Christian Kühn
RINGSTRASSE IST ÜBERALL Texte über Architektur und Stadt 1992 - 2007
DIE QUADRATUR DES KREISES ........................................................................... 5 DIE BAUKUNST MEINER FREUNDE .................................................................... 7 DAS AUTO UND SEINE PLAZENTA ...................................................................... 8 WIE MAN DAS NEUE ORGANISIERT ................................................................. 10 WURSTELN IM PRATER ....................................................................................... 12 KARSTADT IN BUXTEHUDE ............................................................................... 14 BAROCK FÜR DIE FISCHE ................................................................................... 16 DIE GUTEN, DIE BÖSEN UND DIE DUMMEN ................................................... 18 OPERATION GELUNGEN, PATIENT TOT ........................................................... 20 SCHAUFELN FÜR DIE BAUKULTUR .................................................................. 22 WIE GUT IST GUT GEMEINT? .............................................................................. 24 SCHÖN SCHIACH ................................................................................................... 26 KEIN GERUCH NACH GUMMI ............................................................................. 28 HIER TANZT DER BETON..................................................................................... 30 ALLE AUF EINEN BLICK ...................................................................................... 32 EIN KULT BRAUCHT SEINE TEMPEL ................................................................ 34 ELF TONNEN HEIßE LUFT .................................................................................... 36 RINGSTRASSE IST ÜBERALL .............................................................................. 38 IM ZEICHEN DES PIXELS ..................................................................................... 40 DAS HAUS DES JAHRES ....................................................................................... 42 QUICKNESS STATT SPEED .................................................................................. 44 BARBIE, PINK UND MÖRTEL .............................................................................. 46 AUTISTISCHE TÜRME, DIFFUSE KONTUREN .................................................. 48 BLECHBLITZE IN DER KALKPUTZSTADT........................................................ 50 GERÜST MIT BERGSEE ......................................................................................... 52 WIE VIEL SPIEL VERTRÄGT DIE STADT? ......................................................... 54 ZU JUNG, UM GUT ZU SEIN? ............................................................................... 56 DER SWING DER MASCHINE .............................................................................. 58 TIROL, GEWELLT, GEFALTET............................................................................. 60 NISCHEN, GLOBAL ................................................................................................ 61 GHIBERTI UND DIE JETTI-TANT ........................................................................ 64 WARM UND SAUBER ............................................................................................ 66 SCHULE, NEU GEDACHT ..................................................................................... 67 PRINZIP HOFFNUNG ............................................................................................. 70 KEINE ZEIT ZUM FEIERN ..................................................................................... 72 WEM DAS REICHT ................................................................................................. 74
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NEUFERT TRIFFT BUSTER KEATON ................................................................. 76 ZIEGEL, SORGFÄLTIG VERPACKT .................................................................... 78 CAFÉ GESPENST .................................................................................................... 80 DURCH UND DURCH UND DURCH .................................................................... 82 ES BLEIBT ALLES BESSER................................................................................... 84 JENSEITS DES LOFTS ............................................................................................ 86 STRATEGIE DES ANPICKENS.............................................................................. 88 WAS HEIßT SCHON RESIDENZ? .......................................................................... 90 SELBER SCHULD?.................................................................................................. 92 SWEET HOME ALABAMA .................................................................................... 94 WENN DIE MITTE IM WEG STEHT ..................................................................... 96 WIE MAN WINKEL ZIEHT .................................................................................... 99 ALLES NICHT SO SCHLIMM, ODER? ............................................................... 101 SOLITÄR ODER IM RUDEL?............................................................................... 104 DIE DEKORIERTE SCHUPPENENTE ................................................................. 106 BASTELSTUBE IM IRRENHAUS ........................................................................ 108 WENN DIE STADT SICH TOT STELLT.............................................................. 111 ZU DICHT - GIBT'S DENN DAS? ........................................................................ 113 UND DAS OHNE BLUMENKÜBEL! ................................................................... 115 DENKMALSCHUTZ MIT DER BRECHSTANGE............................................... 118 MEHR STURM, WENIGER RUHE BITTE! ......................................................... 119 PROVOKATION UND KONUS ............................................................................ 121 WARUM NICHT VON DER STANGE? ............................................................... 124 WER STETS DIE TREPPE VERGISST................................................................. 126 FLACH AUF DEM BAUCH .................................................................................. 128 BEGRÄBNIS LETZTER KLASSE ........................................................................ 131 DER SILBERNE MITTELWEG ............................................................................ 133 RETTET DAS TIROLERHAUS! ........................................................................... 136 ES GEHT AUCH OHNE KICHERN ...................................................................... 138 ES ENTSTEHT HALT ÜBERALL WAS............................................................... 141 IRONIE IM HAMSTERRAD ................................................................................. 143 WIE EIN GEBÄUDE AUF DIE WELT KOMMT ................................................. 145 WER SPRICHT HIER SCHON VON SIEGEN? .................................................... 147 DAS ANDERE BAUEN ......................................................................................... 149 BANK AUS STAHL, DACH AUS LUFT .............................................................. 153 ARCHITEKTUR MACHT SCHULE ..................................................................... 155 VERWERTUNGSLOGIK UND INSPIRATION ................................................... 157 WEICHEN, HÖRT DIE SIGNALE! ....................................................................... 160 AVANTGARDE MIT BODENHAFTUNG ........................................................... 163 GLEICHAUF MIT DEM FLAKTURM.................................................................. 165
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BAUKUNST IN DER KOSTENSCHERE ............................................................. 167 BIS ZUR ALLERLETZTEN SCHRAUBE! ........................................................... 169 NOCH WAS ZU BESTELLEN? ............................................................................. 171 WO ORTE ZUR SPRACHE KOMMEN ................................................................ 173 VON BUNKERN UND HÜHNERSTÄLLEN ....................................................... 175 SHOPPING MALL, PARLAMENT? ..................................................................... 177 „MACH DOCH DIE BUDE GROß“....................................................................... 179 DIE HOHE KUNST DER SCHRÄGE .................................................................... 181 WENN DIE WELT INS HAUS BRICHT ............................................................... 183 VIELE HÄUSER SIND NOCH KEINE STADT.................................................... 185 KUNST ODER HÜLLE? ........................................................................................ 190 DIE UNHEILBARE HAUSKRANKHEIT ............................................................. 192 DER SCHÖNE NAME 'ARCHE' ............................................................................ 195 DIE SKULPTUR IM ZAUBERGARTEN .............................................................. 197 OASEN IN DER ZWISCHENSTADT ................................................................... 200 DAS, WAS SICH NICHT FASSEN LÄSST .......................................................... 203 NUR KEINE HANDSCHRIFT, BITTE! ................................................................ 205 VON HIGHWAYS UND SACKGASSEN ............................................................. 208 IM LAND DER VERGOLDETEN ASCHE ........................................................... 210 DIE MASCHEN DER WIRKLICHKEIT ............................................................... 213 KOMFORT MIT ECKEN UND KANTEN ............................................................ 215 AM ENDE DER WILDEN JAHRE ........................................................................ 218 SANIERUNG MIT TOTALSCHADEN ................................................................. 220 VOM NUTZEN DER UNWIRTLICHKEIT ........................................................... 223 DER EDLE WILDE UND SEINE VILLA ............................................................. 225 BODENLOSE PUNKTE DER STILLE.................................................................. 228 WIE KLINGT EINE HAUPTSTADT? ................................................................... 230 EIN PARKPLATZ ALS PARADIES...................................................................... 232 SO ODER DOCH GANZ ANDERS ....................................................................... 234 DIE STADT DER SCHÖNEN WORTE ................................................................. 236 DAS ENDE DER KALKPUTZSTADT? ................................................................ 238 HOLZ UND 1000 JAHRE....................................................................................... 241 KNOTEN IM WALD .............................................................................................. 243 EDLE WILDE UND HUNDERTWASSERS HOSENTRÄGER ........................... 245 BLITZENDE ZAHNSPANGE MITTEN IM GESICHT? ...................................... 248 STIL, ORNAMENT UND ANDERE VERBRECHEN .......................................... 249 NACH DEM SALTO MORTALE .......................................................................... 251 GRÜSSE VOM VERSCHÖNERUNGSVEREIN ................................................... 254 VON FALSCHER IDYLLE UND ECHTEM LEBEN ........................................... 255 ORDNUNG UND VERORDNUNG ....................................................................... 257
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DIE ZEIT, DER SAND UND DIE REALISIERER ............................................... 259 DER STOFF AUS DEM DIE ÖSTERREICHERWITZE SIND............................ 262 SUITEN MIT ZEN .................................................................................................. 263 LEICHT IST SCHWER ZU MACHEN .................................................................. 265 PRÄDIKAT: ORGANISCH.................................................................................... 267 IM STILE UNSERER ZEIT.................................................................................... 270 WOHIN MIT DEM FAHRBAREN HAUS?........................................................... 271 NUR EIN TÜRSCHILD .......................................................................................... 273 WIDERSPRUCH MIT FOLGEN............................................................................ 275 DIE SEHNSUCHT DES GLOBALEN DÖRFLERS .............................................. 278 IRONIE MIT WELLBLECH .................................................................................. 280
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Die Presse, 15.12.2007
DIE QUADRATUR DES KREISES Nach langer Pause haben PAUHOF sich wieder dem Thema des Wohnhauses in der Landschaft gewidmet. Das Ergebnis, nahe Brixen, Südtirol: Ein Sprung aus der Moderne ins Ungewisse.
Im Film gehören die modernen Häuser immer den Bösewichtern. Dr. No ist nur der erste in einer ganzen Reihe von James Bond - Gegenspielern, die sich am liebsten in hypermodernen, wenn auch manchmal mit Antiquitäten bestückten Räumen bewegen. Auch Philip Vandamm, der Bösewicht aus Hitchcocks „North by Northwest“, residiert in einer im Stil Frank Lloyd Wrights gehaltenen, dramatisch über dem Abgrund schwebenden Villa mit ungestörtem Panoramablick, Ausgangspunkt für die finale Verfolgungsjagd über die Felsskulpturen des Mount Rushmore. Das Architektenduo Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger – kurz PAUHOF – hat sich mit dem ambivalenten Charakter des modernen Raums, dessen grenzenlose Freiheit ab einem gewissen Moment ins Heimatlose und Bedrohliche umschlagen kann, schon seit langem beschäftigt. Das jüngste Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist eine derzeit im deSingel Kunstcampus in Antwerpen gezeigte Ausstellung, die unter dem Titel „The Wrong House“ der Filmarchitektur Alfred Hitchcocks gewidmet ist. Von PAUHOF stammt dort nicht nur die Ausstellungsgestaltung, sie haben auch Modelle und Zeichnungen von eigenen
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Projekten in die Installation einbezogen. Die Kombination ist durchaus schlüssig: PAUHOF sind an den Angsträumen, die sich hinter der scheinbar rationalen Oberfläche des modernen Lebens verbergen, genauso interessiert wie es Hitchcock in seinen Filmen gewesen ist, und sie setzen in ihren Projekten virtuos kinematographische Mittel der Inszenierung ein. Damit stehen sie einer großen Tradition: Schon Le Corbusiers Villa Savoye, ein Schlüsselbau der klassischen Moderne, ist wie eine Abfolge von Filmsequenzen komponiert. Eine andere, regional nähere Referenz für PAUHOF ist Le Corbusiers Zeitgenosse Lois Welzenbacher, der in den Jahren um 1930 einige der besten modernen Häuser im Alpenraum geschaffen hat, etwas das Haus Heyrovski in Zell am See. Der ungebrochene Glaube an die Segnungen der Moderne, der aus diesen Bauten aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg spricht, ist heute längst vergangen. Schon das Einfamilienhaus an sich ist angesichts von Sprawl und Ozonloch zu einem Bösewicht geworden, der auch in der Passivhausvariante nie so ökologisch korrekt sein kann wie die Wohnung im dicht verbauten Stadtgebiet. Auch die Frage, wie „schön“ man heute überhaupt noch wohnen darf, kann zum Problem werden, zumindest wenn man sich an den Hinweis Adornos hält, es gehöre heute „zur Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein.“ Das jüngste Projekt von PAUHOF, ein Einfamilienhaus in der Nähe von Brixen, lässt sich in diesem Sinn als Versuch interpretieren, ein Haus zu entwerfen, das Distanz zu sich selbst hält. Kaum glaubt man es durchschaut zu haben, etwa als Paraphrase auf die horizontal gelagerten Bauformen der klassischen Moderne, überrascht es den Besucher mit der surrealistisch verzogenen Geometrie eines die Terrasse überspannenden Baukörpers, den sich das Haus in einer großen Kurve gleichsam über die Schulter wirft wie einen Schal. Bergseitig geht dieser Baukörper in die Skelettkonstruktion einer Pergola über, die immer schmäler wird und schließlich in den Terrassen des angrenzenden Weinbergs ausläuft. Die mehrfach gekrümmte Holzkonstruktion dieses Elements ist eine Meisterleistung, ausgeführt vom Unternehmen des Bauherren, das sich auf computergesteuerte Holzzuschnitte spezialisiert hat. Im Inneren des Hauses wird der Besucher von einem raffinierten System aus Bewegungs- und Blickachsen geleitet. Alle Blicke sind so komponiert, dass möglichst viel von der grandiosen Landschaft rundum sichtbar wird, ohne dass Nachbarbauten das Bild stören. Umgekehrt wirkt die Terrasse durch den schwebenden Baukörper beinahe wie ein Innenhof, der vor den Blicken der Nachbarn schützt. Die vier Geschosse des Hauses haben ihren jeweils eigenen Charakter: Ganz oben schwebt die Holzbox eines „Herrenzimmers“ mit Panoramablick, über eine schmale Treppe mit dem Terrassengeschoss verbunden. Dort befinden sich der Wohn- und Essraum, die Küche und das Schlafzimmer der Eltern. Küche und Essraum liegen auf einer 20 m langen Achse, die am einen Ende tief in den Hang hineinführt undam anderen Ende in einem zweigeschossigen Raum endet, der die Treppe nach unten ins Eingangsgeschoss aufnimmt. Auf diesem Niveau liegen auch die Kinder- und Gästezimmer, die einen weiteren über zwei Geschosse reichenden Raum begrenzen, der auf der untersten Ebene als Kunstgalerie der Bauherrin dient., Obwohl sonst strenge Orthogonalität herrscht, ist die Geste der großen Kurve überall im Haus präsent: Sie dominiert den Terrassenhof, taucht im Elternschlafzimmer als gekrümmte Rückwand auf und im untersten Geschoss als Begrenzung der Galerie. So kompliziert diese Anordnung klingt, so entspannt wirkt sie in natura. PAUHOF ist es gelungen, eine Selbstkritik der Moderne zu inszenieren, die das Alltagsleben nicht beschwert, sondern bereichert. Dass diese Quadratur des Kreises aufgehen konnte, liegt nicht zuletzt an der Zusammenarbeit mit dem Künstler Manfred Alois Mayr aus Bozen, dem PAUHOF die Gestaltung einzelner Elemente des Hauses überlassen haben. Von Mayr stammen Farben und Oberflächen an strategischen Punkten, etwa die Idee, die dunkle Farbe der Holzleisten, mit denen die Außenwand und einige Decken des Gebäudes verkleidet sind, durch das Flämmen von Eichenholz herzustellen.
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Die Kontrolle aufzugeben und kein Gesamt- sondern ein offenes Kunstwerk zu schaffen: Darin besteht wohl der entscheidende Sprung aus der Moderne ins Ungewisse, der PAUHOF mit diesem Meisterwerk gelungen ist. Die Presse, 10.11.2007
DIE BAUKUNST MEINER FREUNDE Was haben Otto Wagner, Clemens Holzmeister und Hans Hollein gemeinsam? Ihre Mitgliedschaft in der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, die heuer ihren 100. Geburtstag feiert. Eine Gratulation. Architekten geben nur ungern zu, dass sie Vereinsmeier sind. Lieber sehen sie sich als einsames Genie, das seine Projekte trotz Heimtücke der Behörde, Unverständnis der Ausführenden und Geiz der Bauherren realisiert. Diese Figur mag zwar heute einigermaßen in die Jahre gekommen sein. Sie ist aber nach wie vor Teil des Selbstbilds, mit dem Architekten ihre Sonderrolle im Bauwesen begründen. Ein Umstand bleibt dabei dezent im Hintergrund: Der Erfolg dieser Einzelgänger ist nicht zuletzt darin begründet, dass sie trotz allem hochgradig assoziationsfähig sind. Vieles spielt sich dabei auf der Ebene informeller Netzwerke ab. Aldo Rossi, einer der Väter der postmodernen Architektur, dessen radikal aufs Archetypische reduzierte Formensprache jeder anderen Position das Lebensrecht abzusprechen scheint, antwortete auf die Frage, welche Architektur er denn schätze, schlicht: „I like the architecture of my friends.“ Und die befreundeten Baukünstler durften ruhig vom formal ganz anderen Ufer kommen, solange sie seinem Clan angehörten. Zu diesen informellen Netzwerken kommt eine Vielzahl von offiziellen, die erstaunlich langlebig und wandlungsfähig sind, wie das Beispiel der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, kurz ZV genannt, beweist. Ihre Gründung geht auf eine Initiative Ludwig Baumanns zurück, eines der erfolgreichsten Großarchitekten der K&K-Monarchie. Baumann war ein Multifunktionär, Mitglied und Präsident des österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins, Mitglied der Genossenschaft der Bildenden Künstler und dessen Aquarellistenclubs. Entlastung von so viel ernsthafter Funktionärstätigkeit verschaffte er sich in der Schlaraffia Vindobona, deren Wahlspruch „In arte voluptas“ gut zu Baumanns neobarocker Architekturauffassung passt. Über die Gründung der ZV berichtet die Zeitschrift „Der Architekt“ in ihrer Ausgabe vom Juli 1907: „Im Festsaal der Wiener Kaufmannschaft fand eine Versammlung der hervorragendsten Architekten – ohne Rücksicht auf Richtung und Betätigung – statt. Der Vorsitzende Proponent, Oberbaurat L. Baumann, hielt eine programmatische Rede, in der er darauf hinwies, dass der Gedanke der Bildung einer Zentralvereinigung, in der die Architekten selbst, und zwar die in der Front für ihre Existenz, für die Erhaltung ihrer Selbstständigkeit kämpfenden Architekten, die Wahrung ihrer Standesinteressen in die Hand nehmen, schon lange propagiert wurde. Als Aufgaben der ZV nannte er: Gerichtliche Belangung jener Personen, die sich unbefugt den Titel eines Architekten beilegen, Stellungnahme gegen die Verleihung des Titels ,Baurat‘ an Geschäftsleute, Baugewerbetreibende, Chemiker, usw., Erwirkung von Staatsaufträgen an selbstständige Architekten, Stellungnahme gegen die Invasion ausländischer Architekten, vorherrschend in Tirol und Nordböhmen, Vorarbeiten für die Schaffung von Architektenkammern auf legislatorischem Wege.“ Besondere Sensibilität mag man der militärisch durchwirkten Diktion dieses Programms nicht attestieren, es geht aber im Kern über die Wahrung von Geschäftsinteressen hinaus. Mit der Einrichtung der ZV deklarierten die besten Vertreter ihres Fachs einen autonomen Bereich, innerhalb dessen sie selbst verhandeln wollten, was Qualität ist. Die Mitgliedschaft in der ZV ist daher bis heute nur auf Empfehlung anderer Mitglieder möglich. Neben Namen wie Leopold Bauer, Fellner und Hellmer, Karl Mayreder und Josef Hoffmann trat auch Otto Wagner der ZV bei und übernahm als weltweit bedeutendster österreichischer Architekt seiner Zeit den Vorsitz beim Internationalen Architekturkongress, den die ZV 1908 in Wien veranstaltete. Ein Jahr später führte ein interner Streit allerdings zum Austritt Wagners, der auch mit dem Wettbewerb für
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das Kriegsministerium im selben Jahr zusammenhängen dürfte, den Baumann für sich entscheiden konnte. Neben 60 anderen Architekten hatten auch Otto Wagner und Adolf Loos teilgenommen, die nicht zu Unrecht behaupteten, dass Baumann seinen Sieg nicht seinem schwachen Projekt, sondern der Protektion durch den Thronfolger Franz Ferdinand zu verdanken hatte. Weil die ZV ja gerade diese Art von Einflussnahme hätte verhindern sollen, musste das als Verrat an ihren Qualitätszielen empfunden werden. Ihre einflussreichste Phase hatte die ZV in der Zwischenkriegszeit, während der auch die Teilnahmeberechtigung an Wettbewerben für öffentliche Gebäude an eine Mitgliedschaft gebunden war. Zugleich begann die ZV mit eigenen Publikationen auf die Qualitätsdiskussion Einfluss zu nehmen, zuerst mit der Zeitschrift „Bau- und Werkkunst“, ab 1931 mit dem „Profil“. Beide waren anspruchsvoll redigiert und international ausgerichtet. Präsidenten der ZV in dieser Zeit waren Hermann Helmer, Siegfried Theiß, Clemens Holzmeister und Hans Jaksch. 1938 wurde die ZV aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg konstituierte sie sich neu und schloss auch rasch an ihre publizistische Tätigkeit vor dem Krieg an, ab 1946 mit der Zeitschrift der „Der Bau“, die 1965 von einer jungen Redaktion um Hans Hollein neu konzipiert wurde und unter dem Titel „Bau“ bis 1971 erschien und wichtige Impulse für den architektonischen Diskurs dieser Zeit lieferte. Mit der Einrichtung der Architektenkammern im Jahr 1959 war eines der Gründungsziele der ZV erreicht, sie übertrug damit aber zugleich den Großteil ihrer faktischen Macht an die neuen Institutionen. Dass Eugen Wörle von 1961 bis zu seinem Tod 35 Jahre lang als Präsident der ZV wirken konnte, ist kaum ein Zeichen für institutionelle Dynamik. 1996 ist Hans Hollein in dessen Fußstapfen getreten und hat erfolgreich die wesentlichste öffentliche Aktivität der ZV am Leben erhalten, nämlich den seit 1967 vergebenen Bauherrenpreis, der sich zum wichtigsten österreichischen Architekturpreis entwickelt hat. Auch die aktuellen Preisträger zeigen ein breites Spektrum formaler Ansätze auf einem durchgängig hohen Niveau. Zwischen den formalen Extrempunkten des Wolkenturms von The Next Enterprise (einer Freilichtbühne in Grafenegg) und dem Michelehof von Philip Lutz in Vorarlberg finden sich die Donauuniversität Krems von Dietmar Feichtinger, die Sonderschule in Schwechat von Fasch und Fuchs, die Polizeistation am Wiener Karlsplatz von Pretterhofer und Spath sowie die Sonderschule im Tiroler Kramsach von Marte.Marte. Ihren Geburtstag feiert die ZV neben einem Fest mit einer Reihe von Führungen im Umkreis der Ringstraße, die heuer mit 150 Jahren ebenfalls ein Jubiläum begeht. Heute ist die ZV – die im Übrigen keine Bundesinstitution ist, sondern in jedem Bundesland eigene, teils sehr aktive Vereine betreibt – eine von vielen Institutionen, die sich bemühen, dem schwierigen Begriff der „architektonischen Qualität“ einen öffentlichen Diskussionsraum zu bieten. Sie ist personell stark mit den österreichischen Architekturhäusern vernetzt, die ihrerseits in der Architekturstiftung verbunden sind, zu deren Gründungsmitgliedern 1996 wiederum die ZV gehört. Als Qualitätszirkel der Architekturschaffenden ist die ZV aber nach wie vor einzigartig. Ihrem nächsten Jahrhundert kann sie gelassen entgegensehen. Die Presse, 13.10.2007
DAS AUTO UND SEINE PLAZENTA 73.000 Quadratmeter Nutzfläche, 180 mal 120 Meter Dach, 14.000 Tonnen Stahl. Und das alles, um Autos auf die Welt und an den Mann zu bringen. Die „BMW-Welt“ in München von Coop Himmelb(l)au. Von der Idee, dass die Form der Funktion folgt, haben sich Automobilhersteller schon seit Jahren entfernt. Das Produkt Auto ist heute eingebettet in eine emotional aufgeladene Fantasiewelt, die von den Herstellern ebenso gezielt gestaltet wird wie das Produkt selbst. Deshalb spielen BMW-Fahrzeuge in James-Bond-Filmen mit, und deshalb hat BMW vor einigen Jahren bei namhaften Regisseuren wie Ang Lee oder Wong Kar Wai eine Reihe von Kurzfilmen in Auftrag gegeben, in denen es jeweils zwei Hauptdarsteller gab, einen BMW und den britischen Schauspieler Clive
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Owen. 75 Millionen Zuseher haben diese Filme, die über das Internet zum Download angeboten werden, inzwischen gefunden und damit ihren Teil zur Markenentwicklung von BMW beigetragen.
Bereits Anfang der 1990er-Jahre entstanden erste Ideen, der Marke BMW auch architektonisch ein Denkmal zu setzen. Architektur war zwar schon damals in den Markenauftritt des Unternehmens einbezogen, aber vor allem als neutraler, in Chrom und Weiß gehaltener Hintergrund, vor dem das eigentliche Produkt umso deutlicher zur Wirkung kommen sollte. Für die normalen BMW-Autohäuser gilt diese Doktrin nach wie vor. In der Nähe des Münchner Stammwerkes sollte jedoch ein einzigartiges Bauwerk entstehen, eine Kult- und Pilgerstätte, im Idealfall ein Pflichtbestandteil jedes München-Besuchs. Da jeder Kult einen Ritus braucht, wurde auch der erfunden: Hier kann der Besitzer sein ofenwarm vom Fließband kommendes Auto in Besitz nehmen und zum ersten Mal in die freie Wildbahn des Münchner Stadtverkehrs ausfahren. Übernommen hat BMW diese Idee von Ferrari, wo die optionale Übergabe am Ende des Fließbands schon immer zum Brauchtum gehörte. Einen besseren Standort für dieses Vorhaben hätte BMW kaum finden können. Einerseits befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zwei architektonische Meilensteine der deutschen Nachkriegsmoderne, das Olympiagelände mit den weit gespannten Zeltdächern nach dem Entwurf von Frei Otto und Günther Behnisch aus dem Jahr 1972 und das BMW-Hochhaus von Karl Schwanzer, 1973 als Abschluss des Münchner BMW-Werks errichtet. Andererseits lässt sich kaum ein anderer Stadtraum denken, für dessen Ausformung das Automobil so direkt verantwortlich ist: Hier kreuzen sich auf zwei Ebenen eine 14-spurige und eine sechsspurige Schnellstraße, was allein von der Frequenz her entsprechende Werbewirksamkeit garantiert. BMW schrieb für diesen Standort einen internationalen, offenen Wettbewerb aus, den Coop Himmelb(l)au unter 275 Teilnehmern nach mehreren Phasen im August 2001 für sich entscheiden konnte. Obwohl es bereits im Wettbewerb ein genaues Raumprogramm gab, lässt sich die eigentliche Funktion des Gebäudes nur schwer bestimmen. Es ist jedenfalls vieles zugleich: Seine Hauptfunktion leistet es als Auslieferungszentrum für Neuwagen, das in der oben geschilderten Weise bis zu 250 Fahrzeuge pro Tag bewältigen kann. Zugleich ist es ein Veranstaltungszentrum mit einem voll ausgebauten Theater für bis zu 800 Zuseher mit einer Bühnenausstattung, um die es so manches Theater einer deutschen Mittelstadt beneiden würde. Dazu kommen weitere Veranstaltungsräume unterschiedlichen Zuschnitts sowie großzügige Ausstellungsflächen und Gastronomiebereiche auf mehreren Ebenen, die über eine Brücke mit dem Werksgelände und dem bestehenden BMW-Museum verbunden sind, einem runden, schüsselförmigen Gebäude, das ebenfalls von Karl Schwanzer stammt. Coop Himmelb(l)au haben den Wettbewerb nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil sie erkannt haben, dass dieses komplexe, genau ausgearbeitete Raumprogramm in Wirklichkeit nichts anderes war als ein Vorwand für ein möglichst spektakuläres Gebäude. Ihr Projekt ist ein unbeirrtes Stück Coop Himmelb(l)au, in dem die gewünschten Funktionen zwar gut bedient sind. Seine Form gewinnt es aber aus ganz
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anderen Quellen, vor allem aus der Idee eines großen, das gesamte Areal überspannenden Daches in Form einer künstlichen Wolke, die an einer Ecke in die vertikale Figur eines Doppelkegels übergeht, ein bekanntes Element aus dem Repertoire von Coop Himmelb(l)au, das hier angesichts des meteorologischen Dachmotivs auch als Wirbelsturm gedeutet werden kann, der sich aus dem Boden emporschraubt. Im Grundriss bildet dieser Doppelkegel ein exaktes Pendant zu Schwanzers Museum, wie überhaupt die Einpassung des Projekts in den Kontext mit großer Selbstverständlichkeit gelungen ist. Die im Westen angrenzende Parklandschaft des Olympiaparks wird über große Verglasungen in den Raum unter der Glaswolke einbezogen, während die Verbindung zum Produktionswerk durch einen Einschnitt im Baukörper akzentuiert ist, der die Achse einer gegenüberliegenden Werksstraße aufnimmt. Die Leichtigkeit und Dynamik, die man von den computergenerierten Bildern des Projekts in Erinnerung hat, will sich in Natura freilich nicht so recht einstellen. Das Gebäude wirkt deutlich schwerer und dichter, was angesichts der konstruktiven Anstrengungen, die hier unternommen wurden, auch nicht verwunderlich ist. Das Wolkendach ist eine beeindruckende, vielfach geschwungene Stahlkonstruktion, die nur auf dem Doppelkegel und wenigen schlanken Stahlbetonstützen auflastet. Im Tragwerksplaner Klaus Bollinger, der mit Wolf D. Prix auch an der Universität für Angewandte Kunst unterrichtet, haben die Architekten hier einen kongenialen Partner gefunden. Besonders hervorzuheben ist auch, dass Coop Himmelb(l)au nicht nur für den Entwurf, sondern auch als Generalplaner für das Gesamtprojekt verantwortlich waren. Wer sich von der BMW-Welt eine Verherrlichung des Automobils als chromblitzende Maschine erwartet hat, etwa in der Tradition des italienischen Futurismus, wird jedenfalls nicht auf seine Kosten kommen. Viel näher liegt die Assoziation zum Surrealismus, der für Coop Himmelb(l)au schon immer eine Inspiration gewesen ist. Hier, bei einer Aufgabe, bei der es kaum funktionelle Einschränkungen gab, konnte er sich fast ungebremst entfalten. Das gilt etwa für den Fußgängersteg, der die Halle durchzieht und den besten Blick auf den ovalen Präsentationsbereich im Zentrum der Anlage bietet, auf dem die über einen Glaslift angelieferten neugeborenen BMWs vor der Übergabe noch kurz auf Drehtellern rotieren, bevor sie in ihr selbstständiges Leben entlassen werden. Gleich an mehreren Stellen lässt dieser Steg seine Brüstung hängen wie Salvador Dalis geschmolzene Uhren, und wirkt insgesamt wie eine Nabelschnur in einer großen, dem automobilen Gebären gewidmeten Plazenta. Ob die BMW-Marketingabteilung wirklich weiß, welche Art von Meisterwerk sie hier um einen kolportierten Betrag von über 250 Millionen Euro geschaffen hat, ist noch nicht abzuschätzen. Vorderhand sind die Freiflächen mit Objekten und einem Geflimmer von Präsentationen bespielt, die besser auf der IAA in Frankfurt oder im Museum gegenüber aufgehoben wären. Aber vielleicht geht dieser Anfall von Horror Vacui ja irgendwann vorbei, und BMW überlässt die Halle ganz dem Kunstbetrieb, der dann die Gebärmaschine in der Mitte in bester surrealistischer Tradition umspielt. Die Presse, 9.9.2007
WIE MAN DAS NEUE ORGANISIERT Visionen für die Zukunft hat man bald einmal. Die Schwierigkeit liegt in der Umsetzung. Über alltägliche Innovationen und die Wege dorthin. Am Beispiel Architekturwettbewerb. Hochhäuser in Form von exotischem Gemüse, das aus einemFeuchtbiotop hervorwächst: Muss man sich so die Stadt des 21. Jahrhunderts vorstellen? Der südkoreanische Architekt Minsuk Cho hat diesen Vorschlag kürzlich bei einem Symposium an der Wiener Universität für Angewandte Kunst
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präsentiert. Wie ernst diese Provokation aller formalen Codes der „modernen Architektur“ gemeint ist, sei dahingestellt. Auch an ihrem Neuigkeitswert kann man Zweifel anmelden, lässt sich die Anlage doch als rund gedrechselte Version des Wohnparks Alt Erlaa mit seinen hängenden Gärten und der anämischen Parklandschaft rundum interpretieren. Vielleicht will Minsuk Cho, der brillanteste unter den jungen Architekten Südkoreas, in dessen tatsächlich ausgeführten Hochhäusern keinerlei Anleihen am Gemüsegarten vorkommen, hier aber eher einen Kommentar zu unserer gegenwärtigen Situation abgeben: Fortschreitender Naturverlust, der durch Ersatzgrün kompensiert wird; eine individualisierte Gesellschaft, deren ideale Wohnform die Einzelzelle ist, an die sich halböffentliche Zonen für die Aktivitäten der Patchworkfamilie andocken; und eine zunehmende Verdrängung ästhetischer Fragen durch ökologische Parameter, die sich formal in einem dumpfen Biologismus niederschlagen, sofern sie Form überhaupt noch als Thema gelten lassen. Dass die Zukunft des Wohnens nicht genau so aussehen wird wie in Chos Vision, kann als sicher gelten. Aber welche Elemente davon werden wir in unseren Städten tatsächlich finden? Und wie können wir schon heute die Möglichkeiten ausloten, auf die genannten Entwicklungen zu reagieren? Die Entstehung von Neuem in der Architektur ist ein heikles Thema, bestehen doch 99 Prozent des Bauens aus der Abwandlung bekannter Lösungen. Innovation steckt in der Organisation des restlichen Prozents. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Architekturwettbewerb zu. In seiner heutigen Form gibt es ihn seit der Renaissance, als Bauherren begannen, ihre Entscheidungsmacht an Gremien von Fachleuten zu delegieren. Verbunden damit, setzte sich die Trennung zwischen dem ausführenden Handwerk und dem architektonischen Entwurf als einer künstlerischen Tätigkeit durch. Das versprach sozialen Aufstieg, allerdings zum Preiseiner über weite Strecken prekären wirtschaftlichen Situation, von der bis heute alle Architekten, die ihre Karriere auf Wettbewerbe aufgebaut haben, berichten können. Trotzdem ist der Architekturwettbewerb eine erstaunlich robuste Institution. Gab es vor einigen Jahren noch eine Diskussion darüber, ob man nicht überhaupt auf ihn verzichten könnte, nimmt die Zahl der Verfahren heute wieder zu. Über das Prinzip, dass es nicht um die billigste Planungsleistung, sondern um das beste Projekt geht, herrscht weitgehend Konsens. Nur so können derartige Verfahren tatsächlich zur Innovationsförderung im alltäglichen Baugeschehen beitragen. Ihr Erfolg hängt dabei wesentlich von der Qualität der Organisation ab, von der Formulierung der Aufgabenstellung über die Auswahlkriterien der Teilnehmer bis hin zur Höhe der Preisgelder. Seit die Wettbewerbsordnung der Architektenkammer abgeschafft wurde, um dem EU-Druck zur Deregulierung nachzukommen, gibt es dafür allerdings eine beachtliche Bandbreite. Auf der einen Seite finden sich aufwendig gestaltete Wettbewerbe, begleitet von Forschungsprogrammen und Veranstaltungen, in denen die Anliegen des Wettbewerbs öffentlich diskutiert werden. Ein vorbildliches Beispiel dafür ist derzeit im Steirischen Gleisdorf zu beobachten. Unter dem Titel „Generationen Wohnen“ ist hier ein Wettbewerb für rund 80 Wohneinheiten in zentraler Lage ausgeschrieben. Das Projekt, initiiert vom Verein ARTIMAGE und der Wohnbauabteilung des Landes Steiermark, versteht sich als Prototyp für die Revitalisierung von Ortskernen, die durch die Verlagerung von Einkaufsmöglichkeiten an die Peripherie zunehmend ihre zentrale Funktion verlieren. Speziell für Wohnbedürfnisse außerhalb der klassischen Kleinfamilie wie Seniorengemeinschaften, Alleinerziehende und Singles, und für betreutes Wohnen sollen hier Angebote geschaffen werden. Der zweite Innovationsaspekt betrifft die Ökologie, für die ein integratives Konzept zu entwickeln ist, das vom Wohnklima bis zu langfristigen Betrachtungen der Energieeffizienz reicht. In diesem Aspekt wird das Projekt von Brian Cody von der Technischen Universität Graz in einem eigenständigen Forschungsprojekt begleitet, das am 11. September in Gleisdorf in einer Fachtagung über „Innovative Konzepte der Energieeffizienz“ vorgestellt wird, Im Dezember folgt eine weitere über „Innovative Wohnformen“. Die Ähnlichkeit dieses Prozederes mit dem EUROPAN-Wettbewerb, der alle zwei Jahre europaweit
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ausgeschrieben wird, ist kein Zufall: Bernd Vlay, Geschäftsführer von EUROPAN Österreich wirkt in Gleisdorf an Konzept und Organisation mit. So viel Aufwand ist sicher nicht bei jedem Wettbewerb gerechtfertigt. Am anderen Ende des Spektrums finden sich allerdings – vor allem im öffentlichen Bereich, wo Konkurrenzverfahren vom Bundesvergabegesetz vorgeschrieben, von manchen Auftraggebern aber als lästige Pflicht gesehen werden – Verhandlungsverfahren, bei denen Planungen im Wesentlichen über den Preis vergeben werden. Das Hochbauamt Wiener Neustadt lädt gerade zu einem Verhandlungsverfahren für den Neubau einer Schule, bei dem aus Bewerbungen drei Teilnehmer ausgewählt werden, die in der zweiten Stufe ihrem finanziellen Anbot „Skizzen“ eines Entwurfs beilegen sollen. Ein Preisgeld oder eine Entschädigung für den Aufwand dieser Ausarbeitungen ist nicht vorgesehen. In Niederösterreich – das andererseits vor Kurzem sehr erfolgreich eine Wettbewerbspflicht für alle größeren Wohnbauten eingeführt hat, die Förderungen erhalten – ist das kein Einzelfall. Innovative Ergebnisse darf sich bei solchen Verfahren freilich niemand erwarten. Der Trend geht aber in die andere Richtung. Die Architektenkammer hat in jüngster Zeit mit wichtigen öffentlichen Auftraggebern wie der Gemeinde Wien und der Bundesimmobiliengesellschaft Vereinbarungen getroffen, wie im Rahmen des Bundesvergabegesetzes faire und effektive Verfahren zu gestalten sind. Im Internet findet man seit Kurzem eine von der Kammer besorgte Dokumentation des gesamten österreichischen Wettbewerbsgeschehens. Verfahren, die außerhalb der Spielregeln durchgeführt wurden, sind dort speziell markiert. Die Ergebnisse sprechen für sich. Die Presse, 7.7.2007
WURSTELN IM PRATER Nächste Woche wird in Ohio mit dem Akron Art Museum von Coop Himmelb(l)au ein neues Wahrzeichen eröffnet. Wien plant eines seiner alten mit einer Kitschkulisse zu rahmen. Manche Städte träumen vom Bilbao-Effekt. Sie laden die Oberliga unter den Weltarchitekten zu Wettbewerben ein, um ihre Stadt mit einem Projekt im internationalen Städtewettbewerb zu positionieren, so wie es Bilbao mit Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum geglückt ist. Aus Österreich spielen in dieser Liga nur Coop Himmelb(l)au mit: Nächste Woche wird ihr Akron Art Museum in Ohio eröffnet, 2009 das 100 mio Euro teure Musée des Confluences in Lyon. Die BMWWelt in München und der Sitz der europäischen Zentralbank in Frankfurt, ebenfalls Coop Himmelb(l)au-Entwürfe, die in den nächsten Jahren realisiert werden, sind zwar keine kommunalen Projekte, werden zum Image ihrer Städte aber wesentlich beitragen. Durch direkte Vergabe haben die Architekten keinen dieser Aufträge erhalten: Jedem Projekt ging ein Sieg in einem Architekturwettbewerb voraus, teilweise hart über mehrere Stufen erkämpft. Wien hatte bisher wenig Lust, sich an diesem architektonischen Städtewettlauf zu beteiligen. Hier begnügt man sich mit dem Ruhm vergangener Jahrhunderte, selbst dann, wenn es gilt, das offizielle Wahrzeichen der Stadt zu ergänzen. Der Riesenradplatz, der den neuen Eingang zum Wurstelprater bilden soll, geisterte als Projekt schon seit einiger Zeit durch die Medien, ein Konglomerat aus historischen Versatzstücken, das den Besucher mit der Storyline „Der Zauberer kehrt zurück“ ins „Wien um 1900“ versetzen soll. Auf dem Stadtplan gibt es den Platz noch nicht. Er wird zwischen Kaisergarten und der Straße des ersten Mai auf der Achse des GaborSteiner-Wegs liegen. Von Gabor Steiner, der 1895 auf dem Kaisergarten nach Londoner Vorbild die Kulissenstadt „Venedig in Wien“ errichtete, stammte die Idee, ein Riesenrad nach Wien zu bringen. Ein anderer Steiner, Eduard, der letzte rechtmäßige Besitzer des Riesenrads, ist hier nicht in einem Straßennamen verewigt: Er wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet.
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Akron Art Museum von Coop Himmelb(l)au, Foto: Cheryl Ward (
[email protected])
„Wiener Realitäten Theater“: Neuer Vorbereich zum Wurstelprater, Fotomontage: Explore 5D
Dass die Stadt bereit ist, Geld zu investieren - immerhin 16 Millionen Euro, zu denen weitere 16 aus zukünftigen Erträgen kommen sollen -, um den Wurstelprater durch diesen baulichen Auftakt zu erneuern, ist grundsätzlich klug. Die Aufwertung des Gebiets durch die verlängerte U-Bahnlinie 2 hat eine neue Situation geschaffen, die einen hochwertigen Vergnügungspark wie den Kopenhagener Tivoli verdient hätte. Der Weg dorthin dürfte durch das aktuelle Projekt, das bis zur EM 2008 fertig gestellt sein soll, jedoch dauerhaft verbaut sein. Es stammt von der Firma Explore, vertreten durch den Architekten Martin Valtiner mit einem Büro in Lienz, Osttirol, das sich unter anderem mit Villenentwürfen zwischen Lederhosen- und französischem Landhausstil profiliert hat. Die letzten Mai bekannt gewordenen Pläne für den Riesenradplatz sind auf demselben Niveau, mit dem Unterschied, dass das Ausgangsmaterial aus Fassadenteilen von Schönbrunn und dem Belvedere besteht. Als Valtiner letzet Woche zusammen mit der Mentorin des Projekts, der Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska, letzte Woche den aktuellen Planungsstand vorstellte, gab es im Detail zwar erst ein Stück Wiener Kaffeehaus im selben Stil zu sehen: Die übrigen Teile würden analog dazu erst in Abstimmung mit den einzelnen Pächtern entwickelt. Das ganze Ausmaß des Grauens lässt sich jedoch erahnen, wenn man die Machart des Kaffeehauses auf die Baumassenstudie überträgt, die einen Komplex von immerhin 16000 m2 Nutzfläche darstellt. Architekturkritik ist hier sicher fehl am Platz. Dass die Firma Explore in den letzten Jahren zwei spektakuläre Flops im Entertainment-Bereich geliefert hat, wird eher das Kontrollamt der Stadt Wien interessieren: Die „Anderswelt“ in Heidenreichstein musste nach wenigen Saisonen und 4,5 mio Euro Investment – ein Drittel davon Landesförderung – ihren Betrieb einstellen. Der 5,4 mio Euro teure „Blue-Dome“ am Wolfgangsee, im Mai 2005 eröffnet, hatte ein ähnliches Schicksal und wurde nach einer Sperre erst kürzlich, von einem deutschen Büro umgestaltet, neu eröffnet. Die
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Sorge, dass Wien sich mit einer möglicherweise auch noch dysfunktionalen Nostalgik-Inszenierung anlässlich der Fußball-EM zum Gespött machen wird, dürfte den verantwortlichen Unternehmen, allesamt 100% Töchter der Gemeinde Wien, noch genug schlaflose Nächte bereiten. Nicht unwidersprochen dürfen aber zwei Aussagen der Vizebürgermeisterin bei der erwähnten Pressekonferenz bleiben: Es handle sich erstens nicht um eine architektonische Aufgabe, sondern „um einen Industriebau mit vorgehängten Kulissen“, weshalb „der Fachbeirat für Stadtgestaltung nicht mit dem Projekt zu befassen sei“. Und zweitens hätte die Firma Explore bei einem früheren Wettbewerb einen Preis erhalten, weshalb vom Vergaberecht her nichts gegen die Beauftragung spreche. Zum ersten: Wenn ein Projekt dieser Dimension vor dem Wahrzeichen der Stadt nicht vor den Fachbeirat muss, kann man ihn gleich auflösen. Dazu kommt, dass Erlebniswelten heute zu den zentralen Aufgaben der Architektur gehören. Frank Gehry hat für Disney gebaut, die BMW-Welt in München ist nichts anderes als ein automobiler Themenpark. Die Schweizer Expo 2002 war von Architekten wie Jean Nouvel, Diller/Scofidio und Coop Himmelb(l)au gestaltet. Gut vorbereitet, könnte auf dem Riesenradplatz ein Projekt entstehen, das neue Raum-, Wahrnehmungs- und Erlebnisformen zum Inhalt hat und statt dem „Wien um 1900“-Image eines entstehen lässt, das im 21. Jahrhundert angekommen ist. Zum zweiten: Wie schon ein Kontrollamtsbericht 2006 bestätigte, gab es für den Masterplan zur Entwicklung des Praters nie ein reguläres Verfahren. Zwar befasste sich der Bericht mit dem Auftrag an Emmanuel Mongon, der für sein Praterkonzept – von dem heute nicht viel mehr übrig ist als das Motto „Wien um 1900“ – schließlich 1,35 mio Euro plus Spesen kassierte. Dasselbe Erkenntnis gilt aber auch für die Firma Explore, die im damaligen „Ideenfindungsprozess“, in dem es weder Jury und noch klare Beurteilungskriterien gab, einen Geldpreis erhalten hat, auf den man sich jetzt beruft. Der Architekturwettbewerb – zu dem sich die Gemeinde Wien in einer vorbildlichen, im Gemeinderat einstimmig verabschiedeten Leitlinie bekannt hat – ist ein zu wertvolles Instrument, um ihn mit dem Pfusch in einen Topf zu werfen, den sich die Stadt hier geleistet hat. Dem Vorplatz des Wurstelpraters hilft diese Erkenntnis wenig. Um den zu retten, bräuchte man heute wohl einen echten Zauberer. Die Presse, 19.5.2007
KARSTADT IN BUXTEHUDE Was heißt Ensembleschutz? Das neue „Kaufhaus Tyrol“ und wie es sich zur ehrwürdigen Maria-Theresien-Straße hin artikulieren soll: ein Beispiel aus Innsbruck. Innsbruck steht vor einer Entscheidung über die Zukunft seiner Innenstadt. Im Jahr 2004 kaufte der Immobilienentwickler René Benko das heruntergewirtschaftete „Kaufhaus Tyrol“, das an der Maria-Theresien-Straße im Zentrum der Stadt liegt. Im angrenzenden Hof soll das Kaufhaus um 20.000 Quadratmeter zu einem Shoppingcenter erweitert werden. Der Investor wollte zwar keinen Wettbewerb ausschreiben, einigte sich mit der Stadt aber auf eine Projektbegleitung durch einen Gestaltungsbeirat, den sich Innsbruck – mangels eines eigenen – aus Salzburg „lieh“. Vorsitzende des Salzburger Beirats ist die aus Tirol stammende Architektin Marta Schreieck, die zusammen mit ihrem Partner Dieter Henke den Innsbrucker Qualitätsmaßstab für zeitgenössisches Bauen im historischen Umfeld gesetzt hat – die 1999 fertiggestellte sozialwissenschaftliche Fakultät. Das Ergebnis der ersten Projektphase ist ein amöboides Gebilde, das den Hof weitgehend ausfüllen wird. Formal orientiert sich der von Johannes Obermoser entworfene „Blob“ an erfolgreichen Artgenossen wie dem Kunsthaus Graz und dem Selfridges Kaufhaus in Birmingham, die ihre weichen Rundungen ebenfalls in einer kantigen Nachbarschaft ausbreiten dürfen und beim Publikum enormen Zuspruch finden.
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Dass die drei bestehenden Gebäude des Kaufhauses zur Maria-Theresien-Straße weder formal noch – aufgrund der Geschoßhöhen – funktionell ein geeigneter Abschluss für diesen Blob sein würden, war offensichtlich. Man einigte sich mit der Stadt darauf, zwei der drei Häuser abzureißen und für deren Ersatz samt Anschluss an den Blob einen Wettbewerb auszuschreiben. Noch während der Ausschreibung wurde bekannt, dass der Leiter der Tiroler Denkmalschutzbehörde, Landeskonservator Franz Caramelle, für die MariaTheresien-Straße ein Ensembleschutzverfahren eingeleitet hatte und dieser Schutz im September 2006 ausgesprochen worden war. Man entschied sich, den Wettbewerb trotzdem durchzuführen. Ziel des Ensembleschutzes ist ja der Schutz eines Gesamteindrucks und nicht der jedes einzelnen Elements, das zu diesem Eindruck beiträgt. Angesichts der wechselvollen Baugeschichte der Straße, in der vieles aus dem 20. Jahrhundert stammt, hoffte man auf ein zeitgemäßes Projekt, das den spezifischen Rhythmus der Straße aufnimmt, ohne etwas Bestehendes zu kopieren.
Fotomontagen: BEHF, Neumann und Partner
Das Ergebnis des Wettbewerbs war von Anfang an kontroversiell. Das Wiener Architektenteam BEHF hatten eine Art Gletscherwand entworfen, mit großformatigen, rechteckigen Öffnungen und vielen runden Bullaugen, die ein Motiv der Blob-Fassade wiederholen. Die Anbindung an einzelne Linien der Nachbarschaft ist zwar vorhanden, ebenso die Teilung der Fassade in drei durch Knickfalze voneinander abgesetzte Bereiche, insgesamt überwiegt aber der Eindruck einer liegenden Figur. Andere im Wettbewerb favorisierte Projekte wie etwa jenes von Rainer Pirker hatten zurückhaltender auf den Rhythmus des Ensembles reagiert, aber auch sie hätten den Betrachter spüren lassen, dass hinter ihnen etwas für den Ort bisher Unerhörtes liegt, nämlich eine Einkaufswelt von 20.000 Quadratmetern. Der Aufschrei des Denkmalamts folgte prompt. Der Investor, René Benko, versprach eine Weiterentwicklung des BEHF- Projekts. Parallel dazu wandte sich die Berufungsbehörde an den Denkmalbeirat, ein vom zuständigen Ministerium bestelltes ehrenamtliches Expertengremium, das vor jedem Abbruchbescheid gehört werden muss. Dessen Vorsitzender, Friedmund Hueber, wurde per Schreiben vom 7. Februar 2007 ersucht, ein Gutachten über die „Ensembleverträglichkeit des geplanten Objektes und gegebenenfalls Skizzierung einer Lösungsvariante“ zu erstellen. Am 12. April lag das Gutachten vor, in dem Hueber bereits zu einem neuen Lösungsvorschlag Stellung nehmen konnte, den Benko beim Wiener Architekten Heinz Neumann in Kooperation mit Hueber selbst in Auftrag gegeben hatte. Dass Hueber damit gewissermaßen über sich selbst urteilen durfte, ist vom Denkmalschutzgesetz gedeckt, in dem sogar explizit darauf verwiesen wird, dass Mitglieder des Denkmalbeirats als Konsulenten herangezogen werden können. Wenn es einen Anlass gebraucht hat, das Gesetz in diesem Punkt zu ändern, ist er jetzt gefunden. „Karstadt in Buxtehude“ gehörte noch zu den harmloseren Kommentaren, die unter Innsbrucker Architekten zirkulierten, als das Projekt vor zwei Wochen öffentlich wurde. Die ganze Lebendigkeit der umgebenden Fassaden ist hier zu einer Ansammlung von Phrasen erstarrt. Das sieht auf den ersten Blick harmlos aus, erzeugt aber bei längerem Hinsehen Depressionen. Die Vergangenheit,
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auf die Hueber sich hier beruft, war immer schon vergangen und tot, ohne Widersprüche und innere Spannungen. Dieses Phantom eignet sich bestenfalls als Dekor für eine Shoppingwelt, in der auch Atmosphäre, Rituale und räumliche Qualität zur Ware geworden sind. Ob das Bundesdenkmalamt (BDA) dieser Fassade seinen Segen erteilt hätte, ist unklar: Der Bescheid ist direkt von der zuständigen Ministerin, Claudia Schmied, unterschrieben. Da sich die führenden Beamten des BDA stets gegen jede Art des „Fassadismus“ ausgesprochen haben, also gegen die Praxis, nur die Fassaden historischer Gebäude zu erhalten, sollte das Urteil in diesem Fall klar sein: Ein „Fassadismus“ zweiter Ordnung, der dem Bestand das eigene tiefe Niveau unterstellt und ihn damit herabwürdigt, ist noch weit weniger zu tolerieren. Der Ball liegt derzeit beim Investor, der ein Danaergeschenk in Händen hält: einen Abbruchbescheid für die beiden Bestandsbauten, der allerdings zwingend an die Errichtung des Neumann/Hueberschen Projekts gebunden ist. Jüngste Ankündigungen lassen vermuten, dass er das den Innsbruckern nicht zumuten will. Von weiteren Verhandlungen mit dem Ministerium und seinen Beamten, von einer grundsätzlichen Diskussion über den Umgang mit dem Ensembleschutz und von einem neuerlichen Wettbewerb mit internationaler Starbesetzung ist die Rede. Dass es möglich ist, sogar unter noch strikteren Bedingungen anspruchsvolle Projekte im geschützten Ensemble zu realisieren, hat sich vor kurzem in Graz gezeigt. Dort vergrößert das traditionsreiche Kaufhaus Kastner & Öhler seine Verkaufsflächen im Zentrum der Stadt von 30.000 Quadratmeter auf 40.000 Quadratmeter nach einem Wettbewerbsentwurf des spanischen Teams Nieto/Sobejano. Kritik gab es auch hier, aber nach einigen Veränderungen, die dem Projekt nicht geschadet haben, kann sich Graz auf eine spannende Bereicherung seiner Dachlandschaft freuen – und das alles mitten im Unesco-Weltkulturerbe der Grazer Altstadt. Die Presse, 5.5.2007
Barock für die Fische Zwei Entwürfe für ein Flusskraftwerk in Salzburg: das Kraftwerk als schöne Maschine und ein ästhetischer Tribut an die Kraft des Wassers. Die Jury hat sich für den barocken Überschwang entschieden. Wird heute von „Kunst“ gesprochen, so bezieht sich das so gut wie immer auf die Welt der Konzertsäle, Museen und Theater. Kaum jemand erinnert sich daran, dass es einmal durchaus üblich war, zwischen „schönen“ und „nützlichen“ Künsten zu unterscheiden. Im 18. und 19. Jahrhundert hat sich im Bereich des Bauens aus dieser Unterscheidung eine Demarkationslinie zwischen Architekten und Ingenieuren entwickelt, die bis heute nachwirkt. Fürs Schöne, so die geläufige Meinung, sind die Architekten zuständig, fürs Nützliche die Ingenieure. In Bereichen wie dem Straßenbau oder dem Wasserbau ist die ästhetische Komponente damit in der allgemeinen Wahrnehmung fast vollständig in den Hintergrund getreten. Wer wollte schon ernsthaft behaupten, dass eine Autobahn oder ein Kanal schön sein müssten? Die geringen ästhetischen Ansprüche, die an sogenannte „Infrastrukturbauten“ gestellt werden, wären verschmerzbar, würde es sich dabei tatsächlich um unsichtbare Strukturen handeln. Das ist freilich nicht der Fall: Außerhalb der historischen Zentren von Städten und Dörfern sind es vor allem diese Bauten, die unserem Lebensraum Gestalt geben, und nur einer kollektiven Autosuggestion ist es zu verdanken, dass wir das oft gar nicht mehr wahrnehmen. Erst wenn diese Infrastruktur in kurzer Zeit zu wuchern beginnt und ins gewohnte Bild drängt, wie das derzeit an Österreichs Autobahnen durch den Einbau von Lärmschutzwänden geschieht, wird die Öffentlichkeit ein wenig unruhig. Da sind die Fehler aber meist nicht mehr korrigierbar. Denn die ästhetische Qualität eines Infrastrukturbauwerks ist nichts, das sich im Nachhinein dazukaufen ließe. Sie wird bereits in Projektphasen geformt, in denen noch nichts zu sehen ist, vor allem in der raumplanerischen und städtebaulichen Konzeption, aber auch auf
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Nebenschauplätzen, die scheinbar nichts mit Ästhetik zu tun haben. So geht der aktuelle Bauboom bei Lärmschutzwänden auf eine unscheinbare Ziffer zurück, mit der der damalige Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner 1999 den zulässigen Lärmpegel für die Anrainer von Autobahnen um fünf Dezibel und damit auf den strengsten Wert Europas herabsetzte: Sicher eine Entlastung für die Anrainer, vor allem aber eine Freude für die Bauwirtschaft, die heute im Auftrag der Asfinag Lärmschutzmaßnahmen von über 400 Millionen Euro pro Jahr ausführen darf, ein beträchtlicher Teil davon zur Sanierung von Mängeln in der Raumplanung und Flächenwidmung. Die Lehre aus solchen Entwicklungen kann nur darin bestehen, die saubere Trennung zwischen Schönheit und Nützlichkeit aufzugeben und auch Infrastrukturbauten von Anfang an als sowohl technische wie gestalterische Problemstellungen zu behandeln. Wie produktiv die Diskussion sein kann, in die man dabei gerät, zeigt der soeben entschiedene Wettbewerb für das neue Flusskraftwerk im Salzburger Stadtteil Lehen. Ähnlich wie beim Beispiel der Lärmschutzwände geht es auch hier nicht nur um den primären Nutzen, nämlich die Energiegewinnung, sondern zugleich um die Sanierung von Umweltfolgen. Denn an sich liegt die erreichbare Fallhöhe des Wassers an dieser Stelle mit 6,5 Metern deutlich unter dem Wert von neun bis zehn Metern, ab dem üblicherweise ein solches Kraftwerk errichtet wird. Sein Zweck besteht allerdings nicht nur in der Energiegewinnung, sondern auch in der Erhaltung des Schotterbetts der Salzach, das inzwischen gefährlich dünn geworden ist. Würde die Strömung nicht durch eine neue Staustufe verlangsamt, wären umfangreiche und teure Sanierungsmaßnahmen an der Fluss-Sohle nötig gewesen, um die Gefahr eines Einbruchs der Uferböschungen zu verhindern. Technisch besteht ein solches Kraftwerk aus einem Wehr, dessen Tore im Hochwasserfall geöffnet werden können, einem Krafthaus mit Kaplanturbinen, einer Wartungsbrücke, die für einen 90-Tonnen-Kran zum Austausch von Systemteilen befahrbar sein muss. Dazu kommt eine Fischtreppe, die eine Unterbrechung des Ökosystems verhindert. Städtebaulich liegt das Kraftwerk an einem spannenden Punkt: Auf der einen Seite befindet sich ein dicht besiedeltes Wohngebiet, auf der anderen ein Stück Auwald, das die bisherige Flussregulierung überlebt hat. Im geladenen Wettbewerb, den die Salzburg AG ausgeschrieben hatte, blieben nach der ersten Phase noch zwei Projekte übrig, die völlig unterschiedlich an die Aufgabe herangingen. Dietmar Feichtinger, aus Graz stammender Architekt mit Büro in Paris, gestaltete das Kraftwerk als schöne Maschine: Die Wehrpfeiler stemmen sich gegen die Wasserwand, alle Energie fließt ins Krafthaus, dessen elegant abgerundeten Kanten eine eigenständige Figur am Ufer am Auwald bildet. Die Verbindungsbrücke ist eine leichte Stahlkonstruktion mit aufgelöstem Tragwerk, über dem mittig eine befahrbare Betonplatte mit beiderseitig begleitenden, begehbaren Holzrosten liegt. Erich Wagner und Max Rieder geht es dagegen vor allem darum, die Kraft des Flusses zu zeigen, als würde er über die Schwelle stürzen und sprudeln. Ihre Wehrpfeiler sind weit flussabwärts gezogen, wie von der Strömung mitgerissen, und bäumen sich über dem Wehr zu mächtigen, zur Stadt blickenden und von dort sichtbaren Skulpturen auf. Im Projekt der ersten Stufe bestanden diese Skulpturen noch aus zwei Teilen, 70 Meter langen, schmalen Metallsegeln, die auf dynamisch geformten Wehrpfeilern aus Beton auflagerten. Im endgültigen Projekt sind die Wehrpfeiler deutlich verkürzt, die Skulpturen vereinfacht und aus den Metallsegeln ist eine spiegelnde Verblechung der Schnittflächen geworden. Rüdiger Lainer, der Vorsitzende der Jury, hatte Max Rieder in Anspielung an zwei Barockarchitekten unterschiedlichen Temperaments ersucht, sein Projekt in der Überarbeitung „von Borromini in Richtung Bernini zu domestizieren“.
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Am Ende hat sich die Jury gegen die schöne Technik und für den barocken Überschwang entschieden. Das Projekt von Wagner und Rieder ist jedenfalls die signifikantere Lösung: Nachts beleuchtet, wird es weithin sichtbar sein, und die kleinen, über Treppen erreichbaren „Strandkörbe“, die Rieder in die Pfeiler integriert hat, bieten den Spaziergängern umgekehrt einen Blick übers Wasser. Auch die Anknüpfung an den Auwald ist geschickt gelöst, das Kraftwerk wirkt als hartes technisches Implantat, in dem die Fischtreppe pulsiert und den Fischen ein wenig Ausblick auf den Barock bietet. Jetzt muss die Salzburg AG nur noch beweisen, dass sie auch die Kosten für ihren Ausflug ins Skulpturale zu tragen bereit ist. In einer Stadt, die mit der „schönen Wasserbaukunst“ schon seit dem frühen 17. Jahrhundert vertraut ist, als der Fürsterzbischof Markus Sittikus im Schlosspark von Hellbrunn die berühmten Wasserspiele anlegen ließ, sollte das kein Problem sein. Die Presse, 31.3.2007
DIE GUTEN, DIE BÖSEN UND DIE DUMMEN Projekte, Proteste und weit und breit kein Konzept: Der Augartenspitz soll bebaut werden, nur wie? Die jüngsten Pläne lassen nichts Gutes erwarten. An Unfälle solcher Art hat man sich inzwischen gewöhnt: Architektur, die aussieht, als wäre sie aus einem Zusammenprall entstanden, voller schräger Durchblicke und dramatischer Zuspitzungen. Das Projekt, mit dem die Wiener Sängerknaben sich im Augarten endlich eine eigene Spielstätte schaffen wollen, fällt in diese Kategorie. Johannes Kraus vom Atelier archipel, von dem der Entwurf für den kleinen, zur Hälfte unter die Erde abgesenkten Konzertsaal für 430 Plätze stammt, hat bei Coop Himmelb(l)au gearbeitet, unter anderem am Dresdner UFA-Palast. Dass er auch bei Hans Hollein studiert und assistiert hat, merkt man seinem Entwurf dort an, wo er die Zackigkeit mit ein wenig Zuckerguss garniert, etwa an der Eingangslösung mit dem kleinen versenkten Wasserbecken, das den äußersten Augartenspitz markiert. Für die Wiener Sängerknaben wäre dieses Projekt eine Revolution, wenn es denn tatsächlich ihren Aufbruch zu einem neuen Selbstbild jenseits des klassischen Repertoires bedeuten würde. Das scheint zwar so wahrscheinlich wie Lipizzaner, die nach einer Choreografie von Pina Bausch tanzen, aber umso mehr würde man diesem Denkmal der österreichischen Identität einen innovativen Schub wünschen. Wirklich froh kann man mit dem Projekt trotzdem nicht werden. Es zwängt sich zu sehr auf sein Eckgrundstück und hat kein angemessenes Vorfeld. Dazu kommt ein städtebauliches Problem. In Kürze wird in unmittelbarer Nähe eine Station der verlängerten U-Bahn-Linie U2 eröffnet. Das ist optimal für die Erreichbarkeit, zugleich würde sich aber an dieser Stelle ein logischer neuer Zugang in den Augarten ergeben. Eine Baumasse genau hier ist ein falsches Signal, auch wenn das Projekt einen seitlichen Zugang am Saaleingang vorbei vorsieht. Die städtebaulich
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sinnvollere Lösung liegt auf der Hand: Der Spitz bleibt frei, somit auch der Blick in den Park und auf ein gründerzeitliches Gebäude, das mit seinem Turm und schrägem Baukörperzuschnitt genau auf diese Situation reagiert. Und der Saal wird in den Augarten zurückversetzt, immer noch nahe genug zur U-Bahn, aber dann mit einem angemessenen Vorfeld und eingebettet in die Gartenlandschaft. Dass diese Lösung nicht gewählt wurde, kann man allerdings nicht den Architekten vorwerfen. Denn die Geschichte des Projekts ist eine Schleuderfahrt, die seit dem Jahr 2000 andauert und bei der schon so viele Akteure ins Lenkrad gegriffen haben, dass es schwerfällt, die Übersicht zu behalten. Im Zeitraffer: Eine von den Gartenarchitekten Maria Auböck und Janos Kárász im Jahr 2000 für den Bereich des Augartenspitzes verfasste Studie schlägt vor, anstelle der bestehenden Flächenwidmung, die hier die Errichtung eines viergeschossigen Schulbaus gestattet hätte, eine Bebauung von 30 Prozent der Fläche zuzulassen, allerdings mit einer deutlichen Beschränkung der Bauhöhe. Das ist vom historischen Bestand her durchaus legitim, befanden sich hier doch bis in die 1970er-Jahre die ehemaligen Gesindehöfe des Augartenpalais. Eine entsprechende Widmung wird 2002 im Gemeinderat beschlossen. Als voraussichtlicher Nutzer sieht sich das Filmarchiv Austria, das in den straßenseitigen Gesindetrakten untergebracht ist und einen eigenen Kinosaal und Ausstellungsflächen zu errichten plant. Sein Direktor, Ernst Kieninger, beginnt mit dem Architektenteam Fasch und Fuchs ein entsprechendes Projekt zu entwickeln. Dafür gibt es aber nach dem Regierungswechsel im Jahr 2000 kein Geld mehr vom Bund, und die Stadt Wien möchte nicht als Alleinfinanzier auftreten. Vier Jahre später tritt ein anderer Interessent auf den Plan. Die Wiener Sängerknaben haben in Peter Pühringers POK Privatstiftung einen Sponsor gefunden, der zuerst die Sanierung des Augartenpalais unterstützt und dann einen kompletten neuen Konzertsaal zu finanzieren bereit ist. Ein erstes Projekt, den Saal direkt vor dem Palais unter die Erde zu verlegen, scheitert an zu hohen Kosten. Die Idee, die bestehende Widmung am Spitz zu nutzen, ist nahe liegend. Denn der Eigentümer ist auch dort der Bund, der den Park über die Burghauptmannschaft und über das Bundesgartenamt verwaltet. Die POK beauftragt die Architekten von archipel, Vorstudien für zwei Standorte zu entwickeln, einerseits auf den Flächen der ehemaligen Gesindetrakte, andererseits am Augartenspitz. Die Gesprächsbasis mit dem Filmarchiv ist anfangs gut, beide Partner lassen von ihren Architektenteams Studien ausarbeiten, wie eine gemeinsame Realisierung ihrer Vorhaben aussehen könnte. Fasch und Fuchs erweitern im Auftrag Kieningers ihr Projekt um einen Saal für die Sängerknaben, wobei allerdings die vorgeschriebene 30-Prozent-Grenze überschritten wird. Archipel schlagen 2005 ein durchaus attraktives Landschaftsrelief mit aufgefalteten Ebenen im Garten vor, das beide Nutzungen parallel zum derzeitigen Filmarchiv unterbringt. Dass in diesen Projekten die Erwartungen der jeweils anderen Seite auf dem knappen Grundstück nicht ohne Abstriche befriedigt werden, ist nicht weiter verwunderlich und hätte eine vermittelnde Moderation gebraucht. Grund für den bald erfolgten Abbruch der gemeinsamen Projektentwicklung ist letztlich die Tatsache, dass das Filmarchiv kein Budget für einen Zubau hat und die POK nicht daran interessiert ist, zusätzlich zum Saal für die Sängerknaben eine Erweiterung des Filmarchivs zu finanzieren. Am 16. Februar 2002 findet eine Sitzung mit Vertretern des Bundes, der Stadt, des Denkmalamts und der Bundesgärten statt, bei der sich Gregor Rizzi und Brigitte Mang, die Vertreter von Denkmalamt und Bundesgärten, strikt gegen eine Verbauung im Park aussprechen und nur den Standort am Spitz akzeptieren. Auf dieser Basis verfolgt die POK das Projekt weiter. Mit der Konkretisierung des Projekts wächst auch der Unmut der Bürgerinitiativen in der Umgebung, die schon lange vergeblich ein Augartenkonzept gefordert haben, in dem Bund, Stadt und Bezirk deklarieren, wie eine verstärkte Öffnung des Augartens für die Anrainer aussehen könnte. Dem „bösen“ Investor Pühringer, der die Halle, die nach 67 Jahren ins Eigentum des Bundes übergehen wird, mit elf Millionen Euro finanziert, wird unterstellt, privatwirtschaftliche Interessen mit dem Projekt zu verfolgen. Er wolle hier einen Konzertbetrieb aufziehen und damit massiven
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zusätzlichen Verkehr in den Bezirk bringen. Die Initiative Baustopp will daher jede Verbauung des Areals verhindern. – Parallel dazu erwacht allerdings das Projekt des Filmarchivs in einer Allianz mit der Viennale und dem Stadtkino zu neuem Leben. Ernst Kieninger erhält zuerst in Gesprächen mit den Stadträten Mailath und Schicker und im Juni 2006 mit Bürgermeister Häupl Signale, dass die Stadt das Projekt unterstützt, und lässt von zwei weiteren Architektenteams, Delugan-Meissl und Oskar Leo Kaufmann, Vorschläge ausarbeiten. Den spektakulären, 25 Meter hohen Gerüstturm mit minimalem Parkverbrauch, den Kaufmann vorschlägt, wagt Kieninger der Öffentlichkeit gar nicht vorzustellen. Für das Projekt von DeluganMeissl, eine sanfte Faltung, die dem Landschaftsrelief von archipel nicht unähnlich ist, gelingt es ihm aber sogar, die Unterschriften der Bürgerinitiativen in der Umgebung zu bekommen. Womit die Situation einigermaßen verfahren scheint. Der Bürgermeister hat in der „Kronen Zeitung“ inzwischen erklärt, dass „der Platz für die Sängerknaben“ ist. Einen Plan, steuernd einzugreifen, hatte die Stadt in der Sache offenbar nie. Einen städtebaulichen Plan auch nicht, sonst hätte sie ihre Beamten, die eine Bebauung des Spitzes für eine schlechte Lösung halten, nicht aus Angst vor Bürgerprotesten daran gehindert, klar für eine ebenfalls widmungskonforme Bebauung im Park zu plädieren, statt der starren Haltung von Denkmalamt und Bundesgärten kampflos das Feld zu überlassen. Die jüngst erfolgte Erklärung der Sängerknaben, ihr Projekt mit Rücksicht auf das Denkmalamt noch einmal überarbeiten und damit verharmlosen zu lassen, lässt nichts Gutes erwarten, genauso wenig wie die angelaufene Kampagne, das „gute“ Filmarchiv gegen die „bösen“ Sängerknaben und ihren reichen Sponsor auszuspielen. Die Projektbetreiber sollten sich nicht in eine Konfrontation jagen lassen, sondern von der öffentlichen Hand, also von Bund und Stadt gemeinsam, verlangen, was schon seit Jahren deren Aufgabe wäre: die öffentliche Sache zu vertreten und sich dabei weder von der lautesten Bürgerinitiative noch von der großzügigsten privaten Spende die Verantwortung abnehmen zu lassen. Das verlangt professionelle Verfahren, auch einen nach den von der Fachwelt anerkannten Regeln durchgeführten Architekturwettbewerb, den es trotz der vielen Projekte hier bisher nicht gab. Die Gefahr, dass die Möglichkeiten, die dieser Ort für die Stadt und den Bezirk bietet, überhaupt nicht genutzt werden, ist groß. Die Dummen, das wären am Ende wir alle. Die Presse, 24.2.2007
OPERATION GELUNGEN, PATIENT TOT Das Hanuschkrankenhaus hat endlich eine Garage und einen behindertengerechten Zugang bekommen. Wie das Gebäude nun aussieht? Egal, scheint’s. Wie man einen historischen Ort ruiniert – mit dem Segen des Denkmalamts und der Wiener Stadtplanung. Der Patient war schon einigermaßen in die Jahre gekommen: Geboren 1914, als geistiges Kind zweier Otto-Wagner-Schüler, der Architekten Hermann Aichinger und Heinrich Schmid, hatte er als Truppenspital der k.u.k. Armee gedient, bevor er 1918 in zivile Dienste übertrat. Nach einem militärischen Zwischenspiel während des 2. Weltkriegs steht er seit 1945 im Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse. Aus dem Erzherzog-Rainer-Spital der Monarchie wurde das Hanuschkrankenhaus der 2. Republik. Die Anatomie dieses Gebäudes ist außergewöhnlich. Es besteht aus vier, ursprünglich nur durch Loggien verbundenen Pavillons mit jeweils eigenem Eingang. Drei Pavillons bilden eine geschwungene Fassadenflucht nach Südosten, während der vierte als mächtiger Block hinter dieser Front aufragt. Die Architektursprache des Gebäudes ist weit konservativer als jene, die die beiden jungen, zur Errichtungszeit knapp 30-jährigen Architekten bei Otto Wagner gelernt hatten. Sockelzone und Portale geben sich
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noch ganz klassizistisch, obwohl die Risalite darüber bereits eine höchst eigenwillige Formensprache entwickeln, die ursprünglich durch die dunkle Putzfarbe der Obergeschosse akzentuiert wurde. Auf dem hangabwärts angrenzenden Grundstück errichteten Aichinger und Schmid 1927 – 29 eines ihrer Hauptwerke, den Somogyihof, mit dem sie sich als eines der wichtigsten Architektenteams des „Roten Wien“ ausweisen. Die großzügige, geschickt ins Gelände gesetzte Abfolge von Wohnhöfen ist maßstäblich äußerst sensibel und wirkt trotz ihrer weitgehenden Symmetrie weniger monumental als andere Anlagen der Zeit. Mit dem Krankenhaus und dem Somogyihof stehen sich zwei herausragende Projekte derselben Architekten aus unterschiedlichen Epochen gegenüber. Dass die Hauptachse des Wohnhofs genau auf den Mittelrisalit des Krankenhauses ausgerichtet ist, versteht sich beinahe von selbst. Beide Objekte stehen unter Denkmalschutz. Der Somogyihof wurde kürzlich inklusive der Gartenanlagen minutiös restauriert. Für ein Krankenhaus ist der Denkmalschutz naturgemäß eine größere Herausforderung als für den Wohnbau. Das Hanuschkrankenhaus ist zwar kompakt und äußerst effizient organisiert. So gibt es etwa keine repräsentativen Treppenhäuser, sondern – typisch für den Nutzbau der späten Monarchie – ein rein funktionell bestimmtes Erschließungssystem. Die Anpassung an neue Anforderungen der Logistik und Behindertengerechtigkeit ist aber naturgemäß schwierig. Dazu kam das Problem der Zugänglichkeit des Krankenhausareals insgesamt. Aichinger und Schmid hatten dem Baukörper eine Art breites „Glacis“ nach Südosten vorgelagert, das über eine ansteigende Zufahrtsstraße durchquert werden musste, bevor man einen der Pavillons betreten konnte. Die Anforderungen des PKW-Verkehrs hatten die Architekten dabei nicht voraussehen können. Die Freiflächen vor dem Gebäude entwickelten sich zusehends zu einem Parkplatz fürs Personal, während in den umgebenden Straßen jener Teil der täglich insgesamt 1500 Ambulanzbesucher auf Parkplatzsuche kreiste, der unbedingt mit dem PKW anreisen wollte. Für eine Garage, die dieses Problem lösen könnte, kam aufgrund des beengten Grundstücks nur die Fläche des „Glacis“ in Frage. Und wenn man hier schon eine Tiefgarage plant, so dachte sich die Krankenhausleitung, dann sollte man sich doch gleich um einen neuen Eingang ins Gebäude kümmern, mit behindertengerechtem Zugang und einer Cafeteria für die Patienten.
Fotos: Anna Blau
Weil für die Gebietskrankenkasse die Finanzierung einer Garage aus eigenen Mitteln nicht in Frage kam, entschied man sich dafür, einem privaten Immobilienentwickler, der MID-Gruppe des Kärntner Investors Walter Moser ein Baurecht für 99 Jahre zur Errichtung einer Garage zu übertragen. Das neue Eingangsgebäude auf diesem Garagensockel steht wieder im Eigentum der Krankenkasse. Beide wurden von Walter Bachner, Hauptgesellschafter der Kordon-Roth Ziviltechniker-Ges.m.b.H. geplant. Die Garage mit 400 Stellplätzen erhielt eine Genehmigung durch die Planungsbehörden, ohne dass eine umfassende Machbarkeitsstudie oder einen Ideenwettbewerb für stadträumlich und denkmalpflegerisch verträglichere
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Alternativen verlangt worden wäre. (Dass eine Garage im Hang auch anders aussehen kann, wird etwa jeder Besucher des Landeskrankenhauses Feldkirch bestätigen können). Seit kurzem kann das Ergebnis besichtigt werden. Am glücklichsten dürfen sich Besucher schätzen, die von der Heinrich-Collin-Straße aus direkt in die Garage und mit dem Lift weiter ins Gebäude fahren. Ihnen bleibt der Anblick erspart, der sich Fußgängern bietet, die das Areal durch das alte Torgebäude betreten. Anstelle der von Bäumen gesäumten Auffahrt findet sich eine steile Treppe mit begleitendem Rampen-Zick-Zack. Wer dieses Beton- und Edelstahlgewitter – an dem die angekündigte Begrünung nicht viel verbessern wird – überwunden hat, steht vor dem neuen Eingangsgebäude, einer jämmerlich konzeptlosen Kollage von Versatzstücken aus Architekturjournalen der letzten 15 Jahre. Wo – so fragt sich der Besucher – waren hier das Denkmalamt und die Magistratsabteilung 19, im Wiener Magistrat zuständig für Architektur und Stadtgestaltung? Das Denkmalamt erklärt sich für die Veränderung des Zugangs für unzuständig: Geschützt sei die Bausubstanz und nicht das Ensemble. Daher hätte man darauf gedrängt, den Anschluss an den Altbau mit einer leichten, demontabel wirkenden Glasbrücke zu bewerkstelligen. Alles andere, Garage und Eingangspavillon, sogar der durch die Hebung des Geländes entstandene Burggraben vor dem Altbau, gehe das Denkmalamt nichts an, so die zuständige Landeskonservatorin Barbara Neubauer. Die MA 19 beruft sich auf Anfrage darauf, dass sie eh das schlimmste verhindert hätte: Die Garage hätte noch um eineinhalb Meter höher werden sollen. Die jetzige Lösung sei ein Kompromiss, da aufgrund von bestehenden Einbauten eine weitere Absenkung nicht möglich gewesen wäre. Und das Eingangsgebäude sei, so die beteiligten Beamten, ja eh ganz ordentlich geraten. Sind also am Ende gleichgültige Eigentümer und Investoren und ihre gestalterisch unfähigen Architekten schuld an diesem Desaster? Sicher zum Teil. Zerstört wurde die Qualität des Orts aber letztlich durch ein Multiorganversagen, bei dem Stadtplanung, Denkmalamt und MA 19 zwar formal korrekt, aber vorbei an ihrem eigentlichen Auftrag gehandelt haben. Die Presse, 27.1.2007
SCHAUFELN FÜR DIE BAUKULTUR Zum Thema Baukultur hat die neue Regierungserklärung nicht viel Konkretes zu bieten. Das Bekenntnis zur Förderung einer "qualitativen Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens" macht zumindest Hoffnung. Nun wird alles anders: Ein neu geschaffenes Ministerium ist zuständig für "Umwelt, Innovation und Baukultur". Ein unabhängiges "Kuratorium für Baukultur" wird als Koordinationsstelle die ganzheitliche Bewältigung der Querschnittsaufgabe Baukultur unterstützen. Und schließlich gibt es ein "Impuls-Paket für Baukultur", das mit immerhin 73 Millionen Euro pro Jahr dotiert ist und von der Innovations- und Forschungsförderung bis zu einer Bildungsoffensive und zur Förderung des Planungsexports für die rasche Umsetzung baukultureller Strategien sorgt. Ganz so, wie es sich die "Plattform für Architekturpolitik und Baukultur", eine gemeinsame Initiative von Berufsvertretungen, Bildungseinrichtungen und Architekturzentren, im Herbst 2006 vor den jüngsten Nationalratswahlen gewünscht hat, ist es bekanntlich nicht gekommen. Im aktuellen Regierungsprogramm ist Baukultur nur mit einem Satz erwähnt. Im Kapitel über "Medien, Kunst, Kultur und Sport" findet sich unter dem Stichwort "Architektur" die lapidare Aussage: "Ausgehend vom Baukulturreport wird die Bundesregierung Maßnahmen zur Verankerung qualitativer Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens
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setzen und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur forcieren." Das ist immerhin umfassend, wenn auch wenig konkret. Wer das Programm genauer liest, findet aber an unerwarteten Stellen Aussagen mit Architekturbezug: Die beabsichtigte Förderung von "Vielfalt im Wohnbau", "umweltschonendem Wohnen" und "erschwinglichen Wohnungen für junge Menschen" hat im Justizkapitel Platz gefunden; die "thermische Sanierung sämtlicher Nachkriegsbauten bis 2020" und die Ankündigung, dass ab 2015 nur noch Wohnungen gefördert würden, die dem "Klima-Aktiv-Passivhaus-Standard" entsprechen, im Kapitel "Ländlicher Raum, Energie und Umwelt"; die Umsetzung harmonisierter Bauordnungen - beschränkt auf den Bereich "barrierefreies Bauen" im Kapitel "Soziales"; und die "Optimierung der Raumplanungspolitik zwischen Gemeinden, Land und Bund" im Kapitel "Forschung, Technologie und Infrastruktur". Es bleibt also alles beim Alten: Die Querschnittsmaterie Baukultur ist - ohne als solche genannt zu werden - aufgeteilt auf eine Vielzahl von Ressorts, und wenn das Wort Baukultur explizit ins Spiel kommt, wird es reflexartig dem Kunstbereich zugeordnet. Dort hat es aber nur wenig zu suchen. Baukultur muss ähnlich verstanden werden wie die Esskultur eines Landes. Esskultur beginnt dort, wo man nicht mehr allein deshalb isst, um satt zu werden. Sie drückt sich im persönlichen Geschmack aus, in der Lieblingsspeise, aber auch im Sozialen, in der Inszenierung eines gemeinsamen Essens oder eines Fests. Esskultur ermöglicht regionale kulturelle Unterscheidungen und stärkt damit lokale Identitäten. Weiter gefasst, bezieht sie heute auch globale Fragen mit ein, etwa ob die Zutaten unter ökologisch und sozial akzeptablen Bedingungen hergestellt und fair gehandelt wurden. Eines ist dabei wichtig: Schnitzel, Sushi und Spaghetti stehen für unterschiedliche Esskulturen, über deren jeweilige Vor- und Nachteile man diskutieren kann. Eine Tiefkühlpizza in der Mikrowelle zu wärmen und beim Fernsehen zu verschlingen, ist dagegen keine andere Esskultur, sondern gar keine. Wer nur isst, um satt zu werden, hat keine Kultur. Dasselbe gilt fürs Bauen: Wer nicht mehr will als ein Dach über dem Kopf und ein warmes, sauberes Zimmer, hat keine Baukultur. Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit sind wichtig, aber wenn sie zu den zentralen, alles andere bestimmenden Faktoren werden, bleibt die kulturelle Qualität auf der Strecke. Zu Recht bedauern wir jeden, der sein Essen nur nach ihnen ausrichten muss. Beim Bauen sollte es nicht anders sein: Ohne ein Überschreiten des rein Zweckmäßigen gibt es keine Kultur. Das gilt auch für Bereiche des Bauens, die scheinbar wenig mit Baukultur zu tun haben. Eine Straße dient nicht nur dem Zweck, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Sie ist zugleich ein wichtiges Element der Kulturlandschaft und muss entsprechend sorgfältig trassiert und gestaltet werden. In der Landwirtschaft - aus deren Domäne der Begriff der "Kultur" ja ursprünglich stammt - hat man dieses Prinzip längst begriffen. Österreichs Bauern sehen ihre Leistung nicht mehr allein im Ertrag ihrer Felder, sondern auch in ihrem immateriellen Beitrag zur Pflege der Kulturlandschaft, für den sie durchaus selbstbewusst öffentliche Förderungen beanspruchen. Die Forderung der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur nach einer direkten, massiven Förderung der Baukultur war, so betrachtet, weniger überzogen, als sie auf den ersten Blick erscheint. Schon heute fließen ins Bauen enorme öffentliche Mittel, freilich ohne klare Qualitätsbindung. Im Jahr 2005 betrugen die Bruttoinvestitionen der öffentlichen Hand inklusive der immer zahlreicheren ausgegliederten Gesellschaften 5,5 Milliarden Euro, also rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts, dazu kommt die Wohnbauförderung. Die Verantwortung der öffentlichen Hand, diese Beträge nicht nur zweckdienlich, sondern auch im Sinn der Baukultur einzusetzen, ist entsprechend groß. Um sie wahrzunehmen, müsste das klassische Spiel, Wirtschaftsförderung mit gut im Wahlkampf verkaufbarer Klientelpolitik zu kombinieren, um den Faktor Baukultur erweitert werden. Dann ginge es freilich nicht mehr so sehr um Quantität, sondern vor allem um Qualität, also nicht nur darum, wie viele Altenheime, Ortsumfahrungen und Volksschulen errichtet oder saniert wurden, sondern auch um die Frage, wie gut diese konzipiert,
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entworfen und ausgeführt sind. Das ist politisch freilich riskant, weil Qualitätsdiskussionen gerne emotional und kontroversiell geführt werden. Die Absicht in der aktuellen Regierungserklärung, "qualitative Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verankern und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur zu forcieren", ist, aus dieser Perspektive betrachtet, ein wesentlicher und sogar mutiger Schritt. Es wird darauf ankommen, wie er umgesetzt wird. Der Baukulturreport, von dem laut Regierungsprogramm dabei ausgegangen werden soll, liegt seit November 2006 vor. Seine breite Veröffentlichung als Buch und im Internet hängt - so die Gerüchteküche - nur noch von Budgetfragen ab, die in den nächsten Wochen geklärt sein sollten. Die Empfehlung, die Querschnittsmaterie Baukultur besser zu koordinieren und ein Impulsprogramm zu ihrer Förderung in die Wege zu leiten, wird sich wohl auch dort finden. Damit wären die nächsten Schritte vorgegeben. Es geht vor allem um die Bereitschaft, sich der ebenso mühsamen wie spannenden Qualitätsdiskussion zu stellen und Investitionen der öffentlichen Hand so zu koordinieren, dass sie an Qualitätskriterien gebunden sind. Auf die erste gemeinsame Erklärung der Minister Schmied, Bartenstein, Pröll und Faymann zum Thema Baukultur darf man jedenfalls gespannt sein. Die Presse, 23.12.2006
WIE GUT IST GUT GEMEINT? Kann Architektur die Welt verbessern? Oder ist das neokolonialer Zynismus? Eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum versucht, Antwort zu geben. Oberflächlich betrachtet könnten die beiden Projekte kaum unterschiedlicher sein: Auf der einen Seite ein kleiner Holzbau, von Studierenden der TU Wien als Kindergarten an der äußersten Peripherie Johannesburgs errichtet. Auf der anderen Seite eine Stahlskulptur über den Dächern von Wien, im Rahmen eines Entwurfsprojekts an der Universität für angewandte Kunst als Unterkonstruktion für eine künstliche Gartenlandschaft entwickelt. Hier sollen Migranten und Asylwerber einen Rückzugs- und zugleich Überblicksort finden. Zusammen mit einem ebenfalls auf die Bedürfnisse von Migranten angelegten Parkentwurf am Gaudenzdorfer Gürtel ist der Dachgarten Teil des von Peter Sellars kuratierten New Crowned Hope Festivals anlässlich des Mozart-Jahrs.
Abbildungen: Fattinger, Holzinger
Was die Projekte vereint, ist die Überzeugung, durch Architektur zu einer besseren Welt beitragen zu können. Ein so hehres Ziel schützt in der Regel vor Kritik, und so fühlten sich viele der Beteiligten etwas vor den Kopf gestoßen, als das
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Architekturzentrum Wien kürzlich eine Ausstellung eröffnete, die zwar im Untertitel „Bauen für eine bessere Welt. 9 Projekte für Johannesburg“ heißt, unter dem kryptischen Haupttitel „Un Jardin d'Hiver präsentiert. Bottom up“ jedoch zu einer radikalen Ideologiekritik architektonischer Weltverbesserungsversuche ansetzt. In der Ausstellung geht es um die Projekte, die in den letzten Jahren unter Vermittlung von Christoph Chorherr im Rahmen von Übungen an inzwischen fünf Architekturschulen – TU Wien, TU Graz, Kunstuniversität Linz, RWTH Aachen, TU Innsbruck und der Fachhochschule Kuchl – geplant und errichtet wurden. Peter Sellars’ New Crownded Hope Projekt kommt in der Ausstellung zwar nicht direkt vor, ist aber von der Kritik uneingeschränkt betroffen. Denn im Grunde, so schreibt Kurator Johannes Porsch im Begleittext zur Ausstellung, handle es sich um ein neokolonialistisches Unternehmen, das die prekäre Situation der Betroffenen „als ‚Rohstoff’ von Kommunikation in Schauwerte verwandelt“ und so „kulturindustriell repräsentiert zirkulieren lässt“. Entsprechend bösartig interpretiert, wäre das Projekt, das Gregor Holzinger aus der Prix-Klasse für das Dach des Integrationshauses entworfen hat, nichts anderes als ein Monument des eigenen guten Willens, das angesichts der realen Asylpraxis Österreichs nur als Zynismus gewertet werden kann. So wie in dem für die Ausstellung titelgebenden Wintergarten des 19. Jahrhunderts Exotisches versammelt wurde, um „das Fremde“ für die eigene Weiterentwicklung zu vereinnahmen, würde sich – so Porsch – der Architektur- und Kunstbetrieb durch eine „rhetorische Kolonisierung in Wort und Bild“ zu erneuern versuchen. An den tatsächlichen Machtverhältnissen und Lebensbedingungen der Betroffenen ändere das nichts. In der Ausstellung sind die neun Bauprojekte folgerichtig an den Rand gedrückt, während im Zentrum der Ausstellung eine Materialsammlung über die Aneignung des Wilden und Fremden in der Architektur seit dem 19. Jahrhundert steht, die auch im Katalog abgedruckt ist. Wer bereit ist, sich durch den Jargon zu quälen, mit dem Porsch sich in der Einleitung uneingeweihte Leser vom Leib halten möchte, wird hier durchaus interessantes Material finden. Betrachtet man das Bild des Kindergartens genauer, scheint sich Porschs Verdacht zu bestätigen. Wird hier nicht jedes Klischee vom „armen Afrika“ bedient? Die beiden Schwarzen, die sich kein Auto, sondern nur einen Eselskarren leisten können. Der Müll, der Schlamm, die niedrige Hütte am Bildrand, in der bisher der Kindergarten untergebracht war, und dann endlich das Signal des Fortschritts, das die Wiener Architekturstudenten hier abgesetzt haben, zweigeschossig mit diagonalem Schwung, sauber konstruiert und in nur sechs Wochen im Selbstbau errichtet. Bei allem Respekt vor der guten Absicht: Wessen Identität wird hier wirklich gestärkt? Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Das Bild stammt aus einem hervorragend aufgemachten Buch, in dem das Kindergarten-Projekt im Detail dokumentiert und die übrigen acht Projekte kurz vorgestellt werden. Pathetische Weltverbesserungsprosa sucht man hier vergeblich. Peter Fattinger, der an der TU Wien für die Orange Farm Projekte verantwortlich ist und dort mit Studierenden bereits vier Objekte errichtet hat, beschränkt sich auf eine sachliche Darstellung des Planungs- und Bauprozesses, Franziska Orso analysiert die städtebauliche Zonierung von Johannesburg und die spezielle Situation von Orange Farm als Beispiel der Stadtentwicklung nach Aufhebung der Apartheid. Otto Kapfinger liefert schließlich in seinem Beitrag gewissermaßen eine Antwort auf Johannes Porschs Kritik. Tatsächlich gehe es in den Projekten nicht um Entwicklungshilfe, sondern um die Suche nach „fundierten Alternativen zu dem in der Publizistik wie in der universitären Pädagogik allgemein weit überschätzten und überrepräsentierten techno-narzisstischen Akademismus“. Spätestens seit Richard Buckminster Fuller die Architekten des 20. Jahrhunderts darauf aufmerksam gemacht hätte, dass sie auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben, sei das Thema vorgegeben: „To save this planet, we must learn to live more and more with less and less.“ Die Alternative zwischen dem Ingenieur als Weltbaumeister und dem „Bricoleur“ – also dem improvisierenden Bastler – sei heute überholt. Vielmehr würde die Bewältigung der ökologischen Herausforderungen eine Verschmelzung von „rationalem“ und „wildem“ Denken erfordern, eine Intelligenz, die sich durch beide Sphären konkret
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durcharbeitet und dabei „Industriewelt und Bricoleurwelt eben nicht wechselseitig missversteht oder nachahmt, sondern beides radikal – im tätigen Lernen voneinander – weiterentwickelt.“ In der Erkenntnis eines gemeinsamen Problems von so genannter „erster“ und „dritter“ Welt unterscheiden sich die aktuellen Versuche, Architektur als „soziale Kunst“ zu erneuern, grundlegend vom Exotismus des 19. Jahrhunderts, aber auch von den Tendenzen des 20. Jahrhunderts, das Wilde als „Rohstoff“ einer Zivilisationskritik zu instrumentalisieren. Welchen Überschuss an Form und Raum sich die Welt trotz aller ökologischen Herausforderung noch leisten kann, ist dabei eine zentrale Frage für die Architektur. Die dynamische Geste des Kindergartens oder den skulpturalen Überschwang des Dachgartens auf dem Integrationshaus von vornherein als Selbstverwirklichung der beteiligten Architekten oder als eitle Denkmäler guter Absichten zu denunzieren, greift zu kurz. Wenn Architektur ein Medium bleiben soll, das Menschen hilft, sich in der Welt zu orientieren, darf sie sich nicht aufs Anbieten des Existenzminimums beschränken: Das Überflüssige gehört zum Kern jeder Kultur. Über seine Verteilung zu streiten ist für den Architekturdiskurs sicher fruchtbarer als auf den Spuren Adornos in sich hineinzumurmeln, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ gibt. Die Presse, 9.11.2006
SCHÖN SCHIACH Nach Architektur sieht es nicht aus, aber was ist es dann? Das "Fluc" am Wiener Praterstern: über den fast gelungenen Versuch, ein Haus zu bauen, ohne es zu gestalten.
Abbildung: Stattmann, Fotos: Kühn Auch wenn es kaum mehr wahrnehmbar ist: Der Praterstern, einer der großen Verkehrsknotenpunkte Wiens, hatte einmal eine Form. Unter Josef II. 1786 als Sternplatz angelegt, folgte sein Grundriss einem Dreiviertelkreis, aus dessen Zentrum strahlenförmige Alleen in die Aulandschaft führten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Form ausradiert, um die Funktion des Platzes zu verbessern. Die Bahn, die bis dahin der Kreisform gefolgt war, führt seit der Umgestaltung 1956 bis 1959 in Hochlage quer über den Platz, die sternförmigen Straßen sind in einen Verteilerkreis umgelenkt. Wer dessen Kontur genauer ansieht, entdeckt in der scheinbar rein funktionellen Verkehrsführung eine formale Präferenz, nämlich für die weich abgerundeten Geometrien der 1950er-Jahre. Man darf vermuten, dass im Radio gerade "Roll over Beethoven" von Chuck Berry lief, als diese Nierentischkurve schwungvoll aufs Papier gebracht wurde. Seine ursprüngliche Konnotation als Grenze zur Wildnis ist der Praterstern nie ganz losgeworden, auch wenn die Stadt längst über diese Grenze hinausgewachsen ist. Hier haust das Unheimliche, "Entrische", dessen ausgelassenes Gesicht im Wurstelprater zum Vorschein kommt. Erst in der jüngeren Vergangenheit hat sich die
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Stadtplanung im Zuge des U-Bahn-Baus wieder des "verkommenen" Platzes angenommen: Der Gleisbrücke wird gerade ein neues Bahnhofsgebäude nach einem Entwurf von Albert Wimmer übergestülpt, und Boris Podrecca darf sich um die Platzgestaltung zur "schönen", zur Stadtseite hin kümmern, Glasbaldachin, Grünpergolen und lasierte Bodenplatten inklusive. Man kann diese Geschichte als eine Abfolge von Versuchen lesen, das Wilde, Andere in den Griff zu bekommen, zuerst mit formalen, dann mit funktionellen Mitteln und schließlich - im jüngsten Verschönerungsversuch durch Podrecca - wieder mit formalen. Zwischendurch hat dieser lange vernachlässigte Platz an der Grenze eine Szene angezogen, die auf der Suche nach Raum für ihre Kunst- und Musikprojekte war. Die Künstlergruppe [ dy'na:mo ], die sich mit Klangarchitekturen und Soundinstallationen befasst und dafür den Begriff "fluctuatedrooms" prägte, gründete 2002 das "Fluc", einen Eventraum, der sich bald zu einem Brennpunkt der neuen Wiener Musikszene entwickelte. Als das "Fluc" im Zuge des Bahnhofumbaus aus seinem Provisorium ausziehen musste, entstand die Idee, eine Straßenunterführung in Richtung Wurstelprater für die eigenen Zwecke zu adaptieren und den Architekten Klaus Stattmann mit einem Konzept dafür zu beauftragen. Stattmann ist ein Schüler des Coop-Himmelb(l)au-Gründers Wolf Prix, der zum entschiedenen Formalismus seines Meisters auf Distanz zu gehen versucht. "Performativer Materialismus" statt Form lautet die Devise, mit der er 2003 bei der Architekturbiennale in São Paulo zusammen mit "the next ENTERprise" und Wolfgang Tschapeller ausstellte. Das neue "Fluc" sollte möglichst so roh und ungestaltet aussehen wie das Vorgängerlokal. Diese formale Absichtslosigkeit musste aber schon allein aus baurechtlichen Gründen exakt geplant werden. Als Architekt gerät man hier in ein prinzipielles Dilemma: Ist eine absichtslose Ästhetik überhaupt möglich? Und gibt es am Ende einen Unterschied zur konventionellen Architektur, außer dass es sich eben um eine andere Konvention handelt, statt "schön" eben "schön schiach"? Mit ähnlichen Fragen hat sich ein Wiener Architekt befasst, den Stattmann als Referenz nennt: Hermann Czech. In einem Text über "Manierismus und Partizipation" erklärte Czech schon 1977, dass es ihm nicht um eine Ästhetik des Hässlichen gehe. Architektur müsse aber offen sein fürs Zufällige, für Störungen, für den Einbruch des Fremden ins eigene Projekt. Diese Haltung fordert einerseits die Bescheidenheit zuzugeben, dass Architektur unsere Umwelt- und Lebensprobleme "nicht lösen wird, so wenig wie Musik unsere Lärmprobleme löst". Und andererseits den Mut, trotzdem formale Entscheidungen zu treffen, die das Zufällige und Irreguläre enthalten. Der Manierismus - im Wortsinn die Auflösung eines Stils durch die persönliche Handschrift eines Künstlers - wird bei Czech zu einer Methode, sich den Zugang zur Wirklichkeit nicht durch Stile und Konventionen zu verstellen und auch dem Benutzer Raum für Interpretationen zu lassen. Architektur müsse robust genug sein, um sich anzulehnen, ansonsten aber im Hintergrund bleiben und nur sprechen, wenn sie gefragt wird. In diesem Sinn kann man das neue "Fluc" als fast geglückt bezeichnen. Es besteht aus Stahlcontainern, die teilweise modifiziert sind, um einen stützenfreien größeren Raum zu ergeben. Ein schräger Gitterträger überspannt den Wurzelbereich des angrenzenden Baumes, der besonders zu schützen war, und trägt zusätzlich einen Schanigarten über der Treppe, die hinunter in die Passage führt. Die Passage selbst bleibt unter der Straße unverändert. Am anderen Ausgang wurden allerdings einige Tonnen Beton herausgeschnitten, um über der Bühne einen überhöhten Aufbau mit großem Fenster zum Riesenrad zu schaffen, und der frühere Ausgang wurde in eine Tribüne mit Sitzstufen verwandelt. Im Vergleich zu den Computervisualisierungen, mit denen die Stadt überzeugt werden konnte, das "Fluc" de facto zum Auftakt des Wurstelpraters zu machen, ist die Realität weder schick noch dynamisch, was zu so viel Unmut bei der zuständigen Vizebürgermeisterin, Grete Laska, führte, dass die Containeransammlung mit einem Eins-zu-eins-Modell eines roten Riesenradwaggons garniert werden musste. Das fügt sich allerdings gut zu den blauen Sperrholzaufbauten, mit denen Stattmann selbst sein Projekt überzogen und damit die unabhängigen Teile, aus denen es besteht, ohne
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Grund wieder in ein Ganzes zusammengebunden hat. Könnten diese Formen - die aus einem früheren Projekt von Stattmann, einer "Riffstruktur" für den Donaukanal, abgeleitet sind - sprechen, hätten sie wohl nicht mehr zu sagen als: Wir sind himmelb(l)au. Ganz ohne Stil scheint der "Performative Materialismus" halt doch nicht auszukommen. Die Presse, 1.10.2006
KEIN GERUCH NACH GUMMI Eine Mischung aus Autohaus und Museum, KFZ-Werkstätte und Entertainmentcenter: Das Salzburgr Autohaus Pappas leistet sich eine neue Konzernzentrale. Kaufhausmusik, das ist unter Komponisten ein Schimpfwort, mit dem verkaufsfördernder Hintergrundklang ohne künstlerischen Wert abqualifiziert wird. Analog dazu sollte auch Architektur, die primär dem Verkauf dient, keinen allzu hohen Status genießen. Hier ist die Sachlage aber etwas komplizierter. Die Inszenierung von Konsumerlebnissen ist in den letzten Jahren zu einer immer wichtigeren und unter Architekten zugleich hoch angesehenen und begehrten Bauaufgabe geworden. Luxusmarken wie Prada lassen ihre Flagshipstores bei Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron arbeiten. Coop Himmeb(l)au planen für BMW ein Gebäude, das funktional zwar nicht mehr als ein theatralisch aufgezwirbeltes Auslieferungslager ist, formal aber genauso gut ein Kunstmuseum sein könnte. Ben van Berkel durfte kürzlich in Stuttgart für die Konkurrenz sogar ein echtes Museum errichten, das als das schönste Schaufenster im ganzen Daimler-Chrysler-Konzern gelten darf.
Eine ernst zu nehmende Architekturgeschichte des späten 20. Jahrhunderts wird solchen Bauaufgaben deutlich mehr Raum geben müssen als etwa dem Sakralbau, sofern sie zu Letzterem überhaupt noch nennenswerte Beispiele findet. Sich von Abgrenzungen frei zu machen, wie sie Nikolaus Pevsner im Jahr 1976 formuliert hat ("Ein Fahrradschuppen ist ein Gebäude, die Kathedrale von Lincoln ist ein Stück Architektur"), empfiehlt sich für Architekturhistoriker also schon aus Selbsterhaltungstrieb. Pevsners Verdikt war damals selbst Reaktion auf eine funktionalistische Moderne, die die Gleichheit aller Bauaufgaben vor den Gesetzen der Baukunst postuliert hatte. Auch hier könnte man auf Seiten des Historikers Selbsterhaltungstrieb vermuten: Wenn Kirchen wie Fahrradschuppen aussehen, gibt es für den Historiker nicht mehr viel zu tun, außer vielleicht die eine oder andere Verwechslung aufzuspüren. Charles Jencks hat das in seinem epochemachenden Buch über die "Sprache der postmodernen Architektur" anhand von Mies van der Rohe vorexerziert, dessen Kapellen aussehen wie Heizhäuser und vice versa. Mit dem umgekehrten Problem, dass Auto- und Modehäuser heute aussehen wie Kathedralen und Museen, kann die Disziplin jedenfalls besser leben. Die Verwechslungen sind zwar nach wie vor das eigentlich Interessante. Zusätzlich gibt es aber auch für eine Architekturgeschichte, die sich primär als Formengeschichte versteht, wieder reichlich Stoff.
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Dass ein Auto- oder Modehaus mit großen formalen Ambitionen geplant wird, ist heute also keine Besonderheit mehr. Spannender ist die Frage, wie weit ein solches Projekt zu einem künstlerischen Eigenwert findet. Bei den Extrembeispielen der architektonischen Kaufhausmusik ist das Teil der Aufgabe. Sie werden dafür von Gucci und Prada mit märchenhaften Budgets und Freiheiten ausgestattet, um Eingang in die Architekturgeschichte zu finden und damit die Marke zu stärken. Das wirkt bis zu einem gewissen Grad ansteckend und hebt in vielen Branchen die Nachfrage nach Architektur, wobei die Ansprüche an Repräsentation und Effekt freilich um einiges schneller wachsen als die Budgets und die Freiheiten. Die neue Konzernzentrale der Pappas-Gruppe am Salzburger Flughafen ist ein bemerkenswertes Beispiel für diesen Trend. Das durchaus konservative "Familienunternehmen mit 2000 Beschäftigten" hat sich hier ein Gebäude geleistet, in dem unterschiedliche Funktionen auf insgesamt 36.000 Quadratmeter Nutzfläche übereinander gestapelt sind. Auf der untersten Ebene befindet sich eine KFZWerkstätte, darüber eine Verkaufszone für die verschiedenen Marken des DaimlerChrysler-Konzerns. Über diesem breit gelagerten Baukörper liegt ein schmälerer, zweigeschossiger Verwaltungstrakt. Wie immer, wenn bei einem Verkaufsgebäude mehrere Geschoße übereinander liegen, stellte sich auch hier die Aufgabe, die Kunden nach oben zu locken. Erschwerend war in diesem Fall die erforderliche Geschoßhöhe der KFZ-Werkstätte, die bis zur Verkaufsebene einen Höhensprung von sechs Metern zu überwinden vorgab. Der Entwurf für das Gebäude stammt von KadaWittfeldArchitektur, dem Aachener Büro, das Klaus Kada, langjähriger Professor an der Technischen Hochschule Aachen, zusammen mit Gerd Wittfeld betreibt. 2001 hatten sie einen Wettbewerb gewonnen, den Pappas für ein anderes Grundstück ausgeschrieben hatte. Zwei Jahre später folgte der Auftrag, für ein leicht reduziertes Raumprogramm auf dem neuen Grundstück ein Projekt zu entwickeln. Dessen Grundidee besteht darin, die Straße aufs Verkaufsniveau hinauf- und rund um das Gebäude herumzuführen. Damit diese Zufahrt nicht zu banal und vor allem - als offener Schauraum - auch von den umgebenden Straßen aus gut einsehbar ist, neigt sie sich in einer leichten Schleuderbewegung nach außen und dann nach unten, bevor sie artig in die Horizontale übergeht. Dass Kada, dessen Affinität zu schnellen Autos legendär ist, Spaß an dieser Idee hatte, darf angenommen werden. Interessenten flanieren außen auf dieser Rampe und können über mehrere, den verschiedenen Marken des Konzerns zugeordnete Eingänge die Verkaufshalle betreten, die mit dem Servicefoyer auf der unteren Ebene über Rolltreppen verbunden ist. Die Halle wird von einem ausladenden Dach überspannt, das im mittleren Bereich verglast ist. Die Raumhöhe erlaubt einen zweigeschossigen Bereich, in dem Büros untergebracht sind, die sich über Glaswände zum Servicefoyer öffnen und auch von dort belichtet werden. In den Verkaufsraum eingebaut ist ein aufwendiger Cafébereich, der nicht von KadaWittfeld, sondern von einem Schauraumspezialisten geplant wurde und den großzügigen Raumeindruck mit seinem halbhohen, dunkel furnierten Wall nicht gerade bereichert. Eine Erklärung brauchen auch die diagonalen Elemente, die wie Flügel zwischen die Fahrebene der Rampe und die Dachkante gespannt sind. Ursprünglich als Teil des Tragwerks geplant, um das Dach zu stützen, haben sie in der ausgeführten Version keine statische Funktion mehr. Dekor sind sie trotzdem nicht: Ihre raumbildende Wirkung ist wesentlich, um die Aufmerksamkeit der Besucher nach innen zu lenken und dem Baukörper nach außen jene Mehrdeutigkeit zu geben, die ihn erst interessant macht. Und wie ist das jetzt mit dem künstlerischen Eigenwert, der den Rahmen der Bauaufgabe sprengt? Vielleicht wäre ein bisschen weniger Glanz näher bei der Kunst gewesen, ein bisschen mehr Gummigeruch, asphaltierte Ruppigkeit und verzinktes Blech statt Edelstahl. Vielleicht führt der Weg zur Baukunst ja überhaupt in die andere Richtung und beginnt dort, wo ein Autohaus als Autohaus geplant wird und nicht als Mischung aus Museum und Entertainmentcenter.
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Die Presse, 5.8.2006
HIER TANZT DER BETON Technisch komplex, formal ambitioniert: ein Schwimmbecken als schwebende Betonskulptur. Das Freibad im Südtiroler Kaltern - von den Wiener Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs. Die kleine Gemeinde Kaltern in Südtirol ist bekannt für guten Wein und landschaftliche Schönheit. Wer vom Norden über den Brenner hierher kommt, spürt, dass er die Alpen hinter sich hat und dass es endlich nach Süden zu riechen beginnt. Die Berge, weniger beherrschend als im Norden, aber immer noch imposant, bilden den Hintergrund einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft, die ihre Qualität jahrhundertlanger liebevoller Pflege verdankt. Der Kalterer See, nach dem die bekannteste Weinsorte der Region benannt ist, liegt ein wenig außerhalb des Gemeindezentrums inmitten von sanften Hängen, auf denen Weinstöcke und Obstbäume wachsen.
Am schönsten Badestrand des kleinen Sees - er lässt sich zu Fuß leicht in zwei Stunden umrunden - hat die Gemeinde als Erweiterung des bestehenden Lidos ein neues Freibad errichtet, mit Sport- und Kinderbecken, einer Bar und einer Tribüne für Veranstaltungen. Ursprünglich hätte hier ein Hallenbad entstehen sollen, für das im Jahr 2002 ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, aus dem die Wiener Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs - die zusammen unter dem Namen "the next ENTERprise" firmieren - als Sieger hervorgingen. Ein wenig hatte die Gemeinde bei diesem Projekt ins Schweizerische Vals geschielt, das sein internationales Renommee und seine touristische Attraktivität durch die von Peter Zumthor geplante Therme beträchtlich steigern konnte. Aus dieser Perspektive war die Wahl des Entwurfs von next ENTERprise eine kluge Entscheidung. Das Projekt war so außergewöhnlich, dass es bereits 2003 in Graz in der an Spektakulärem nicht gerade armen, von Zaha Hadid und Patrik Schumacher kuratierten Ausstellung über "Latente Utopien" auffiel. Während die Mehrzahl der Beispiele dort eher nebulos als Vorahnungen neuer Technologien und einer neuen Formensprache der Architektur posierten, zeigten next ENTERprise eine reifes Projekt, das technisch komplex, formal ambitioniert und vor allem konkret war. Auch bei der Architekturbiennale in Venedig 2004 konnte man einem Modell des Projekts begegnen, das sich inzwischen allerdings vom Hallenbad zum Freibad verwandelt hatte. Verantwortlich dafür waren lokalpolitische Auseinandersetzungen, die in dem Kompromiss geendet hatten, das Projekt nur in reduzierter Form zu verwirklichen. Das Grundkonzept des Entwurfs blieb trotz dieser Reduktion erhalten. Um das Grundstück möglichst wenig zu verbauen, ist das Bad auf mehreren Ebenen organisiert. Auf Seeniveau liegen die Umkleidekabinen und kleine, in der tragenden Konstruktion verborgene Räume mit Wasserspielen und Erlebnisbecken. Darüber liegt das "Sonnendeck", eine weit ausladende Plattform mit den großen
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Schwimmbecken, auf der ein leichter, transparent wirkender Holzkiosk Bar und Shop aufnimmt. Der freie Blick auf den See bleibt damit von der Seepromenade fast vollständig erhalten. So einfach dieses Konzept klingt, hat es doch eine Konsequenz, aus der next ENTERprise die Qualität ihres Entwurfs entwickelt haben. Da die Oberkante der Schwimmbecken rund fünf Meter über dem Boden liegt und dieser eigentlich nicht bebaut werden soll, stellt sich die Frage, wie man das Wasser in Schwebe halten kann, ohne den Raum darunter mit einer Stützkonstruktion zu verstellen. Die Architekten haben das gelöst, indem sie diese Konstruktion in eine Betonskulptur verwandelt haben, die nur an wenigen Stellen aus dem Boden herauswächst, das Gewicht des Wassers aber mit weit ausladenden Gesten auffängt. Besonders beeindruckend sind die Räume unter den Schwimmbecken mit ihren präzise gefalteten Decken. Zwei verglaste, kreisrunde Öffnungen im Boden des Sportbeckens erlauben einen Blick auf die Schwimmer und bringen zusätzliches Licht nach unten. Weitere Verbindungen zur Oberwelt öffnen sich aus den kleinen Räumen, in denen der Whirlpool und ein "Regenraum" mit Wasserspielen untergebracht sind. Sie verengen sich trichterförmig nach oben und durchdringen die Wasseroberfläche, wo sie wie Inseln aus dem Wasser aufragen. Mit Edelstahl verkleidet, wirken sie wie kleine Modelle der Bergspitzen in der Umgebung. Beton derart zum Tanzen bringen, wie es hier mit der Beckenkonstruktion vorgeführt wird, ist konstruktiv keine geringe Leistung. Das statische Konzept für das Tragwerk stammt vom Wiener Büro der Ingenieure Bollinger und Grohmann, die Tragwerksplanung von Bergmeister und Partnern aus Vahrn. Die Herstellung von Stahlbeton für Formen dieser Komplexität gleicht dem Gießen einer Skulptur, bei dem genau geplant werden muss, wie beim Einbringen des Betons die Luft aus den spitzen Winkeln der Gussform entweichen kann und welche Betonmischung für welchen Abschnitt die richtige ist. Die Ingenieure haben das Anliegen der Architekten, das Erscheinungsbild eines homogenen Gusskörpers zu erzeugen, bis ins Detail mitgetragen. Die Schalung ist perfekt, die Kanten scharf, und kein Spannanker hat Spuren des Herstellungsprozesses in der Oberfläche hinterlassen. Die Betonkörper enthalten Hohlräume, in denen die aufwendige Technik für die Versorgung der Becken untergebracht werden konnte. Von solchen Anstrengungen merken die Besucher nichts. Sie genießen den Blick vom Sonnendeck, finden es praktisch, dass Bar und Shop nicht nur vom Bad, sondern auch von der Promenade aus benutzt werden können, und wenn sie nach Betriebsschluss vorbeiflanieren, wird ihnen vielleicht auffallen, mit wie viel Raffinesse die Architekten das leidige Thema der Abzäunung des Areals gelöst haben. Einige Elemente müssen noch Patina ansetzen, etwa die breiten hölzernen Handläufe der Reling auf dem Sonnendeck, die zu den Betonflächen passen werden, sobald sie ihre Farbe von gelb auf grau gewechselt haben. Und manches wird man vielleicht noch verbessern, etwa die Garderobekästchen, die nicht ganz an die einzigartige Atmosphäre des Raums herankommen, in dem sie aufgestellt sind. Sicherlich hätte man das alles auch viel einfacher haben können, wie unzählige Freibäder beweisen, die aus nichts anderem bestehen als aus einem im Boden eingelassenen Becken und einer Baracke für die Umkleidekabinen. Aber es hängt wohl mit dem liebevollen Umgang mit der Landschaft zusammen, mit der über Jahrhunderte gewachsenen Kultivierung des Raums, dass man sich hier nicht mit einer solchen Lösung zufrieden geben wollte. Das Freibad ist in Kaltern nicht das einzige Beispiel dafür, dass diese Kultivierung nicht in der guten alten Zeit abgeschlossen wurde. Schräg gegenüber findet sich das grandiose Seehotel Ambach von Othmar Barth aus dem Jahr 1973, und in den letzten Jahren hat sich Kaltern mit dem Manincor-Weingut von Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday, dem Weinhaus Punkt von Hermann Czech und dem Weincenter der Kellerei Kaltern von feld72 zu einer ersten Adresse für Architekturinteressierte entwickelt.
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Die Presse, 9.7.2006
ALLE AUF EINEN BLICK Hier das T-Center in Wien, ein Raumgedicht, übersetzt in die harte Prosa des Büroalltags. Dort ein Bürogebäude im Tiroler Stans, mit einem Innenraum, der einer Landschaft gleicht. Was sie gemeinsam haben: Sie teilen sich den Staatspreis für Architektur. Unterschiedlicher könnten die bei den Projekte kaum sein, die sich heuer den Staatspreis für Architektur teilen: Das T-Center in Wien St. Marx, Sitz der Großunternehmen T-Mobile und T-Systems, geplant vom Architektenteam Domenig/Eisenköck/Peyker, und das Verwaltungsgebäude des Reiseveranstalters Travel Europe in der kleinen Tiroler Gemeinde Stans, geplant von den Vorarlberger Architekten Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf. Auf der einen Seite eines der größten Bürogebäude Österreichs mit einer Länge von über 250 Metern und einer Nutzfläche von rund 120.000 Quadratmetern, eine monumentale Skulptur, die eine Höhe von 60 Metern erreicht. Auf der anderen Seite ein eingeschossiges, ruhiges Gebäude für 120 Mitarbeiter, das auf schlanken Stahlstützen ganz selbstverständlich über dem Gelände zu schweben scheint. Das T-Center muss an dieser Stelle nicht lange vorgestellt werden: Es ist das Produkt einer höchst individuellen Architektursprache, eine Übertragung von Günther Domenigs Steinhaus vom Ossiacher See nach Simmering, vom empfindsamen Raumgedicht in die harte Prosa des Büroalltags. Die Ausnüchterung hat dieser Sprache durchaus nicht geschadet. Was an Poesie verloren geht, macht das Projekt durch Dimension und Dramatik mehr als wett. Sicher: Es gibt gemütlichere Bürohäuser, in denen sich besser Sonntagsreden darüber halten lassen, dass der Mensch im Mittelpunkt stünde. Hier ist es das System. Menschen sind in dieser Umgebung auf der Durchreise, vielleicht in die Chefetage, vielleicht zum nächsten Job. Den Architekten ist es geglückt, diesen Bedingungen nicht mit einem neutralen, im besten Fall adrett eingekleideten Hochhaus zu begegnen, sondern mit einem einzigartigen Baukörper, einigen der stärksten Innenräume Wiens und mit einer trotz aller Monumentalität sensiblen Anbindung ans lokale Umfeld mit seinen denkmalgeschützten Markthallen. Ganz andere Bedingungen haben das Gebäude von Travel Europe in Stans geformt. Es symbolisiert einen Wendepunkt in der Geschichte eines mittelständischen Unternehmens. Noch unter dem Namen "Tirol Hotels" hatte Travel Europe vor 20 Jahren mit der Vermittlung von Reisen nach Tirol begonnen. Innerhalb weniger Jahre gelang es den Firmeneignern, den Brüdern Anton und Helmut Gschwendtner, die Aktivitäten des Unternehmens auf ganz Österreich und in der Folge auch auf die Nachbarländer, allen voran Tschechien und Ungarn, auszudehnen. Inzwischen bietet Travel Europe Reisepakete in ganz Mittel- und Osteuropa sowie in Südosteuropa an und verfügt außer der Zentrale in Stans über acht weitere Büros in verschiedenen europäischen Ländern. Die neue Firmenzentrale sollte diesen Aufbruch auch räumlich vermitteln, nicht zuletzt an die Mitarbeiter. Deren Geschäftspartner - zum überwiegenden Teil andere Reiseveranstalter, denen Travel Europe komplette Pakete von Fernreisen zum Weiterverkauf anbietet - sind in europäischen Großstädten angesiedelt. Um mit diesen Kunden auf einer Augenhöhe verhandeln zu können, sollte die Atmosphäre der neuen Firmenzentrale den neuesten Bürostandards in Paris oder Hamburg entsprechen, eingebettet allerdings in eine Erholungslandschaft, von der man in der Großstadt nur träumen kann. Die Brüder Gschwendtner entschieden sich für einen Architekturwettbewerb mit einer kleinen Zahl von geladenen Büros. Bei der Auswahl der Büros und der Fachpreisrichter in der Jury ließen sie sich vom Architekten Andreas Orgler beraten, besichtigten aber auch selbst Referenzprojekte, unter anderem das Gebäude der "Montfort Werbung" in Klaus in Vorarlberg von Oskar Leo Kaufmann. Im Wettbewerb, zu dem sechs Architekten geladen waren, setzte sich Kaufmann mit einem Entwurf durch, der die Ideen dieses Referenzprojekts weiterführt. Alle
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Büroräume liegen auf einer Ebene, darunter ein offenes Parkgeschoß für die PKWs der Mitarbeiter, darüber ein Dachgarten als Erholungszone. Der annähernd quadratische Grundriss von rund 50 mal 40 Metern ist von drei Lichthöfen durchbrochen,
Foto: Adolf Bereuter
Was auf den ersten Blick wie ein neutraler Großraum aussieht, ist in Wirklichkeit eine fein abgestufte, aber dennoch flexibel nutzbare Raumfolge. Das Dach folgt mit einem leichten Knick dem Gefälle des Hangs, wodurch sich im Inneren größere Raumhöhen im Eingangsbereich und eine zusätzliche Belichtungsmöglichkeit durch ein Lichtband ergeben. Weil auch die Niveaus im Inneren leicht differenziert sind, kommt nirgendwo das Gefühl auf, in einer einfachen Glaskiste zu sitzen. Der Raum gleicht eher einer Landschaft, ein Eindruck, der durch die Innenwände und Fassaden aus Glas verstärkt wird. "Wenn ich morgens das Büro betrete", berichtet ein Mitarbeiter, "sehe ich sofort die ganze Firma, alle Kollegen auf einen Blick." Die Glaswände schließen wenige Einzel- und viele Gruppenbüros ab und bieten dazwischen noch genug Freiräume für informelle Besprechungen. Kaufmann und Rüf, 1969 beziehungsweise 1968 geboren, haben mit diesem Projekt nicht zuletzt ihre Meisterschaft als Konstrukteure unter Beweis gestellt. Nach seinem Studium an der Technischen Universität Wien ist Kaufmann mit innovativen, präfabrizierten Holzbauten bekannt geworden. Seine jüngeren Projekte sind nicht mehr auf ein Material fixiert und haben auch die strengen Raster der konventionellen Vorfertigung elegant hinter sich gelassen. Im Travel-Europe-Gebäude finden sich mehrere präzise getaktete Achsmaße. Konstruktiv handelt es sich um eine Mischung aus einem Stahlbau mit einer neuartigen Betondecke, in die große Kunststoffbälle als verlorene Schalung eingelegt sind, um die Konstruktion leichter zu machen und die Wärmedämmung zu erhöhen. Man darf gespannt sein, ob es Kaufmann und Rüf bei ihrem ersten Wiener Projekt, einem "Boarding House" für die Lenikus Bauträger Ges.m.b.H. in prominenter Lage am Hohen Markt, für das sie 2005 den Wettbewerb gewannen, gelingen wird, dieses Niveau zu halten. Sicher hätte in Stans auch ein weniger anspruchsvolles Gebäude ausgereicht, um Büroraum für Travel Europe zu schaffen. In einer Branche, deren wichtigstes Kapital kompetente und motivierte Mitarbeiter sind, dürften die vergleichsweise geringen Mehrkosten aber gut angelegt sein. In diesem Gebäude signalisiert jedes Detail, dass die Menschen, die hier arbeiten, ihr Bestes geben, um ganz vorne mitzuspielen. Weniger kann man sich im globalen Wettbewerb wahrscheinlich gar nicht mehr leisten.
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Die Presse, 11.6.2006
EIN KULT BRAUCHT SEINE TEMPEL Ein Grundriss in Form eines Wankelmotorkolbens, handgeglätteter Stahlbeton, Geometrien, die nur noch der Computer fasst. Schöne neue Welt des Automobils: das Mercedes-Museum bei Stuttgart. In den knapp über 100 Jahren seit seiner Erfindung hat sich das Automobil von einer rollenden Maschine zum Gegenstand einer fast kultischen Verehrung entwickelt. Henry Ford hatte von seinem "Model T", dem ersten am Fließband hergestellten Auto, noch gesagt, man könne es in jeder beliebigen Farbe haben, solange die Farbe schwarz sei. Ende der 1920er-Jahre übernahm ein neuer Berufsstand, der Industriedesigner, die Gestaltung in seine Hände. Automobile wurden bunter und verspielter, bekamen aerodynamische Heckflossen und mächtige Kühlergrills und hatten sich spätestens in den 1950er-Jahren zum schönen Gesicht des industriellen Kapitalismus entwickelt. Diese Rolle wurde mit der Ölkrise und dem steigenden Umweltbewusstsein nach 1974 etwas zwiespältig, und die Hersteller setzen seither alles daran, das Automobil als ein Objekt sui generis zu positionieren, eine Synthese aus maschineller Kraft, elektronischer Steuerung und avanciertem Design. Die Ansage der Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass die rohe Kraft eines aufheulenden Rennwagens schöner sei als die Nike von Samothrake, wurde von den Automobildesignern in einem Ausmaß sublimiert, von dem Architekten nur träumen können. In der Kotflügelgestaltung eines neuen Sportwagens steckt mehr Entwurfsaufwand als in einem durchschnittlichen Einfamilienhaus. In der Mythenbildung rund ums Automobil spielt Architektur neben der konventionellen Werbung eine eigene Rolle. Ein Kult braucht seine Tempel, und so dürfen wir heuer in Deutschland die Einweihung von gleich zwei einschlägigen Kultstätten erleben, der BMW-Welt in München nach Plänen von Coop Himmelb(l)au und dem Mercedes-Museum in Stuttgart von "UN studio", dem Atelier von Ben van Berkel und Caroline Bos. Im Rennen um die Fertigstellung hatte Mercedes die Nase vorn: Seit 20. Mai ist das Museum in unmittelbarer Nähe des Stammwerks Untertürkheim eröffnet und darf im ersten Jahr mit rund einer Million Besuchern rechnen. "UN studio" haben ein vertikales Museum entworfen, das als kompakter Turm eine starke Signalwirkung aufweist. Das Museum basiert auf einigen, für sich genommen, einfachen Ideen, deren Überlagerung aber zu einem räumlich und technisch äußerst komplexen Bauwerk führt. Das Grundkonzept des Entwurfs besteht darin, zwei Straßen übereinander zu legen und diesen Doppelpack spiralförmig um ein zentrales Atrium nach oben zu führen. Eine der beiden Straßen ist seitlich nach außen geöffnet und daher hell und extravertiert, die andere ist nach außen geschlossen, aber zum Atrium hin geöffnet und daher dunkler und introvertiert. Auf der hellen Straße wird die Sammlung in einer thematischen Ordnung präsentiert, die dunklere Straße gliedert sich Mythenbereiche, die chronologisch organisiert sind. Zwischen den beiden Straßen, die als Rampen übereinander laufen, ohne sich je zu kreuzen, bieten seitlich angesetzte Treppen die Möglichkeit, vom Sammlungs- in den Mythenbereich und zurück zu wechseln.
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Fotos: Kühn
So weit das Prinzip. "UN studio" haben aber erkannt, dass eine durchgehende Rampe, wie man sie etwa im Guggenheim-Museum in New York von Frank Lloyd Wright findet, zwar eindrucksvoll ist, die Präsentation der Exponate aber eher eintönig macht. Daher haben sie die Idee der kontinuierlichen Rampen modifiziert und die Ausstellungsbereiche als großteils ebene Flächen angelegt, die nur seitlich von einer Rampe begleitet werden. Im Grundriss ergibt das die Figur eines dreiblättrigen Kleeblatts oder - hier vielleicht nahe liegender - eines Wankelmotorkolbens. Überlagert man diese Figur mit der Idee, die Rampen zur Seite hin abwechselnd zu öffnen und zu schließen, ergeben sich Geometrien, die nur noch mit Hilfe der leistungsfähigsten Computer-Aided-Design-Systeme zu bewältigen sind. Für ein Automobilmuseum ist das durchaus passend, sind doch diese Systeme für den Automobilbau zur Beherrschung seiner gekurvten Geometrien entwickelt worden. Was wir bei einem Auto als plastische Form längst gewohnt sind, ist in der Architektur aber eine enorme Herausforderung an die Bautechnik und an die Vorstellungskraft. Eindrucksvoll sind vor allem die an der Fassade liegenden, zweigeschosssig verglasten Verbindungsräume zwischen der Sammlungs- und der Mythosrampe. Die mehrfach gekrümmten Oberflächen aus Stahlbeton mussten hier teilweise von Hand geglättet werden, um kontinuierliche Übergänge zu erhalten, und die schrägen Säulen sind in Stahlmäntel gegossen, die auf der Baustelle individuell auf den Millimeter genau justiert werden konnten. Es ist kein Zufall, dass sich unter den Credits für das Gebäude neben der Tragwerksplanung von Werner Sobek und der Ausstellungsgestaltung von HG Merz als gleichwertige Kategorie die Erstellung des parametrisierten Geometriemodells findet, für die Arnold Walz verantwortlich war. Solche parametrisierten Modelle definieren eine Geometrie nicht mit fest eingestellten Koordinaten, sondern ermöglichen über Parameter eine schrittweise Entwicklung auch derart komplexer Entwürfe. Was erlebt der Besucher nun in diesem Museum? Zuerst einmal eine Enttäuschung. Das Atrium ist zwar hoch, aber wenig attraktiv, vor allem weil es in 40 Meter Höhe von einem Lüftungseinbau und weißen Sonnensegeln abgeschlossen wird, die den Blick versperren. Drei Lifte, die eher hilflos den Raumkapseln alter Science-FictionFilme nachempfunden scheinen, bringen die Besucher auf die oberste Etage. Aber dort beginnt die Seligkeit, zumindest für alle, die im Auto mehr sehen als ein Transportmittel: Die ältesten, die schönsten, die schnellsten Automobile, ein Mythos jagt den anderen, und dazwischen kann sich das Auge in den Kollektionsräumen ein wenig ernüchtern. Dass es hier ausschließlich um das Auto als Objekt geht und weder um das Prinzip Mobilität noch um das Gesamtsystem Verkehr, sollte nicht
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verwundern. Schließlich ist man nicht in der Zentrale von Greenpeace. Wer über eine verstaute Autobahn hierher angereist ist, wird sich sowieso fragen, ob das Automobil nicht überhaupt im Museum am besten aufgehoben wäre. Trotzdem: "UN studio" und ihre Partner haben mit diesem Projekt die Grenzen des technisch und architektonisch Möglichen hinausgeschoben. Allein das lohnt einen Besuch. Die Presse, 22.4.2006
ELF TONNEN HEIßE LUFT Architektur als Skulptur, Marketing als Malerei und Geldverdienen als Kunst. Eine Ausstellung im Museum Moderner Kunst verwischt die Grenzen zwischen den Disziplinen. Im Mittelpunkt: eine Bronzeskulptur, die Museum werden will. Plamen Dejanoff, 1970 in Sofia geboren, ist ein Meister der schwerelosen Kunst. Seine bekannteste, zusammen mit Swetlana Heger entwickelte Arbeit stammt aus dem Jahr 1999: Die beiden Künstler vereinbarten mit dem BMW-Konzern, alle Flächen, die sie im Zeitraum eines Jahres in Ausstellungen und Katalogen zur Verfügung haben würden, an BMW zu vermieten, um im Gegenzug einen fabrikneuen Z3-Roadster zu erhalten. Im Kunstverein München, wo ihr Ausstellungsbeitrag präsentiert werden sollte, wurde von BMW ein Präsentationsstand mit allen für solche Zwecke üblichen Werbemedien eingerichtet. Wie erhofft, kam es zu einem moderaten, aber doch imageträchtigen Skandal: Der Direktor der Kunsthalle ließ den Stand zuerst entfernen, dann nach Protesten wieder aufstellen, ergänzt um eine Tafel, in der sich die Kunsthalle vom Ausstellungsobjekt distanzierte. Der Z3 wechselte den Besitzer und wurde, durch die Aktion mit einer besonderen Aura geadelt, schließlich von einem Museum als Kunstwerk angekauft. Was die Kunstszene in diesem Fall aufschreckte, war nicht die Implantierung von alltäglichen Objekten in einen musealen Kontext - die hat Marcel Duchamp schon vor bald 100 Jahren vorexerziert -, sondern der ostentative Kurzschluss zwischen den Praktiken der Kunstwelt und der Warenwelt. In den 1990er-Jahren waren die Grenzen zwischen diesen Welten in zweierlei Hinsicht fließend geworden: einerseits durch den vermehrten Einfluss des Sponsorings auf den Kunstbetrieb, andererseits durch die Tatsache, dass sich Waren immer weniger durch ihren Gebrauchswert und immer mehr durch ihren symbolischen Wert zu definieren begannen. Zwischen den Marken Nike und Picasso besteht aus dieser Perspektive kein Unterschied: Der eigentliche Wert liegt nicht in objektiven Qualitäten, sondern im Branding, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Turnschuh handelt oder um ein Ölbild. In seiner aktuellen Ausstellung im Wiener Mumok spielt Plamen Dejanoff mit beachtlichem Einfallsreichtum auf der Klaviatur dieses Themas. Da finden sich Keramikfiguren in Form von M&M-Männchen in unterschiedlichen Variationen, auf deren Rücken unübersehbar der Schriftzug "Dejanoff" prangt. Ein Highlight der Ausstellung ist ein schwarzer Porsche Cayenne, geparkt vor einer Sammlung kleiner Glasautomobile, die Dejanoff in Kleinserie herstellen ließ und hier in einer Anzahl aufgebaut hat, deren Marktwert abzüglich der Herstellungskosten genau dem Wert des Cayenne entspricht. Vor dem Porsche, der Dejanoff nach der Ausstellung überlassen wird, baumelt an langen Elektrokabeln eine Wiese aus beleuchteten Holzblumen von der Decke, die das ganze Ensemble samt Keramikfiguren auch als idyllisches Wunschterzett von Auto, Eigenheim und Gartenzwergen lesbar machen. Wenn Dejanoff die Geschichten zu seinen Objekten erzählt, bleibt offen, wie viel davon Realität und wie viel frei erfunden ist. Der Witz der Inszenierung besteht im diskursiven Abwägen des künstlerischen Gewichts heißer Luft. Das eigentliche Zentrum der Ausstellung bildet allerdings ein Objekt von beachtlichem Eigengewicht, ein Käfig aus Bronzegittern mit fünf Türöffnungen, insgesamt elf Tonnen schwer. Das Objekt ist ein erster Teil eines kleinen Museums, das Dejanoff in Bulgarien als Dependance des Mumok errichten lassen will. Der Standort dafür liegt in der Altstadt von Veliko Tarnovo, vom 12. bis zum 14. Jahrhundert Hauptstadt Bulgariens und nach Konstantinopel die zweitwichtigste
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Stadt des Balkans, bis sie schließlich 1393 von den Osmanen zerstört wurde. Le Corbusier skizzierte die Stadt auf seiner Reise in den Orient.
Abbildungen: Fondation Le Corbusier, MUMOK
Dejanoff tritt in Veliko Tarnovo in der Rolle eines Künstlers als Sammler auf, der das sammelt, was üblicherweise ihn in einen Rahmen stellt, nämlich Kunstinstitutionen. Im historischen Kern der Stadt hat Dejanoff einige Häuser geerbt und weitere erworben, die als Dependancen von Kunstakademien, Galerien und Museen dienen sollen. Für die Sanierung und Neugestaltung konnte eine Reihe von jüngeren Architekten gewonnen werden, Kühn/Malvezzi und Grüntuch/Ernst aus Berlin, Gruppo A12 aus Mailand und Cocktail aus Lyon. Als Pilotprojekt für eine Dependance des Mumok ist ein erstes Projekt von Gerold Wiederin entstanden, dessen Pläne auch in der Ausstellung zu sehen sind. Nach Bedenken des bulgarischen Denkmalamts, das eine Anknüpfung an lokale Bautraditionen verlangte, ohne diese genauer zu spezifizieren, suchte Dejanoff in Kooperation mit den Wiener Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass eine eigene Annäherung an diese Tradition. Hubmann und Vass sind für Sondereinsätze im historischen Kontext einschlägig qualifiziert: Nach der 1997 realisierten neuen Zugangslösung für die Alhambra in Granada (zusammen mit Peter Nigst) haben sie 2002 den Wettbewerb für eine ähnlich komplexe Aufgabe für das Schloss Rivoli in Turin gewonnen, mit deren Umsetzung heuer begonnen wird. Mit ihrem Projekt für Veliko Tarnovo haben Dejanoff, Hubmann und Vass dem Denkmalamt kein Gebäude geliefert, sondern einen selbsttragenden Baukasten aus einem traditionellen Material (Bronze) in einer traditionellen Form (angelehnt an Ornamente, die in der lokalen Architektur bei Wandvertäfelungen zu finden sind). In welcher Art dieses Gitter letztlich zum Einsatz kommen wird, ob als tragende Struktur oder doch als vorgesetzte Hülle, ist noch offen. Mit seinen elf Tonnen hat es jedenfalls eine Präsenz, die sich nicht so leicht wegdiskutieren lässt. Edelbert Köb, als Direktor des Mumok auf der Suche nach Sponsoren für das Projekt, ist optimistisch, auf dieser Grundlage die 150.000 Euro, die für die nächste Bauetappe nötig sind, bald auftreiben zu können. Einen Bilbao-Effekt wird das Projekt um diesen Betrag wohl kaum auslösen. Dass es einen positiven Beitrag zur kulturellen Entwicklung der Region leisten kann, steht aber außer Frage. Ob Plamen Dejanoffs Marktwert von einer so gut gemeinten, langfristig angelegten Investition profitieren kann, ist fraglich. Als autonomes Kunstwerk wäre die Bronzestruktur jedenfalls ein Mehrfaches dessen wert, was sie als Bauteil kostet. Aber vielleicht spekuliert Dejanoff ja darauf, dass das Guggenheim eines Tages das ganze Projekt wieder als eigenständiges Kunstwerk ankauft.
