Bin ich verstanden worden? Danke, meine Herren, das wäre alles!« * Halluzinationen überfielen Carlos Porfiro Mojada, unangenehme Einbildungen. Er sah nur Staub und rollende Felsbrocken vor sich, und der Steinschlag wälzte sich auf ihn zu. Sein Herz begann ein warnendes Pochen, dessen Konsequenz aber nicht bis zu seinem Gehirn durchdrang. Danach kam das wilde Hüpfen und das aufgeregte Flattern, der eiserne Ring, der sich um seine Stirn preßte, und schließlich kroch das Schwindelgefühl langsam und schleichend durch sein Gehirn. Sein verzweifelter Mut wurde von einer mächtigen Woge von Angst besiegt. Was sollte er tun, wenn die Apachen 46
angriffen? Oder waren es Yaquis? Der Schrei erreichte ihn und löste eine weitere Angstwelle aus. Der Schrei war so gräßlich und gellend, daß Mojadas Herz auszusetzen drohte. Pila schrie so, der kleine Pila, der Jüngste der Bande. Es kam so schnell über sie, daß es ihr Verstand gar nicht begriff, zu schnell und zu überraschend. Bei der Hügelwand entstand ein Getöse, als wollte die Welt untergehen. Staub verdunkelte die Sonne und ließ ihren Standort nur noch ahnen. Was den Hang herunterkam, war groß, klotzig und gewalttätig. Felsen rollten über den Abhang, rissen andere aus ihrem Bett, stürzten sich gemeinsam mit Geröll und Sand auf die Banditen. Pila schrie wieder. Esteban und Emerito sprangen auf und rannten zu den schreienden und auskeilenden Pferden. Die Tiere rissen an den Seilen und schrien wie kleine Kinder in ihrer Not. Mario und Giulio nahmen ihre Hüte von den Köpfen und schlugen auf die völlig verstörten Tiere ein. »Um Gottes willen, haltet sie auf!« »Ohne die Pferde sind wir in der Wildnis verloren. Wirf dich ihnen entgegen!« Carlos lag wie betäubt am Boden und wagte kaum, Luft in seine Lungen zu ziehen. Im dichten Staub sahen sie sich nicht mehr, dazwischen platzten die Felsbrocken wie Schrapnells. Ein Pferd riß sich los und rutschte die Böschung hinunter. Joseph Perez, ein hochgewachsener und gewalttätiger Mann, schrie erschrocken auf, als zwei aufgeregte Pferde auf ihn zurasten. Er wurde gegen einen mächtigen Stein geschleudert und brach in die Knie. »Heilige Mutter Gottes, laß diesen Alptraum vorübergehen!« Tosender Lärm hallte durch das Flußbecken und wurde von den Wänden zurückgeworfen. Staub erstickte alles wie ein Leichentuch. Und dann kamen sie! Huschende Schatten, schnell, beweglich, lautlos. Messer und 47
Kriegskeulen blitzten. Augen funkelten und Münder öffneten sich zum Schrei. Irgendwo wurde geschossen, hektisch und ziellos. »Sie sind unter uns«, keuchte Carlos, strich sich den Brei aus Staub und Schweiß aus dem Gesicht, und sah plötzlich das Mädchen auftauchen. »Sie werden uns alle massakrieren! Kommen Sie, wir müssen fort!« Seine Stimme hatte ihren normalen Klang verloren, sie kreischte im höchsten Diskant, mit der vollen Stärke einer trockenen Kehle. Angst beflügelte seine Schritte, aber er wußte nicht, wohin er sie lenken konnte, denn überall war Staub, der das Licht verdeckte und aufsog wie ein Schwamm Wasser. Das Mädchen taumelte auf die Füße und keuchte an seiner Seite vorwärts. Dämonen tauchten schattenhaft vor ihnen auf, verschwanden wieder, tauchten einfach ein in das dichte Gespinst unzählig vieler Staubpartikel. Schreie hingen in der Luft, Schreie von Menschen und Pferden. Pilas Stimme war deutlich zu erkennen, und als sie röchelnd verklang, wußte Carlos, daß der Junge sein Leben unter einem Messer oder der Schneide eines Kriegsbeils ausgehaucht hatte. »Die Pferde stehen dort drüben«, schrie Carlos hektisch. »Norden, mehr nach Norden, Señorita!« »Sie standen dort«, antwortete sie und wandte sich wieder dem Fluß zu. Eine blutgetränkte Gestalt erschien wie ein Gespenst aus dem Nebel von Staub. In ihrem Rücken donnerten weiter Felsbrocken zu Tal. Der Mann vor ihnen stand taumelnd auf einer Felsplatte und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. »Was ist los?« krächzte er. »Ist die Hölle hinter euch her? Wer seid ihr?« Carlos hatte den Mann fast vergessen, den sie aus dem Fluß gefischt hatten. »Hau ab, Hombre«, rief er. »Apachen!« 48
»Wo? Ich sehe keine.« »Hörst du nicht das Splittern der Felsen, du dummer Hund? Sie stürzen Steine von den Hängen.« »Wer seid ihr?« »Wir fischten dich aus dem Fluß. Verschwinde, bevor sie dir den Skalp nehmen.« Er wollte weiter, das Mädchen fest an der Hand gepackt, aber etwas Großes, Braunes tauchte vor ihm auf und wieherte angstvoll. »Ein Pferd!« schrie Carlos. »Das ist die Rettung.« Zu zweit stürzten sie sich auf das Tier. Carlos, der Desperado und Mark Bowden, dessen Kopfwunde wieder blutete. Carlos schnaufte: »Laß los, Gringo!« »Den Teufel werde ich. Ich hab's zuerst entdeckt.« »Laß los, sage ich dir, sonst…« »Was sonst?« Eine Klinge funkelte durch die Staubwolke, zuckte unter dem Pferdehals hindurch. Aber Bowden wich zurück und tauchte unter dem Messerstoß weg. Sein Stiefel fuhr vor, traf Carlos in den Unterleib. Zusammengekrümmt und stöhnend vor Schmerz riß der Desperado das Messer hoch und warf es. Mark Bowden blieb eine Sekunde lang wie erstarrt stehen und legte beide Hände wie beschwörend um das Heft. Er gurgelte ein paar Worte, aber das Leben entfloh so schnell, daß die Worte es gar nicht mehr erreichten. Tot brach er zusammen. Juárez würde vergeblich warten. Carlos hielt das Pferd noch beim Zügel und drehte sich zu der schwarzhaarigen Schönheit um, die beide Hände auf den im Schrei verzerrten Mund hielt. »Aufsteigen!« befahl er. »Los, schnell, ich halte den Gaul!« Schatten huschten vorbei, verfolgt von anderen, die bei ihrem Schemendasein recht beweglich wirkten, und gefährlich. Schreie, in höchster Todesnot aus gequälter Seele hervorgestoßen, zitterten zerflatternd und verklangen endgültig 49
beim Fluß. Carmen Obera setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich mit angstgepeitschter Hast auf den Sattel. Carlos gab ihr die Zügel und wollte sich hinter sie auf die Kruppe des Tieres schwingen. Es blieb beim Wollen. Eine mächtige Gestalt tauchte vor ihm auf. Sie schälte sich nicht langsam aus dem Dunst der Staubpartikel, sondern war ganz einfach da. Das schon zum Stoß erhobene Messer glitzerte wie der Giftzahn einer Klapperschlange. Eine Sekunde lang zögerte Carlos mit seiner Abwehrmaßnahme. Diese Sekunde hätte ihn fast das Leben gekostet. Im letzten Augenblick gelang es ihm, dem Klingenstoß auszuweichen und sich abzudrehen. Heiß wie ein Feuerstrahl fuhr die Schneide über seinen Oberarm. Carlos Porfiro Mojada stürzte, riß im Fallen den Colt heraus, richtete dessen Mündung auf die majestätische Gestalt der Rothaut und drückte ab. Klick. Mehr sagte die Waffe nicht. Leergeschossen war sie für Carlos wertlos. Erneut drang der Apache auf ihn ein. Wild funkelten seine Augen. Das Messer in seiner Faust schien ein Eigenleben zu bekommen, es zuckte vor, zurück, schlug Kreise und trieb den Mexikaner am Boden kriechend zwischen die Pferdehufe. Das Tier tänzelte aufgeregt. Carmen sah sich um. Rechts am Sattel hing die halbvolle Wasserflasche. Sie hakte sie ab, hob sie hoch und schmetterte sie dem Indianer auf den Kopf, als das Pferd ihn mit einer seitlichen Drehung in die Reichweite ihres Armes brachte. Cochise – er war es – brach zusammen und rollte unter den Pferdebauch. Für Carlos war die Gefahr mit diesem Einzelsieg noch lange nicht vorbei. Er erreichte zwar die Pferdekruppe, ergriff die Zügel und setzte dem scheuenden Tier die Sporen in die Weichen. Mit mächtigen Sätzen fegte das Tier die Geröllböschung hinab, strauchelte, fing sich wieder und setzte sich auf die 50
Hinterhand. In einer mächtigen Staubwolke ging es zum Rio Yaqui hin. In Carlos' Rücken wurde geschossen. Grell stieg das Kriegsgeschrei in den sich aufhellenden Himmel. Von links preschte ein Rotfuchs in waghalsiger Schußfahrt auf seinen Braunen zu. Mort Douglas brüllte wie ein Comanche. Über und über mit Blut und Dreck verschmiert, schwang er seinen Revolver wie eine Kriegskeule. Funken stoben unter den Pferdehufen, als sie über Steine und Geröll glitten, immer abwärts, stetig auf das Flußufer zu. »He, Spie, denen haben wir's gezeigt, wie?« »Was gezeigt?« »Wie Americanos kämpfen. Mindestens zehn gehen auf meine Rechnung.« »Caramba, du bist ein Aufschneider. Es waren nur acht und…« Trommelnde Hufe unterbrachen ihn. Er warf einen Blick über die Schulter. Wenigstens zehn Pferde folgten ihnen. Drei von ihnen waren beritten. Sie wurden von heulenden Desperados mit Händen und Füßen angetrieben, als säße ihnen der Leibhaftige in Person im Nacken. »Wohin geht die Reise?« rief Mort vom galoppierenden Pferd und grinste breit über das ganze Gesicht. »Sammeln!« schrie Carlos und deutete auf die ferne Flußkrümmung. »Sammeln und zählen! Wenn wir unsere Verluste wissen, reiten wir nach Matachic.« »Spie, was willst du am Rio Moctezuma?« »Caramba, du sollst nicht Spie zu mir sagen, du krummer Hund! Was ich dort will? Blöde Frage. Die Bande auffüllen, was sonst? Eine Armee von Leuten will ich um mich haben, und dann werden wir's den Franzosen, diesem Juárez und allen Rothäuten zeigen. Verdammt will ich sein, wenn es mir nicht gelingt, das Land in Angst und Schrecken zu versetzen. Reite, 51
Amigo, reite!« »Der Teufel ist dein Amigo«, knurrte Mort Douglas grimmig. Aber er trieb widerspruchslos sein Pferd in den aufspritzenden Fluß. * In der Zelt-Cantina ging es hoch her. Proviant war eingetroffen. Auch bauchige Flaschen mit Pulque, Baconora und Bier. Baconora für die Offiziere, Pulque für die Mannschaften. Zur Zeit der Abendröte, als sich die Sonne wie ein kupferner Gong über die Sierra Madre senkte, war die Hälfte der Soldaten betrunken. Grölend und fluchend zogen die Caballeros durch die Lagerstraßen, pöbelten Offiziere an, schlugen sich gegenseitig halb tot und quälten die Mädchen der Marketenderei. Ihr Verhalten bereitete Offizieren wie dem Generalstab Kopfzerbrechen. Vollgestopft war das Kantinenzelt. Schwitzende und randalierende Muchachos übertönten mit ihrem Geschrei selbst die sechs Mann starke Musikkapelle. Besonders drei Hombres in spitzkronigen Wagenradsombreros auf den schwitzenden, pomadisierten Köpfen, in geschlitzten, engen Tuchhosen, mit riesigen Sporen an den hochhackigen Reiterstiefeln und gekreuzten Patronengurten über der Brust, machten sich röhrend wie brünstige Hirsche und brüllend wie Stiere überlaut bemerkbar. Längs der Messingstange an der Bar aus dunklem Mahagoni, die, Gott weiß wie, nach Sonora gekommen war, standen, schwitzten und tranken sie in Viererreihe. Mann an Mann. So auch, ein bißchen verdrießlich, weil ihm der Tabak ausgegangen war, Lon McFane, der Gringo aus dem Norden. An seinem Aussehen war nichts Besonderes. Alle sahen sie gleich aus, diese Fremden, vom Stetson bis zu den verstaubten Stiefeln, und sie handelten alle gleich. Mit dem Revolver. Er 52
war ihr einziges Argument, denn große Reden lagen ihnen nicht. Bei Lon McFane jedoch stellte manches aufmerksame Auge einen geringfügigen Unterschied fest: Das schwarze Halfter mit dem schweren Colt hing sehr tief am rechten Oberschenkel, höchstens einen halben Zoll über dem Knie. Und der Kolben mit der reihenweise eingeschnitzten Kerben stand wenigstens einen ganzen Zoll von der Hüfte ab. Dieser Hombre, kaltäugig und blond wie reifer Weizen, zeigte ein offensichtliches Mißfallen an dem Imponiergehabe der Mexikaner. Er wechselte zum anderen Ende der Theke, griff über die Schulter des lautesten Schreiers, nahm Tabakbeutel und Maisstrohpapier vom Tresen und drehte sich seelenruhig eine Zigarette. Als der Mexikaner zuerst verwundert herumfuhr und dann drohend die Stirn runzelte, sagte er kühl: »Feuer. Du hast doch Zündhölzer, Greaser? Also spute dich.« Der aggressive Ausdruck schwand wie Kerzenlicht im Sturm in den dunklen Augen des Mexikaners, und es war, als erschlaffe sein ganzer Körper, als er dem Gringo in die mausgrauen kalten Augen sah. Eine merkwürdige Stille drang bis in den letzten Winkel, lähmend in ihrer tödlichen Vorahnung. Wie eine Marionette fischte der Mann ein Zündholz aus der Tasche und riß es an. Lon machte keine Anstalten, das brennende Holz zu nehmen. Man ahnte, was kam. Mexikaner trennten sich bereits von Amerikanern. Es war immer die gleiche Situation. Zuerst eine Herausforderung, dann das blutige Massaker. Der große Gringo sah aus, als könnte er es mit einem halben Dutzend revolverschwingender Mexikaner leicht aufnehmen. Spannung knisterte wie freigewordene Elektrizität. Sogar der Tabakqualm unter der Decke schien sich zu verdichten. Lon McFane nahm seinen Kopf zurück und gebot so der Flamme, ihm zu folgen. 53
