Im Gespräch mit
Brigadegeneral Reinhard Günzel
Und plötzlich ist alles politisch
Ich widme dieses Buch dem Verteidi...
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Im Gespräch mit
Brigadegeneral Reinhard Günzel
Und plötzlich ist alles politisch
Ich widme dieses Buch dem Verteidigungsminister Dr. Peter Struck
Buchgestaltung und Satz: Oktavo, Syrgenstein Druck: DTP & Druck Matthias Kopp, Heidenheim Bindung: Industriebuchbinderei Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme: Günzel, Reinhard: Und plötzlich war alles politisch Im Gespräch mit Brigadegeneral Reinhard Günzel 126 Seiten, broschiert, 2 Abbildungen Zweite, durchgesehene Auflage Schnellroda: Edition Antaios, 2004 ISBN: 3-935063-60-1
Inhalt
Das Ethos des Offiziers ................................................... 7 Vortrag von Brigadegeneral Reinhard Günzel, gehalten am 22. Mai 2004 im Rahmen des 7. Berliner Kollegs des Instituts für Staatspolitik (IfS)
Und plötzlich ist alles politisch........................................ 29 Götz Kubitschek im Gespräch mit Brigadegeneral Reinhard Günzel
Anmerkungen ............................................................... 113
Das Ethos des Offiziers Vortrag von Brigadegeneral Reinhard Günzel, gehalten am 22. Mai 2004 im Rahmen des 7. Berliner Kollegs des Instituts für Staatspolitik (IfS)
Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, daß es weitaus gefährlicher ist, seine Meinung hier in Deutschland frei zu äußern als - sagen wir - in Rußland, China oder Kuba, dann hätte ich vermutlich nur milde gelächelt. Natürlich hatte man hier und da von Vorfällen gehört, bei denen gegen Grundrechte verstoßen wurde; aber erstens waren diese Dinge immer sehr weit weg, und zweitens war man absolut sicher, daß die Betroffenen im Klagefall vor unseren Gerichten schon recht bekommen würden. Und selbst da, wo eine Sache nicht strafrechtlich relevant war, würde sicherlich in unserer weit gefächerten Medienlandschaft schon der Ansatz einer moralischen Schieflage sofort wieder geradegerückt werden. Heute weiß ich aus verschiedenen eigenen Erfahrungen, und nachdem ich mich etwas intensiver mit diesen Dingen befaßt habe, daß dies leider eine Illusion war. Es gibt ganz ohne Zweifel Bereiche in diesem angeblich freiesten Staat auf deutschem Boden, die sehr stark an die dunklen Zeiten der deutschen Geschichte erinnern. Und dabei handelt es sich keineswegs 7
um bedauerliche Ausrutscher, nein, diese Dinge haben leider Methode. Lassen Sie mich an dem »Fall Hohmann/Günzel« das Problem der Meinungsfreiheit noch einmal aus meiner Sicht kurz darstellen. Und ich möchte danach diesen Fall zum Aufhänger nehmen, um einige ausgewählte Aspekte aus dem Berufsbild des Offiziers ein wenig genauer zu betrachten. Ich will zum besseren Verständnis die Vorgänge - soweit sie mich betreffen - noch einmal in aller Kürze rekapitulieren: Ich habe dem Abgeordneten Hohmann in einem persönlichen Brief für die Zusendung seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit gedankt und habe dabei meine Zustimmung zu seinen klaren und mutigen Aussagen zum Ausdruck gebracht. Dieser Brief ist unter dem Bruch des Briefgeheimnisses durch Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21 veröffentlicht worden. Der Verteidigungsminister hat mich daraufhin unmittelbar nach Bekanntwerden ohne Ermittlung des Sachverhalts oder vorherige Anhörung in einer sofort angesetzten Pressekonferenz - sozusagen »fernmündlich« - entlassen, wobei er die Begriffe »verwirrt«, »Rausschmiß« und »unehrenhaft« gebrauchte. Am nächsten Tag wurde mir - für die letzten vier Stunden meiner aktiven Dienstzeit - die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten, eine Maßnahme, die üblicherweise nur bei schwersten Dienstpflichtverletzungen und einer damit verbundenen erheblichen Gefährdung der Disziplin verhängt wird. 8
Während ich im Ministerium auf meine Entlassungsurkunde wartete, erklärte ein Generalstabsoffizier meinem Kraftfahrer, er könne ruhig schon nach Hause fahren, ab 18:30 Uhr habe sein Kommandeur ohnehin keinen Anspruch mehr auf ein Dienstfahrzeug. Mir wird weiterhin verboten, die Kaserne zu betreten und mich von meinen Männern zu verabschieden. Erst eine Woche später erlaubt man mir, mein Dienstzimmer zu räumen und meine persönlichen Sachen sicherzustellen. Ich hätte nie gedacht, daß ich ein so hochgefährlicher Mann wäre, den man wie ein Kontaktgift von seiner Truppe isolieren muß; denn nicht einmal in den finstersten Diktaturen wurde einem Delinquenten dieses letzte »Lebewohl« vor seiner Hinrichtung verwehrt. Eine Übergabe der Dienstgeschäfte wird ebenso verboten wie eine offizielle Kommandoübergabe oder gar die übliche Verabschiedung aus der Kommandeurrunde. Die vom Bundespräsidenten unterzeichnete Entlassungsurkunde enthält nicht die übliche Dankesformel: »Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste spreche ich ihm Dank und Anerkennung aus«, obwohl diese Formel nach bisheriger Praxis nur demjenigen verweigert wird, der nach schweren kriminellen Verfehlungen im Zuge eines disziplinargerichtlichen Verfahrens aus der Armee entlassen wurde. Der Bundespräsident ließ mir auf meine Anfrage hin mitteilen, daß der Minister in diesem Falle so entschieden habe und er sich dem habe fügen müssen. Eine bemerkenswerte Feststellung unseres Staatsoberhauptes. 9
Unmittelbar nach meiner Entlassung wird auf Befehl der Heeresführung in meinen ehemaligen Standorten nachgeforscht, ob dort etwa auf meine Weisung hin Traditionsräume eingerichtet, Patenschaften mit Wehrmachtsverbänden oder ähnliche verbotswidrige oder anrüchige Maßnahmen veranlaßt worden seien. Ich habe mich dabei unwillkürlich an die sogenannte Kießling-Affäre erinnert, als sich unsere militärische Führung ebenfalls nicht zu schade war, in Sigmaringen nachzuforschen, »ob der General Dr. Kießling als Divisionskommandeur häufiger als üblich das Duschen überprüft habe«, um damit die behauptete Homosexualität zu beweisen. Nun hat natürlich der Minister gemäß Paragraph 50 Soldatengesetz das Recht, einen Soldaten vom Brigadegeneral an aufwärts auch ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dies berechtigt ihn jedoch nicht, einen solchen Rechtsakt gewissermaßen zu einer Polit-Veranstaltung zu mißbrauchen, indem er einer ahnungslosen Öffentlichkeit in einer Art »Standgerichtsurteil« den Kopf eines Mannes präsentiert, der lediglich das Pech hatte, als Anhänger des gegnerischen Lagers geoutet worden zu sein oder sich auf ein in Deutschland immer noch hochgefährliches Minenfeld gewagt hatte. Denn - ein Dienstvergehen konnte mir bis heute nicht vorgeworfen werden. Der neutrale Beobachter wird jetzt natürlich fragen, was denn um alles in der Welt einen Minister zu einer solch wüten10
den Reaktion - sei sie nun echt oder inszeniert - veranlaßt haben kann. Und die spontane Antwort wird ebenso natürlich lauten: Es war diese antisemitische - oder, wie es später hieß: als antisemitisch empfundene oder schlimmer noch: »diese latent antisemitische« - Rede des Abgeordneten Hohmann! Aber wer auch nur einigermaßen des Lesens fähig ist, und wem der komplette Redetext vorgelegen hat, der wird sofort zugeben müssen, daß diese Rede nicht nur nicht antisemitisch, sondern weit eher philosemitisch ist, wie anhand mehrerer Passagen mühelos nachzuweisen ist. Das einzige, was man Herrn Hohmann - mit leichter Ironie selbstverständlich - vorwerfen könnte, ist, daß er spätestens seit Veröffentlichung der Pisa-Studie grammatikalische Formen wie den Konjunktiv oder gar eine rhetorische Frage bei unserer herrschenden Klasse und wohl auch bei großen Teilen unserer Journalisten nicht mehr als bekannt voraussetzen durfte. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn ich meinem sechsjährigen Sohn die Bewegungen der Himmelskörper näherbringen will und zu ihm sage: »Wenn du morgens aus dem Fenster schaust und siehst, wie die Sonne im Osten auf- und abends im Westen wieder untergeht, dann könntest du durchaus zu der Annahme kommen, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Aber damit würdest du genau dieselbe falsche Schlußfolgerung ziehen, wie es die Menschen viele tausend Jahre lang getan haben, denn ...« undsoweiter. Niemand würde ernsthaft behaupten, ich würde damit das 11
heliozentrische Weltbild in Frage stellen. Genauso hat Hohmann über die Juden im Bolschewismus gesprochen, also mit einem conjunctivus irrealis. Und er hat - sicherheitshalber seine Argumentation abgeschlossen mit der überaus klaren und deutlichen Feststellung: »Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk.« Es hat ihm nichts geholfen, denn ein gewisser Herr Sonne stellt in den Tagesthemen unwidersprochen fest: »Hohmann nennt Juden Tätervolk!«, und 99,9 Prozent unserer Medien stimmen unisono ein und beginnen eine Hexenjagd, die ihresgleichen sucht. Man faßt sich an den Kopf. Als ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Tatsache, daß - genau wie in den Hexenprozessen vor vierhundert Jahren - auch hier das Recht außer Kraft gesetzt ist, mag eine Einlassung unseres Innenministers in der Sendung Christiansen am 9. November 2003 dienen: Auf die Frage von Frau Christiansen, ob man denn den General Günzel nicht - nach altem römischem Rechtsgrundsatz - fairerweise erst einmal hätte anhören müssen, bevor man den Stab über ihm gebrochen hat, da braust Schily geradezu entrüstet auf und sagt etwa wörtlich: »Da gibt es diese Rede, und da gibt es den Brief dieses Generals - wozu braucht es denn da noch eine Anhörung?« Wohlgemerkt, das sagt ein Mann, der nicht nur das Recht studiert hat und sich als Bundesminister diesem in ganz besonderer Weise verpflichtet fühlen müßte, sondern der selbst als Strafverteidiger peinlich genau auf die minutiöse Einhaltung 12
der Strafprozeßordnung geachtet hat! Aber damals ging es natürlich um das Recht von Terroristen, während hier nur ein deutscher General zur Debatte stand. Bevor ich selbst in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, habe ich jedem, der die Hohmann-Rede als antisemitisch bezeichnet hat, für den Beweis auch nur einer einzigen solchen Passage ein Monatsgehalt geboten. Ich habe bis heute nicht zahlen müssen; und aus diesem Grund haben wohl auch die etwas intelligenteren »Hohmann-Jäger« immer von einer »unerträglichen Rede« gesprochen, vom »Verlassen des demokratischen Bodens« und ähnlichen Seifenblasen. Wenn aber eine »unerträgliche Rede« schon Grund für einen Fraktionsausschluß ist, dann werden unsere Parlamentsstenographen bald arbeitslos sein. Was aber ist die Ursache für eine solche Psychose, für ein solch pathologisches Verhalten? Was bringt das Volk dazu, seine Identität, sein Selbstwertgefühl, sein natürliches Selbstbewußtsein so vollkommen aufzugeben und nur dann zufrieden zu sein, wenn es mit beiden Händen Asche auf sein Haupt streuen kann? (Wobei das Problem noch dadurch verschärft wird, daß sich ein psychisch Kranker ja immer für gesund, für völlig normal hält und daher nur sehr schwer zu heilen ist.) Aber daß dieser Patient schwer krank ist, daran besteht kein Zweifel. In welchem Land der Erde wäre es denn möglich, daß zum Beispiel: • Pfarrer sich weigern, einen Soldaten in Uniform zu trauen, 13