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Die Presse, 11.3.2006
RINGSTRASSE IST ÜBERALL Der Plan für das Areal des Flugfelds Aspern: Klassischer Stadtraum oder offene Partitur? Psychogramme der Wiener Stadtplanung, 1992 bis 2006.
Abbildungen: Lainer, Tovatt/Erskine
Flugfeld Aspern: Begann dort nicht vor einigen Jahren die Zukunft des Wiener Städtebaus? 1995 stellte die Stadt ein Leitprojekt für die Entwicklung dieses rund 200 Hektar großen Areals im Nordosten Wiens vor, die Weiterentwicklung eines Entwurfs von Rüdiger Lainer aus dem Jahr 1992: Ausgehend von den Diagonalen der stillgelegten Landebahnen des Flugfeldes, glich das Leitbild einem bunten Schnittmusterbogen mit geheimnisvollen Linien, durchsetzt von bunt markierten Punkten für besondere öffentliche Nutzungen. Der Plan war durchzogen von Grünflächen und einem Verkehrssystem mit Hybridgaragen, in denen Parken mit anderen Nutzungen kombiniert werden sollte. „Die Form“, schrieb Rüdiger Lainer damals zur Warnung an alle, die sich zu sehr in die Buntheit dieses Bildes verlieben könnten, „ist nur Erläuterung. Die Stadt ist bestimmt durch den gesellschaftlichen Gebrauch. Das Projekt entwickelt daher eine Methode zur Steuerung eines offenen Systems.“ Beim bunten Bild handle es sich um eine Partitur für das große Orchester der Stadtentwicklung, in dem Investoren, Bürger, Landschafts- und Verkehrsplaner, Architekten, Politiker und viele andere zusammenspielen müssten. Dirigenten braucht dieses Orchester auch, und 1992, in der Ära des Planungsstadtrats Hannes Swoboda, konnte man sich in Wien noch vorstellen, dass die Stadtplanung diese Aufgabe übernehmen würde. Vor wenigen Wochen stellte die Stadt einen neuen Plan für das Areal vor. Wenn Stadtpläne Psychogramme einer Gesellschaft sind, dann zeigt der Vergleich der beiden Pläne eine tief greifende Veränderung. Während das Projekt des Jahres 1992 beinahe in die Welt zu explodieren scheint, ist der aktuelle Plan auf sich selbst bezogen: ein See in der Mitte, eine Ringstraße mit Allee rundherum, dazwischen Blockrandbebauung mit eingestreuten Plätzen. Die U-Bahn-Linie fährt außen um das Areal und bietet zwei Stationen in Randlage, womit zwar nach Meinung der Jury „das Erschließungspotenzial dieses Verkehrsmittels nicht optimal genützt, der entstehende städtebauliche Ansatz jedoch als interessant beurteilt“ wird. Immerhin gibt diese Lösung Anlass für eine Bahnhofstraße, die in die Mitte des Stadtteils führt, ganz nach dem vertrauten Muster des 19. Jahrhunderts. Das Projekt stammt vom schwedischen Büro Tovatt Architects and Planners, zum Zeitpunkt der Ausschreibung 2004 noch ein Gemeinschaftsbüro mit dem im
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vergangenen Jahr 91-jährig verstorbenen Ralph Erskine, Mitglied des legendären „Team 10“ und einer der klügeren Kritiker selbstgefällig gewordener Modernisten und Postmodernisten. Dass dieses Büro sich die Wiener Ringstraße zum Vorbild genommen hat, ist kaum anzunehmen. Man fühlt sich eher an aktuelle Stadtentwürfe europäischer Büros für China erinnert, und vielleicht mussten die Tovatt-Architekten ja wirklich nur ein Projekt für Jiangsu oder Jilin auf 50 Prozent skalieren und über die Asperner Ebene kippen. Die Assoziation zur Ringstraße wird das Projekt trotzdem nicht so leicht loswerden, mit allem, was daran hängt: Denn immerhin verläuft die Ringstraße auf der Spur der Bastionen, mit denen sich Wien gegen äußere Feinde verteidigt hat. Als Symbol für Zukunftsorientierung und entschiedenen Blick über den Tellerrand, zum Beispiel ins nahe Pressburg, ist diese Figur jedenfalls nicht zu gebrauchen. Noch vor zehn Jahren hätte dieses Projekt nicht den Funken einer Chance in einem österreichischen städtebaulichen Wettbewerb gehabt. Heute wird es einstimmig zum besten Projekt erklärt, von einer Jury, zu der unter dem Vorsitz des renommierten Stadtplaners Carl Fingerhuth nicht nur der aktuelle Planungsstadtrat Rudi Schicker und sein Planungsdirektor Arnold Klotz gehörten, sondern auch Rüdiger Lainer. Alternativen hätte es gegeben, das Projekt von Heiner Hierzegger etwa oder jenes von Max Rieder, das auf den Ideen des Leitprojekts aus dem Jahr 1992 aufbaut. Dass Max Rieder, der persönlich gerne als personifizierter Genieblitz auftritt, chancenlos ist, wo Sicherheit statt Utopie gefordert wird – oder, zugespitzt gesagt: alle die Hosen voll haben vor der Zukunft –, verwundert nicht. Sein Projekt hat jedoch die Qualitäten, die ich mir von einem Entwicklungsplan an diesem Ort wünsche: Es stellt die Landschaftsplanung an den Anfang, definiert Grünzonen, die an die Erholungsgebiete in der Umgebung anschließen, und dichte Bebauungsfelder, die im Lauf der nächsten 20 Jahre ihre eigene Charakteristik entwickeln können. Eine große Figur gibt es nicht, dafür den Partiturcharakter, der offen ist für zukünftige Entwicklungen. Aber Achtung, höre ich da meine Kollegin Karin Tschavgova rufen. Die bunten Schnittmusterbögen mögen ja der Architekturschickeria und dem Feuilleton gefallen, aber was ist mit den Bürgern? Warum sollen wir ihnen nicht die Straßen geben, die sie gewohnt sind? Den Stadtpark, wie sie ihn kennen und lieben, von mir aus mit Johann-Strauß-Denkmal. Warum sollen wir Verwaltung und Bauträger quälen, unsere schwülen Utopien von einer besseren Welt umzusetzen, wo alles doch viel einfacher geht? Sicher: Darüber sollte man diskutieren, interdisziplinär, offen, mit Bürgern und Experten. Mein Standpunkt dazu ist klar: Ein System, das nichts mehr riskiert und nur noch auf scheinbar Bewährtes zurückgreift, gefährdet seine Zukunft. Es vertreibt seine Innovatoren und verspielt Chancen, weil es blind wird für neue Entwicklungen, sich in den alten Strukturen aber oft nicht mehr zu Hause fühlt. Ein Besuch auf dem Wiener Leberberg, einem Stadtentwicklungsgebiet der 1990er-Jahre, das exakt dieselben stadträumlichen Prinzipien verfolgt, wie sie jetzt für Aspern vorgeschlagen sind, hätte die Jury nachdenklich stimmen müssen: So grausig kann traditioneller Stadtraum sein, wenn man mit ihm nicht mehr umgehen kann. Eine öffentliche Diskussion zu diesen prinzipiellen Fragen hat die Stadt Wien in diesem Fall mit der Wahl des Verfahrens vermieden. Statt einen Wettbewerb auszuschreiben, bei dem es ausschließlich um das beste Projekt geht und bei dem auch gemeinsame Diskussionen mit den beteiligten Teams erlaubt sind, wählte sie den Weg des Verhandlungsverfahrens. Hier sind Bieterkontakte verboten, und das Urteil über das Projekt mischt sich mit allen finanziellen Fragen der Leistungserbringung, die bei einem Wettbewerb erst nachgeschaltet sind. Für Carl Fingerhuth wäre bei einem Projekt dieser Dimension – immerhin geht es um 25.000
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Arbeitsplätze und 8500 Wohnungen – überhaupt ein längerer Prozess mit Workshops und Fachdiskussionen sinnvoll. (So etwas gab es in Wien bereits: Der Wettbewerb des Jahres 1992 wurde vom damaligen, international und interdisziplinär besetzten Fachbeirat für die Stadtentwicklung unter der Leitung von Ottokar Uhl begleitet.) Dass beim aktuellen Verfahren eine Entschädigung von 10.000 Euro pro geladenem Büro für ausreichend erachtet wurde, ist ein Indiz dafür, dass sich der Auftraggeber de facto nicht viel mehr erwartete als ein hübsches Bild. Aber vielleicht wird die Diskussion am Flugfeld Aspern ja doch noch weitergeführt. Nach Aussage von Carl Fingerhuth ist die Ringstraße dort „das Unwichtigste“. Großartig: Dann weg damit. Und die Lage der U-Bahn lässt sich „ohne Reduktion der städtebaulichen Qualität“ korrigieren. Bestens: Legen wir sie quer durch. Dann wäre nur noch ein dem Ort angemessenes landschaftsplanerisches Konzept zu entwickeln. Und wenn wir schließlich die Akteure der Wiener Stadtplanung austauschen, könnte aus dem Flugfeld Aspern tatsächlich noch was werden. Die Presse, 14.1.2006
IM ZEICHEN DES PIXELS Eine Serie von Ausstellungen und Workshops in neun europäischen Ländern. Ins Leben gerufen von einer Gruppe österreichi-scher Architekten. Derzeit zu Gast in Zagreb. Der bunte Strichcode, von Rem Koolhaas und seiner Denkfabrik OMA als visuelles Symbol für die europäische Union entwickelt, beginnt sich im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft ins allgemeine Bewusstsein einzuprägen. Es ist das erste Mal, dass dieses Logo im offiziellen Kontext Verwendung findet. Dass die österreichischen Nationalfarben anlassgemäß ein klein wenig aus der Reihe hervorragen, ist unerheblich. Alle sind gleich wichtig, will das Logo suggerieren, und werden in ihrer Vielfältigkeit respektiert. Die Form des Strichcodes weist allerdings auch dezent darauf hin, dass die EU primär als ökonomische Union wahrgenommen wird und nach der Meinung vieler Bewohner auch bleiben soll. Eine Gruppe junger österreichischer Architektinnen und Architekten hat sich vor vier Jahren aufgemacht, die europäische Architekturlandschaft auf eine Art zu erforschen, die diesem Bild entspricht: Europa als kulturell vielfältiges Gebilde, das von der ökonomischen Sphäre wenn schon nicht dominiert, dann zumindest determiniert wird. Die Initiatoren lassen eine Ausstellung durch europäische Länder reisen, die von Land zu Land im Schneeballsystem wächst. Jedesmal kommen elf junge Büros dazu, die ihre Arbeiten auf kleinen Ausstellungstafeln von 40 mal 40 Zentimetern präsentieren dürfen. Die Tafeln sind auf Stäben befestigt und lassen sich damit leicht an unterschiedliche Situationen anpassen. Da ihre Anzahl gleich bleibt, ist dieses System nicht sonderlich gerecht: Am Ende, wenn 99 Teilnehmer aus neun Ländern ihre Arbeiten bei der Schlussausstellung zeigen werden, stehen jedem Büro nur noch je vier Tafeln zur Verfügung. Kompensiert wird diese Reduktion dadurch, dass sich der Schwerpunkt des Projekts immer mehr von der Ausstellung in Richtung Workshops und Publikationen verlagert. Wonderland geht auf eine Initiative der jungen Kärntner Architektengruppe Spado zurück, hinter der Helmut Rainer, Harald Weber und Hannes Schienegger stehen. Im Jahr 2002 wurden Spado von einem ihrer Auftraggeber, Fundermax, für den sie die expressive Fassade des Funderwerks in St.Veit/Glan entworfen hatten, eingeladen, ihre Projekte in einer Ausstellung zu präsentieren. Spado nahmen die Einladung zum Anlass, ihrerseits weitere zehn Büros zu kontaktieren und eine gemeinsame Ausstellung vorzuschlagen. Das Team mit dem bezeichnenden Namen "Share", das aus Silvia Forlati, Thomas Lettner und Hannes Bürger besteht, gewann einen internen Wettbewerb für das Ausstellungskonzept mit der Idee der Pixel und erfand den Titel "Wonderland", über dessen tiefere Bedeutung man nur spekulieren kann. Ist es das Ziel junger Architekten, die Welt zum Staunen zu bringen? Oder fühlen sie sich vielleicht oft so verwirrt wie Alice im Wunderland, wenn sie die Universität verlassen und sich mit
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ei-ner Praxis konfrontiert sehen, die in hinterhältiger Weise zugleich pragmatisch und irrational sein kann?
Fotos: Wonderland Die Ausstellung wurde dreimal erfolgreich in Österreich gezeigt und nach gründlicher Überabreitung mit Unterstützung der Kunstsektion des Bundeskanzleramts auf eine Europareise geschickt, die in Pressburg und Prag begann. Als weitere Stationen folgten Berlin, Amsterdam, Paris und Venedig. Derzeit gastiert die Ausstellung in Zagreb, reist dann nach Laibach weiter, wo sie am 10. März eröffnet wird, und kehrt im Juni 2006 nach Österreich zurück. Die Idee, sich für weitere Büros zu öffnen, behielten die Organisatoren bei und baten Kontaktteams in diesen Ländern, weitere Büros für die Ausstellung zu gewinnen. Die Teamauswahl beruht auf persönlichen Beziehungen, die oft bei postgradualen Studien, etwa am Rotterdamer Berlage-Institut, geknüpft wurden. Die intellektuellen und formalen Wurzeln der Büros sind daher durchaus verwandt, treffen aber auf völlig unterschiedliche lokale Produktionsbedingungen. Die Länder des ehemaligen Ostblocks erlebten einen Bauboom, in dem sich auch Nachwuchsbüros rasch etablieren konnten. Junge slowenische Architekten konnten oft noch vor Abschluss des Studiums erste Projekte realisieren. Ganz anders die Situation in Deutschland, wo die neuen Länder zwar eine enorme Bautätigkeit entfalteten, die aber von etablierten Büros aus dem Westen dominiert wurde und inzwischen dramatisch zurückgegangen ist. Junge deutsche Büros müssen sich heute ihre Arbeit oft in Grenzbereichen zur bildenden Kunst selbst schaffen, wenn sie eigenständig überleben wollen. Eine drastische Veränderung der Zukunftsperspektive ist auch in den Niederlanden zu beobachten, dem Architekturwunderland der 1990erJahre, wo der Verdrängungswettbewerb unter den Büros nach Wegfall der massiven staatlichen Förderung, die nicht zuletzt die jungen stärken sollte, als besonders brutal empfunden wird. Vor diesem Hintergrund entstand unter den Initiatoren von Wonderland die Idee, den Schwerpunkt von der Ausstellung auf den Erfahrungsaustausch zwischen Büros einer bestimmten Generation und damit ähnlicher Entwicklungsstufe zu verlegen. Aufbauend auf einer EU-Förderung im Rahmen des "European Architectural Network Development", gelang es, Workshops zur Ausstellung inklusive der Reisekosten für die teilnehmenden Teams zu finanzieren und die Aktivitäten auf einer Website (www.wonderland.cx) zu dokumentieren. Gestaltet ist die Website von "nan architects", einer Gruppe, deren Portfolio typisch ist für die WonderlandGeneration und vom Webdesign bis zur Landschaftsgestaltung reicht. Dass hinter solchen spartenübergreifenden Aktivitäten keine Einzelpersonen stehen können, sondern Gruppen, versteht sich von selbst: Durchschnittlich hat ein WonderlandTeam 2,75 Chefs - mit allen Problemen, die sich in Marketing und Organisation daraus ergeben. Von den 99 Teams firmieren 76 unter mehr oder weniger fantasievollen Markennamen. Nur 23 tragen den Namen der Architekten, einige bleiben aber auch so originell, wie etwa der Italiener Francesco Matucci, der sich als Ein-Mann-Büro mit Standorten in Kopenhagen, Florenz und Madrid deklariert. Von
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ihm stammt auch die Anregung, Wonderland als virtuelles Großbüro zu organisieren und damit in China auf Auftragssuche zu gehen. Für Roland Gruber von "noncon:form", gemeinsam mit Elisabeth Leitner für die Organisation der "Wonderland Europa tour" verantwortlich, ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Die nächste Stufe im Konzept ist die von Silvia Forlati und Anne Isopp für künftige Architekturhistoriker: Letztere ist Mitglied der Gruppe "morgenbau" betreute Herausgabe einer Zeitschrift, die als Beilage zu Hans Ibelings Europäischem Architekturmagazin "A10" zweimal im Jahr erscheinen wird und sich speziell mit den Problemen junger Büros in Europa befasst. Die Ausstellung gastiert Anfang Juni noch einmal in Wien, parallel zur Tagung des Europäischen Forums für Architekturpolitik und zur Eröffnung der "Österreichischen Architekturtage" am 8. Juni. Auf dem Programm für hartgesottene Architekturfreaks: 99 Kurzvorträge der Wonderland-Architekten. Die Presse,. 30.12.2005
DAS HAUS DES JAHRES Keine Highlights, dafür business as usual in der Stadtentwicklung. Wien, Schwarzenbergplatz 5: wie private Interessen auf öffentlichem Grund die Stadt gestalten. Ohne städtebauliche Studie, ohne Projektwett-bewerb, mit sattem Gewinn.
Abbildung: Kohlbauer
Überstanden. Das "Architektur jahr 2005", auf Initiative von Planungsstadtrat Rudi Schicker ausgerufen, um Wien zur "Architekturmetropole" zu entwickeln, ist vorbei. An Worten hat es nicht gefehlt: ein Architektursymposion "Architektur für die Stadt", die Unesco-Konferenz "Welterbe und zeitgenössische Architektur", der Stadtdialog mit seinen Diskussionsrunden. Architekturrundfahrten führten gratis an wichtigen Bauten vorbei, und zur Förderung der jungen Wiener Architekturschaffenden wurde das Ausstellungsprojekt "Young Viennese Architects - YO.V.A." gestartet. Eine Zeitschrift mit dem originellen Namen "Capacity" wurde vierteljährlich als Beilage zu großen Tageszeitungen verbreitet. Ein Höhepunkt des "Architekturjahres" war die "Wiener Architekturdeklaration", mit der die Haltung der Stadt zu Architektur und Stadtplanung akzentuiert werden soll: "Es ist das politische Anliegen der Stadt Wien, durch die Weiterentwicklung der Instrumente die Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele sicherzustellen, für breite und hohe Architekturqualität zu sorgen und zugleich den Spielraum für innovative Architektur offen zu halten," heißt es hier. Investorenarchitektur müsse das Potenzial des jeweiligen Ortes nutzen, dabei räumliche Qualitäten schaffen und zu einer langfristig tragfähigen Entwicklung beitragen. Zentrales Instrument zur Sicherung von Qualität und Transparenz im Planen und Bauen sei der Architekturwettbewerb, der sich nicht auf den Bereich der öffentlichen Hand beschränken solle: "Zusätzlich sind auch private Bauträger zu entsprechenden Verfahren zu motivieren."
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Mit konkreten Umsetzungen war das Jahr 2005 nicht gesegnet. Die Architekturdatenbank nextroom weist für 2004 in Wien 47 rezensierte Bauwerke aus, für 2005 nur 23. Auch bei den Highlights des Jahres tut man sich schwer: 2004 war mit dem T-Center von Domenig/archconsult ein herausragender Kandidat vorhanden. Heuer muss man sich an Projekte halten, etwa an Jean Nouvels Entwurf für ein Hotel am Donaukanal. Oder man verzichtet darauf, nicht das spektakulärste Projekt zum Haus des Jahres zu erklären, sondern sucht eines, das charakteristisch ist für die Art, wie in Wien allen Architekturdeklarationen zum Trotz nach wie vor Stadtentwicklung betrieben wird. Für den Schwarzenbergplatz 5 wurde kürzlich das Projekt für ein neues Büro- und Wohngebäude an der Stelle des sogenannten "Steyr-Hauses" vorgestellt. Die Vertreter der Stadt zeigten sich beglückt darüber, dass Wien wieder um ein "Stück spannende Architektur reicher" werde. Gerüchte über das Projekt kursierten bereits länger. Der planende Architekt, Sepp Frank, hätte dem Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung bereits vor mehreren Jahren eine Studie vorgelegt, in der die Baulinie um zehn Meter in den Platz vorrückt. Der Fachbeirat und die für Stadtgestaltung zuständige Magistratsabteilung 19 sahen die Symmetrie des Platzes nicht gestört, womit einer Änderung des Flächenwidmungsplans nichts im Weg stand. Als Frank aber heuer seinen konkreten Entwurf für die Fassade vorlegte - eine einfallslose Glashaut mit diagonal versetzten Ziergliedern -, hätte der Fachbeirat diesen als unpassend abgelehnt. Der Investor war bereit, für die Fassade noch Entwürfe von Manfred Wehdorn und Martin Kohlbauer einzuholen, die vom Fachbeirat begutachtet wurden. Kohlbauers Entwurf, eine routinierte, zwischen Modernismus und klassischer Tektonik eingependelte Gliederung, wird ab kommendem Jahr zur Ausführung gelangen. Weit bemerkenswerter als diese Fassade ist die Geschichte des Grundstücks. 1938 wurden die Parzelle und das dort befindliche Wohnhaus "arisiert" und ins Eigentum der NSDAP übergeführt. Das Haus wurde im Krieg zerstört, das Grundstück ging 1945 in den Besitz der Republik über. 1947 - die Adresse lautete inzwischen Stalinplatz 2 - wurde es an die früheren Besitzer restituiert und von diesen 1954 um zwei Millionen Schilling an die Steyr-Daimler-Puch AG, also an ein Unternehmen der verstaatlichten Industrie, verkauft. Jenseits dieser Möglichkeit, die Kriegsruine zum Marktpreis zu verkaufen, scheint es keine weitere Kompensation an die Vorbesitzer gegeben zu haben. Die Steyr-Daimler-Puch AG gründete eine gemeinnützige Wohnbaugesellschaft, die 1958 auf dem Grundstück ein Wohnhaus für Mitarbeiter nach den Plänen des Architekten Karl Kupsky errichtete. Die Grünfläche vor dem Haus, annähernd symmetrisch zu jener vor der französischen Botschaft, wurde an die Stadt übertragen und in eine Nebenfahrbahn umgewandelt. Das alte Steyr-Haus galt zu Recht als das hässlichste Gebäude am Schwarzenbergplatz. Umbauten, die dem Haus seine zeittypisch abgeschrägten Stützen im Erdgeschoß raubten und seine Fassade schließlich in einen Mantel aus Fertigteilen hüllten, folgten. Den Wert der Immobilie hatte die Steyr-Daimler-Puch AG aber längst erkannt: Spätestens seit Rudolf Streicher, zuvor SPÖ-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten und später ÖIAG-Chef, 1992 Generaldirektor des Unternehmens wurde, gab es Überlegungen, an diesem Standort ein neues Gebäude, im Idealfall ein Hochhaus, zu errichten. Derartige Überlegungen scheiterten jedoch am Widerstand des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung. Aber auch so bot das Grundstück noch genug Potenzial für das, was Projektentwickler "Fantasie" nennen. Sie war vor allem in jener ehemaligen Grünfläche zu finden, die 1958 an die Stadt übertragen worden war. Konnte man die Stadt davon überzeugen, diesen Grund zurück zu übertragen und mit einer Baulandwidmung auszustatten, ließe sich die Nutzfläche des Projekts beachtlich vergrößern. Wieso der Fachbeirat für Stadtgestaltung in der Vorrückung der Baulinie in den Platz um zehn Meter keine Beeinträchtigung der Symmetrie erkennen konnte, wird ein Geheimnis bleiben: Die Sitzungsprotokolle des Beirats werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Die Magistratsabteilung MA 19 dürfte überhaupt einer Autosuggestion erlegen sein. Sie gibt bis heute die Auskunft, dass durch die neue Bebauung die "frühere Symmetrie" des Platzes wiederhergestellt werde. Mit
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dem Studium der Stadtkarte dürfte man sich dort nicht lange aufgehalten haben: Wiederhergestellt wurde das Eigentum an den Grundstücken, aber keineswegs die Platzkontur. Eine entsprechende Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans erfolgte im Wiener Gemeinderat am 1. März 2002. Unmittelbar davor, im Februar 2002, war das alte Steyr-Haus in den Besitz der Investorengruppe um Rudolf Streicher übergegangen. Der Grundstücksteil mit Nebenfahrbahn und Grünfläche befand sich zu diesem Zeitpunkt als öffentlicher Grund allerdings noch im Besitz der Stadt. Ein Anspruch auf automatische Rückübertragung war bereits 1988, 30 Jahre nach der Abtretung, erloschen. Damit kommt die Abteilung für Liegenschaftsbewertung der Magistratsabteilung 69 ins Spiel, die in Wien nicht der Stadtplanung, sondern dem Ressort "Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung" des Stadtrats Werner Faymann untersteht. Sie muss einen "ortsüblichen Marktpreis" bestimmen, zu dem der Grund verkauft wird. Angesichts der erzielbaren Nutzfläche schätzen Immobilienexperten den Wert des Grundstücks auf 3,2 bis 4,8 Millionen Euro. Tatsächlich wechselte es aufgrund eines Amtsgutachtens der MA 69 im Dezember 2002 jedoch um knapp unter 1,2 Millionen Euro den Besitzer. Im Februar 2004 wurde das Projekt schließlich an den Investor Breiteneder verkauft. Für die Projektentwickler ein voller Erfolg: Bei der Vorstellung des Projekts konnte der planende Architekt, Sepp Frank, stolz berichten, dass die Nutzfläche von 6000 Quadratmetern im alten Steyr-Haus auf 10.000 Quadratmeter, also um 66 Prozent, gesteigert werden konnte. Für die Wiener eine Niederlage: Abgesehen von den Widmungsgewinnen, die weit überproportional von Privaten lukriert wurden, gab es weder eine unabhängige städtebauliche Studie noch einen Projektwettbewerb, es sei denn, man wollte die Wahl zwischen Fassaden der Marken Frank, Wehdorn und Kohlbauer als solchen gelten lassen. Das Muster, das bei diesem Projekt erkennbar wird, findet sich bei vielen großen Wiener Stadtentwicklungsprojekten der letzten Jahre. Beim Millenniumstower stand hinter Georg Stumpf Franz Vranitzky, bei Monte-Laa der ehemalige Vizebürgermeister Hans Mayr als Aufsichtsratsvorsitzender der PORR, am Wienerberg Friedrich Kadrnoska, einer der Vorstände der Bank Austria, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von Wienerberger. Alle Projekte widersprechen den Stadtentwicklungsplänen oder haben sich - wie der Millenniumstower - über Widmung und Baulinien so lange hinweggesetzt, bis das Ergebnis durch neue Bebauungspläne legalisiert wurde. Die Stadtplanung war in keinem Fall stark genug, sich dem politischen Druck zu widersetzen. Als Nebeneffekt dieser Entwicklung sind besser geeignete, dem Stadtentwicklungsplan entsprechende Areale wie das Nordbahnhofgelände und die Aspanggründe bis heute unbebaut. Eine "Wiener Architekturdeklaration" allein wird an dieser Situation nichts ändern. Aber vielleicht legt die Stadt das "Architekturjahr 2006" ja anders an, sachlicher und selbstkritischer, wirklich transparent und ohne Tabuzonen. Hoffen wird man ja noch dürfen. Die Presse, 17.12.2005
QUICKNESS STATT SPEED Selbstverständliches braucht oft länger, als man glaubt. Aus Anlass der 50Jahr-Feier des Staatsvertrags bekam das Wiener Parlament einen neuen Eingang. Dort, wo er hingehört. Ein Himmelfahrtskommando, bravourös bewältigt. In seinen "Memos für das kommende Jahrtausend" hat Italo Calvino vor 20 Jahren drei Leitbegriffe für die Kunst des 21. Jahrhunderts formuliert: Leichtigkeit, Schnelligkeit und Exaktheit. Zwei dieser Begriffe, Leichtigkeit und Exaktheit, hatten in der Architektur der Moderne immer schon einen guten Ruf. Für den dritten, die Schnelligkeit, gilt das nicht. Er klingt in der Architektur nach der
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erstbesten Lösung, im schlimmsten Fall nach Pfusch. Schnelligkeit ist allerdings ein vieldeutiger Begriff. Calvino spricht im englischen Original - die Memos waren als Vorlesung an einer amerikanischen Universität konzipiert - nicht von "Speed", sondern von "Quickness". Nicht die Steigerung der Reisegeschwindigkeit sei das Merkmal für die Kunst des 21. Jahrhunderts, sondern ein hohes Reaktionsvermögen, um blitzschnell die scheinbar unmöglichsten Wendungen auszuführen und plötzliche Widerstände kreativ zu verwerteten. An der Geschichte, wie das Wiener Parlament zu seinem neuen Eingang kam, hätte Calvino jedenfalls seine reinste Freude. Sie beginnt mit einem Bauschaden: Der Pallas-Athene-Brunnen, das Wahrzeichen des Parlaments zur Ringstraßenseite, war schon seit Jahren undicht und hatte die Fundamente der beiden symmetrisch hinaufführenden Rampen so weit durchfeuchtet, dass deren Generalsanierung notwendig wurde. Zugleich sollte die Lüftungsanlage für das Parlament, die in den Gewölben unter der Rampe und dem Säulenportikus untergebracht war, erneuert werden. Der Portikus hatte zur Errichtungszeit des Parlaments, als man hier mit Pferdewagen vorfuhr, noch als Haupteingang gedient. Für den Winter gab es einen zweiten, so genannten Schlechtwettereingang, eine Durchfahrt auf Straßenniveau unter dem Portikus, die es den Fahrgästen erlaubte, im Gebäudeinneren auszusteigen und über ein Vestibül und zwei nach oben führende Treppen in die Eingangshalle zu gelangen. Diese Eingänge waren aber schon seit langem so gut wie stillgelegt. Parlamentarier benutzten Seiteneingänge ins Parlament, die zumindest halboffiziell bestimmten Parteien zugeordnet waren. Die Rampensanierung bot die Möglichkeit, den alten Schlechtwettereingang zu reaktivieren und damit einen gemeinsamen Zugang ins Parlament zu schaffen. Im Jahr 2002 wurde ein erster Wettbewerb für die Sanierung ausgelobt, den der Architekt Herbert Beier mit der Idee gewann, die Lüftungsanlage abzusiedeln und dadurch unter der Rampe mehr Platz für zusätzliche Nutzungen zu schaffen. Der Vorschlag von Manfred Wehdorn, hinter dem Brunnen einen direkt auf die Ringstraße gerichteten zentralen Eingang anstelle des für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbaren Schlechtwettereingangs zu schaffen, kam zwar in die engere Wahl. Mit dem absehbaren Widerstand des Denkmalamts wollte man die Sanierung aber dann doch nicht belasten - immerhin sollte der neue Eingang pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum der Staatsvertrags-Unterzeichnung fertig sein. In der Folge entwickelte das Projekt eine beachtliche Eigendynamik. Die Fundamente für die Rampen mussten tiefer gelegt werden, neue nutzbare Räume entstanden. Zu den geplanten Funktionen - Eingang, Garderoben für Besuchergruppen und multimediale Informationswände - kamen ein neuer Tiefspeicher für die Bibliothek des Hauses, ein Raum für Vorträge und Pressekonferenzen sowie neue Studios des ORF. Aus der bautechnischen Sanierung wurde so ein umfangreiches architektonisches Projekt mit beachtlicher symbolischer Bedeutung für das Parlament. Mitten im laufenden Baubetrieb beschloss der Bauherr im Sommer 2004, einen weiteren Wettbewerb für die architektonische Ausgestaltung des Projekts auszuloben, da die von Herbert Beier inzwischen entwickelte Lösung zwar technisch entsprach, ästhetisch aber zu wünschen übrig ließ. Um den Betrieb nicht aufzuhalten, war zuerst nur an einen Wettbewerb für Möblierung, Licht und Material gedacht. Die Architektenkammer konnte aber erreichen, dass auch bauliche Veränderungen zulässig waren. Knapp sechs Wochen hatten die Projektanten Zeit, Lösungen zu entwickeln, während auf der Baustelle bereits die Fundamente betoniert wurden.
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Fotos: Manfred Seidl, Anna Blau
Das Siegerprojekt von Kinayeh und Markus Geiswinkler punktete mit einer klaren Organisation und dramatischen vertikalen Durchblicken, die den Weg vom Foyer in den Vortragssaal zwei Stockwerke tiefer zu einem Erlebnis machen. Zu diesem Zeitpunkt blieb gerade noch ein Jahr bis zur Eröffnung. Mitten in einem laufenden Bauprojekt Umplanungen vorzunehmen, noch dazu angesichts eines staatstragenden Fertigstellungstermins, ist ein Himmelfahrtskommando, das in diesem Fall bravourös bewältigt wurde. Nicht alle Leistungen sind dabei so sichtbar wie die präzise detaillierten Übergänge zwischen Alt und Neu oder die raffinierte Belichtung, die von Bartenbach Lichttechnik konzipiert wurde. Genauso wichtig ist das, was unsichtbar bleibt: die Lüftung, die so umgeplant werden konnte, dass sie den vertikalen Raumeindruck nicht mehr stört, oder die statischen Kunstgriffe, mit denen im Vortragsraum eine Nische geschaffen wurde, die dem Raum erst die richtige Proportion gibt. In einer letzten plötzlichen Wendung setzte sich schließlich doch noch der zentrale Eingang durch, der schon im ersten Wettbewerb vorgeschlagen worden war. Gegen die Logik, das Hohe Haus an der sinnfälligsten Stelle betreten zu dürfen, konnte sich selbst das Denkmalamt nicht auf Dauer sperren. Die Geiswinklers haben dafür eine raffinierte Lösung mit vertikalen Falttoren aus Edelstahl entwickelt, die im offenen Zustand ein Vordach und im geschlossenen Zustand eine ruhige Fläche bilden. Den Gestaltungsvorschlag, den die Architekten für die Umgebung des Brunnens gemacht hatten - zwei Natursteinschwellen, die trapezförmig auf den Eingang hinführen -, lehnte das Denkmalamt dagegen ab. Den positiven Gesamteindruck kann das freilich nicht trüben. Die plötzlichen Wendungen haben dem Projekt genützt, weil alle Beteiligten die Krisen als Chance erkannt haben, etwas Außergewöhnliches zu erreichen. Einzig dass es im Land der großen Söhnetöchter aufgrund des Zeitdrucks nicht mehr möglich war, die bildende Kunst stärker in das Projekt einzubeziehen, ist schade. Aber daran lässt sich ja noch arbeiten. Die Presse, 1.10.2005
BARBIE, PINK UND MÖRTEL Dass die Stadt, statt geplant zu werden, sich selbst plant, soll vorkommen. Und trotzdem: Auch so kann ein Stück Architektur entstehen, das es mit Otto Wagner aufzunehmen vermag. Neues vom Wiener Neubaugürtel. Vor wenigen Jahren noch, da gehörte der Gürtel den Autos, der Stadtbahn und dem Rotlichtmilieu - ein breiter, grauer Straßenraum mit ein paar verstaubten Bäumen, geteilt durch die Stadtbahn mit ihren markanten, von Otto Wagner geplanten Stationsgebäuden, Bögen und Brücken. Im Bereich des Neubaugürtels, wo die Bahn in Tieflage geführt ist, waren davon nur die kleinen Pavillons mit den Abgängen auf die Bahnsteige zu sehen. Wer heute hier Richtung Westbahnhof unterwegs ist und die Burggasse kreuzt, begegnet einem völlig veränderten Bild. Fast sieht es aus, als hätte die Shopping City Süd eine Dependance eröffnet: Wagners Stationsgebäude duckt sich vor der
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Stirnseite der Wiener Hauptbücherei, die breitbeinig über die Bahntrasse stelzt. Rechter Hand hat die Lugner-City den Sprung auf den Gürtel geschafft und lockt Besucher in ihr neues Kinocenter mit angeschlossener Großgastronomie, 1600 Sitzplätze in 26 Restaurants. Aus dem Kinocenter, einem Stück anspruchsloser Kommerzarchitektur, ragt eine verglaste, in der Nacht hell beleuchtete Brücke quer in den Gürtel. Kurz bevor sie die Stadtbibliothek erreicht, wendet sie sich, einen Kurzschluss zwischen Kommerz und Kultur vermeidend, zurück in die Längsrichtung des Gürtels und entlässt das Publikum über Rolltreppen auf eine Verkehrsinsel mit Anschluss an Stadtbahn und Bus. Die Vorgeschichte dieses Ensembles ist ein Lehrbeispiel dafür, dass eine Stadt heute nicht mehr geplant wird, sondern sich gewissermaßen selbst plant. Die Geschichte beginnt mit einer typisch funktionalistischen Planervision. Dem ehemaligen Vizebürgermeister Hans Mayr wird die Idee zugeschrieben, den ungenutzten Raum über der Stadtbahn mit Parkgaragen zu füllen: Wo viel Verkehr ist, kann mehr Verkehr nicht schaden. Diese Idee hätte den Gürtel als Stadtraum endgültig ruiniert und verschwand dankenswerterweise in der Versenkung. Mit geänderter Nutzung tauchte sie jedoch Mitte der 1990er-Jahre wieder auf. Von Hans Mayr inspiriert, schlug der Baumeister und Betreiber des nahen Shopping-Centers, Richard Lugner, eine Überbauung des Stationsbereichs mit einem eingeschoßigen Gebäude vor, das Geschäfte und Restaurants aufnehmen und ganz nebenbei eine direkte Anbindung des Shopping-Centers an die Station erlauben sollte. Das Projekt scheiterte am Einspruch des Wiener Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der sich nach wie vor gegen jede Verbauung der Innenzone des Gürtels aussprach. Erst die Idee, den Schwung der EU-Förderungen aus dem Urban-Plus-Programm zu nutzen und die Hauptbücherei als kulturelle Nutzung hierher zu verlegen, konnte diese stadtgestalterischen Argumente ausstechen. Seit 2003 thront die Bücherei breit und behäbig im Gürtelraum, in der äußeren Erscheinung eine klare Themenverfehlung, aber mit angenehmem Inneren und nicht zuletzt deshalb ein durchschlagender Erfolg beim Publikum. Lugner versuchte lange, eine Anbindung seines Shopping-Centers an die Bibliothek zu erreichen, stieß mit dieser Idee aber auf keine Gegenliebe. Für eine Brücke über den Gürtel, die Passanten direkt beim Stationsausgang abholt, fand sich aber schließlich ein zwingender Grund: Bereits ohne die Besucherströme aus dem Kinocenter kam es hier einmal pro Monat zu einem Unfall mit Personenschaden. Und so bekam Lugner am Ende fast geschenkt, wofür er noch vor ein paar Jahren inklusive Stationsüberbauung ein Vielfaches investiert hätte: Einen Werbeträger quer über den Gürtel, nachts märchenblau und barbiepink beleuchtet. Dass diese Brücke zugleich das einzige Bauwerk in weitem Umkreis ist, das es architektonisch mit Otto Wagners Stadtbahnstation aufnehmen kann, ist ein Zufall, der gut zu einer derart verwickelten Geschichte passt. Lugner hatte ursprünglich eine unförmige Betonkonstruktion mit mehreren, die Rolltreppe tragenden Stützen vorgelegt, folgte dann aber einer Empfehlung der für Stadtgestaltung zuständigen Magistratsabteilung 19 und beauftragte die Architekten Aneta Bulant und Klaus Wailzer mit der Planung. Bulant und Wailzer, die mit eleganten, international ausgezeichneten Glasbauten aufgefallen waren, schlugen vor, das Tragwerk in Stahl zu konstruieren, auf überflüssige Stützen zu verzichten und die Brücke über zwei Stahlkabel vom Kinocenter abzuhängen.
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Fotos: Rupert Steiner
Das Besondere an der Brücke ist die raffinierte Beziehung zwischen Tragwerk, Baukörpergeometrie und Hülle. Die Seitenflächen der Brücke sind nicht parallel, sondern leicht gegeneinander verschwenkt, wodurch sich im Inneren ein eigenwilliger, perspektivisch veränderter Raumeindruck ergibt. Zugleich haben Bulant und Wailzer die Rasterung der Außenhaut auf einem rechtwinkligen Liniennetz aufgebaut, das nur auf der Innenseite des Brückenknies mit der Baukörpergeometrie übereinstimmt, sich von dort aus aber einfach über die restlichen Oberflächen wickelt. Einzelne Rasterfelder werden dadurch über die Kanten gebogen, was konstruktiv nicht unaufwendig ist und eine große Exaktheit in der Herstellung erfordert. Die kontrapunktische Überlagerung der Systeme von Baukörper und Hüllenraster hat aber einen besonderen Reiz, den die Besucher auch dann spüren, wenn sie ihn gar nicht bewusst wahrnehmen. Der Erfolg einer derartigen, nur auf den ersten Blick einfachen Idee hängt wesentlich davon ab, dass der Bauherr das Konzept versteht und bei der Umsetzung keine Abstriche macht. In diesem Fall war die Kooperation zwischen dem Bauherrn, dem Tragwerksplaner Lothar Heinrich aus dem Büro Vasko und den ausführenden Firmen Waagner-Bíro und Eckelt mit den Architekten durchwegs produktiv, was man dem Produkt in der Detailqualität auch ansieht. Man darf hoffen, dass die Architekten bei ihrem nächsten Projekt, einer weiteren Brücke mit Otto-Wagner-Berührung - dem Sky-Walk zwischen 9. und 19. Bezirk - mit der Stadt Wien als Bauherrn ähnlich viel Glück haben. Bleibt die Frage, ob der traditionelle Stadtraum des Gürtels durch die diversen Einbauten am Ende nicht doch ruiniert wurde. Sicher hätte es kultiviertere Alternativen gegeben, den alten grauen Gürtel aufzuwerten. Aber wir leben in einer Zeit, in der sich auf dem letzten Wiener Opernball folgende Gäste eingefunden haben: Richard „Mörtel“ Lugner mit Gattin Mauis und angeschlossenem Spice-Girl, und ein paar Logen weiter die „Familie“, die von der Möbel-Lutz-Kette für ihre Fernsehwerbung zusammengestellt wurde. Ihre Präsenz auf dem Opernball sollte signalisieren, dass die Marke Lutz auch gehobenere Käuferschichten anspricht. Und da sollen am Gürtel kultivierte Zustände herrschen? Die Presse, 10.9.2005
AUTISTISCHE TÜRME, DIFFUSE KONTUREN Ein windschlüpfriges Oval; ein lustiger Turm mit Schnabel; eine palmenbekrönte High-Tech-Skulptur; und welche Entwürfe sonst noch gegen Jean Nouvels Siegerprojekt für ein Hochhaus am Wiener Donaukanal angetreten sind. Die nördliche Kante des Wiener Donaukanals zwischen Rossauerbrücke und Aspernbrücke könnte zu den besten Adressen der Stadt gehören: Es gibt Blick aufs Wasser, die Altstadt liegt gleich gegenüber, und die Verkehrsanbindung ist erstklassig. Das dennoch bis heute eher bescheidene Image des Gebiets lässt sich aus
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der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg erklären. Zwar hatte es radikale Vorschläge zur Modernisierung gegeben, etwa von Lois Welzenbacher, realisiert wurde jedoch eine unglückliche Mischung aus gründerzeitlicher Parzellierung und einigen großvolumigen Einzelobjekten. Dazu kommt das niedrige technische und gestalterische Niveau der meisten Bauten, wie es für die unmittelbare Nachkriegszeit in Wien typisch ist. Georg Lipperts Zentrale der ehemaligen Bundesländerversicherung von 1961, ein parallel zum Donaukanal breit gelagerter Quader, wirkte in diesem Umfeld zur Zeit ihrer Entstehung geradezu progressiv. Zur Rechtfertigung der größeren Bauhöhe ist das Gebäude hinter die vordere Baulinie gerückt; man schenkte damit der Stadt eine wenig einladende "Plaza" Richtung Schwedenbrücke. Lipperts Bau war aber signifikant genug, um Hans Hollein bei seinem 2001 fertig gestellten Media-Tower als grundsätzliche Referenz für Bauhöhe und Fassade zu dienen. Dass Hollein seinen Nachbarn mit einem leicht geneigten Glasturm an Höhe noch übertreffen durfte, lag schlicht daran, dass die Stadt Wien über kein stadtgestalterisches Konzept für dieses Gebiet verfügte. (Wenn man von der ziemlich allgemeinen Festlegung der Hochhausstudie absieht, dass an hochrangigen Knoten des öffentlichen Verkehrs zusätzliche Verdichtungen möglich sind, solange sie keine Schutzzone beeinträchtigen.) Damit steht bei jedem Einzelprojekt eine Neuverhandlung der umgebenden Stadtstruktur mit dem Investor auf dem Programm. Besser als ein schlechtes Konzept mag diese Konzeptlosigkeit allemal sein. Trotzdem bedeutet sie nichts anderes, als bei jedem Projekt auf eine Architektur zu hoffen, die aktiv zur Stadtentwicklung beiträgt und nicht primär vom Interesse an Gewinnmaximierung getrieben ist. Holleins schlanker Turm hat jedenfalls einen neuen Maßstab für die Höhenentwicklung am Donaukanal gesetzt, der sich inzwischen flussabwärts an der Aspernbrücke im neuen Hauptquartier der Uniqa - der Nachfolgerin der Bundesländerversicherung - schon in wesentlich massiverer und in Bezug auf die Umgebung weit weniger sensibler Form manifestiert. Anlässlich eines jüngst entschiedenen Wettbewerbs durfte man gespannt sein, wie die nächste Etappe in diesem Prozess des kontinuierlichen Neuverhandelns des Stadtbilds ausgehen würde. Nach der Übersiedlung aller Mitarbeiter in die neue Konzernzentrale plant die Uniqa-Versicherung, Lipperts Bau abzureißen und auf dem Grundstück ein multifunktionales Gebäude mit Büro- und Hotelnutzung zu errichten. Der Bauherr lud 13 Architekten ein, in einem zweistufigen Verfahren Projekte auszuarbeiten. Eine wesentliche Vorgabe war die optimale Einbindung des Bauwerks in den zweiten Bezirk sowie die Förderung der Anbindung an die Innenstadt. Für den repräsentativen Standort sollte ein entsprechend repräsentatives Gebäude mit attraktiver und öffentlich zugänglicher Sockelzone in Vernetzung mit den umliegenden Straßenräumen entstehen. Zugleich sollte die Verschattung der benachbarten Fassaden gegenüber dem Bestand verbessert werden. Die Wettbewerbsergebnisse, die noch bis 12. September im Architekturzentrum Wien ausgestellt sind, lassen sich in zwei Gruppen gliedern: autonome Großplastiken auf der einen und aus dem Kontext entwickelte Strukturen auf der anderen Seite. (Dass auch die Großplastiken auf den Standort reagieren müssen und dass jeder Kontextbezug auch über eine plastische Form hergestellt werden muss, schwächt diese Unterscheidung nicht prinzipiell). In einer speziellen Situation war hier Hans Hollein, der mit dem Media-Tower den Kontext vor Jahren wesentlich mitgestaltet hat und nun zu einer kraftschlüssigen skulpturalen Verbindung mit sich selbst ansetzte, die von der Jury aber schon in der ersten Stufe als überzogene Geste ausgeschieden wurde. Autonome Türme mit markanter Figur wurden von rund der Hälfte der Projektanten angeboten. In die zweite Stufe kamen ein windschlüpfriges Oval von Helmut Jahn, das an fast jeden Ort der Welt gepasst hätte, ein lustiger Turm von Gustav Peichl mit gießkannenartigem Hausschnabel und eine palmenbekrönte High-Tech-Skulptur von Richard Rogers. Warum sich die Jury das Urteil "Vergewaltigung des Orts" ausgerechnet für die kompromissloseste Großskulptur, einen beeindruckenden oktogonalen Kristall von Adolf Krischanitz, der in der ersten Stufe ausgeschieden wurde, aufgespart hat, bleibt rätselhaft.
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Abbildungen: Nouvel, Hollein, Jahn, Krischanitz
Die Entscheidung fiel am Ende zwischen einem sehr kultivierten Entwurf von Paul Katzberger, einer schräg gestellten Hochhausscheibe, und dem Projekt von Jean Nouvel, einem auf den ersten Blick wenig harmonisch wirkenden, leicht gekippten Block auf einem Sockel mit schräg geneigter Glashülle. Nouvel, der seine Arbeit immer schon als Generalangriff auf die autistische "autonome Architektur" gesehen hat, stellt hier seine Meisterschaft unter Beweis, ein Projekt aus dem jeweiligen Kontext zu entwickeln und trotzdem einen absolut eigenständigen Beitrag zu leisten. Nouvel arbeitet nicht mit Baukörpern, sondern mit Linien und Flächen, die Sichtund Beschattungslinien aufnehmen. Der Betrachter soll keine Gesamtfigur mehr wahrnehmen, sondern diffuse, scheinbar widersprüchliche Konturen, Spiegelungen und fließende Übergänge von Außen- und Innenräumen. Wie Nouvel den Hoteltrakt, von zwei verspiegelten Pfeilern getragen, auf den Glaskörper kippt, wie er die Untersichten von Baukörpern zu Projektionsflächen macht, die weit in den Stadtraum hineinwirken, oder wie er die vier Fassaden des Hotels je nach Himmelsrichtung unterschiedlich ausbildet, stellt viele eingefahrene Regeln der Architektur auf den Kopf, ohne in eine selbstverliebte Virtuosenarchitektur abzugleiten. Wenn Nouvel die Stimmungen, die er in seinen Zeichnungen andeutet, tatsächlich erreicht, könnten in diesem Gebäude Räume entstehen, die zu den innovativsten der letzten Jahre gehören und unsere Vorstellungen von Architektur verändern. Wer von der Umsetzung von Nouvels Projekten in Wien bisher ein wenig enttäuscht war, darf diesmal aufs Maximum hoffen: Bauaufgabe und Bauherr sollten für ein adäquates Budget sorgen. Und dass "die Materialisierung der Fassade mit der zuständigen Magistratsabteilung abzustimmen ist", wie man im Juryprotokoll liest, wird das Projekt wohl auch überleben. Die Presse, 27.8.2005
BLECHBLITZE IN DER KALKPUTZSTADT Wenn in hundert Jahren von der Kalkputzstadt Wien nur Reste übrig sind, werden Wohnbau-Projekte wie die von Artec und Geiswinkler & Geiswinkler als Kristallisationskerne eines neuen städtischen Gewebes gewirkt haben. Das Gebiet zwischen Triester Straße und Laxenburger Straße in Favoriten, dem zehnten Wiener Gemeindebezirk, ist eines der typischen Stadterweiterungsgebiete, wie sie im späten 19. Jahrhundert außerhalb des Gürtels entstanden. Während die Fassaden mit dicken Schichten aus Putz und Ornament ein gutbürgerliches Gesicht zeigten, verriet der Stadtgrundriss seine Bestimmung als Paradies für Spekulanten: Ein rechtwinkliger Blockraster mit dichtester Bebauung, in dem nur ab und zu ein
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"Beserlpark" - wie die Wiener diese Aussparungen im Raster nennen - für etwas Grün sorgt. Die Haltung der Stadtplanung zu solchen Gebieten hat sich in Wien seit den 1960erJahren radikal geändert. Anstelle von Flächensanierungen, also dem Abriss und Neubau von möglichst großen, zusammenhängenden Arealen, wurde die "Sanfte Stadterneuerung" durch Sanierung des Bestands in den 1970er-Jahren zur dominierenden Doktrin. Sie bezog sich ursprünglich auf den Umgang mit historisch "wertvollen" Gebieten, wie er im Wiener Schutzzonengesetz aus dem Jahr 1972 geregelt wurde. 1978 räumte Bürgermeister Leopold Gratz in seiner Regierungserklärung dieser Art der Stadtentwicklung grundsätzlich Priorität vor Stadterweiterung und Flächensanierung ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich mit dem "Planquadrat" im vierten Bezirk bereits ein Pilotprojekt der "Sanften Stadterneuerung" etabliert, und der Wiener ÖVP-Chef Erhard Busek hatte gezeigt, dass man mit dem Thema politisch gegen die Bagger-Fraktion punkten konnte. "Sanfte Stadterneuerung" beschränkt sich aber nicht auf eine Sanierung des Bestands. Gerade in Gebieten mit schlechter Bausubstanz und längst aller gründerzeitlicher Verzierungen beraubten Fassaden müssen Impulse von Neubauten ausgehen, die versuchen, das Wohnen in der Stadt zeitgemäß zu definieren. Urbanität, also "städtisches Lebensgefühl", braucht neben einer hohen Dichte auch Faktoren wie Theatralik und Hybridität: Die Stadt lebt von der Koexistenz unterschiedlicher Lebensentwürfe, die sich im Stadtraum ausdrücken und in ihrer gegenseitigen Überlagerung den spezifischen Rhythmus einer Stadt bilden. Die hoch spekulativen gründerzeitlichen Erweiterungsgebiete außerhalb des Gürtels konnten über ihre differenzierten Fassaden nur einen Anschein davon vermitteln. Für eine zeitgemäße Urbanität braucht es hier gezielte Irritationen, die jenseits der Reparatur des Bestehenden ein neues städtisches Gewebe knüpfen. Eine erstaunliche Häufung von in dieser Hinsicht ambitionierten Wohnbauten findet sich in Favoriten in den Baublöcken um den Paltramplatz, einen typischen "Beserlpark" zwischen der Siccardsburg- und der Van-der-Nüll-Gasse. Die guten Geister der beiden in den Straßennamen verewigten Architekten der Wiener Oper haben offensichtlich gewirkt: Zu den viel publizierten Wohnbauten von DeluganMeissl direkt am Paltramplatz und von Patrizia Zacek in der Siccardsburggasse aus den Jahren 2002 und 2003 sind heuer in der Alxingergasse zwei neue Nachbarn hinzugekommen. An der Ecke zur Hardtmuthgasse haben die Architekten Geiswinkler und Geiswinkler für den Bauträger "Neues Leben" geplant, schräg gegenüber findet sich eine Baulückenverbauung von Artec für die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, GPA. Geiswinkler und Geiswinkler beweisen, dass sich das Prinzip der "gestapelten Einfamilienhäuser" auch in diesem Umfeld erfolgreich realisieren lässt. Die Wohnungen sind zweigeschoßig angelegt und verfügen jeweils über einen raffiniert angelegten Freibereich, der aus einer kleinen Terrasse, einem Stück Wiese und einem "Vertikalgarten" besteht und einen Puffer zwischen der Wohnung und dem Straßenraum bildet. Einblick in diesen Freibereich ist immer nur von Räumen der eigenen Wohnung aus möglich. Das Konzept ergibt für die Wohnräume eine erstaunliche Balance aus Öffnung und Intimität, die sich noch steigern wird, wenn die fünf Meter hohen Rankgerüste der seitlichen Loggienwände bewachsen sind. Die oft von Bauträgern geäußerte Behauptung, dass Bewohner in der dicht verbauten Stadt keine Loggien und Balkone wünschen, weil man diese nicht nutzen könne, wird hier eindrucksvoll widerlegt.
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Voraussetzung ist die Bereitschaft des Bauträgers, aus seinem Grundstück nicht das Maximum an Nutzfläche herauszupressen, sondern Raum für eine begrünte Zwischenzone zu lassen. Dass sich auf dem Dach zusätzlich ein gemeinsam zu nutzender Dachgarten mit schönem Blick über Wien findet, ist ein geradezu luxuriöses Extra. Ähnlich großzügig ist der Bauherr mit dem Erdgeschoß verfahren. Statt hier noch ein - in diesem Viertel sowieso kaum vermietbares - Geschäftslokal oder eine schlecht belichtete Wohnung vorsehen zu müssen, durften die Architekten beim Eingang viel Straßenraum ins Haus ziehen und im Erdgeschoß einen großen Gemeinschaftsraum anlegen, der sich zu einem Hofgarten öffnet. Auch im Wohnbau von Artec wird das Verhältnis zwischen Straßenraum und Gebäude neu ausgelotet. Die Baulücke liegt im Gefälle an der Schnittstelle zwischen zwei Bauklassen mit unterschiedlicher Bauhöhe. Der Entwurf löst den kompakten Block in eine rhythmisch gegliederte Anordnung von vor- und zurückspringenden Kuben auf. Durch diese Staffelung erhält einerseits der Straßenraum mehr Licht, andererseits entstehen bereits ab dem vierten Obergeschoß großzügige Dachterrassen. Die Wohnungen im ersten und zweiten Geschoß teilen sich einen vorspringenden Baukörper mit Fenstern, die einen Blick in die Tiefe des Straßenraums erlauben. Die Erdgeschoßwohnungen haben entsprechend dem Gefälle bis zu vier Meter Raumhöhe und hofseitige Gärten. Die Gebäudehülle wird von einer hinterlüfteten Leichtwand gebildet, die aus Stahlkassetten mit Wärmedämmung besteht und zur Straße hin mit Platten aus Titanzink und raumseitig mit Sperrholz verkleidet ist. Die Fenster sind spezielle Holz-Aluminium-Konstruktionen. In der Material- und Farbwahl - besonders hervorzuheben: das glänzend rot gestrichene Treppenhaus, das im Straßenraum hervorblitzt - ist das Projekt typisch für die räumliche Choreografie von Artec: plötzliche Materialwechsel, unvermitteltes Aneinanderstoßen von Raumschichten und im Inneren eine Kombination aus kräftigen Farben und Texturen. Beide Projekte sind beispielhaft für das exzellente Niveau, das der geförderte Wohnbau in Wien in konzeptioneller, formaler und technischer Hinsicht erreichen kann. Dass man im frei finanzierten Bereich (zu höheren Kosten) kaum Vergleichbares findet, ist ein Indiz dafür, dass die Regulierungssysteme der öffentlichen Hand im Interesse der Nutzer, aber auch im Sinne der Stadtentwicklung funktionieren: Wenn von der Kalkputzstadt Wien in 100 Jahren nur noch Reste übrig sind, werden Projekte wie diese als Kristallisationskerne des neuen städtischen Gewebes gewirkt haben. Die Presse, 16.7.2005
GERÜST MIT BERGSEE Ein Wohnwagen, ein Whirlpool, ein Musikzimmer, eine Werksküche. Alles im offenen Gerüst. "Ad on", die begehbare Skulptur auf dem Wiener Wallensteinplatz: nur ein weiteres Dauerspektakel auf einem öffentlichen Platz? Als vor ein paar Wochen die ersten Teile des Gerüsts aufgestellt wurden, das heute den Wallensteinplatz im 20. Bezirk beherrscht, waren die Anrainer ein wenig ratlos: Ein 20 Meter hohes Baugerüst, wie es sonst bei der Sanierung von Fassaden verwendet wird, aber mitten auf dem Platz, weit weg von jeder Fassade, die es hätte einrüsten können? Aufgebaut wurde es von einer Gruppe von Architekturstudenten der Technischen Universität Wien, gefördert von einer Initiative der Stadt für "Kunst
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im öffentlichen Raum", gesponsert von privaten Unternehmen, die Baumaterial und Maschinen zur Verfügung stellten. In diesem Gerüst verfangen haben sich auf unterschiedlichen Höhenlagen ein Wohnwagen, ein Whirlpool, ein Musikzimmer, eine Internetlounge, Toiletten, eine Werksküche und auf der höchsten Ebene ein winziger Bergsee mit künstlichen Seerosen und einem Felsen aus Kunststoff, über den man in ein Panoramacafé für zwei Personen klettert. Weil dort kein Ober mehr hineinpasst, kommt der Kaffee aus einem Münzautomaten. Der Aufstieg lohnt sich offenbar trotzdem. 600 Besucher pro Tag klettern über die Stufen und Terrassen nach oben, und das Publikum ist genauso bunt gemischt wie die Versatzstücke des Wohnens, aus denen sich diese räumliche Collage zusammensetzt. Wer sich hier etwas länger aufhält, beginnt sich nach und nach wie in einem Haus ohne Wände zu fühlen, und bald kommen ihm die umgebenden Häuser mit ihren blickdichten Gründerzeitfassaden gar nicht mehr so selbstverständlich vor. Vielleicht wäre ein offenes Gerüst mit ein paar Biwakschachteln doch eine Alternative zu den "eigenen vier Wänden", die schützen, aber immer auch einschließen? Für die Kinder, die mit Begeisterung in diesem vertikalen Erlebnispark herumtollen, ist diese Frage klar zu beantworten: Das Gerüst ist besser als jedes Baumhaus, und wenn man noch selbst daran weiterbasteln dürfte, wäre es der optimale Abenteuerspielplatz. Die anderen Besucher werden das Spektakel genießen und dann nach Hause gehen, vielleicht die Vorhänge aufziehen und sich fragen, warum sie von ihren Nachbarn eigentlich kaum mehr kennen als den Namen auf dem Türschild. Für Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper, die für Konzept und Realisierung von "add on" verantwortlich zeichnen, ist das delikate Verhältnis zwischen öffentlichem Leben und angeblich ausschließlich privatem Wohnen ein zentrales Thema. Im normalen Wohnalltag verdichten sich seit einigen Jahren zwei scheinbar gegenläufige Phänomene: Auf der einen Seite die völlige Auflösung aller Grenzen zwischen öffentlich und privat in den Spektakeln der "Big-Brother"Inszenierungen, auf der anderen Seite eine immer stärkere Abkapselung der individuellen Wohneinheit als Fes- tung gegenüber einer bedrohlichen Außenwelt. Das "add-on"-Gerüst ist eine begehbare Skulptur, die darauf hinweist, dass gerade die Zwischenzonen und Hybride, in denen sich auch Zufälliges ansiedeln kann, die eigentliche Qualität des Wohnens ausmachen. Ein von Vitus Weh kuratiertes Rahmenprogramm von Performances über Vorträge und Modeschauen bis zu Filmvorführungen macht den Wallensteinplatz noch bis 31. Juli für 42 Tage zum kulturellen Zentrum des Bezirks. Für Künstler, die an diesen Veranstaltungen teilnehmen, gibt es im "add-on"-Gerüst kleine Artists-in-Residence-Boxen, in denen für ein paar Tage halböffentliches Wohnen geprobt werden kann.
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Inwiefern unterscheidet sich dieses Projekt von Dauerspektakeln wie etwa am Wiener Rathausplatz, die aus der Stadt einen großen Erlebnispark machen wollen? Auf den ersten Blick ist der Unterschied nicht groß: viele Menschen, viel Lärm, viel Licht. Auf dem Rathausplatz geht es um eine Umcodierung des öffentlichen Raums, der mit Macht und Autorität assoziiert wird, in einen Raum des reinen Spektakels. Trotz allen Wirbels bleiben die Besucher passive Zuschauer und Konsumenten. Die Aktion auf dem Wallensteinplatz hat dagegen zumindest den Anspruch und das Potenzial, die Besucher zum Nachdenken über ihre Position in der Welt zu bringen. Und weil sie trotz aller perfekten Logistik einen improvisierten Eindruck macht, vermittelt sie das Gefühl, dass die Welt gestaltbar auch für die ist, die nicht an irgendwelchen Schalthebeln der Macht sitzen. Ob es sich dabei um eine Illusion handelt, sei dahingestellt. Peter Fattinger hat nach seinem Studium ein Jahr im Atelier von Joep van Lieshout (AVL) in Rotterdam gearbeitet, dem zurzeit eine Ausstellung im Wiener Museum für angewandte Kunst gewidmet ist. Lieshout hatte 2001 mit seinem Atelier einen "Staat" als Kunstwerk gegründet. Auf eigenem Territorium baute das Kollektiv Nahrungsmittel an, sorgte für eigene Energieproduktion und Wohnmöglichkeiten. Als "AVL-Ville" schließlich ankündigte, auch staatliche Errungenschaften wie Waffen und Bomben herstellen zu wollen, stoppte die Rotterdamer Stadtverwaltung das Projekt. Einiges von der Idee der improvisierten Selbstbestimmung hat sich in den Projekten Fattingers erhalten. Dass "add on" letzte Woche von Sympathisanten des Ernst-Kirchweger-Hauses eines seit 1990 besetzten Hauses in Favoriten, das letzten Herbst von der kommunistischen Partei an private Investoren verkauft wurde und nun wahrscheinlich vor der endgültigen Räumung steht - für einen Abend lang besetzt wurde, entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie. Joep van Lieshout befasst sich inzwischen mit der Umkehrung seiner selbst bestimmten Welten. Werktitel wie "Der Disziplinator" weisen in die Richtung eines gesellschaftlichen Alptraums, der zwar immer noch improvisiert wirkt, aber darum nicht weniger bedrohlich. Der "Disziplinator" ist ein Arbeitslager für 72 Insassen, denen 24 im Drei-Schicht-Betrieb genutzte Betten zur Verfügung stehen. Ziel des Betriebs ist die Herstellung von Sägemehl durch die Bearbeitung von Baumstämmen mit kleinen Feilen. Der fröhlichen Wohnskulptur am Wallensteinplatz ist im Unterschied zu solchen apokalyptischen Inszenierungen ein Erfolg beim breiten Publikum sicher. Dass sie im Kunstdiskurs wenig Neues zu bieten hat, mag sein. Als Beitrag zur Durchlüftung des einigermaßen selbstgefälligen Wiener Wohnbaudiskurses hätte sie allerdings einiges beizutragen. Die Initiative "Kunst im öffentlichen Raum" wird immerhin nicht nur von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, sondern auch von den Stadträten für Wohnbau und für Stadtentwicklung, Werner Faymann und Rudolf Schicker, getragen. Vielleicht finden die beiden Letzteren ja noch Zeit für ein Gipfeltreffen im Panoramacafé für zwei. Die Presse, 11.6.2005
WIE VIEL SPIEL VERTRÄGT DIE STADT? Vom Gründerzeitraster zum "Wiener Block": "Lösungsorientiert und flexibel" habe Karl Schiller die Bauordnung geprägt, befindet die Wiener Architektenkammer. Und verleiht ihm den Ehrenring. Bauordnungsgesetze sind nicht unbedingt ein Lieblingsthema von Architektinnen und Architekten. Die Tatsache, dass sich ein Land von der Größe Österreichs neun unterschiedliche Bauordnungen leistet, ist inzwischen als Teil der österreichischen Folklore akzeptiert, an der nur im Rahmen einer Generalreform des Föderalismus zu rütteln wäre. Ansonsten gelten Bauordnungen als lästige Randbedingungen der Architekturproduktion, mit denen man möglichst geschickt umzugehen hat. Umso erstaunlicher ist, dass die Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Ende Juni den ersten Ehrenring ihrer Geschichte an Obersenatsrat Karl Schiller verleihen wird, jenen Juristen, der seit über 40 Jahren - von 1964 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2004 - als Beamter der Gemeinde Wien maßgeblich an
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der Verfassung der Wiener Bauordnung beteiligt war. Als Begründung für die Auszeichnung wird einerseits das Bemühen Schillers genannt, in der Bauordnung möglichst große Freiheit der architektonischen Gestaltung zuzulassen, andererseits generell die Bedeutung des Gesetzes für die Entwicklung der Stadt in formaler wie funktioneller Hinsicht hervorgehoben. Die Wiener Bauordnung, die im vollen Wortlaut "Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch" heißt, regelt nämlich nicht nur die Bautechnik und Mindestmaße für Raumhöhen, sondern ist zugleich gesetzliche Grundlage für die Stadtentwicklung inklusive Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung. Wie groß die Bedeutung dieses Regelwerks für das städtische Leben ist, zeigt beispielsweise die Einführung der Schutzzonen in einer Novelle aus dem Jahr 1972, durch die besonders erhaltenswerte Gebiete der Stadt in ihren "prägenden Bau- und Raumstrukturen und in der Bausubstanz" erfasst und unter Schutz gestellt werden können. Was auf den ersten Blick wie ein Gesetz zur erweiterten Denkmalpflege aussieht, war der Versuch, die Innenstädte vor Verödung und spekulativer Vernachlässigung zu bewahren, indem in diesen Zonen unabhängig vom Denkmalschutz der Abriss von Gebäuden verhindert wurde. Ebenso wichtig ist aber eine zweite Regelung, die auch die Nutzung der Immobilien in Schutzzonen insoweit einschränkte, als bestehende Wohnungen nicht oder nur zu einem sehr geringen Anteil als Büroflächen genutzt werden dürfen. Diese Beschränkung von Eigentümerinteressen hat der Wiener Altstadt das Schicksal vieler Innenstädte etwa in Deutschland erspart, die überwiegend kommerziellen Nutzungen dienen und nach Büro- und Geschäftsschluss schlagartig veröden. Dass derartige Gesetze von Juristen nicht erfunden werden, sondern Ergebnis einer politischen Willensbildung sind, ist klar. Der Einfluss der Beamten darf dabei jedoch nicht unterschätzt werden. Die Architektenkammer begründet die Auszeichnung für Schiller vor allem damit, er sei "immer lösungsorientiert und konstruktiv" gewesen und hätte prinzipiell nach Regelungen gesucht, die Spielräume zulassen. Die normative Kraft des Faktischen spielt dabei oft eine Rolle: Die ursprüngliche Formulierung der Bauordnung, Neubauten in Schutzzonen müssten sich an den Bestand angleichen, wurde nach der Errichtung von Hans Holleins Haas-Haus am Stephansplatz, das sich nur mit viel gutem Willen als "angeglichen" charakterisieren lässt, dahingehend verändert, dass Neubauten sich auch "auf zeitgemäße Weise in das Stadtbild einordnen" dürfen. Ein Bereich, in dem die Schaffung von Spielräumen besondere Brisanz hat, ist die Stadtplanung. Mit einem Bebauungsplan kann die zukünftige Bebauung eines Grundstücks theoretisch bis ins Detail festgelegt werden, von der Baulinie, Bauklasse und dem Ausnutzungsgrad bis hin zu Details der Farbgebung oder der Gestaltung von Vorgärten. Das sichert ein bestimmtes Stadtbild, bietet aber auf der anderen Seite wenig Möglichkeit für Innovation. In der Wiener Bauordnung finden sich eine Reihe von Möglichkeiten, flexiblere Festlegungen zu treffen. Seit 1976 besteht die Möglichkeit einer sogenannten "Strukturwidmung", in der im Prinzip nur die Maximalkubatur und Bebauungsfelder vorgegeben sind, die exakte Ausformung des Stadtraums aber der weiteren Planung überlassen bleibt. Bei Bauträgern ist diese Widmung allerdings keineswegs beliebt, da sie explizit weitere Ausnahmeregelungen ausschließt, etwa nach dem Paragrafen 69 für "unwesentliche Abweichungen von den Bebauungsbestimmungen", der zu den Zeiten seiner liberalsten Handhabung Mitte der 1990er-Jahre bis zu 20 Prozent zusätzliche Kubatur bringen konnte und etwa den Millenniumstower um 20 Meter Bauhöhe (und damit sechs gewinnbringende Etagen) nach oben schießen ließ. Eine Idee, diese Strukturwidmung auch auf den gründerzeitlichen Stadtraster zu übertragen, der sogenannte "Wiener Block", wurde in einer Arbeitsgruppe aus beamteten Stadtplanern und externen Experten 2001 entwickelt und von den Architekten Mascha und Seethaler ausgearbeitet. Für zusammenhängende Grundstücke von mindestens 2500 Quadratmeter Fläche sollte die Möglichkeit bestehen, eine aufgrund der bestehenden Widmung ermittelte Kubatur anders zu verteilen, als es die Baulinien vorgeben. Eine Überprüfung des Projekts durch die Magistratsabteilung für Stadtgestaltung sollte sicherstellen, dass die Planung das
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Stadtbild bereichert und nicht beeinträchtigt. Eine solche Regelung könnte nordöstlich gelegene Parzellen sinnvoll bebaubar machen, aber auch energetisch effizientere Kubaturen und Ausrichtungen erlauben. Dass diese Regelung sich bis heute nicht in der Bauordnung findet, liegt nicht zuletzt an den Bedenken auch vonseiten der Architektenschaft, ob die Stadtplanung, die sich ja um das "große Ganze" zu kümmern hätte, damit nicht ihre wichtigsten Instrumente an private Interessen und deren ästhetische Vorlieben auslagert. Ein hohes Maß an Flexibilisierung, bei der viele Entscheidungen letztlich bei einzelnen Beamten liegen, braucht als Ergänzung eine Stadtplanung, die klare Ziele vorgibt, sich zu stadtgestalterischen Prinzipien bekennt und deren Erreichung möglichst transparent betreibt. Wien hat in der Stadtplanung seit den 1990er-Jahren eine Tradition des Sich-nicht-festlegen-Wollens, die alles möglich macht und auf die stadtplanerische Kompetenz der "unsichtbaren Hand" der Marktkräfte vertraut. Dass die flexibleren Instrumente, die unter Karl Schillers Ägide implementiert wurden, grundsätzlich sinnvoll sind, steht aber außer Zweifel. Vielleicht sollte die Architektenkammer die nächste Auszeichnung jenen Personen in der Wiener Stadtplanung versprechen, die auf diesen Instrumenten auch verantwortungsvoll zu spielen verstehen. Die Presse, 6.5.2005
ZU JUNG, UM GUT ZU SEIN? Wem mit 25 zur Architektur nichts einfällt, dem wird auch mit 50 nichts einfallen. Wider den Mythos, dass große Ideen erst im Alter entstehen - am Beispiel der Gruppe "Caramel". Architektur gilt traditionell als Beruf, in dem man die magische Altersgrenze von 40 Jahren überschritten haben muss, um ernst zu nehmende Werke schaffen zu können. Zugegeben: Architektur, die sich nicht auf die schöne Verpackung beschränkt, ist ein komplexes Unternehmen, das viel Erfahrung braucht. Allerdings zeigt eine genauere Betrachtung, dass die meisten guten Architekten ihre zentralen Ideen sehr viel früher entwickelt haben. Wem mit 25 Jahren zur Architektur nichts einfällt, dem wird auch mit 50 nichts einfallen. Einige Jahre Mitarbeit in guten Büros, wie sie auch die Architektenkammer als Voraussetzung für die Ziviltechnikerprüfung vorschreibt, sind sicher sinnvoll und notwendig. Aber dann brauchen Architekten Aufträge, um sich entwickeln zu können, so früh und so eigenständig wie möglich. Dass größere Projekte oft erst jenseits der 40 akquiriert werden, liegt daran, dass erst dann Mitglieder der eigenen Altersklasse in Positionen zu finden sind, in denen sie Entscheidungen als Bauherren treffen oder als Jurymitglieder beeinflussen können. Die Architektengruppe Caramel, zu der sich Günther Katherl, Martin Haller und Ulrich Aspetsberger 2001 zusammengefunden haben, darf das Attribut "jung"; jedenfalls zu Recht für sich beanspruchen. Ihre Mitglieder sind (in der Reihenfolge der Namensnennung) Jahrgang 1965, 1966 und 1967. Haller und Katherl haben bereits 1998 ein gemeinsames Büro in Wien gegründet, das vor allem durch Wettbewerbserfolge aufgefallen ist. Im Wettbewerb für die neue Hauptbibliothek am Wiener Gürtel erreichten sie 1998 den zweiten Platz mit einem Projekt, das die vertrackte städtebauliche Situation für eine wirklich innovative Lösung genutzt hätte. Man darf vermuten, dass die Jury in diesem Fall geahnt hat, dass ein solches Projekt nur von jüngeren Architekten kommen konnte, und kein Risiko eingehen wollte. Im selben Jahr konnten Caramel den Wettbewerb für ein Bürohaus der renommierten, auf Glaskonstruktionen spezialisierten Firma Seele in Augsburg für sich entscheiden. Bald stellte sich jedoch heraus, dass es dem Auslober weniger um eine Realisierung als um die Publicity in Architektenkreisen durch einen aufwendig beworbenen Wettbewerb gegangen war. Insgesamt weist das Werkverzeichnis von Caramel 29 Wettbewerbserfolge auf, darunter sechs zweite und acht erste Preise. Ihre bekannteste realisierte Arbeit ist ein Einfamilienhaus in Linz, das sie zusammen mit Friedrich Stiper als Innenarchitekten
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realisierten, ein hart am Wind des Zeitgeistes segelndes Projekt mit einer spektakulär über den Hang auskragenden Stahlkonstruktion.
Fotos: Pez Hejduk Im Vergleich dazu ist ihre größte bisher aus einem Wettbewerb hervorgegangene Arbeit, eine Erweiterung der Zentralwerkstätte für die MA 48 in Hernals, eher zurückhaltend. Die funktionelle Grundidee des Entwurfs war die Aufteilung des Raumprogramms auf zwei Baukörper, zwischen denen - geschützt von einem Membrandach - die Abfahrt in eine Tiefgarage liegt. Beim kleineren Bauteil handelt es sich um die Erweiterung einer bestehenden Halle, der größere steht frei auf dem extrem beengten Baugrund zwischen gründerzeitlichen Industriehallen aus Ziegelmauerwerk und folgt mit seinen beiden abgerundeten Ecken den Wendekreisen des Verkehrsflusses. Auf Straßenniveau finden sich in diesem Gebäude zwei Meisterbüros, 18 Montageplätze in der großen Halle sowie eine eigene Waschanlage. Im Zwischengeschoß liegt das Besprechungszimmer mit Ausblick in die umgebenden Baumkronen. Büros, Umkleidekabinen und ein großer Speisesaal für die Mitarbeiter mit dazugehöriger Küche sind im obersten Geschoß untergebracht. Das auffälligste Merkmal des Gebäudes ist seine Oberfläche aus vorbewittertem schwarzem Zinktitanblech. Um den Effekt einer dünnen Haut zu unterstreichen, sind die Fenster in einer Ebene mit der Verblechung eingesetzt. Die Halle im Erdgeschoß ist beidseitig verglast, wobei in die Glaswand geschlossene Rolltore eingesetzt sind, die einen überwiegenden Teil der Fläche einnehmen. Die verbleibenden Glasstreifen reichen jedoch aus, um die Halle zu belichten und vor allem durchlässig erscheinen zu lassen. Angesichts der sehr beengten Situation ist dieser Effekt sowohl für den Innen- als auch für den Außenraum wichtig: Eine geschlossene Box hätte an dieser Stelle klaustrophobische Zustände bewirkt. Besonders erfreulich ist die Intention, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, und zwar nicht nur am eigentlichen Arbeitsplatz, sondern auch in den Nebenräumen. Ein Speisesaal mit einem Panoramablick über Wien, wie er den Mitarbeitern der MA 48 hier geboten wird, ist sicher nicht Standard für die Müllabfuhren und Straßenreinigungen dieser Welt, kostet aber nicht mehr als ein schlecht belichteter mit Blick auf eine Feuermauer. Der Weg aus den Werkstätten dorthin führt über ein Treppenhaus, das über ein vertikales Fensterband belichtet ist und dessen Geländer durch die Überlagerung der gelochten Stahlbleche psychedelische Muster erzeugen ein im besten Sinn des Wortes "billiger" Effekt, der den Weg zu den Pausenräumen ohne Zusatzaufwand zu einem besonderen Erlebnis macht. Bedauerlich ist jedoch, dass die Bauherren die Architekten nicht in die Einrichtung des Gebäudes involviert haben und sich auch bei der Lichtgestaltung die Standards im Nutzbau der Gemeinde Wien durchgesetzt haben. Das übliche Braun-Beige dominiert die Meisterbüros und die Bestuhlung des Speisesaals, und auch die Garderoben hätten mit geringer Anstrengung einen besseren Start in den Arbeitstag vermitteln können. Wenn mit einem aufwendigen Wettbewerbsverfahren eine hochwertige Architektur gesucht und sogar realisiert wird, ist es absurd, bei Mobiliar und Beleuchtungskonzept auf ähnliche Maßstäbe zu verzichten. Durch falsche Entscheidungen in diesem Bereich werden gute architektonische Ansätze manchmal bis zur Unkenntlichkeit neutralisiert. Ähnliche Probleme gibt es gerade bei öffentlichen Bauherren oft am anderen Ende des Spektrums, nämlich bei der Tragwerksplanung. Das Werkstättengebäude in Her-
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nals wäre prädestiniert für eine Leichtkonstruktion in Stahl und war von den Architekten im Vorentwurf in Zusammenarbeit mit dem Tragwerksplaner Peter Bauer auch als solche konzipiert. In konstruktiver Hinsicht herrscht jedoch in Wien nach wie vor Bunkermentalität, und so blieb es am Ende bei der konventionellen Lösung in Stahlbeton. Die Gesamtqualität des Projekts können diese Punkte aber kaum schwächen. Caramel sind Optimisten, die sich trotz der vielen gewonnenen, aber nicht realisierten Wettbewerbe nicht davon abhalten lassen, ihre Aufträge weiterhin über den Wettbewerb zu suchen. Als Optimisten dürfen sie auch an die Lernfähigkeit der öffentlichen Bauherren glauben. Die Presse, 2.4.2005
DER SWING DER MASCHINE Wie eine glitzernde, in Aluminium und Glas gehüllte Maschine steht der Bau in der Landschaft. Keine lauten Töne, dafür Gestalt, Gesicht und ein Dialog mit der Außenwelt. Ein Industriebau in Lustenau. In der Geschichte der modernen Architektur spielt der Industriebau eine besondere Rolle. Einer seits verdankt die Moderne der "Ingenieurarchitektur" des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wesentliche Anregungen, andererseits fand sie im Industriebau ein von Konventionen unbelastetes Experimentierfeld für ihre gestalterischen Prinzipien. Das "kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Körper", als das Le Corbusier Architektur definiert hat, konnte sich im Industriebau ebenso entfalten wie die harmonische Einheit von Form, Funktion und Konstruktion - für die Moderne ein klassisches, vom Historismus nur verschüttetes Ideal.
Fotos: Bruno Klomfar
Das nun in der zweiten Baustufe fertig gestellte Produktions- und Verwaltungsgebäude der Walter Bösch KG in Lustenau, Vorarlberg, scheint diese Tradition fortzuführen. Von der plastischen Wirkung der Baukörper über die Gliederung der Fassade bis zu den Materialien drückt das Gebäude zurückhaltende Eleganz aus. Es gibt keine lauten Töne, selbst der Haupteingang zum Verwaltungsgebäude verschwindet in der Glasflucht des Erdgeschoßes, nur durch ein schmales Vordach markiert. Wie eine glitzernde, in Aluminium und Glas gehüllte Maschine steht der Bau in der Landschaft. Für die Architekten Erich Steinmayr und Richard Dünser ging es aber um mehr als das elegante Erscheinungsbild. Das Projekt lässt sich auch als Versuch lesen, Kräfte zu zähmen, die nicht nur in Vorarlberg die Kulturlandschaft radikal transformieren. Das Industriegebiet, in dem sich die Walter Bösch KG Ende der 1980er-Jahre als eines der ersten Unternehmen angesiedelt hat, liegt am östlichen Ortsrand der Gemeinde Lustenau. Hier befand sich ein weit gehend intakter Landschaftsraum mit alten Obst- und Laubbäumen, der den Übergang vom Ortszentrum zum Lustenauer
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Ried, einem der letzten Feuchtgebiete, bildete. Will man in dieser sensiblen Zone die Zusammenhänge zwischen Ort und Landschaft zumindest teilweise erhalten, darf die Industriezone nicht zu einem undurchdringlichen Niemandsland werden. Was dort gebaut wird, muss Gestalt und Gesicht haben, und es muss ausreichend dimensionierte Korridore zur öffentlichen Nutzung übrig lassen. Erich Steinmayr hat sich dieser Aufgabe gestellt, die Nutzfläche kompakt organisiert und den Fassaden eine Physiognomie gegeben. "Ich wollte nach Möglichkeit alle Fassaden als Gesichter sehen, sodass ein Dialog zwischen innen und außen, wenn immer möglich, entsteht," schreibt er in seinen Entwurfsgedanken über den "Wandel vom Landschaftsraum zum Industriegebiet". Im jetzt fertig gestellten zweiten Bauabschnitt bildet der Verwaltungstrakt die Randbebauung zum Ried und erlaubt den Mitarbeitern einen ungehinderten Blick in den angrenzenden Naturraum. Die knapp 90 Meter langen und 18 Meter tiefen Großraumbüros sind durch und durch rationalistisch: weiße Wände und Säulen, grauer Teppichboden, eine Decke aus Metallpaneelen und graues Mobiliar. Nur der Blick in die Landschaft relativiert diesen calvinistisch-nüchternen Eindruck. Steinmayr verwendet hier vertikale Aluminiumpaneele, die er als "Bretter" bezeichnet, zur Gliederung der Fassade und zur Vermeidung von Erwärmung und Blendung im Inneren. Die nach Osten orientierte, raumhohe Glaswand ist dadurch gut vor der Sonne geschützt, sodass die Mitarbeiter auf zusätzliche, den Ausblick störende Beschattungen verzichten können. An der südlichen Schmalseite des Verwaltungstraktes, wo die Sonne in steilerem Winkel einfällt, erfolgt die Beschattung dagegen mit horizontalen Gitterrosten. Steinmayr hat mit ähnlichen Elementen schon bei früheren Projekten gearbeitet, etwa zusammen mit Friedrich Mascher beim Studien- und Forschungsgebäude für die Wiener Albertina und mit Richard Dünser bei der Erweiterung des Rathauses von Lustenau. Auch dort verband er kühle technische Perfektion mit subtilen Proportionen und feinen Materialabstufungen. Der Unterschied liegt in der Dimension. Bei einem Industriebau dieser Größe - die Außenmaße der Gesamtanlage betragen rund 100 mal 140 Meter - ist die Harmonie zwischen Form, Funktion und Konstruktion nicht mehr in derselben Weise aufrecht zu erhalten wie bei den beiden anderen Projekten. Die eigentliche Struktur des Gebäudes für die Walter Bösch AG ist für den Betrachter überhaupt nicht mehr nachvollziehbar: Den Kern der Anlage bildet ein Hochregallager, das allseitig von Produktionshallen umschlossen wird. Die Verwaltungsbauten als äußerste Schicht bilden zwar das Gesicht nach außen, machen aber nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Gesamtkubatur aus. Dass es Steinmayr gelungen ist, angesichts einer Nutzfläche von 22.750 Quadratmetern den Eindruck von Kohärenz über mehrere Baustufen zu erhalten, ist eine besondere Qualität des Projekts. Die architektonische Leistung geht dabei weit über das Ästhetische hinaus. Sie umfasst Logistik, Technik und nicht zuletzt die Einhaltung des Budgets unter den üblichen Bedingungen des Industriebaus. Auffällig sind nur die Unterschiede in den Konstruktionssystemen zwischen erster und zweiter Baustufe. Hatte Steinmayr in der ersten Baustufe noch einen Stahlbau geplant und dabei vor allem in den weit gespannten Produktionshallen mit ihren eleganten Oberlichten Qualität erzielt, so handelt es sich bei der zweiten Baustufe - vor allem aus Brandschutzgründen - um einen Stahlbetonbau. Geänderte Bauordnungsbestimmungen lassen heute nur noch diese Lösung wirtschaftlich erscheinen. Auf Wunsch des Bauherrn finden sich in der zweiten Ausbaustufe im Erdgeschoß, einem aktuellen Trend folgend, Wände mit Lehmoberfläche. Dieses Material gibt dem Eingangsbereich und dem Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum einen erdigen Charakter - ein effektvoller Kontrast zur kühlen Rationalität des sonstigen Gebäudes. Die eigentliche Überwindung des rein Rationalen findet jedoch auf einer subtileren Ebene statt, wenn die kühle Maschinenästhetik durch Lichtführung, Proportion und feine Abstufungen von Material und Oberflächen zum Schwingen gebracht wird. Erst dadurch wird dieser Industriebau zur Baukunst. Er unterscheidet sich deutlich von vielen recht schön in Glas und Aluminium verkleideten
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Industriebauten, die sich der Zerreißprobe zwischen künstlerischer Freiheit und ökonomischen Sachzwängen aber nicht auszusetzen wagen. Die Presse, 19.3.2005
TIROL, GEWELLT, GEFALTET Die Kämpfe zwischen "Lederhosenstil" und "modernem Ausdruck" interessieren kaum mehr. Tirol ist in der postindustriellen Gesellschaft angekommen, auch in der Architektur. Zum neuen Gewerbepark in Aldrans bei Innsbruck. "Autochthone Architektur": Mit diesem Begriff sollte Anfang der 1990er-Jahre eine "Neue Tiroler Architektur" international bekannt gemacht werden. Abgesehen von der urtirolerischen Lautkombination "chth", die diesem Schlagwort einen besonderen regionalen Charme verleiht, war unter autochthoner - im wörtlichen Sinn bodenständiger oder alteingesessener - Architektur eine Architektur mit tiefen Wurzeln gemeint, die vom Alpinen Haus der anonymen Tradition über Heroen wie Lois Welzenbacher und Franz Baumann bis zu Josef Lackner reicht. Etwas boshaft ließe sich diese Charakterisierung als "alteingesessen modern" übersetzen, entsprechend zurückhaltend war auch die internationale Resonanz. In den letzten Jahren hat sich das Bild jedoch deutlich gewandelt. Die neue Tiroler Architektur ist experimenteller und vielschichtiger geworden, zugleich findet sie auch in der breiten Öffentlichkeit ein verstärktes Interesse. Internationale Stars wie Zaha Hadid und Dominique Perrault haben zu diesem Image beigetragen. Zugleich hat sich durch die kontinuierliche Leistung der lokalen Szene ein Qualitätsniveau eingestellt, das mit jenem Vorarlbergs durchaus konkurrieren kann. Die M-PreisMärkte werden zu Recht als Modell einer anspruchsvollen, sozial verträglichen und trotzdem ökonomisch erfolgreichen Architektur im Bereich des Handels gepriesen. Und mit dem Umbau des Innsbrucker Adambräu - eines denkmalgeschützten Industriebaus von Lois Welzenbacher - hat das Land kürzlich ein Bekenntnis zur zeitgenössischen Architektur abgelegt: In prominenter Lage sind hier das Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck und das ehemalige Architekturforum Tirol unter seinem neuen Namen "aut - architektur und tirol" - untergebracht. Letzteres hat sich seit seiner Gründung 1993 zu einem "Hot Spot" der österreichischen Architekturszene entwickelt, der auch international ausstrahlt. All das ist kein Zufall, sondern die Konsequenz einer kulturellen Modernisierung und internationalen Öffnung, die zwar wesentlich auf den Tourismus zurückzuführen ist, sich aber längst nicht mehr darauf beschränkt. Tirol ist in der postindustriellen Gesellschaft angekommen, auch in der Architektur. Die alten Grabenkämpfe zwischen "Lederhosenstil" und "modernem Ausdruck" interessieren kaum mehr. Relevant sind Fragen nach neuen Wohn- und Arbeitsformen, nach der Beziehung zur Landschaft und vor allem nach der Siedlungs- und Raumordnungspolitik. Denn ähnlich wie das Rheintal in Vorarlberg ist auch das Inntal in Tirol von einer scheinbar unkontrollierbaren Entwicklung geprägt, in der sich Siedlungen und kommerzielle Nutzungen ohne überregionale Abstimmung in die Landschaft fressen. Die ambitionierte Gestaltung von Einzelobjekten kann an den ästhetischen, ökologischen und sozialen Problemen, die sich daraus ergeben, nicht viel ändern. Beklagt wird das schon seit Jahren. Alternativen scheitern meist an den - ökonomisch auf den ersten Blick verständlichen - Egoismen einzelner Gemeinden, die durch großzügige Widmungen und geringe Auflagen Betriebsansiedlungen anzuziehen versuchen. Eine neue Raumordnungsnovelle, die das Land unlängst beschlossen hat, soll die Schaffung von Planungsverbänden anregen, in denen die Gemeinden überörtliche Raumplanung nicht in Konkurrenz, sondern kooperativ betreiben, ohne ihre Autonomie aufzugeben. Zu den ersten Gemeinden, die sich in dieser Form zusammenschließen wollen, gehören die sieben Gemeinden der Region 17 südlich von Innsbruck. Ein Grund dafür ist ein Projekt eines Gewerbeparks, der von den drei Gemeinden Aldrans, Sistrans und Lans gemeinsam errichtet wird.
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Dieses Projekt unterscheidet sich deutlich von allem, was üblicherweise mit dem Begriff Gewerbepark verbunden wird. Anstelle einer Agglomeration von Einzelobjekten soll hier eine große Figur entstehen, die im Dialog mit der Landschaft den Ort prägt, ohne ihn zu zerstören. Die Anlage sieht drei rund 200 Meter lange, ins Gelände gefaltete Großstrukturen vor, die durch ein unterirdisches Garagenbauwerk verbunden sind. Hier können sowohl Produktion als auch Büronutzungen untergebracht werden. In der obersten Zeile ist eine Wohnanlage vorgesehen. Zwischen diesen Strukturen sind fünf Ateliergebäude mit loftartiger Nutzung für Kleingewerbe und Büros eingestellt. In der letzten Ausbaustufe umfasst das Projekt 40.000 Quadratmeter Nutzfläche. Für Walter Peer, bei der Porr Infrastruktur GmbH als Developer für das Projekt verantwortlich, ist die Signifikanz der Anlage entscheidend für das Erreichen der Zielgruppe von innovativen Produktionsbetrieben und Dienstleistern. Diese Zielgruppe ist am Image und an einer hohen Qualität der Arbeitsplätze interessiert. Der exzellente Ruf, den sich Tirol als Fremdenverkehrsland aufgebaut hat, kann zu einem Standortfaktor auch bei internationalen Betriebsansiedlungen werden, wenn entsprechend auf die Landschaft reagiert wird. Das Projekt bezieht nicht zuletzt aus diesem Grund den Blick von oben mit ein: Die Struktur ist groß genug, um auch vom Flugzeug aus deutlich wahrgenommen zu werden. Ein Beleuchtungskonzept soll diese Wirkung verstärken. Für den städtebaulichen Entwurf der Anlage zeichnet der Innsbrucker Architekt Johannes Wiesflecker verantwortlich. Er spielt dabei ein prominentes architektonisches Thema der letzten Jahre - Architektur als Landschaft - gegen die kartesianische Geometrie aus: auf der einen Seite die gefalteten Dächer, auf der anderen die klaren Kuben der Ateliergebäude. Was im Modell locker hingeworfen erscheint, ist das Resultat einer intensiven Beschäftigung mit dem Potenzial des Geländes und den möglichen Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer, die ja vorab nicht bekannt sind. Flexibilität ist daher eine zentrale Forderung, die sich durch die offenen Geometrien gut herstellen lässt, ohne bei jeder Änderung eine Beeinträchtigung des Konzepts befürchten zu müssen. Aus demselben Grund wird die Planung der einzelnen Bauteile von einem vorgegebenen "Architektenpool" übernommen werden, aus dem die Unternehmen auswählen können. Das mag nach Einschränkung aussehen, ist aber letztlich eine Voraussetzung für Qualität. An Interessenten, die sich auf dieses Konzept einlassen, mangelt es jedenfalls nicht. Im Sommer soll der erste Bauabschnitt begonnen werden. Die Presse, 19.2.2005
NISCHEN, GLOBAL Ein Kunst- und Kongresszentrum in Nanjing, ein Museumsaufgang in Rivoli, das Porsche-Museum in Stuttgart und ein Bahnhof für Brünn: globale Exporte der jungen österreichischen Architektur. Ein Trend? Architektur war schon immer ein Exportartikel, sofern man unter dem Begriff nicht Ziegel und Beton versteht, sondern Ideen und Techniken, die sich rasch über
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nationale und sprachliche Grenzen hinweg verbreiten. Das galt schon in der Gotik und im Barock, und es gilt vermehrt unter den aktuellen Bedingungen der Globalisierung. Dass Architekten wie Hans Hollein und Coop Himmelb(l)au auf einem internationalen Markt agieren und seit Jahrzehnten ihre Netzwerke pflegen, ist bekannt, ebenso, dass in Österreich seit einigen Jahren internationale Stars wie Zaha Hadid oder Dominique Perrault zu Aufträgen kommen. Der nationalen Architekturszene hat das nur genützt. Von einer österreichischen Architektur als Stil würde heute niemand mehr ernsthaft sprechen, sehr wohl aber von einer spezifischen Baukultur, die sich über Schulen, Netzwerke und regional differenzierte Praktiken der Architekturproduktion im internationalen Austausch definiert. Seit kurzem verdichten sich die Anzeichen, dass es einer jüngeren Generation österreichischer Architektinnen und Architekten gelingt, ihrerseits international Fuß zu fassen. "Jung" ist dabei relativ: Es handelt sich um die Generation der 40- bis 50Jährigen, die auf sehr unterschiedliche Art die Gelegenheiten nutzt, die sich aus der Globalisierung und Öffnung von Grenzen ergeben. Dass Rainer Pirker und sein architeXture-Team im chinesischen Nanjing ein Kongresshotel mit integrierter Kunstgalerie planen, verdanken sie einer glücklichen Kettenreaktion. Der Architekturvermittler Volker Dienst hatte eine Ausstellungs- und Vortragsreihe für junge österreichische Architekten in China organisiert, aus der sich 2004 eine Gastprofessur Pirkers in Nanjing ergab. Ein lokaler Investor war von Pirkers Projekten so angetan, dass er ihm den Entwurf eines seiner ambitioniertesten Projekte anvertraute. Die Funktionsmischung lässt einige Zukunftsvisionen der chinesischen Eliten erahnen: Die Kunstgalerie bildet, umschlossen von Kongressräumen, den Kern des Gebäudes. Die Hotelsuiten liegen in den obersten beiden Geschoßen und gruppieren sich um himmelsnahe Gartenhöfe. Pirker hat das Gebäude als einen Kristall konzipiert, der auf wenigen tragenden Scheiben und Stützen über einem künstlichen See und weitläufigen Garten schwebt. Die Tagwerksplanung stammt von Peter Bauer von Werkraum Wien und wird - so wie die weitere Ausführungsplanung - von chinesischen Partnerbüros detailliert. Baubeginn ist der Sommer 2005, zeitgleich mit einem von Arata Isozaki koordinierten Wohnbauprojekt desselben Investors.
Pirkers ähnlich ambitionierte Projekte in Österreich blieben unerfüllte Träume, selbst dort, wo er im Wettbewerb den 1. Preis erhalten hatte. Ein Feuerwehrhaus in Osttirol scheiterte an mangelnder Satteldachkompatibilität, eine Glashülle für das Bürogebäude der Statistik Austria an den Kosten, und die Planungsvision für die KDAG-Gründe verkam zu einem eher unappetitlichen Bauträgerbrei. (Eine Leistung, für die sich die Stadt Wien seit letzten Dezember absurderweise mit dem OttoWagner-Städtebaupreis schmücken darf.) Dass Pirkers Architektur in China, dessen Baukultur nach wie vor mit Massenproduktion assoziiert wird, auf mehr Gegenliebe stößt als in Österreich, sollte jedenfalls zu Denken geben.
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In einem anderen Maßstab agieren Erich Hubmann und Andreas Vass bei ihrem Projekt für einen neuen Aufgang auf das Schloss in Rivoli bei Turin. Ausgelöst durch eine U-Bahn-Verlängerung, will die Stadt eine neue Verbindung zu dem im Schloss untergebrachten Museum - der bedeutendsten Sammlung zeitgenössischer Kunst in der Region - schaffen. Hubmann und Vass haben vor Jahren eine ähnliche Aufgabe, die Zugangslösung für die Alhambra im spanischen Granada, mit Bravour gelöst. In Rivoli vernähen sie die Stadt mit dem Schloss, indem sie ein Muster aus Rolltreppen in den Berg schneiden, die an strategischen Punkten Ausblicke auf Türme und Wegachsen bieten. Der Entwurf, dessen Realisierung diesen Sommer beginnt, lebt wesentlich von feinen Details in der Kombination von Stahlbeton, Naturstein und dem Cortenstahl für Dächer und Rolltreppenwangen. Zur Sicherung der Ausführungsqualität mussten Hubmann und Vass als Generalplaner jedes Detail im Vorfeld präzise definieren, um dem für die Ausführung verantwortlichen Generalunternehmer keinen Spielraum nach unten zu lassen. Unterstützt wurden sie dabei von den Wiener Tragwerksplanern Gmeiner und Haferl, die auch die technische Lösung für die Abstützung der Bergflanke entwickelten. Einer weit weniger kontemplativen Art der Fortbewegung verdanken Roman Delugan und Elke Delugan-Meissl ihren bisher imageträchtigsten Auftrag. 170 Büros hatten sich zur Teilnahme am Wettbewerb für das neue Porsche-Museum in Zuffenhausen beworben, aus den zehn ausgesuchten Büros gingen Delugan-Meissl schließlich als Sieger hervor. Porsche hat im Wettbewerb nicht auf internationale Stars gesetzt, sondern ausschließlich auf deutsche Büros - Staab, Allmann Sattler Wappler, Lamott-Wittfohlt, Friedrich Poerschke Zwink, Dinse Feest Zurl, Wandel Hoefer Lorch + Hirsch - und neben Delugan-Meissl zwei weitere Zuladungen aus dem deutschsprachigen Ausland, nämlich Morger & Degelo aus der Schweiz und BKK3 aus Wien. Im Unterschied zu den gerade entstehenden Konkurrenzbauten wird das zukünftige Porsche-Museum nur lose mit dem Markenimage verknüpft sein: Es zeigt weder die wirbelnde Dynamik des Coop Himmelb(l)au-Entwurfs für BMW noch die manische Technologieverliebtheit von Ben van Berkels Museum für Daimler-Chrysler. Gerade deshalb bleiben für Ausstellung und Bespielung aber größere Freiheiten. Wenn es sich bei der Konkurrenz nach ein paar Jahren ausgestaunt hat, könnte das für das Porsche-Museum durchaus zum Vorteil werden. In der Tradition der klassischen Moderne bewegt sich schließlich das Siegerprojekt für den neuen Bahnhof in Brünn. Das ist kein Zufall, ist die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts durch die Brünner Funktionalisten und das Haus Tugendhat von Mies van der Rohe immer noch identitätsstiftend für die Stadt. Das Wiener Architektenteam mit teilweise tschechischen Wurzeln - Eva Ceska, Friedrich Priesner, Jiri Vendl und Andreas Fellerer - legt einen eleganten Riegel mit Warteräumen und Sekundärnutzungen quer über die Bahnsteige, unter denen sich eine Verteilerebene mit den lokalen Verkehrsanschlüssen befindet. Ein Hochhaus akzentuiert den Bahnhofsplatz und bildet den Auftakt für die städtebauliche Entwicklung in Richtung Stadtzentrum. Die ruhige, funktionalistische Sprache ist der Aufgabe und dem Ort angemessen, und die Architekten haben in ihren bisherigen Arbeiten bewiesen, dass sie in dieser unspektakulären Sprache durchaus zu substanziellen Aussagen fähig sind. Stilistisch haben diese vier Projekte wenig miteinander zu tun. Die gemeinsame Marktnische, die sie besetzen, heißt Qualität. Dass österreichische Architektur international ein wichtiger Imagefaktor ist, wird kaum mehr bestritten. Dass sie auch im Export relevant ist, muss sich erst bestätigen. Eine letztes Jahr von Robert Krapfenbauer, dem Präsidenten der Architekten- und Ingenieurkammer, mitbegründete Arbeitsgemeinschaft "Planungs- und Beratungsexport" argumentiert, dass jeder Euro Planungsleistung das Siebenfache an zusätzlicher Wertschöpfung im Export bringt. Anerkennung als Wirtschaftsfaktor hätte die Baukultur jedenfalls verdient.
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Die Presse, 29.1.2005
GHIBERTI UND DIE JETTI-TANT Für die einen ist er eine Vergeudung von Talent und Energie, für die anderen der Garant für den kreativsten Entwurf: der Wettbewerb. Eine Abwägung aus aktuellem Anlass. Ob Wettbewerbe eine Plage oder ein Segen für die Baukultur sind, ist in der Architekturszene immer wieder Gegenstand leidenschaftlicher Debatten. Wettbewerbe liefern dem Auslober den besten Entwurf aus einer breiten Palette von Ideen, sagen die Befürworter. Durch die Publikation und Diskussion der Ergebnisse würden Wettbewerbe überdies zur Entwicklung der Architektur beitragen, oft auch durch nicht prämierte Projekte, weil sie ihrer Zeit voraus waren. Die Gegner sehen im Wettbewerb dagegen eine Vergeudung von Talent und Energie, einen Potlatsch, in dem mit enormem Aufwand an Genie und Fleiß eine Vielzahl von Ideen geboren wird, von denen am Ende alle bis auf eine unrealisiert bleiben. Für den Auftraggeber sei es sicherer, einen Auftrag direkt an den Architekten oder die Architektin seiner Wahl zu vergeben, statt sich womöglich mit einem unbekannten oder gar unerfahrenen Preisträger abfinden zu müssen. Das Thema ist derzeit in mehrfacher Hinsicht aktuell. Einerseits freut sich die heimische Szene darüber, dass ein österreichisches Büro einen der renommiertesten Wettbewerbe der letzten Jahre gewonnen hat: Coop Himmelb(l)au stehen nach einer langen, von Kämpfen hinter den Kulissen geprägten dritten Wettbewerbsphase als Architekten des neuen Gebäudes für die Europäische Zentralbank in Frankfurt fest. Dem Bewerb war ein Auswahlverfahren vorausgegangen, bei dem aus weltweit 300 Bewerbungen 70 "etablierte" und zehn "junge" Büros als Teilnehmer ausgewählt wurden. Aus deren Projekten wählte im Sommer 2003 eine Jury unter dem Vorsitz der an der Technischen Universität Wien lehrenden Architektin Françoise-Hélène Jourda zwölf Kandidaten für die zweite Phase aus, die bis Dezember ihre Projekte weiterzuentwickeln hatten. Im Jänner 2004 wurden aus diesen zwölf drei Preisträger gekürt, die ihre Projekte nochmals zu überarbeiten hatten. Coop Himmelb(l)au erhielten schließlich den Zuschlag mit einem Entwurf in zwei Varianten, die sich in Konstruktion und Nutzfläche und damit in den Kosten unterscheiden. Welche gebaut wird, ist immer noch fraglich.
Fotos: EZB
Einen ähnlich aufwendigen Prozess der Projektfindung gibt es in keiner anderen Disziplin. Viele "kreative" Dienstleistungen kennen Hearings, bei denen einige Büros geladen werden und persönlich präsentieren, Unternehmen bieten ihre Leistungen im Wettbewerb an, aber sie stellen sich dabei nicht einer Jury, sondern dem Markt, auf dem meist der bessere Preis den Ausschlag gibt. Dass sich in der Architektur ein Verfahren, bei dem Chancen und Aufwand in der Regel in keinem Verhältnis zueinander stehen, bis heute gehalten hat, hängt mit der besonderen Stellung der Architektur zwischen Kunst und Dienstleistung zusammen. Die Historikerin Hélène Lipstadt sieht im neuzeitlichen Wettbewerb eine Autonomiebestrebung, bei der sich
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das Handwerk des Bauens für einen Moment die Freiheit anderer Künste herausnimmt. Als Meilenstein dieser Entwicklung nennt Lipstadt den Wettbewerb für die Bronzetüren des Babtisteriums in Florenz im Jahr 1401, bei dem alles zu finden ist, was den Mythos des Architekturwettbewerbs ausmacht: junge Künstler ohne große Referenzprojekte, die ihre Chance nutzen (der Sieger, Lorenzo Ghiberti, ist gerade 20 Jahre alt), und mit dem revolutionären Entwurf Filippo Brunelleschis ein zweiter Platz, der zwar nicht realisiert wird, aber die Kunstentwicklung nachhaltiger prägt als der Sieger. Die Aufregung um einen anderen derzeit in Wien laufenden Wettbewerb, die Funktionssanierung des Ronacher-Theaters, ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Das Ronacher ist in der Architekturszene Symbol für eine knappe Niederlage der Kreativität gegen den berüchtigten Beharrungstrieb der Wiener Seele: 1987 hatten Coop Himmelb(l)au einen Wettbewerb mit einem Projekt gewonnen, das in der Architekturgeschichte heute etwa den Status von Gehrys Museum in Bilbao hätte. Helmut Zilk hatte sich für das Projekt stark gemacht, den Denkmalschutz vorerst in Schach gehalten und am Ende doch - in eigener Diktion - vor der "JettiTant'" kapituliert, der die Wiener Innenstadt am Ende auch noch zu gefallen hätte. Das Haus wurde schließlich von Luigi Blau ohne große Veränderungen saniert. Ursprünglich als Kabarettbühne konzipiert, war es als Ort für experimentelles Musiktheater - wie Coop Himmelb(l)au ihren Entwurf verstanden hatten - ebenso wenig brauchbar wie als klassisches Musicaltheater: Der Zuschauerraum hat keine ausreichende Neigung, es gibt weder Hinterbühne noch Bühnenmaschinerie. Womit nach knapp 15 Jahren eine weitere Generalsanierung des Ronacher um rund 30 Millionen Euro ansteht. Unter anderem soll das Parkett des Zuschauerraums abgesenkt und eine völlig neue Bühne errichtet werden, was massive und technisch höchst komplizierte Eingriffe in die Bausubstanz mit sich bringt. Im Wettbewerb wird ein Generalplaner gesucht, der Architektur, Tragwerksplanung, Bühnentechnik und technische Gebäudeausstattung übernimmt. Derartige Leistungen werden in der Regel von Arbeitsgemeinschaften angeboten, die sich für ein Projekt zusammenschließen. Dass die ig-Architektur, eine Interessenvertretung großteils jüngerer Architekturbüros, sich nun mit heftigem Protest gegen das Verfahren zu Wort gemeldet hat, liegt an den Kriterien: Einen Mindestumsatz des Architekturpartners von zwei Millionen Euro pro Jahr und zumindest ein Referenzprojekt aus dem Theater- und Veranstaltungsbau mit über 15 Millionen Euro Bausumme kann in Österreich nur eine Handvoll Architekten wie etwa Wilhelm Holzbauer nachweisen. Nach dem Protest wurde die Umsatzsumme auf eine Million Euro reduziert, die Einschränkung in Bezug auf die Referenzprojekte blieb aufrecht. Im Prinzip hat die ig Recht: Die Tendenz, nicht offene Wettbewerbe mit immer engeren Kriterien auszuloben, um nur noch etablierte Büros zum Zug kommen zu lassen, ist fatal. Ob es klug war, gerade den Spezialfall des Ronacher-Projekts als Zielscheibe zu nehmen, sei dahingestellt: Die Architekturleistung steht hier - anders als beim Wettbewerb 1987 - sicher nicht im Mittelpunkt, und junge Büros haben die Chance, sich in Partnerschaften zu bewerben. Auf jeden Fall abzulehnen ist die Beschränkung von Referenzprojekten auf eine einzige Bauaufgabe. Architektonische Kompetenz ist nie auf eine bestimmte Funktion beschränkt. Dass gerade junge Architekten und solche, die sich zum ersten Mal mit einer bestimmten Aufgabe befassen, oft die interessantesten und auch funktionell innovativsten - weil vorurteilsfreien - Beiträge liefern, ist kein Mythos, sondern vielfach belegt. Der Wettbewerb mit möglichst offenem Zugang ist für öffentliche wie private Auftraggeber nach wie vor das beste Instrument, um in der Architektur Qualität und Innovation zu erhalten. Eine Zugangsbeschränkung mag aus praktischen Gründen manchmal nötig sein: Aber selbst unter den für öffentliche Aufträge geltenden rigiden Bestimmungen des EU-Vergaberechts ist eine Auswahl nach qualitativen und nicht quantitativen Kriterien möglich. Auch dann können - wie das Beispiel EZB beweist - die Großen zum Zug kommen. Aber die anderen haben zumindest eine Chance.
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Die Presse, 18.12.2004
WARM UND SAUBER Ein "Meilenstein der zeitgenössischen Architekturentwicklung": das ehemalige Laborgebäude der Universität für Bodenkultur. Die Sanierung erhält Teile der Substanz, aber nur wenig von der Idee. Vielleicht ist es ja nichts anderes als Sentimentalität. Aber das große, rostige Haus geht mir ab. Es stand versteckt hinter den historischen Gebäuden der Universität für Bodenkultur an der Peter-Jordan-Straße, ein eigentümlicher Bau mit vorgehängten Stahlrahmen und Schrägverglasungen. Zur Zeit seiner Errichtung, 1974, galt er als Zeichen der Modernisierung der Universität, ein "Experimentalbau" mit 17,5 Meter weit spannenden Trägern auf schlanken Stützen. 1976 erhielten der Architekt Anton Schweighofer und der Tragwerksplaner Wolfdietrich Ziesel dafür den europäischen Stahlbaupreis. Konzipiert war das Gebäude als Ausschnitt eines modularen Rasters, der das gesamte Gelände der Universität überzog und Erweiterungsfähigkeit in alle Richtungen garantieren sollte. Die großen Spannweiten erlaubten es, auch im Erdgeschoß Nutzungen wie den Hörsaal unterzubringen, der an die "anatomischen Theater" alter Universitäten erinnerte. Das rostige Äußere war kein Bauschaden, sondern Absicht: Sowohl die Verkleidung als auch die tragende Konstruktion bestanden aus einer speziellen Stahlsorte, die als korrosionsfest galt, da sie zwar oberflächlich rosten, sich durch diese Rostschicht aber selbst vor weiterer Korrosion schützen sollte.
Ich habe es natürlich leicht, dem Gebäude nachzutrauern: Ich war weder Benutzer noch Betreiber, habe nie heiße Sommer darin verbracht und musste nie darüber nachdenken, wie man eine rostende Fassade daran hindert, sich aufzulösen. Der verwendete Stahl erwies sich nämlich als keineswegs rostfest, sondern korrodierte weiter, was vor allem die filigranen vorgehängten Teile an der Fassade in Mitleidenschaft zog. Zu einem weiteren Problem wurde der Asbest, der hier wie bei vielen Stahlbauten aus dieser Zeit zum Brandschutz eingesetzt wurde. Niemand lebt gerne mit dem Risiko, dass Spuren dieses Krebs erregenden Materials in die Atemluft gelangen. So wurde das Gebäude schrittweise abgesiedelt und stand schließlich Mitte der 1990er-Jahre, nur 20 Jahre nach seiner Eröffnung, leer. Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) als Besitzer war sich bewusst, dass es hier nicht um eine simple Asbestsanierung ging, sondern - wie es in einer BIG-Broschüre zum Projekt heißt - einen "Meilenstein der zeitgenössischen Architekturentwicklung". Obwohl die Geschoßhöhe von 4,5 Metern, die sich aus den großen Spannweiten und der Installationszone für die Labors ergeben hatte, für eine reine Büronutzung mehr als großzügig bemessen war und man in einem Neubau bei gleicher Gesamthöhe mehr Geschoße untergebracht hätte, entschied man sich für die Sanierung. Die BIG beauftragte Anton Schweighofer zusammen mit den Architekten Schwalm-Theiss, Gressenbauer und Bohrn, die für die Umsetzung zuständig sein sollten, mit einem Sanierungs- und Erweiterungsprojekt. Schweighofer plante zuerst, das gesamte Gebäude mit einer Glashaut auf hölzerner Unterkonstruktion einzukleiden. Dahinter sollten nur jene Fassadenteile erneuert werden, die völlig korrodiert waren. In einem zweiten Konzept, das auf gestiegene Flächenan-
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forderungen reagierte, entwarf Schweighofer ein Glashaus mit schrägen Wänden, das sich über den Bestand stülpte. Die ursprünglich nach allen Richtungen offene Struktur sollte damit in einen gerichteten Körper eingehaust werden, eine Art "Arche Noah" aus Glas, in der zwischen rostigem Bestand und neuer Haut eine Klimahülle mit Bepflanzung hätte entstehen sollen. Unter dem First war eine über alle Geschoße reichende Innenzone mit Brücken und Arbeitsgalerien vorgesehen. Angesichts solcher Ideen bekamen es die zukünftigen Nutzer mit der Angst zu tun. Nach Jahren in der "Rostlaube" nun im Glashaus sitzen zu müssen erschien ihnen als eine Zumutung, für deren Charme sie auch durch bauphysikalische Berechnungen nicht zu gewinnen waren. BIG und Universitätsleitung, die unter dem Druck standen, die in Baracken untergebrachten Nutzer rasch mit neuen Räumen zu versorgen, wollten keinen mühsamen Planungsprozess riskieren. Schwalm-Theiss, Gressenbauer und Bohrn hatten inzwischen ein Alternativprojekt entwickelt, das die Stahlkonstruktion weitgehend erhält und mit flankierenden Anbauten aus Stahlbeton ergänzt. Im Inneren sollte durch Entfernung der Geschoßdecken im mittleren Rasterband eine Passage mit Kaskadentreppe, zwei Liften und Brücken entstehen. Diese Lösung erwies sich als konsensfähig und kann seit kurzem im Ergebnis besichtigt werden. Im Inneren ist der Umbau durchaus geglückt. Er lebt dabei primär von den großen, für einen Bürobau geradezu imperialen Raumhöhen von 4,5 Metern. Die Stahlkonstruktion ist sichtbar und in der großen Halle besonders freigespielt, indem die Oberlichtbänder einen respektvollen Schwenk hinter die Trägerachse machen. Die Kaskadentreppe knickt etwas unsicher durch den Raum, bietet aber schöne Ein- und Durchblicke in die verglasten Seminarräume zu beiden Seiten der Halle. Die Arbeitsplätze sind großzügig, das Lüftungssystem mit Low-TechMaßnahmen gut zu regulieren. In der Außenansicht ist vom Vorgängerbau aber nichts mehr zu sehen. Das Ziel, den "architekturhistorischen Wert zu sichern", wie es die BIG formuliert, hat man verfehlt und stattdessen ein paar Stahlträger erhalten. Schweighofers Sanierungskonzept hätte den Altbau und dessen zeittypische Schwächen - etwa das mangelnde ökologische Bewusstsein - kommentiert und aus dem Dialog eine inhaltliche Aussage gemacht. Das jetzt realisierte Projekt schweigt oder sagt bestenfalls, dass wir es alle gern warm und sauber haben. Das ist in Ordnung, aber Architektur ist es noch lange nicht. Vielleicht gelingt es dem Denkmalamt, das auch in diesem Fall den bestehenden Denkmalschutz aufhob, zumindest bei Schweighofers Stadt des Kindes in Wien Penzing, der ein ähnliches Schicksal droht, eine angemessenere Sanierung durchzusetzen. Die Presse, 25.9.2004
SCHULE, NEU GEDACHT Wer Schule als lebendigen, offenen Teil des Gemeinwesens will, der sollte die Chance nutzen, das auch räumlich auszudrücken. Die Salzburger Gemeinde Mattsee plant ein mutiges Projekt. Und kämpft nun mit der Angst vor der eigenen Courage. „Die Schule neu denken“: Unter diesem Titel hat der deutsche Pädagoge Hartmut von Hentig 1993 seine Reflexionen über das Bildungssystem im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert zusammengefasst. Ein Grundgedanke Hentigs ist die Verwandlung der Schule von einem Ort der Belehrung in einen Ort der Erfahrung, an dem die Schüler Selbstbestimmung und Solidarität als gleichermaßen zentrale Werte begreifen lernen. Diese Schule ist keine Aufbewahrungs- und Gleichrichtungsanstalt, sondern lebendiger, offener Teil des Gemeinwesens. Mit Architektur hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun. Auch in einem konventionellen Schulgebäude lassen sich neue Formen des Unterrichts erproben. Aber wer die Schule wirklich neu denken will, wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das auch räumlich auszudrücken. In den 90er-Jahren haben sowohl das Wiener Schulbauprogramm als auch die Schulen, die von der Bundesimmobiliengesellschaft in ganz Österreich errichtet wurden, den Schulbau auf ein neues Niveau gehoben. Wirklich neu gedacht wurde die Schule dabei nur selten,
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zu sehr bauen die meisten Projekte auf konventionellen Typologien und Betriebsformen auf. Das soll die Leistung nicht schmälern: In seiner regionalen Vielfalt von den Städten bis zu ländlichen Gemeinden ist der österreichische Schulbau auch im internationalen Vergleich durchaus vorbildlich. Die Schule auch architektonisch neu zu denken, geht allerdings über ästhetische Fragen hinaus. Wenn die Schule wirklich ein integraler Teil des Gemeinwesens werden soll, dann muss sie auch zum Teil des öffentlichen Raums werden, sich mit anderen Nutzungen verbinden und neue Betriebsformen entwickeln. Beispiele dafür sind noch selten. Umso erfreulicher ist es, wenn einmal nicht die Stadt, sondern eine Landgemeinde die Vorreiterrolle für ein solches Experiment einnimmt, wie es die Gemeinde Mattsee gerade mit ihrer neuen Polytechnischen Schule vorhat. Aus einem Wettbewerb ist hier ein Projekt hervorgegangen, das so gar nicht aussieht wie ein Schulhaus. Im Anschluss an einen bestehenden Turnsaal haben die Architekten Thomas Forsthuber und Christoph Scheithauer drei klar ablesbare Baukörper arrangiert: Ein Sockelgebäude mit Werkstätten, die U-förmig einen Werkhof umschließen; einen quer dazu angeordneten Klassentrakt, der den Weg zum See begleitet; und einen auf Stützen über dem Werkstättensockel schwebenden Körper, in dem ein kleines Jugendzentrum untergebracht ist. Der Klassentrakt wird seitlich von einem verglasten Treppenhaus erschlossen, der als Gelenk- und Verteilerraum auch die Verbindung zum Altbau herstellt. Das Sockelgebäude mit den Werkstätten nutzt geschickt den Geländesprung: Sein Dach ist eine öffentliche begehbare Fläche, die unmittelbar die Straße erweitert. Ein paar Oberlichten für die Werkstätten wachsen als schräge Körper aus dem Asphalt heraus. Dass die Jugendlichen diese Elemente auf vielfältige Art in Gebrauch nehmen werden, ist ganz im Sinne des Architekten. Kritiker des Projekt stoßen sich daran, dass es nicht nur nicht wie ein Schulhaus aussieht, sondern nicht einmal wie ein Haus. Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren, also die wesentlichen zukünftigen Nutzer des Gebäudes, haben damit wohl keine Schwierigkeiten. Sie würden sich wahrscheinlich für viel abseitigere Formen der Schule begeistern: Warum soll man nicht auf einem Schiff in die Schule gehen oder in der Eisenbahn? Das Schulhaus als fest gemauerte, nach außen klar abgegrenzte Institution ist wahrscheinlich für Lehrer und Direktoren ein viel wichtigeres Anliegen, gerade weil die Schule heute derartig unter Druck steht. Diesem Druck versucht das Projekt aber nicht durch Abgrenzung zu begegnen, sondern durch eine fließende Einbindung in den umgebenden öffentlichen Raum, wie sie mit konventionellen Formen gar nicht möglich wäre.
Fotos: Forsthuber
Forsthuber hat bereits in einem anderen Projekt, dem Kinder- und Jugendhaus in Salzburg Liefering - das neben vielen internationalen Auszeichnungen auch den Architekturpreis des Landes Salzburg erhalten hat -, bewiesen, dass ein solches Konzept funktioniert. Auch dieses Haus ist eine große, besteigbare Skulptur mit mehreren Eingängen für unterschiedliche Altersgruppen, die im Inneren ein dichtes Gewebe von Aktions- und Rückzugsräumen anbietet. Die Schule in Mattsee bietet ähnliche Qualitäten in Ergänzung zu all den Funktionen, die von einer polytechnischen Schule erwartet werden. Und so wie das Jugendhaus in Liefering sehr genau auf die Struktur - nicht die Form - der umgebenden städtischen Bebauung
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reagiert, so reagiert auch das Schulprojekt für Mattsee präzise auf den umgebenden Landschaftsraum. Der Bauplatz bildet mit einer kleinen Allee eine Art von Landschaftsschleuse zwischen dem Seeufer und dem von dort ansteigenden Buchberg. Durch die geschickte Staffelung der Baukörper lässt das Projekt diese Schleuse offen und gibt ihr durch das schwebende Jugendzentrum noch einen besonderen Akzent. Ob sich die Gemeinde wirklich mit dem Projekt anfreunden kann, ist noch nicht ganz sicher. Obwohl die Jury sich einstimmig dafür ausgesprochen hat, keinen zweiten, sondern nur zwei dritte Preise zu vergeben, hat der Gemeinderat beschlossen, auch diese Projekte nochmals zu einer Präsentation einzuladen. Dass die Gemeindevertreter ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekommen haben, ist nachvollziehbar. Unkonventionelle Lösungen haben immer ein gewisses Konfliktpotenzial. Aber die Erfahrungen, die gerade kleine Gemeinden mit solchen umstrittenen Projekten gemacht haben, sind überwiegend positiv. Gerade weil diese Projekte Diskussionen auslösen und eine Auseinandersetzung der Bürger mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten verlangen, steht am Ende die Akzeptanz und oft genug der Stolz darauf, dass man sich zu etwas Neuem entschlossen hat. Sollte das Projekt noch gestoppt oder klein gekocht werden, wäre das jedenfalls ein schlimmes Signal für die Salzburger Baukultur: Es gab ein anonymes Wettbewerbsverfahren mit einer ausgewogenen Jury, in der neben renommierten Architekten auch Gemeindevertreter und die Schuldirektorin stimmberechtigt waren; die Jury hat einstimmig ein Projekt ausgewählt und zwei andere nur als eindeutig nachrangig auf die Plätze verwiesen. Auch Jurys können sich irren. Aber ein besseres Verfahren zur Einbindung von lokaler Verantwortung und fachlicher Kompetenz hat bis jetzt niemand erfunden. Die Landesregierung, die einen Großteil der Kosten trägt und das Projekt nicht zuletzt wegen seiner architektonischen Qualität für eine baldige Realisierung gereiht hat, trägt hier auch eine Verantwortung für die zukünftige Entwicklung. Wer die engagiertesten Architektinnen und Architekten als Projektanten und Jurymitglieder gewinnen will, muss auch in der Umsetzung Konsequenz beweisen. Mattsee wird einer der schönsten Orte Salzburgs bleiben, auch wenn es sich ein Bauwerk leistet, das anders aussieht als alles, was bisher am Ort Brauch gewesen ist. Aber es könnte damit ein Signal an seine Jugendlichen aussenden: Das 21. Jahrhundert hat auch bei uns begonnen.
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Die Presse, 16.8.2004
PRINZIP HOFFNUNG Lange galt sie als Wiener Vorzeigeprojekt mit Symbolkraft: die "Stadt des Kindes". Jetzt soll sie verkauft und umgenutzt werden. Das Denkmalamt zieht sich aus der Affäre. Ein Plädoyer gegen die Macht der schleichenden Sachzwänge. Es war einmal eine Stadt, die wollte ein Zeichen setzen. Anlässlich des 50. Geburtstags der Republik Österreich im Jahr 1969 beschloss die Stadt Wien, in Penzing, an der Wiener Westeinfahrt, ein Kinderheim zu errichten, wie es die Welt bisher nicht gesehen hatte: keine Bewahrungsanstalt für "schwer erziehbare Kinder", sondern eine zur Umgebung hin offene Struktur mit Einrichtungen wie Schwimmbad und Sporthalle, Theater und Café, die allen Bewohnern des Bezirks offen stehen sollten. Schlafsäle sollte es keine mehr geben, sondern Familieneinheiten nach dem Vorbild der SOS-Kinderdörfer, freilich als "Stadt des Kindes" in eine urbane Form übertragen.
Fotos: Kühn
Das Zeichen, das hier unter der Patronage der damaligen Stadträtin für Soziales, Maria Jacobi, gesetzt wurde, sollte nicht zuletzt die Reformfähigkeit der Wiener Sozialisten signalisieren. Während die junge Generation nach 1968 den langen Marsch durch die Institutionen antrat, der sie inzwischen zu Bürgermeistern und Stadträten gemacht hat, versuchten die alten Institutionen mit derartigen Projekten, neue Wege zu gehen. Es ist bezeichnend, dass die "Stadt des Kindes" aus dem Magistrat ausgegliedert und einem unabhängigen Verein übertragen wurde, der außerhalb eingefahrener Bahnen agieren durfte. Das Ergebnis ist eines jener Bauwerke geworden, denen Ernst Bloch in seiner unter dem Titel "Das Prinzip Hoffnung" erschienenen Geschichte der Utopie ein eigenes Kapitel widmet: "Bauten, die eine bessere Welt abbilden". Die "Stadt des Kindes", wie sie 1969 bis 1974 nach den Plänen von Anton Schweighofer errichtet wurde, symbolisiert eine wohlgeordnete und sichere Welt, die als letzter Abglanz der heroischen Zeiten des Roten Wien gesehen werden kann. Die Abstufung von öffentlichen, halböffentlichen und privaten Räumen ist vorbildlich gelöst, die Nutzungen sind sinnvoll zugeordnet und durch ein Wegesystem auf mehreren Ebenen verflochten, das sich durch die Spannung zwischen klarer Orientierung und überraschenden Wendungen auszeichnet. Entlang der Hauptachse stapeln sich Wege, Brücken und Treppen, ein schwebender Baldachin aus rot gestrichenem Stahl begleitet die Zugänge zu den Wohnungen und folgt dem sanft abfallenden Gelände. In der Mitte der Anlage verdichtet sich der Raum zu einem Labyrinth, in dem man sich geschützt, aber nicht gefangen fühlt. Die Familiengruppen sind in fünf südseitig orientierten Wohnblöcken untergebracht, die in der Ansicht wie freundliche Riesen mit einladend geöffneten Armen aussehen.
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Die Innentreppen der Wohneinheiten zeichnen sich nach außen als schräge Glasprismen ab, auf denen die weiß gestrichenen Betonkuben der Obergeschosse zu ruhen scheinen. Jede Wohneinheit hat direkten Blick auf die Bäume des angrenzenden Parks sowie kleine Gärten und Terrassen als individuelle Freibereiche. Dass diese scheinbar idealen Voraussetzungen nicht zum gewünschten pädagogischen Erfolg geführt haben, hat viele Gründe. Schon bald nach der Eröffnung wurde die "Stadt des Kindes" wieder in die Strukturen des Magistrats integriert und als "normales" Heim betrieben, das mit denselben Problemen in Bezug auf Drogen und Gewalt zu kämpfen hatte wie andere Großheime. Als die Stadt Wien in den 1990er-Jahren beschloss, alle Heime zu schließen und nur noch kleine, in normale Wohnbauten integrierte Einheiten zu betreiben, wurden die Bewohner der "Stadt des Kindes" sukzessive abgesiedelt. 2002 wurde das Heim endgültig geschlossen, mit ihm die öffentlichen Einrichtungen wie Theater und Schwimmbad. Warum die Stadt Wien mit dieser Anlage nichts Besseres anzufangen weiß, als sie an Private zu verkaufen, ist schwer nachzuvollziehen. Immerhin hat die "Stadt des Kindes" für eine bestimmte Epoche denselben Symbolwert wie der Karl-Marx-Hof für eine andere. Es hätte sich aber - so behaupten zumindest die Verantwortlichen der Gemeinde - beim besten Willen keine adäquate öffentliche Nutzung gefunden. Bereits im Frühjahr 2002 wurde ein Auswahlverfahren ausgelobt, bei dem Investoren eingeladen wurden, Vorschläge für die Verwertung des Areals und der Gebäude einzureichen und einen Kaufpreis zu bieten. Als Sieger aus diesem Verfahren ging die Arbeitsgemeinschaft der Bauträger Wiener Heim/Mischek und Arwag mit einem Angebot von 4,7 Millionen Euro hervor. Das architektonische und städtebauliche Konzept dazu stammte von Margarete Cufer. Der entsprechende Bebauungsplan mit flankierenden Wohngebäuden wurde vor wenigen Wochen im Gemeinderat beschlossen. Verkauft ist die "Stadt des Kindes" aber bis heute nicht, und unklar ist auch, wie der Altbestand tatsächlich saniert und adaptiert werden soll. Wer die öffentlichen Einrichtungen betreiben wird und ob Bereiche wie das Schwimmbad je wieder zu bezahlbaren Preisen zugänglich sein werden, ist ebenso offen. Zwar wird von allen Seiten der gute Wille zu einem sensiblen Umgang mit der Substanz beteuert und darauf verwiesen, dass Anton Schweighofer ja als Berater und Juror in das Projekt eingebunden bleibe. Ob nach einem Verkauf der Druck der Sachzwänge nicht doch zu groben Veränderungen führen wird, ist aber nicht abzusehen. Klare Verhältnisse könnte hier das Denkmalamt schaffen. Der Stellenwert der "Stadt des Kindes" in kultur- wie architekturhistorischer Hinsicht ist in der Fachwelt unumstritten. Sie ist ein in Österreich einzigartiges Beispiel für eine internationale Architekturströmung, die mit Namen wie Alison und Peter Smithson und Aldo van Eyck verbunden ist. Charakteristisch für diese Architektur sind die souveräne Verbindung von klassischen und anti-klassischen Prinzipien und ein besonderer sozialer Anspruch, der jedoch nie in die Banalität des nur gut Gemeinten kippt. Die "Stadt des Kindes" vermittelt die Absichten ihrer Zeit, lässt sich aber - wie jede große Architektur - nicht wirklich aus ihnen erklären oder gar auf sie reduzieren. Umso befremdlicher ist eine vom Präsidenten des Denkmalamts, Gregor Rizzi, verfasste Stellungnahme, dass "ein öffentliches Interesse an der Erhaltung nicht gegeben" sei. Die "Stadt des Kindes" hätte, so Rizzi in seiner Begründung, "ihre inhaltliche sozialpädagogische Widmung verloren, die als Identitätsträger in sozialhistorischer Hinsicht auch einen Teil der Bedeutung ausmachte". Dem Objekt sei in seinem "gegenwärtigen Baubestand zwar durchaus architektonische Bedeutung beizumessen, doch kann sie angesichts der für die weitere Existenzfähigkeit des Baukomplexes absehbaren unumgänglichen Veränderungen nicht die Grundlage für ein öffentliches Interesse an der Erhaltung abgeben". Der Zirkelschluss ist evident: Weil eine bevorstehende Umnutzung das Objekt gefährde, könne es leider nicht geschützt werden. Rizzi beruft sich dabei auf einen Paragrafen des Denkmalschutzgesetzes, der besagt, dass ein Denkmal nicht unter Schutz gestellt werden kann, wenn es nach den Maßnahmen zu seiner Erhaltung so verändert wäre, dass ihm keine Bedeutung als Denkmal mehr zukäme. Dieser Passus
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bezieht sich aber ausdrücklich auf Maßnahmen, die durch den "statischen oder sonstigen physischen Zustand" erforderlich werden und nicht auf die Folgen einer Umnutzung. Das Denkmalamt wird nicht darum herumkommen, sich auch in Österreich ernsthaft mit Baudenkmälern der jüngeren Vergangenheit auseinander zu setzen. Nach der kürzlich angekündigten Unterschutzstellung der Z-Filiale von Günther Domenig aus dem Jahr 1979 muss auch die Debatte über die "Stadt des Kindes" neu aufgerollt werden. Ein Denkmalschutzbescheid würde den guten Absichten aller Beteiligten den Rücken stärken. Die Arwag als Projektträger hätte damit kaum ein Problem: Sie hat am Meiselmarkt und bei der Remise Kreuzgasse bewiesen, dass sie durchaus im denkmalgeschützten Bestand zu agieren versteht. Die Presse, 3.7.2004
KEINE ZEIT ZUM FEIERN Mit dem Steinhaus am Ossiacher See hat er eine Messlatte seines Anspruchs gelegt, wie sie höher nicht sein könnte. Von der Zentralsparkasse in Favoriten bis zum T-Center am Rennweg: Günther Domenig zum 70. Geburtstag. Ab und zu leistet sich die Architekturgeschichte einen Ausbruch. Die klaren Formen der Renaissance lösen sich im Manierismus auf; die Stilkopien der Gründerzeit in den forcierten Neuschöpfungen des Jugendstils; der Funktionalismus nach 1945 in der kurzen Blüte der Pop-Architektur in den 1960er-Jahren. Immer schwingt in diesen Antithesen der Gegensatz zwischen Massenproduktion und künstlerischer Einzelleistung mit. Auf hunderte gute Baumeister der Renaissance kommt ein Michelangelo, auf tausende solide Architekten der Gründerzeit ein Antoní Gaudí. Architekten dieser Gewichtsklasse sind notorische Verfechter des Überflusses. Sie liefern Formen, nach denen niemand gefragt hat, und Räume, die sich davor oft niemand vorstellen konnte. Über Qualität ist damit noch nichts gesagt. Aber weil wir zu 99 Prozent in rechteckigen Räumen ohne Besonderheiten leben, ist dieser Architektur zumindest Aufmerksamkeit sicher. Und oft genug gilt nur sie als "Architektur", während alles andere aufs reine "Bauen" reduziert wird. Günther Domenig hat sich stets am äußersten Ende dieses Spannungsfelds positioniert. Mit der Zentralsparkasse in Wien-Favoriten wurde er für ein breites Publikum zum Inbegriff des Künstlerarchitekten. Dieses Gebäude besitzt alle Attribute, mit denen moderne Architektur schon immer den Volkszorn erregt hat: eine Fassade aus Stahl und Glas, Sichtbeton im Inneren. Aber hier ist Fassade organisch geschwungen, wölbt sich nach außen und ist beim Eingang hochgezogen wie ein leichter Vorhang. Im Schalterraum der Bank werden die Lüftungsrohre zu Eingeweiden, und um keinen Zweifel daran zu lassen, dass man es hier mit etwas Organischem zu tun hat, wird ein Teil des Stiegenhauses von einer großen, in Beton modellierten Hand gestützt. Man darf annehmen, dass es Domenigs eigene ist: Auf nichts anderes stützt sich dieses Gebäude als auf den persönlichen Gestaltungswillen seines Architekten.