»Halt sie dran, verdammter Halsabschneider.« Dabei wich er noch einen halben Schritt zurück. Eine offensichtliche Herausforderung für den Mexikaner, die die anderen mit lautem Murren und Flüchen quittierten. Die Flamme verlosch, die Finger des Mexikaners verbrennend. »Vollkommen übergeschnappt, was?« zischte der Gringo. »Ich nehme ein anderes.« »Hölle und Satanas, ich will kein anderes!« Lon stieß dem käsigen Mexikaner vor die Brust, daß er in die Arme seiner Kumpane stürzte. »Sachte, sachte, du Hengst«, mahnte ein anderer, dem Lons Verhalten mißfiel. »Schwimm ab, du Bastard! Du hast das Maul zu halten, wenn Männer reden.« Auch das war einen Schritt zuviel, einen einzigen. Die Hand des dunkelhäutigen Mannes fuhr in die Schärpe. »Nimm es zurück, Gringo. Nimm's schnell zurück, sonst…« »Was?« Das lange Messer fuhr heraus und zuckte auf Lon zu. Im gleichen Augenblick zogen die umherstehenden Mexikaner ihre Messer und Revolver. Lon McFanes Hand glitt schnell wie ein Blitzstrahl nach unten und brachte mit zauberhafter Kunstfertigkeit den langläufigen Colt heraus. Seine Linke glitt dabei wie ein huschender Schatten über den Hahn. Messer flogen, Biergläser, dazu dröhnte das Krachen zerschmetterter Stühle durch das Zelt. Als die Stuhlbeine in Aktion traten, öffnete sich das Zelt. Juárez mit zwei seiner höchsten Offiziere kam herein. Eisiges Schweigen löste den Tumult ab. Betreten starrten die Männer auf den schmutzigen, kippenübersäten Boden. Nicht so Lon McFane. Die kalten Augen auf die eintretende Gruppe gerichtet, ging er ihr entgegen, den Revolver in der Hand. Hinter ihm blieben vier Tote, Tote, die das Resultat des alten 54
Hasses waren und die Geschehnisse um den Alamo de Parras und der naheliegenden Stadt San Antonio de Bexar erneut aufleben ließen. Juárez, der Diplomat, wußte, was in den Herzen und Gehirnen seiner Soldaten vorging. Er überspielte seine eigenen Gefühle mit Barschheit und Befehlston. »Warum taten Sie das, Americano?« »Tat ich was?« war die kühle Antwort. »Sie erschossen vier meiner Männer, was war der Grund?« »Ich schoß in Notwehr, Mr. Präsident.« »Wie lange sind Sie schon in meiner Armee?« »Viel zu lange, Señor, ja, viel zu lange.« Die Revolvermündung wich nicht von der roten Schärpe vor ihr, und sie strich hin und her, nach links und rechts. Das Murren in Lons Rücken brandete wieder wie Meeresbrausen. In der hinteren Ecke pfiffen die zusammengerotteten Amerikaner Beifall. Ein Hexenkessel, der erst wieder ruhig wurde, als Juárez achtungsgebietend die Rechte hob. Laut, für jeden im Zelt vernehmbar, sagte er: »Die Schwadron des Victorio Chauvet kam zu spät, Señores. Sie stießen zwar auf den französischen Waffentransport, aber sie kamen um einen halben Tag zu spät.« »Warum zu spät?« Die bösartige Stimme aus dem Hintergrund beschränkte sich nicht auf diese eine Frage. Sie bellte heiser und gewalttätig weiter: »Sind Ihre verdammten Greaser nicht mehr in der Lage, ein paar Franzosen das Fürchten beizubringen, Juárez?« Juárez überhörte die Beleidigung und straffte seinen Körper. Als Beifallspfiffe und Protestrufe wieder verstummten, fuhr er fort: »Meine mexikanischen Soldaten, Patrioten und keine bezahlten Revolverkämpfer, werden die Franzosen aus dem Land jagen. Das ist so sicher wie der tägliche Sonnenaufgang. Aber was schon tot ist, können sie nicht noch einmal töten. 55
Und was bereits gestohlen wurde, können sie nicht erbeuten. Wer es von den amerikanischen Herren besser kann, mag vortreten.« »Ich!« Lon McFane ließ den Revolver verschwinden. »Ich kann's besser! Geben Sie mir ein Kommando, Mister…« Den Rest verschluckte er mit einem verächtlichen Verziehen der Lippen. »Sie? Auch gegen Yaquis und Apachen?« Lon nickte und warf einen vorsichtigen Blick zu seinen Landsleuten in die andere Ecke, die ihm durch Kopfnicken beipflichteten. »Was sind schon ein paar Wilde?« blähte er sich auf. »Bei uns im Norden gibt es ebenfalls Indianer, und noch gefährlichere. Die Comanchen zum Beispiel…« Juárez unterbrach ihn brüsk. »Ich mache mir nichts daraus, die Biographie eines amerikanischen Raufbolds anzuhören. Schweigen Sie, Hombre! Sie werden ein Kommando erhalten. Halten Sie nicht, was Sie versprechen, gehen Sie durch die Gasse. Buenas noches, Señores.« Er verließ das Zelt, während hinter ihm vier Tote hinausgeschleift wurden und die Musik wieder anstimmte. * Cochise ließ die flüchtenden Desperados nicht verfolgen. Einer seiner Krieger war gefallen, elf tote Banditen lagen auf dem weißen Sand wie Sommersprossen auf einer hellen Haut. Naiche richtete das Wort an den Jefe. »Wir sollten sie verfolgen und töten. Alle.« »Es wird Krieg geben, Sohn. Sie werden sich gegenseitig ausrotten, wir brauchen nichts weiter zu tun, als auszuharren und aufzupassen. Reiten wir.« Sie bestiegen ihre Ponys und verließen die Arena beim Fluß, deren Boden mit Blut getränkt worden war. Am Abend 56
überquerten sie den Rio Moctezuma drei Meilen nördlich der Stadt Suaqui. Landarbeiter, die sie aus der Ferne sahen, ließen alles liegen und flüchteten in die Häuser. »Wir sollten sie angreifen und Beute machen«, sagte Naiche und zeigte mit der Hand auf die rennenden dunklen Punkte. »Yaquiland«, erwiderte Cochise ablehnend. »Reiten wir schneller.« Am Abend stießen sie auf den großen Fluß, und als die ersten Schatten durch die Täler krochen, zügelten sie ihre Ponys vor dem großen Siegesfeuer der Yaquis. Cochise stieg ab und näherte sich dem auf dem Boden kauernden Tehueco. »Meine Brüder waren erfolgreich?« Tehueco wies auf Kisten mit Gewehren und Säcke voll Proviant. »Krieger der Yaquis sind stets erfolgreich. How!« »Wo sind die Pferde und die Wagen?« »Tot und verbrannt. Setz dich, Cochise, der Festschmaus beginnt.« Nicht weit vom Feuer dröhnten übergangslos Trommeln. Ihr Schall pflanzte sich düster und gefahrdrohend durch die Bergwildnis und kehrte mit Echos zurück. »Es war leicht«, erklärte Tehueco. »Wir überraschten die Franzosen genau an jener Stelle, die ich für den Überfall vorgesehen hatte. Bastarde!« setzte er verächtlich in seiner Sprache hinzu. Pitcar, der Riese, kam zum Feuer und spie in die Flammen. Er wechselte einen kurzen Blick mit seinem Vater und richtete das Wort an den Apachenhäuptling. »Unterwegs griffen wir einen Reiter auf, der aus Juárez' Armee desertierte. Er bot sein Leben gegen Informationen an. Wir ließen ihn gewähren.« »Und?« fragte Cochise. »Wo ist er?« »Tot«, war die lakonische Antwort. »Wir töteten ihn, nachdem er uns alles verriet.« 57
Cochise wartete. Pitcar versetzte sich dramatisch in die Rolle des Erzählers, der mit seinen Heldentaten renommierte und keine Situation als Berichter außer acht ließ, seine Person in das rechte Licht zu rücken. Eine Eigenart aller roten Männer. Tehueco jedoch dauerte das alles zu lange. Der Siegesschmaus wartete und das über den Feuern bratende Maultierfleisch sandte seinen Duft über die Lichtung. »Der Abtrünnige schickte eine Abordnung zu dem einarmigen General nach Arizona.« Pitcar warf seinem Vater einen ärgerlichen Blick zu, der ihn mit seiner Erklärung um den großen Auftritt gebracht hatte. Cochise hob den Kopf. »Was will er von Howard?« »Hilfe.« »Hilfe? Welche Hilfe? Soldaten?« »Auch. Dem Abtrünnigen geht es mehr um Proviant und Gewehre. Ohne ausreichende Verpflegung und Bewaffnung kann er den Kaiser und dessen Truppen doch gar nicht besiegen.« Cochise verstand die verzweifelte Lage des OaxacaIndianers. Er schaute Tehueco eindringlich an. »Glaubst du an die Mission dieses Benito Juárez, Häuptling der Yaquis?« Tehueco wiegte den Kopf in einem unregelmäßigen Takt, der zu keiner Melodie gehörte. »Er ist Indianer«, sagte er ausweichend, »aber nicht der Freund der Yaquis. Apachen mag er gar nicht, besonders keine Chiricahuas.« Seine Stimme hatte einen unheimlich gleichgültigen Klang, den er durch Gesten zu verbergen suchte. Tehueco sprach ohne jeden Eifer, und der Frager, der ihm gegenüber saß, würdigte ihn keiner Antwort. Hektischer schlugen die Trommeln, jubilierten die Flöten, brannten die Feuer, genährt durch zundertrockene Kakteen. Tehueco griff das erlahmende Gespräch wieder auf. »Der einarmige General wird Truppen in unser Land 58
schicken und Scouts, die sich im Gebirge auskennen. Was denkt der Häuptling der Chiricahuas darüber?« »Nichts«, sagte Cochise nachdenklich. »Howard schickte keine Truppen, weil er das Land der Chiricahuas und Mimbrenjos nicht von Soldaten entblößen kann. Juárez ist ganz auf sich gestellt. Die Nordamerikanos haben mit sich selbst und ihrem Krieg gegen den Süden genug zu tun. Du kannst beruhigt sein, Tehueco.« Das Gespräch erstarb endgültig. Große Holzschüsseln wurden gebracht und breite Bretter, auf denen das geschmorte Fleisch von den Feuern lag. Dazu gab es Tortillas und Tizwin, ein gegorenes Getränk. Die Indianer rissen große Bratenstücke von dem heißen Fleischberg und verschlangen sie, während die Trommeln pausenlos pochten. An einem Nebenfeuer gerieten die Yaquis durch den genossenen Tizwin in Ekstase und begannen einen rhythmischen Kriegstanz, der aus seltsamen Verrenkungen der Gliedmaßen und aus unartikulierten Schreien bestand und auch die Körper der besonneren älteren Männer wiegen ließ. Cochise und der Yaqui-Häuptling wischten ihre fettigen Hände an den Leggins ab. Pitcar stand unvermittelt auf und entfernte sich. Naiche, der den nachdenklichen Blick seines Vaters gesehen hatte, tat es ihm nach und tauchte in die entgegengesetzte Dunkelheit ein. Lautlos wie ein Panther glitt er an der Basis des Steilhanges um das Lager. Er vermied es, den großen Wohnhöhlen zu nahe zu kommen und vermied auch eine Annäherung an die luftig gebauten Buschhütten. Als sich seine Augen an die Dunkelheit außerhalb des Lagerkreises gewöhnt hatten, sah er Pitcar. Der Hüne näherte sich einem einsamen Felsen und blieb stehen. Ein Pfiff ertönte. Eine zweite Person, ein Indianer, trat aus dem Schatten und sprach mit dem Häuptlingssohn. Naiche verstand kein Wort. Er mußte näher heran und benutzte ein Tamariskenfeld dazu, sich ungesehen anzuschleichen. 59
Pitcar sprach noch mit dem anderen Indianer. Naiche verstand erste Worte, so nahe war er schon, als ihm ein Mißgeschick passierte. Ein trockener Zweig brach unter seiner Hand. Es knackte so laut, als sei ein Gewehrhahn gespannt worden. Pitcar und der fremde Indianer wirbelten herum und stürzten sich mit gezogenen Messern auf die Stelle des Geräusches. Naiche konnte nicht mehr fliehen. Er erhob sich blitzschnell und parierte einen Messerstich Pitcars, wobei ihm die eigene Klinge aus der Hand geprellt wurde. Naiche ließ sich fallen, rollte seinen Körper ab und entging so einem gewaltigen Fußtritt des Häuptlingssohnes, der erneut auf ihn eindrang. Wie eine Katze sprang Naiche vom Erdboden hoch, packte einen faustgroßen Stein und schmetterte ihn gegen Pitcars Stirn. Mit einem Ächzen brach der Yaqui zusammen. Naiche schaute sich um. Der andere Indianer war verschwunden. Naiche überzeugte sich davon, ob sein Widersacher noch lebte, dann entfernte er sich auf dem gleichen Weg, den er gekommen war. Cochise saß noch beim Feuer. Tehueco hatte den Gesprächsfaden wieder aufgenommen und pries seine Heldentaten, die er vollbracht haben wollte. Naiche setzte sich still und nahm sich ein Stück Fleisch vom Brett. Kaum fünf Minuten später kam Pitcar. Der Stein hatte ihm die Stirn aufgerissen und eine eigroße Beule geschlagen. Blut lief ihm über das Gesicht. »Hast du mit einem Puma gerauft, mein Sohn?« Pitcar kochte vor Grimm, wagte aber nicht, die Wahrheit zu sagen. Stumm schüttelte er den Kopf und entfernte sich. Über die Schulter hinweg sagte er: »Ich bin gestürzt, nichts weiter.« Cochise wechselte einen vorsichtig fragenden Blick mit Naiche. Naiches Finger berichteten in der Zeichensprache, was passiert war. Cochise überlegte nicht lange. Er stand auf, 60
verabschiedete sich von Tehueco und ging gemessenen Schrittes mit Naiche zu der Buschhütte, die man ihm und seinem Sohn angeboten hatte. Die Chiricahuas schliefen außerhalb und bewachten den Schlaf ihres Häuptlings. »Du hattest Ärger?« »Mit Pitcar. Ich war unvorsichtig und konnte ihn und den anderen Yaqui nicht belauschen. Schlimm, Jefe, sehr schlimm.« »Weiß er, daß du es warst?« »Es war sehr dunkel.« »Wir warten den neuen Tag ab, Naiche. Legen wir uns schlafen.« * »Mr. Haggerty!« »Sir?« »Ich ließ Sie kommen, um Sie um Ihren Rat zu bitten. Wie sehr sind Sie mit Cochise und seinen Chiricahuas vertraut?« Der Chiefscout der Siebenten Kavallerie in Arizona zuckte unmerklich und ahnungsvoll zusammen. Strich sich über das braune, gewellte Haar, schniefte kurz und warf fragende Blicke auf die anwesenden Colonels Walman und White. Walmans Gesicht wirkte ernst. White strich sich den Knebelbart, der nach französischer Mode gestutzt war. Beide blickten zu Boden, weil sie die stumme Frage in Haggertys Augen nicht ertragen konnten. »Macht er wieder Kummer, Sir… General?« »Es bahnt sich etwas an, Mister, und was es auch sein wird, für uns ist es unangenehm. Bitte, beantworten Sie meine Frage.« Haggerty antwortete noch nicht. Er warf einen gewollt gleichgültigen Blick auf die Stabsoffiziere, aber er fühlte sich beunruhigt. Als er die gesamte Tragweise Otis O. Howards 61