• kirchliche Organisationen eine Spende zurückweisen, weil sie von Soldaten erbracht wurde, • Deserteure glorifiziert werden, während man die Denkmä ler für gefallene Soldaten abreißt, • all das, was deutsche Soldaten zwischen 1939 und 1945 an Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft vollbracht haben, mit Hingabe in den Schmutz gezogen wird, • Soldaten mit Billigung unseres höchsten Gerichtes als Mör der bezeichnet werden, • unser Bundespräsident sich weigert, mit dem Schriftzug »Luftwaffe« an seiner Maschine zu fliegen • oder daß ein 17jähriger, der 1945 seine Panzerfaust auf einen sowjetischen Panzer gerichtet hat, sich noch heute dafür rechtfertigen muß, während ein 25jähriger Student, der Brandsätze auf Polizeifahrzeuge geschleudert hat, der gefeierte Held in unseren Talk shows ist und nicht selten in hohe Regie rungsämter aufsteigt, um nur wenige Symptome aus dem militärischen Bereich zu nennen. Ich bin wiederholt gefragt worden, ob ich nun - nach dieser schweren Enttäuschung - nicht quasi vor den Trümmern meines Lebens stehe. Natürlich bin ich durch all diese Vorgänge tief getroffen. Und auch wenn ich mir heute sage, daß eine unehrenhafte Behandlung noch längst nicht den Verlust der Ehre bedeutet viele sagen im Gegenteil: »In dieser Form entlassen worden zu sein, ist geradezu eine Auszeichnung!« -, so tut es natürlich 14
schon weh, nach knapp 41 Dienstjahren die Armee auf diese Weise verlassen zu müssen, die Armee, die ein Leben lang meine Welt war, mit der ich mich in weiten Teilen identifiziert habe. Aber enttäuscht hat mich das Verhalten des Ministers natürlich nicht. Enttäuscht werden kann man ja nur dann, wenn eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt wird. Ich will mich einer persönlichen Wertung enthalten, weil sie mich meine Pension kosten könnte; aber was die Menschen von unseren Politikern halten, läßt sich eindrucksvoll an den Meinungsumfragen ablesen, in denen unsere sogenannten Volksvertreter über Jahre hinweg beharrlich den letzten Tabellenplatz verteidigen. Ausnahmen bestätigen natürlich diese traurige Regel. Enttäuscht worden bin ich aber durch das Verhalten meiner Vorgesetzten und des überwiegenden Teils meiner vormaligen Kameraden, weil sie all das mit Füßen getreten haben, woran ich ein militärisches Leben lang geglaubt habe. Keiner meiner unmittelbaren Vorgesetzten hat bis zum heutigen Tage ein persönliches Gespräch mit mir geführt oder mich auch nur einer Tasse Kaffee für würdig befunden. Ganze fünf Generäle haben mir ihr Mitgefühl ausgesprochen, und während ich von der »Basis« und den Ehemaligen eine Flut von Sympathiebeweisen erhalten habe - wie übrigens auch aus der gesamten Bevölkerung -, herrschte bei den aktiven Stabsoffizieren überwiegend »Funkstille«. Kameraden, mit denen ich seit mehr als dreißig Jahren durch dick und dünn gegangen bin, oder Män15
ner, die mir von jeder Mittelmeerküste einen Urlaubsgruß geschickt haben, konnten sich plötzlich nicht mehr an mich erinnern. Und ganz besonders schmerzlich für mich war es natürlich, solch ein Verhalten bei meinen Fallschirmjägern zu erleben, die ja nicht müde werden, das hohe Lied der Kameradschaft zu singen. Nun könnte man bei einem jungen Stabsoffizier für eine solche Handlungsweise sogar noch Verständnis haben, wenn man ihm zugute hält, daß er eventuelle Karrierenachteile befürchtet. Wie erklärt man aber eine solche Haltung bei einem Offizier, der seinen letzten Dienstgrad erreicht hat oder kurz vor der Pensionierung steht, dessen Karriere also durchaus überschaubar ist? Und genau daran zeigt sich eben, daß ein solcher über die Jahre gewachsener Haltungsschaden nahezu irreparabel ist, wenn das Rückgrat einmal verbogen ist, läßt es sich kaum noch aufrichten. Ich will aber auch hier nicht überheblich den Stab brechen, denn: Menschen sind nun einmal in der Masse feige, eine uralte Erkenntnis. Angst und Feigheit sind unsere täglichen, ja, stündlichen Begleiter. Der römische Schriftsteller Sueton hat dies in seinem Werk De vita Caesarum so herrlich veranschaulicht mit der ironischen Frage, warum es im Senat immer strahlend hell wurde, wenn Nero den Raum betrat; das lag nicht etwa an der »Lichtgestalt« des römischen Kaisers, sondern daran, daß alle Senatoren sofort in ängstlich devoter Haltung die Köpfe senkten, wodurch sich die Sonne in den polier16
ten Glatzen spiegelte und den Senat erleuchtete. Und die klugen Senatoren wußten, warum! Denn mit einem solchen Verhalten folgten sie nun einmal - und folgen wir alle - einem der ältesten Gesetze unserer Evolutionsgeschichte, dem Gesetz der Anpassung. Wer sich nicht anpaßt, geht unter, und wir hätten uns niemals vom Einzeller zu einem vernunftbegabten Wesen entwickelt, wenn wir gegen dieses Prinzip verstoßen hätten. Und dies gilt offenbar im biologischen Bereich ebenso wie im sozialen. Andererseits darf man aber gerade von einem Offizier schon erwarten, daß er sein Leben an anderen Maximen ausrichtet als am Überlebensprinzip einer Amöbe. Aber - dazu muß natürlich erzogen werden. Genauso, wie man einen Soldaten dazu bringen muß, gegen seinen eingeborenen Überlebenstrieb ins Feuer hinein anzugreifen und sein Leben für einen höheren Wert aufs Spiel zu setzen, so kann und muß man auch zu ethisch-moralischen Werten und Verhaltensweisen erziehen. Dies ist leider in der Bundeswehr weitestgehend unterblieben. Ein gewisser Prof. Dr. Thomas Ellwein, vom damaligen Verteidigungsminister Schmidt zum Vorsitzenden einer Kommission berufen, die die Erziehung und Bildung in den Streitkräften neu gestalten sollte, erklärte am 8. Dezember 1970 vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg seine »Vorstellungen über die Offizierausbildung«. Dabei sagte er unter anderem: »Der Soldat muß in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische Einstellung und Gesinnung kommt es dabei überhaupt 17
nicht an. Wichtig ist, daß er nur das tut, was er tun soll, und keinen Deut mehr.« Man hat also eindeutig - wider besseres Wissen - den geistigen, den fachlichen Leistungen den Vorrang vor den charakterlichen Eigenschaften gegeben, mit einem Ergebnis, das zweifellos beabsichtigt war. Denn es ist natürlich leichter, Schafe zu hüten als Löwen; allerdings hat man mit Löwen etwas mehr Wirkung gegen den Feind. Selbstverständlich hat der Soldat in erster Linie zu gehorchen; aber gerade in der Bundeswehr, die als einziges traditionswürdiges Ereignis der Wehrmacht nur den »20. Juli« gelten läßt, müßte man - insbesondere von unseren höheren Offizieren - etwas mehr geistige Selbständigkeit und Mut zum Widerspruch erwarten dürfen. Und darum ist der Vorwurf meiner Vorgesetzten und Kameraden an mich: »In dieser Position müsse man eben politisch vorsichtiger sein, und wer dieses Gespür nicht habe, der tauge eben nicht zum General«, eine Bankrotterklärung unserer Truppenführer. Und dennoch muß ich dem Offizierkorps ein bißchen Abbitte leisten, weil es für sein Verhalten nur bedingt verantwortlich zu machen ist: die Kameraden sind eben nicht zu charaktervollem Handeln erzogen worden! Eine Armee fällt nicht vom Himmel - sie ist immer das Produkt einer langen und sorgfältigen Erziehung. Und außerdem: wenn »Männerstolz vor Königsthronen« wirklich in der Militärgeschichte die Regel und eben nicht die rühmliche Ausnahme wäre, dann würde 18
man nicht immer wieder den berühmten Oberstleutnant von der Marwitz bemühen, der »Ungnade wählte, wo treues Dienen nicht Ehre brachte«. Schon Bismarck hat sich über das Phänomen gewundert, »daß ein Volk, dessen Soldaten sich so tapfer im Kriege zeigten, über so wenig Zivilcourage verfüge«. Aber bei näherer Betrachtung ist dies gar nicht so verwunderlich; denn es ist in der Tat weitaus leichter, im Kriege Tapferkeit zu beweisen, als Zivilcourage im Frieden. Und, selbst wenn es paradox klingen mag: Es gehört für einen Vorgesetzten weitaus mehr Mut dazu, auf dem Gefechtsfeld feige zu sein, als seinen Männern beim Angriff voranzustürmen. Außerdem: Einem Leutnant mit Ritterkreuz fliegen die Mädchenherzen zu, während ein Mann mit Zivilcourage in jedem Fall die Mehrheit gegen sich hat. Nun wäre selbst das noch zu ertragen, nach dem Motto »viel Feind, viel Ehr«, wenn es nicht tatsächlich noch viel schlimmer wäre. Denn wer gegen die herrschende Meinung aufsteht, wird ja nicht als mutiger Zeitgenosse verehrt oder gar gefeiert, ganz im Gegenteil: er wird ausgegrenzt, geächtet oder schlimmer noch: er wird lächerlich gemacht. Denken Sie zum Beispiel an den Generalfeldmarschall von Witzleben, dem man vor dem Volksgerichtshof die Hosenträger abgeschnitten hatte, um ihm seine Würde zu nehmen. Und eine noch subtilere Form, die bei uns auch perfekt praktiziert wird, ist der Kordon des Schweigens, den man um einen solchen Menschen legt: keine Zeitung, kein Radio, kein 19
Fernsehsender berichtet über ihn; er verfällt - wie im alten Rom - der damnatio memoriae. Es dürfte schwerfallen, auch nur einen einzigen Menschen zu nennen - von Sokrates bis Sophie Scholl -, der schon zu Lebzeiten wegen seiner Zivilcourage anerkannt oder gar respektiert wurde. Und darum setzt Zivilcourage entweder eine schon fast als fanatisch zu bezeichnende Haltung voraus oder aber eine tiefverwurzelte religiöse und ethisch-sittliche Überzeugung, die sich weder dem Zeitgeist beugt noch vor irgendwelchen Nachteilen zurückschreckt. Denn genau dies meinte der Generalmajor Henning von Tresckow mit seinem Wort »Der sittliche Wert eines Menschen beginnt dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben einzusetzen.« Nun gilt dies alles aber leider nur cum grano salis, denn bei dieser Affäre hat sich ja nie die Frage der Zivilcourage gestellt, jedenfalls nicht für das Offizierkorps. Ich hätte niemals von irgendwem verlangt, sich öffentlich zu mir zu bekennen und sich damit möglicherweise zwischen mir und seiner Karriere zu entscheiden. Was ich in aller Bescheidenheit - heute muß ich sagen Naivität - erwartet habe, war ein kleines Zeichen kameradschaftlicher Sympathie in Form eines Telefonanrufes oder eines Briefchens. Um Gottes willen kein öffentliches Bekenntnis - wie zum Beispiel Paul Spiegel in der FriedmanAffäre, als er freimütig erklärte: »Mag er getan haben was er will - er bleibt mein Freund!« Und da ging es immerhin um durchaus ehrenrührige Kriminaldelikte! 20