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Die Zentralsparkasse war das erste größere Projekt Domenigs nach der Auflösung seiner Partnerschaft mit Eilfried Huth 1974, die zehn Jahre gedauert hatte. Skulptural waren die Projekte dieser Partnerschaft von Anfang an gewesen. Das Pfarrzentrum in Oberwart etwa ist eine Betonskulptur im Stil des "Brutalismus", der mit einiger Verspätung in den 1960er-Jahren auch nach Österreich kam. Mit Brutalität hat diese Architektur ursprünglich nichts zu tun, sondern mit dem charakteristischen rohen Beton, dem beton brut. Dass der Begriff des "Brutalen" als Angriff auf herrschende Gemütlichkeiten hier mitschwingt, ist aber beabsichtigt. So wie viele andere Vertreter ihrer Generation, deren Arbeiten aus den 1960er-Jahren derzeit im Architekturzentrum Wien unter dem Überbegriff des "Austrian Phenomenon" zu besichtigen sind, suchten Domenig und Huth nach einer radikalen Erweiterung des Architekturbegriffs. "Medium Total" heißt eine ihrer Arbeiten, die in der Galerie nächst St. Stephan ausgestellt war. Dass ein solches Medium organisch, netzwerkartig, selbstgenerierend und in gewisser Weise formlos sein müsste, stand im Widerspruch zum architektonischen Anspruch, ihm trotz allem eine Form geben zu wollen. Mit dem Idealprojekt für Graz Raggnitz, in dem sie eine technoide Großstruktur mit organischen Zellen kombinierten, gewannen Domenig und Huth 1969 den Grand Prix International d'Urbanisme et d'Architecture, der sie auch international bekannt machte. 1970 verhalf ihnen dieser Erfolg zum Auftrag, Pavillons in die Schwimmhalle für die Olympiade in München einzubauen, leichte Strukturen aus Stahl, die wie versprengte Zellen aus dem Ragnitz-Projekt aussehen. "Holt mal die Artisten her", soll Günther Behnisch, der zusammen mit Frey Otto für die Planung der Olympiabauten verantwortlich war, damals gesagt haben. Die Partnerschaft mit Huth musste an dem inneren Konflikt zwischen der Formlosigkeit eines "Medium Total" und dem architektonischen Gestaltungswillen Domenigs zerbrechen. Huth konzentrierte sich nach der Trennung auf die Frage der Partizipation, also auf das Bauen als Kollektivanstrengung der späteren Nutzer. Domenig blieb der Künstler, der seine Architektur als individuelle Äußerung zelebrierte. Nun ist Architektur aber die Kunst, die am stärksten von externen Einflüssen abhängig ist. Radikale Künstlerarchitekturen sprengen daher nur selten den Maßstab, den die Gesellschaft für Experimente zu finanzieren bereit ist. Domenig ist es allerdings gelungen, in Dimensionen und Bauaufgaben vorzudringen, die ansonsten meist den Pragmatikern vorbehalten bleiben. Die Erweiterung der Architekturfakultät in Graz, wohin er 1980 als Professor berufen wurde, war ein erster großer öffentlicher Auftrag. Anfang der 1990er-Jahre folgten unter anderem die Rechts- und Sozialwissenschaftlichen Institute der Karl-Franzens-Universität in Graz, eine 300 Meter lange Megastruktur mit eingeschobenen Hörsälen, und das Landeskrankenhaus in Bruck an der Mur. Grundlage dafür, Projekte dieser Komplexität anvertraut zu bekommen, war die Partnerschaft Domenigs mit Hermann Eisenköck, die später um den Partner Herfried Peyker erweitert wurde und heute unter dem Namen "Architektur Consult ZT Ges.m.b.H." firmiert. Über 20 Jahre hat diese Partnerschaft die Spannungen zwischen Vision und Umsetzung bearbeitet und daraus gelernt. In den ersten großen Projekten sind Kompromisse oft noch leicht abzulesen, wenn zwar gewisse Bauteile expressiv durchgeformt sind, anderswo aber die Pragmatik regiert. Mit dem Steinhaus, dem work in progress einer Bauskulptur am Ossiacher See, hat Domenig überdies eine Messlatte seines Architekturanspruchs gelegt, wie sie höher nicht sein könnte. Die ersten Projekte, bei denen dieser Anspruch auch im großen Maßstab eingelöst wurde, waren dem Kulturbereich zuzuordnen: die Landesausstellung in Kärnten 1995 und vor allem das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, 2001. Für Domenig, der eine Kindheit im Nationalsozialismus hinter sich hat, ist dieses Projekt auch eine persönliche Abrechnung. Dass es gelingen kann, auch bei einer reinen "Investorenarchitektur" Visionen umzusetzen, haben Domenig und die Architektur Consult vor kurzem mit dem T-Center am Wiener Rennweg bewiesen. Mit 120.000 Quadratmeter Nutzfläche ist dieses Objekt eine der größten Büroimmobilien in Wien. Zugleich ist das T-Center eine liegende Skulptur, die von
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einem der besten halböffentlichen Räume durchzogen ist, die sich in der neueren Wiener Architektur finden lassen. Zu seinem 70. Geburtstag wird Domenig die Ehrenkreuzverleihungen und Feiern widerwillig über sich ergehen lassen, wie es sich für einen Künstlerarchitekten seiner Generation gehört. Immerhin kann er zu Recht behaupten, zum Feiern keine Zeit zu haben: Mit einem jungen Team hat er gerade ein neues Büro gegründet, das die Neugestaltung des A1-Rings in Spielberg bearbeitet. Noch ist das Projekt unter Verschluss. Man darf auf das Resultat gespannt sein. Die Presse, 19.6.2004
WEM DAS REICHT Das Problem besteht nicht in der mittelmäßigen Dekoration, sondern in den vielen Fragen, die hier nicht gestellt wurden: der neu gestaltete Schwarzenbergplatz eine erste Bilanz zwei Wochen nach der Eröffnung.
Fotos: Kühn
Der Schwarzenbergplatz ist den Wienern im Grunde nie aufgefallen. Er ist ein Platz ohne feste Grenze, der an der Ringstraße beginnt und 400 Meter weiter zu beiden Seiten des Hochstrahlbrunnens verschwindet. Auf halbem Weg verliert er sich beinahe in der quer zur Platzachse laufenden Lothringerstraße, die ihn an Breite um ein gutes Stück übertrifft. Für einen großen Wiener Platz ist es nichts Ungewöhnliches, keine Kontur zu haben. Auch vom Karlsplatz und vom Heldenplatz wissen wir ja nur vage, wo sie sind, aber nicht, wo sie beginnen oder enden. In seiner ursprünglichen, von Heinrich von Ferstel 1863 geplanten Anlage war der Schwarzenbergplatz allerdings ein gut proportionierter, um das Reiterstandbild des Fürsten Carl Philipp zu Schwarzenberg herum angelegter urbaner Raum, der stadtauswärts vom damals noch offen fließenden Wienfluss begrenzt wurde. Erst mit der Einwölbung des Flusses verlor der Platz seine Proportion und wurde zu einer breiten Straße, die sich stadtauswärts aufweitet. In der allgemeinen Wahrnehmung war der Schwarzenbergplatz seit Jahrzehnten nichts anderes als ein Verkehrsknoten, den inzwischen täglich über 60.000 Autos passieren. Seine legendären Bodenwellen sind Autofahrern noch bestens in Erinnerung. 1997 wurde der Verkehrsplaner Werner Rosinak von der Stadt mit einem neuen Verkehrskonzept beauftragt, das vorschlug, die den Platz vor dem Hochstrahlbrunnen querende Straße aufzulassen. Eine Verkehrsinsel, die dem Wiener Stadtgartenamt für schrullige Inszenierungen wie Blumenuhren und Stadtäcker gedient hatte, konnte so gewissermaßen ans Festland - den Platz um den Hochstrahlbrunnen - angebunden werden.
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Auf der Basis dieses Konzepts wurden vier Architektenteams zu einem Wettbewerb für die Platzgestaltung eingeladen, den der Spanier Alfredo Arribas gewann. Sein Plan sah vor, den rechteckigen Teil des Platzes um das Reitstandbild durch schlanke, dicht gestellte Laternenpfähle zu markieren. Bei Nacht sollte eine Lichtinszenierung den Platz völlig verwandeln. In Arribas' eigener Architektenpoesie: "Am Tag scheint der Platz unverändert - abgestufte Grauschattierungen verschmelzen Fassaden und Boden. Bei Nacht verwandelt sich die Symmetrie der Gebäude in Leuchtspuren. Funkelnde Laternenpfähle akzentuieren den dunkelgrauen Asphalt, ein Lichtstrahl vereint die fragmentierten Bodenbeläge. Strahlend rote Lichter zwischen den Schienen heben die Gleise hervor und warnen vor ankommenden Straßenbahnzügen; fluoreszierend grüne Lichter betonen und markieren die Übergänge." Seit kurzem kann man besichtigen, was aus Arribas' Konzept geworden ist. Am positivsten fallen sicher die Änderungen unmittelbar um den Hochstrahlbrunnen und das dahinter liegende Denkmal der Soldaten der Sowjetarmee auf. Die dichten Büsche, die bisher den Blick versperrten, wurden entfernt, die Bäume in Form gebracht. Die neu entstandene "Landzunge" in der Hauptachse wurde nicht begrünt, sondern mit einem befestigten Boden versehen, in den Lichtstreifen eingelassen sind, die den Platz von unten beleuchten. Nach Aussage der Stadt soll diese Fläche nur ausnahmsweise, und nicht - wie etwa vor dem Rathaus - kontinuierlich für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Stadtbewohner und Touristen werden sich hier wohl fühlen und im Sommer den leichten Nebel des Hochstrahlbrunnens genießen - solange sie nicht auf Details achten. Denn Arribas hat sich zwar bemüht, Elemente wie Randsteine und Begrenzungsmauern mit mehr Liebe zu behandeln als sonst in Wien üblich. Die Ausführung bleibt aber stellenweise deutlich hinter der Ambition zurück, etwa dort, wo eine gekurvte Mauer aus identischen geraden Elementen zusammengesetzt ist und dicke Mörtelfugen die entstehenden Probleme "lösen" sollen. So geht ein Häuselbauer vor, dem das Geld ausgegangen ist. Eine Großstadt sollte sich ein anderes Niveau leisten können. Ähnliches gilt auch für die Lichtinszenierung. Arribas' Konzept ist auf ein Minimum reduziert. Kein Licht, das sich je nach Verkehrslage ändert, keine Haltestellen, die sich rot verfärben, bevor eine Straßenbahn einfährt. Die im Boden eingelassenen Lichterketten sind zwar programmierbar, blitzen aber eher eintönig vor sich hin. Und aus den schlanken Masten rund um das Reiterstandbild sind plumpe Rohre geworden, die vor allem in der Ansicht von vorne eine unangenehme Wirkung entfalten. Die Beleuchtungskörper an diesen Masten sind zusätzlich über eine Seilabspannung gehalten, wodurch das Drahtgewirr über der Straße unnötig vermehrt wird. Jede Peitschenlampe aus den 1950er Jahren hat mehr Eleganz. Gescheitert ist Arribas' Lichtkonzept vor allem am hinhaltenden Widerstand der Wiener Linien gegen größere Lichtspektakel und an allgemeinen Bedenken in Hinblick auf die Verkehrssicherheit. Ursprünglich war eine diffusere Allgemeinbeleuchtung vorgesehen, um die Lichteffekte deutlicher hervortreten zu lassen. Der Schilder- und Ampelwald, der im Zuge der Neugestaltung noch leicht gewachsen ist, hat nur indirekt mit der Verkehrssicherheit zu tun. Er wächst im selben Maß, in dem Autofahrer nach einem Strafmandat die Behörden erfolgreich wegen mangelnder Beschilderung verklagen. Insgesamt ist der neue Schwarzenbergplatz weder besonders geglückt noch besonders verunglückt. "It works", sagte der Architekt bei der Eröffnung auf die Frage, ob er mit dem Ergebnis zufrieden sei. Wem das reicht, wird sich an die neue Gestaltung gewöhnen. Das eigentliche Problem besteht aber nicht in der mittelmäßigen Dekoration, sondern in den vielen Fragen, die hier gar nicht gestellt wurden. Was ist mit der "Kulturmeile", die sich quer zum Platz an der Lothringerstraße vom Musikverein und vom historischen Museum bis zum Akademietheater und zum Konzerthaus entwickeln könnte? Wie sieht überhaupt das Nutzungskonzept für den Bereich um den Hochstrahlbrunnen aus? Ist es sinnvoll, die Verkehrsplanung vor der Platzgestaltung abzuschließen, statt interdisziplinär eine Lösung zu entwickeln? Und was ist mit der Geschichte des Platzes, die Arribas der
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"poetischen" Idee opfert, die graue Tagesaktualität gegen einen nächtlichen Lichterzauber auszuspielen? Denn weder das Reiterstandbild noch das "Russendenkmal" sind beleuchtet, da sie sonst den Lichterketten Konkurrenz machen würden. Aber können wir sie wirklich so einfach aus dem öffentlichen Bewusstsein wegknipsen? Im Wettbewerb hatten die Architekten PAUHOF und der Künstler Hans Kupelwieser vorgeschlagen, die beiden Denkmäler von ihren Standorten zu entfernen und im vorderen Teil des Platzes einander gegenüber aufzustellen. Der Bereich um den Hochstrahlbrunnen wäre damit offen für eine völlig neue architektonische Lösung geworden. Allein die Idee hätte Diskussionen ausgelöst, die den Platz, seine Geschichte und Zukunft ins öffentliche Bewusstsein gebracht hätten, und vielleicht hätte sich am Ende eine Antwort gefunden, die einer selbstbewussten Großstadt angemessen ist. An derart grundsätzlichen Diskussionen zeigt die Wiener Stadtplanung aber schon lange kein Interesse mehr. Die Presse, 15.5.2004
NEUFERT TRIFFT BUSTER KEATON Der EUROPAN-Architekturwettbewerb suchte Auswege aus der baulichen Ödnis der so genannten "Speckgürtel". Ergebnis: Es gibt Alternativen zu den Stereotypen des tristen Stadtrand-Massenwohnbaus.
Foto: Kühn
Eines der augenfälligsten urbanistischen Phänomene der letzten Jahre ist die Verwandlung der ehemaligen Stadtränder. Der Stadtplaner Thomas Sieverts hat dafür den Begriff der "Zwischenstadt" geprägt, eine charakteristische Ansammlung aus Shopping- und Entertainmentzonen, Betriebsgebieten, konturlosen Wohnsiedlungen und einem entsprechend raumgreifenden Verkehrssystem. In der Öffentlichkeit ist zuletzt immer öfter vom "Speckgürtel" die Rede. Diese Metapher ist durchaus treffend: die Stadt als Herr in mittleren Jahren, dem beinahe unvermeidlich der Speck um die Mitte wächst. Eine Zeit lang wird mit "Brust-raus-Bauch-rein"-Übungen vor dem Spiegel die Illusion der schlanken Linie am Leben erhalten, aber letztendlich fügt sich das Selbstverständnis der Schwerkraft. Die Stadt ist aus den Fugen, und wir haben uns daran gewöhnt. Amerikanische Stadtforscher stellen zwischen Fettleibigkeit und "Suburbia" übrigens sogar eine direkte Beziehung her: Weil das Häuschen im Grünen dazu zwingt, auch die alltäglichsten Besorgungen mit dem Auto zu unternehmen, ist der Anteil der Übergewichtigen dort inzwischen signifikant höher als in anderen Siedlungsformen. So finde, meinte kürzlich Ellen DunhamJones bei einer Konferenz an der Kunstuniversität Linz, der "Urban Sprawl" seine Fortsetzung im "Human Sprawl". Bemerkenswert ist, dass es sich dabei um kein großstädtisches Phänomen mehr handelt. Der Speckgürtel ist überall, selbst in kleineren Gemeinden mit ein paar tausend Einwohnern. Wer heute mit offenen Augen durchs Land fährt, findet die immer gleichen Strukturen des Gleichgültigen, Kommerzschachteln ohne Beziehung zur Umgebung, die sich nur durch ihre Firmenlogos unterscheiden. Ausnahmen wie
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die "M-Preis"-Märkte in Tirol - die daher durchaus zu Recht als einer der österreichischen Beiträge zur diesjährigen Architekturbiennale nach Venedig ausgewählt wurden - bestätigen nur die Regel. Der Wohnbau, der sich im Speckgürtel ausbreitet, ist entsprechend trist. Auf der einen Seite gibt es die üblichen Einfamilienhausteppiche in immer engerer Parzellierung. Auf der anderen Seite nutzen viele Wohnbaugenossenschaften das Fehlen jeglicher Strukturvorstellung für diese Zonen zum Bau geradezu skandalöser Stereotypen, die ihren Bewohnern alles vorenthalten, was eine zeitgemäße Wohnung zu kaum höheren Kosten an Komfort, Offenheit und Schönheit bieten könnte. Dabei bietet gerade das Fehlen von etablierten Strukturvorstellungen eine Chance für Innovationen. Es ist kein Zufall, dass einer der wichtigsten Architekturwettbewerbe Europas, EUROPAN, seit Jahren auf dieses Thema ausgerichtet ist. Der EUROPANWettbewerb, zu dem junge Planer bis 40 zugelassen sind, hat sich seit 1988 zu einer Institution entwickelt, die neue Ideen zum Wohnbau erforscht, diskutiert und umsetzt. Gerade in der Architektur, in der oft nur von Einzelprojekt zu Einzelprojekt gedacht wird, ist der langfristige Aufbau eines internationalen Netzwerks zur Reflexion über Ziele und Methoden ein Beitrag, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. EUROPAN 7, der aktuelle Wettbewerb, dessen Ergebnisse letzte Woche beim EUROPAN-Forum in Athen diskutiert wurden, befasste sich mit dem Thema "Suburban Challenge - Urbane Intensität und Vielfalt des Wohnens". Damit ist EUROPAN endgültig in "Suburbia" angekommen, nachdem sich frühere Wettbewerbe mit "Der Stadt über der Stadt", also der Verdichtung innerstädtischer Räume, und mit dem Thema "Zwischenorte - Architektur im Prozess der urbanen Erneuerung" befasst hatten. Das Besondere des EUROPAN-Wettbewerbs liegt in seiner Organisation. Ein wissenschaftlicher Beirat legt alle zwei Jahre ein Thema fest. Dann bewerben sich in den inzwischen 16 Partnerländern Städte, die entweder direkt über die Gemeinde oder bereits über einen Bauträger Grundstücke anbieten und zugleich die Finanzierung der Jury und der EUROPAN-Administration übernehmen. Aus dieser Liste werden dann vom regionalen EUROPAN-Büro - dem in Österreich Klaus Kada als Präsident und Bernd Knaller-Vlay als Sekretär vorstehen - die Partnerstädte für den Wettbewerb ausgewählt. Die Jurierung erfolgt zweistufig: Zuerst wird etwa ein Fünftel der eingereichten Arbeiten - insgesamt über 2000, allein für die österreichischen Standorte 168 - von den lokalen Jurys ausgewählt und dann bei einem europaweiten Treffen aller Juroren diskutiert. Dann erfolgt die Endjury in den Ländern, bei der jeweils ein Projekt zur Ausführung, weitere Projekte für die Publikation vorgeschlagen werden. Bisher sind europaweit 200 Projekte realisiert oder befinden sich - wie etwa ein Wohnbau in Innsbruck von Frötscher/Lichtenwagner, ein Preisträger des Jahres 1996 - in Realisierung. Beim aktuellen EUROPAN-Verfahren wurden in Österreich Projekte in Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck und Krems bearbeitet. Einer Umsetzung am nächsten ist das Projekt in Salzburg-Lehen, wo die Gruppe Nil (Herold/Touzimsky) Wohnen für Senioren mit anderen Nutzungen in einer offenen Großform zusammenführt. In Innsbruck wird das Siegerprojekt von "architektur bn" (Bradic/Nizic) in Hinblick auf eine höhere Dichte überarbeitet. In Krems könnte auf der Basis der Projekte von Sammer/ Streeruwitz mit ihren "Vorstadtzutaten" und den diagrammatischen Ansätzen von Müller/Quednau ein neues Konzept für ein erweitertes Planungsgebiet entstehen. In Wien hat das expressive Siegerprojekt von Pallarés, Castellanos und Molina (Alicante/ London) gute Chancen auf eine Weiterbearbeitung in einem "Optimierungsverfahren", in dem zuerst die wesentlichen Qualitäten des Projekts generell spezifiziert und dann von Bauträgern unterschiedliche Varianten der Umsetzung ausgearbeitet werden. Am weitesten von konventionellen Vorstellungen entfernt ist das Grazer Projekt mit dem Titel "Das nachgeholte Treffen von Neufert, Tessenow und Buster Keaton: Situationismus 2003" von Benze/Kutz. Für Spezialisten: Eine simple Hülle (Tessenow) wird mit einem Katalog an Elementen (Neufert) gefüllt, deren Programmatik jedoch etwas bizarr anmutet (Buster Keaton). Das Ergebnis lässt höchst vergnügliche Wohnkombinationen erwarten, die alle Standards sprengen.
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Der EUROPAN-Wettbewerb beweist, dass eine Weiterentwicklung des Wohnbaus auch jenseits rein marktgetriebener Strukturen möglich ist und dass es noch genug Architektenteams gibt, die bereit sind, ihre Kompetenz dabei einzubringen. Ähnlich intelligente Verfahren auch außerhalb von EUROPAN zu fördern sollte ein öffentliches Anliegen sein. Immerhin fließt ja - in Form von Wohnbauförderung und bereitgestellter Infrastruktur - auch in die übelsten Beispiele des Massenwohnbaus öffentliches Geld. Die Presse, 28.2.2004
ZIEGEL, SORGFÄLTIG VERPACKT Architektur: eine kostspielige Sache für besondere Anlässe? Oder doch vielleicht eher etwas, was jeden Häuslbauer interessieren sollte? Ein Plädoyer aus gegebenem Anlass. Bauen - daran ließ kürzlich die Wiener Messe für Bauen und Energie keinen Zweifel aufkommen - ist eine komplexe Angelegenheit. Auf zwei große Hallen verteilt fand man hier die Einzelteile, aus denen sich das durchschnittliche österreichische Wohnhaus zusammensetzt: Wälder von Fertigkaminen, dicht arrangierte hölzerne Einbautreppen, die in ein nicht vorhandenes Obergeschoß führen, kleine Labyrinthe aus Hauseingangstüren und Sprossenfenstern, daneben Herden von Öltanks und Heizkesseln. In einer eigenen Halle plätscherten Wasserlandschaften aus Whirlpools und Schwimmbecken. Das alles sah ein wenig danach aus, als hätte jemand nach fachkundiger Sprengung der Fertighausausstellung "Blaue Lagune" in Vösendorf deren Bruchstücke nach Gruppen sortiert und wieder aufgebaut. Naturgemäß wurden auch Fertighäuser in allen Varianten angeboten, schlüsselfertig zum Fixpreis "mit Bestpreisgarantie in wenigen Wochen aufgestellt". Inzwischen ist das Angebot auf diesem Sektor technisch und ästhetisch kaum mehr zu überblicken, bis hin zu Holzkonstruktionen mit einer dünnen innenliegenden Schicht aus Ziegel "zur Optimierung des Raumklimas". Wer sich mit solchen einzigartigen, von Marketingexperten erdachten Synthesen von Leicht- und Massivbau noch nicht zufrieden geben will, kann sein Haus mit einem Dach aus Recycling-Kunststoff eindecken, das in Farbton und Form einem Ziegeldach täuschend ähnlich sieht und auf Wunsch mit eingelegten Solarzellen geliefert wird. Energetisch optimiertes Bauen ist ein zentrales Verkaufsargument, auch wenn der Grenznutzen zusätzlicher Wärmedämmungen inzwischen vernachlässigbar ist, zumindest in Relation zum Energieverbrauch des von peripheren Siedlungen erzeugten Pendlerverkehrs. Angesichts von Außenwänden, bei denen auf 25 Zentimeter Ziegelmauerwerk eine ebenso starke Wärmedämmung aufgebracht ist, möchte man jedenfalls Mies van der Rohes berühmten Ausspruch vom Anfang der Architektur als dem "sorgfältigen Zusammensetzen zweier Backsteine" modifizieren: Architektur beginnt heute mit dem sorgfältigen Verpacken eines Ziegelsteins in einer Schicht Dämmstoff. Eingestreut zwischen die Produktanbieter dieser Messe waren Beratungsinseln, auf denen verschiedene Interessenverbände und "Cluster" ihre Dienstleistungen anboten. Das Institut für Baubiologie- und Ökologie versprach Antwort auf die Frage, was "wirklich ökologisch, natürlich, wohngesund und baubiologisch" ist, und zeigte neben Prototypen von Niedrigenergie- und Passivhäusern als Attraktion das 1:1Modell einer innen mit Lehm verputzen Holzriegelwand. Niederösterreich war mit zwei "Clustern" vertreten - Töchtern der Regionalentwicklungsagentur Eco Plus -,
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dem Holzcluster und dem Ökobau-Cluster, die mit Landes- und EU-Förderung versuchen, Klein- und Mittelbetriebe zu vernetzen und zu "innovativen Projekten" zu ermutigen. Zum Programm gehören Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerker, mit denen die hohen Anforderungen an die Ausführungsqualität, wie sie bei energetisch optimierten Gebäuden gestellt werden, erreicht werden sollen. Ein ähnliches Netzwerk ist die IG Passivhaus Ost, in der Planer und Ausführende ihr spezielles Know-how auf diesem Sektor gemeinsam bewerben. In diesem Wald von Spezialisierungen fand sich eine Beratungsinsel unter dem schlichten Titel "Architektur". Eingerichtet wurde sie von der IG-Architektur, einer Plattform mit heute rund 150 Mitgliedern, die zur Neudefinition des Berufsbildes des Architekten beitragen und die Rahmen- und Arbeitsbedingungen für die Architekturschaffenden verbessern möchte. Mit ihrer Präsenz auf der Messe wollte die IG-Architektur die oft gezogene Grenze zwischen Bauen als Handwerk und Architektur als Kunst gezielt ignorieren. Auf dieser Beratungsinsel wurden weder Einzelteile noch Fertighäuser angeboten, sondern Informationen darüber, was Architekten überhaupt leisten und was diese Leistung kostet. Und davon hatten die meisten Besucher der Messe nur wenig Ahnung. Oft genug wird in den Beratungsgesprächen nach dem Produkt "Kreativität" gefragt, als ob sich diese irgendwo zwischen Wärmepumpe und Wintergarten einbauen ließe. Angesichts der vielen Spezialisierungen rundum war das verständlich: Warum sollte man sich mit dem Architekten nicht einen Spezialisten für Lifestyle und Schönheit leisten? Architektur beginnt aber ganz woanders: nämlich bei der Entwicklung der Aufgabenstellung zusammen mit dem Bauherrn, der Analyse der Bedingungen und Bedürfnisse in einem konkreten Anlassfall. Und sie reicht weit ins Technische und in Fragen der Bauabwicklung und Kostenkontrolle hinein. Dass Architekten sich mit ihren Häusern Denkmäler setzen wollen, ist ein längst überholtes Klischee. Gerade jüngere Architekten haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt an der Gestaltung von vorfabrizierten Bauteilen und Bausystemen beteiligt, die den Spielraum für individuelle Gestaltung nicht einengen, und damit die Grenze zwischen dem Fertighaus und dem individuellen Maßhaus zum Verschwimmen gebracht. Dass die Dienstleistung Architektur etwas kostet, ist klar, aber die Beträge sind, in Bezug zu den Gesamtkosten gesetzt, nicht hoch: beim Einfamilienhaus rund 15 Prozent der Bausumme oder 7 Prozent der Kosten inklusive Grundstück, Steuern und Abgaben. Nimmt man die Lebenszykluskosten des Hauses, also die Kosten inklusive Energie und Instandhaltung, zum Maßstab, ist der Prozentsatz noch geringer. Mit solchen Vergleichszahlen argumentiert die Architektenkammer freilich schon seit Jahrzehnten, ohne dass es sich besonders positiv auf die Situation der Architekten ausgewirkt hätte. Kreative Dienstleistungen gehören zu den weichen Faktoren, an denen man gerne zu sparen beginnt, vor allem, wenn die Konsequenzen guter Planung schwer quantitativ darstellbar sind und oft nur langfristig über den Lebenszyklus eines Objekts zum Tragen kommen. Was die Aktion der IGArchitektur aber auszeichnete, war der Mut, sich auf das Terrain der "Häuslbauer" zu wagen, zu dem sicher ein Großteil der Bauwilligen unter den rund 40.000 Besuchern der Messe zählte. Dass sich viele davon kurzfristig animieren ließen, ihr Haus mit einem Architekten zu planen, ist wohl kaum anzunehmen. Aber die bloße Präsenz in diesem Umfeld kann dem Trend entgegenwirken, Architektur nur mehr als eine kostspielige Sache für besondere Anlässe wahrzunehmen. Ein breites Architekturverständnis braucht nämlich beides: die Stars, die - hoffentlich zu Recht - im öffentlichen Rampenlicht stehen und an Aufgaben tätig sind, bei denen eine gewisse Aufregung nicht nur toleriert, sondern gefordert wird; und es braucht eine selbstverständliche Akzeptanz im Alltag, damit auch dort nicht allein das Zweckdienliche und Nützliche, sondern auch jene Überschüsse an Raum und Form, ohne die es im Alltagsleben eng wird, Platz finden dürfen. Das Beispiel der positiven Architekturentwicklung in Vorarlberg zeigt, wie wichtig es ist, ein breites Interesse für Architektur auf dieser Ebene zu wecken. Warum sollte das in Ostösterreich unmöglich sein?
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Die Presse, 3.1.2004
CAFÉ GESPENST Als Mythos hat es 100 Jahre überlebt, obwohl kaum eine Schraube vom Original mehr erhalten war: das 1899 von Adolf Loos gestaltete Café Museum. Jetzt ist es rekonstruiert - und doch nicht mehr als eine Kulisse. Nach einigen trostlosen Monaten, in denen man seinen kleinen Schwarzen anderswo trinken musste, hat das Café Museum am Karlsplatz wieder geöffnet. „Das Museum“ ist eine Institution: Nur Zugereiste und andere Ignoranten dürfen auf die Frage „Treffen wir uns im Museum?“ mit der Gegenfrage „In welchem?“ antworten, denn ohne weitere Bestimmungen wie „kunsthistorisch“ oder „technisch“ kann gar nichts anderes gemeint sein als das Café. Seit 1899 besetzt es einen strategisch wichtigen Punkt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Secession mit Blick auf die Karlskirche, kulturgeographisch nicht zum alten Zentrum, sondern zur Vorstadt hin orientiert. Seinen Namen hat das Café von den Hofmuseen mitgebracht, in deren Nähe der erste Besitzer bereits ein Café betrieb, das er - samt Namen - hierher übersiedelte.
Foto: Kühn
Mit der Gestaltung des neuen Lokals wurde ein junger, knapp 30-jähriger Architekt beauftragt, der zwar erst kleinere Umbauten realisiert hatte, aber 1898 durch eine Artikelserie in der „Neuen Freien Presse“ aufgefallen war, in der er anlässlich einer Ausstellung des Österreichischen Kunstgewerbes seine Ideen über zeitgemäßen Lebensstil formuliert hatte: Adolf Loos. Beeinflusst von englischen Vorbildern und von einem dreijährigen Aufenthalt in den USA von 1893 bis 1896 wandte er sich dabei sowohl gegen den damals dominierenden Historismus als auch gegen alle Versuche, mit Hilfe der bildenden Künste einen neuen Stil zu erschaffen. Ein neuer Stil - so Loos - sei schon längst da, in den zweckmäßigen, ornamentlosen und materialgerecht geformten Alltagsgegenständen, die das Handwerk überall dort hervorbringen könne, wo es sich von den bildenden Künstlern nicht bevormunden lasse. Zu den Bevormundern rechnete Loos zeitlebens auch die Mehrheit der Architekten, nicht nur die historisierenden, sondern auch die modernen. Sein Freund Karl Kraus lieferte dazu in einem Aphorismus die knappste Zusammenfassung: Loos hätte nichts anderes getan, als auf den Unterschied zwischen einer Urne und einem Nachttopf hinzuweisen, während die anderen entweder - im Historismus und bei den Wiener Werkstätten - den Nachttopf zur Urne oder - im Funktionalismus - die Urne zum Nachttopf hätten machen wollen. Loos war bereit, traditionelle Lösungen zu übernehmen, wenn sie ihm für den „Menschen mit den modernen Nerven“ noch verwendbar erschienen. Aber Tradition war für ihn kein Wert an sich. Seine Architektur war radikal gegenwartsbezogen, ohne Sentimentalität für eine angeblich bessere Vergangenheit, aber auch ohne das utopische Erlösungspathos der klassischen Moderne. Das Café Museum war das erste größere Werk, in dem Loos seine Ideen umsetzen konnte. Auf den historischen Photographien ist ein Raum ohne Besonderheiten zu erkennen, einfache Thonetsessel, dunkle Wandverkleidungen aus Holz bis zur Höhe der Sessellehnen, darüber eine gestreifte Tapete, oben mit einer Messingleiste abgeschlossen. Die gewölbte, weiße Decke ist durch weitere Messingleisten
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gegliedert, die elektrische Leitungen abdecken. Gruppen von Glühbirnen sind an Kabeln von diesen Leisten abgehängt, weitere Beleuchtungskörper - offensichtlich mit Gas betrieben - befinden sich an den Wänden, wobei die offen geführten Gasrohre zugleich als Garderobestangen verwendet werden. Spiegel kommen mehrfach zum Einsatz, an den Stirnwänden und an der Kasse, um den Blick der über den Eckeingang eintretenden Besucher diagonal in die beiden Haupträume zu lenken. Die Thonetsessel hat Loos nicht selbst entworfen, sondern Elemente aus mehreren verfügbaren Typen zu einem besonders leichten und eleganten Stuhl kombiniert. Das verwendete Bugholz hat elliptische anstelle von runden Querschnitten und war - wie sich an erhaltenen Originalen nachweisen lässt - in einem hellen Rot gebeizt. Loos hat hier nichts neu erfunden, aber vieles weggelassen, was seinen Zeitgenossen als unverzichtbar erschien: Ornament und Plüsch, jede Art von forcierter Gestaltung. Was Karl Kraus über die Kritiker des Hauses am Michaelerplatz schrieb, gilt auch für jene, die schon das „Museum“ als „Café Nihilismus“ denunzierten: „Er hat ihnen dort einen Gedanken hingebaut. Sie aber fühlen sich nur vor den architektonischen Stimmungen wohl.“ Gar nicht gemütlich ist auch die Fassade des Cafés, an der Loos auf alle Zierelemente verzichtete und nur eine weiß verputzte Wand mit großen Fensteröffnungen übrig ließ, auf der in Goldbuchstaben der Schriftzug „Café Museum“ angebracht ist. Diese Fassade ist das einzige Element des ursprünglichen Lokals, das die Zeit halbwegs unbeschadet überdauert hat. Schon in den 1930er Jahren wurde das Lokal von Josef Zotti, einem Schüler Josef Hoffmanns, völlig umgebaut. Seither hat es mehrfache Adaptierungen gegeben, die dem Lokal eine unverwechselbare, leicht verwegene Physiognomie verpassten. Als das Lokal im Frühjahr 2003 „wegen Renovierung“ geschlossen wurde, war zuerst davon die Rede, dass Eichinger oder Knechtl eine Sanierung durchführen sollten, und man durfte hoffen, dass den historischen Schichten und Mythen nun neue, aktuelle folgen würde. Diese Hoffnung hat sich mit der Wiedereröffnung einer anhand der alten Photographien aus dem Jahr 1899 erstellten Rekonstruktion zerschlagen. Das spekulative Motiv dieser Rekonstruktion, den großen Namen, der so gut ins „Wien um 1900“ Klischee passt, umsatz- und gewinnbringend auszuschlachten, ist offensichtlich. Wissenschaftlich hat die Rekonstruktion nichts erbracht, was nicht auch bei einer korrekten Bauaufnahme hätte herausgefunden werden können. Farbe und Material der gestreiften Tapete konnten an zwei Stellen entdeckt werden: grün gestrichenes Baumwollgewebe und nicht Velourstapeten, wie in einer zeitgenössischen Schilderung zu lesen ist. Bei der Beleuchtung zeigt sich aber die Unmöglichkeit, den historischen Zustand zu rekonstruieren: Die Beleuchtungskörper an Stelle der Gasbeleuchtung mögen in den Abmessungen korrekt sein, wirken aber größer und plumper, von der Lichtcharakteristik gar nicht zu reden. Dasselbe gilt von den die originalen Kohlefaserlampen ersetzenden Glühbirnen. Der Fußboden, der auf den Photos am ehesten nach dem braunen Linoleum aussieht, das in zeitgenössischen Amtsgebäuden verlegt war, wurde ratlos mit einem Eichenparkett belegt, weil sich im Schichtenaufbau kein Linoleum nachweisen ließ. Aber das sind Details. Selbst wenn die Fälschung echter wäre als das Original: Das Café Museum von 1899 war ein Schritt nach vorn, das neu-alte Café Museum ist ein Schritt zurück. Dass gerade ein Architekt wie Loos, der wie kein anderer an der Gegenwart interessiert war, bei einer solchen Charade vorgeführt wird, tut besonders weh. Aber Loos scheint geahnt zu haben, dass die Angst der Wiener vor der Gegenwart unheilbar ist. „Mir bangt nicht für mich“, sagt er in einem Vortrag über das Haus am Michaelerplatz aus dem Jahr 1911, in dem er mit seinen Kritikern abrechnet. „Mir bangt für die Baukünstler in 100 Jahren. Wen werden sie davon in 100 Jahren mit dem Haus am Michaelerplatz erschlagen?“
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Die Presse, 28.11.2003
DURCH UND DURCH UND DURCH Beratungsinseln statt eines durchgehenden Verkaufspults, ein großer Bereich für Selbstbedienung, ein "gläsernes" Labor: "Zum Löwen von Aspern", die etwas andere Apotheke von ARTEC. Der alte Ortskern von Aspern - das klingt ein wenig nach guter alter Zeit. Hier hat im Jahr 1809 Erzherzog Karl in einer erfolgreichen Schlacht den Mythos von der Unbesiegbarkeit Napoleons zerstört, und weil Österreich an erfolgreichen Mythenzerstörern nicht gerade reich ist, führen ihn unsere Schulbücher seither als den "Löwen von Aspern". Dem Ort hat das ein Denkmal und einen Namen mit gutem Klang beschert, auch wenn das ehemalige Angerdorf heute längst in die Gemeinde Wien eingegliedert ist. Von der guten alten Zeit ist in Aspern heute wenig zu spüren. Durch die enge Hauptstraße wälzt sich der Verkehr, viele Häuser haben ihre letzte Renovierung schon einige Zeit hinter sich. Seit kurzem findet sich hier ein Neubau, der zur Aufwertung des Orts beiträgt, gerade weil er sich - in architektonischer wie in funktioneller Hinsicht - nicht an die Spielregeln der guten alten Zeit hält. Wilhelm Schlagintweit, der Bauherr, hat nur bei der Namengebung eine Konzession an den Genius Loci gemacht: "Zum Löwen von Aspern" heißt die Apotheke, die er hier von ARTEC Architekten entwerfen ließ. Das inhaltliche Programm weicht aber einigermaßen von dem ab, was man sich üblicherweise unter einer Apotheke vorstellt. In den meisten Apotheken bildet die "Tara", das große Verkaufspult, eine natürliche Grenze zwischen dem Apotheker und seinen Kunden. Platz für Beratungen ist knapp, in der Regel gibt es kaum Möglichkeiten für den Kunden, sich im Kosmetik- und Nahrungsmittelbereich selbst zu bedienen, wie er es heute aus den meisten Einzelhandelsgeschäften gewohnt ist. Dass Apotheken sich in ihrer Struktur weit weniger verändert haben als die Geschäftslokale anderer Branchen, liegt nicht an der besonderen Ware, die hier verkauft wird, sondern vor allem an der geringen Konkurrenz auf einem staatlich geregelten Markt. Aber auch hier ändern sich die Rahmenbedingungen: Die Handelsspannen sinken, und auch der Internethandel wird zumindest mittelfristig den Umsatz reduzieren. Um hier wirtschaftlich zu bestehen, positioniert sich die Apotheke in Aspern als Gesundheitszentrum: Im Verkaufsraum finden sich Beratungsinseln anstelle eines durchgehenden Verkaufspults und zusätzlich ein großer Bereich für Selbstbedienung. Die Kunden können bei der Herstellung von Salben und Tinkturen zusehen. Ein kleiner Vortragssaal dient für Beratungs- und Kulturveranstaltungen, und am Samstag wird das Angebot durch einen "Bauernmarkt" ergänzt. Auf dem Dach hat Schlagintweit einen Kräutergarten nach benediktinischem Muster anlegen lassen, in dem die Pflanzen nach den Krankheiten, zu deren Heilung sie eingesetzt werden können, geordnet sind. Ein Cartoon, mit dem die Apotheke für sich wirbt, zeigt einen zufriedenen Kunden mit dem Ausspruch: "Das ist keine Apotheke, das ist ein Event." Es ist kein Zufall, dass die Apotheke Anfang November nicht von der Gesundheitsstadträtin, sondern von Wiens Planungsstadtrat Schicker eröffnet wurde. Private Initiativen zur Schaffung von öffentlichem Raum sind gerade in den Randbezirken besonders wichtig, denen das Zentrum immer noch kulturelle Identität absaugt. Eine Apotheke mit Programm kann genauso gegen diesen Abfluss beitragen wie eine Schule oder ein Sozialzentrum.
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Fotos: Spiluttini
Architektonisch haben ARTEC das anspruchsvolle Konzept ihres Bauherren kongenial umgesetzt und eine Apotheke entworfen, durch die man durch und durch sehen kann. Streng genommen, hat sie weder Wände - wenn man von den beiden Feuermauern absieht - noch ein Dach, denn die halbrunden Betonelemente, mit denen das Gebäude an den Schmalseiten abgeschlossen wird, lassen sich kaum in die Kategorie "Dach" einordnen. Eigentlich handelt es sich um Träger, die die ganze Breite des Grundstücks von rund 15 Metern überspannen und es ermöglichen, die Fassade darunter stützenfrei auszubilden. Um die von den Architekten geforderte glatte und wasserdichte Oberfläche zu erzielen, mussten sie als Fertigteile hergestellt und auf der Baustelle mit der Ortbetondecke verbunden werden. Das klingt einfach, ist allerdings bei größeren Spannweiten höchst kompliziert umzusetzen. Oskar Graf, der bei diesem Projekt für die Tragwerksplanung und die Bauphysik verantwortlich war, hat in dieses Detail viel Zeit investiert. Teurer als ein konventionelles Konzept mit Mittelstützen ist die Lösung aber nicht geworden, denn immerhin hat man sich die zusätzlichen Fundamente erspart, die für die konventionelle Lösung nötig gewesen wären. Das Thema des stützenfreien Raums haben ARTEC konsequent durchgezogen. Im Verkaufsraum hängen die Regale des Selbstbedienungsbereichs von der Decke und wirken durch ein raffiniertes Beleuchtungskonzept wie Lichtkörper. Dahinter schließt einer der beiden Höfe an, die ARTEC in den Baukörper eingeschnitten haben. Im Sommer lässt sich dieser Freiraum durch große Schiebetüren in den Verkaufsraum einbeziehen. Auf der zweiten Ebene liegen die Sozialräume, das Büro für den Chef und der Ausgang in den Kräutergarten. Dass es ARTEC auch hier gelungen ist, die räumlichen Grenzen zwischen den Funktionsbereichen aufzuheben, ohne die Funktionen zu beeinträchtigen, ist ein besonderes Kunststück. Weder die Garderoben noch der Schlafbereich für die Nacht- und Wochenenddienste sind räumlich fix abgetrennt, ohne dass sich daraus Nachteile ergeben würden. Der Gewinn besteht in einer räumlichen Großzügigkeit, die jedem der Funktionsbereiche gewissermaßen gratis zugute kommt. Besonders wichtig ist in solchen offenen Strukturen eine gute Haustechnikplanung, für die hier Christian Koppensteiner, ein langjähriger Partner von ARTEC, verantwortlich war. Großflächige Heizung und Kühlung über die Betondecken sorgen für ein angenehmes Raumklima. Seit der Eröffnung der neuen Apotheke hat sich der Umsatz - gegenüber dem Vorgängerlokal, das sich in einem Altbau befand - um 30 Prozent erhöht. Die Kunden schätzen die Offenheit und Großzügigkeit, den Wegfall der Barrieren und die bessere Beratung. Nur wenige fragen angesichts der Sichtbetonoberflächen an Decke und Feuermauern, warum man den Bau nicht zu Ende geführt habe. Für mehr
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Aufregung sorgen die glatten Betonträger, die das Erscheinungsbild der Apotheke zur Straße hin prägen. "In einem Vorarlberger Bauerndorf würde man solche Architekten mit Mistgabeln davonjagen", schrieb ein aufgebrachter Anrainer. Dass Vorarlberger Bergdörfer inzwischen für ihre Dichte an guter zeitgenössischer Architektur bekannt sind, hat sich offenbar noch nicht bis in den 22. Bezirk herumgesprochen. Zur Beruhigung: Hier wollte niemand provozieren, niemand sich ein Denkmal setzen. Bauherr und Architekten haben mit heutigen Möglichkeiten versucht, auf die Bedingungen und Bedürfnisse der Zeit zu reagieren. Unter Vorarlberger Bergbauern - immer schon pragmatischer als wir Ostösterreicher - gibt es darüber schon längst keine Debatte mehr: Wer sich in der trügerischen Sicherheit überkommener Formen einmauert, hat keine Zukunft. Die Presse, 3.10.2003
ES BLEIBT ALLES BESSER Ein ambitionierter Bauherr, eine kluge Wettbewerbsausschreibung, ein raffinierter Entwurf: Der Kaipalast von Henke und Schreieck beweist, dass dem guten Alten ein noch besseres Neues folgen kann. In der historischen Altstadt neu zu bauen war immer schon schwierig. Einerseits ist die Konkurrenz hier besonders hoch: Wer Geld und Macht hatte, wollte das von jeher im Zentrum der Stadt zum Ausdruck bringen und beauftragte die besten Architekten der jeweiligen Epoche. Andererseits ist die Öffentlichkeit hier besonders wachsam: Die Altstadt ist immer schön, wie sie ist, und jeder Neubau steht grundsätzlich unter dem Verdacht, ein vertraut gewordenes Bild zu zerstören. Dieses Spannungsfeld zwischen Baulust und Bildbewahrung ist seit dem 19. Jahrhundert ein Faktor der Stadtentwicklung, inzwischen verregelt in einer Vielzahl von Gesetzen zum Denkmal- und Ensembleschutz. In Wien erlaubt die Bauordnung die Einrichtung von Schutzzonen, zu denen der erste Bezirk selbstverständlich gehört, und seit dieser auch noch zum Weltkulturerbe erklärt wurde, darf der Wiener sich im Gefühl sonnen, dass die Welt mit Argusaugen beobachtet, was er mit seiner Innenstadt anstellt. Und siehe da: Trotz Schutzzone und Weltkulturerbe wird hier noch immer gebaut. Der Entwicklungsdruck ist höher als je zuvor. Wer Geld und Macht hat, drängt wie gehabt ins Zentrum, das Hotel Sacher will ein bisserl was draufsetzen, Häuser werden entkernt, um den Bedürfnissen des Handels nach großen Flächen entgegenzukommen, und in der Dachzone der Innenstadt - deren üppige skulpturale Ausstattung nach dem Krieg nie wieder hergestellt wurde - entstehen luxuriöse Wohnungen. Kurz: Die Stadt lebt und verändert sich. Und ab und zu darf, wie derzeit am Franz-Josefs-Kai zu besichtigen, sogar ein ganzes Haus abgerissen und neu gebaut werden. Das abgerissene Haus, der so genannte "Kaipalast", 1912 nach einem Entwurf des Architekten Ignaz Nathan Reiser errichtet, war durchaus denkmalverdächtig. Es handelte sich um eines der frühen Stahlbetongebäude in Wien, bei denen dieses Material sowohl im Inneren als auch an der Fassade zum Einsatz kam. Stilistisch dem Späthistorismus zuzuordnen, war das Gebäude zugleich ein Experimentalbau, bei dem die Möglichkeiten des neuen Materials Stahlbeton ausgereizt wurden. Die Decken maßen an den dünnsten Stellen nur acht Zentimeter und hatten im Lauf der Jahre immer neue Schichten aufgedoppelt bekommen, um den statischen Vorschriften zu genügen. Ein Brand in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs hatte das Gebäude noch zusätzlich in seiner Substanz belastet. Als bekannt wurde, dass sein Abbruch geplant war, formierte sich eine Initiative zur Rettung des Kaipalasts. Die MA 19 - Magistratsabteilung für Stadtgestaltung beauftragte ein Gutachten, das eine Sanierung für möglich erklärte, wenn auch unter hohen Kosten. Die Zürich Kosmos Versicherung als Eigentümerin des Objekts hatte allerdings wenig Lust, den Bau, den sie bereits 1930 erworben und seither betrieben hatte, instand zu setzen. Für ein zeitgemäßes Bürohaus war er vom Grundriss her veraltet, das Treppenhaus dunkel, eine bauphysikalisch korrekte Sanierung der Fassade unter Bewahrung ihres alten Erscheinungsbilds so gut wie unmöglich.
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Und außerdem hatte die Versicherung den Ehrgeiz, den schon alle früheren guten Bauherren in der Innenstadt hatten, nämlich ein besonderes Gebäude zu realisieren, das seine Nachbarn an Qualität übertrifft. Ob das gelungen ist, wird die Öffentlichkeit ab nächster Woche beurteilen können, wenn der neue Kaipalast offiziell eröffnet wird.
Fotos: Martin Vukovits
Noch sind die geschosshohen Lamellen aus satiniertem Glas, die jeweils paarweise vom Innenraum aus gesteuert werden können, geschlossen. Hinter dieser scheinbar hermetischen - aber im Gebrauchszustand durch die unterschiedlichen Stellungen der Lamellen sehr lebendigen - Fassade haben die Architekten Dieter Henke und Martha Schreieck ein raffiniertes Raumkunstwerk errichtet. Die beiden unteren Geschoße sind durchgehend verbaut und werden als Geschäft vermietet. Die Ebenen darüber sind um einen überdachten Hof herum gruppiert, an dem auch das gut belichtete Treppenhaus liegt. Trotz der scheinbaren Homogenität der Fassade ist jede dieser Ebenen etwas unterschiedlich. Es gibt zwei Durchbrüche vom Hof nach außen, die sich in der Fassade als große Öffnungen abzeichnen. Die Arbeitsplätze, die tief im Gebäude am Innenhof liegen, erhalten dadurch einen Blick nach außen auf den Kai, und weil sie zusätzlich noch am gut proportionierten und durch einige Terrassen auch gut nutzbaren Innenhof partizipieren, sind sie erstaunlicherweise mindestens ebenso attraktiv wie ein Fensterplatz an der Straße. Durch das zentrale Stiegenhaus sind die Bürogeschoße leicht teilbar und können jeweils in zwei unabhängigen Einheiten vermietet werden. Überhaupt war die Flexibilität der Grundrisse ein wesentliches Anliegen: Alle technischen Einrichtungen bis hin zur Klimatisierung wurden so ausgeführt, dass jederzeit eine Umrüstung vom Großraum zu Einzel- oder Gruppenbüros erfolgen kann. Zur Flexibilität trägt auch das Konstruktionssystem bei, das mit wenigen Stützen auskommt und dafür im Parapetbereich der Fassade Träger anordnet, mit denen sich beispielsweise die weite Auskragung an der Ecke bewältigen lässt. Als Tragwerksplaner sind die Bauingenieure Gmeiner und Haferl zu nennen, bewährte Partner von Henke und Schreieck, die von der Konzeptphase an in ihre Projekte eingebunden sind. Als besondere Ingenieurleistung schwebt über dem Gebäude parallel zum Kai ein verglaster Quader, der in den Skizzen der Architekten mit dem Ringturm in Verbindung gebracht wird. So wie der vertikale Quader des Ringturms nach oben hin aus der Gründerzeitlogik ausbricht, aber nicht mehr sein will als ein Eckstein der Ringstraße, bricht auch die kleine freche Schachtel über dem Kaipalast aus dieser Logik aus und bleibt trotzdem im Rahmen der sehr heterogenen Wiener Dachlandschaft. Der Ausnahmegenehmigung, die wegen einer Überschreitung der Baulinie dafür nötig war, haben auch die Anrainer rasch zugestimmt. Denn vom Volumen her unterschreitet das Gebäude in der Dachzone bei weitem das, was an
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dieser Stelle möglich gewesen wäre. Hätte der Bauherr darauf bestanden, dieses Volumen auszunutzen, wäre bereits die obere Dachkante um ein Stück höher; und wäre dann noch unter 45 Grad nach oben gebaut worden, hätte das den Dachwohnungen in der Nachbarschaft viel Licht und Ausblick geraubt. Dass hier nicht das Maximum an Kubatur erzwungen wurde, liegt auch an einer klugen Wettbewerbsausschreibung. Im Bewusstsein, dass es um ein höchst sensibles Projekt geht, ließ sich die Zürich Kosmos Versicherung dahingehend beraten, auf ein genaues Raum- und Funktionsprogramm für ihr Büro- und Geschäftshaus zu verzichten, und gab auch keine Mindestkubaturen vor. Das hat sich gelohnt: Gewonnen hat ein Projekt, das bei weitem nicht die größte Fläche erreichte, aber die höchste Qualität. Wenn das Weltkulturerbe Wien Innere Stadt trotz des massiven Entwicklungsdrucks bleiben will, was es ist, nämlich ein Ensemble herausragender Bauten aus allen Jahrhunderten, wird es sich am Kaipalast ein Beispiel nehmen müssen. Die Presse, 15.9.2003
JENSEITS DES LOFTS Braucht es wirklich eine neue Gesellschaft, um die typologische Einfalt im heutigen Wohnbau sinnvoll zu durchbrechen? Nasrine Serajis Wohnbau in Wien-Penzing beweist, dass etwas Baukunst dafür ausreicht. Standardisierung im Wohnbau ist für viele Bauträger die natürlichste Sache der Welt. Sind Menschen nicht annähernd gleich zugeschnitten, leben in Kleinfamilien und haben alle ein Bedürfnis nach Licht, Luft, Sonne und ein bisschen Grün? Mehr als drei Wohnungstypen braucht man im Grunde für sie nicht, und stapelt man die übereinander, so hoch es die Bauordnung eben zulässt, ist ein Wohnbau entstanden. Ein Unbehagen an dieser Form des Wohnens hat es schon immer gegeben. In der Gründerzeit wurden die immer gleichen Grundrisse der Mietskasernen in vielfältig variierte historische Fassaden verpackt, um ihren eigentlichen Charakter zu verschleiern. Der soziale Wohnbau nach dem Zweiten Weltkrieg war sich seiner guten Sache so sicher, dass er glaubte, auf diese Camouflage verzichten zu können, und hat damit jämmerlich Schiffbruch erlitten, nicht nur in ästhetischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. Neue Verpackungen für den nicht nur in den Städten, sondern immer öfter auch an den Rändern kleinerer Gemeinden wuchernden Geschoßwohnbau sind längst gefunden, von postmodern bis rustikal. Die Inhalte sind aber nach wie vor von deprimierender typologischer Einfalt, woran auch die wenigen ambitionierten Ausnahmen nichts ändern können. Aber warum sollte sich überhaupt etwas ändern? Hat nicht auch die anonyme Architektur, etwa das bäuerliche Wohnhaus im alpinen Raum, jahrhundertelang die gleichen Typologien verwendet? Und werden nicht auch im Einfamilienhausbau, der den Bauherren doch weit größere Freiheiten bieten würde, in der Regel nur die üblichen Stereotypen wiederholt? Warum sollte im Geschoßwohnbau Vielfältigeres entstehen? Darauf gibt es zumindest zwei Antworten. Erstens haben sich die sozialen Strukturen verändert. An die Stelle der Familie als kleinster Einheit der Gesellschaft und damit des Wohnbaus ist der neutralere Begriff des Haushalts getreten, der höchst unterschiedliche Formen des Zusammenlebens bezeichnen kann: traditionelle Familienstrukturen, allein Erziehende, Singles unterschiedlichen Alters, Kinder, die nach einer Scheidung in zwei Haushalten gleichzeitig leben. Alle haben sie spezifische Wohnbedürfnisse, die noch dazu einem raschen Wandel unterliegen und im Einfamilienhaus kaum bedient werden können. Eine andere Antwort findet sich auf der symbolischen Ebene. Anders als in der anonymen Architektur, in der Typologien Geborgenheit in einer Tradition ausdrückten, sind die Standards des heutigen Wohnbaus ein Ausdruck der Durchrationalisierung der Welt nach rein ökonomischen Gesichtspunkten. Keine noch so bunte Fassade kann darüber hinwegtäuschen, dass das hoch gestapelte, rationalisierte Glück nicht mehr sein kann als das größtmögliche Glück für die
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größtmögliche Zahl. Nur wenn eine Wohnung auch unbestimmten Raum - ja sogar Einschlüsse von Unvernunft - enthält, Raum, den sich die Bewohner erst langsam aneignen müssen, bietet sie die Chance auf eine eigenständige Bestimmung von Glück. Der Wiener Wohnungsmarkt hat auf diese Entwicklungen nur in Ansätzen reagiert. Es gibt Themensiedlungen, die sich einzelner Aspekte annehmen und sich als "frauengerecht" oder "autofrei" positionieren, es gibt Versuche, durch das Angebot von "Loftgrundrissen" ein flexibleres Wohnen zu ermöglichen, und es gibt radikale Konzepte, den Warencharakter des Wohnens auf die Spitze zu treiben und nur noch neutrale Hüllen zu bauen, die erst durch schicke Oberflächen und flotte Werbesprüche mit Bedeutung aufgeladen werden. In der breiten Masse des Angebots dürften sich alle diese Strategien in abgeschwächter Form durchsetzen: simple Grundrisse, heftiger Oberflächenzauber und professionelles Marketing, das jedem Projekt eine besondere "Story" mitgibt, die es einzigartig erscheinen lässt. Dass sich auf diese Art alles verkaufen lässt, haben die Wohnungen in den Gasometern in Wien-Simmering eindrucksvoll bewiesen. Angesichts dieses Trends ist es erfreulich, auf ein Projekt zu stoßen, das höchst erfolgreich eine ganz andere Strategie verfolgt, die typologische Starre des Wohnbaus aufzubrechen. Nasrine Seraji, bis vor einem Jahr Leiterin einer Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste und heute Dekanin der renommierten Architekturschule der Cornell-Universität in den USA, hat in WienPenzing für die Firma Mischek einen Wohnbau mit 50 Einheiten entworfen, dessen Qualität auf nichts anderem beruht als auf dem etwas antiquiert klingenden Begriff der "Baukunst": kein neues soziales Konzept, aber sorgfältig gestaltete Übergangsbereiche zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen; keine neutralen Lofts, aber ein enormes Angebot an unterschiedlichen Wohnungstypen mit eigenwilligen Grundrissen; kein plakatives Thema, dafür ebenso präzise wie sensibel ins Gelände gesetzte Baukörper.
Fotos: Pez Hejduk
Das Grundstück liegt an der Linzer Straße in Gehweite der U-Bahnstation Hütteldorf. Im Westen ist es vom Ferdinand-Wolf-Park und einem kleinen Bach begrenzt. Die Baukörper orientieren sich an der Logik des Grundstücks: Während sie im Süden von der Grundstücksgrenze abrücken, um einen besonnten Freiraum zu bilden, folgen sie ansonsten genau der Baulinie. Seraji hat diese mehrfach ihre Richtung ändernde Linie zum Ausgangspunkt für die Geometrie der Gebäude gemacht, was im Grundriss verwirrend aussieht, in natura aber einen selbstverständlichen Eindruck macht. Jedes der drei Gebäude hat ein eigenes, gut belichtetes Foyer, in dem man sich gerne länger aufhält. Hier ist tatsächlich alles Architektur, sogar der Abstellraum für die Fahrräder, der raffinierte Durchblicke zum Treppenhaus erlaubt und sich an einer Stelle zu einer Raumhöhe von fünf Metern aufschwingt.
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"Verschwendung" in der Vertikalen ist ein Thema, das Seraji auch in vielen Wohnungen in diesem Projekt durchspielt, in denen ein Teil des Wohnraums plötzlich die doppelte Raumhöhe erhält. "Constructing the Void" - das Herstellen des Leerraums - ist ein zentrales Thema in Serajis Architekturauffassung. "Void" bezeichnet dabei nicht einfach ein bisschen mehr Luft, sondern das Unbestimmte, Offene und Namenlose, das sich der schnellen funktionellen und symbolischen Zuordnung entzieht. Aus der Kombination von schrägen Raumachsen und über mehrere Geschoße reichenden Wohnungstypen hat Seraji ein räumliches Puzzle geschaffen, das sie virtuos und ohne Rest auflöst. Während bei vielen Beispielen dekonstruktiver Architektur die - manuell oder vom Computer - gezeichnete Linie unangenehm spürbar bleibt, ist hier der Raum entwurfsbestimmend. In Serajis Wohnungen sitzen Blickbeziehungen und Bewegungsfolgen, es gibt keine Schräge, die nicht räumlich sinnvoll eingesetzt wäre. Nur in einem Punkt ist die Aussage, an diesem Bauwerk sei alles Architektur, zu relativieren: Die Qualität im Großen setzt sich nicht in den Details fort. Das liegt nicht am mischekschen Fertigteilsystem, das auch hier zum Einsatz gekommen ist, sondern an der generell niedrigen Erwartungshaltung, die man in Ostösterreich ans Detail stellt - in Vorarlberg wären einheitliche Fensterprofile aus Kunststoff, wie sie einem hier ganz gleich für welches Fensterformat zugemutet werden, schlicht unvorstellbar. Der für einen frei finanzierten Wohnbau in dieser Lage relativ moderate Preis von 2200 Euro pro Quadratmeter hätte nur um ein paar Prozent überschritten werden müssen, um hier auch im Detail Architektur zu realisieren. Die Gesamtqualität des Projekts schmälert das aber nur unwesentlich. Es beweist, dass Baukunst auch heute noch im Wohnbau möglich und sinnvoll ist. Schade, dass Nasrine Seraji nicht mehr Gelegenheiten bekommen hat, in Wien architektonische Spuren zu hinterlassen. Die Presse, 16.8.2003
STRATEGIE DES ANPICKENS Fünf Millionen Kubikmeter Stadt zeigt eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Städtebau zeigt sie nicht. Vielleicht, weil es ihn nicht gibt? Ein Zuruf ins Sommerloch. Städtebau – schreibt Rem Koolhaas in seinem Essay „Whatever happened to Urbanism?“ aus dem Jahr 1994 – ist eine tote Disziplin. Ihre Vertreter sind Spezialisten für Phantomschmerzen geworden: Ärzte, die über den Gesundheitszustand eines längst amputierten Körperteils diskutieren. Das Wachstum der Städte hat die Disziplin überrollt. Eine Zeit lang habe sie sich noch der Hoffnung hingegeben, durch massenhafte Wiederholung ihre alten Ideale von Ordnung und Schönheit am Leben erhalten zu können. Immer wieder habe sie behauptet, aus ihren Fehlern zu lernen und mit einem neuen, besseren Anfang aus der Misere ausbrechen zu können. Erreicht habe sie damit nicht mehr, als auch noch die Idee eines neuen, besseren Anfangs endgültig zu diskreditieren. Heute leben wir, so Koolhaas, in einer Welt, in der es keinen Städtebau mehr gibt, sondern nur noch Architektur, sogar mehr Architektur als je zuvor, immer hübscher herausgeputzt, um einen Anschein von Ordnung zu wahren. Aber dieser lenke nur vom Verlust der städtebaulichen Dimension ab, die als Nährboden von Erneuerung und Erfindung durch kein noch so schönes Objekt kompensiert werden könne.
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Abbildungen: WED / uma information technology AG; Zechner&Zechner; PORR Immoprojekt; MBG
Die aktuelle Situation Wiens, wie sie derzeit in einer Ausstellung im Architekturzentrum dokumentiert ist, liefert einen Beleg für Koolhaas’ Thesen. Unter dem Titel „5 Millionen Kubikmeter Wien“ werden 16 Projekte präsentiert, die laut Pressetext „große städtebauliche Auswirkungen haben und somit das künftige Gesicht dieser Stadt prägen werden“. Von Stadtplanung ist in der Ausstellung aber nichts zu sehen. Eine Übersichtskarte zeigt zwar, wo sich die Projekte befinden. Warum sie aber jeweils gerade dort entstehen, inwiefern sie dabei mit dem Stadtentwicklungsplan übereinstimmen, und was für Konsequenzen sie für die Bewohner des Umfelds haben, davon erfährt man in der Ausstellung nichts. Wie überhaupt die Besucher mit der Frage allein gelassen bleiben, was sie von der gezeigten Entwicklung halten sollen. Kritik kommt in der Ausstellung nicht einmal in Ansätzen vor. Aber vielleicht wollte das AzW jede Illusion darüber vermeiden, die Stadtbewohner hätten noch einen wirklichen Einfluss auf das, was da vor ihren Augen entsteht. Das vorläufig gescheiterte Projekt Wien Mitte – das in der Ausstellung nicht zu sehen ist – dürfte die Ausnahme sein, die die Regel bestätigt. Und dort ging es ja eher um den Schutz der Vergangenheit vor der Architektur als um die Sicherung der Zukunft durch sie. Und nur letzteres sollte man zur Stadtplanung rechnen. Dass die Verwertungslogik der Immobilienentwickler heute die Stadtentwicklung bestimmt, steht außer Frage. Dass die bisherigen Konzepte der Stadtplanung nicht mehr funktionieren, ebenso. Wenn niemand mehr an die Verbindlichkeit der Planung glaubt, dann heißt das aber noch lange nicht, dass es keine Planung mehr gibt. Sie verwandelt sich nur - wie Koolhaas argumentiert – von einer technischen Leistung in eine kulturelle, ideologische und politische. Sie muss Risken eingehen, Potentiale und Freiräume eröffnen, in denen sich mit der Gier nach Renditen Katz und Maus spielen lässt. Von diesem Zustand ist Wien noch ein gutes Stück weit entfernt. Zumindest ist der Ausgang des Katz- und Mausspiels in den meisten Fällen ebenso simpel erklärbar wie vorhersehbar. Woran liegt es etwa, dass nahe liegende und gut erschlossene Entwicklungsgebiete wie der Nordbahnhof, Wien Mitte und die Aspanggründe, für die bereits seit Jahren Projekte vorliegen, nicht vom Fleck kommen, während auf schlechter gelegenen Arealen der Bau von tausenden Quadratmetern bereits begonnen hat? Wie kann es sein, dass die PORR AG am Laaerberg die Bewilligung zur Errichtung von 200000 m2 Nutzfläche an einem Standort bekommt, der weit weg von hochrangigen öffentlichen Verkehrsmitteln liegt und die A23 massiv mit zusätzlichem Verkehrsaufkommen belastet? Dass der ehemalige Vizebürgermeister Hans Mayr bis vor kurzem Vorsitzender des Aufsichtsrats der PORR war, wird der Flächenwidmung nicht geschadet haben. Die von den Projektbetreibern betonte Intention, „zwei Stadtteile, die durch die A23 getrennt waren“, endlich wieder zusammenwachsen zu lassen, ist dagegen mehr als fragwürdig – als ob man nicht
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schon immer über eine Fußgängerbrücke bequem in den Laaer Wald kommen konnte. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Eine offensive Einmischung der Politik in die Stadtplanung ist unter den heutigen Bedingungen notwendig und berechtigt, um die Investitionsströme im Interesse der Stadt zu lenken. Angesichts der meisten (und vor allem der größten) im AzW gezeigten Projekte gewinnt man aber den Eindruck, dass die Politik gar nicht mehr artikulieren kann oder will, worin die Interessen der Stadt bestehen. Hauptsache, es wird investiert, so viel und so rasch wie möglich, und am besten von den richtigen Leuten. Dass dabei immer wieder dieselben Akteure – sowohl Investoren wie Architekten – profitieren, regt längst niemanden mehr auf, genauso wenig die Tatsache, dass Hans Hollein als Architekt in viele jener Großprojekte involviert ist, für deren kritische Bewertung er als Vorsitzender des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung zuständig wäre. Wenn die peripheren Standorte aber erst einmal entwickelt sind, wird es für die innere Stadtentwicklung aufgrund des Überangebots viel schwerer werden, Renditen zu erwirtschaften, vor allem wenn der aktuelle Büroflächenboom, in den sich die Branche hineinsteigert wie einst beim Bau von Kinocentern, wieder realistischeren Erwartungen gewichen ist. Die Architektur nimmt in diesem Spiel brav die Rolle ein, die ihr Koolhaas in seinem Essay vorgeworfen hat. Sie versucht auf hohem Niveau zu kaschieren. Freilich hat man kaum je die Entwurfsstrategie des „Anpickens“ in so reiner Form gesehen: Neutraler Investorenraster als Unterbau, oben drauf das gewisse Etwas in charakteristischer Handschrift. Viel mehr als ästhetisches Mittelmaß wird in der Summe aber nicht herauskommen, nicht zuletzt, weil die Mietpreise in Wien einfach nicht hoch genug sind, um Hochhäuser umzusetzen, die auch in der Ausführung mit den besten der Welt konkurrieren können. In der Ausstellung machen daher auch jene Projekte den besseren Eindruck, die sich in der Horizontalen entwickeln wie etwa das Zentrum St.Marx von Domenig/Eisenköcks/Pyrker oder das Forum Schönbrunn von BUSarchitektur und Atelier Podsedensek. Dass der Blick durch ein offenes Fenster in einen gut gestalteten Innenhof interessanter sein kann als durch die Fixverglasung eines klimatisierten Hochhauses in St.Marx aufs Kraftwerk Simmering, wird vielleicht erst den Benutzern auffallen, die in ein paar Jahren ihre Büros beziehen. Alles in allem hinterlässt die Ausstellung einen zwiespältigen Eindruck. Immerhin ist die Bereitschaft da, wieder zu investieren, und nichts braucht die Branche so sehr wie Optimismus. Zugleich hat sich an der kraftlosen Patchwork-Ideologie der Stadtentwicklung, wie sie seit Jahren charakteristisch für Wien ist, nichts geändert. Sie hat nur monumentale Ausmaße erreicht. Ob das der Stadt gut tut, darf bezweifelt werden. Und die Stadt ist, so Rem Koolhaas am Ende seines Essays, „mehr als je zuvor alles, was wir besitzen.“ Die Presse, 4.7.2003
WAS HEIßT SCHON RESIDENZ? Was kann Architektur beitragen, um ein "Altern in Würde" zu ermöglichen? Neue Antworten darauf bietet Anton Schweighofers geriatrisches Zentrum im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital. Übers Altwerden spricht man nicht gern. Auch wenn Altern an sich keine Krankheit ist, so wird doch im Alter die Welt kleiner, stiller und einsamer. Wohnformen für das Alter müssen daher vieles kompensieren: den Verlust an Mobilität und sozialem Umfeld, an Selbstbestimmung und an Prestige. Es ist kein Zufall, dass die Immobilienbranche den Begriff der "Seniorenresidenz" erfunden hat, in dem altersbedingte Unbeweglichkeit eine Art imperialer Aufwertung erfährt. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wer je die geriatrische Station eines Krankenhauses besucht hat, weiß, wie schwer es ist, die Idealvorstellung von einem Altern in Würde zu realisieren. Das Gesundheitssystem hat auf den Wohnbedarf der immer größer werdenden Zahl alter Menschen, die zusätzliche medizinische
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Betreuung brauchen, nur langsam und unter dem Druck der hohen Kosten reagiert, die dadurch anfallen, dass teure Spitalsbetten von Pflegepatienten belegt werden. Als die Gemeinde Wien 1996 über ihren Krankenanstaltenverbund einen Wettbewerb für die Planung eines geriatrischen Zentrums im Franz-Josef-Spital ausschrieb, ging es nicht nur um 240 neue Pflegeplätze, sondern auch um die Suche nach einem Bautyp, der zwar kein Spital sein sollte, aber auch mehr als ein reines Pflegeheim.
Fotos: Kühn
Wie immer im Krankenhausbau waren hohe Dichte, niedrige Baukosten und ein effizienter Betrieb maßgebliche Kriterien. Die Komplexität der Aufgabe wurde im konkreten Fall noch dadurch gesteigert, dass auf dem knappen Grundstück neben den Bettentrakten auch eine Großküche unterzubringen war, die mit 2200 Mahlzeiten pro Tag das gesamte Spital versorgen kann, sowie eine neue Haupteinfahrt mit angeschlossener Tiefgarage. Die Gesamtkosten lagen bei knapp 50 Millionen Euro. Als Sieger aus dem Wettbewerb ging Anton Schweighofer hervor. Er ist kein "Krankenhausexperte", auch wenn er Ende der 1970er Jahre mit dem Krankenhaus in Zwettl einen der wichtigsten, auch international nachgeahmten Beiträge zu diesem Thema geliefert hat. (Wie sich überhaupt zeigt, dass die herausragenden Krankenhausprojekte in Österreich nicht von den so genannten Spezialisten stammen: Man denke etwa an die Krankenhäuser von Klaus Kada in Hartberg, von Günther Domenig in Bruck an der Mur oder von Katzberger und Loudon in Innsbruck.) Hervorzuheben ist auch, dass Schweighofer im Franz-Josef-Spital als Generalplaner mit seinem leitenden Mitarbeiter Peter Weber für die Gesamtkoordination verantwortlich war, bei einem Projekt dieser Komplexität eine höchst strapaziöse Aufgabe. Aber ohne die Übernahme der planerischen Gesamtverantwortung wären viele zentrale Anliegen des Projekts nicht durchzusetzen gewesen. Nähert man sich heute der Geriatrie über die neue Einfahrt ins Franz-Josef-Spital, erscheint - auch wenn das wohl kaum beabsichtigt war - der Begriff "Residenz" nicht unangemessen. Es gibt eine imposante Auffahrt mit einer Pergola und einer Reihe großer Bäume (für die in der Tiefgarage entsprechender Wurzelraum geschaffen wurde) und eine insgesamt symmetrische Gliederung des Baukörpers. Konterkariert wird dieser Eindruck von den verwendeten Materialien: Die Pergola besteht aus verzinktem Stahl, die Fassade aus Holzpaneelen, die mit großen Glasflächen abwechseln. Als zusätzliche Schicht ist ein schmaler, durchlaufender Balkon mit Geländern ebenfalls aus verzinktem Stahl vorgeschaltet, der dem Schutz der Holzfassade und der Reinigung der Fenster dient. Die meisten Zimmer verfügen über kleine Wintergärten, deren Türen auf den Balkon aufgehen und damit im Sommer einen erweiterten Freiraum bilden.
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Da es sich um den neuen Hauptzugang zum Franz-Josef-Spital handelt, hat Schweighofer besonderes Augenmerk auf die städtebauliche Situierung und die Ausformung der Freiflächen gelegt. Das geriatrische Zentrum orientiert sich nicht am Raster des Krankenhauses, sondern an der angrenzenden Wohnbebauung. Als Drehpunkt zwischen den Systemen dient der Aufgang von der Tiefgarage, der als verglaster Pavillon ausgeführt ist. Die Bettenstationen sind in einem sechsgeschossigen, rund 120 Meter langen Baukörper untergebracht, dem ein niedriges, von der begrünten Pergola überspanntes Sockelgeschoß vorgelagert ist. Im Erdgeschoß sind die beiden Trakte verbunden und nehmen Speisesäle, einen Andachtsraum und Räume für die ambulante Betreuung auf. Eine besondere Innovation des Projekts liegt in der Raumaufteilung der Bettenstationen. Sie bietet den Bewohnern in der Diktion des Architekten nicht nur Zimmer und ein paar abgetrennte Sozialräume, sondern ein "Milieu", einen erweiterten Lebensraum mit breiter Mittelzone als Gemeinschaftsraum, die ein gutes Drittel der Baukörpertiefe einnimmt und sich an einigen Stellen bis zur Fassade aufweitet. Umgekehrt ragen Nebenräume als niedrige, schrankartige Elemente in diese Mittelzone hinein und geben ihr eine rhythmische Gliederung. Die Idee, die Wände der Zimmer zu dieser Mittelzone aus Glaselementen herzustellen, konnte Schweighofer nach langen Kämpfen mit den Betreibern zumindest teilweise durchsetzen. Auch bettlägerige Patienten sollten ursprünglich die Möglichkeit haben, ihr Zimmer in den halböffentlichen Raum zu erweitern, indem sie vom Bett aus per Knopfdruck die Wand ihres Zimmers öffnen. Jetzt kann zumindest von gehfähigen Patienten oder von den Schwestern eine vor das Glas gesetzte Faltwand aus Holz geöffnet werden, um einen Sichtkontakt herzustellen. Auch die kleinen Wintergärten an der Fassade waren beim Bauherrn - der stets das Kontrollamt der Gemeinde Wien als Kontrollinstanz gegen jede Art der Verschwendung hinter sich fühlte - nicht leicht durchzusetzen. Ausschlaggebend waren schließlich sehr pragmatische bauphysikalische Argumente. Dass für die Bewohner hier eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen wurde, sich ihren Lebensraum durch Pflanzen zu gestalten, konnte allein nicht überzeugen. Gerade die Aktivierung der Bewohner war für den Architekten aber ein zentrales Anliegen. Architektur kann das naturgemäß nicht allein leisten, aber sie kann die Möglichkeit dazu anbieten, und das bedeutet vor allem, Bereiche zu schaffen, deren Nutzung nicht von vornherein festgelegt ist. Ein Beispiel dafür sind die lichtdurchfluteten Vorbereiche vor den Stationen direkt neben Treppe und Aufzügen: Ob dort in Zukunft Sitzgarnituren Hotelatmosphäre verbreiten werden oder ob es Arbeitstische für Gärtnerei und andere Hobbys geben wird, steht noch zur Debatte. Aber gerade im Angebot solcher Offenheiten liegt wie bei vielen anderen Bauten Schweighofers eine besondere Qualität. Die Gemeinde Wien als Bauherr kann stolz sein, mit diesem Projekt eine außergewöhnliche, offene Architektur für alte Menschen realisiert zu haben. Jetzt muss sie deren Potenzial nur noch nutzen. Die Presse, 12.4.2003
SELBER SCHULD? Als 'Künstlerarchitekten' verdächtig: Das Architektenduo 'pauhof' plant monumentale Großbauten und realisiert Installationen für den Augenblick. Architekten sind zum Optimismus verurteilt. Wer anderen Leuten die Umwelt herrichten möchte, hat gefälligst an eine bessere Zukunft zu glauben und entsprechend gestimmte Produkte in die Welt zu setzen: Wohnhäuser, die Harmonie und Sicherheit ausstrahlen, Bürogebäude, die als Symbole ewiger Prosperität in den Himmel ragen, oder öffentliche Bauten, denen Bürgernähe und Transparenz ins Gesicht geschrieben stehen. Je chaotischer und absurder die Welt rundherum erscheint, desto stärker wird die Sehnsucht nach etwas Ordnung zumindest im eigenen Haus.
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Künstler sind an diesen stillschweigenden Vertrag zwischen Auftraggeber und Produzent nicht gebunden. In der Kunst gilt forcierte Harmonie als Kitsch und Ordnung nicht als primäres Ziel. Ernst zu nehmende Kunstwerke sind keine dekorative Ergänzung der Welt, sondern eine Herausforderung, die eigene Weltsicht neu zu bestimmen. Dass Architekten die Grenze zwischen Kunst und Architektur, wie ich sie gerade dargestellt habe, oft überschreiten, ist klar. Sie haben dafür allerdings einen Preis zu bezahlen, der sich nicht zuletzt im negativen Beigeschmack des Worts "Künstlerarchitekt" äußert. "Künstlerarchitekten" interessieren sich bekanntlich nur für die Form und nicht für die Funktion, verstehen nichts vom Bauen und halten es für ein Zeichen ihres Künstlertums, das Budget um mindestens die Hälfte zu überziehen. Wer sich mit so jemandem einlässt, ohne ihm zumindest einen gestandenen Baumeister zur Seite zu stellen, ist selbst schuld. Selbst schuld an seiner schlechten Auftragslage ist folgerichtig auch jeder Architekt, der sich offen als Künstler deklariert. Und die meisten Architekten haben inzwischen die Konsequenz gezogen und stellen die künstlerische Komponente ihrer Arbeit als private Liebhaberei dar, von der man besser nicht spricht. Das beruhigt so manchen Bauherren, macht es aber immer schwieriger, die Intention, die sich hinter der schlechten Nachrede des "Künstlerarchitekten" verbirgt, aufzuklären. Der Schutz des Konsumenten vor wirren Ideen ist dabei nämlich nur ein vorgeschobenes Argument. In Wirklichkeit geht es darum, die Aufgabe der Architektur auf schöne Verpackung zu reduzieren und ihr andere Verantwortungen zu entziehen: die kritische Auseinandersetzung mit der funktionellen Aufgabenstellung; die wechselseitige Abstimmung von Form und Funktion, die keineswegs immer reibungslos sein muss, sondern ganz im Gegenteil auch Konflikte fassbar machen kann, die sich sonst nur verbergen, aber nicht auflösen lassen; und schließlich ein Kostenbewusstsein, das nicht die billigste, sondern die beste Lösung sucht. Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger, die zusammen unter dem Kürzel "pauhof" firmieren, sind seit Jahren mit dem Etikett "Künstlerarchitekten" versehen. Bekannt wurden sie in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren mit einer Serie von außergewöhnlichen Wettbewerbsprojekten, unter anderem für das Wiener Museumsquartier, für die Expo in Wien und den österreichischen Expo-Pavillon in Sevilla, für die Bibliothek in Alexandria, das Regierungsviertel in Berlin, die Revitalisierung der Linzer Tuchfabrik und die Kansai-Kan-Bibliothek in Japan.
Fotos: Walter Niedermayr
Diese Projekte, in der Regel durch aufwendige Metallmodelle repräsentiert, sind alles andere als Dienstleister-Architekturen. Für das Museumsquartier planten "pauhof" beispielsweise, die Hofstallungen von Fischer von Erlach zum Stadtzentrum hin mit einem Baukörper zu verdecken, der in seiner Dimension auf die beiden Hofmuseen reagiert, und Teile des Museums in zwei über den Dächern schwebenden Brücken in den fünften Bezirk unterzubringen. Der Altbestand wäre weiterhin für die freie Szene zur Verfügung gestanden - im Vergleich zum heutigen, hinter Fischer von Erlach zusammengestauchten und zu Tode sanierten MQ eine visionäre Lösung.
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Die Hoffnung, über diese Wettbewerbsbeiträge zu Aufträgen zu kommen, erwies sich als zu optimistisch. Realisiert haben "pauhof" ein Wohnhaus in Oberösterreich, international viel beachtet und 1999 bei der Ausstellung "The Twentieth-century House" in Glasgow neben einem Projekt von Herzog und De Meuron als wichtigstes privates Wohnhaus des letzten Jahrzehnts gewürdigt. Mit dieser Diskrepanz zwischen internationaler Reputation und desperater Auftragslage im Bereich der Architektur haben "pauhof" zu leben gelernt und ihren Schwerpunkt erfolgreich in die Kunstszene verlagert, einerseits mit eigenen Ausstellungsbeiträgen, andererseits mit Ausstellungsgestaltungen, die sie in den letzten Jahren vor allem für die Wiener Secession und für die Kunsthalle Wien realisiert haben. Das jüngste Beispiel dieser Serie ist die Gestaltung der Walter-Niedermayr-Retrospektive in der Kunsthalle. Zu Niedermayrs Arbeit haben "pauhof" eine besondere Beziehung, nicht nur weil er zu ihrem berühmten Wohnhaus einen eigenen Fotoblock geschaffen hat. (Dass dieser vor drei Jahren, zusammen mit einigen von "pauhofs" Stahlmodellen beim Transport zu einer Ausstellung in Tokio zerstört wurde, ist derzeit Gegenstand eines ebenso bizarren wie skandalösen Gerichtsverfahrens zwischen den Architekten und dem Außenministerium, das den Transport beauftragt hatte.) Architektur und Fotografie werden ja oft an entgegengesetzten Enden des künstlerischen Spektrums vermutet: Architektur als Produktion von Raum, Fotografie als dessen Abbild. Die Ausstellung zeigt, wie wenig Gültigkeit diese Differenzierung hat. Die leicht überbelichteten und dadurch flach wirkenden Fotografien Niedermayrs erzeugen durch die Gruppierung von unterschiedlichen Perspektiven desselben Motivs neue Räume, die vom räumlichen Aufbau des realen Motivs abweichen. Niedermayrs Blick erfasst Artefakte, die nicht zum Anschauen gemacht wurden - Skilifte, Krankenhausgänge, Baustellen -, und zeigt deren autonome Kraft. Eine ähnliche Recherche nach Strukturen, die dem Menschen nicht mehr vorspielen, die Welt sei nur für ihn und seinen Optimismus hergerichtet, zeichnet die Arbeiten von "pauhof" aus. Dass dabei keine menschenfeindliche Architektur entstehen muss, beweist die kongeniale Installation, die "pauhof" für Niedermayrs Fotoblöcke (und zwei Videoinstallationen) in die Kunsthalle gesetzt haben, zwei labyrinthische Eingangszonen und ein großer, gut proportionierter Raum im Zentrum. Fotografieren lässt sich diese Architektur kaum, aber das Erlebnis eines Rundgangs macht klar, dass es "pauhof" virtuos gelungen ist, die räumlichen Defizite der Kunsthalle zu überwinden. Es bleibt zu hoffen, dass man ihren Arbeiten bald wieder auch außerhalb des Museums begegnen wird. Die Presse, 15.3.2003
SWEET HOME ALABAMA Material: alte Autoreifen, Filzfliesen, Strohballen; Entwurfs- und Bauprozess: kollektiv; Ziel: "Let's make things better". Das "Rural Studio", dessen Arbeiten in einer Wiener Ausstellung zu sehen sind. Die "Wohnung für das Existenzminimum" war eine jener Aufgaben, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Avantgarde der Architekten verschrieben hatte. Für die Wohnungsnot in den großen Städten schien die einzig mögliche Antwort in der Industrialisierung und Standardisierung zu liegen, in der Verwandlung der Wohnung in ein massenhaft hergestelltes, billiges Industrieprodukt. Dass die quantitative Verbesserung der Wohnbedingungen nicht zwangsläufig zu einer besseren Welt führt, war nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch bald klar, und an Gegenbewegungen fehlte es nicht. "Die gerade Linie ist gottlos!", postulierte Friedensreich Hundertwasser in seinem "Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur" aus dem Jahr 1958 und reihte sich damit in eine Ablehnungsfront ein, die von konservativen Kritikern wie Hans Sedlmayr bis zu marxistischen wie Ernst Bloch reichte. Wenn das Architekturzentrum Wien in seiner aktuellen Ausstellung Häuser zeigt, die aus alten Autoreifen, Windschutzscheiben, Filzfliesen und verputzten Strohballen bestehen, rührt es eine Diskussion innerhalb der Architekturszene auf, die seit vielen Jahrzehnten virulent ist und immer wieder aufbricht. Anstelle von Meisterwerken der
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Baukunst, von einsamen Genies entworfen, sind im Architekturzentrum Gebäude zu sehen, die Gruppen von Architekturstudenten der Universität von Auburn gemeinsam geplant und errichtet haben. Seit 1992 gehört ein Aufenthalt in Hale County, einem der ärmsten Bezirke des "Cotton State" Alabama im Süden der USA, zum Ausbildungsprogramm der Architekturfakultät im Rahmen der "Studios", wie in den USA die Entwurfsübungen heißen. Das "Rural Studio" sollte den Studierenden die Möglichkeit geben, statt am Bauhof der Fakultät auf einer echten Baustelle mit echten Bauherrn zu arbeiten. Bisher haben rund 400 Studierende im zweiten Studienjahr und über 100 Diplomanden das "Rural Studio" absolviert. Indem er mit dem "Studio" nach Hale County übersiedelte, verfolgte Samuel Mockbee, der vor zwei Jahren verstorbene erste Direktor dieses Programms, aber noch eine zweite Agenda: Er wollte seine Studenten aus dem Mittelschichtmilieu, aus dem die meisten von ihnen stammen und das in der Regel auch ihren architektonischen Horizont bestimmt, herausführen und sie mit einer anderen sozialen Realität konfrontieren.
Foto: Timothy Hursley
Die Studierenden bekamen es dabei mit Bauherrn zu tun, die mit ihren Familien in undichten Hütten ohne Sanitäreinrichtungen wohnten und vorerst nichts anderes wollten als ein Haus, in dem sie die Möbel bei Regen nicht in eine trockene Ecke des Zimmers schieben mussten. 1994 war das erste Projekt fertig gestellt, ein Wohnhaus für ein altes Ehepaar, das zuvor mit seinen Enkelkindern in einer derartigen undichten Hütte gewohnt hatte. Die Wände des Neubaus bestehen aus Heuballen, die in PU-Folie gewickelt und mit Draht gesichert sind. Eine dicke Putzschicht gibt dieser Konstruktion eine beachtliche Vertrauenswürdigkeit. Das Haus bietet eine große Veranda unter der offenen Holzkonstruktion des Dachstuhls, der teilweise mit Blech, teilweise mit Kunststoffplatten gedeckt ist. Für die Kinder gibt es drei tonnenförmige Nischen, die an der Rückseite an das Haus angedockt sind. Finanziert wurde das Haus - wie alle Projekte des "Rural Studio" - teilweise aus Spenden, teilweise aus Mitteln von Sozialprogrammen. Für Andrew Freear, den heutigen Direktor des "Rural Studio", vereint bereits dieses erste Haus die zentralen Qualitäten: Neuinterpretation lokaler Traditionen, kollektiver Entwurfs- und Bauprozess, Verwendung von Recycling-Materialien. Die Wände eines anderen Wohnhauses bestehen etwa aus alten Nadelfilzfliesen, bei einer Kapelle kamen Autoreifen zum Einsatz, deren Kontur noch unter einer Betonschicht zu erkennen ist, bei einem Gemeindezentrum ist ein Teil des großen Flugdachs mit alten Chevrolet-Windschutzscheiben gedeckt, die wie Glasschuppen auf der Holzkonstruktion sitzen. In den letzten Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des "Rural Studio" vom Wohnbau auf Spielplätze und kleinere öffentliche Bauten, wie etwa einen Jugendclub und ein Beratungszentrum. Ökonomisch betrachtet, sind alle diese Projekte Architektur für das "Existenzminimum", räumlich und formal gehen sie aber über die Mittelschichtästhetik, von der staatliche Wohlfahrtsprogramme in der Regel geprägt sind, weit hinaus.
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Bei den meisten der Projekte ist auf den ersten Blick klar, dass es sich nicht um anonyme Architektur handelt, also nicht um Beispiele einer "Architektur ohne Architekten", deren Qualitäten Bernhard Rudofsky in den 1950er Jahren in seinem berühmten Buch in Erinnerung rufen wollte, um die ästhetische Armut des Bauwirtschaftsfunktionalismus bloßzustellen. Es handelt sich um Architektenentwürfe, in denen sich Spuren der internationalen Entwicklung der letzten 20 Jahre mit einer spezifisch amerikanischen Tradition verbinden, die von Frank Lloyd Wright über Bruce Goff bis zu den Selbstbauhäusern der Hippies aus den 1970er Jahren reicht. Aus einer ähnlichen, spezifisch amerikanischen Tradition begründet sich auch die Selbstverständlichkeit, mit der im "Rural Studio" soziale Probleme in einer "Let's-make-things-better"- Haltung adressiert werden, ohne die strukturellen Hintergründe besonders zu reflektieren: Dass im reichsten Land der Welt Menschen unter Verhältnissen leben müssen, die man sonst nur in einem Slum antrifft, erscheint dabei nicht als Skandal, sondern als individuelles Schicksal, aus dem man eben das Beste zu machen hätte. Aus europäischer Perspektive ist man mit dem Vorwurf der Sozialkosmetik, die nichts an den Ursachen zu ändern vermag, rasch zur Stelle. Das streitet Andrew Freear gar nicht ab, trotzdem handle es sich um mehr als Kosmetik, nicht zuletzt, weil man nicht abschätzen könne, welche Folgen die Erfahrungen der Studierenden in Hale County auf deren zukünftige Praxis haben würden. Dass alle Wiener Architekturschulen zugesagt haben, in den nächsten Monaten mit eigenen Projekten am Begleitprogramm zur Ausstellung mitzuwirken, wird Gelegenheit zum Vergleich der Ansätze geben. Mit der Ausstellung über das "Rural Studio" ist das Architekturzentrum seiner "glanzlosen" Linie treu geblieben. Das ist sicher ein Risiko. Die nächste publikumswirksame Ausstellung über zeitgenössische Architektur ist ab Ende April ausgerechnet im Kunsthistorischen Museum zu sehen: Eine Retrospektive über Santiago Calatrava wird mehr als genug Gelegenheit geben, dem Starkult zu frönen. Umso dringender ist zum Besuch des AzW zu raten, nicht nur für diese, sondern auch für die nächste Ausstellung, die ab Juni Arbeiten von Anna Lacaton und Jean Philippe Vassal unter dem bezeichnenden Titel "Jenseits der Form" zeigen wird. So einfach und offen kann Architektur sein, so alltäglich und bereichernd. Sicher: Alles ist Architektur. Aber jenseits des Starkults ist sie es noch ein bisschen mehr. Die Presse, 4.1.2003
WENN DIE MITTE IM WEG STEHT Die Stadtpfarrkirche von Korneuburg ist kein Meisterwerk. In den Blickpunkt öffentlichen Interesses rückte sie freilich durch eine kürzlich abgeschlossene Umgestaltung. Ein Pfarrer, ein Kardinal, das Denkmalamt und 700 Unterschriften: Geschichte einer Erregung. Sie ist kein herausragendes Meisterwerk des Kirchenbaus, die Stadtpfarrkirche von Korneuburg. Im 13. Jahrhundert als romanische Wehrkirche mit zwei niedrigen Seitenschiffen und einem hohen Mittelschiff errichtet, wurde sie im 14. Jahrhundert um einen lang gestreckten Chor in den schlankeren Bauformen der Gotik erweitert. 1850 erhielt die Kirche ein Gewölbe im Langhaus, wobei auch die Höhen der drei Schiffe einander angenähert wurden. Um1900 errichtete man schließlich einen neugotischen Abschluss nach Westen. Der Versuch, das Langhaus durch die schlankeren Säulen und neuen Gewölbe an den Charakter des gotischen Chors anzugleichen, hat die spannungsvolle historische Substanz der im Mittelschiff ursprünglich flach gedeckten Anlage zwar grob beeinträchtigt, aber immerhin ist dem entstandenen Kirchenraum eine gewisse Großzügigkeit nicht abzusprechen.
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Seit der jüngsten Renovierung, die im September vergangenen Jahres abgeschlossen wurde, hat die Geschichte dieses Raums mit einer neuen Facette aufzuwarten. Der Volksaltar befindet sich nun direkt im Hauptschiff auf einer oktogonalen Insel. Die Bänke im Langhaus sind so umgeordnet, dass die Gläubigen nun von drei beziehungsweise - wenn man die Bestuhlung auf den Stufen zum Chor mitzählt - von vier Seiten her der Messe beiwohnen können. Auch im Chor hat sich eine Veränderung ergeben: Das Taufbecken befindet sich nun direkt vor dem neugotischen Hochaltar in der Apsis des Chors und damit in der Hauptachse des Kirchenraums. Diese Anordnung mit einem zentral aufgestellten Altar ist alles andere als revolutionär. Unter Berufung auf frühchristliche Zentralkirchen ist sie seit dem frühen 20. Jahrhundert im Gespräch und seit der Liturgiereform im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils auch offiziell zulässig. Ausgeführt wurde sie nicht nur bei vielen Neubauten, sondern auch bei Revitalisierungen. Eines der bedeutendsten Beispiele dieser Art in Österreich ist St. Martin in Dornbirn, ein klassizistischer Bau, der 1967 durch Emil Steffann, neben Rudolf Schwarz der bedeutendste Kirchenbauer Deutschlands im 20. Jahrhundert, umgewandelt - oder besser: umgedeutet wurde. Denn an der Bausubstanz selbst hat Steffann in Feldkirch kaum etwas verändert, sondern vor allem an der Positionierung der liturgischen Elemente. Altar und Taufbecken stehen gewissermaßen als Brennpunkte auf der Mittelachse des Hauptschiffs und spannen zwischen sich einen rechteckigen liturgischen Aktionsraum auf. Die Bankreihen sind um 90 Grad gedreht und zu zwei großen Blöcken entlang der Seitenwände des Hauptschiffs zusammengefasst, ein dritter, kleinerer Block schließt die Figur an der Schmalseite zum Eingang hin ab. Chorraum und Hochaltar liegen damit zwar außerhalb der Brennpunkte des liturgischen Geschehens, verlieren aber in der Gesamtfigur keineswegs an Bedeutung. Architektonisch reicht die Lösung, die in Korneuburg gefunden wurde, nicht an St. Martin in Dornbirn heran. Das liegt zum einen am minimalen Budget von 350.000 Euro, das für die Gesamtrenovierung des Innenraums mit neuem Boden und Heizung zur Verfügung stand, zum anderen an subtilen Fragen von Proportion und Material, die man auch zu diesem Budget hätte anders lösen können. Liturgisch erfüllt die Lösung aber die Anliegen, die auch die Neuordnung in St. Martin erreichen wollte: Die Gläubigen sitzen nicht in Bankreihen hintereinander, sondern erfahren einander als Gemeinde mit dem Altar im Zentrum. Auch die Beziehung zwischen Priester und Gemeinde ist insofern verändert, als der Priestersitz zu einem Teil des den Altar umschließenden Kreises wird, wenn auch zu einem durch seine besondere Position auf der Hauptachse herausgehobenen Teil mit Chor und Hochaltar im Rücken. Alles in allem also eine Veränderung, die nachvollziehbar ist, die sich großer Zustimmung in der Gemeinde erfreut und der man vielleicht einen einfallsreicheren Architekten gewünscht hätte, der auch mit einem kleinen Budget eine im Detail schlüssigere Lösung zustande gebracht hätte. Berichtenswert an dieser Umgestaltung
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ist freilich vor allem eines: Der Pfarrer der Gemeinde, Wolfgang Jöchlinger, hält einen vom Präsidenten des Bundesdenkmalamts, Georg Rizzi, unterzeichneten Brief in Händen, dass er die Versetzung des Altars unverzüglich rückgängig zu machen habe, da "durch die gesetzten Maßnahmen das historisch geprägte Erscheinungsbild des Kircheninneren und seine künstlerische Wirkung nachhaltig gestört sind". Im übrigen, so führt der Präsident weiter aus, stelle "die eigenmächtige Anordnung zur Versetzung des gegenständlichen Altars eine nicht legitime und nicht tolerierbare Vorgehensweise dar, die keinesfalls als Vorbild für ,Nachahmungstäter' dienen sollte". Die Verärgerung des Denkmalamts ist insofern verständlich, als der Pfarrer nicht nur eigenmächtig gehandelt hat, sondern auch entgegen der schon vorab in Gesprächen geäußerten Meinung des Denkmalamts. Zu berücksichtigen ist allerdings die Vorgeschichte: Die heftigste Ablehnung der neuen Altaraufstellung kam nämlich nicht vom Denkmalamt, sondern von der Erzdiözese, zuerst in Person der Diözesankustodin Hiltigund Schreiber, schließlich auch direkt durch Kardinal Schönborn, wobei für den Kardinal nicht die Denkmalpflege, sondern das Abgehen von der zum Hochaltar hin orientierten "Wegkirche" ausschlaggebend war. Ein Mitarbeiter des Denkmalamts hatte allerdings angedeutet, mit der Aufstellung leben zu können, wenn sie "temporären Charakter" habe, und darauf berief sich der Pfarrer in seinem Antrag ans Denkmalamt, die Veränderungen nachträglich zu genehmigen. Das hölzerne Podest um den Altar sei ja offensichtlich nicht für die Ewigkeit gebaut. Für das Denkmalamt wäre diese Genehmigung sachlich kein Problem. Die künstlerische Bedeutung des neugotisch geprägten Innenraums ist nicht herausragend, und nachhaltig gestört ist der Raum durch die neue Anordnung höchstens dann, wenn man eine bestimmte Art der Nutzung zum Teil des Denkmals erklärt - eine absurde Argumentation, bietet doch sogar das Denkmalschutzgesetz für religiöse Gebäude die Möglichkeit, bauliche Veränderungen zuzulassen, wenn sie liturgisch begründet sind. Dass sich das Denkmalamt in diesem Fall so bereitwillig zur Exekution in einem an sich innerkirchlichen Streit hergibt, mag mit einem Anlassfall zu tun haben, der schon einige Jahre zurückliegt. In der Wiener Augustinerkirche findet sich ein Altar aus dem Jahr 1999, den zu weihen sich Kardinal Schönborn bis heute weigert. Der Entwurf stammt von den Architekten Henke und Schreieck, ein schlanker Tisch aus zentimeterdünnen, massiven Stahlplatten, zwei Seitenwände und eine Platte darüber, darunter freistehend eine mehrschichtige transluzente Glasplatte, in deren einer Ecke das Reliquiar eingelassen ist. Das Denkmalamt hatte sich damals sehr für diesen Altar eingesetzt, obwohl die Patres der Augustinerkirche einen massiven marmorierten Block als Volksaltar vorgezogen hätten. Dieser hätte allerdings den Blick in den frisch renovierten Chor verstellt. Henke und Schreieck versuchten mit ihrem Entwurf, einen Volksaltar zu schaffen, der gewissermaßen nur während der Messfeier in Erscheinung tritt, ansonsten aber als zarter, dunkler Rahmen beinahe verschwindet. Henke und Schreieck versuchten dabei, traditionelle Aspekte des Altaraufbaus zu berücksichtigen, etwa die ausgewogene Beziehung zwischen Altem und Neuem Testament, indem für die beiden Seitenteile und die Platte exakt dieselbe Stahlmenge verwendet wurde, aber auch bei der Oberfläche des Stahls, die für die Salbung bei der Altarweihe geeignet sein sollte. Die Patres schienen dieser Idee nach vielen Diskussionen folgen zu können, verlangten aber, dass die ursprünglich nur als schmale Stele geplante Glasscheibe mit dem Reliquiar beinahe auf die gesamte Breite des Altars verbreitert wurde, ein Kompromiss, der den angestrebten Durchblick deutlich beeinträchtigt. Nachdem der Altar unter großem Zeitdruck für die geplante Einweihung am 1. November 1999 fertig gestellt war, verweigerte der Kardinal die Weihe und beschränkte sich auf eine Segnung, offiziell mit der Begründung, die Bodenarbeiten um den Altar seien noch nicht abgeschlossen. An diesem Zustand hat sich bis heute
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nichts geändert, und aus dem Umfeld der Gemeinde ist zu hören, dass der Altar durch einen anderen ersetzt werden soll. Die beiden Fälle sind auf seltsame Art miteinander verwoben. In Korneuburg geht es um grundsätzliche liturgische Fragen, um eine für die Gemeinde deutlich spürbare Neuordnung des Gottesdiensts. In der Augustinerkirche geht es scheinbar um eine rein formale Auseinandersetzung und eine Neuinterpretation konventioneller Standards. Die Reaktion der kirchlichen Stellen lässt in beiden Fällen auf eine große Verunsicherung schließen. Das ist kein Wunder: Kirchenbau ist Theologie ohne Worte, aber mit großer sinnlicher Wirksamkeit. Deshalb fürchten die Schriftgelehrten und Kopfmenschen - und seien sie auch Kardinäle - diese Disziplin wie der Teufel das Weihwasser und fühlen sich im Bewahren des räumlichen und rituellen Status quo auf der sicheren Seite. In Korneuburg haben inzwischen fast 700 Gemeindemitglieder eine Petition für die Beibehaltung der neuen Aufstellung unterschrieben. Es wäre fatal, wenn die Entscheidung durch einen Bescheid des Denkmalamts fiele und nicht in einer längst fälligen, offen geführten Debatte zwischen den wirklich Betroffenen. Die Presse, 16.11.2002
WIE MAN WINKEL ZIEHT 'Twist Tower': Der Name ist Programm. Denn Georg Driendl hat die Geschoßebenen seines Bürohauses in der Schönbrunner Straße jeweils um einige Grad gegeneinander verschwenkt - nicht nur für das Gebäude ein Gewinn, sondern auch für den Straßenraum. Eine weniger inspirierende Bauaufgabe kann es kaum geben: ein Bürohaus in der Schönbrunner Straße im fünften Wiener Gemeindebezirk, eingeklemmt zwischen alten Gründerzeithäusern. Der Bauherr, ein privater Bauträger, verlangt naturgemäß die maximale Ausnutzung des Grundstücks. An der Straßenseite erlaubt der Bebauungsplan ein achtgeschossiges Gebäude, tief in den Hof hinein ist eine maximal zweigeschossige Bebauung zulässig. Gute Beispiele für derartige Baulückenfüllungen im gründerzeitlichen Bestand sind selten. In den sechziger und siebziger Jahren wurden diese Löcher meist mit billiger funktionalistischer Massenware gefüllt, in den Achtzigern mit unbeholfenen Versuchen, sich ans historistische Stadtbild anzugleichen. Derart misshandelt, drohen auch zentrumsnahe Stadtteile mit hoher Standortqualität herunterzukommen. Die Schönbrunner Straße mit ihrem dichten Verkehrsaufkommen und den beinahe ausgestorbenen Geschäftslokalen im Erdgeschoß gehört in diese Kategorie. Mit reiner Bestandssanierung ist hier nichts mehr auszurichten: Um das Image eines solchen Gebiets zu verbessern, braucht es auch deutliche Veränderungen, die den Ort neu interpretieren und ihn in einem anderen Licht erscheinen lassen. Genau das ist Georg Driendl mit seinem "Twist Tower" gelungen. Der Name spielt einerseits auf die "Twin Towers" am Wienerberg an - eine mutige Analogie, da der Twist leicht 20mal in den Twin Towers Platz fände und von einem Tower überhaupt nur dann die Rede sein kann, wenn man sich die umgebende Bebauung wegdenkt und andererseits auf eine Eigenart des Grundrisses: Die annähernd quadratischen Geschoß- ebenen des Hauptgebäudes sind jeweils um wenige Grad gegeneinander verschwenkt, was sich in den Fassaden deutlich abzeichnet: So wie sich an den Häusern nebenan Erker in den Straßenraum vorschieben, sind hier ganze Fassadenflächen gegeneinander verschwenkt und geben dem Gebäude seine charakteristische Erscheinung.
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Fotos: Pez Hejduk
Völlig irrational ist diese Verschwenkung nicht: Da nach der Wiener Bauordnung Erker bis zu 80 Zentimeter in den Straßenraum vorspringen dürfen, gewinnt man so ein paar Quadratmeter Nutzfläche. Aber der eigentliche Witz der Sache ist nicht in Zahlen zu fassen. Man kann die Fassade als ironischen Kommentar zur verbreiteten Illusion interpretieren, dass in der gründerzeitlichen Stadt alles mit rechten Winkeln zuginge. Orthogonal sind die Parzellenzuschnitte aber bestenfalls in den großflächigen Erweiterungsgebieten außerhalb des Gürtels. In der Schönbrunner Straße sind uralte Feldgrenzen und der Verlauf des Wienflusses für die Zuschnitte der Parzellen verantwortlich, und so gibt es auf dem ganzen für den Twist Tower zur Verfügung stehenden Grundstück keinen einzigen rechten Winkel. Noch in einem weiteren Punkt unterscheidet sich der Twist Tower von seinen Nachbarn. Statt Treppe und Aufzug im Inneren des Gebäudes zu verbergen, lässt Driendl sie an der Fassade zur Schönbrunner Straße sichtbar werden. Dahinter steht die Idee, den Straßenraum zu beleben und die vertikale Erschließung zur halböffentlichen Verlängerung des Gehsteigs zu machen. In seinen ersten Entwürfen wollte Driendl die Öffnung zu dem dahinter liegenden begrünten Hofraum noch deutlicher betonen. Immerhin gibt es jetzt einen schmalen zweigeschossigen Durchblick, der Tiefe erahnen lässt. Die oben erwähnte Forderung, "den Ort in einem neuen Licht erscheinen" zu lassen, darf man hier durchaus wörtlich nehmen: Driendl ist stolz darauf, dass um die Mittagszeit ein Lichtstreifen in die Schönbrunner Straße fällt und den Straßenraum aufhellt. Valie Export, die als Künstlerin eingeladen war, für das Gebäude eine Installation zu entwerfen, hat diesen Gedanken aufgenommen. In dem vertikalen Schlitz, den Driendl zwischen dem Treppenhaus und den Hauptnutzflächen offen lässt, sind gelbe, in der Nacht hinterleuchtete Streifen in die Außenhaut des Gebäudes eingelassen, die in einem unregelmäßigen Rhythmus nach oben steigen. Die Differenzierung der Geschoße vom Straßenniveau bis zur Attika ist ein besonderes Charakteristikum des Gebäudes. Der Grund dafür ist einfach: Auch wenn die Nutzung auf allen Geschoßen gleich ist, sind die Randbedingungen verschieden. Die unteren Geschoße erhalten weniger Licht und sind daher mit größeren Fensterflächen gut bedient. Auch der vertikale Schlitz an der Fassade, in dem sich Valie Exports Lichtinstallation befindet, ist auf Straßenniveau am breitesten und verengt sich nach oben hin bis auf einen halben Meter. Dafür werden die Podeste der Treppe mit jedem Geschoß etwas tiefer und wachsen so bis aufs erlaubte Erkermaß von 80 Zentimeter in den Straßenraum hinaus, was in der Fassade zu einer leichten Schrägstellung der Verglasung führt.
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Man ahnt bereits, dass ein derart zugleich in der Horizontalen wie in der Vertikalen differenziertes Konzept konstruktiv nicht ganz einfach zu bewältigen ist, schon gar nicht zu den Kosten eines konventionellen Bürohauses. Dass Driendl hier erfolgreich war, ist eine Meisterleistung, auch wenn er Abstriche bei manchen Materialien und Details - etwa beim Verzicht auf die Verglasung des Aufzugs - in Kauf nehmen musste. Mit diesem Bürohaus und dem Neubau der Österreichischen Schule in Budapest, die heuer eröffnet wurde, hat Driendl bewiesen, dass zur ersten Liga der österreichischen Architekten gehört. Dass dorthin mit Dieter Henke und Marta Schreieck zumindest noch zwei andere Architekten dieser Generation aufgestiegen sind, die aus Roland Rainers Schule kommen, wird den alten Meister freuen. Das Irrationale und Spielerische hat Driendl aber nicht bei ihm gelernt, sondern eher bei einem Vorbild wie Rudolf Schindler, an dessen spielerisch-gelassenen, technisch auch bei beschränkten Mitteln virtuosen Umgang mit räumlichen und formalen Problemen höchster Komplexität man sich erinnert fühlt. Für den Auftraggeber, Kallco-Projekt, der gerade für ein anderes Gebäude in ähnlicher Lage den Bauherrenpreis erhalten hat, hat sich das Spiel jedenfalls gelohnt: Trotz geringer Nachfrage auf dem Büromarkt ist das Gebäude zu 90 Prozent vermietet. Die Presse, 10.8.2002
ALLES NICHT SO SCHLIMM, ODER? Ein Landeshauptmann lässt sich von der "Kronen Zeitung" vorschreiben, wie er über Architektur zu urteilen hat. Über "gesundes Volksempfinden" und wie es in die Welt kommt: ein Lokalaugenschein in Salzburg anlässlich der NichtVerleihung des Landesarchitekturpreises. „Darüber lacht das ganze Land: Seit Monaten beklagen sich die Salzburger Bürger einhellig über den ,schwarzen Block'. Das Heizkraftwerk Mitte gilt längst als Schandfleck mitten im Zentrum der Mozartstadt. Nur die Architekten sehen das anders: Ein Teil des Industrie-Klotzes soll sogar den Landes-Architekturpreis 2002 erhalten!“ In ihrer Ausgabe vom 25. Juni berichtet die Salzburger Ausgabe der "Kronen Zeitung" erstmals über einen sich ankündigenden Skandal. Unter den drei Preisträgern, die von der Jury für den Landes-Architekturpreis gekürt wurden, befinde sich das Heizkraftwerk Mitte, ein Industriekomplex, dessen Front zur Salzach - ein mächtiger Körper aus anthrazitgrauem Stahlbeton - gerade fertig gestellt wird. Aber noch, so berichtet die "Kronen Zeitung" einen Tag später, sei Hoffnung: Auch der Landeshauptmann selbst - vom Chefredakteur der Salzburg"Krone" telephonisch befragt - halte "den ganzen Komplex für hässlich" und habe bisher "keine Gelegenheit gehabt", den Regierungsbeschluss zu unterschreiben. Ob die Preisverleihung am 1. Juli, für die bereits die Einladungen ausgeschickt sind, stattfinden werde, sei ungewiss. Am 29. Juni gibt die "Krone" Entwarnung: „Seit Freitag ist es fix: Fürs Heizkraftwerk Mitte gibt es keinen Architekturpreis vom Land Salzburg! In der Regierung verweigerte die ÖVP ihre Zustimmung, und die SPÖ wollte die Auszeichnung nicht im Alleingang beschließen - das hätte in Salzburg wohl zu viele Sympathien gekostet.“
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Fotos: Paul Ott, Thomas Jantscher, Inge Kanakaris-Wirtl
Die Veranstaltung am 1. Juli findet zwar statt, allerdings ohne Preisverleihung: Kulturlandesrat Othmar Raus hatte sich - im Einvernehmen mit der Jury - dem Wunsch des Landeshauptmanns verweigert, für die anderen beiden Preisträger und die Anerkennungen gesonderte Regierungsbeschlüsse auszustellen. Alles nicht so schlimm, oder? Warum soll eine Landesregierung sich bei einem Preis des Landes nicht auch einmal über das Urteil einer Fachjury hinwegsetzen dürfen, wenn dieses Urteil das "gesunde Volksempfinden" beleidigt? Gehört es nicht zur Aufgabe der Politik, Entscheidungen zu treffen und sie nicht den Experten zu überlassen? Hat der Landeshauptmann hier nicht sogar Mut gegenüber elitären Fachzirkeln bewiesen, die "völlig abgehoben von den Menschen" agieren? Das Gegenteil ist der Fall. Die Entscheidung zeugt nicht von Mut, sondern von Inkompetenz und Opportunismus. Dass Franz Schausberger das Heizkraftwerk Mitte hässlich findet, ist ihm unbenommen. Dass Landeshauptmann Schausberger sich von der auflagenstärksten und daher für ihn gefährlichsten (beziehungsweise hilfreichsten) Zeitung vorgeben lässt, wie er sich im Rahmen eines öffentlichen Verfahrens sein Urteil über ein Projekt zu bilden hätte, ist jedoch unverantwortlich und wird nicht ohne Folgen auf andere Entscheidungen bleiben. Die Vorgänge um den Landesarchitekturpreis sind ein Musterbeispiel dafür, wie die Mechanik des Populismus den Handlungsspielraum der Politik einschränkt und letztlich die politische Kultur ruiniert. Ein Teil dieser Mechanik besteht in der gezielten Fehlinformation: Die Jury für den Landesarchitekturpreis hatte nicht den noch unvollendeten "schwarzen Block" des Kesselhauses ausgezeichnet, sondern ein anderes Gebäude auf dem Areal, das von denselben Architekten stammt. Der erste Artikel in der "Kronen Zeitung" trägt jedoch den Titel: "Lob für ,perfekte Harmonie' im schwarzen Block an der Salzach!". Im nächsten Artikel werden Unregelmäßigkeiten bei der Jury insinuiert: Das Kesselhaus hätte nur durch "blanken Zufall" nicht den Preis bekommen. Erst als entschieden ist, dass es zu keiner Preisverleihung kommt, wird klargestellt, dass die Architekten "das Betriebsgebäude beim Heizkraftwerk Mitte, einen der drei Bauteile des heftig umstrittenen Industriegeländes", eingereicht hätten. Die Infamie besteht nicht zuletzt darin, dass in den ersten Artikeln die Begründung der Jury durch diese falsche Zuweisung lächerlich gemacht wird. Zwar wird korrekt aus dem Juryprotokoll zitiert: Das Gebäude mute "in seiner Klarheit überzeugend und selbstverständlich an" und erreiche "in seinen baulichen Nuancen eine - fast möchte man sagen - perfekte Harmonie". Es sei ein herausragendes Beispiel dafür, wie "klar und funktionell, ästhetisch und gleichzeitig persönlich und liebenswürdig erzählend" gebaut werden könne. Auf das Kesselhaus bezogen - das gänzlich andere, eigenständige Qualitäten hat als das Betriebsgebäude - sind diese Aussagen freilich absurd. Diese Missachtung der Jury, der sich der Landeshauptmann mit seiner Entscheidung angeschlossen hat, ist jedenfalls beispiellos. Ein Preis, den ein Land vergibt, um hervorragende kulturelle Leistungen öffentlich als vorbildlich zu würdigen, braucht eine seriöse, also nachvollziehbare und diskutierbare Begründung. Die Jury hat ihre Arbeit entsprechend seriös geleistet. Mit ihrer Entscheidung hat sie Bauaufgaben ins Rampenlicht gestellt, die - anders als Museen und Theater - oft nicht einmal mit Architektur in Verbindung gebracht werden: zwei Sozialbauten und einen Industriebau.
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Das Altenwohnheim in Neumarkt am Wallersee von Klaus Kada und Gerd Wittfield mit seiner klassischen Eleganz ist offensichtlich für Senioren gebaut, die schon in der Moderne alt geworden sind. Das Kinder- und Jugendhaus in Liefering von Thomas Forsthuber, eines der außergewöhnlichsten Projekte der letzten Jahre, ist schon mehr im 21. Jahrhundert zu Hause: eine ruppige, in Stahlblech verkleidete Bauskulptur, die als offenes Milieu für Kinder und Jugendliche funktionell perfekt auf die Aufgabe zugeschnitten ist. Mit dem Betriebsgebäude von Bétrix & Consolascio und Eric Maier hat die Jury schließlich einen Industrie- und Verwaltungsbau ausgezeichnet, der ohne jeden Zweifel zum Besten zählt, was auf diesem Sektor in Österreich zu finden ist. Explizit weist die Jury - bestehend aus Marianne Burkhalter, Hannelore Deubzer, Maria Flöckner, Otto Kapfinger und Margherita Spiluttini - darauf hin, dass ihre Entscheidung nicht allein von ästhetischen Kriterien bestimmt ist. In einem Protestbrief an die "Kronen Zeitung" schreibt Otto Kapfinger, das Betriebsgebäude sei "vor allem auch im Inneren für die MitarbeiterInnen eine der attraktivsten modernen Arbeitsstätten, die ich in Salzburg und darüber hinaus kenne. Es wäre lohnenswert, wenn hier ein Tag der offenen Tür allen vorschnellen, uninformierten Lästermäulern zeigen könnten, wie funktionale Arbeitsstätten heute gestaltet werden können." Spielt alles keine Rolle. Der Populismus braucht keine denkenden Bürger, sondern verärgerte. Ich gehe eine Wette ein, dass jeder Besucher, der die Bauten von die Bétrix & Consolascio in Salzburg etwas näher kennen lernen darf, zumindest Respekt haben wird: vor der plastischen Durchbildung der Baukörper, vor der Qualität der Innenräume, der funktionellen Lösungen und der Details. In der "Kronen-Zeitung"-Passanten-Umfrage werden die "Menschen von der Straße" dagegen zu Karikaturen reduziert: "Meine Meinung: Es ist schiach, einfach schiach!" "A Katastrophe, eigentlich a Schweinerei!" "Wenn man privat etwas machen will, machen sie einem das Leben schwer." "So was sollen sie ins Ruhrgebiet stellen!" "Es ist eine Qual, wie es ausschaut", wird die "Inhaberin des wunderschönen Blumengeschäfts ,Pusteblume' genau gegenüber dem Bauwerk" zitiert. Für den "Krone"-Redakteur Anlass für ein wenig Pathos: "In ihrem Geschäft ist Schönheit Trumpf, ihre Blumen stehen für Wärme und Menschlichkeit, aber dieses Gegenüber! Eine schwarze Masse, ein finsterer Block, kalter Beton, Fenster wie Schießscharten." Wer so schreibt, hat einen Leser vor Augen, der dumm genug ist, nicht zwischen einem Blumengeschäft und einem Kesselhaus mit einem inneren Lärmpegel von 90 Dezibel unterscheiden zu können. Dass die Salzburger den dunklen Block nicht ins Herz schließen würden, war zu erwarten. Aber vielleicht werden sie bald akzeptieren, dass dieser Teil ihrer städtischen Infrastruktur einfach da ist, eine schmucklose, mächtige Figur, eine Betonkulisse, die es mit anderen Felsformationen in ihrer Nähe durchaus aufnehmen kann. Und vielleicht werden sie irgendwann sogar anerkennen, dass Bétrix & Consolascio mit den Projekten, die sie seit 1987 auf diesem Areal und an anderen Orten im Stadtgebiet realisieren konnten, Architekturgeschichte geschrieben und wesentlich zum Image Salzburgs jenseits des Barocks beigetragen haben. Für die aktuelle Diskussion ist diese Perspektive freilich zu langfristig. Die Mitglieder der Landesregierung, die ihre Unterschrift für den Landesarchitekturpreis verweigert haben, sollten erkennen, dass sie dadurch beim Mediaprint-Konzern unter Vertrag stehen. Wenn die Politik die offene und seriöse Diskussion über die Qualität der gebauten Umwelt dem billigsten Populismus opfert, verliert sie ihren Handlungsspielraum in einem Gebiet, das im Alltagsleben der Bürger immer noch zu den wichtigsten gehört. Dass die Bürger klüger sind, als es die "Kronen Zeitung" erlaubt, stellt sich vielleicht bei den nächsten Wahlen heraus.
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Die Presse, 13.7.2002
SOLITÄR ODER IM RUDEL? In die Vertikale wachsende Knoten im Stadtgeflecht, vielschichtig in Gestalt und Nutzung, die "neue urbane Qualitäten für den angrenzenden Stadtraum schaffen sollen": Das Innsbrucker Hochhauskonzept versucht die Neuinterpretation eines umstrittenen Bautyps. Das Hochhaus als amerikanische Steigerungsform des Städtischen hat in Europa nach wie vor einen zweifelhaften Ruf. Es ist eine genuine Erfindung Amerikas, geboren aus der radikalen Ausnutzung neuer technischer Möglichkeiten: Stahlkonstruktion, Aufzug, künstliche Belichtung und Belüftung. Der Unterschied zum europäischen Hochhaus liegt vor allem im Städtebaulichen. Während in Amerika die Agglomeration sehr hoher Häuser über einem rechtwinkeligen Raster zum urbanen Leitbild wurde, tendiert das Hochhaus in der europäischen Stadt zum Solitär. Je nach kultureller Großwetterlage wird es daher als Signal der Modernisierung oder als Bedrohung des historischen Bestands wahrgenommen. Der Antrieb zur Errichtung von Hochhäusern geht in der Regel von kapitalkräftigen Bauherrn aus, die nach dem simplen Prinzip agieren, auf einem möglichst zentrumsnahen Grundstück eine möglichst große Anzahl identischer Geschoße zu stapeln. Wenn die Stadt kein eigenes Hochhauskonzept vorzuweisen hat, gilt in der Folge eine einfache, in Wien am Stumpfschen Millenniumstower abzulesende Spielregel: Das höchste Hochhaus baut immer der Investor mit den besten Beziehungen. Die in Wien inzwischen verfolgte Strategie, Sichtkorridore festzulegen, die nicht durch Hochhäuser verstellt werden dürfen, und die Kreuzung möglichst vieler Verkehrsströme zum Hauptkriterium für einen Hochhausstandort zu machen, ist ein defensiver Weg zur Bewältigung des Problems, der auf ein klares Szenario für die zukünftige Entwicklung verzichtet. An diesem Weg ist alles durch und durch vernünftig, und gerade das ist seine Schwäche. Nach einem ähnlich vernünftigen Prinzip hatte schon der letzte Wiener Stadtentwicklungsplan eine Verdichtung entlang von Verkehrsachsen vorgesehen. Am Ende fand die Entwicklung zwischen den Achsen statt, weil dort die Grundstückspreise niedriger blieben. Um mit den Hochhaus-Investoren, deren Motivation stets aus einer kreativen Mischung von Geldgier und Gestaltungswillen besteht, mithalten zu können, muss die Stadtplanung konkretere und zugleich kreativere Regulierungen entwickeln. In Innsbruck wurde kürzlich ein Hochhauskonzept vorgestellt, das einen Schritt in diese Richtung versucht. Anlass dafür war die Entwicklung eines Siedlungsleitbildes für den Raum Innsbruck, in dessen Rahmen die Hochhausfrage als besonders heikles Unterthema erkannt und an eine eigene Planungsgruppe ausgelagert wurde. Das Architekturforum Tirol wurde beauftragt, ein EU-weites Bewerbungsverfahren für die Erstellung einer Hochhausstudie zu veranstalten und die ausgewählten Teams in mehreren Workshops unter Einbeziehung der Öffentlichkeit zu koordinieren (www.hoch hausinnsbruck.at). Ausgewählt wurden drei Architektenteams - Pietro Caruso/ rainer pirker ARCHItexture, Hermann Czech/ Rainer Köberl, JourdanMüller PAS - und ein Team für Sozial- und Kulturwissenschaften: helix (Hebertshuber, Marchner und Schoibl). Moderation und Konzeption der Workshops lagen bei Max Rieder.
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Die Verfasser der Studie stellten sich zwei grundsätzliche Fragen. Erstens: Braucht Innsbruck aufgrund von Wirtschaftsentwicklung oder Baulandverknappung neue Hochhäuser? Zweitens: Können Hochhäuser für einen konkreten Ort besondere Synergien und städtische Vielschichtigkeit erzeugen? Die Antwort auf die erste Frage fällt in der Studie klar negativ aus. Allerdings sehen die Autoren gerade darin eine Chance: "Weil Innsbruck sich einer trivialen Hochhausentwicklung verweigern kann, besteht für anspruchsvolle Qualifikation von speziellen ,Ausnahmen' in dieser Stadt eine besondere Chance." Die Kriterien für die anspruchsvolle Qualifikation ergeben sich aus der positiven Antwort der Autoren auf die zweite Frage: Richtig geplant, können Hochhäuser zur städtischen Vielschichtigkeit beitragen. Die Studie schlägt vor, im Talboden keine neuen konventionellen Hochhäuser zu errichten. Keine neuen deshalb, weil Innsbruck zwar im Vergleich zu anderen österreichischen Städten einen hohen Anteil an Hochhäusern aufweist, die vor allem in den sechziger und siebziger Jahren für Wohnzwecke errichtet wurden. Nur wenige der über 60 Objekte, die baurechtlich über der Hochhausgrenze liegen, sind aber hoch genug, um als "echte" Hochhäuser wirksam zu werden. Von den umliegenden Bergen aus betrachtet, ist die städtische Baumasse zwar in der Höhe differenziert, aber doch einheitlich geblieben. Als Standorte für konventionelle Hochhäuser bis zirka 90 Meter Höhe werden vier Zonen ausgewiesen, von denen drei am Rand des Talbodens entlang der Autobahn liegen. Die vierte Zone am Westbahnhof erlaubt wegen der Nähe zum Flughafen nur eine reduzierte Bauhöhe. Die Situierung an der Autobahn wird einerseits mit stadtgestalterischen Argumenten begründet: Nahe an die Gebirgswände gerückt, würden Hochhäuser eine dramatische Erscheinung gewinnen, die sie mitten im Talboden nie erreichen könnten. Andererseits sprechen die gute Verkehrsanbindung, die ausreichende Zentrumsnähe und nicht zuletzt der Werbeeffekt durch die Autobahn für den Standort. Dass diese nicht auf dem Talboden, sondern in der Bergflanke etwa auf der Höhe des sechsten Geschoßes geführt ist, wird aus dieser Perspektive zur Qualität. Das Besondere der Situation ließe auch bei konventioneller Bauweise der Einzelobjekte ein außergewöhnliches Ergebnis erwarten. Für die innerstädtischen Bereiche (mit Ausnahme von Schutzzonen) schlagen die Autoren einen neuen Typus von Hochhaus vor, den sie als "Urbanissima" bezeichnen. Es handelt sich dabei um einen in die Vertikale wachsenden Knoten im Stadtgeflecht, vielschichtig in Gestalt und Nutzung, der "neue urbane Qualitäten für den angrenzenden Stadtraum und das Quartier schaffen soll". Wenn ein Investor sich für ein derartiges Projekt interessiert, sollen die konkrete Höhenentwicklung, der Nutzungsmix sowie die räumliche Zuordnung der öffentlich zugänglichen Flächen in einem verbindlich in den Richtlinien festgelegten "Kontextseminar", in das auch Anrainer eingebunden sind, festgelegt werden. Die Obergrenze für diesen Gebäudetyp ist mit 60 Meter festgelegt. Im Stadtgebiet verteilt würden sie nicht als vertikale Spitzen, sondern eher als Inseln im Häusermeer erscheinen. Die "Urbanissima" ist die Steigerungsform der europäischen Stadt und ihrer Qualitäten. Die Autoren der Studie versprechen sich von ihr "sozialen Mehrwert, Intensivierung und Attraktivierung von Stadtleben und Stadtkultur, Kompensationschancen zum grassierenden Flächenverbrauch und ressourcenbewusste Vertikalität, Schaffung eines dynamischen Elements im Interesse sich wandelnder Bedürfnisse der StadtbewohnerInnen, stadtteil- oder themenbezogene Identitätsbildung".
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Spätestens hier schleicht sich die Frage ein, ob eine derartig geballte Ladung von guten Absichten unter den Bedingungen der kapitalistischen Stadtentwicklung eine Chance hat. Oder etwas pointierter: Fällt die Studie nicht in einen längst überholten, weltbaumeisterlichen Erlösergestus zurück, über den nicht nur die Investoren, sondern auch eine an Rem Koolhaas' antiplanerischer und antipolitischer Haltung geschulte, marktorientierte jüngere Architektengeneration nur milde lächeln? Vielleicht. Dass die europäische Stadt aber keine andere Chance hat, als sich solch scheinbar naiv-optimistischer Vorwärtsstrategien zu bedienen, war vor einer Woche bei einem Symposium zu erfahren, das vom Haus der Architektur Graz im Rahmen seines Jahresthemas "europe.cc - changing cities" veranstaltet wurde. Walter Siebel, deutscher Stadtsoziologe, sprach dort über die gewandelte Situation der europäischen Stadt, die Auflösung der Begriffe Peripherie und Zentrum und die zunehmende Autonomie des Umlands, das als verstädterte Landschaft nicht mehr auf ein Zentrum angewiesen sei. Pendler- und Besiedlungsströme, die von Umlandgemeinde zu Umlandgemeinde unter Auslassung der Zentren führen, lassen in den Kernstädten vor allem soziale Probleme zurück. Aus Bürgern werden Kunden, die städtische Dienstleistungen in mehreren Gemeinden einkaufen, ohne sich einer öffentlichen Körperschaft verantwortlich zu fühlen. Wo der Tourismus die Hülle der europäischen Stadt konserviert, droht wiederum einer ihrer essentiellen Bestimmungsgründe verloren zu gehen, nämlich ein kontinuierlich geführtes Geschichtsbuch ihrer Bürger zu sein. Als verbleibende Chance für die Kernstädte sieht Siebel die Schaffung "innovativer Milieus", die eine Voraussetzung des heutigen Wirtschaftssystems darstellen und von Ökonomen mit denselben Begriffen beschrieben werden, mit denen Stadtsoziologen die Qualitäten der europäischen Stadt darstellen - oder die Autoren der Innsbrucker Studie ihre "Urbanissima". Und die Investoren? Beim Grazer Symposium ließ ein Vertreter von McDonald's mit der Bemerkung aufhorchen, dass es ihm in erster Linie um klare, langfristig stabile Vorgaben und weniger Bürokratie gehe. Mit anspruchsvolleren Strukturen habe er kein Problem: In Vorarlberg, wo die Ansprüche an Architektur generell hoch sind, sehe jeder McDonald's eben anders aus. Klug umgesetzt, könnte die Innsbrucker Strategie auch ihre ökonomische Bestätigung finden. Die Presse, 15.6.2002
DIE DEKORIERTE SCHUPPENENTE Das unternehmerische Selbstbild der High-Tech-Firma "Semperit Technische Produkte" - von Najjar & Najjar umgesetzt in eine biomorphe Baufigur. Über Möglichkeiten und Grenzen der Superzeichen-Architektur. Dem amerikanischen Architekten Robert Venturi verdankt die Architekturtheorie die Unterscheidung von Gebäuden in "Enten" und "dekorierte Schuppen". Bei letzteren sind bauliche Struktur und inhaltliche Aussage klar voneinander getrennt: Dem Schuppen ist ein Zeichen aufgesetzt, das auf die Bestimmung des Gebäudes verweist, sei es ein Zunftzeichen, ein klassischer Giebel oder eine monumentale Leuchtwand wie in Las Vegas. "Enten" sind dagegen Gebäude, deren Form mit der Botschaft verschmolzen ist, etwa ein Würstelstand in Form einer Wurst oder - Venturis begriffsprägendes Beispiel - ein Geschäft für Lockenten in Form einer großen Ente. Venturi ging es nicht primär um diese offensichtlichen Skurrilitäten, sondern darum, die moderne Architektur generell als eine "Enten-Architektur" zu entlarven. Tatsächlich war es das erklärte Ziel des Modernismus, Form und Funktion so miteinander zu verschmelzen, dass die Form als Aussage über die Funktion jedes Gebäudes gelesen werden kann. Ihre Rechtfertigung suchte diese Art von Funktionalismus nicht zuletzt in der Natur: Louis Sullivan, jener amerikanische Architekt, von dem die Formel "Form follows function" stammt, illustrierte seine Behauptung nicht etwa an Hand von Maschinen, sondern an Hand von Naturphänomenen wie dem Aufbau eines Vogelflügels. Die Idee der organischen Einheit von Form und Funktion ist zwar grundsätzlich inspirierend, führt in der
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Architektur jedoch rasch zu dem Problem, dass die Funktionen von Gebäuden in der Regel unklar definiert, von widersprüchlichen Interessen verschiedener Nutzergruppen abhängig und über längere Zeiträume betrachtet so gut wie nie stabil sind. Die funktionalistische Architektur ist daher dazu verurteilt, mit beachtlichem Aufwand eine nur scheinbare Einheit von Form und Funktion aufzubauen, eine "Alsob-", oder, in Venturis Worten, eine "Enten-Architektur". Die Postmoderne, zu deren Vätern Venturi zählt, bekannte sich zum "dekorierten Schuppen" und damit zu einer erneuerten Auffassung von Architektur als Sprache: Die "Ente" ist - semiotisch ausgedrückt - ein "ikonisches" Zeichen, bei dem der Signifikant (die Form) bestimmte Merkmale mit dem Signifikat (dem Inhalt) gemeinsam haben muss. Der "dekorierte Schuppen" ist dagegen als "symbolisches" Zeichen abhängig von erlernten Bedeutungen und damit offen für jede Art von Sprachspiel, Bedeutungsverschiebung und Subversion - ein Potential, von dem die Postmoderne so ausgiebig Gebrauch machte, dass fast zwangsläufig eine Gegenbewegung einsetzen musste, die im begrifflichen Umfeld von Bionik, Blobs und Biomorphismus Projekte und in jüngster Zeit auch vermehrt Gebautes hervorbringt. Nach den endlosen Sprachspielen von Postmoderne und Dekonstruktion scheint der biomorphe Blob endlich wieder natürliche Sicherheit in der architektonischen Formfindung zu versprechen.
Das Forschungs- und Entwicklungsgebäude, das Karim und Rames Najjar für die Firma Semperit Technische Produkte in Wimpassing, Niederösterreich, entworfen haben, ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Trend. Semperit Technische Produkte - nicht zu verwechseln mit der inzwischen eingestellten Reifenproduktion ist ein höchst erfolgreiches High-Tech-Unternehmen, das sich mit dem Neubau der Forschungszentrale ein neues, diesem Image entsprechendes Gesicht geben wollte. Im Jahr 1999 wurde ein Gutachterverfahren ausgeschrieben, aus dem das Projekt von Najjar & Najjar, eine röhrenförmige glänzende Struktur, die sich diagonal an die Grundstücksgrenze vorschiebt, als Sieger hervorging. Die Hülle aus Aluminium schwingt sich in einer Wellenbewegung zu einer beinahe monumentalen, schräg über zwei Geschoße angeschnittenen Öffnung zur Bundesstraße hin auf, hinter der ein Großraumbüro mit eingezogener Galerie liegt. Auf dem oberen Niveau - also innerhalb der Aluminiumhülle - sind weitere Büros angeordnet. Im fast durchgehend verglasten Erdgeschoß liegen Laborräume. Eine großzügige zentrale Halle mit Oberlicht verbindet die Ebenen räumlich miteinander. Das Gebäude ist eine geglückte Umsetzung eines unternehmerischen Selbstbilds: Die Perfektion der Oberfläche suggeriert entsprechend hohe Standards der Produktion, die geschwungene Linienführung verweist auf die Kernkompetenz des Unternehmens Semperit, die Verformung von Kautschuk und Kunststoffen, die Raumschiffmetapher auf die globale wirtschaftliche Ausrichtung. Es verwundert also nicht, dass der Vorstand sich im Wettbewerb für dieses Projekt begeisterte. Dass er diese Begeisterung bis zuletzt durchgehalten und dem jungen Architektenteam genug Vertrauen auch in der Umsetzungsphase entgegengebracht hat, ist dagegen besonders hervorzuheben. Die Auszeichnung des Gebäudes mit dem diesjährigen "Aluminium Architektur Preis" ist nicht zuletzt eine Anerkennung für die Konsequenz, mit der hier ein bestimmtes, im ersten Entwurf vorgestelltes Bild zur Realisierung gebracht wurde.