Frage begriff, preßten sich seine Lippen zusammen, und ein Schimmer von Härte trat in sein Gesicht. Zögernd, aber wahrheitsgemäß antwortete er: »Sir, Ihre Frage ist nicht definitiv zu beantworten. Ich weiß, was Cochise will, was er vorhat und wie seine Politik aussieht. Cochise versteht mich, wenn ich ihm beistehe und ihn in seinem Kampf gegen alle Eindringlinge helfe. Damit ist Ihre Frage sicherlich nicht beantwortet, oder?« Howard stand hinter seinem Kartentisch auf und beugte sich etwas vor. Erschreckend leer hing sein aufgesteckter rechter Ärmel der Uniformjacke unter dem Armstumpf. Ein Bürgerkriegsgeneral, der an der Front seinen rechten Arm verloren hatte und hier sein Gnadenbrot aß? Sicherlich nicht. Howard war ein Heerführer von Format, der roten Rasse zugetan, weil er wußte, daß sie am Untergehen war. »Nein«, sagte er herb und nachhaltig. »Nein, Mr. Haggerty, meine Frage ist damit nicht beantwortet. Ich will Ihnen zunächst berichten, was uns angetragen wurde. Bitte, nehmen Sie anschließend Stellung und versagen Sie mir nicht Ihren Rat.« Der General machte eine nachdenkliche Pause, fuhr mit ruhiger Stimme fort, von der Abordnung zu erzählen, die Benito Juárez nach Norden geschickt hatte, um den Beistand der US-Regierung zu erbitten. »Es war die vierte Delegation«, sagte er. »Alle vorangegangenen sind entweder von Banditen, Apachen oder Yaquis liquidiert worden. Dieser gelang es, sich durchzuschlagen. Ein Colonel und zwei Offiziere.« Haggerty nickte. »Well, Sir, und was hat das mit Cochise zu tun? Ich kann nicht annehmen, daß er sich in die mexikanischen Revolutionswirren verstricken ließ? Dafür ist er zu schlau.« »Sehen Sie, das wollte ich hören.« Howards Stimme klang hektisch, doch irgendwie befreit. 62
Seine Colonels nickten, als hätten sie nichts anderes erwartet. John fuhr fort: »Sie haben etwas im Sinn, Sir. Heraus damit. Mir ist völlig klar, daß Sie meine Dienste erwarten, Sie hätten mich sonst nicht mitten in der Nacht zu dieser Unterredung gebeten.« Howard setzte sich wieder. Er legte den Armstumpf auf den Kartentisch, als könnte er die Last des fehlenden Gliedes nicht mehr tragen. Aufmerksam musterte er Haggerty, wortlos und nachdenklich. »Ich will Sie bitten, nach Sonora zu reiten und Cochise von seinen möglichen Absichten abzubringen. Das ist kein Befehl, Mr. Haggerty. Ich kann Ihnen das nicht befehlen, weil ich dann zugäbe, Sie zu einem Himmelfahrtskommando zu schicken. Kommen Sie meinem Wunsch nach?« Haggerty zuckte zusammen, richtete sich bolzengerade auf und warf hilflose Blicke auf die Colonels. Aber sie zuckten nur mit den Achseln und blickten ein wenig betreten weg. »Sir, das ist unmöglich.« »Warum?« Howards Stimme hatte abrupt den Schmelz verloren. »Niemand weiß, wo sich der Chief aufhält. Und was schlimmer ist: Ich bin Angehöriger der US-Armee und Offizier. Sie kennen die Befehle des Hauptquartiers, Sir: Keine Einmischung in mexikanische Angelegenheiten. Ohne Sondergenehmigung des Gouverneurs von Sonora ist Mexiko für mich tabu.« Howard winkte brüsk ab. »Als wenn ich das nicht selbst wüßte. Juárez ist zur Zeit Gouverneur von Sonora. Seine Hilfeersuchen an die Siebente Armee ist Ihre Garantie für freies Geleit.« Haggerty schüttelte ablehnend den Kopf. Sein nächster Einwand klang aber schon schwächer. »Cochise verträgt keine Einmischung in seine Angelegenheiten. Mein Erscheinen könnte mißverstanden werden und seinen Trotz herausfordern. 63
Er ist ein Fürst, das sollten wir nicht vergessen, Sir. Trotzdem: Wenn das Oberkommando zustimmt, betrete ich mexikanischen Boden.« Augenblicklich wirkte der General konsterniert und verärgert. »Komischer Kauz«, schniefte er und warf wütende Blicke auf die Colonels drüben beim Kartentisch. Walman zwinkerte mit den Augen, gab sich einen Ruck und trat vor. »Wir könnten es Mr. Haggerty leichter machen, Sir, und die Kompetenz des Hauptquartiers ausschließen, wenn Ihnen daran gelegen ist?« »Selbstverständlich bin ich an einer solchen Lösung interessiert! Aber wie? Ich sehe keine Möglichkeit, wenn sich Mr. Haggerty weigert.« »Sir, es gibt eine, Sie klingt nicht einmal schlecht.« »Heraus damit, Colonel!« »Mr. Haggerty scheidet offiziell aus dem Armeedienst aus und steht der Siebenten und Vierten Kavallerie lediglich für besondere Einsätze zur Verfügung, bei vollen Bezügen und Aufrechterhaltung seines Status als Offizier. Das bedeutet, daß er als Privatmann nach Sonora geht. Sein Spielraum, sich mehr Cochise zu widmen, wird dadurch größer und somit sein Aktionsradius.« Howard runzelte die hohe Stirn, dann tat er einen tiefen Atemzug und füllte befreit seine Lungen mit der stickigen Zeltluft. Seine hellen Augen wechselten mit einem fragendbittendem Ausdruck zu Haggerty. Der Chefscout brachte seine letzten Bedenken vor »Und wer übernimmt von nun an offiziell meine Aufgabe?« Walmans Antwort glitt wie geölt von seinen Lippen: »Ich denke an Al Sieber. Er eignet sich wie kein anderer, Ihren Platz einzunehmen, Mr. Haggerty. Sind Sie anderer Meinung?« John verneinte. Nachdenklich senkte er den Kopf und suchte in Walmans Plan nach Lücken. Er fand keine und gab sich 64
geschlagen. In seiner lokonischen Art wandte er sich an General Howard. »Einverstanden, Sir. Wo wurde Cochise zum letztenmal gesehen?« »Zwischen dem Bavispe und dem Rio Yaqui. Wann reiten Sie?« »Im Morgengrauen, Sir.« »Ich danke Ihnen, Mr. Haggerty, und – viel Glück! Gute Nacht, Gentlemen!« * »Du stinkst wie Aas!« »Hol dich der Teufel, Gringo!« Lon McFane, mit seinem unrasierten Gesicht verwegen aussehend, die angerauchte Zigarette zwischen den schmalen Lippen hängend, den Hut im Nacken, stützte sich mit dem linken Ellenbogen auf den Tresen und schickte einen kaltverwegenen Blick zu dem ganz in Schwarz gekleideten Mexikaner am anderen Ende der Bar. »Dich wird er holen, aber sicher nicht der Teufel, Stinker!« »Wer sonst?« Carlos Porfiro Mojada strich sich eine schwarze Locke aus der Stirn. Dann lachte er. »Manchmal legen die Gringos einen absurden Sinn für Humor an den Tag. Ich bin Carlos Porfiro Mojada, Großmaul. Und wer bist du?« Männer drängten von der Bar zurück. Das taten sie immer, wenn eine Schießerei drohte. Der Gringo sah nicht so aus, als würde er sich ungestraft Großmaul nennen lassen. »Wer ich bin, tut nichts zur Sache«, antwortete McFane kalt. »Nimm mal an, ich sei das amtlich bestätigte Rekrutierungsbüro des großen Feldherrn Juárez. Was sagst du nun?« 65
»Ein Rekrutierungsbüro auf zwei Beinen?« Carlos lachte. »Mann, du hast nicht mehr alle Schrauben beisammen.« »Du bist ein Goldstück, Spie, aber so dumm, daß dich die Schweine beißen. Hier, sieh mal.« Lon griff in die Tasche, nahm eine Handvoll Goldpesos heraus, warf sie im Kerosinlicht in die Höhe und fing sie wieder auf. »Weißt du, was das ist, Spie? Gutes Geld, keine Revolutionspapierchen, die man nach Sieg oder Niederlage verbrennen kann. Gold! Goldpesos! Zwei davon gehören dir, wenn du unterschreibst. Handgeld, sozusagen, griffig und wertbeständig. Na, wie ist's, willst du?« Carlos lachte gellend. Er schickte feurige Blicke in die Runde und blinzelte seinen gut verteilten Leuten im Saloon belustigt zu. Nach dieser Demonstration seines Mutes wandte er sich wieder dem Amerikaner zu und verzog höhnisch lächelnd seine Lippen. »Du bist genau der Typ, der einen Milcheimer unter einen Bullen stellt, um ihn zu melken. Mann, verzieh dich, dein Geschwafel kotzt mich an!« Der Saloon in Matachic war brechend voll. Wie an jedem Samstag war die gesamte Männerwelt auf den Beinen, um ein Glas zu trinken und Neuigkeiten zu erfahren. Der Treffpunkt war Daniels Emporium, nicht etwa die Cantina gleich nebenan. Huck Daniel, ein ausgedienter Revolutionär vergangener Auseinandersetzungen in Mexiko, hatte sich hier am Rio Moctezuma niedergelassen, um ein seßhaftes Leben zu führen. Der Saloon, den er stolz Emporium nannte, war zur Goldgrube geworden, obwohl Matachic recht klein und seine Bewohner arm waren. Tabakschwaden wehten Lon McFane ins Gesicht. Er blinzelte und verkniff sich eine Träne. »Hör zu, du brauner Indianerbastard. Hör gut zu!« Seine Stimme klang, als zerkaue er Kieselsteine wie einen Priem. »Ich bin Juárez' Segundo und beauftragt, Soldaten zu 66
rekrutieren. Kapiert? Du wirst jetzt unterschreiben und zwei Goldpesos in Empfang nehmen. Falls du dich weigerst, werde ich deine hübsche Visage ein wenig deformieren und so verändern, daß dich deine eigenen Leute nicht mehr wiedererkennen, verdammter Desperado!« Carlos lachte wieder. Die offene Kampfansage ignorierte er genauso wie das Zurückweichen der versammelten Männer, seiner eigenen und das der Gäste. Als er außer seinem höhnischen Lächeln keine Bereitwilligkeit zeigte und seine dunklen Augen lediglich tödliches Gift versprühten, stieß sich der Amerikaner von der Theke ab und spreizte ein wenig die Beine. »Ich habe zwanzig Hombres bei mir, Juárez' Spezialtruppe, für Einsätze wie diesen besonders geschult. Soll ich sie auf dich und deine Bande von Halsabschneidern loslassen?« Carlos kicherte. Es klang trocken und hohl wie geschüttelte Erbsen in einem Beutel. »Gib acht!« schrie er und hob die Hand. »Paß auf, Gringo!« Im gedrängt stehenden Ring der Zuschauer entstand Bewegung. Wenigstens dreißig Revolver flitzten aus gut geölten Halftern. Hähne rasteten metallisch. Huck Daniel rang die Hände. »Um Gottes willen, zerstört mein Etablissement nicht!« »Halt's Maul, Schnapspanscher! Nach seinem Sieg über die Franzosen bezahlt Juárez jeden Schaden, auch eine zerschossene Kneipe.« Nach einem tiefen Atemzug, der seine ganze Verachtung ausdrückte, drängte sich Lon McFane die kalte Geringschätzung für die Machtdemonstration förmlich auf die Lippen. »Und«, sagte er beinahe gelangweilt, »hättest du den Mut, Spie, deinen braunen Affen das Signal zu einer Schießerei zu geben?« Carlos' Antwort war ein Fingerschnippen. Darauf krachte ein 67
Schuß. Die Kugel fuhr vor McFane in den festgestampften Lehmboden. »Hier ist meine Antwort, Gringo. Und das ist für die Beleidigungen.« Wieder schnippten die Finger. Ein zweiter Schuß aus einem schwerkalibrigen Colt bullerte und riß Lons Hut vom Kopf. Sein Gesicht versteinerte. Juárez hatte ihm aufgetragen, sich wie ein Caballero zu benehmen und jedem Streit aus dem Weg zu gehen, aber die Schüsse auf ihn waren einfach zu viel. Er war nicht gewillt, sich der anmaßenden Unverschämtheit des Greasers auch noch seinen Speichel zu lecken. »Merkwürdig, wie sich viele Situationen gleichen. He, Spie!« Nach dieser Aufforderung fuhr seine Rechte so schnell zum Halfter, daß ihr kein Auge zu folgen vermochte. Der Colt flitzte an die Hüfte und entlud sich brüllend. »Das ist meine Antwort, du Bärendreck von einem Desperado!« Neben Carlos Porfiro Mojada, ein Stückchen hinter seinem Rücken, gellte der Schrei eines pockennarbigen Mexikaners. Er sprang in die Höhe, drehte sich wie ein Kreisel und begann einen Veitstanz. Grotesk hüpfte er auf einem Bein und schwang dabei die Arme wie ein balzender Hahn seine Flügel. Lon hatte ihm den Fuß durchschossen und beobachtete den Verletzten nicht mehr weiter. Herausfordernd ließ er den Revolver am Bügel um den Finger kreisen, blies den Pulverrauch aus dem Lauf und schob ihn ins Halfter zurück. »Unterschreibst du, Spie?« »Und wenn ich es nicht tue? Juárez mag zum Teufel gehen mit allen seinen verdammten Plänen um den Präsidententhron!« »Nicht er, du gehst zum Teufel.« Niemand sah, wie der Amerikaner seinen Revolver zog. Den Zuschauern war es, als besitze diese Wunderwaffe ein 68
Eigenleben und handele selbständig durch den stummen Wunsch ihres Besitzers. Lon McFane überbrückte die Distanz zu seinem Widersacher mit ein paar langen Schritten und preßte ihm den kalten Lauf gegen die Kehle. »Kann dein Mäusegehirn sich vorstellen, was sein wird, wenn ich abdrücke?« Carlos starrte den großen grauäugigen Gringo überrascht und entsetzt an, und seine Augen, sonst verschlagen und von einem zynischen Ausdruck erfüllt, wanderten rund und schreckhaft geweitet. Er versuchte ein paar Worte hervorzugurgeln, aber es blieb dabei. Kein Wort drang über seine Lippen, nur der Schweiß perlte in dicken Tropfen wie glitzernde Perlen. »Verhaltet euch ruhig, Boys!« schrie Lon über die Schulter. »Keine Bewegung, die ich mißdeuten könnte!« Die Schwingflügel beim Eingang schlugen schmatzend zurück. Ein hochgewachsener Amerikaner betrat den Saloon. Wie versteinert blieb er stehen und studierte sekundenlang die Situation. Dann setzte er sich wieder in Bewegung und stieß rücksichtslos mit den Ellbogen um sich, um Platz zu schaffen. Im äußeren Ring der Versammlung hielt er wieder an und ließ seine klirrenden Sporen zur Ruhe kommen. »Sehr gut und geschickt«, sagte er. Seine Stimme war nicht laut, aber in ihrer Schärfe eindringlich und bis in den letzten Saloonwinkel vernehmbar. »Was willst du?« fragte Lon, ohne einen Blick von dem verstört wirkenden Mexikaner zu lassen. »Dich einmischen?« Mort Douglas kicherte. »Unter Umständen, ja. Dieser Señor vor deinem Revolverlauf ist mein Kompagnon, dem ich beizustehen verpflichtet bin.« »Was, dieser dreckige Spie?« 69