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Aber ich tue meinen Kameraden schon wieder Unrecht. Wäre ich nämlich ein ganz normaler Straftäter, der, sagen wir, des Drogenhandels angeklagt wäre, das Regimentsilber gestohlen oder eine alte Frau im Vollrausch überfahren hätte, so wäre mir sicherlich kameradschaftliche Zuwendung zuteil geworden. Und ganz sicher hätte sich dann auch einer meiner Vorgesetzten zu einem persönlichen, tröstenden Gespräch bereit gefunden. Und jetzt sieht man, wie wohldurchdacht das ganze Schauspiel inszeniert war: Günzel war eben kein »normaler Krimineller«, er war - viel schlimmer: ein NS-Sympathisant, ein Antisemit! Und wer sich dem nähert oder auch nur seinen Namen nennt, ist ebenfalls gerichtet. Und obwohl all meine Kameraden, die mich seit vielen Jahren kennen, genau wissen, daß ich ebenso antisemitisch bin wie Ben Gurion - diese Lektion haben sie verstanden. Jetzt kann man natürlich einwenden, daß in diesem Fall, in dem sich große Teile unseres Volkes abnorm verhalten, auch für das Offizierkorps »mildernde Umstände« gelten müssen, und daß daher dieser Fall überhaupt kein Maßstab für das Ethos eines ansonsten untadeligen Offizierkorps sein könne. Ich wäre der erste, der einem solchen Argument begeistert folgen würde, wenn nicht die Fülle der negativen Beispiele die wenigen positiven um ein Vielfaches überträfe. Und ich darf Ihnen daher aus eigener leidvoller Erfahrung noch einen besonders plakativen Fall schildern: Im Herbst 1997 veröf22
fentlichte SAT.1 das sogenannte »Horrorvideo von Hammelburg« als »Beweis« für die angeblich eklatant ansteigenden Fälle von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Was war geschehen? Einige junge Soldaten, die zur Vorbereitung der Balkankontingente über mehrere Wochen als feindliche Soldateska eingesetzt waren, hatten in einer Pause - gewissermaßen in Fortsetzung ihrer Komparsenrolle und wohl aus jugendlichem Übermut - Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen dargestellt und mit einer privaten Videokamera gefilmt. Anstatt nun mit staatsmännischer Gelassenheit den Fall erst einmal aufzuklären, gab Minister Rühe dem Druck der Presse nach und entließ beziehungsweise versetzte nicht nur - ohne jede Aufklärung und Anhörung selbstverständlich - alle auch nur ansatzweise beteiligten oder verantwortlichen Soldaten, sondern auch - vermutlich, um seine besondere Führungsstärke zu demonstrieren - den Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision, den Generalmajor von Scotti, und den Kommandeur der Jägerbrigade 37, den damaligen Oberst Günzel. Als mir die Ablösung von meinem Dienstposten eröffnet wurde, war ich mir absolut sicher, daß diese schon wenige Tage später wieder rückgängig gemacht werden würde, nicht nur deshalb, weil weder das Maß der Schuld, noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Maßnahme gerechtfertigt hätten, sondern vor allem deshalb, weil ich mit der gan23
zen Sache nicht das geringste zu tun hatte, denn zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war ich noch gar nicht im Amt! Die Dinge waren etwa zwei Jahre vor meiner Kommando-Übernahme geschehen! Und obwohl all meine Vorgesetzten dies wußten, rührte niemand auch nur einen Finger! Ich war fassungslos: Da werden ein Divisions- und Brigade-Kommandeur ihrer Dienstposten enthoben, obwohl jeder weiß, daß sie mit der Sache soviel zu tun haben wie der Erzbischof von Bamberg - und nichts passiert. Mit derselben Logik hätte der Minister auch seinen Ordonnanzoffizier rausschmeißen können. Es mußte doch einen Sturm der Entrüstung im deutschen Heer geben! Aber weit gefehlt: An der Basis wurde ein wenig gemurrt, es gab ein paar kritische Presseberichte und Leserbriefe - und das war's. Alle meine Vorgesetzten, die gesamte Generalität übten sich in vornehmer Zurückhaltung! Und hier gab es für die Kameraden und Vorgesetzten keine »mildernden Umstände«. Auch hier ist dem Minister noch der geringste Vorwurf zu machen. Er ist Politiker und handelt eiskalt nach dem Prinzip der russischen Troika: Die (Presse-)Wölfe heulen - einer muß vom Schlitten. Und da er genau wußte, daß er von dieser Generalität auch nicht den Hauch eines Widerspruchs zu erwarten hatte - wer oder was hätte ihn hindern sollen? Natürlich wird jeder meiner damaligen Vorgesetzten für sein Verhalten eine brillante Entschuldigung gehabt haben; aber die deutsche Sprache kennt dafür eigentlich nur ein Wort: Feigheit! 24
Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, wie sich ein solches Offizierkorps in einer Diktatur verhalten würde. Ich habe nicht den geringsten Zweifel: Wenn auch nur zwei oder drei höhere Generale beim Minister remonstriert und ihm - widrigenfalls - ihren Abschied angeboten hätten der Herr Minister hätte ein Problem gehabt. Vor allem aber hätte man für die Zukunft ein deutliches Zeichen gesetzt. Mit diesem opportunistischen Abtauchen hat man allerdings auch ein Zeichen gesetzt. Ein guter Freund von mir hat zu diesen Vorgängen treffend festgestellt: »Wer statt Uniform Livree trägt, wird auch so behandelt.« Dem ist nichts hinzuzufügen. Diese und ähnliche Vorfälle hinterlassen natürlich tiefe Spuren im Gedächtnis und damit auch im Langzeitgedächtnis der Truppe. In keiner anderen Armee der Welt wird soviel über Innere Führung geschrieben und geredet. Aber immer dann, wenn eine Sache viel Erklärung, Theorie und Terminologie braucht, ist Skepsis angebracht. Menschenführung und Kameradschaft bewähren sich nur dann, wenn sie von Vorgesetzten vorgelebt werden, vor allem dann, wenn sie mit persönlichem Risiko verbunden sind. Nach solchen, eben geschilderten Erlebnissen wird sich natürlich jeder Soldat fragen, ob und wie lange sein Vorgesetzter hinter ihm steht, wenn es kritisch wird, vor allem, wenn es um sensible oder gar lebensgefährliche Einsätze geht. Und darum ist dies nicht nur eine geradezu unfehlbare Methode, eine Armee von Duckmäusern zu erziehen, sondern 25
viel schlimmer noch: Die Auftragstaktik, die das deutsche Soldatentum seit 250 Jahren in der Welt berühmt gemacht und deutsche Verbände immer wieder in die Lage versetzt hat, aus einer zahlenmäßigen Unterlegenheit heraus das Gefecht für sich zu entscheiden - diese Auftragstaktik wird mit einem solchen Soldatentypus zu Grabe getragen. Wenn ich nun den Verlust der Kameradschaft beklagt habe, so muß ich das ein wenig relativieren. Natürlich gibt es unter höheren Offizieren - und erst recht unter Generalen - keine Kameradschaft, hat es wohl auch nie gegeben. Dieses Gefühl hört spätestens beim Kompaniechef auf. Aber eines hat es in einer intakten Armee immer gegeben: Korpsgeist! Diesen besonderen Ehrenkodex, der sich zum Beispiel ausdrückt in dem klaren Bewußtsein: so etwas lassen wir mit uns nicht machen! Wenn dieses Empfinden verlorengeht, dann verliert eine Armee ihr Rückgrat und wird sehr schnell zum Spielball unterschiedlichster Interessen. Wenn man mich nun fragt, was mich von all diesen betrüblichen Umständen am meisten getroffen hat, so sind es - mit einem gewissen zeitlichen Abstand und wenn ich die persönlichen Kränkungen einmal außer acht lasse - ganz zweifellos zwei Dinge: Zum ersten die Tatsache, daß im Namen dieses Krebsgeschwürs political correctness Geschichte gefälscht und Recht gebeugt wird, daß Karrieren zerstört und Menschen ruiniert werden und daß die schweigende Mehrheit dies alles - zwar 26
zunehmend murrend, aber dennoch mit gesenktem Kopf hinnimmt. Und zum zweiten, daß wir, die wir einmal stolz darauf waren, das »Volk der Dichter und Denker« genannt worden zu sein, daß wir uns eben dieses kritische Denken zumindest auf diesem Feld - verbieten lassen und zwar genau von denjenigen, vor denen man uns vor 25 Jahren mit Polizeiaufgeboten beschützen mußte. Angefangen von dem Zwang, der »Singularität des Holocaust« unsere Reverenz zu erweisen, über die Verpflichtung, die im Nürnberger Prozeß von den Siegermächten getroffenen Feststellungen auf alle Zeiten anzuerkennen, bis hin zu den vielen Tabus, die uns verbieten, historische Wahrheiten auszusprechen und zu diskutieren - all diese Denkverbote, die uns daran hindern, zu eigenständigen Wertungen und Urteilen zu kommen - dies alles ist nicht nur eine Beleidigung für jeden aufgeklärten Menschen, sondern auch das geistige Todesurteil für jede freie Gesellschaft. George Orwell läßt grüßen! Gottfried Benn schrieb: »Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten.« Und schließlich ist es als Offizier natürlich eine tiefe Enttäuschung, zu erleben, daß die Entwicklung vom selbstbewußten, charakterfesten, manchmal auch etwas knorrigen Offizier alter Tage hin zum glatten, stromlinienförmigen »Manager in Uniform« unaufhaltsam voranschreitet. 27
Aber trotz dieser äußerst düsteren und pessimistischen Erkenntnisse besteht Hoffnung. Und damit meine ich nicht das berühmte zarte Pflänzchen, das wir auch am Rande des Grabes noch zu pflanzen pflegen. Ich bin fest davon überzeugt, daß alle diese Fälle - von Nolte über Jenninger, Heitmann und Walser bis Hohmann - die Mauer der political correctness ins Wanken gebracht haben. Sie hat deutliche Risse, und der Druck im Kessel steigt. Das zeigt sich schon an der nervösen Überreaktion in dieser Affäre. Die Menschen sind zunehmend weniger bereit, sich die Zumutung dieser ad infinitum verlängerten Kollektivschuld gefallen zu lassen und auch noch in der fünften Generation das Büßerhemd zu tragen. Noch einige wenige solcher Vorfälle, und das Tabu könnte zerbrechen. Und in dieser Hoffnung sollten wir weiterkämpfen gegen Mittelmäßigkeit, Feigheit, Anpassung und Opportunismus, damit wir wieder von einer Meinungsfreiheit sprechen können, die diesen Namen verdient und die Voltaire so treffend beschrieben hat, als er sagte: »Ich hasse jedes Wort von dem, was Sie sagen; aber ich werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es auch weiterhin sagen dürfen.« Lassen Sie mich aber schließen mit einem Zitat von Mark Twain: »Die Demokratie beruht auf drei wesentlichen Säulen: der Freiheit der Gedanken, der Freiheit der Rede und der Klugheit, beide nicht zu gebrauchen.«
Und plötzlich ist alles politisch Götz Kubitschek im Gespräch mit Brigadegeneral Reinhard Günzel
Herr General, Sie sind Anfang November 2003 zu einem »Fall« geworden. Können Sie den Gang der Ereignisse nochmals holzschnittartig darstellen ?