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Bis auf den Wegfall eines Semperit-Logos, das im ersten Entwurf die große Frontöffnung wie einen Kühlergrill geteilt hätte, scheint das ausgeführte Projekt vom Entwurfsmodell kaum abzuweichen. Dass Najjar & Najjar aber mehr wollten, als nur ein eingängiges Bild zu schaffen, zeigt ein Blick auf ihre früheren Arbeiten wie etwa die kinematische Skulptur BUG, die sie 1998 beim "steirischen herbst" vorführten: eine beweglich gelagerte Metallrüstung mit Flügeln aus Aluminium, in deren Innerem der Umriss einer menschlichen Figur zu erkennen war. Im gesteigerten Pathos dieser Inszenierung manifestierte sich eine Vision von Architektur als "Natur aus Stahl", die im Semperit-Gebäude genauso angelegt ist. Aber im großen Maßstab stößt der Versuch, eine solche künstliche Natur zu schaffen, offensichtlich an seine Grenzen. Organische Einheit zwischen Form und Funktion würde ein Gebäude voraussetzen, das wirklich dynamisch ist und nicht nur so aussieht. Das Ziel der biomorphen Architektur, authentischer zu sein als der "dekorierte Schuppen", verkehrt sich so in sein Gegenteil: Ihre Produkte werden zu aufwendigen Superzeichen, die zwar als solche höchst erfolgreich sein können, aber dabei ihre eigentliche Intention aufgeben müssen. Blob-Architektur wird so lange Als-ob-Architektur bleiben, bis neue Materialien und Herstellungsverfahren existieren, die eine wirklich dynamische Architektur zulassen. Als Versuch in diese Richtung hat das Semperit Forschungszentrum jedenfalls Anerkennung verdient. Die Presse, 4.5.2002
BASTELSTUBE IM IRRENHAUS Wann wird aus einem Geschmacksurteil ein Argument? Wo beginnt eine deutliche Mehrheit? Ist demokratische Entscheidungsfindung ab einer gewissen Medienkonzentration schlicht nicht mehr möglich? Grundsätzliche Fragen zum Anlassfall Wasserturm Hainburg. Über Geschmack lässt sich bekanntlich schlecht streiten. Ich halte das Wittgensteinhaus für ein Kunstwerk und das Hundertwasserhaus für Kitsch. Meine Nachbarin, mit der ich sonst oft einer Meinung bin, sieht das anders. Sie fühlt sich nicht wohl angesichts der schmucklosen Fassaden des Wittgensteinhauses; ich freue mich über die Klarheit des Baukörpers, die ruhige Wirkung der Oberfläche und die ausgewogenen Proportionen. Das Hundertwasserhaus löst in ihr Erinnerungen an das bunte Spielzeug ihrer Kindheit aus; ich sehe dort nichts anderes als einen missglückten Abklatsch jener Häuser, die Gaudí vor 100 Jahren in Barcelona errichtet hat. Um meine Nachbarin zu überzeugen, könnte ich mich auf meine Autorität berufen: Immerhin habe ich Architektur studiert und betreibe seit vielen Jahren Architekturkritik. Du kleiner Fachidiot, sagt meine Nachbarin mitleidig, Häuser werden nicht für die Kritiker gebaut, sondern für den Mann von der Straße, an der sie stehen. Im Übrigen halte sie Helmut Zilk für eine größere Autorität in Fragen der Stadtgestaltung als mich: Der sei immerhin Bürgermeister gewesen und habe als solcher schon gewusst, warum ein Hundertwasserhaus für Wien wichtiger war als ein Ronacher-Theater von Coop Himmelb(l)au. Also gut. Dann besser keine Autoritäten mehr. Aber wer soll entscheiden, wenn es nicht um ein Urteil im Nachhinein, sondern um die Frage geht, ob etwas in einer bestimmten Form gebaut werden soll oder nicht? Dafür gibt es demokratische Regeln, sagt meine Nachbarin, die darauf hinauslaufen, eine Mehrheit für eine Sache zustande zu bringen: Statt einer Hierarchie von Autoritäten ein freies, öffentlich ausgetragenes Spiel der Meinungen. Wer schließlich die Entscheidung fällt, ist eine andere Frage. Das kann eine Behörde sein, ein politisches Gremium oder alle Betroffenen per Volksabstimmung. Immerhin hätten sich sogar die Bauten auf der Akropolis in Athen einem Plebiszit stellen müssen, und da könne man wirklich nicht behaupten, dass die Architektur darunter gelitten hätte. Gut, sage ich. Aber um in der Öffentlichkeit über eine Sache zu streiten, müssen wir Geschmacksurteile in Argumente verwandeln. Unsere Urteile über das Wittgenstein-
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und das Hundertwasserhaus vorhin waren eine Mischung aus Gefühlen, Erinnerungen und Kenntnissen. Dass ich die Architektur von Gaudí kenne, hat nichts mit Autorität zu tun, sondern mit Wissen, das du vielleicht nicht hast. Und selbstverständlich hat jedes Urteil einen Bezugsrahmen, der flexibel ist. Das Wittgensteinhaus hat neben einem Gemeindebau aus den fünfziger Jahren eine andere Bedeutung als neben dem Palais Stoclet von Josef Hoffmann. Ein Geschmacksurteil in Argumente zu verwandeln, die einem demokratischen Entscheidungsprozeß förderlich sind, heißt anzuerkennen, dass unsere Urteile nicht absolut sind. Sie ändern sich durch Erfahrung, durch Verschiebung des Bezugsrahmens und durch den allgemeinen Zeitenwandel. Richtig, sagt meine Nachbarin. Aber etwas hast du vergessen: Es geht nicht zuletzt um Macht. Demokratie ist kein Paradies. Denk an das AKW Zwentendorf, denk an die Hainburger Au. Nicht Argumente haben dort den Ausschlag gegeben, sondern eine Politik der Gefühle, die sich mit Hilfe der Medien gegen die Macht des Staats durchsetzen konnte. Es braucht heute mehr denn je starke Überzeugungen und Menschen, die mit allen Mitteln für ihre Überzeugungen eintreten. Sonst setzen sich doch erst wieder die Mächtigen gegen die Interessen der kleinen Leute durch. Das ist doch reinster Fundamentalismus, kontere ich. Und erzähle ihr die Geschichte vom Wasserturm in Hainburg. Dort fand 1999 ein Wettbewerb für das Besucherzentrum des Nationalparks Donau-Auen statt, den Coop Himmelb(l)au für sich entscheiden konnten. Als geeigneter Standort hatte sich in einer Studie ein Turm der mittelalterlichen Befestigungsanlage gefunden, neben den die Architekten ein verglastes Stiegen- und Lifthaus projektierten, das über eine ebenfalls verglaste Brücke mit dem Turm verbunden ist. Finanziert wird das Projekt von der Nationalparkgesellschaft, an der Bund, Land Niederösterreich und Gemeinde Wien beteiligt sind. Die Gesamtkosten betragen 2,58 Millionen Euro, wobei in diesem Betrag nicht nur die Baukosten, sondern auch die Kosten für die Ausstellungsgestaltung enthalten sind. Funktionell bietet der Aufstieg auf den Turm einen Überblick über das Nationalparkgelände, im Inneren soll eine inszenierte Liftfahrt nach unten - gestaltet von den Mediendesignern Nofrontiere - die ökologischen und historischen Zusammenhänge des Nationalparkprojekts präsentieren. In einem niedrigen Gebäude neben dem Turm erhält die Verwaltung des Parks ihre Büros.
Von Anfang an gab es Stimmen, die sich gegen das Projekt wandten. Warum ist das Gebäude so expressiv und aus Materialien errichtet, die gefühlsmäßig nichts mit dem Thema Natur zu tun haben, nämlich Stahl, Glas und Beton? Und mit welchem Recht überragt es den alten Wehrturm? Auf beide Einwände gibt es plausible Antworten: Der Nationalpark in seiner Gesamtheit ist ein komplexes politisches, juristisches und wasserbautechnisches Projekt. Warum sollte man für das Besucherzentrum nicht eine entsprechend komplexe Architektursprache wählen? Das Projekt lässt den alten Turm zwar in seiner Substanz bestehen, verändert aber seine Symbolik in einer Weise, die durchaus bedeutsam ist: Aus einem Turm, der zur Abwehr von Fremden erbaut wurde, wird eine symbolische Einladung, ein "Tor in die Zukunft", wie die
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Architekten etwas pathetisch, aber angesichts der Fernwirkung des Gebäudes durchaus schlüssig formulieren. Dazu kommen wirtschaftliche Argumente: Im Tourismus spielt nicht mehr allein die Konservierung des Bestands eine Rolle, sondern auch die Attraktivität des Neuen. In dieser Kategorie könnte Hainburg mit der Realisierung eines "Star-ArchitektenProjekts" punkten, noch dazu, wenn einer der "Stars", nämlich Wolf D. Prix, aus Hainburg stammt. Der Gemeinderat von Hainburg gab dem Projekt seinen Segen, zuerst 1998 in einer Grundsatzentscheidung, dann 1999 durch den einstimmigen Beschluss, der Nationalparkgesellschaft das Baurecht auf dem Grundstück zu übertragen. Auch das Bundesdenkmalamt prüfte die Pläne und gab seine Zustimmung. Am 3. September 2001 erfolgte der Spatenstich durch Landeshauptmann Erwin Pröll. - Doch nun traten die Kritiker erneut auf den Plan, forderten eine Volksbefragung und begannen, unterstützt von der "Kronen Zeitung", eine Kampagne gegen die Realisierung. Am 17. März 2002 fand diese Befragung statt, bei einer Beteiligung von 36 Prozent sprachen sich 60 Prozent gegen das Projekt aus. In der Sitzung vom 22. März beschloss der Gemeinderat, das Projekt dennoch weiter zu verfolgen: Die Beteiligung sei zu gering gewesen, und das Ergebnis besitze laut Gemeindeordnung keinerlei bindende Wirkung. Auch in Hinblick auf die Geschichte des gesamten Nationalparkprojekts war diese Entscheidung konsequent: 1993 hatte eine Volksbefragung in den betroffenen Gemeinden bei doppelt so hoher Wahlbeteiligung eine Ablehnung des Nationalparks von 80 Prozent ergeben. Auch damals hatten sich die politisch Verantwortlichen entschieden, dieser Volksmeinung nicht zu folgen.
Nun zeigte die "Kronen Zeitung", was mediale Macht bedeutet. In beinahe täglichen Brandartikeln wurde Stimmung gegen das Projekt gemacht: Bernd Lötsch - für den die Architektur von Coop Himmel- b(l)au einer "Bastelstube aus dem Irrenhaus" entstammt - warnte vor einem "architektonischen Super-GAU", einer "Todesfalle für geschützte Vogelarten" (ein Punkt, den die Projektbetreiber längst durch den Einsatz von bedrucktem Glas zu lösen versprochen hatten), der Stadthistoriker Stefan Scholz vor einer "Verschleuderung von Steuergeld". Eine "Mehrheit von 60 Prozent der Bevölkerung" - so war wahrheitswidrig zu lesen - hätte sich gegen das "WahnsinnsProjekt" ausgesprochen. Als die "Kronen Zeitung" berichtete, die Gegner des "Beton-Monsters" würden sich wie damals in der Au - an die Baggerschaufeln ketten, gab Carl Manzano, Direktor des Nationalparks und selbst ehemaliger Hainburg-Aktivist, am 23. April auf und ließ die Bauarbeiten bis auf weiteres einstellen: Das Image des Nationalparks würde unter der Situation zu sehr leiden. Nach dem aktuellen Stand der Dinge werde man die bisher in das Projekt investierten 500.000 Euro abschreiben und das Besucherzentrum in einer anderen Gemeinde errichten. Zugegeben, sagt meine Nachbarin, eine hässliche Geschichte. Aber ist es denn wirklich wichtig, ob dieses Projekt so oder anders realisiert wird? Ja, denke ich. Denn was hier verraten wird, sind nicht elitäre Architekturvorstellungen, sondern demokratische Prinzipien. Ein etwas von der Norm abweichendes Gebäude in Hainburg zu verhindern ist für die Populisten und ihre Partner aus dem MediaprintKonzern nur eine Fingerübung. Man sollte lernen, sich rechtzeitig zu wehren.
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Die Presse, 30.3.2002
WENN DIE STADT SICH TOT STELLT Zum "Kunstplatz" sollte der Karlsplatz im Windschatten des U-Bahn-Ausbaus werden. Von allen guten Geistern verlassene Peripherie im Zentrum wird er wohl auch in Zukunft bleiben. Über eine vergebene Chance, intelligente Stadtgestaltung zu betreiben. Man muss es offen sagen: Der Wiener Karlsplatz entwickelt sich zusehends von der "Gegend" - als die ihn Otto Wagner einmal charakterisierte - zur "G'stättn", auf der liegen bleibt, was niemand mehr haben möchte. Die Drogenszene, deren angebliche Eskalation von der "Kronen Zeitung" gerade wieder thematisiert wird, ist nicht die Ursache, sondern nur eines der Symptome für seine zunehmende Verwahrlosung. Ein intelligent konzipierter städtischer Raum von der Dimension mehrerer Fußballfelder sollte problemlos 200 Sandler und Süchtige aufnehmen können, ohne dass sich das sonstige Publikum bedroht fühlen müsste.
Foto: Clemens Fabry
Die ästhetische Verwahrlosung des Karlsplatzes und des gesamten Stadtraums bis zur Opernpassage ist offensichtlich. Das Stadtmobiliar ist abgewirtschaftet, die Kinderspielplätze - eine der spannendsten Gestaltungsaufgaben überhaupt - sind lieblos mit Gerätschaften verstellt, das Grün wuchert und bemüht sich, Aulandschaft zu spielen. Neben der Karlskirche wurde jüngst ein Marmorblock aufgestellt, der Kaiserin Elisabeth auf das Wesentliche - ihren Fächer - reduziert zeigen soll. Dass dieses Gebilde von der Stadt Wien um knapp über 100.000 Euro als Skulptur angekauft wurde, ist Skandal genug. Es neben die barocken Statuen der Karlskirche zu platzieren lässt sich höchstens mit der Behauptung entschuldigen, man hätte den symmetrisch auf der anderen Seite aufgestellten Waschbetontrögen ein würdiges Gegenüber bieten wollen. Auf ähnlichem Niveau bewegen sich die in den Boden eingelassenen bronzenen Musikerporträts in der Opernpassage. Tröstlich sind diese naturalistischen Darstellungen großer Männer nur für die Sandler: Sogar Claude Debussy ist offenbar nicht davor gefeit, einmal ganz unten im Dreck zu landen. Nun klingt das alles so, als wäre der Karlsplatz ein ästhetisches Problem auf der Ebene der Stadtmöblierung. Das ist er natürlich nicht. Der Karlsplatz ist primär ein Verkehrsproblem, bei dem die Gewichtung zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln, motorisiertem Individualverkehr und Fußgängerverkehr über die Jahre aus der Balance gekommen ist. Seit der Überbauung des Wienflusses und der Errichtung der Stadtbahn ist der Karlsplatz ein gigantisches und in seiner Komplexität faszinierendes Verkehrsbauwerk, der eigentliche "Hauptbahnhof" des Wiener UBahn-Netzes, an dem drei U-Bahn-Linien (U1, U2 und U4) zusammentreffen. Durch die Verlängerung der Linie U2 nach Transdanubien wird sich diese Bedeutung noch vergrößern. Schon heute kommen hier täglich 50.000 Passagiere an, die sich vor allem durch die unterirdischen Passagen bewegen. An der Oberfläche kreuzen sich wichtige
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Verkehrsströme des Individualverkehrs mit Straßenbahnen und einer Buslinie, die einen eigenen "Stationshügel" besetzt. Es hat den Anschein, als wäre der Karlsplatz das Resultat von Verkehrsflüssen, die sich hier beinahe von selbst ihren Raum geschaffen hätten, ähnlich wie ein Fluss sich sein Flussbett schafft. In Wahrheit ist er das Resultat jener Ideologien, die in den siebziger Jahren bestimmend für die Verkehrsplanung waren: weitgehende Trennung von Verkehrsströmen und Funktionen möglichst auf mehreren Ebenen, Schaffung von großzügigen Reserven für den Individualverkehr. Jan Tabor, der gerade im Künstlerhaus eine Ausstellung zum Thema "mega: manifeste der anmaßung" vorbereitet, hat kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im "Architektur Zentrum Wien" einen passenden Vergleich gefunden: So wie das Militär den Truppenübungsplatz in Allentsteig brauche, so würden die Verkehrs-planer den Wiener Karlsplatz als Übungsplatz nutzen, um ihre jeweils aktuellen Ideologien zu erproben. Die sechsspurige Stadtautobahn, die direkt vor dem Künstlerhaus den Karlsplatz quert, um dann unvermittelt in ein- bis zweispurige Straßen zu münden, ist keine funktionelle Notwendigkeit, sondern ein Manifest der siebziger Jahre, die sich anmaßten, jedes Strömungsproblem durch Vergrößerung des Kanals lösen zu können. Bei der Podiumsdiskussion ging es freilich vor allem um das Schicksal des Projekts "Kunstplatz Karlsplatz", das alle am Karlsplatz angesiedelten öffentlichen Einrichtungen (die Secession, die Technische Universität, den Musikverein, das Künstlerhaus und das Historische Museum) zu einer Interessengemeinschaft zur Aufwertung des Karlsplatzes zusammenführen sollte. 1998 hatte Manfred Nehrer, der Präsident des Künstlerhauses, die Idee, die anstehende Verlängerung der U-Bahn-Linien zum Anlass zu nehmen, wieder einmal konkrete Konzepte zur Neugestaltung des Karlsplatzes ausarbeiten zu lassen. Für das Künstlerhaus bot die Verlängerung der U2 eine besondere Chance: Da die neue Wendeanlage großteils in offener Bauweise errichtet wurde, bleiben Hohlräume zurück, die sich ideal für Ausstellungszwecke nutzen lassen. Ein international bekanntes Beispiel ist die Erweiterung des Lenbachhauses in München, das in einem derartigen Raum eine attraktive neue Galerie eingerichtet hat. Nehrer schlug auch eine gemeinsame Nutzung mit dem Historischen Museum der Stadt Wien vor, das trotz kürzlich erfolgter Überdachung des Hofs an einem Mangel an hochwertiger Ausstellungsfläche leidet. Unterstützt vom damaligen Planungsstadtrat Bernhard Görg, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der eine detaillierte Bearbeitung des unmittelbaren Umfelds des Künstlerhauses und ein allgemeines Konzept für die Neuordnung des Karlsplatzes zum Inhalt hatte. Als Sieger aus dem Wettbewerb gingen die Architekten Jabornegg und Pálffy hervor. Für das Künstlerhaus schlugen sie eine Schließung des unwirtlichen "Atriums" und der nicht behindertengerechten Rampe vor, die in den siebziger Jahren als Aufgänge von der Passage errichtet worden waren. In diesem Bereich sieht das Projekt eine Oberlichthalle und eine großzügige Erschließung der neuen Ausstellungsräume über der U-Bahn vor. Der Aufgang von der Passage sollte so weit wie möglich nach oben geöffnet und durch einen zusammen mit dem Künstler Heimo Zobernig entworfenen 40 Meter langen Glaskörper betont werden. Für den gesamten Karlsplatz entwickelten Jabornegg und Pálffy ein neues Konzept, das den Rückbau der sechsspurigen Stadtautobahn auf je zwei Fahrspuren und eine Verlegung der derzeit sinnloserweise diagonal über den Karlsplatz am Künstlerhaus vorbeiführenden Straßenbahntrasse vorsieht. Damit wäre auf dem Karlsplatz Spielraum für eine Neukonzeption des Stadtraums geschaffen, die nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern radikal neue Chancen eröffnet. Die Kosten für diesen Umbau bewegen sich in der Größenordnung von 30 Millionen Euro. Ein beachtlicher Betrag, gewiss, der sich aber im Vergleich zu anderen Infrastrukturmaßnahmen und aufgeteilt auf mehrere Jahre relativiert. 1999 schien auch von Seiten der Stadt durchaus Bereitschaft vorhanden, dieses Leit- bild langfristig zu übernehmen und kurzfristig die Maßnahmen beim U-Bahn-Bau vor
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dem Künstlerhaus darauf abzustimmen. Eine Zusage von Stadträtin Ederer über 4,3 Millionen Euro war vorhanden - freilich gekoppelt an die Voraussetzung, dass von Seiten des Künstlerhauses genügend Sponsoringmittel eingeworben werden könnten. Inzwischen ist viel Zeit vergangen: Das Künstlerhaus befindet sich nach der Einstellung der Bundesförderung in einer finanziellen Krise, das Nulldefizit macht den Kampf um private wie öffentliche Mittel noch härter als je zuvor, und scheinbar staatstragende Institutionen wie die Albertina und das Kunsthistorische Museum haben in diesem Wettrennen bessere Chancen als das Künstlerhaus, auch wenn sich dieses in den letzten Jahren mit einem innovativen Programm profilieren konnte. So bleibt es vorläufig bei großen Worten: Noch Ende Jänner dieses Jahres hat Kulturstadtrat Mailath-Pokorny die "Aufrüstung des Kunstraums Karlsplatz" zu einem wichtigen Ziel erklärt. Aber nach heutigem Stand werden die Wiener Linien ihre Baustelle abbauen, nicht mehr tun, als die Rampe notdürftig wiederherzustellen, das Stadtgartenamt wird neue Bodendecker pflanzen, und als einzige Neuerung wird ein weiterer Lüftungspilz vor dem Künstlerhaus zurückbleiben. Immerhin: Für die nächsten fünf Jahre haben sich die Wiener Linien verpflichtet, die neuen, jetzt leer stehenden Räume an niemand anderen zu vermieten. Also doch ein Erfolg: Es bleiben alle Möglichkeiten offen. Und zugleich eine Bankrotterklärung: Ohne private Investoren ist offensichtlich keine Verbesserung des Stadtraums mehr denkbar, ja nicht einmal ein neuer behindertengerechter Zugang zum Künstlerhaus. Im armen reichen Wien wird bis auf weiteres für die sozialen Probleme des öffentlichen Raums die Polizei und für die ästhetischen das Stadtgartenamt zuständig bleiben. Aber wäre der Karlsplatz mit seinen vielfältigen Herausforderungen in sozialer, technischer und kultureller Hinsicht nicht die ideale Probe für eine zeitgemäße Stadtpolitik, die durch eine integrale Herangehensweise den größten Effekt für die Bürger erreicht? Die Presse, 23.2.2002
ZU DICHT - GIBT'S DENN DAS? 404 Wohnungen in vier achtgeschossigen, parallelen Zeilen, durch die quer zwei dreigeschossige Riegel durchgesteckt sind: ein Prototyp für zeitgemäßen Urbanen Wohnbau in Wien-Favoriten, entworfen von Bettina Götz und Richard Manahl alias ARTEC Der neue Wohnbau an der Ecke Laxenburger Straße/Dieselgasse im zehnten Wiener Gemeindebezirk versucht gar nicht erst, seine Dimension zu kaschieren: 404 Wohnungen in einem einzigen großen Bauwerk, gegliedert zwar, aber mit der kühlen Logik des Maschinenbaus. Vier achtgeschossige, parallele Zeilen sind in Nord-SüdRichtung angeordnet, in Querrichtung durchdrungen von zwei dreigeschossigen Riegeln, die an den Enden gefährlich auskragen. Einer der beiden Riegel schwebt bodennah an der Nordseite und bildet eine breite gedeckte Passage. Der andere setzt auf der Höhe des vierten Geschoßes an und überbrückt die zwischen den Zeilen liegenden begrünten Zwischenräume. Bettina Götz und Richard Manahl - die zusammen unter dem Namen ARTEC firmieren - haben mit diesem Wohnbau für die Genossenschaften GSG und Heimbau ihr bisher größtes Projekt realisiert. In Wien sind sie zuvor vor allem durch einen Schulbau in der Zehdengasse bekannt geworden, bei dem sie zu einer eigenwilligen poetischen Sprache fanden: plötzliche Materialwechsel, unvermitteltes Aneinanderstoßen von Raumschichten und im Inneren eine Kombination aus kräftigen Farben und Texturen. Der Wohnbau in der Dieselgasse ist in einem einheitlicheren Takt komponiert. Als Grundmaß könnte man die schweren, unbehandelten Betonbrüstungen ansehen, die - jeweils von zwei kreisrunden Öffnungen durchbrochen - als Balkongeländer das Fassadenbild zu den Höfen hin bestimmen und auch in den inneren Erschließungshallen den Takt vorgeben. Der Massivität dieses Elements steht die Leichtigkeit der sonstigen Fassadenkonstruktion gegenüber, die zu großen Teilen aus einer glänzenden Metallschale besteht, die üblicherweise im Industriebau zum Einsatz kommt.
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Foto: Paul Ott
Es lohnt sich, den Arten-Bau mit Martin Kohlbauers unmittelbar angrenzendem Wohnbau zu vergleichen, einer weiß verputzten, klassische Stadtmuster zitierenden Anlage von annähernd gleicher Dichte. Der wesentliche Unterschied ist, dass ARTEC versuchen, eine dieser Dichte angemessene Bebauungsstruktur zu finden und nicht einfach noch mehr Wohnungen noch höher übereinanderzustapeln. Sie variieren dazu den Typus des "Passagenwohnhauses": In den nord-südgerichteten Zeilen ist je eine über alle Geschoße reichende, mit einem Glasdach gedeckte Halle mit Galerien angeordnet, von denen aus die Wohnungen erschlossen werden. Dieser Typus ist keine neue Erfindung: In der Wiener Donau-City ist er beispielsweise - unter ähnlichen Dichtevorgaben - von Mike Loudon erfolgreich eingesetzt worden. Durch die Kombination mit den quer zu den Zeilen durchgesteckten Baukörpern bekommen diese Hallen allerdings eine neue Qualität. Über dem dritten Geschoß gelangt man zur Dieselgasse hin aus jeder Halle auf eine durchgängige, 150 Meter lange Dachterrasse, die allen Bewohnern zur Verfügung steht. Auch über dem zweiten Riegel findet sich, auf der Ebene des siebten Geschoßes, eine solche Terrasse mit Ausblick über ganz Wien. Durch dieses Erschließungssystem wird ein halböffentlicher Raum erzeugt, der sich als Netzwerk durch das Gebäude zieht. Im Unterschied zu konventionellen Stiegenhäusern ist dieses Netzwerk nicht nur ein Verkehrsweg, der von der Straße auf möglichst kurzem Weg in die Wohnung führt. Es bietet eine große Anzahl von potentiellen Ruhe- und Begegnungspunkten und mehrere Wege, vom öffentlichen Raum der Straße zur eigenen Wohnung zu gelangen. Ob die Bewohner diese Möglichkeiten nutzen und die zufälligen Begegnungen als Bereicherung oder Bedrohung erleben, wird sich zeigen. Aber schon das Angebot dieses halböffentlichen Raums ist wichtig. Die Grundsatzdebatte, ob eine solche Dichte sozial überhaupt verträglich ist, wurde lange mit ideologischer Inbrunst geführt, etwa in der Polarisierung zwischen der Gartenstadt Roland Rainers und den terrassierten Hochhausapparaturen Harry Glücks. Heute scheint diese ideologische Diskussion durch einen Wohnungsmarkt überholt, auf dem es - in der Donau-City, in den Gasometern oder bald in den Wohntürmen auf dem Wienerberg - offenbar genug Interessenten für das Wohnen in dichten Strukturen gibt. Man könnte nun behaupten, dass diese Nachfrage keineswegs die wirklichen Bedürfnisse der Bewohner widerspiegelt, sondern die harten Zwänge der Ökonomie. Das mag sein: Immer noch träumt die große Mehrheit vom Häuschen im Grünen. Aber die flächenhafte Agglomeration dieses Traums führt nicht nur zu einem ökologisch völlig unverantwortlichen Bodenverbrauch, sondern in der Regel auch zu einer Trostlosigkeit, wie man sie vor kurzem in Ulrich Seidels Film "Hundstage" prototypisch vor Augen geführt bekam. Etwas Artifizielleres als eine jener Siedlungen im Süden Wiens, die im Film eine desperate Hauptrolle spielen, ist kaum mehr vorstellbar. Insofern kann man das Interesse für dichte Wohnformen durchaus als ein unsentimentales Bekenntnis verstehen: Wenn schon künstlich, dann mit allen Vorteilen städtischen Lebens, einer gewissen Anonymität, in der man seine Nachbarn
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grüßen kann, aber nicht muss, und vor allem mit kurzen Wegen zu verschiedenen städtischen Angeboten. Einer der großen Vorteile des Standorts an der Dieselgasse ist die unmittelbare Nähe zu einem der größten Schulzentren Wiens, das über ein Netz von begrünten Wegen kreuzungsfrei zu erreichen ist. Die gesamte Anlage ist damit ein Prototyp für zeitgemäßes urbanes Wohnen. Im Vergleich zu den Großstrukturen im sozialen Wohnbau der siebziger Jahre ist sie besser an die städtische Infrastruktur angebunden, in höherer Qualität ausgeführt (etwa mit Holz-Aluminium-Fenstern) und auch in den Grundrissen wesentlich intelligenter konzipiert. Immerhin gibt es Wohnungstypen mit zwei Eingängen, in denen eine Generationswohnung oder eine Ordination als eigene Einheit betrieben werden kann, oder - in den unteren drei Geschoßen - kleine, unabhängige Räume, die als Büro angemietet werden können. Eine größere Anzahl solcher flexibler Zonen wäre der nächste Schritt zu einer zeitgemäßen urbanen Dynamik. Mit diesem Anliegen stößt man aber rasch an die engen Grenzen der heutigen Baugesetze und Förderungsmechanismen. Die Anpassung der Raumhöhen von Büro- und Wohnbauten und die Einbeziehung halböffentlicher und erst langsam auszubauender Zonen in die Wohnbauförderung sind längst fällig und seit Jahren in Diskussion. ARTEC haben sich mit einigen Kollegen - Jabornegg-Palffy, MA-null, Max Rieder, PAUHOF, Elsa Prochazka, Manfred Wolff-Plottegg, Maria Welzig, Gerhard Steixner - zu einer interdisziplinären Gruppe zusammengeschlossen, die diesen Reformstau durch Forschung und Projekte auflösen möchte. Gerade weil Wien sich in den nächsten Jahren in hohen Dichten entwickeln wird, ist die Botschaft an Bauträger und Politik wichtig: Dichte allein ist keine Qualität, sondern nur ein Potential für reichhaltigere, im Raum gewebte Strukturen. In der Dieselgasse kann man ein Modell dafür besichtigen. Die Presse, 26.1.2002
UND DAS OHNE BLUMENKÜBEL! Technisch: die kreative Verbindung von Esembleschutz und Innovation. Politisch: die projektbegleitende Einbeziehung von Bürger- und Anrainerinteressen. In Summe: ein preisgekröntes Projekt mit hoher Akzeptanz. Ernst Beneders „Stadtprojekt Waidhofen“. Provinz und Zentrum zu unterscheiden ist manchmal schwieriger, als man glaubt. Wien versteht sich als kulturelles Zentrum Österreichs, aber die Kärntner Straße ist einer der am provinziellsten eingerichteten Stadträume des Landes: ein ShoppingCenter ohne Dach, garniert mit skurrilen Trinkbrunnen und sternförmigen, berühmte Musiker abbildenden Einlegearbeiten im Straßenbelag, in denen die Ästhetik des ehemaligen Ostblocks wieder auflebt. Waidhofen an der Ybbs liegt dagegen geographisch in der Provinz, kann sich aber seit kurzem offiziell rühmen, einen der am besten gestalteten Stadträume des Landes zu besitzen: Ernst Beneder hat für das seit 1991 von ihm architektonisch betreute "Stadtprojekt Waidhofen" einen der wichtigsten österreichischen Architekturpreise erhalten, den Otto-WagnerStädtebaupreis. Dieser vom "Architektur Zentrum Wien" und der Österreichischen Postsparkasse ausgelobte Preis ist benannt nach jenem Architekten, der das Wien der Jahrhundertwende als Metropole geprägt und ihm die Entwicklung zur "unbegrenzten Großstadt" vorhergesagt hat. Den heutigen Tiefstand der Stadtmöblierung im Zentrum Wiens konnte Wagner nicht ahnen, ebenso wenig, dass dieselbe Wiener Innenstadt vor kurzem zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Seine Warnung vor "Phrasen wie Heimatkunst, Einfügen in das Stadtbild und Erhaltung desselben", mit der er sich gegen all jene wandte, die "den Begriff der Kunst mit jenem der Archäologie verwechseln", hat damit jedoch an Aktualität gewonnen.
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Fotos: Spiluttini
Welche Auswirkungen der neu erworbene Status als Weltkulturerbe haben wird - die Forderung nach musealen Kulissen oder jene nach höchstem Niveau bei allen zeitgenössischen Projekten -, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Stadt Waidhofen und Ernst Beneder haben den Otto- Wagner- Preis nicht zuletzt für den kreativen Umgang mit der historischen Substanz erhalten. Eine wesentliche Qualität des Projekts besteht in der Verbindung von Denkmalpflege, Ensembleschutz und Innovation zu einem über Jahre laufenden Gesamtprojekt, das in vielen Etappen umgesetzt werden kann. Im ersten Entwicklungskonzept, mit dem Beneder 1991 einen städtebaulichen Wettbewerb für sich entscheiden konnte, ist ein urbanistisches Gesamtziel beschrieben, das die allgemein anerkannten Gestaltqualitäten einer historischen Kleinstadt aus ihrer Bildhaftigkeit befreit und als lebendiges städtebauliches Kraftfeld in Szene setzt. Zum Gesamtkonzept gehörten neben der Gestaltung der Platz- und Straßenräume auch eine Lösung der Verkehrsfrage mit einer - noch nicht ausgeführten - Garage im Stadtgraben in unmittelbarer Nähe des historischen Zentrums, die Erschließung stadtnaher Naturräume und die radikale Neugestaltung des Rathauses, die Beneder bereits in den Jahren 1993 bis 1995 umsetzen konnte. Der im Kern aus dem 13. Jahrhundert stammende Bau stellte höchste denkmalpflegerische und konstruktive Herausforderungen. Um die älteste Bausubstanz mit ihren Tram- und Gewölbedecken erhalten zu können, konzipierte Beneder ein brückenartiges Fachwerk, das den Baukörper von Außenwand zu Außenwand überspannt und die Lasten über einem im Biedermeier errichteten Theatersaal abträgt. Mit der Kombination von alter Substanz mit zeitgenössischen Konstruktionen und Materialien - die in der vorherrschenden Routine-Denkmalpflege oft nicht mehr darstellt als eine ungekonnte Pflichtübung - gelingen Beneder in diesem Gebäude außergewöhnlich riskante und spannungsvolle Momente. Dass sein "Offenes Rathaus" durch innere Erweiterungen und die Verwendung leichter Tragkonstruktionen über den massiven Bauteilen über 32 Prozent mehr Nutzfläche aufweist als vor dem Umbau, ist ein erfreulicher Nebeneffekt. Auch in der Gestaltung des öffentlichen Raums kann man von einem glücklichen Zusammentreffen von innovativer Gestaltung und Pragmatismus sprechen. Auf den ursprünglichen Plan, die Altstadt als Fußgängerzone zu musealisieren, hat die Gemeinde auf Drängen der Geschäftsleute nach kurzer Diskussion verzichtet. Die Forderung, den Straßenraum mit jenem Mobiliar zu verstellen, das in den meisten Fußgängerzonen unverzichtbar erscheint, also Blumenkübel, Sitzbänke und Kandelaber, trat damit von Anfang an in den Hintergrund. Die Plätze sind weiterhin befahrbar, allerdings mit einer raffinierten Markierung der Parkflächen, die anstelle von Farbmarkierungen mit kleinen Metallhülsen arbeitet, die in den Boden eingelassen sind und bei Bedarf als Halterungen für temporäre Stadtmöblierungen dienen können. Die Stadträume sind ansonsten frei von der üblichen Stadtmöblierung und von ornamentalen Bodenbemusterungen. Das heißt nicht, dass die Verlegung nicht bis ins Detail durchgeplant wäre: Pflastersteine unterschiedlicher Größe und Feinheit sind nach einem genauen, aus der jeweiligen Situation entwickelten Plan verlegt. Ein zurückhaltendes
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Beleuchtungskonzept, das auf die üblichen Laternen verzichtet, unterstützt die stadträumliche Wirkung durch eine gezielte Steigerung der Lichtintensität an bestimmten räumlichen Knotenpunkten. Der wesentlichste Eingriff in den Stadtraum ist überhaupt nur nachvollziehbar, wenn man alte Photographien zur Hand nimmt: Die Platzräume, die ursprünglich pombiert - also in der Mitte erhöht - waren, wurden im Zuge der Neugestaltung und der gleichzeitigen Erneuerung der technischen Infrastruktur wannenförmig ausgebildet, so dass nun die Platz- und Straßenflächen zur Mitte hin abfallen. So kam die Mariensäule auf dem Oberen Stadtplatz knapp einen Meter über dem neuen Niveau zu liegen und erhielt ein paar neue Stufen. Diese scheinbar unspektakuläre Maßnahme der Umkehrung des früheren Straßenquerschnitts ist der eigentliche Erfolgsfaktor des Projekts: Die Straße wird vom Verkehrsträger wieder zum öffentlichen, gemeinsamen Raum. Die Neugestaltung ist auch ein exemplarisches Beispiel dafür, wie ein durchaus kontroversielles Projekt nach demokratischen Spielregeln umgesetzt werden kann. Das Gesamtprojekt und die einzelnen Bauphasen wurden mehrfach öffentlich präsentiert, in Bürgerforen, Ausstellungen an den jeweiligen Bauplätzen und in einem eigenen Leitprojekt, in dem die einzelnen Planungselemente konkretisiert wurden. Das Gesamtprojekt hat mehreren Wellen der Herausforderung durch andere Sichtweisen (von Seiten der NÖ Stadterneuerung, des City Marketing et cetera) standgehalten. Das "Offene Rathaus" und die Gestaltung des "Ybbsufers I" konnten noch ohne besondere Diskussionen realisiert werden. Die Platzgestaltungen sollten dagegen noch zu Beginn des Jahres 2000 durch eine von einer privaten Gruppe initiierte Bürgerbefragung verhindert werden. Nach einem beispiellosen Wahlkampf, in dem sich alle Parteien - ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Bürgerliste - hinter das Projekt stellten, wurde im März 2000 bei einer Beteiligung von 38 Prozent ein Votum von 78 Prozent für das Projekt durchgesetzt, das danach in verkürzter Bauzeit innerhalb weniger Monate umgesetzt werden konnte. Die durch die Bürgerbefragung gedrängte Logistik des Umbaus und die projektbegleitende Einbeziehung von Anrainerinteressen wurden von Ernst Beneder wöchentlich in öffentlichen Versammlungen dargelegt. Auf dieser ständigen und mitunter heftigen Auseinandersetzung baut jedoch auch die hohe Akzeptanz des Projekts auf. Architektur und Städtebau sind inzwischen ein Thema des kulturellen Lebens. Das ist nicht nur gut für die Qualität der Architektur. Die Debatte über den öffentlichen Raum ist zugleich als demokratische Praxis ein Wert für sich: Der gemeinsam erstrittene Stadtraum in Waidhofen ist eben kein Kompromiss, der niemandem weh tut, weil er alle Kontroversen im Kitsch erstickt, sondern eine Leistung, auf die man noch in Jahrzehnten genauso stolz sein wird wie auf das, was schon heute als "kulturelles Erbe" außer Streit steht. Der vorläufig letzte Akt in der Gestaltung der Plätze ist die heftige Debatte um die beiden Brunnen, die Ernst Beneder für den Oberen und den Unteren Stadtplatz entworfen hat. Die Leistung eines guten Brunnens besteht seit der Barockzeit in nichts anderem, als Wasser in Bewegung zu bringen: Je aufwendiger die Wasserführung, je charakteristischer der Klang, desto besser. Auf dem Unteren Stadtplatz lässt Beneder das Wasser kontemplativ auf eine kreisrunde Glasscheibe fließen und durch Bohrungen in ein quadratisches Becken plätschern. Auf dem Oberen Stadtplatz ist der Brunnen ein schmaler Waschtisch aus Glas und Stahl, ein räumlicher Auftakt für die Zeile von Ständen, die an Markttagen auf dem lang gestreckten Platz aufgebaut wird. Dass Stahl und Glas im historischen Kontext anfangs zu Protesten führen, ist nicht wirklich überraschend. Den Brunnen auf dem Oberen Stadtplatz zu verschieben, wie das nun als Kompromiss im Raum steht, um einer neuerlichen Bürgerbefragung zur Entfernung der Brunnen auszuweichen, wäre dagegen ein Schildbürgerstreich, der nicht nur die Architektur, sondern auch die Demokratie beschädigt.
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Die Presse, 1.12.2001
DENKMALSCHUTZ MIT DER BRECHSTANGE Nur noch dort investieren, wo es dem Patienten direkt zugute kommt, heißt die Sparmaxime im Krankenhauswesen. Dass es sich dabei lohnt, das Geld in guter Architektur anzulegen, zeigt der Umbau eines Pavillons im "OttoWagner-Spital" durch Runser/Prantl. Die Landes-Heil- und Pflege-Anstalten für Geistes- und Nervenkranke "Am Steinhof" in Wien waren zu ihrer Zeit die größte derartige Anlage der Welt. Auf einem Areal von fast einer Million Quadratmetern entstanden zwischen 1905 und 1907 Pavillons mit rund 2000 Betten, gegliedert in ein Sanatorium für Adel und Großbürgertum und einen doppelt so großen Teil für die weniger begüterten Kranken. Der Lageplan für die Anlage stammt von Otto Wagner, der auch die Anstaltskirche "Am Steinhof" entwarf, eines der bedeutendsten Bauwerke des Wiener Jugendstils. In seinem Lageplan versinnbildlicht Wagner, was seine Zeit unter einer vernünftigen Ordnung versteht. Die Anlage ist streng symmetrisch beiderseits einer Hauptachse, die vom schlossartigen Verwaltungsbau am Eingang bis zur Kirche führt, angeordnet, eine "weiße Stadt, überragt von der goldenen Kuppel einer weißmarmornen Kirche", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Die Rationalität der Anlage verfolgt therapeutische Absichten, ähnlich wie das auf ein Minimum reduzierte Ornament in Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf zur Heilung der dort behandelten Hysteriker beitragen sollte.
Fotos: Spiluttini
Wagner hat stets das "peinlich genaue Erfüllen des Zwecks" als eine Hauptaufgabe der Architektur dargestellt. "Sola artis domina necessitas" - nur einen Herrn kennt die Kunst, das Bedürfnis - lautete das auf Gottfried Semper zurückgehende Motto, das er auf seinem Wohnhaus anbringen ließ. Dass er die Forderung nach maximaler Vernunft gerade in einer Irrenanstalt exemplarisch umsetzen durfte, ist weniger irritierend als die Tatsache, wie viele seiner Überlegungen zur Disziplinierung jeder Unordnung sich auch in den "normalen" städtebaulichen Konzepten Wagners wiederfinden - etwa im Entwurf für den 22. Wiener Gemeindebezirk als Teil einer unbegrenzten Großstadt - und von dort ihren Weg in die klassische Moderne gefunden haben, die dazu tendiert, alles Dunkle und Irrationale zu verdrängen. Ähnliches gilt für manche Details in den (nicht von Wagner entworfenen) Pavillons am Steinhof, etwa die abgeschrägten Fensterbänke, die das "unordentliche" Abstellen von Gegenständen verhindern sollten und sich heute etwa in Werkstätten und Schulen wiederfinden. Etwas überspitzt ließe sich behaupten, dass die weiße Stadt "Am Steinhof" den Charakter eines Irrenhauses deshalb nie ganz abschütteln kann, weil sie durch und durch vernünftig angelegt ist. Nachdem die Psychiatrie zu großen Teilen abgesiedelt und durch geriatrische und neurologische Stationen ersetzt worden war, konnte das Spital immerhin seinen Namen ändern und wird derzeit als "Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe - Otto-Wagner-Spital" saniert. Für den Umbau der
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großteils unter Denkmalschutz stehenden Pavillons wurde 1997 ein Wettbewerb veranstaltet, aus dem drei Büros - Beneder/Fischer, Runser/Prantl und Sarnitz/Silber/Soyka - als Sieger hervorgingen. Sie sollten an ausgewählten Pavillons unterschiedliche Konzepte erproben, die alte Substanz auf zeitgemäßen Stand zu bringen. Als erster Pavillon wurde nun jener von Christa Prantl und Alexander Runser fertig gestellt. Die Architekten haben sich der Aufgabe mit einem Rationalismus genähert, der dem Wagnerschen nicht nachsteht. Die Grundidee ihres Entwurfs besteht im Wesentlichen darin, dem Gebäude Masse zu entziehen, indem die Mittelmauern entfernt werden. Rational argumentiert, bedeutet diese Maßnahme einen Flächengewinn, der es erleichtert, den Zimmern die notwendigen Bäder zuzuordnen. Viel wesentlicher ist jedoch der Gewinn an Transparenz durch Lichtbänder über den Bädern, die Licht von der Südseite in den Gang bringen und diesen größer erscheinen lassen. An den Enden des lang gestreckten Pavillons weitet sich der Gang zu je einem Tagraum, was ebenfalls erst durch die Entfernung der Mittelmauern in den Quertrakten möglich wird. Da es sich um eine geriatrische Station handelt, ist die Qualität dieser inneren Straße, die zwischen den Tagräumen hin und her führt, von großer Bedeutung für das Wohlbefinden der Patienten. Das alles klingt wenig spektakulär. Aber wie so oft, wenn das Ergebnis besonders schlüssig und selbstverständlich aussieht, stehen dahinter eiserne Konsequenz in der Planung und die Bereitschaft, eine Idee gegen jeden Widerstand zu verteidigen. Das Denkmalamt ließ sich erst durch Sachargumente wie die Wendekreise von Rollstühlen davon überzeugen, dem Abriss der Mittelmauern zuzustimmen. Und als die Bewilligung von dieser Seite vorlag, war der Tragwerksplaner gefordert, eine konstruktive Lösung für die Unterfangungen zu finden, die auch ästhetisch Sinn hat. Oskar Graf schlug dafür eine Mischbauweise aus schlanken Ortbetonstützen und Stahlträgern vor. Während diese Konstruktion eingebracht und das Mauerwerk entfernt wurde, mussten alle Deckenlasten über eine Stützkonstruktion in die Fundamente abgetragen werden - ein sehr labiler Zustand, der aber sogar ein leichtes Erdbeben überstand, das sich genau in dieser kritischen Phase ereignete. Der Aufwand hat sich gelohnt. Trotz geringer Gesamterrichtungskosten von 20.500 Schilling (1490 Euro) pro Quadratmeter Bruttogeschoßfläche haben die Stationen eine Detailqualität, die für das Wohlbefinden älterer, in ihrer Wahrnehmung teilweise eingeschränkter Patienten entscheidend ist. Die scheinbar luxuriöse Ausführung von Mobiliar, Licht und Oberflächen - etwa die durchgängigen Ulmenholzfurniere - ist deshalb kein Luxus, sondern Zeichen von Respekt vor den Patienten. Dasselbe gilt für das kleine Glashaus, das die Architekten als Eingangsfoyer an den Pavillon gesetzt haben. Auch hier ist ein Detail symptomatisch: Um den wuchtigen Rammschutz zu vermeiden, der in ähnlichen Situationen zum Schutz gegen Transportwagen eingesetzt wird, verwenden die Architekten vorgespannte Stahlseile. Zu Recht hat das Projekt beim jüngsten Staatspreis für Consulting eine lobende Erwähnung erhalten: So viel unspektakuläre Intelligenz dürfte nicht nur im Wiener Krankenhausbau eine Seltenheit sein. Die Presse, 20.10.2001
MEHR STURM, WENIGER RUHE BITTE! In Wien allein gibt es mehr Avantgarde-Architekturbüros als in den ganzen Niederlanden. Freilich: Nach dem dritten Geschäftslokal den Sprung zur nächstgrößeren Dimension zu schaffen, das wird nur wenigen gelingen. Über junge und etablierte Szene – und mangelnde Debattenkultur. Auf dem Plakat steht: „Sturm der Ruhe“. Und: „What is architecture?“ Das „Architekturzentrum Wien“, kurz AzW, schon in den ehemaligen Hofstallungen angesiedelt, als es dort außer heruntergekommenem Barock, ein paar Messehallen und dem Glacis-Beisel keinerlei Attraktionen gab, liegt heute im Zentrum eines Kulturbezirks, der sich zu den zehn größten der Welt rechnet.
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Entsprechend hoch hat sich das AzW die Latte für seine Eröffnungsausstellung nach der jüngsten Renovierung und Erweiterung gelegt. Warum die Frage, was Architektur ist, auf Englisch gestellt werden muss, bleibt unklar. Die Antwort findet sich in der Ausstellung jedenfalls auf deutsch: „Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst und es sagt etwas in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“ Direkt neben diesem Zitat von Adolf Loos wird dessen Skizze für das eigene Grab präsentiert, ein Würfel aus grauem Granit. Ewigkeit überall:„Zu den Gebirgsformationen, die sich nicht mehr aus dem Gedächtnis drängen lassen, gehört der Dachstein“, wird Laurids Ortner mit einer Inspiration zitiert, der wir den benachbarten Basaltblock des „Museums Moderner Kunst“ zu verdanken haben. Architektur mit Ewigkeitsanspruch auch bei Raimund Abraham: „Elementare Architektur“, das Buch mit Photographien anonymer Bauten von Josef Dapra, erschienen 1963. Ein Stück Außenwand es Kunstmuseums Liechtenstein in Vaduz: Spiegel und polierter, grünlich-schwarzer Beton. Als Gegenpol dazu das Alltägliche und Ephemere: David Franck photographiert von Kindern im Wal errichtete Hütten, Bas Princen Wohnungsinterieurs mit kunstvoll beiläufig arrangiertem Hausrat in einem Wohnbau von Riegler Riewe. Eine Vitrine dokumentiert Thomas Bernhards Bauernhof in Ohlsdorf, daneben findet sich eine Photoserie über den minimalistischen Umbau einer Farm in Essex von John Pawson. Videos zeigen unter anderem Donald Judds „Chinati Foundation“ und die „Tate Modern Gallery“ in London von Herzog und de Meuron. Für wen diese in der Präsentation unscheinbar wirkende Ausstellung gemacht ist, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Kuratoren. Auch der Katalog – eine unkommentierte Anthologie von Texten über Körper, Raum und Subjekt – hilft nicht weiter: Wie die Auswahl zustande gekommen ist, kann mangels eines Vorworts nur geraten werden. Hinter dieser Ungenießbarkeit blitzt jedoch die Andeutung hervor, dass die Ausstellung sehr wohl weiß, wogegen sie auftreten möchte: gegen die fortschreitende Einbindung der Architektur in die Mechanismen der Kulturindustrie, gegen die Reflexionsverweigerung jener, die Architektur auf die Formel Hochbau plus Haustechnik reduzieren möchten, gegen die Propheten der radikalen Beschleunigung. Für das breitere Publikum sind diese Themen aber kaum nachvollziehbar, weil es in der Ausstellung nirgendwo dem angekündigten „Sturm der Ruhe“ begegnet, sondern nur einer Anzahl von Fragmenten. (Am ehesten vermag noch das Restaurant des AzW – von den französischen Architekten Lacaton/ Vassal gestaltet – diesen Eindruck zu vermitteln.) Aus demselben Grund fehlt der Ausstellung aber auch die Kraft, die potentiell höchst spannende fachinterne Debatte über diese Themen zu provozieren. Gerade die Wiener Szene könnte von dieser Debatte profitieren. Am selben Abend, an dem im AzW die Etablierten zum obligaten Pre-Opening – Dinner geladen waren, präsentierte der Verein „Architektur in Progress“ im „Semper Depot“ ein Buch, in dem je drei Projekte von 20 „jungen österreichischen Architekten“ im Alter zwischen 30 und 50 Jahren vorgestellt werden. Auch das Az W kümmert sich seit vergangenem
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Jahr um dieses Thema (die aktuelle Auflage von „Emerging Architecture“ wird derzeit in Budapest gezeigt), aber es ist bemerkenswert, mit welcher Energie die Szene selbst daran arbeitet, ihr „Sichtbarkeitsproblem“ zu lösen. Eine ähnliche Initiative ist die Ausstellung über die „innere szene wien“, die vom Verein „podroom“ initiiert und unter anderem in St.Petersburg gezeigt wurde. Als offene Plattform konzipiert, in die auch andere künstlerische Disziplinen einbezogen sind, produziert „podroom“ eine CD mit einer Projektauswahl von 44 jungen Büros, die Anfang nächsten Jahres der Zeitschrift „Wohnen “ mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren beigelegt wird. So wichtig Sichtbarkeit und Marketing sind, so können sie doch allein keine strukturellen Probleme lösen. In Wien gibt es mehr Avantgardebüros, die eine Karriere nach dem Modell von Coop Himmelb(l)au anstreben, als in den ganzen Niederlanden. Nach dem dritten Geschäftslokal den Sprung zur nächst größeren Dimension zu machen wird aber nur wenigen gelingen, weil die Netzwerke dafür fehlen. Sich als Altersgruppe zu formieren, ist dafür nicht genug. Eine Debatte, in der die Jungen inhaltlich – und damit zwangsläufig auch gegeneinander – Position beziehen, könnte der Szene jedenfalls weit mehr Profil und Struktur geben. Voraussetzung für den Erfolg sind inhaltliche Konzepte, fachliche Kompetenz und geeignete Netzwerke, die weit über die eigene Berufsgruppe hinausgehen. Fehlt einer dieser Faktoren, nützt auch die beste Öffentlichkeitsarbeit nichts. Das „Haus der Architektur Graz “hat mit seinem aktuellen Programm unter dem etwas kryptischen Titel „HDAX “– einer Anspielung auf den deutschen Aktienindex – versucht, eine Diskussion in diese Richtung auszulösen. In der soeben erschienen Publikation mit Reflexionen über den „Mehrwert“ der Architektur empfiehlt der Developer Ludwig Morasch den Architekten, sich aufs Design von Hüllen zu beschränken, der Hamburger Großarchitekt Hadi Teherani spricht vom Haus als „ganzheitlich zu gestaltender Marke“, während Joost Meuwissen die Idee des Mehrwerts künstlerischer Produktion zuerst auf John Ruskins „Politische Ökonomie der Kunst“ zurückverfolgt und dann auf den Kopf stellt: Nicht die „perfekt gelösten“ Stellen des Entwurfs, sondern die offen gebliebenen, ungelösten seien heute die wertvollen. Mit derart kontroversiellen Debatten ist der Architektur mehr gedient als mit der Nabelschau alternder Nachwuchsarchitekten. Als Anlass für eine solche Debatte genommen, könnte auch die Ausstellung im „Architekturzentrum Wien “ – trotz aller Defizite – noch Folgen haben. Mehr Sturm, weniger Ruhe ist gefragt. Die Presse, 13.10.2001
PROVOKATION UND KONUS Wie behaust man den Menschen des 21.Jahrhunderts angemessen? Und warum findet das breite Publikum die Antworten der klassischen Moderne auf diese Frage scheußlich? Und was hat das alles mit Revitalisierung und Erweiterung von Lois Welzenbachers Turmhotel Seeber in Hall in Tirol zu tun? Das Wissen der Europäer über ihre Architekturgeschichte wird sich mit der Einführung des Euro schlagartig erhöhen: Die neuen Geldscheine zeigen einen Querschnitt dessen, was in der EU gerne als unser „architektonisches Erbe“ bezeichnet wird. Auf den Vorderseiten der Scheine finden sich Portale und Fenster, auf den Rückseiten Brückenbauwerke jeweils einer Epoche. Eine eigenwillige Stilgeschichte führt von der „Klassik“ auf dem Fünf-Euro-Schein über Romanik, Gotik und Renaissance zu Barock und Rokoko, dann etwas holprig zur „Eisen- und Glasarchitektur“ und schließlich, auf dem 500-Euro-Schein, zur „modernen Architektur des 20.Jahrhunderts“. Eine besondere Herausforderung für die Gestaltung bestand darin, keine spezifischen Objekte abzubilden – wodurch einzelne Länder bevorzugt worden wären –, sondern generelle, aus verschiedenen Vorbildern abgeleitete Typen. Wenn man bedenkt, dass derartige Generalisierungen immer schwächer sein müssen als konkrete Einzelobjekte, ist es dem österreichischen Banknotengestalter Robert Kallin für die meisten Epochen leidlich gelungen,
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generische Stilbeispiele zu schaffen. Nur bei der „modernen Architektur des 20.Jahrhunderts“ ist dieser Versuch derart missglückt, dass man über die eher geringe Verbreitung der 500-Euro-Scheine froh sein muss: Eine Stahl- und Glasfassade, die verdächtig an eine Brüsseler Tintenburg erinnert, wird von einem im Schrägriss abgebildeten Portal überlagert, das in seiner gestalterischen Unbedarftheit dem Katalog eines Baumarkts entsprungen sein könnte. Diese Darstellung ist symptomatisch für ein Grundmisstrauen gegenüber der Architektur des 20.und wohl auch des 21.Jahrhunderts, das in Österreich deutlicher zu spüren ist als in anderen europäischen Ländern. Das liegt nicht etwa daran, dass es hierzulande gröbere Fehlleistungen der Moderne gegeben hätte als anderswo. Eher im Gegenteil: Die klassische Moderne in Österreich war selbstkritischer und reflektierter als der europäische Durchschnitt. Architekten wie Adolf Loos und Josef Frank sahen ihre Aufgabe nicht in der Zerstörung aller Tradition, sondern darin, den Menschen des 20.Jahrhunderts mit seinen – wie Loos sich ausdrückten – unumkehrbar „modernen Nerven“ angemessen zu behausen. Dass dabei viele Traditionen zum Einsturz kamen, erschien ihm als evolutionäre Notwendigkeit. Auch die Auswüchse des „Bauwirtschafts-Funktionalismus“ nach dem Zweiten Weltkrieg – in formaler Hinsicht eine brutale Vergröberung der klassischen Moderne – waren hierzulande weniger dramatisch als etwa in Deutschland.
Abbildungen: Wiederin/Konzett, Henke und Schreieck
Es muss also einen anderen Grund haben, dass die breite Mehrheit österreichischen Publikums Bauten der klassischen Moderne schlicht scheußlich findet. Am ehesten ist dieser Grund in der für österreichische Verhältnisse unerhörten Provokation zu finden, diese Gebäude nach wie vor ausstrahlen: Sie sind Symbolbauten einer Kultur, die schöpferisch sein möchte, ohne sich permanent an großen Vorbildern der Vergangenheit messen zu müssen. Wer Zweifel daran hat, dass derartiges heute noch eine Provokation des „gesunden Volksempfindens“ ist, braucht nur die Kulturdebatten im Hohen Haus zu verfolgen, wo im vergangenen Jahr die Kultursprecherin der Freiheitlichen Partei – im Hauptberuf Fachärztin – ihre Rede folgendermaßen eröffnete: „Meine Damen und Herren! Österreich ist eines der traditionsreichsten Länder, was Kunst und Kultur betrifft. Sogar die Venus von Willendorf, eines der ältesten Kunstwerke der Welt, wurde in Österreich gefunden.“ Wer seinen Anker in solchen Tiefen auswirft, hat keine Lust auf Neues, bestenfalls auf Alt-Neues, wie es in Wien bei der Sanierung der Gasometer und beim Museumsquartier salonfähig geworden ist. Als Provokation dieser Haltung und nicht nur wegen ihrer Seltenheit sind die Baudenkmäler der klassischen Moderne in Österreich schützenswertes Kulturgut ersten Ranges. Aus der Zeit nach 1918 sind hierzulande nur wenige Beispiele jener Richtung erhalten, die von den Architekturhistorikern Henry Russel-Hitchcock und Philip Johnson in ihrer im Wortsinn epochemachenden New Yorker Ausstellung des Jahres 1932 als „internationaler Stil“ bezeichnet wurde. Meist weiß verputzt, flach gedeckt und mit Bandfenstern belichtet, zeigten diese Bauten genug Gemeinsamkeiten, um daraus einen neuen Stil zu konstruieren. Als einziger Österreicher fand der Tiroler Lois Welzenbacher mit zwei Bauten Aufnahme in die New Yorker Ausstellung: mit dem Haus Schulz in Krefeld (1928/29) und dem Haus Treichl in Innsbruck (1929/31), beide heute durch Umbaumaßnahmen zerstört. Das
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eigentliche Hauptwerk Welzenbachers aus dieser Periode ist jedoch das Turmhotel Seeber in Hall in Tirol, 1930/31 für einen privaten Auftraggeber unmittelbar neben dem kurz zuvor entstandenen Kurhaus im Stadtpark errichtet. Im kollektiven Gedächtnis der österreichischen Architektur ist dieses Gebäude vor allem durch eine Entwurfsskizze und eine Reihe hervorragender Photographien präsent, mit denen Welzenbacher seinen Entwurf nicht einfach abbildete, sondern unter verschiedenen Lichtverhältnissen und Perspektiven analysierte. Der knapp 25 Meter hohe, sechsgeschossige Turm ist im Grundriss annähernd quadratisch, wobei allerdings zwei gegenüberliegende Seiten leicht gekrümmt sind, wodurch einmal eine konkave und einmal eine konvexe Fassade entsteht. Vor diesen Fassaden sind schmale Balkone geführt, die sich an den Ecken vom Baukörper lösen und frei auskragen. An der Westfassade löst sich schließlich der blockhafte Kern des Gebäudes in Flächen auf, die symmetrisch über Ecken gezogen sind und das windmühlenartige Spiel der auskragenden Balkone unterstützen. Weder die gekrümmten Fassaden noch das freie Spiel der Balkone haben etwas mit Funktion zu tun: Welzenbacher lotet hier – Guiseppe Terragni viel näher als den Bauhaus-Funktionalisten – in manieristischer Weise die Möglichkeiten der neuen Architektur jenseits funktionalistischer Scheinzwänge aus. Dass Russel-Hitchcock und Johnson nicht dieses, sondern das zeitgleich fertig gestellte Haus Treichl in ihre Publikation aufnahmen, ist kein Zufall: Welzenbacher bricht im Turmhotel Seeber beinahe unmerklich alle Codes des Funktionalismus, an denen die Autoren die Moderne festmachen wollten. Derartige Überlegungen zum Turmhotel Seeber ließen sich bislang nur anhand von Skizzen und zeitgenössischen Photos anstellen: Das Haus selbst ist seit 1945 kontinuierlich heruntergekommen, die Dachterrasse zugebaut, die auskragenden Balkone abgeschnitten, durch mehrere Anbauten und eine bräunliche Färbelung bis zur Unkenntlichkeit entstellt. 1997 kaufte die Stadt Hall das desolate Gebäude, um es mit einer Erweiterung als Seminarhotel zur Ankurbelung des Tourismus zu nutzen. Bruno Sandbichler, Gharakhanzadeh und Inge Andritz, die als Architekten eines Schulzentrums in Hall ein erstklassiges Beispiel für die neue Vitalität der Tiroler Baukultur realisieren konnten, erfuhren von dem Vorhaben und konnten die Gemeinde davon überzeugen, das einfältige Projekt ihres touristischen Beraters zu sistieren und einen Wettbewerb auszuschreiben, indem die Revitalisierung des Turmhotels und seine Verbindung mit der zu schaffenden Erweiterung ein zentrales Kriterium darstellte. (Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Überzeugungsarbeit eine österreichweite Unterschriftenaktion für die Erhaltung des Hotels, ein kleines Symposium sowie eine Exkursion mit Gemeindevertretern und dem Leiter des Architekturforums Tirol zu neuen Hotelbauten in der Schweiz einschloss.) Der erste Preis im Wettbewerb ging einstimmig an Gerold Wiederin und Andrea Konzett: Sie schlugen einen frei im Park stehenden, im Grundriss leicht trapezförmig verzerrten Block mit einer strengen Fassadengliederung vor, die allerdings durch ein leichtes Zurückspringen der inneren Glasfassade von den Ecken zur Mitte hin gelockert ist. Welzenbachers subtile Behandlung der Fassaden wird hier ohne jede Anbiederung weitergedacht. Auf den zweiten Rang kamen Dieter Henke und Marta Schreieck mit dem Projekt eines kreisrunden, leicht konischen Turms mit Glasfassade und Metalllamellen, der Welzenbachers Turm noch um ein Stück überragt. Die Vertreter des Bauherrn in der Jury verlangten einige funktionelle Änderungen am Projekt von Wiederin/ Konzett, die Fachjuroren schlugen vor, diese Überarbeitung der Jury nochmals vorzulegen. Eine solche zweite Vorlage eines ersten Preises dient vor allem dem Schutz des Projekts vor Zudringlichkeiten des Bauherrn: Wiederin/ Konzett konnten die Anbindung zwischen Neubau und Turmhotel konzeptionell schlüssig umsetzen, die geforderte Verbindung zum Kurhaus mit einem Küchentrakt, die eine beidseitige Umklammerung des Turmhotels mit Ergänzungen zur Folge hat, verweigerten sie jedoch. Stattdessen versuchten sie, unterstützt von Fachberatern aus dem Hotelmanagement, den Bauherrn von organisatorischen Alternativen zu überzeugen. Der Bauherr hatte zu diesem Zeitpunkt aber bereits die Zweitgereihten zur Überarbeitung ihres Projekts eingeladen. Henke/Schreieck willigten ein,
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forderten allerdings, dass die Jury beide Überarbeitungen begutachte. Die Architekten in der Jury wollten mehrheitlich an ihrer ursprünglichen Entscheidung für den ersten Preisträger festhalten, wurden aber schließlich überstimmt. Welzenbachers Turm wird also einen jüngeren Bruder aus Stahl und Glas erhalten, der sich der architektonischen Konkurrenz durch die Auflösung der Tektonik ins Objekthafte geschickt entzieht. 2003, zur 700-Jahr- Feier der Stadt Hall, wird man sich, wenn alles läuft wie geplant, davon überzeugen können, ob dieses Konzept aufgegangen ist. Die Presse, 18.8.2001
WARUM NICHT VON DER STANGE? Trotz einer aktiven Architekturszene und Bauaufgaben wie dem Stadion, Museen und der Mehrzweckhalle auf dem Messegelände bleiben Salzburg bei öffentlichen Großprojekten Erfolge versagt. Die Baugeschichte des neuen Kongresshauses lässt die Gründe ahnen. Manche Gebäude sind stumm, andere sind geschwätzig, nur ganz wenige singen. Wer am neuen Salzburger Kongresshaus vorbeikommt, wird unwillkürlich an diese Unterscheidung aus Paul Valérys Dialog "Eupalinos, oder der Architekt" erinnert. Viel stummer kann ein Gebäude kaum sein: ein kantiges Ensemble aus prismatischen Körpern, das trotz aller Verglasungen wenig einladend wirkt. Wer sich vom Großkaufhaus-Ambiente der Fassaden nicht abschrecken lässt und das Haus betritt, ist angesichts mancher Details und Materialkombinationen froh, dass es zumindest an Fluchtwegen nicht fehlt. Interessanter als das Gebäude ist seine Vorgeschichte. 1992 war in einem Gutachterverfahren das Projekt des spanischen Architekten Juan Navarro Baldeweg zur Ausführung empfohlen worden, ein räumlich raffinierter Entwurf mit polygonaler Außenhaut, von oben belichteter Erschließungshalle und einem Saal, der von einer außergewöhnlichen, diagonal geführten Konstruktion getragen wird. Räumlich, konstruktiv und in der äußeren Erscheinung hätte nach diesem Entwurf eines der raren "singenden" Gebäude entstehen können. Zwei Jahre lang entwickelte Baldeweg sein Projekt weiter, bis der Gemeinderat 1995 auf Betreiben des VP-Klubobmanns Erwin Klemm mit knapper Mehrheit beschloss, ihm den Auftrag zu entziehen. Die Kosten des Projekts von 440 Millionen Schilling (32 Millionen Euro) seien zu hoch, die Auskragungen der Obergeschoße in den Hofgarten würden den Bebauungsbestimmungen widersprechen, außerdem fehle es dem Projekt an Fluchttreppen. Friedrich Brandstätter, einer der Preisträger aus dem ursprünglichen Verfahren, erhielt den Auftrag, sein Projekt baureif zu machen. Aber nicht er allein: Die Hypo-Bank Niederösterreich als Bauträger bildete mit dem Salzburger Büro Zipperer eine Arbeitsgemeinschaft für die Projektsteuerung, garantierte für die Kosten und eine Fertigstellung im Sommer 2000 - für die öffentliche Hand allem Anschein nach eine Ideallösung, bei der sie die Verantwortung in finanzkräftige Hände auslagern konnte. Im Dezember 1997 geschah freilich etwas Unerwartetes: Die ARGE kündigte Brandstätter den Architektenvertrag, weil er durch verspätete Planlieferung die rechtzeitige Fertigstellung des Projekts gefährde. Brandstätters Sicht der Dinge sieht anders aus: Schon im Frühjahr 1997 habe er der ARGE empfohlen, den Entwurf noch vor der Einreichung der Salzburger Altstadt-Sachverständigenkommission vorzulegen. Dies sei jedoch mit dem Hinweis, die Kommission werde sich bei einem Projekt dieser Dringlichkeit dem politischen Willen beugen, nicht erfolgt. Als die Kommission am bereits eingereichten Projekt Veränderungen forderte, waren Umplanungen erforderlich, die den Projektverlauf verzögerten. Nachdem die ARGE in Brandstätter
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einen Schuldigen gefunden hatte, beauftragte sie den Architekten Ernst Maurer aus Hollabrunn, dessen zu etwa 70 Prozent abgeschlossene Planung fertig zu stellen und die Bauaufsicht zu übernehmen. Ein Protest namhafter österreichischer Architekten - unter anderem Volker Giencke, Rüdiger Lainer, Laurids Ortner und Helmut Richter - bei den verantwortlichen Politikern blieb ohne Erfolg: Wie die ARGE das Projekt umsetze, sei schließlich ihre Sache. Unter den Händen Maurers reifte der Entwurf zu jenem traurigen Ergebnis, das heute in Salzburg zu sehen ist. Wo die technoide Ästhetik Brandstätters einer perfekten Umsetzung bedurft hätte, regiert hier die grobe und im Zweifelsfall überzogene Lösung. Die absurde Pointe der Geschichte: Die Fertigstellung des Gebäudes war um fast ein Jahr verspätet, und die Kosten lagen mit knapp über 700 Millionen Schilling deutlich über den ursprünglich geplanten 529 Millionen. Man könnte annehmen, dass eine solche Erfahrung die Verantwortlichen veranlassen sollte, die Kontrolle über Großprojekte nicht an finanzkräftige Bauträger mit zweifelhafter Sachkompetenz auszulagern. Umso befremdlicher ist es, dass in Salzburg bei einem weiteren Großprojekt ein ähnlicher Weg eingeschlagen wurde. Ähnlich wie beim Kongreßhaus spielt auch in diesem Fall eine bankennahe Firma, die Sabfinanz, als Baumanager eine zentrale Rolle. Vor einem Jahr konnten sich die Wiener Architekten Krismer und Waldhart in einem Wettbewerb für die Mehrzweckhalle auf dem Salzburger Messegelände gegen Konkurrenten wie Massimiliano Fuksas und Betrix/Consolascio durchsetzen. Heute haben sie den Auftrag an das nicht am Wettbewerb beteiligte deutsche Großbüro KSP-Engel und Zimmermann verloren, das eine bereits in Braunschweig errichtete Veranstaltungshalle für Salzburg adaptieren wird.
Foto: Krimser/Waldhart
Dass es so weit kommen konnte, hat mehrere Ursachen, unter anderem, dass die Halle auf einem inzwischen neu erworbenen, rund 100 Meter entfernten Grundstück errichtet wird. Der Hauptgrund ist aber die Tendenz, Gebäude entweder von bekannten Stararchitekten planen zu lassen oder eben risikominimierend von der Stange zu kaufen. Krismer, der immerhin mit der Eishalle in Wien-Kagran (zusammen mit Müller und Berger) sein Talent für große Bauaufgaben bewiesen hat, war dieser Mentalität gegenüber chancenlos. Noch während er seinen Entwurf für den neuen Standort adaptierte, besuchten die Bauherrn bei einer Exkursion die Braunschweiger Halle und beschlossen, dieses Muster für Salzburg zu übernehmen. KSP bot Krismer und Waldhart vorerst an, die Behördenwege für sie in Salzburg zu erledigen; nachdem der Gestaltungsbeirat vermittelnd eingegriffen hatte, zeichnete sich als Kompromiss eine Projektpartnerschaft ab. Die aber daran scheiterte, dass Krismer die Federführung im Entwurf beanspruchte und sich nicht von vornherein auf eine ovale Halle festlegen wollte. - Und der Wettbewerb? Obwohl zu je einem Drittel im Eigentum des Landes, der Stadt und der Wirtschaftskammer, sieht sich die SAZ, die Salzburger Ausstellungszentrum G.m.b.H., nicht an die Vergaberichtlinien für den öffentlichen Sektor gebunden und hat den Auftrag direkt an KSP vergeben. Abgesehen vom negativen Signal für die Wettbewerbskultur: Dass sich die mächtigen Männer im SAZ-Aufsichtsrat, unter anderem Bürgermeister Schaden und Wirtschaftskammerpräsident Gmachl, mit einer Kopie zufrieden geben, statt für das
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bestmögliche Original zu kämpfen, lässt für Salzburgs Architektur wenig Gutes erwarten. Die Presse, 14.7.2001
WER STETS DIE TREPPE VERGISST "Zwischenorte - Architektur im Prozess zur urbanen Erneuerung" war das Thema des Europan-Wettbewerbs 2000/2001. Mit Projekten für Wien, Graz und Villach bewährte er sich als Großlaboratorium der innovativen europäischen Architekturszene. In Gustave Flauberts "Wörterbuch der Gemeinplätze" findet sich unter dem Stichwort Architekten der Eintrag: "Lauter Trottel. Vergessen immer die Treppen." Tatsächlich: Auftraggeber aus gehobenem bürgerlichem Milieu können ein Lied davon singen, woran Architekten zu denken vergessen haben. Zuoberst in der Rangliste stehen Fragen der Reinigung, dann die stets viel zu geringe Dimension der Abstellräume - von der unter Architekten verbreiteten Abneigung gegen Vorhänge ganz zu schwiegen. Aber Treppen: Geht das nicht zu weit? Vielleicht nicht. Beim jüngsten Europan-Wettbewerb, einer europäischen Initiative für innovativen Wohnbau mit einer Altersgrenze für die beteiligten Architekten von 40 Jahren, war unter den für den Standort Wien prämierten Projekten eines zu finden, das den Eindruck vermittelte, die Architekten hätten die Treppen vergessen. Für das Grundstück in Simmering schlug das estnische Team aus Tallin - Ott Kadarik, Katrin Koov, René Valner und Siiri Vallner - eine Gruppe schlanker Türme mit jeweils einer Wohnung pro Geschoß vor. In die Wohnungen gelangt man direkt über einen Lift, der die einzige Vertikalverbindung im Turm darstellt. Rund um die Türme findet sich eine wild wuchernde Vegetation, aus der das Projekt seinen Namen ableitet: "Out of Africa" - für das Grundstück an der Simmeringer Hauptstraße, mit Remise, Gewerbebauten und Wohnhausscheiben aus den siebziger Jahren dispers bebaut, eine nachvollziehbare Assoziation, zumindest vom Zentrum Wiens oder gar von Tallin aus betrachtet.
Abbildungen: PPAG, Kadarik/Koov/Valner/Vallner
Statt diesen, wie man in Wien sagen würde, "entrischen", also etwas unheimlichen Ort zu domestizieren, möchte das Projekt den fremdartigen Charakter noch steigern. In Bezug auf das Thema des Europan-Wettbewerbs, "Zwischenorte - Architektur im Prozess zur urbanen Erneuerung", trifft dieses Konzept jedenfalls eine klare Aussage: Zwischenorte an den Randzonen der Städte sollten nicht mit den üblichen Mitteln verdichtet, sondern eigenständig entwickelt werden, als künstliche Landschaften mit Implantaten ohne Ewigkeitsanspruch. Der Turm als individueller Fluchtpunkt mit Blick über den Dschungel ist dafür die angemessene Wohnform. Den ersten Preis gewonnen hat freilich ein ganz anderer Ansatz. Anna Popelka und Georg Poduschka schlagen eine Struktur mit hoher Dichte vor, die den Straßenraum zur Fickeystraße mit einem viergeschossigen Trakt schließt und von dort aus zu einem achtgeschossigen Volumen ansteigt, das schließlich zur Grundstücksmitte hin nach Süden und Westen in Terrassen abfällt. Über dieses Projekt gab es in der Jury eine intensive Diskussion. Ist es eine Wiederaufnahme von Stadthügelideen der siebziger Jahre, eine terrassierte Megastruktur im Geiste Harry Glücks? Joost Meuwissen, Jurymitglied und Professor für Städtebau an der TU Graz, interpretiert
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das Projekt ganz anders: Man dürfe es nicht als Baumasse betrachten, sondern als Ergebnis der unsentimentalen Auseinandersetzung mit städtebaulichen Parametern. Popelka und Poduschka machen eine Bestandsaufnahme: Baulinien und Bauhöhen, Belichtung der Nachbarbauten, bestehende Bäume. Daraus ergibt sich ein Maximalvolumen, an dem dann die weitere räumliche und funktionelle Bearbeitung erfolgt. Nicht in jedem Punkt deckt sich dieses Maximum mit dem baurechtlich möglichen: An der Fickeystraße bleiben die Architekten deutlich unter der möglichen Traufhöhe, um die Belichtung der gegenüberliegenden Wohnbauten nicht einzuschränken. Das imaginäre Volumen bezeichnen Popelka und Poduschka (wohl mit Seitenblick auf den Investor) als "Nugget" und haben sich von dieser Idee dazu verführen lassen, ihr Gebäude auch in den Visualisierungen als goldfarbenen Batzen darzustellen. Die Qualitäten des Projekts liegen aber gerade nicht in der Masse, sondern in den Leerräumen, die das Gebäude durchziehen und ein System von öffentlichen Zonen bilden, die sich nach verschiedenen Richtungen öffnen und so Licht ins Innere des großen Volumens bringen. In diesen Räumen kommt das Interesse der Architekten an formalen Fragen, das in der Ableitung des "Nuggets" zumindest argumentativ hintangestellt wurde, wieder deutlich zum Vorschein. Diese Spannung zwischen objektiven Parametern und künstlerischem Eigensinn ist für Popelka und Poduschka charakteristisch: Es gehe ihnen darum, das "Normale" anzunehmen und dann radikal, also vom Grundsätzlichen her, zu verändern. Der Europan-Wettbewerb wurde Ende der achtziger Jahre ins Leben gerufen, um solchen Anliegen Chancen zu geben, innovative Ansätze für den Wohnbau aus ganz Europa zu bündeln, zu publizieren und, wenn möglich, auch zu realisieren. Daraus leitet sich die reichlich komplexe Organisation des Europan-Verfahrens ab. Ein wissenschaftlicher Beirat legt alle zwei Jahre ein Thema fest; in den Partnerländern beginnt die Suche nach Städten, die bereit sind, ein geeignetes Grundstück zur Verfügung zu stellen und neben den lokal anfallenden auch die Kosten für die zentrale Europan-Organisation zu übernehmen, die sich pro Land auf 750.000 Schilling (54.500 Euro) belaufen. Nachdem Österreich aus finanziellen Gründen beim vorletzten Europan-Verfahren nicht mehr als Auslober vertreten war, konnte Bernd Knaller-Vlay als neuer österreichischer Europan-Sekretär diesmal mit Wien, Graz und Villach drei Städte zur Teilnahme gewinnen und mit dem von Heidi Pretterhofer betreuten Forschungsprojekt "habitat plus" auch zum ersten Mal eine wissenschaftliche Begleitung des Verfahrens und der Umsetzung ins Leben rufen. Beim Eröffnungskongress zum Wettbewerb, der im November vorigen Jahres in Berlin stattfand, wurden neben den Grundstücken auch die Jurys der einzelnen Länder vorgestellt: jeweils vier Architekten, ein städtischer Beamter, ein Vertreter der Bauwirtschaft, ein Vertreter des Landes und zwei "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens". Die österreichische Jury bestand diesmal aus Nasrine Seraji, Klaus Kada - zugleich Präsident von Europan Österreich -, Joost Meuwissen und Therry Verdier als Architekten, Wolfgang Krejs als Stadtvertreter, Hartmut Spiluttini als Vertreter der Wirtschaft, Johannes Voggenhuber als Vertreter der Republik sowie der britischen Künstlerin Angela Bulloch und dem Philosophen Peter Sloterdijk. Die Jurierung erfolgt zweistufig: Zuerst wird etwa ein Fünftel der eingereichten Arbeiten ausgewählt und bei einem Treffen aller europäischen Juroren und des wissenschaftlichen Komitees - das diesmal in Karlskrona, Schweden, stattfand diskutiert. Dann erfolgt die Endjury in den einzelnen Ländern, bei der pro Standort ein Projekt für die Ausführung vorgeschlagen wird und zusätzlich Ankäufe und lobende Erwähnungen vergeben werden, die in die europäische Gesamtpublikation aufgenommen werden. Für das Siegerprojekt sollte danach die Suche nach einem Bauträger beginnen. In Wien, wo mit der Grundeigentümerin Michaela Mischek ein auch architektonisch ambitionierter Bauträger bereits feststeht, stehen die Chance für eine Umsetzung gut.
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Allerdings ist die Realisierung nicht immer das Hauptmotiv für die Beteiligung der Städte. Oft ist die öffentliche Diskussion über einen Standort und über neue Konzepte im Wohnbau für die teilnehmenden Städte der kurzfristig wichtigere Grund für die Teilnahme. Bei Graz und Villach steht dieses Motiv im Vordergrund, obwohl man auch dort um Realisierungen bemüht sein wird. In Graz erhielt ein slowenisches Team - Rok Oman, Spela Rogel und Josip Konstantinovic - den ersten Preis für ein Projekt mit dem Titel "Curly Landscape". Das Areal im Entwicklungsgebiet Graz West ist eine Industriebrache der besonderen Art: Nach der Absiedlung einer Brauerei stehen hier agrar-industrielle Flächen zur Disposition, das Gebiet soll mit Fachhochschulen und Betrieben aus dem tertiären Sektor entwickelt werden. Die "Curly Landscape", die in der Draufsicht einem Teppichmuster aus den fünfziger Jahren ähnelt, transformiert die übliche Einfamilienhausdichte in eine neue Form kollektiven Wohnens, ein Netzwerk aus Abgeschiedenheit und Öffentlichkeit, das sich in der aufgefalteten Landschaft ausbreitet.
Abbildung: Oman/Rogel/ Konstantinovic
Das Areal in Villach ist ebenfalls ein Zwischenort, obwohl es nur wenige Minuten vom Zentrum entfernt liegt. Hier war vor allem eine langfristige Strategie gefordert, um ein Gebiet mit sehr heterogener Eigentümerstruktur, das teilweise zwar profitabel, aber für den zentralen Standort höchst unangemessen als Parkierung für die Einkaufsstraßen des Zentrums genutzt wird, im Lauf der nächsten 20 Jahre zu einem attraktiven Standort zu entwickeln. Den ersten Preis erhielt hier ein Team aus Berlin - Zeynep Ayse Hicsasmaz, Thorsten Bunk und Jahn Monner - mit einem Projekt, das diesen abstrakten Prozeß mit einprägsamen Bildern zu vermitteln versteht. Am Anfang steht die "Entsiegelung" einer inneren Zone quer über die Eigentumsgrenzen hinweg und die Umlegung der Parkierung. Dann werden im Bebauungsplan Zonen festgelegt, die sich in der Folge in Innenhöfe verwandeln sollen. Um diese Zonen zu markieren, könnten hier in Zusammenarbeit mit Künstlern temporäre Installationen entstehen, die im Laufe der baulichen Realisierung sukzessive wieder abgebaut werden. Im Meer der architektonischen Gemeinplätze des heutigen Wohnbaus zeigt Europan mit diesen Ergebnissen ernsthafte Alternativen. - Und die vergessenen Treppen? Dafür wird sich eine Lösung finden. Die Presse, 26.5.2001
FLACH AUF DEM BAUCH Architektonischer Triumph oder doch nur gefälliges Kunsthandwerk des Medienzeitalters? Hans Holleins Bürohaus in der Wiener Leopoldstadt: vom Sieg des lebenslangen Marketingfeldzugs eines Architekten über seine Architektur. Der Wiener Donaukanal ist innerstädtisches Entwicklungsgebiet, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Vielleicht liegt es nur am Namen: Würde man den Bereich zwischen Roßauer Brücke und Aspernbrücke in Anlehnung an den ersten Bezirk nicht "Kanal", sondern "Innere Donau" nennen - wie es letztes Jahr eine Gruppe jüngerer Wiener Architekten in einer Entwicklungs-studie über den gesamten Verlauf des Donaukanals vorgeschlagen hat -, dann könnte ein ähnlicher Effekt eintreten wie
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beim "Entlastungsgerinne", das den Wienern erst nach seiner Verwandlung in eine Donauinsel samt Copa Cagrana ans Herz gewachsen ist. Tatsächlich findet derzeit am nördlichen Ufer des Schwedenplatzes eine Aufwertung der Bausubstanz statt, die eine Umbenennung in "Innere Donau" rechtfertigen würde. Die massive Betonscheibe des IBM-Hauses wird von Rudolf Prochazka in eine leicht gekrümmte Glashaut eingekleidet, die Uniqa-Versicherung saniert einen ganzen Baublock und wird hier nach Plänen des Büros Neumann ein Hochhaus errichten, wobei im Erdgeschoß eine großzügige öffentliche Zone entsteht: Hier sollen sich die Wiener so zu Hause fühlen, dass sie auch ihre Pensionsmilliarden gerne beim Hausherrn anlegen. Wenn der neue Wiener Planungsstadtrat, Rudolf Schicker, seine Ankündigung wahr macht, die Entwicklung im Bereich der "Inneren Donau" zu fördern und dabei in Zukunft bei der Bewilligung von Aufzonungen die Bauträger dazu zu verpflichten, einen Teil ihrer Widmungsgewinne in die Sanierung des öffentlichen Raums zu investieren, dann könnte der Schwedenplatz zu einem der interessantesten Punkte der Stadt werden. Als erster Neubau fertiggestellt wurde jüngst das Bürohaus von Hans Hollein, das ursprünglich für die Generali-Versicherung geplant war und nun an den News-Verlag vermietet wurde. Hollein gewann 1995 das Gutachterverfahren unter anderem gegen Jean Nouvel, der ein eher kompaktes Gebäude mit einer mehrschichtigen, an den Ecken abgerundeten und im Sockelbereich konkav nach innen gezogenen Glasfassade vorgeschlagen hatte. Die unterschiedlich transparenten, leicht gekrümmten Gläser sollten "ein lustvolles Spiel von Realität und Virtualität" in Gang setzen. Hollein setzte dagegen auf die skulpturale Wirkung einer dreidimensionalen Collage, die aus diversen Versatzstücken der Umgebung gebildet ist. Auf die gründerzeitliche Bebauung der Taborstraße reagiert Hollein mit einem die Traufhöhe aufnehmenden, mit Stein verkleideten Block mit Lochfassade. Dann springt das Gebäude etwas zurück und setzt sich zum Donaukanal hin in einem Block fort, der die Fassadenteilung der früheren Bundesländerversicherung von Georg Lippert aus dem Jahr 1961 in leicht modifizierter Form übernimmt. Zur Häuserzeile an der Oberen Donaustraße schließt Hollein wieder mit einem Zwischenelement an, in dem ein Fluchtstiegenhaus untergebracht ist. Der höchste Gebäudeteil ist ein schlanker, leicht geneigter Turm, der von einer leuchtenden Anzeigetafel gekrönt wird, einem 14 Millionen Schilling (zirka eine Million Euro) teuren Gerät mit beeindrucken der Leuchtkraft, auf dem sich im abwechselnden Aufleuchten der Titel "profil", "Format", "News" und "TV-Media" der jeweils aktuelle Stand der Konzentration in der österreichischen Medienlandschaft ablesen lässt. Darunter hat Hollein die Ecke zum Schwedenplatz bis zum fünften Stock in Glas aufgelöst und schräg aus der Fassade gezogen, eine Bewegung, mit der die Neigung des Turms ausbalanciert wird. An die Fassade zur Taborstraße hat Hollein auf einer Stele noch einen metallisch schillernden, aber ansonsten am klassischen Vorbild orientierten Markuslöwen platziert. An derselben Fassadenseite hat Hollein einen Erker angebracht, der aus einem der Bürogeschoße des News-Verlags herausragt und nicht - wie oft vermutet wird - des Fellnersche Büro, sondern einen Besprechungsraum aufnimmt. (Die Verlagsleitung residiert im obersten Stockwerk des schlanken Turms mit beneidenswertem Blick über Wien.) Auf das Dach des vorderen Bauteils hat Hollein unter ein metallisches, vielfach gekrümmtes Dach einen Veranstaltungsraum gesetzt, dessen Kontur in der Frontalansicht die ebenfalls leicht konkave Dachlinie des Lippertschen Baus nebenan aufnimmt.
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Hollein versteht sich als Bildhauer im Großen. Architektonische Elemente verschmelzen ihm zu einer skulpturalen Masse, die geformt, geschichtet, angeschnitten und aufgedoppelt wird, bis eine Balance hergestellt ist. Stadträumlich hat das Ergebnis hier durchaus Sinn, wenn man es darauf anlegt, die unglückliche städtebauliche Situation zu kaschieren, die halbherzig zwischen der zurückgesetzten modernistischen Scheibe des Lippertschen Baus und der geschlossenen Verbauung an der Oberen Donaustraße entstanden ist. Für sich betrachtet, fehlt dem Gebäude aber die Substanz. Es erinnert ein wenig an die Geschichte von dem Mann, der sich seinen Maßanzug vom Schneider abholen möchte. Der Anzug wirft bei der Anprobe überall Falten, und als sich der Kunde beim Schneider beschweren will, bekommt er zur Antwort, dass er den Anzug nur nicht zu tragen verstehe: Eine Schulter nach vor, die Hüfte etwas heben, den linken Arm nach unten strecken, und so weiter. Stolz und faltenlos geht der Mann auf die Straße. Da kommen zwei Passanten: "Schau, so ein armer Krüppel." Darauf der andere: "Ja, aber einen phantastischen Schneider hat er!" Das ist nun sicher eine Grundsatzfrage. Ich wünsche mir bei einem Gebäude zumindest die Auseinandersetzung mit dem Zweck jenseits eines eindimensionalen Funktionalismus, ich wünsche mir rationale und ökonomische Konstruktion und im Sinne Jean Nouvels eine Erforschung der neuesten, nicht nur technischen, sondern auch poetischen Möglichkeiten der Gebäudehülle, also kurz: zeitgemäße Tektonik. Keines dieser Kriterien kann Holleins Bau erfüllen. Aber vielleicht ist meine Forderung altmodisch. Hollein hat bereits in den sechziger Jahren geschrieben, dass es beinahe gleichgültig sei, ob die Akropolis oder die Pyramiden in Wirklichkeit existieren, da die meisten Menschen sie ohnehin nur von Bildern und nicht aus eigener Erfahrung kennen würden. Eigentlich müsse man Gebäude gar nicht bauen: Es sei ausreichend, sie zu simulieren. Die Schlussfolgerung, die Hollein damals zog, war die Idee einer "absoluten Architektur", die nur nach ihren eigenen Gesetzen zu bilden sei, und wenn man schon ein Haus bauen müsse, dann würde es irgendwann "seine Verwendung finden". So betrachtet, ist es vertretbar, unter "Fassade" nicht mehr zu verstehen als die Oberflächenschicht einer Skulptur, die ihrerseits gar nicht als Skulptur, sondern nur auf einer photographischen Abbildung zur Wirkung zu kommen braucht. Den Gedanken, dass die Bedeutung und die Rolle eines Bauwerks auf dem Effekt der medialen Vermittlung beruhen, hat Hollein auf eine spezifische Art weitergedacht. Als er 1999 von einem Wodkahersteller zu einem Beitrag zur Serie "Absolut Originals" eingeladen wurde, die als Inserat im "Time-Magazine" erschien, wurde als Text ein Interview abgedruckt, in dem Hollein gefragt wurde, ob er schon einmal an einer Werbekampagne teilgenommen habe. "Nein", war die Antwort, aber "als Architekt ist man dauernd auf einem Werbefeldzug für sich selbst." Holleins Beitrag bestand in einer Photomontage des HaasHauses, dessen vorderer Turm durch eine riesige Wodkaflasche ersetzt wurde. "Alles ist Architektur": Auch das ist ein Satz Holleins aus den sechziger Jahren. "Absolut" im ursprünglichen Sinn ist diese Architektur freilich längst nicht mehr, sondern dienstbares Kunsthandwerk des Medienzeitalters. In dieser - und nur in dieser - Hinsicht ist Holleins News-Gebäude tatsächlich ein Triumph. Sein lebenslanger Marketingfeldzug ist so gelungen, dass auch ein ansonsten klar argumentierender Kritiker wie Jan Tabor im "Falter" vor diesem Gebäude flach auf dem Bauch liegt (und für diese gymnastische Übung von seinem Kollegen Dietmar Steiner im "profil" in einer noch gesteigerten Eloge auf Holleins Gesamtwerk umgehend als Wiens "originellster Architekturkritiker" apostrophiert wird). In Bauchlage ist freilich die Sicht etwas beschränkt: So undifferenziert von Österreichs bestem Architekten seit 1945 und von einem Meisterwerk zu sprechen
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fördert nicht gerade die Kritikfähigkeit des Publikums. Innerhalb von Holleins Oeuvre ist das Gebäude etwa im Vergleich zu dem für seine Zeit innovativen Mönchengladbacher Museum oder zu dem tatsächlich riskanten und räumlich irritierenden Museum moderner Kunst in Frankfurt bieder und gefällig. Und jemanden kurzerhand zum besten, wichtigsten und erfolgreichsten Architekten des Landes zu küren ist noch unseriöser als die sonst im News-Verlag üblichen Rankings zu allen möglichen Themen. Diese Verflachung der kritischen Auseinandersetzung hat Konsequenzen. Nicht zufällig heißt der Hollein des kleinen Mannes Friedensreich Hundertwasser. Mit ihm teilt Hollein die ungebremste Verzierungslust und das collageartige Vorgehen. Wenn in Zukunft in der breiten Öffentlichkeit reflexartig an dieser Art von Architektur Maß genommen wird, läuft der Diskurs in die falsche Richtung. Die Presse, 17.4.2001
BEGRÄBNIS LETZTER KLASSE Dass Richard Lugner die Renditen seiner Projekte wichtiger sind als deren architektonische Qualität, ist ihm schwerlich vorzuwerfen. Das Versagen der Wiener Planungspolitik ist hingegen sehr wohl zu monieren. Ein Einwurf aus gegebenem Anlass. Bernhard Görg - zum damaligen Zeitpunkt wahlkämpfender Stadtrat für Planung und Zukunft - freute sich: Ganz ohne öffentliche Mittel werde es gelingen, eine Brücke über den Gürtel zu errichten, die den Fußgängern endlich den sicheren Übergang an der gefährlichen Kreuzung mit der Gablenzgasse ermögliche. In der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs erschien dazu eine farbige Abbildung, die stutzig machte. Eher unbeholfen in ein Photo hineinmontiert war hier eine verglaste Bücke zu sehen, die zielstrebig auf die Flanke der neuen Stadt- und Landesbibliothek zuläuft, an deren Außenwand plötzlich abknickt und in einer beinahe endlos langen, nun aber nicht mehr glas-gedeckten Treppe parallel zum Gürtel endet. Das andere Ende der Brücke war auf der Abbildung nicht zu erkennen, was insofern mysteriös ist, als auf dem Gehsteig gegenüber weder für Auflager noch für Treppen Platz ist. Das Rätsel klärt sich auf, wenn man erfährt, welchem Wohltäter die Fußgänger diese Brücke zu verdanken haben: Richard Lugner erweitert seine Lugner-City um ein Kinocenter und verbindet dieses durch die Brücke auf kürzestem Weg mit der UBahn-Station Burggasse. Mittelfristig ist eine Verbindung bis zur Stadthalle vorgesehen, um Fußgängerverkehr und damit Kaufkraft dorthin zu bringen, wo Lugner sie am liebsten sieht. Für den Straßenraum der Umgebung bedeutet das zwar Konkurrenz, aber es wäre weltfremd, gerade hier den Verlust von Öffentlichkeit zu beklagen: Lugner hat mit seinen Investitionen sicher viel zur Sanierung des Gebiets beigetragen und zugleich verhindert, dass noch mehr Kaufkraft an die Peripherie abfließt. Vorwerfen kann man Lugner allerdings, dass alles, was er bisher am Gürtel realisiert hat, vollständig architekturfreies Gebiet ist. Das gilt schon für die Lugner-City, und auch das neue "Lugnerplex" wird keine ästhetische Bereicherung darstellen. Die Brücke ist schließlich auf beinahe groteske Art verunglückt: die drei Auflagersäulen neben der Bibliothek, die seltsamen Verknickungen des Glasdachs und schließlich die Treppe, die im Unterschied zur Photomontage natürlich nicht als normale Treppe (über die niemand freiwillig hinaufsteigen würde), sondern als Rolltreppe ausgeführt werden soll - mit allen Konsequenzen in bezog auf zusätzliche Konstruktionen und Maschinerie.
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Mit der Transparenz der Brücke ist es ohnehin nicht weit her: Lugner wird kaum darauf verzichten, die Brücke als Werbeträger zu nutzen. Dass Lugner die Renditen seiner Projekte ein größeres Anliegen sind als deren architektonische Qualität, ist unerfreulich, aber nicht mehr. Besorgniserregend ist dagegen das bei diesem Beispiel symptomatische Versagen der öffentlichen Hand, von den politischen Entscheidungsträgern bis zu den für Stadtplanung und Stadtgestaltung zuständigen Behörden. Denn die Brücke ist nur das letzte Glied in einer Entwicklung, die sich bis ins Jahr 1995 zurückverfolgen lässt. Richard Lugner war damals mit einem ersten Projekt zur Nutzung des Gürtelraums aufgetreten, nämlich einer Parkgarage, von der aus eine Brücke in die Lugner-City führen sollte. Der damalige Planungsstadtrat, Hannes Swoboda, lehnte diese Idee, die den Gürtelraum noch mehr als Verkehrsträger abgestempelt hätte, ab. Eine Überbauung der Stadtbahn wurde jedoch grundsätzlich positiv aufgenommen, allerdings nur für eine Nutzung, die mit der Idee einer "Jugend- und Kulturmeile", die im Rahmen des von der EU geförderten URBAN-Projekts am Gürtel entstehen sollte, kompatibel wäre. Swoboda empfahl Lugner auch einen Architekten für ein solches Projekt, nämlich Adolf Krischanitz, der sich bereits in den siebziger Jahren zusammen mit Otto Kapfinger in typologischen Studien mit der Stadtbahn beschäftigt hatte. Krischanitz entwarf ein über der Stadtbahn schwebendes Gebäude, das - in Anlehnung an die Wolkenbügel-Projekte, die der russische Konstruktivist El Lissitzky und der Schweizer Ingenieur Emil Roth für das Moskau der 1920er Jahre entworfen hatten - "Wolkenspange" getauft wurde: ein 200 Meter langes, eingeschossiges Brückenbauwerk über der Stadtbahntrasse, getragen von vier Scheibenpaaren entlang der Futtermauern der U-Bahn. Die Außenwände waren aus Gläsern unterschiedlicher Transparenz gedacht, hinter denen sich die Silhouetten der Besucher abzeichnen sollten. Die Unterseite der Wolkenspange sollte im Bereich der Bahntrasse mit Lichtbändern versehen und zusätzlich in wechselnden Lichtinszenierungen bespielt werden.
Abbildung: Krischanitz
Nach dem Wechsel von Hannes Swoboda nach Brüssel hatte das Projekt seinen politischen Fürsprecher verloren. Bald wurden Bedenken laut, dass Lugner unter der von ihm angekündigten Nutzung der Wolkenspange als "Jugend- und Kulturzentrum" in Wahrheit eher eine Art von besserer Spielhalle verstehen würde und zumindest mittelfristig eine rein kommerzielle Nutzung über öffentlichem Grund entstehen würde. Ob diese Spekulationen zutreffen, ist schwer zu sagen: Im Projekt von Krischanitz war ein Nutzungsmix vorgesehen: Geschäfte, Bars, Discotheken und Internetcafés ebenso wie explizit "konsumfreie" Zonen, die tatsächlich als Jugendzentrum zu bespielen gewesen wären. Bevor es notwendig wurde, sich über die Frage zu einigen, was denn heute unter Jugendkultur zu verstehen wäre, lieferte eine andere Institution einen willkommenen Anlass, das Projekt zu begraben: Der Wiener Fachbeirat für Stadtplanung und Stadterweiterung sprach sich aus Gründen des Stadtbildes gegen eine Überbauung des Neubaugürtels aus. Zwar gab es unter der Wiener Architektenschaft einigen Protest gegen diese Entscheidung, aber
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ohne Erfolg. Die Idee, den Gürtel durch neue bauliche Einrichtungen an dieser Stelle zu beleben, schien ad acta gelegt. Allerdings nur für kurze Zeit: Anfang 1998 kam die Idee auf, statt der Wolkenspange eine neue Hauptbibliothek für die Wiener städtischen Büchereien zu errichten. Dass ein solches Bauwerk ein Mehrfaches des Volumens der Wolkenspange einnehmen würde, schien plötzlich nicht mehr zu stören. Von einem Aufschrei des Fachbeirats war zumindest öffentlich nichts wahrzunehmen. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, den der Wiener Architekt Ernst Mayr für sich entscheiden konnte. Das Projekt besetzt den Gürtelraum massiv und reagiert auf den Urban-Loritz-Platz mit einer gigantischen Treppe, die zu einem kleinen Tempel auf dem Dach der Bibliothek führt - offensichtlich eine Metapher für Bildung, mit der sich die verantwortlichen Stadtpolitiker identifizieren konnten, vielleicht in Erinnerung an jene Zeiten, als man in den Wiener städtischen Büchereien nur dann ein belletristisches Buch entlehnen konnte, wenn man zusätzlich ein Sachbuch mit nach Hause nahm. Dass keines der zahlreich vorhandenen besseren Projekte gewählt wurde, lag an den Kosten: Wer Bücher (Deckenbelastung pro Quadratmeter: rund 2,3 Tonnen) unbedingt an der lautesten Stelle Wiens freischwebend über die Stadtbahn hängen möchte, dem bleibt kein Geld mehr für Architektur. Wenn Richard Lugner nun doch seine Brücke erhält, ist das nur die traurige Pointe dieser Geschichte. Die Brücke selbst lässt sich mit etwas gutem Willen vielleicht noch so gestalten, dass sie die Passanten nicht beleidigt. Skandalös wird aber bleiben, was der Stadt entgangen ist: die private Investition Lugners von über 200 Millionen Schilling (14,53 Millionen Euro), die ausnahmsweise in hochwertige Architektur geflossen wären, und eine Belebung des Stadtraums in einer Form, die der aktuellen kulturellen Entwicklung entsprochen hätte und nicht der in Wien nach wie vor herrschenden Fürsorge-Mentalität des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl, die statt Glück nichts anderes erzeugt als dumpfe Unzufriedenheit. Wenn die neue Landesregierung das jüngste Wahlergebnis als Bestätigung dieser Mentalität interpretiert, kann man der Architekturentwicklung in Wien harte Zeiten vorhersagen. In den letzten Jahren wurden stadtplanerische Entscheidungen nicht vom zuständigen Ressort, sondern dort getroffen, wo Macht und Budget zu finden waren. Bernhard Görgs Nachfolger wird Stadtplanung in Wien erst wieder zu einer ernstzunehmenden und ernst genommenen Größe machen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass er sich auch als Kulturstadtrat verstehen und die richtigen Verbündeten für diese Aufgabe suchen wird. Neben der Reform und internationalen Öffnung des Fachbeirats ist eine Auffrischung auf Beamtenebene längst überfällig. Eine erste Gelegenheit dazu ergibt sich bei der Magistratsabteilung 19, der Abteilung für Stadtgestaltung. Wer dort nach der Pensionierung Dieter Pals mit welchen - in der Ausschreibung geforderten "konzeptiven Vorstellungen über die zukünftigen Schwerpunkte" der Abteilung als neuer Leiter zum Zug kommt, wird ein erstes wichtiges Signal sein. Die Presse, 3.2.2001
DER SILBERNE MITTELWEG Ob Gestaltungsbeiräte nur als Hürde im Bauverfahren wahrgenommen werden oder als von allen Seiten akzeptierte Schiedsrichter, hängt von der Rückendeckung der Politik ab. Die Arbeit des Feldkircher Fachbeirats für städtebauliche und architektonische Fragen liefert Lehrstücke geglückter Moderation. Architektur ist so gut wie immer mit Konflikten verbunden. Das liegt in der Natur der Sache: Grund und Kapital sind knappe Güter, und gerade öffentliche Bauvorhaben müssen sich ihre demokratische Legitimation oft hart erkämpfen. Das Niveau der damit verbundenen Auseinandersetzung ist stets auch ein Gradmesser der Konfliktkultur: Das unwürdige Gezerre um das Wiener Museumsquartier ist noch in
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schlechtester Erinnerung, ebenso die Art, wie jüngst das Linzer Musiktheater verhindert wurde. Monika Forstinger, neue Infrastrukturministerin, scheint nun diese Strategie von Oberösterreich auf die Bundespolitik übertragen zu wollen, wenn sie der Bahnhofsoffensive der ÖBB ein ähnliches Schicksal voraussagt: Man solle sich, ließ sie kürzlich verlauten, besser um die Sanitäranlagen der Bahnhöfe kümmern, statt architektonische Selbstdarstellung zu betreiben. Vor der Anregung der Grünen, Forstinger möge sich bei ihrem Vorgänger, dem Architekten Schmid, Anregungen zum Umgang mit dem Thema Architektur holen, ist zu warnen. Dessen Beitrag als zuständiger Landesrat in der Steiermark bestand im Versuch, die steirische Baukultur auf Provinzniveau abzusenken. Empfehlenswert wäre jedoch eine Nachfrage in Vorarlberg, wo die systematische Qualifikation des Baugeschehens von allen Parteien getragen wird. Eine jüngst von der Stadt Feldkirch herausgegebene Publikation über die Arbeit des dortigen Fachbeirats für städtebauliche und architektonische Fragen könnte als einführende Lektüre dienen. Walter M. Chramosta, selbst seit 1995 Mitglied dieses Beirats, hat darin das Wechselspiel zwischen Bauherren, Architekten, demokratisch gewählten Entscheidungsträgern und externen Experten anhand ausgewählter Projekte dargestellt. Der Gestaltungsbeirat, schreibt Bürgermeister Wilfried Berchtold im Vorwort, sei in den acht Jahren seines Bestehens von der "anfänglich als weitere ,Hürde' im Bauverfahren wahrgenommenen Rolle in die Position eines von allen Seiten akzeptierten ,Schiedsrichters' hineingewachsen". Er habe "nicht nur einige drohende ,Bausünden' zu verhindern gewusst, sondern Vorhaben ermöglicht, die sonst möglicherweise auf der Strecke geblieben wären". Das gilt besonders für die heikle Frage des Bauens im historischen Zentrum, wo mit den Projekten der Braugaststätte Rösslepark, die schließlich vom Atelier Rainer + Amann realisiert wurde, und dem Wohn- und Geschäftshaus Furtenbach-Areal von Bruno Spagolla und Wolfgang Ritsch Maßstäbe gesetzt wurden. Im Fall der Braugaststätte konnte dem Bauwerber deutlich gemacht werden, dass die von einem Spezialisten für Erlebnisgastronomie projektierte Fassadenkulisse als Ersatz für ein 1994 niedergebranntes altes Gebäude eine Beleidigung der historischen Substanz darstellte. Der daraufhin abgehaltene Wettbewerb brachte 1996 ein respektables Ergebnis, das im Gestaltungsbeirat noch zwei Begutachtungsrunden zu absolvieren hatte. Für den Beirat war dieses Projekt ein Meilenstein: Dass sich die Frastanzer Brauerei als "alteingesessener" Bauherr zu einer derart anspruchsvollen Lösung durchringen konnte, erregte Aufsehen und wurde durch die in allen Altersschichten hohe Akzeptanz der neuen Braugaststätte belohnt.
Beim Furtenbach-Areal war die Aufgabe des Beirats noch wesentlich heikler. Einerseits galt es, den für die Belebung der Altstadt dringend benötigten Investor in seinen ökonomischen Ansprüchen zu befriedigen, andererseits dieselbe Altstadt vor den zerstörerischen Nebeneffekten einer rein ökonomischen Logik zu bewahren - ein drei Jahre dauernder Balanceakt mit einer Vielzahl von Abstimmungen im großen und in den ebenso bedeutsamen Details, etwa der Ausbildung der Geschäftsportale.
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Der Beirat sieht in seinen oft pointiert formulierten Einwendungen den Versuch, die Kompetenz der Architekten herauszufordern. Nur in wenigen Fällen fühlen sich die Planer dabei bevormundet, viel öfter sehen sie sich in ihren Anliegen gegen den Druck des Auftraggebers bestärkt, der gerade bei Geschäftsbauten meist nur in quantitativen Kriterien zu denken gewohnt ist. Aber auch er kann in der Regel davon überzeugt werden, dass die totale Ausschlachtung eines Grundstücks seinen eigenen Interessen zuwiderläuft: Zumindest im Vorarlberger Umfeld, das Qualität zu schätzen weiß, lassen sich mit Brachiallösungen keine Renditen mehr erzielen. Ein Projekt von der Komplexität des Furtenbach-Areals zeigt freilich auch die Grenzen des Fachbeirats auf, der sich für eine solche Materie zu selten und zu kurz trifft. "Für derartige Großvorhaben", schreibt Chramosta, "wäre ein mit dem Fachbeirat koordinierter Projektbeirat mit eigener Geschäftsordnung und interdisziplinärer Besetzung empfehlenswert." Dass der Bürgermeister von einem spezifischen "Feldkircher Beiratsmodell" sprechen kann, liegt vor allem am engen Kontakt zwischen Beirat und politischen Entscheidungsträgern. Anders als bei vielen Beiräten, deren Mitglieder zwar eng mit Beamten kooperieren, aber kaum mit gewählten Mandataren zusammenkommen, gibt es in Feldkirch ein interessiertes politisches Gegenüber in Form des Planungsausschusses. Unmittelbar nach jeder der alle zwei Monate stattfindenden Sitzungen des Beirats werden diesem Ausschuss die behandelten Projekte, die Befunde und die Stellungnahmen des Beirats erläutert: bisher 81 positive, 72 bedingte - also mit Auflagen verbundene - und 150 negative Stellungnahmen, wobei rund 10 Prozent aller Bauvorhaben dem Beirat vorgelegt werden. Weil die meisten dieser Projekte noch vor der formalen Einreichung behandelt werden können, ist der Beirat auch ein nützliches Instrument, um Verfahrensabläufe für den Bauherren zu erleichtern und mitunter auch zu beschleunigen. Die Publikation gibt einen guten Einblick in die Arbeit des Beirats: Das Auf und Ab der einzelnen Projekte wird nachvollziehbar, die Abfolge von positiven und negativen Zwischenbefunden, die Bedeutung der präzisen, auch allgemein verständlichen Begründung. Die beginnt schon bei der Formulierung der jeweils den spezifischen urbanistischen Bedingungen angepassten Ziele: "das historische Zentrum ertüchtigen, die öffentliche Dienstleistung verorten, die urban-alpine Landschaft weiterbauen, die Siedlungsränder verdichten". Gerade im letztgenannten Bereich, der für die besondere Situation im Rheintal strategisch bedeutsam ist, finden sich interessante Beispiele, etwa ein Verbrauchermarkt in der Nähe einer alten Kapelle, der dem Beirat fünf Mal vorgelegt wurde. Schrittweise gelang dabei die "Bewältigung der schwierigen, weil die Umformung einer dörflichen in eine vorstädtische Struktur radikalisierenden Bauaufgabe". Das Ergebnis beweist, dass derartige Entwicklungen nicht sich selbst überlassen bleiben müssen, sondern durchaus Gelegenheit für gestaltende Eingriffe bieten. Gerade an solchen Beispielen wird deutlich, dass die Arbeit des Beirats als Lehrstück geglückter Moderation nur möglich war, weil er die volle Rückendeckung einer wohlinformierten Politik hinter sich wusste. Als Mitglieder des Beirats, die laut Statuten nicht in Vorarlberg niedergelassen sein dürfen, hat die Stadt immer Personen gewählt, die Statur genug haben, sich weder von Politikern noch von "Star-Architekten" beeindrucken zu lassen: Marcel Meili, Hanno Schögl, Ernst Beneder, Rudolf Prohazka, Andreas Egger, Margarete Heubacher-Sentobe, Max Rieder sowie die drei aktuellen Mitglieder: Carl Fingerhuth, Marta Schreieck und Walter M. Chramosta. Direkte Beeinflussung ist freilich weniger das Problem. Fingerhuth gehört beispielsweise auch dem Salzburger Gestaltungsbeirat an, der nicht an Beeinflussung leidet, sondern daran, dass er in wichtigen Fragen, etwa der Situierung des neuen
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Stadions schlicht übergangen wurde. Schon Ende 1998 hat er sich gegen den Standort beim Schloss Kleßheim ausgesprochen, ein Jahr später auf die "verkrampfte Tarnkappen-Ästhetik" des siegreichen Wettbewerbs-Projekts aufmerksam gemacht und den Vorschlag erneuert, das Stadion in Liefering zu situieren. Und für die Altstadt, die in Feldkirch zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Architektur wurde, ist der Salzburger Beirat überhaupt nicht zuständig. In Wien gibt es zwar nominell einen Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der jedoch durch seine beinahe sozialpartnerschaftliche Besetzung mit ortsansässigen Mitgliedern kaum als Instrument der Stadtgestaltung in Erscheinung tritt. Auch wenn man Kleinstädte wie Feldkirch nicht mit Salzburg oder Wien in einen Topf werfen darf: Fachbeiräte sind, wie Chramosta schreibt, unverzichtbar als "silberner Mittelweg zwischen vollständiger Verregelung und vollständiger Liberalisierung". Je größer der ökonomische Druck auf die Bauproduktion wird, desto mehr wird es in Zukunft eine unabhängige, fachlich kompetente Moderation brauchen, um die öffentlichen Ansprüche an den Stadtraum durchzusetzen. Die Politik kann die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen - oder zerstören, wenn sie Qualitätsansprüche mit architektonischer Selbstdarstellung verwechselt. Die Presse, 30.12.2000
RETTET DAS TIROLERHAUS! Kann es in den Alpen neben Schnee- und Stimmungskanonen auch lebendige zeitgenössische Kultur geben? Sankt Anton vor der Skiweltmeisterschaft: von Architektur, die Anlass zur Hoffnung gibt. Stellen Sie sich ein Feriendorf in den Alpen vor. 2400 Einwohner, 1400 Saisonarbeiter, 120 Kilometer Piste mit 40 Liften, 250 Skilehrer, 8500 Touristen in der Hochsaison: "Zwischen Genus und Gipfelglück liegt St. Anton am Arlberg." Am Austragungsort der alpinen Skiweltmeisterschaften 2001 werden längst keine Betten mehr vermietet, sondern Erlebnisse verkauft: Von weißem Rausch, Spaß im Schnee und gleißend vergletscherten Bergen, die sich felsig in den blauen Himmel recken, erzählt das Gästemagazin. Tourismus hat hier Tradition. Den Skiklub Arlberg gibt es seit 1901, die erste Skischule seit 1921. Damals hätte sich niemand träumen lassen, dass der Tourismus eines Tages zu den wichtigsten Wachstumsbranchen gehören würde. Nach Angaben des "World Travel and Tourism Council" produziert der Tourismus heute mehr als elf Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts und wird seinen Anteil bis 2008 auf mehr als 20 Prozent verdoppeln. Die Reise- und Tourismusindustrie ist damit die Avantgarde eines neuen Kapitalismus, der seine Renditen immer weniger mit Sachgütern erwirtschaftet als vielmehr mit Erlebnissen und Träumen. Einer dieser Träume, das Bergdorf mit den kernigen Einheimischen, verliert zunehmend an Attraktivität. Er lässt sich auch nur schwer weiterträumen, wenn auf jeden Einheimischen vier Gäste kommen und von diesen - wie in Tirol - 93 Prozent aus dem Ausland stammen. Wie die Zukunft jenseits dieses Klischees aussehen könnte, lässt sich in St. Anton an Hand einiger bemerkenswerter Neubauten erkennen. Die Ski-WM ist dabei nur der unmittelbare Anlass. St. Anton hat dieses Ereignis geschickt mit dem Ausbau des Bahntunnels durch den Arlberg verbunden, dem der Ort seinen frühen touristischen Aufstieg verdankt. Seit 1880 quert die Bahn den Arlberg, von der Vorarlberger Textilindustrie als neuer Absatzweg mitfinanziert. Mit dem 1998 begonnenen zweigleisigen Ausbau des Arlbergtunnels bot sich für den Ort eine einmalige Chance: Der Bahnhof konnte aus der Ortsmitte 200 Meter auf die andere Seite der Rosanna verlegt werden. Damit verschwand eine Barriere, die bisher den Ort geteilt hatte. Zugleich wurde aus dem Bahnhofsareal eine Freifläche in bester Lage, an deren Rändern Neubauten errichtet wurden, die alle alpinen Klischees elegant hinter sich lassen: das neue Zielstadion, eine Sporthalle mit angeschlossenem Wellness-Bad und das Hotel Anton.
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Zuerst aber ein Blick auf den neuen Bahnhof: Hier haben die ÖBB ihr Versprechen, Einrichtungen der neuen Hochleistungsstrecken nicht nur technisch, sondern auch architektonisch auf höchstem Niveau zu errichten, eingelöst. Der Bahnhof - nach einem Entwurf von Gerhard Manzl, Manfred Sandner und Johann Ritsch errichtet wirkt als lang gestreckte Skulptur, die zwischen zwei Tunnelbauwerken eingespannt ist. Die Architekten haben die Lärmschutzwand und das Bahnhofsgebäude zu einer ruhigen Großform zusammengefasst, deren Außenhaut mit dünnen Edelstahlnetzen verkleidet wird. Wenn sie bis zur Ski-WM fertig gestellt ist, wird sie wie ein vereister Wasserfall wirken, durch den man die Schalterhalle betritt. Als technisches Objekt mit hoher Ortsbindung ist dieser außergewöhnliche Bahnhof mehr gestaltete Landschaft als Gebäude. Die Bahn hat hier bewiesen, dass sie neben technischen und organisatorischen Spitzenleistungen im Trassenbau - die sechs Kilometer lange und 1,6 Milliarden Schilling (116 Millionen Euro) teure Teilstrecke wurde inklusive aller Behördenverfahren in zehn Monaten geplant und in zweieinhalb Jahren errichtet auch im Hochbau höchste Standards erreichen kann. Vom selben Architektenteam, das den neuen Bahnhof geplant hat, stammt der Entwurf für das Zielstadion, das schon im vergangenen Winter in Betrieb war, ebenfalls ein ruhiger Baukörper, holzverkleidet und sanft in den Hang geschoben. Für die WM ist er derzeit von zusätzlichen Tribünen überwuchert. Frei geblieben ist das große Fenster zum Zielhang, hinter dem bereits bei den Rennen in der vergangenen Saison die im Fernsehen gezeigten Interviews mit Blick auf die Piste stattfanden. Direkt daneben steht die neue WM-Halle von Much Untertrifaller und Helmut Dietrich, eine geschickt in den Hang platzierte große Box mit einer Sport- und Veranstaltungshalle und einem Wellness-Bad, das im Herbst in Betrieb gehen wird. Zur Freifläche des ehemaligen Bahnhofs hin haben die Architekten der Halle eine Art Paravent vorgesetzt, eine mit Holzlamellen verkleidete Stahlkonstruktion, die der Box mehr Leichtigkeit gibt. Ein gerahmtes Freibecken an der Seite sorgt für zusätzliche Belebung. Hangseitig ist das Gebäude vollständig in den Berg gegraben, so dass die Skiabfahrt direkt aufs Dach führt. Vom Hang aus sind vom Gebäude nur drei kleine mit Holzlamellen verkleidete Aufbauten zu sehen, in denen Ruheräume der Sauna und eine Bar untergebracht sind, sowie die Oberlichtbänder der Sporthalle, die quer zum Hang stehen und das Gebäude optisch im Berg verankern.
Fotos: Kühn
Am anderen Ende des ehemaligen Bahnhofs findet sich das einzige privat errichtete Objekt in dieser Reihe von Neubauten, das Hotel Anton. Es verdankt sein Entstehen ebenfalls der Bahnhofsverlegung: Die Besitzerfamilie Falch hatte sowohl ihr Wohnals auch ihr Gästehaus auf dem Areal des neuen Bahnhofs und musste beides aufgeben. Mit der Ablöse wurde zuerst am Hang ein neues Wohnhaus errichtet. Weil sich die Verhandlungen mit den ÖBB in die Länge zogen und der Baubeginn für den neuen Bahnhof näher rückte, wurde die Zeit knapp. Erst im Frühjahr 1999 war ein Grundstück gefunden, mit Unterstützung des Architekturforums Tirol machte man sich auf die Suche nach einem Architekten. Wolfgang Pöschl aus Innsbruck legte im Juni einen ersten Entwurf vor - und im Dezember desselben Jahres wurde das Haus bezogen. Dieser knappe Zeitplan hat der Qualität nicht geschadet, im Gegenteil: Es blieb keine Zeit für Kompromisse. Im Querschnitt ein Terrassenhaus auf zwei Ebenen, zeigt sich das Gebäude vor allem an der Eingangsseite unkonventionell.
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Statt einer Garage findet sich ein großes Flugdach aus Stahltrapezblech, statt eines Satteldachs eine Flachdach mit einem aufgesetzten, beidseitig verglasten und innen verspiegelten Kasten, der Licht von der Südseite bis in den Wohnraum auf der unteren Ebene reflektiert. Hangseitig sind die beiden Ebenen großteils bis zum Boden verglast. Konstruiert ist das Gebäude in einer Mischbauweise: An ein Rückgrat aus Stahlbeton sind Holzelemente angedockt, Stahl und Glas sind zweckmäßig damit kombiniert. Die Auftraggeber waren mit ihrem Haus derart zufrieden, dass sie bei der Planung des Hotels nur kurz überlegten, den konventionellen Standards des Tirolerhauses zu folgen. Warum sollten ihre Gäste schlechter wohnen als sie selbst? Das Hotel, das Wolfgang Pöschl für sie entworfen hat, überträgt die Qualitäten des privaten Wohnhauses auf die Gastronomie. Ein funktionell perfektes Haus mit Zimmern, die sich durch Schiebewände verwandeln lassen und die Träume eines urbanen Publikums erfüllen. Die Fassade ist als Filter ausgebildet, große Glaswände, kombiniert mit Alkoven, die in die Fassade gestülpt sind und so zusätzlich zu den normalen Betten einen besonderen Liegeplatz mit Ausblick in die Berge bieten. Dass solche Bauten nicht ohne Widerspruch bleiben, ist klar: "Bürger von St. Anton! Es ist höchste Zeit, gegen die weitere Verschandelung des Tiroler Stils unseres Ortes etwas zu unternehmen", war kürzlich im Gemeindeblatt zu lesen. Dass es dabei nicht um den alten Streit zwischen Tradition und Moderne geht, zeigt der Nachsatz: "Noch kommen die Gäste zu uns. Aber wie lange noch?" Geht es also bloß um unterschiedliche Marketingkonzepte, ob man eher eine traditionelle oder eine urbanmoderne Zielgruppe ansprechen möchte? Nicht nur. Es geht vor allem um die Frage, ob es in der Welt des Tourismus noch eine Identität außerhalb der kalkulierten Wirkung gibt. Die Tiroler Baukultur beweist nicht nur in St. Anton, dass sie dieser Herausforderung gewachsen ist: Wenn in einem Dorf wie Gaimberg in Osttirol ein Feuerwehrgebäude wie jenes von Rainer Pirker einen Wettbewerb gewinnen kann, dann besteht Hoffnung. An solchen Tirolerhäusern werden auch die Gäste des 21. Jahrhunderts erkennen, dass sie nicht in einer Disneyland-Konserve gelandet sind, sondern in einer lebendigen Kultur. Die Presse, 9.12.2000
ES GEHT AUCH OHNE KICHERN Kostenoptimierung mehrgeschossiger Wohnbauten: Unter diesem Motto stand die Errichtung einer Siedlung im Süden Wiens. Und Puchhammer, Krischanitz, Prohazka & Co. stellten eindrücklich unter Beweis, dass sie auch die Kunst des Sparens beherrschen. Wien ist, zumindest was die Bausubstanz aus dem 20. Jahrhundert betrifft, im Wesentlichen vom Wohnbau geprägt. Bedeutende öffentliche Bauten, die nach dem Ersten Weltkrieg errichtet wurden, sind rar, während sich die Gemeinde Wien nicht nur zum größten "Hausherrn" Österreichs entwickelt hat, sondern mit den Gemeindebauten des "Roten Wien" auch einen respektablen Beitrag zur Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts geleistet hat. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnbautätigkeit vor allem von quantitativen Kriterien bestimmt: "Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl" lautete die utilitaristische Devise. Wenn diese Entwicklung irgendwo ihren Höhepunkt gefunden hat, dann in Harry Glücks Wohnhausscheiben in Alt-Erlaa am Südrand des Wiener Stadtgebiets. Soziologische Studien attestieren diesen Bauten seit Jahren, Orte des größtmöglichen Glücks im Sinne der "Wohnzufriedenheit" zu sein, und über die größtmögliche Zahl kann es angesichts von über 3000 Wohneinheiten in einer Anlage keine Diskussionen geben.
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Fotos: Spiluttini
Seit die U-Bahn-Linie U6 bis Siebenhirten ausgebaut ist, ist das Gebiet südlich von Alt-Erlaa attraktiv für neue Wohnbebauung geworden. Unmittelbar anschließend an die terrassierten Hochhäuser liegt das Areal "In der Wiesen", das als städtebauliche Antithese zu Glücks utilitaristischer Vorstellung konzipiert wurde. Der Bebauungsplan von Franziska Ullmann mit seinen Höfen und Straßenräumen ist zwar gut gemeint, das gebaute Ergebnis jedoch alles andere als glücklich: Jenseits einer bestimmten Gebäudehöhe funktioniert der Städtebau nach den mühsam adaptierten Vorbildern des 19. Jahrhunderts einfach nicht mehr. Was im Lageplan vertraut aussieht, wirkt in der Realität so zwanghaft, dass die Hochhausscheiben daneben eine vergleichsweise poetische Ausstrahlung bekommen. Im städtebaulichen Wettbewerb für "In der Wiesen" gab es im übrigen durchaus Projekte, die sich der Herausforderung des Orts stellten, insbesondere einen Vorschlag von Rudolf Prohazka, der sich den Dimensionen der Glückschen Hochhausscheiben zwar annäherte, jedoch eine typologisch vielfältigere Bebauung und einen urbanen Park zwischen parallelen Zeilen vorschlug. Dieser öffentliche Raum hätte sich von Glücks Abstandsgrün unterschieden, ohne auf traditionelle, bei der geforderten Dichte aber unbrauchbare Muster zurückgreifen zu müssen. Zwei U-Bahn-Stationen weiter stadtauswärts findet sich ein Beispiel für eine Urbanisierung, die im Gegensatz zu "In der Wiesen" ihren Namen verdient. Am Anfang stand hier zu Beginn der neunziger Jahre die Idee eines "Multifunktionalen Zentrums Perfektastraße", das im Rahmen der U-Bahn-Verlängerung entstehen sollte. Raimund Abraham hatte ein monumentales Leitkonzept entwickelt, das sich als nicht realisierbar erwies, Hans Puchhammer und Rudolf Prohazka konzipierten schließlich für einen Teil des Areals eine neue städtebauliche Figur. Puchhammer schlug entlang der U-Bahn-Trasse zwischen zwei Stationen eine gestaffelte Abfolge von fünf Türmen vor, denen niedrige, nach Süden orientierte Zeilen vorgelagert sind. Rudolf Prohazka entwickelte für den Abschluss des Areals im Süden eine Randbebauung, die zur U-Bahn-Station überleitet. Das alles ist nicht spektakulär, aber im Detail raffiniert: Puchhammer hat die 26Meter-Türme nicht einfach neben die Zeilen gesetzt, sondern jedem Turm einen niedrigeren Baukörper angefügt, der die Höfe zwischen den Zeilen abschließt und typologische Variationen der Türme herausfordert. Die interessanteste Variation ist Puchhammer selbst gelungen, ein Bau mit starker Physiognomie und vertrackten Symmetrien, die aber insgesamt ein spannungsvolles Gleichgewicht halten. Im Erdgeschoß führt eine Passage durch das Gebäude zu einer gut belichteten inneren Halle mit zwei einander gegenüberliegenden offenen Treppenhäusern. Von Puchhammer stammt auch noch der Kopfbau der anschließenden Zeile, die das nach Norden hin schmäler werdende Grundstück abschließt. Die Zeile selbst ist von Ganahl / Ifsits / Larch entworfen, ein typologisch interessanter, fünfgeschossiger Bau: Im ersten und zweiten Stock liegen Geschoßwohnungen, im dritten Stock eine gut 80 Meter lange Straße mit Zugängen zu 21 sehr großzügigen Maisonetten. In diesem Gang macht sich das Motto der Siedlung - "Kostenoptimierung mehrgeschossiger, ökologisch sinnvoller Wohnbauten" - freilich unangenehm bemerkbar: Die vorgesehenen Fenster, die diesen halböffentlichen Raum mit den Küchen visuell verbunden hätten, konnten aus Kostengründen nicht realisiert werden.
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Sie sind tatsächlich "unnötig" und von den Bewohnern angeblich gar nicht gewünscht, aber selbst rüschenverhangen hätten sie diesem Gang ein soziales Potential gegeben, das man nun schmerzlich vermisst. Dass man bei dieser Siedlung versucht hat, die Kosten zu reduzieren, ist an sich begrüßenswert. Es handelte sich um einen der ersten "Bauträgerwettbewerbe", bei denen bereits in der Wettbewerbsphase Architekt und Bauträger gemeinsam antreten müssen. Die Kosten konnten durch diese Konkurrenzform um bis zu zehn Prozent gesenkt werden. (Beim Wohnbau von Ganahl / Ifsitz / Larch betragen die monatlichen Mieten 60 Schilling (4,36 Euro) inklusive Betriebskosten pro Quadratmeter, bei einem Bau- und Grundkostenanteil von 5700 Schilling. Nach zehn Jahren besteht die Möglichkeit, die Wohnung ins Eigentum zu übernehmen.) Die Drohung, bei Überschreiten der Baukosten die gesamte Förderung zu streichen, hat jedoch den unangenehmen Nebeneffekt, dass oft für wenige Prozent Ersparnis entscheidende Qualitäten jenseits der funktionellen Grundanforderungen gestrichen werden. Die Kunst des Sparens will unter diesen Bedingungen gelernt sein. Adolf Krischanitz hat in seinem Bauteil eine Lösung gefunden: Das Projekt muss von Anfang an Elemente enthalten, auf die man ohne gravierende Verluste verzichten kann. Krischanitz hatte in seinem Wettbewerbsprojekt eine aufwendige, schräg vor die Fassade gestellte Solarzellenwand vorgesehen. Im Lauf der Planung ist sie aufs Dach gewandert und spielt dort kaum mehr eine visuelle Rolle. Geschadet hat das dem Bau nicht: Er ist der zurückhaltendste in der ganzen Anlage, eine urbane Zeile ohne Effekte, aber mit hohem Nutzwert, etwa den großzügig bemessenen Terrassen. Die formalen Effekte, mit denen Krischanitz arbeitet, sind gerade deshalb wirkungsvoll, weil sie nicht sofort ins Auge springen - im Gegensatz etwa zu den Nachbarbauten von Hermann und Valentiny, die sich an der russischen Revolutionsarchitektur zu orientieren scheinen und mit einem entsprechenden Arsenal an Farben, Materialien und Formen auffahren. Bei Krischanitz finden sich Stahlbeton und warm-grauer Putz und als Hauptthema die Spannung zwischen der lang gestreckten Zeile und den tragenden Querwänden. Eine Verschränkung von Baukörpern in den obersten beiden Stockwerken gibt dieser Zone eine besondere plastische Qualität. Die Innenräume sind gut proportioniert und zeigen im Übrigen, dass man auch ohne vollflächige Verglasungen zeitgemäße Raumqualitäten herstellen kann. Krischanitz verwendet dieselben Bandfenster auch auf der Nordseite, wo sie ohne Variation durchlaufen. Tristesse? "Gemütlich bin ich selbst", sagt Karl Kraus. Der strenge formale Kanon der frühen Moderne, den Krischanitz hier transformiert, steht dem Leben jedenfalls nirgends im Weg. Wenn ein Haus schon "auf ewig" gebaut sein muss, dann ist diese Reduktion noch allemal erträglicher als das Kichern der Postmoderne. Ein völlig anderer Ansatz findet sich im Bauteil von Rudolf Prohazka, der die Anlage nach Süden, zur Perfektastraße hin, abschließt. Prohazkas Thema ist die Verschränkung von Räumen mit dem Ziel, auf der symbolischen wie auf der konkreten Ebene Begegnungen zu ermöglichen. Die Idee, die Perfektastraße als Straßenraum mit einer breiten Arkade abzuschließen, verdient Respekt, ist diese Straße doch der Prototyp der "bösen", weil vielbefahrenen Verkehrsstraße - und doch kein bisschen lauter als die Wiener Ringstraße im Frühverkehr. Diese Arkade ist ein urbanistisches Signal gegen neue Funktionstrennung in der "Zwischenstadt", die zu autonomen Inseln inmitten eines breiten Verkehrsstroms führt. Die hängenden Lärmschutzwände aus Glas, mit denen Prohazka südorientierte Höfe zu diesem Straßenraum schafft, sind ein weiteres Signal in diese Richtung. In den Ecken der Höfe hat er Stiegenhäuser und Lifte teilweise offen platziert, um den Kontakt zwischen den Bewohnern zu fördern. Auch die übrigen Bauteile - von NFOG und Georg Feferle - erreichen ein erfreulich hohes Niveau. Die sehr unterschiedlichen formalen Ansätze lassen den Besucher zwar mit dem Gefühl zurück, eine Oper in fünf Akten gesehen zu haben, die zuerst nach Verdi, dann nach Prokofjew und schließlich nach Krenek klingt. Im Vergleich zu "In der Wiesen", wo ganz andere Melodien viel zu laut und meist schlecht
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intoniert auftreten, scheint an der Perfektastraße die Urbanisierung der "Zwischenstadt" gelungen zu sein. Die Presse, 11.11.2000
ES ENTSTEHT HALT ÜBERALL WAS Es sind scheinbar kleine Projekte: U-Bahn-Abgänge, Straßenbahn-Stationen, Kioske. Aber sie haben große Auswirkungen auf die Stadt. Über Höhe- und Tiefpunkte der Wiener Stadtmöblierung. Eine Polemik. Als der parlamentarische Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit endlich seine Entscheidung für das neue Wahrzeichen des österreichischen Parlaments getroffen hatte, herrschte Erleichterung. "Hohes Haus" - wie ließe sich dieser Begriff besser vermitteln als durch die direkte Übersetzung ins Räumliche? Kein Hochhaus, sondern ein Haus hoch oben, schlicht gestaltet, eine Urhütte über den Dächern. Für die nächsten Jahre wird es uns mit seiner schnörkellosen und doch bodenständigen Sachlichkeit als Wahrzeichen des allgemeinen Sparwillens und symbolische Bauhütte für den Umbau unseres Landes begleiten. Diese Geschichte ist natürlich frei erfunden. Was staunende Passanten seit einigen Wochen vom Ring aus bewundern können, ist ein Schutzhaus für die Renovierung der acht bronzenen Pferdegespanne auf dem Dach des Parlaments, die in einem so schlechten Zustand sind, dass sie nicht mehr transportiert, sondern nur noch an Ort und Stelle renoviert werden können. Weil diese Arbeit pro Gespann etwa ein halbes Jahr in Anspruch nimmt und das Schutzhaus dann zum nächsten Gespann übersiedelt, ist in den nächsten vier Jahren für immer neue surrealistische Effekte im Stadtbild gesorgt. Selbst wer es grundsätzlich richtig findet, dass eine Hütte nicht mehr sein will als eben eine Hütte, wird sich in diesem Fall fragen, ob es nicht andere, technologisch avanciertere und vielleicht sogar preiswertere Wege gegeben hätte, einen Witterungsschutz für die Renovierungen zu errichten. Die Gleichgültigkeit gegenüber den größeren städtebaulichen Auswirkungen einer temporären Installation, mit der hier vorgegangen wurde, ist in Wien leider kein trauriger Spezialfall, sondern verbreitet. Die "Stadttore 2000", die seit dem Nationalfeiertag die Wiener Innenstadt umgeben und bis Mitte Jänner stehen bleiben sollen, sind ein weiteres Beispiel. Auf Initiative von Vizebürgermeisterin Laska und bezeichnenderweise im Auftrag einer "stadt wien marketing service gmbh" durften junge Künstler und Künstlerinnen die wichtigsten Zufahrtsstraßen zur City dekorieren - als gelte es, eine Shopping-Mall fürs Weihnachtsgeschäft aufzurüsten. Derartige Dauerspektakel führen zu keiner neuen Erfahrung von Stadt, wie es etwa die kurzfristig rot gefärbelte Secession getan hat; sie haben jedoch eine fatale Konsequenz: Wo dauernd dekoriert wird, braucht sich niemand mehr über Gestaltung ernsthafte Gedanken zu machen.