»Warum nicht? Die klingende Münze zählt, nicht die Hautfarbe oder der Schmutz. Nimm die Kanone weg.« Lon McFane wies den Gedanken, von einem anderen Befehle anzunehmen, mit einer Kopfbewegung von sich. »Wer bist du?« »Mort Douglas.« »Dachte ich mir. Macht dir ein Revolverkampf Spaß, Mort?« Lons Stimme klang noch so kalt und unpersönlich wie vorher. Der so plötzlich erwachsene Gegner mit dem großen Namen als Revolvermann beeindruckte ihn überhaupt nicht. Mort antwortete: »Wenn er gut ist, bin ich immer dafür zu haben.« Lon McFane grinste, nahm aber nicht den Revolver von Carlos' Kehle. Im Saloon war es so still wie in einer Kathedrale nach dem Amen geworden. Spannung lag wie Elektrizität in der Luft. Sogar harte gesottene Männer hielten den Atem an und wagten kaum zu schlucken. »Irgendwie habe ich das Gefühl, daß du die Geschichte richtig genießt, Freundchen. Lassen wir's darauf ankommen. Zuerst schieße ich dem Spie den Kehlkopf aus dem Hals, dann bist du an der Reihe. Also…« »Nein! Nicht! Laß ihn in Ruhe, Mort! Er schießt tatsächlich, und wenn ich tot bin, helfen mir deine Revolverkünste nichts!« Carlos Porfiro Mojada stieß die Worte mit Zwischenräumen und zitternder Angst hervor. Seine Gliedmaßen flogen. Sein Atem ging stoßweise, als litte er unter Luftmangel. »Lon, du benimmst dich wie ein Tölpel. Falls du's noch nicht bemerkt hast: meine Partei ist in der Überzahl. Und jeder Mann in der Bande schießt einer Fliege das rechte Vorderbein ab, so fix sind sie.« »Well, lassen wir's darauf ankommen. Aber es macht keinen Unterschied, wer am Ende der Schießerei übrig bleibt. Dieses braune Affengesicht vor mir ist auf alle Fälle tot. Bueno, es geht los!« 70
»Nein! Ich unterschreibe!« Alle moralischen Maximen, wenn sie überhaupt vorhanden gewesen waren, versanken im Staub der Angst um das eigene Leben. Carlos zitterte so, daß seine Zähne klapperten. Selbst das überzeugende Manifest des Komplicen legte keine unbezwingbare Mauer zwischen ihn und seinen Peiniger, der wölfisch und unbeeindruckt grinsend Morts Drohung mit einem Achselzucken abtat. »Ich will nicht sterben!« heulte er los, als sich der Druck der durchbohrten Stahlmündung etwas lockerte und seinem Adamsapfel Spielraum zum Sprechen gab. »Du wirst sterben, wenn du deinen Leuten nicht augenblicklich den Befehl gibst, den Saloon zu verlassen. Na, los, wie lange soll ich warten?« »Geht hinaus! Alle!« schrie Carlos in Todesangst. »Ich befehle es!« »Mir kannst du nichts befehlen, Spie«, murmelte Mort Douglas und verzog angewidert seine Lippen. »Mir nicht!« Mojadas Bande folgte dem Befehl. Einer nach dem anderen schoben sie sich im Gänsemarsch durch die Pendeltür. Mort Douglas jedoch blieb stehen und betrachtete die Szene. »Du kannst auch verduften«, sagte Lon McFane scharf. »Ich brauche deine zweifelhafte Unterstützung nicht, und dieser Bastard vor mir verzichtet liebend gern auf deine Anwesenheit. Los, Mann, hau ab!« Mort Douglas dachte nicht daran, dem Befehl zu folgen und sich feige zu verkriechen. Sein Ehrenkodex als Revolvermann und kaltschnäuziger Schütze untersagte es ihm. »He, du!« rief er. »Wir sind beide Amerikaner. Daß wir auf verschiedenen Seiten des Zaunes stehen, hat das Kismet vorherbestimmt. Ebensogut könnten wir ein gutes Paar abgeben, das sich mit den Revolvern den Weg freischießen kann. Mann, sei vernünftig und nimm die Kanone weg.« »Mir kommen gleich die Tränen.« 71
»Wir könnten das kleine Mißverständnis unter uns beiden austragen«, fuhr Mort unbeirrt fort. »Unter uns beiden, verstehst du? Mann gegen Mann. Der Verlierer gibt sich geschlagen. Ist das ein Angebot?« »Zum Kotzen, ja.« Lon McFane grinste kalt. »Bei allem Irrsinn, Amigo, ich bin einverstanden. Wie willst du's haben?« »Wie es das ungeschriebene Gesetz vorschreibt. Zwanzig Schritte, dann, peng!« »Und wer garantiert mir, daß dieser Olivbraune in der Zwischenzeit nicht davonsegelt?« »Du selbst, wenn du Sieger bleibst. Deine Kugel ist schneller als seine Beine.« »Klingt nicht schlecht. So soll's also sein.« * Unter der zupackenden Hand riß das dünne Leder. Das Geräusch ließ John Haggerty zusammenzucken. Absolute Finsternis umfloß ihn und den Gegner wie Watte. Keine zwei Schritte weit konnte John sehen. Der Schrei nach dieser überraschenden Gewaltanwendung ließ ihn übergangslos förmlich erstarren. Die helle Stimme kam von einer Frau. Haggerty konnte es nicht fassen, eine Frau in dieser Wildnis anzutreffen, dazu noch in der Nacht. Seine Aufmerksamkeit galt seiner Umgebung. Wenn er auch nichts sah, so stellten sich seine anderen Sinne verschärft auf die Stille und die daraus erwachsende Gefahr ein. Haggerty hielt es für ausgeschlossen, daß sich eine einzelne Indianerin in der Canyonlandschaft herumtrieb, die zum Lebensbereich der Chiricahuas gehörte. Sein Augenmerk richtete sich auf einen überraschenden Überfall durch Krieger, und er wußte aus Erfahrung, daß er sie erst sehen würde, wenn sie vor ihm aus dem Boden wuchsen. 72
Lautlos huschte er zu einem Geröllhaufen, der ihm bessere Deckung bot. Der Lederfetzen in seiner Hand raschelte. Mit den Fingern befühlte er das dünne Antilopenleder, kam aber zu keinem Resultat über dessen Träger. John Haggerty fühlte die Einsamkeit wie ein makabres Unheil, das sich von allen Seiten seinem Standort näherte. Ihm war, als würde seine Zukunft im unvermeidlichen Tod enden, ausgelöscht durch ein Kriegsbeil oder die Klinge eines Indianers. Ganz plötzlich hatte er Angst vor diesem Schicksal. Spontan wurde er von einer huschenden Bewegung abgelenkt. Ein Coyote heulte leise bei der gegenüberliegenden Felswand. War es ein Coyote oder die gut imitierte Nachricht eines Kriegers? Haggertys Hände wurden feucht. Er wischte sie an seiner Hose ab, die nach Pferdeschweiß und Sattelleder roch. Er zuckte erneut zusammen. Die Bewegung war wieder da. Ein Huschen, Gleiten, lautlos wie der Samenflug im Frühlingswind. Nichts mehr. Johns Augen tränten. Er wagte es nicht, auch nur mit einer einzigen Handbewegung die gereizten Augen durch Reiben zu erleichtern. Ein Nachtvogel schrie gellend. Aus dem Canyon hallte das Echo gespenstisch herüber. Eine weitere Bewegung, nicht weit von ihm, lenkte Haggertys Aufmerksamkeit auf diesen Punkt. Deutlich sah er die schemenhaft verschwommene Gestalt, die sich bückte und wieder aufrichtete. Immerfort. Noch einmal starrte John Haggerty auf den Fetzen, dann steckte er ihn ein und kroch lautlos wie ein Indianer über das scharfkantige Geröll. Sein Plan war ihm klar vorgezeichnet. Er mußte, wenn er lebend aus dieser Falle herauskommen wollte, den Indianer mit seinem seltsamen Gebaren unschädlich machen. Eine Geisel konnte ihm zwar bei einem beabsichtigten Überfall keinen großen Nutzen bringen, weil sich Chiricahuas 73
nicht an die Gepflogenheit des Weißen Mannes im Krieg hielten und keine Rücksicht auf die Not eines lebenden Pfandes nahmen. John kam näher. Das Kriechen auf losen Steinen und Geröll war eine schweißtreibende Arbeit, die dazu Konzentration und äußerstes Geschick erforderte. Seine Gedanken drehten sich ständig um den einen Punkt: wie kommt man hier heraus – lebend? Augenscheinlich sammelte der Indianer etwas ein und steckte das, was er aus dem kargen Boden riß, in einen Sack. Was es war, erkannte John Haggerty nicht. An jener Stelle wuchsen lediglich Disteln und ein paar verkümmerte YuccaStauden. Meter für Meter näherte er sich dem Ungewissen. Plötzlich packte ihn rasende Wut, die er, der sonst so besonnene, sich nicht erklären konnte. Er sprang auf und stürzte sich auf den Indianer. Seine Hände packten zu, als der Körper sich aufrichtete. Sie griffen mörderisch zu mit der ganzen Kraft eines verzweifelten Mannes, der um sich herum den sicheren Tod sah. Ein Schrei. Hell und grell, wie in höchster Not. John riß das zappelnde und sich wehrende Bündel an seinen Körper und legte beide Arme um die Brust der Rothaut, um ihr die Luft aus den Lungen zu pressen. Röchelnd pfiff die Luft aus den fremden Lungen. Der Körper erschlaffte in Johns Armen und sackte in die Knie. Er ließ ihn fallen, riß ein Zündholz an, dessen Flamme er mit der Hand schützte und – fuhr zurück, als hätte ihn der Giftzahn eines Reptils angegrinst. Vor ihm lag Tla-ina, Cochises junge und schöne Schwester. Sie hielt die Augen geschlossen und wirkte bleich und verschreckt. »Allmächtiger!« stammelte John Haggerty und faßte sich dann an den Kopf. 74
Das Mädchen schlug die Augen auf, sagte ein paar Worte und schaute die Gestalt des Weißen aus großen, ängstlichen Augen an. »Tla-ina! Um des Allmächtigen willen, wie kommst du in diesen Canyon?« »Ich suche Heilkräuter, Falke«, war die schüchterne Antwort. »Mitten in dunkler Nacht?« »Sie sind am wirksamsten, wenn sie der Tau der Nacht benetzt hat.« Haggerty setzte sich zu dem Mädchen und hielt ihre Hand. Eine düstere Ahnung befiel ihn. »Ist jemand in deinem Volk krank? Cochise?« »Cochise ist gesund wie der Adler in den Lüften und der Fisch im klaren Wasser. Na-tse-kes leidet an fiebrigen Ausschlägen und bedarf der Hilfe.« »Wer ist Na-tse-kes?« »Die Squaw von Dobe-he, dem Gefleckten Büffel.« »Ein Krieger deines Stammes?« Tla-ina nickte. »Er durchwandert mit seiner Familie die Canyons und… Du willst zu Cochise, Falke?« Haggerty nickte und stand auf. »Cochise ist im Land der Gelbhäutigen. Du wirst ihn nicht finden auf den Weidegründen der Chiricahuas.« »Ich muß ihn dringend sprechen, Tla-ina. Sehr dringend. Wo muß ich den Jefe suchen?« »Cochise ist wie der Vogel in der Luft, einmal hier und am nächsten Tag woanders. Reite zum Moctezuma, Falke.« Tla-ina wirkte betreten. Es war fast, als könnte John ihre Gedanken lesen. Eingesponnen in die Vorstellungen seiner Aufgabe, wußte John Haggerty nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sie richtete sich plötzlich auf und stand dann dicht vor ihm. »Du hast einmal gesagt, daß du Tla-inas Jacale wieder besuchen würdest, Falke. Gilt das Versprechen noch immer?« 75
Sie legte die schmalen Hände auf seine Schulter und schaute ihm lange in die Augen. John war voller Verlangen für dieses braune Mädchen, das sich scheu wie ein Reh an ihn preßte, aber er dachte an Cochise und ahnte im Unterbewußtsein, daß der Jefe einen SquawMann ebenso wenig mochte wie die Weißen. Trotzdem legte er einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich, bis er ihren Atem auf seinem Gesicht spürte. Sie zitterte wie Büffelgras im Präriewind, und als er sich halb über sie beugte und sie küßte, krallte sie ihre Hände in seine Schultern. Als sie sich nach einem langen Kuß trennten, nickte John keuchend. Das weiche Fleisch unter dem zerrissenen Lederhemd drohte ihm die Besinnung zu rauben. Aber Cochises strenges Antlitz hing vor ihm in der Nacht, als stünde der Chief leibhaftig in diesem Canyon. »Ich werde kommen, das verspreche ich. Aber zuerst muß Frieden im Land einkehren, in dem die Chiricahuas leben. Ich werde alles dransetzen, diesen Frieden herbeizuführen, Tla-ina. Wir müssen warten.« Ihre Hände auf seiner Schulter zitterten wie Espenlaub. »Friede«, sagte sie leise, »was ist das?« »Du weißt, was ich meine, Mädchen. Eure Sippen sollen nicht ständig in der Gefahr leben, von Weißen oder Mexikanern getötet zu werden. Vergossenes Blut fordert wieder Blut. Ich muß reiten.« »John, es ist dunkle Nacht.« Zum erstenmal redete sie ihn mit seinem Vornamen an, der so fließend von ihren Lippen glitt, als hätte sie ihn in ihrer Bergeinsamkeit hundertmal geübt. »Ein Falke sieht auch während der Nacht, Tla-ina. Der Nachtfalke. So einer bin ich wohl. Adios!« John wurde von der Pflicht und dem Wunsch getrieben, weiteres Blutvergießen im Süden zu verhindern. Auch Mexikaner und Indianer waren Menschen, und die 76
Bevölkerung in Sonora und Chiricahuas hatte in den Revolutionswirren der vergangenen Jahre mehr als genug gelitten. Bei seinem Pferd drehte er sich noch einmal um. Im gleichen Moment drangen die Sterne durch die Dunstschicht und sandten ihr Licht in die felsige Schlucht. Tla-ina stand noch dort, von einer seltsamen diffusen Helligkeit umgeben. Sie hob die Hand und grüßte. Haggerty, der sich in den Sattel schwang, grüßte zurück und ritt nach Süden davon. * Sie standen sich in der Abenddämmerung gegenüber. Ihre kalten Augen lauerten. Durchdringend klang das trockene, aufgeregte Keuchen eines Zurückgebliebenen durch den Saloon. Es war so still, daß man das Summen der Fliegen hörte. Von draußen drangen die heiseren Stimmen der Mexikaner und Gringos herein, die Mojada auf Morts Befehl hatte aussperren müssen. Nur Juárez' Parteigänger waren in der Kneipe geblieben. »Nun«, sagte Mort gelassen, »ich warte.« »Der Herausforderer bin ich und bestimme den Zeitpunkt des Duells.« »Dann bestimme ihn, du Armleuchter. Es wird sich nichts ändern, auch wenn du die Sache hinausziehst. Ich passe auf!« Carlos quetschte seinen Rücken an den Tresen und machte sich klein. Der Mexikaner wirkte demoralisiert. Angst umflatterte ihn mit dem seltsamen Taumelflug eines Falters. Wer blieb Sieger? Gab es überhaupt einen Sieger? Beide Duellanten sahen aus, als schenkten sie sich nichts, aber einer von ihnen mußte der Schnellere sein. Sekundenbruchteile entschieden über Sieg oder Niederlage, über Leben und Tod. 77