Zunächst möchte ich zusammenfassend feststellen, daß auch hier - wie schon zuvor bei den »Fällen« Nolte, Jenninger, Heitmann, Walser und anderen - wieder in erschreckender Weise deutlich wird, wie schnell man in diesem Staat als ein heute noch völlig unbescholtener Mann schon morgen diffamiert und verfemt mit seiner Familie ins Unglück gestürzt werden kann, wenn sich diese herrschende Kaste einen Vorteil davon verspricht. Zu den Ereignissen: Auslöser meines »Falls« war ein zustimmender Brief, den ich dem Abgeordneten Martin Hohmann nach der Lektüre seiner später skandalisierten Rede zum 3. Oktober geschrieben hatte. Dieser Brief ist unter dem Bruch des Briefgeheimnisses durch Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21 am Mittag des 4. November 2003 veröffentlicht worden. Schon am frühen Nachmittag wies Verteidigungsminister 29
Peter Struck den Heeresinspekteur an, mich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt zu entbinden. Gleichzeitig bat Struck Bundespräsident Johannes Rau, mich in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen und betonte dabei noch: »Es handelt sich um einen einzelnen verwirrten General, der den Anschauungen eines noch verwirrteren CDU-Abgeordneten zugestimmt hat« und redete davon, daß mein »Rausschmiß« keine ehrenhafte Entlassung sei. Ich war an diesem unseligen 4. November gerade zu einer Dienstaufsicht in der Internationalen Fernspähschule der Bundeswehr im schwäbischen Pfullendorf, als mich ein Anruf aus dem Informations- und Pressestab der Bundeswehr erreichte. Der Offizier hat mich nach einem Brief an den CDUBundestagsabgeordneten Hohmann gefragt, den ein ZDFJournalist bei ihm vorgewiesen habe, der nun wissen wolle, ob dieser authentisch sei. Ich war verwundert, bestätigte aber, was ich bestätigen konnte. Eine halbe Stunde später erreichte mich ein zweiter Anruf, diesmal eines Offiziers des Führungsstabes des Heeres, der darum bat, ihm den Brief zuzufaxen, was mein Büro sofort erledigte. Dann rief mich mein Divisionskommandeur an, der aber nur wissen wollte, ob die genannten Fakten zuträfen. Schließlich klingelte der Befehlshaber des Heeresführungskommandos an und legte mir nahe, meinen Abschied anzubieten. Da ich mir keines Fehlverhaltens bewußt war, lehnte ich dies ab, beziehungsweise bat mir Bedenkzeit aus. Die Antwort: 30
»Gut, rufen Sie mich bis 16 Uhr zurück - aber bis dahin hat der Minister dann schon entschieden.« Wie, das konnte ich mir ausrechnen und kurz darauf im Fernsehen sehen. Niemand machte sich an diesem Tag die Mühe, mich zur Sache selbst zu befragen und zum Beispiel zu erfahren, welche Redefassung mir eigentlich vorgelegen hatte. Es wurde mir befohlen, mich am nächsten Tag um 14 Uhr beim Inspekteur des Heeres im Verteidigungsministerium zu melden. Dort ließ man mich vier Stunden warten, bis am Abend die unterzeichnete Entlassungsurkunde per Flugzeug aus Berlin eintraf. Um 14.15 Uhr wurde mir das erste Mal Gelegenheit gegeben, gegenüber einem subalternen Beamten zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Aber da war meine Entlassung bereits beschlossen, verkündet und unterschrieben - es war eine Farce. Ich habe dann darauf verzichtet, mich gegenüber diesem Beamten zu erklären. Auf diese Art und Weise ist innerhalb von zwei Stunden eine jahrzehntelange militärische Laufbahn beendet worden. Und da ich nicht an Zufälle glaube, bin ich mir mittlerweile sicher, daß meine Stellungnahme zur Rede des Abgeordneten Hohmann nur ein hochwillkommener Anlaß war, einen unliebsamen Mann wie mich auf bequeme Weise zu entsorgen. Dies ist mir übrigens von Insidern aus dem Ministerium bestätigt worden.
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Darüber möchte man jetzt natürlich genauer Bescheid wissen!
Es sind dies Dinge, über die ich mich in der Öffentlichkeit eigentlich nicht äußern möchte. Aber: Es ist ja kein Geheimnis, und dem aufmerksamen Zeitungleser ist es in den letzten Jahren nicht entgangen, daß ich schon einige Male mit bestimmten Aussagen das Mißfallen unserer politischen Führung auf mich gezogen habe. Und das ist wohl der Grund gewesen. Aber ich kann jetzt niemanden bloßstellen und möchte nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Vielleicht ein paar Andeutungen?
Nein, das kann ich nicht machen, das kann ich nicht tun. Ich selbst habe unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt bekommen, daß das Ministerium nur auf eine Gelegenheit für meine Suspendierung gewartet hat. Aber ich kann den Mann, der mir das erzählte, nicht gefährden, da wären sogar Andeutungen schon zu viel. Sagen kann ich aber etwas zu den Dingen, die man mir nachgetragen hat. Es sind dies beispielsweise meine Äußerungen um das Manöver im Elbsandsteingebirge, bei dem angeblich ein Naturschutzgebiet verletzt wurde. Man hätte dort nicht üben dürfen, hieß es. Letztlich stellte sich heraus, daß dort sehr wohl geübt werden konnte, aber zuvor hatte es viel böses Blut gegeben, auch eine Anfrage im Landtag. Ich selbst wurde in einer Pressekonferenz sinnentstellend aus dem Zusammenhang heraus zitiert. Sinngemäß hatte ich gesagt, 32
daß man über den Standort nachdenken müßte, wenn man mit der Truppe in der Region Probleme habe. Ich habe eben nicht nachgegeben, und das mag der Linie des Ministeriums widersprochen haben. Andere Beispiele sind meine Äußerungen zu den Vorfällen in Schneeberg1 oder das Interview, das ich damals spiegelonline2 gab; hinzu kommen Auseinandersetzungen mit dem Staatssekretär über die Frage der Kommandozulage und so weiter. Da bin ich immer ein unangenehmer Gesprächspartner gewesen und mehr und mehr in Ungnade gefallen. So etwas merkt man, und jetzt ist es mir eben - wie gesagt - bestätigt worden. Ihre Suspendierung lag also in der Luft? Dann hätte Struck nicht willkürlich gehandelt, sondern durchaus innerhalb einer politischen oder parteipolitischen Logik.
Vielleicht kann man das so sagen, ja; aber der Skandal bleibt ja ein Skandal: Denn obwohl ich mit vielen Entwicklungen innerhalb der Bundeswehr nicht einverstanden war, habe ich stets gute Dienste geleistet; ich wäre sonst nicht dort angekommen, wo ich zuletzt stand. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß politische Beweggründe so mir nichts dir nichts auf den militärischen Bereich würden übertragen werden können. Und daher sollten sich all diejenigen, die heute in dünkelhaftem Hochmut die Nase rümpfen oder sich schadenfroh die Hände reiben, darüber im Klaren sein, daß sie schon morgen 33
ohne jedes schuldhafte Verhalten - das nächste Opfer sein können. Denn genau das ist ja das besondere Charakteristikum unseres durchpolitisierten Klimas. Der moralische Schaden, der unserem Staat durch diesen Meinungsterror entstanden ist, läßt sich schon jetzt kaum noch abschätzen. Wurde eigentlich rechtens verfahren? Haben Sie Klage eingereicht gegen diese Art Ihrer Entlassung?
Ich habe mich sehr eingehend von verschiedenen kompetenten Rechtsanwälten beraten lassen. Und nachdem ich zunächst fest entschlossen war, gegen diese Art der Entlassung und auch gegen die Beleidigung gerichtlich vorzugehen, habe ich schließlich auf Anraten aller dieser Anwälte davon Abstand genommen, weil es eben ein Unterschied ist, Recht zu haben und Recht zu bekommen. In einem Land, in dem man Soldaten als Mörder bezeichnen kann, wird man gegen die Bezeichnung »verwirrter General« wohl kaum mit Erfolg klagen können. Und selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, daß ich schließlich nach Jahren Recht bekommen hätte, wäre dies in unserer »objektiven« Presse - wenn überhaupt - auf Seite 5 ganz unten in einer dreizeiligen Notiz erwähnt worden. Ich hätte also um eines zweifelhaften Erfolges willen sehr viel Zeit, Geld und Nerven investiert. Das war mir die Sache nicht wert. Verteidigungsminister Struck hat Ihre militärische Laufbahn beendet, die über vierzig Jahre dauerte. Im Rückblick: Welche Wegmar-
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ken waren wichtig? Welche Spuren hinterlassen Sie?
Mir sind diejenigen, die »Spuren hinterlassen« wollten, immer ein wenig suspekt gewesen. Ich bin davon überzeugt, daß sehr viel Unheil in dieser Welt nur deshalb entstanden ist, weil irgend jemand »Spuren hinterlassen« und »prägen« wollte. Das gilt für die Weltpolitik genauso wie für den persönlichen Bereich. Natürlich würde es mich freuen, wenn ich als Erzieher, Führer und Ausbilder den mir anvertrauten jungen Männern und mittlerweile auch Frauen - etwas Bleibendes mitgeben, Werte vermitteln konnte, die den Tag überdauern. Ob mir das gelungen ist, weiß ich nicht. Natürlich spürt man, ob man bei der Truppe »ankommt« oder nicht, und natürlich freut es mich zu erleben, daß die Kameraden auch nach Jahren noch freudig auf mich zugehen und sich an die gemeinsamen »alten Zeiten« erinnern. Aber diese Frage stellen Sie besser all denjenigen, die mit mir und unter mir gedient haben. Die Beantwortung der Frage nach den »Wegmarken« würde den Rahmen dieses Interviews bei weitem sprengen. Was aber meine Laufbahn von denen der meisten meiner Kameraden unterschieden hat, ist zweifellos die Tatsache, daß ich das große Glück hatte, die überwiegende Zeit meines militärischen Lebens - genau gesagt: 31 Jahre - in Führungsverwendungen eingesetzt gewesen zu sein, davon allein in sechs verschiedenen Kommandeurverwendungen. Und das in der 35
Infanterie, genauer: der Fallschirmjägertruppe, wo das Erlebnis der unmittelbaren militärischen Führung und das kameradschaftliche Miteinander deutlich intensiver ist, als etwa bei technischen Truppenteilen. Wer etwa als Kompaniechef bei einem Nachtsprung in unbekanntes Gelände in der Tür eines Transportflugzeuges steht, der trägt das gleiche Gepäck, empfindet die gleiche Anspannung und ist denselben Belastungen ausgesetzt wie seine Männer. Und da wird sehr schnell deutlich, aus welchem Holz der Betreffende geschnitzt ist und ob die Truppe ihm wirklich folgt oder nur befehlsgemäß hinterherläuft. Diese ständige Verpflichtung zu körperlich und charakterlich beispielhaftem Handeln hat mich wohl am meisten geprägt. Von Bedeutung war sicherlich auch der Umstand, daß ich meine Leutnantszeit in einem Fallschirmjägerbataillon in Wildeshausen verbringen konnte, in dem ich über mehrere Jahre hinweg eine nahezu ungetrübte, enge Kameradschaft erlebt habe. Alle diese Kameraden - von einer Ausnahme abgesehen haben mir sofort nach meiner Entlassung jedwede Hilfe und Unterstützung angeboten und, wo immer möglich, sich auch öffentlich zu mir bekannt. Umso härter traf es meine Frau und mich, daß gerade dieser eine Kamerad - ein hoher General - mit dem wir über 37 Jahre hinweg ununterbrochen auch familiär eng verbunden waren, ohne ein einziges Wort die Beziehung abgebrochen hat. 36
Für meine Entwicklung war natürlich auch von Bedeutung, daß ich eigentlich immer Vorgesetzte hatte, die mich verständnisvoll und »an der langen Leine« geführt haben, und bei denen ich mich nie verbiegen mußte. Und schließlich hatte ich das große Glück, daß mir als einem der ganz wenigen Generale Verwendungen im Ministerium erspart geblieben sind. Natürlich haben mir diese Erfahrungen hin und wieder gefehlt, aber ich bin davon überzeugt, daß ich diesen Dienstgrad wohl nicht erreicht hätte, wenn ich mich in diesem »Umfeld« hätte bewähren müssen. Worüber wären Sie gestolpert? Wäre es der Dienst im Ministerium allgemein gewesen oder spielen Sie auf Ihre politische Einstellung an?
Ich bin davon überzeugt, daß ich nicht der Typ bin, der sich auf die besondere Arbeitsweise eines Ministeriums wirklich hätte einstellen können. Ich wäre auf einem solchen Posten nicht besonders erfolgreich gewesen, vermute ich. Ich sage das nicht wertend, ich stelle das für meine Person und für meine Eignung fest und will nicht Ministerium und Truppe gegeneinander ausspielen. Truppe und hohe Stäbe insgesamt sind zwei unterschiedliche Bereiche, und ich halte mich eben für einen Mann der Truppe. Vom Bekanntwerden Ihres Briefs bis zu Ihrer Entlassung ging alles sehr schnell. Haben Sie dennoch Rettungsstrategien entworfen?