Fotos: Kühn
Am deutlichsten wird das im Moment im Umfeld der Wiener Oper. Nicht, dass man hier keine ambitionierten Architekten beschäftigt hätte: Henke und Schreieck haben den Abgang zur Opernpassage umgestaltet und um einen verglasten Lift ergänzt. Luigi Blau hat den neuen Kiosk für die Vereinigten Bühnen Wien mit integriertem Abgang und Lift zur behinderten-freundlichen Erschließung der Tiefgarage entworfen. Ein Ersatz für den von Maria Auböck für eine Mozart-Ausstellung entworfenen Pavillon der Vereinigten Bühnen, der seit Jahren wie ein verirrtes
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Kulissenteil vor der Oper stand, war tatsächlich längst überfällig. Luigi Blaus erster Entwurf sah einen kleinen Pavillon auf dreieckigem Grundriss mit einem kreisrunden Dachschirm vor, einen noblen, dem besonderen Ort angemessenen Verwandten der Straßenbahnstationen, mit denen Blau seinen bisher gelungensten Beitrag zur Wiener Stadtmöblierung geleistet hat. Vor Baubeginn stellte sich jedoch heraus, dass der Betreiber der Operngarage ein paar Meter weiter einen Lift an die Oberfläche führen wollte. Die MA 19, in Wien zuständig für Stadtgestaltung, schaltete sich ein: Blau solle eine kombinierte Lösung finden. Das Ergebnis ist ein Edelstahlflugdach, unter dem sich - wie Blau sagt - die diversen Nutzungen "parasitär ansiedeln". Ob dieses Thema vor der Oper klug gewählt ist, sei dahingestellt: Für den unvorbereiteten Betrachter sieht die Lösung einerseits aufwendig, andererseits reichlich verquetscht aus, und die nachts bestrahlten Edelstahloberflächen, die den Dialog mit Henke und Schreiecks Lösung ein paar Meter weiter aufnehmen sollen, erzeugen alles andere als angenehme Reflexionen. Immerhin ist es Blau gelungen, die Abtragung der bollwerkartigen Einfassung der Tiefgaragenabfahrt zu bewirken. Wenn nichts dazwischenkommt, wird nächstes Jahr stattdessen ein Geländer aus Edelstahl angebracht. Trotzdem: An einem Gestaltungskonzept für das gesamte Umfeld der Oper scheint niemand ernstlich interessiert zu sein. Auf Anfrage bei der MA 19 erhält man dazu eine reichlich resignative Antwort: "Überall entsteht halt irgendwas." Und da versuche man eben, das Beste daraus zu machen, wie etwa im Falle des Pavillons der Vereinigten Bühnen. Bei diesem Anspruch gelingt in der Summe nicht einmal das Mittelmäßige. Und von dort geht es dann rasch weiter ins Inferiore: Kürzlich wurde, direkt nach dem von Henke und Schreieck gestalteten Abgang, die "Vienna Opera Toilet" eröffnet. Ein privater Betreiber, der im Hundertwasser-Haus die "Vienna Art Toilet" führt, hat die Toilettenanlage mit rotem Plüsch und Theaterplakaten dekoriert, spielt Musik vom Band und verlangt dafür den stolzen Preis von sieben Schilling. Die Holzverschalung neben diesem Tiefpunkt der Wiener Gastlichkeit markiert übrigens den Ort, an dem eine Videoinstallation von "museum in progress" geplant ist: Überall entsteht halt was. Zyniker werden in diesem Aufeinandertreffen ein natürliches Phänomen sehen: Jede Stadt bekommt, was sie verdient, und morgen sieht alles wieder anders aus. In einer pluralistischen, vom Markt beherrschten Gesellschaft von gestalterischenr Einheit zu träumen sei - selbst wenn man nur von den 100 Metern zwischen Kärntner Straße und Opernpassage spricht - schlicht naiv. Aber was ist daran naiv, von der öffentlichen Hand zu verlangen, dass sie eine Toilettenanlage ohne Plüsch betreibt? Oder dass sie das Café in der Opernpassage nicht an eine Fast-food-Kette vermietet, nur weil das ein paar tausend Schilling im Jahr mehr an Mieteinnahmen bringt? Welche Nutzung diesem zentralen Raum der Opernpassage gegeben wird, ist nämlich eine Frage, von der die Qualität des gesamten städtebaulichen Umfelds wesentlich abhängt. Auch der scheinbare Pluralismus bei der Gestaltung der diversen Abgänge und Kioske, mit dem sich die MA 19 vor einer Qualitätsdiskussion drückt, ist alles andere als selbstverständlich. Als nächster wird Kurt Schlauss zum Zug kommen. Sein Entwurf für die Überdachung der Badner-Bahn-Station auf der anderen Seite des Rings ist eine bizarre Kombination aus einem Flugdach - das von über dem Dach liegenden, nach hinten abgespannten Fachwerks-trägern in Position gehalten wird und einer Glastonne, die an den bestehenden schlichten Aufgang anschließt: Überall entsteht halt was. Nun gibt es in Wien seit kurzem einen "Strategieplan" - vom Stadtrat für Planung und Zukunft initiiert und als wesentliches Instrument einer neuen Stadtplanung vorgestellt -, in dem diese Fragen durchaus angesprochen werden. Wien müsse einen "kultivierten Umgang mit dem Stadtraum" pflegen, der auch die "Rücknahme funktioneller und gestalterischer Überfrachtung" mit einschließe. Der Stadtraum sei nicht nur Erlebniswelt, sondern auch ein "Medium für Vertiefung und Reflexion". Die "Qualitätssuche im Wettbewerb" wird ausdrücklich befürwortet, ebenso die "Managementorientierung in der Planung". Solange dieser Plan als Liste frommer
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Wünsche belächelt und nicht als Kampfschrift gegen die herrschenden Zustände gefürchtet wird, darf man sich freilich nicht allzu viele Hoffnungen machen. Um eines klarzustellen: Es geht hier nicht um Stadtbildschutz und Ortsbildpflege. Was im Umfeld der Oper zu sehen ist, sind die Spuren von Geldgier, Dummheit, Frustration, Zynismus und vor allem Gleichgültigkeit. Gute öffentliche Räume entstehen dort, wo um Qualität gekämpft wird, in Wien etwa zuletzt auf dem Judenplatz, einem der wenigen wirklich urbanen Plätze Wiens. Er wäre ein Modell: nicht in der Art der Gestaltung, denn nicht jeder urbane Platz muss autobefreit und hochkonzentriert sein - sondern im kompromisslosen Qualitätsanspruch, mit dem hier der Stadtraum in Auseinandersetzung mit kontroversiellen Interessen als öffentliche Sache verhandelt wurde. Die Presse, 14.10.2000
IRONIE IM HAMSTERRAD Ausgelobt war ein Ideenwettbewerb zum Thema "Wohnen". Die 357 Einsendungen zu "Future Vision Housing", die in Linz zu sehen sind, zeigen vor allem eines: Beim Haus der Zukunft kommt es nicht darauf an, wie es aussieht, sondern wie es sich verkauft. Die Architekten der klassischen Moderne verstanden sich als professionelle Visionäre. Ihre Hausentwürfe waren Lebensentwürfe, ihre Stadtplanungen Skizzen neuer Gesellschaftsformen. Le Corbusiers Schlachtruf "Baukunst oder Revolution!" zeugt von der Hoffnung, die Gesellschaft verändern zu können, indem man ihr neue Häuser baut. Gegen diese Hoffnung lassen sich viele Argumente anführen. Der Philosoph Ernst Bloch, der architektonische Utopien als "Bauten, die eine bessere Welt abbilden", durchaus zu würdigen wusste, diagnostizierte in ihr eine Verkehrung von Ursache und Wirkung: "Eben weil die Architektur weit mehr als die anderen bildenden Künste eine soziale Schöpfung ist und bleibt, kann sie im spätkapitalistischen Hohlraum überhaupt nicht blühen." Zuerst, bitte, eine andere Gesellschaft, die Architektur wird dann schon folgen. So lässt sich freilich nur aus einer zähflüssigen Gegenwart heraus argumentieren. Wenn sich die gesellschaftliche Entwicklung beschleunigt, steigt auch in der Architektur der Bedarf nach visionären Entwürfen. Motiv dafür ist weniger der Wunsch nach einer Vorhersage der Zukunft als vielmehr jener nach einem besseren Verständnis der Gegenwart und ihrer Potentiale. Das "Art & Tek Institute" an der Universität für Gestaltung in Linz, dem Herbert Lachmayer vorsteht, hat sich vor zwei Jahren mit Visionen für die Arbeitswelt auseinandergesetzt: "Future Vision Work" hieß eine Ausstellung, die von einem internationalen Ideenwettbewerb begleitet war. Zusammen mit dem Architekturforum Oberösterreich hat das "Art & Tek Institute" diesen Wettbewerb zu einer von Lachmayer zusammen mit Margit Ulama kuratierten Biennale weiterentwickelt, die der visionären Auseinandersetzung mit architektonischen Grundproblemen dienen soll. "Future Vision Housing" hieß das diesjährige Thema. Erholung und Verkehr stehen für die nächsten beiden Wettbewerbe auf dem Programm. Die Auslober bedienen sich damit - wenn auch nur als "Orientierungsfolie in einer zunehmend orientierungslosen Gegenwart" - einer Gliederung, die von den Hauptvertretern der klassischen Moderne als Lösung für die funktionellen Probleme der Stadt gesehen wurde. Dieser implizite Rekurs auf den Funktionalismus ist geradezu eine Einladung, ironische Beiträge zu liefern. Die Jury, bestehend aus Olaf Gipser, Odile Decq, Hans Frei, Bettina Götz und Margit Ulama hat Humor bewiesen, indem sie eine derartige Einreichung mit dem dritten Preis auszeichnete. Das Team TTT&T aus Berlin reichte eine "Future Vision Wohnpaste" ein, komplett mit Verpackung und Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen. Neu ist diese ironische Abrechnung mit dem Funktionalismus freilich nicht: Schon Hans Hollein und Peter Noever haben Ende der sechziger Jahre den Raumspray "Svobodair" konzipiert, der statt simplem Tannenduft eine ganze Büroumwelt hervorzaubern sollte.
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Abbildung: SOLID
Unter den Preisträgern, auf die das von Sponsoren aus der Industrie beigestellte Preisgeld von beachtlichen 17.500 Euro aufgeteilt wurde, finden sich noch andere, die in die sechziger Jahre zurückweisen. Der erste Preis tarnt sich als Werbebroschüre für ein "Haus der Zukunft", allerdings unter dem paradoxen Slogan: "SOLID - we don't build houses". Das Produkt selbst ist nur schemenhaft dargestellt, eine pneumatische Hülle mit abgerundeten Ecken, deren Oberfläche chamäleonartig jede beliebige Textur annehmen kann. Was in den sechziger Jahren ein Ausbruch aus den Konventionen war, ist hier, ganz im Gegenteil, die bedingungslose Kapitulation des Wohnens vor der Konsumgüterindustrie. Wie das SOLID-Haus aussieht, ist völlig gleichgültig: SOLID passt in jede Lücke, übernimmt jedes Muster, das gerade gefällt, ermöglicht den Partnerlook mit dem eigenen Haus. Wichtig ist das Lebensgefühl, das mit ihm verkauft wird. Heimat wird zur Dienstleistung: Während SOLID übersiedelt wird, wohnt der Besitzer gratis in einem Fünf-Sterne-Hotel. Direkt aus den sechziger Jahren importiert wirkt auch das "urban.sushi" der Wiener Gruppe "awg-alleswirdgut", eine Art Hamsterrad aus Kunststoff, in dem alle Wohnfunktionen auf kleinstem Raum bereitstehen. Als durchgedrehte Tonne des Diogenes hat das Objekt, dessen Prototyp kürzlich in der Ausstellung "Den Fuß in der Tür" im Wiener Künstlerhaus zu sehen war, einen hohen Unterhaltungswert. Ob es tatsächlich "realistisch konzipiert" ist, wie der Wettbewerbsbericht hervorhebt, darf jedoch - trotz aller Referenzen zur Autoindustrie und zu Produkten wie dem "smart" - bezweifelt werden.
Abbildungen: awg, Putz
Aus den weiteren Projekten ragen zwei hervor, die weitgehend ohne Ironie auskommen. Im Beitrag "swap" wird von den Autoren - Christoph Falkner, Thomas Grasl, Georg Unterhohenwartner und Rainer Fröhlich - ein Experiment über nomadisches Wohnen dokumentiert. Der Name "swap" ist Programm: Zwölf Testpersonen wechselten in einem Rhythmus von zwei Tagen ihre Wohnungen, um die Notwendigkeit der "eigenen" Wohnung zu hinterfragen. Sie übersiedelten dabei jeweils mit einem "Survival-Kit", in den sie alles für sie Lebens- und Arbeitsnotwendige gepackt hatten. Im Unterschied zum SOLID-Projekt kommt "swap" ohne Lifestyle-Vorgaben aus und zielt nicht allein auf gesteigerte Individualität ab, sondern auf ein offenes Netzwerk von Individuen. Auf die Chance, damit der massenhaften Individualität der Lifestyle-Inszenierungen eine Alternative entgegenzusetzen, hat schon Vilém Flusser hingewiesen: "Die offene Vernetzung ist
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eine Alternative zur inkompetent gewordenen Vermassung. Die Hände, die sich an keinen Ast mehr klammern können, woanders hin können sie langen als in Richtung der Hand des Anderen?" Auf diesen Satz bezieht sich auch das poetischste der prämierten Projekte, das "sensible house" von Frederike Putz aus Hamburg. Neuen Wohnraum zu schaffen bedeute, neue Beziehungen herzustellen. Ihr Beitrag dazu ist eine Maschine, die Wahrnehmungen verwandelt und in den Herstellungsprozess von Kultur eingreift. Die Stadt, von Flusser einmal als Wellental in der Bilderflut bezeichnet, wird in dieser Maschine als Interferenz zwischen Gewohntem und Ungewohnten generiert. Die Presse, 12.8.2000
WIE EIN GEBÄUDE AUF DIE WELT KOMMT Direktauftrag oder Ideenkonkurrenz? Es gibt kein Rezept für die glückliche Begegnung zwischen Architekt und Bauherr. Wie das Beispiel der Mittelschule Wolkersdorf zeigt, hat der Wettbewerb aber einen unbestreitbaren Vorzug: Er eröffnet einen Spielraum für die Architekturentwicklung. Wann kommt ein Gebäude auf die Welt? Bei der Eröffnung? Bei Baubeginn? Wenn die erste Skizze entsteht? Oder noch früher, wenn der Bauherr den Wunsch äußert, etwas zu bauen? Die Architekturkritik legt den Geburtstermin in der Regel auf den Tag der Eröffnung: Da steht das Gebäude ohne Gebrauchsspuren da, schön wie ein fabriksneues Auto, und lässt sich publikationsgerecht photographieren. In die Zeitung kommt es erst wieder, wenn es undicht wird oder einstürzt - und vielleicht eines Tages, bevor es abgerissen werden soll. Seine spannendsten Zeiten erlebt ein Haus aber viel früher, wenn noch fast alles möglich ist. Es ist die Stunde des Bauherrn: Weiß er überhaupt, was er wirklich braucht? Diese Frage ist schon für einen privaten Bauherrn schwer genug zu beantworten; beim öffentlichen Bau multiplizieren sich die Probleme mit der Anzahl der Betroffenen. Bei jedem Schulbau wollen sich Schüler und Lehrer, Schulwarte und mitnutzende Sportvereine berücksichtigt wissen, und wenn es um die äußere Erscheinung geht, kommen noch Anrainer hinzu, denen jede Veränderung zum Problem wird. Könnte man eine Schule kaufen und wie ein Auto Probe fahren, wären diese Probleme leichter zu lösen. Aber Häuser haben ihre individuelle Geschichte, ihren besonderen Ort und ihre kulturellen Bedingungen. Sie sind weder Ware noch Designobjekt, sondern entstehen aus der spezifischen Begegnung eines guten Bauherrn mit einem guten Architekten im Rahmen einer gut definierten Bauaufgabe. Gut definiert heißt dabei nicht, dass jede Anforderung im Detail beschrieben ist, sondern dass das Wesentliche zu einer Hierarchie von Wünschen geordnet ist, die auch für unkonventionelle Antworten offen bleibt. Für die glückliche Begegnung zwischen Architekt und Bauherr gibt es kein Rezept: Unter den herausragenden Bauten finden sich Direktaufträge ebenso wie Ergebnisse offener Wettbewerbe. Die Ideenkonkurrenz hat aber unbestreitbare Vorteile. Abgesehen davon, dass sie dem Bauherrn ein breiteres Spektrum an Lösungen anbietet, ist die Möglichkeitswelt, die sie dabei eröffnet, einer der wesentlichen Orte der Architekturentwicklung. Die Konkurrenz für den Neubau einer Mittelschule im niederösterreichischen Wolkersdorf ist ein Paradebeispiel dafür. An Bauherren fehlt es hier nicht: Da ist einmal die Bundesimmobiliengesellschaft als Auftraggeber, dann das Bildungsministerium als oberste Vertretung der Nutzer; der Bürgermeister der Gemeinde hat ein verständliches Interesse an einem Neubau, der auch seinen Wählern gefällt; und dann gibt es noch die Nutzer, Schüler und Lehrer, und zumindest letztere wollen bei "ihrer" Schule mitreden. Gleich zu Beginn stellte sich heraus, dass eine Grundfrage noch nicht geklärt war: Die Gemeinde verfügte über mehrere Grundstücke, aber über kein Entwicklungskonzept, aus dem sich zwingend ein Standort hätte ableiten lassen. Gerade in einer kleinen Gemeinde im Gravitationsbereich einer Großstadt, die von massiver Zersiedlung betroffen ist, stellt eine Schule eine Chance zur städtebaulichen
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Neuordnung dar. Der Bürgermeister von Wolkersdorf beauftragte den Architekten Erich Raith mit einer Studie, die empfahl, ein Grundstück auf der Entwicklungsachse zur Katastralgemeinde Obersdorf zu wählen. An Stelle des üblichen, mehr oder weniger zufälligen Zusammentreffens kleingliedriger Siedlungsformen könnte so eine zentrale Einrichtung in einem langsam anwachsenden Siedlungsband entstehen. - Auf dieser Grundlage schrieb die Bundesimmobiliengesellschaft ein Verhandlungsverfahren aus, also eine Konkurrenz mit beschränkter Teilnehmeranzahl. Nach einer EU-weit offenen Bewerbungsphase wird dabei eine beschränkte Anzahl von Büros ausgewählt, die gegen eine finanzielle Entschädigung Konkurrenzprojekte ausarbeiten. Nach welchen Kriterien die Auswahl der Büros stattfindet, ist freilich problematisch. Üblicherweise zählen Referenzprojekte, Anzahl der Mitarbeiter und wirtschaftliche Potenz. In Kennziffern gefasst, bleibt bei immateriellen Leistungen das Kriterium der Qualität leicht auf der Strecke. Als rechnerisch bester Bewerber ergab sich etwa in diesem Fall das Büro Peter Czernin, das unter anderem architektonische Tiefpunkte wie das Bundesamtsgebäude in der Wiener Radetzkystraße zu verantworten hat.
Fotos: Domenig/Eisenköck, Ullmann/Ebner, Szyszkovitz/Kovalski, Kohlbauer
Keine Jury kann sich über diese Spielregeln hinwegsetzen. Sie kann allerdings den Kreis der Bewerber ausweiten, und in diesem Fall gelang es Marta Schreieck als Vorsitzender, die Bauherren davon zu überzeugen, zu den geplanten acht sechs weitere Bewerber zuzulassen. Das kostet zwar Geld, im Vergleich zu den Baukosten ist dieser Betrag aber verschwindend klein, und die Ergebnisse zeigen, dass er durch die Lösungen leicht aufgewogen wird. Einige Projekte nutzten die Tiefe des Grundstücks und schlugen lang gestreckte Baukörper vor: Bei Boris Podrecca entsteht dabei eine urbane Skulptur mit großer Rhetorik, bei Martin Kohlbauer eine feingliedrigere, manieristisch durchgeformte Komposition. Hans Mesnaritsch trennt Schule und Turnsaal in zwei scheinbar hermetische Blöcke mit einer überraschenden Offenheit im Erdgeschoß. Franziska Ullmann und Peter Ebner schlagen eine mäanderartige Struktur mit ungewöhnlichen Innenräumen vor. Die Entscheidung fiel letztlich zwischen zwei kompakten Projekten, die sich auf einen Teil des Grundstücks beschränkten: Den Zuschlag erhielt die Architektur Consult Ziviltechniker GmbH, hinter der Namen wie Günther Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker stehen. Sie öffnen in drei parallel geführten Klassentrakten zwei verschränkte Hallenräume, die sich in einer überzeugenden Abfolge zum seitlich angesetzten, teilweise in die Erde eingegrabenen Turnsaal staffeln - ein im besten Sinn gefälliges Musterschülerprojekt, bei dem keine Fragen offen bleiben. Szyszkowitz/Kowalski schlugen dagegen eine nur zweigeschossige Anlage mit
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wellenförmigen Dächern und fünf Höfen vor, ein Schüleruniversum abseits des Konventionellen, mit Widersprüchen und Irritationen, dessen großes Potential in der Jury aber keine Mehrheit finden konnte. Angesichts solcher Konkurrenzen auf hohem Niveau beweist sich die Republik, vertreten durch die Bundesimmobiliengesellschaft, als kompetenter Bauherr. Die BIG, die in den acht Jahren seit ihrem Bestehen immerhin vier Bauherrenpreise erhalten hat, wird in Zukunft eine noch größere Verantwortung bekommen: Bis Anfang 2001 soll ihr auch die Bundesbaudirektion unterstellt werden. Im derzeit in Begutachtung befindlichen Gesetzesentwurf zur Ausgliederung der Bundesimmobilien finden sich freilich bedenkliche Anzeichen jener österreichischen Tendenz, Richtlinien festlegen zu wollen, wo Entscheidungen gefordert wären. In Zukunft sollen der BIG vom Wirtschaftsministerium zu erarbeitende "bundeseinheitliche Standards für architektonische Gestaltung" vorgeschrieben werden - im schon jetzt überreich verregelten Milieu des Bauwesens eine absurde Idee. Dass in Zukunft bei allen größeren Projekten anonyme baukünstlerische Wettbewerbe vorgeschrieben sind, ist dagegen zu begrüßen. Dafür spricht beispielsweise, dass beim jüngst durchgeführten zweistufigen Wettbewerb für die Erweiterung der Wiener U2 nicht die Platzhirsche, sondern mehrere junge Büros in die Letztauswahl kamen. Maßnahmen zur Förderung jüngerer Architekten gibt es aber auch im Bewerbungsverfahren, indem etwa eine Quote für Bewerber ohne einschlägige Referenzprojekte eingeführt wird. Ob die amtliche Festlegung einer numerischen Grenze von 70 Millionen Schilling (5,09 Millionen Euro) Bausumme, ab der in Zukunft anonyme Wettbewerbe vorgeschrieben sein sollen, eine Architekturpolitik ersetzt, die auf klare Zielvorgaben flexibel mit der jeweils besten Strategie reagiert, ist jedoch mehr als fraglich. Die Presse, 22.7.2000
WER SPRICHT HIER SCHON VON SIEGEN? Er versteht sich als Chronist des Zerfalls urbaner Strukturen in den Vereinigten Staaten: Camilo José Vergara. Kühl dokumentiert er, wie dicht verbaute Viertel verwahrlosen, wie sie abgerissen und durch vorstädtische Strukturen ersetzt werden. Im Grazer "Haus der Architektur" ist derzeit eine Ausstellung seiner Photozyklen zu sehen. Die Ausdehnung der Städte gilt als unaufhaltsamer Prozess. Tatsächlich leben heute mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, oder allgemeiner gesagt in urbanen Strukturen unterschiedlichster Art. Das Entwicklungstempo dieser Strukturen ist am höchsten in Asien. Am niedrigsten ist es in Europa, wo der kulturelle Wert der Städte im Allgemeinen an historischen Stadtzentren gemessen wird, die sich zum letzten Mal im 19. Jahrhundert massiv verändert haben. Das Spannungsfeld von "Erinnerungswerten" und "Gegenwartswerten", vom Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl in seiner Schrift über den "Modernen Denkmalkultus" aus dem Jahr 1903 eingeführt, hat die Entwicklung der Europäischen Stadt im 20.Jahrhundert trotz aller Zerstörungen maßgeblich beeinflusst. Erneuerung geschieht hier in der Regel an der Peripherie, ohne an Image und Selbstbild der Stadt Wesentliches zu verändern. Amerikanische Städte konnten sich dagegen weitgehend ungebremst von denkmalpflegerischen Vorstellungen, die Eingriffe ins Privateigentum erforderlich gemacht hätten, entwickeln. Anders als in Europa, wo Stadtentwicklung als kontinuierlicher Prozess der Verdichtung wahrgenommen wird, geht die Entwicklung in den USA potentiell in beide Richtungen: auf rasches Wachstum kann ein ebenso rascher Verfall folgen, wenn sich die wirtschaftliche Lage ändert. Das berüchtigtste Beispiel ist Detroit, die einstige Hauptstadt der Automobilindustrie. Im Jahr 1989 wurden bei einer Aufnahme des baulichen Zustands 15215 in Folge der Rezession leerstehende, mit Sperrholz und Blech versiegelte Häuser gezählt. Darunter befanden sich unter anderem auch große Teile des ehemaligen Stadtzentrums mit seinen architekturhistorisch zum Teil bemerkenswerten Hochhäusern. Der aus Chile stammenden amerikanischen Photograph Camilo José Vergara versteht sich als Chronist der Vernachlässigung und des Zerfalls urbaner Strukturen in den
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USA. Als studierter Soziologe betrachtet Vergara diese Prozesse vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die immer größere soziale Ungleichheit in Kauf zu nehmen bereit ist. Sein Interesse gilt dem "Neuen amerikanischen Ghetto", über das er 1995 ein gleichnamiges Buch veröffentlichte. Dazu gehören jene heruntergekommenen Viertel mit Sozialwohnungen, die in den Jahren 1950 bis 1970 mit der Hoffnung errichtet wurden, die soziale Situation der Bewohner aus den Slums durch die Umsiedlung in menschenwürdigere Hochhausblocks verbessern zu können. Vergara dokumentiert diese Orte der Hoffnungslosigkeit kühl und ohne Voyeurismus, wobei er sich nicht auf Momentaufnahmen beschränkt, sondern dieselben Orte immer wieder besucht, teilweise seit über 25 Jahren. Er dokumentiert, wie dichte, verwahrloste Strukturen abgerissen und durch neue "townhouses" oder durch Einfamilienhäuser ersetzt werden, um so etwa mitten in der South Bronx ein Stück normiertes Suburbia entstehen zu lassen. Das gepflegte Bild hat eine Kehrseite: Hier können trotz hoher Förderungen nur die wirtschaftlich stärksten Bewohner der ehemaligen Ghettos leben. Die unausgesprochene Hoffnung der Stadtverwaltungen - schreibt Vergara in seinem Begleittext - ist, dass die ärmsten Bewohner schließlich in eine andere Stadt übersiedeln, während das aufgeräumte Stadtbild das Vertrauen der Investoren in den Stadtteil wiederherstellt. Dass in diesem Prozess aber auch viel an alter sanierbarer Bausubstanz zerstört wird, nehmen die Kommunen in Kauf: Es geht weniger um die Lösung, sondern um das Verdrängen sozialer Probleme.
Foto: Camilo José Vergara
Vergaras Interesse beschränkt sich nicht auf die soziologische Dimension der Prozesse, die er dokumentiert. Er ist ebenso fasziniert vom Schicksal der Häuser: Wie im Lesesaal einer 1905 errichteten öffentlichen Bibliothek in Camden nach Jahren der Verwahrlosung eine kleine Baumgruppe wächst. Oder wie der Zuschauerraum des Michigan Theaters in Detroit zu einer mehrgeschossigen Garage wird: über den parkenden Cadillacs auf dem obersten Parkdeck schwebt eine dünne Stukkaturschale mit verblichenen Fresken. Die Winteraufnahme eines sozialen Wohnbaus in Chicago zeigt ein achtgeschossiges Gebäude, an dessen Fassade vereiste Wasserfälle aus zerborstenen Leitungen herablaufen. Die Architekten der fünfziger Jahre hatten hier von Nachbarschaften auf jedem Stockwerk, von Spielfluren und Gartenlandschaften geträumt. Mit der Sprengung ähnlicher Blocks der Pruitt-Igoe Siedlung in St.Louis - im Jahr 1972 hat der Architekturtheoretiker Charles Jencks das Ende der Moderne und den Beginn der Postmoderne datiert. In Chicago, der Stadt Mies van der Rohes, leistete die Moderne offenbar länger Widerstand. Die Blocks wurden 1995 gesprengt. Vergaras Aufnahme aus dem Jahr 1998 zeigt postmodern verzierte, niedrige Wohnhäuser am selben Ort. In seinem 1999 erschienen Buch "American Ruins" konzentriert sich Vergara auf einen anderen Aspekt der verlassenen Bauten. Ein Rilke-Zitat steht am Anfang: "Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles." Der Zustand des Verfalls sei keiner Kultur so unerträglich wie der amerikanischen, und gerade deshalb fordert Vergara die Erhaltung der großen amerikanischen Ruinen, etwa im Zentrum von Detroit. Vergara sieht in den verfallenden Hochhäusern ein Ruinenfeld, das es atmosphärisch mit den Ruinen Roms aufnehmen könne, und schlägt vor, das gesamte Zentrum in seinem ruinösen Zustand unter Denkmalschutz zu stellen. Mit dieser Vorstellung ist Vergara
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offensichtlich nicht allein: Im Internet finden sich Websites wie www.infiltration.org, die Tips für illegale Exkursionen in verlassene Bauten in Detroit und anderen Städten der USA anbieten. Trotzdem ist die "Renaissance" des Zentrums von Detroit bei anspringender Konjunktur wohl kaum aufzuhalten. Hudson`s, seinerzeit das größte Department Store der Welt, ein fünfundzwanzig Stock hoher, mächtiger Block aus dem Jahr 1911, wurde 1998 gesprengt. Die Stadtverwaltung nannte das Gebäude, in dessen besten Jahren 3500 Mitarbeiter bis zu 100000 Kunden pro Tag bedient hatten, einen „Mühlstein am Hals Detroits“. Als das Gebäude - zu Kosten von 12 Millionen Dollar - in sich zusammenstürzte, verkündete der Bürgermeister: "Jetzt kann die Zukunft beginnen." Mit der Ausstellung der Photozyklen Camilo José Vergaras setzt das Haus der Architektur in Graz seinen aktuellen Versuch fort, Architektur aus einer geänderten Perspektive zu betrachten. Nicht die Objekte und ihre Ästhetik stehen dabei im Mittelpunkt, sondern die Prozesse, in die Architektur bei ihrer Entstehung und Benutzung eingebunden ist. Was bedeutet Architektur für die Investoren, die Politiker, die Bauindustrie? Brauchen sie den Begriff noch, oder operieren sie lieber in einem Feld zwischen Lifestyle und Infrastruktur? Wie funktioniert Architektur in einer funktional immer mehr differenzierten Gesellschaft? Für Vergaras durch die Erfahrung der amerikanischen Ghettos geschärften Blick ist bereits diese Frage suspekt: Er fordert ein Grundrecht auf Dysfunktionalität - für die nicht funktionierenden Häuser ebenso wie für ihre nicht funktionierenden Bewohner - als Basis für eine sanfte Sanierung der Verhältnisse. Die Presse, 17.6.2000
DAS ANDERE BAUEN Mehr Ethik, weniger Ästhetik: Das Motto der heurigen Architekturbiennale von Venedig bietet Gelegenheit, an einige wenig bekannte Kapitel der österreichischen Architekturgeschichte zu erinnern. – Von KZs, ihren Planern und der heimischen Gedenkkultur Es ist die siebente Internationale Architekturausstellung, die in Venedig von heute an bis Ende Oktober zu sehen sein wird. Die erste Biennale geriet 1980 zur Inauguration der Postmoderne: Aldo Rossis Beitrag, das Teatro del Mondo, bezeichnete den Sieg der Architektur als bedeutungsvolle Sprache über eine geschichtslose, im Utilitarismus erstarrte Moderne. Die zweite Biennale war der islamischen Welt gewidmet, die dritte den Regionen Veneto und Friaul, die vierte einer Retrospektive über das Werk des niederländischen Architekten Hendrik Petrus Berlage. Die fünfte Biennale war international in der Ausrichtung, aber lokal im Thema: Projekte für Venedig zeigten einen Querschnitt durch die aktuellen architektonischen Positionen. Die architektonische Postmoderne war da bereits am Ende. Noch immer fühlten die Architekten den Zeitgeist durch sich wehen, aber niemand wusste mehr so recht, aus welcher Richtung. "Der Architekt als Seismograph" hieß folgerichtig die sechste, von Hans Hollein kuratierte Ausstellung, in der die vielen Epizentren der zeitgenössischen Architektur zu Tage traten. Es ist kein Zufall, dass mit dem Titel der heurigen, von Massimiliano Fuksas kuratierten Biennale versucht wird, wieder eine Richtung zu finden. "Die Stadt: weniger Ästhetik, mehr Ethik." Die Stadt, die Aldo Rossi noch ein letztes Mal als harmonische Versammlung der Institutionen zu definieren versucht hatte, ist heute in ihrer Ausprägung als Megastadt zu einem scheinbar unlösbaren Problem geworden. In einer zentralen Abteilung der Ausstellung werden Megastädte wie Kairo und Kalkutta, Hong Kong und Mexico City ebenso präsentiert wie symptomatische Un-Orte: Flughäfen und Shopping Malls, die überall gleich aussehen und ähnliche Probleme mit sich bringen. Vor diesen Problemen, so suggeriert der Untertitel, müsse die ästhetische Diskussion hinter der ethischen zurücktreten. In seinem Einführungstext zur Biennale beruft sich Fuksas auf Joseph Beuys: Letztlich seien Künstler und Architekten doch das "Rote Kreuz" der Welt. Wann immer ein solches individuelles Credo durch einen Berufsstand vereinnahmt wird, ist Vorsicht geboten. Die Entwicklung vom Seismographen zum Sanitäter
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klingt verdächtig nach einer raffinierten Wunschvorstellung. Gut gemeint haben es die Architekten im vergangenen Jahrhundert oft genug. Dass eine bessere Welt sich nicht planen lässt wie ein Haus, haben sie meist übersehen. Befreiend kann Architektur nur wirken, wenn sie auf eine konkrete Freiheitspraxis der Menschen trifft - und darauf haben Architekten als Architekten kaum Einfluss. So schleicht sich der Verdacht ein, dass die lautstark geforderte Gewichtsverlagerung von der Ästhetik zur Ethik nichts anderes ist als ein probates Mittel, den eingefahrenen ästhetischen Karren wieder flott zu machen. Und das hätte mit Ethik rein gar nichts zu tun. So will Fuksas den Untertitel allerdings auch nicht verstanden wissen: "Weniger Ästhetik, mehr Ethik" sei keine axiomatische Aussage, sondern eine Aufforderung zur Diskussion. Umso gespannter darf man sein, wie das Thema in den einzelnen Länderpavillons interpretiert wird. Österreichs von Hans Hollein kuratierter Beitrag setzt sich kritisch mit der Frage einer nationalen Architektur auseinander: "Österreich - Aktionsfeld für Internationale Architekten. Ausländer lehren, planen und bauen in Österreich". Entwickelt hätte er das Konzept schon lange vor den aktuellen politischen Turbulenzen, sagt Hollein. Schon Gotik und Barock seien internationale Stile gewesen, und auch heute sei Österreich "eine Arena für die Spitzenarchitekten der Welt". In der Arena wird bekanntlich gekämpft, um Aufmerksamkeit und um Aufträge: Greg Lynn zeigt im österreichischen Pavillon ein Projekt für ein Ausstellungsgebäude der ÖMV, Zaha Hadid ist mit Projekten für Wohnbauten in Wien und mit der Sprungschanze für das Bergisel-Stadion in Innsbruck vertreten, Peter Cook und Colin Fournier mit ihrem siegreichen Wettbewerbsbeitrag für das Kunsthaus Graz und Ben van Berkel mit dem Haus für Musik und Musiktheater, ebenfalls in Graz. Realisierte Projekte zeigen Tom Mayne mit der Hypo-Alpe-Adria Zentrale Klagenfurt, Jean Nouvel mit der Interunfall Landesdirektion Bregenz und Massimiliano Fuksas mit dem Europark SPAR Salzburg und den Wiener TwinTowers am Wienerberg. Norman Fosters ist mit dem EUROGATE Masterplan für die Wiener Aspanggründe vertreten. Der österreichische Pavillon präsentiert sich damit als Hall of Fame jener "Architectural Games Worldwide", als deren inoffizielle Sponsoren sich das österreichische Architektenteam PAUHOF - stellvertretend für viele, die mit diesem Zirkus inkompatibel sind - schon seit langem bezeichnet. Parallel dazu werden im Österreichischen Pavillon Projekte gezeigt, die auf die aktuelle politische Situation direkt Bezug nehmen. Unter dem Motto "Für Frieden und Freiheit der Kunst - gegen Rassismus und Fremdenhass" zeigen einige der im Pavillon präsentierten ausländischen Architekten - van Berkel, Hadid, Lynn, Mayne und Nouvel - und die Österreicher Hermann Czech und Adolf Krischanitz Entwürfe für einen "Ort der Toleranz". Podiumsdiskussionen und ein Symposium dazu sind für September geplant. Die Projekte und die Ergebnisse des Symposiums sollen im Herbst in einem eigenen Katalog präsentiert werden. Mit einer Würdigung des österreichischen Pavillons wird man wohl bis dahin warten müssen. Vorerst bietet das Konzept die Gelegenheit, einige wenig bekannte Kapitel der österreichischen Architekturgeschichte in Erinnerung zu rufen, die in Venedig nicht zu sehen sind. Wenn Fremdenhass und Rassismus explizit angesprochen sind, sollte ein dritter Aspekt nicht fehlen: der Umgang mit der Geschichte. Ein weitgehend unbekanntes Werk ausländischer Architekten eignet sich dafür besonders. In der Nähe von St.Georgen an der Gusen in Oberösterreich findet sich eine Gedenkstätte, entworfen von den wichtigsten Nachkriegsarchitekten Italiens, der Gruppe BBPR, gegründet 1932 von Lodovico Barbiano de Belgioioso, Gian Luigi Banfi, Enrico Peressutti und Ernesto Nathan Rogers. Berühmt wurden BBPR in den fünfziger Jahren mit dem Torre Velasca, einem Hochhaus in der Nähe des Mailänder Doms, das in Material und Form auf den historischen Kontext Bezug nimmt und damit die Regeln der klassischen Moderne bricht. 1945 haben BBPR auf dem Mailänder Friedhof ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust errichtet, das zu den überzeugendsten seiner Art gehört: Ein zartes, würfelförmiges Gerüst aus weiß gestrichenen Stahlrohren, in das Marmorplatten eingehängt sind. In der Mitte des Objekts steht, beschützt von den schwebenden Steinplatten, eine Urne mit Asche aus Auschwitz.
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Die Gedenkstätte in Gusen, die im Mai1965 anlässlich des 20.Jahrestags der Befreiung des Lagers eröffnet wurde, hat einen völlig anderen Charakter: Ein düsteres Labyrinth aus Stahlbetonscheiben, die von 2,5 m auf 8,5 m Höhe ansteigen, während sich der Weg immer mehr verengt und leicht nach unten führt. Der Besucher gelangt in einen größeren Hof, der den Kern des Labyrinths umgibt: die beiden erhaltenen Krematoriumsöfen des Konzentrationslagers Gusen I. "Der Besucher, der diesen Weg beschreitet, wird von den Gefühlsregungen der Märtyrer, die diesen Weg zuvor gegangen sind, erfasst," schreiben die Architekten über ihr Projekt. Auftraggeber war ein Verein ehemaliger Lagerinsaßen, der das Grundstück kaufte und für die Errichtungskosten aufkam. Die Wahl der Architekten war kein Zufall. BBPR bestand seit 1945 nur noch aus drei Partnern: Pier Luigi Banfi war in Mauthausen ermordet worden. Ludovico Belgioioso war in Gusen interniert, hatte aber überlebt.
Bemerkenswerter als das Denkmal selbst ist seine Einbettung in die Umgebung: eine Siedlung mit Einfamilienhäusern, zwischen denen das Denkmal zwar als Fremdkörper, aber doch mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit steht. Das Lager Gusen I, bis zum Staatsvertrag 1955 unter sowjetischer Aufsicht als Granitwerke Gusen betrieben und in seiner Substanz kaum verändert, wurde nach Abzug der Sowjets privatisiert. Nachdem Baracken und Bahnanlagen abgetragen waren, wurde das Gelände für eine Wohnbebauung parzelliert. Den Betreibern des MemorialProjekts gelang es, das Grundstück von einem privaten Vorbesitzer zu kaufen und die Nachbarn davon zu überzeugen, dem Projekt zuzustimmen. Bedenken gab es erst von Seiten der Gemeinde. Es sei zu prüfen, inwieweit das Denkmal "in der bestehenden Siedlung vertretbar ist". Die Vertretbarkeit der Siedlung auf dem Gelände des Lagers wollte offenbar niemand in Zweifel ziehen. Tatsächlich war das Lager Gusen nur ein kleiner Teil einer Vernichtungsmaschine, die großflächig in die Landschaft um St.Georgen eingeschrieben ist. Schon kurz nachdem im August 1938 die ersten Baracken des KZ Mauthausen errichtet worden waren, veranlasst die österreichische Zentrale der DESt, der Deutschen Erd- und Steinwerke, einer SS-Firma, den groß angelegten Aufbau einer Infrastruktur in St.Georgen. Die errichteten drei Lager in Gusen waren vorerst für den Granitabbau in den nahe gelegenen Steinbrüchen bestimmt. Ab 1943 wurden in Gusen Flugzeugteile hergestellt, gegen Kriegsende Flugzeuge montiert. Die Instrumentierung der Lager zur "Vernichtung durch Arbeit", der allein in Mauthausen 120000 Menschen zum Opfer fielen, kulminierte in Gusen mit dem Bau der Stollenanlage "Bergkristall". Mit Beginn des Jahres 1944 wurden von den Häftlingen in nur 12 Monaten rund 50000 m2 Stollen aus dem Sand- und Granitstein gehauen. Albert Speer, Architekt und Rüstungsminister, hatte 1943 für die Konzentrationslager eine materialsparende Primitivbauweise empfohlen, nach der das Lager Gusen II errichtet wurde. Die dort für das Bergkristall-Projekt internierten 16000 Häftlinge waren in rund 20
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Holzbaracken eingepfercht, für die nur ein einziger Wasseranschluss zur Verfügung stand. Die Frage nach den Architekten der Konzentrationslager bekommt durch derartige Fakten eine besondere Brisanz. Haben sie nur Orte geschaffen, an denen Verbrechen stattfanden - von denen sie nach dem Krieg behaupten konnten, kaum etwas gewusst zu haben - oder war bereits die Schaffung dieser Orte Teil des Verbrechens? Am besten erforscht ist diese Frage für das Konzentrationslager Auschwitz, dessen Bauarchiv beinahe vollständig erhalten ist. Robert Jan van Pelt, amerikanischer Architekt und Historiker niederländischer Herkunft, hat zusammen mit Deborah Dwork die bisher umfassendste Dokumentation über die Baugeschichte von Auschwitz vorgelegt. Bei einem Seminar, das van Pelt im Rahmen einer Gastprofessur an der TU Wien vor zwei Monaten hielt, wies er auch auf die Rolle zweier Österreicher hin, die in der Zentralbauleitung des Lagers unter der Direktion des Architekten Karl Bischoff tätig waren, Fritz Ertl und Walter Dejaco. Der aus Linz stammende Ertl, ein Absolvent des Bauhauses, zeichnete den Plan für das Lager Auschwitz-Birkenau, das aus einem Quarantäne-Lager für 17000 Personen und einem Hauptlager für 80000 Personen bestehen sollte. Der funktionalistische Plan ordnete die Baracken um einen gigantischen Apellplatz an, jeweils in Gruppen von 12 Einheiten mit einer Küchen-, einer Wasch- und einer Latrinenbaracke. Das Projekt war Teil eines Plans von SS-Führer Heinrich Himmler zur Entwicklung der durch die Teilung Polens erworbenen Ostgebiete. Hier sollten Sklavenarbeiter untergebracht werden, vorrangig für den Bau einer Fabrik für künstlichen Kautschuk, die in Auschwitz von der IG-Farben errichtet wurde. Mit dem Auftrag, das bestehende Lager Auschwitz in Birkenau um eine Kapazität von zusätzlichen 100000 Personen zu erweitern, wollte Himmler im März 1941 die Verantwortlichen der IGFarben davon überzeugen, dass er die notwendige Anzahl an Zwangsarbeitern für die Errichtung des Werks und den Ausbau der Stadt bereitstellen könnte. Wen das Lager tatsächlich beherbergen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch streng geheim: Himmler wusste, dass der Angriff auf die Sowjetunion für Juni 1941 geplant war und rechnete mit einer großen Zahl russischer Kriegsgefangener. Die Pläne, die Ertl und Bischoff ausgearbeitet hatten, sahen unmenschlich enge Schlafstellen in drei Etagen von Stockbetten und nur eine Latrine pro 7000 Insaßen vor. Zu einem Ort des Holocaust entwickelte sich Auschwitz erst, als der Russlandfeldzug ins Stocken geriet. Himmlers Hoffnung auf tausende russischer Kriegsgefangener hatte sich zerschlagen. Zugleich war auf der Wannsee-Konferenz im Jänner 1942 die endgültige Entscheidung für den Holocaust gefallen. Damit war die Voraussetzung dafür geschaffen, aus der deportierten jüdischen Bevölkerung die nicht arbeitsfähigen Menschen zu selektieren, sie zu ermorden und die übrigen als Zwangsarbeiter mit demselben, nur aufgeschobenen Schicksal einzusetzen. Zu diesem Zweck wurden die schon 1941 geplanten Krematorien an einer anderen Stelle in Birkenau nahe den Bahngleisen und mit einigen Änderungen ausgeführt, die in den Archiven der Bauabteilung von Auschwitz dokumentiert sind. Ein Plan, unterzeichnet von Walter Dejaco im Dezember 1942, trägt die Bezeichnung "Verlegung des Kellerzugangs an die Straßenseite". Statt einer schmalen Treppe und einer Leichenrutsche ist nun nur noch eine breite Treppe eingezeichnet, die zu einem Vorraum führt, von dem Leichenkellern abzweigen. Bei jenem Keller, der als Gaskammer benutzt wurde, hat Dejaco die Aufgehrichtung der Türe verändert: Sie schlägt nun nach außen auf, damit sie nicht durch die Körper der Ermordeten blockiert wird. Die Opfer kamen über die Treppe, mussten sich im ersten Raum auskleiden und wurden dann im zweiten Raum mit Zyklon-B ermordet. Über einen Lift gelangten die Leichen zu den ein Niveau höher gelegenen Verbrennungsöfen. Dass diese Anlage alles andere als "optimal" war, wird in der revisionistischen Literatur oft als Beweis gegen die Existenz von Gaskammern angeführt. Der tatsächliche Grund dafür ist, dass es sich um eine Umplanung handelte. Die von Dejaco entworfenen Krematorien III und IV, die wenig später errichtet wurden, sind auf einer Ebene perfekt organisierte Werkzeuge des Massenmords. Ende 1943 wurden die Lager Kulmhof, Sobibor, Belzec und Treblinka, in denen zusammen rund 1,6 Millionen Juden ermordet worden waren, aufgegeben. Übrig blieb Auschwitz,
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das der Ermordung der verbliebenen jüdischen Gemeinden aus Polen, Italien, Frankreich, Ungarn und dem übrigen besetzten Europa dienen sollte. Im Mai und Juni 1944 überschritt die Zahl der Opfer die offizielle Kapazität der Krematorien von 132000 Leichen pro Monat. Walter Dejaco kehrte nach dem Krieg nach Tirol zurück und ließ sich erfolgreich als Architekt nieder. 1972 wurde er zusammen mit Fritz Ertl in Wien wegen Beihilfe zum Massenmord vor Gericht gestellt. Dejaco behauptete, erst nach der Planung der Krematorien von deren Funktion erfahren zu haben. Ertl, der mit dem Bau der Krematorien nie direkt zu tun hatte, gab an, dass er durch inneren Widerstand versucht hätte, die Fertigstellung der Anlagen zu verhindern, sobald ihm klar wurde, dass es sich nicht um Lager für Kriegsgefangene, sondern um ein Vernichtungslager handeln würde. Beide Angeklagten wurden mangels Beweisen freigesprochen, obwohl dem Gericht in Dejacos Fall die beschriebenen Pläne vorlagen. Die eingeholten Gutachter kamen zum Schluss, dass aus den Plänen der Zweck der Anlagen nicht ablesbar gewesen sei. Die politische Situation um 1972 wird zu dieser Lesart beigetragen haben. Wer heute im Internet nach Dejaco und Ertl sucht, stößt auf revisionitische Websites, auf denen die Freisprüche als Beweis gegen die Existenz von Gaskammern angeführt sind. Für den Historiker van Pelt steht Auschwitz auf eine perverse Art als Monument neben den Pyramiden und den großen gotischen Kathedralen: Schon immer hätte Architektur den Zweck gehabt, das zu dokumentieren, was eine Kultur für ihre zentralen Werte hielt. In Himmlers berüchtigter Rede vor SS-Führern in Posen vom 4.Oktober 1943 wird die Auslöschung des jüdischen Volks als das ungeschriebene Ruhmesblatt der deutschen Geschichte bezeichnet: Das Morden ausgehalten und dabei – „mit Ausnahme von Fällen menschlicher Schwäche“ - ihre Anständigkeit behalten zu haben, das sei die historische Leistung der SS. Dass im Österreich des Jahres 2000 der SS-Spruch "Unsere Ehre heißt Treue" wieder augenzwinkernd in den Sprachschatz von Politikern einer Regierungspartei aufgenommen werden kann, ist eine Entwicklung, die Angst macht. Um so wichtiger sind Signale eines anderen Österreich, zu denen auch jener Verein gehört, der sich in Gusen gebildet hat, um die Spuren des KZs in der Landschaft zu erhalten. Die Presse, 3.6.2000
BANK AUS STAHL, DACH AUS LUFT Gegen etablierte Standards setzten sie wieder einmal auf eine eigenwillige Maß-Lösung: Jabornegg und Pálffy schufen beim Umbau des SchoellerbankHauptsitzes im Zentrum Wiens eine Leichtigkeit, die nachdrücklich kulturtopographische Akzente setzt. Bauen und Zerstören gehören enger zusammen, als es manchen Architekten und Bauherren lieb ist. Man kann nicht bauen, ohne Bestehendes zu verändern, die Erde aufzureißen und den Horizont umzustellen. Gerade im historischen Stadtkern, wo in der Regel nichts anderes gewünscht ist als liebevolle Ergänzung, steht und fällt so manches Projekt mit der Frage, was abzureißen und was zu erhalten ist. Der Gebäudekomplex im Zentrum Wiens, in dem die SKWB-Schoellerbank ihren neuen Hauptsitz errichtet hat, ist ein solcher Fall. Er besteht aus einem Vorderhaus an der Renngasse und einem Hinterhaus, das an den Hof des Schottenstifts grenzt. Durch Einbauten war diese klare Anlage im Lauf der Zeit zu einem Labyrinth geworden, das den Bedürfnissen eines modernen Bankgebäudes nicht mehr entsprach. Eine Möglichkeit wäre der Abriss des gesamten Innenlebens unter Erhaltung der Fassaden gewesen, ein Verfahren, mit dem beispielsweise der Hochholzerhof auf der Tuchlauben, der Hauptsitz der BAWAG, zu Tode saniert wurde. Das andere Extrem wäre die technische Aufrüstung
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des Bestandes im Rahmen einer vorsichtigen Entkernung gewesen. Die Lösung, mit der die Architekten Jabornegg und Pálffy auf dieses Problem reagiert haben, besticht durch ihre klare Organisation. Der Bestand bleibt von den Fassaden weg bis zur Mittelmauer erhalten. In den erweiterten Zwischenraum wird ein rechteckiger, überdeckter Innenhof gesetzt, an dessen längeren Seiten die neuen Büroräume zu liegen kommen. Die zwei Schmalseiten dienen der Erschließung: Auf der einen Seite verbindet ein schmaler Gang die Büros der jeweiligen Etage, auf der anderen Seite ist Platz für zwei Lift- und Sanitärtürme und ein äußerst großzügiges, zweiläufiges Treppenhaus. Eine zusätzliche Glasdecke über dem Erdgeschoß erlaubt es, die Eingangshalle ohne akustische Störungen für Veranstaltungen zu nutzen. Mit wenigen Linien verbindet dieser Grundriss bestehende und neue Teile wie selbstverständlich zu einem Ganzen. Solche typologisch klaren, aber zugleich hochspezifischen Lösungen sind charakteristisch für die Arbeit von Jabornegg und Pálffy. Schon mit ihrem ersten größeren Bau, der Generali-Foundation in der Wiedner Hauptstraße, haben sie einen Raum für Kunstausstellungen geschaffen, in dem sich die Architektur nie in den Vordergrund spielt. Trotzdem hat der Besucher den Eindruck, Kunst an einem bestimmten Ort gesehen zu haben und nicht in einer weißen Schachtel. Der Erfolg der Generali-Foundation, die sich in den letzten Jahren zu einer der aktivsten Kunstinstitutionen Wiens entwickelt hat, verhalf Jabornegg und Pálffy zum Auftrag für die Ausstellungsarchitektur der Documenta X in Kassel. Sie entwickelten ein Konzept, das statt vieler kleiner Raumnischen großzügige Raumsequenzen vorsah. Die geforderte Klimatisierung der Räume erreichten sie mit einfachsten Mitteln: Fensterdichtungen wurden entfernt, die Ausstellungswände so ausgeführt, dass sie für die nötige Luftzirkulation sorgten, und die bestehende Fußbodenheizung vorübergehend nicht durch einen Heizkessel, sondern durch den kalten Brauchwasserstrang geführt. In der Schoellerbank wird der Hof zur Wärmerückgewinnung genutzt, wodurch die notwendige Heizleistung für die neuen Büroflächen praktisch auf Null reduziert werden konnte. Intelligentere Lösungen gegen etablierte Standards durchzusetzen ist freilich ein mühsames Unterfangen. In der Schoellerbank haben die Architekten zusammen mit ihrem Tragwerksplaner, Karlheinz Wagner, eine Konstruktion gewählt, die sich angesichts des engen Bauplatzes angeboten hat. Nur Liftkerne und Feuermauern sind aus Stahlbeton, Decken und Treppen dagegen aus Stahl konstruiert. Weil Stahl bei höheren Temperaturen seine Tragfähigkeit verliert, wird er üblicherweise mit brandhemmenden Materialien ummantelt. Die zweiläufige Stahltreppe der Schoellerbank - das einzige Fluchttreppenhaus im Gebäude - kommt ohne solche Maßnahmen aus: In einer Computersimulation konnte nachgewiesen werden, dass bei einem Brand des übrigen Hauses die Temperatur der Stahlträger 90 Minuten lang nicht über den geforderten Grenzwerten liegen würde.
Fotos: Werner Kaligofsky
Durch das Offenlegen von Konstruktion und Material überträgt sich die Präzision des Stahlbaus auf den Raum. Neben Sichtbeton, Edelstahl und Glas finden sich in den Büroräumen Akustikplatten aus Ahorn. In der Glasdecke über der Eingangshalle
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kommen spezielle, mit Flüssigkristallen versehene Gläser zum Einsatz, die von einem matten auf einen transparenten Zustand umgeschaltet werden können. Die visuelle Höhe des Raumes lässt sich damit zwischen fünf und 20 Metern regulieren. Bankschalter wird man in der Halle übrigens vergeblich suchen: Für die normalen Schaltergeschäfte, die in Zukunft großteils elektronisch abgewickelt werden, gibt es gerade noch einen kleinen Raum neben dem Eingang. In der Halle finden sich nur ein Empfangspult und einige Schiebewände für Veranstaltungen. Eine technische Sonderleistung ist die Überdachung des Innenhofs. Statt Glas kommen hier pneumatische Kissen aus durchsichtigen Kunststofffolien zum Einsatz, die im Prinzip wie Luftmatratzen funktionieren. Weil die Folie im Vergleich zu Glas leicht und gegen Verformungen unempfindlich ist, kann auch die Unterkonstruktion wesentlich zarter ausfallen. Die luftgefüllten Kissen werden durch Bögen aus Stahlprofilen in Form gehalten, die bei asymmetrischer Belastung durch Wind oder Schnee die entstehenden Kräfte über zarte Verbindungsglieder auf fünf horizontal liegende Seile von nur zwei Zentimeter Dicke übertragen, die mit je 18 Tonnen Zug vorgespannt sind. Jabornegg und Pálffy sind die wichtigsten unsichtbaren Architekten Wiens: Weder die Schoellerbank noch die Generali-Foundation, noch der Umbau des MisrachiHauses am Judenplatz mit dem Zugang zu den Ausgrabungen unter dem HolocaustMahnmal, noch die großteils unterirdische Erweiterung des Künstlerhauses, die sie in den nächsten Jahren realisieren werden, hat eine Außenfassade. In der kulturellen Topographie der Stadt werden sie trotzdem deutliche Spuren hinterlassen. Die Presse, 29.4.2000
ARCHITEKTUR MACHT SCHULE Lifestyle oder Philosophie? Dekoration oder Moral? Mit Architektur assoziieren Laien entschieden andere Begriffe als Fachleute. Architekturunterricht als fächerübergreifendes Thema, das bewusste Raumwahrnehmung vermittelt, könnte diesen kategorialen Differenzen abhelfen. Eine erste Bilanz heimischer Initiativen. Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Fachwerkhaus und einem Fachwerkträger? Wissen Sie, was man unter einer Gaube, unter einer Maisonette oder unter Sichtbeton versteht? Können Sie die Namen von mindestens drei lebenden Architekten nennen? Falls Sie diese Fragen nicht beantworten können - und nicht zufälligerweise selbst Architekt sind -, sind Sie zumindest keine Ausnahme. Bei einer Studie, die an der Universität Münster durchgeführt wurde, konnten ganze zwei Prozent der Befragten drei lebende Architekten nennen, Fachbegriffe wie die oben angeführten waren nur etwa einem Fünftel bekannt. Befragt wurde dabei kein Querschnitt aus der Gesamtbevölkerung, sondern Studierende verschiedener Fachrichtungen, also durchwegs Personen mit Gymnasialabschluss. Die Studie beschränkte sich allerdings nicht darauf, den Wissensstand von Laien abzufragen: Ihr eigentlicher Gegenstand war die Kommunikation zwischen Experten und Laien. Daher wurde auch erfragt, wie Architekten ihrerseits die Verbreitung des Wissens über Architektur einschätzten, und dabei zeigte sich, dass Architekten das Laienwissen in den meisten Bereichen krass überschätzten: Die Antwort auf die Frage nach den drei lebenden Architekten trauten sie immerhin 20 Prozent der Befragten zu, und bei den Fachbegriffen schätzten sie auf 60 Prozent.
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Erschwerend für das Gespräch zwischen Experten und Laien kommt dazu, dass Architekten Gebäude meistens in anderen Kategorien betrachten als ihre Nutzer. Die Psychologen ließen die beiden Gruppen Beispiele nach frei wählbaren Kategorien ordnen. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Während Laien etwa ein rotes Holzhaus und ein rotes Ziegelhaus in die Kategorie "rote Häuser" zusammenfassen, teilen die Experten nach abstrakteren, visuell weniger deutlichen Kategorien der Konstruktion und des Materials. Generell haben Laien kaum einen Zugang zu einer Kategorie, die für Architekten bereits in der Ausbildung zentrale Bedeutung hat, zur Kategorie des Konzeptionellen, mit der die verschiedenen, oft einander widersprechenden Aspekte einer Bauaufgabe geordnet werden sollen. Für Laien steht das Konkrete, Sichtbare und Benutzbare im Vordergrund, während Architekten in komplexeren Zusammenhängen denken. Komplex heißt dabei nicht unbedingt besser: Es gibt richtige und falsche, sinnvolle und unsinnige Konzepte. Der springende Punkt ist, dass die meisten Laien für eine Diskussion auf der konzeptionellen Ebene kein Verständnis haben, schon gar nicht, wenn andere, handgreiflichere Kategorien durch eine konzeptionelle Überlegung in den Hintergrund treten müssten. Als zusätzliches Problem erweist sich, dass sich viele architektonische Begriffe mit Alltagsbegriffen decken, ohne dass dasselbe gemeint wäre. Die Kommunikation unter Architekten erfolgt oft jenseits der begrifflichen Ebene über die Referenz auf Beispiele, Richtungen oder einzelne Persönlichkeiten. Es ist für Architekten - so die Autoren der Studie - kaum vorstellbar, wie man als Laie mit Architektur umgehen kann, ohne wenigstens einige dieser herausragenden Referenzpunkte zu kennen. Schließlich zeigte die Studie auch eine gravierende Diskrepanz auf der prinzipiellen Ebene. Auf die Bitte, den Begriff Architektur mit anderen zur Auswahl stehenden Begriffen zu assoziieren, sahen die Laien signifikant stärkere Zusammenhänge zu Begriffen wie Lifestyle, Mode, Dekoration und Luxus, während die Architekten Begriffe wie Moral, Gesundheit, Aktivität und Berührung, Technik, Philosophie und Natur öfter nannten als die Laien. Der oft beklagte Mangel an "guten Bauherren" dürfte zu einem guten Teil auf derartige kategoriale Differenzen zurückzuführen sein. Mit der Aufforderung an die Architekten, sich doch besser zu erklären und bei der Vermittlung ihrer Absichten die Perspektive von Laien zu berücksichtigen, wird es aber allein nicht getan sein. Architektur gehört als Thema in den Schulunterricht, am besten bereits in die Grundschule - und natürlich nicht nur, um Architekten bessere Voraussetzungen für ihre Arbeit zu bieten. "Ein intaktes Raumbewusstsein ist Teil des Rüstzeugs zu einer mündigen Existenz", beschreibt Walter M. Chramosta den umfassenderen pädagogischen Rahmen einer Architekturerziehung in der Schule. In Österreich gibt es bereits seit mehreren Jahren Ansätze, das Thema Architektur verstärkt in den Unterricht einzubeziehen, die vom Österreichischen Kulturservice, einer Initiative des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, gefördert werden. Eine wichtige Vorbildwirkung hat der Arbeitskreis Architektur und Schule der Salzburger Architektenkammer, in dem an Ausbildungskonzepten für verschiedene Schultypen experimentiert wurde. Seit zwei Jahren kooperiert der ÖKS mit der Architekturstiftung Österreich, einer Institution, die von österreichischen Architekturhäusern und Initiativen als gemeinsame Plattform gegründet wurde. Seit 1998 läuft in ganz Österreich das seit neuestem auch von der Architektenkammer geförderte Pilotprojekt "RaumGestalten", in dessen Rahmen Architekten zusammen mit Lehrern ein Semester lang den Unterricht
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mitgestalten. Die Architekturstiftung betreut die geförderten Projekte und übernimmt die Dokumentation. In den nächsten Jahren sollen die Erfahrungen in Workshops an interessierte Lehrer und Architekten weitergegeben werden. Die bisherigen Ergebnisse sind viel versprechend. Bemerkenswert ist vor allem, dass einige Projekte über den engeren Rahmen des Fachs "Bildnerische Erziehung" hinausgehen und die besondere Chance nutzen, an einem Querschnittsthema wie Architektur Projektunterricht zu betreiben. Kombinationen mit Fächern wie Deutsch und Psychologie geben die Möglichkeit, sich einerseits mit der eigenen Wahrnehmung von Architektur auseinanderzusetzen, andererseits erlauben sie, Ansprüche an die Architektur zu reflektieren und sprachlich auszudrücken. Gerade der beschleunigte Bilderwechsel der neuen Medien macht eine solche kritische Auseinandersetzung mit dem Raum als Grundlage jeder visuellen Kultur wichtiger als je zuvor. Architekturunterricht wird so zu einer Schule des Sehens, die hinter der oberflächlichen Wahrnehmung zusätzliche Wirklichkeitsschichten vermittelt. Das eigenständige architektonische Gestalten - das im österreichischen Fach "Bildnerische Erziehung" tendenziell stärker im Vordergrund steht als in der bundesdeutschen "Kunsterziehung" - kann im Unterricht nur ansatzweise gelingen und wird immer nur eine kleine Zahl begabter Schüler ansprechen können. Eine Gefahr, von der die Studie der Universität Münster spricht, dass nämlich die Schüler eine heile Welt der Gestaltungsfreiheit vorgegaukelt bekommen könnten, stellt sich in der Praxis nicht, wenn tatsächlich an eine Umsetzung kleiner Veränderungen gedacht wird. Dass dann die Reflexe der Ablehnung genauso greifen wie sonst auch überall, ist für die Schüler ebenso lehrreich wie vielleicht frustrierend - etwa bei jenem Salzburger Beispiel des Gymnasiums Zaunergasse, wo eine von den Schülern mit Unterstützung des Architekten Thomas Forsthuber und des Lehrers Klaus Fleischhacker geplante Adaption der Aula am Widerstand des Lehrerkollegiums scheiterte. Ein anderes Schülerprojekt, das Forsthuber mit der Architektin Maria Flöckner und dem Lehrer Wolfgang Richter unter dem Titel "Swinging Liefering" am Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare in Salzburg betreut hat, eine Laube im Schulgarten, scheiterte an der Finanzierung und an der Skepsis der Lehrer. Bis sich die Schule so weit als Ort des Experiments versteht, dass solche "außerplanmäßigen" Veränderungen nicht nur geduldet, sondern begrüßt werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Derartige Projekte werden immer die Ausnahme bleiben. In den allgemeinen Unterricht sollte Architektur als aktive Raumerfahrung und Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswirklichkeit Eingang finden, als fächerübergreifendes Thema, an dem sich konzeptionell-gestalterisches Denken ebenso vermitteln lässt wie das Verstehen ökonomischer Abläufe und letztlich der Umgang mit Fragen der Macht. Ob die bisherigen Pilotprojekte ausreichen werden, um im Unterrichtsministerium eine größere Öffnung für dieses Thema zu bewirken, bleibt abzuwarten. Die Presse, 1.4.2000
VERWERTUNGSLOGIK UND INSPIRATION Auratisches Objekt oder schlicht veredelte Infrastruktur? Seit man die Künste in schöne und nützliche einteilt, führt die Architektur ein seltsames Zwitterdasein. Extreme Positionen beziehen in dieser Frage Sir Norman Foster und Daniel Libeskind. Zwei Markenartikel im Vergleichstest. Seit man die Künste in schöne und nützliche einteilt, führt die Architektur ein seltsames Zwitterdasein. Zwar ist sie durch den Zwang zur Nützlichkeit belastet, zugleich jedoch dadurch ausgezeichnet, dass, im Gegensatz zu den anderen schönen Künsten, niemand ohne sie auskommen kann. Adolf Loos hat mit seiner Feststellung, dass außer dem Denkmal und dem Grabmal kein Bauwerk zur Kunst gezählt werden dürfe, die Demarkationslinie zwischen Kunst und Architektur zu bestimmen versucht. Das ist lange her. Kein Künstler kümmert sich heute mehr um Grenzen dieser Art, außer um sie zu verwischen. Trotzdem - die Spannung zwischen Schönheit und Nützlichkeit verfolgt die Architektur noch immer. Während andere Kunstformen die Nützlichkeit für ihre Zwecke umformen können - wie etwa jene
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österreichischen Beiträge bei der letzten Kunstbiennale in Venedig, die sich als Sozialprojekte ausgaben -, hat die Architektur nach wie vor keine andere Wahl, als nützlich zu sein. Liegt ihre aktuelle Bestimmung vielleicht darin, das Nützliche zur Kunst zu erheben? Kürzlich konnte man in Wien an zwei aufeinander folgenden Abenden die Vorträge zweier Architekten hören, die extreme Positionen zu dieser Frage markieren. Beide zählen zu den renommiertesten Figuren der internationalen Architekturszene: Sir Norman Foster, der nach Wien gekommen war, um einem Immobilienprojekt am Landstraßer Gürtel ein wenig Glanz zu verleihen, sprach im Rathaus vor angeblich 2000 geladenen Gästen. Daniel Libeskind hielt seinen Vortrag vor 600 zahlenden Hörern im Museum für angewandte Kunst, das einige Zeichnungen des Architekten besitzt und kürzlich Modelle für Libeskinds jüdisches Museum in Berlin in seine Schausammlung aufgenommen hat. "Is it infrastructure or is it architecture?" war die rhetorische Frage, die Norman Forster mehrmals in seinem Vortrag stellte, als hinter ihm Bilder des StanstedFlughafens, des Funkturms in Barcelona oder der U-Bahn von Bilbao erschienen. Der Unterschied hätte sich erledigt, ist Fosters implizite Antwort, mit der er die klassische Theorie des Schönen auf den Kopf stellt. Sein Leitmotiv, die Veredelung der Infrastruktur, muss vor dem Hintergrund eines "Angriffs auf die Welt der akademischen Architektur" gesehen werden, den er - wie Martin Pawley im jüngst erschienenen Werkbuch mit dem Titel "Norman Foster - A Global Architecture" schreibt - seit den sechziger Jahren unternimmt. Es handelt sich, so Pawley, um eine selbstbewusst "unkreative Architektur", die das Nützliche so lange zur Perfektion treibt, bis es jede spezifische künstlerische Äußerung überstrahlt. Diese Architektur ohne Ideen lässt sich nur scheinbar leicht imitieren: Qualitätsmaßstab ist die Konsequenz der Umsetzung, und darin ist Foster seiner Konkurrenz immer um Jahre voraus. Im Vortrag hört man viel über den Einfluss Richard Buckminster Fullers, eines der schärfsten Kritiker des architektonischen Establishments. Dessen Rolle eines Weltingenieurs versucht Foster heute weiterzuspielen, freilich längst aus dem innersten Zirkel der Disziplin heraus. Andere, weniger technologiegläubige Repräsentanten der Anti-Architektur vergisst er zu erwähnen: Cedric Price etwa oder Walter Segal, der in den fünfziger Jahren Hochhäuser mit hängenden Gärten entwarf, aber sich schließlich darauf beschränkte, für seine Kunden Selbstbau-Häuser zu entwickeln, die billig aus den Halbfertigprodukten der Bauindustrie gezimmert werden konnten. Fosters erster großer Coup als Angriff auf die akademische Architektur ist das Sainsbury Center for the Visual Arts in Norwich, ein aluminiumverkleideter "Flugzeughangar", der sich im Vergleich zum expressiven Kraftakt des Centre Pompidou in Paris auf eine glänzende, tragende und versorgende Hülle beschränkt. Die globale Ästhetik perfekter Nützlichkeit eroberte sich hier die letzte Bastion der "schönen Baukunst", den Museumsbau. Der Erfolg scheint Foster Recht zu geben. Foster Associates beschäftigt knapp 500 Mitarbeiter und hat in den letzten vierzig Jahren über tausend Projekte bearbeitet. Der so erworbene Markenname ist denn auch der eigentliche Grund für Fosters Besuch in Wien. Für die Aspanggründe, ein Areal am Landstraßer Gürtel, haben Foster Associates im Auftrag einer Investorengruppe im vergangenen Jahr eine Studie vorgelegt - zur Überraschung der Wiener Stadtplanung und des Bezirks, die nichts davon wussten, dass hier abseits der Stadtentwicklungsachsen und der Brennpunkte des öffentlichen Verkehrs ein neues Zentrum mit Hochhäusern um einen künstlichen Teich herum entstehen soll.
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Städtebaulich ist das Projekt mehr als fragwürdig: Vielleicht hätte man in Linz nachfragen sollen, wo Roland Rainers Konzept für die Solar City Pichling nicht zuletzt unter Fosters Einfluss zu einem seichten Allerweltsprojekt geworden ist. Aber hier wie dort geht es nicht um Qualität, sondern um die Erfüllung einer Verwertungslogik, in Wien konkret um die Kompensation von Spätfolgen des verunglückten Expo-Projekts. Auf dem Grundstück am Gürtel sollte ursprünglich die Maschinenbaufakultät der TU-Wien entstehen. Ein Wettbewerb war entschieden und die Planung bereits weit fortgeschritten, als man sich - gegen die Interesse der zukünftigen Nutzer - entschloss, das Projekt und die damit verbundene Investition in die Donau-City umzulenken. Dass die Bundesimmobiliengesellschaft die Kosten für diese aufwendige Rochade wieder einbringen muss, ist klar, und so tritt sie jetzt zusammen mit der Donau-City-Entwicklungsgesellschaft WED, der Bank Austria und den ÖBB als Betreiber eines Projekts auf, das zumindest den Buchwert der Aspanggründe etwas freundlicher aussehen lassen soll. Foster wird seine Studie jetzt zum Vorprojekt ausarbeiten: Städtebau, wie er heute überall auf der Welt als Liegenschaftsverwertung betrieben wird, freilich mit dem nicht unbedeutenden Unterschied, dass die Investoren in Wien großteils aus dem öffentlichen Sektor kommen und daher die Renditen nicht das primäre Ziel sein müssten. Daniel Libeskind könnte sich im Schlusssatz seines Vortrags auf diesen Fall bezogen haben: Der Boden der Stadt sei heute tatsächlich nichts anderes mehr als eine der Verwertungslogik der Investoren ausgelieferte Ansammlung von Liegenschaften. Die Fundamente seiner Architektur befänden sich freilich immer "einen Zentimeter über oder unter dieser Ebene". Noch vor ein paar Jahren hätten Großarchitekten wie Foster über solche esoterischen Sprüche eines Architekturprofessors, dessen Werk nur aus Zeichnungen und Modellen besteht, milde lächeln können. 1989 gewann Libeskind jedoch den Wettbewerb für das jüdische Museum in Berlin. Mit diesem Projekt konnte er beweisen, dass seine Visionen realisierbar sind und dass er fähig ist, sie auch unter komplexesten Bedingungen umzusetzen: Das jüdische Museum hat ein halbes Dutzend Kultursenatoren und Museumsdirektoren und immer neue inhaltliche Konzepte erlebt, ohne an Qualität zu verlieren. Trotzdem blieben die Baukosten um 15 Prozent unter dem veranschlagten Budget. Heute ist Libeskind verantwortlich für eine ganze Reihe großer Kulturbauten, unter anderem für das Musicon in Bremen, das Imperial War Museum in Manchester und den Erweiterungsbau für das Victoria & Albert Museum in London.
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Libeskind vertritt in jeder Hinsicht die Antithese zu den Produkten von Foster Associates: Er predigt Architektur als spezifisches Kunstwerk, als auratisches, bedeutungsvolles Objekt, das die Geschichte eines Orts vermittelt und zugleich eine eigene erzählt. Beim Imperial War Museum in Manchester ist diese Geschichte simpel und plakativ: Eine zerbrochene Weltkugel, deren Scherben zu einer Großskulptur aufgehäuft sind. Im Inneren realisiert Libeskind ein Museumskonzept, das vor allem von projizierten Bildern getragen wird und militärisches Gerät nur sehr sparsam einsetzt. Die Dynamik neuer Medien in den architektonischen Raum zu integrieren ist seit Le Corbusiers Philips-Pavillon bei der Brüsseler Weltausstellung Ende der fünfziger Jahre kaum in dieser Konsequenz versucht worden. Noch spektakulärer ist Libeskinds Entwurf für den Zubau zum Victoria & Albert Museum in London. Ein mit Keramikplatten verkleidetes, spiralförmig geknicktes Band windet sich zwischen denkmalgeschützten Altbauten in die Höhe und kragt weit über die Dächer des Bestands aus. Trotz dieser abstrakten Grundidee ist die innere Logik des Gebäudes bestechend: Die Erschließung ist selbstverständlich und klug geführt, die Räume sind geeignet, konventionelle Objekte zu präsentieren, wenn sie auch mehr auf eine Kunst neugierig machen, die erst im Entstehen begriffen ist. Dass es Libeskind gelungen ist, die konservativen Kräfte in London von seinem Projekt zu überzeugen, ist eine besondere Leistung. Ausschlaggebend dafür war, dass Libeskind sich nicht auf die arrogante Position einer überlegenen Moderne zurückgezogen hat, sondern sein Projekt als "Verbindung von Inspiration und Wissen in der Tradition der großen viktorianischen Denker" darzustellen verstand. Die Eröffnung des Zubaus ist für 2003 geplant. "The Spiral" - so der offizielle Name des Erweiterungsbaus - hat das Potential, zum ersten Gebäude des 21. Jahrhunderts werden. Schade, dass es in London stehen wird, denkt man sich, nach dem Vortrag am Ronacher vorbeigehend, wo Coop Himmelb(l)au vor 13 Jahren knapp daran waren, das Millennium vorzufeiern. Die Presse, 19.2.2000
WEICHEN, HÖRT DIE SIGNALE! 8,2 Milliarden Schilling investieren die ÖBB in die Modernisierung ihrer Bahnhöfe. Die Bahnhofsoffensive zeitigte bisher ein gestalterisch durchwegs hohes Niveau - eine dubiose Vergabepraxis lässt jedoch für die anstehenden Wettbewerbe wenig Erfreuliches erwarten. Helmut Draxler, Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen, ist ein erklärter Architekturliebhaber. Das kleine Haus in den Alpen, das er sich von Johannes Spalt entwerfen ließ, findet sich auf dem Titelblatt des Katalogs zur Ausstellung über österreichische Architektur des 20. Jahrhunderts, die 1995 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen war. Als Generaldirektor der ÖBB hat Draxler sich von Anfang an dazu bekannt, den Ausbau der Bahn nicht nur
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als verkehrstechnische, sondern auch als architektonische Aufgabe wahrnehmen zu wollen. Von dem 140 Milliarden Schilling (10,17 Milliarden Euro) umfassenden Investitionspaket für die "Neue Bahn" werden in den nächsten fünf Jahren 8,2 Milliarden in die bauliche Modernisierung der 43 meistfrequentierten Bahnhöfe Österreichs fließen. Die ÖBB sind damit einer der wichtigsten Bauherren des Landes, wobei nicht die Investitionssumme allein ausschlaggebend ist: Wegen der zentralen Lage der meisten Bahnhöfe geht es auch um folgenschwere stadtgestalterische Entscheidungen. Bereits unter Draxlers Vorgänger, Heinrich Übleis, hatten die ÖBB eine Initiative zur "Bahnhofsverbesserung" begonnen. Die Architekten Zechner und Zechner entwickelten ein Handbuch für die Gestaltung von Perrondächern, Passagen und anderen Teilbereichen. Zur "Bahnhofsoffensive" umgetauft, bekam diese Aktion eine neue Gewichtung, als die ÖBB - wie viele andere europäische Bahnlinien - den Wert ihrer Liegenschaften auf dem Immobilienmarkt erkannten: Auf den meisten Bahnhöfen entstanden beachtliche Baulandreserven, als der Güterverkehr in neue Verschubbahnhöfe an der Peripherie verlagert wurde. Ursprünglich verfolgten die ÖBB daher die Strategie, den Ausbau der Bahnhöfe großteils über Immobiliengeschäfte zu finanzieren. Das Zauberwort für derartige Projekte hieß in den neunziger Jahren "Public Privat Partnership", also die Verbindung öffentlicher und privatwirtschaftlicher Interessen zum beiderseitigen Vorteil. Das klingt zwar durchaus vernünftig, macht die Planung jedoch nicht einfacher: Für Investoren ist der ideale Bahnhof ein Büro- und Geschäftszentrum mit Gleisanschluss, bei dem das Umsteigen von einem Verkehrsmittel zum anderen durch die Geschäftspassage führt. Für den Anbieter von Verkehrsdienstleistungen sind dagegen kurze Wege und die Signifikanz des Abfertigungsgebäudes entscheidend. Die Architekturwettbewerbe im Rahmen der Bahnhofsoffensive waren daher von einem Zielkonflikt geprägt: Wie lässt sich die Maximierung vermietbarer Flächen mit der Optimierung von Verkehrsströmen und dem Charakter des Bahnhofs als signifikanter Ort öffentlichen Lebens in Einklang bringen? Als zusätzliches Problem erwies sich, dass eine Maximierung von Flächen allein nicht die erhoffte Finanzierung sichert. Was sich tatsächlich vermieten lässt, hängt vom Immobilienmarkt ab. Als sich die hohen Erwartungen der in dieser Branche unerfahrenen ÖBB als unrealistisch erwiesen, mussten für mehrere Standorte neue Planungen durchgeführt werden. In einigen Fällen - wie etwa beim Bahnhof Innsbruck - folgte auf einen bereits entschiedenen Wettbewerb ein Gutachterverfahren unter neuen Bedingungen. Insgesamt scheint der Versuch, den Bahnhofsausbau primär als groß angelegtes Immobilienprojekt zu betreiben, die Bahnhofsoffensive um mehrere Jahre zurückgeworfen zu haben. In qualitativer Hinsicht war das nicht unbedingt ein Nachteil: Die neue Doktrin der ÖBB, sich vornehmlich auf das Abfertigungsgebäude und auf die möglichst enge Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel zu konzentrieren, hat jedenfalls mehr architektonisches Potential als das "Geschäftszentrum mit Gleisanschluss". Zur Umsetzung dieser Doktrin haben die ÖBB vor wenigen Monaten Norbert Steiner, zuvor für das Land Niederösterreich verantwortlicher Bauherrenvertreter beim Bau der neuen Landeshauptstadt in St. Pölten, zum Leiter der Bahnhofsoffensive bestellt. Steiner wird in dieser Funktion eine Reihe viel versprechender Projekte zu betreuen haben. Der Salzburger Hauptbahnhof, der gerade einen übersichtlich und ruhig gestalteten Vorplatz erhalten hat, wird bis 2004 nach einem Entwurf von Klaus Kada umgebaut. Er erhält neue Bahnsteige für den Nahverkehr und eine Passage mit Geschäften und Reise-Kundenzentrum auf dem Niveau des Südtiroler Platzes, die von der Bahnhofstraße bis zur Lastenstraße reichen wird. Unter einer geschwungenen Glaskonstruktion, die an den Altbau anschließt, entsteht so eine großzügige Bahnhofshalle. Ob sich das Projekt in dieser Form umsetzen lässt, hängt von einer Entscheidung des Denkmalamts ab: Um Platz für die neuen Bahnsteige zu schaffen, muss das auf dem jetzigen breiten Mittelbahnsteig stehende Restaurant abgerissen werden. Der
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denkmalgeschützte Marmorsaal und das Kaiserzimmer sollen in einen anderen Teil des Altbaus übersiedelt werden. In Innsbruck entsteht bis zum Jahr 2003 ein komplett neuer Bahnhof nach Plänen der Grazer Architekten Riegler und Riewe. Wie in Salzburg wird auch hier die Hauptebene der neuen Halle unter dem Gleisniveau liegen, um eine direkte Anbindung zu den angrenzenden Tiefgaragen zu ermöglichen. Riegler und Riewe haben einen ruhigen Baukörper mit einer 18 Meter breiten und 75 Meter langen Halle entworfen, ein städtebaulich klares und einprägsames Projekt, das stark von der Qualität des Lichts in der großen Halle leben wird. Insgesamt zeigen die bisherigen Projekte der Bahnhofsoffensive ein erfreulich hohes Niveau, wobei Architekten verschiedener Generationen und Architektursprachen zum Zug kommen: neben Klaus Kada und Riegler/Riewe - die jeweils mit einem weiteren Projekt, nämlich den Bahnhöfen in Klagenfurt beziehungsweise Bruck an der Mur beauftragt sind - planen unter anderem Henke und Schreieck in Baden bei Wien, Zechner und Zechner in Graz und Feldkirch, Hermann Czech in WienHütteldorf, Luger und Maul in Wels und NFOG in Leoben. Als jüngstes Projekt wurde im Jänner die Entscheidung über den Bahnhof Linz vorgestellt: Wilhelm Holzbauer soll das neue Abfertigungsgebäude planen. Etwas in den Hintergrund trat dabei, dass Holzbauer beim Wettbewerb 1997 nur den vierten Platz gemacht hatte. Das siegreiche Büro Neumann und Steiner hatte das Projekt seither weiterentwickelt, einen Vorentwurf ausgearbeitet und im Juli des Vorjahres den Auftrag für die weiteren Architektenleistungen erhalten. Bereits im März war der Entwurf vom Linzer Gestaltungsbeirat bewilligt worden. Die Umsetzung drohte jedoch an den hohen Baukosten zu scheitern, die sich vor allem aus der in der Wettbewerbsausschreibung geforderten Erhaltung der bestehenden Bahnhofshalle ergaben. Da erwies es sich als günstig, dass der Denkmalschutz für das alte Gebäude im November 1999 aufgehoben wurde. Für die ÖBB kam das nicht überraschend, hatte sie doch nach ihrer Privatisierung den ex lege für Bundesbauten bestehenden Denkmalschutz in jedem Einzelfall durch das Denkmalamt überprüfen lassen. Neumann und Steiner wurden über dieses Faktum, das wesentliche Einsparungen und organisatorische Verbesserungen für den Neubau ermöglicht, von den ÖBB erst informiert, als der Bescheid schon auf dem Tisch lag - gleichzeitig mit der Nachricht, dass Wilhelm Holzbauer mit einem neuen Vorentwurf beauftragt würde. Immerhin dürften sie noch innerhalb von vier Wochen eine Überarbeitung ihres Projekts vorlegen. Die Entscheidung würde vom Generaldirektor getroffen werden, beraten von einem Gestaltungsbeirat der ÖBB, dem Johannes Spalt, Klaus Kada und Hermann Czech angehören. Die Wahl fiel auf Holzbauers Projekt, eine Abfolge von Tonnendächern, die zum Bahnhofsplatz hin schräg angeschnitten sind. Der Entwurf macht kaum den Eindruck, als hätte sich der Architekt einem Qualitätswettbewerb stellen wollen. Formal erinnert er in der Hauptansicht an Norman Fosters neuen Flughafen in Hongkong, ohne dessen Qualität auch nur annähernd zu erreichen. Sind dort alle Tonnenschalen über die gesamte Länge des Bauwerks leicht variiert, bleibt es hier bei einer plumpen Aneinanderreihung von Elementen. Auch städtebaulich kann man der beabsichtigten Herauslösung des Bahnhofsgebäudes aus der Gesamtfigur - sie stammt noch aus dem ursprünglichen Bebauungsplan von Neumann und Steiner - nicht viel abgewinnen. Was immer die Entscheidung der ÖBB bestimmt hat - von diesem Verfahren und seinem Ergebnis geht ein falsches Signal aus. Bei den noch heuer anstehenden Wettbewerben für den Wiener Westbahnhof und den Praterstern wird sich zeigen, ob die ÖBB auch bei den großen Projekten in Wien die Weichen für gut vorbereitete und transparente Verfahren zu stellen imstande sind. Ob sie dafür in der Gemeinde Wien den geeigneten Partner finden, sei dahingestellt. Für den Bereich des Westbahnhofs gibt es bereits eine vielpublizierte städtebauliche Vorstudie im Auftrag der Gemeinde. Einer der Autoren: Wilhelm Holzbauer.
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Die Presse, 24.12.1999
AVANTGARDE MIT BODENHAFTUNG Themen wie Ökologie und Soziales galten in der Architekturdiskussion bis vor kurzem als verstaubt – für die Avantgarde eine Gelegenheit, sich gerade dort neu zu positionieren: William Alsop versucht das mit einer Neuinterpretation der Community Architecture. An der Oberfläche ist alles in bester Ordnung: Architektur hat sich in den letzten Jahren zu einem florierenden Teil der Kulturindustrie entwickelt. Ausstellungen, Symposien und Vorträge zum Thema sind allein in Wien unüberschaubar geworden. Neben dem „Architektur Zentrum Wien“ bemühen sich auch das Künstlerhaus und seit neuestem die Albertina verstärkt um Architekturschwerpunkte. Weil Architekten sich in diesem Umfeld – entsprechend der Ökonomie der Aufmerksamkeit – heute grundsätzlich als Stars positionieren müssen, ist ein diversifizierter Publikationsmarkt entstanden, indem selbst schmale Œuvres, theoretisch unterfüttert und glänzend präsentiert, ihren Platz finden. Architekturtheorie hat sich als schillernde Subdisziplin mit enormem publizistischem Output etabliert, was beim Publikum zu beachtlichem Stress führt: Zwar lesen Architekten laut Angabe der Verlage nur ungern, aber selbst das Durchblättern des Jahresoutputs an bedrucktem Papier und die Aneignung der wichtigsten Schlagworte ist heute nicht mehr zu leisten. Das freut wiederum den Kritiker, kann er sich doch in den beschleunigten Richtungskämpfen innerhalb er Disziplin als Orientierungsgehilfe wichtig machen. Das geschilderte System genügt sich selbst. Ins Extrem getrieben, könnte es auf real gebaute Architektur mit all ihren ökonomischen Beschränkungen, kunstfeindlichen Bauordnungen und ewig nörgelnden Nutzern getrost verzichten. Die oft beschworene Trennlinie zwischen Architektur und Bauen wäre damit neu gezogen. Architektur wäre eine abgehobene Disziplin, die gelegentlich als Nebenprodukt bauliche Manifestationen hervorbrächte, während das Bauwesen sich um die massenhafte Bereitstellung klimatisierter Infrastruktur zu kümmern hätte. Der Großteil jener Bauten, an die heute ein architektonischer Anspruch gestellt wird, hat in diesem Szenario denselben kulturellen Stellenwert wie eine Autobahn oder das Kanalsystem. Für sentimentale Geister mag das nach Untergang des Abendlandes klingen. Aber welche Nachteile hätte die Abschaffung der Architektur aus dem Bauen tatsächlich? Technische Herausforderungen, die einer grundlegenden architektonischen Bearbeitung bedürfen, sind kaum mehr zu erwarten. Das Hightech-Design hat sich längst zu einer manieristischen Verfeinerung bekannter Figuren entwickelt, die man den Ingenieuren überlassen kann. Und im formalen Bereich? Innovation findet hier bestenfalls in einigen avancierten Gebieten der Geometrie statt, deren konstruktive Alltagstauglichkeit mehr als bescheiden ist. Ansonsten sind die Archive gefüllt mit Musterbüchern für jeden Anlass, deren Variation keine Herausforderung mehr darstellt. Bevor man die Architektur endgültig in einer erhöhten Nische am Rande der Bauindustrie deponiert, sollte man sich freilich die Frage stellen, ob es nicht doch Themen jenseits des Technischen und des Formalen gibt, die eine innovative architektonische Bearbeitung verdienen. Zwei Themen bieten sich an, die in der Architekturdiskussion zumindest bis vor kurzem als reichlich verstaubt galten: Ökologie und Soziales. Verstaubt sind sie deswegen, weil eine halbe Generation von Architekten sich in den siebziger und achtziger Jahren an ihnen zu schaffen gemacht hat und am Versuch, einen Idealzustand der Welt baulich wiederherzustellen, gescheitert ist. Wer heute von ökologischen und sozialen Fragen spricht, darf sich daher an keinen Ideologien mehr orientieren. Er kann aber davon ausgehen, dass je es technische Problem er Architektur primär als ökologisches zu betrachten ist und je es formale Problem als soziales: Im radikalen Umbruch fortgeschrittener Gesellschaften haben Architektur und Städtebau das Potential, als wesentliches Medium zur geistigen und kulturellen Bewältigung des gesellschaftlichen Wandels zu funktionieren.
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Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Disziplinen ihre erhöhten Nischen verlassen und sich jenen Kräften aussetzen, in denen dieser Wandel sich manifestiert: den angeblich engstirnigen Nutzern, den klischeehaft inkompetenten Beamten und den Niederungen knapper Budgets. William Alsop, Architekt mit Büros in London, Hamburg und Moskau – die er gemeinsam mit seinem Partner Jan Störmer betreibt – und Professor für Hochbau an der TU-Wien, gehört zu jenen Architekten, die man eher in der sicheren Nische vermuten würde. Er zeichnet sich durch eine Entwurfsmethode aus, die sich dem architektonischen Projekt über die Malerei nähert, oft in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Seine Bauten sind technologisch anspruchsvoll, erheben aber im Unterschied zum Hightech-Design nicht den Anspruch auf die Überhöhung einer konstruktiven Idee. Selbst die größten unter ihnen – etwa die Regionalverwaltung in Marseille oder die U-Bahn-Stationen in London – sind bemerkenswert vielschichtige Gebilde, die sich viel vom leichten Charakter der ersten freien Entwürfe bewahrt haben. Umso überraschter durfte man sein, als Alsop kürzlich einen Vortrag in Wien mit dem Titel „Community Architecture“ ankündigte. Der Begriff wir heute unter britischen Architekten abwertend für eine Bewegung verstanden, die eine sozialverträgliche kleinteilige Architektur zum Ziel hatte, traditionell im Maßstab, vorsichtig modern in der Form.
Dennoch stellte Alsop seine jüngsten Arbeiten bewusst unter diesen Titel und forderte die gezielte Verstrickung des architektonischen Projekts in gesellschaftliche Prozesse. In einer unruhigen Gesellschaft wie der britischen finde sich unter Nutzern und Bauherren zumindest bei öffentlichen Bauaufgaben eine Bereitschaft zum Experiment, von der die Architektur nur profitieren könne.– Ein gerade fertig gestelltes Beispiel ist Alsops Bibliothek in Peckham, einem benachteiligten Stadtteil in der inneren Peripherie Londons. Im Unterschied zur Behutsamkeit dessen, was man üblicherweise unter „Community Architecture“ versteht, ist die Bibliothek ein in jeder Hinsicht extravagantes Gebäude. Der Lesesaal schwebt auf schlanken Stützen drei Geschoße über dem Boden und liegt an der Nordseite auf einem schmalen, mit bunt gefärbten Gläsern verkleideten Baukörper auf, indem sich Treppen, Lifte und Nebenräume befinden. In den Lesesaal, von dem aus sich ein Blick über die Dächer des Viertels bis zum Zentrum Londons bietet, sind holzverkleidete Rundkörper eingestellt, in denen sich Leseräume für Kinder und ein vermietbarer Seminarraum befinden. Die Rundkörper durchbrechen das Dach und erhalten Licht von oben. Weil die Peckham Library täglich bis zehn Uhr abends geöffnet sein wird, legte William Alsop besonderen Wert auf die Wirkung des Gebäudes bei Nacht: Ein blau beleuchtetes Metallgitter, das die Untersicht des Lesesaals bildet und sich als Vorhang über die Hauptfassade zieht, soll dem Gebäude ein magisches Aussehen verleihen und den vom Lesesaal überspannten öffentlichen Raum zu einem attraktiven Treffpunkt machen. Ein ähnliches Projekt, allerdings in einem wesentlich größeren Maßstab, wird voraussichtlich nächstes Jahr in West Bromwich in Bau gehen. Für „Jubilee Arts“, einen halböffentlichen Kunstverein, plant William Alsop seit zwei Jahren ein Kulturzentrum mit rund 10.000 Quadratmetern. Ein erstes Schema gleicht der Peckham Library, ein gigantischer Tisch mit abgehängten Objekten, der einen öffentlichen Raum unter sich freigibt.
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Inzwischen hat sich das Projekt mehrfach transformiert, der Tisch ist verschwunden, der öffentliche Raum in eine über ein tragendes Gestell gezogene Klimahülle integriert. Ein turmartiges Gebilde mit einem Boulevard, der nur sonntags zugänglich sein sollte, wurde als Ergänzung zum liegenden Baukörper entwickelt und verschwand wieder. Das Erschließungssystem verwandelte sich in eine komplizierte Doppelspirale, um schließlich wieder auf ein einfacheres System zurückgeführt zu werden. Am Ende steht ein Entwurf für einen kompakten Bau, durch dessen mit meterhohen Photos von Anwohnern bedruckte Hülle in der Nacht ein kompliziertes Innenleben durch schimmern wird. Eine aberwitzige, ziellose Planung also, eine einzige Abfolge von Kompromissen? Keineswegs. Nur solche offenen, im formalen Ergebnis unvorhersehbaren Prozesse können helfen, sozialen Wandel zu bewältigen und neue institutionelle Bedingungen zu schaffen. Die Architektur der nächsten Jahrzehnte wird an ihrem Beitrag dazu gemessen werden. Die Presse, 23.10.1999
GLEICHAUF MIT DEM FLAKTURM Generalisierende Antworten auf die Frage, was Schulbau leisten soll, hat Adolf Krischanitz schon bei seinen bisherigen Projekten verweigert. Auch sein jüngstes, der Lauder-Chabad-Campus im Wiener Augarten, gehorcht eigenen Spielregeln. Nehmen wir einmal an, Architektur sei mehr als reine Zweckerfüllung. Wir werden mit dieser Meinung nicht alleine stehen: Für die meisten Menschen soll Architektur die Welt zu einem schöneren Platz machen, erfreulicher fürs Auge, wärmer fürs Gemüt. Jenseits der Gemütlichkeit werden sich andere Mehrwerte finden: die Verherrlichung einer klaren Ordnung der Welt beispielsweise oder auch ihr Gegenteil, die Kritik am herrschenden System. Gerade der Schulbau ist prädestiniert für weitschweifige und ideologisch belastete Diskussionen dieser Art. Muss er kindgerecht sein in dem Sinn, dass er die Schule bunt und fröhlich als einnehmenden Baukörper gestaltet? Oder soll er eine klare und vielleicht sogar strenge Ordnung zum Ausdruck bringen? Oder eine offene Struktur bilden, die sich auflöst in ein freies Spiel von Formen und Räumen, in dem Kinder sich ebenso frei entfalten können? Derartiger Rhetorik hat sich Adolf Krischanitz in seinen Wiener Schulbauprojekten stets entzogen. Die „Neue Welt Schule “ im Prater aus dem Jahr 1994 ist ein schwarz verputzter Bau, dessen Innenräume mit ihren Sichtbetonwänden eher Werkstätten als Klassenzimmern gleichen. Mit dem Entwurf für die Volksschule in der Steinergasse hat Krischanitz 1996 einen Beitrag geliefert, dessen komplexe räumliche Organisation innerhalb einer hermetischen Figur ihn zu einem der spannendsten, leider nicht realisierten Projekte im Rahmen des Schulbauprogramms 2000 macht. Der vor zwei Wochen eröffnete Lauder-Chabad-Campus am Rande des Augartens – Kindergarten, Volksschule und Mittelschule in einem kompakten Baukörper – ist das
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jüngste Werk in dieser Reihe: ein lang gestreckter, hell verputzter Bau mit regelmäßigen Fensteröffnungen in einem einheitlichen Format, die teilweise bündig, teilweise in tiefen, mit Untersberger Marmor ausgekleideten Laibungen sitzen. Keines dieser Projekte ist auf den ersten Blick einnehmend oder gar in einem vordergründigen Sinn kindgerecht. Krischanitz arbeitet mit klaren Ordnungssystemen, die jedoch weder aus konstruktiven noch aus funktionalen Prämissen abgeleitet sind. Er stellt damit den Anspruch auf eine Autonomie der Architektur, der und kritischer gegenüber der herrschenden Ordnung gegenüber sein kann als jede noch so wild sich gebärdende Dekonstruktion. Was bedeutet das konkret? Erstens Autonomie gegenüber allen unreflektierten Forderungen nach Schönheit und Stil, die in Wahrheit nichts anderes meinen als das leicht konsumierbare Bild; zweitens eine Absage an jede Form der vielleicht spektakulären, aber kurzlebigen Virtuosenarchitektur; und drittens – als methodische Voraussetzung – eine Lockerung der Beziehung zwischen Form und Funktion, die bis zur bewussten Irritation gehen kann. Wer das Gelände des Lauder-ChabadCampus durch einen breiten Durchbruch in der Ziegelmauer des Augartens betritt, wird Schwierigkeiten haben, den Eingang in das Gebäude zu finden. Vor ihm liegt eine dreieckige Grünfläche mit einer hohen alten Platane, die sich in der lang gestreckten Glaswand des Klassentrakts spiegelt. Die Eingänge in die Klassenzimmer sind hinter der Glaswand zu sehen. Der Haupteingang findet sich aber nicht in der Achse und auch nicht dort, wo das Gebäude am transparentesten ist, sondern seitlich in einem Kopfbau, zu dem eine leicht geneigte Rampe hinunterführt. Die Eingangstüren selbst sitzen ohne besondere Betonung in Öffnungen, deren Dimension sich von jener der Fenster nicht unterscheidet: Man spürt, dass dieses Haus nicht primär um Funktionen herum gebaut ist, sondern eigenen Spielregeln gehorcht.
Fotos: Spiluttini
Solche Strategien der Reduktion sind nichts Neues: Von Louis Kahn bis zu den so genannten Schweizer Minimalisten finden sich Beispiele dafür. Krischanitz weiß freilich, dass Autonomie in der Architektur etwas anderes bedeutet als in der Kunst. Der Lauder-Chabad-Campus hat äußerst komplexe Anforderungen zu erfüllen: Ziel der Institution ist es, ein hohes Unterrichtsniveau in Harmonie mit jüdischer Lehre und Kultur zu vermitteln. Das Raumprogramm umfasst neben den Räumen für den Kindergarten und die verschiedenen Schultypen eine Synagoge und ein rituelles Bad, zwei Speisesäle, Bibliothek, Werkstatt und einen Turnsaal. Als Begegnungsstätte
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zwischen jüdischen und nichtjüdischen Kindern stehen die zuletzt genannten Räume auch Interessenten aus dem Bezirk offen. In einem ersten Entwurf für ein kleineres Raumprogramm plante Krischanitz ein Pavillonkonzept. Im ausgeführten Projekt liegen alle Haupträume für die Kinder im 90 Meter langen Klassentrakt: der Kindergarten im Erdgeschoß, die Volksschule im ersten und die Mittelschule im zweiten Stock. Die Klassen werden von einer Zone mit Erschließungs- und Nebenräumen wie Garderoben und WCs begleitet, die jeweils direkt den einzelnen Klassen zugeordnet sind. Nach Osten endet der Klassentrakt in der über die gesamte Höhe des Baukörpers reichenden Eingangshalle mit offenem Stiegenhaus, im Westen schließt sich ein durch einen schmalen Lichthof geteilter Quertrakt mit allen Zusatzfunktionen an. So schlicht und diszipliniert dieser Quertrakt von außen aussieht, so komplex ist sein Inneres organisiert. Auf der einen Seite des Lichthofs liegen Turnsaal und Synagoge übereinander, auf der anderen Seite die Speisesäle und die Verwaltung. Zwei aufgesetzte Lichtgaden, die den Speisesaalbereich und die Synagoge zusätzlich belichten, geben diesem Bauteil seine charakteristische Silhouette. Anders als mit seiner „Neuen Welt Schule“ wird Krischanitz mit diesem Bau kaum jemand vor den Kopf stoßen. Trotzdem: Hinter der freundlich hellen Putzhaut und der beinahe klassischen Erscheinung verbirgt sich ein autonomes Objekt, das es mit seinem unmittelbaren Nachbarn, der mächtigen Betonskulptur des Flakturms, aufnehmen kann. Damit hat Krischanitz einen bei dieser Bauaufgabe an diesem Ort zentralen Auftrag erfüllt: ein Haus für eine andere, bessere Ewigkeit zu bauen. Die Presse, 25.9.1999
BAUKUNST IN DER KOSTENSCHERE Mit verschiedenen Wettbewerbsvarianten versucht der Wiener Krankenanstaltenverbund im Spitalbau auch Maßstäbe zu setzen. Wie die eben fertig gestellte Erweiterung des Sophienspitals zeigt, mit Erfolg. Aber mit ungewisser Zukunft. Im Jahr 1995 publizierte die britische „Royal Fine Art Commission “ein Buch mit dem Titel „What Makes a Good Building?“. Die Antwort, die darin gegeben wir, ist einfach. Ein gutes Gebäude entsteht, wenn es eine gute Spezifikation der Aufgabe, einen guten Bauherrn und einen guten Architekten gibt. Die ersten beiden Voraussetzungen gehören eng zusammen: Ein guter Bauherr weiß, was er will und was er sich leisten kann. Ein guter Architekt respektiert diese Rahmenbedingungen und entwickelt mit dem Bauherrn die bestmögliche architektonische Lösung. Das ist sicher eine Idealvorstellung. Wünsche und Budgets verändern sich, architektonische Konzepte bekommen eine Eigendynamik. Spannungen sind daher oft unvermeidlich. Trotzdem: Ohne ein Grundvertrauen zwischen dem Bauherrn und den Planern kann kein gutes Gebäude entstehen. Umso wichtiger ist daher die Frage, wie der gute Bauherr den passenden guten Architekten finden kann. Was den öffentlichen Sektor betrifft, hat sich aber in den letzten Jahren vor allem mit dem EU-Beitritt vieles verändert. Seit geistig-schöpferische Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, ab einem Schwellenwert von 200.000 Euro ausgeschrieben werden müssen, gibt es selbst für kleine Planungsaufträge keine Direktvergabe mehr. Öffentliche Bereiche, die sich über Jahrzehnte jedem Wettbewerb hatten entziehen können, gerieten durch diese neuen Rahmenbedingungen unter einen spürbaren Anpassungsdruck. Zu diesen Bereichen gehört der Spitalbau der Gemeinde Wien, seit 1993 dem Wiener Krankenanstaltenverbund zugeordnet – mit einem Jahresbudget von rund 30 Milliarden Schilling (2,18 Milliarden Euro), wobei 2,5 Milliarden auf den Bereich Bauten und Einrichtung entfallen, nicht gerade ein kleiner Bauherr. Dennoch blieb der Wiener Spitalbau bisher tief unterhalb der architektonischen Wahrnehmungsschwelle, Resultat einer gut eingespielten hermetischen Vergabepraxis auf niedrigem gestalterischem Niveau.
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1994 wurde im KAV ein eigener Bereich Architektur geschaffen mit dem Ziel, die Qualität zu verbessern und zugleich den EU-Vorschriften für die Auftragsvergabe zu genügen. Bei einer Reihe von Projekten wurden verschiedene Varianten erprobt, vom offenen zweistufigen Wettbewerb bis zum Gutachterverfahren. Fertig gestellt wurde vor kurzem die Erweiterung des Sophienspitals, Ergebnis eines Wettbewerbs, den Martin Kohlbauer 1996 für sich entscheiden konnte. Eine Besonderheit des Sophienspitals ist seine Lage genau gegenüber dem Westbahnhof. Zur Zeit seiner Entstehung grenzte das Spital an den Linienwall, wo heute der Gürtel, also eine der verkehrsreichsten Wiener Straßen, vorbeiführt. Als Ergänzung zu den bei den bestehenden Pavillons, zwischen denen ein kleiner Park mit altem Baumbestand liegt, war ein verbindender Trakt direkt am Gürtel zu planen. Kohlbauers Entwurf arbeitet mit dem Motiv einer mehrfach abgestuften, den Park zum Gürtel hin begrenzenden Wand aus dunklem Klinker. Patientenzimmer liegen gartenseitig, Nebenräume sind zur Straße hin orientiert. Kohlbauer nutzt die Mauer nicht zur Abriegelung, sondern zur Schaffung von präzisen Zwischenbereichen, an denen der halböffentliche Raum des Spitals mit dem Stadtraum zusammenfließt. An einem Ende löst sich der Baukörper in eine Glaskonstruktion auf, die in mehreren Stufen hinter die Baulinie zurückspringt, während die Mauer als niedriger Paravent am Gürtel weitergezogen ist. Dazwischen entsteht ein schmaler baumbestandener Hof, der den Park auch vom Gürtel her spürbar werden lässt. Am anderen Ende läuft der Baukörper spitz zu und erlaubt einen diagonalen Einblick in den Park und umgekehrt von den Tagräumen aus den Blick zum Gürtel. Kohlbauer wollte hier, ebenso wie mit dem großen, über zwei Geschoße reichenden Fenster am Gürtel, hinter dem die Haupttreppe liegt, die belebte Straße als aktivierenden Kontrast zum Parkblick einbeziehen.
Foto: Rupert Steiner
Der Bau bietet genau jenen Mehrwert, der aus dem Zusammentreffen eines guten Bauherrn mit einem guten Architekten entstehen kann: Optimale Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pfleger, keine Aneinanderreihung von Funktionen, sondern ein wohlorganisiertes räumliches Kontinuum und schließlich eine vorbildliche Bereicherung des öffentlichen Raums. Lauter Qualitäten also, die sich nur schwer direkt in Zahlen ausdrücken lassen. Darauf hinzuweisen ist wichtig. Denn er Bau hat mehr gekostet, als im Budget veranschlagt war. Anfangs war von 100 Millionen Schilling die Rede, abgerechnet wurde jenseits von 125 Millionen. Der Sprung von der architektonischen Niveaulosigkeit in das, was man heute von einem öffentlichen Bauherrn erwarten darf, hat den KAV bei einem anderen Projekt in arge Probleme gebracht. Auch beim Zubau eines OP-Traktes im KaiserinElisabeth Spital ging man von einem unrealistisch niedrigen Budget aus. Die jungen Architekten Hemma Fasch und Jakob Fuchs haben den Wettbewerb gewonnen. Als sich im Vorentwurf eine Kostensteigerung von 210 auf 290 Millionen Schilling abschätzen ließ, wurden die Architekten unter äußerst unschönen Begleitumständen gekündigt. Letztlich dürften sie nicht an den angeblichen Fundierungsproblemen, sondern an einem Strukturproblem des KAV gescheitert sein: Die an sich vernünftige Dezentralisierung kann bei komplexeren Projekten dazu führen, dass zwar alle mitreden wollen, aber niemand mehr weiß, wer etwas zu entscheiden hat.
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Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen die Stadt Wien aus diesen Erfahrungen zieht. Jüngste Aussagen über eine „gestückelte Vorgangsweise“ zur Unterschreitung von EU-Schwellenwerten und das „Outsourcing“ von Bauherrnfunktionen an externe Berater lassen wenig Gutes erwarten. Die Presse, 31.7.1999
BIS ZUR ALLERLETZTEN SCHRAUBE! Murau könnte sich glücklich schätzen: über zwei Bauten außerordentlicher Qualität –wenn die beiden einander nicht in die Quere kämen. Über einen nicht alltäglichen Konflikt oder: Wie untergräbt man eine Brücke? Die Aufregung ist groß: Ein Bauwerk, bis zur letzten Schraube aus seiner Situation und seinen Verkehrsbeziehungen heraus entwickelt, in Architekturzeitschriften gelobt als ebenso poetischer wie konstruktiv innovativer Beitrag zum Brückenbau, ist in seiner Substanz bedroht durch einen rücksichtslosen Eingriff, der drei Jahre lang im geheimen vorbereitet wurde. Abhilfe schaffen kann nur eine breit abgestützte Protestaktion, ein Appell an das Kulturbewusstsein der Verantwortlichen und der Bürger, die ihre Gemeinde doch als Touristenort profiliert sehen wollen. Gefordert wir ein sofortiger Baustopp und die Suche nach einer besseren Lösung. Es geht um den Mursteg im steiermärkischen Murau, eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke, die vom Murauer Bahnhof über den Fluss zur Stadt hinüberführt. Die Schweizer Architekten Marcel Meili und Markus Peter haben die Brücke zusammen mit dem Tragwerksplaner Jürg Conzett geplant. Nach einem Wettbewerb im Jahr 1993 konnte sie 1995 ihrer Bestimmung übergeben werden. Die Geburtswehen für das Projekt waren beachtlich: Murau veranstaltete damals die Ausstellung „Holzzeit “,und die Brücke, die unter anderem als eine Art Demonstrationsobjekt für konstruktiven Ingenieurbau in Holz gedacht war, entsprach nicht so ganz dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellte. Sie ist keine Skelettkonstruktion, sondern ein massives Objekt, zusammengesetzt aus zwei vertikalen scheibenartigen Hohlkästen, die aus Dreischichtplatten aufgebaut sind, und einem massiven Ober- und Untergurt aus Brettschichtholz. „Die weitgehende Unterdrückung er holztypischen tektonischen Gliederung “, schreiben die Planer, „schafft die Voraussetzung für eine gelassene und elementare Beziehung zwischen dem Material, der Brückenform und der Umgebung. “Es bedurfte einiger Überredungskunst, auch von Seiten des Landes, um die Veranstalter der „Holzzeit“ Ausstellung, die eher an eine Fachwerkskonstruktion mit flotten HighTech-Details gedacht hatten, vom Projekt zu überzeugen. Weil ihre Lösung das Budget bei weitem sprengte, verzichteten die Planer auf ihr Honorar und trieben noch eine Reihe von Sponsoren auf, unter anderem Hermann Kaufmann, dessen Holzbaufirma in Reuthe in Vorarlberg die Brücke errichtete. Die industriell gefertigten Träger wurden als Fertigteile aus Vorarlberg an die Mur gebracht – auch das nicht ganz im Sinne der Organisatoren, die grüne Steiermark als Ort er Holzverarbeitung zu bewerben.
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Das Ergebnis ist jedenfalls außerordentlich. „Die Brücke versammelt die Erde als Landschaft um den Strom “: Dieser Satz aus Martin Heideggers „Bauen, Wohnen, Denken “ließe sich mit dem Mursteg ebenso trefflich illustrieren wie jener, dass die Brücke in ihrem Geviert Himmel und Erde versammelt und das Strömen unter sich für einen Moment anhält. Das hölzerne Zimmer mit den großen, liegenden Öffnungen, das Meili und Conzett über dem Fluss entstehen ließen, erzeugt genau einen solchen Punkt der Ruhe. Für Heidegger ist die Brücke eine Metapher für die Kraft des Menschen, einen Ort zu schaffen, der zuvor noch gar nicht existiert hat: „Von der Brücke selbst her entsteht erst der Ort.“ Die ursprüngliche Welt, die hier vorausgesetzt wir, gibt es natürlich so gut wie nirgends mehr. Auch in Murau besetzt der Steg eine Kulturlandschaft, in der viele frühere Maßnahmen in Schichten und Brüchen an- und übereinander liegen und zu einer Neuinterpretation einladen. Der Mursteg verbindet nicht nur zwei Ufer, sondern zwei Stadtteile: den Bahnhof auf er einen Seite und die zuerst locker bebaute und rasch sich verdichtende Altstadt auf er anderen Seite. Da der Bahnhof ein gutes Stück über der Stadt liegt und die Böschungen mehrere Stufen aufweisen, verbindet die Brücke unterschiedliche Niveaus. Auf der Stadtseite spannt sich vom Brückenkopf weg eine Verlängerung des Stegs zur Hauptstraße, während eine quer zur Brücke gesetzte Treppe hinunter zum Ufer der Mur führt. Auf der Bahnhofsseite endet das Haupttragwerk der Brücke im Hang: Radfahrer können den Höhensprung zum Bahnhof auf einer seitlich wegführenden Straße überwinden, während Fußgänger über eine an der anderen Seite in einem geschlossenen Kasten angesetzte Treppe nach oben kommen und von dort auf direktem Weg zum Bahnhof gelangen. Dieser Punkt, an dem die seitliche Treppe wie ein leichtes Tentakel auf dem Bahnhofsvorplatz auflagert, ist der Gegenstand der derzeitigen Aufregung. Im Mai 1996 wurde ein Wettbewerb für eine Bezirkshauptmannschaft vor dem Bahnhof ausgeschrieben, den das Wiener Team Wolfgang Tschapeller und Friedrich Schöffauer für sich entscheiden konnte. Der Standort wurde in einer Vorstudie gerade wegen des Murstegs und der damit gegebenen direkten Verbindung zum Stadtkern als ideal erkannt. Das Einsatzmodell, das für den Wettbewerb gebaut wurde, zeigt deutlich die Gesamtsituation mit Flussraum, Steg und Bahnhof. Im Juryprotokoll ist nachzulesen, dass für die Juroren unter dem Vorsitz von Irmfried Windbichler der gelungene „Anschluss an den bestehenden Fußgängerübergang “eines der fünf maßgeblichen Kriterien war, dessen Nichterfüllung bei einigen Projekten auch explizit kritisiert wird. Das Projekt von Tschapeller und Schöffauer wir von der Jury als „außerordentliche Lösung “gelobt, die von „einer intensiven Analyse der Potentiale des Bauens in dieser Landschaft ausgeht “.Durch eine schräg in die Böschung geschnittene Abgrabung gelingt es, den Verwaltungsbau teilweise ins Erdreich zu legen und die Baumassen vor dem Bahnhof klein zu halten. Die Treppe des Murstegs wir in ihrem oberen, flachen Teil von zwei niedrigen Baukörpern flankiert, während ein dritter, höherer Baukörper so gesetzt ist, dass der Weg vom Mursteg Richtung Bahnhof frei bleibt, vom vorkragenden Dach dieses Baukörpers dort geschützt, wo der Eingang in die Bezirkshauptmannschaft liegt. Tschapeller und Schöffauer, die schon einmal mit dem Trigon-Museum ein Projekt bis zur Detailplanung gebracht haben, um es dann durch politische Ränkespiele verhindert zu sehen, haben um den Bau in Murau drei Jahre gekämpft. Zuerst musste nachgewiesen werden, dass die Kosten nicht über dem Üblichen liegen würden, dann sollte das Projekt – um besser zum Murauer Image zu passen – aus Holz errichtet werden. Die Architekten konnten nachweisen, dass die Herstellungskosten im Rahmen bleiben würden, und legten zusätzlich ein Energiekonzept vor, das die besondere Bauweise nutzt, um die Betriebskosten niedrig zu halten. Als alle Hürden nach langwieriger Überzeugungsarbeit überwunden waren, konnten schließlich vor sechs Wochen in der Landesregierung die endgültigen Beschlüsse für den Bau gefasst und die Aufträge an die Firmen vergeben werden.
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Nun setzt sich Wolfgang Tschapeller mit Jürg Conzett in Verbindung, um ihn bezüglich der notwendigen Unterbauung des letzten Brückenausläufers und eventueller seitlicher Durchgangsöffnungen zu befragen. Conzett, der zum ersten Mal vom Bau der Bezirkshauptmannschaft hört, bittet um Unterlagen. Ein weiteres, bereits gespanntes Gespräch zwischen Meili und Tschapeller folgt. Tschapeller bietet an, nach Zürich zu kommen. Meili und Conzett sind an einem persönlichen Gespräch nicht interessiert und beginnen ihre Kampagne gegen das Projekt. Kollegen in ganz Europa erhalten Faxe mit dem eingangs erwähnten Anliegen: Baustopp und Verhinderung des Projekts von Tschapeller und Schöffauer. Das Fax enthält drei Pläne im Format A4, auf deren Grundlage immerhin 60 Kollegen glauben, das Projekt negativ beurteilen zu können. Ein Fax nach dem anderen langt bei Tschapeller und beim Murauer Bürgermeister ein. Dass Meili und Conzett in die Bearbeitung des neuen Auflagers ihrer Brücke eingebunden werden sollten, steht außer Zweifel. Es ist wahrscheinlich, dass sie dabei in Kooperation mit Tschapeller und Schöffauer zu einer Lösung kommen werden, die auf die neue Situation mit Gewinn reagiert. Ihr Anspruch, das ganze Umfeld der Brücke bestimmen zu dürfen und ein korrekt abgelaufenes Verfahren außer Kraft zu setzen, ist dagegen vermessen und unverständlich. Tschapellers Projekt verändert den Ort, indem es ihn auf seine Art interpretiert, so wie jede qualitätvolle, nicht angepasste Architektur. Am Ende wird der alltägliche Benutzer in Murau mit zwei Lesarten eines Orts konfrontiert sein. Im Zeitalter der durchgängigen Simulation sollte das niemanden wirklich irritieren. Außer vielleicht jene Architekten, die noch an das Absolute glauben. Die Presse, 4.6.1999
NOCH WAS ZU BESTELLEN? Zwei Symposien, eines zum Thema „Cyberspace“, eines zum Thema „Peripherie“ – ein Befund: Als Großmeister der Ordnung haben Architekten ausgespielt. Ihre Zukunft liegt in einem kritischen Eingehen auf konkrete Lebenswirklichkeiten. Von zwei Veranstaltungen ist zu berichten, die Ende vergangener Woche in Wien stattfanden: Im Museumsquartier wurde im Rahmen der Ausstellung „Synworld“ ein Symposium abgehalten, bei dem auch Architekten zum Thema „Cyberspace“ zu Wort kamen. Parallel dazu veranstaltete die „Sargfabrik“, eines der innovativsten Wiener Wohn- und Kulturprojekte der letzten Jahre, ein Symposium unter dem Titel „Peripherie im Fokus“, bei dem es um die Bedeutung von Randzonen und Randgruppen für die Entwicklung der Städte ging. Dass die Ausstellung im Museumsquartier mehr Zulauf hatte, ist klar. Neue Medien sind zu Recht ein „Mainstream“-Thema: Sie sind Voraussetzung für die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft und für die rasche Transformation unserer Berufs- und Freizeitwelt. „Playwork:Hyperspace“ hieß der Untertitel der Ausstellung, die der Medienindustrie die Möglichkeit bot, sich im Kontext von Kunst und Wissenschaft zu präsentieren. Die Illusion, dass durch die neuen Medien Spielen zum Lernen wird und produktive Arbeit zum Spiel, wurde einmal kräftig genährt. Es verwundert nicht, dass der Hauptsponsor der Veranstaltung Libro Online hieß. Die Förderung der Medienkompetenz, die der Sponsor laut Presseaussendung als Grund seines Engagements angibt, wird es ohne Kritik aber nicht geben können. Nur in den tieferen Ästen der CD-Rom zur Ausstellung finden sich Ansätze in diese Richtung. Interessant sind vor allem die Beiträge über Japan, wo sich aus einer anderen visuellen Kultur auch ein anderer Zugang zum Cyberspace und zur virtuellen Realität entwickelt. Die Beiträge der Architekten zum Symposium waren beispielhaft für die Tendenz, in einer unsicheren Welt zu einer neuen Handlungsbasis für die Architektur zu kommen. Mit dem Funktionalismus, der eine klare Beziehung zwischen Form und Funktion definieren wollte, hätte sich auch die Idee der stabilen
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Form aufgelöst. An ihre Stelle tritt das parameterabhängige Feld, das seine Gestalt dauernd ändert. Für Lars Spuybroek von der niederländischen Architektengruppe NOX – der in dieser Hinsicht stellvertretend ist für eine Generation von Architekten wie Winy Maas oder Greg Lynn – können sich die Parameter architektonischer Formen aus allen möglichen, am besten zufälligen Einflussfeldern herleiten: Fußgängerströmen, dem Sonnenstand, den Geräuschen von Fahrzeugen auf einer Autobahn. Dem Dilemma, dass die gebaute Realität dann doch wieder statisch ist, entzieht er sich elegant: Architektur im engeren Sinn ist die Formel, das Bauwerk nur eine zufällige Momentaufnahme.
Fotos: L. Schneider, K. Chuh
Das dürfte den Bewohner eines solchen Objekts freilich wenig interessieren. Man gewinnt den Eindruck, dass die Architekten dieser Richtung ihre zentrale Position als Großmeister der Ordnung nicht aufgeben wollen, sondern versuchen, sie in geänderter Form – abgesichert durch Chaostheorie und Fraktale –zu erhalten. Deutlich wurde das beim Vortrag von Karl S. Chu, einem amerikanischen Theoretiker und Architekten, der diesen kosmologischen Anspruch der Architektur direkt ansprach und die Verwendung des Computers als neue Chance für das alte „gnostische Streben nach Erfüllung“ bezeichnete, ein Gedanke, den auch Charles Jencks, früher erster Kammerdiener der Postmoderne, in seinem jüngsten Buch, „The Architecture of the Jumping Universe“, ausführt. Was Chu dann präsentierte, sind zweifellos schön anzusehende Verräumlichungen mathematischer Formeln, die aber völlig irrelevant werden, wenn man die beigepackte esoterische Theorie nicht zu akzeptieren bereit ist. Wer über Architektur und Stadtleben etwas Konkretes erfahren wollte, war mit einem Besuch in der Sargfabrik besser bedient. In einem ersten, ebenfalls von Roland Schöny konzipierten Symposium im Mai hatte sich „Peripherie im Fokus“ mit der Wiener Peripherie und mit dem eigenen Wohnumfeld auseinandergesetzt. Spannend waren dabei vor allem Diskussionen über die Hausbesetzerszene und ein Vortrag des deutschen Soziologen Wolfgang Pohrt, der das soziale Konzept der Sargfabrik mit einer heftigen Polemik bedachte: Zu sehr geschützt, zu sehr Altersheim, zuwenig Blick auf das weitere soziale Umfeld. Gerade den letzten Vorwurf widerlegte der zweite Teil des Symposiums, der sich mit Peripherien in London, São Paulo und auf dem Balkan auseinandersetzte. Es ging dabei einerseits um die soziale Peripherie, um den Umgang mit Randgruppen in England und Deutschland beziehungsweise auch um die unterschiedlichen Formen der Selbstdefinition dieser Randgruppen. Da war zu hören, wie wenig Positives der Begriff der Integration für eine britische Kulturtheoretikerin mit pakistanischem Hintergrund beinhaltet: Integration hätte in England stets den Beigeschmack des sozialen Drucks; für englische Asiaten und Schwarze sei kulturelle Konkurrenz auch im Rahmen einer gemeinsamen Sprache ein wesentlich verständlicherer Ansatz. Im Falle São Paulos ging es auf der anderen Seite um globale Peripherie. Wie gewinnt eine Stadt mit 16 Millionen Einwohnern Identität angesichts des langsamen Verfalls des Mittelstands und immer stärker werdender sozialer Gegensätze? Dass die klassischen Mittel der Architektur dazu nicht mehr taugen, zeigte ein Beitrag über das America Latina Memorial, ein Spätwerk von Oscar Niemeyer, das mit Bibliothek, Theatersaal und Ausstellungsräumen ein identitätsstiftendes Monument sein wollte und dabei völlig an der Realität gescheitert ist. Viel überzeugender waren
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Beiträge von Künstlern, etwa von Giselle Beiguelmann, die mit ihrer Gruppe eine Ausstellung in einer von ihr umgestalteten Fabrik durchführte und das Publikum ausschließlich mit angemieteten Eisenbahnwaggons dorthin brachte – eine subversive Aktion in einer Stadt, deren Autoindustrie gezielt den Verfall des öffentlichen Verkehrswesens bewirkt hat. Architekten hatten auch auf diesem Symposium nur wenig Spannendes beizutragen. Aber vielleicht müssen sie akzeptieren, dass sie zu einer kulturellen Randerscheinung werden. Das ist weniger tragisch, als es vielleicht klingt: Von den Rändern her –das konnte man beim Symposium in der Sargfabrik lernen – kommen die wesentlichen Entwicklungen. Die Presse, 8.5.1999
WO ORTE ZUR SPRACHE KOMMEN Architektur ist Teil der Alltagskultur: dies einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen, ist Roland Gnaiger seit Jahren bemüht. Das aktuellste Architekturvermittlungsprojekt, an dem er beteiligt ist, "LandLuft" peilt mit Video und CD-Rom auch ein jüngeres Publikum an.
Der Gegensatz von Stadt und Land, einst prägendes Moment der europäischen Kulturgeschichte, ist heute so gut wie bedeutungslos. Angesichts der immer ähnlicher werdenden kulturellen Leitbilder hat das „authentische Landleben“ auch noch den letzten Rest an Substanz eingebüßt, der ihm nach der Ausschlachtung durch Heimatfilm und Tourismus geblieben war: Kitsch ist – wie Milan Kundera einmal schrieb – die Umsteigestation zwischen dem Sein und dem Vergessen. Was die ländliche Kultur anlangt, sind wir in der Phase des Vergessens angekommen. An ihre angestammten Qualitäten zu erinnern bleibt den Volkskundlern überlassen. Das heißt freilich noch lange nicht, dass wir in einer flächendeckend urbanen Kultur leben. Von ein paar Weltstädten abgesehen, ist heute überall Provinz oder – um einen freundlicheren Begriff zu gebrauchen – Region. Natürlich gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen Wien, St. Pölten und Ischgl, aber die bewegen sich eben längst im gemeinsamen Rahmen des Provinziellen, wenn auch mit jeweils spezifischen Färbungen. Zu den ländlichen Gebieten in Österreich, denen es offensichtlich gelungen ist, auf die veränderte Wirklichkeit zu reagieren, gehört Vorarlberg. Es gibt hier ein grundsätzliches Einvernehmen, dass Architektur Antworten auf aktuelle Probleme finden soll, ohne auf Klischees Rücksicht zu nehmen. Die Architekten des Landes haben sich in den letzten zwanzig Jahren schrittweise das Vertrauen der Bevölkerung erworben, nicht zuletzt durch intensive Medienarbeit. Auch wenn sich gerade hier – sehr zum Missfallen der Architektenkammer – die freie und damit an keine Standesvertretung gebundene Berufsbezeichnung „Baukünstler“ etabliert hat, so haben diese „Baukünstler“ stets das Gefühl vermittelt, sich mit den tatsächlichen Lebensbedingungen und Bedürfnissen der Menschen auseinanderzusetzen und nicht mit ihrer eigenen Positionierung im Kulturbetrieb.
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Roland Gnaiger, Architekt in Bregenz und heute Professor an der Universität für Gestaltung in Linz, hat sich schon in den frühen achtziger Jahren neben seiner Planungstätigkeit bemüht, einer breiteren Öffentlichkeit Architektur nicht als etwas Außergewöhnliches für teure Sonderfälle, sondern als Teil der Alltagskultur nahe zu bringen. Er hat Vorträge gehalten, Beratungen durchgeführt und regelmäßige Berichte im Regionalfernsehen gestaltet. Mit einer Mischung aus Sendungsbewusstsein und Pragmatismus hat er eine praxisorientierte Theorie des Bauens außerhalb der Ballungszentren entwickelt, die weit über die leidige Polarität zwischen Ortsbildschutz und „zeitgemäßer Architektur“ hinausgeht. In ihrer knappsten Formulierung lautet sie: „Die Produktion von Architektur, ob in Stadt oder Land, unterscheidet sich nicht wesensmäßig. Wer jedoch den speziellen Orten Raum gibt, sich auszusprechen, bekommt vieles zu hören, was bis dahin von unseren Monologen übertönt wurde.“ Aus der Summe der genau beobachteten lokalen Voraussetzungen wird jeder Bauplatz für den Architekten zum Mittelpunkt der Welt. „Und es wäre Ignoranz oder Dummheit, auch nur eine einzige der Ressourcen, aber auch Hemmnisse eines Ortes nicht zu nutzen.“ Klarerweise entsteht aus der Beachtung des Kontexts allein noch keine Architektur. Aber für Gnaiger empfiehlt es sich gerade auf dem Land, den Begriff der Kunst nicht zur Durchsetzung eines architektonischen Anspruchs zu verwenden. „Kunst ist besser das Ergebnis der Arbeit als der Anfang der Diskussion.“ Aber wo liegt der Anfang der Diskussion? Auch außerhalb Vorarlbergs ist ja viel über das Bauen auf dem Land geredet worden, es gibt Architekturzentren in allen Bundesländern, mehr als genug Publikationen über regionales Bauen, und trotzdem hat es eher den Anschein, dass nach dem Verschwinden der Tradition im Kitsch kaum eine tragfähige neue Baukultur entsteht. Nach Gnaigers Theorie ist das wenig verwunderlich: Solange sich die Diskussion in der Stadt-Land-Problematik verfängt und nicht das Faktum der universalen Provinz mit jeweils spezifischen Chancen akzeptiert, wird sie sich darauf beschränken, traditionelle Leitbilder in immer blasserer Form abzuwandeln. Das jüngste Projekt der Architekturvermittlung, an dem Gnaiger beteiligt ist, hat seinen Ausgang konsequenterweise nicht auf dem Land, sondern in der Stadt genommen, mit einer Ausstellung an der Technischen Universität in Wien. Aus einer ursprünglich geplanten Ausstellung über die Arbeiten Gnaigers entwickelte sich ein Konzept, in dessen Mittelpunkt die Vernetzung steht: Im Vordergrund stand ein Symposium, bei dem nicht nur Architekten und Raumplaner, sondern auch Kabarettisten und Musiker, Lehrer, Bürgermeister und Landwirte zu Wort kamen. Ergänzend gab es einen „Burgenländer“- und einen „Niederösterreicher-Tag“, die in Zusammenarbeit mit den Architekturzentren dieser Bundesländer veranstaltet wurden. Eine Ausstellung gab es zwar, aber sie zeigte keine Bildtafeln und Modelle, sondern ein Video, in dem Gnaiger Bauten aus ganz Österreich kommentiert, sowie eine interaktive CD-Rom, auf der vier seiner eigenen Bauten dokumentiert sind. Dabei kommen in kleinen Videoclips auch Bürgermeister und Bauherren zu Wort, etwa Hubert Vetter, dessen Bauernhof in Lustenau zu den wenigen herausragenden jüngeren Beispielen auf diesem Gebiet gehört. Ein Interesse an der Gestaltung im weitesten Sinn, das optimistisch stimmen könnte, ist hier dokumentiert. Die Schule in Warth ist beispielsweise weit mehr als ein schönes Gebäude – eben auch ein Ort der Identifikation für eine Gemeinde, deren 200 Einwohner sich im Winter unter 2000 Gästen beinahe selbst wie Fremde fühlen müssen, so sehr sie auch den Tourismus als Lebensgrundlage akzeptieren. Als einklassige Hauptschule für die 10- bis 14jährigen des abgelegenen Ortes ist sie auch eine pädagogische Innovation. Und auf der CD-Rom kann man sich von einem der Lehrer erzählen lassen, wie wichtig es war, mit dem Architekten über die Prinzipien eines solchen Typus zu reden, lange bevor es noch ums eigentliche Bauen ging. Ähnlich interessante Begegnungen erlaubt die CD-Rom auch mit Bauherren der anderen drei Projekte.
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„LandLuft“ soll als Projekt im Büro Gnaigers in Linz weitergeführt werden und sich zu einer permanenten Kooperation von Kulturmanagern, Landschaftsplanern, Architekten und Medienleuten entwickeln. Die Liste der an der Wiener Veranstaltung Beteiligten bietet ein Bild möglicher Vernetzung: Die Konzeption stammt von Erich Raith vom Institut für Städtebau der TU Wien; die Projektleitung lag bei Thomas Moser und Roland Gruber von der Universität für Gestaltung in Linz; die Ausstellungsgestaltung besorgten dunkl/ erhartt/sapp/zinner; das Video wurde von ZONE produziert; Musik kam von Attwenger, die Graphik von Büro X, die Gestaltung der CD-Rom von althaler + oblasser. Es ist zu hoffen, dass die Veranstalter mit diesen Medien das angepeilte jüngere Publikum tatsächlich erreichen. Die Presse, 30.4.1999
VON BUNKERN UND HÜHNERSTÄLLEN Was steckt hinter den Aggressionen, die moderner Architektur hierzulande immer noch entgegenschlägt? Die tief verwurzelte Angst vor dem Offenen, Unfertigen, die Ablehnung gestalterischer Eigenverantwortung. Eine Anamnese aus aktuellem Anlass. Salzburg, 28. Februar 1999, Vorwahlzeit: In der Salzburger „Kronen Zeitung“ erscheint unter dem Titel „Anrainer gegen neue ,Bunker‘“ ein Artikel, der sich im speziellen gegen ein Wohnbauprojekt in Sam am Söllheimer Weg, allgemein gegen die „arrogante Architektur- & Planungs- & Bauschickeria“ und die von ihr zu verantwortenden „Ausgeburten des Planungsirrsinns“ wendet. Illustriert wird der Artikel mit einem anderen Projekt der in Sam tätigen Architekten Gerhard Sailer und Heinz Lang, die zusammen als „Architekturbüro Halle 1“ firmieren: ein dreigeschossiger Wohnbau, durchgehende tiefe Balkone an der Südseite, Glasfassade. Abgesehen von den betonierten Treppenhäusern handelt es sich um eine reine Holzkonstruktion. Davor posiert eine junge Dame („unsere Simone“), in der Hand sinnigerweise eine ausführliche Broschüre über das in der Fachwelt einhellig positiv bewertete architektonische und ökologische Konzept des Bauwerks, und wird mit dem Satz zitiert: „In einem Hühnerstall möchte ich nicht wohnen ...“ Die politisch-provinziellen Aspekte dieser Geschichte – Gerhard Sailer ist der Ehemann einer Salzburger Bürgerlisten Kandidatin und wird im Rest des Artikels in einer Art und Weise diffamiert, die inzwischen den Presserat beschäftigt –brauchen uns hier nicht weiter zu interessieren. Spannender ist die Frage nach dem Ursprung der tiefen Aggression gegen eine Architektur, deren Formensprache inzwischen auch bald 100 Jahre alt ist. Um ein rein ästhetisches Problem geht es sicher nicht: Wer ein Holzhaus als Bunker tituliert, der hat sich kaum die Mühe gemacht hinzusehen. Diese Polemik hat tiefere Wurzeln: Hier wird etwas als Bedrohung empfunden oder zumindest als solche inszeniert. Aber was ist an dieser Architektur so bedrohlich? Vordergründig ist die Antwort klar: Es geht um „unsere Heimat“, deren vertraute Bilder durch „nihilistische“ Strukturen ersetzt werden. Dieser Vorwurf ist nicht neu. Am klügsten hat ihn Ernst Bloch –nun auch schon vor über 50 Jahren – formuliert: Architektur sei ein „Produktionsversuch menschlicher Heimat“. Die Moderne hätte statt dessen Maschine und Haus gleichgesetzt und sich auf Abstrakta wie Licht, Luft und Sonne berufen. Herausgekommen sei dabei nicht mehr als blendender „Lichtkitsch“. Aber Achtung: Hier herrscht extreme Verwechslungsgefahr. Mit den Klischees von Heimatstil und Lederhosenarchitektur hat Blochs Heimatbegriff nichts zu tun. Es geht ihm nicht um ein fertiges Bild, das man nur festzuhalten bräuchte. Im Gegenteil: Heimat sei etwas, worin noch nie jemand gewesen sei, obwohl sie „jedem in die Kindheit scheint“. Was Bloch an der modernen Architektur kritisierte, war nicht ihre Form, sondern ihr Wahn, im perfekten Objekt ein für alle Mal herstellen zu können, was nur als dauernder Prozess gelingen kann. Echte Heimat muss man sich kritisch erarbeiten: Das setzt offene Strukturen und Bewohner voraus, die sich in diesen Strukturen zu artikulieren verstehen.
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Genau in diesem Punkt liegt die eigentliche Wurzel für die Aggression, von der oben die Rede war. Das Offene, Unfertige, auf die Eigenverantwortlichkeit des Menschen Vertrauende fordert hierzulande eine tief verwurzelte Ablehnung heraus. Dann lieber „Tirolerhaus“, Hundertwasser oder die gerade aktuelle Virtuosenarchitektur – jedes Klischee ist besser als ein Prozess mit offenem Ausgang. Ob diese Ablehnung wirklich noch die Position der Mehrheit ist, darf freilich bezweifelt werden. Ein im Vergleich zum Salzburger Beispiel ungleich „härterer“ Wohnbau des Architekten Helmut Wimmer befindet sich in Wien Ottakring gerade in Fertigstellung. Das Konzept, architektonisch nur eine Grundstruktur anzubieten, die innen wie außen verändert werden kann, kommt auf dem Wohnungsmarkt offenbar an. Von den rund 250 Wohnungen sind fast alle verkauft, obwohl das derzeitige Äußere noch wenig einladend aussieht.
Wimmer hat ähnliche Konzepte aber schon mehrmals realisiert: äußerst erfolgreich in der Brünner Straße, wo hinter einer über 100 Meter langen Glasfassade mit Loggien und Wintergärten unterschiedliche Wohnungstypen kombiniert sind; mit zweifelhaftem Ergebnis in der Donaufelder Straße, wo ein sehr dichter räumlicher Raster von Stegen und Terrassen eine mediterrane Stimmung evozieren soll, die von den in ihrer Privatheit beeinträchtigten Bewohnern nicht angenommen wird. Die Wohnungen in der Koppstraße liegen in drei achtgeschossigen Wohnregalen aus Betonfertigteilen, die zu einer U-förmigen Figur kombiniert sind. Zwei Meter breite Balkone ziehen sich über die volle Länge der Südwestseite, ebenso breite Laubengänge führen zu den Wohnungen, denen zusätzlich jeweils eine zweigeschossige Loggia vorgelagert ist. Das „Zuwachsen“ der Balkone und Loggien mit Markisen, zusätzlichen Verglasungen und Pflanzen ist ausdrücklich erwünscht und soll in einigen Jahren ein lebendiges Bild der Fassade ergeben, das sich dann nur noch langsam, aber kontinuierlich ändert. Auf eine eigene Haut verzichtet diese Architektur bewusst. Ob bei der beträchtlichen Größe des Projekts auch der Verzicht auf eine Differenzierung des Baukörpers klug war, ist eine andere Frage. Eine offene Grundstruktur muss keineswegs so gleichförmig sein wie hier. Helmut Wimmer verweist gerne auf Le Corbusiers berühmtes Projekt für Algier. Das aber lebt wesentlich vom feinen Schwung seiner Fassade: Auch die große, zurückhaltende Ordnung kann als baukünstlerisches Thema behandelt werden.