»Hat dich der Mut verlassen?« höhnte Mort Douglas mit geringschätzig verzogenen Lippen. »Hose gestrichen voll, wie?« Das alte Spiel begann mit neuen Reizen. Sie schmähten und verhöhnten sich gegenseitig, bis einen die Wut übermannte. Er würde ziehen und unter der Kugel des anderen sein Leben aushauchen. Sie waren beide Revolvermänner, tödlich in ihrer Entschlossenheit, eiskalt im Handeln, und sie schreckten vor nichts zurück. »Schwätzer!« sagte Lon McFane bissig. »Greaserfreund!« »Du mieser Haufen Dreck! Du Ausbund der Hölle, zieh, wenn du dich traust!« Sie standen sich gegenüber. Zwanzig Yards Abstand, die Hände gespreizt wie Klauen, jeden Augenblick bereit, zuzupacken, zu ziehen und zu schießen. Über der halbhohen Pendeltür hingen die Köpfe der Ausgesperrten wie Trauben. Selbst an den schmutzigen Fenstern drückten sie ihre Nasen platt. Die Verbliebenen machten sich klein und häßlich. Sie hätten sich gewünscht, unsichtbar zu sein und doch alles zu sehen. Eine verirrte Kugel hatte schon manchen Falschen erwischt. »Du solltest dir eiserne Unterwäsche anziehen und wiederkommen, Bastard!« bellte Lon scharf. Seine Rechte glitt lagsam zur Hüfte, beinahe zeitlupenhaft langsam. Er schien die Situation richtig zu genießen. Die Anwesenden begriffen, daß der Zeitpunkt der Auseinandersetzung unmittelbar bevorstand. Die Duellanten setzten sich mit der Austragung der Fehde kein Denkmal, aber sie wurden wie viele andere zur Legende, und nur das zählte. Auch Morts Rechte machte die bekannte Abwärtsbewegung. Nun kam es darauf an, wer die besseren Nerven hatte und am Zucken des Auges erkannte, daß der andere zog. Sekundenbruchteile entschieden ein Revolverduell. »Ich krieg 'ne Gänsehaut, wie 'n Reibeisen, wenn ich…« 78
Morts heisere Stimme versiegte zu einem Flüstern. Ein unerwarteter Laut drang in die Stille des Saloons und weckte seltsame Ahnungen in den beiden Kämpfern. Ihre Hände blieben über den Halftern hängen. Verkrampfte und zum Kampf angespannte Glieder lockerten sich, und ihre Körper, beide gleich groß und zusammengekrümmt, streckten sich zur Normalhaltung. Sie lauschten. Die Glocke von St. Barbara, der kleinen Kirche aus der Kolonialzeit, wimmerte wie Seelen Verdammter vor dem Jüngsten Gericht. Stimmen dröhnten wie Brandung. Einzelne Schreie füllten die engen Gassen von Matachic am Rio Moctezuma, und das Entsetzen, das draußen alle ergriff, setzte sich mit dem Ruf »Apachen« und »Yaquis« bis in den letzten Winkel fort. Füße trommelten den Staub. Die Glocke wimmerte und mahnte. Matachic war ohne Übergang zum Tollhaus geworden. Lon und Mort blickten sich an. Lons Augen zwinkerten. Mort leckte sich die Lippen und verlor ein wenig Farbe. Beiden perlte nun Schweiß über die angespannten Gesichter. »Indianerüberfall«, sagte Mort heiser. Lon nickte. »Verschieben wir unseren kleinen Disput auf morgen. Einverstanden, du revolverschwingender Säugling?« Morts Kopf ruckte hoch. Seine grauen Augen glimmten tückisch. »Den Säugling schieße ich eines Tages mit einem Pfund Blei in deinen dreckigen Wanst. Warte ab, Großmaul!« Lauter und eindringlicher mahnte die Glocke zum Widerstand. Das Getrappel draußen hatte aufgehört. Die Köpfe an den Fenstern und über der doppelflügeligen Schwingtür hatten sich in Luft aufgelöst. Nur die etwa zwanzig Anwesenden standen starr wie Salzsäulen und lauschten dem dumpfen Getöse. Mort und Lon überlegten krampfhaft, ob sie nicht doch noch zur Waffe greifen und die Beleidigungen mit einem schnellen 79
Schuß ahnden sollten. Schließlich waren sie das ihrem Ruf schuldig. Aber die heraufziehende Dunkelheit machte ihrem Vorsatz ein jähes Ende. Der angstschlotternde Daniel hinter dem Tresen hütete sich, hervorzukommen und die Kerosinlampen anzuzünden. Drängender wurden die Glockentöne, erstes Schießen setzte ein. Menschen untermalten das Durcheinander auf den Straßen mit hysterischem Geschrei und rannten ziel- und kopflos durch die Gassen. Lon McFane wechselte einen langen Blick mit Mort Douglas. Beiden war die Kampfeslust vergangen. Das Zauberwort Apache nahm ihnen jede Lust zum Duell. Was half es dem Sieger, wenn er anschließend von einer Rothaut skalpiert wurde? Der eiskalte McFane grinste bei dem Gedanken. Aber das Grinsen verging ihm. Jemand stöhnte in der Dämmerung. Von draußen drang der Geruch von verbranntem Stoff, Holz und Fleisch herein. Pulverdampf mischte sich dazwischen, und der ekelhafte Gestank, der auf beide einwirkte, ließ den letzten vagen Gedanken an das Duell verpuffen. »Kümmern wir uns um die Sache?« fragte Lon. Mort nickte. Er gab dem käsigen Carlos ein Kopfzeichen und setzte sich in Bewegung. Als sie gemeinsam vor die Tür traten, schlug ihnen Dunkelheit und beißender Qualm in dichten Schwaden entgegen. * Ein Gefühl naher Gefahr befiel John Haggerty. Das Feuer war niedergebrannt, nur die Asche glühte noch. Es war still geworden. Er blieb in der Mulde sitzen und horchte. Sein Pferd stand mit hängendem Kopf vor einem Sumachstrauch und 80
beleckte lustlos die welken Blätter. Wieder das Gefühl von Unheil. Es packte ihn periodisch mit kräftigen Stößen in der Brust. Hinter den Steinen polterten Stiefel. Ein Kopf erschien. John rollte hinter das Gestrüpp und wartete. Ein Gewehr dröhnte dumpf. Das Echo des Schusses schien zwischen den Canyonwänden hin und her geworfen zu werden, bevor es endlich einschlief. John wartete einige Sekunden, bevor er zu dem Schichtgestein weiterkroch. Er schwang sich rasch darüber und ließ sich auf der anderen Seite auf den harten Boden fallen. Sein Atem ging keuchend. Schweiß badete ihn trotz der Nachtkühle. Sein Pferd wieherte ängstlich und zerrte an den Zügeln. Es riß sich vom Sumachbusch los und galoppierte in den Canyon hinein. Stille. Absolut und perfekt. Kein Nachtvogel schrie, kein Nager war unterwegs. Die gesamte Natur schien in Todesdrohung erstarrt zu sein. Ein leises Geräusch. John legte den Kopf schief und riß die Augen auf. Er hatte Apachen oder Yaquis erwartet, blickte aber in das Gesicht eines Uniformierten. Der Mann hielt ein Gewehr in den Händen. John Haggerty wartete auf den Schuß, aber er blieb aus. Der Franzose starrte ihn an, als sei er soeben mit dem Teufel konfrontiert worden. Sein Käppi hing schief auf seinem Wollschädel, an der blauen Uniformjacke fehlten zwei Knöpfe, die rote Hose war zerrissen. Seine ehemals weißen Gamaschen trugen die Spuren von Dornen, sein Gesicht den Ausdruck von Ratlosigkeit. »Pst!« John starrte das Gewehr an, als sei es etwas Lebendiges, Selbstdenkendes in den Händen des Soldaten. Und wieder: »Pst! Keinen Laut, Amerikaner.« John drehte seinen Körper so, daß er auf dem Ellbogen zu liegen kam. Sein Gewehr war mit dem Gaul zusammen 81
unerreichbar geworden, aber er hatte noch den Colt und das lange Messer. »Was ist los? Komm her.« »Nein. Du bist mein Gefangener.« Aus der Dunkelheit drang ein so lauter und entsetzlicher Schrei, daß es John kalt überlief. »Wer ist das?« fragte John Haggerty. Der Soldat spuckte aus. »Ein Kamerad. Ein Yaqui erwischte ihn an der Hüfte. Hüftknochen zersplittert. Bist du verletzt, Amerikaner?« »Nur mein Stolz.« John legte sich auf den Rücken und versuchte den Stand der Sterne zu erkennen. Der Schuß, den er gehört hatte, war von einem Yaqui abgefeuert worden. Er wollte mehr wissen. »Bist du allein, Kamerad, und falls nicht, wieviel Soldaten sind bei dir?« »Dummkopf, sieh dich um!« Aus der dräuenden Dunkelheit traten sie mit aufgepflanztem Bajonett und knirschenden Sohlen, mit Haß in den Gesichtern und zerfetzten Uniformen. Der sie anführende Sergeant trat John in die Seite, brüllte Befehle und weinte gleichzeitig, so hatte ihn der Schock über den Angriff der Yaquis gepackt. »Was soll mit dem da geschehen, Sergeant?« fragte der Soldat, der sein Gewehr auf John richtete. »Ich habe ihn überrascht und gefangen.« »Merde! Fesselt ihn! Wir werden ihn ein bißchen quälen, bis wir die Wahrheit erfahren.« »Welche Wahrheit?« »Idiot! Wie kann man nur so blödsinnig fragen? Er hetzte die Indianer auf uns, was hätte er sonst hier zu suchen?« Haggerty wollte protestieren, aber zwei Soldaten stürzten sich auf ihn und verschnürten ihn zu einem Paket. »Kein Feuer«, warnte der Sergeant. »Verhaltet euch still. Mit 82
dem da rechnen wir morgen ab. Louis, du gibst auf ihn acht und bist mir für ihn verantwortlich. Sehe ich ihn bei Tagesanbruch nicht mehr, lasse ich dich für die Yaquis zurück.« Louis, der strahlende Held, der John gefangen genommen hatte, knickte förmlich in sich zusammen. Zwölf Soldaten nahmen am erloschenen Feuer Platz und packten ihren Proviant aus den Taschen. Sie unterhielten sich, und John, der ein paar Brocken französisch sprach, lauschte. Nach und nach erfuhr er, daß Matachic von Yaquis eingeschlossen und mit Brandpfeilen beschossen wurde. Louis hockte vor ihm, das Gewehr zwischen den Beinen und blickte dumpf ins Leere, während sich seine Kameraden labten und schwatzten, als gäbe es im weiten Umkreis keine Indianer. John erfuhr so, daß sie abkommandiert worden waren, um eine Garnison am Rio Moctezuma zu verstärken. In einen Hinterhalt geraten, gelang es dem Rest der Truppe, in das nahe Gebirge zu entkommen. »Was werdet ihr mit mir machen?« »Du wirst gequält werden, bis der Sergeant alles weiß. Dann töten wir dich. Du kannst auch freiwillig reden, die Wahrheit, dann wirst du nicht mißhandelt.« John schloß die Augen. Auf Gedeih und Verderb war er der Willkür dieser uniformierten Männer ausgeliefert, wehrlos, ohne einen Schimmer der Hoffnung. Das glühende Augenpaar hinter dem Sumachgestrüpp schloß keineswegs die Augen. Der Yaqui kroch davon und hetzte schließlich im Wolfstrab nach Süden. Yaquis waren die besten und ausdauernsten Läufer Sonoras. * Schweiß tränkte Morts Kleidung, und er mäßigte seinen Lauf durch die Gassen der mexikanischen Stadt. Matachic brannte 83
an drei Ecken. Vergeblich versuchten Bewohner und Fremde das Feuer zu löschen oder zu verhindern, daß es um sich griff. Von Lon McFane war nichts mehr zu sehen. Mort hörte seine bellende Kommandostimme, die einigen seiner Leute befahl, Häuser im Außenring der Stadt zu besetzen und auf alles zu schießen, was eine braune Haut hatte. Von Yaquis oder Apachen sah der Revolvermann nichts. Nur ihre Brandpfeile. Kometengleich zogen sie mit feurigen Köpfen ihre vorgeschriebene Bahn und schlugen in die zundertrockenen Holzschindeln und falschen Fassaden. Die Indianer lagen hinter den Hügeln beim Fluß in Deckung und waren für die Kugeln der Belagerten unerreichbar. Ein langgezogener, klagender und irgendwie herzergreifender Schrei hinter Mort ließ ihn herumfahren. Mit einem mächtigen Seitensprung schmiegte er sich an die Adobewand einer Hütte. Wie absichtslos riß er den Colt aus dem Halfter und ebenso mechanisch spannte er mit dem Daumen den Hahn. Carlos kam aus dem Haus. Mit wütenden Gebärden zerrte er Carmen Obeira mit zerrissenen Kleidern und fliegenden Haaren hinter sich her, dabei fluchte er unflätig. »Holla!« rief Mort Douglas grinsend. »Kleiner Ehestreit, wie?« »Geh zum Teufel, Gringobastard!« »Nach dir, Carlos, immer nach dir. Laß die Kleine los. Pronto, sage ich!« »Das hier geht dich nichts an, du räudiger Coyote. Geh aus dem Weg!« »Sachte, sachte, Amigo. Wer aus dem Weg geht, wird sich erweisen. Du bist wohl taub? Ich sagte, laß die Kleine los.« Morts Revolverhahn rastete mit metallischem Laut in Schußposition. »Zieh ja nicht«, warnte er verbissen. »Ich bin mit angeschlagenem Revolver einen Schub schneller als du.« Carlos ließ Carmen los und trat breitbeinig zur Seite. 84