Es wäre ein leichtes gewesen, zunächst einmal auf Zeit zu spie37
len, jede Aussage zu verweigern oder beispielsweise zu erklären, daß mir nur die ersten sechs Seiten des Manuskripts vorgelegen hätten, wo von Juden im Bolschewismus überhaupt nicht die Rede war. Interessanterweise hat mich bis heute tatsächlich noch kein Vorgesetzter gefragt, welchen Redetext ich tatsächlich gelesen habe. Aber ein solches Taktieren und Lavieren empfand ich als würdelos. Als mir bekannt wurde, daß sich mein Brief in den Händen der Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21 befand, war mir völlig klar, daß dies nach der vorangegangenen Hexenjagd auf Hohmann und in unserer politischen Landschaft das Ende meiner militärischen Laufbahn bedeuten würde. Daß es allerdings auf eine so schäbige und perfide Weise ablaufen würde, hat meine schlimmsten Befürchtungen bei weitem übertroffen. Welche Illusionen sind während der heißen Phase zerbrochen ? Was hat Sie am meisten getroffen?
Die eigentliche Enttäuschung war das Verhalten meiner Vorgesetzten und Kameraden. Bis heute hat keiner meiner Vorgesetzten mich zur Sache gehört oder ein persönliches Gespräch mit mir geführt. Der Minister hatte gesprochen, und damit war die Sache für die Herren erledigt. Die vornehmste Pflicht des Vorgesetzten, die Pflicht zur Fürsorge, wurde großzügig außer Kraft gesetzt. Genauso beschämend war das Verhalten meiner vormaligen Kameraden, die reihenweise in Deckung gingen und nicht 38
einmal wagten, mir am Telefon oder per Brief ihr Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Lediglich fünf aktive Generale haben mir schriftlich ihre Sympathie bekundet. Das ist in einer Armee, in der der Soldat gesetzlich zur Kameradschaft verpflichtet ist, dem Kameraden also »in Not und Gefahr beizustehen« hat, schon bemerkenswert. Und wenn es sich dabei zum Teil auch noch um Männer handelt, die mich seit mehr als dreißig Jahren kennen und natürlich genau wissen, daß ich weder rechtsradikal noch antisemitisch bin, dann sagt das über den Charakter einer solchen Armee schon sehr viel aus. Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen ?
Da ich die Armee verlassen mußte, waren keine weiteren Konsequenzen zu ziehen. Natürlich habe ich alle »charakterlichen Urgesteine« aus meiner Korrespondenz gestrichen und damit eine erfreuliche »Frontbegradigung« durchführen können. Nicht selten wird man ja auch um eine Erfahrung reicher, wenn man um eine Illusion ärmer geworden ist. Aber hat diese bereichernde Erfahrung nicht dazu geführt, daß Sie sich über die Mechanismen des Staats und seinen Zustand mehr Gedanken machen als vorher? Daß Sie anders lesen, wahrnehmen, nachfragen?
Nun, das kann ich eindeutig bejahen; meine Sicht der Dinge hat sich seit letztem November natürlich deutlich verändert. Ich bin durch meinen »Fall« und durch die Beschäftigung mit 39
ähnlichen Affairen zu einer differenzierten und insgesamt veränderten Sicht der Dinge gelangt. Es ist dies jedoch eine ganz natürliche Sache: Wer plötzlich arbeitslos geworden ist, der beurteilt natürlich die konjunkturelle Situation anders als zuvor; und wem zum zweiten Mal das Auto gestohlen wurde, der sieht das Problem der Bandenkriminalität mit anderen Augen. Insofern ist es eigentlich normal, daß ich durch meinen »Fall« auf Dinge gestoßen bin, die ich vorher zwar gesehen, aber insgesamt doch nicht für besonders wichtig gehalten habe. Ich war eben vor allem Soldat, Kommandeur einer Truppe. Und dann steht man eines Tages auf, beginnt seinen Dienst - und erhält über Telefon mitgeteilt, daß man suspendiert ist. Ohne Vorwarnung. Plötzlich ist alles politisch. Gibt es Fälle, die mit Ihrem vergleichbar sind?
Meines Wissens gibt es für diesen Fall in der Geschichte der Bundeswehr und wohl auch in der deutschen Militärgeschichte keine Parallele. Wenn überhaupt, dann wäre der Fall des Generalmajors Schultze-Rhonhof in etwa vergleichbar. Aber nur »in etwa«, denn er ist zwar aufgrund seiner Kritik an der erneuten Verkürzung der Wehrpflicht und des »Soldaten-sindMörder-Urteils« des Bundesverfassungsgerichts in Ungnade gefallen und entlassen worden, aber doch nicht auf diese beschämende Weise. Schultze-Rhonhof hat uns jüngeren Offizieren damals natürlich wegen seines mutigen Auftretens mächtig impo40
niert. Er hat mit seinem sarkastischen Kommentar zur erneuten Verkürzung der Wehrdienstzeit der überwiegenden Mehrheit des Offizierkorps voll und ganz aus dem Herzen gesprochen: »Man kann auch mit platten Reifen an einem Radrennen teilnehmen«, war sein vielzitierter Kommentar. Und zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat er auf dem Neujahrsempfang seiner 1. Panzerdivision in Hannover sinngemäß festgestellt: »Wenn man uns Soldaten als Mörder bezeichnen darf, dann muß es auch erlaubt sein, das Bundesverfassungsgericht mit dem Volksgerichtshof zu vergleichen.« Das hat natürlich das Faß zum Überlaufen gebracht, aber - wie bereits gesagt: Er wurde mit militärischen Ehren auf eine anständige Art und Weise verabschiedet. Und nicht zu vergessen: der Minister hat ihn zuvor in einem persönlichen Gespräch angehört! An sich in jeder Armee der zivilisierten Welt eine Selbstverständlichkeit, die aber bei uns schon der besonderen Erwähnung bedarf. Insofern ist der »Fall Günzel« der bisherige Höhe- oder besser Tiefpunkt im menschlichen Umgang in unseren Streitkräften. Hier hat der Verteidigungsminister ein besonderes Zeichen moderner Menschenführung gesetzt, mit dem er zweifellos in die deutsche Militärgeschichte eingehen wird. Da wäre noch der »Fall Kießling«
Der Fall des Generals Dr. Kießling liegt etwas anders. Dr. Kießling hat keinen Widerspruch geübt. Er ist Ende 1983 wegen 41
angeblicher Homosexualität diffamiert und abserviert worden - eine äußerst üble und niederträchtige Geschichte, die sich aber nicht auf diese Frage »Männerstolz vor Königsthronen« oder Mut zum Widerspruch bezieht. Und immerhin wurde Kießling rehabilitiert und mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet. Leider bleibt auch hier anzumerken, daß nicht etwa das geschlossene und mutige Eintreten der Generalität - wie etwa im ähnlich gelagerten Fall des Generalobersten von Fritsch3 im Jahre 1938 - seine Rehabilitierung erzwungen hat, sondern die Recherchen der Kölner Boulevardpresse.
Jetzt sind schon etliche Fälle zur Sprache gekommen: Kießling, Schultze-Rhonhof, Schneeberg, also der »Fall von Scotti«, der damals völlig zu Unrecht wegversetzt wurde. Sie haben nun Ihren Kameraden, Ihren Vorgesetzten in Ihren Ausführungen vorhin vorgeworfen, daß keiner auf Ihren Fall reagiert habe, ganz zu schweigen von Solidarisierungen oder offenem Protest. Wie aber haben Sie sich verhalten, ah Sie von Fällen wie Kießling, wie Schultze-Rhonhof hörten, was haben Sie gedacht dabei?
Wenn hier der leise Vorwurf mitschwingt: »Wo war denn Ihr deutlicher Protest oder gar Ihr Rücktrittsersuchen, als diese Generäle vor Ihren Augen exekutiert wurden?«, dann muß ich noch einmal deutlich sagen: Ich verlange kein Märtyrertum, habe das auch in meinem Fall niemals eingeklagt, weil wir alle 42
wissen, daß es scheußlich weh tut, auf dem Scheiterhaufen zu stehen. Was ich von einem Kameraden verlange, ist ein Zeichen der Sympathie und Solidarität, und von einem Vorgesetzten erwarte ich Fürsorge. Fürsorge bedeutet: alles zu tun, um Schaden von seinen Untergebenen abzuwenden. Das ist übrigens nicht nur eine moralische, sondern in unserem Beruf sogar gesetzlich verankerte Pflicht. Im übrigen hat man erst als General die Möglichkeit, sein Entlassungsgesuch einzureichen und damit ein demonstratives Zeichen zu setzen. Was wir Jüngeren tun konnten, war, das beschämende Verhalten der Führung und der Generalität insgesamt in unserem Verantwortungsbereich und Kameradenkreis deutlich zu machen. Das ist durchaus geschehen. Wie ich ja leider auch in meinem Fall immer wieder feststellen mußte: Wenn es Widerspruch und Solidarität gab, dann entweder von den jungen Offizieren oder von den alten, also von den Pensionären. Das militärische Establishment hat nach dem bewährten Grundsatz gehandelt: »Deckung vor Schußfeld.« Und nochmals zu Ihrer Frage: Ich war, was die vorhin genannten Affären betrifft, damals nicht nur zu jung, sondern auch von der Sache viel zu weit weg. Und im Fall des Generalmajors von Scotti war ich ja selbst Betroffener. Wie ich auch in meiner Rede vor dem Berliner Kolleg ausführte, gab es ja vor einigen Jahren den Fall »Scotti-Günzel«, nachdem im Herbst 43
1997 SAT.1 das sogenannte »Horrorvideo von Hammelburg« als »Beweis« für die angeblich eklatant ansteigenden Fälle von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr veröffentlicht hatte. Einige junge Soldaten aus Schneeberg, die zur Vorbereitung der Balkankontingente über mehrere Wochen als feindliche Soldateska eingesetzt waren, hatten in einer Pause - gewissermaßen in Fortsetzung ihrer Komparsenrolle und wohl aus jugendlichem Übermut - Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen dargestellt und mit einer privaten Videokamera gefilmt. Daraufhin wurden ohne jede Aufklärung und Anhörung nicht nur alle auch nur ansatzweise beteiligten oder verantwortlichen Soldaten, sondern auch der Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision, der Generalmajor von Scotti, und ich als damaliger Kommandeur der Jägerbrigade 37 entlassen. Das geradezu Ungeheuerliche an dieser Geschichte war, daß ich mit der ganzen Sache nicht das geringste zu tun haben konnte, denn zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war ich noch gar nicht im Amt! Die Dinge waren etwa zwei Jahre vor meiner Kommando-Übernahme geschehen! Wer war damals Verteidigungsminister? Der CDU-Politiker Volker Rühe, nicht wahr? Können Sie ihn charakterisieren?
Minister Rühe hatte den bezeichnenden Spitznamen »Volker Rüpel«. Das sagt schon eine ganze Menge aus über das Führungsverhalten dieses Mannes. Im übrigen gilt auch hier der alte Grundsatz: De mortuis nihil nisi bene - im über44
tragenen Sinne natürlich. Daher will ich weder über ihn, noch über die damals verantwortlichen Vorgesetzten weitere Wertungen abgeben oder Namen nennen. Ich möchte hier noch einmal nachhaken. Sie sagen: Außer einer Solidaritätserklärung bleibe dem Offizierkorps keine Möglichkeit, gegen unstatthaftes Verhalten von Ministerseite zu protestieren. Nun unterblieb in Ihrem Fall ebenso wie im Fall Schultze-Rhonhof sogar diese Solidaritätserklärung. Ist das Offizierkorps kein Korps mehr? Ist es zu gemeinsamem Auftritt nicht in der Lage? Oder woran liegt es sonst?