Wimmer versteht seinen Bau als radikales Statement für die Befreiung des Bewohners von der Bevormundung durch den Architekten. Sein Vertrauen in die Bildung seiner Bewohner und ihre Fähigkeit, ihre Umwelt unvoreingenommen zu gestalten, ist beinahe naiv: Wer lernt heute noch Wohnen jenseits von Klischees, wie
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sie in den Massenmedien zwischen Hundertwasser und Hühnerstall abgehandelt werden? Eine große Ordnung, die nicht nur Freiheit gibt, sondern auch dabei hilft, sich in ihr zu artikulieren, das wäre der nächste Schritt. Die Presse, 13.3.1999
SHOPPING MALL, PARLAMENT? Eine äußerst heikle, weil symbolträchtige Bauaufgabe: Der Berliner Reichstag war für das Parlament des wiedervereinigten Deutschland zu adaptieren. Norman Fosters transparente Lösung ist eine Aussage zur Idee der Demokratie. Unter all den Bauaufgaben im wiedervereinigten Deutschland ist der Umbau des Berliner Reichstags wohl die symbolträchtigste. Die Entscheidung, keinen Neubau zu errichten, sondern aus dem leichten Glashaus in Bonn in das wilhelminische Gemäuer im Zentrum Berlins, einen Bau von Paul Wallot aus dem Jahr 1894, zu übersiedeln, ist dem deutschen Bundestag nicht leicht gefallen. Bis 1932 hatte hier das demokratisch legitimierte Parlament getagt. Der Brand des Reichstags im Jahr darauf war für Hitler Anlass, die Weimarer Republik endgültig auszulöschen und durch Notverordnungen die Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland außer Kraft zu setzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude beschädigt und von der Roten Armee gestürmt. Eine Sanierung in den sechziger Jahren beschränkte sich darauf es wieder notdürftig nutzbar zu machen. Diesen historischen Ort für das Parlament der jungen „Berliner Republik“ zu adaptieren führte zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte unter den Gesichtspunkten von Kontinuität und Differenz. Sir Norman Foster, von dem die Planung für den Umbau stammt, hat sich vordergründig an eine Metaphorik gehalten, die jeder Politiker versteht: Weil Transparenz einer Demokratie gut ansteht, sollen auch ihre Gebäude transparent und vom Licht der Aufklärung durchflutet sein. So hingeschrieben, ist das natürlich reinster Kitsch. Als gebaute Hoffnung hat es aber durchaus Berechtigung. Schon Günther Behnischs gläserne Kiste in Bonn hatte ähnlich Symbolisches zu bieten. Ihre Qualität lag vor allem in der Zerbrechlichkeit, die sie ausstrahlte und die der Vorläufigkeit des geteilten Deutschland entsprach. Dass die Gläser in Wahrheit granatensicher waren, änderte nichts an der Botschaft. Hätte sich Foster in Berlin darauf beschränkt, die schweren Massen des Altbaus einfach durchsichtiger und lichter zu machen, wäre kaum mehr herausgekommen als eine Konzernzentrale für die wiedervereinigte Deutschland AG. Seine große Leistung besteht darin, mit der vertikalen Sequenz von Plenarsaal und Kuppel einen der ungewöhnlichsten und irritierendsten Räume geschaffen zu haben, die je gebaut wurden. Foster gelang es, seinen Bauherrn von der anfangs gewünschten Rekonstruktion der alten Kuppel abzubringen und von einer Lösung zu überzeugen, bei der Plenarsaal und Kuppel zu einer über 40 Meter hohen vertikalen Sequenz zusammengefasst sind. Diese Lösung ist auf den ersten Blick simpel: Der Plenarsaal wird mit einem Glasdach gedeckt, darüber sitzt die Kuppel als leichter, verglaster Stahlkorb. An dessen Innenseite entlang führen zwei öffentlich zugängliche Rampen zu einer Aussichtsplattform, die frei in den Kuppelraum gehängt ist – eine Anordnung von einigem symbolischen Witz: Wenn das Volk über die Rampe zur Aussichtsplattform aufsteigt, ist es für die Parlamentarier stets präsent und kann ihnen umgekehrt durch die Glasdecke bei der Arbeit zusehen. Seine besondere Qualität bekommt der Kuppelraum erst durch zwei Einbauten, die ihre ästhetische Bestimmung hinter äußerst vernünftig-funktionellen Bezeichnungen
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verbergen: einen Lichtkonus und einen Sonnenschutz. Der Lichtkonus, ein spitz zulaufender Rotationskörper, bildet das räumliche Gegengewicht zur Schalenform der Kuppel. Seine Außenseite ist mit Hunderten von Spiegeln verkleidet, die einerseits die Besucher auf den Rampen in ebenso vielen Facetten reflektieren und andererseits Licht in den Plenarsaal leiten. Der Lichtkonus durchdringt die Glasdecke über dem Plenarsaal und schwebt so wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Parlamentarier. In seinem Inneren befindet sich eine Lüftungsanlage für den Plenarsaal, die über Öffnungen in der Kegelspitze die warme Luft von dort absaugt. Der Sonnenschutz, ein blattförmiges, organisch anmutendes Gebilde, ist ebenfalls frei von der Plattform abgehängt. Angetrieben von kleinen Elektromotoren, bewegt er sich in einer langsamen, dem Sonnenstand folgenden Bewegung die Innenseite der Kuppel entlang. Diese Einbauten machen die Kuppel zu einer beinahe surrealistischen Inszenierung: ein dichtes Geflecht aus konkaven und konvexen Kurven, ein Spiegelraum mit eingebautem Chronometer, zugleich ein Augapfel, in den der Keil des Lichtkonus bedrohlich hineinragt. Hanno Rauterberg hat in der „Zeit“ kritisiert, dass dieser Raum zu sehr den spektakulären Innenräumen der Shopping Malls gleiche, dass er wie sie um die Aufmerksamkeit der Schaulustigen buhle und damit die Demokratie zu einem Dienstleistungsbetrieb degradiere. Nicht Bedeutung, sondern Erlebnis präge die neue Kuppel. Vom geheimnisvollen Zukunftsversprechen, das sich hinter Christos und Jeanne-Claudes Verhüllung des Reichstags verborgen habe, seien nur Show und Spektakel übrig geblieben. Aber diese Kritik wird dem Kuppelraum nicht gerecht: Während die Inszenierung der Shopping Mall nichts anderes leisten soll, als den Besucher zu blenden, ist er hier ein Beobachter, der in ein gigantisches Meßinstrument einsteigt – und sich dann plötzlich selbst in einer der spiegelnden Facetten wahrnimmt. Mit den beschränkten Mitteln, die der Architektur zur Verfügung stehen, um eine abstrakte Idee auszudrücken, macht Foster hier eine überzeugende Aussage zur Idee der Demokratie. Die Implantation einer neuen Aussage in einen historisch brisanten Altbestand: damit ist in Berlin ein Schritt zur kulturellen Identitätsfindung mit den Mitteln der Architektur gelungen, der in Wien sowohl beim Ronacher als auch bei den Redoutensälen (um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen) verweigert wurde. Immerhin gibt es in Berlin einen österreichischen Beitrag: Die Ausführung der Kuppel stammt vom Wiener Stahlbauunternehmen Waagner-Biró, das in Berlin auch die technisch noch weit komplexere Überdachung des Sony-Centers baut. Dass Waagner-Biró beim Reichstag zum Zug gekommen ist, liegt vor allem an der Fähigkeit, dem bedingungslosen Qualitätsanspruch des Büros Foster folgen zu können. Die surrealistische Wirkung des Kuppelraums lebt von der Qualität im Detail, von der Art, wie alle Elemente voneinander abgesetzt sind und zu schweben scheinen. Rampen, Lichtkonus und Plattform sind mit dünnen Verbindungselementen von den Stahlrippen der Kuppel abgehängt, und auch das große Blatt des Sonnenschutzes ist nur mit seinem oberen Ende an der Plattform befestigt und dreht sich ansonsten frei im Raum. Dieses Freispielen der Elemente stellte höchste Anforderungen an Konstruktion und Ausführung. Komplizierte, für jede horizontale Position eines Kuppelsegments unterschiedliche Guss- und Strangpreßssteile stellen die Verbindungen her. Als höchst komplex erwies sich auch die Ausführung der beiden Spiralrampen, in deren schlanken Querschnitten sowohl die Entwässerung als auch die Leitungen für die Klimatechnik geführt werden mussten. Wer sich die Photos vom Bauablauf ansieht, ist fasziniert davon, wie zwischen Computern, Schweißrobotern und hydraulischen Bühnen immer noch die Archaik des Bauens spürbar wird. Die Kuppel, die Brunelleschi im Florenz des frühen 15. Jahrhunderts für den Dom errichtete, hat konstruktiv mit jener des Reichstags nur wenig gemein (obwohl sie ihr ziemlich exakt in den Dimensionen entspricht); als zugleich künstlerische wie konstruktive und organisatorische Leistung aber sehr viel. Dass auch das Werk eines „Stararchitekten“ zu einem großen Teil darin besteht, einen Qualitätsanspruch an eine große Zahl von möglichst kongenialen Partnern zu
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vermitteln, hat schon Brunelleschi erkannt. Seine legendäre Auseinandersetzung mit den zünftig organisierten Baumeistern und Steinmetzen hatte das Ziel, diese auf „Innovationskurs“ zu bringen. Im heutigen globalisierten Wettbewerb wird diese Qualität immer entscheidender. Der gute Ruf, den Waagner-Biró sich mit den Berliner Projekten erworben hat, lohnt sich: Derzeit arbeitet dieselbe Projektgruppe unter der Leitung von Johann Sischka, die schon den Reichstag betreut hat, an einem neuen Projekt nach dem Entwurf von Foster Associates, der Überdachung des Innenhofs im British Museum in London. Der Entwurf sieht ein gekrümmtes Stahltragwerk vor, das eine Fläche von 6000 Quadratmetern bedeckt. Unter den rund 5000 Knoten gibt es über 1800 unterschiedliche Typen, die nur mit computerunterstützten Produktionsverfahren erzeugt werden können. An Innovation wird es auch dort nicht fehlen. Die Presse, 24.12.1998
„MACH DOCH DIE BUDE GROß“ Als „das Kompromissloseste, was es derzeit gibt“, bezeichnete Rudolf seine Aachener St.-Fronleichnam-Kirche aus dem Jahr 1929. Mit St. Theresia in Linz-Keferfeld schuf er den schönsten modernen Kirchenraum Österreichs. 'Vom Bau der Kirche': Unter diesem Titel erschien im Jahr 1938 ein Buch, in dem Rudolf Schwarz, Jahrgang 1897, seine Theorie des Kirchenbaus formulierte. Es ging ihm dabei weder um eine Geschichte noch um ein praktisches Handbuch, sondern um eine grundsätzliche Betrachtung sakralen Bauens. Seine Konzepte für Sakralräume lesen sich wie Versuche, das Unsagbare doch in Worte zu fassen: vom „Heiligen Ring“ ist da die Rede, vom „Lichten Kelch“ und von der „Heiligen Fahrt“, vom „Lichten Gewölbe“ und vom „Dom aller Zeiten“, der „den ganzen Ablauf der Zeit in sich vereint“. Bei dem Symposium, das im Architektur Zentrum Wien anlässlich der Eröffnung der Ausstellung über Rudolf Schwarz abgehalten wurde, kam die Rede sehr bald auf diese Metaphern und auf die „dunkle“ Sprache des Architekten. Als Raumschöpfer sei Schwarz über jeden Zweifel erhaben, aber wozu braucht ein Architekt derartige Sprachbilder? Ist Schwarz mit seiner Suche nach dem Eigentlichen, nach dem Wesen der Dinge nicht eine hoffnungslos konservative Figur? Wolfgang Pehnt, der zusammen mit Hilde Strohl die hervorragende Monographie über Schwarz geschrieben hat, die als Katalog zur Ausstellung dient, sieht Schwarz als Vertreter einer „anderen“, jedoch keineswegs „gemäßigten“ Moderne. Das „andere“ vermutet Pehnt gerade in jenem „bildhaften“ Umgang mit den Aufgaben, der bei der Diskussion in Wien so viel Befremden ausgelöst hat. „Bewohnte Bilder“ heißt auch der Untertitel des Katalogs: Nicht um die leicht konsumierbaren Bilder der Postmoderne gehe es dabei, sondern um Bilder als „Baufiguren, die ihren Sinn in sich tragen“. Die Sprache spielt für diese Bilder eine wichtige Rolle. Sie sei, sagt Schwarz im „Bau der Kirche“,„voll von ermunternden und anweisenden Ausdrücken, die sich wie helfende Hände unter die Dinge legen“. Der idealistische Versuch, dem Bauen einen neuen Sinn zu geben, ist ein gemeinsamer Zug der deutschen Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg. Der Expressionist Hans Poelzig, in dessen Meisterklasse Schwarz nach seinem Doktorat an der Technischen Hochschule Berlin studiert hat, wäre hier zu nennen, aber auch das frühe Bauhaus, das ja durchaus seine„dunkle“, theosophische Seite besaß. Erst um 1930 hatte sich die „Neue Sachlichkeit“ mit dem Ideal einer funktionalistischen Architektur auf wissenschaftlicher Basis als bestimmende Richtung der Avantgarde
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durchgesetzt. Die Nationalsozialisten haben die Neue Sachlichkeit zwar als Stil geächtet, die Methoden des Systembaus und der rationalen Ordnung im Städtebau aber durchaus übernommen. Der bedeutendste frühe Bau von Schwarz, St. Fronleichnam in Aachen aus dem Jahr 1929, lässt sich formal dieser Richtung der Neuen Sachlichkeit zuordnen: eine innen und außen weiß verputzte Schachtel mit einem sehr niedrigen Seitenschiff und einem schmucklosen Turm, der über eine Stahlbrücke mit dem Hauptschiff verbunden ist – „das Kompromissloseste, was es derzeit gibt“, wie der junge Schwarz nicht ohne Stolz schrieb, eine „Wiedergeburt der Baukunst aus der Armut“. Der Theologe Romano Guardini, ein enger Freund des Architekten, sah in der asketischen Beschränkung einen Gewinn an Intensität: „Das ist keine Leere; das ist Stille! Und in der Stille ist Gott. Aus der Stille dieser weiten Wände kann eine Ahnung der Gegenwart Gottes hervorblühen.“ In diesem Umfeld entfalten die einfachsten Gesten eine starke Wirkung, etwa das „Herabsteigen“ der Fenster im Altarbereich, ein Motiv, das Schwarz auch in seinen späten Kirchen verwendet. Für St. Fronleichnam hat Schwarz eine Vielzahl von Varianten entwickelt. Auf einem Skizzenblatt zeigen die tanzenden Grundrissfiguren immer neue Kombinationen von massiven und transparenten Wandzonen, die dem Raum jene Dynamik geben, die ihn von der banalen Schachtel unterscheidet. In den Skizzen zu St. Fronleichnam wird auch die geistige Verwandtschaft zwischen Schwarz und Mies van der Rohe deutlich, die Suche nach einer absoluten Form des Bauens. Das neutrale, vom Alltäglichen abgerückte Bauwerk ist beiden Architekten ein Anliegen. Mies hat seinem Freund Hugo Häring gegenüber eine eher saloppe Begründung geliefert: „Mensch, mach doch die Bude groß, da kannst du hin- und herlaufen und nicht nur in einer vorgezeichneten Bewegung.“ Bei Schwarz heißt es gesetzter: „Nicht dort, wo dem Leben vorgesagt wird, wie es sich zu verhalten habe und schon die weichen Gehäuse einer Spontaneität vorgeplant werden, sondern dort, wo es unter das Firmament eines großen Gesetzes gestellt wird, erwacht es zu seinen höchsten Einsichten und zu seiner wirklichen Freiheit.“ Mies war der einzige unter den Bauhaus-Architekten, den Schwarz immer geschätzt hat, ein Urteil, das im übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte: „Denken und Bauen zeugen von der einzigartigen Größe unseres verstorbenen Freundes“, heißt es im Nachruf, den Mies für seinen 1961 verstorbenen Kollegen verfasst hat. Gegen Gropius entfachte Schwarz Anfang der fünfziger Jahre eine heftige Polemik, als er von „vorlauten und aufgeregten Terroristen“ sprach, die er für einen Bruch in der abendländischen Überlieferung verantwortlich machte. Ebenso verabscheute er Le Corbusiers Wallfahrts-Kapelle in Ronchamp: Er sei „zu lang ein Westwallbunkern gesessen“, um zu verstehen, wie Corbusier „aus einem Bunker samt Kanonenrohren eine Kirche“ bauen könne. Die Tendenz der fünfziger Jahre, die jeweils interessantesten Bauformen für den Kirchenbau zu nutzen, widersprach seinem Anliegen, „die kristallklare Ordnung der christlichen Welt groß und sichtbar Bau“ werden zu lassen. – Die Suche nach einer „kristallklaren Ordnung“ beschränkte sich bei Schwarz nicht auf den Kirchenbau, sondern umfasste auch die Stadtplanung. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er an Planungen in besetzten Teilen Frankreichs teilgenommen und dort an differenzierten Bandstadtmodellen gearbeitet, die er mit großer Einfühlsamkeit in die Landschaft setzte. Dass die kristallklare Ordnung im Kontext des Nationalsozialismus von einer totalitären Ordnung kaum mehr zu unterscheiden ist, scheint für Schwarz kein Thema gewesen zu sein. 1947 publizierte er sein Buch„Von der Bebauung der Erde“, das ursprünglich „Vom Bau der Welt“ hätte heißen sollen – in Analogie zum „Bau der Kirche“. Sein Bandstadtkonzept – eine innere Industriezone mit satellitenartig mit ihr verbundenen Siedlungen – setzt er darin in Beziehung zum Grundriss-Schema einer Kathedrale mit Seitenkapellen. Schwarz hat nach dem Krieg als Generalplaner von Köln Gelegenheit gehabt, seine Ideen in der Praxis zu erproben. An eine reale Durchdringung des Profanen durch das Sakrale scheint er, zumindest auf der urbanen Ebene, kaum mehr geglaubt haben. In einem Brief an Mies van der Rohe spricht er vom Wunsch, „noch einmal einen
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letzten Schimmer des alten untergehenden Lichtes über die Welt (unsere Welt, die so klein wurde) leuchten zu lassen“. Mit seinen Kirchenbauten ist ihm das jedenfalls gelungen. Im Werkverzeichnis finden sich über 60 Kirchenentwürfe aus der Nachkriegszeit, in denen Schwarz die Prinzipien, die er im„Bau der Kirche“ aufgestellt hat, variiert. Diese Kirchen sind „reicher“ als seine aus dem „Geist der Armut“ entstandenen Projekte der zwanziger Jahre, vielfältiger in den Materialien und teilweise organisch geformt. Ein herausragendes Beispiel ist St. Theresia in Linz-Keferfeld, ein lang gestrecktes Oval, in dessen beiden Brennpunkten sich jeweils Altar und Taufstein befinden. Der Eingang liegt beinahe beiläufig an der Seite. Auch für Wien hat Schwarz eine Kirche entworfen, St. Florian in der Wiedner Hauptstraße, die leider nicht nach seinen ursprünglichen Plänen, sondern in einer stark vergröberten Variante gebaut wurde. Das kleine Modell des Entwurfs mit seinen vier das Kirchenschiff gliedernden Lichthöfen ist allein einen Besuch der Ausstellung wert. Dass die Welt für seine Entwürfe zu klein geworden ist, hat Schwarz geahnt. Im heutigen gespaltenen Katholizismus würden sie überall anecken: zuwenig bodenständig für die einen, zu sehr Gottes- und zuwenig Gemeindehaus für die anderen. Als Raumkunst werden sie ihre Aktualität aber nie verlieren. Die Presse, 14.11.1998
DIE HOHE KUNST DER SCHRÄGE Obschon im Vergleich früheren Projekten beinahe zurückhaltend, wirkt er allemal wie eine durchkomponierte Skulptur: der Wohnturm von Coop Himmelb(l)au an der Wagramer Straße. Mit ihm sprengt das Architektenduo die Vorstellungen vom Wohnen im Wolkenkratzer Der Flammenflügel aus dem Jahr 1980: Das war für mich stets der Inbegriff der Architektur von Coop Himmelb(l)au. Eine 15 Meter hohe Skulptur aus Stahlrohren, an Drahtseilen abgehängt und mit Flüssiggas befüllt, wurde damals unter dem Motto „Architektur muss brennen“ im Hof der TU Graz entzündet. Das war eine Kampfansage an die vermeintlichen Grundlagen der Architektur: an Schwerkraft, an Dauerhaftigkeit, an eindeutige Form. So sehr mich der brennende Flügel fasziniert hatte, so wenig konnte ich seinen ruhiggestellten Nachfolgern abgewinnen, die in den achtziger Jahren in vielen Projekten von Coop Himmelb(l)au als Motiv auftauchten. Die skulpturale Qualität dieser Entwürfe war zwar offensichtlich, aber warum sollte man derartiges jemals als Architektur realisieren? Die Frage stellt sich heute nicht mehr: Mit dem UFA-Kinozentrum in Dresden und dem Wohnturm an der Wiener Wagramer Straße haben Wolf D.Prix und Helmut Swiczinsky sich vom avantgardistischen Rand ins Zentrum des Baugeschehens bewegt. Im Vergleich zu den Projekten der achtziger Jahre wirkt der Turm an der Wagramer Straße beinahe zurückhaltend. Dennoch ist auch dieser Bau eine durchkomponierte Skulptur. Man kann den Turm wie frühere Coop-Projekte als ein Ensemble von schrägen, raumbildenden Elementen interpretieren: An den Baukörperkanten sind die Glashüllen deutlich als selbständige Ebenen abzulesen. Zugleich ist aber das Körperhafte herausgearbeitet: Der Lüftungsturm ist der Kopf einer riesigen, archaisch anmutenden Figur. Die Unbestimmtheit zwischen diesen Lesarten trägt wesentlich zur besonderen Ausstrahlung des Gebäudes bei. Man betritt den Turm unter einem zwanzig Meter weit auskramenden Vordach, das von zwei aus dem neunten Stock abgespannten Stahlkabeln gehalten wird. Der Eingang liegt axial und führt in ein zweigeschossiges Foyer, vorbei an einer Portierloge, zu den Aufzügen. Der Grundriss überzeugt auf den ersten Blick – eine rationale Dreiteilung: ein Erschließungskern an der Nordseite und ein daran anschließender dreieckförmiger Zwickel, der sich entsprechend der Abschrägung des Baukörpers immer mehr verkleinert. Diese Teilung hat den Vorteil geringer Deckenspannweiten – und damit Konstruktionshöhen zwischen den tragenden
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Betonscheiben: So ließen sich im selben Volumen deutlich mehr Nutzfläche realisieren.
Foto: Gerald Zugmann
Abgesehen von der kleinsten Einheit haben alle Wohnungen Ausblick auf zumindest zwei Seiten und eine gute Querlüftung. Allen Geschoßwohnungen ist eine Loggia vorgelagert, die mit verstellbaren Glaslamellen vor dem Wind geschützt ist. Das gesamte neunte Geschoß kann als „Skylobby“ von den Bewohnern für Feste und als Kinderspielraum genutzt werden. – All das wäre schon eine respektable Leistung: Die erhöhte Nutzfläche erfreut den Bauherrn, die Wohnungsgrundrisse sind klar und leicht an individuelle Wünsche anzupassen, und die große Skulptur mit ihren leichten Schrägen könnte einen Stadtraum von hoher Qualität erzeugen, wäre sie nicht von bestenfalls bemühten bis halblustigen oder, wie im Fall der drei Mischek-Türme, geradezu infamen Nachbarn umgeben. In den Budgets kann dieser Qualitätsunterschied nicht begründet sein: Auch Coop Himmelb(l)au errichteten ihren Turm im Rahmen der Wohnbauförderung. Wer den Turm an der Ostseite genau betrachtet, wird ab dem neunten Geschoß eine etwas veränderte Fassadenkonstruktion erkennen, hinter der sich ein durchgehender Luftraum befindet. Dieser Luftraum hat einerseits bauklimatische Funktion: Im Winter wird die hinter der Glaswand aufgeheizte Luft zu einem Wärmetauscher aufs Dach geführt und trägt zur Heizung bei. Der Überhitzung im Sommer wird durch Zuführung kalter Luft vorgebeugt, die von einem Trichter im Gebäudekopf eingefangen und nach unten geleitet wird. Andererseits entsteht hinter dieser Klimafassade, die mit einigem Abstand wie ein leichter Glasflügel über den Stahlbetonkern gefaltet ist, tatsächlich so etwas wie eine vertikale Stadt. Wer von seinem Wohnzimmer auf die große, zweigeschossige Loggia hinaustritt, steht in einem über 14 Geschoße reichenden Wintergarten, auf dessen unterstem Niveau sich der Hauptraum der Skylobby befindet. Kommunikativ im sozialromantischen Sinn ist diese vertikale Stadt nicht: Man kann seinem Nachbarn weder zuwinke noch ihm schnell über einen künstlichen Dorfplatz einen Besuch abstatten. Und trotzdem könnte der Unterschied zum Leben in der isolierten Schachtel nicht größer sein. Man merkt, dass sich Bauherr und Architekten mit der Grundsatzfrage des Wohnhochhauses auseinandergesetzt haben und zu einer Antwort gelangt sind, die die konventionelle Typologie dieser Bauaufgabe sprengt. Eine Fortsetzung ist übrigens geplant: In der Vorgartenstraße errichten Coop Himmelb(l)au – ebenfalls für die SEG – eine Blockrandbebauung, mit der sie diesen Typ neu definieren wollen. Aber was ist aus dem brennenden Flügel geworden? Sind die Coop Himmelb(l)au am Ende zu Pragmatikern mutiert? Man hat eher den Eindruck, dass die Architekten konzeptionell zu ihren Ansätzen aus den sechziger Jahren zurückgefunden haben. „Architektur ist Inhalt, nicht Hülle“, haben sie damals geschrieben. Auch wenn ihre
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Projekte aus dieser Zeit den Charakter architektonischer Apparate hatten, so waren sie doch immer vermittelnd um den Menschen herum gebaut. Mit einem Dekonstruktivismus, der selbstreferentiell die„Anthropozentrik“ der Architektur überwinden möchte, hat das nichts zu tun. Was Coop Himmelb(l)au in den achtziger Jahren in Umfeld des Dekonstruktivismus als formale Sprache entwickelt haben, ist also nicht Inhalt, sondern Mittel zum Zweck: So virtuos, wie sie diese Sprache inzwischen beherrschen, ermöglicht sie ihnen Freiheiten, die dem heutigen Stand der Technologie und Produktion entsprechen und von den klassischen Ausdrucksmitteln kaum mehr geboten werden. Die Presse, 26.9.1998
WENN DIE WELT INS HAUS BRICHT Um Lebensformen, erst in zweiter Linie um Bauformen geht es Rem Koolhaas bei seinen Wohnbauten. An den Villen, die derzeit im Architektur Zentrum präsentiert werden, lässt sich eine Tendenz ablesen: ein immer radikalerer Umgang mit den Themen der Moderne. In einer Welt flüchtiger Bilder wird Architektur gerne als Bastion des Dauerhaften verstanden: Festgefügt und jedem Sturm trotzend, teilt sie die Welt ein in Öffentliches und Privates, in gefährliche Außenwelt und sicheres Innen. Von der Villa Rotonda bis zur Villa Kunterbunt dasselbe Schema - das Haus als schützendes, klar abgegrenztes und fassbares Objekt in der Landschaft.
Foto: Hans Werlemann
Was soll aber dieses Photo? Abgebildet ist offensichtlich ein Innenraum. Auf einem Parkettboden steht ein kubisches Volumen, auf einer Seite mit Wellblech abgeschlossen, auf den anderen Seiten verglast. Die Verglasungen sind unterschiedlich geteilt: Die dem Betrachter nächste Ebene ist in vier Felder geteilt, die hintere in acht. Die rechte Seite ist ohne Unterteilung mit opakem Glas geschlossen. Der Boden des Kubus ist ebenfalls aus Glas und wird gerade von unten erleuchtet. Nach oben ist der Kubus offen und erlaubt den Blick auf ein Stück Himmel: Offensichtlich handelt es sich um einen kleinen Hof. Eine Treppe, rechts angedeutet durch die zwei schwarzen Linien des Geländers, führt ins untere Stockwerk. Verwirrung stiften die Bäume und die Horizontlinie, die in den Raum eingeblendet erscheinen und das Bild wie eine Szene aus einem Film von Andrej Tarkowski wirken lassen. - Eine Photomontage, eine Doppelbelichtung? Oder ist das Photo von außen durch eine weitere Glasscheibe aufgenommen, in der sich die Außenwelt spiegelt? Das Objekthafte tritt in diesem Bild völlig hinter dem Atmosphärischen zurück. Die kleine Villa, die es eben nicht abbildet, sondern darstellt, scheint den Spielregeln der klassischen Moderne zu gehorchen, wie sie Mies van der Rohe in seinem "Tugendhat Haus" in Brünn und dem "Barcelona Pavillon" formuliert hat: klare Linien und
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Proportionen, edle Materialien unterschiedlicher Dichte und Transparenz. Erst in der Verfremdung wird der konzeptionelle Bruch klar. Wo sich die Architektur der Moderne noch der Welt öffnet, um sie mit ihren Mitteln in Ordnung zu bringen, da bricht hier die Welt ins Haus ein, kehrt das Innere nach außen und das Untere nach oben. Die kleine Villa mit dem Innenhof - 1988 fertig gestellt - ist das älteste unter den fünf Wohnhaus-Projekten des holländischen Architekten Rem Koolhaas, die derzeit im Architektur Zentrum Wien unter dem Titel "Living - Reading" präsentiert werden. Wer sie chronologisch bis zum jüngsten Projekt, einer gerade fertig gestellten Villa in Bordeaux, betrachtet, wird einen immer radikaleren Umgang mit den Themen der Moderne feststellen. Die "verkrustete Definition von Architektur als etwas, das ein für allemal festschreibt", wird für Koolhaas immer fragwürdiger. Aber wie lässt sich zwischen Ordnung und Freiheit die richtige Balance finden? Als Theoretiker hatte Koolhaas in seinem Buch "Delirious New York" noch die Vorzüge des amerikanischen Hochhauses preisen können, die neutrale, offene Struktur, deren Hülle sich vom Inhalt längst abgelöst hat. In seinen Bauten macht er sich - scheinbar im Widerspruch zu seinem Loblied auf die neutrale Stadt ohne Eigenschaften - immer auf die Suche nach der spezifischen, einzigartigen Lösung. Das ist weniger inkonsequent, als es vorerst klingt. Koolhaas trennt Architektur und Städtebau in zwei unabhängige Disziplinen: Der Städtebau hätte Potentiale zu schaffen, die dann von der Architektur ausgelotet und genutzt werden müssten. Koolhaas hat bewiesen, dass er imstande ist, dieses Konzept auch in der Praxis durchzuhalten - wenn die politischen Voraussetzungen stimmen. Zum Milliardenprojekt Eurolille, dem vergangenes Jahr eine eigene Ausstellung im Architektur Zentrum Wien gewidmet war, wurde er von den Verantwortlichen nicht geholt, um die Dinge zu vereinfachen, sondern um jene "höllische Dynamik" zu entfesseln, die große Projekte zu ihrer Verwirklichung brauchen. So war es in Lille möglich, Bauträger mit unterschiedlichen Nutzungsinteressen auf mehreren Ebenen übereinander vorzusehen - eine Idee, die Koolhaas selbst als so riskant einschätzte, dass er sich über die Zustimmung wunderte. Aber die Verquickung aller Interessen bis zu einem Punkt, der nur gemeinsames Scheitern oder gemeinsamen Erfolg möglich machte, war ganz im Sinne der Auftraggeber. Der Erfolg von Eurolille hat Koolhaas und sein OMA (Office for Metropolitan Architecture) zu einem gefragten Stadtplaner im asiatischen Raum gemacht, wo sich derzeit die größten Herausforderungen an die Urbanistik stellen. Für Koolhaas ist der Begriff Stadt freilich mit soviel historischen Schlacken belastet, dass er sich kaum mehr als Bezeichnung für diese Agglomerationen eignet. Das Institut, an dem er in Harvard forscht und unterrichtet, heißt bezeichnenderweise "Institute for the study of what used to be the city". Um das Auftragsvolumen bewältigen zu können, hat Koolhaas OMA inzwischen zu 50 Prozent an ein großes holländisches Ingenieurbüro verkauft. In Hongkong arbeitet eine OMA-Filiale als Franchise-Unternehmen, das sich, den örtlichen Bedingungen der Architekturproduktion entsprechend, in erster Linie auf das Problem der Gebäudehülle konzentriert. - Aber zurück zum kleinen Maßstab: In der Ausstellung präsentiert Koolhaas seine Wohnhäuser unter dem Titel "Living". Es geht um Lebensformen, erst in zweiter Linie um Bauformen. Und es geht um das Planen und Bauen als Prozess: Koolhaas nennt Architektur eine auszehrende und süchtigmachende Tätigkeit, und ausnahmslos alle Bauherrn der gezeigten Häuser waren genauso süchtig nach Architektur wie ihr Architekt. Der Bauherr der Villa Dall'Ava bei Paris führte den Prozess um seine Baubewilligung bis zum obersten Gerichtshof - und gewann. Der Bauherr des "Dutch House" hat sich ein Haus bauen lassen, das an vielen Stellen Geschichten erzählt, statt einfach problemlos zu funktionieren: Das Schlafzimmer, auch hier an einem kleinen Innenhof gelegen, lässt sich nur über eine Zugbrücke erreichen; die Zimmer der Töchter, die nur ab und zu auf Besuch kommen, liegen im Tiefgeschoß mit Blick auf eine Betonwand. Eine Rampe hebt ein dreieckiges Stück aus dem Boden des Hauptgeschoßes so in die Höhe, dass der vorprogrammierte Blick über die Terrasse
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empfindlich gestört wird. Die Störung gehört freilich zum Konzept: Erst was nicht funktioniert, wird lebendig. Das Haus in Bordeaux - das jüngste in der gezeigten Serie - hat eine besondere Geschichte. Nachdem Koolhaas den Auftrag bereits erhalten hatte, erlitt der Auftraggeber einen schweren Unfall und ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Er wollte nun nicht mehr - wie zuvor - ein sehr einfaches Haus, sondern im Gegenteil ein sehr komplexes: Es werde schließlich seine Welt sein. Koolhaas hat ein Haus auf drei Ebenen entworfen: eine Zufahrtsebene mit höhlenartigen Räumen, darüber eine verglaste Plattform, über der ein schwerer Block aus Beton mit kreisrunden Fensterlöchern schwebt. Verbunden sind diese Ebenen durch eine Wendeltreppe und einen Lift mit einer Grundfläche von 3 mal 3,5 Metern - das Arbeitszimmer des Bauherrn, das an einer Bücherwand entlangfährt und an alle anderen Ebenen des Hauses niveaugleich andocken kann. Mit diesem Haus hat sich Koolhaas am weitesten von den ruhigen Kuben Mies van der Rohes und dessen Definition, Baukunst beginne mit dem sorgfältigen Zusammenfügen zweier Ziegelsteine, entfernt. Das Haus ist ein unglaublicher konstruktiver Gewaltakt, die pure Lust am Überspielen aller statischen Regeln. Der Betonblock liegt auf drei Punkten auf und ist zusätzlich von einem Stahlträger abgehängt, der aber seinerseits über dem Gebäude zu schweben scheint. Das Material zu diesen Einfamilienhäusern und zu der verdichteten Gruppe von 24 Wohneinheiten im japanischen Fukuoka ist in der Ausstellung, die vom Architekturzentrum Arc en Rêve in Bordeaux übernommen wurde, nach den unterschiedlichen Präsentationsformen geordnet. In einem Raum finden sich alle Modelle, im nächsten Raum alle Pläne, im dritten großformatige Photos und Videos zu einigen der Bauten. Im letzten Raum schließlich gibt es den Übergang zum zweiten Thema der Ausstellung, dem Lesen. Hier sind die Wände tapeziert mit Seiten des 1995 erschienenen Buchs "S,M,L,XL" von Rem Koolhaas und Bruce Mau, dessen graphische Gestaltung wesentlich zum Erfolg des Buches beigetragen hat. Mau ist anschließend ein eigener Raum mit seinen Arbeiten für ZONE Books gewidmet. Die großen und ganz großen Projekte hätten, so schreibt Koolhaas in "S,M,L,XL", seine Architekturauffassung radikal verändert. Trotzdem erweisen sich die kleinen Wohnbauten als unabdingbare Experimentierfelder einer Architektur, die sich unter härtesten Bedingungen immer noch als Baukunst begreifen will. Wer an dieser exotischen und vom Aussterben bedrohten Disziplin Interesse hat, dem sei die Ausstellung wärmstens empfohlen. Die Presse, 19.9.1998
VIELE HÄUSER SIND NOCH KEINE STADT Der Andromeda-Tower ist eröffnet, eine Reihe von Wohnbauten so gut wie fertig gestellt: An der Wiener Reichsbrücke wächst ein Stadtteil in den Himmel. Von der EXPO-Euphorie über die „Platte mit Loch“ zur Donau-City: Eine Jahrtausendchance – und was in Wien aus ihr wird Immerhin: ein Turm. Die WED, die Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum, hat endlich Anlass zu feiern. Waren andere große Bauvorhaben wie das Museumsquartier stets heftig umstritten und oft am Rande des Abgrunds, so war das Immobilienprojekt vor der UNO-City weniger Zankapfel als vielmehr anhaltende Peinlichkeit. Hier gab es nichts mehr zu verhindern: die Baugrube war längst ausgehoben, die Infrastruktur geschaffen. Was fehlte, war das Vertrauen der Investoren. Das Projekt mühte sich dahin, mit immer neuen Ideen für attraktive "Ankernutzungen", vom Guggenheim-Museum über ein Ost-WestWirtschaftszentrum bis zur Fakultät für Maschinenbau. Längst hatte man einen Teil des Areals an den geförderten Wohnbau vermittelt, um zumindest irgendeine Bewegung in das Projekt zu bringen.
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Und jetzt also der Turm. Wilhelm Holzbauer hat mit dem Andromeda-Tower ein sehr wienerisches Hochhaus entworfen, nicht nur wegen der eher bescheidenen Höhe von 110 Metern. Louis Sullivan, der amerikanische Architekt, auf den der fatal missverstandene Satz zurückgeht, dass die Form nur der Funktion folge, hat vor hundert Jahren zum Thema Hochhaus eine immer noch gültige Formel geprägt: "It must be tall, every inch of it tall!" In jedem Zoll müsse sich die Idee der Höhe ausdrücken, kein Element dürfe die vertikale Bewegung hemmen. Für Sullivan war das Hochhaus Ausdruck von Verwegenheit, ein Produkt unheimlicher und geradezu bedrohlicher Bedingungen. Im Andromeda-Tower ist das Foyer gemütlich, das Portal ein nettes Motiv, und die herausgekippten "Erker", hinter denen sich längst nicht mehr die großen offenen Hallen befinden, die Holzbauer im Vorentwurf geplant hatte, sondern gewöhnliche Büroetagen, sind Zierrat. Wer ein Hochhaus sehen möchte, das Sullivans Definition gerecht wird, muss sich eine U-Bahnstation weiter zum Wohnturm von Coop Himmelb(l)au bemühen. Aber solche Überlegungen sind bei einem kommerziellen Bauvorhaben dieser Art völlig nachrangig. Irgendwann wird der Andromeda-Tower einer von vielen sein und in der hinteren Reihe seinen Platz gefunden haben. Viel wichtiger ist, dass es der WED gelungen ist, die Immobilie zu rentablen Preisen zu vermieten, noch dazu an internationale Großkonzerne, die als "anchor-tenants" den Ruf der Adresse für die Zukunft aufwerten. In die Freude über den Erfolg mischt sich leise das Bedauern, dass man den Turm heute dreimal hätte vermieten können. Allerdings werden frühestens zeitgleich mit dem Konkurrenzprojekt am anderen Donauufer, wo mit dem Millenniumstower Wiens höchstes Büro- und Wohnhaus entsteht, weitere Flächen in der Donau-City zu mieten sein. Zumindest ist nun das Vertrauen der Investoren in den Standort und seine internationale Attraktivität wieder vorhanden. Man darf erwarten, dass sich in den nächsten Jahren die Lücke zwischen den gerade fertig gestellten Wohnbauten am Donaupark und der Reichsbrücke füllen wird: sicher mit weiteren Bürohäusern, wahrscheinlich auch mit der Maschinenbaufakultät. Vielleicht entstehen sogar die rund 140 Meter hohen Zwillingstürmen nach den Entwürfen von Isozaki und Peichl und schließlich das große, von allen kleinen Mitterands dieses Landes herbeigesehnte Kulturbauwerk, das formal und inhaltlich die Welt so in Staunen versetzen soll, wie zuletzt das Guggenheim-Museum in Bilbao. Also doch eine Erfolgsgeschichte? Gemessen an den Zeiten, in denen die WED auf einer "Platte mit Loch" saß, die sich nicht vermarkten ließ, sicher. Gemessen an den Erwartungen, die man in die Entwicklung Wiens durch das Projekt und seine Verknüpfung mit der Weltausstellung 1995 gesetzt hatte, ganz sicher nicht. Der pathetische Name der WED, eine "Gesellschaft zur Entwicklung des Donauraums" zu sein, ist vielleicht die letzte Reminiszenz an diese Erwartungen und zugleich ein Anknüpfungspunkt für einen Exkurs in die Vergangenheit.
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Die Aufwertung des Donauraums als Jahrtausendchance für Wien zu begreifen, geht auf eine Anregung des Schriftstellers Jörg Mauthe Mitte der achtziger Jahre zurück. Unter Donauraum ist natürlich mehr zu verstehen als die Parzelle vor der UNO-City. Mauthe hatte diesen vieldeutigen Begriff gewählt, um gleich mehrere Entwicklungschancen für Wien anzudeuten. Einerseits träumte er von einer grundsätzlichen Umorientierung der Stadtentwicklung, von einer Verlagerung des urbanen Schwerpunkts Richtung Donau. Mit dem Donaudurchstich im vergangenen Jahrhundert war der Fluss, der zuvor gefährlich oft einen neuen, mäandernden Weg durch die Aulandschaft gefunden hatte, zwar gezähmt, aber er blieb in seinem kanalisierten Bett den Wienern fremd. Mit der Donauinsel hatte sich das geändert, und die Chancen zu einer wirklich urbanen Belebung der kilometerlangen Öde standen Mitte der achtziger Jahre nicht schlecht, als man glaubte, von einer "Neuen Gründerzeit" sprechen zu dürfen. Andererseits steht der Begriff des Donauraums auch für ein geopolitisches Konzept: die Schaffung eines mitteleuropäischen Selbstverständnisses, in dem die alten Bindungen zwischen den Staaten an der Donau neu aufleben. Als der Wiener Vizebürgermeister Hans Mayr die Idee ins Spiel brachte, als Motor für die Entwicklung des Wiener Donauraums eine Weltausstellung abzuhalten, war es nur ein kleiner Schritt zur Verbindung all dieser Vorstellungen in einer gemeinsamen EXPO in Wien und Budapest. Die Parteien stellten sich in seltener Einmütigkeit hinter das Projekt. Erhard Busek durfte als Wissenschaftsminister und Vertreter des Bundes hoffen, die Ideen seines inzwischen verstorbenen Mentors Jörg Mauthe umzusetzen. Man schien ein Projekt gefunden zu haben, bei dem tatsächlich alle gewinnen konnten. Wien durfte sich vorgezogene Investitionen des Bundes in seine Infrastruktur erwarten; die Banken und Versicherungen, die das Projekt finanzieren sollten, hofften auf Gewinne aus der Nachnutzung des Geländes für ein Immobilienprojekt; der wirtschaftliche Impuls für die Region hätte in Österreich rund 50000 Arbeitsplätze geschaffen. Und dass Wien als EXPO-Standort bessere Chancen hatte, nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ wirklich zum viel beschworenen "Tor nach Osten" zu werden, war evident. Bund und Stadt gründeten eine EXPO-Gesellschaft, die nach den ersten wesentlichen Entscheidungen vollständig an private oder zumindest nominell private Investoren übergehen sollte. Bis auf den japanischen Nomura-Konzern handelte es sich durchwegs um österreichische Banken und Versicherungen, von der Z über die Bawag bis zu Raiffeisen sowie die Wiener Holding. 1990 war das Projekt soweit gediehen, dass man einen internationalen Architektur-Wettbewerb für die EXPO und die Nachnutzung des Geländes ausschreiben konnte. Vorprojekte, in denen die heimischen Stars ihre Ideen präsentieren durften, hatten die Optionen aufgezeigt. In Erinnerung bleibt ein Entwurf von Hans Hollein und Coop Himmelb(l)au mit monumentalen Kuben am Ufer der Donau, drei auf der Copa Kagrana und einer jenseits der Reichsbrücke, verbunden durch Skywalks: Eine faszinierendes Konzept, eine EXPO zum Staunen, aber ein Alptraum für die Investoren. Im Wettbewerb belegten Hollein und Coop Himmelb(l)au mit einem arg aufs Realistische zusammengekochten Projekt den zweiten Platz. Das Siegerprojekt aus dem Büro von Sepp Frank sah eine Überplattung des Areals durch ein "Basisbauwerk" mit Garagen vor, auf dem unter großen wellenförmigen Dächern die Pavillons der Nationen Platz gefunden hätten. Die Qualität des Projekts lag in seiner klugen Zonierung: nach der EXPO wären nur auf einem schmalen Streifen direkt vor dem Konferenzzentrum einige Ausstellungs- und Freizeit-Nutzungen verblieben, der Rest als freigeräumtes Areal für die weitere Verwertung zur Verfügung gestanden. Als der Wettbewerb juriert wird, hat sich die politische Wetterlage in Wien für die EXPO aber bereits verdüstert. Die FPÖ ändert ihren Kurs und betreibt ein Volksbegehren gegen das Projekt. Es reicht, alle tatsächlichen Risiken der EXPO aufzuzählen: steigende Immobilienpreise, Verkehrsproblematik, Kosten. Dazu kommt das generelle Misstrauen gegen Großprojekte: zu gut ist der AKH-Skandal noch in Erinnerung. Und schließlich wendet sich die FPÖ noch an die latente Xenophobie aller anständig Gemütlichen. Von zigtausenden Russen wird gesprochen, die einen EXPO-Besuch zur illegalen Immigration nützen würden, und
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von kriminellen Elementen, die von einer solchen Veranstaltung angezogen würden wie die Motten vom Licht. Das Volksbegehren der FPÖ allein hätte die EXPO nicht verhindern können. Meinungsumfragen zeigten für Gesamt-Österreich eine solide positive Mehrheit, für Wien allerdings nur einen leichten Überhang der Befürworter. Außerdem stand die Übertragung der Anteile an der EXPO-AG an eine private Gesellschaft bevor, und keine Volksbefragung hätte ein privates EXPO-Vorhaben mehr verhindern können. Die entscheidende Wende kommt erst, als auch der neue ÖVP-Chef Heinrich Wille glaubt, die EXPO parteipolitisch nutzen zu müssen. Er befürwortet eine Volksbefragung in Wien, die mit der Befragung über das Kraftwerk Freudenau gekoppelt werden soll. Die SPÖ kann sich nicht weniger demokratisch geben als die Opposition. Wille beweist in jeder Hinsicht Mangel an taktischem Geschick: Vor der Abstimmung lässt er sein Konterfei mit dem Slogan "Der Wille zur Stadt" plakatieren, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf der linken Wähler, die eine solche Vereinnahmung des Projekts durch die ÖVP mit einem „Nein“ abstraften. Die EXPO-AG ist völlig damit überfordert, in wenigen Wochen eine Kampagne für das Projekt durchzuführen. Während die Donaukraftwerke AG seit zwei Jahren mit jeder Form der Werbung Stimmung für das Kraftwerk Freudenau machen konnte, bleiben der EXPO-AG letztlich die Dreiecksständer aus dem Wahlkampf. Werbezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs sind ein reguliertes und daher knappes Gut. Dazu kommt eine beispiellose Kampagne gegen das Projekt durch die gerade neu gegründete Wochenzeitung "Die Ganze Woche". Ihr Besitzer Kurt Falk, der noch eine offene Rechnung mit Hans Mayr zu begleichen hat, beschließt das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden und macht seine Neugründung auflagensteigernd zu einer Plattform gegen das Projekt. Unter dem Titel "EXPO: Verkehrshölle, Einbrecher und Taschendiebe" erfahren die Leser der "ganzen Woche", dass in Banja Luka, dem "Ausbildungszentrum der Taschendiebe Europas, mehr Nachwuchs denn je geschult" wird. Pro Monat dürfe Wien mit zusätzlich 21600 Eigentumsdelikten rechnen. Das Ergebnis der Volksbefragung ist entsprechend eindeutig: bei 43 Prozent Wahlbeteiligung sprechen sich 64 Prozent der Befragten gegen die EXPO aus. Die Frustration bei den Betreibern ist groß. Nur die Schönfärber unter den Investoren freuen sich über eine Nachnutzung ohne EXPO-Vornutzung. Die Realisten erkennen, dass es schwierig sein wird, den Standort ohne EXPO-Trubel attraktiv zu machen. Ein Zurück gibt es nicht mehr: die Sanierung der Mülldeponie, die unter einem Großteil des Areals liegt, ist bereits beauftragt. Um eine knappe Milliarde Schilling von denen allerdings ein großer Teil als Deponiegebühr wieder an die Stadt zurückfließt - werden hunderttausende Kubikmeter Schutt und Müll entsorgt und hinterlassen auf dem Grundstück ein Loch von rund 250 mal 500 Metern. Während sich die Wiener Betonindustrie schon darauf freut, dieses Loch mit einem großen Garagenbauwerk schließen zu dürfen, denkt die WED, die aus der EXPO-AG hervorgegangen ist, über die Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens nach. Ohne EXPO sind vorerst weder die Platte noch die Garagen nötig. Überplattet wird daher nur die Autobahn. Für das Baugelände selbst sucht man nach einer vernünftigeren Lösung. Adolf Krischanitz und Heinz Neumann erhalten den Auftrag, einen "Masterplan" für die Bebauung auszuarbeiten. Krischanitz hatte beim EXPO-Wettbewerb ein Projekt eingereicht, das sich vor allem mit der Nachnutzung beschäftigte und eine Kombination von Wohnungen und Büros in einer Abfolge von monumentalen, quer zur Donau gestellten Scheiben vorsah - ein Konzept, das Ludwig Hilberseimers Hochhausstadt aus den zwanziger Jahren aufnimmt, freilich auch Assoziationen zu Alt Erlaa erlaubt. In den Masterplan übernommen wurde davon die konsequente Entwicklung einer Stadt mit mehreren öffentlichen Ebenen: Wenn man schon eine gigantische Grube hatte erzeugen müssen, dann sollte daraus auch das Spezifische dieses Ortes entstehen. Der Masterplan sieht die Haupterschließung für Fußgänger auf der Höhe jener Baumkronen vor, die bis zu zwei Geschoße tiefer "in der Grube" gepflanzt werden können. Die exakte Umsetzung dieses Konzepts bleibt jeweils dem Investor überlassen. Von Seiten der WED werden nur die notwendigsten
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Erschließungen und Kollektoren mit technischer Infrastruktur errichtet. Im Grundriss entwickelte der Masterplan eine Grammatik von möglichen Bebauungsformen im orthogonalen Raster, der von einer auf das Projekt Hans Holleins zurückgehenden Diagonale unterbrochen wird. Insgesamt ist der Plan eine bemerkenswert gut geglückte Balance zwischen abstraktem Regelwerk und konkreter Vision. 1993 fanden - begleitet vom beginnenden Gerangel um die Ansiedlung des Guggenheim-Museums am Ende der Holleinschen Diagonale - zwei Gutachterverfahren auf dieser Grundlage statt: für die beiden Hochhäuser, die im Masterplan in der ersten Reihe an der Reichsbrücke vorgesehen sind, werden Entwürfe von Arata Isozaki und Gustav Peichl ausgesucht. Die Errichtung scheiterte aber vorerst an einer grundsätzlichen Schwäche der WED: in einer ImmobilienFlaute die Entscheidung für den Bau von zwei mal 25000 Quadratmetern Nutzfläche in bester Ausstattung zu fällen, ist an sich schon schwer genug; weil hier aber ein ganzes Konsortium von Banken und Versicherungen mit jeweils eigenen, oft auch konkurrierenden Immobilien-Engagements diese Entscheidung zu treffen hatte, wagte man sich vorerst an nicht mehr als den Andromeda- Tower. Rascher zu realisieren erwiesen sich dagegen die Wohnbauten. Hier hatte das Gutachterverfahren für rund 1000 Wohnungen zu einem gemeinsamen Leitprojekt von Hermann Czech, Michael Loudon, Delugan-Meissl und Cufer, Bammer und Balogh geführt. Hermann Czech, der renommierteste aus dieser Gruppe, verliert schließlich den Auftrag, nicht zuletzt, weil er unwillig ist, den von den Bauträgern geforderten Honorarnachlass von 25% im ganzen Umfang zu gewähren. An seiner Stelle übernimmt Eric Steiner die Federführung des Projekts. Wer heute vom Andromeda-Tower zu den neuen Wohnbauten blickt, sieht hinter der nach wie vor dominierenden Grube die gebänderten Ostfassaden der Bauteile von Steiner und Cufer und vorne, an der Donauseite, die Schmalseite des Bauteils von Delugan-Meissl, der die Anlage zur Donau abschließt. Dahinter liegen zwei annähernd quadratische Hoffiguren: der hintere Hof wird durch den Wohnturm von Margarethe Cufer gewaltig nachverdichtet, der vordere soll laut Prospekt noch "intensiv durchgrünt" werden. Zur Donauparkseite hin gibt es wiederum eine gerade, gebänderte Front. Hermann Czech hatte hier eine durchlaufende zweigeschossige Arkade vorgesehen und damit eine halböffentliche gedeckte Zone, die an der Westseite zum Donaupark sicher großen Reiz gehabt hätte. In den jetzt realisierten Bauten sind solche Zonen ins Innere der Gebäude gelegt: glasgedeckte, begrünte Passagen, die über alle Geschoße durchgehen und die Treppen und Erschließungsgänge aufnehmen. Formal können die Bauten großteils überzeugen. Auch das Marketing des Projekts ist professionell und offensichtlich ist man schon im Vorfeld bemüht, soziale Probleme aufzufangen. Der Spielplatz wird regelmäßig von Animatoren betreut werden, ein Servicezentrum für die Mieter wird an prominenter Stelle eingerichtet. Sogar die Straßennamen sollen diesmal wieder imageverbessernd wirken: wurden am Leberberg die Straßen noch nach verdienten Simmeringer Bezirksräten benannt, wohnt man in der Donau-City immerhin an der Leonard Bernsteinstraße. Die Kosten für die Wohnungen sind mit etwas über 5000 Schilling Eigenmitteln und einer Miete von 65 Schilling pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten und Rückzahlung vergleichsweise günstig. Nach zehn Jahren können die Wohnungen ins Eigentum übernommen werden. Aber selbst wenn hier die schönste Wohnhausanlage Wiens entstanden wäre, ist es eben nur eine Wohnhausanlage und keine Stadt. Zur oft geforderten realen Durchmischung von Wohnen und Arbeiten, die gerade hier durch die große Dichte und die Höhe der Bauten möglich gewesen wäre, ist es wieder einmal nicht gekommen. Das Büroviertel nebenan wird abends kaum lebendig sein können. Und so wird sich der "wohnpark donaucity" nicht mit der Innenstadt messen dürfen, sondern mit seinem Namensvettern in Alt Erlaa und den 3000 Wohnungen, die Harry Glück dort in 90 Meter hohen, teilweise terrassierten Hochhausscheiben untergebracht hat. Wirtschaftlichkeit durch Dichte ist hier wie dort das Anliegen. Ob die Bewohner die Innenpassagen in der Donau-City als halböffentliche Zonen nutzen
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werden, oder doch lieber individuelle Pflanzentröge hätten, ob sie die Höfe als urban oder als eng empfinden, bleibt abzuwarten. Wie überhaupt das Spiel um die Donau-City noch offen ist. Die jüngsten Gestaltungsvorschläge für ein Experimentarium und den Freizeit- und ShoppingBereich lassen Zweifel aufkommen, ob das Bekenntnis zur Qualität dem Druck der Investoren standhalten wird. Und auch das aktuelle Gerede vom "zeitgenössischen österreichischen Symbolbauwerk" das zur kulturellen Krönung des Projekts werden soll, lässt nichts Gutes vermuten. Außerdem ist es überflüssig: was könnte das Österreich des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts besser symbolisieren als die Geschichte der Donau-City selbst, von der EXPO-Idee bis zu ihrem heutigen Zustand? Die Presse, 25.7.1998
KUNST ODER HÜLLE? An welchen Kriterien ist "Fortschritt" in der Architektur zu messen? An neuen Bautechniken? Am Wohlbefinden der Nutzer? An Form oder Funktion? Mit seinen Wohnbauten in Judenburg versucht Hubert Rieß eine ganzheitliche Antwort Wenn wir in der Architektur von Fortschritt reden, dann unterscheidet sich dieser Begriff deutlich von dem, was man in den Natur- oder Ingenieurwissenschaften darunter versteht. Eine Maschine übertrifft ihre Vorgänger, eine Erkenntnis setzt eine andere außer Kraft - aber ist ein Haus von heute einem Haus des Jahres 1850 überlegen? Natürlich haben wir heute bessere Heizungen und dichtere Fenster, aber das sind technische Errungenschaften, die sich ohne größere Probleme ins Haus des Jahres 1850 einbauen lassen. Auch die Übereinstimmung von Form und Funktion kann kein Argument sein: Oft genug finden sich neue Funktionen gut in alten Gebäuden zurecht. Vieles spricht dafür, den Fortschritt in der Architektur an anderen Kriterien zu messen als jenen von Maschinen oder Werkzeugen. Man kann argumentieren, dass Häuser auch Kunstwerke sein können und sich ihren Rang ganz anders erkämpfen müssen. Aber unabhängig davon sind Häuser jedenfalls mehr Schutzzeug als Werkzeug, eine besondere Art der Hülle, die dem Bedürfnis nach Geborgenheit eine materielle Form gibt und daher eher zum Konservativen tendiert. Der Anteil der Menschen, die ihr Haus genauso fortschrittlich gestaltet haben wollen wie ihr Auto, hat in den letzten 50 Jahren sicher geschwankt - die überwiegende Mehrheit parkt in ihren Träumen aber allemal den Porsche vor dem Wochenendhäuschen im französischen Landhausstil. Kann in der Architektur also Fortschritt nur gegen den Willen der Mehrheit passieren? Das wäre denn doch eine zu einfache Einteilung der Welt in böse Verhinderer und avantgardistische Gestalter, die sich heroische Gefechte um die gute Form liefern. Dieses Spiel haben die Architekten lange genug gespielt und ihr Selbstverständnis daraus gewonnen, aber es ist heute hoffnungslos überholt. Das Bemühen um architektonische Qualität darf nicht auf der Ebene der guten Form ansetzen, sondern muss den Gesamtprozess der Bauproduktion umfassen. Wenn Auftraggeber und Benutzer spüren, dass sie es nicht mit einem Hüllen-Designer, sondern wirklich mit einem Architekten zu tun haben, dann werden sie ihm auch auf riskanteres Gelände folgen. Avantgarde im klassischen Sinn wird dann zwar nicht entstehen, aber vielleicht doch so etwas wie Fortschritt. Wozu diese lange Vorbemerkung? Der Wohnbau, den Hubert Rieß für die WAG in Judenburg errichtet hat, ist ein Beispiel für diese unspektakuläre Art von Fortschritt. Zwei schmale Zeilen, Nord-Süd-orientiert, mit konventionellen Treppenhäusern, die pro Geschoß zwei Wohnungen erschließen. Was auffällt, ist die offene Erdgeschoßzone aus Stahlbeton, in der sich keine Wohnungen, sondern nur verglaste Gemeinschaftsräume und Abstellräume befinden. Die drei Stockwerke darüber sind holzverkleidet. Vor der Fassade hängen an einer Stahlkonstruktion Balkone mit gläsernen Brüstungen; mit einer ähnlichen Konstruktion sind auch die Treppen vor Wind und Regen geschützt.
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Bemerkenswert ist an diesem Gebäude vieles, was nicht sichtbar ist: Die drei oberen Stockwerke sind nicht nur mit Holz verkleidet, sondern aus Großtafeln in Holzkonstruktion zusammengesetzt, die in der Fabrik vorgefertigt wurden. Die Decken sind Brettstapeldecken, also massive Decken aus dicht aneinander gesetzten Brettern, die hier in Kombination mit einem Estrich Schalldämmwerte ergeben, die die vorgeschriebenen Normen weit übertreffen. Die Treppen sind massive Eichentreppen, die ebenfalls in der Fabrik gefertigt und dann in wenigen Stunden per Kran versetzt wurden. Der Bau von mehrgeschossigen Holzwohnhäusern hat sich in den letzten Jahren so weit entwickelt, dass jede Assoziation zur zugigen und unwohnlichen Baracke verschwunden ist. Hubert Rieß hatte mit diesem Thema erstmals in Bayern zu tun, wo er 1992 zu einem Wettbewerb für "Mietwohnungen in Holzsystembauweise" geladen war. Die bayrische oberste Baubehörde verfolgte mit diesem Projekt zwei Ziele: erstens die Holzindustrie zu fördern und zweitens kostengünstigen Wohnraum für Aussiedler zu schaffen. In einem von der Baubehörde selbst geplanten Prototyp war es gelungen, die Baukosten um ein Drittel zu senken, freilich unter Qualitätseinbußen, etwa beim Schallschutz. Für den Wettbewerb wurde daher ein Ziel von 1700 Mark (12.000 Schilling, 863 Euro) vorgegeben. In Schwabach bei Nürnberg konnte Hubert Rieß seinen ersten reinen Holzbau unter diesen Bedingungen realisieren. Als Experiment war der Bau ein Erfolg, aber es war klar, dass ein Qualitätssprung notwendig sein würde, um neben den konventionellen Baumethoden bestehen zu können. Auf der technischen Ebene stellte die Vorfertigung eine Reihe von Koordinationsproblemen, und viele Einsparungen waren durch logistische Probleme im Ausbau wieder verschenkt worden. Ästhetisch galt es, das Billig-Image, das dem Prototypen noch anhaftete, loszuwerden. Das hieß nicht zuletzt, die Möglichkeiten, die sich aus der Fertigung in der Fabrik ergaben, auch auszunutzen. Am Wohnbau in Judenburg, der das jüngste in der Reihe von ähnlichen Projekten ist, die Rieß seit Schwabach realisiert hat, erkennt man, was das bedeutet. Eine über vier Geschoße führende, massive Eichentreppe ist für den sozialen Wohnbau eine außergewöhnliche Bereicherung: Die weichen Oberflächen und der Geruch des Holzes erzeugen eine Stimmung, in der man seine Nachbarn einfach eine Spur freundlicher grüßen muss. Die zarte Stahlkonstruktion, von der die Balkone und die Glaswände vor den Treppenhäusern getragen werden, steht im spannungsvollen Kontrast zu den Holzoberflächen und trägt zusätzlich zum eleganten Charakter bei.
Fotos: Damir Fabijanic
Die Wohnungen selbst sind bis auf wenige Ausnahmen 65 Quadratmeter groß und bieten auf dieser Fläche drei Zimmer und eine große Wohnküche an. Das klingt eher spartanisch, aber durch den großen Balkon und die Möglichkeit des Durchblicks über die Tiefe der Wohnung kommt kein Gefühl der Enge auf. Auch der Verzicht auf das im sozialen Wohnbau übliche Angebot mehrerer Typen hat sich bewährt. Für die meisten Singles sind 65 Quadratmeter durchaus finanzierbar, während viele Familien froh sind, auf etwas engerem Raum mit weniger finanzieller Belastung zu leben. Die Sozial- und Altersstruktur in den Häusern ist daher eher besser als in Beispielen mit scheinbar "maßgeschneidertem" Typenangebot. Wo steckt in diesem Bau nun der versprochene Fortschritt? Ein wesentlicher Punkt ist die Art, wie Hubert Rieß sich den geänderten ökonomischen Rahmenbedingungen
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des Bauens gestellt hat. Nach seinen Arbeiten in Bayern, die noch alle unter eher experimentellen Vorzeichen standen, wollte er hier den Holzsystembau in die Normalität des Bauens hineinholen. Das Motiv, unbedingt billiger sein zu müssen als der Massivbau, hat ihn dabei nicht mehr interessiert. Der Bau ist nicht teurer, aber auch nicht billiger als das, was im sozialen Wohnbau heute als vertretbar gilt: Die Kosten lagen (ohne Baugrundanteil) bei 16.500 Schilling (1187 Euro) pro Quadratmeter inklusive Honorare und Mehrwertsteuer. Der Unterschied liegt in der Qualität. Man braucht sich nur im geförderten Wohnbau der letzten Jahre umzusehen: Der Versuch, die Kosten zu senken, hat nicht zu Innovationen, sondern zu immer primitiveren Lösungen und höheren Dichten geführt. Was hier in Judenburg zu denselben Kosten an Wohnqualität geboten wird, ist jedenfalls außerordentlich. Voraussetzung dafür ist die Kooperation zwischen Planern und Ausführenden im Rahmen einer industriellen Bauproduktion, die sich nicht auf Bauteile beschränkt, sondern den Gesamtprozess des Bauens mit einbezieht. Die Bauteilindustrie hat ja mit der sonstigen industriellen Entwicklung zumindest annähernd Schritt gehalten: Es gibt immer bessere Gläser, leistungsfähigere Verbindungen und Dämmstoffe. Zusammengebaut wird all das aber überwiegend mit rückständigen Methoden, die in erster Linie auf billiger Arbeitskraft basieren. Es scheint den Baustoff Holz gebraucht zu haben, um die Systembauweise von ihrem schlechten Ruf zu befreien. Dass die Zukunft des Bauens in der Verlagerung von immer mehr Arbeiten von der Baustelle in die Fabrikhalle liegt, scheint offensichtlich. Profitieren kann davon nicht nur die Industrie: Vorfertigung bedeutet höherwertige Arbeitsplätze unter besseren Bedingungen, mehr Forschung und Entwicklung und für die Architekten - wenn sie bereit sind, sich in die Produktionsverfahren offensiv einzumischen - einen größeren Spielraum unter knappen Budgets. Die nächste Avantgarde wird sich in diesem Kontext bewähren müssen. Die Presse, 13.6.1998
DIE UNHEILBARE HAUSKRANKHEIT Von den Lebensentwürfen der Nachkriegsfamilie bis hin zum regionalistischen Barock der Gegenwart: Österreichs 'Häuslbauer' stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Kritische Anmerkungen zu einem Phänomen und seiner Präsentation. Architektur ohne Architekten: dieses Thema hat die Moderne immer schon fasziniert. In ihren Anfängen, als sich die moderne Architektur vom akademischen Geist und seinen Stilen lösen wollte, galten die Ingenieure und ihr formal unbelasteter Funktionalismus als vorbildlich. Später, nachdem der Funktionalismus in den sechziger Jahren definitiv in die Krise gekommen war, war es die anonyme Architektur, an deren Produkten man den verlorenen Zusammenhang von geistiger und materieller Welt neu zu erlernen hoffte. Die Häuser der Primitiven oder das bäuerliche Wohn- und Wirtschaftsensemble der alpinen Tradition wurden zu Leitbildern eines besseren Lebens. Das Häuslbauerhaus, obwohl ebenfalls ohne Architekt erbaut, erschien vor diesem Hintergrund nur als Symptom einer kranken Gesellschaft, als Ausdruck der freiwilligen Unterwerfung von Lebensentwürfen unter die Regie der Leistungsgesellschaft. In diesen stereotypen Gebäuden konnte sich das beschädigte Leben ungebremst in Szene setzen. Wenn die Häuslbauer ins Blickfeld der Architekten und Raumplaner gerieten, dann folgerichtig als Objekte reformatorischer Belehrung zum Besseren: Verschont die Landschaftsräume von ausufernder Bebauung, baut dichtere Siedlungen, verzichtet auf die Gartenzwerge und baut regionalistisch (aber bitte im Sinn eines kritischen Regionalismus)! An der Liebe der Österreicher zum Einfamilienhaus hat all das nichts geändert. Nach einer Studie der Bausparkassen aus dem Jahr 1997 ist das Einfamilienhaus für 73 Prozent der Wohnraumsuchenden "die grundsätzlich beste Art des Wohnens". Und
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der Traum geht offenbar in Erfüllung: Gab es 1971 nur 578.000 Einfamilienhäuser in Österreich, waren es 1991 bereits 967.000. Der Häuslbauer bedient sich dabei immer öfter des industriell vorgefertigten Hauses: Der Marktanteil der Fertighäuser steigt stetig und liegt derzeit bei 28 Prozent.
Fotos: Schnöll, Thaler, Wüstenrot
Das Architekturzentrum Wien hat sich dieses Themas bereits im vergangenen Jahr angenommen, mit einer Ausstellung über Standardhäuser, in der die Standardisierungsideen der Moderne dem realen Fertighaus der neunziger Jahre gegenübergestellt wurden - eine ernüchternde Bilanz. Nun ist im AZW der zweite Teil der Ausstellung zu besuchen, der sich allgemein mit den Häuslbauern befasst. Grundlage der Ausstellung ist ein noch in den achtziger Jahren unter der Federführung von Dietmar Steiner, dem Leiter des AZW, begonnenes Forschungsprojekt über "Architektonische und soziokulturelle Leitbilder von Eigenheimen der Nachkriegszeit". Dietmar Steiner ist bekanntlich ein ungebremster Postmoderner. Für den missionarischen Eifer der Raumplaner und Architekten gegen die Zersiedlung hat er nur milden Spott übrig. "Seit den sechziger Jahren", so heißt es im Katalog, "mahlen die Gebetsmühlen der Architekten und Raumplaner die Apokalypse der Zersiedelung und Landschaftszerstörung, des Flächenfraßes, der Bodenversiegelung, des Mobilitätskollaps." Die Wirklichkeit sieht nach Steiner anders aus: noch immer gebe es genug Landschaft, genug Flächen, Mobilität sei genug vorhanden. Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus sollte daher endlich als "eine nicht veränderbare mehrheitsfähige Konstante" akzeptiert werden. Schließlich habe sich verdichtetes Siedeln längst als Ersatzhandlung für eine kleine Zielgruppe erwiesen. Vielleicht sei das Einfamilienhaus doch das richtige Modell für ein Leben im dispersen "urban sprawl", der über kurz oder lang auch Europa überziehen werde. Ein großräumiger Landschaftspark mit Einfamilienhäusern auf minimalen Grundstücken im Umkreis von 100 Kilometern um jedes Nebenzentrum, angereichert mit Themensiedlungen und touristisch optimierten Nutzflächen im weiteren Umkreis - das sei die Vision für die Jahrtausendwende. Disneyfizierung und Landschaftspflege würden schließlich zur totalen Urbanisierung führen. Die Ausstellung will das Phänomen des Häuslbauens als Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte darstellen, unter bewusster Ausklammerung architekturtheoretischer Positionen, deren Instrumente für ein Verständnis völlig untauglich seien. Das Bauen als Festigung von Identität, als oftmals skurriler, aber letztlich liebenswerter Lebenssinn - das soll der Besucher vornehmlich vermittelt bekommen. Da gibt es eine Pyramide aus Einfamilienhausmodellen, von einem Beamten in jahrelanger Arbeit gebastelt: Träume einer besseren, vor allem übersichtlicheren Welt. In einer Vitrine liegen Ausgaben von Wüstenrot-Zeitschriften, nach Jahrgängen von den fünfziger Jahren bis heute geordnet: komplette Lebensentwürfe für die Nachkriegsfamilie ("Das Haus eines tapferen Herzens" für den Heimkehrer) bis hin zum regionalistischen Barock. Der einfache, von den Siedlungshäusern der
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Zwischenkriegszeit beeinflusste Grundriss mit nutzungsneutralen Räumen wird immer funktionalistischer und hängt sich schließlich ein alpines Mäntelchen um. Mit steigendem Einkommen finden sich im Lauf der Zeit in der Zeitschrift auch "Architektenhäuser" und zuletzt immer mehr Fertighäuser, schließlich ist die Industrie ein wichtiger Inserent. Die immer wieder in Umfragen ermittelten Geschmacksvorlieben der Häuslbauer dürften zu einem guten Teil selbst erzeugt sein: Die Auflage des "Wüstenrot Heims" geht in die Hunderttausende, und wer als Sparer jahrelang mit den entsprechenden Bildern versorgt wurde, weiß schließlich, was er zu wollen hat. Nur sein zweites materielles Lebensziel, das Auto, mag er dann doch wieder modern. Gezeigt wird auch ein Computerprogramm zur Planung des individuellen Hausgrundrisses, wie es heute beispielsweise Lagerhäuser anbieten. 1,2 Millionen Variationen, Planung gratis, wenn das Material beim Anbieter gekauft wird. Schon immer hat der Häuslbauer den Plan lieber um ein paar hundert Schilling im Pfusch beim Ingenieur gekauft als beim Architekten - es sollte ja sein Haus werden. Der entpersonalisierte Plan aus der Maschine mit abgeglichener Materialliste ist der endgültige Sieg der Bau- und Bauteilindustrie über die Spezies der Planer. Die Epochen, in die laut Steiner die Häuslbauer-Geschichte seit 1945 zerfällt, werden in der Ausstellung in fünf Kojen vorgestellt. Nach den spartanischen Fünzigern die Phase der "Mobilität von Caorle nach Amerika"; der Ölschock und der "Eternit-Hut" der siebziger Jahre; zeitgleich das Erwachen eines Traditionsbewusstseins, das sich in der darauf folgenden Phase der achtziger Jahre im Touristischen erschöpft; schließlich in den neunziger Jahren das Haus als "Ware in einer künstlichen Landschaft". In der letzten Koje werden wir mit der oben skizzierten Entwicklung bekannt gemacht: Themensiedlungen, Disney und Landschaftspflege. In dieser Zeitreihe finden sich auch Interviews mit Häuslbauern, die großteils während einer "Heimreise" aufgenommen wurden, einer Aktion, die von Steiner quasi als Ausweg aus einer Sackgasse des Forschungsprojekts erklärt wird. Wie kommt man direkt an ein Untersuchungsphänomen heran, das sich aus der Distanz nie so recht fassen lassen will? Eine fünftägige Busreise, an der Architekten, Journalisten und Kritiker teilnahmen, führte durch Häuslbauer-Landschaften von Niederösterreich bis Vorarlberg. Im Katalog sind Ausschnitte aus den Gesprächen mit Bauherren abgedruckt, aus denen deutlich wird, dass die Selbstbestätigung durch eigene Leistung dem Häuslbauer wichtiger ist als die Qualität des Produkts. Hier werden auch die pathologischen Seiten des Häuslbauens deutlich: die Belastung der Familien durch die "Hauskrankheit"; die wahren Kosten des Häuslbauens, das eine teure Wohnform ist und de facto einen Doppelverdienerhaushalt voraussetzt, wenn nicht ein Großteil der Einkünfte ins Bauen fließen soll; die Folgen der Zersiedelung, die kein primär ästhetisches Problem ist, sondern ein ökologisches und kulturelles. In der Ausstellung verschwinden diese Aspekte hinter einer scheinbar neutralen, an den Oberflächen der Gebäude und Personen verbleibenden Zugangsweise. Der Gag, eine zwangsläufige Entwicklung einer Baukultur in Richtung Disneyland zu illustrieren, trägt das Unternehmen jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Genau aus dieser Intention bleiben Aspekte ausgeblendet, die zum Verständnis der Entwicklungsoptionen wichtig wären. Warum fehlt in der Ausstellung die Vorarlberger Architekturlandschaft, wo tatsächlich Strategien gefunden wurden, um das Auseinanderfallen von Architekturkultur und Häuslbauerkultur aufzuhalten? Gerade am Beispiel Vorarlbergs hätte sich zeigen lassen, dass architektonische Beiträge zu einer höchst ökonomischen Bauweise existieren und auch angenommen werden. Am Beispiel Vorarlbergs hätte sich auch einiges über Energiepolitik im Bauwesen sagen lassen - aber das hätte wohl nicht in die postmoderne Doktrin gepasst, dass sich große Systeme längst nicht mehr gestalten ließen. Ausgeblendet bleibt auch der Einfluss zwischen Architektur und Häuslbauen, der ja in beide Richtungen zu finden wäre.
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So bleibt unklar, was das eigentliche Ziel der Ausstellung ist. Die Vision einer Marginalisierung der Architektur im zukünftigen Disneyland Österreich ist ein Szenario, an dem zynische Gemüter Gefallen finden werden. Es ist aber sicher keines, zu dem es nicht eine Alternative gäbe. Die Presse, 2.5.1998
DER SCHÖNE NAME 'ARCHE' Die räumliche Umsetzung eines zeitgemäßen Verständnisses von Gemeinde: Nichts weniger ist Christoph Thetter mit dem evangelischen Pfarrzentrum am Leberberg in Wien Simmering gelungen. Auf der grünen Wiese Stadtplanung betreiben zu dürfen hat nichts von seiner Faszination verloren. Am Anfang stehen alle Möglichkeiten offen: Gemüsefelder, ein paar Straßen, G’stetten und Glashäuser. Dann kommen die Zahlen: Bodenpreise, Bebauungsdichte, Verkehrsströme. Je größer das Areal, desto größer die Chance, mit diesen Parametern zu spielen, Kontraste zu schaffen, Ruhe und Bewegung gegeneinander zu setzen, weite Grünräume und dicht bebaute Zonen. Die Zahlen verwandeln sich in städtischen Raum, der im glücklichsten Fall, wie es Le Corbusier einmal ausgedrückt hat, "als Quelle der Poesie unseren Geist aktiviert". Auch die Wiener Stadterweiterungsgebiete der letzten zehn Jahre aktivieren den Geist, allerdings nicht als Quelle der Poesie, sondern als Quelle der Enttäuschung über vergebene Chancen. An der nötigen Dimension hätte es nicht gefehlt, auch nicht an diskussionsfreudigen Beiräten und wohlmeinenden Konzepten. Aber letztlich hat sich die Mentalität der Liegenschaftsverwerter durchgesetzt und die Stadtplanung marginalisiert. Wo Zusammenhänge zu schaffen gewesen wären, steht Stückwerk in der Landschaft herum; wo es um die Konzentration auf die Übergangs- und Zwischenbereiche gegangen wäre, dominieren banale urbane Figuren, zwischen denen sich ungelöste Restflächen auftun. Ein Musterbeispiel für diesen Verlust städtebaulicher Kultur ist der Leberberg in Wien-Simmering. Hier hat man auf ein konservatives, den klassischen Stadtraum scheinbar wiederbelebendes Konzept gesetzt: ein annähernd halbkreisförmiger Park in der Mitte, darum herum eine Art Ringstraße mit bis zu siebengeschossiger Bebauung. In natura bleibt die klassische Figur eine oberflächliche Geste: trotz großer Dichte entsteht kein klar konturierter Stadtraum, vor allem deshalb, weil die Beziehung zwischen Stadtgrundriss und Bautypologie nicht stimmt. Die Wohnhäuser selbst sind - mit wenigen ambitionierten Ausnahmen - modifizierte Zeilenbauten, die von der Banalität ihrer Grundrisse durch grelle Farben und ornamentale Details ablenken wollen. In einem solchen Kontext einen Sakralbau zu errichten ist eine besonders heikle Aufgabe. Weder in der Baumasse noch in der Höhe kann eine Pfarrkirche hier mit der Umgebung konkurrieren: Entscheidend ist die richtige Situierung. Ursprünglich wäre am Leberberg die zentrale Lage am Park dafür vorgesehen gewesen. Dort steht jetzt die Volks- und Hauptschule: ein kühler, sehr eleganter Bau der Architekten Henke und Schreieck. Der Standort für die evangelische und die katholische Kirche wurde aus der Achse versetzt und nimmt nun annähernd die Fläche eines jener Baublocks ein, von denen die Ringstraße gesäumt ist. Vom Park getrennt ist das Areal durch eine Erschließungsstraße und die Trasse der Straßenbahn. Im Osten anschließend entsteht gerade ein großes Einkaufszentrum.
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Fotos: Kühn, Spiluttini
Funktionell ist dieses Ensemble durchaus legitim: Es liegt in der Mitte der Siedlung, die öffentlichen Bauten reihen sich entlang der inneren Erschließungsstraße auf. Räumlich ist die Lösung allerdings vollständig entgleist, ein ungeordnetes Nebeneinander von Formen, die aufeinander keinerlei Rücksicht nehmen. - Natürlich kann man das städtebauliche Konzept dafür nicht allein verantwortlich machen. Das Denken in größeren räumlichen Zusammenhängen wird von den Bauträgern kaum je als ein Wert erkannt. Auch beim Wettbewerb für die katholische Kirche hatte das in dieser Hinsicht überzeugendere Projekt keine Chance. Der Entwurf des Ateliers in der Schönbrunner Straße sah vor, zwischen katholischer und evangelischer Kirche einen öffentlichen Platz aufzuspannen und den zusätzlichen Nutzungen für Kindergärten und Pfarrerwohnungen eigene, intimere Freibereiche zuzuordnen. Das bauliche Konzept für die Kirche nahm das Papst-Wort von der Kirche als "gläsernem Haus" zum Anlass, den Kirchenraum in eine Glashaut einzukleiden, hinter der es aber durchaus eine Folge von Abschirmungen gegeben hätte, ohne die ein Sakralraum nicht funktionieren kann. Ob es nun an der Idee der Transparenz an sich lag oder an der schlichten kubischen Form der Kirche: Das Projekt wurde von Kardinal Groer entgegen dem Vorschlag der Jury abgelehnt. Zur Ausführung kam der Entwurf des Dombaumeisters von St. Stephan, Wolfgang Zehetners, bei dem sich drei Baugruppen ängstlich um einen ovalen Platz zusammendrängen und der Außenwelt den Rücken kehren. Walter Michl und Walter Zschokke, die das Projekt für die Ausführung zu überarbeiten hatten, haben viele Details verbessert, an dem in jeder Hinsicht kleinlichen, angesichts des Kontexts geradezu absurden Grundkonzept konnten sie aber nicht rütteln. Das evangelische Gemeindezentrum mit dem schönen Namen "Arche" zeigt nebenan jedenfalls einen weit schlüssigeren Ansatz, mit den widrigen städtebaulichen Umständen fertig zu werden. Geplant wurde es von Christoph Thetter, der als Mitglied des Ateliers in der Schönbrunner Straße schon am Projekt für die katholische Kirche beteiligt war. Er hat alle Teile des Pfarrzentrums - die Kirche, den Kindergarten und die Pfarrerwohnung - in eine lang gestreckte Großform mit Innenhöfen und überdeckten Laubengängen zusammengefasst. Das Kirchenschiff erhebt sich als lärchenholzverkleideter Kubus von zwölf mal zwölf mal zwölf Metern
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aus einem hell verputzten Sockel von Nebengebäuden. Bis zur Höhe von 2,5 Metern ist der Kirchenraum rundum verglast, der Luftraum darüber wird von einem umlaufenden Oberlicht erhellt. Proportionen und Details sind stimmig, die Atmosphäre ist leicht und freundlich - im Umfeld der plumpen Wohnbebauung rundum tatsächlich eine Oase. Man kann sich gut vorstellen, dass ein solches Hofkonzept in einem größeren Maßstab imstande gewesen wäre, auch in der Simmeringer Heide einen sakralen, ganz besonderen Ort entstehen zu lassen. Zur Definition eines solchen Orts ist das Gemeindezentrum, wie es jetzt in seinem Umfeld steht, aber doch um eine Nummer zu klein. Auf den Photos, die geschickt die Umgebung ausblenden, wird das nicht so deutlich spürbar. Im Überblick wirken aber selbst die gut proportionierten Baumassen der evangelischen Kirche kaum weniger verloren als jene der katholischen. Die geringe Dimension wirkt sich auch auf die Qualität der Höfe aus, die hier in ihrer axialen Anordnung mit Wasserbecken und im Raster gesetzten Bäumen schematisch und nicht wirklich brauchbar wirken. Dass ein Hofkonzept auf so engem Raum anderen Spielregeln gehorchen muss, hat Roland Rainer in einer Kirche vorgeführt, die zu den besten Beispielen eines zeitgenössischen Sakralbaus in Wien gehört, der evangelischen Kirche in der Braunhubergasse aus dem Jahr 1962. Es ist kein Zufall, dass sich Themen dieser Kirche am Leberberg wieder finden: Es handelt sich um dieselbe Gemeinde, und einige Mitglieder des Baukomitees für den Leberberg waren schon damals beteiligt. Vergleicht man die beiden Kirchen, fällt vor allem auf, dass Rainer die Wege in der Anlage wesentlich präziser gefasst hat. Während es am Leberberg mehrere gleichwertige Eingänge gibt, hat Rainer den Haupteingang deutlich markiert und inszeniert von dort aus in einer spiralförmigen Bewegung die Annäherung in den Kirchenraum. Statt die Räume an einer Hauptachse aufzureihen, ordnet er sie rund um den Innenhof an und gibt der Anlage damit eine Dynamik, die den kleinen Maßstab vergessen macht. Dass die spezifische Spielart der Moderne, wie sie Rainer repräsentiert, eine elementare Kraft hat, die heute noch beeindruckt, hat viele Gründe. Sie war sicher weniger schematisch und weniger ins elegante technische Detail verliebt, und sie hat ganz allgemein mehr riskiert. Die neue Kirche am Leberberg ist technisch perfekter, ihre Formensprache ist durch viele Destillationsvorgänge seit den sechziger Jahren gereinigt, aber sie hat damit auch an Atmosphäre verloren. Bei Rainer merkt man dagegen, dass er sich einer Tradition verbunden fühlt, die er in vielen Studien zum Thema Hofhaus und Garten in verschiedensten Kulturkreisen untersucht hat. Dieser Vergleich soll die Qualität der Kirche am Leberberg nicht schmälern. Sie gehört zum wenigen, das dort architektonisch eine Rolle spielt. Als räumliche Übersetzung einer zeitgemäßen Vorstellung von Gemeinde ist sie in ihrer Transparenz und der konsequenten Ausbildung des Kirchenschiffs als Zentralraum durchaus innovativ. Gegen ihr Umfeld und gegen das Unvermögen der Stadtplanung, sie an den richtigen Ort zu stellen, kann sie freilich nichts ausrichten. Die Presse, 11.4.1998
DIE SKULPTUR IM ZAUBERGARTEN Ein mit Aluminium verkleideter Dachausbau auf dem Stall eines alten Marchfelder Bauernhauses: zwanghafte Neigung zum Besonderen? Für die Architekten Bettina Götz und Richard Mahnal ist es schlicht und einfach eine zeitgemäße Lösung. Nichts ist für Architekten schwieriger, als ein einfaches Haus zu bauen. Die zwanghafte Neigung zum Besonderen ist einer der Vorwürfe, mit denen sich die Profession schon immer konfrontiert sah. Dass die meisten Architekten von sich behaupten, von diesem Zwang frei zu sein, löst das Problem nicht: Was für den einen die selbstverständlichste Sache der Welt ist, kann dem anderen als außergewöhnlich oder gar bizarr erscheinen. Ist die Frage der richtigen Form also doch nicht mehr als eine Geschmacksfrage?
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Das jüngste Projekt von Bettina Götz und Richard Manahl, die zusammen unter dem Namen ARTEC firmieren, könnte Anlass zu einer Diskussion dieses Problems geben. Auf das Wirtschaftsgebäude eines alten Bauernhofes im Marchfeld, bei Raasdorf gelegen, haben sie ein neues Dach gesetzt, eine leichte, in Aluminium verkleidete Holzkonstruktion, die sich in Form und Material deutlich vom Bestand abhebt. Für ihr Projekt haben ARTEC letzten Monat den "Aluminium Architekturpreis" zugesprochen bekommen, der von der Architektenkammer, der Architekturstiftung Österreich und dem Aluminiumfenster-Institut ausgelobt wird. Was hat ein solches Objekt, wird sich mancher Betrachter fragen, in einem doch noch ländlichen Umfeld verloren? Wie passt es zu einem traditionellen, über Generationen gewachsenen Bauernhof? Für die Architekten sind diese Fragen allesamt irrelevant: Sie sehen in ihrem Entwurf nicht den spektakulären Kontrast, sondern einfach eine zeitgemäße Lösung, die um nichts weniger selbstverständlich ist als der Bestand.
Fotos: Spiluttini
Dieser Behauptung nachzugehen ist umso interessanter, als der Bauernhof, den es hier umzubauen galt, zu jener Tradition des anonymen Bauens gehört, die in der modernen Architektur stets als vorbildlich hingestellt wurde. Zwar handelt es sich hier um kein herausragendes Beispiel, sondern um einen schlichten Hof, der bis in die fünfziger Jahre immer wieder ergänzt und erweitert wurde. Aber er besitzt doch großteils jene Qualitäten, die der anonymen Architektur immer zugeschrieben werden: unverkrampfte, beinahe natürliche Beziehung zwischen Funktion und Form, Angemessenheit der Mittel, Stimmigkeit im Ganzen und im Detail. Dass es zu diesen Qualitäten keinen einfachen Weg zurück gibt, ist längst erwiesen: Alle Versuche, an die anonyme Tradition direkt anzuknüpfen, sind an den veränderten technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen gescheitert und haben nur dazu geführt, dass diese Tradition heute fast vollständig im Kitsch ertränkt ist. Gerade Niederösterreich hat sich in dieser Hinsicht - unter dem Motto "Schön erhalten, schöner gestalten" - einen traurigen Ruf erworben: Am liebsten hat man das Neue hierzulande immer noch als Steigerungsform des Alten. Derartige Sentimentalitäten waren der Auftraggeberin, Zita Kern, im konkreten Fall fremd. Sie hatte beschlossen, ihr knappes Budget nicht in eine Generalsanierung zu investieren, sondern am Bestand nur die notwendigsten Erneuerungen durchzuführen und eine neue Heizung einzubauen, sich zugleich aber zwei lang gehegte Wünsche zu erfüllen: ein großzügiges Bad und ein noch großzügigeres Studierzimmer. Weil für sie beide Dinge nicht als Steigerungsformen des Bestands, sondern nur als etwas ganz Neues denkbar waren, beschloss sie, sich nach namhaften Architekten für diese Aufgabe umzuhören - das sei für sie im übrigen eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und so schwer sei ihr die Wahl unter den Architekten ihrer Generation schließlich auch nicht gefallen. Die Randbedingungen für den Entwurf waren jedenfalls klar. Die Auftraggeberin versteht sich einerseits als Bäuerin und betreibt bis heute eine kleine Landwirtschaft. Sie züchtet Kräuter und hat in ihren besten Zeiten Wiener Restaurants mit 16 verschiedenen Sorten Basilikum beliefert. Zugleich befasst sie sich mit Literaturwissenschaft und braucht einen eigenen Platz zum Lesen und Schreiben.
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Wer von ihr durch den alten Hof geführt wird, merkt bald, dass ihre Beziehung zu den Dingen alles andere als pragmatisch ist, dass sie alltägliche Gegenstände mit einer Zärtlichkeit berührt, als wären sie alte Freunde. Der vorsichtige und entspannte Umgang mit dem Alten macht aber offensichtlich Mut, notwendige Erneuerungen radikal anzugehen. Es war klar, dass der Studierraum am besten auf dem Niveau des Dachgeschoßes untergebracht werden sollte: In der Ebene des Marchfelds sind drei Meter über Niveau schon ein Ausguck. Weil das Dach über dem ehemaligen Stall sowieso baufällig war, stellte sich die Frage nach einer neuen Konstruktion. ARTEC konzipierten - zusammen mit dem Statiker Oskar Graf - eine hölzerne Schale ohne aussteifende Diagonalen, die den Raum beeinträchtigt hätten. Die Form dieser mit Aluminiumblech verkleideten Hülle ergab sich aus geometrischen Operationen, die ARTEC schon bei früheren Projekten erprobt haben: versteckte Symmetrien und Verschiebungen, leichte Schrägen, an der Hofseite ein deutlicherer Knick, der dem Volumen hier etwas von seiner Masse nehmen soll und die Morgensonne vorbeilässt. Die Metallhaut ist über die Treppe gezogen, die unter einer Schrägverglasung seitlich am Baukörper entlang führt. Hier zeigt der Knick in der Hülle seine zweite Funktion: Er lenkt die Bewegung um 180 Grad zurück zur vollständig verglasten Stirnwand des Studierzimmers. Nach Osten zu gibt es nur ein schmales liegendes Fenster, das die Morgensonne tief in den Raum lässt. Von der verfügbaren Fläche über dem Altbau ist nur eine Hälfte ausgebaut, die andere bleibt frei als Terrasse zwischen dem Studierraum und der Giebelwand des benachbarten Dachs. Ein Oberlicht an der Nordseite der Terrasse bringt Licht hinunter in den zweiten geforderten Funktionsraum, das Badezimmer. Hier finden sich dieselben Materialien wie im ersten Stock: ein grüner Gummiboden und Pappelsperrholz, zusätzlich Aluminiumplatten an den Wänden. Die Beschränkung bei der Farb- und Materialwahl wirkt aber keineswegs spartanisch: Weil durch die leicht getönten Gläser Licht aus verschiedenen Richtungen auf die Oberflächen fällt, entstehen feine Farbnuancen und -überlagerungen. Auch die Außenflächen werden sich im Lauf der Jahre verändern: Die Aluminiumplatten sind nicht eloxiert und werden je nach Bewitterung eine dunklere Tönung bekommen. Im kleinen Metallmodell, das ARTEC von ihrem Projekt gemacht haben, ist die skulpturale Qualität ihrer Lösung deutlich zu erkennen. Diese Qualität spielt sich aber nicht in den Vordergrund, sie verhilft nur einem Bauwerk zu guter Proportion und Massenwirkung. Am Sprung vom Modell zur Ausführung wird deutlich, wie viel Gedankenarbeit in kluge Detaillösungen investiert werden musste, um dem Bau die präzisen Konturen zu erhalten, denen er seine skulpturale Wirkung verdankt. Irgendwann wird das neue Dach genauso leicht bemoost und vertraut dastehen wie die alten Teile. Wird es dann auch die gleiche Qualität des Selbstverständlichen besitzen oder doch immer ein Kunstprodukt bleiben? In vielen Punkten ist der Unterschied zur anonymen Tradition gar nicht groß: Form und Funktion fügen sich unspektakulär zueinander, der Aufwand steht im richtigen Verhältnis zur Aufgabe, und es gibt sicher eine Stimmigkeit im Ganzen und im Detail. In einem Punkt muss sich jede wirklich heutige Lösung aber von der anonymen Tradition unterscheiden: Jene Sicherheit, die im romantischen Bild einer besseren "Architektur ohne Architekten" beschworen wird, kann sie nicht bieten. Sie bleibt riskant, weil es keine homogene Kultur mehr gibt, in der sie Stabilität gewinnen könnte. Das Bewusstsein dieses Risikos haben ARTEC einmal als eines ihrer Prinzipien benannt: Sie würden "das kraftvolle Scheitern der sicheren Bank vorziehen". Man sollte der verlorenen Sicherheit der anonymen Tradition trotzdem nicht allzu sehr nachtrauern. Der größeren Gefahr des Scheiterns steht eine ungleich größere Bandbreite an Lösungsmöglichkeiten gegenüber: Die konzeptionellen Ansätze für gute Architektur sind heute so vielfältig, wie sie es wahrscheinlich nie zuvor waren. Dass gute Architektur so selten realisiert wird, ist ein kulturelles Problem: Wenn Architekturfragen einmal auf Geschmacksfragen reduziert sind, erübrigt sich die mühsame, kontinuierliche Diskussion um Qualität.
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Bei ihrem Haus in Raasdorf hatten ARTEC das Glück, in ihrer Auftraggeberin einen Partner zu finden, der bereit war, sich ohne Vorurteile auf diese Diskussion einzulassen. Solche Bauherren findet man selten - vielleicht genauso selten wie Leute, die 16 Sorten Basilikum voneinander unterscheiden können. Die Presse, 7.2.1998
OASEN IN DER ZWISCHENSTADT Stadtränder: dichte kommerzielle Zonen, deren dynamische Entwicklung sich scheinbar jeder Planung entzieht. Dass dabei nicht zwangsläufig ein urbaner Brei aus Industrie und Handelszentren entstehen müsste, zeigen Bauten im Süden Wiens. Den Stadtrand gibt es nicht mehr. Eine leidlich scharfe Grenze zwischen dicht bebauter Stadt und ländlichem Grün ist ja schon seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kaum mehr zu finden, immer weniger kann man aber auch von einem fließenden Übergang sprechen. Die Dichte nimmt am Rand wieder zu: Außerhalb der Stadtgrenzen –längst ein rein juristischer und kein räumlicher Begriff – entstehen dichte kommerzielle Zonen. Der deutsche Städteplaner Thomas Sieverts hat dieses Gebiet als „Zwischenstadt“ bezeichnet: weder Stadt noch Land, ein Gemenge aus Industrie, Handel und Verkehrsflächen, dazwischen ein paar Wohngebiete und die Reste längst abgestorbener Ortschaften. Städtebau lässt sich hier mit den konventionellen Mitteln des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans kaum mehr betreiben. Wer gewaltige Investitionsströme so kanalisieren möchte, dass nicht nur die Investoren profitieren, darf sich nicht darauf beschränken, Linien aufs Papier zu ziehen. Vösendorf und Wiener Neudorf etwa haben sich längst in einem urbanen Brei aus Industrie und großen Handelszentren aufgelöst, der ungebremst immer weitere Verkehrsströme an sich zieht. Dass es zu dieser Frage nach wie vor keine Regionalpolitik, sondern nur eine Wiener Stadt- und eine Niederösterreichische Landespolitik gibt, ist nur eine Facette des Problems. Dass keine planerischen Strategien gefunden wurden, um aus einer dynamischen kommerziellen Entwicklung mehr zu machen als ein amorphes Gemenge, ist eine andere. Dabei könnte die Zwischenstadt ein Labor zur Erprobung unkonventioneller Strukturen sein. Beispiele dafür finden sich sogar im urbanen Brei im Süden Wiens: Etwas südlich dessen, was früher einmal der Ortskern von Wiener Neudorf war, hat die Grazer Metallbau-Firma Heidenbauer ihr Wiener Werk errichtet, einen klassischen Typus aus einer Produktionshalle und einem vorgelagerten Bauteil mit Büros, Garderoben und Wohnräumen für Wochenpendler, die aus Graz kommen und zur Montage auf Wiener Baustellen eingesetzt sind. Das Atelier Domenig-Eisenköck hat den Auftrag, ein signifikantes, imagesteigerndes Objekt zu entwerfen, mit wenigen, aber starken Gesten umgesetzt: eine symmetrische Front mit zwei scheinbar schwebenden Metallkuben, der Spalt dazwischen überdeckt von einem weit auskragenden Glasdach. Eine asymmetrisch angesetzte Rampe bricht die Symmetrie und vermittelt Dynamik.
Foto: Paul Ott
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Diese Front hat die Qualität eines Logos, ganz ähnlich wie Karl Schwanzers PhilipsHaus, das noch immer die Wiener Südeinfahrt beherrscht, auch wenn sich heute hinter ihm die peinlichen Hochhauskarikaturen des „Business Park Vienna“ erheben. Aber natürlich ist ein Logo noch keine Architektur, und so wie Schwanzers Bau erst durch seine konstruktiven und räumlichen Eigenheiten als Ganzes überzeugen kann, sind auch die Qualitäten des kleinen Industriebaus von Domenig-Eisenköck erst bei genauerer Untersuchung zu entdecken. Ungewöhnlich ist die Durchdringung der einzelnen Stockwerke, die ausschließlich räumlich durchgespielt wurde, weil es funktionell keine Beziehung zwischen ihnen gibt. Das obere Stockwerk, in dem sich hinter der perforierten Metallfassade die Schlafräume für die Mitarbeiter befinden, wird von einem kleinen, mit matten Scheiben verglasten Lichtschacht durchdrungen, der im Erdgeschoß einen doppelt hohen, von weichem Licht durchfluteten Bereich entstehen lässt. Ein Glasboden leitet das Licht von hier weiter ins Untergeschoß, wo ein heller Vorbereich zu den Umkleideräumen und zur Sauna für die Mitarbeiter entsteht. Das gesamte Erdgeschoß des vorderen Traktes ist im Wesentlichen eine große, verglaste Halle, in der es bis auf das Büro der Betriebsleitung keine abgeschlossenen Büroräume gibt. Der Besucher sieht rechter Hand den Sekretariatsbereich, links das Planungsbüro mit mehreren offenen Arbeitsplätzen und vor sich einen zentralen Besprechungsraum. Ein kurzer Stichgang stellt die Verbindung zur Werkshalle her. Die Treppen in den Keller und in den ersten Stock haben die Architekten besonders akzentuiert. Die Werkshalle und der Vordertrakt sind genau um eine Treppenbreite auseinandergerückt, und in diesem glasgedeckten Spalt führen die Treppen hinunter zu den Garderoben beziehungsweise, zusätzlich über einen eigenen Eingang erschlossen, in den ersten Stock. Dort ist den Wohnräumen eine kleine, introvertierte Terrasse vorgelagert, auf der man im Sommer sitzen kann, ohne den Blick auf die umgebenden Bauten ertragen zu müssen. Sicher ist dieses Erschließungssystem aufwendiger als sonst im Industriebau üblich, aber es schafft klare Zuordnungen von Wegen und hat überdies einen räumlichen Reiz, der den Zusatzaufwand vertretbar erscheinen lässt. Konstruktion und Material des Gebäudes ergaben sich aus dem Wunsch des Auftraggebers, hochwertige Metallverarbeitung von der Primärkonstruktion bis zum Ausbau vorzuführen. Der Stahlskelettbau ist überall klar durchgearbeitet, der Brandschutz nicht durch Verkleidungen, sondern durch einen Anstrich gesichert. Die Oberflächen sind, abgesehen von den Glasflächen, innen und außen weitgehend aus Metall, wobei die unterschiedlichen Typen zu einer faszinierenden Lichtmodulation führen, die die „Kälte“ des Materials vergessen machen. Die durchgängige Edelstahlhülle der Werkshalle wird sich freilich aus Kostengründen wohl kaum als Standard im industriellen Hallenbau etablieren können. Ein paar Autominuten weiter nördlich ist unter ganz anderen ökonomischen Bedingungen eine Halle entstanden, die ebenfalls zu den wenigen unkonventionellen Strukturen in diesem Gebiet zählt. Hier handelt es sich um keinen Industriebau, sondern um eine große Verkaufshalle. Die Firma Kastner & Öhler hat die Innsbrucker Architekten Heinz, Mathoi, Strehli und Orgler beauftragt, das Konzept für die neuen GigaSport-Märkte architektonisch umzusetzen. Die Märkte sollen dem Besucher den Eindruck einer großen Messehalle vermitteln, in der Produkte verschiedener Hersteller angeboten werden. Gefordert war also eine möglichst flexible Halle mit großen Stützweiten und guter natürlicher Belichtung.
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Foto: Atelier Heinz-Mathoi-Strehli-Orgler
Zusammen mit dem Vorarlberger Holzbauunternehmen Kaufmann und dem Tragwerksplaner Konrad Merz haben die Architekten eine Lösung entwickelt, die diese Kriterien erfüllt. Attraktiv wirkt das Gebäude vor allem durch eine schräg geneigte, völlig verglaste Front zum vorgelagerten Parkplatz, die den Blick bis tief ins Innere erlaubt. Innen fällt die gute Belichtung durch die Shed-Dächer auf, und ein kurzer Blick nach oben zeigt eine unspektakuläre, aber äußerst präzise und schlank ausgeführte Holzkonstruktion. Die 2,5 Meter hohen Fachwerkträger erreichen eine Spannweite von 23 Metern. Um Volumen zu sparen, ist die Hallendecke unter die Träger gehängt, während die Shed-Dächer als aussteifende Sekundärkonstruktion über die Träger gestülpt sind – ein im Prinzip aus dem Stahlbau bekannter, äußerst ökonomischer Querschnitt. Innovativ ist hier das Material: Es handelt sich nicht um konventionelle Leimbinder, sondern um Paralam, einen aus den USA importierten Holzwerkstoff, der aus langen verleimten Pappelholzfasern hergestellt wird. Dieses Material ist besser berechenbar und unter bestimmten Bedingungen um 50 bis 60 Prozent höher belastbar. Außerdem erlaubt es komplexe Holz-Holz-Verbindungen, die computergesteuert aus dem Material gefräst werden können. Das Zusammenspiel derartiger neuer Technologien war auch die Voraussetzung, um Holz überhaupt unter den extrem knappen Zeitvorgaben einsetzen zu können: Von der Auftragserteilung bis zur Übergabe der fertigen Halle vergingen keine zehn Monate. Dass ein derart veredelter Holzwerkstoff trotz der hohen Transportkosten im Vergleich zur lokalen Konkurrenz bestehen kann, sollte der österreichischen Bauindustrie zu denken geben. Überhaupt kann man die beiden Bauten als eine kleine Attacke auf die viel zu sehr auf den Massivbau beschränkte Wiener Baukultur interpretieren. Einen so effizient und elegant durchkonstruierten Holzbau wird man in Wien kaum mehr finden, und als Stahlbau fällt mir im Grunde nur Helmut Richters Schule am Kinkplatz ein – und an deren Stahlkonstruktion hat schließlich auch die Firma Heidenbauer mitgewirkt. In der gestalterischen Wüste, von der die beiden Bauten umgeben sind, erscheinen sie als Oasen. Dennoch hätten sie in einem konventionellen urbanen Umfeld nie entstehen können. Es kann also gar nicht darum gehen, die Dynamik der Zwischenstadt planerisch „in den Griff“ zu bekommen und endlich wieder Ordnung zu schaffen. Niemand wird sich nach der Langeweile zurücksehnen, wie sie die benachbarte „Südstadt“ als ideale Stadterweiterung der Nachkriegszeit vorexerziert hat. Ob es aber nicht doch Wege gibt, die aggressive Zusammenballung von Investitionen in weniger chaotische Bahnen zu lenken? Würden Planer und Politiker aktiv Szenarien für die Entwicklung der Zwischenstadt vorgeben, dann hätten die dort wirksamen Kräfte endlich einen kompetenten Widerpart.
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Die Presse, 10.1.1998
DAS, WAS SICH NICHT FASSEN LÄSST Bühnenbildner, Ausstellungsgestalter, Bildhauer, Architekt: Friedrich Kiesler entzieht sich jeder Zuordnung. Das Wiener Historische Museum stellt diesen "Gesamtkünstler" mit einer umfassenden Ausstellung vor. Eine Empfehlung.
Um mit dem Ende anzufangen: Friedrich Kiesler starb im Alter von 75 Jahren am 27. Dezember 1965 in New York. Bei seinem Begräbnis rollte Robert Rauschenberg einen Autoreifen durch das Kirchenschiff, stellte ihn in der Nähe des Sargs auf und bemalte ihn blau, gelb, grün, weiß und rot. E. E. Cummings hielt eine Rede, und das Juilliard-Streichquartett spielte Kompositionen von Mozart und Schönberg. Geboren wurde Kiesler 1890 in Czernowitz, aufgewachsen ist er in Wien. Er studierte ein Jahr Architektur an der TU Wien, danach Malerei an der Akademie. Über Professionsgrenzen hat er sich stets hinweggesetzt, vielleicht mehr als jeder andere Künstler dieses Jahrhunderts. Kiesler war Bühnenbildner und Ausstellungsgestalter. Er war Maler, Architekt und Bildhauer, und er verstand sich zumindest in den dreißiger und vierziger Jahren auch als Vertreter einer neuen Wissenschaft der Gestaltung, die er als „Correalismus“ zu etablieren suchte. Aber keine dieser Zuordnungen wird Kiesler wirklich gerecht: Wer seine Skulpturen als das Werk eines Bildhauers betrachtet, seine von ihm „Galaxies“ genannten Bildensembles als Werk eines Malers und seine Theorien als wissenschaftliche Abhandlungen, wird seltsam unbefriedigt bleiben. Kiesler war „Gesamtkünstler“, aber er hat, wie Dieter Bogner schreibt, die traditionelle Ästhetik des Gesamtkunstwerks weit hinter sich gelassen zugunsten „einer Architecture Magique, die in der Totalität des menschlichen Wesens wurzelt“. Hauptwerke sind zum größten Teil nur über Photographien und Werkskizzen erfahrbar: Die Bühnenbilder und Ausstellungsgestaltungen, für Kiesler ein wesentliches Experimentierfeld, waren temporär; das wenige, das er tatsächlich gebaut hat, ist, abgesehen vom Schrein des Buches in Jerusalem, zerstört; viele Architekturprojekte sind kurz vor der Umsetzung gescheitert. Auf Philip Johnsons spitze Bemerkung, er sei „der größte nichtbauende Architekt“ unserer Zeit, erwiderte Kiesler, dass er es vorziehe, nicht zu den vielbauenden Nicht-Architekten zu gehören. Die Beziehung Kieslers zu seiner alten Heimat ist ein besonderer Fall: Er reiste1926 zusammen mit seine Frau Stefi nach New York, um dort eine von ihm zusammengestellte Ausstellung über neue Theaterkonzepte aufzubauen. Die Reise sollte einige Wochen dauern, aber Kiesler ist nie mehr nach Wien zurückgekehrt. Er konnte sich in der New Yorker Kunstszene etablieren, erhielt Lehraufträge an Universitäten und erfuhr schließlich seit Beginn der fünfziger Jahre umso größere
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Beachtung, je deutlicher der Kontrast zwischen seiner Architekturauffassung und dem funktionalistischen Mainstream der amerikanischen Moderne erkennbar wurde, die sich an Gropius und Mies van der Rohe orientierte. Die Bedeutung der Wiener Architekturszene für sein eigenes Werk hat Kiesler vor allem am Anfang seiner New Yorker Zeit betont. Gegen Ende seines Lebens hat er eine Einladung Clemens Holzmeisters zu einer Ausstellung nicht ohne Rührung beantwortet: „Kein Brief der letzten 30 Jahre hat mich so gefreut wie der Ihre. Und glauben Sie mir, ich bin nicht sentimental. Es war wie eine Heimkehr.“ Zu einer ersten Ausstellung in Wien ist es freilich erst lange nach Kieslers Tod gekommen. Oswald Oberhuber hat sie 1975 für die Galerie nächst St. Stephan zusammengestellt. 1988 fand im 20er Haus eine von Dieter Bogner kuratierte umfassende GedenkAusstellung statt, deren Katalog nach wie vor das Standardwerk zu Kiesler darstellt. Dass nun auch der Nachlass Kieslers nach Wien gebracht werden konnte, ist eine Folge dieser Bemühungen um die Kiesler-Forschung. Nach langen Verhandlungen mit Kieslers zweiter Frau Lillian, die Kiesler ein Jahr vor seinem Tod geheiratet hatte, konnte eine befriedigende Lösung gefunden werden: Der Nachlass wird in eine Privatstiftung eingebracht, die vom Bund, der Stadt Wien, der Nationalbank und von privater Seite finanziert wird. Bei einem Kaufpreis von 3 Millionen Dollar haben es auch die Privaten verdient, vor den Vorhang zu treten: Zu den Stiftern gehören Bank Austria, die Postsparkasse, die BAWAG, die Wiener Städtische Versicherung, die Österreichischen Lotterien, die Firma Wittmann sowie der Rechtsanwalt Hannes Pflaum, der Galerist John Sailer und Dieter Bogner. Lillian Kiesler selbst hat auf ein Drittel des Kaufpreises verzichtet, nachdem die Republik Österreich und die Stadt Wien die Ausrichtung eines alle zwei Jahre zu vergebenden und mit 750.000 Schilling dotierten „Kiesler-Preises für Kunst und Architektur“ vereinbart hatten. Das Archivmaterial umfasst 2500 Zeichnungen, dazu Notizen und Briefe sowie rund 1000 Photographien – angesichts des vergleichsweise kleinen noch erhaltenen Œuvre seine unabdingbare Grundlage für die weitere Kiesler-Forschung. Im Historischen Museum der Stadt Wien sind jetzt 400 Exponate zu sehen, präsentiert in großen, ruhigen Vitrinen in einer Ausstellungsgestaltung von BKK-2, die aus dem Gewinkel des Museums zumindest einen homogenen Raum macht und mit ihrer einheitlichen fleischfarbenen Oberfläche wohl auf die für Kiesler zentralen Themen des Raumkontinuums und des Organischen anspielt. Zumindest ist der Besucher nicht von den Exponaten abgelenkt, die ihm in weitgehend chronologischer Abfolge dargeboten werden, von den Materialien zur Ausstellung neuer Theatertechnik, die Kiesler 1924 in Wien im Rahmen des Musikund Theaterfestes gestaltet hat, bis zu den letzten, beinahe ausführungsreifen Plänen für das „Endless House“, dazwischen Briefe und Entwurfszeichnungen sowie Skizzen. Zwar sind die Einflüsse der zeitgenössischen Strömungen, von den russischen Konstruktivisten über die De-Stijl-Gruppe, deren Mitglied er als enger Freund Theo van Doesburgs war, bis zum Surrealismus deutlich abzulesen. Aber stets hat man das Gefühl, dass Kieslers Interesse nicht dem Objekt an sich gilt, sondern der Beziehung zwischen den Objekten, der Differenz und dem Intervall, also letztlich dem, was sich nicht fassen lässt. Ein für die Entwicklung in diese Richtung wesentlicher Schritt war die Gestaltung der Surrealisten-Galerie für Peggy Guggenheim im Jahr 1942: Die Bilder sind aus den Rahmen genommen und mit Distanz vor die hölzernen Schalen gesetzt, die den Raum seitlich begrenzen. Wer Kiesler vor allem als den Schöpfer des organisch geformten „Endless House“ in Erinnerung hat, wird in dieser Ausstellung einige Überraschungen erleben. Da ist beispielsweise ein Vortragsmanuskript, in dem er Adolf Loos als einen der anonymen Meister bezeichnet, die stets die großen Stile aller Zeiten geschaffen hätten. Oder die Spuren seiner Arbeit an der Columbia University, wo er von 1937 bis 1941 ein Laboratory for Design Correlation leitet. Als Ergebnis des ersten
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Forschungsjahres entsteht aufgrund einer umfassenden Analyse von Nutzungsbedingungen eine mobile Bibliothekswand, die hier mit Arbeitsphotos und Detailzeichnungen dokumentiert ist. Der Versuch, Gestaltung und Wissenschaft in einer Art von „Biotechnik“ wieder zu verbinden, ist im Amerika der dreißiger Jahre durchaus en vogue, und Kiesler Beitrag wird von den führenden Proponenten gewürdigt. Als er 1931 den Wettbewerb für ein Theater in Woodstock gewinnt, eine leichte, demontierbare Struktur, schreibt Buckminster Fuller einen enthusiastischen Kommentar zum Projekt. Kiesler hat seinen wissenschaftsähnlichen Ansatz auch danach nicht aufgegeben. Im Manifest des Correalismus, 1949 in Paris veröffentlicht, finden sich die mobile Bibliothekswand und die zugehörige Analyse jedenfalls ebenso wie seine surrealistischen Arbeiten. Kieslers Werk ist heute in jeder Hinsicht aktuell: Die Idee des kontinuierlichen Raumes ohne Trennung in Decke, Wand oder Stütze findet sich in den jüngsten Projekten der heutigen Avantgarde, beispielsweise im viel publizierten Schiffsterminal von Yokohama von Foreign Office Architects. Die Ähnlichkeit ist dabei weniger auf einen direkten formalen Einfluss zurückzuführen als auf eine verwandte biotechnische Methode. Kiesler hat diesen aktuellen Tendenzen, die ihre Formen aus Kraftflüssen und Bewegungsströmen abzuleiten versuchen, aber doch etwas voraus. Auf dem Weg von der Funktion zur Form nimmt er noch den Umweg über die Vision, über das Magische und Mythische: „Form folgt nicht der Funktion. Form folgt der Vision. Vision folgt der Wirklichkeit.“ Die Presse, 20.12.1997
NUR KEINE HANDSCHRIFT, BITTE! Steht wieder einmal das Ende der Architektur bevor? Liegt die Rettung in der Spezialisierung? Angesichts einer Kultur, in der es keine fixen Bezugssysteme mehr gibt, plädiert Manfred Wolff-Plottegg für permanente Grenzüberschreitung. Kaum beginnen Architekten über ihre Profession nachzudenken, geraten sie in eine Krise. Das ist kein neues Phänomen: Man könnte die Geschichte der Architektur als eine Geschichte von Krisen beschreiben, die seit dem 18. Jahrhundert etwas häufiger auftreten als zuvor. Bauingenieure sind gegen dieses Phänomen vergleichsweise immun. Schlimmstenfalls leiden ihre Geschäfte unter einer schlechten Konjunktur: Vom bevorstehenden Ende ihrer Profession zu sprechen - "Apocalypse Now" lautet der Titel einer gerade erschienenen Aufsatzsammlung zur Situation des Architektenberufs - ist den Bauingenieuren aber noch nie eingefallen.
Foto: Michael Schuster Das liegt sicher an der zweifelsfreien Nützlichkeit des Ingenieurs. Wozu Architekten wirklich gut sind, ist dagegen vergleichsweise unklar. Machen sie Häuser schöner? Oder praktischer? Von Friedrich Kiesler, jenem großen Visionär unter den Architekten des 20. Jahrhunderts, dessen Nachlas gerade im Wiener Historischen
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Museum ausgestellt ist, stammt die Definition, dass der Architekt das "Überflüssige notwendig" mache. Das wäre noch verzeihlich. Aber Kiesler setzt hinzu, dass er auch "das Notwendige überflüssig macht". Braucht man sich da noch zu wundern, dass die Mehrheit des Publikums dem Architekten ein herzliches "Selber überflüssig!" entgegenruft und sich an den nächstbesten Baumeister oder Generalplaner wendet? Man kann die gegenwärtige Situation des Architekten - wie es Alfons Flatscher vor kurzem in der Zeitschrift "Report" gemacht hat - aus dieser Perspektive analysieren: Mangel an ökonomischem Denken, geringe Kundenorientierung, zuwenig Spezialisierung. Am härtesten trifft die Kritik die Architekturschulen, die nach wie vor Generalisten ausbilden wollen, technisch versierte Künstler, womöglich noch mit sozialem und politischem Anspruch - eine zum Aussterben verurteilte Spezies. Natürlich werde kaum ein Architekt in der Praxis diesen hehren Zielen gerecht, und zum vorprogrammierten Misserfolg komme dann noch ein schlechtes Gewissen, das unter den gegenwärtigen Marktbedingungen in blanken Zynismus umschlagen oder direkt in den Ruin führen müsse. Bevor man die Zukunft des Architekten im spezialisierten "Dienstleister mit bauspezifischer Sachkompetenz" sieht, empfiehlt sich ein nochmaliger Blick auf das Phänomen der Krise in der Architektur. Könnte sie nicht die notwendige Folge der Differenz zwischen Architektur und Technik sein? Nach einer Definition Kants ist die technische Einheit eine empirisch gewonnene, nach zufällig sich darbietenden Absichten, die architektonische dagegen eine apriorische, nach Ideen. Architektur löst nicht einfach Probleme, sondern versucht auch, ein umgreifendes Ganzes erfahrbar zu machen, innerhalb dessen Probleme erst einen Sinn und Lösungen einen Wert bekommen. Dass sie dabei seit über 200 Jahren von einer Krise in die nächste stürzt, ist die natürliche Folge einer kulturellen Situation, in der es keine fixen Bezugssysteme mehr gibt. Für eine Architektur der Moderne gibt es keinen Weg aus der Krise. Sie kann diesen Umstand aber als Chance begreifen, sich die eigenen Fundamente permanent neu zu schaffen, vorurteilsfrei und opportunistisch, also jede sich bietende Gelegenheit nutzend. Spezialisierung ist dafür kein taugliches Mittel. Wenn der Architekt beginnt, sich als Spezialist - etwa für "Bauformgebung" - zu begreifen, wird er bestenfalls neue Moden erfinden, in der Regel aber nur die jeweils aktuellen Schnittmuster variieren. Aber was wäre das Gegenteil des Spezialisten? Der "Homo universalis" der Renaissance? Von dem wagen Architekten heute nicht einmal mehr zu träumen. Der geniale Dilettant? Schon eher, aber diese Figur kann immer nur eine Ausnahme sein und kein Modell für eine Profession. Ein anderes - freilich gefährlich heroisches Bild bietet sich an: der Architekt als notorischer Grenzgänger. Manfred Wolff-Plottegg, der kürzlich den Architekturpreis des Landes Steiermark zugesprochen bekam, hat sich seit 30 Jahren als ein solcher Grenzgänger betätigt. Er hat gebaut, die Sanierung des Schlosses Trautenfels etwa oder einen Wohnbau in Seiersberg; er hat allein und in Arbeitsgemeinschaft mit Künstlern Projekte realisiert, zuletzt mit Peter Kogler eine Installation in der Grazer Galerie & Edition Artelier beim "steirischen herbst". Und er hat sich bemüht, sein Grenzgängertum theoretisch zu begründen, zuletzt in einem Buch mit dem Titel "Architektur Algorithmen", das im Passagen Verlag erschienen ist. Den steirischen Architekturpreis hat er folgerichtig für seine Arbeiten zum "erweiterten Architekturbegriff" erhalten. "Architektur Algorithmen" ist eine Aufsatzsammlung mit einem Vorwort, das Plottegg zusammen mit Peter Weibel verfasst hat. Hier werden einige der Grenzen angesprochen, um deren Überschreitung es geht, in erster Linie zu den Systemtheorien und zur Kunsttheorie. Hinter den hier versammelten Reizworten von Chaostheorie über genetische Algorithmen bis zu autokatalytischen Prozessen steht ein einfacher Gedanke: "Zukunft und Freiheit fordern ein offenes System." Die Reizworte darf man getrost wieder vergessen, den Satz sollte man sich merken, weil er bei Plottegg keine Phrase ist, sondern Programm. Wer sich durch das Vorwort durchgekämpft hat, wird mit einer Sammlung von Aufsätzen belohnt, die neben jenen von Hermann Czech zum Originellsten gehören, das in Österreich in den letzten 30 Jahren an Architekturtheorie geschrieben wurde.
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Die Forderung nach dem "offenen System" findet sich gleich im ersten Aufsatz aus dem Jahr 1969, ebenso die Diagnose, dass wir uns "in einer umfassenden, nicht schwerkraftgebundenen Umwelt befinden, in der die Bautätigkeit nur mehr eine Nebenerscheinung ist". Beide Aussagen sind für die späten sechziger Jahre nichts Ungewöhnliches, aber Plottegg interessiert sich mehr für den Planungsprozess als für die wohlmeinende Definition neuer Leitbilder. Projekte wie die "Metamorphose einer Stadtwohnung" sind als Handlungsanweisungen formuliert, wobei einfache Regeln zu äußerst komplexen Raumbildungen führen: Zuerst werden alle Möbel mit einem Tuch verdeckt, dann wird Torfmull ausgestreut und bepflanzt, schließlich werden in die frei gebliebenen Wandflächen Nägel eingeschlagen. Plotteggs Programm ist eine Revolte gegen die bürgerlichen Codes der Architektur, in denen Konsumenten wie Produzenten gefangen sind. "Die völlige Geschmacklosigkeit ist mir ein Rezept gegen die permanenten Restaurierungs-, Verbesserungs-, Verschönerungstendenzen des Architektenvereins." Wenn das repressive Moment des guten Geschmacks überwunden ist, entstehen neue Freiräume der Gestaltung: "Ob etwas ein Entwurf ist, zeigt sich am Kriterium der Grenzüberschreitung." Mit dem Text "Hybridarchitektur" erweitert Plottegg seine Theorie um den Aspekt der Digitalisierung. Die Handlungsanweisungen werden als Algorithmen erkannt und der Computer zum Durchbrechen oder Neuinterpretieren von Codes eingesetzt. Statt von Entwurf spricht Plottegg nun lieber von Interaktion. Der Computer wird zum Partner, der Handschrift und Stil zu vermeiden hilft. Einen ähnlichen theoretischen Ansatz vertritt auch Peter Eisenman, dessen Texte ebenfalls in der Architektur-Reihe des Passagen Verlags unter dem Titel "Aura und Exzess" erschienen sind. Trotzdem verfolgt Eisenman ein Ziel: nämlich die "Instabilitäten und Dislozierungen zur Darstellung zu bringen, die heute Wahrheit ausmachen". Letztlich bildet Eisenmans Architektur doch wieder etwas ab, wenn auch nur eine Idee. Sie läuft damit Gefahr, zum Vorbild eines neuen "guten Geschmacks" und letztlich zu einem Stil zu werden, der eine Zeitlang die Titelblätter der Architekturjournale erobert. Als Dienstleistung für den Investor wäre diese Architektur nicht mehr als das Kunsthandwerk des Medienzeitalters. Eine solche doch wieder abbildende Funktion der Architektur ist für Plottegg völlig absurd. Ihm geht es primär um die Öffnung des kreativen Prozesses, um die erhöhte Beweglichkeit einer "handschriftlosen, geschmacklosen, stillosen, ORTlosen Architektur". In seinen Bauten und Projekten sind die "autorlosen" Algorithmen freilich in einen nach wie vor persönlichen Entwurfsprozess integriert. Plottegg ist der zwangsläufige Widerspruch zur theoretisch geforderten "Autorlosigkeit" bewusst, wenn er über sein ideales Gebäude resümiert: "Ein entscheidendes intellektuelles Problem belastet mich dennoch: Dieses Gebäude würde schließlich doch an einem ORT stehen, es würde vermutlich meine Handschrift tragen, es würde so geschmacklos sein, dass es sogar mir gefallen könnte." Als Antwort bleibt Plottegg nur noch das Paradoxon: "Daher arbeite ich immer am übernächsten Projekt." Die Gedanken Friedrich Kieslers über das Notwendige und das Überflüssige in der Architektur sind nun vielleicht besser verständlich. Wenn wir die Unterscheidung ein für alle Mal zu treffen wüssten, bräuchten wir tatsächlich keine Architektur mehr. In einem solchen geschlossenen System gäbe es weder Freiheit noch Zukunft. Architektur hat nicht zuletzt die Aufgabe, die eingefahrenen Codes, mit denen diese Trennung festgelegt wird, immer wieder zu hinterfragen. Kann es etwas Erfreulicheres geben, als das notwendig Geglaubte plötzlich als überflüssig zu erkennen?
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Die Presse, 22.11.1997
VON HIGHWAYS UND SACKGASSEN Sind Städte heute noch planbar? Kann sich die Architektur gegen den Motor der Stadtentwicklung, die Ökonomie, noch behaupten? Internationale Beispiele zeigen: Es ist möglich - politischen Willen und Lust am Gestalten vorausgesetzt. Wien ist ruhig, Wien ist musikalisch, Wien ist weit weg - das sind die Stichworte, die amerikanischen Managern zum Thema Wien einfallen. Bei einer Städtebewertung im "Fortune Magazine" kam Wien zwar kürzlich bezüglich Kultur und Lebensqualität auf den dritten Platz, als Standort für Unternehmen hat die Stadt aber einen ebenso bescheidenen Ruf wie das ganze Land: Die direkten ausländischen Investitionen, ein wichtiger Indikator für wirtschaftliche Attraktivität, haben sich in den letzten Jahren kaum erhöht. Als Hauptursache werden unflexible bürokratische Abläufe genannt. Die Bewilligung einer Produktionsanlage dauert in Österreich für die Hälfte aller Antragsteller länger als ein Jahr, in Deutschland nur sechs Monate. Solche Bremsmechanismen als Preis für hohe Lebensqualität hinzustellen ist gefährlich: Auf Dauer lässt sich Qualität nicht durch Verhindern sichern, sondern nur durch Gestalten. Das erfordert keineswegs die Abschaffung der Bürokratie, sondern flexiblere Verfahren und eine Mentalität, die Innovationen gegenüber aufgeschlossen ist. Wenn ein Konzern wie IBM seine Osteuropa-Aktivitäten aus Wien abzieht und in Zukunft von Paris und Stuttgart aus betreiben möchte, ist das ein deutliches Zeichen, dass man diese Innovationskraft hierzulande nicht mehr vermutet. Was haben solche ökonomischen Entwicklungen mit Städtebau zu tun? Die radikalste Antwort ist, dass sie den Städtebau im klassischen Sinn längst ersetzt haben: die Ökonomie als dominanter Faktor einer Stadt- und Regionalentwicklung, in der Politiker und Architekten bestenfalls an der Oberfläche ein paar Akzente setzen können.
Wer Milliarden zu investieren verspricht, wie Frank Stronach in den Ebreichsdorfer Magna-Globe, trifft auf eine Öffentlichkeit, die keine eigene Vision von innovativem Unternehmertum entwickelt hat und sich deshalb dankbar deren monströse Karikatur verkaufen lässt. Kaum hat die Ebreichsdorfer Kugel konkrete Formen angenommen, finden sich auch in Wien Investoren für ein nicht weniger wahnwitziges Konkurrenzprojekt. Angesichts solch sprunghafter Entwicklungen stellt sich die Frage, ob Städte überhaupt noch planbar sind. Unterstellt man, dass Politiker sich in ihren Nebensätzen offenbaren, ist die grundsätzliche Skepsis jeder Planbarkeit gegenüber evident: Wo der letzte Bundeskanzler im Falle von Visionen den Arztbesuch empfahl, ließ sein Nachfolger sich gerne mit dem Satz von der Müßigkeit jedes Lebensplans zitieren. Aber natürlich geht es Politikern hier ähnlich wie Architekten: Voraussetzung für ihre Tätigkeit ist die Lust am Gestalten, und die setzt einen Plan voraus. Heute verschieben sich freilich die Gewichte: War es früher üblich, ein Ziel genau zu benennen und dann direkt darauf zuzusteuern, gilt das Interesse von Politikern wie Architekten immer mehr der richtigen "Strategie" - ein nach außen hin möglichst generell formuliertes Ziel, dafür schnelle Positionswechsel, Ausnutzen
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gegnerischer Schwächen. Seine architektonische Strategie hat Adolf Krischanitz einmal in einem Interview so beschrieben: Es gehe ihm nicht länger darum, "die Widerstände der Realität zu brechen, sondern ihre Kraft vielmehr - wie in der JudoTechnik - mit einem Minimum an Aufwand umzulenken". In diesem Trend lag auch der Wiener Stadtplanungsdirektor Arnold Klotz, als er bei der Schlussdiskussion des fünften Wiener Architekturkongresses erklärte, in Zukunft würde in Wien die "klassische Stadtplanung in die Offensive gehen", um sich "strategisches Denken und Managementdenken" anzueignen. Dabei stellt sich vorerst die Frage, welches Denken bisher zur Anwendung kam. Nachgedacht wurde ja seit Mitte der achtziger Jahre ausgiebig, vorerst über die Expo 95, dann in einem eigenen Fachbeirat über die Stadterweiterung - all das zusätzlich zum Stadtentwicklungsplan. Aber das operative Grundmuster hinter allen Entwicklungsplänen und den Leitzielen des Fachbeirats blieb nach der missglückten Expo-Volksbefragung die Patchwork-City, die Stadt der kleinteiligen, autonomen Lösungen. Sie zeichnet sich durch Unverbindlichkeit aus: Grundsätzlich ist alles überall irgendwie möglich oder auch nicht. Als Königsweg der Wiener Stadtplanung gepriesen, war die Patchwork-City - so Erich Raith - doch nie mehr "als die zum Highway erklärte Sackgasse konzeptioneller und formaler Beliebigkeit". Die Strategie der Patchwork-City ist bestenfalls, dass man keine hat. Arnold Klotz hat konsequenterweise seine Ankündigung einer stärkeren strategischen Ausrichtung der Wiener Stadtplanung mit einer Absage an die Patchwork-City abgeschlossen: Stattdessen werde man sich stärker mit dem "Gesamtbild und mit dem öffentlichen Raum" befassen. Sofort stellt sich die Frage: Was ist heute ein Gesamtbild? Beim Kongress im Architekturzentrum Wien präsentierten Soziologen, Politiker und Architekten Städteporträts, Stadtbilder also, aber wie schon der Titel des Kongresses vermuten ließ, ging es weniger ums Bild als um Prozesse und Operationen: "Hearts of Europe Bypasses, Implants and Magnets for the Cities". Damit ist angedeutet, dass es sich bei radikalen Operationen oft um Notfälle handelt. Wenn Barcelona heute zu Recht als Paradebeispiel einer offensiven Stadtgestaltung gilt, muss man sich die Situation der Stadt nach der Franco-Diktatur in Erinnerung rufen: Die Risiken einer radikalen Erneuerung waren weit geringer als jene einer Stagnation auf dem niedrigen, durch den Madrider Zentralismus der Franco-Ära verstärkten Niveau. Oriol Bohigas, Architekt der urbanen Erneuerung Barcelonas, formulierte eine plakative, reichlich generelle Zielvorgabe: "Das Zentrum hygienisch, die Peripherie monumental." Die Umsetzung begann Anfang der achtziger Jahre mit einem "Putsch", bei dem die bisherige Hierarchie der beamteten Stadtplanung entmachtet und durch ein Team von jungen Architekten ersetzt wurde. Man beauftragte sie mit konkreten, rasch umsetzbaren Projekten für Platzgestaltungen, die bald international Aufsehen erregten. 1986 erhielt Barcelona den Zuschlag für die Olympischen Spiele 1992. Die massiven Investitionen in Infrastruktur, Sportstätten und Wohnbau wurden unter anderem dazu genutzt, benachteiligten Stadtteilen, wie dem desolaten Hafenviertel, eine neue Identität zu geben. Auch wenn nicht alle Realisierungen gleichermaßen überzeugen, ist die Stadterneuerung und Erweiterung Barcelonas ein Beweis dafür, dass Stadtplanung nach wie vor möglich ist. Die enormen Herausforderungen, denen sich die Planer in diesem Prozess stellen mussten, hatten einen wichtigen Nebeneffekt: die höhere Qualifizierung der Planer selbst. Das jüngste Stadterweiterungsprojekt, der Delta-Plan für ein Gebiet südlich des Montjuic, in dessen Rahmen bis zum Jahr 2025 unter anderem ein neuer Flughafen und ein Logistikzentrum errichtet werden, wurde in allen seinen Prozessen nach der Qualitätssicherungsnorm ISO 9000 zertifiziert. Im Bestreben, eine "kollektive Kultur der Antizipation" zu erreichen, schließt dieser Plan Maßnahmen zur postgradualen Fortbildung von Architekten und Planern mit ein. Das Konzept von Barcelona ist nicht ohne weiteres auf andere Städte übertragbar: Zu unterschiedlich sind die Probleme, die finanziellen Mittel, die Mentalität und die
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lokale architektonische Kultur, von deren hohem Niveau Barcelona besonders profitierte. Eine Stadt wie Bilbao mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit und einer desolaten Industrie, deren Ruinen das Zentrum prägen, braucht andere Strategien. In einer Art Schocktherapie hat man sich hier entschlossen, mitten ins verwahrloste Zentrum neue kulturelle Einrichtungen zu setzen: Frank Gehrys Museum ist eröffnet, eine neue Oper soll 1998 fertig gestellt werden. Die Präsenz der Architektur, die Rolle des Architekten als Identitätsstifter und Werkzeug des Stadtmarketing hat in Bilbao ein beinahe unheimliches Ausmaß erreicht. Ob diese neuen Bauten nicht doch zu isoliert sind, um eine neue Identität zu schaffen, wird sich erst zeigen. Innenräume wie jene von Gehrys Museum haben aber in jedem Fall das Format, das kollektive Gedächtnis einer Stadt zum Träumen zu bringen. Ob Barcelona, Bilbao oder Neapel, wo die Substanz der Stadt durch temporäre Installationen von Künstlern wie Mimmo Paladino oder Yannis Kounelis neu ins allgemeine Bewusstsein gehoben werden soll: Am überzeugendsten sind jene urbanen Projekte, die sich als künstlerische Herausforderung deklarieren. Erfolg ist damit keineswegs gesichert: Aber zumindest bleibt ein Freiraum für ein ehrenvolles Scheitern jenseits von Technokratie und bleierner Stadtbild-Etikette. Die Presse , 26.10.1997
IM LAND DER VERGOLDETEN ASCHE Kaum waren im November 1992 die letzten Glutnester in den Redoutensälen gelöscht, brach auch schon der Glaubenskrieg los: rekonstruieren oder neu gestalten? Herausgekommen ist ein Kompromiss. Fünf Jahre nach dem Hofburg-Brand: ein Lokalaugenschein. Bis zum Brand im November 1992 waren die Redoutensäle aus dem öffentlichen Bewusstsein so gut wie verschwunden. Von den Aufführungen der Staatsoper, die bis Anfang der siebziger Jahre im großen Saal stattfanden, schwärmen Opernfreunde zwar noch heute. 1974 zog hier jedoch die KSZE ein und verwandelte die Räume in ein von der Öffentlichkeit hermetisch abgeschirmtes Konferenzzentrum. So war das lustvolle Entsetzen angesichts des Brandes nicht größer als bei anderen Großbränden auch, und als staatsgefährdend wurde vorerst nur der Wasserschaden in der Winterreitschule angesehen, deren durchfeuchtete Decke die Lipizzaner zu erschlagen drohte. Als schließlich die letzten Glutnester gelöscht waren, stellte sich die Frage: Was ist da eigentlich aus- respektive abgebrannt? Die erste Erweiterung der alten Hofburg an dieser Stelle, der "Komödiensaal", datiert aus der Zeit um 1630 und brannte schon 1699 wieder aus. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden zuerst die unmittelbar angrenzenden Bauten der Nationalbibliothek und der Winterreitschule errichtet, bevor der Redoutentrakt von Jean-Nicolas Jadot renoviert wurde: Auf Jadot gehen die Gliederung in großen und kleinen Redoutensaal und die ursprüngliche Ausstattung der Säle zurück. Der kleine Redoutensaal blieb seither im wesentlichen unverändert, während der große Saal immer wieder umgestaltet wurde: Balkone und Treppen wurden ein- und später wieder ausgebaut, die Pilastergliederung Jadots wurde verändert, verschwand im klassizistischen Plan Höhenrieders von 1838 ganz, um schließlich 1892 in Ferdinand Kirschners Umgestaltung wieder aufzutauchen. Die gemalte barocke Decke aus dem 18. Jahrhundert wurde durch eine Stuckdecke in wechselnden Dekors ersetzt. Die Diskussion um die Redoutensäle hatte einerseits diese historischen Fakten und damit den kunst- und kulturhistorischen Wert der einzelnen Bauteile und andererseits deren Zustand nach dem Brand in Erwägung zu ziehen. Man hätte diese Diskussion rational führen können. Aber schon bald war in den Medien von einer bösen Ahnung zu lesen: Zuerst kommt das Feuer, dann das Löschwasser - und schließlich kommen die Architekten und geben dem schönen alten Saal den Rest. Wollte tatsächlich
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jemand den Versuch wagen, in die Mauern der Hofburg einen Repräsentations- und Veranstaltungsraum des späten 20. Jahrhunderts zu implantieren? Solche Themen lassen sich prächtig emotionalisieren. Schon bald nach dem Brand hatte der damalige Wirtschaftsminister Schüssel die Hofburg zu einem "nationalen Symbol" erklärt. Gustav Peichl stellte klar, dass "moderne Architektur dort stattfinden sollte, wo sie hingehört", und Erhard Busek ließ als Wissenschaftsminister "definitiv" bekanntgeben, "dass es sich um eine Rekonstruierung und nicht um moderne Architektur" handeln werde, "aus dem einfachen Grund, weil nicht so viel zerstört wurde, wie man zunächst angenommen hatte".
Fotos: Wehdorn Im Frühjahr 1993 beginnt der Streit zu eskalieren. Gottfried von Einem warnt vor der "Verschandelung" durch eine vielleicht doch drohende "moderne" Neugestaltung. Die Gegenseite kontert mit der Furcht vor "historischem Firlefanz" und einem "Trugbild im Geiste des Sentimentalen" und lobt die Vorgehensweise der britischen Denkmalpflege nach dem Brand von Schloss Windsor: Dort sei bereits ein Wettbewerb unter "modernen" Architekten für den Wiederaufbau im Gange. Was sich übrigens später als Märchen herausstellt: Heute kann man in Windsor eine historisierende Rekonstruktion der übelsten Sorte besichtigen. Bei einer denkwürdigen Podiumsdiskussion Ende März 1993 werden alle Argumente noch einmal vorgebracht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung aber schon gefallen: Manfred Wehdorn hatte kurz zuvor den Auftrag als Generalplaner für die Sanierung der Redoutensäle erhalten. Die notwendige Diskussion, warum in Österreich ein "nationales Symbol" nicht entwicklungsfähig ist, sondern nur konserviert werden darf, bleibt aus. Von der Politik wird die Chance, Identität einmal nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart zu suchen, nicht einmal ignoriert. Nur auf einer kleinen Nebenfront läuft die Diskussion weiter: Sind tatsächlich "80 Prozent der alten Konstruktion trotz des Feuers erhalten", wie die "Kronen Zeitung" zu berichten weiß? Für den kleinen Redoutensaal traf das sicher zu. Dort waren nur Teile der Decke eingestürzt, ansonsten aber kaum grobe Schäden zu verzeichnen.