»Mit dem anderen Gringo hast du's nicht aufnehmen können«, knurrte er bösartig. »Da hast du gekniffen. Und bei mir wirst du's nicht schaffen, das verspreche ich dir.« Er sprang zur Seite, ließ sich fallen und rollte behend wie eine Katze über die Straße. Mitten in der Bewegung zog er und schoß zweimal. Bei Mort Douglas drüben blitzte es auf. Aus seiner Waffe stieß eine gelbe Feuerlanze. Pulverrauch verdeckte die Sicht. Zu einem dritten Schuß kam Carlos Porfiro Mojada nicht. Morts Kugel ließ ihn in den Staub sinken. »Kommen Sie her, Señorita! Schnell! Wir müssen die Stadt verlassen!« »Fliehen? Wohin?« »Irgendwohin. Nur weg von den Indsmen.« »Die Stadt ist umstellt und brennt an allen Ecken«, wandte sie ein und rang die Hände. »Sie und ich – wir beide allein?« »Nonsens. Die Bande kommt natürlich mit. Carlos war so freundlich, tüchtige Leute anzuwerben. Für mich«, setzte er trocken hinzu. Sofort wechselte er das Thema: »Was wollte der Spie von Ihnen? Gewalt antun?« Das Mädchen errötete und nickte zögernd. »Als ich mich wehrte, zerrte er mich aus dem Haus. In ein Bordell wollte er mich bringen. Gibt es das hier?« Mort lachte belustigt. Mit seinem rußgeschwärzten Gesicht und den blitzenden Zähnen sah er wie der Leibhaftige aus. »So was gibt's in jeder Stadt«, antwortete er auf Carmens Frage. »Kommen Sie, der Qualm erstickt uns sonst.« Schwarz und stinkend wälzten sich Rauchwolken durch die Straßen, und der Aschenflug, der sich in der Haut festbiß, machte die Sache noch dramatischer. Mort Douglas rannte durch ein paar unratübersäte Gassen nach Osten. Beim Mietstall hielt er wieder an und musterte zwei Mexikaner, die vergeblich versuchten, ihre nervösen Gäule zu satteln. »Hiergeblieben!« befahl er scharf. »Ihr Hengste kennt mich. 85
Los, macht euch auf die Socken und holt die anderen herbei. Wir verlassen die Stadt. Wer in einer Viertelstunde sich nicht hier versammelt, wird von mir erschossen. Pronto, Leute!« »Wo ist Carlos? Wir suchten ihn vergeblich.« Mort deutete mit einem scheinheiligen Grinsen zum Himmel. »Dort oben. Señor Carlos Porfiro Mojada ist tot!« »Tot?« Die beiden Männer zuckten zurück. »Ja, tot. Er war der Meinung, schneller zu sein als ich. Er irrte.« Mit einem wütenden Fluch setzte er hinzu: »Und ihr beide werdet auch gleich Englein im Himmel spielen, wenn ihr nicht spurt.« Sie spurten. In nicht einmal zehn Minuten hatten die beiden Desperados den Rest der Bande aufgetrieben, mehr als fünfzig hartgesottener Banditen, denen Messer und Revolver locker saßen. Alle Hautschattierungen waren dabei, vom tiefsten Schwarz bis zum hellen Braun, und wenn sie einmal lächelten, sah das aus, als wenn ein Kater beim Anblick einer Maus genüßlich seine Barthaare strich. »Adelante, Muchachos, wir reiten! Wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergeritten, verstanden?« Schwarze, Braune, Gelbe und zuletzt die Weißen warfen scheele Blicke auf Mort Douglas. Es hatte sich herumgesprochen, daß er bei einer Auseinandersetzung wegen dieser Frau Carlos Porfiro erschossen hatte. Sie ließen es zu keiner weiteren Aufforderung kommen. Einige sattelten im Mietstall, andere, die Mehrzahl, zerrten ihre Pferde ins Freie und legten ihnen hier die Sättel auf. Wie die wilde Jagd ritten sie unter frenetischem Geheul nach Osten. Die Straßen waren verstopft. Fluchende und hüpfende Männer, die den Brandpfeilen auswichen, stellten sich ihnen in den Weg. Rücksichtslos wurden sie zur Seite geschleudert. Heraus aus dem Qualm zwischen den Häuserzeilen, hielt 86
Mort Douglas die Meute an. »Hört zu«, sagte er trocken. »Matachic ist von den Indianern eingeschlossen. Wir brechen durch. Die Feuerkraft von fünfzig Revolvern wird uns Bahn brechen. Wenn einer verwundet zurückbleibt, nun, dann hilft ihm nur noch Gott oder aber seine Waffe.« »Und was noch?« fragte einer. »Eine Kugel durch die Schläfe.« * Tehueco riß den Brandpfeil aus dem Feuer und schoß ihn steil in die mit dem Wind fortziehenden Rauchschwaden. Dann erst wandte er sich dem Krieger zu, der zwanzig Meilen, ohne auch nur einmal anzuhalten, gerannt war, um ihm von Haggertys Gefangennahme zu berichten. »El Halcón?« fragte er sicherheitshalber in spanischer Sprache. Der Yaqui nickte eifrig. Pitcar trat zu der Gruppe. Seine Stirnwunde war verheilt, aber nicht sein verletzter Stolz. Er konnte nicht einmal andeutungsweise sagen, wer ihn belauscht und angegriffen hatte. Die Nacht war zu dunkel gewesen. »Hast du gehört?« fragte ihn Tehueco. »Cochises weißer Freund, der Falke ist von den Rothosen gefangengenommen worden. Sie wollen ihn martern. Cochise hatte recht. Der einarmige General schickt keine Truppen. Was tun?« »Was tun?« war Pitcars erstaunte Gegenfrage. »Yaquis und Chiricahuas sind befreundete Stämme. Nie führten wir Krieg gegen die Apachen. Schick einen Läufer zu Cochise. Er und Naiche werden den Falken selbst aus den Händen der Franzosen befreien wollen, die der Heilige Geist vernichten möge.« Bevor Tehueco zu einem Entschluß kommen konnte, setzte sich der Alarmruf durch die Reihen seiner Krieger fort. Er ließ 87
den Bogen fallen und eilte auf die Hügelkuppe. Aus der brennenden Stadt stürmte ein großer Reitertrupp zwischen die Hügel. Tehueco hob die Hand. Alle konnten sie es sehen. Seine Stimme hallte mit zahlreichen Echos durch die Täler hinunter zum Fluß. »Greift sie an, meine tapferen Krieger! Kämpft mit ihnen und laßt keinen durch! Reißt sie von den Pferden, tötet! Tötet! Tötet!« »Zastee!« schrien die Yaquis, und »zastee« schrien auch die wenigen Wüstenapachen, die sich ihnen angeschlossen hatten. Mit langen Sätzen stürmte Tehueco den Hang hinunter, gefolgt von Pitcar. Sie hatten die Talsohle gerade erreicht, als das Tal Reiter ausspie, die gegen sie anritten. Todesmutig warfen sich die Indianer ihnen entgegen. Ihr frenetisches Geschrei ging den Banditen durch Mark und Bein, und als sie schließlich noch ihr Kriegsgeschrei anstimmten und das schrille Kreischen die Täler zwischen den Hügeln ausfüllte, gefror den Banditen das Blut zu Eis. Schüsse donnerten, Pfeile schwirrten, von kundigen Händen abgeschossen, Beile flogen und Messer. Und in dem wirren Knäuel sich drehender, auskeilender Pferde und schreiender Menschen stürzte sich Tehueco, das blutige Beil in der Hand. Pitcar benutzte zum Angriff und zur Abwehr eine Keule aus Mesquiteholz. Zwei, drei Reiter stürzten von den Pferden und versanken im Staub. Mort Douglas schoß seinen Colt leer, schlug einem angreifenden Yaqui nieder, trat einen anderen mit dem langen Revolverlauf und war dann durch. Carmen Obeira hielt sich an seiner Seite. Im Galopp lud der Revolvermann die Waffe nach, aber vor ihm war kein Feind mehr. Das rasende Trappeln der Pferdehufe folgte ihm nach, als ritte der Teufel in seinem Schatten. »Wir haben es geschafft!« rief er triumphierend. »Wir sind durch!« 88
Sancho Velasquez kam an seine Seite geritten. Er nickte. »Si, Señor, wir sind durchgestoßen wie ein heißes Messer durch einen Butterberg. Was nun?« »Sammeln und abwarten.« Einzeln und in kleinen Gruppen, blutend, schwitzend und schnaufend, kamen sie und leckten sich fluchend die Wunden. Ihre Verluste waren hoch. Zwanzig Reiter waren entweder gefallen oder so schwer verwundet, daß sie zurückbleiben mußten. Mort sah seinen Männern einzeln in die Augen. Verwegene Gestalten mit harten, vom Leben gezeichneten Gesichtern und alle mit dem gleichen Augenausdruck. Ein bißchen verwegen waren sie, manchmal sogar todesverachtend, aber Treue, Loyalität und Ehre waren ihnen so fremd wie einem Panther humanitäre Gefühle. »Wer verbindet unsere Wunden?« Der es fragte, ein rotwangiger blonder Riese aus Arkansas, preßte die Hand auf die blutende Brust. Mort winkte ab. »Keine Zeit«, sagte er. »Ihr habt doch alle Revolver.« Die Antwort des Bärtigen war kurz und resignierend. »Die Yaquis werden uns einholen und uns den Garaus machen…« »Wir reiten!« schrie Mort gefühllos. »Los geht's, Amigos! Auf nach Norden!« Sie waren schon ein ganzes Stück fort, als hinter ihnen ein paar Revolverschüsse verklangen. * Der Apache wurde von der Kugel halb herumgerissen, die in seine linke Schulter schlug. Er griff mit der Rechten nach dem Tomahawk, konnte ihn aber nicht erreichen. Cochise war bei ihm und nahm ihm die Waffe weg. 89
»Graue Elster darf sich nicht bewegen, wenn er nicht zuviel Blut verlieren will.« Ein Geräusch in seinem Rücken störte den Chief. Er riß das Gewehr des Kriegers an sich und wirbelte herum. Eine eisige Ruhe hatte sich seiner bemächtigt. Ein spitzer Sombrero tauchte hinter dem Dickicht auf. Cochise schoß und trieb den Outlaw in seine Deckung zurück. Er hob den Kopf. »Kommt nur, ihr Gelbhäutigen!« Ein Messer zischte als Antwort und bohrte sich in die Brust des angeschossenen Kriegers. Eine Kugel traf ihn außerdem, und er ging ohne Klagelaut ein in die Ewigen Jagdgründe. Die Schüsse waren verhallt. Cochise richtete sich auf und sah Naiche herankommen. In der sternenklaren Nacht blickten sich beide um. Tote, wohin sie schauten, viele Tote, hingemäht von den Schüssen der Apachen. »Glaubst du, Jefe, sie greifen noch einmal an?« »Uns? Hier oben? Sie wissen, was mit ihnen passiert und kommen nicht mal bis auf eine halbe Meile heran. Die Chiricahuas haben gesiegt. Tehueco kann stolz auf seine Verbündeten sein.« Rauch zog steil aus dem Tal und breitete sich in den höheren Luftschichten fächerartig aus. Man hatte den Brand in Matachic zwar gelöscht, aber so manche Brandstelle schwelte noch. Auf seinen Strohsandalen tauchte ein Krieger lautlos wie ein Schemen aus den Schatten. Er grunzte befriedigt, als er die vielen Leichen sah. »Gute Arbeit«, knurrte er in seiner Sprache und nickte dazu. »Du kommst von Tehueco?« »So ist es. Eine Botschaft für Cochise, Häuptling.« »Ich höre.« »Ein Weißer, den du Falke nennst, wurde von den Kriegern in roten Hosen gefangengenommen.« »John Haggerty?« 90
Der Yaqui deutete nach Norden. »Zwei Wegstunden für ein gutes Pferd, drei für einen schnellen Läufer.« »Du kennst den Weg?« Der Yaqui nickte. »Bringe mich hin.« Cochise rief nach seinem Pinto. Ein Krieger brachte gleich Naiches Pferd mit. »Willst du reiten, Yaqui?« Der Krieger schüttelte den Kopf. Cochise näherte sich den raschelnden Büschen. Kein Mexikaner war zu sehen. Der Blutzoll war ihnen zu hoch gewesen. Er schob sich an den Rand des Hügels und blickte in das Tal. Auch dort zeigte sich kein Berittener. Er kehrte zu den vier verbliebenen Kriegern zurück. »Gebt ihm ein indianisches Begräbnis.« Cochise deutete auf den Toten. »Er war ein tapferer Krieger. Haltet die Augen offen. Im Morgengrauen bin ich wieder zurück.« Zwei Stunden nach Mitternacht hielten sie vor der Canyonmündung. Kein Laut war zu hören. Der Yaqui zeigte mit grimmigem Gesicht auf den dunklen Schlund. Cochise stieg ab und reichte die Zügel dem Krieger. »Es ist Sache der Chiricahuas, John Haggerty zu befreien.« Kaum hatte er die Worte hervorgestoßen, war er schon verschwunden. Nach zweihundert Yards roch die Nase des Chiricahuas Holzrauch. Flammenschein war nicht zu sehen. Nicht einmal ein Nager oder ein Vogel bewegte sich dort hinten. Cochise huschte ein Stück, dann ließ er sich nieder und kroch auf allen vieren weiter. Der Geruch schwelenden Holzes stieg beißend in seine Nase. Er blieb sekundenlang liegen und preßte sein Gesicht in den Staub. Ein plötzliches Niesen hätte den Schläfer mit überraschender Schnelligkeit auf die Beine gebracht. Als der Reiz nachließ, kroch er wie ein großes Insekt weiter. 91
Noch zwanzig Yards, da sah er die Feuerstelle. Ein dünner Rauchfaden stieg zum Himmel, und in dem grauen Aschenhaufen glühte ein rotes Dämonenauge. Cochise ließ seine Augen über die Gestalten unter den Decken gleiten. Er zählte sie. Weiter drüben bei einem Felsen lag eine weitere, bewacht von einem schlafenden Soldaten. Cochise lächelte. Die Weißen waren schlechte Krieger und benahmen sich anders als die Indianer. Kein indianischer Wachposten hätte geschlafen und die müden Krieger ohne Beaufsichtigung gelassen. Cochise wußte genug. Seine Aufmerksamkeit galt den Pferden. Er sah sie nicht. Verwundert stellte er sich die Frage, welcher Dummkopf sich ohne Pferd in die Wildnis begab, um darin umzukommen? Nach einer Weile fiel ihm ein, daß die Weißen Einheiten in ihren Armeen hatten, die sie Infanteristen nannten, und er schalt sich selbst einen Dummkopf. Cochise huschte zu Naiche und den Yaqui zurück. Mit wenigen Worten erklärte er die Situation und die Übermacht der Franzosen. Eine verächtliche Handbewegung war Naiches Antwort. »Greifen wir an?« »Im Morgengrauen, dann ist ihr Schlaf besonders tief. Wenn es machbar ist, vermeiden wir einen Kampf. Der Posten schläft und wird uns bei der Befreiung kaum stören.« »Warum?« wollte Naiche ungehalten wissen. »Sie sind Eindringlinge und werden mit Stumpf und Stiel ausgerottet, bis sie keine weiteren Soldaten mehr in das Land des Indianers schicken.« »How!« grunzte der Yaqui beifällig. »Blut fordert wieder Blut.« Cochise setzte sich auf einen Stein, starrte in eine weite Ferne, auf ein Land, das jenseits des Erreichbaren lag. Um seine Nasenflügel zuckte es. Mit ruhiger Stimme fuhr er fort: »Blut schreit nach Blut, mein Sohn. 92