Dies ist leider genau der springende Punkt. Einen Korpsgeist wie in früheren Zeiten, der sich in einem gemeinsamen Berufsethos, in einem Ehrenkodex ausdrückt und manifestiert, wird man in der Bundeswehr vergeblich suchen. Dies ist auch von Anfang an nicht gewollt worden, im Gegenteil: eine eigenständige soldatische Kultur hätte ja der Idee des Grafen Baudissin4 vom »Staatsbürger in Uniform« oder vom »Beruf wie jeder andere« vollkommen widersprochen. Und darum ist dieses Offizierkorps - von wenigen Ausnahmen abgesehen, die immer auf die Initiative einiger weniger Kommandeure zurückgingen - nie zu einem Korpsgeist erzogen worden. Es heißt zwar Offizier-»Korps«, aber außer der gemeinsamen Uniform gibt es nicht viel Verbindendes. Und das hat natürlich zur Folge, daß die Politiker mit diesem Führerkorps machen können, was sie wollen. 45
Herr General, Ihr Fall ist eine Aneinanderreihung unbilligen und schäbigen Verhaltens von Seiten Ihrer Vorgesetzten und des Verteidigungsministers. Der letzte Höhepunkt war das Verbot, Ihre Verabschiedung in Calw innerhalb des Standortes, innerhalb der Kaserne zu feiern. Sie mußten außerhalb feiern, sie mußten - wenn man hier von feiern überhaupt reden kann - diese Verabschiedung im Kreise ihrer Männer außerhalb der Kaserne begehen. Wie man hier und dort hört, war diese Feier ein Ereignis. Können Sie die Stimmung schildern ?
Ja, es war in Tat ein besonderes Ereignis, das mich wieder ein bißchen mit der Welt versöhnt hat. Aber auch diese, in jeder Beziehung beeindruckende Abschiedsfeier hat eine eher betrübliche Vorgeschichte. Zunächst einmal hatte die Kommandeurrunde des KSK beschlossen, mich noch im November oder Dezember im kleinen Kreis zu verabschieden. Da ich ja meine alte Kaserne in Calw auf Weisung des Ministers nicht mehr betreten durfte, sollte dies in einem Offizierheim der Luftlandebrigade 26, also in der Nähe meines Wohnortes, geschehen. Nachdem sich der zuständige Bataillonskommandeur zunächst einverstanden erklärt hatte, zog er wenige Tage später weshalb, weiß ich nicht - seine Zustimmung zurück. Statt dessen empfahl er, die Veranstaltung in einer Gaststätte vor der Kaserne durchzuführen und bot dazu seine Unterstützung an. Ich habe dies natürlich abgelehnt, weil ich es als würdelos empfand, mich sozusagen im Hinterzimmer einer Kneipe bei 46
Nacht und Nebel verabschieden zu lassen, nur weil irgendwelche Zwischenvorgesetzten mir in vorauseilendem Gehorsam nicht den Zutritt zu ihren Kasernen gestatten wollten, vielleicht in der stillen Hoffnung, hierfür vom Minister ein besonderes »Fleißkärtchen« zu bekommen. Im ersten Quartal 2004 fiel dann der Entschluß, mich im Kreise aller Führer aus dem Kommando zu verabschieden. Dazu hatte man wohl auch die Genehmigung der Heeresführung eingeholt. Nachdem dann aber unmittelbar vor dem geplanten Termin mein Interview in der Jungen Freiheit erschienen war, erklärte mir der für die Vorbereitung verantwortliche Stabsoffizier, daß nach Rücksprache mit seinem Kommandeur die Veranstaltung leider abgesagt werden müsse, weil aufgrund der Zeitnähe zwischen Interview und Verabschiedung Schaden für das Kommando zu befürchten sei. Nach dieser »heroischen Handlung« war für mich das Thema KSK beendet. Nun muß ich allerdings zur damaligen Situation im KSK fairerweise anfügen, daß mein Stellvertreter etwa zeitgleich mit mir versetzt worden war und der Chef des Stabes mit einer schweren Sprungverletzung im Krankenhaus lag: Die Truppe war in ihrer Handlungsfähigkeit und Entschlußkraft also deutlich eingeschränkt. Schließlich hat dann aber der Chef des Stabes nach seiner Rückkehr die Sache wieder aufgegriffen und wohl auch gegen manchen Widerstand inner- und außerhalb des Hauses eine erneute Verabschiedung angesetzt. Und da ich weiß, wie sehr 47
das KSK in diesen Tagen unter höchster und schärfster Beobachtung stand, und welch hohes Risiko er damit für seine Laufbahn ganz bewußt in Kauf genommen hat, habe ich vor der Haltung dieses mutigen Generalstabsoffiziers, der ja auch einem ganz besonderen informellen Karrieredruck ausgesetzt ist, allerhöchsten Respekt. Was nämlich auf dem Spiel stand, zeigt schon die Tatsache, daß es sich der Generalinspekteur höchstselbst bei seinem wenige Tage später durchgeführten Truppenbesuch mit hohen ausländischen Gästen in Calw nicht nehmen ließ, diesen Chef des Stabes - zwar ein wenig abseits, aber doch weithin vernehmbar - ob seines Verhaltens in scharfer Form zurechtzuweisen. Ich hoffe sehr, daß diese ungewöhnlich mutige Haltung nicht zu einem weiteren »Kollateralschaden« der Affäre Hohmann führt. Nun kann natürlich niemand einem »Staatsbürger in Uniform« verbieten, sich außer Dienst, auf neutralem Boden, mit wem auch immer zu treffen. Selbst das Tragen der Uniform ist nur in ganz wenigen, besonderen Einzelfällen verboten. Aber es gibt natürlich sehr subtile Mittel, um einen Offizier zu dem gewünschten Verhalten zu bewegen. Insofern muß man auch den besonderen Mut aller Beteiligten anerkennen, trotz all dieser Widerstände demonstrativ an dieser Verabschiedung teilgenommen zu haben. Und nachdem mir dann der Chef des Stabes erklärt hat, »die Truppe würde die Verabschiedung zur Not auch in meiner Ab48
Wesenheit, lediglich vor meinem Bild durchführen, wenn ich bei meiner Weigerung bliebe«, habe ich schließlich zugestimmt. Nicht nur, weil mich diese Entschlossenheit beeindruckt hat, sondern weil mir außerdem deutlich wurde, daß den Kameraden dieser Schritt ein wirkliches Herzensbedürfnis war. Ich will hier nicht auf die vielen persönlichen Abschiedsbesuche Einzelner und kleinerer Gruppen eingehen, die in der Zwischenzeit bei mir zu Hause stattfanden, als die Männer das Gefühl hatten, daß aus der geplanten Veranstaltung wohl nichts würde. Die Verabschiedung fand dann am 28. Mai in einer äußerst würdigen und beeindruckenden Form in einer eleganten Restauration statt, die für dieses Ereignis komplett angemietet worden war. Es wurde in jeder Phase deutlich, daß es den Kameraden darauf ankam, ein demonstratives Zeichen zu setzen gegen die demütigende Art der Entlassung und gegen das Verabschiedungsverbot des Ministers. Sie wollten zeigen - und das kam auch in den Reden immer wieder zum Ausdruck - daß Kommandosoldaten5 auch und vor allem in charakterlicher Hinsicht in den Streitkräften eine Elite darstellen, daß sie zwar wie alle anderen dem Prinzip von Befehl und Gehorsam unterliegen, aber nicht bereit sind, sich in ihrer Ehre beschädigen zu lassen. Und ihnen war natürlich klar, daß ihre Reaktion nicht nur hier in Deutschland, sondern insbesondere auch von der großen Familie der ausländischen Spezialkräfte sehr genau beobachtet würde. 49
Und so war diese Veranstaltung mehr als nur ein »Ersatz« für die verbotene offizielle Verabschiedung. Es war eine Demonstration der Zuneigung, ja, ich möchte fast sagen: eine Art Liebeserklärung, wie ich sie mir schöner nicht hätte vorstellen können. Ihre Schilderung zeigt, daß es unter den Soldaten einen Redekodex gibt, der antrainiert ist und der lehrt, daß man wissen muß, wo man sich wie äußert: Ist das Mikrofon an oder aus?
Das ist leider vollkommen richtig, und ich will es an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Mir hat ein junger Major, der mir früher einmal unterstellt war, berichtet, daß er meine Entlassung am Bildschirm im Kasino verfolgt und ganz spontan gesagt habe: »Ich schreibe meinem alten Kommandeur sofort einen Brief.« Und seine Kameraden, die das alles mit ihm zusammen genauso fassungslos verfolgten, haben dann gesagt: »Sei vorsichtig, halt Dich um Himmels willen zurück! Du siehst ja, was aus einem solchen Brief werden kann, und Du willst doch schließlich noch Oberstleutnant werden!« Dieses Beispiel steht für viele. Ganz eindeutig lebt das Offizierkorps unter dieser Fuchtel: bloß nicht auffallen, bloß nicht gegen die »Lehrmeinung« aufmucken! Das war ja auch der entscheidende Vorwurf an mich aus der Generalität: »Wer in dieser Position nicht das notwendige politische Gespür hat, der taugt eben nicht zum General.« Nicht von ungefähr ist der Soldat vom Brigadegeneral an auf50
wärts im rechtlichen Status eines »politischen Beamten«. Das sagt eigentlich alles. Im Gegensatz zu einem »normalen« Beamten kann ein »politischer« Beamter jederzeit, wann immer es der politischen Leitung gefällt, ohne Angabe von Gründen entlassen, beziehungsweise in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Und damit ist eben auch ein General verpflichtet, sich die jeweilige »politische Weltanschauung« zu eigen zu machen. Wird dieser Umstand thematisiert? Ist solchen Offizieren klar, was das bedeutet?
Eine Thematisierung findet natürlich nicht statt; denn das würde ja bedeuten, daß dieses Verhalten auffällig wäre, daß man daran etwas ändern müßte. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Der überwiegende Teil des Offizierkorps verhält sich absolut »normal«, völlig systemkonform. Genau diese Verhaltensweise wird von oben gewünscht und erwartet und von der Mehrheit der Offiziere als selbstverständlich praktiziert. Natürlich gibt es immer wieder Männer, die »wider den Stachel löcken«, die den Widerspruch wagen. Dies entspringt jedoch immer nur dem individuellen Charakter, ist also nicht das Produkt einer kontinuierlichen militärischen Erziehung, und manchmal ist es wohl auch eher eine Frage des Temperaments als des Rückgrats. In jedem Fall machen diese Männer aber nur sehr selten Karriere - eben weil ein solches Verhalten nicht erwünscht ist 51
und schon gar nicht honoriert wird. Aber es wäre natürlich auch vollkommen blauäugig anzunehmen, daß bei uns eine solche Erziehung stattfinden könnte; denn welche Institution erzieht schon zum Widerstand gegen sich selbst? Insofern darf man sich in diesem Punkt keinerlei Illusionen machen. Und darum verlangt ja auch der Mut zum Widerspruch zuerst einmal die bemerkenswerte geistige Leistung, einer Institution, in die man hineinwächst und in die man völlig eingebunden ist, kritisch gegenüberzutreten, bevor man dann die charakterliche Leistung erbringt, diesen Widerspruch auch auszuüben. Und wer dies tut, darf sich hinterher nicht beklagen. Denn man kann schließlich nicht verlangen, daß ein Mann, der die Firmenphilosophie in Frage stellt, in die Chefetage aufrückt. Vielleicht wird dieser Gedanke an einem Beispiel recht deutlich: Bei uns wird nicht deshalb permanent an den 20. Juli erinnert, weil unsere Männer zum Widerstand erzogen werden sollen; diese Erinnerungskultur dient ausschließlich der Verurteilung des NS-Regimes. Daran knüpft sich die Frage an, welche Botschaft vom Fall Günzel ausgeht. Man kann Ihren Fall ja ah große Disziplinierungsmaßnahme verstehen; es wurde einer geköpft, und das ist das Menetekel: Seht, dies wird jedem geschehen, der Ähnliches wagt. Ist diese Botschaft angekommen? Was wissen Ihre Männer, was sie vorher noch nicht wußten?