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Der große Saal war dagegen offensichtlich schwer beschädigt: Decke und Dachstuhl waren völlig eingestürzt, die Sockelzone bis auf viereinhalb Meter Höhe zerstört. Scheinbar gut erhalten war nur die mittlere Zone der Wand mit ihren Stuckarbeiten. Aber schon bald stellt sich heraus, dass dieser oberflächliche Eindruck trügerisch ist. Der Stuck entzog sich jedem konventionellen Restaurierungsversuch, indem er sich bei Berührung in Staub auflöste. Hitze und Löschwasser hatten ihn in der Substanz zerstört. Kunsthistorisch wäre das kein Unglück gewesen. Stuck dieser Qualität aus dem Jahr 1892 ist in Wien noch öfter anzutreffen. Aber politisch war die Wiederherstellung eine absolute Notwendigkeit, wäre doch sonst die ganze Diskussion von neuem losgebrochen. Im Mai 1993 wurde daher ein Probefeld wiederhergestellt, nach dessen Vorbild die Gesamtsanierung erfolgt. Die Reste des Stucks wurden an der Wand chemisch gefestigt und teilweise in situ ergänzt. Kompliziertere Teile wie Säulenkapitelle, die schon 1892 als Versatzstuck zuerst gegossen und dann an der Wand befestigt worden waren, mussten anders behandelt werden. Ihre Reste wurden von der Wand abgenommen und in Formen gelegt, die dann neu ausgegossen wurden. Sensationell daran war weniger das Verfahren an sich, sondern die Bereitschaft, so viel Aufwand in die Erneuerung und Ergänzung eines kunsthistorisch so unbedeutenden Bestandes zu investieren. Dort, wo im großen Saal nichts mehr erhalten war, sollte, ganz im Sinne einer wissenschaftlich orientierten Denkmalpflege, im „Stile unserer Zeit“ gearbeitet werden. In diesem Punkt hat sich Wehdorn gegen das Bundesdenkmalamt durchgesetzt, das eine Rekonstruktion der Decke des großen Saals für durchaus machbar gehalten hätte. Vor Jahren entschied das Denkmalamt bei einem anderen Bau Jean-Nicolas Jadots, der heutigen Akademie der Wissenschaften, in einer ähnlichen Frage noch für die Rekonstruktion: 1962, nach dem Brand des Festsaals, hätte Oskar Kokoschka dort die Decke neu malen sollen. Stattdessen kam eine Kopie des Barockfreskos nach alten Photos zur Ausführung. Josef Mikls Deckenbild im Redoutensaal ist freilich ein anderer Fall. Es ist keine architekturbezogene Monumentalmalerei, die Kokoschka noch zuzutrauen gewesen wäre, sondern einfach ein sehr großes, an der Decke befestigtes und durchaus schön anzusehendes Bild. Da ist es nur konsequent, dass Mikl sich weigerte, die Kabel der Beleuchtungskörper durch sein schönes Bild zu führen (obwohl das in der Ausschreibung für den Wettbewerb so gefordert war); jetzt hängen die Lampen am Rand und müssen sich dort einigermaßen schlank machen. Das alles geht freilich auf Kosten des räumlichen Gesamteindrucks. Zwar sind überall die historischen Schichten klar herausgearbeitet, das Ergebnis ist jedoch mehr ein Präparat als ein Raum, in dem sich die Teile - wie im kleinen Redoutensaal - zu einem Ganzen verbinden. Ähnlich verhält es sich auch mit vielen Ergänzungen, die um die eigentlichen Säle herum eingefügt wurden. Überall, so sagt der Architekt, wo Neues eingefügt wurde, sei "in der Sprache des Jahres 1997" gearbeitet worden. Aber beschränkt sich die wirklich auf Edelstahl, Glas und polierten Marmor? Ist nicht diese Zuordnung von Materialien zu einer Epoche überhaupt unmöglich und bedient letztlich nur die gängigen Klischees, die sonst gegen die Moderne vorgetragen werden? Im Dachgeschoß führt Wehdorn vor, was er selbst unter moderner Ästhetik versteht. Hier ist das Pressefoyer entstanden, ein Raum, der über die ganze Länge der beiden darunter liegenden Säle geht. Eine Leimbinderkonstruktion, aufgeladen mit HighTech-Accessoires, trägt das Dach. An der Nordseite belichtet ein riesiges Fenster den Raum. Dann, etwas im Hintergrund und ein Halbgeschoß abgesenkt: die Kugel mit der Verkleidung aus blauem Glas. Hier, in einem hermetisch abgeschlossenen Konferenzraum, soll während der EUPräsidentschaft Österreichs der EU-Ministerrat tagen. Zwei Brücken verbinden das Kugelinnere mit der Außenwelt der wartenden Journalisten. Der ikonologische Gehalt dieser Anlage ist schwer zu bestimmen: Sie hat jedenfalls gute Chancen, zum Symbol eines postmodernen Kakanien zu werden.
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Wenn die Redoutensäle am Nationalfeiertag ausgerechnet mit Ausschnitten aus Opern Leopolds I. eröffnet werden, sollte man sich an einen Satz von Gustav Mahler erinnern: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche. In Wien ist es in den letzten 50 Jahren meisterhaft gelungen, die Asche zu vergolden. Kompromisse wie hier in den Redoutensälen oder beim viel wichtigeren Projekt des Museumsquartiers werden daran nicht viel ändern. Die Presse, 27.9.1997
DIE MASCHEN DER WIRKLICHKEIT An der hiesigen Bautradition hat sich Jean Nouvel bei der Planung seiner Wohnhausblöcke in Wien-Floridsdorf orientiert. Und hat dabei zwischen Schrebergärten und Schnellstraßen so etwas wie städtische Ordnung hergestellt
Foto: Kühn
Stararchitekten sind Markenartikler. Wer bei Richard Meier kauft, wird stets denselben im Quadratraster arrangierten Corbusier-Verschnitt bekommen, ganz gleich, ob er ein Rathaus für Amsterdam oder ein Museum für Barcelona bestellt hat. Frank Gehry garantiert skulptural-dekonstruktive Lieferungen eher organischen Zuschnitts, während bei Zaha Hadid Ähnliches in kantenbetonter Ausführung zu erhalten ist. Natürlich haben diese Architekten Qualitäten jenseits solch oberflächlicher Zuordnungen: Ihr internationaler Marktwert gründet sich jedoch in erster Linie auf formale Exklusivität. Jean Nouvel, der sicher zur Spitzengruppe internationaler Architekturstars gehört, fällt in dieser Hinsicht aus dem Rahmen. Seine Bauten zeigen kein gemeinsames Repertoire, Formen und Materialien wechseln von Projekt zu Projekt: Das Kulturzentrum in Nantes ist ein schwarzer Quader mit einer Außenhaut aus Gitterrosten; die Fondation Cartier in Paris ein reiner, entkernter Glaskubus; die Mediathek in Nimes wollte Nouvel völlig unter Erdniveau legen; mit dem "Tours sans fins" in La Défense mit seiner Fassade aus schwarzem Marmor und bedrucktem Glas lieferte er den Entwurf für das höchste Hochhaus Europas. Nouvels bekanntester Bau ist das Institut du Monde Arabe in Paris, bei dem er formale Elemente der islamischen Architektur in eine technoide Struktur übersetzt hat, die sich auf den zweiten Blick als ironischer Kommentar zur Ideologie des HighTech zu erkennen gibt: kein kraftvoller Organismus, wie es noch das Centre Pompidou sein wollte, sondern ein kunstvoll arrangiertes Nebeneinander technischer Finessen. Für Wien hat Nouvel einen Entwurf zur geplanten Expo 96 gemacht und einen für den Neubau der Generali-Versicherung am Schwedenplatz. Sein Versuch, einem sachlichen Bürohaustypus ausschließlich durch die Behandlung der Fassade Würde und Poesie zu verleihen, konnte in Wien auf kein Verständnis treffen. Der Auftrag ging an Hans Hollein und damit an einen Wiener Markenartikler mit Hang zum Skulpturalen. Als Kompensation darf Nouvel für denselben Bauherrn ein Bürohaus in Vorarlberg bauen.
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Im Wohnbau hat Nouvel in Wien zuletzt mit seinem Beitrag für den Umbau der Gasometer in Simmering von sich reden gemacht. Sein Projekt ist das einzige unter den jetzt geplanten, bei dem das Industriedenkmal nicht zur Kulisse degradiert wird, sondern die Einbauten sich der strukturellen Logik der Gasometer anpassen. Der faszinierende Innenraum des Nouvelschen Entwurfs mit seinen spiegelnden Metallverkleidungen könnte zumindest klaustrophobieresistente Gemüter überzeugen. In der Leopoldauer Straße im 21. Bezirk hat Nouvel eine Anlage mit 75 Wohnungen geplant, die eben fertig gestellt wurde. In einer Umgebung, die im Wesentlichen aus Schrebergärten und Schnellstraßen besteht, versuchte Nouvel hier so etwas wie städtische Ordnung herzustellen. Viergeschossige Zeilen bilden eine Art Blockstruktur, die an den Ecken offen bleibt, um Stiegenhäuser und Durchgänge aufzunehmen. Im Inneren dieses lockeren Blocks findet noch ein freistehendes Gebäude Platz. Den geringen Anteil an gemeinsamen Grünflächen, der sich aus der dichten Bebauung ergibt, hat Nouvel durch die Schaffung von jeweils den Wohnungen zugeordneten Freibereichen kompensiert. Jede Wohnung im Erdgeschoß hat zur Straße hin einen Garten und auf der Hofseite eine Terrasse. Markiert sind diese Bereiche nicht durch den üblichen Maschendrahtzaun, sondern durch tiefe Tröge aus Stahlbeton, die von den Bewohnern bepflanzt werden sollen. Als Trennung zwischen den einzelnen Gärten beziehungsweise Terrassen hat Nouvel ein Element entwickelt, das den Charakter der Siedlung wesentlich bestimmt: meterhohe Rankgerüste aus Stahl, die im jetzt noch unbepflanzten Zustand eher an ein Umspannwerk erinnern, aber im Lauf der Zeit zu grünen Wänden werden sollen. Im Zusammenhang mit diesem Element muss auch die Wahl der dominierenden Gebäudefarbe gesehen werden: Alle Außenwände sind in einem dunklen Weinrot gestrichen, die Betontröge vor den Wohnungen ebenso wie die Holzverschalung der Fassade und die Verblechung des Dachs und der Gesimse. Das dunkle, erdige Rot gibt dem an sich schon gedrungenen Baukörper zusätzliche Schwere, vor der die Bepflanzung umso stärker zur Wirkung kommen wird. Um Freibereiche auch für die Bewohner der oberen Geschoße zu schaffen, hat Nouvel seine Baukörper terrassiert: Das erste und zweite Geschoß bilden einen breiteren Sockel, die beiden Obergeschoße springen zurück. Bis auf die Räume im Dachgeschoß verfügt damit jeder Wohn- beziehungsweise Schlafraum über seinen eigenen vorgelagerten Freibereich. Große Fenstertüren erlauben in diesen Räumen eine enge Verbindung zwischen Innen und Außen. Schiebeläden mit verstellbaren Lamellen sorgen bei Bedarf für die nötige Abschirmung. Die Wohnungen selbst sind großteils Maisonetten. Bei den meisten Typen führt der Eingang über einen kleinen Windfang direkt ins Wohnzimmer, Nassbereiche sind in der dunklen Kernzone der tiefen Baukörper zusammengefasst. Dieser Grundrisszuschnitt ist ungewohnt, spart aber Erschließungsfläche und macht die Wohnungen großzügig - "Nur eine große Wohnung ist eine schöne Wohnung", hat Nouvel einmal das Leitmotiv seiner Wohnungskonzepte umrissen. Trotzdem geht es in diesen Grundrissen nicht nur um Fläche: Nouvel legt offensichtlich großen Wert auf symmetrische und manchmal geradezu klassische Zuschnitte, beispielsweise bei einigen Maisonettetypen mit zentraler Wohnhalle. In seiner Projektbeschreibung weist Nouvel darauf hin, dass er durchaus eine persönliche Interpretation des Wiener Kontexts im Sinne hatte. Wien ist für ihn ein Ort, an dem sich byzantinischer Überschwang mit dem Gefallen an der Strenge der Geometrie trifft, zugleich jene Stadt, der es „innerhalb zweier kurzer Jahrzehnte gelungen ist, Psychoanalyse, Zionismus, Zwölftonmusik, Expressionismus, moderne Architektur und Kunstkritik zu erfinden oder wiederzuentdecken, und die während der zweiten Jahrhunderthälfte mit Pichler, Hollein, den Haus-Ruckern und CoopHimmelb(l)au den Traum der Avantgarde auferstehen ließ“. Er selbst habe sich in seiner Interpretation des Genius loci an der “Radikalität von Adolf Loos und der Freiheit von Josef Frank“ orientiert, weil sie das „moderne“ Wien am greifbarsten repräsentierten: „Der Fremde muss sich hier bescheiden, ja
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sogar etwas schüchtern verhalten und versuchen, seinen Beitrag, der auf jeden Fall exotisch sein muss, respektvoll anzupassen.“ Exotisch ist Nouvels Wohnbau schon deswegen, weil er viele gängige Trends unterläuft: eine elementare tektonische Lösung, zugleich aber ein Baukörper mit klarer Physiognomie, der bewusst historische und symbolische Referenzen sucht. Die Qualität von Nouvels Arbeit liegt generell in der Verweigerung jedes Konformismus, in der radikalen, forschenden Auseinandersetzung mit einer vielfältigen und jeweils einzigartigen Realität. „Ich glaube nicht an Generalisierungen, an kein Modell. Mich interessiert die Poesie einer Situation und das Aufspüren von Bedeutungen in einem Kontext der Pluralität.“ Dass die Realität des Wohnbaus in Wien nicht an den Qualitätsansprüchen von Loos oder Frank gemessen werden darf, musste Nouvel bei der Ausführung seines Projekts gleich in mehreren Punkten erfahren. In der Durchführung durch einen Generalunternehmer blieben einige Elemente, wie die ursprünglich geplanten schlanken Kamine, die dem Gebäude eine ganz andere Silhouette gegeben hätten, gänzlich auf der Strecke. Anderes wurde in veränderter Qualität ausgeführt, die Rankgerüste etwa, wo statt glänzendem Edelstahl eine matte, pulverbeschichtete Lösung zum Einsatz kam. Verändert wurde auch das Erschließungssystem. Ursprünglich hätten die Treppenhäuser nur überdacht werden sollen; um Auseinandersetzungen mit Baupolizei und zukünftigen Mietern zu vermeiden, wurden sie schließlich völlig geschlossen - eine teure und ästhetisch unglückliche Maßnahme. Dass auch die räumliche Qualität und die Logik der Bewegung zum Komfort eines Treppenhauses zu rechnen sind, hat bei dieser Entscheidung offenbar keine Rolle gespielt. Wer jetzt aus dem geschützten Treppenhaus erst wieder auf eine offene Terrasse muss, bevor er seine Wohnung betreten kann, wird zu Recht irritiert sein. Die nachträgliche "Einhausung" der Treppe zeigt Nouvel schließlich als das, was sie ist: Der Glaskobel reicht so knapp an das weit vorkragende Dach, das ursprünglich zum Schutz der Treppe vorgesehen war, heran, dass es weh tut. Noch in einem anderen kleinen Detail wird die Psychopathologie der heutigen Wohnbau-Realitäten deutlich: Weil Nouvel alle Freibereiche baulich markiert hat, wären zusätzliche Abgrenzungen eigentlich überflüssig. Trotzdem wurden entlang der Grenzlinien Zäune aus Maschendraht errichtet, die streckenweise die Pflanzentröge begleiten, dann wieder einen Hofbereich in zwei ungleiche Teile zerschneiden, als wollte die Juristerei der Architektur zeigen, wer Herr im Haus ist. Man darf nur hoffen, dass sich dieses Verhältnis irgendwann wieder umkehrt. Die Presse, 3.5.1997
KOMFORT MIT ECKEN UND KANTEN Wohnen im Raum, nicht im Zimmer: Nach diesem Prinzip hat Anton Schweighofer in Wien- Simmering ein Haus gebaut - und die Behauptung widerlegt, im geförderten Wohnbau gehe es nur darum, standardisierte Grundrisse kostengünstig zu reproduzieren. Früher einmal, da wohnte der Wiener in Zimmer, Küche, Kabinett. Der gründerzeitliche Spekulationsbau hat diese Kombination aus quadratischem Wohnraum und zwei schmalen Nebenräumen tausendfach addiert, zu Mietshäusern gestapelt und ganze Stadtviertel aus ihnen errichtet. Dass dieser Typus auch Qualitäten besitzt, ist unbestritten. Die Raumproportionen sind gut, und die einfache, repetitive Geometrie bietet die Möglichkeit zur Anpassung an geänderte Bedürfnisse. Als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse ist das gründerzeitliche Zinshaus weit weniger sympathisch. Es ist eine Degenerationsform des bürgerlichen Wohnhauses, in der nicht das Wohnen, sondern die Rendite im Mittelpunkt steht. Während das bürgerliche Wohnhaus das vielfältige Wechselspiel zwischen öffentlichen und privaten Verpflichtungen zum Ausdruck brachte und damit um sich herum Urbanität erzeugte, beschränkt sich der Beitrag des Zinshauses zur Stadt auf die Fassade. Dahinter reiht sich Zimmer an Zimmer, monoton geordnet, ohne jene eigenständige
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Verfassung, die aus den Zimmern erst eine Wohnung und aus der Wohnung eine Heimat machen könnte. Ist die heutige Wohnbaupraxis dieser Haltung tatsächlich so weit überlegen, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat? Was den Komfort, die Wohnungsgröße und die technische Ausstattung betrifft, ist das natürlich keine Frage. In all diesen Punkten haben sich Standards eingebürgert, die kein Bauträger zu unterschreiten wagt. Die prekäre Beziehung zwischen privater und öffentlicher Sphäre ist dagegen ein Thema, dessen Vernachlässigung kaum jemandem Kopfzerbrechen zu bereiten scheint. Solange es um Reihenhäuser oder verdichtete Teppichsiedlungen geht, ist das weniger problematisch: Hier impliziert die Aufgabe an sich das Nachdenken über Grenzen und Übergange vom Öffentlichen zum Privaten. Beim mehrgeschossigen Wohnbau dagegen, der ja derzeit aus ökonomischen Gründen in Wien wieder absolute Priorität hat, scheint man in dieser Frage aber ungestraft noch unter das Niveau des Zinshauses zurückfallen zu dürfen. Jedenfalls überwiegen nach wie vor die Fälle, bei denen - angeblich im Interesse der Bewohner - nur die Maximierung von Nutzfläche betrieben wird.
Foto: Spiluttini
Wie sehr letztlich auch die Bewohner davon profitieren können, wenn man die Beziehung zwischen Haus und Stadt ernsthaft thematisiert, beweist ein jüngst nach dem Entwurf von Anton Schweighofer fertig gestelltes Wohnhaus in WienSimmering. Es ist ein Bau von eindeutig urbanem Charakter, ein lang gestreckter, zur Kaiserebersdorfer Straße hin fünfgeschossiger Riegel mit markant ausgeformten Ecken, der an den Seiten auf drei Geschoße reduziert ist und dort präzise an die gründerzeitliche Bebauung anschließt. Was sofort auffällt, ist der tiefe Vorgarten an der Hauptstraße, der jetzt noch etwas kahl wirkt, aber im Laufe der Zeit einen grünen Filter vor das Haus setzen wird. Der Vorgarten ist teilweise den Wohnungen im Erdgeschoß zugeordnet, teilweise schafft er großzügige Vorbereiche vor den Eingängen ins Haus. Das Flächenpotential ist damit zwar nicht ganz ausgeschöpft, der Bauherr ließ sich aber davon überzeugen, dass der tiefe Vorgarten die Qualität der Wohnungen steigern würde. Im Erschließungssystem setzt sich diese Großzügigkeit fort: Statt das Stiegenhaus auf ein Minimum zu reduzieren, hat Schweighofer daraus einen lichtdurchfluteten Raum gemacht, der durchaus auch zum Verweilen einlädt. Abgeschlossen ist dieser Raum durch einen gläsernen Wintergarten, der als großer, ruhig proportionierter Kasten genau so weit über die Putzfassade vorspringt, dass man beim Begehen der Treppe immer wieder aus dem Baukörper herauszutreten vermeint und einen Blick nicht nur auf die andere Straßenseite, sondern weit in die Kaiserebersdorfer Straße hinein werfen kann. Die Stiegenpodeste sind hier über das notwendige Maß hinaus zu kleinen, zwischen den Stockwerksniveaus schwebenden Plattformen erweitert, die sich die Bewohner im Lauf der Zeit aneignen werden. Mit ihrem raffinierten Spiel aus Symmetrie und Asymmetrie prägen zwei solcher verglaster Stiegenhäuser den Mittelteil der Fassade. Die Ecken des Baukörpers sind dagegen als massive Blöcke ausgeformt. Im obersten Stock lösen sich diese Blöcke in ein Gerüst aus Rahmen auf, die ihrerseits einen achteckigen Turm einfassen. Eine
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solche Verbindung zwischen der Sprache der klassischen Moderne und einer in der klassischen Tradition verankerten Geometrie hat Schweighofer schon oft durchexerziert. Bemerkenswert ist hier allerdings, wie sich diese Spannung bis in die Grundrisse der Wohnungstypen verfolgen lässt. In den Ecktypen findet sich eine Variante dessen, was Schweighofer als "Kreuzgrundriss" bezeichnet: Vier annähernd quadratische, in ihrer Nutzung nicht genau vorbestimmte Raumeinheiten umschließen einen kreuzförmigen Innenbereich, der zum gemeinsamen Wohnen und zur Erschließung der umliegenden Einzelräume dient. Bei seinen Wohnbauten der späten achtziger Jahre hat Schweighofer dieses Prinzip erprobt, und es hat sich trotz anfänglicher Bedenken bezüglich der Möblierbarkeit und der Belichtung gut bewährt. Dass dieser Wohnungstyp nicht nur einfach eine gemeinsame Innenzone, sondern auch eine geometrisch klar definierte Mitte hat, auf die sich die anderen Räume beziehen, wird bei den Dachwohnungen mit ihrem achteckigen Turmaufbau, der den Zentralraum noch überhöht, deutlich. Einem verwandten, aber in der räumlichen Wirkung gänzlich anderen Prinzip gehorchen die Wohnungen an den verglasten Stiegenhäusern. Auch hier gibt es ein gemeinsames Innen, aber es gibt keine geometrisch fixierte Mitte mehr. Indem einer der vier umliegenden Einzelräume um 45 Grad gedreht wird, löst sich der Kreuzgrundriss auf: Es entsteht eine fließende Innenzone, die hier noch durch zwei diagonal eingestellte, tragende Säulen an Komplexität gewinnt. Zur Fassade hin ist diese Innenzone durch einen im Grundriss trapezförmigen Wintergarten erweitert. Natürlich ist ein Raumgrundriss mit elf oder mit fünf Ecken für die übliche Wohnvorstellung eine gewisse Zumutung: Als Abstellraum für das standardisierte Programm der Möbelhäuser taugt diese Wohnung nur bedingt. Dafür sieht Schweighofer ein größeres Potential zur individuellen Gestaltung, und wer Mobiliar tatsächlich als leicht und mobil versteht, hat hier sicher mehr Freiheiten als üblich. Die Idee einer fließenden, gemeinsamen Innenzone, die zwischen individuell genutzten Einzelräumen entsteht, hat Schweighofer bei seinem wichtigsten jüngeren Bau, einem Studentenheim im zehnten Bezirk, entwickelt. Dort lag die Zumutung an die Bewohner vor allem darin, sich für ihren privaten Bereich auf einen Raum von 2,3 mal 2,8 Meter - wenn auch bei einer "hochbettfähigen" Raumhöhe von drei Metern - zu beschränken. Obwohl man dem Gebäude anfangs zwar guten Willen, aber Unkenntnis der tatsächlichen, angeblich rein individualistisch geprägten Bedürfnisse studentischer Nutzer nachgesagt hatte, hat sich das Konzept zum allgemeinen Erstaunen ausgezeichnet bewährt. Die Bewohner haben dort praktisch umgesetzt, was Schweighofer mit der Idee eines "Wohnens im Raum und nicht im Zimmer" zu umschreiben versucht: Wo das "Wohnen im Zimmer" den individuellen Besitzanspruch an ein paar Quadratmetern Fläche benennt, versteht Schweighofer unter "Wohnen im Raum" eine Form des Wohnens, die ihre Qualität aus dem Zusammenspiel der Räume gewinnt. Die kleinste individuelle Einheit ist zwar durchaus abschließbar; indem sich diese Einheiten zum gemeinsamen Innenbereich öffnen, können sie aber, im Gegensatz zu einer Gang-und-Zimmer-Lösung, zueinander in Beziehung treten. Von einem kollektiven Wohnen kann man dabei aber nur bedingt sprechen. Der Ausgangspunkt der Betrachtung ist für Schweighofer stets das Individuum, dem die Möglichkeit geboten wird, sich seinen Wohnraum aktiv anzueignen und über die Grenzen hinaus zu erweitern. Dieses Prinzip gilt in der Kaiserebersdorfer Straße im Inneren der Wohnung genauso wie im räumlichen Überfluss der Erschließungsbereiche. Dass vom Bewohner dabei Offenheit und Konfliktfähigkeit erwartet werden, ist sicher auch eine gewisse Zumutung. Ob die Wiener Mentalität damit zurechtkommt, bleibt abzuwarten. Die Behauptung, innerhalb der engen und immer enger
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werdenden Grenzen des geförderten Wohnbaus gebe es, wenn überhaupt, nur noch eine einzige Aufgabe für die Architektur, nämlich standardisierte Grundrisse immer kostengünstiger zu reproduzieren, hat Schweighofers Bau jedenfalls schon jetzt widerlegt. Die Presse, 22.3.1997
AM ENDE DER WILDEN JAHRE Mit dem Versuch, eine Kunsthalle nach ihrem Geschmack durchzudrücken, setzen steiermärkische Landespolitiker das internationale Ansehen des Landes als Standort hochwertiger Architektur aufs Spiel. Eine Intervention. Erst Salzburg, dann Linz und jetzt Graz: Kultur in den Berg zu bauen ist offensichtlich in Mode. In Salzburg hätte es das Guggenheim-Museum werden sollen, in Linz der Neubau eines Landestheaters im Schlossberg. Da darf Graz nicht zurückstehen: Direkt unter dem Uhrturm soll eine Kunsthalle als Erweiterung der Neuen Galerie in den Fels gesprengt werden. Der Standort mag zwar für all jene Kunstliebhaber seinen Reiz haben, die im Museum die Schätze der abendländischen Kultur sicher geborgen sehen wollen. Ausstellungstechnisch ist er insofern weniger ideal, als Berge im Allgemeinen keine Fenster haben. Das lässt sich freilich ändern. Der Architekt Klaus Gartler, auf den der Plan zurückgeht, hinter dem Palais Herberstein den Fels auszuhöhlen und die Öffnung mit einer geneigten Glasfläche abzudecken, rühmt die "unique selling proposition" dieser Idee, also die einzigartige Anziehungskraft, die Graz durch diese Maßnahme auf dem Tourismusmarkt entwickeln könnte: "Die Architektur des Schlossbergfensters als vorgestellte Fassade lässt eine diesem stadthistorisch bedeutsamen Ort adäquate einzigartige städtebauliche Lösung im Sinne des viel zitierten USP erwarten." Das klingt viel versprechend. Trotzdem fragt sich der Beobachter, ob es in Graz nicht andere geeignete Standorte für das Projekt "Kunsthalle" gibt. Klaus Gartler hat im Auftrag der Stadt Graz eine Standortuntersuchung durchgeführt, und sein Schlossbergfenster ist nur eine der in dieser Studie genannten Möglichkeiten. Als gleichwertig bezeichnet Gartler den Pfauengarten, ein lang gestrecktes Grundstück, das auf dem Niveau der alten Befestigungsmauern direkt an den Stadtpark angrenzt. Eine Kunsthalle an dieser Stelle käme an der Verbindung zwischen dem Stadtpark und dem dicht bebauten alten Stadtkern zu liegen und würde sich mit dem Schauspielhaus, dem Künstlerhaus und dem Forum Stadtpark zu einer schlüssigen urbanen Struktur ergänzen.
Fotos: Langhans, Schöffauer
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Ein einziges Argument spricht gegen diesen Standort: dass nämlich hier bereits eine Kunsthalle geplant war. 1988 wurde dafür ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die Architekten Schöffauer und Tschapeller für sich entscheiden konnten. Als für das Projekt 1995 endlich alle baurechtlichen Bewilligungen vorlagen, wurde es Opfer der Pattstellung, von der die steiermärkische Politik seit dem Verlust der absoluten Mehrheit der ÖVP im Jahr 1991 geprägt ist. Hatte die SPÖ ursprünglich dem Projekt zugestimmt, verlegte sie sich jetzt aufs Blockieren: Die bereits gesicherte Finanzierung wurde eingefroren. Als nach der Wahlniederlage 1995 das Kulturressort an die SPÖ überging, sah der neue Landesrat für Kultur, Peter Schachner-Blazizek, die Chance, mit einem neuen Projekt eigenständiges Profil zu zeigen. Der neue Standort ist freilich nicht ohne Tücken: Jener Teil des Schlossbergs, unter dem das Museum errichtet werden soll, wurde erst vor zehn Jahren als "geschützter Landschaftsteil" gewidmet; die ersten Proteste von Umweltschützern gegen Veränderungen an der Oberfläche haben bereits eingesetzt. Ähnliche Argumente werden aus der Sicht des Ensembleschutzes vorgebracht, gilt doch die Dachlandschaft in diesem ältesten Teil der Stadt als besonders schützenswert. Von einem großzügigen Schlossbergfenster ist schon längst keine Rede mehr. Auch wirtschaftlich ist die Entscheidung für den neuen Standort fragwürdig. Zwar soll das Museum im Schlossberg annähernd gleich viel kosten wie das Trigon; während dort aber über 4400 Quadratmeter Nutzfläche geplant waren, sind es im Schlossberg nur 2500. Eine Untersuchung über die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts liegt jedenfalls bis heute nicht vor. Nun würde man es einem Privatmann nicht verübeln, wenn er seine Meinung ändert und beschließt, sein Geld eben an einem anderen Ort zu verbauen. In diesem Fall liegt die Sache aber anders: Immerhin geht es um öffentliche Mittel, zu denen auch noch die verlorenen Planungskosten für das Trigon kommen, und die betragen bereits über 16 Millionen Schilling. Für diesen Betrag liegt ein praktisch baureifes Projekt höchster architektonischer Qualität vor, das über mehrere Jahre konzeptionell verfeinert wurde, ohne an künstlerischer Substanz eingebüßt zu haben, was im übrigen auch in Gartlers Studie dezidiert festgehalten wird. Dort findet sich auch eine weitere Anmerkung: Falls die neue Kunsthalle bereits für die Landesausstellung im Jahr 2000 genutzt werden soll, "ist das Projekt im Pfauengarten das einzig machbare". Der Beschluss der Landesregierung vom 25. September 1996, alle Planungen am Trigon-Museum zugunsten des Schlossbergs einzustellen, ist zwar mit Hinweis auf Gartlers Studie begründet; trotzdem wird ausdrücklich festgelegt, dass die neue Kunsthalle im Jahr 2000 fertig gestellt sein muss. Was das bedeutet, kann man bereits jetzt, in der ersten Phase der Projektabwicklung, beobachten. Die Ausschreibung des Wettbewerbs geriet zum Chaos: Von neun Jurymitgliedern waren bei einer konstituierenden Sitzung gerade drei - Gustav Peichl, Vittorio Magnago Lampugnani und Georges Calteux - fixiert, und die konnten mangels brauchbarer Unterlagen nichts anderes empfehlen, als den Abgabetermin in den Herbst zu verschieben. Ob überhaupt qualifizierte Architekten teilnehmen werden, ist trotz eines hohen Preisgeldes von zusammen drei Millionen Schilling fraglich: Denn parallel zum Architektenwettbewerb hat das Land Steiermark schon jetzt nicht nur die Statik und die Haustechnikplanung ausgeschrieben, sondern auch die Ausführungs- und die Detailplanung. Wer immer aus dem Architektenwettbewerb als Sieger hervorgeht, wird zwar den Entwurf liefern dürfen, die Detailplanung aber nicht mehr selbst durchführen können. In welche Richtung der Auslober damit das Projekt treiben will, liegt auf der Hand. "Bewährte, gängige technische Lösungen sind Experimenten vorzuziehen", heißt es lapidar in einer Machbarkeitsstudie der Landesregierung. Dass dieses Prinzip nicht nur im Detail zur Anwendung kommt, dafür soll die Präsenz Vittorio Magnago Lampugnanis in der Jury sorgen.
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Lampugnani hat sich in Berlin einen Namen gemacht als Proponent einer klassischen Formensprache, einer Architektur, die mit dem sorgfältigen Aneinanderfügen zweier Ziegelsteine beginnt, wie das Mies van der Rohe einmal formuliert hat. Auch von einem Museum hat Lampugnani klare Vorstellungen: "Bietet es nichts als schlichte rechteckige Räume mit vier weißen Wänden und ein Oberlicht, und dies in einem klaren Rundgang, dann stellt es alle zufrieden." Das passt gut ins Bild der neuen steiermärkischen Architekturpolitik: Nach den wilden Jahren, in denen es schon als Kunst gegolten hat, zwei Stahlträger schräg aneinanderzuschweißen, soll wieder die Vernunft einkehren. Aber ist diese simple Polarisierung zwischen dekonstruktivistisch schräg und wertkonservativ aufrecht wirklich stichhaltig? Die Domenigs, Kadas und Plotteggs, die jetzt aus allen öffentlichen Aufträgen ferngehalten werden sollen, sind alles andere als eine homogene Gruppe und lassen sich schon gar nicht auf jenen Stil reduzieren, mit dem ihre Epigonen die Grazer Schule in Verruf gebracht haben. Den Schritt vom Experiment zur souveränen Beherrschung ihrer Mittel haben die besten steirischen Architekten auch ohne Zutun der Politik schon längst vollzogen. Das Trigon-Museum hat in dieser spezifisch grazerischen Polarisierung schon gar nichts verloren. Denn das Projekt von Tschapeller und Schöffauer ist so ganz und gar nicht "dekonstruktiv": Seine Qualitäten liegen in der präzisen städtebaulichen Einfügung, in der poetischen Interpretation des Orts, in der außergewöhnlichen skulpturalen und räumlichen Durchbildung. Welche Räume die Kunst des 21. Jahrhunderts tatsächlich braucht, weiß heute natürlich niemand: vielleicht neutrale, vielleicht dramatische, vielleicht gar keine. Im Zweifelsfall sollte man sich aber gegen die Touristenattraktion entscheiden und für die Architektur. Die Presse, 8.2.1997
SANIERUNG MIT TOTALSCHADEN Das alte Technische Museum barg eine ganze Sammlung von Beweisstücken für das tragische Schicksal österreichischer Erfinder. Das umgebaute neue ist selbst ein Beweisstück - für das tragische Schicksal österreichischer Architektur.
Foto: Spiluttini
Kein Zweifel: Österreich ist das Land der tragischen Erfinderschicksale. Von heimtückischen Nachahmern um seine geniale Idee betrogen, stirbt der österreichische Erfinder vereinsamt und verarmt, während das böse Ausland den Gewinn einfährt. Das alte Technische Museum, so wie es vielen Wienern noch von sonntäglichen Besuchen in Erinnerung ist, war eine Ansammlung von Beweisstücken für dieses Klischee: Mitterhofers Schreibmaschine, Ressels Schiffsschraube, die Maderspergersche Nähmaschine, Marcuswagen und Etrich-Taube. Ansonsten zeigte das Museum Technik aus der Perspektive und mit den Mitteln des späten 19.
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Jahrhunderts: Dampfmaschinen, Lokomotiven und Autos als Bubenträume von der rohen Kraft der Maschine und der Macht des Menschen über die Natur. Zwei Weltkriege und eine Ökologiekrise später ist diese Perspektive obsolet (obwohl sie für „echte" Buben - wie wir ehrlich zugeben müssen - nichts von ihrer Faszination verloren hat). Sie ist genauso veraltet wie die kühle Distanz, mit der die Tierwelt noch heute im Wiener Naturhistorischen Museum gezeigt wird. In endlosen Reihen von Vitrinen wird dort eine Sicht der animalischen Natur demonstriert, die sich auf eine Folge von Abschießen, Ausstopfen und Ausstellen zu beschränken scheint. Aber diese Sicht, der wir einen guten Teil unserer heutigen ökologischen Misere verdanken, ist im Naturhistorischen Museum auf eine einzigartige Weise dokumentiert, und die derzeitige Aufstellung gilt daher zu Recht als kulturhistorisch erhaltenswert. Das Technische Museum in seiner alten Form hätte einen vergleichbaren Status beanspruchen dürfen. Das Museum geht auf die Initiative Wilhelm Exners zurück, der sich bereits 1879 mit der Gründung der ersten Höheren Technischen Lehranstalt der Monarchie um die Förderung der Technik verdient gemacht hatte. 1907 wurde auf sein Betreiben hin ein Komitee für die Errichtung eines Technischen Museums geschaffen. Exner selbst arbeitete ein Museumskonzept aus, das technikhistorische mit pädagogischen Zielen vereinen sollte. Der Architekt Emil von Förster legte auf dieser Grundlage einen ersten Entwurf für das Gebäude vor. Und nun folgt eine Reihe von Ereignissen, die für die spätere Geschichte des Hauses symptomatisch ist: 1909 fordert der Ingenieur- und Architektenverein einen öffentlichen Wettbewerb für das Museum; Exner will aus Zeitgründen trotzdem Försters Entwurf ausführen lassen und stimmt dem Wettbewerb erst nach dessen plötzlichem Tod zu; 27 Architekten, darunter Otto Wagner, Adolf Loos und Robert Oerley, nehmen am Wettbewerb teil; der erste Preis geht aber an jenen Architekten, der am wenigsten von Försters Entwurf abweicht, Hans Schneider. Das Museum wird in einer ersten Ausbaustufe noch während des Weltkriegs im Jahr 1918 eröffnet. Von Anfang an trägt man sich mit Erweiterungsplänen, aber bis zur Mitte der achtziger Jahre reicht die Finanzierung gerade für die notwendigsten Umbauten. 1987 gibt der Verein der Freunde des Technischen Museums eine erste Studie in Auftrag: Anton Schweighofer schlägt eine Sanierung und moderate, teilweise unterirdische Erweiterungen zu beiden Seiten des Altbaus vor. Als mit Peter Rebernik ein neuer Direktor für das Museum bestellt und gleichzeitig im Wirtschaftsministerium, das für den Bundeshochbau zuständig ist, eine „Museumsmilliarde" für die Sanierung und Erweiterung der Bundesmuseen in Aussicht gestellt wird, bricht sich das mangelnde Selbstbewusstsein des österreichischen Erfindergeists Bahn und schlägt in sein Gegenteil um: Endlich soll die wirklich große, international Maßstäbe setzende Erweiterung realisiert werden. Rebernik, der wohl nicht auf Grund museologischer Kompetenz zum Direktor bestimmt wurde, sondern wegen der in ihn gesetzten Hoffnung, durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit Industriesponsoring ins Haus zu bringen, setzt 1989 eine Wettbewerbsausschreibung durch, die von vornherein zu einem vom Bund allein kaum finanzierbaren Ergebnis führen muss. Das Siegerprojekt in diesem Wettbewerb stammt vom Atelier in der Schönbrunner Straße, und es benutzt an neuester Bautechnik alles, was gut und teuer ist. Die Jury hat damit bewusst jenes Projekt gewählt, das die höchsten technischen Herausforderungen stellt, auch wenn es vom Räumlichen her in einigen Punkten nicht wirklich überzeugen kann. Nach einem Haus-im-Haus-Prinzip ist das Museum in eine doppelte gläserne Hülle eingebaut und schließt als gläserner Block von beinahe denselben Ausmaßen wie das alte Museum im rechten Winkel an dieses an. Bestehende Bäume werden umbaut und sollen die Verbindung von Natur und Technik illustrieren, ein ausgeklügeltes Energiekonzept soll die neuesten Möglichkeiten der Gebäudetechnik nutzen. Für den Altbau schlagen die Architekten eine behutsame, etappenweise Sanierung vor. Von Anfang an wird dieses Projekt vom Wirtschaftsministerium bekämpft. Die Architekten arbeiten unter Mitwirkung internationaler Experten mehrere Varianten aus, um die Kosten zu senken. Eine Machbarkeitsstudie wird in Auftrag gegeben. Die
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Autoren Oberndorfer und Reismann kommen zum Schluss, dass der Bau nur unter bestimmten Bedingungen zu befürworten sei. Eine davon: „dass der Bauherr ein Zeichen in Richtung moderner Museumsarchitektur setzen wollte" und dabei „die Risken, die ohne Zweifel mit der Realisierung eines solchen Projekts verbunden sind, bewusst trägt". Das Ergebnis der Studie bleibt schwammig: Wenn alles gut geht, könnte der Termin - noch ist eine Eröffnung im unseligen Millenniumsjahr 1996 vorgesehen eingehalten werden; technisch ist der Bau wahrscheinlich beherrschbar; die Kosten könnten im vertretbaren Bereich bleiben. Eines ist aber bald klar: dass der Bauherr nicht daran denkt, irgendein Risiko zu tragen. Schließlich bringt die Idee einer „inneren Erweiterung" das endgültige Aus für den Neubau: Durch Hebung der Kuppeln in den zwei Höfen des Museums soll Platz gemacht werden für umlaufende Galerien mit rund 3500 Quadratmeter zusätzlicher Ausstellungsfläche. Den Auftrag für die Sanierung erhält Suter + Suter als Generalplaner, das Atelier in der Schönbrunner Straße soll die Neugestaltung des Eingangsbereichs übernehmen. Ab nun nimmt das Unglück seinen Lauf. Ohne klares Konzept für eine Wiederaufstellung wird das Museum hastig geräumt, die Bestände in Hallen des Bundesheers eingelagert. Die Kuppelhebung bleibt die einzige technisch bemerkenswerte Leistung beim Bau: Die neuen Galerien werden trotz Einspruch des Denkmalamts aus Brandschutzgründen in Beton ausgeführt. Der Versuch, sie auf Pilzstützen unabhängig in den Raum zu stellen, ist gründlich misslungen: Ein gröberer, geometrisch unglücklicherer Kontrast lässt sich kaum denken. Wie man auf den schmalen Galerien überhaupt ausstellen soll, ist bis heute unklar. Noch dazu leiden die Galerien genau an dem Problem, das man zuvor der Glaskiste vorgeworfen hat: Sie erhalten über die Kuppel viel zuviel Licht. Noch problematischer ist die neue Eingangslösung. Um mehr Platz für Garderoben, Museumsshop und Toiletten zu erhalten, ist das Museum auf Kellerniveau um ein verglastes Foyer erweitert worden. Oben, zwischen den Säulen des Mittelrisalits, wo von außen nach wie vor jeder Passant den Haupteingang vermuten würde, findet sich nur noch der Notausgang für das Café. Zum neuen Eingang hinunter führen zwei lang gezogene Rampen, die einen Graben zwischen Museum und Straße bilden. Funktionell ist das nicht unbedingt eine Verbesserung: Wenn hier im strömenden Regen eine Schulklasse aus dem Bus steigen möchte, darf sie zuerst über zwei lieblos detaillierte Stahltreppen hinunterklettern, bevor sich im neuen Foyer der Anspruch auf „moderne Museumsarchitektur" einlöst: endlich ein (beinahe) flaches Glasdach. Dafür geht es nun in eine ziemlich tiefe Dunkelzone, bis es die Besucher über eine steile Treppe in die zentrale Halle hinauf drängt. Was den Besucher hier erwartet, ist noch unklar. Im jüngst vom neuen, seit 1994 amtierenden Direktor, Thomas Werner, vorgestellten Konzept sind zwar Bereiche definiert und Exponate bestimmt, zur Ausstellungsgestaltung sollen jedoch erst jetzt Ideenwettbewerbe ausgeschrieben werden. Im Konzept finden sich bisher nur einige Skizzen, die in ihrer Unbedarftheit das Schlimmste befürchten lassen. Das „skulpturhaft Mythische" der Maschinen, das eine „Aura der Adoration" erzeugte, soll jedenfalls nicht mehr betont werden. Stattdessen droht der neue Direktor mit „Inszenierungen und Klangcollagen, die das Verhältnis zwischen Maschine, Besucher und Umwelt in mehrschichtig assoziativer Form" herstellen sollen. Für die Neuaufstellung rechnet er allein in der ersten Phase mit Kosten von mindestens 200 Millionen Schilling. Ob das alles nicht vielleicht doch teurer ist als ein Neubau, wird man erst in ein paar Jahren sagen können. Dass das jetzige Ergebnis zumindest in architektonischer Hinsicht eine Blamage für Österreich als Kulturland ist, steht aber fest. Von einem Ort, der dem Klischee vom österreichischen Erfinderschicksal eine positive Vision entgegensetzt und sie auch baulich an ein breites Publikum vermittelt, wird man wohl erst in 100 Jahren wieder träumen dürfen.
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Die Presse, 18.1.1997
VOM NUTZEN DER UNWIRTLICHKEIT Elementare Erfahrung von Material, Raum und Licht: Wie man mit einem vergleichsweise kleinen Bau die Freiheiten im Chaos der Peripherie nützen kann, zeigen ARTEC mit ihrer Schule in Wien Donaustadt. Erinnerungen an die Volksschule haben immer etwas seltsam Traumartiges an sich. Vielleicht liegt es daran, dass damals alles viel größer war, die Farben und Gerüche intensiver und dass höchstes Glück und größte Angst ausgelöst werden konnten durch Anlässe, die man später nicht einmal mehr wahrnehmen würde. Meine eigene Volksschule war ein großer Bau aus der Gründerzeit, streng symmetrisch geteilt in eine Mädchen- und eine Knabenschule. Die Klassen waren hell und freundlich, es roch nach Linoleum und Schulkakao. Das Stiegenhaus erschien mir damals geradezu gigantisch - während der Stunde alleine ins nächste Stockwerk geschickt zu werden, um etwas aus der Direktion zu holen, hatte etwas von einem Abenteuer. Eingebettet war diese Schule in den Ordnungsraster der gründerzeitlichen Stadt, mit einem kleinen Respektabstand vom Blockrand zurückgesetzt und damit deutlich als öffentlicher Bau erkennbar. Wie das urbane System, deren Teil sie war, hatte auch diese Schule einen zwiespältigen Charakter: Sie war wohlgeordnet, aber zugleich repressiv. Der Zusammenhang zwischen dem öffentlichen Bau und seinem Kontext spielt auch dort eine Rolle, wo sich die traditionelle Stadt längst aufgelöst hat und an Stelle eines geplanten urbanen Rhythmus die zufällige Verbindung von Strukturen den Ton angibt. Beträchtliche Teile der Wiener Stadterweiterungsgebiete fallen in diese Kategorie: Wer sich jenseits von Kagran in das Gebiet zwischen Rennbahnweg und Großfeldsiedlung verirrt, wird zwischen verödeten alten Ortskernen, vierspurigen Schnellstraßen und Plattenbauten so etwas wie Stadt vergeblich suchen. Dabei fehlt es nicht an urbaner Masse: Immerhin wurde hier erst kürzlich mit der Veterinärmedizinischen Fakultät eines der großen Universitätsareale Wiens geschaffen. Aber wieder einmal hat man sich darauf beschränkt, Kubaturen beziehungslos im Gelände abzustellen. Wie man mit einem vergleichsweise kleinen Bau die Freiheiten im Chaos der Peripherie nützen kann, haben Bettina Götz und Richard Manahl, die zusammen als ARTEC-Architekten firmieren, mit ihrem Schulbau in der Zehdengasse bewiesen. Nur ein paar Gehminuten von der neuen "Vetmed" entfernt, liegt diese Volksschule an einer für die Aufgabe denkbar unwirtlichen Stelle: Im Osten, also dort, wohin üblicherweise die Schulklassen orientiert werden, führt unmittelbar die Eipeldauer Straße vorbei, eine vierspurige Schnellstraße. Das Grundstück liegt außerdem gut zwei Meter tiefer als dieser Verkehrsträger, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite bilden die Parkdecks der angrenzenden Gemeindebauten eine Mauer. Ein weiteres Problem ergab sich aus der extrem knapp bemessenen Grundstücksfläche, die für die Situierung der Schule praktisch keinen Spielraum ließ. Das von ARTEC gewählte Prinzip für die Organisation der Schule ist einfach. Weniger lärmempfindliche Bereiche wie die Turnsäle und ein kleiner Pausenhof wurden an die Eipeldauer Straße gelegt, die Klassen dagegen nach Westen, zum angrenzenden Sportplatz hin. Dazwischen liegt als verbindendes Rückgrat ein lang gestreckter, dreigeschossiger Erschließungsbereich.
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Fotos: Rupert Steiner
Was an der Schule sofort auffällt, sind die "harten" Materialien: Stahlbeton, Verkleidungen aus Titanzink, Aluminiumfenster, Glas. Idyllische Gegenwelt zur Unordnung rundum ist das Gebäude sicher nicht, und es braucht einen genaueren, zweiten Blick, um seine Qualitäten zu erkennen. Es sind vor allem die feinen Nuancierungen der harten Schale, die sich einprägen: Gläser unterschiedlicher Transparenz, die Feinstruktur der Blechverkleidung, die aus schuppig übereinander gesetzten Lamellen besteht, ein paar kräftige Farben, die aus dem Inneren hervorblitzen. Wenn das Zinktitanblech, das jetzt noch glänzt wie Aluminium, seine matte Patina angesetzt hat, wird sich dieser differenzierte Eindruck noch verstärken. Im Inneren haben die Architekten die harten Oberflächen beibehalten, aber durch Lichtführung und Farbgebung Räume erzeugt, die kräftiger und „kindgerechter" sind als das meiste, was es im jüngeren Wiener Schulbau zu sehen gibt. Das dominierende Material der Grundstruktur ist Beton, freilich in verschiedenen Formen: einmal mit rauen Brettern geschalt, einmal als Fertigteil, feinporig und von hellerer Tönung, dann wieder glänzend lackiert. Die Ausfachungen zwischen den tragenden Elementen bestehen aus gestrichenen Holz- und Gipskartonplatten. An den Klassenwänden dominieren dabei zwei kräftige Gelbtöne: ein sattes, dunkles Melonengelb und ein helles Zitron. Alle Metallteile, also die Handläufe und das Lochblech der Brüstungen, sind signalorange, das Linoleum der Böden graugrün meliert. Das Licht wird vor allem im mittleren Erschließungsbereich kalkuliert eingesetzt, um verschiedene Zonen zu schaffen, die jeweils mit einem der drei L-förmig an das Rückgrat angeschlossenen Klassentrakte korrespondieren. In der ersten Zone fällt das Licht von der Seite ein und wird durch Glasstreifen im Boden nach unten gefiltert. In der mittleren Zone belichtet ein Oberlicht eine über alle drei Geschoße reichende Wand aus Stahlbeton, mit der die Architekten so etwas wie eine Felswand in die transdanubische Ebene bringen wollten, und tatsächlich wird das für viele Kinder der erste Innenraum mit dieser Erstreckung in der Vertikalen sein. Ans Ende der Erschließungszone haben die Architekten im Erdgeschoß den Bereich für die Nachmittagsbetreuung gelegt: einen kleinen Speisesaal, die Küche und einen Aufenthaltsraum. Diese Räume sind geschickt mit zwei ganz unterschiedlich ausgeformten Freiflächen verbunden: dem geschlossenen, durch eine Mauer zur Eipeldauer Straße geschützten Innenhof und einer kleinen, nach Westen offenen Spielfläche zwischen zwei Klassentrakten. Dass die Möblierung dieser Freiflächen schließlich mit rustikalen Bänken erfolgte, ist bedauerlich. Wahrscheinlich hätte man hier gar keine Möbel gebraucht, sondern einfach einen geschälten Baumstamm und ein paar große Steine, aber überall dort, wo freies Spielen auch nur mit minimalem Risiko verbunden ist, setzt sich offensichtlich die normgemäße, aber phantasielose Lösung durch. Auch die Klassen selbst folgen dem starren Schema, das von der Wiener Schulbaubehörde als Norm vorgegeben ist und bis zur Lage des Waschbeckens jedes Detail vorgibt. Die Klassentiefe beträgt generell sieben Meter, ganz gleich, ob es sich um eine große Stammklasse oder um eine kleine Integrationsklasse für nur sechs Schüler handelt.
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Dass dabei oft unsinnige Proportionen entstehen, ist nur ein Nachteil dieses rigiden Systems. Neue Formen des Schulbaus lassen sich so nicht erproben, und das viel gelobte Wiener Schulbauprogramm hat ja bisher auch eher formale Fortschritte gebracht, als die Schulbautypologie weiterzuentwickeln. Dass es auf diesem Gebiet durchaus Bewegung gibt, zeigt beispielsweise die Diskussion in den Niederlanden oder in Japan, und man wird auch bei uns nicht darum herumkommen, über neue, stärker gemeinwesenorientierte und offenere Formen des Schulbaus nachzudenken. Um diese Diskussion anzuregen, hat die Österreichische Gesellschaft für Architektur übrigens ihr mit 50.000 Schilling dotiertes Wilhelm-Schütte-Stipendium 1997 für Forschungsarbeiten zum Thema "Innovation im Schulbau" ausgeschrieben. Immerhin ist es den Architekten gelungen, auch in dieser Beziehung in ein paar Punkten vom Üblichen abzuweichen: Verglaste Vitrinen bieten zumindest in einigen Klassen eine Sichtverbindung zwischen Klassenraum und Pausenbereich, und beim Eingang gibt es einen großen, auch öffentlich nutzbaren Veranstaltungssaal, der direkt von außen zugänglich ist. Mit ihren technoiden Oberflächen und ihrer sperrigen, eher das Abstrakt-Skulpturale betonenden Geometrie ist die Schule von ARTEC sicher nicht die im konventionellen Sinn schönste unter den jüngeren Wiener Schulbauten. Aber sie reagiert klug auf den unwirtlichen Ort und nutzt dessen offensichtlichen Schwächen für eine starke architektonische Aussage. Ihre Innenräume sind auf eine sympathische Weise "arm" und frei von jener oberflächlichen Fröhlichkeit vieler neuer Schulen, die bei längerem Hinsehen zwanghaft wirkt. Stattdessen bietet sie die elementare Erfahrung von Material, Raum und Licht, und darin liegt wahrscheinlich ihre größte Stärke. Die Presse, 28.12.1996
DER EDLE WILDE UND SEINE VILLA Der Schweizer Kunsthistoriker Adolf Max Vogt legt in einer Studie über die Archäologie der Moderne die Wurzeln von Le Corbusiers „Schachtel auf Pfahlstützen" frei. Bis in die feinsten Verästelungen. Unter den Texten über die Architektur unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts werden mir zwei immer die liebsten bleiben: Julius Poseners „Vorlesungen zur Geschichte der neuen Architektur" und Adolf Max Vogts knapp gefasster „Entwurf zu einer Architekturgeschichte 1940 bis 1980". Vogts Text - das Einleitungskapitel einer kritischen Zusammenschau von Beispielen, die er unter dem Titel „Architektur 1940 bis 1980" am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich herausgebracht hat - geht von zwei Grundpositionen zur weiteren Entwicklung der Architektur aus der Sicht des Jahres 1945 aus: einerseits die Hoffnung, dass sich nun endlich die Konzepte der VorkriegsAvantgarde allgemein durchsetzen würden, wie es Sigfried Giedion in seinem noch vor Kriegsende geschriebenen Buch „Raum, Zeit und Architektur" als geradezu zwangsläufige Folge einer sich abzeichnenden Kongruenz zwischen Wissenschaft und Kunst darstellt. Mit der Benennung von Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe und Alvar Aalto bevölkert Giedion auch gleich das Pantheon der modernen Architektur mit jenen Meistern, die dann tatsächlich für die nächsten Jahrzehnte bestimmend bleiben. Die Gegenposition dazu findet Vogt in Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung", geschrieben zwischen 1938 und 1947, also praktisch zeitgleich mit „Raum, Zeit und Architektur" und ebenfalls im amerikanischen Exil. Giedions Idealbild der modernen Architektur ist für Bloch angesichts der gesellschaftlichen Realität „verchromte Misere" und „Lichtkitsch". Architektur definiert er schlicht als „Produktionsversuch menschlicher Heimat - vom gesetzten Wohnzweck bis zur Erscheinung einer schöneren Welt in Proportion und Ornament". Wo Giedion also von der Architektur endgültige (Er-)Lösungen erwartet, zählt für Bloch der Versuch sich der Utopie
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anzunähern, auch und gerade in Hinblick auf den Begriff der Heimat als „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war". Vogt lässt keinen Zweifel an seiner grundsätzlichen Sympathie für Blochs Position. Seine „Architekturgeschichte 1940 bis 1980" gerät ihm trotzdem nicht zu einer Abrechnung, sondern zu einer einfühlsamen Verteidigung der Moderne - gegen selbstzerstörerische Erlösungsversprechen ebenso wie gegen die „allzu sichtbaren, allzu verketteten Mächte", denen die Architektur sich immer stärker ausgesetzt sieht. Und so gelangt er schließlich zu einer Definition von Kunst und Architektur, wie sie einer Zeit der massiven Entfremdung angemessen sei: als prozesshaftes - und damit immer nur partielles - Bloßlegen von Wahrheit im Rahmen eines grundsätzlich offenen Utopieverständnisses. Nun hat Adolf Max Vogt ein neues Buch herausgebracht, in dem er scheinbar einen völlig anderen Zugang beschreitet. Statt die Architektur- in die Kulturgeschichte einzubetten und damit Übersicht zu gewinnen, beschränkt er sich auf einen einzigen Architekten und sogar in dessen Werk auf nur einen Aspekt, nämlich das Abheben des Bauwerks vom Boden. „Le Corbusier, der edle Wilde" (Vieweg Verlag, Wiesbaden), so der auf Rousseau verweisende Titel des Buchs, befasst sich mit dem Thema der „Schachtel auf Pfahlstützen", das sich durch das gesamte Werk Le Corbusiers verfolgen lässt. Wo liegen die Wurzeln dieses Themas, und was hat Le Corbusier beinahe obsessiv an diese Idee gefesselt? Vogts These ist, dass Le Corbusier schon in seiner Schulzeit mit diesem Thema konfrontiert wurde: Die Pfahlbauten der La-Tène-Kultur, deren Reste 1854 bei extrem niedrigem Wasserstand am Ufer vieler Schweizer Seen aufgetaucht waren und seither systematisch erforscht wurden, hatten in der Schweiz ein regelrechtes „Pfahlbaufieber" ausgelöst, und sie waren verpflichtend in den Lehrplan aufgenommen worden, kurz bevor Corbusier die Volksschule zu besuchen begann.
Foto: Sabine Bitter
Was die Schüler über die Pfahlbauten zu sehen bekamen, waren freilich phantasievolle Rekonstruktionen nach dem Vorbild pazifischer Hütten, die Ferdinand Keller, einer der führenden ersten Pfahlbau-Forscher, in einem gewagten Schritt von Neuguinea in die prähistorische Schweiz übertragen hatte. Dass Le Corbusier sich mit diesem Thema intensiver befasste, kann Vogt anhand von viel späteren Zeichnung nachweisen, die nur von einem näher in die Pfahlbauforschung Eingeweihten stammen können. Es wäre zu einfach, diese These als „Entlarvung" von Le Corbusiers berühmter Villa Savoye als Pfahlbau oder gar seiner städtebaulichen Entwürfe als ins Gigantische vergrößerte Pfahlbaudörfer zu verstehen. Vogt will keine formale AbleitungsKunstgeschichte betreiben, und die wäre hier auch besonders fragwürdig. Die Idee
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der vertikal zonierten Stadt hat viele Wurzeln, ebenso der einfache schwebende Kubus, und Vogt zeigt selbst am Beispiel der Orientreise, die Corbusier 1911 nach Istanbul geführt hat, wie sehr die traditionelle osmanische Holzarchitektur im allgemeinen und die leichten, am Ufer des Bosporus platzierten Kioske ihn fasziniert haben. Aber Vogt macht plausibel, dass Le Corbusier für alle diese formalen Eindrücke durch seine frühen Erfahrungen sensibilisiert war, und diesen Gedanken nimmt er nun zum Anlass, die Wurzeln des „internationalen" Architekten Le Corbusier in der Schweizer Romandie genauer zu untersuchen. Le Corbusiers Heimatstadt, La Chaux-de-Fonds, nördlich des Neuenburger Sees gelegen, ist um die Jahrhundertwende die Hauptstadt des Schweizer Uhrenbaus. 90 Prozent der weltweiten Uhrenproduktion kommen damals aus der Schweiz, und dort wieder 60 Prozent aus La Chaux-de-Fonds - ein Bergstädtchen als Zentrum der Hochtechnologie. Der Konflikt zwischen Kunsthandwerk und Industrie treibt Corbusiers Vater, der eine Manufaktur zur Bemalung von Zifferblättern besitzt, schließlich in den Konkurs. Hier sieht Vogt eine Ursache für Corbusiers stete Versuche einer Harmonisierung von Kunst und Industrie, die ja immer einen eher symbolischen als systematischen Charakter haben. Die nächste Schicht, die Vogt freilegt, ist die Bedeutung des Genfers Jean-Jacques Rousseau für Le Corbusier, und zwar sowohl durch die direkte Lektüre als auch indirekt über die Pädagogen Pestalozzi und Fröbel. Vogt kann hier auf jüngere Forschungen zurückgreifen, die nachweisen, dass für Corbusier - ebenso wie Frank Lloyd Wright - die geometrischen „Spielgaben" Friedrich Fröbels zur räumlich geometrischen Grundschule wurden. Fröbel, der Erfinder des Kindergartens, entwickelte ein Spielsystem aus Elementargeometrien, die sich als reine Volumina und als Musterkombinationen in Le Corbusiers Entwürfen wieder finden. Der direkte Einfluss Rousseaus spricht aus vielen Schriften Le Corbusiers: Dass die Idee des edlen Wilden in den Pfahlbaufunden noch einen lokalen Anknüpfungspunkt finden konnte, ist ein glücklicher Zufall. Damit kann Vogt jene Aufgabe benennen, die für ihn die „eigentliche Lebensarbeit" Le Corbusiers ausmacht: das „rational- vorstellungsmäßig Primäre der Geometrie und das geschichtsmäßig Primäre der Anthropologie und der Archäologie zu vermitteln und zu versöhnen". Der auf Pilotis aufgestelzte Kubus ist geometrisch rein, weil er auch noch seine Unterseite zeigt und daher vollständig erfahrbar ist, und zugleich erinnert er an das ursprüngliche Leben, auf einer leichten Plattform abgehoben über dem Grund. Dass Corbusier diese Vision nicht irgendwo, sondern am Genfer See beinahe hätte realisieren können, fügt sich gut ein in den Versuch zur lokalen Verankerung, den Vogt an Le Corbusier unternimmt: der Völkerbundpalast, auf Pilotis so leicht zwischen die Bäume ans Ufer des Genfer Sees gesetzt, dass Corbusier mit Recht sagen konnte, ihn „lufthaltig" konzipiert zu haben. Entsprechend groß ist die Enttäuschung, als das Projekt schließlich anhaltenden Intrigen zum Opfer fällt: Kein Monumentalbau ähnlicher Leichtigkeit scheint Corbusier mehr zu gelingen, und in seiner Verzweiflung an den demokratischen Prozessen streift er so nahe ans Regime des Marschall Pétain an, dass ihm später die Teilnahme am Wiederaufbau beinahe vollständig verwehrt bleibt. Vogts Buch ist ein faszinierendes Labyrinth, das von der scheinbar so abstrakten Idee der einfachen aufgestelzten Schachtel in immer feinere Verästelungen führt. Es eröffnet neue Einblicke in die Innenwelt des Architekten Le Corbusier, der bei seiner ganz persönlichen, unbewussten Suche nach jener Heimat gezeigt wird, die „allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war".
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Die Presse, 16.11.1996
BODENLOSE PUNKTE DER STILLE Vor einigen Jahren noch galt sie als große, defekte Maschine. Heute ist der Blick auf die Stadt wieder pragmatischer. In Wien-Meidling versuchte ein Projekt von Rüdiger Lainer, die Strukturelemente der Stadt neu zu definieren. Selten zuvor hat es in Wien so viele Veranstaltungen zum Thema „Stadt" gegeben. Im Architektur Zentrum läuft derzeit ein Kongress über den "European Sprawl", die europäische Variante jener Auflösung der Stadt in die Region, wie sie in den USA längst zur Regel geworden ist; vor einer Woche veranstaltete die Österreichische Gesellschaft für Architektur ein Symposium über die „Stadt mit beschränkter Haftung", ein doppeldeutiger Titel, mit dem die zunehmende funktionale und soziale Entmischung der Stadt angesprochen war und zugleich die unklare Verantwortung dafür, die sich Architekten, Investoren und Politiker gegenseitig zuschieben. Und nächsten Freitag wird im Rahmen des Europaforums ein Vortrag Saskia Sassens über „Städte und die neue Geographie der Macht" zu hören sein, der eine Reihe von Workshops zu diesem Thema einleitet.
Worum dreht sich heute die Diskussion um die Stadt? Offensichtlich nicht mehr darum, ob die Stadt funktioniert. Noch vor ein paar Jahren galt sie ja als eine große defekte Maschine, die sozial, ökologisch oder stadträumlich repariert oder verbessert werden müsse. Heute steht vielmehr die Idee der Stadt als jenes Gebilde in Frage, das die moderne Gesellschaft zusammenhält. Der Soziologe Alain Touraine spricht in diesem Zusammenhang vom Verschwinden der Stadt: Sie habe zuerst durch das Entstehen der großen Nationalstaaten ihre Bedeutung als politische Institution verloren und schließlich durch die Globalisierung der Wirtschaft ihre verbindende Rolle als Ort der Produktion. Natürlich haben wir, behauptet Touraine, noch den Eindruck, in Städten zu leben, aber wir leben nicht in „unseren" Städten, sondern in längst vergangenen Stadtmodellen. Während die Stadt uns noch vorgaukelt, ein „Ganzes" zu sein, wächst die Kluft zwischen jenen, die einem globalisierten Leben gewachsen sind, und jenen, die arm und unqualifiziert sind und sich auf lokale Gemeinschaften zurückziehen. Was wir im Moment erleben, sei daher das Verschwinden der Gesellschaften und insbesondere dessen, was wir seit dem 12. Jahrhundert geschaffen haben, der Stadt. Nun ist die Krise der Stadt sicher so alt wie die Stadt selbst. Sie war zu allen Zeiten ein Ort der Kontraste und nicht der Harmonie. Insofern ist Touraines Argument überzogen, und es ist auch kaum glaubhaft, dass zwischen dem privaten und dem globalen Bereich nichts Urbanes mehr übrig bleibt. Aber in einem Punkt wird man Touraine recht geben müssen: Architektur und Städtebau sind nicht länger Instrumente der Weltverbesserung. Sie allein können weder unsere sozialen noch unsere politischen oder ökologischen Probleme lösen. Das klingt hart für eine Disziplin, die Corbusiers Schlachtruf „Baukunst oder Revolution!" verinnerlicht hat, aber es lässt sich durchaus als Angelpunkt ihrer Erneuerung umdeuten. Denn ohne den selbstzerstörerischen Reflex der Moderne, immer das „große Ganze" ins Lot
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bringen zu müssen, eröffnet sich ein unvoreingenommener Blick auf die Realität und damit die Option auf eine Stadt, die den Bedingungen ihrer Zeit besser angepasst ist. Was kann das konkret bedeuten? Zum Beispiel den Ausbruch aus einem System, in dem es nur noch Getriebene gibt, die das Scheitern ihrer großen Ideale an Sachzwängen betrauern und sich gegenseitig die Schuld dafür zuschieben: Investoren, die zwar gerne Qualität schaffen wollten, aber leider an der Trägheit der öffentlichen Verwaltung scheitern; Architekten, deren große Visionen angesichts des allgemein inferioren Geschmacks und der Renditewünsche ihrer Auftraggeber bestenfalls als Karikaturen realisiert werden; und Politiker, die immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Partikularinteressen anstreben dürfen. Ein von Rüdiger Lainer - er hatte mit seinem Projekt für das Flugfeld Aspern versucht, Bauträger und öffentliche Verwaltung aus ihren festgefahrenen Positionen zu locken - konzipierter und organisierter Workshop machte es sich zur Aufgabe, aus einer solchen Pattsituation herauszukommen. Ohne falsche Bescheidenheit wurde das ganze Unternehmen „Millenniumsworkshop" getauft mit dem Anspruch, „konkrete Utopien" zu entwickeln und die Strukturelemente der Stadt neu zu definieren. Als konkreter Ort wurde ein Areal im 12. Bezirk gewählt, das ehemalige Gelände der Kabel und Draht AG, ein verkehrsmäßig durch die verlängerte U 6 gut erschlossenes Gebiet, auf dem rund 1000 Wohnungen errichtet werden sollen. Eingeladen waren Beamte verschiedener Magistratsabteilungen, die Direktoren mehrerer großer Bauträger, Vertreter des Bezirks und sechs Planungsteams. Gemeinsam sollten Leitbilder entwickelt und immer wieder an den konkreten gesetzlichen Bedingungen und auf ihre Finanzierbarkeit hin geprüft werden, nicht um diese Leitbilder auf ein „machbares" Maß zurechtzustutzen, sondern um sinnvolle Veränderungen der Rahmenbedingungen zu formulieren. Ein wesentliches Leitbild, das sich bei allen sechs der schließlich ausgearbeiteten Konzepte findet, ist das Ideal einer funktionell durchmischten Stadt. Nicht 1000 Wohnungen, auch nicht ein vordefinierter Mix von Wohnungen und Büro- oder Betriebsflächen sollten angeboten werden, sondern eine flexible Baustruktur, die beides zulässt. Das ist natürlich nichts Neues. In Stadterweiterungsgebieten scheitert diese Nutzungsvielfalt aber an einer ganzen Reihe von Problemen: an Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz, die bei Raumhöhen und Stiegenbreiten zwar nur minimal über die Festlegungen in der Bauordnung hinausgehen, aber trotzdem eine neutrale Nutzung unmöglich machen; an einer Praxis der Flächenwidmung, die immer noch einer Entmischung der Stadt den Vorzug gibt; und schließlich an unterschiedlichen Instrumenten der öffentlichen Förderung, die eine Kombination von Wohn-, Gewerbe- und Bürobau zusätzlich erschwert. In Wien gibt es außerdem unterschiedliche Fonds für den Grundstückskauf für Wohn- oder Gewerbenutzung. Ein weiteres Charakteristikum der Konzepte ist der Versuch, Wohnformen zuzulassen, die außerhalb des Standards liegen. Die Architektengruppe „Poor Boys Enterprise" hat in ihrem Konzept versucht, Funktionen aus der Wohnung in einen öffentlichen Bereich auszulagern und eine Art von Stadthotel zu entwickeln, das Arbeitsplätze für Teleworker und Gemeinschaftsflächen aus der Isolation der Einzelwohnung herauslöst und ins Wohnumfeld integriert. Formal tendieren die meisten der Konzepte dazu, jedes vorgefertigte und leicht konsumierbare Stadtbild zu verweigern. Mascha und Seethaler schlagen als Alternative zum Bebauungsplan eine offene Bebauungsmatrix vor, die durch systematische Verknüpfungen über die Parzellengrenzen hinweg nur noch sachliche Erfordernisse wie Lichteinfall, Emissionen und Infrastruktur festlegt, aber jeden Einfluss auf Form, Funktion oder Ästhetik ausschließt. Im Gegensatz zu diesem Totalverzicht auf jeden Städtebau entwickeln ARTEC eine neue städtebauliche Figur, ein klares, räumliches Gitter, das sie als Adaption der gründerzeitlichen Stadt mit einer differenzierter abgestuften Hierarchie der Verkehrswege verstehen. Lebendigkeit bekommt diese Struktur durch die Möglichkeit der späteren Verdichtung, die das ursprüngliche Gitter überlagert. Insgesamt zeigen die Konzepte ein klares Bekenntnis zur Großstadt, wie sie Robert Musil einmal beschrieben hat: ein Geflecht von „Unregelmäßigkeit, Wechsel,
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Vorgleiten, Nichtschritthalten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen gegeneinander, eine kochende Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaften Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht". Das Bild der jemenitischen Stadt Shebam, das auf dem Plakat zum Millenniumsworkshop zu sehen war, ist klug gewählt. Die Idee der Stadt ist zeitlos, und sie wird ihren Wert behalten als Vermittler zwischen der globalen und der individuellen Sphäre. Zu ihrer Weiterentwicklung wird es allerdings radikal veränderter Rahmenbedingungen bedürfen. Aber da ist Hoffnung: In einem Pressetext zum Workshop wird Planungsstadtrat Hannes Swoboda mit der gewagten Bemerkung zitiert, in Wien gehe es „im allgemeinen mit der Umsetzung von Visionen viel schneller" als anderswo. Sein Nachfolger wird den Wahrheitsbeweis antreten müssen. Die Presse, 2.11.1996
WIE KLINGT EINE HAUPTSTADT? Ist der neue Regierungssitz in St. Pölten das versprochene Jahrhundertereignis - oder doch nur Stein gewordene Mittelmäßigkeit? Ein Lokalaugenschein. Das ist also St. Pölten: 50.000 Einwohner, die „Barockstadt" Prandtauers und Munggenasts, die schon immer besser war als ihr Ruf, eine Kleinstadt mit ihrem ganz eigenen urbanen Rhythmus, mit einem charakteristischen Maß. Und da ist die Jahrhundertchance: die eigene Landeshauptstadt für Niederösterreich, der feierliche Auszug aus der Wiener Herrengasse in einen Regierungssitz im geographischen Zentrum des Landes, Verwaltungsbauten für 3000 Beamte, dazu ein Kulturforum mit Bibliothek, Museum und einem Festspielhaus. Nachdem St. Pölten 1986 zur Landeshauptstadt erhoben worden war, sollte ein Architektenwettbewerb klären, wie diese Aufwertung städtebaulich und architektonisch umzusetzen sei. Die älteren Rechte der bestehenden Stadt blieben von Anfang an gewahrt: Bürgerbeteiligungsverfahren und ein städtebauliches Leitbild, das ein integriertes Regierungsviertel eindeutig gegenüber einem Einzelmonument bevorzugte, sollten eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung garantieren.
Foto: Robert Schöller
Der Standort war im Wettbewerb noch nicht eindeutig festgelegt: Zur Disposition standen das gesamte Gebiet beiderseits der Traisen im Osten des Stadtkerns und ein
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kleines Areal jenseits der Bahntrasse, die den Stadtkern im Norden tangiert. Der undramatische Flussraum der Traisen hatte für die innere Struktur der Stadt bisher keine besondere Rolle gespielt. Der Umgang mit diesem Flussraum wurde nun zu einem zentralen Thema des Wettbewerbs: Würden die neuen Baumassen ausreichen, um eine urbane Uferkante zu definieren? Oder sollte der Flussraum in seiner naturnahen Form erhalten und nur durch Brückenbauten oder Solitärformen verändert werden? Die Ergebnisse der ersten Wettbewerbsstufe 1989 waren alles andere als viel versprechend. Die innovativeren Beiträge schieden durchwegs in den ersten Runden aus. Sie haben eine kurze Gedenkminute verdient: die großzügige Überbauung der Traisen von Prohazka/ Hiesmayr, die ein präzise gerahmtes Stück Flusslandschaft zu einem urbanen Raum einzigartiger Qualität gemacht hätte; Anton Schweighofers Konzept, Landhaus und Verwaltung an und über der Bahntrasse zu errichten und den Kulturbezirk als grüne Verbindung vom bestehenden Stadtpark bis zur Traisen auszubilden; ähnliche, weniger klassisch angelegte Versuche in diese Richtung von Rieder/Wörndl und Heidulf Gerngroß. Und dann gab es da noch das Projekt von Bily/Katzberger, das mit seinen langen, parallel zur Traisen geführten Verwaltungsbauten der jetzt ausgeführten Lösung ähnelt, aber die Verbindung zur Stadt durch eine differenzierte Wohnbebauung herstellt und die Kulturbauten in einen spannungsvoll komponierten Platzraum direkt an den Fluss setzt. In der letzten Stufe des Wettbewerbs waren es schließlich zwei Projekte, zwischen denen die Entscheidung fallen sollte: ein monumentaler Solitärbau von Wilhelm Holzbauer, 24 Stockwerke hoch die Büroetagen, daran angelagert im Oval die Kulturbauten; und eine flächige Stadtreproduktion von Ernst Hoffmann, im Geist der metaphernfreudigen achtziger Jahre zusammengesetzt aus Boulevard und Passage, Anger und Platz. Holzbauers Projekt hätte eigentlich nie so weit kommen dürfen, denn bei aller Symbolkräftigkeit sagte es vor allem eines: Ich bin wichtig! Von Bürgernähe war da nichts zu spüren, und die Idee, den Landtagssaal in einer hermetisch abgeschlossenen Kugel unterzubringen, war bestenfalls ein bitterer Scherz über den Wunsch des Auslobers, politische Offenheit sichtbar zu machen. Genau auf diese Wünsche ist das Projekt Ernst Hoffmanns eingegangen: kein Monument, sondern ein Stadtviertel mit langen Zeilen von Verwaltungsbauten parallel zur Traisen, die eine urbane, befestigte Uferkante herstellen. Der Landtagssaal, mittig ganz an den Fluss geschoben, markiert den Beginn einer in die Stadt führenden Querachse, an der die Kulturbauten liegen. Die konsequente Umsetzung der Idee eines lockeren städtischen Ensembles, in dem jede Verwaltungseinheit gewissermaßen ihr Haus mit eigenem Eingang erhalten konnte, gab den Ausschlag für dieses Projekt, und die Jury empfahl es zur Weiterbearbeitung. Und dann gab sie ihm noch eine kleine Hypothek mit auf den Weg: „Zu bemängeln ist die Eintönigkeit und die Unverbindlichkeit der Architektur." Ernst Hoffmann hat sich jede Mühe gegeben, dieses Urteil zu widerlegen. Aber gerade das hat dem Projekt nicht gut getan. Statt zu einer präzisen und zurückhaltenden Sprache zu finden, pendelt die Architektur unentschlossen zwischen modernistischen Figuren und postmoderner Kraftmeierei. Die Fassaden der Verwaltungsbauten, ursprünglich als leichte Glasfassaden in einem tragenden Skelett angedeutet, bekamen ein Rahmenmotiv aus Kunststein vorgesetzt, das ihnen eine unnötige Schwere verleiht. Der Landtagssaal selbst, in der Terminologie der Planer gerne als „schwebendes Schiff" bezeichnet, erweist sich in natura als hohle Geste, deren dynamischer Schwung vollkommen ins Leere läuft. Was das Innere dieses Bauwerks mit seinem Äußeren zu tun hat, bleibt unklar, und sein statisches Konzept der Auskragung - eine sehr, sehr dicke Betonplatte auf runden Stützen - ist alles andere als innovativ. Ein Stück dahinter erhebt sich der Klangturm, eine Erfindung Hoffmanns, die dem flächigen Ensemble eine vertikale Achse gibt. Der Turm soll symbolisieren, dass hier neben dem administrativen und politischen auch das geistige Zentrum des Landes zu finden sei: ein Symbol dafür, dass nicht nur die nützlichen Dinge im Leben einen Wert haben. Deshalb ein Turm für den vergänglichsten Ausdruck unserer Kultur, den Klang. Ein schöner Gedanke, und doch sagt er nichts Gutes über den Geist des
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Projekts aus: Die Zeiten, als man Architektur selbst als Stein gewordene Musik, als poetischen Akt verstehen durfte, sind längst vorbei. Statt das Schöne im Nützlichen zu suchen, lassen wir das Nützliche nützlich sein, und wenn die Budgets ausreichen, errichten wir der Schönheit daneben ein Denkmal. Was wird also vom St. Pöltner Landtag in der Architekturgeschichte Österreichs übrig bleiben? Die Tatsache eines perfekt administrierten, termingerecht und im Kostenrahmen durchgeführten Bauvorhabens im allergrößten Maßstab. Das ist keine geringe Leistung und gebietet Respekt. Bleiben wird sicherlich die Idee eines bürgernahen Dienstleistungsviertels, wenn auch seine Anbindung an die Stadt in der Realität viel weniger geglückt ist, als es im Plan suggeriert wurde. Die poetische Umsetzung dieser Idee in architektonische Formen wird man in St. Pölten freilich vergeblich suchen. Die Presse, 3.8.1996
EIN PARKPLATZ ALS PARADIES Erich Hubmann, Peter Nigst und Andreas Vass haben das Zugangsareal zur Alhambra im spanischen Granada neu gestaltet - und damit die Sinnhaftigkeit eines architektonischen Zugangs zur Landschaftsgestaltung unter Beweis gestellt. Ein unberührtes Landschaftsparadies, das durch einen Akt der rücksichtslosen Ausbeutung gefährdet ist: Kaum ein anderes Thema hat in unserer ökologiebewussten Zeit einen ähnlichen Erfolg beim Publikum. Wo sonst gibt es noch die Chance auf einen eindeutigen Standpunkt: Wenn man die Natur sich selbst überlässt, braucht man über ihre Gestaltung nicht weiter zu diskutieren. Der Kampf für ein bedrohtes Ökosystem wird damit nebenbei zu einem bequemen Ventil für das Unbehagen in der Zivilisation, zu einem Symbol für die Hoffnung, sich der totalen Entfremdung doch noch irgendwie entziehen zu können. In dieser Auseinandersetzung zwischen der „Natur an sich" und den „zerstörerischen Mächten der Zivilisation" ist eines immer mehr verdrängt worden: das Gefühl für die Qualität der Kulturlandschaft. Glücklichere Zeiten, die noch etwas von Gartenkunst verstanden, waren sich bewusst, dass die „Natur an sich" eine grausame und gefährliche Angelegenheit ist und ein Paradies daher niemals entdeckt, sondern bestenfalls künstlich angedeutet werden kann, als höchste Stufe der Kultivierung einer natürlichen Vorgabe. Die Kulturlandschaft als Ergebnis intensiver Bewirtschaftung war in dieser Auffassung ein Schritt in Richtung Paradies - und daher, bewusst oder unbewusst, auch eine Gestaltungsfrage. Wo dagegen die unberührte Natur als einzig denkbares Paradies gilt, wird die Bewirtschaftung zu einem mechanischen Akt der Ausbeutung ohne jede ästhetische Implikation.
Fotos: Nigst, Hubmann, Vass
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Folgerichtig ist Landschaftsplanung hierzulande im Vergleich mit den ihr eigentlich untergeordneten Aufgaben des Landschafts- und Naturschutzes ein zweitrangiges Thema. Beim Neubau einer Straße wird zwar erwartet, dass der Landschaftsschutz sagt, wo die Straße nicht durchführen soll; dass eine Streckenführung aber auch eine wichtige Gestaltungsaufgabe ist, erscheint alles andere als selbstverständlich. Und auch im sensiblen Bereich am Übergang von der städtebaulichen zur landschaftsplanerischen Dimension sind in Österreich keine nennenswerten Beispiele zu entdecken. (In Wien wird dieses Thema offenbar vom Stadtgartenamt abgehandelt, dessen Beiträge zur fortschreitenden Verkrautung, etwa mit der rustikalen Naturwiese rund um die Minoritenkirche, freilich nur als bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist Erwähnung verdienen.) Dass auch bei uns das entsprechende Potential vorhanden ist, haben nun die Architekten Erich Hubmann, Peter Nigst und Andreas Vass mit ihrer Neugestaltung des Zugangsareals zur Alhambra im spanischen Granada bewiesen. 1990 konnten sie einen Wettbewerb für dieses Areal für sich entscheiden; heute sind die Baumaßnahmen großteils abgeschlossen, die Bepflanzung ist so weit angewachsen, dass sich der angestrebte Endzustand zumindest erahnen lässt. Ausgangspunkt des Projekts war eine verkehrsplanerische Maßnahme: Um die Innenstadt Granadas vom Fahrzeugverkehr zu entlasten, wurde eine neue Umfahrungsstraße angelegt, die auch eine neue Zufahrt zur Alhambra ermöglichte. Statt durch die Altstadt sollten die motorisierten Touristen nun an die Ostseite des Alhambra- Palastes geleitet und von dort durch die Gärten innerhalb der Befestigungsmauern zu den berühmten maurischen Höfen und dem Palast Karls V. geführt werden. Eine leicht zum neuen östlichen Eingang abfallende Fläche, die in jüngster Zeit ungenutzt geblieben war, wurde so zu einem neuen, wichtigen Vorbereich des Palastes. Die vielen Abstellplätze und Verkehrswege hätten diesem Gebiet leicht den Charakter eines besseren Shopping-Center-Parkplatzes verleihen können; der Wettbewerb des Jahres 1990 sollte stattdessen für eine der Bedeutung des Ortes angemessene Lösung sorgen. Hubmann, Nigst und Vass haben diesen Wettbewerb gewonnen, weil sie ihr Projekt aus einer genauen Beobachtung der Situation entwickelt haben, ohne dabei jemals formale Anleihen bei einer touristisch eingängigen maurischen Sprache zu nehmen. Sie selbst beschreiben ihre Vorgangsweise als ein „Aufspüren nicht bildhafter Wirklichkeitsschichten": der alten maurischen Nutzgärten, die östlich der Alhambra angelegt waren, der Bewässerungssysteme, der teilweise noch vorhandenen Zisternen. Mit ähnlichen Mitteln strukturiert die neue Anlage den etwa 800 Meter langen Geländestreifen: Im präzisen Raster mit Bäumen bepflanzte Terrassen sind durch aufgeständerte Bewässerungsanlagen aus Stahlbeton voneinander getrennt, die quer zur Bewegungsrichtung in den Hang hineinführen. Zwischen den teilweise durch Betonelemente überdachten Rinnen und den leicht geböschten Stützmauern zur jeweils höherliegenden Terrasse sollen schattige Zwischenräume zu einem Umweg verführen - oder zu einer Pause beim Anmarsch zur touristischen Attraktion. Das Bewässerungssystem selbst ist in zwei Ebenen angelegt: Die voluminösen Tröge, die den Wasserkörper für die Bewässerung speichern, sind durch flache, offene Betonrinnen abgedeckt. Hier fließt das Wasser sichtbar und fällt in mehreren Stufen bis auf das unterste Niveau, von wo die Restwassermenge über Pumpen wieder nach oben gelangt. In der Nähe des Eingangs wird Wasser in einer großen, schwebenden Wasserplattform gefangen, die das Thema auf eine neue Art abwandelt. Im ursprünglichen Konzept hätte diese Anlage als „funktionsloser" Park errichtet werden sollen, der von den noch weiter außerhalb liegenden Parkplätzen aus zu durchqueren gewesen wäre. Nicht der direkte, widerstandslose Zugang, sondern der Zugang als Filter, als schützender Hain um den Palast war das Ziel der Architekten. Zuletzt hat sich freilich auch hier Nützlichkeit breitgemacht: Zwischen den Baumreihen liegen nun die Parkplätze, und auch eine vor Jahren angelegte Allee, die direkt auf den Eingang zielt, musste in das Konzept einbezogen werden. Man kann dem aber auch positive Seiten abgewinnen: Die widerstrebenden Kräfte bleiben so zumindest deutlich erkennbar.
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Dass Hubmann, Nigst und Vass hier auf die formale Anknüpfung an die maurische Architektur verzichten konnten, liegt nicht zuletzt an ihrer intensiven Beschäftigung mit den Grundlagen der islamischen Bautradition. Noch als Studenten hatten Vass und Hubmann einen längeren Studienaufenthalt in Fes dazu genutzt. Peter Nigst war damals ihr Assistent in der Meisterklasse von Gustav Peichl. Die berühmten Innenhöfe der Alhambra mit ihren Brunnen und Wasserläufen waren für sie leicht als jene kultivierte Andeutung des Paradieses zu verstehen, von der eingangs die Rede war. Mit der Gestaltung des neuen Vorbereichs setzen sie genau am richtigen Punkt an - keine unnötige Kopie zu schaffen, sondern einen Hauch des Paradieses in die Alltäglichkeit hinüberzuretten. Hubmann und Vass haben sich in ihren jüngeren Arbeiten noch mehrmals mit der Durchbildung von Landschaftsräumen auseinandergesetzt. In einem Projekt für die Magadinoebene im Schweizer Tessin zwischen Bellinzona und Locarno haben sie diesen der Zersiedlung ausgesetzten Landschaftsraum mit einem ähnlichen Verfahren der genauen Beobachtung bearbeitet. Ihre Methode ist ein vielschichtiger und wählerischer Kontextualismus, der landschaftlich wirksame Achssysteme, Kanäle und Bepflanzungen auf ihren Ursprung hin befragt. Das Ergebnis dieser Maßnahmen ist eine heilsame Desillusionierung: Das trockengelegte Land, der Natur abgerungen, ist schon immer einer Ästhetik des Gebrauchs unterworfen. Will man dem Entwicklungsdruck durch kommerzielle Interessen begegnen, kann das nur über eine neue Form der Bewirtschaftung gelingen. Neben den Vorschlägen zur Verkehrs- und Bebauungsstruktur empfehlen Hubmann und Vass daher für die großen landwirtschaftlichen Flächen, die zu immer größeren Teilen brachliegen, eine neue Nutzung: schnellwüchsiges Schilfgras, das in Blockheizkraftwerken zur Energieerzeugung verwendet werden kann - eine Landschaft, die ihren Charakter jedes Mal plötzlich verändert, wenn das meterhohe, im ebenen Gelände jeden Ausblick versperrende Schilfgras geerntet wird. Ein solcher Vorschlag steht keineswegs im Gegensatz zu den subtilen Bewässerungsanlagen und Wegführungen beim Eingang zur Alhambra. Es handelt sich - im größeren Maßstab - um dieselbe Methode: Wirklichkeitsschichten aufzuspüren und zu aktivieren, die hinter dem oberflächlich Wahrnehmbaren verborgen liegen. Wer an die bevorstehenden Umbrüche auch in der heimischen Landwirtschaft denkt und an die Wunden, die der kommerzielle Entwicklungsdruck an den Rändern der heimischen Gemeinden schon jetzt hinterlassen hat, wird hier eine der wichtigsten gestalterischen Aufgaben für die nächsten Jahrzehnte entdecken.
Die Presse, 29.6.1996
SO ODER DOCH GANZ ANDERS Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein einfacher Terrassenbau: Ernst Beneders Einfamilienhaus in Waidhofen an der Ybbs. Im Inneren jedoch entpuppt es sich als komplexes Raumkunstwerk. So sollte ein Einfamilienhaus eigentlich nicht aussehen: ein abgetreppter grauer Kubus; breite Fensterbänder; Zwillingsrauchfänge aus Edelstahl. Davor ein großer Trog aus Stahlbeton, in dem sich das Regenwasser der Flachdächer sammelt. „Es muss nicht aussehen wie ein Haus." Gleich zu Planungsbeginn, so berichtet der Architekt Ernst Beneder, habe ihn sein Bauherr mit diesem Satz überrascht. Man kann das leicht falsch interpretieren: Wollte der Bauherr ein Haus, das anders aussieht als die anderen, ein richtiges modernes Bürgerschreckhaus, 100prozentig „bourgeois-proof", wie das der amerikanische Kritiker Tom Wolfe in seiner Abrechnung mit der Bauhausarchitektur spöttisch bezeichnete?
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Foto: Beneder
So oberflächlich war dieser Satz natürlich nicht gemeint. Es geht hier um eine andere Idee, die Ernst Beneder schon in den späten achtziger Jahren - anknüpfend an die Theorie des „kritischen Regionalismus" - in einem Aufsatz so formuliert hat: „Orten wir die initiale Zündung des Entwurfes nicht erst in der Artikulation einer Lösung, vielmehr schon in der Formulierung der Problemstellung, also in der Gegenüberstellung zu dem Prätext, den Wünschen, den Grenzen, dem Bauplatz, dem politischen und sozialen Spannungsfeld mit all jenen Kriterien, die erst eine einmalige und unwiederholbare Herausforderung entstehen lassen, vielleicht sogar in der bewussten Steigerung des Schwierigkeitsgrades, um dann mit den plausibelsten Methoden eine Lösung herbeizuführen, die in ihrer Stimmigkeit, im scheinbar NichtAnders-Sein-Können alle formalistischen Spuren abgestreift hat. Ironisch ausgedrückt: Ein Problem wird manieristisch provoziert und modern aufgelöst. Ernsthaft ausgedrückt: Freiräume, die zunächst dem Pragmatiker schon unbrauchbar erscheinen, werden noch angenommen.“ Der erste Entwurf für das Haus, das Ernst Beneder in Waidhofen an der Ybbs für eine heute fünfköpfige Familie geplant hat, entstand zeitgleich mit diesem Text. Beneder wurde schon bei der Auswahl des Grundstücks beigezogen, und das schließlich gewählte ist tatsächlich eine „bewusste Steigerung des Schwierigkeitsgrades", ein steiles Hanggrundstück, noch dazu ein gutes Stück weg von der Erschließungsstraße und mit dieser nur durch eine schmale Grundstücksfahne verbunden. Eine glasgedeckte Stahlbrücke führt von der Straße zu dem eigentlichen, seitlich ans Haus gesetzten Eingang. Was auf den ersten Blick wie ein einfaches Terrassenhaus aussieht, entpuppt sich im Inneren als ein komplexes Raumkunstwerk: Die drei Wohnebenen sind durch einen über alle Geschoße laufenden, acht Meter hohen Vertikalraum verbunden, der Licht bis in den untersten, schon weit im Hang liegenden Bereich fallen lässt. Hier liegt eine kleine Bibliothek als innerster Kern des Hauses, ein Rückzugsbereich an heißen Sommertagen, für den Winter steht ein gemauerter Ofen bereit. Quer dazu liegt an der verglasten Außenwand der Sitz- und Essbereich mit direktem Ausgang in den Garten. Im nächsten Geschoß befinden sich das Eltern- und das Kinderschlafzimmer, im Eingangsgeschoß noch ein kleines Studio mit einer tonnenförmig gedeckten Empore, die nur über eine Leiter zu erreichen ist, ein luftiger Rückzugsraum als Gegengewicht zu jenem auf der untersten Ebene: zur Höhle im Berg das Fass des Diogenes. Verbunden sind diese Ebenen durch zwei Treppen. Eine Wendeltreppe ist in einem eigenen Turm hangseitig an das Haus angefügt. Im unteren Teil ist der Turm verglast und lässt so auch von dieser Seite noch Licht in den Kern des Hauses dringen. Die Haupttreppe ist in Verbindung mit dem offenen Zentralbereich genau in der FallLinie des Hangs geführt. Sie durchbricht dabei das System des abgetreppten
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Baukörpers, unterschneidet dessen Kanten und erzeugt auf den Terrassen die schmalen, dreieckförmigen Aufbauten. Im Inneren entsteht dabei eine diagonale Verbindungszone, deren Dynamik vom massiven Block des Wasserbeckens aufgefangen wird. Wenn das Becken gefüllt ist, reflektieren die Wellen das Sonnenlicht bis zur Decke des obersten Geschoßes. Die Spannung, die sich aus dem Ineinandergreifen der zwei divergierenden Systeme von Baukörper und Erschließung ergibt, ist auch im konstruktiven System sichtbar. Dessen Prinzip scheint ganz einfach zu sein: massive Wandscheiben an den Seiten und gegen den Hang, die innere Konstruktion und die Fassade aus Holz. Aber wiederum zerschneidet die Treppe diese Ordnung. Teile der Deckenkonstruktion werden von oben angehängt, die Hierarchie von tragenden und lastenden Elementen durcheinander gebracht. In den Details spürt man das Vergnügen, mit dem diese komplizierten Knoten gelöst wurden. Die meisten sind das Ergebnis einer langen Entwicklung, und Beneder legt Wert darauf, die Rolle seiner Mitarbeiter, Heinz Plöderl und Anja Fischer, zu betonen. Man spürt hier aber auch die Intensität, mit der sich der Bauherr selbst hand- und kopfwerklich am Bau beteiligt hat. Bei dieser Arbeit habe er begonnen, sich mit Adolf Loos zu beschäftigen, mit dessen ökonomischem Ansatz, der Entwicklung der Form aus dem Gebrauch und der radikalen Absage an alle formalen Motive. Es bleibt die Frage, ob dieses Haus mit dem gleichen Recht am Rande einer niederösterreichischen Kleinstadt steht wie seine so offensichtlich bodenständigen Nachbarn. „Region" und „Kontext", argumentiert Beneder, seien nichts Gegebenes, man muss sie sich erarbeiten; im Extremfall kann dabei, so wie hier, eine persönliche Region entstehen, die vielleicht auf den ersten Blick fremd wirkt. Die kreative Bestimmung von Region und Kontext als erste Aufgabe des Architekten: Es liegt auf der Hand, dass man mit dieser Auffassung den selbsternannten und den beamteten Ortsbildpflegern in die Quere kommt. So hat man sich bei der Baubewilligung für Beneders Haus auch gleich vorsorglich darauf geeinigt, das Bauwerk eher als Terrasse für das dahinter liegende, in jeder Hinsicht ortsbildkonforme Gebäude zu interpretieren denn als eigenständiges Haus. Inzwischen hat sich die niederösterreichische Bauordnung geändert: Durfte früher das Ortsbild durch einen Neubau nicht gestört werden, so ist nun eine „harmonische Einbindung" verlangt, die aber explizit nicht an Dachformen, Stilelemente, Materialien gebunden ist. Vielleicht besteht also Hoffnung, dass in absehbarer Zukunft die Betrachter eines Hauses wie jenes in Waidhofen nicht großteils mit Befremden reagieren, sondern mit Offenheit: „So sollte ein Einfamilienhaus aussehen. Oder vielleicht ganz anders.“ Die Presse, 6.4.1996
DIE STADT DER SCHÖNEN WORTE Neue Stadtteile schießen in Wien aus dem Boden - etwa das Stadterweiterungsgebiet Langobardenstraße Süd zwischen Stadlau und Aspern. Das Konzept: klingende Namen, fixfertige Vielfalt. Ein Einwurf. Nur der Tourist kann eine Stadt betrachten wie ein Kunstwerk. Sein Blick fügt Monumente zusammen zu einer Erinnerung, an die er zurückdenken kann wie an den Besuch in einem Museum. Der Bewohner dagegen erlebt seine Stadt ganz anders: Für ihn ist sie so allgegenwärtig und zugleich so unfassbar wie die Luft, die er atmet. Die Stadt altert mit ihm, verwandelt sich mit ihm, teilt sein Schicksal, während sie dem Touristen nur Augenblicke zu schenken vermag. Der neugierige Blick des Touristen ist immer auf das Besondere gerichtet. Der öffentliche Raum erscheint ihm als eine Abfolge wichtiger Stationen, um die herum sich die gewöhnliche Stadt als eine kaum wahrgenommene Masse ohne Kontur ausbreitet. Es ist dies dieselbe Art von Wahrnehmung, mit der auch das Stadtmarketing rechnet. Im internationalen Vergleich wird Wien hier nicht schlecht abschneiden: Denkmalpflege und Stadterneuerung haben sich zu Recht einen guten Ruf erworben. Die aktive Neugestaltung des öffentlichen Raumes kommt wohl etwas zu kurz, aber immerhin
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beweisen wir mit dem Haas-Haus Mut zur Innovation auch in der historischen Stadt: Hätte Paris es gewagt, Notre-Dame derartiges gegenüberzustellen? In der Stadterweiterung teilt Wien mit vielen anderen europäischen Städten die leidvollen Erfahrungen mit dem funktionalistischen Städtebau der sechziger und siebziger Jahre: monofunktionale Großsiedlungen ohne ausreichende Verkehrsanbindung und soziale Infrastruktur. Aber haben sich nicht auch hier in den letzten Jahren Modelle durchgesetzt, nicht mehr Siedlungen, sondern neue Stadtteile mit klingenden Namen wie Erzherzog-Karl-Stadt und Themenstädte vom „Naturnahen Wohnen" bis zur „Frauen Werk Stadt" hervorgebracht haben? Und was ist gegen Leitmotive wie Vielfalt und Pluralismus einzuwenden, die neben einheimischen Spezifika wie dem Hundertwasserhaus auch geförderte Wohnbauten von Architekten wie Zaha Hadid oder Jean Nouvel zulassen, die eindrucksvoll die internationale Offenheit Wiens unter Beweis stellen? Nun ist gegen Stadtmarketing im Prinzip nichts einzuwenden, nichts gegen Stararchitekten und auch nichts dagegen, den Dingen einen schönen Namen zu geben. Wer würde nicht lieber zwischen „Copa Kagrana" und „Donauinsel" als in einem „Entlastungsgerinne" baden, wer würde nicht das „Donauspital" einem „Sozialmedizinischen Zentrum Ost" vorziehen? Auch die Schaffung „vielfältiger und lebendiger Stadtteile" ist ein legitimes Leitziel jeder Stadterweiterung. Freilich: Architektur und Stadt sind keine abstrakten Themen, sondern sinnlich und konkret. Um sie zu erfahren, muss man hinausgehen, die schönen Worte vergessen, die Augen öffnen und die Stadt einatmen. Begeben wir uns also an die Peripherie, wo die versprochenen neuen, lebendigen Stadtteile liegen: 3000 Wohnungen an der Brünner Straße, 1800 am Leberberg, 2900 zwischen Stadlau und Aspern. Dem touristischen Blick - falls je ein solcher auf die genannten Gebiete fallen wird - bieten sich tatsächlich vielfältige Strukturen, ein Patchwork aus architektonischen Einfällen und Zufällen, viele Farben und Formen im Vergleich zu den grauen Betonwüsten der siebziger Jahre. Leberberg und Brünner Straße sind noch Mischformen. In seiner reinen Gestalt ist das von der Wiener Stadtplanung propagierte Konzept der Patchwork-City jedoch zwischen Stadlau und Aspern zu bewundern. Hier beginnt östlich und nördlich des „Sozialmedizinischen Zentrums Ost" ein zusammenhängendes Stadtentwicklungsgebiet etwa in der Größe des achten Bezirks. Nördlich des SMZOst wurde schon in den achtziger Jahren das Spiel des Patchworks eröffnet. Ein Wohnblock von Viktor Hufnagl, in dem sich glasgedeckte innere Straßen und Wohnhöfe abwechseln, grenzt an ein Stückchen Gartenstadt von Roland Rainer, das wieder in eine zitathafte Anordnung von Plätzen, Angern und Gässchen zerfällt und eine stadträumliche Tristesse erzeugt, die Rainers größeren Siedlungen fremd ist. Denn wo diese großzügig Bezug zum angrenzenden Landschaftsraum aufnehmen können, ist hier gerade Platz genug für ein trockenes städtebauliches Manifest. Den Hintergrund für Rainers und Hufnagls Wohnbauten bildet ein Pensionistenheim der Gemeinde Wien, ein Exemplar eines standardisierten Typs: ein mehrfach abgewinkelter fünfgeschossiger Bau, der verdreht auf seinem rechteckigen Grundstück sitzt und mehrere dreieckige, mit Maschendraht von der Umgebung abgegrenzte Restflächen übrig lässt. Eine Verknüpfung mit den angrenzenden Bereichen ist nicht einmal im Ansatz versucht. Ebenfalls noch aus der Zeit vor der jüngsten Welle der Stadterweiterung stammt ein Wohnbau von Boris Podrecca am Kapellenweg, der das Areal des SMZ-Ost östlich begrenzt. Der lang gestreckte Bau sollte eine Art Stadtkante definieren, ein Gedanke, über den die Entwicklung längst hinweggegangen ist: 2200 Wohnungen wurden in den letzten Jahren jenseits dieser Kante errichtet. Gleich neben Podreccas langer Zeile stößt ein weiteres Stück Gartenstadt von Roland Rainer an die drei unförmigen Finger eines Wohnbaus von Harry Glück und an eine Volks- und Sonderschule, für die Hannes Lintl verantwortlich zeichnet. Vor der Architektur dieses Baus muss die Kritik kapitulieren: Was gibt es zu Säulen im Design zugespitzter Bleistifte noch zu sagen? Mit ihrer Breitseite sperrt sich diese Schule gegen einen Park, der das Gebiet
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als „Grünzug" in zwei Teile trennt. Er folgt zuerst den alten Flurformen, knickt dann aber plötzlich diagonal aus. Auch hier wurde schon gestaltet: Ein Serpentinenweg ist angelegt, Laternen und Bäume sind locker verteilt, ein kleiner Buckel in der Mitte soll noch von einem Salettl gekrönt werden. Im östlich angrenzenden Teil werden wieder zwei verschiedene Stadtkonzepte durchgespielt: einerseits eine Variante des konventionellen Straßenraums, andererseits die zusammenhängende, von mehreren Architekten gestaltete Großform. Das erste Konzept leidet daran, dass noch lange keine Straße entsteht, wenn man für den Zeilenbau konzipierte Bautypen enger zusammenschiebt. Man hätte sich Podreccas Wohnbau genauer ansehen sollen, der ohne jedes Gegenüber eine Straße zu definieren imstande ist. Hier kann dagegen kein Gebäude den Straßenrand halten: Unter dem Motto der Vielfalt spricht jeder seine eigene Sprache, machen sich Elemente und Farben selbständig. Das zweite Konzept ist im Ansatz ebenso fragwürdig: Eine autonome, kompliziert gegliederte Großform mit mehrgeschossigen Durchfahrten lässt sich kaum ohne schmerzhafte Brüche auf verschiedene Architekten aufteilen. Gerade die besseren Teillösungen - wie etwa Helmut Wimmers ruhiger Hoftyp mit seinen flexiblen Wohnungsgrundrissen - machen die Schwächen des gemeinsamen Korsetts noch deutlicher. Was wäre hier alles möglich gewesen, wenn man die Vielfalt nicht fix eingeplant, sondern in einem viel einfacheren System einfach zugelassen hätte. Mit diesem Gedanken verlassen wir endgültig den Weg einer retrospektiven, touristischen Betrachtung. Alles Gesagte war ja eine Kritik aus sicherer Distanz. Nichts zwingt mich, jemals wieder in die Gegend zwischen Aspern und Stadlau zu fahren, und selbst wenn ich für das Stadtmarketing verantwortlich wäre, blieben viele Wege offen: Ich könnte andere Bildausschnitte wählen, spielende Kinder in den Vordergrund bringen, schöne neue Namen erfinden - noch für den langweiligsten Baublock. Die Bewohner können all das nicht. Sie werden ihrem Stadtteil trotzdem verbunden sein: Das Bedürfnis nach Heimat misst nach eigenen Kriterien. Aber das darf nichts an einer prospektiven Kritik an der fixfertigen Vielfalt ändern, die hier als pluralistisch oder gar demokratisch verkauft werden soll. Denn echte Vielfalt ist stets das Ergebnis von Freiheit, nicht ihr abstraktes Abbild. Die Freiheit der Architekten, ihre Formvorstellungen durchzusetzen, ist da sekundär. Es geht um die Reserve an Freiheit, die in einem Stadtteil verblieben ist, um zukünftige Entwicklungen zu bewältigen, die wir heute kaum erahnen können: vielleicht die Umwandlung einer hedonistischen Gesellschaft in eine solidarische; die Bewältigung ökologischer Krisen; veränderte Formen von Arbeit und Freizeit. All das wird auch seine räumlichen und baulichen Konsequenzen haben, wird Platz brauchen für Experimente mit neuen Formen des Zusammenlebens und wandlungsfähige Institutionen wie Schulen und Kindergärten in flexiblen Bauten. Groß ist die Reserve dafür in den neuen Stadterweiterungen nicht. Zu oft haben sich hier die alten Seilschaften von unbeweglichen Bauträgern, gleichgültigen Architekten und einer das Risiko meidenden öffentlichen Verwaltung durchgesetzt. Aber eine Stadt ist ja nie fertig: Die nächste Welle der Stadterweiterung wird kommen, und auch die nun wieder angesagte Verdichtung im Inneren kann von einer offenen Kritik der jüngsten Erweiterungen nur profitieren. Die Presse, 25.11.1995
DAS ENDE DER KALKPUTZSTADT? Eine neue Form der Urbanität – ohne jeden Bezug zur imperialen Vergangenheit Wiens? Mit ihrem Schulzubau in der Zinckgasse setzen die Rainer-Schüler Georg Driendl und Gerhard Steixner einen Schritt in diese Richtung. Vergangenes Jahr hat die "Königliche Kommission für die Schönen Künste" Großbritanniens ein Buch herausgegeben, das unter britischen Architekten für einiges Aufsehen sorgte. Sein Titel lautete schlicht: "What makes a good building?" Auf die Frage, was für das Gelingen eines guten Gebäudes notwendig sei, bietet dieses Buch eine äußerst einfache Antwort: ein gutes Raumprogramm, ein guter
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Bauherr und ein guter Architekt. Architektur als kulturelle Positionsbestimmung könne nur gelingen, wenn diese drei Faktoren zusammenstimmen. Diese einfache Antwort stellt die Frage nach der Qualität von Architektur in den Kontext der vielfältigen und oft widersprüchlichen Kräfte, die an der Entstehung eines Bauwerks beteiligt sind. Dass dabei neben dem Architekten und dem Bauherrn auch das Raumprogramm als ein eigenständiger Faktor bezeichnet wird, ist bemerkenswert, gelten doch Raumprogramme meist als objektive Vorgaben, die getrennt vom Entwurfsprozess erarbeitet werden können. In Wahrheit ist das kaum je der Fall. Raumprogramme sind nichts wissenschaftlich Objektives, sondern das Ergebnis von Konventionen und Erfahrungswerten und verschiedensten, oft irrationalen Einflüssen. Sie sind nur ein erster Ansatz, um menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte in Bezug auf einen bestimmten Ort quantitativ und qualitativ zu formulieren. Ein guter Bauherr zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er von seinem Architekten erwartet, das Raumprogramm im Entwurfsprozess nicht nur zu erfüllen, sondern über die bisherige Erfahrung hinaus kritisch weiterzuentwickeln. Wenn es der Wiener Stadtverwaltung in letzter Zeit irgendwo gelungen ist, sich als guter Bauherr in diesem Sinn zu erweisen, dann im Rahmen des Schulbauprogramms 2000, jener Summe von rund 60 Einzelprojekten, in die bis zur Jahrtausendwende über neun Milliarden Schilling investiert werden sollen. Dabei ist bisher eine erstaunliche Anzahl qualitätsvoller Schulbauten entstanden und in der Öffentlichkeit heftig diskutiert worden. Die Feststellung der seit einem Jahr amtierenden Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Jugend, Familie, Soziales und Sport, Grete Laska, dass "architektonische Kinkerlitzchen nicht wichtiger sein dürfen als ein ordentlicher Schulbetrieb", markiert zusammen mit dem lustvollen Auswalzen von Kontrollamtsberichten die unterste Grenze des Diskussionsniveaus. Dagegen steht am anderen Ende die differenzierte Auseinandersetzung, die sich unter den Benutzern und in der Fachwelt entwickelt hat. Dass man nicht nur in, sondern auch von diesen Schulen lernen kann, ist unbestritten; und das ist ein gutes Zeichen. Die Schule in der Zinckgasse im 15. Bezirk, ein Entwurf der Architekten Georg Driendl und Gerhard Steixner, ist das jüngste Beispiel dieser Entwicklung. Driendl und Steixner haben 1992 mit einem Wettbewerbsbeitrag für die Hauptschule in der Langobardenstraße auf sich aufmerksam gemacht. Ihr Projekt – im Wettbewerb leider sang- und klanglos untergegangen – war der interessanteste Beitrag zur Schulbautypologie, der in Wien in den letzten Jahren entstanden ist. War in der Langobardenstraße ein Neubau auf der grünen Wiese gefordert, für den Driendl und Steixner ein urbanes Raumgerüst vorschlugen, so handelt es sich in der Zinckgasse um einen Zubau zu einer bestehenden, innerstädtischen Schule aus dem 19. Jahrhundert. Dieser Zubau sollte speziell für den Unterricht sehbehinderter Kinder konzipiert werden. Zur Verfügung stand eine enge Baulücke, auf der einen Seite begrenzt vom bestehenden Schulbau, auf der anderen von einem privaten Wohnhaus.
Fotos: James H. Morris
In ihrem ersten Entwurf schlugen die Architekten vor, an die Schule mit einem leichten Verbindungsbau anzuschließen und vom Nachbarhaus ein Stück abzurücken. Dieser Gedanke, das Gebäude zumindest optisch frei in die Baulücke zu stellen, hatte
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einerseits ganz pragmatische Gründe: Der Zustand des Nachbarhauses ließ mittelfristig einen Verkauf der Liegenschaft erwarten, was die Möglichkeit geboten hätte, dort eine für die Schule dringend benötigte Freifläche zu schaffen. Zugleich war dieses Abrücken aber auch ein Ausdruck der Ablehnung gegenüber dem festgefügten, geschlossenen Baublock der Gründerzeit. Der Versuch, über ein Schulprojekt so etwas wie Städtebau von unten zu betreiben, erwies sich jedoch bald als unrealisierbar. Die Forderung nach Nutzflächenmaximierung machte eine fast vollständige Überbauung des Grundstücks notwendig, selbst ein kleiner Lichthof, der den im Keller untergebrachten Turnsaal erstaunlich gut mit Seitenlicht versorgt, musste in den oberen Geschoßen – bis auf einen winzigen Rest von sechs Quadratmetern – mit auskragenden Gebäudeteilen überdeckt werden. Um im Inneren trotz dieser hohen Dichte nirgendwo das Gefühl von Beengtheit aufkommen zu lassen, haben sich die Architekten bemüht, die umliegenden Straßenund Hofräume durch geschickte Orientierung und großzügige Verglasung einzubeziehen. Oberlichten und einige klug gesetzte, verglaste Innenwände erlauben immer wieder Durchblicke durch das Gebäude, die aber nicht als jeweils für sich inszenierte Bilder wirken, sondern erst in ihrer Summe eine gesteigerte Raumerfahrung vermitteln. Wer an große Gesten gewöhnt ist, wird hier nicht auf seine Rechnung kommen. Dafür stellt sich rasch das Gefühl ein, in einem harmonisch aufgebauten Gehäuse zu sein, das den Benutzer schützt, ohne ihn einzuschließen. Für die Grundrissanordnung ließ die enge Baulücke nur wenig Dispositionsfreiheit. Pro Stockwerk sind zwei Klassen an die Straßenseite gelegt, ein schmaler Pufferraum dient als Garderobe. In die Grundstückstiefe schiebt sich ein etwas verschmälerter Quertrakt, der eine weitere Stammklasse, das Treppenhaus und Sonderunterrichtsräume aufnimmt. Die Straßenfassade ist, dieser Anordnung entsprechend, symmetrisch gegliedert, nur im Erdgeschoß wird das leicht zurückgesetzte Fensterband der Lehrküche über die Mitte hinaus bis zum Haupteingang geführt. Dieser durchaus konventionellen Anordnung steht eine konstruktive und formale Durchbildung gegenüber, die das Gebäude von seiner Umgebung abhebt. Um den Klassen möglichst viel Licht zu geben, ist die Straßenfassade fast vollständig verglast. Wegen der großen Höhe der Stockwerke wurde eine Fixverglasung vorgesehen, vorgehängte Balkons erlauben eine einfache Reinigung. Für die Belüftung sorgen etwas schmälere, nicht verglaste Elemente. Aus dieser Trennung der Funktionen des Fensters – in Belichtung und Ausblick auf der einen und Belüftung auf der anderen Seite – entsteht eine ungewöhnliche, auf den ersten Blick irritierende Ordnung der Fassaden, die durch die ursprünglich vorgesehene Ausführung als Holzriegelwand noch verstärkt worden wäre; die jetzt ausgeführte Aluminiumkonstruktion, zusammen mit dem grau gefärbten Putz, gibt dem Gebäude von außen einen technoiden Charakter. Wenn die vorgesehene Begrünung der Fassade als zusätzliche organische Schicht tatsächlich realisiert wird, könnte der ursprünglich angestrebte Eindruck zumindest annähernd Wirklichkeit werden. Im Inneren beweist die Materialwahl deutlich, dass die glatt polierte Fassade nicht die erste Wahl der Architekten gewesen sein kann. Hier stoßen massive Klinkerwände an Fichtenholzverschalungen, Solnhofner Platten an Terrazzo. Diese Mischung von Materialien, die nicht nur optisch, sondern auch bei der Berührung sehr unterschiedlich wirken, ist in einer Schule für sehbehinderte Kinder besonders gerechtfertigt. Wer andere Bauten von Driendl und Steixner kennt, weiß, dass sie diese sich hart an der Grenze zur Dissonanz bewegende Materialkombination aber in jedem Fall gewählt hätten. Als Schüler von Roland Rainer haben sie keine übertriebene Ehrfurcht vor dem, was oft als "Genius loci" Wiens bezeichnet wird, vor der "Kalkputzstadt" und deren Klassizismus. Es gibt in dieser Hinsicht eine Verwandtschaft zwischen Rainers gerade in Fertigstellung begriffenem Akademiehof und der Schule in der Zinckgasse. Hier wie dort wird eine andere Form von Urbanität gesucht, eine Urbanität ohne jeden Bezug zur imperialen Vergangenheit Wiens, und
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daher auf den für Wien typischen Versuch einer Verbindung von Moderne und Klassizismus verzichtet. Es ist erstaunlich, dass Bauten wie diese im Wiener Kontext nach wie vor "fremd" erscheinen, zumindest im Vergleich mit so typisch "wienerischen" Bauten wie den Ringstraßengalerien oder dem Plaza-Hotel. Auch wenn die genannten Beispiele dazu jeden Anlass geben: Der "Genius loci" kann nicht emigrieren. Aber er kann sich verändern und entwickeln. 80 Jahre nach dem Ende der Monarchie ist dafür vielleicht die Zeit gekommen. Die Presse, 23.9.1995
HOLZ UND 1000 JAHRE In Schweden hat sich der Grazer Architekt Hubert Rieß mit der Kultur des Holzbaus vertraut gemacht. In Bayern hat er nun den unterschätzten Werkstoff bei der Errichtung von Fertigteilhäusern eingesetzt. Nichts fürchten Fertighaushersteller mehr, als dass man ihre Erzeugnisse als das erkennen könnte, was sie sind: erstens Industrieprodukte und zweitens – zumindest in den meisten Fällen – aus Holz. Die Mehrheit der Bauherren wünscht sich Individualität und bleibende Werte, und beides wird hierzulande eher einem massiven Ziegelbau zugetraut. Holz darf zwar gewisse rustikale Assoziationen wecken, etwa als Blockhaus fürs Wochenende, aber ansonsten bleibt da immer ein Geruch von Stadel oder gar Baracke. Als städtisches Material ist Holz bei uns so gut wie undenkbar. Fertighäuser verstecken ihre wahre Natur daher meist hinter einer seriös wirkenden Putzschicht, und die meisten österreichischen Bauordnungen sorgten bis vor kurzem dafür, dass Holz im Wohnbau nur für kleine und maximal zweigeschossige Bauten zum Einsatz kam. Die Gründe dafür liegen nicht im technischen, sondern im kulturellen Bereich. Schon westlich des Arlbergs gilt ein Holzhaus bekanntlich als "echtes" Haus. In den USA ist der überwiegende Teil des Wohnbaus in Holz konstruiert, auch wenn das auf den ersten Blick oft nicht sichtbar ist, und selbst fünfgeschossige Holzbauten sind dort nichts Ungewöhnliches, da der Brandschutz durch eine Sprinkleranlage nachgewiesen werden darf. Skandinavien hat überhaupt eine von Holzkonstruktionen geprägte Baukultur, wobei Holz auch in manchen gar nicht so kleinen Städten als vorherrschendes Baumaterial zu finden ist. Dass man sich seit einigen Jahren allgemein wieder mehr für Holz als Baustoff mehrgeschossiger Gebäude zu interessieren beginnt, hat zwei Gründe: erstens zeigen vor allem die amerikanischen Beispiele, dass man mit Holz unter bestimmten Bedingungen sehr billig bauen kann. Zweitens wird Holz immer mehr als ein technologisch avantgardistisches Material erkannt. Das war es natürlich im Schiffsbau schon immer, und auch eines der größten Flugzeuge, das je gebaut wurde, die Spruce Goose des amerikanischen Millionärs Howard Hughes, hatte Rumpf und Tragflächen aus Holz. (Die Goose ist zwar nur ein einziges Mal geflogen, für die Holztechnologie war dieses Projekt aber ein wichtiger Impuls). Heute sind es in erster Linie neue Produktionsmethoden, die Holz für den Geschoßbau interessant machen. Vorfertigung erlaubt die Verlagerung des Bauens von der Baustelle in die Fabrikhalle bis hin zu computergesteuerten Fertigungsstraßen. Das klingt im Prinzip nicht gerade neu, im Vergleich zu Betontafelbauten ist die Vorfertigung in Holz aber flexibler und kann auch von kleineren und mittleren Betrieben geleistet werden. Dazu kommen ökologische Argumente: gute Wärmedämmung, wenig Probleme mit Bauschutt, geringer Energieverbrauch in der Produktion (wenn die Trocknung des Materials entsprechend durchgeführt wird). Die steiermärkische Landesregierung hat schon vor zehn Jahren für ein Grundstück in Zeltweg einen Wettbewerb unter dem Titel "Holz im Wohnbau" ausgeschrieben. Gewonnen hat damals Hubert Rieß, der keine reinen Holzbauten, sondern eine gemischte Bauweise mit massiven Wänden, aber Decken und Wintergärten aus Holz vorsah. Rieß hatte sich in Schweden, wo er mehrere Jahre lang bei Ralph Erskine arbeitete, mit der dortigen Kultur des Holzbaus vertraut gemacht. Erskine, ein
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gebürtigen Engländer, der sein Büro bezeichnenderweise in einem Schiff eingerichtet hatte, das er von der Themse nach Schweden brachte und im Hafen von Drottningholm vor Anker legte, hat seit Ende der vierziger Jahre sehr eigenständige Beiträge zu dieser Kultur geleistet. Bekannt wurde er durch Vorschläge für Städte in der Arktis und vor allem durch ein Skihotel in Lappland aus dem Jahr 1949, einem fröhlichen Bauwerk mit befahrbarem Dach und schrägen Stützen, das aus der Doktrin des "internationalen Stils" ausbrach, ohne direkt an traditionelle Formen anzuknüpfen. Hubert Rieß kehrte nach dem gewonnenen Wettbewerb aus Erskines Atelier nach Graz zurück. Was schließlich in Zeltweg realisiert wurde, war enttäuschend, nicht zuletzt, weil die Bauordnung sogar für dieses gar nicht so radikale Konzept zu wenig Spielraum bot und auch das Interesse der Industrie an den Vorfertigungsmöglichkeiten gering war. Immerhin hatte Rieß sich auf diesem Sektor einen Namen gemacht, und 1992 ihn lud die bayrische oberste Baubehörde zusammen mit anderen Architekten ein, Prototypvorschläge für "Mietwohnungen in Holzsystembauweise" zu erarbeiten. Man war dabei vor allem am kostengünstigen Bauen interessiert: Aussiedlerunterkünfte, die Ende der achtziger Jahre in Holztafelbauweise errichtet worden waren, hatten gezeigt, dass sich die reinen Baukosten von den üblichen 2300 auf unter 1500 Mark pro Quadratmeter senken ließen – allerdings unter beachtlichen qualitativen Einbußen, etwa beim Schallschutz, und auch ästhetisch war der Eindruck gestapelter Baracken kaum zu leugnen. Um diese Bauweise auf den sozialen Wohnbau übertragen zu können, wurden Kosten von 1800 Mark als Ziel festgelegt, und über das Gutachterverfahren nach ästhetisch befriedigenden Lösungen gesucht. Zugleich begann man eine Reform der Bauordnung in Hinblick auf mehr "Holzgerechtigkeit". Hubert Rieß schlug als Typ eine südorientierte, dreigeschossige Zeilenbebauung vor, nordseitig Laubengänge zur Erschließung, südseitig Balkone. Küche und Essplatz liegen am Laubengang, alle anderen Räume öffnen sich nach Süden. In Schwabach bei Nürnberg wurde nach diesem Konzept ein Pilotprojekt mit 56 Wohnungen errichtet. Integriert wurden 16 Altenwohnungen im Erdgeschoß und sechs Wohnungen für Alleinerziehende. Die Montage für eine Rohbaueinheit mit 14 Wohnungen erfolgte durch fünf Monteure in 9 Tagen, die Vorfertigung dauerte etwa einen Monat. Die Baukosten blieben mit knapp über 1700 Mark pro Quadratmeter noch unter dem angestrebten Limit.
Problemlos war das ganze Unternehmen dennoch nicht. Das Grundstück liegt zentrumsnah in einer vergleichsweise teuren Wohngegend, und die Ablehnung der Bewohner der umgebenden Einfamilienhäuser gegen den Sozialbau, der ihnen da vor die Nase gesetzt wurde, wurde durch die Holzbauweise nicht gerade vermindert. Die blau gestrichenen Sperrholzhäuser mit den orangen Säulen wurden als Kaninchenställe apostrophiert, und dass alle Fenster nach außen aufgingen, war überhaupt der Beweis, dass es sich nur um bessere Baracken handeln konnte. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Die Bewohner sind großteils zufrieden, und auch die Nachbarschaft muss zumindest anerkennen, dass die Häuser mit ihren Grasdächern und Regenzisternen vielleicht wirklich ökologischer sind als ihre eigenen, und dass vor allem die Mischung mit Seniorenwohnungen eine bessere Bewohnerstruktur herstellt, als sie sonst im sozialen Wohnbau zu finden ist.
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Auch die technischen Probleme waren, wie bei einem Pilotprojekt nicht anders zu erwarten, beachtlich. Die Vorfertigung stellt für den Ausbau eine ganze Reihe von ungewohnten Koordinationsproblemen, und so wurde an der Baustelle einiges vom Einsparungspotential wieder verschenkt. Auch das verwendete Verkleidungsmaterial, ein amerikanisches Sperrholz, erwies sich als weniger witterungsfest als angenommen. Die Erfahrungen aus Schwabach und den anderen Projekten des Modellvorhabens werden sowohl von der Industrie als auch von den öffentlichen Auftraggebern systematisch ausgewertet und in neue Vorgaben und Entwicklungen umgesetzt. Hubert Rieß hat für Wald-Kraiburg am Inn ein neues Projekt entwickelt, das nächstes Jahr realisiert wird. Das Grundstück liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik mit angeschlossenem Arbeitslager. Wald-Kraiburg wurde nach dem Krieg großteils von Sudetendeutschen neu errichtet, und auch das Gelände des Arbeitslagers wurde parzelliert und mit Einfamilienhäusern bebaut. In der Mitte, in unmittelbarer Nachbarschaft des Bauplatzes, stehen noch ein monumentales Wachgebäude und eine U-förmige Wohnanlage der SS. Assoziationen zu Baracken wären hier doppelt untragbar gewesen. Rieß hat sich daher bemüht, den Bauten des tausendjährigen Reichs einen urbanen Holzbau entgegenzusetzen, der seine technologischen Qualitäten deutlich nach außen darstellt. Das Konzept entspricht im Prinzip jenem von Schwabach, hintereinander gestellte südorientierte Zeilen, ohne Keller und teilweise vom Boden abgehoben. Aus den Loggien wurden Wintergärten, statt Sperrholz kommt eine Lärcheverkleidung zum Einsatz. Die Fenster öffnen sich immer noch nach außen, aber der Reinigung wegen mit einer technisch aufwendigeren Konstruktion. Wo die Zwischenwände an die Fassade stoßen, erlauben kleine Innenflügel eine Sichtverbindung zwischen den Räumen und erweitern den Blick nach außen. Die Kosten sollen sich durch verbesserte Produktionsplanung im angestrebten Bereich um die 1800 Mark pro Quadratmeter halten lassen. Das Ergebnis sieht im Modell fast ein bisschen zu perfekt aus. Um den Raum zwischen Gefühl und Technologie auszuloten, wird es auch im Holzbau noch viele Experimente brauchen. Hubert Rieß hat jedenfalls gezeigt, wie man diese Experimente auch dann durchführen kann, wenn es vordergründig nur ums Sparen geht. Die Presse, 20.5.1995
KNOTEN IM WALD 'Spaces before, spaces between and spaces after': Unter Leitung des Bauingenieurs Neil Thomas und des Architekten Ian Ritchie haben Studenten der TU Wien Objekte zum Thema Raum entwickelt. Zu sehen im Architekturzentrum Wien. Bekanntlich leben in Wien die besten Architekten der Welt. Sie sind an der Akademie der bildenden Künste ausgebildet, lehren dort oder an der Hochschule für angewandte Kunst und haben überall auf der Welt Freunde, die auch die besten Architekten der Welt sind. Zu diesen gehört Helmut Richter nicht. Er ist Professor an der Wiener Technischen Universität und der Ansicht, dass das architektonische Niveau in dieser Stadt bei weitem nicht so hoch ist, wie oft behauptet wird, sondern geprägt von Selbstgefälligkeit und von Ignoranz gegenüber den technologischen, aber auch den philosophischen Grundlagen des Bauens. Richters eigene Bauten können als Versuch interpretiert werden, all das zu verwirklichen, was im technologiefeindlichen österreichischen Umfeld üblicherweise keine Chance hat. Darin liegt ihre Qualität, aber natürlich auch ein beachtliches Risiko. Denn anders als in Frankreich oder England, wo Architekten, Ingenieure und die Bauindustrie ein zumindest im Prinzip kooperatives Verhältnis verbindet, wird in Österreich ein Architekt, der aus den gewohnten Normen ausbricht, rasch zum Störenfried in der prästabilierten Harmonie des Mittelmaßes. Dass sich dieses Umfeld nicht zuletzt durch Helmut Richters konsequentes Bemühen verändert hat, beweist ein Vergleich zwischen seinem ersten Wohnbau auf den
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Gräf&Stift-Gründen, wo praktisch kein Detail in seinem Sinn realisiert wurde, und der Schule in der Waidhausenstraße, die ihm als Manifest eines technologisch orientierten Bauens großartig gelungen ist. Als Lehrer ist Richter bemüht, Ingenieure verstärkt in die Architektenausbildung zu integrieren. Zugleich hat er seine Beziehungen zur Architekturszene jener Länder, in denen diese Kooperation in der Baukultur stark verankert ist, genutzt: Peter Cook und Christine Hawley haben auf seine Einladung hin zweimal als Gastprofessoren an der Technischen Universität unterrichtet. Eine Vortragsserie hat eine Reihe von Architekten und Ingenieuren, die aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln über die Bedeutung der Technologie für ihre Arbeit referierten, nach Wien gebracht. Einer dieser Vortragenden war William Alsop, dessen gerade fertig gestellte Bezirksverwaltung in Marseille zu den spektakulärsten Bürohausbauten der letzten Jahre gehört – und der inzwischen für die Nachfolge von Hans Puchhammer als Professor für Hochbau an der Wiener Technischen Universität nominiert wurde. Auch im letzten Semester haben an Helmut Richters Institut im Rahmen des normalen Studienbetriebs zwei international besetzte Veranstaltungen stattgefunden. Beeindruckend sind vor allem die Ergebnisse eines Entwurfsseminars, das von dem Bauingenieur Neil Thomas und dem Architekten Ian Ritchie gemeinsam betreut wurde. Ritchie und Thomas hatten schon zu Beginn des Seminars einen Sponsor mitgebracht, der sich bereit erklärte, die Realisierung einiger Studentenprojekte zu finanzieren – und das Architekturzentrum Wien versprach, diese Objekte in einem Hof des Messepalastes auszustellen. Abgesehen von dieser konkreten Vorgabe, blieb die Aufgabenstellung, wie sie aus dem Titel des Seminars – "Spaces before, spaces between and spaces after" – abzulesen ist, äußerst abstrakt. In der ersten Arbeitsphase sollte ein Konzept entwickelt werden, den Begriff Raum, wie er sich aus der Sicht der einzelnen Studenten darstellte, sinnlich erfahrbar zu machen. Mit diesem Problem ist ein Architekt natürlich bei jeder Aufgabe implizit konfrontiert, und die explizite Auseinandersetzung mit der Frage des Raums gehört zu jeder Grundlehre der Architektur. Raum muss dabei in unterschiedlichsten Erscheinungsformen erforscht werden, als objektiver geometrischer Raum, als subjektiver Raum des individuellen Erlebens oder als Resultat sozialer Abläufe. Ritchie forderte die Studenten auf, in der weiteren Arbeit über die Grenzen einer rein architektonischen Betrachtungsweise hinauszugehen und sich auch mit der Darstellung von Raum in der Literatur, im Film und in der Philosophie auseinanderzusetzen. Schließlich sollte auch der Einfluss der Medien – vor allem auf den städtischen Raum – untersucht werden. Eine derartig megalomane Aufgabenstellung führt oft genug zu oberflächlichen Ergebnissen, die nur den Anschein philosophischer Tiefe erwecken. Ritchies Forderung nach einer objekthaften Realisierung hat die Studenten jedoch großteils vor dieser Gefahr bewahrt. Der "space after", der jetzt im Messepalast zu sehen ist, repräsentiert das, was sich von ihren Ideen nach der Auseinandersetzung mit Material und Konstruktion, mit Behörden und Sponsoren als realisierbar erwiesen hat, und diese Herausforderung hat den meisten Projekten ganz offensichtlich gut getan. Natürlich ist die Qualität der Objekte, die von acht Gruppen von Studenten geschaffen wurden, unterschiedlich. Es gibt eine aus quadratischen Teilen zusammengeschweißte Metallspirale, gläserne, faltbare Paravents, einen schwarzen Betonblock, eine Videoanimation. Eine Gruppe hat vier quadratische Glaspaneele unterschiedlicher Transparenz dazu verwendet, an verschiedenen Orten in Wien räumliche Situationen aufzubauen und photographisch zu dokumentieren. Jetzt liegen die Paneele flach auf dem Boden und haben die Spuren ihrer räumlichen Vergangenheit in sich eingeschrieben. Die außergewöhnlichste Realisierung ist freilich jene, die den ganzen Hof vor dem Architekturzentrum mit einem Wald von Kunststoffrohren ausfüllt. Am Anfang dieses Konzepts stand die Idee, kein eigenes Objekt zu entwerfen, sondern den Raum zwischen den Objekten der anderen Gruppen zum Thema zu machen. Das Ergebnis ist eine Umkehrung der üblichen Verhältnisse: Zwar ist die räumliche Spannung zwischen den im Hof aufgestellten Objekten noch spürbar, aber jedes einzelne Objekt muss sich seinen Platz im Raum erkämpfen. Dasselbe gilt für den Besucher, der sich zwischen den Rohren durch Raumverdrängung seinen Weg bahnen muss.
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Die Rohre sind aus einem flexiblen, transluzenten Kunststoffmaterial und können von den Besuchern verbogen und sogar verknotet werden, wodurch dauerhafte Störungen des sonst homogenen Raumfelds entstehen. Die Idee, 1500 Rohre in einem einfachen Raster in die Luft zu hängen, klingt einfacher, als sie schließlich zu realisieren war. Die Stahlseile für die Aufhängung konnten nicht an den umgebenden Gebäuden verankert werden, und so wurde eine eigene Primärkonstruktion aus schräg gestellten Stahlträgern notwendig, die wiederum nach Fundamenten verlangten. All das überstieg die vom Hauptsponsor zugesagten Mittel um ein Vielfaches, und die Studenten mussten sich um zusätzliche Geldquellen für die Finanzierung des Unternehmens kümmern. So ist jetzt jedes Rohr mit einer transparenten Hülle überzogen, auf der die Logos der verschiedenen Sponsoren aufgedruckt sind. Das tut der Gesamtidee keinen Abbruch: Der Raum, der sich selbständig gemacht und die anderen Objekte beinahe absorbiert hat, wird so seinerseits parasitär genutzt. Dass unter diesen Bedingungen Kompromisse eingegangen werden mussten, ist verständlich. Die verwendeten Stahlträger hätten um einiges leichter ausgeführt werden können, aber man musste sich auf die vom Sponsor produzierten Maße beschränken. Viel schmerzlicher ist ein Zugeständnis an die behördlichen Auflagen: Um den ungehinderten Durchgang und die Zulieferung für Lkws durch den Hof zu ermöglichen, mussten – obwohl die Flexibilität der Rohre wahrscheinlich jedem Sattelschlepper genug Platz gelassen hätte – breite Schneisen in den Wald geschlagen werden, und das beeinträchtigt das Konzept spürbar. Was hat diese Installation nun mit Architektur oder gar mit den aktuellen Fragen des Bauens zu tun? Ian Ritchie spricht dezidiert von einer architektonischen Arbeit: Es ginge um konstruktive und organisatorische Probleme, um den Umgang mit Raum, Licht, Schatten, aber auch um Fragen der Symbolik. Der Wald aus Kunststoffrohren ist für ihn die Antithese zum archaischen Säulenwald, in dem das vertikale Element aus der Erde wächst, während es hier im Himmel verankert ist und den Boden nicht berührt. Vor allem aber, betont Ritchie, wollte er seine Studenten auf eine Welt vorbereiten, in der Formen niemandem mehr gehören. Die übliche Art der Architektenausbildung, bei der Studenten ihre Projekte als ihre persönliche Errungenschaft betrachten, die sie gegen Kritik von außen verteidigen müssen, lehnt er ab. Das Ergebnis sei nur Selbstsüchtigkeit, und die ist für Ritchie "die Nemesis der Architektur". Die Zusammenarbeit in Gruppen und der Kontakt nach "außen", zu anderen künstlerischen und technischen Disziplinen ebenso wie zur Bauindustrie und zu den Behörden ist für Ritchie ein zentrales didaktisches Anliegen. Denn die besten Architekten der Zukunft würden sich nicht durch formale Originalität und persönliche Handschrift auszeichnen, sondern vor allem durch Kooperationsfähigkeit und Offenheit über Disziplingrenzen hinaus. Von einer solchen Entwicklung könnte auch die Baukultur nur profitieren. Die Presse, 4.2.1995
Edle Wilde und Hundertwassers Hosenträger Wiener Donaukanal ist architektonisch ein Katastrophengebiet. Auch die neue Brücke für die U6 hat das Niveau dort nicht gehoben. Aber durfte man das erwarten? Die schönsten Brücken über den Donaukanal kenne ich nur von Zeichnungen: Otto Wagner hat sie im Rahmen seines Stadtbahnprojekts für den Bereich des Schwedenplatzes entworfen, leichte Stahltragwerke mit steinernen Pylonen, die den Übergang vom zweiten Bezirk zur inneren Stadt
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markieren sollten. In der ersten Variante aus dem Jahr 1896 sind die Brückenträger noch reich mit floralen Ornamenten geschmückt und teilweise auch nach dem Vorbild von Pflanzen geformt. 1905, in einer späteren Variante, sind davon nur einige streng geometrisierte Kränze und Girlanden übrig geblieben, offensichtlich als selbständige Schmuckelemente über die Konstruktion gehängt. Auch in der Art der Menschendarstellung in den Zeichnungen gibt es eine bemerkenswerte Radikalisierung. Im ersten Projekt macht Wagner seine Brücke zu einer Kulisse für eine äußerst naturalistische Szene, in der Zeichnung von 1905 bilden Stadt, Brücke und Passanten dagegen eine stilistische Einheit. Obwohl die Rationalität der Konstruktion und die (in Wagners Worten) "peinlichste Erfüllung des Zwecks" in seinen Bauten immer deutlich spürbar sind, bleibt Schönheit für ihn das eigentliche Ziel. Architektonische Schönheit ist dabei eine eigenständige Qualität, die dem rohen Material vom Künstler-Architekten auf der Grundlage von tradierbaren, aber begrifflich nicht fassbaren Regeln aufgeprägt werden muss. Aus dieser Grundhaltung rechtfertigt sich bei Wagner der Anspruch auf eine totale Stilisierung der sichtbaren Welt. Die Architektengeneration nach dem ersten Weltkrieg glaubte freilich, eine ganz andere Art von Schönheit entdeckt zu haben, deren Wirkung nicht auf einer "Veredlung" des Materials durch eine künstlerische Form beruht, sondern auf der möglichst reinen Darstellung der Wechselwirkung zwischen dem Material und den einwirkenden Kräften. Das Ideal dieser Ästhetik waren die Schöpfungen des Ingenieurs, in erster Linie natürlich die Präzision der Maschine. Le Corbusier verglich den Ingenieur mit einem "edlen Wilden", der unbelastet von tradierten Vorurteilen zur reinen, natürlichen und exakten Form gelangen könne. Die Formen, die von Ingenieuren für so genannte Zweckbauten, für Lagerhäuser, Wasserbehälter und Silos entwickelt wurden, galten als Vorboten einer neuen Architektur, die auf ähnlich wissenschaftlicher Basis zu einer zeitlosen Ästhetik gelangen sollte. Daraus ist nicht viel geworden: die komplexen und widersprüchlichen Randbedingungen der Architektur ließen sich nicht ohne Verluste in eine wissenschaftliche Formel zwängen. Unter den Händen der Architekten verwandelte sich die ingenieurmäßige Formensprache in einen neuen, internationalen Stil, der genauso kurzlebig war wie seine Vorgänger. Geblieben ist die Idee einer selbständigen Ästhetik des Ingenieurbaus. Überall dort, wo es in erster Linie um die Beherrschung von Kräften geht, gilt die Ableitung der Form aus einer ingenieurmäßig korrekten Durcharbeitung als selbstverständlich. Die neue Brücke über den Donaukanal, die jetzt im Zuge der Verlängerung der U6 nach Floridsdorf errichtet wurde, gibt wieder einmal Anlass, über die Frage einer autonomen Ästhetik des Ingenieurbaus nachzudenken. Bei der Brücke handelt es sich um eine asymmetrische Schrägseilbrücke, deren Kabelbündel vom Brückenträger weg strahlenförmig zu zwei rund dreißig Meter hohen Pylonen aus Stahlbeton führen. Die Pylone selbst sind zur anderen Seite hin abgespannt, um ihre Belastung zu minimieren. Als Überbrückung eines relativ schmalen Gewässers ist diese Konstruktion jedenfalls ungewöhnlich: alle anderen Brücken am Donaukanal kommen für die Spannweite von knapp 60 Metern mit viel einfacheren Mitteln aus. Auf den ersten Blick liegt die Vermutung nahe, dass hier mit einer aufwendigen Konstruktion ein besonderes Signal gesetzt werden sollte.