Warum sind die Chiricahuas so wenige und die Weißen wie Sandkörner in der Wüste? Weil sie sich nicht wie die Indianer gegenseitig bekriegen, sondern nur den roten Mann. Wenn wir weiter so handeln, wird es eines Tages keinen Chiricahua mehr geben. Sie werden uns hinwegschwemmen vom Land unserer Väter und in der Wüste verhungern und an Durst sterben lassen.« Naiche setzte sich zu Cochise. »Was können wir dagegen tun?« »Klüger sein als sie, stets so handeln, wie es uns die Vernunft gebietet. Wir müssen so werden, wie es die Diplomaten der Weißen sind: listig, verschlagen, und wir müssen mit doppelter Zunge sprechen. Laß uns aufbrechen.« Eine Viertelstunde danach waren Cochise und Naiche wieder in der Nähe des Franzosenlagers. Den Yaqui ließen sie zurück. Im Osten graute fahl der Himmel mit dem ersten Streifen des erwachenden Tages. Die letzte Strecke krochen die beiden Chiricahuas. Es gab nichts, was sie aufhielt. Oder doch? War da nicht ein Geräusch? Bewegungslos verharrten sie und wagten kaum zu atmen. Nichts. Ein Schläfer hatte sich gerührt. Ein anderer sprach im Schlaf und warf sich unter seinen Decken hin und her. Noch etwa zwanzig Yards waren sie von dem großen Stein entfernt, vor dem John Haggerty zu einem Paket verschnürt dem Morgen entgegendämmerte. Cochise neigte seinen Kopf zu Naiches Ohr. »Du nimmst den Posten. Sei vorsichtig, damit er nicht schreit.« Naiche nickte, kroch weiter und wandte sich nach rechts. Cochise schlug den linken Weg ein und näherte sich dem Stein. Der Posten bewegte sich, erwachte plötzlich und faßte nach seinem Gewehr zwischen den Knien, das hinzufallen drohte. Cochise und Naiche blieben wie vom Blitz getroffen liegen. 93
Sie preßten die Gesichter auf die Erde, denn das Weiß ihrer Augäpfel hätte sie verraten können. Aber der schlaftrunkene Posten warf keinen Blick in ihre Richtung. Der Mann stand auf, machte ein paar Freiübungen mit den Armen, um den Dämmerzustand des Schlafes zu überbrücken und setzte sich wieder. Er schlief nicht mehr ein, und das erschwerte die Befreiungsaktion für die beiden Chiricahuas. Cochise kroch weiter. Der Mann mit dem flotten Käppi auf den dunklen Haaren schaute zum Lager und beachtete ihn nicht. Vor ihm bewegte sich Haggerty. John hatte den Häuptling längst bemerkt und richtete sich darauf ein, mit einem schnellen Messerschnitt befreit zu werden. Eile war geboten. Die Grate hoch über den Canyons färbten sich bereits grau und wurden lichter. Noch etwa eine Stunde, dann flutete Licht in die Schluchten und die Soldaten würden erwachen. Cochise nahm einen Stein von der Größe einer Erbse und warf ihn in Richtung des Gefangenen. John lächelte, als das Geschoß genau seine Nase traf. Er hob die zusammengeschnürten Knie kurz hoch und ließ sie wieder durch Ausstrecken der Beine fallen. Cochise wußte Bescheid. Nach weiteren zwei Metern blieb er wieder bewegungslos liegen. Er wartete auf Naiches Auftritt. Gelang es seinem Sohn nicht, den Posten unschädlich zu machen, mußte er sich etwas völlig Neues zur Befreiung des Falken einfallen lassen. Nichts rührte sich drüben auf der anderen Seite. Der Posten gähnte vernehmlich, aber weiter geschah nichts. Cochise wartete. Ungeduld beschlich ihn, und als er an die Gefahr dachte, der sein Sohn ausgesetzt war, wurde er unruhig. Der Posten stand auf, ging zu seinem Gefangenen und prüfte die Fesseln. Danach ging er wieder zurück. Den Schatten, der ihm lautlos folgte, sah er weder noch hörte er ihn. Schatten konnte man nicht hören, sie waren lautlos wie 94
der Flug der Wolken. Dafür spürte er die harten Finger, die sich von hinten auf seinen Kehlkopf legten und seine Atemluft abschnürten. Der Mann wehrte sich, trat nach hinten und ließ sich zur Seite fallen. Naiche klebte an ihm wie eine Klette. Keine Sekunde lang ließen seine Finger in dem Bemühen nach, den Mann kampfunfähig zu machen. Aber noch war der Franzose nicht geschlagen und bei Bewußtsein. Wenn seine Kräfte auch erlahmten, so besaß er den Willen zum Überleben und wehrte sich verzweifelt gegen die drohende Bewußtlosigkeit. Seine plumpen Hände rissen und zerrten an Naiches Fingern, bogen sie zur Seite, bis er nach Luft schnappen und einen Schrei ausstoßen konnte. Im Nu wurde es hinter den Kämpfenden laut. Das Lager kam auf die Beine, Soldaten eilten zu den Gewehren und entsicherten sie. Sekunden noch, dann mußte die Hölle ausbrechen und die beiden Apachen mitsamt dem Gefangenen verschlingen. Naiche zog sein Messer, ließ die Kehle des hart nach hinten auskeilenden Soldaten los und tötete ihn. Wie gehetzt sprang Cochise auf die Füße und gewann mit langen Sprüngen Raum. Noch eine weitere verlorene Sekunde, und Cochise Chance, den Freund zu befreien, war vertan. Er schaffte es nicht. Kugeln spritzten vor ihm in den Sand, sirrten als Querschläger davon. Er ließ sich fallen, drei Schritte von John entfernt. Sein Herz verkrampfte sich, als er die heranstürmenden Soldaten sah. »Fliehe!« schrie Haggerty. »Cochise, rette dein Leben, ich komme schon zurecht.« Naiche fegte um den Felsen. Todesmutig warf er sich über Haggerty und schnitt mit einem einzigen kräftigen Stoß seines blutigen Messers die Stricke durch. Cochise, noch immer am Boden, grunzte beifällig. Das war Apachenart, verwegen und mutig bis in den Tod. Naiche warf sich neben John zu Boden. Kugeln spritzten gegen den Fels. 95
»Fort!« schrie Cochise. Haggerty rief: »Ich kann nicht, Jefe. Mein Blut ist gestaut, meine Hände und Füße sind taub.« Wieder war es Naiche, der John beistand. Er drehte und knetete seine Hände und Füße, bis sich Haggerty über ein heftiges Kribbeln beschwerte. Fluchend kamen die Franzosen im Eilmarsch heran. Allen voran der bullige Sergeant. Er schwang sein Gewehr wie eine Keule und stieß den Kolben nach Cochise. »Fahr zur Hölle, Apache!« Cochise tat ihm nicht den Gefallen. Er warf blitzschnell sein Messer nach dem Weißen, und er traf. Mit einem röchelnden Laut stürzte der Sergeant in die Knie und fiel dann auf sein Gesicht. Cochise sprang zu John, riß ihn auf die Beine und schleifte ihn mit Naiche zusammen hinter den Felsen. Die Franzosen hatten ihre Vorderlader abgeschossen und mußten laden. »Bewege dich«, sagte Cochise. »Mach schnell, dein Blut muß in den Adern pulsieren. Wo ist dein Pferd?« »Hinten im Canyon.« Naiche setzte sich bereits in Bewegung. Der erste Soldat kam um den Felsen gerannt, das Gewehr an der Hüfte. Cochise warf den Tomahawk und traf den Mann. Der kippte um, als hätte ihn ein Muli mit dem Huf getreten. »Wir müssen fort. Kannst du laufen?« »Es wird gehen.« »Wenn nicht, dann erwischen sie uns.« »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Los, nehmen wir die Beine in die Hand.« Sie liefen zuerst in die Canyonmitte, verfolgt von Gewehrschüssen und französischen Verwünschungen, änderten dann die Richtung und strebten der anderen Wand zu, die aus zerklüfteten Felsen, Nadelspitzen Klippen und trockener Vegetation bestand. 96
Hufschlag in ihrem Rücken ließ sie im Laufen die Köpfe wenden. Auf Johns Pferd kam Naiche wie ein Comanche angeritten. Auf der linken Pferdeseite hängend, war er für das Gewehrfeuer der Soldaten unerreichbar. Naiche zügelte das Pferd und sprang ab. Cochise half Haggerty in den Sattel und trieb das Tier mit einem Schlag auf die Hinterhand zum Galopp an. Beide Chiricahuas liefen neben ihm her. Der Yaqui war herangekommen und schloß sich ihnen an. * »Madre de Dios, ist der Kerl schnell!« Carlos wälzte sich im Straßenschmutz von Matachic und stand blutbesudelt und schwankend auf. Seine Brustwunde brannte, als hätte jemand Säure in sie gegossen. Er taumelte zur nächsten Hauswand und lehnte sich erschöpft dagegen. Brandgeruch wehte ihm ins Gesicht. Wiederholt übermannte ihn die Schwäche, aber er nahm seine ganze Willenskraft zusammen und hielt sich aufrecht. Schreiende Stadtbewohner stürmten aufgelöst und völlig konfus durch die Gassen, sahen zwar den Verwundeten, beachtete ihn aber nicht. Zwei Mexikaner mit Sombrero und Poncho rannten vorbei, hielten auf den Zuruf des einen an und kehrten um. Sie blieben stehen und starrten Carlos wie ein Wunder an. Einer bückte sich und hob den Colt des Desperados auf. »Das ist doch…« »Ja, er ist's«, unterbrach ihn der andere. »Selbst für die Hölle ist er zu zäh, sie hat ihn wieder ausgespuckt.« Carlos erkannte die beiden. »Kommt her«, krächzte er. »Helft mir.« Sie faßten ihn unter und trugen ihn halb, halb schleppten sie ihn in ein gegenüberliegendes Haus. Filippo und Emanuel 97
legten den Bandenführer auf eine schmierige Bettstatt und befreiten seinen Oberkörper von der blutgetränkten Kleidung. Die Wunde sah gefährlicher aus als sie war. Die Kugel war schräg von vorne eingedrungen, an den Rippen entlanggeglitten und an der Seite wieder ausgetreten. Der Schock hatte Carlos kampfunfähig gemacht. Filippo wühlte in einem selbstgezimmerten Schrank und nahm ein halbwegs sauberes Laken heraus, das er in Streifen riß. Gemeinsam verbanden sie Carlos, dabei fiel kein Wort. »Wo sind die anderen?« »Mit dem Gringo ausgebrochen.« »Wohin?« »Nach Norden. Sicherlich nach Norden. Die Hügel bieten ihnen Schutz und Sicherheit.« Carlos Porfiro Mojada nickte verbissen. »Aber keine Sicherheit vor mir, dem Rächer. Ich werde sie stellen und vernichten. Nahm er Carmen Obeira mit?« »Ich sah sie an seiner Seite reiten.« »Weshalb seid ihr nicht mitgegangen?« Emanuel winkte ab. »Zu unsicher. Die Yaquis griffen viele Städte an, aber in keine sind sie bisher eingedrungen.« »Sind viele von uns zurückgeblieben?« »Vielleicht zehn, höchstens fünfzehn. Warum?« »Das reicht«, murmelte Carlos und fletschte die Zähne. »Dreh mir 'ne Zigarette, Filippo.« Die braune Hand des Mexikaners fuhr in die Hosentasche, bewegte sich in ihr und kam mit der fertig gerollten Zigarette wieder heraus. Er klebte sie mit Speichel zu und brannte sie an. Der erste Zug stimmte Carlos ruhiger. »Wem gehört das Dreckloch hier?« »Einem Peon, er ist tot und wird keine Miete von uns verlangen.« Carlos überging den Witz und stützte sich auf den Ellbogen. Seine dunklen Augen glimmten wie Kohlenstücke. 98
»Holt alle Jungs zusammen, Amigos. Bringt sie hierher.« »Wozu? Die Stadt ist eingeschlossen.« »Macht nichts. Zusammen holen wir den Teufel aus der Hölle.« Achselzuckend entfernten sich die beiden. Nach kaum zehn Minuten kehrten sie schon wieder zurück, zehn Männer im Schlepp, die ihre finsteren Gesichter auf den Verwundeten richteten. »Buenos dias, Patron.« »Setzt euch, ihr Halunken. Was hast du in dem Sack, Feikar?« Der Mischling setzte ein fades Grinsen auf und antwortete: »Beute, Patron. Ein bißchen Glitzerzeug, sonst nichts.« »Schütte es auf den Boden.« Aus dem Sack polterten ein silbernes Eßbesteck und zwei kleine Schüsseln. Mochte der Satan wissen, woher der Mulatte das Silber in dieser armen Grenzstadt aufgetrieben hatte. »Pack es wieder weg!« fauchte Carlos. Er richtete sich vollends auf. »In einer Stunde reiten wir, Muchachos. Nehmt genügend Wasser und Proviant mit. Versorgt euch mit allem, was wir benötigen. Wer Widerstand leistet, wird erschossen.« Von seinem Duell mit dem Gringo sprach er nicht. Welcher Heerführer diskutierte noch über eine verlorene Schlacht, wenn es ums Leben und um die Revanche ging? Im Augenblick danach war er allein mit seinem Wundschmerz und seinen haßerfüllten, grausamen Gedanken. Einer der Männer betrat nach etwa einer Stunde sporenklirrend das Zimmer und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Wir sind bereit.« Carlos verließ das Haus. Eine feste Bandage gab ihm Halt. Seine Banditentruppe war klein geworden, aber die Männer waren gut bewaffnet und beritten. Pralle Proviantsäcke wölbten sich über den Pferdekruppen. »Adelante, Amigos!« schrie er und schwang sich in den 99
Sattel eines bereitgehaltenen Pferdes. Wie des Teufels Schwadron stürmten sie aus der Stadt. Aus den Hügeln am Rio Moctezuma kam kein Widerstand. Die Yaquis waren abgezogen, und das hatte einen guten Grund. * Weder war es ein glühendes Augenpaar, das, versteckt hinter dürrem Gestrüpp und Felsen, die Szene beobachtete. Grimmig und haßerfüllt verfolgte Tehuecos Krieger die Bewegung der vier Staubsäulen, die einem gemeinsamen Mittelpunkt zustrebten. Die scharfen Augen des Spähers verfolgten jede Bewegung in der Sandebene vor dem Rio Moctezuma. Von seinem Standort aus konnten ein paar Scharfschützen das ganze Gebiet zu ihren Füßen beherrschen, aber es gab weit und breit keine weiteren Krieger. Der ihm am nächsten nach Süden triftende Reitertruppe war klein. Vier Männer kamen durch die Täler der wie schlafend daliegenden Hügellandschaft. Drei Indianer und ein Weißer. In den Rothäuten erkannte er Cochise, dessen Sohn und einen Yaqui, der neben den Pferden herlief. Den Weißen kannte er nicht. Aber er wußte von der Befreiungsaktion eines Freundes des Chiricahuahäuptlings. Genau von Süden näherte sich die größte Staubwolke, von Südwesten eine kleine und von Westen eine weitere, die nur geringfügig Staub in den azurblauen Himmel schickte. Die Gruppe unter der großen Staubwolke würde zuletzt eintreffen. Sie war am weitesten entfernt und bewegte sich langsam. Trotzdem war eine Katastrophe unvermeidlich, denn die heranreitenden Parteien schienen sich für die kleine Gruppe zu interessieren und für sonst nichts. Grimmig umspannte die braune Faust den Gewehrkolben. Der Yaqui ahnte, daß es dort unten auf der Ebene zu einem 100