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Wenn Sie von »Disziplinierung« sprechen, setzt das voraus, daß es da etwas zu disziplinieren gäbe. Das ist aber nicht der Fall. Das Offizierkorps ist brav, kreuzbrav. Wenn zum Beispiel bei einer Großen Kommandeurtagung ein General aufsteht und den Minister oder den Kanzler auf eklatante Mißstände hinweist, dann geschieht das entweder so höflich, daß es schon fast als Zustimmung aufzufassen ist, oder er wird mit einer solchen Schärfe »abgebügelt«, daß die nächsten Wortmeldungen unterbleiben. Insofern geht von diesem Fall auch keine neue Botschaft aus, sondern es ist lediglich eine Bestätigung und Verstärkung der bislang geübten Verhaltensnormen. Oder ein anderes Beispiel: Seit Jahren wird die Bundeswehr unter dem Schlagwort »Friedensdividende«6 als Steinbruch benutzt. Die Schere zwischen Auftrag und Mitteln ist mittlerweile schon soweit auseinandergegangen, daß man sie gar nicht mehr als Schere erkennen kann. Wo sind aber die Inspekteure, die daraufhin in den letzten Jahren zurückgetreten sind? Fehlanzeige. »Man kann nicht immer zurücktreten«, hat einmal ein Generalinspekteur gesagt. Nein, natürlich nicht; aber einmal würde ja schon reichen! Der General Gudera ist der erste, der Anfang dieses Jahres die Konsequenz aus der dramatischen und unverantwortlichen Unterfinanzierung des Heeres gezogen hat. Aber leider so leise, daß es in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Und es geht alles weiter wie zuvor. 53
Der Primat der Politik ist eine Sache, die Verantwortung vor dem deutschen Volk eine andere. Was bedeutet das ? Was hätte General Gudera tun sollen?
Natürlich hat sich der Soldat den Entscheidungen des Politikers zu beugen; aber er hat eine höhere Verantwortung und Verpflichtung gegenüber seinem Volk. Und wenn der höhere General, also der Inspekteur beispielsweise, als Berater seines Ministers mit seinen grundsätzlichen Vorstellungen in militärischen Fragen, Fragen der Landesverteidigung etwa, kein Gehör findet, dann hat er nicht nur die Pflicht zum Rücktritt, sondern er hat gerade in einer Demokratie auch die Pflicht, dies öffentlich deutlich zu machen. Zurückgetreten ist General Gudera. Aber für meinen Geschmack viel zu leise. Hat die Truppe, haben Ihre Männer ein Gehör für die leisen Töne?
Das Signal, das von solchen Vorfällen an die Truppe ausgeht, ist verhängnisvoll: Die Männer verfolgen all diese Dinge natürlich mit sehr wachen Augen. Sie haben ein feines Gespür dafür, wie es um Fürsorge und Kameradschaft bestellt ist, wenn es wirklich zum Schwur kommt. Der Soldat kämpft ja nicht für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, für hohe nationale Kriegsziele. Diese Dinge bedeuten ihm wenig. In Wirklichkeit kämpft er für seine Gruppe und für seine nächsten Vorgesetzten. Wohlgemerkt: nicht auf Befehl, sondern für seine Vorgesetzten. Aber 54
natürlich immer nur, wenn er weiß, daß dieses Treueverhältnis beiderseitig ist. Nach solchen Vorfällen wird die Nachdenklichkeit in der Truppe zunehmen. Dahinter steckt ja geradezu eine subversive Auffassung.
Ich will hierbei nicht falsch verstanden werden: Wenn der Soldat der Überzeugung ist, daß seine Vorgesetzten nicht mehr hinter ihm stehen, daß sie sich von ihm abwenden, daß sie ihn fallen lassen, wenn er einmal einen Fehler gemacht hat, dann wird seine Risikobereitschaft, sein Einsatzwille, seine Entschlußfreudigkeit natürlich ganz erheblich abnehmen. Er wird sich fortan für jede einzelne Handlung absichern und nur noch das tun, was ihm schriftlich oder sogar vor Zeugen zu tun befohlen wurde. Und diesen Typus gibt es ja schon zuhauf in unseren Streitkräften. Und mit solchen Männern kann man vielleicht eine Armee recht und schlecht verwalten, aber kein Gefecht, nicht einmal mehr ein Manöver erfolgreich führen. Das meine ich mit der vorhin angesprochenen Nachdenklichkeit: Das Absicherungsdenken hält Einzug, der Soldat wird sich nicht mehr aus dem Fenster lehnen, militärisch gesagt: Den eigenen Entschluß wird so ein Soldat nicht mehr fassen, also keinen »echten« Entschluß, wie wir früher auf der Offizierschule des Heeres sagten. Die Nachdenklichkeit, die Sie eben beschrieben haben, führt also zur Ängstlichkeit? Es gäbe ja auch eine Nachdenklichkeit mit dem
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subversiven Aspekt, dann als Soldat oder als Truppe eigene Wege zu gehen.
So eine entschlossene Nachdenklichkeit mag sogar vorkommen, ich meinte aber tatsächlich die Ängstlichkeit. Diese Ängstlichkeit hat ihren Grund doch auch in Fällen wie Ihrem. Man kann Ihre Suspendierung doch als bisher letztes Glied einer Kette von Machtdemonstrationen der Politik gegenüber den Offizieren sehen.
Nochmals: Wenn es »Disziplinierungen« in der Geschichte der Bundeswehr gegeben hat, dann eigentlich nur in der Anfangsphase, als wehrmachtsgediente Generale Widerspruch gewagt haben. Es hat beispielsweise ganz erheblich »gestaubt«, als diese selbstbewußte Generalität auf einen nicht minder selbstbewußten Verteidigungsminister Strauß traf, der natürlich diesen Widerstand sofort brechen wollte - und sich dabei manchesmal die Zähne ausgebissen hat. Da gab es die Geschichte des damaligen Unterabteilungsleiters Personal, Brigadegeneral Müller-Hildebrandt, von dem der Minister verlangte, seinen Adjutanten außerhalb der Rangfolge und damit gegen die Bestimmungen zum Oberstleutnant zu befördern. Müller-Hildebrandt wurde von Strauß immer wieder einbefohlen, weigerte sich wiederholt und letztlich mit Erfolg, fiel natürlich in Ungnade und wurde zur NATO »abgeschoben«, was seiner Karriere aber dennoch, soweit ich weiß, keinen Abbruch tat. 56
Ich erinnere mich auch an die sogenannte »Generalskrise« 1966, als die Generale Trettner, Panitzki und Pape wegen des ÖTV-Erlasses7 und der Starfighter-Affäre8 ihren Abschied nahmen oder entlassen wurden. Mir ist die Äußerung des damaligen Verteidigungsministers von Hassel (CDU) noch sehr deutlich im Gedächtnis, der wörtlich sagte: »Ich werde es nicht mehr hinnehmen, daß Generale sich öffentlich äußern.« Danach kann ich mich aber an nichts Vergleichbares mehr erinnern - vom »Fall Schultze-Rhonhof« einmal abgesehen. Die Generalität der Bundeswehr hat im Grunde alle Kröten geschluckt, die man ihr vorgesetzt hat. Und vielleicht ist auch hier eine kleine Anekdote aufschlußreich: Nach dem französischen Militärputsch von Algier9 fragte Adenauer den Staatssekretär Dr. Gumbel recht besorgt, ob denn so etwas auch in Deutschland passieren könne; worauf Gumbel lächelnd zur Antwort gab: »Aber Herr Bundeskanzler - bei unserer Personalauswahl!« Selbst wenn diese Anekdote nicht stimmt, so ist sie zumindest gut erfunden! Aber an dieser Stelle muß ich einmal eine ganz grundsätzliche Anmerkung machen: Der »Fall Günzel« ist ja keineswegs ein normaler Disziplinierungsfall, wie etwa der »Fall SchultzeRhonhof«. Ich bin vielmehr ein »NS-Fall«. Hier greift das Dogma der Vergangenheitsbewältigung, das für die BRD konstituierend war und ist. Und darum wird hier nicht etwa nur ein unbotmäßiger General diszipliniert - und damit die Bundeswehr - sondern die gesamte Nation. Darum ist dieser 57
Fall so schwerwiegend, und daher ist hier auch die Panikstarre viel nachhaltiger als bei Schultze-Rhonhof, der »nur« ein Unruhefaktor für die Armee war. Ich bin ja im Grunde staatsgefährdend, weil ich die geistigen Grundlagen dieses Staates, das »Sack-und-Asche-Prinzip«, verletzt habe. Und das auch noch als Soldat! Von Friedrich dem Großen stammt die Bemerkung: »Die Herren Offiziere dürfen räsonieren, wenn sie nur parieren.« Das waren andere Zeiten. Muß nicht grundsätzlich bei Anspruch auf Gewissensentscheidung immer in Kauf genommen werden, daß man in Ungnade fällt?
Gehorsam ist für jede Armee die conditio sine qua non. Eine Truppe, die dieses Prinzip in Frage stellt, wird zu einer Räuberbande. Darum werden in allen Armeen der zivilisierten Welt schon im Frieden Ungehorsam und erst recht Gehorsamsverweigerung drakonisch bestraft, in der Bundeswehr beispielsweise mit Gefängnis. Andererseits tut dieselbe Bundeswehr alles, um die Umsetzung des Gehorsams und der Disziplin im täglichen Dienst der unteren Führungsebene so schwierig wie möglich zu machen. Die Mehrzahl der Vorschriften, die diesen Bereich regeln, sind entweder nicht an der Praxis orientiert, oder sie sind so kompliziert, daß sie den Vorgesetzten - und erst recht den einfachen Soldaten - regelmäßig überfordern. Auch hier kann 58
»der aus Einsicht gehorchende Staatsbürger in Uniform« als besonders einfältige Verkennung der Realität angeführt werden. Die Wehrdisziplinarordnung, die Wehrbeschwerdeordnung, die Vorgesetztenverordnung, die Grußordnung, der Innendienst, der Wachdienst und vieles andere mehr sind im Grunde nur mit einem kleinen Jurastudium zu begreifen. Und in der Tat reisen in regelmäßigen Intervallen die Rechtsberater zu einer entsprechenden Aus- und Weiterbildung zu den Truppenteilen. Keine Armee der Welt leistet sich den Luxus, über Jahre hinweg viele Monate wertvoller Ausbildungszeit aufzuwenden, um ihr Führerkorps auf diesem Nebenkriegsschauplatz einigermaßen handlungssicher zu machen. In allen Armeen der Welt kommt es vor, daß Vorgesetzte ihre Untergebenen schikanieren. Aber nur in der Bundeswehr ist es möglich, daß ein Untergebener seinen Vorgesetzten schikanieren kann. Wenn aber - wie bei uns - der Gehorsam mit dem Dienstgrad zunimmt, dann laufen wir Gefahr, die alte militärische Erkenntnis zu verwirklichen, daß in einer disziplinlosen Armee zwar die Generale aufs Wort gehorchen, während man mit den unteren Dienstgraden eher Probleme hat; in einer selbstbewußten Armee hingegen pflegen die Generale ein offenes Wort, während die Obergefreiten die Hacken zusammennehmen. 59
Zurück zu Friedrich dem Großen: Ja, räsonieren ist erlaubt, während Ungehorsam immer die extreme Ausnahme bleibt, für die der Soldat natürlich die Verantwortung trägt. Aber das Leben beim Militär besteht ja nicht nur aus Befehl und Gehorsam. Es gibt immer Möglichkeiten, Gegenvorstellungen zu erheben und mit seinen Vorgesetzten zu sprechen, um eine gegenteilige Auffassung deutlich zu machen. Und gerade der höhere Offizier hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, im Vorfeld der Befehlsgebung frei und mutig seine Meinung zu äußern! Denn es geht ja in einer Armee - mittelbar oder unmittelbar - immer um durchaus lebenswichtige Angelegenheiten. Und genau darum ist Zivilcourage für den Offizier eine unabdingbare Forderung. Was verstehen Sie unter dem Wort »Zivilcourage« für den militärischen Bereich ?