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Eine Anfrage beim Bauingenieur, von dem das Konzept für die Brücke stammt, klärt das als Irrtum auf. Peter Biberschick, Partner von Manfred Pauser, einem der bekanntesten österreichischen Brückenbauer, begründet die Entscheidung für die gewählte Konstruktion Punkt für Punkt aufgrund besonderer Voraussetzungen. Es handelt sich eigentlich nicht um eine, sondern um drei Brücken: die mittlere dient der U-Bahn; die stromaufwärts liegende ist eine Abfahrtsrampe von der Gürtelbrücke zur Brigittenauer Lände für den Autoverkehr; stromabwärts bildet ein drittes Tragwerk einen Fußgängersteg mit direkter Anbindung an die neue Station "Spittelau". Alle drei Tragwerke liegen auf Querträgern auf, die ihre Last über die Kabelbündel an die Pylonen weiterleiten. Die Schrägseilkonstruktion selbst ist durch den weiteren Streckenverlauf der U-Bahn bedingt. Da die nächste Station unterirdisch angelegt werden musste, ist die U-Bahntrasse schon im Brückenbereich mit der maximal erlaubten Neigung von 4 Prozent nach unten geführt und verschwindet am Brigittenauer Ufer in einem überschütteten Rampentunnel. Um das Schifffahrtsprofil des Donaukanals nicht unnötig einzuschränken, musste das Tragwerk über das Fahrbahnniveau der Brücke gelegt werden. Eine erste Grundentscheidung bestand darin, die drei Funktionsbereiche der Brücke knapp nebeneinander zu legen und zwischen ihnen Raum für eine übergeordnete Tragkonstruktion zu lassen. Als Alternativen dafür boten sich eine Bogenkonstruktion und die nun ausgeführte Schrägseillösung an. Die Idee der Bogenbrücke wurde aus ästhetischen Gründen nicht weiterverfolgt, wie Peter Biberschick betont: die schräg geführten Fahrbahnen seien als unverträglich mit der Bogenform angesehen worden. Die Schrägseilkonstruktion erfüllte dagegen nicht nur alle äußeren Anforderungen, sie hatte vom Ingenieursstandpunkt aus auch den zusätzlichen Reiz, dass sich das anschließende Tunnelbauwerk zur Verankerung der Abspannseile mitbenutzen ließ. Von diesem Punkt an ist die Gestalt der Brücke das Ergebnis von Berechnungen: die Höhe der Pylonen ergibt sich aus der sinnvollen Neigung der Seilabspannung, ihre Dimension aus den angreifenden Lasten und die Form der seltsamen stählernen Aufsätze auf den Pylonen aus der Notwendigkeit, die Kabelaufhängung für Wartungszwecke zugänglich zu halten. Die Architekten Holzbauer, Marschalek, Ladstätter und Gantar, als Architektengemeinschaft U-Bahn schon für die Strangpressästhetik der ersten UBahn-Bauten zuständig, haben dieser Darstellung der Gestaltfindung für die neue Brücke kaum etwas hinzuzufügen. Heinz Marschalek ist zwar über die Dicke und die Farbgebung der Abspannseile nicht gerade glücklich. Eine Durchfärbung der Polyäthylenhülle in einer anderen als der schwarzen Materialfarbe wäre jedoch zu teuer gekommen. Und was die Höhe der Pylonen betrifft, so ist er mit dem Tragwerksplaner einig, dass es sich hier eben um einen reinen Zweckbau handelt, bei dem skulpturale Überlegungen keine Rolle gespielt hätten. Überhaupt scheint sich die AGU dieses Bauwerks nicht besonders angenommen zu haben: die einzig merkbaren Zutaten sind ein plump gelöster Stiegenaufgang zum Fußgängersteg (eine Brücke weiter stromaufwärts hätte man nachsehen können, wie leicht eine Stahlbetontreppe konstruiert sein kann) und das Tunnelportal, in dem die U-Bahn nach der Brücke verschwindet. Dieses Portal ist im Grunde nicht mehr als die Überdachung einer Abfahrtsrampe, und doch vermittelt es mit seinen Betonmassen den Eindruck, als müsse es sich gegen den Mont Blanc stemmen. (Mit der hinteren Abspannung der Kabelbündel haben diese Betonmassen im übrigen keinen zwingenden Zusammenhang: deren Widerlager liegt eine ganz Konstruktionsebene tiefer.) Wenn man von diesen den Architekten anzulastenden Zutaten einmal absieht, ist freilich alles an dieser Brücke begründbar. Schön ist sie deswegen aber noch lange nicht. Die Proportionen sind grob, der visuelle Eindruck unruhig. Alle Details sind auf ein einziges Kriterium hin optimiert, das mit einer Ingenieurästhetik der minimierten Konstruktion gar nichts zu tun hat, nämlich auf geringste Kosten. Innovativ ist dabei höchstens, dass auch die Erhaltungskosten in die Rechnung einbezogen wurden: daher die mehrfache Polyäthyleneinbettung der Kabel und die Verdopplung der Abspannung. Aber hätte man sich denn bei einem solchen Bauwerk überhaupt mehr erwarten dürfen? Ich
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denke schon. Der U-Bahn-Bau ist eines der größten öffentlichen Projekte der Stadt Wien. Im Rahmen eines solchen Projekts gibt es eine große Anzahl von Standardsituationen, die allein auf Grund ihrer Wiederholbarkeit auf einem nicht nur konstruktiv, sondern auch ästhetisch hohen Niveau gelöst werden können. Und es gibt außergewöhnliche Punkte, die als besondere Herausforderung erkannt und angenommen werden müssen. Der Bauabschnitt, in dem die neue Donaukanalbrücke liegt, ist aus dieser Perspektive betrachtet wahrscheinlich der interessanteste der ganzen U6: er schließt direkt an die alte Wagnersche Stadtbahn an, muss eine Flussquerung und zugleich den Wechsel der Streckenführung von Hoch- in Tieflage bewerkstelligen und ist durch seine Lage an einer der Wiener Stadteinfahrten auch ein markantes Element im Stadtbild. Um diese Herausforderung anzunehmen, hätte es den Mut gebraucht, sich von einer Ingenieurästhetik zu befreien, die sich für wissenschaftlich hält und dabei doch nur für eine Ideologie der minimierten Kosten vereinnahmt wird. Natürlich hätte mehr Qualität auch mehr gekostet, und bei einer Gesamtsumme von 1,3 Milliarden Schilling, die für die 672 Meter dieses Bauabschnitts projektiert sind, ist jedes Prozent ein beachtlicher Betrag. Freilich: Der beste Beweis, dass selbst die pervertierteste Form von Schönheit öffentlich finanziert werden kann, steht in unmittelbarer Nachbarschaft – Hundertwassers Kostüm für den Verbrennungsturm hat den Steuerzahler 85 Millionen gekostet. Der Meister wurde übrigens schon in der Nähe der Brücke gesehen. Wird er die Pylonen mit Kacheln verzieren, oder werden die schwarzen Abspannseile bald bunt bemalt als Hundertwassers Hosenträger ins Wiener Stadtbild eingehen? Die Presse, 28.1.1995
BLITZENDE ZAHNSPANGE MITTEN IM GESICHT? Hermann Czechs neue Verglasung der Opern-Loggia
Der Schock geht offenbar rief: Zwar handelt es sich bloß um eine temporäre Verglasung, aber kaum eine Baumaßnahme der letzten Monate hat ein solches mediales Echo gefunden. In der „Kronen Zeitung" sinniert deren Reimkünstler, dass sich Eduard van der Null, einer der Architekten der Wiener Oper, „angesichts der Spiegelscheiben wohl zum zweiten Mal entleiben“ würde; der Kultursprecher der ÖVP, Franz Morak, nennt die neue Verglasung einen „Schandfleck", hier werde mit einer Fassade „konstruktivistisches Schindluder" getrieben; und allgemein reagiert die Öffentlichkeit zumindest irritiert, so als hätte die alte Dame Oper, bisher für ihr vornehmes Lächeln berühmt, plötzlich eine blitzende Zahnspange mitten im Gesicht. Für Hermann Czech, von dem der Entwurf für die neue Verglasung stammt, ist es eine eher ungewohnte Erfahrung, dass seine Architektur als aufdringlich kritisiert wird, gilt er doch allgemein als Meister der subtilen, den Kontext respektierenden Intervention. Er selbst sagt von seiner Architektur, dass sie nur dann spricht, wenn sie gefragt wird. Dieses Versprechen löst Czech nicht nur durch raffinierte Details und Rauminszenierungen ein: Immer wieder finden sich auch Anspielungen, die aus den engen Grenzen einer sich als autonom verstehenden Architektur hinausweisen. So etwa beim Café im Museum für angewandte Kunst, in dessen Portal Czech einen Beleuchtungskörper aus der Sammlung – eine Leuchte, die auf der Wiener Reichsbrücke zum Einsatz kam – so integriert hat, dass er wie ein riesiges Auge
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wirkt, das auf die Ringstraße leuchtet. Oder beim Musikgeschäft in den Wiener Opernarkaden, dessen Name ARCADIA in großen Lettern wiederholt den Sockel der Schaufensterscheiben bildet, wodurch sich beim Eingang recht zwanglos durch Wegfall der Buchstaben CAD ein Hinweis auf den Geschäftszweck geben lässt. Im Fall der Loggia-Verglasung musste vor allem der temporäre Charakter der Konstruktion angedeutet werden: Die Verglasung dient ja nur für wenige Monate im Jahr als Schutz für die Fresken von Moritz von Schwind. Dass Czech daher seine Konstruktion in Material und Farbe von den anderen Fensterelementen der Oper absetzt, ist nur nahe liegend. Bemerkenswerter ist dabei die geometrische Lösung: Auf der Höhe der Kapitelle folgt die Konstruktion zwischen den Bögen einer Art durchhängender Kettenlinie, in deren Knickpunkten die Teilung für die Bogenfelder aufsitzt. Die Verglasung springt dann zurück, um den Statuen mehr Raum zu lassen. Dass sie im unteren Bereich dann wieder nach außen gestülpt wird, ist weniger einsichtig. Czechs Argument, dass ein gerader Abschluss zu banal gewesen wäre und er eben ein Glasnetz und keine Glaswand in die Loggia setzen wollte, kann mich nicht so recht überzeugen. Denn anders als die durchaus glückliche Lösung im oberen Bereich ist die untere praktisch nur in der Frontalansicht verständlich und hat den zusätzlichen Nachteil, dass der Blick vom Innenraum auf die Statuen behindert wird. Ansonsten ist der Innenraum ein wesentlicher Fortschritt. War die Außenansicht der alten Verglasung aus dem Jahr 1983 vielleicht wirklich - wie Otto Kapfinger es seinerzeit ausgedrückt hat - ein „Pyrrhussieg der Denkmalpflege", so konnte man im Inneren nur von einer Niederlage sprechen. Wer sich heute nach der Banalität der alten Lösung, deren scheinbare Unaufdringlichkeit in Wahrheit nichts als Gleichgültigkeit war, zurücksehnt, kann die Konstruktion nie von innen gesehen haben: Seitliche Freskenfelder wurden von den Konstruktionsprofilen beschnitten, hinter den Säulen geführte Blechkästen dienten als Lüftungskanäle. Czech ist es gelungen, Lüftungs- und Heizungskanäle, Rauchklappen und Fluchttüren schlüssig zu integrieren. Wenn nächstes Jahr der scheußliche grüne Spannteppich gegen einen sandfarbenen ausgetauscht ist, wird die Loggia auch im verglasten Zustand dem Charakter einer Oper gerecht werden. Man hätte diese Aufgabe auch anders lösen können, vielleicht zeitgeistiger, aber wohl kaum besser. In ein paar Jahren wird man die verglaste Loggia akzeptiert haben, und wahrscheinlich kann man bei einem so symbol- und geschichtsträchtigen Bau auch erst dann ein unvoreingenommenes Urteil über Czechs Intervention abgeben. Die Presse, 15.10.1994
STIL, ORNAMENT UND ANDERE VERBRECHEN In seinem fünfbändigen Opus über Otto Wagners Architektur versucht der Kunsthistoriker Otto Graf nichts Geringeres als eine Neukonstruktion der gesamten Architekturgeschichte. Ornament und Stil sind in der heutigen Architektur allem Anschein nach tote Begriffe. In der Mythologie der Moderne erscheinen sie als böse Ungeheuer - als „Verbrechen" und „Lüge" - die von einsamen Helden wie Adolf Loos und Le Corbusier unerschrocken zu Fall gebracht wurden, um der architektonischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Die Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts hat unter diesem Mythos arg gelitten. Im Rückblick erschien die Französische Revolution als baukünstlerischer Wendepunkt, von dem an - beginnend mit Ledoux, Boullée und Schinkel - alles der modernen Architektur zustrebte, gehemmt freilich durch die politische und künstlerische Restauration nach 1815. Erst im späten 19. Jahrhundert hätte sich zuerst die Theorie von „Kernform" und stilistischer „Hülle" und schließlich um die Jahrhundertwende eine neue, von historischem Ballast befreite Baukunst entwickeln können. Konservative Historiker sahen die Entwicklung ganz analog, mit dem Unterschied freilich, dass sie in der Revolutionsarchitektur den Beginn allen Übels zu erkennen glaubten.
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Die Laufbahn Otto Wagners, geboren 1841, scheint in dieses Schema vorzüglich zu passen: anfangs dem Historismus im Stil der Neurenaissance verpflichtet, hätte er im Zuge der technologisch anspruchsvollen Aufgabe des Stadtbahnbaus zu einer Architektursprache auf der Grundlage von Funktionalität und Konstruktion gefunden, von der man nur noch die letzten Verzierungen abräumen musste, um zu jenem „Zukunftsstil" zu gelangen, von dem Wagner immer geträumt hatte. Weder er noch seine Schule haben diesen Schritt freilich durchgeführt: Die eigentliche Modernisierung der Wagnerschule bleibt nach dieser Lesart dem italienischen „Futurismus" eines Antonio Sant'Elia vorbehalten. 1985 hat der Wiener Kunsthistoriker Otto Graf, Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste, im Böhlau Verlag die bisher umfangreichste Publikation des Wagnerschen Gesamtwerks in zwei Bänden herausgebracht. Streng chronologisch und ohne jeden interpretierenden Kommentar werden Projekte, Bauten und Schriften des Architekten in Plänen und Skizzen vorgestellt. Auf den damals angekündigten dritten Band, „Baukunst des Eros", der eine Analyse des Wagnerschen Werks versprach, durfte man vor allem wegen einer früheren Arbeit des Autors gespannt sein. 1983 war unter dem Titel „Die Kunst des Quadrats" Grafs furiose Auseinandersetzung mit dem Werk Frank Lloyd Wrights erschienen. Graf versucht darin die künstlerische Arbeitsweise offen zu legen, dass Wrights Architektur zugrunde liegt. Der Hauptteil der Analyse beschäftigt sich- mit dem „Imperial Hotel" in Tokio. Graf gelingt hier einerseits eine Systematik der verwendeten ornamentalen Formen. Vor allem aber liefert er eine Theorie über die Beziehung zwischen Ornament und räumlicher Ordnung, in der die Vorstellung vom Ornament als einem schmückenden Beiwerk aufgegeben wird: dieselben elementaren Grundformen und Grammatiken, aus denen Wrights Ornamente gebildet sind, strukturieren, ins Räumliche übersetzt, auch seine Architektur. Zurück zu Otto Wagner: Grafs These ist, dass das „gestalterische Geschehen" im Werk Wagners als „Erräumen" elementarer Grundformen zu verstehen ist und nicht als Weiterführen der klassischen Tradition. Diese These hat Graf zum Anlass genommen, die gesamte Architekturgeschichte neu zu konstruieren, zuerst in dem 1990 erschienenen dritten Band des Wagner-Werks, der „Weltgeschichte der Grundformen 1“ und nun, im vierten Band über „Sicard und Van der Nüll", die beiden Lehrer Wagners. (Der fünfte Band, der dann endlich unter dem Titel „Baukunst des Eros“ die Analyse des Wagnerschen Oeuvres beinhalten soll, ist für 1996 angekündigt.) Dass Graf mit der „Weltgeschichte der Grundformen" mehr im Sinn hatte als eine Geschichte primärer Geometrien, geht schon aus dem Untertitel des Buchs hervor: Es geht um die „Einheit der Kunst", und zwar von den ersten neolithischen Ritzzeichnungen bis ins 19. Jahrhundert. Die Grundformen - Kreuze, Sterne, Wellenlinien und miteinander verflochtene Bänder - sind primär erotischen Ursprungs, symbolische Darstellungen von Fruchtbarkeit und Geschlecht. Zum Träger künstlerischer Entwicklung werden sie durch geometrische und numerische Abstraktion, in deren äußerster Stufe sie sich alle auf ein System einander überschneidender Kreise abbilden lassen. Graf verfolgt diese Grundformen und ihren Inhalt, die liebende Umarmung, durch verschiedenste Transformationen über die Jahrtausende, von sumerischen Schalen bis zur Hagia Sophia, von ägyptischen „Schilfbündelsäulen" bis zu Guarinis Kuppelbauten. In diesem System ist jedes Element mit jedem anderen verwandt, und es verwundert nicht weiter, dass Graf auch die übliche Ikonologie gehörig in Bewegung bringt, wenn er Isis mit Maria und die Pharaonen mit den Päpsten gleichsetzt. Der nun erschienene vierte Band über „Sicard und Van der Null'' präsentiert das Werk der beiden Architekten als eine weitere Stufe jener Entwicklung, die Graf die „Modernisation der Grundformen" nennt. Während der Stilbegriff des 19. Jahrhunderts aus der „Schatzkammer der Geschichte" jenes Warenlager des Eklektizismus gemacht hat, aus dem sich die Bauindustrie des ersten Maschinenzeitalters nach Belieben bedienen konnte, suchten Sicard und Van der Null mit den Prinzipien, nicht den Formen der Vergangenheit, einen eigenständigen
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„Stil" zu erarbeiten. Graf zeigt an Hand wesentlicher Werke - der Ausmalung der Altlerchenfelder Kirche, an Hand des Arsenals und der Oper - mit welcher Sicherheit die Architekten ihr Ziel umzusetzen imstande waren. Ihre Architektur ist kein romantisierendes Gemisch aus byzantinischen und Renaissanceformen, sondern eine - zumindest in Grafs Architekturgeschichte - logische und in sich konsistente Entwicklung. Die vielleicht überraschendste Untersuchung befasst sich mit dem Wiener Arsenal, das in Originalplänen und alten Photos eines der faszinierendsten Bauwerke seiner Zeit erahnen lässt. Graf spricht hier von einer „numerischen Ornamentation", die er durch das Abzählen von Achsen, Flächen und Raumpartikeln nachzuweisen versucht. Dabei ist schon die graphische Darstellung reichlich verwirrend; dem begleitenden Text vermag man allen hymnischen Formulierungen zum Trotz absolut nicht mehr zu folgen. Graf scheint das erkannt zu haben: Zur Wiener Oper, dem Hauptwerk Sicardburgs und Van der Nülls, finden siech im Text nur einige Stichworte. Die Arbeit der Analyse bleibt vollends der graphischen Darstellung überlassen. Unter den meisten Kunsthistorikern ist eine Auseinandersetzung mit Grafs Theorien um es vorsichtig und mit einer in dieser Disziplin beliebten Vokabel auszudrücken nicht gerade ein Desideratum. Sein holistischer Anspruch und seine manchmal eigenwillige Diktion stehen dem ebenso im Weg wie seine fundamentale Kritik an der herrschenden Meinung. Die etablierte Kunstgeschichte wird sich wahrscheinlich erst in ein paar Jahren ernsthaft mit Ott Grafs Werk auseinandersetzen, wenn man nämlich dahinter gekommen ist, dass sich aus der Reinzeichnung und Weiterbearbeitung von so mancher der bisher über 2000 in Grafs Werk publizierten analytische Skizzen eine ganze Dissertation gewinnen lässt - und sei es nur, um ihn zu widerlegen. Die Presse, 20.8.1994
NACH DEM SALTO MORTALE Der Wohnbau in der Steiermark zeichnete sich jahrelang durch besondere architektonische Vielfalt und Qualität aus. Manfred Wolff-Plotteggs Siedlung in Seiersberg als Beispiel für ein bedrohtes Förderungsmodell. Ich glaube, dass ich bin. In Robert Altmanns Film “Shortcuts” setzt sich eine Sequenz auf drastische Art mit der veränderten Perspektive des Wohnens auseinander: ein eifersüchtiger Mann dringt in das Haus seiner Ex-Frau ein, während diese mit ihrem kleinen Sohn das Wochenende am Meer verbringt. Mit einer Säge beginnt er, das gesamte Mobiliar und den Hausrat zu zerkleinern und entlang der Wände des Wohnzimmers aufzuhäufen. Einzig der Fernseher bleibt verschont und wird in der leeren Mitte des Raums aufgestellt. Als die Frau nach Hause kommt, bleibt sie sprachlos an der Türe stehen. Ihr kleiner Sohn dagegen wirft nur einen kurzen Blick auf das zerstörte Interieur, setzt sich dann seelenruhig vor den Fernseher und schaltet zwischen den Programmen hin und her. Diese Geschichte beleuchtet eine inhaltliche Krise des Wohnbaus, die unabhängig ist von den aktuellen quantitativen Problemen. Um diese Krise richtig zu verstehen, ist es hilfreich, sich die existentielle Bedeutung des Wohnens als “Grundzug des Menschseins” in Erinnerung zu rufen, wie sie der Philosoph Martin Heidegger in seinem Vortrag “Bauen Wohnen Denken” beschrieben hat. Heidegger leitet den Begriff des Wohnens vom gotischen “wunian” ab, das er als “Zufrieden-Sein” übersetzt, und gelangt von dort zu den Begriffen der “Ein-Friedung” und der
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“Schonung”: Das Bauen stellt Zufrieden-Sein her, indem es einfriedet, also durch Schonung bewahrt, und ermöglicht so das Wohnen. Die radikale Verwandlung des Raumbegriffs, die wir heute erleben, macht diesen Zusammenhang fragwürdig. Je mehr sich die Kategorien von drinnen und draußen, von nah und entfernt, von öffentlich und privat auflösen, desto weniger zwingend erscheint die Verbindung zwischen dem Wohnen im existentiellen Sinn und dem realen Raum. Fernseher, Fax und Computernetzwerke schaffen – als Werkzeuge der Entgrenzung – einen bewohnbaren Raum außerhalb des gebauten. Schon für die nächste Generation könnte dieser virtuelle Raum der wesentlichen Bezugsraum ihres Wohnens sein. Statt sich auf diese Problematik ernsthaft einzulassen, reagiert die Mehrheit der Architekten mit Skepsis. Können ein paar neue Kommunikationstechniken denn wirklich die bewährten Grundrisstypologien durcheinander bringen? Gibt es überhaupt spürbare Auswirkungen auf die Funktionsabläufe des Wohnens? Werden wir nicht weiterhin “Wohnzimmer”, “Schlafzimmer” und “Küche” in die Pläne unserer Wohnungen schreiben, ganz gleich, ob es dort einen Fernseher oder ein Fax oder ein Computermodem gibt? Diese Einwände sind freilich nur solange sinnvoll, als man Bauen und Wohnen als einen Prozess von Produktion und Konsum versteht. Spricht man vom Wohnen jedoch im Heideggerschen Sinn als von einem “Grundzug des Menschseins”, dann stellen sich ganz andere Fragen: Was bedeutet Wohnen angesichts eines virtuellen Raums? In welchem Verhältnis steht dieser zum realen Raum? Und was sind schließlich die Konsequenzen für die Architektur als künstlerische Disziplin, wenn immer mehr Lebensfunktionen unabhängig werden von den konkreten räumlichen Bedingungen? An diesem Punkt setzen die Arbeiten des Grazer Architekten Manfred WolffPlottegg an. Seit Mitte der achtziger Jahre beschäftigt er sich mit der Suche nach architektonischen Handlungsweisen, die der Revolution der Wahrnehmung durch die digitalen Medien angemessen sind. Für Plottegg ist die Architektur heute “kulturell und wissenschaftlich schon lange nicht mehr auf dem laufenden, die benutzten Architekturtheorien abgekoppelt vom Objekt.” Er misstraut einer Architektur, die ihre wesentliche Aufgabe im Zuordnen von Symbolen sieht: “Es gibt nicht mehr den sakralen Ort, den magischen Ort, den Ort als Bedeutungsträger. Der Himmel ist nicht mehr ´oben´ und die Hölle nicht mehr ´unten´. Der Raum ist keine Schachtel mehr und das Zimmer kein Rechteck.” Indem konventionelle Entwurfsmethoden ununterbrochen etwas festlegen wollen, geraten ihre Produkte oft genug zu leblosen formalen Konstrukten. Plottegg operiert dagegen mit Begriffen wie der “digitalen Architektur” und dem “binären Haus”, dessen formale Festlegung so spät wie möglich erfolgt und die sich auch dann noch Freiheitsgrade bewahren. Sein Medium ist der Computer, der es erleichtert, auf verfrühte Festlegungen zu verzichten und durch seine Indifferenz gegenüber allen Symbolismen “die Formensprache und damit die analoge Architektur auflöst”.
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Dass man gerade nach einem solchen architekturtheoretischen Salto Mortale wieder mit beiden Beinen am Boden aufkommen kann, hat Plottegg mit seiner Wohnbebauung in Seiersberg südlich von Graz bewiesen. Das Gesamtkonzept, das für insgesamt 165 Geschoßwohnungen und 65 Reihenhäuser konzipiert ist, zeichnet sich durch eine außergewöhnliche städtische Qualität aus. Die bestehende Bebauung aus den siebziger Jahren – viergeschossige Blöcke, die beziehungslos am Ostrand des Grundstücks aufgereiht sind – wird durch eine quer über das Grundstück laufende Parkanlage und ein neues Fußwegesystem eingebunden. Die Anordnung der neuen Bebauung orientiert sich nicht an den bekannten Konzepten von Block oder Zeile: Durch sorgfältige Ausbildung der Berührungspunkte zwischen den Baukörpern, durch klug kalkulierte Verdrehungen und durch Fußwege, die immer wieder auch durch die Bebauung hindurchgeführt werden, entsteht ein urbanes Geflecht mit spannungsreichen räumlichen Beziehungen, die auf symbolische Etikettierungen – im Sinn von “Platz,Anger,Straße” – getrost verzichten können. Bisher ist erst ein Abschnitt dieses Konzepts ausgeführt worden, ein lang gestreckter, West-Ost orientierter Bau mit 24 Wohnungen auf vier Geschoßen. An der Südseite sind von einem Gitterträger durchlaufende Balkone abgehängt, die eine halb öffentliche, halb private Raumschicht vor der eigentlichen Fassade erzeugen. Der Gitterträger selbst ist leicht schräg geführt und steigt über die Länge der Fassade um ein halbes Geschoß an, um einen Niveausprung, der sich aus der inneren Organisation ergibt, auszugleichen. Nähert man sich dem Gebäude, löst sich die monolithische Erscheinung auf: man erkennt vier unabhängige Häuser unter einem Dach, zwischen denen die Treppen so geführt sind, dass man beim Hinaufsteigen immer wieder aus dem Baukörper ins Freie gelangt und dabei die verschiedenen Raumschichten durchdringt. Ein ähnliches Prinzip der Durchlässigkeit charakterisiert auch die Wohnungsgrundrisse: Türen und Fenster sind raumhoch und so gesetzt, dass räumlichen “Endlosschleifen” entstehen und die Wohnungen bei aller im geförderten Wohnbau notwendigen Sparsamkeit eine ungewöhnliche Großzügigkeit erhalten. Eine geschickte Verdrehung zweier Achssysteme macht die Zimmer zusätzlich leicht trapezförmig. Diese Manipulation des Raums manipuliert die Wahrnehmung: trotz der geringen Tiefe des Baukörpers erscheinen die Räume großzügig dimensioniert. Ästhetisch passt dieses Gebäude in keine der gängigen Richtungen. Trotz der klaren Ordnung der Südfassade mit Pfeilern und regelmäßigen Öffnungen ist es nicht klassisch. Ebenso wenig ist es dekonstruktiv: die Schrägen, die Überlagerungen, die Brüche sind nicht selbstbezügliche formale Übungen, sondern instrumentell. Und trotz der Verwendung von industriellen Materialien wie Trapezblech und verzinkten Stahlprofilen ist es technisch beinahe roh, aber zugleich ohne ästhetische Verluste veränderbar, ergänzbar. Trotzdem ist dieses Gebäude kein Experimentalbau, sondern eine direkte, von keinerlei symbolischen und historischen Phantasmagorien verstellte Auseinandersetzung mit der Aufgabe. Plottegs Architektur bezieht ihre Rechtfertigung nicht aus dem formalen und ideologischen Fundus von Palladio bis Corbusier, sondern aus dem schöpferischen Potential des konkreten Jetzt. Das gibt ihr Kraft und Lebendigkeit, sich in einer aperspektivischen Welt zu behaupten, in der alles Sichtbare zum gleich gültigen Bild zu werden droht. Es gibt freilich nur wenige Bauträger, die im Wohnbau mehr sehen als eine Frage von Quadratmetern und Förderungsmitteln. Auch in Seiersberg hat die verantwortliche Wohnbaugenossenschaft im Rahmen von Plotteggs Bebauungsplan inzwischen Reihenhäuser errichten lassen, deren gestalterische Armseligkeit den Absichten dieses Plans hohnspricht. Und auch jener Pluralismus, der den steirischen Wohnbau bisher ausgezeichnet hat, ist zwar nicht ganz verschwunden, aber doch politisch unter Druck geraten. Die Zeiten, so hört man, seien so ernst, dass man sich auf “architektonische Extravaganzen” nicht mehr einlassen könne. Man sollte sich freilich daran erinnern, was Martin Heidegger 1951 – also in einer Zeit größter Wohnungsnot – zu diesem Thema zu sagen hatte: “Genug wäre gewonnen, wenn Wohnen und Bauen in das Fragwürdige gelangten und so etwas Denkwürdiges blieben.”
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Die Presse, 25.6.1994
GRÜSSE VOM VERSCHÖNERUNGSVEREIN Jeder Umbau ist eine Auseinandersetzung mit dem Bestehenden. Im Extremfall zerfällt dabei ein Gebäude, das über Jahrzehnte als ein unverrückbares Ganzes wahrgenommen wurde, in seine elementaren Bestandteile: Fassaden und Tragwerk, Dach und Wände stehen zur Disposition, sie können interpretiert, verändert und in den bestehenden Kontext zu einem neuen Gesamtbild zusammengefügt werden. Ein Beispiel, wie man alle Chancen auf eine echte Auseinandersetzung mit dieser Aufgabe verspielen kann, ist jetzt am Dr.Karl Lueger Ring gegenüber der Wiener Universität zu begutachten. Dort steht – an einer städtebaulichen Bruchstelle, wo mit der Mölkerbastei ein kleines Stück der alten Stadtmauer erhalten geblieben ist – ein Verwaltungsbau von annähernd würfelförmiger Proportion. Carl Appel, aus dessen Büro sowohl der Kraftakt des alten Steyr-Hauses als auch das seltsam anämische Hotel Intercontinental am Stadtpark stammen, hat ihn in den sechziger Jahren entworfen.
Wie bei vielen Bauten aus dieser Zeit wurde auch bei diesem Bürohaus Asbest als Brandschutzmaterial verwendet, was schließlich eine Totalsanierung notwendig machte. Dabei stellte sich heraus, dass die dünnen Fassadenplatten aus weißem Ortler-Marmor durch Wasseraufnahme unbrauchbar geworden waren. Nun ging es nicht mehr einfach ums Sanieren, sondern ums Bewerten: die gesamte Erscheinung des Baus, sein spezifischer Charakter und seine Rolle im Stadtbild waren plötzlich zur Diskussion freigegeben. Diese Diskussion fand freilich nicht statt. Ein Gutachten unter der Beteiligung von Friedrich Achleitner, dass die alte Fassade nicht schutzwürdig sei, war rasch eingeholt, und auch die architektonische Lösung stand für alle Beteiligten von vornherein fest: Das schwebende Plattengewoge sollte durch Einführung einer klassisch gegliederten Steinfassade und eines Sockelgeschoßes wieder auf die Erde gebracht und damit ins Ringstraßenensemble eingegliedert werden. Das Resultat ist erschreckend banal: unter Beibehaltung der alten Fensteröffnungen hat der für die Sanierung verantwortliche Architekt Sepp Frank dem Gebäude eine Gliederung verpasst, die bestenfalls als Karikatur einer klassischen Ordnung gelten kann. Erdgeschoß und erster Stock sind zu einem Sockel zusammengefasst, wobei jeweils zwei Fenster des ersten Stocks mit einem Blindfenster verbunden werden, um eine Art Mezzanin vorzutäuschen. Mit demselben Kunstgriff entsteht aus dem zweiten und dritten Geschoß etwas, das der Architekt “die Andeutung eines piano nobile” nennt. Darüber sitzen die Fensterlöcher in einer bis auf paar Zierfugen glatten Steinhaut, deren oberer Abschluss einer Industriehalle angemessen wäre. Die alte Fassade war mit Sicherheit nicht schön, und sie hat ebenso sicher nichts zu einem homogenen Ringstraßenensemble beigetragen. Aber sie war immerhin eine klare Aussage, die mit der gleichmäßigen Stapelung identischer Bürogeschoße im Einklang stand. Wer eine solche Grundstruktur historistisch kostümiert, statt sich auf die Herausforderung einzulassen, eine wirklich bessere, nicht nur leichter legitimierbare Architektur zu realisieren, handelt im Geist eines provinziellen Verschönerungsvereins. Einer Großstadt angemessen ist eine solche Vorgangsweise nicht.
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Die Presse, 18.6.1994
VON FALSCHER IDYLLE UND ECHTEM LEBEN Ein feministisches Projekt der besonderen Art: von Frauen konzipiert, von einem Mann geplant, im Sinne der Mitmenschlichkeit bewohnt – der Brahmshof in Zürich Was darf man von einer Wohnung im Rahmen des geförderten Wohnbaus verlangen? Ein paar Zimmer und fließendes Wasser? Licht, Luft und Sonne? Ausblick ins Grüne? Selbstverständlich! Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten mit den Nachbarn? Großzügige Gemeinschaftseinrichtungen? Flexible Grundrisse, die nicht nur für Kleinfamilien, sondern auch für Wohngemeinschaft und Altenwohnung geeignet sind? Oder gar Mitsprache bei der Vergabe der Wohnungen? Nun ja, das klingt doch alles ein wenig nach längst überwundenen Ideologien. Und selbst in Wien, wo einmal “ideologischer” Wohnbau im großen Stil betrieben wurde, ist in den letzten siebzig Jahren viel Wasser die Donau hinuntergeflossen: ein Karl-Marx Hof mit seinen Innenhöfen und Gemeinschaftsbädern ist letztlich ein Produkt vergangener Zeiten. Die heute gängigste Form des Wohnens sieht anders aus: ein Zimmer für Vater und Mutter, eines für jedes Kind und eines für den Fernseher, im Falle des “vollwertigen Wohnens” ergänzt durch eine Terrasse mit überdimensionalem Pflanzkübel, dazu ein Swimmingpool auf dem Dach als club mediterrané im Kleinen. Es scheint, dass der Wohnbau seine Rolle als Mittel zur geistigen und kulturellen Positionsbestimmung großteils an andere Medien hat abgeben müssen. Das Bild der Stadt ist nicht mehr das Ergebnis konkreter Empfindung und Einfühlung, sondern gezielten Marketings: die glücksstrahlenden Menschen, die in “Unser Wien”, dem großformatigen Informationsblatt, das jeder Haushalt allmonatlich zugesandt bekommt, posieren, sind Realität; jene bedauernswerten, die vereinsamt in ihren Wohnungen sterben und erst Monate später entdeckt werden, nur makabre Schauergeschichten für den Lokalteil der Tageszeitungen. Die architektonischen Trends der letzten zwanzig Jahre haben auf diese Entwertung sehr unterschiedlich geantwortet. Postmoderne und Dekonstruktion waren kurzlebige Versuche, die schrillen Medien von Druck und Fernsehen noch zu übertreffen. Die aktuelle, auch von der Bauindustrie nicht ungern gesehene Antwort ist freilich jene Reduktion zur “Neuen Einfachheit”, die sich allen Symbolismen zu verweigern glaubt, und dabei doch nur – wie jüngst im Wiener Prater – den Unsinn eines grau-braun gestrichenen Kindergartens zusammenbringt, in dessen Gruppenräumen man die Fenster nicht öffnen kann. In der medialen Begleitung dieses Bauwerks durch die Kritik, wie man sie im Architektur- und Bauforums vom Mai dieses Jahres lesen konnte, wird die Legitimation dafür nachgeliefert: “Um aus der passivierenden Trägheit der Heile-Welt-Parolen auszubrechen, kann ein Bau wie dieser ein katalytischer Anstoß sein.” In der Sprache gewöhnlicher Menschen ausgedrückt, wird damit der Architektur die Aufgabe zugewiesen, auf Probleme nur aufmerksam zu machen und sie so klar wie möglich darzustellen. Freilich: die Bewältigung dieser Probleme muss nach wie vor im Rahmen des Gebauten geschehen. Wenn der Versuch, Architektur aus der einfühlsamen und optimistischen Interpretation der Bedürfnisse ihrer Benutzer zu entwickeln, von der Avantgarde als Flucht in ein falsches Idyll denunziert wird, dann haben Hundertwasser und seine Kollegen die Architektur als Disziplin endlich in jenes Eck gebracht, wo sie sie immer schon vermutet haben. Dass qualitätvolle Architektur jenseits dieses Spannungsfelds zwischen falscher Idylle und entrückter Verweigerung möglich ist, zeigt ein Wohnbauexperiment in der Schweiz: der Brahmshof in Zürich. Auf einem Grundstück in Albisrieden, im locker bebauten Stadtgebiet, hat der Evangelische Frauenbund Zürich einen exemplarischen Wohnbau errichtet. Siebzig Wohnungen, drei Ateliers, ein Café, drei Kinderkrippen und ein Mütterzentrum sind hier ebenso untergebracht wie eine Schule zur Krankenpflege-Ausbildung. Typologisch ist die Anlage den Wiener
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Wohnhöfen der Zwischenkriegszeit nicht unähnlich: ein Innenhof, in dessen Mitte ein mächtiger alter Lindenbaum steht, wird an drei Seiten von fünfgeschossigen Gebäudetrakten umschlossen; die vierte Seite wird von drei kleinen, zweigeschossigen Atelierhäusern gebildet.
Im Brahmshof leben unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen zusammen: neben dem normalen Gemisch von Familienwohnungen gibt es Wohngemeinschaften, eine Integrationswohnung von Behinderten und Nichtbehinderten sowie 50 Zimmer, die von der Vereinigung für Jugendwohnhilfe an Lehrlinge und Studenten vermietet werden. Ein solches Gemisch entsteht nicht von selbst: schon zu Beginn des Projekts hatte sich die Baukommission des Evangelischen Frauenbundes mit verschiedensten Organisationen und Gruppen in Verbindung gesetzt und Wohnbedürfnisse und Idealvorstellungen diskutiert. Um den Architekten, die 1987 zu einem Wettbewerb eingeladen wurden, ihre Vorstellungen zu vermitteln, ließen verfassten die Ausloberinnen ein Szenario über den Alltag im zukünftigen Brahmshof legten es den Wettbewerbsunterlagen bei. Da ist im Stil eines Reiseberichts wenig von Architektur, aber viel vom Leben und Zusammenleben die Rede, von den Bedürfnissen der Kinder und der alten Bewohner, aber auch von den Konflikten, die sich zwangsläufig ergeben, wenn die üblichen Grenzen zwischen öffentlich und privat auch nur ein wenig aufgebrochen werden. Für diese besonderen Anforderungen hat der Architekt Walter Fischer aus dem Büro Kuhn, Fischer und Partner einen robusten und unsentimentalen Rahmen geschaffen. Alle Wohnungen werden von hofseitigen Laubengängen aus erschlossen, die auf der Ebene des ersten und des dritten Stockwerks liegen und mit einem Abstand von knapp zwei Metern vor die eigentliche Fassade in eine Stahlkonstruktion gehängt sind. In der Raumschichte zwischen Laubengang und Fassade liegen Verbindungsstege, Balkone und Stichtreppen, die vom Laubengang im ersten Geschoß zu jeweils zwei Wohnungen im Geschoß darüber führen. Das Thema der Verzahnung zwischen Innen und Außen wird hier exemplarisch durchgespielt: jede Wohnung hat drei vorgelagerte Freiflächen, eine vor dem Eingang, eine zweite, halböffentliche als Terrasse zur gemeinsam Hofseite und eine dritte, private als Balkon zur Straßenseite. Die Grundstruktur der Wohnungen wird von gut proportionierten, annähernd quadratischen Räumen gebildet, die links und rechts einer mittleren Erschließungszone angeordnet sind. Diese Räume mit ihren 14 Quadratmetern sind nutzungsneutral, also als Elternschlafzimmer genauso brauchbar wie als Kinderzimmer oder als Grundeinheit im Jugendheim. Durch Zusammenlegung der Grundeinheiten mit der Innenzone entstehen je nach Bedarf die größeren Wohnräume. Typenvielfalt entsteht hier nicht durch das Mischen vorkonfektionierter Raumgruppen, sondern durch freie Kombination von Einzelräumen. Dieses Konzept hat den Vorteil einer großen Flexibilität, die bei einem Projekt dieser Art vor allem in der Planungs- und Errichtungsphase von enormer Bedeutung ist: noch bis zwei Monate vor der Fertigstellung konnten Wohnungsgrößen und Raumzuordnungen ohne Probleme verändert werden. Obwohl die Mieter in vielerlei Hinsicht unterschiedlich sind, kommt die überwiegende Mehrheit mit den Bedingungen einer Wohnform, bei der sich die Bewohner vertraglich verpflichten, “ je nach den individuellen Möglichkeiten am
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Siedlungsleben teilzunehmen”, offenbar gut zurecht. Das liegt sicher an den Mitsprachemöglichkeiten bis hin zur Auswahl der Nachmieter, wobei jeder Bewohner ab sechzehn volles Stimmrecht hat. Es liegt aber nicht zuletzt an der Architektur, die trotz aller Präzision im Detail ganz bewusst nicht “fertig” wirkt, sondern den Charakter von Leichtigkeit und Veränderbarkeit vermittelt. Der Brahmshofe ist als Idee vielleicht zeitgemäßer, als es zuerst den Anschein hat: Wenn die kümmerlichen Surrogate eines Gemeinschaftslebens, wie sie durch die Medien vorgegaukelt werden, sich in immer mehr Fernsehkanälen verlieren, könnte die Sehnsucht nach lokalen Bindungen wieder wachsen. An eine solche Sehnsucht zu glauben und auf sie nicht symbolisch, sondern konkret zu antworten, ist der Beitrag, der mit diesem Projekt geleistet wurde. Der Brahmshof ist kein Idyll, sondern eine realistische Alternative zu den eingefahrenen Bahnen des konventionellen Wohnbaus. Er hat Nachahmung verdient. Die Presse, 23.4.1994
ORDNUNG UND VERORDNUNG Kann man Baukultur verordnen? Lassen sich aus der Tradition verbindliche Vorschriften ableiten? Fallbeispiel: Otto Wagners frisch renovierte Länderbank in Wien In unruhigen Zeiten ist nichts stärker als die Sehnsucht nach Harmonie. Vittorio Magnago Lampugnani, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, hat Ende letzten Jahres in einem seither vieldiskutierten Spiegel-Essay die entsprechende Parole ausgegeben: man brauche heute in Architektur und Stadtplanung keine neuen Ideen, keine Träume, keine Visionen, sondern klare Ordnungen, Konventionalität und Dauerhaftigkeit. Auf den Vorwurf, er würde damit das “gesunde Volksempfinden” zum ästhetischen Maßstab machen, konterte Lampugnani mit dem Argument, dass dieses Volksempfinden im Gegenteil gerade vom Schrägen, Bunten und Auffälligen angezogen werde. Es gälte daher, die Qualitäten einer angemessenen und einfachen Gestaltung gegen jene Tendenzen zu verteidigen, die sich im geschickten Arrangieren von ein paar pastellfarbenen Halbsäulen oder im schrägen Aneinanderschweißen zweier Stahlträger erschöpften. Dass ein solcher Appell nicht auf der Ebene abstrakter Begriffe bleiben kann, sondern sich Vor-Bilder aus der Vergangenheit holen muss, liegt auf der Hand. Wer Konventionalität und Verständlichkeit verlangt, braucht einen kulturell etablierten Bezugspunkt. Im Fall von Berlin ist das bei Lampugnani die Architektur Schinkels, der ruhige Baublock, die glatte Fassade mit vielen Reihen rechteckig geschnittener Fenster. Den persönlichen Wunsch nach Ordnung und Harmonie kann man Lampugnani nicht verwehren. Problematisch wird er aber dann, wenn die bewusste Herstellung dieser Harmonie zu einer öffentlichen Aufgabe gemacht wird. Lässt sich Baukultur durch den regulativen Verweis auf eine noch so bedeutende Vergangenheit erzwingen? Lassen sich ästhetische Qualitätskriterien amtlich festlegen, oder kommt es nicht vielmehr zu einer Diktatur der Schlagworte, die dann von Gestaltungsbeiräten und Beamten nach Belieben interpretiert werden können? Ich möchte diese Fragen nicht abstrakt abhandeln, sondern anhand eines konkreten Bauwerks, dessen herausragende Qualität es zu einem regulativen Vorbild geradezu prädestinieren würde: Otto Wagners Länderbank in der Wiener Hohenstaufengasse, 1884 nach nur eineinhalbjähriger Bauzeit eröffnet, letzte Woche nach zehnjähriger schleppender Renovierung wieder als Bürogebäude in Betrieb genommen. Betrachten wir zuerst das Gebäude als solches, und versuchen wir anschließend, Spielregeln für harmonisches Bauen zu formulieren. Bekannt ist das Gebäude der Länderbank vor allem wegen der geschickten Grundrissdisposition auf einem denkbar ungünstigen Grundstück. Die knapp 40 m breite Baulücke führt nur ein kurzes Stück im rechten Winkel zur Straße in die Tiefe und ist dann schräg nach hinten abgewinkelt. Wagner löst den Straßentrakt
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konventionell mit einer Flucht rechteckiger Räume, die zwischen der Außenwand und einer massiven Mittelmauer gespannt sind. Daran anschließend setzt er achsial einen kreisrunden Erschließungsraum, in dem die Achsdrehung zwischen Vorderund Hintertrakt bewältigt wird. Nach hinten zu liegen die Büroräume an einem Umgang, der – zuerst gerade, dann in einem Halbkreis geführt – einen großzügigen Lichthof umschließt.
So beachtenswert die Raffinesse dieser Grundrissgeometrie ist, wird sie doch von der räumlichen Umsetzung noch weit übertroffen: Der kreisrunde Gelenksraum ist ein über alle Geschoße gehender Zylinder mit Umgängen. Das Licht, das hier von oben durch ein Glasdach einfällt, wird auf der Ebene des ersten und des dritten Geschoßes durch zusätzliche Kuppeln gefiltert, die inmitten der Umgänge wie große gläserne Blasen aufsteigen. Eine ähnliche zusätzliche Glasdecke bildet den oberen Abschluss der Kassenhalle, die im Eingangsgeschoß ursprünglich den ganzen Hoftrakt ausgefüllt hat. Die unschönen Trennwände, die bei der Renovierung hier eingezogen wurden, haben immerhin gläserne Füllungen, und so blieb die ursprüngliche Großzügigkeit weitgehend erhalten. Unverändert sind jedoch alle Geschoße darüber, die schon immer für Büros genutzt wurden: durch die leichte Konstruktion aus Holz und verschiedenartigen Gläsern ergibt sich eine unerwartete Transparenz und Helligkeit der Büroräume. Tatsächlich gibt es so gut wie keinen Raum ohne natürliche Belichtung: selbst der Vorraum zu den Tresoren im Keller wird durch einen gläsernen Fußboden im vorderen Teil der Kassenhalle in mattes Licht getaucht. Diese außergewöhnliche Transparenz kann Wagner nur erreichen, indem er sich der fortgeschrittensten technischen Möglichkeiten seiner Zeit bedient. Statt massivem Mauerwerk verwendet er im hinteren Teil für die Innenstützen dieselben schlanken Walzeisenprofile, mit denen auch alle Decken konstruiert sind, und integriert sie in die hölzernen leichten Trennwände. Ganz unverkleidet ist die Konstruktion der Glasdächer, und zwar auch dann, wenn sie von oben gesehen werden kann, wie etwa bei den beiden Zwischenkuppeln im Gelenksraum, wo die dünne Glashaut unter ein tragendes Gerüst gehängt ist. Außen bleibt das Gebäude auf der Straßenseite einer klassischen Ordnung verpflichtet: die unteren Hälfte der Fassade ist als rustizierter Sockel ausgebildet, die Geschoße darüber als Kolossalordnung mit korinthischen Kapitellen. Auffällig im Vergleich zu den Nachbarhäusern sind freilich die besondere Feinheit der Proportion sowie die Dimension und schlichte Teilung der Fenster. Anders verhält es sich mit der Fassade des großen halbrunden Baukörpers auf der Hofseite. Hier gibt es keine Spur von Ornament, nur aufstrebende, vorspringende, glatt verputzte Pfeiler, zwischen denen sich Fenster und Parapetbänder abwechseln. Der vollständige Verzicht auf jedes Ornament ist nicht allein durch die Lage zu erklären, sind doch die Fassaden der anderen Gebäude, die in den Hof hinausgehen, durchaus ornamentiert. Man kann diese glatte Fassade als einen unbewussten Vorgriff auf das 20.Jahrhundert deuten, man sie kann aber auch – wie es der Kunsthistoriker Otto Antonia Graf in seiner Analyse getan hat – in engem Zusammenhang mit der übrigen ornamentalen Behandlung des Gebäudes sehen. Aus der vorderen, flächig durchgebildeten Fassade wölben sich dem Passanten auf Augen-
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höhe halbrunde Fensterkörbe aus Schmiedeeisen entgegen, deren Teilung die Struktur des Hoftraktes vorwegnimmt. Im Hof, wo diese Struktur schließlich selbst sichtbar wird, ist jedes Ornament überflüssig. Ähnliche Bezüge zwischen Detail und Bauform finden sich mehrfach: in den Türgriffen zum kreisförmigen Verteilerraum, deren Schraublinien die vertikale Entwicklung im Inneren erahnen lassen, oder in den Geländern der prachtvollen halbkreisförmig gewendelten Treppe. Mit diesem organischen Ansatz, und nicht durch teilweisen Verzicht aufs Ornament, gelingt Wagner der entscheidende Schritt zur Modernisation. Er überwindet damit die Stildiskussion des 19.Jahrhunderts, wo ja unterschiedliche Schmuckformen als literarischer Verweis auf historische Epochen gebraucht wurden, und – zum Beispiel bei den drei Ringstraßenbauten Rathaus, Parlament und Universität – auf praktisch identische Grundrisstypen aufgesetzt wurden. Wagners Länderbank ist insgesamt ein Bürohaus, wie man es sich auch heute nur wünschen kann: die Wegführung im Inneren ist übersichtlich und klar, die Räume gut belichtet und flexibel nutzbar; die Konstruktion ist solide und bedient sich der neuesten Technologien; das Grundstück ist optimal, aber nicht spekulativ genutzt; und schließlich ist der Bau von jener klaren, selbstverständlichen Erscheinung, von der Lampugnani spricht. Aber nach all diesem Enthusiasmus – wo sind die konkreten Regeln, die sich in gremiale oder amtliche Kontrollmechanismen umsetzen ließen? Das strukturelle innere Ordnungssystem der Länderbank ist – wie bei jedem anderen Werk der Baukunst – viel zu komplex und vor allem zu speziell, um für eine exekutierbare Verordnung zu taugen. Was bleibt, sind nicht mehr als ein paar Schlagworte: Solidität, Einfügung in den Kontext, harmonische, klare Gestaltung, und so weiter. Der Beamte, der aufgrund solcher Begriffe den politischen Willen nach einer harmonisierten Stadt zu exekutieren hätte, würde in eine Rolle gedrängt, die er nie ausfüllen kann: er erhält die letzte Verantwortung für die Qualität der Architektur, die – sofern man eine lebendige Baukultur wirklich anstrebt – nur bei den Architekten und ihren Bauherren liegen darf. Die unerträgliche Regelementierung der Baukultur auf der Basis wohlklingender Schlagworte, der Lampugnani kraft seiner Position Vorschub geleistet hat, muss ein Ende nehmen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass alle einschlägigen Versuche nicht einmal imstande sind, das Schlimmste zu verhindern: Wien verdankt ihnen – um nur einige Beispiele zu nennen – so Unsägliches wie das Marriot- und das Plaza-Hotel und den traurigen Protz der Ringstraßengalerien; in Niederösterreich ist ein populistisch verstandener Ortsbildschutz dabei, die ländliche Tradition endgültig im Kitsch zu ertränken. Eine lebendige Baukultur braucht von Politik und Verwaltung keine vorgegebenen Lösungsmuster, sondern innovative Problemstellungen: geringster Landschafts- und Energieverbrauch, ökologisch optimierte Bautechnologien. Und sie braucht vor allem Randbedingungen, in denen die formenden Kräfte - gute wie schlechte - erkennbar bleiben. Die Presse, 26.2.1994
DIE ZEIT, DER SAND UND DIE REALISIERER Gibt es ein Recht der Bewohner, den Charakter eines Stadtteils auch gegen ökonomische Vernunft zu verteidigen? Ein Beispiel für Bürgerbeteiligung: die Umgestaltung des Linzer Stadtteils Alt-Urfahr Ost. Hier lassen sich Chancen und Grenzen einer sanften Stadterneuerung erkennen. Jede Stadt existiert zweimal: zum einen als messbare Realität, als Ansammlung von Mauern und Dächern, von Straßen und Plätzen. Daneben gibt es eine andere Stadt, die nur in den Köpfen ihrer Bewohner existiert. Hier haben Häuser und Plätze einen subjektiven Wert, sind verbunden mit Erinnerungen persönlicher und kultureller Art, mit Leidenschaften und mit Ängsten. Diese subjektive Stadt ist resistent gegen die vielen kleinen, schleichenden Veränderungen, aber jeder radikale Eingriff, jeder Abbruch einer Häuserzeile, jeder etwas bedeutendere Neubau wird vorerst als ein Anschlag auf sie empfunden, und es stellt sich die Frage nach der Legitimation der
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Veränderung: Wer bestimmt eigentlich in einer Demokratie, wie eine Stadt auszusehen hat? Gibt es jenseits von Denkmal- und Ensembleschutz ein Recht der Bewohner, den Charakter, das vertraute Milieu eines Stadtteils auch gegen ökonomische Vernunft und Sachzwänge zu verteidigen? Der Wettbewerb für das Gebiet von Alt-Urfahr Ost, dessen zweite Stufe 1988 zugunsten eines Projekts von Walter Michl und Klaus Leitner entschieden wurde, hat damals nicht zuletzt wegen der Art der Bürgerbeteiligung im Wettbewerbsverfahren Aufsehen erregt. Ein knappes Viertel der stimmberechtigten Jurymitglieder waren Bewohner des von der Planung betroffenen Gebiets. Und obwohl einer dieser Juroren erklärte, auch dem Abriss seines gerade renovierten Hauses zustimmen zu wollen, falls es einer guten städtebaulichen Lösung im Wege stünde, wurde dem Verfahren mit einiger Skepsis begegnet. Die Geschichte des Areals zu beiden Seiten der Linzer Nibelungenbrücke ließ ein solches Experiment aber nur zu berechtigt erscheinen. Die Brücke selbst und zwei Bauten, die auf der Linzer Seite ein Tor zum Hauptplatz bilden, stammen aus der NS-Zeit und sind Relikte eines Plans, der eine Reihe von Monumentalbauten an den Donauufern vorgesehen hatte. Auf der Urfahrer Seite führte die Brücke zur Zerstörung des alten Ortskerns, der einer breiten Verkehrsschneise geopfert wurde, und auch das Schicksal der beiderseits angrenzenden Areale schien durch Dimension und Höhenlage der Brücke besiegelt. Aber es dauerte über dreißig Jahre, bis man sich zu einer Neuregulierung des Gebiets durchringen konnte. 1977 wurde ein Wettbewerb für ein neues Linzer Rathaus und für eine städtebauliche Gesamtlösung des Brückenkopfareals ausgeschrieben. Das Siegerprojekt von Rupert Falkner sah eine annähernd symmetrische Lösung vor, mit großen Bauten, die dem Maßstab der Brücke entsprechen, aber – um demokratisch zu wirken angesichts der als autoritär empfundenen Blöcke am gegenüberliegenden Ufer – vor jeder klaren Kontur zurückschrecken. Dem 1984 fertig gestellten Rathaus merkt man den Versuch an, durch Abtreppungen und Abrundungen im Großen wie im Kleinen jeden Eindruck von Monumentalität zu vermeiden. Trotz der klaren konstruktiven Ordnung ist so kein klarer Baukörper entstanden, sondern eine träge fließende Baumasse, die scheinbar noch nicht ganz zum Stillstand gekommen ist. Seine Bürgernähe bringt dieser Bau vor allem auf der metaphorischen Ebene zum Ausdruck: ein System von Treppen und schütter begrünten Terrassen macht das Gebäude von außen begehbar, und alle zehn Meter wölbt sich auf der Höhe des zweiten Stockwerks ein kleiner Volksrednerbalkon auf die Straße. Gegen die Verdopplung dieses Prinzips auf der anderen Seite der Brücke regte sich bald Widerstand. Sowohl die Bewohner als auch Kulturinitiativen wie die “Stadtwerkstatt”, die in einem der baufälligen Häuser ihre Heimat gefunden hatte, forderten für Alt-Urfahr-Ost eine Stadterneuerung, bei der die kleinteilige und differenzierte Nutzungsstruktur des Gebiets erhalten bleiben sollte. Hinter diesem abstrakten Begriff stand freilich mehr als der Wunsch nach bloßer Bürgerbeteiligung: es ging auch Erhaltung einer autonomen kulturellen Nische, um Selbstbestimmung und nicht zuletzt um den besonderen Charakter eines Ortes, der gerade in seiner Unvollkommenheit als Gestaltungsfreiraum erlebt wurde.
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Die Forderung nach einer sanften Stadterneuerung wurde von der Stadtverwaltung positiv aufgenommen und führte schließlich zu einem neuerlichen Wettbewerb für Alt-Urfahr. Auf eine genaue Festlegung, welche Bauten schützenswert beziehungsweise abzubrechen wären, wurde in der Ausschreibung verzichtet. Das zweistufige Verfahren erlaubte eine öffentliche Diskussion über diese Frage, noch bevor eine endgültige Entscheidung getroffen war und damit eine bessere Einbindung der von der Planung Betroffenen in den Entscheidungsprozeß. Nach der ersten Stufe standen im wesentlichen zwei Ansätze zur Disposition: zum einen das Projekt von Schremmer/Jell, das eine vollständige Erhaltung der bestehenden Substanz vorsah und mit Neubauten ans Donauufer vorrückte, und zum anderen die Projekte von Michl/Leitner und Nobl/Sackmauer, die dem Gebiet unter Einbeziehung von Teilen der alten Substanz eine neue Ordnung zu geben versuchten. In der zweiten Stufe konnte schließlich nur das Projekt von Michl und Leitner sowohl städtebaulich als auch architektonisch überzeugen: es definiert in der Verlängerung der Brücke einen klaren, städtischen Straßenraum, indem eine schon im letzten Jahrhundert begonnene Hauszeile parallel zum Rathaus bis zum eigentlichen Brückenkopf geführt wird. Das Rathaus erhält so ein angemessenes Gegenüber, während die Reste der Bebauung in Alt-Urfahr vom Verkehrslärm abgeschirmt werden. Geschickt gesetzte Durchgänge und ein teilweise transparentes Erdgeschoß stellen Verbindungen zwischen diesen klar definierten Bereichen her. Die Realisierung, wie sie sich heute dem Besucher darbietet, beweist die Richtigkeit dieses Konzepts. Noch ist das eigentliche Kopfgebäude, das ursprünglich die Graphiksammlung der Linzer Neuen Galerie hätte beherbergen sollen und schließlich – bei weitgehend unverändertem Äußeren – in das Ars Electronica Center umgewidmet wurde, im Bau. Aber die Häuserzeile, deren Abschluss das AEC bilden wird, ist fertig: eine anspruchsvolle Fassade von unruhigem Temperament, in der die architektonischen Paradigmenwechsel der letzten Jahre ablesbar sind. Bleistiftartig zugespitzte Säulen aus Stahlbeton bestimmen die Sockelzone, darüber spannt sich eine Haut aus grauem, geädertem Sandstein. Ein hell verputztes Geschoß bildet den Abschluss nach oben. Dort, wo gegenüber das Rathaus bis ganz an die Straße vortritt, wölbt sich ein Teil der Fassade in einem Kreissegment hervor, um den Straßenraum optisch zu verengen. Im Sockelbereich verschneidet sich das Segment mit einem vorgebauten Kiosk, der diesen Effekt verstärken soll. Während die Fassade eine fast a-tektonische, formale Behandlung in der Fläche erfährt, ist der Kiosk eine elementare Konstruktion im Sinn der neuen Bescheidenheit, mit verzinkten Stahlprofilen und einem Dach aus Wellblech. Fertig gestellt ist auch ein kleiner, dreigeschossiger Bau, den Michl und Leitner als Übergang zu den renovierten alten Gebäuden hinter ihre Hauszeile gestellt haben. Er ist – so wie die Rückseite der Zeile– einfach und unkapriziert gestaltet und gut proportioniert. Von der alten Substanz ist freilich weniger übrig geblieben als vorgesehen: Als Randbebauung an der Friedhofstraße und an der Schulstraße wurde nach einem Entwurf der Zweit- und Drittplazierten des Wettbewerbs statt der vorgesehenen gemischten Wohnnutzung ein gehobenes Seniorenheim realisiert , dessen in die Tiefe
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des Grundstücks hineingeführten Trakten einige ältere Gebäude – unter anderem jene der Stadtwerkstadt – weichen mussten. (Dass die Friedhofstraße den Betreibern des Seniorenheims zuliebe in Friedrichstraße umbenannt wurde, ist eine gewissermaßen amtliche Veränderung der inneren, der erinnerten Stadt.) Von der Erhaltung “gebietstypischer Milieuqualität” oder gar von innerstädtischen Freiräumen, die experimentell und autonom genutzt werden könnten, kann letztlich keine Rede sein. Auch das Café Landgraf, dessen Erhaltung eines der wichtigen Anliegen der Bürgerinitiativen war, ist, wenn schon nicht abgerissen, so doch ins 19.Jahrhundert zurückrenoviert worden. Das charakteristische Portal aus den dreißiger Jahren und die spartanische Inneneinrichtung sind verschwunden. Und so ertappe ich mich schließlich – vom anderen Donauufer nach Alt-Urfahr zurückblickend – bei dem Gedanken, man hätte doch auf die paar mittelmäßigen Häuschen, die da östlich der Brücke als Relikte der alten Bebauung übrig geblieben sind, auch noch verzichten und stattdessen parallel zur neuen Randbebauung eine zeitgemäße Lösung finden können. Aber das wäre wohl ungerecht: die Bedeutung dieser Häuser liegt weniger in ihrem Denkmalwert, sondern darin, dass sie Sand im Getriebe der schnellen Realisierer waren; dass sie Politiker und Planer gezwungen haben, sich Mühe zu geben, auch den Betroffenen zuzuhören und sich Zeit zu nehmen auf der Suche nach einer qualitätvollen Lösung. Die Presse, 12.2.1994
DER STOFF AUS DEM DIE ÖSTERREICHERWITZE SIND Über Baumeister, Architekten und den kleinen Unterschied Jetzt ist es also Gesetz: jeder Baumeister mit mindestens zehnjähriger Praxis und Maturaabschluss wird sich in Zukunft für Planungstätigkeiten im Ausland „gewerblicher Architekt“ nennen können. Im Grunde hatten die österreichischen Baumeister die Planungsbefugnis im Ausland ja schon mit der vor zwei Jahren ausgehandelten Regelung im Rahmen des EWR abgesichert. Damals hatte man angesichts der Tatsache, dass in fast allen Ländern Europas eine Universitäts- bzw. Fachhochschulausbildung für die Planungsbefugnis im Bauwesen Voraussetzung ist, darauf verzichtet, ein bestimmtes Ausbildungsniveau vorzuschreiben. Jeder in einem der Mitgliedsländer befugte Planer wird im EWR dasselbe Recht erhalten. Mit dem jetzigen Vorstoß sollte freilich der Gefahr vorgebeugt werden, dass einige europäische Länder doch noch zwischen Architektur und Bauen einen Unterschied zu machen wüssten und österreichischen Baumeistern den Zugang zu Architekturwettbewerben versperren wollten. Wie windschief die jetzt getroffene Regelung tatsächlich ist, wird klar, wenn man sie in einen anderen Kontext überträgt. Ziehen wir – wie das in den letzten Wochen ja oft genug versucht worden ist – ein Beispiel aus der Medizin zum Vergleich heran: neben den Zahnmedizinern mit Facharztausbildung gab es in Österreich bis vor nicht allzu langer Zeit Dentisten, die im Rahmen einer Lehre ausgebildet wurden und von der Plombe bis zur Prothese ähnliche Leistungen anbieten konnten wie ein Arzt. Dieser Zustand wurde abgelöst durch eine klare Arbeitsteilung zwischen dem Arzt, der eine Prothese verschreibt und dem Zahntechniker, der sie ausführt. Die jetzt getroffene Regelung im Bauwesen wäre dagegen mit folgender Analogie zu beschreiben: immer dann, wenn ein ausländischer Patient dezidiert von einem Arzt behandelt werden möchte, dann dürfen sich österreichische Dentisten eben auch als Zahnärzte ausgeben. Das ist der Stoff, aus dem in der Schweiz Österreicherwitze gemacht werden. Aber halt! Gerade in der Schweiz ist doch der Architektentitel überhaupt nicht geschützt. Und hat dieser Umstand nicht sogar auf die Nachbarn in Vorarlberg abgefärbt, wo auch Baumeister an Architekturwettbewerben teilnehmen dürfen und dabei oft genug erfolgreich sind? Warum sollten sich nicht einfach im freien Wettbewerb die Besseren durchsetzen, gleich ob sie jetzt Architekt oder Baumeister heißen? Weder die Zugehörigkeit zu einer Kammer oder zu einem Architektenbund noch die Absolvierung eines Studiums ist eine Garantie für Qualität, letztlich zählt doch nur
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die individuelle Leistung. Jede Reglementierung fördert eher das Mittelmaß als die herausragende Qualität. So hat schon Otto Wagner argumentiert, als er sich 1917 – im Feuilleton der Neuen Freien Presse – vehement gegen die Einrichtung von Architektenkammern aussprach: “Das Kunstniveau der Architektenschaft wird durch die Einrichtung von Architektenkammern zweifellos tief herabgesetzt, also die Kunst schwer geschädigt.” Und tatsächlich war die geringe Überzeugungskraft der Argumentation der Architektenkammer im öffentlichen Disput der letzten Wochen nicht zuletzt darin begründet, dass den meisten Kammerfunktionären angesichts ihrer eigenen Praxis die Schamröte ins Gesicht steigt, sobald sie das Wort Baukunst in den Mund nehmen. Aber nochmals halt! Wer redet denn hier von Kunst? Haben denn Häuser nicht vor allem zu funktionieren, müssen sie denn nicht vor allem preiswert und solide gebaut sein? Diese Punkte sind sicher zu berücksichtigen, aber um Architektur zu sein, braucht ein Gebäude weit mehr. Dabei ist eine Trennlinie zwischen Bauen und Architektur heute sicher nicht mehr so leicht festzulegen wie zu Wagners Zeiten. Wir können heute nur noch ironisch von den “Schönen Künsten” sprechen, und schon Adolf Loos hat festgestellt, dass Architektur abgesehen vom Grabmal und vom Denkmal nicht mehr zu den Künsten gehören kann, wenn diese die Zerrissenheit und Entwurzelung des modernen Menschen zu ihrem Thema machen müssen. Aber ganz sicher ist Architektur nach wie vor eine Tätigkeit, die an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technik und gesellschaftlicher Verpflichtung angesiedelt ist, und damit unterscheidet sie sich grundsätzlich vom Baugewerbe. Die jetzt per Verordnung getroffene Gleichsetzung von Begriffen, die eben nicht das gleiche bedeuten, war ein falsches Signal und wird wohl revidiert werden müssen. Die sinnvollerweise sehr unterschiedlichen Ausbildungswege von Architekten und Baumeistern sind dafür allein Grund genug. Dass wir heute angesichts der zunehmenden emotionalen und physischen Unbehaustheit des Menschen Architektur in ihrer geistigen und künstlerischen Dimension benötigen, und nicht nur in Form von Flächen und Kubaturen, sollte dabei jedoch den Ausschlag geben. Die Presse, 31.12.1993
SUITEN MIT ZEN Was hat ein kleiner Ort im südlichen Wiener Becken architektonisch schon zu bieten? Im Fall Ebreichsdorf Beachtliches: eine Wasserburg, ein Klubhaus von Hans Hollein – und seit kurzem einen den interessantesten österreichischen Hotelbau der letzten Jahre. Als die österreichischen Geldscheine noch schön anzusehen waren, zeigte einer von ihnen eine Abbildung der Semmeringbahn: vor den eindrucksvollen Gebirgsmassen der Kalkalpen kämpfte sich da eine Lok über ihre mutig in den Fels geschnittene Trasse. Karl Ritter von Ghega, dessen Porträt auf der Rückseite des Geldscheins zu bewundern war, hat im vorigen Jahrhundert beim Bau der Südbahn-Strecke der Natur den bequemen Zugang zu dieser Region abgerungen und damit den Grundstein für ihre touristische Erschließung gelegt. Die bürgerliche Kultur der Sommerfrische, die am Semmering bis zum ersten Weltkrieg hoffen durfte, Bad Ischl den Rang abzulaufen, ist längst vergangen. Und auch von der ihr eigentümlichen Wahrnehmung der Natur, die in der landschaftlichen Dramatik ihre Erfüllung suchte, sind nur noch einige Begriffe wie „Naturschauspiel“ oder „Bergkulisse“ geblieben. Ebreichsdorf, im südlichen Wiener Becken östlich von Baden gelegen, hat solche Reize von vornherein nicht zu bieten. Die Landschaft ist flach und geprägt von früher Industrialisierung: im Ort befindet sich neben der Wasserburg, die nach der Zerstörung durch die Türken Ende des sechzehnten Jahrhunderts im Renaissancestil wiederaufgebaut wurde, eines der wenigen noch erhalten großen barocken Manufakturgebäude. Wasserläufe wurden damals umgeleitet und betrieben eine Baumwollspinnerei nach englischem Vorbild und Mühlen, in denen Krapp, der rote Farbstoff zum Färben der Baumwolle, hergestellt wurde.
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Dass gerade hier der interessanteste österreichische Hotelbau der letzten Jahre entstehen konnte, ist dem Umstand zu verdanken, dass sich im Park des Ebreichsdorfer Schlosses eine der renommiertesten Golfanlagen Österreichs befindet. Der Schlossherr, Richard Drasche-Wartinberg, dessen Ahnen als Besitzer der Wienerberger Ziegelei das gründerzeitliche Wien mit Baumaterial versorgten, hat schon bei der Errichtung des Clubhauses architektonischen Anspruch bewiesen. Hans Hollein durfte ein pavillonartiges Gebäude mit fähnchengekrönten Türmen und ausladendem Holzdach entwerfen, das auf einem künstlichen Hügel sitzt, von dem aus man die Greens überblicken kann. Für das Hotelprojekt, das nach dem Erfolg des Golfplatzes 1990 in Angriff genommen wurde, suchte der Bauherr eine Lösung jenseits gängiger Klischees. Denn je mehr der Massentourismus auch exotische Ziele erfasst, die früher dem Jet-Set vorbehalten waren, umso größer werden die Chancen für qualitätvolle alternative Konzepte. Der Wiener Architekt Walter Ifsits erhielt daher den Auftrag, die Bauaufgabe “Hotel” unter den Bedingungen einer geänderten Freizeitkultur grundsätzlich zu überdenken. Einige Vorgaben waren klar: das Hotel sollte nur Suiten anbieten, also Einheiten, die aus zumindest zwei Bereichen – zum Wohnen und zum Schlafen – bestehen. Da die Anreise der Gäste vor allem mit dem eigenen Wagen erfolgen würde, war auf die besonderen Bedingungen des Parkens Rücksicht zu nehmen. Als Bauplatz wurde schließlich ein schmaler Grundstücksstreifen entlang jenes schurgeraden künstlichen Wasserlaufs festgelegt, an dem einmal die Mühlen der Baumwollmanufaktur gestanden sind. An seinen Ufern befinden sich hohe, in regelmäßigen Abständen gepflanzte Bäume. Eine Brücke verbindet das Grundstück mit dem Golfplatz auf der anderen Seite und dem Clubhaus, das in einiger Entfernung zu sehen ist. Das Konzept, das Walter Ifsits und seine Mitarbeiter Hanno Ganahl und Werner Larch entwickelten, sieht parallel zum Wasser einen gut 100 m langen linearen Baukörper vor, in dem die Suiten wie Reihenhäuser aneinandergesetzt sind. Quer dazu ist das Empfangs- und Restaurantgebäude angefügt. Haupteingang und Rezeption liegen an der Ecke der so entstehenden L-förmigen Gesamtanlage. Das Restaurant und die Suiten öffnen sich zu einer lang gestreckten Freifläche, die nach Süden von den Bäumen an der Uferkante begrenzt wird. Ungefähr in der Mitte dieser Freifläche wurde ein rechteckiger Schwimmteich angelegt, in den einige kleine Felsen so absichtsvoll-zufällig gesetzt sind wie in einem japanischen Zen-Garten.
Fotos: Rupert Steiner
Das Hotel bietet drei verschiedene Größen von Suiten an. Die kleinsten sind rund 30 m2 groß und liegen direkt an der Freifläche. Im Sommer werden ihnen hölzerne Gitterroste wie kleine Terrassen vorgelegt, um die Vorbeigehenden auf Distanz zu halten. Die nächstgrößeren Suiten sind an die 50 m2 groß und sowohl direkt vom Autoabstellplatz an der Rückseite als auch – über einige Stufen – von einem inneren Erschließungsgang aus zu erreichen, der das ganze Gebäude durchzieht. Durch die geschickte Anlage der kurzen inneren Quertreppen sind eine natürliche Belichtung und eine gute Gliederung dieses Ganges gewährleistet. Die größeren Suiten verfügen über einen kleinen Vorraum, von dem aus man über einige Stufen in den eineinhalbgeschossigen Wohnbereich mit der vorgelagerten Ter-
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rasse gelangt. Zu dieser Seite hin ist die Fassade vollständig verglast, ein weit vorspringendes Holzdach schützt den Raum vor Überwärmung und die Fassade vor Regen. Wiederum einige Stufen höher liegt die Schlafebene. Hier sorgt ein Oberlicht, das sich nach außen in charakteristischen dreiecksförmigen Dachaufbauten abzeichnet, für zusätzliche Belichtung. Ein Teil der Schlafebene und das anschließende Bad kragen beachtliche fünf Meter weit nach hinten aus und überdecken so den Autoabstellplatz. Die rückwärtige Fassade ist bis auf das Fensterband der Bäder und schmale Lichtschlitze im unteren Geschoß geschlossen. Einmal wird die Abfolge der Wohneinheiten unterbrochen, um eine zusätzliche Verbindung vom Innengang ins Freie zu schaffen und damit den Weg von den oberen Suiten zum Schwimmteich nicht zu lang werden zu lassen. Diese Unterbrechung wird zugleich genutzt, um die Enden der lange Horizontalen durch eine Erhöhung um ein weiteres Geschoß zu akzentuieren. Hier befinden sich jeweils die Luxusuiten des Hotels, die über einen weiteren Wohnraum und eigene Dachterrassen verfügen. Die Suiten sind Großteil komfortabel eingerichtet. Jede Suite sollte einen eigenständigen Charakter erhalten. Dieser Ansatz ist einem standardisierten Konzept sicher vorzuziehen und hat überdies den Vorteil einer größeren Entwicklungsfähigkeit. Dass die eine oder andere Suite dabei von einer Innenarchitektin eine Ausstattung verpasst bekommen hat, die – um es dezent zu formulieren – den besonderen Effekt über die architektonische Qualität stellt, lässt sich da verschmerzen und wird sich vielleicht durch das Spiel von Angebot und Nachfrage von selbst regeln. Wer von seiner Suite in den Speisesaal möchte, gelangt über den inneren Erschließungsgang zuerst ins Foyer, dessen Eckverglasung über die volle Gebäudehöhe geführt ist. In die Achse des Erschließungsgangs ist hier ein raumhoher Rahmen aus Stahlbeton gesetzt, der eine Art großes Eingangstor bildet. Er trägt zugleich das Dach, das sich weit in den Vorplatz hinausschiebt. So sehr der Wunsch nach einem Element mit besonderer Signalqualität an dieser Stelle verständlich ist, so wenig kann die gewählte Lösung in der Gesamtstruktur der Anlage befriedigen. Es wäre klüger gewesen, diesen Foyerraum nicht so sehr als Kopfelement des Suitentraktes, sondern mehr als Gelenk zwischen den beiden orthogonal zueinander stehenden Bauteilen auszubilden. Er hätte damit automatisch das richtige Maß bekommen, während er sich jetzt mit viel zu großen Geste zu einem Vorbereich öffnet, der zu dieser noch dazu ein bisschen aufgesetzt wirkenden Grandezza einfach in keinem Verhältnis steht. Der innovativen Qualität des Hotels kann das aber nicht wirklich etwas anhaben. Der Besucher wird sich vor allem an der Großzügigkeit der Suiten erfreuen, am Ausblick, den er von seinem Bett genießen kann und am Restaurant, in dem man angeblich so gut isst, wie es von der Gestaltung her gelungen erscheint. Der Freiraum zwischen den Suiten und dem Wasserlauf hat überdies durch die poetische Gegenübersetzung von gebauter und natürlicher Umwelt einen eigentümlichen, kontemplativen Charakter – ein Raum für Ebenenstürmer und erfolgreiche Träumer. Die Presse, 24.12.1993
LEICHT IST SCHWER ZU MACHEN Die höchst komplizierte Kunst des Einfachen: Johannes Spalt und Aneta Bulant planen die Landesrettungszentrale des Roten Kreuzes in Salzburg Die Landesrettungszentrale des Roten Kreuzes in der Salzburger Sterneckstraße wird eine Vielzahl von Funktionen zu beherbergen haben: Aufenthaltsräume für die Rettungsmannschaften, eine Ordination, ein Schulungszentrum, einige Wohnungen, eine Funkleitstelle und die Garagen für sechzig Rettungsfahrzeuge. Zusätzlich soll – zur leichteren Finanzierung des Baus – ein großes Geschäftslokal für das benachbarte Autohaus integriert werden. In der Regel sind Architekten über eine solche Vielfalt von Funktionen gar nicht unglücklich. Folgt man der Gleichung “Form follows Function”, ergibt sich aus einer
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größeren Anzahl von Funktionen zugleich ein größerer formaler Reichtum: die Funktionen können ihren jeweils eigenständigen Ausdruck erhalten und dann zu einer größeren Komposition zusammengefügt werden. (Und je heterogener die Funktionen, desto interessanter wird nach dieser Gleichung das Gebäude.) Johannes Spalt und Aneta Bulant, die nach einem gewonnenen Gutachterverfahren ihr überarbeitetes Projekt der Öffentlichkeit vorstellen konnten, sind offensichtlich einen anderen Weg gegangen. Sie entwarfen einen schlichten U-förmigen Bau, der einen Hof umschließt. Zur stark befahrenen Sterneckstraße liegen ebenerdig die Geschäftsräume, darüber die Verwaltung der verschiedenen Einrichtungen des Roten Kreuzes und in einem Dachaufbau die Räume der Funkleitstelle. Im quer dazu liegenden Trakt an der Dr.Karl-Renner Straße befinden sich der Haupteingang mit einem kleinen Wartebereich und die Bereitschaftsräume, darüber die Schulungsräume, denen hofseitig als Pausenzone ein kleiner Erker vorgelagert ist, und die Wohnungen. Im dritten, am wenigsten vom Verkehrslärm belasteten Flügel liegen die Ruheräume für die Einsatzmannschaften.
Angesichts dieser einfachen und wie selbstverständlich wirkenden Lösung könnte man glauben, die Architekten hätten sich ihre Sache leicht gemacht. Tatsächlich ist es mit dem Verzicht auf oberflächliche Effekte allein nicht getan: Die Schwierigkeit besteht darin, Einfachheit nicht in Banalität kippen zu lassen. Im konkreten Fall ist dieses Problem dadurch gelöst, dass jeder Bereich das richtige Maß hat und dass sich die verschiedenen Bereiche nicht bloß addieren, sondern in ihrer Wirkung verstärken. So gibt es einen zwar kleinen, aber gut proportionierten Eingangsraum, der durch seine Verglasung zum Hof durchlässig und damit großzügig wirkt. Nach demselben Prinzip erfolgt die Erschließung der Räume in den oberen Geschoßen über schmale Gänge, die aber an der Hofseite entlanglaufen und so nicht eng wirken, da sie räumlich den gesamten Hof miteinbeziehen. Und trotz der ruhigen Erscheinung des Baukörpers sind die Geschoße nicht einfach übereinander gestapelte Ebenen: durch ein geschicktes Spiel mit Niveaus gelingt es, den Vortragsräumen des Schulungszentrums eine angemessene Höhe zu geben. Schon allein wegen dieser Qualitäten hätte der Entwurf Beachtung verdient. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man jedoch eine Reihe von bewussten Störungen der Einfachheit und absichtliche Inkonsequenzen, die neugierig machen. Offensichtlich ist der Bau symmetrisch und hat eine Hauptachse, die hofseitig durch den Erker markiert wird. Aber wieso sitzt die Funkleitzentrale dann auf dem Trakt, der zur Sterneckstraße orientiert ist und schafft dort jenen erhöhten Mittelteil, den man sich nach den klassischen Kompositionsregeln doch in der Hauptachse erwartet hätte? Und hätte die Asymmetrie der beiden Erschließungstürme nicht mit ein paar simplen Maßnahmen vermieden werden können? Mehrdeutigkeit und Unschärfe sind offensichtlich ein Prinzip dieses Entwurfs: Auch die Fenster sind scheinbar auf die elementarsten Formen – Kreis und Quadrat – reduziert; aber das quadratische Fenster tritt sowohl als selbständige Öffnung in der Wand als auch in einer rhythmischen Aneinanderreihung auf, in der es als Teil eines über die ganze Länge der Fassade laufenden Fensterbandes lesbar ist.
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Der Entwurf, der auf den ersten Blick eher die Qualitäten der anonymen, im besten Sinne baumeisterlichen Tradition besitzt – und das wäre heutzutage schon keine geringe Leistung –, knüpft damit geistig an das Werk Josef Franks an. Johannes Spalt hat diesen frühen Kritiker des “Internationalen Stils” und seine Theorie des Akzidentismus ja für die erste Generation der österreichischen Nachkriegsmoderne wiederentdeckt. Dieselbe Leichtigkeit, die den Charakter von Franks Entwürfen ausmacht, ist auch in der Salzburger Rot-Kreuz-Station zu spüren. Und diese Leichtigkeit ist, wie ich glaube, ein Maßstab für die Tragfähigkeit aller formal und technologisch vielleicht in eine ganz andere Richtung tendierenden Versuche, die Verkrampfung von Postmoderne und Dekonstruktion hinter sich zu lassen. Die Presse, 20.11.1993
PRÄDIKAT: ORGANISCH Die Fassade: Kunststoff, Aluminium, Glas. Die Tragkonstruktion: Stahlbeton. Das Wohnhaus der Architekten Martha Schreieck und Dieter Henke ist dennoch ein organischer Bau. “Die gerade Linie”, so predigt uns Friedensreich Hundertwasser, der größte Architekt unter Österreichs Kunstmalern, “ist gottlos.” Sein Haus in der Löwenstraße, nach diesem Prinzip erbaut, ist entsprechend krumm und schief und überladen mit inszenierten Zufälligkeiten. Weil auf seinem Dach außerdem ein wenig Gras sprießt, gilt es vielen als Musterbeispiel für eine lebendige, für eine “organische” Architektur. Das Wohnhaus im siebzehnten Bezirk in der Frauenfelderstraße, von dem hier die Rede sein soll, ist offensichtlich am anderen Ende des architektonischen Spektrums angesiedelt. Seine Fassade besteht aus Glas, Aluminium und Kunststoff, seine Tragkonstruktion aus Stahlbeton. Es baut auf einer äußerst exakten Geometrie auf, in der bis auf wenige Ausnahmen nur gerade Linien zu entdecken sind. Und trotzdem verdient dieses Haus das Prädikat “organisch” in einem unvergleichlich höheren Ausmaß als die Touristenattraktion in der Löwenstraße. Organisch ist zunächst einmal die Einbindung des Hauses in seine Umgebung. Die Architekten Martha Schreieck und Dieter Henke haben ein Eckgrundstück mit zwei sehr unterschiedlichen Straßenfronten vorgefunden. Der kürzere, nach Westen orientierte Flügel an der Kainzgasse schließt an eine reichlich triste Bebauung aus den 70er Jahren an, die auch den Innenhof des Baublocks prägt, und blickt auf den Fußballplatz des Wiener Sportklubs. Da es hier kein direktes Gegenüber gibt, bietet sich aus den oberen Geschoßen ein großzügiger Blick auf die Hänge des Wienerwalds. Der andere Flügel in der Frauenfelderstraße ist nach Süden orientiert und grenzt an einen viergeschossigen Bau aus dem vorigen Jahrhundert. Der Straßenraum ist hier etwas breiter als in den gründerzeitlichen Wiener Stadterweiterungen üblich, da die Häuserzeilen Vorgärten besitzen. Die Architekten haben aus dieser Situation einige Anforderungen abgeleitet: Zum schlecht belichteten und unattraktiven Hof sollten möglichst keine Aufenthaltsräume orientiert werden. Alle Wohnungen sollten Querlüftung erhalten und Aus- und Durchblick in mehrere Richtungen. Henke und Schreieck schlugen daher für den kürzeren Flügel durchgängige Geschoßwohnungen und für den längeren Flügel Nord-Süd-orientierte zweigeschossige Maisonetten vor, die mit ihren hohen Räumen den Maßstab des benachbarten Altbaus aufnehmen. Zwischen die beiden Bauteile setzten sie eine Treppe, von der aus die Wohnungen über offene Laubengänge erschlossen werden.
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Fotos: Spiluttini
Ein solches Konzept eines Laubenganghauses mit Maisonetten ist an sich nichts Neues. Außergewöhnlich ist jedoch die geglückte Verbindung einer Vielzahl verschiedener Wohnungstypen – es gibt bei 34 Wohnungen 10 verschiedene Typen – mit einem äußerst raffinierten Erschließungssystem. Anstelle eines Treppenhauses öffnet sich ein Spalt zwischen den beiden Bauteilen, in dem die Treppe nach oben geführt ist. Vom Straßenniveau aus gelangt man über einen breiten, geraden Treppenlauf ein Stockwerk höher auf das begrünte Dach der Hofüberbauung und von dort weiter über eine zweiläufige, schmälere Treppe zu den Laubengängen der einzelnen Geschoße. Ein solches Konzept hat sicher Nachteile: trotz der leichten, eleganten Glasdächer, die sowohl Treppe als auch Laubengänge schützen, kann einen ein ordentlicher Sommerregen auch im 4.Stock überraschen und im Winter wird hier mehr als einmal Flugschnee liegen. Aber dafür hat jede Wohnung ihre eigene Türe ins Freie, was besonders die Maisonetten wie eigene, kleine Häuser wirken lässt. Außerdem braucht es nur einen einzigen Lift für alle Bewohner des Hauses und ein einziges Haupttreppenhaus, das mit seinen verbreiterten Podesten zu einer zwanglosen Kontaktzone wird. Für die Erschließung des längeren Flügels mit den Maisonetten sind insgesamt nur vier Zugangsebenen erforderlich: eine für die Garconnieren im Parterre, zwei weitere für die darüber liegenden Maisonetten und schließlich eine für das Dachgeschoß. Statt hier einfach Laubengänge übereinander zu stapeln, haben die Architekten – wie im Schnitt zu erkennen ist – jeder Zugangsebene eine charakteristische Ausformung gegeben. Im Parterre gelangt man über einen breiten, nur teilweise überdeckten und damit ausreichend von oben belichteten Korridor zu den einzelnen Wohnungen. Eine Wand aus alten Ziegeln und ein breiter Grünstreifen, in dem Farne gepflanzt sind, begleiten diesen Zugang. Im ersten Stock geht man auf dem Dach der
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Hofüberbauung auf einem mit Granitplatten belegten Weg, von dem Brücken zu den Maisonetten abzweigen. Der nächste Laubengang ist erst wieder im dritten Stock nötig: er ruht auf schlanken Stützen, die vom Erdgeschoß nach oben wachsen. Im obersten Geschoß schließlich ist der Zugang auf das Dach des Baukörpers gelegt. Alle diese versetzten Erschließungswege werden am Ende wieder in einer Fluchttreppe zusammengeführt. Um den engen Lichthof des Nachbarhauses nicht mit einer Feuermauer abzuschließen, sondern ihm weiterhin Licht und Luft zu geben, haben Henke und Schreieck hier einen weniger tiefen Sondertyp von Maisonette, der genau mit dem Nachbarhaus abschließt, entwickelt und dafür auf etwas Kubatur verzichtet . (Da braucht man freilich einen Bauherrn, der eine solche Entscheidung mitträgt, und der stand in der ÖBV-Immobiliengesellschaft zur Verfügung. Johann Hauf, als Generaldirektor der ÖBV Initiator für das Projekt und den vorangegangenen Wettbewerb, hat eine ebenso einfache wie schlüssige Formel ausgegeben: “Nicht die maximale, sondern die optimale Ausnutzung ist wichtig!” Allein dafür hat er sich den Bauherrenpreis, der seiner Gesellschaft heuer für das Haus zugesprochen wurde, verdient. ) Wer respektvolles Bauen im Kontext in dieser Art auffasst, kann auf formale Angleichungen bei Fassaden und Wohnungstypologien getrost verzichten. Alle Wohnungen haben freie Grundrisse, die sich durch Schiebewände verändern lassen. Türen gibt es nur zu den Kinderzimmern. Die Fenster gehen ausnahmslos bis zum Boden, Innenräume und vorgelagerte Außenräume gehen stufenlos ineinander über. Bei den eingeschossigen Wohnungen zur Kainzgasse müssen Jalousien und Vorhänge vor neugierigen Blicken der Passanten schützen. Den Maisonetten sind dagegen tiefe, über zwei Geschoße reichende Loggien vorgelagert, die sich durch gut vier Meter hohe, verschiebbare Aluminiumrahmen mit horizontal verstellbaren Lamellen fast völlig abschließen lassen. Obwohl sie auf den ersten Blick so gar nicht in die Welt der verputzten Ziegelmauern rundum zu gehören scheint, gelingt dieser Fassade ein spannungsvoller Dialog mit der Umgebung: die Loggien sind die Wiederholung des Vorgartens im nächst kleineren Maßstab, und die Aluminiumrahmen können es in Dimension und Proportion mit der Fassade des gründerzeitlichen Nachbarhauses aufnehmen. Was soll nun an diesem Haus organisch sein? Sicher nicht die Form. Aber schon wenn man die Fassade etwas länger beobachtet, das Spiel des Lichts auf den verschiedenen Materialien verfolgt, beginnt das Haus lebendig zu werden. Die Fassade ist nicht nur formal überzeugend, sondern auch ein Instrument für die Bewohner, mit dem sie ihre Beziehung zur Außenwelt von völliger Offenheit bis zur Abkapselung regulieren können. Dasselbe Prinzip gilt auch in den Wohnungen, die sich durch ihre verschiebbaren Trennwände an unterschiedliche Lebensbedürfnisse anpassen lassen. Das Haus ist nicht nur funktionell, sondern auch ein ästhetisches und nicht zuletzt ein intellektuelles Vergnügen für den, der nachzuvollziehen versucht, wie hier aus für sich genommen einfachsten Elementen eine äußerst komplexes, stimmiges Ganzes entstanden ist, das sicher zu den Marksteinen zumindest der österreichischen Architektur der 90er Jahre gehören wird. Henke und Schreieck haben bei Roland Rainer studiert und von ihm den klaren Blick für die eigentlichen architektonischen Ausdrucksmittel jenseits oberflächlicher Formalismen vermittelt bekommen. Sie haben ein bis zum Äußersten kultiviertes Gebäude geschaffen, und schon allein deswegen ist kaum anzunehmen, dass sich die Touristenbusse bald in der Frauenfelderstraße stauen werden. Aber, wer weiß? Vielleicht ist es ja Zeit für eine neue Schlagzeile: “Hundertwasser out! Neue Attraktion im Wiener Wohnbau.”
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Die Presse, 9.10.1993
IM STILE UNSERER ZEIT Die Erste Österreichischen Sparcasse - Bank am Wiener Graben wurde nach einem Umbau offiziell wiedereröffnet. Die Neugestaltung wirft die Frage auf, wozu wir eigentlich noch Architektur brauchen. Die Beziehung zwischen den Banken und der Masse ihres Publikums hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Aus “Bankbeamten” wurden Banker, aus “Sparern” Kunden, und die wollen nicht von einem Kassier, sondern von einem Berater bedient werden. Diese Wandlung im Bankgeschäft ist nicht ohne Auswirkungen auf das Erscheinungsbild geblieben: die Schalterhalle als zentraler Kontaktpunkt zum Kunden wurde offener, Beratungsinseln traten an die Stelle von Pultformationen und sollen die Möglichkeit zum intensiven Kundengespräch bieten. Die Erste Österreichische hat in ihrem 1835 erbauten Stammhaus am Graben, einem klassizistischen Bau von Alois Pichl, erstmals 1972 auf diese neuen Bedingungen reagiert. Roland Rainer verwandelte das Erdgeschoß des Hauses in einen Großraum, ersetzte das Glasdach des Innenhofes durch eine Betonplatte und fasste den Raum durch eine Rasterdecke aus stählernen Gitterrosten und einen grauen Granitboden zusammen. Vor den Haupteingang setzte er eine schwarze Stahlkonstruktion, die sich als schwebendes Vordach in den Straßenraum schob. Diese im Umgang mit dem Bestand zwar alles andere als sensible, aber zumindest in sich schlüssige Lösung hatte nur kurzen Bestand. Im Inneren machte sich bald standardisiertes Büromobiliar breit, die schwarze Platte des Vordachs musste Anfang der achtziger Jahre der ersten Welle der Postmoderne weichen und wurde schamhaft entfernt. Als kleinere Umbauten in der Folge ohne befriedigendes Ergebnis blieben, war es 1991 endlich Zeit für die große Lösung. Die Beratungsfirma Suter + Suter erstellte ein Vorkonzept. Ein geladener Wettbewerb wurde veranstaltet. Der Entwurf von Franz Fehringer erhielt den Zuschlag. Was macht nun den Reiz dieses Entwurfs aus? Lassen wir den Architekten selbst zu Wort kommen: “Beim jetzigen Umbau wurde versucht, die Formensprache des Biedermeier aufzugreifen und im Geiste und mit den Materialien unserer Zeit abzuhandeln. Der Innenhof mit dem Oberlicht wurde wieder eingeführt. Die historische Stiege wurde wiederhergestellt, die Kabine des historischen Liftes blieb als Exponat erhalten und die altehrwürdige Marienstatue erhielt ihren angestammten Platz. Durch die Verwendung wertvoller Materialien (Granit-Rosso Multicolor, Himalaya Blue; Marmor - Rosa Portogalo; Säulen aus Stukkolustro; Messing und für die Einrichtung Birne) wird versucht, eine gediegene Atmosphäre zu vermitteln.” Nun gibt es in der Architektur ein unerbittliches Gesetz: Jede Fälschung bringt auch das Echte in Verruf. Wenn sich wie hier aus Birnenholzpulten kunststoffbeschichtete Quader hervorschieben, deren Oberfläche nach dunklem Stein aussieht, und dann zur Krönung noch ein Messingknopf vorn draufgesetzt wird, dann beginnt auch der Marmor rundum nach Talmi auszusehen. Und wenn an einem Geländer klassizistische Blumengirlanden durch plumpe Messingringe nachempfunden werden, dann wirkt auch die echte klassizistische Treppe daneben wie ein billiger Nachbau.
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Man kann dem Vorstand der Ersten, der sich für diesen Entwurf entschieden hat, im Grunde keinen Vorwurf machen. Die Atmosphäre der neuen Halle wird von Mitarbeitern und Publikum äußerst positiv aufgenommen. Besser als jeder Architekturkritiker haben die Bauherren den architektonischen Stil unserer Zeit erkannt: er ist nach außen hin konservativ, aber ohne tieferes Verständnis für die Leistungen der Vergangenheit; aus grundsätzlichem Misstrauen gegenüber der eigenen kulturellen Potenz scheut er jedes Risiko; Architektur ist für ihn keine geistige oder gar künstlerische Disziplin, sondern Werkzeug zur Erzielung oberflächlichen Effekts. Die international und in Wien ganz besonders zerfahrene Architekturdiskussion der letzten Jahre hat das ihre zu dieser Haltung beigetragen: die Entscheidung für eine Architektur, die ihren kulturellen Auftrag ernst nimmt, verlangt heute offenbar mehr Mut, als man von einem institutionellen Bauherren verlangen darf. Mit der sparsamen, klaren Ordnung seiner Fassade gehört das Stammhaus der Ersten zu den schönsten Gebäuden am Wiener Graben. Der Umbau in seinem Inneren beweist, dass sich unsere Zeit mit ihrem Überfluss nichts Rechtes anzufangen weiß. Wir werden auf härtere Zeiten mit knapperen Budgets warten müssen: wenn es darum geht, mit sparsamen Mitteln Qualität zu erreichen, dann ist Architektur vielleicht wieder ein Thema, Die Presse, 30.1.1993
WOHIN MIT DEM FAHRBAREN HAUS? Die Quadratur des Kreises: Zwei neue Großsiedlungen in Simmering und Aspern Stadtplanung ist stets auf der Suche nach der Quadratur des Kreises: sie muss so viel festlegen, wie nötig ist, um eine geordnete Entwicklung zu ermöglichen, und dabei so flexibel bleiben, dass in Zukunft auch neue, unvorhersehbare Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Architekten und Politiker neigen bei dieser Gratwanderung naturgemäß zur Überregulierung: detaillierte und konkrete Vorgaben scheinen auf den ersten Blick fasslicher und besser kalkulierbar zu sein als abstrakte, aber dafür dynamische Vorgaben für die vielfältigen Prozesse der Stadtentwicklung. Angesichts von Prognosen einer stagnierenden Bevölkerungszahl hatten derartige Überlegungen in Wien bis vor kurzem eher theoretischen Charakter. Getrost konnte man sich hier in den achtziger Jahren auf die Stadterneuerung konzentrieren, die durch eine maßvolle Stadterweiterung in maßvoller Dichte (und leider oft ebensolcher Qualität) ergänzt wurde. Geänderte Wohnbedürfnisse und vor allem die jüngsten geopolitischen Umbrüche machen jedoch Stadterweiterung in größerem Ausmaß notwendig: die Bevölkerung Wiens wuchs zuletzt um dreißigtausend Personen pro Jahr, bis zum Jahr 2010 sollen allein im geförderten Wohnbau 120000 neue Wohnungen entstehen. Im vergangenen Frühjahr wurde unter der Leitung von Ottokar Uhl ein ,,Beirat für die Stadtentwicklungsgebiete'' eingesetzt, um zusammen mit den Referenten des Magistrats sowohl allgemeine planerische Leitlinien als auch Empfehlungen für die einzelnen Gebiete zu erarbeiten. Uhls knappe Definition einer unseren Problemen angemessenen Stadtplanung lautet: ,,Nicht alles wird bis zum letzten Detail geplant, sondern immer nur das gerade Nötigste und so geht es Schritt für Schritt weiter mit dem nur gerade Nötigsten.'' Stadtplanung ohne Visionen also? Nicht ganz: ,,Das
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Nötigste für das Planungs-Bau-Handeln ist, dass das Ganze als Ziel nicht verloren geht.''
So viel zur Theorie. In der ersten großen Realisierung, der Siedlung am Simmeringer Leberweg, wo schon Anfang 1994 auf der Basis einer Planung aus den frühen achtziger Jahren mit dem Bau von 4000 Wohnungen begonnen werden soll, wird von solchen Ideen freilich nichts zu spüren sein. Hier gibt es im wesentlichen nur eine einzige Wohnform, die sich als Wiederaufnahme der Superblocks der Zwischenkriegszeit versteht. Die Blocks sind hier zu beiden Seiten einer im Halbkreis geführten Straße angeordnet, die offensichtlich von der Wiener Ringstraße inspiriert ist und einen Grünraum mit Schule und Seelsorgezentrum umschließt. Der städtebauliche Ansatz ist ebenso naiv metaphorisch wie er im Detail – etwa in den platzartigen Erweiterungen der Ringstraße – schlecht gemacht ist. Hier ist tatsächlich alles bis zum bitteren Ende geplant, die einzelnen Bauabschnitte müssen nur noch in bewährter Weise tranchiert und verwertet werden. Das Urteil über diese Planung ist dabei längst gesprochen und stammt dabei von einem, auf den sich deren Verfasser nur zu gern berufen würden: ,,Die so beliebten Schlagworte von Heimatkunst, Einfügen in das Stadtbild, Gemüt im Stadtbilde etc. in dem Sinne, wie sie von Personen ausgesprochen werden, welche die Kunst nur aus Lehrbüchern kennen und beurteilen, sind nichts als Phrasen, an die sich diese Personen klammern, weil sie der Großstadtbaufrage ratlos gegenüber stehen'', schreibt Otto Wagner im Jahr 1911. Sein eigener Plan für den 22.Wiener Gemeindebezirk als Teil einer ,,Unbegrenzten Großstadt'' sieht ebenfalls Blockrandbebauung vor, aber in einem orthogonalen Raster, der sich nicht aus formalistischen Absichten ergibt, sondern aus der ,,peinlichsten Erfüllung des Zweckes''. Die Uniformität seiner Großstadt – die durch künstlerisches Bemühen im besten Fall zur Monumentalität erhoben werden könne – ist für Wagner die logische Folge der Uniformität der Wohnbauten. Das hat sich heute geändert: Eine städtische Ordnung, die der Vielfalt unserer heutigen Wohn-, Fortbewegungs- und Kommunikationsformen gerecht werden will, kann nicht mehr auf die Uniformität ihrer Elemente zählen und sie daher auch zu keinem monumentalen Ganzen mehr verbinden. Hier – und nicht in der Uniformität an sich – liegt der Grund für unsere intuitive Ablehnung eines Modells der Stadterweiterung, wie Wagner sie für seine Zeit vorgeschlagen hat. Dass die Zukunft der Stadt anders aussehen könnte, hat Wagner zumindest geahnt: Im selben Text spricht er von Entwicklungen, die vieles hervorbringen würden, von dem seine Zeit noch kaum eine Vorstellung besitze, ,,so etwa das fahrbare Haus oder das zusammenstellbare Haus auf von der Stadtverwaltung gemietetem Gelände''. Müssen wir also die Idee einer einprägsamen Stadtgestalt, die stets mehr ist als die Summe ihrer Teile, aufgeben, oder gibt es neue Wege, sie jenseits des monumentalen „großen Ganzen“ zu entwickeln? Auf diese Frage versucht Rüdiger Lainers städtebauliches Projekt für das ehemalige Asperner Flugfeld eine Antwort zu geben.
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Auf einer Fläche, die annähernd der Innenstadt innerhalb des Rings entspricht, sollen hier 4000 Wohnungen und ein Gewerbegebiet entstehen. Der Plan, der auf den ersten Blick wie ein zufälliges Muster aussieht, basiert auf der klug kalkulierten Überlagerung mehrerer Regulierungssysteme. Da ist zum einen das Straßennetz für den Individualverkehr, das im wesentlichen orthogonal geführt ist und 16 Sammelgaragen versorgt, die in einem Rastersystem angeordnet sind. Das zweite System entsteht durch sogenannte Sichtachsen, die – schräg über das Gelände geführt – von Bebauung frei bleiben sollen. Das dritte System wird von den wesentlichen öffentlichen Bereichen gebildet: von der Schnellbahnstation im Norden führt eine Verbindung, an der vor allem Zentrumsfunktionen angelagert werden sollen, zu einem langgestreckten Grünbereich, der das Gelände von Westen nach Osten durchzieht. Für die Wohnbebauung werden Felder ausgewiesen, die nicht aufgrund von Fluchtlinien, sondern nach bestimmten Regeln – hinsichtlich Dichte, Höhenentwicklung und Charakter der Übergangszonen zu den benachbarten Feldern – zu bebauen sind. Im letzten Ordnungssystem, den ,,Definitionspunkten'', die künstlerischen, spirituellen und sozialen Ausdruck ermöglichen sollen – ihre Funktion ist beschrieben als ,,der Weg zur Transzendenz, für den ders will'' – kippt das Projekt dann in einen unnötigen Formalismus. Denn hier verlangt ausschließlich die formale Komposition aus Linie und Fläche nach dem krönenden Punkt; die Transzendenz wird sich für eine derartige Einweisung in Reservate freilich schön bedanken. Der größte Gewinn dieses Projekts ist sicherlich, dass es alle Beteiligten, von den Behörden über die Architekten bis zu den Bauträgern, zum Hinterfragen des Selbstverständlichen zwingt. Nach einer ursprünglichen reflexartigen Ablehnung scheinen auch hier die Dinge in Bewegung zu kommen. Damit wird man in den nächsten Jahren beobachten können, ob eine derart offene Planung im Chaos endet oder sich zu jenem selbstregulierenden Organismus entwickelt, von dem ihre Proponenten träumen.
Die Presse, 14.11.1992
NUR EIN TÜRSCHILD Das neue Domizil der Generali Foundation in Wien-Wieden verzichtet auf vordergründige Effekte Vor rund vier Jahren übertrug die Versicherungsgruppe EA-Generali ihre Aktivitäten zur Förderung zeitgenössischer, bildender Kunst an einen eigens geschaffenen Verein, die EA-Generali Foundation. Von einem engagierten Vorstand geführt, baut diese Stiftung unter anderem schwerpunktmäßig eine Sammlung österreichischer Skulptur auf und ist in diesem Bereich mit Publikationen und Ausstellungen aktiv. Neben einer großzügigen finanziellen Ausstattung erhielt sie zu Beginn ihrer Tätigkeit auch das Versprechen, nicht auf Dauer in der dritten Etage eines Bürohauses am Bauernmarkt logieren und für größere Ausstellungen externe Räume - wie zuletzt zweimal die Secession - anmieten zu müssen. Ein Haus, das die Versicherung eigentlich nur in der Absicht erworben hatte, Büroraum zu schaffen, bot schließlich Gelegenheit, dieses Versprechen einzulösen: die ehemalige Habig-Hutfabrik in einem Innenhof zwischen Wiedner Hauptstraße und Frankenberggasse, kaum fünf Gehminuten von Secession, Künstlerhaus und Kunsthalle entfernt. Eine bestehende shedgedeckte Halle auf trapezförmigem Grundriss, deren Reiz vor allem darin bestand, dass sie für einen gänzlich anderen Zweck errichtet und damit unverdächtig war, die ausgestellte Kunst domestizieren zu wollen, versprach rund 700 m2 Ausstellungsfläche. Der an die Halle angrenzende, aber 3 Meter höher gelegene Garten mit altem Baumbestand erschien für die Aufstel-
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lung von Teilen der Skulpturensammlung prädestiniert. Ende 1990 wurde die Entscheidung zu Gunsten der Generali-Foundation getroffen.
Deren Vorstand kam nun mit den Architekten ins Gespräch, die bereits den Umbau des Objekts für Bürozwecke zu planen begonnen hatten. Die Qualität dieses Entwurfs ermutigte die Auftraggeber zum Verzicht auf die sichere Werbewirkung, die mit der Beauftragung eines großen Namens der heimischen Architekturszene verbunden gewesen wäre: Die jungen Architekten Christian Jabornegg und Andras Palffy wurden zusammen mit Georg Schönfeld mit der weiteren Planung betraut. Am kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellten Projekt, das bis Ende 1994 realisiert sein soll, fällt zunächst der Verzicht auf große Gesten auf: Die Verkaufsräume der Hutfabrik an der Front zur Wiedner Hauptstraße, die ein repräsentatives Foyer hätten abgeben können, werden wieder einer kommerziellen Nutzung zugeführt, der Eingang in die Ausstellungsräume erfolgt daneben durch die alte Einfahrt. Nach außen hin wird – abgesehen von einem zusätzlichen Türschild am Haus Wiedner Hauptstraße 15 – alles beim alten bleiben. Dieses Understatement hat seinen guten Grund: Die oberflächlichen Effekte, mit denen ähnliche Institutionen oft auf sich aufmerksam machen, sind ja stets auch Auftakt für die Musealisierung der ausgestellten Objekte. (Man denke nur an die vergoldete Kugel, die über dem Eingang zum Kunstforum auf der Freyung klebt, oder an jenes Fenster, das sich vor dem Museum für angewandte Kunst samt Sockel und Mauerwerk auf den Weg in den Straßenraum gemacht hat.) Understatement allein ist freilich noch keine architektonische Haltung. Nachdem sich die bestehende Halle als unbrauchbar für eine Kunstsammlung herausgestellt hatte, galt es, eine neue Konstruktion zwischen die erhaltenen Mauern einzupassen. Für die Architekten stellte sich die Frage, wie eine Museumsarchitektur beschaffen sein soll, in der die Objekte durch den Akt des Sammelns und Ausstellens nicht ihrer Eigenständigkeit beraubt werden. Eine mögliche Antwort ist die völlige Neutralität, wie sie die nahe Kunsthalle am Karlsplatz vorexerziert. Deren Ausstellungsraum ist funktionell wie das Innere eines Kühlschranks und etwa genauso inspirierend. Trotz aller radikalen Gestik bleibt die Kunsthalle dabei doch recht wienerisch bequem: Der Container, der als hermetisches Objekt durchaus beeindrucken könnte, wird durch das Brückenrohr und durch den ausproportionierten Glaspavillon, der an der Eingangsseite vermittelnd vor ihm schwebt und das obligate Kaffeehaus beherbergt, seiner Wirkung beraubt. Auch beim Projekt für die Generali-Foundation wird, der Intention entsprechend, die ausgestellte Kunst nicht zu entschärfen, auf jede weihevolle Umrahmung verzichtet. Aber die Architekten haben hier im Wechselspiel von Verdichten und Entspannen des Raumes, das der Besucher bei der Bewegung erleben wird, ein eigenes Thema gefunden, das sich organisch aus den Bedingungen des Orts entwickelt.
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Der lang gestreckte Durchgang von der Wiedner Hauptstraße führt in einen durch ein Oberlicht erhellten Vorraum, der die Trapezform der eigentlichen Ausstellungshalle vorwegnimmt und den Besucher ins Foyer umlenkt. Hier wird die aus statischen Gründen notwendige Auswechslung einer Mittelmauer benutzt, um die Axialität der Anlage durch vier, die neuen Unterzüge tragende Pfeiler zu betonen. Linker Hand liegt quer zur Achse ein rechteckiger, kleinerer Ausstellungsraum, rechts die große, sich nach hinten verjüngende Halle, die durch eine parallel zur Achse geführte Stahlbetonscheibe in zwei Teile geteilt ist. Die Träger des Glasdachs, dessen verschiedene Schichten zur optimalen Lichtsteuerung auf einer minimalen Bauhöhe untergebracht werden mussten, ruhen punktförmig auf dieser Scheibe auf und sind noch ein Stück über sie hinaus geführt, um eine beidseitige Belichtung unterschiedlicher Charakteristik zu erreichen. Bei der vorletzten Achse der Halle, wo sich ihr Schnitt von einer liegenden Proportion bereits auf eine stehende verengt hat, führt eine Treppe im rechten Winkel hinauf in den annähernd quadratischen Skulpturengarten. Viel wird hier von der Qualität des Details abhängen. Die Reduktion auf wenige Materialien und klare, nachvollziehbare Konstruktionen verlangt ein hohes Niveau der Ausführung und darf gleichzeitig nie in bloßen Ästhetizismus abgleiten. Wenn all dies gelingt, könnte die Generali-Foundation zu einem Ort der persönlichen Auseinandersetzung mit Kunst werden, zu einem Ort, den man regelmäßig besucht, um Kunstwerke in wechselnden Gegenüberstellungen in Räumen von eigenständiger Charakteristik zu erleben. Die Presse, 17.10.1992
WIDERSPRUCH MIT FOLGEN Bauen in Sooß, Niederösterreich: Wie aus einem grasgedeckten Pultdach ein Satteldach wird. Am Ortsrand von Sooß, jener kleinen Ortschaft in Niederösterreich, die ansonsten vor allem wegen der Qualität ihres Weines bekannt ist, liegt ein Grundstück mit einem wunderbaren Ausblick. Hier steht, nach bald anderthalb Jahren Bauzeit, der Rohbau eines langgestreckten, schlichten Hauses mit einem steilen Satteldach. Erst auf den zweiten Blick fällt ein Wintergarten auf, der, hangabwärts an die Giebelwand gefügt, mit seinem First das Haus selbst um ein gutes Stück überragt. Das Glasdach des Wintergartens steigt gegenläufig zur Dachfläche an und verschneidet sich mit dieser in einer Art, die keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass die Dissonanz beabsichtigt ist. Vom Hang her betrachtet erscheint neben dem Wintergarten ein kleiner Anbau aus Holz, dessen liegendes Fenster ums Eck gezogen ist und so das Panorama einfängt. So hart und unvermittelt Wintergarten und Anbau im Osten an den einfachen Hauptbau gefügt sind, so ruhig wird dieser im Westen geschlossen: eine glatte Giebelmauer mit einem Fenster im ersten Stock und drei großen Öffnungen im Erdgeschoß, zu klein, um als Tore einer Dreifachgarage gelten zu können, und zu groß, um sie als Öffnungen eines Wohnraums zu interpretieren. Entsteht hier, wie Passanten vermuten, ein Wirtshaus, oder vielleicht eine Reparaturwerkstätte für Zweiräder?
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Der zweite, genauere Blick enthüllt so hinter dem einfachen Haus ein Haus mit Rätseln. Sie erklären sich großteils aus der Auseinandersetzung zwischen den besonderen Anforderungen der Bewohner und deren Umsetzung durch die Architekten auf der einen Seite und den Auflagen der Behörden auf der anderen. Eine solche Auseinandersetzung mündet beinahe zwangsläufig in mehrmalige Umplanungen und zermürbende Verzögerungen des Baubeginns, und es bedarf einer außerordentlichen Hartnäckigkeit, will man, wie im konkreten Fall, auch nur einen Kompromiss erzielen. Der Konflikt zwischen den Interessen ist umso erstaunlicher, als beide Seiten sich auf dieselbe Instanz – wenn auch in jeweils eigener Interpretation – berufen, nämlich die traditionelle Architektur des ländlichen Raums. Ursprünglich hatte der Bauherr keineswegs die Absicht, ein neues Gebäude zu errichten: der Grund sollte verkauft und aus dem Erlös ein altes Haus erworben und adaptiert werden. Als auch nach einigen Jahren Suche kein Haus gefunden werden konnte, das den Bedürfnissen der vierköpfigen Familie entsprochen hätte, entschloss man sich endlich zu einem Neubau, der jedoch möglichst die Qualitäten, die der Bauherr und seine Familie an der traditionellen Architektur der Region schätzten, aufweisen sollte: Einfügung in die natürlichen Gegebenheiten, ökologische Bauweise, sparsame und korrekte Anwendung der verfügbaren Mittel und eine einfache Konstruktion, die einen großen Anteil an Eigenleistung ermöglicht. Neben der eigentlichen Wohnung sollten im Haus auch die Werkstatt des Bauherrn – er ist gelernter Tischler – und straßenseitig ein Raum für Ausstellungen und Workshops untergebracht werden. Das Haus, das die Architekten Martha Enriquez-Reinberg und Georg Reinberg anhand dieser Vorgaben entwarfen, hat formal mit einem traditionellen Haus wenig Ähnlichkeit: eine einfache Schachtel mit grasgedecktem Pultdach, nach Norden weitgehend geschlossen, nach Süden um einen Wintergarten erweitert. Zwar wussten die Architekten, dass ein Pultdach laut Bebauungsplan nicht zulässig war. Sie konnten ihrem Bauherren aber verständlich machen, dass die Qualitäten, die er in der regionalen anonymen Tradition erkannt hatte, unter geänderten Bedingungen gerade dann erreicht werden konnten, wenn man sich formal nicht an dieser Tradition orientierte. Und der Bauherr war einverstanden, denn er hatte die Architekten nicht auf ein Bild verpflichtet, sondern auf eine Haltung. Nun folgte das Behördenverfahren. Hier erfuhr der Bauherr, dass diese Haltung durchaus seine Privatsache sei, das Erscheinungsbild des Hauses jedoch eine des öffentlichen Interesses und damit des guten Geschmacks. Die Autonomie der Gemeinden auf dem Gebiet des Geschmacks regelt sich in Niederösterreich im allgemeinen so, dass alles, was nicht den inzwischen etablierten Codes des angepassten Bauens entspricht, auf Landesebene zur Entscheidung gebracht wird. So erschien einer der Beamten des Landes, die für den Ortsbildschutz zuständig sind, vor Ort und beschied dem Bauherren und den Architekten, dass der Entwurf an dieser Stelle völlig unpassend und keineswegs mit den Zielen des Ortsbildschutzes zu vereinbaren sei. Die Argumente der Architekten, gerade der Bauplatz an der
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Ortskante, am Übergang zwischen Bau- und Grünland, würde das grasgedeckte Pultdach erlauben, wurde vom Beamten des Landes elegant pariert: Argumente seien uninteressant, denn argumentieren könne man für alles. Auch die Erklärung, dass die Form des Pultdachs ebenso eng mit dem Ziel einer passiven Solarenergienutzung in Beziehung stehe wie die Bauformen der anonymen Architektur mit den Bedürfnissen, denen sie dienten, blieb ungehört. Im Falle einer Einreichung werde er, so bedauerte der Beamte, ein negatives Gutachten über das Projekt verfassen müssen. Und das, so ließ er durchblicken, könne dauern, vielleicht ein halbes Jahr, und es sei daher viel klüger, gleich ein neues Projekt zu entwerfen. Die Architekten, die erst kurz davor einen Auftraggeber aus ähnlichen Gründen an die Fertighausbranche verloren hatten, erhielten diesmal von ihrem Bauherrn volle Unterstützung. Zum Satteldach aber gab es trotz zäher Verhandlungen keine Alternative, und alles, was vom Wintergarten blieb, ist der kleine Turm aus Glas, an dem die Widersprüchlichkeit des Entwurfs abzulesen ist. Noch steht das Haus im Rohbau. Bis zum Winter soll das Dach gedeckt sein. Im Frühjahr werden die Außenwände mit Kork verkleidet und verputzt. Und vielleicht kann der Bau schon im Herbst bezogen werden. Dann dürfen alle Beteiligten zufrieden sein: der Bauherr, der ein Haus nach seinen Wünschen erhält, das nicht nur sein Besitz ist, sondern auch sein Werk. Die Architekten, die ein kluges, bescheidenes Haus entworfen haben, mit einer geschickt dem Hang angeglichenen Folge gut proportionierter Räume. Und natürlich der Ortsbildschützer, der sein Ortsbild vor Störung bewahrt hat. Aber darf der wirklich zufrieden sein? Hat er denn nicht in Wahrheit gerade noch zugelassen, was eigentlich Standard sein sollte, und alles verhindert, was vielleicht weniger schön, dafür aber umso “richtiger” gewesen wäre? Anstelle der Scheingefechte über Dachneigungen und Gaupenfenster sollte sich der Ortsbildschutz auf das besinnen, was seine eigentliches Fundament ist: Der ernsthafte Versuch, sich mit den Phänomenen von Identität und Heimat in einer wechselvollen Zeit auseinanderzusetzen.
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Die Presse, 17.7.1992
DIE SEHNSUCHT DES GLOBALEN DÖRFLERS Weil unsere Welt klein geworden ist, nämlich global vernetzt, müssen wir Wohn- und Arbeitsort nicht mehr voneinander trennen. Was geschieht jetzt mit unseren Städten? Was wird aus ihren Zentren? An Reformvorschlägen für städtisches Leben hat es in der Geschichte nie gemangelt. Die industrielle Revolution musste fast zwangsläufig zu jenem Alternativkonzept führen, das Ebenezer Howard Ende des vorigen Jahrhunderts entwickelte. Den beiden Polen Stadt und Land setzte er einen dritten entgegen: die Gartenstadt mit maximal 30000 Einwohnern, umgeben von Ackerland. Mehrere dieser Städte sollten in Gruppen zusammengefasst und durch ein Netz von Eisenbahnlinien verbunden die Lebensqualität des Landes mit dem kulturellen Angebot und den Beschäftigungsmöglichkeiten der Stadt vereinen. Das Fernziel der genossenschaftlich organisierten Gartenstadtbewegung war die Auflösung der großen Metropolen: London, so hoffte Howard, würde unter dem Druck massiver Stadtflucht in eine Vielzahl kleiner Gartenstädte zerfallen. Dieser europäischen Vision einer Vermählung von Stadt und Land steht Frank Lloyd Wrights Broadacre City gegenüber. Broadacre City ist das Stadtmodell für die Bewohner von “Usonia”, einer Wortschöpfung Wrights, in der sich die Begriffe “USA”, “Vision” und “Utopia” vermischen. Als Ausdruck des amerikanischer Pioniermythos ist Wrights Utopie auf rein individualistischen Prinzipien aufgebaut: “Das wahre Zentrum, die einzig zulässige Zentralisierung Usoniens ist das einzelne usonische Haus. Alle Formen der Produktion und Distribution, der Erziehung und des Genusses sind aber so arrangiert und so miteinander verwoben, dass sie jeder usonische Bürger schnell im Umkreis von 10 oder 20 Meilen mit dem eigenen Auto, Luftfahrzeug, oder öffentlichen Verkehrsmittel erreichen kann”. Die Landschaft tritt in diesem Konzept an die Stelle des öffentlichen Raums. Ihre Gestaltung wird, neben jener des Einfamilienhauses, zur zentralen Aufgabe des Architekten. Diese Beispiele belegen die enge Verbindung zwischen den Technologien einer Zeit und den städtebaulichen Visionen, die sie hervorbringt. Eine Technologie kann dabei, wie im Falle der Gartenstadt, als Feindbild fungieren: die rauchenden Schlote der Industrie sind für Howard ein Hauptgrund für die Abkehr von der kapitalistischen Stadt. Sie kann aber auch ein wesentlicher gestaltender Faktor sein: ohne die Aussicht auf unbeschränkte Mobilität durch das Automobil wäre Wrights Vision einer sich flächig ausbreitenden “Landschaftsstadt” gar nicht denkbar. Wie sehen die Stadtvisionen unserer von Informationstechnologien geprägten Gesellschaft aus? Die grundlegenden Faktoren sind bekannt: Durch immer leistungsfähigere elektronische Vernetzung ist der Zugang zu Information potentiell von jedem Punkt der Welt aus möglich. Arbeitsplätze müssen – zumindest für die Berufe im tertiären Sektor – nicht länger an einem möglichst zentralen Standort zusammengefasst sein. Durch Videokonferenz und Datennetze verbunden können kleine Einheiten ihre individuellen Stärken kurzfristig auf globaler Ebene zusammenschließen und so flexibler auf Marktanforderungen reagieren. Auf den ersten Blick eröffnen sich dadurch vor allem erfreuliche Perspektiven: da Wohnen und Arbeiten nicht länger getrennt sein müssen, verringern sich sowohl die täglichen Wegzeiten als auch die damit verbundene Umweltbelastung. Die individuelle Freiheit in der Gestaltung von Arbeitsort und Arbeitszeit wird durch die Telepräsenz in einem bisher nicht gekannten Ausmaß möglich. Bei näherer Betrachtung stellen sich jedoch viele kritische Fragen. Bis zu welchem Grad sind persönliche Begegnungen durch telematische ersetzbar? Ist eine Gesellschaft vorstellbar, die sich nicht auch über einen konkreten Raum definiert? Schließlich bleibt die Frage, wer denn überhaupt Zugang zu den neuen Technologien erhalten wird. Die Kosten für den Eintritt ins Globale Dorf sind sowohl von der Infrastruktur als auch vom Bildungsniveau her enorm und können nur von den reichsten Nationen bestritten werden.
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Die städtebaulichen Visionen, mit denen Architekten auf diese neuen Bedingungen reagieren, sind entsprechend widersprüchlich. Die Vertreter der europäischen Avantgarde kündigen das Ende der funktional bestimmten Stadt an: Gibt es noch eine Begründung für festgefügte räumliche Strukturen, wenn die wirksamen Grenzen nicht mehr im realen, sondern im virtuellen Raum verlaufen? In dieser Unabhängigkeit von räumlichen Beschränkungen sehen Architekten wie Cedric Price eine Chance zur sozialen Innovation. Wenn Zentralität kein Kriterium mehr ist, so wird die Peripherie der Städte zum eigentlichen Schwerpunkt der zukünftigen Entwicklung. Hier, so behauptet Price, könnten Formen gesellschaftlichen Lebens entstehen, die man bisher für undenkbar gehalten hat. Die Stadt der Zukunft ist für ihn – ähnlich wie für Wright – ein lockeres Netzwerk aus Einzellösungen, die aufgrund individueller Bedürfnisse unter minimalen übergeordneten Vorgaben entstehen. Amerikanische Architekten können dieser Vision in der Regel wenig Positives abgewinnen. Denn für sie ist Wrights Stadtutopie längst Realität – wenn auch in einer ganz anderer Form, als der es voraussehen konnte: die unbeschränkte individuelle Mobilität hat weder zur sozialen Innovation noch zur Schaffung eines locker bebauten Landschaftsparks geführt, sondern zur rücksichtslosen und monotonen Ausbreitung der Stadt in die Region. Sie ist charakterisiert durch den Verlust der räumlichen Struktur im Inneren und den Wegfall jeder klaren Grenze nach außen. Der Zerfall der städtischen Ordnung ist aus amerikanischer Sicht das Abbild eines gesellschaftlichen Zerfallsprozesses. Die Telekommunikation könnte diesen Effekt noch verstärken, indem sie globale intellektuelle Vernetzung mit weiterer emotionaler Isolierung verbindet. An Vorschlägen, diesen Zustand durch die Implantation von neuen Strukturen zu verbessern, fehlt es nicht. Nur wenige, die nach dem Vorbild von Paolo Soleri nach neuen gesellschaftlichen Grundlagen für die Stadt suchen, kommen jedoch an den umfassenden Anspruch der Konzepte eines Ebenezer Howard heran. In der Regel beschränken sie sich ideologisch auf eine Mischung aus Sentimentalität und Ökologiebewusstsein: Viktorianisch anmutende Reihenhäuser an gewundenen Straßen bilden introvertierte, selbsterhaltende Siedlungen, die die Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit und Heimat befriedigen sollen. Aber schon die Gartenstadtbewegung konnte das Wachstum der Metropolen nicht stoppen. Sie werden, so ist zu vermuten, rund um diese Implantate weiter wuchern. Die eingezäunten und bewachten Seniorensiedlungen Kaliforniens dürften so zum ungewollten Vorbild der neuen Gartenstädte werden. Vieles scheint also für die Zukunftsvision des französischen Städtebautheoretikers Paul Virilio zu sprechen: “Meiner Ansicht nach wird die zukünftige Stadt von zwei Wohnformen beherrscht werden: dem ‚nomading’ und dem ‚cocooning’. Die letzgenannte wird die Wohnform für die in extrem geschützten Wohnungen lebenden Menschen sein, die über politische und wirtschaftliche Macht verfügen, die erstgenannte wird die Wohnform jener Menschen sein, die ihre Sesshaftigkeit und damit ihre klassische soziale Identität verloren haben.” Dennoch, so bleibt zu hoffen, ist Virilios Vorstellung vom Leben im Globalen Dorf nur eine von vielen denkbaren. Das Veränderungspotential der neuen Technologien ist jedenfalls immens und noch lange nicht ausgelotet. Eines ist jedoch klar: Die grenzenlose Kommunikation im Globalen Dorf bringt viele vertraute Grenzen zum verschwinden und schafft damit die Sehnsucht nach neuen identitätsstiftenden Markierungen. Es wird – nicht nur in der Architektur – entscheidend darauf ankommen, diese Sehnsucht nicht durch Mauern und Stacheldraht, sondern durch die behutsame Ausformung von Schwellenbereichen zu erfüllen.
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Die Presse, 24.4.1992
IRONIE MIT WELLBLECH “The City inside us”: im Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt Vito Acconci, was Häuser tun, wenn wir ihnen den Rücken zukehren Irgendwie kam alles anders als geplant. Ein Künstler, der bekannt ist für seinen subversiven Humor, für seine Tendenz, stets das Unterste zuoberst zu kehren, wird eingeladen, eine Installation in der zentralen Halle des Museums für Angewandte Kunst zu machen. Der Künstler ist erklärter Tabubrecher (“Ich fürchte, die Leute beachten meine Kunst nur, wenn sie etwas mit Sex zu tun hat”) mit Wurzeln in der Performance-Kunst der sechziger Jahre, der sich über die Objektkunst in den Grenzbereich zur Architektur bewegt hat. Unter seinen jüngsten Arbeiten finden sich versunkene und zerborstene Häuser, Alptraumhäuser, die auf dem Kopf stehen, und Platzgestaltungen, bei denen sich die Fragmente der scheinbar zersplitterten Umgebung in der Mitte des Platzes wiederfinden. Verglichen damit ist die Installation im MAK von seltsamer Harmlosigkeit: in die Ausstellungshalle ist eine penible und in allen Details exakte Wiederholung des bestehenden Raums gesetzt, deren Achse jedoch schräg aus der Vertikalen gekippt ist, als hätte sich die Halle verdoppelt und aus sich selbst gelöst und sei dann langsam schräg nach unten geglitten. Eine weitere Kopie der Halle steigt ihr aus dem Boden entgegen und durchdringt sie. Die ursprüngliche Halle zerfällt dadurch in zwei räumlich getrennte Teile: im unteren Teil bewegt sich der Besucher in einem Zwickelraum zwischen dem Glasdach der herabgesunkenen und jenem der aufsteigenden Halle. Um in den oberen Teil zu gelangen, muß er diesen Raum seitlich verlassen. Sein Weg führt von hier U-förmigen um die Mitte herum zu jener Stelle, wo die Oberseite der herabgesunkenen Halle durch die gegenüberliegende Tür dringt. Von hier aus steigt er auf grasbewachsenen Rampen und auf dem Gitterrost, der die Verglasung der unteren Halle schützt, hinauf, bis er das ursprüngliche Glasdach beinahe berühren kann.
Subversion und aggressiven Witz sucht man in dieser Installation vergeblich. Die Hallen durchdringen einander schmerzlos, und das Bäumchen der Erkenntnis, das oben durchs Dach hinauswachsen will, wirkt bestenfalls als Ausdruck melancholischer Ironie. Und dennoch sprengt dieser Raum den Rahmen der gängigen dekonstruktiven Manipulationen. Wo jene die Fragmente der Welt wieder zu einem hübschen Ganzen montieren und dieses so appetitlich aufbereiten, dass es vom Betrachter mühelos konsumiert werden kann, lautet Acconcis Botschaft ganz anders: nicht die Welt ist fragmentiert, sondern der Betrachter. Die Rettung der Kunst durch die Anti-Kunst, jeder Versuch, die Fragmentierung unserer Erfahrung sichtbar zu
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machen und damit aufzuheben, ist ein hoffnungsloses Unterfangen: Der Riß geht mitten durch uns und kann daher nicht von außen wahrgenommen und damit beherrscht werden. Das Imaginäre und das Surreale, die letzten Waffen, die die Kunst unseres Jahrhunderts aufzubieten hatte, sind damit paralysiert. Die Arbeiten Acconcis, die in den Räumen um die zentrale Installation herum ausgestellt sind, setzen diese Waffen zwar noch ein: hier finden sich verwandelbare Muschelrefugien, gigantische Büstenhalter aus Draht und Mörtel, die wie Paravants in unterschiedlichen Positionen aufgestellt sind, unbenutzbare Betten und Tische aus Aluminium und Neonröhren. Aber diese Waffen, die gegen eine als bedrohlich empfundene Realität benutzt werden konnten, um sie zu verwandeln, taugen nichts mehr in einer Kultur der Simulation, in der Reales und Imaginäres ineinander verschwimmen. Das öffentliche Leben findet längst im simulierten Raum der elektronischen Medien statt. Die Aktienbörse ist zum Terminal implodiert, der Konzertsaal zum Walkman. Das Fernsehen schafft kollektive Ereignisse ohne reale Beteiligung, der Telephonsex schafft eine Situation körperloser Intimität. Und doch ist in beiden Fällen die Realität quantifizierbar: es wird Umsatz gemacht und Gewinn realisiert. Damit stellt sich die Frage nach dem kulturellen Fundament der Architektur: muß sie nicht zwangsläufig ihre Funktion als Ausdruck einer Kultur verlieren, wenn ein immer größerer Teil des Lebens außerhalb des realen Raums stattfindet? Natürlich werden wir auch weiterhin Spitäler und Schulen, Kasernen und Wohnhäuser bauen; aber werden wir diesen Artefakten auch in Zukunft eine höhere kulturelle Bedeutung zusprechen als einer Autobahn oder dem Kanalnetz einer Stadt? Als letzten Raum, der nicht von der Simulation zerfressen ist, sieht Acconci den Raum, der auf der Flucht ist. Auf der Straße vor dem MAK parkt seine “Mobile Linearstadt”, ineinandergeschachtelte Container aus Wellblech, die von einem Lastwagen in den Straßenraum gezogen wurden, Behältnisse, die schützen, ohne eine Heimat zu bieten. “Der heimatlose Körper ist irgendwo zwischen dem explodierenden Körper und dem Staat angesiedelt. Es ist der Körper, der weder elektronisch aufgelöst noch politisch bestimmt ist. Es ist der Körper, der intakt bleibt, aber unterwegs und flüchtig ist.” Wien, die Welthauptstadt der Simulation, wird diese Ausstellung mühelos absorbieren. Aber wir wissen jetzt zumindest, was unsere festgefügten Häuser tun, wenn wir ihnen den Rücken zukehren: sie schlüpfen aus sich heraus, verdrehen und verdoppeln sich und fallen wieder in sich zurück. Scheinbar unverändert, ist doch ihr Innerstes nach außen gekehrt, hat die Kopie die Realität ersetzt. Nur manchmal, wie bei den niedergebrannten Redoutensälen, die sich bald wieder “intakt” präsentieren werden, dürfen wir diesen Vorgang – gleichsam in Zeitlupe – beobachten.
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INDEX (unvollständig …. ) Acconci, Vito 12
Jabornegg und Pálffy 7
Bauen im Bestand
Krischanitz, Adolf 91, 115, 135, 150, 161, 170, 256
Alt Urfahr Ost 28 Erste Bank am Graben 19 Generali Foundation 7 Verglasung der Opern Loggia 43 Bulant und Wailzer 258 Bulant, Aneta 23 Duisburg 8 Flugfeld Aspern 12 Foster, Norman 8, 123, 141, 142, 150 Generali Foundation 7 Hundert¬wasser, Friedensreich 33, 44, 160, 173 Hundertwasser, Friedensreich 10, 20
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Lainer, Rüdiger 12, 66, 177, 265 Leberberg 11, 267 Ortsbildschutz 6 Price, Cedric 15, 142 Reinberg Georg 6 Martha Enriquez 6 Spalt, Johannes 23 Uhl, Ottokar 11 Wagner, Otto 11 Wright, Frank Lloyd 14