entsetzlichen Blutvergießen kommen würde, wenn er Cochise nicht warnte. Aber wie? Ein Warnschuß wäre auch von den anderen gehört worden. Die trockene Wüstenluft trug den Schall weit und deutlich durch die Täler. Ein Schuß fiel also fort. Sich erheben, mit den Händen zu wedeln, verbot ihm der Selbsterhaltungstrieb. Die heranreitenden Weißen und Mexikaner konnten ihn mit ihren modernen Gewehren jederzeit erreichen. Also warten, beobachten und gegebenenfalls Hilfe herbeirufen. Unbekümmert ritten Cochise und John Haggerty ins Verderben. Sie wußten nichts von den anrückenden Desperados. Hügelrücken lagen zwischen ihnen und den drei Gruppen und verdeckten die Säulen aus braunem Staub. Es folgte eine unheilvolle Zeitspanne, ehe der Yaqui die nächste Phase des schicksalhaften Geschehens dort unten wahrnehmen konnte. Cochises Schar hatte angehalten. Der Yaqui war nicht mehr zu sehen. Naiche sprang gerade vom Pferd, kletterte auf einen Felsen und gab Handzeichen nach unten. John Haggerty und der Chief rissen ihre Gewehre aus den Futteralen und sahen nach Süden. Aus dem Staub der Ebene preschte Mort Douglas Reiterhaufen. Die Kerle heulten und johlten, deuteten auf die Gruppe und schossen ihre Gewehre ab. Naiche kletterte wieder von seinem Ausguck, stürmte zu seinem Pinto und riß das Gewehr aus der Scheide. Fliehen konnten sie nicht mehr. Sie hatten die anreitenden Feinde zu spät entdeckt. In einem großen Halbkreis kam die schreiende Horde heran. Douglas, an seiner Seite Carmen Obeira, winkte mit der Hand und schrie in das Getöse von unartikulierten Lauten und Detonationen einen Befehl: »Nicht schießen, Amigos!« »Warum nicht?« feixte ein neben ihm reitender Bandit. »Ich will sie lebend, du Trottel! Nehmt das Lasso!« 101
Von einer Sekunde zur anderen wurde die Situation für die Apachen und ihren weißen Freund unübersichtlich. Brauner Staub, fein wie Mehl, verdeckte die Sicht, wallte wie Rauch und biß in Augen und Nase. Gespenstisch anzusehende Reiter kamen wie Spukgestalten aus der braunen Wand galoppiert, heulten wie Panther, schossen dabei, was die Läufe hergaben oder schwangen Lassos. »Schießen!« sagte Haggerty kalt. Er riß das Gewehr hoch und feuerte. Sofort danach repetierte er. Neben ihm bellten zwei weitere Schüsse. Drei Reiter stürzten aus den Sätteln und versanken im grauen, wogenden Dunst mineralischer Partikel. Noch einmal gaben sie eine Salve ab. John knurrte: »Grüße aus Blei, Muchachos. Wohl bekomm's!« Dann war es um die Apachen und John Haggerty geschehen. Lassoschlingen legten sich um ihre Hälse, rissen sie von den Pferden. John Haggerty sah nicht, was mit Cochise und Naiche geschah, aber er wußte, daß sich der Yaqui aus dem Staub gemacht hatte und hoffentlich Hilfe herbeirief. Als er zur Ruhe kam, spie er erst mal den feinen Sand aus, der seine Zähne knirschen ließ. Vor ihm standen zwei grinsende Mexikaner und hielten das Lasso straff. »Hoch! Auf!« befahl der eine. Als John endlich auf den Füßen stand, sah er einen dichten Ring bewaffneter Reiter, den feixenden Mort Douglas und das schwarzhaarige Mädchen neben ihm. »Ihr wart zu viert, Freundchen. Wo ist der vierte Mann?« John sagte: »Ich weiß es nicht«, dabei sah er sich um. Cochise und Naiche wurden gerade herbeigeschleppt. Aber wie sahen sie aus? Ihre Kleidung war zerrissen, Hände und Gesichter lädiert, standen sie schmutzig wie Peone nicht weit von ihm. 102
Cochise spürte den Blick des Falken. Er zog warnend die Brauen hoch, was John ermahnte, keine Unvorsichtigkeit zu begehen. Mort Douglas trieb sein Pferd in Haggertys Nähe und stieß ihn mit dem Stiefel zu Boden. John fiel auf den Rücken und wurde von den Mexikanern brutal wieder auf die Füße gerissen. »Ich frage nicht noch einmal, Hundesohn.« John antwortete: »Ich weiß es nicht. Er ist ein Yaqui und schlug sich seitwärts.« Trotz regte sich in ihm, und wenn sie ihn stückweise erschlugen, nachgeben würde er auf keinen Fall. Unruhe entstand unter den Männern. Einige blickten ständig über die Schultern und warfen verstohlene Blicke in die Ebene. Eine Staubsäule näherte sich wie der Schlauch einer Windhose. Nur Mort Douglas erkannte die Gefahr nicht, die auf schnellen Pferden heranraste. »Okay, Hombres, halten wir uns mal an die große Rothaut. Michael, Juan, Pablo, bearbeitet ihn mit dem Messer. Singen wird er danach wie eine Nachtigall.« Cochise spuckte aus, rührte sich aber nicht. Seine dunklen Adleraugen gingen an Mort vorbei, erkannten die Unruhe unter den Reitern und deren Unsicherheit. Ein Hoffnungsschimmer glitt über sein braunes Gesicht. Dem ersten, der sich mit gezücktem Messer näherte, trat er in den Unterleib. Aber der Strick, der ihn hielt, riß ihn um. Keuchend wälzte sich der Häuptling aller Apachenstämme auf der Erde. Grimm und tödliche Drohung strahlte aus seinem wilden Blick, aber sein Kopf war hoch aufgerichtet und drückte eine stolze Verachtung für die Rohheiten dieser Männer aus. »Pronto, ihr Halunken, los, fangt an, oder ich bringe euch Gehorsam bei!« Ein höhnisches Gelächter in seinem Rücken ließ ihn wütend herumfahren. Er starrte in eine Phalanx von 103
Gewehrmündungen und in Lon McFanes kaltes Gesicht. Schnell drehte er den Kopf nach links und rechts, erblickte die erhobenen Hände seiner Leute und fluchte so vehement wie ein irischer Kutscher. »Halt's Maul!« McFanes Befehl war unmißverständlich und mit einer stillen Gebärde kalter Drohung begleitet. Mort raffte sich auf und schrie: »Du Schweinehirt hast mir gerade noch gefehlt!« »Wir haben eine Rechnung zu begleichen, hast du das vergessen?« »Deswegen bist du mir gefolgt? Geh zum Teufel, du Pavian!« »Wie ist es, bereinigen wir unsere kleine Differenz? Wenn du einverstanden bist, dann steige ab. Wir machen es auf die klassische Art zwischen zwei Gentlemen der gleichen Branche.« »Was ist danach?« »Nichts, du dämlicher Hund! Nichts mehr für dich, klar? Ich übernehme deine Bande und die hübsche Señorita im Hintergrund. Also?« »Verdammtes Stinktier!« schrie Mort und sprang aus dem Sattel. Cochise und Haggerty verfolgten die Szene einer gnadenlosen Banditenrivalität mit wachen Augen. Eine Schießerei zwischen den beiden brachte ihnen eine hauchdünne Chance, daß sie den beiden Banden vielleicht entwischen konnten. Doch Mort Douglas, verrückt und brutal wie immer, konnte sich zurückhalten. Kochende Wut überfiel ihn, und seine Augen schienen wie mit Blindheit geschlagen, denn sonst hätte er die dritte Gruppe gesehen, die sich hinter Lon McFanes Leuten mit gespannten Waffen aufstellte. Cochise und Haggerty bemerkten die Veränderung. Die 104
eintretende Turbulenz zwischen den beiden Kämpfern ließ sie von den anderen unbeachtet. Wie bei jedem Duell standen sie sich in zwanzig Yard Abstand gegenüber, die Hände über den Revolverkolben, die Beine leicht gespreizt. »Schweinehirt, zieh!« »Das Kläffen eines räudigen Köters erreicht mein Ohr. Ich gebe dir Vorhand, Bastard! Zieh endlich, damit wir's hinter uns haben.« »Wer ist ein räudiger Hund? Mann, du nimmst die Sache auch kein bißchen ernst.« Beide zogen gleichzeitig, rissen mit geübter Schnelligkeit ihre Colts aus den Halftern und drückten ab. Lon McFane taumelte, ließ die Waffe fallen und ging in die Knie. Mort Douglas' Brust färbte sich rot. Wie eine Knospe breitete sich der Lebenssaft auf seinem Hemd aus. Während Lon auf den Knien starb, röchelte Mort Douglas aus zusammengepreßten Zähnen: »Ich habe ihn im Ziehen geschlagen! Jungs, ich bin Sieger…« »Ein Teufel bist du, Bastard! Ich werde der Sieger sein!« Die Stimme klang so bekannt und so triumphierend. Mort hob mühsam den Kopf. Alles an ihm war bleischwer. Seine Augen wurden starr. War das Jüngste Gericht angebrochen? Standen die Toten aus ihren Gräbern auf, um sich an den Lebenden zu rächen? Vor ihm stand hohnlächelnd Carlos Porfiro Mojada, den entsicherten Revolver in der Hand. Seine Zähne fletschten wie ein Wolfsgebiß. Mordlust glimmte in seinen Augen. »Ich werde dich töten. Auf der Stelle.« Doch bevor er schießen konnte, streckte sich Mort, stöhnte, dann fiel sein Kopf zur Seite, er war tot. Mojada drehte sich zu den Männern herum und rief: »Carlos Porfiro Mojada ist nun euer Boß. Viva Carlos!« »Viva!« schrien ein paar Mexikaner. Doch die Resonanz 105
insgesamt war gering. Es gab nur noch wenige, die bereit waren, sich dem Bandenchef anzuschließen. Einer dieser Männer, ein Amerikaner, ein verwahrloster Bursche mit tagealtem Bart und Schmutz auf dem Gesicht, ging zu Haggerty. Er schnitt die Fesseln durch und drückte John verstohlen einen Revolver in die Hand. »Schieß ihn in Stücke, Kumpel. Der läßt dich nicht am Leben, der nicht. Adios, Hombre, und ein Wiedersehen in Arizona.« John befreite Cochise und dessen Sohn. Niemand beachtete sie. »Schluß mit diesem sinnlosen Morden«, sagte John und fühlte Ekel. Cochise sah ihn starr an. Er schüttelte den Kopf und deutete auf eine Gruppe Mexikaner, die Carlos umringten. »Dieser Mann ist schlimmer als alle anderen, Falke. Nimm dich in acht.« Carlos ging schwankend mit zwei Unterführern zu Carmen und zerrte sie von ihren Pferd. Das Mädchen taumelte, stürzte hin und schrie in höchster Not. »Mojada!« Carlos fegte auf den Absätzen herum. Haggerty stand ihm gegenüber, breitbeinig und ein wenig vornübergebeugt. »Was willst du, Gringo?« »Dich.« »Dann komm und hole mich.« »Der Abstand ist weit genug. Fang an!« Carlos blinzelte gegen den staubverwaschenen Fleck der Sonne und schüttelte verwundert den Kopf. »Du willst dich mit mir schießen?« »Du bist ein armseliger Angeber und Möchtegern, Mojada. Wenn du dich traust, dann nimm deinen Revolver in die Hand«, sagte John Haggerty. »Was bin ich? Ein Angeber?« 106
Mojada verschlug es die Stimme. Blut schoß ihm ins Gesicht und ließ ihn zornbebend wanken. Dann blieb er stehen und spreizte die Beine. Carmen rief: »Señor, geben Sie auf sich acht! Dieser Bastard ist so falsch und verschlagen wie eine Klapperschlange!« Carlos schäumte wie ein Irrsinniger. »Mit dir rechne ich später ab. Warte nur, bis ich das hier erledigt habe«, rief er. »Schwätz nicht, zieh!« dröhnte Johns Stimme. Mojada zog. Traumhaft schnell glitt seine Hand nach unten und kam genausoschnell mit dem schweren Colt nach oben. Sein Revolver ging los. Doch vor Wut verriß er den Schuß. John Haggerty hob den Colt blitzschnell in Hüfthöhe und drückte fast gleichzeitig ab. Carlos erwischte die Kugel mitten ins Herz. Er taumelte und fiel tot zu Boden. Haggerty ließ angeekelt den leergeschossenen Colt fallen und strich sich wie aus einem Traum erwachend über das Gesicht. Cochise trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Beide blickten auf den sterbenden Desperado. Sekunden danach sah Carlos zu Haggerty auf und lächelte verkrampft. »Du bist der bessere Revolverkämpfer – das hätte ich – ich nicht gedacht…« In John Haggerty war aller Groll gegen den Outlaw verflogen. Er fühlte nur Müdigkeit in sich und eine Trauer. Er sagte: »Alles Gute, Carlos.« Als Antwort hob Carlos die Hand und bewegte sie kurz, bevor er die Augen für immer schloß. Carmen kam näher und stellte sich John in den Weg. »Ich danke Ihnen, Señor, daß Sie mich von diesem Scheusal befreiten. Gracias, Señor, gracias.« »Was wird aus Ihnen, Señorita?« »Ich weiß es nicht, Señor. Meine Angehörigen sind tot.« »Sie können mit uns reiten – nach Arizona oder irgendwohin. Bei uns sind sie sicher.« 107
Als er ihr schüchternes Nicken sah und den kurzen Schatten, der über ihr Gesicht zuckte, ahnte er die ganze Tragik ihres jungen Lebens. Cochise löste sich aus der Silhouette der Pferde, die Naiche zusammengetrieben hatte. Er warf einen Blick in die Runde, sah Gruppen führungsloser Desperado herumstehen, abwartend in Unschlüssigkeit und Hoffen. Schweigend deutete er auf die Toten. John verstand den Chief auch ohne Worte. Er ergriff einen vorbeistreichenden Mexikaner beim Arm und zog ihn zu sich herum. »Du bringst die Toten unter die Erde, Hombre. Such dir so viel Männer aus, wie du brauchst, und sputet euch, sonst muß ich nachhelfen. Pronto!« * Die letzten drei Männer aus der führerlosen Armee der Banditen verschwanden in einem Hügeltal. Cochise blickte ihnen lange, nachdenklich und mit düsterer Miene nach. Ein ständiges Zucken überflog sein markantes Antlitz, und wer ihn kannte, deutete die scharfen Linien von der Nase zu den Mundwinkeln richtig. Er sagte: »Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende, John. Wir hören wieder von ihnen – irgendwann.« Haggerty gab keine Antwort. Sein Blick glitt nach Süden. »Reiten wir«, sagte er. »Es gibt viel zu tun.«
ENDE
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