Im Grunde nichts anderes als auch im zivilen Bereich: »Männerstolz vor Königsthronen.« Mit dem Zusatz, daß es hier einen Punkt gibt, an dem der Widerspruch aufhört, nämlich dann, wenn am Ende der Entscheidungsfindung der Befehl steht. Und der Gehorsam findet nur dort seine Grenzen, wo die Befolgung eines Befehls ein Verbrechen oder Vergehen nach sich ziehen würde, wenn er gegen die Menschenwürde verstößt oder zu nichtdienstlichen Zwecken erteilt wurde. Zivilcourage ist aber noch aus einem anderen Grund von entscheidender Bedeutung: Die Erziehung zum selbstbewuß60
ten, couragierten Soldaten, der auch den Mut zum selbständigen Handeln hat, ist vor allem deshalb für eine Armee ausschlaggebend, weil im Krieg kaum noch etwas nach Plan abläuft. »Das Unerwartete ist die Regel«, sagt die Vorschrift oder: »Operationspläne gelten nur bis zum ersten Schuß«, wie der Feldmarschall von Moltke festgestellt hat. Wenn aber nichts mehr nach Plan verläuft, die Lage sich grundlegend verändert hat und der Vorgesetzte nicht erreichbar ist, wenn also Chaos herrscht, dann wird regelmäßig derjenige obsiegen, der schneller handelt als sein Gegenüber, der die Gunst des Augenblicks nutzt und nicht ängstlich nach oben schaut und auf Befehle wartet, die ihn in aller Regel zu spät oder gar nicht erreichen. Das ist die Idee der Auftragstaktik, die von preußischen und deutschen Verbänden bis 1945 glänzend umgesetzt wurde, und womit sie immer wieder aus einer Unterlegenheit an Zahl das Gefecht für sich entschieden haben. Aber ein solches Verhalten kann man nicht lehren und schon gar nicht befehlen - dazu muß erzogen werden; denn dies ist weniger eine Frage der Intelligenz, als vielmehr des Charakters. Und in einer Armee, in der jedes i-Tüpfelchen reglementiert ist, in der dem Untergebenen keinerlei Freiräume gelassen werden und jedes Fehlverhalten scharf sanktioniert wird, bleibt für die Entwicklung solcher »freien Köpfe« wenig Möglichkeit. Und vielleicht noch ein zweiter, nicht minder wichtiger Gedanke: »Gewissen« ist keine über alle Zeiten und in allen Kul61
turkreisen gleichermaßen gültige innere Instanz. Einige Beispiele: Wer sich bei den Azteken als Oberpriester geweigert hätte, einem Menschenopfer das Herz herauszuschneiden oder ihn gar vor dem Blutopfer gerettet hätte, wäre als gewissenloser Verräter an seinem Gott und seinem Volk davongejagt worden. Wer bei unseren Vorfahren und auch in vielen anderen Kulturkreisen Ehebruch beging, wurde selbstverständlich mit dem Tode bestraft. In unserer heutigen Gesellschaft hat dagegen der rasche Wechsel der Ehepartner fast schon Vorbildcharakter. Dasselbe Verhalten - aber ein völlig unterschiedliches Gewissen. Oder: Wo ist der Aufstand des Gewissens bei jährlich 300.000 Abtreibungen? Wer als Offizier im 18. Jahrhundert eine Beleidigung nicht sofort mit einer Duellforderung beantwortete, war gesellschaftlich erledigt, ein »gewissenloser Lump«. Heute ginge er für die Teilnahme an einem Zweikampf ins Gefängnis. Die Reihe ließe sich fortsetzen und zeigt, daß unser Gewissen nicht überall und zu allen Zeiten in gleicher Weise reagiert. Wir haben immer dann ein »gutes Gewissen«, wenn wir uns mit den Riten unseres Stammes beziehungsweise der jeweiligen Gesellschaft konform verhalten und ein »schlechtes Gewissen«, wenn wir diesen Gesetzen zuwiderhandeln. Und der 20. Juli war nur deswegen interessant, weil diese Frauen und Männer sich das Gewissen aus einer früheren Epo62
che konserviert haben. Er ist eben nicht der Aufstand des »Standardgewissens«, weil es gerade im Kriege durchaus auch ein anderes Gewissen geben kann. Die hohe Bedeutung der Zivilcourage besteht darin, daß sie eine gigantische eigene Erkenntnisleistung und Eigenmaßstäbe verlangt, während man zum Beispiel beim Mut auf dem Gefechtsfeld zwar die angeborene Feigheit überwinden muß, sich aber immer noch konform verhält, anerkannt wird und damit »ein gutes Gewissen« hat. Warum greifen denn Kommandeure völlig sinnlos ohne Feuerunterstützung über eine freie Pläne10 an und opfern ihr Leben und das ihrer Männer, während nur sehr wenige sagen: »So einen Schwachsinn mache ich nicht!«? - Eben weil es leichter ist, mutig zu sterben, als mit dem Ruf eines Feiglings zu leben! Und darum muß man auch das eigene Gewissen, die eigenen Wertmaßstäbe, sehr scharf von dem »Massengewissen« unterscheiden. Tucholsky hat es auf den Punkt gebracht: Nichts ist schwerer, und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: »Nein!« Wer über Gehorsam, Treueeid und Widerspruch nachdenkt, kommt zwangsläufig beim letzten Traditionsstück an, das die Bundeswehr mit der Wehrmacht verknüpfen soll: Ist der 20. Juli, ist Graf Schenk von Stauffenberg traditionswürdig für die Bundeswehr?
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Zunächst einmal ist es nicht nur das letzte, sondern vor allem das einzige Traditionsstück der Wehrmacht, das man der Bundeswehr zugestanden hat. Es gibt ja in der Bundeswehr überhaupt nur drei traditionswürdige Dinge: die preußische Heeresreform, den 20. Juli und die Geschichte der Bundeswehr selbst. Weil die Wehrmacht von einer verbrecherischen Politik mißbraucht wurde, galt sie automatisch als nicht traditionswürdig. Das ist etwa so, als würde man alle Errungenschaften der Medizin, der Pädagogik, Technik oder des Handwerks, die zwischen 1933 und 1945 erbracht wurden, ignorieren oder ächten. Natürlich verdient Graf Schenk von Stauffenberg, verdienen alle Frauen und Männer des Widerstands allerhöchsten Respekt und Anerkennung, sie sind ein leuchtendes Vorbild für jeden Deutschen. Aber man darf dabei eben nicht vergessen, daß es sich bei diesem Widerstand gegen die Obrigkeit um eine extreme Ausnahmesituation gehandelt hat. Und es bleibt zumindest fraglich, ob man eine Ausnahme zur Maxime, zur Richtschnur für künftiges Handeln erheben sollte. Und erst recht der einfache Mann kann doch aus dem Aufstand gegen die Staatsgewalt, aus einem Akt der Rebellion, des Hochverrats - so ehrenvoll die Motive auch immer sein mögen - keine Kraft schöpfen! Die Truppe braucht Vorbilder, die ihr Mut und Vertrauen in ihre Führung vermitteln, die inte64
grierend wirken und Gehorsam, Disziplin und Moral befördern, anstatt sie unsicher und zweifelnd zurückzulassen. Denn wohin das führt, sieht man schon daran, daß ja bei uns mittlerweile jeder Deserteur als Widerstandskämpfer verehrt wird! Ein besseres Mittel, die Moral der Truppe zu untergraben, kann man sich eigentlich kaum vorstellen. Hat sich die Akzeptanz des 20. Juli innerhalb der Bundeswehr gewandelt, von den fünfziger Jahren bis heute?
Dazu fehlt mir das eigene Erleben aus der Anfangszeit unserer Streitkräfte. Ich glaube aber schon, daß die Frauen und Männer des Widerstandes auch noch zehn, fünfzehn Jahre nach dem Krieg deutlich kritischer betrachtet wurden, als das später der Fall war. Sich auf den 20. Juli zu berufen bedeutet: charakterliche Eignungen eines Offiziers in den Vordergrund zu stellen, und auch von diesen Eignungen nur eine bestimmte Ausprägung. Woran knüpft die Bundeswehr an, wenn es um Tapferkeit, Mut, Führungsqualität geht? Und welche Tradition kennt sie, wenn es um die rein kämpferische Leistung, um das fachliche Vorbild geht?
Eine schwer zu beantwortende Frage. Wenn ich den Traditionserlaß richtig verstanden habe - was zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist - so gibt es keine Rückbesinnung auf frühere deutsche Armeen, auf große deutsche Soldaten, auf beispielhafte militärische Leistungen, obwohl wir eine minde65
stens ebenso bedeutende Militärtradition haben wie jede andere Nation. Die teilweise immer noch andauernde Bilderstürmerei, von der selbst ein integerer Mann wie Mölders11 nicht verschont bleibt sowie die vielfache Umbenennung von Kasernen sprechen eine deutliche Sprache. Die immer wieder erhobene Behauptung, die Bundeswehr existiere nun schon knapp fünfzig Jahre und könne somit auf eine »eigene beachtliche Tradition« zurückblicken, verkennt die uralte militärische Erkenntnis, daß sich Tradition auf dem Gefechtsfeld herausbildet - und sonst nirgends. Die Nagelprobe für eine Armee ist nun einmal der Krieg und sonst nichts. Darauf müssen alle Maßnahmen abzielen. Das Stapeln von Sandsäcken an Oder und Elbe war sicherlich ein verdienstvoller Einsatz - militärische Tradition läßt sich damit allerdings kaum begründen. Ironisch formuliert sind fünfzig Jahre Bundeswehr keine Tradition, sondern lediglich eine Firmengeschichte. Die Engländer sagen: »Loyalität gegenüber dem Regiment, Tradition und Disziplin formen einen standfesten Soldaten.« Haben Sie persönliche Vorbilder? Woran haben Sie sich orientiert?
Ein persönliches Vorbild - etwa in dem Sinne, wie ein junger Fußballspieler einmal so werden möchte wie Beckenbauer oder Uwe Seeler - hatte und habe ich nicht. Aber es gibt natürlich eine große Anzahl historischer Persönlichkeiten, 66
die ich hoch schätze und vor deren Lebensleistung ich mich verneige, ohne mich hier aber auf einzelne Personen, an denen ich mich orientiert hätte, festlegen zu wollen. Man kann ja beispielsweise auch das operative Genie eines Feldherrn bewundern, ohne jedoch den Menschen insgesamt als Vorbild anzusehen. Und außerdem: Je älter man wird und je mehr und besser man die Menschen kennt, desto schwieriger wird es, ein Vorbild zu finden. Und ab einem gewissen Alter muß man schon sehr begeisterungsfähig sein, um einen Menschen mit all seinen Licht- und Schattenseiten als vorbildlich anzuerkennen. Warum sind Sie eigentlich Soldat geworden?
Wenn ich ganz ehrlich antworte, kann ich leider keine heroischen Motive anführen. Ich wollte weder das christliche Abendland vor dem Kommunismus bewahren noch mein Leben für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in die Schanze schlagen. Dergleichen liest und hört man ja häufig, wenn ein pensionierter General seine Memoiren verfaßt. Bei mir gab den ersten Anstoß der Direktor meines Gymnasiums, ein passionierter Pazifist, der mehrfach öffentlich verkündete: »An meiner Schule macht niemand das Abitur, der den Offizierberuf ergreifen möchte.« Das hat natürlich meinen jugendlichen Widerspruchsgeist herausgefordert. Der zweite Grund war ein rein pragmatischer: Ich wollte mir etwas hinzuverdienen für das anschließende Studium der 67
Philologie, der Germanistik und Theaterwissenschaften. Daher verpflichtete ich mich zunächst auf drei Jahre. Und schließlich wollte ich nach dreizehn Jahren Schulzeit und vor dem Studium, vor dem »Ernst des Lebens«, etwas Abenteuerluft schnuppern. Dazu schien mir die Fallschirmtruppe eine gute Möglichkeit zu sein. Das war im Grunde meine Motivation als Achtzehnjähriger. Daß daraus dann knapp einundvierzig Jahre geworden sind, liegt eben an der Faszination dieses Berufes, trotz allem. Was fasziniert Sie denn so am Soldatsein?
Neben der Tatsache, daß in diesem Beruf nie Routine einkehrt, daß man also immer wieder vor neue, vollkommen unterschiedliche Aufgaben gestellt wird, war es vor allem die Herausforderung, junge Menschen auszubilden, zu erziehen und zu führen sowie unter hoher Belastung und auch in die Gefahr hinein handeln zu müssen. Die Verpflichtung zum persönlichen Beispiel, Manöver, Übungen und Ausbildungsaufenthalte in verschiedenen Ländern und Erdteilen runden dieses Bild ab. Aber wie gelangt man innerlich vom Plan, geisteswissenschaftliche Fächer zu studieren, letztendlich zum Kommando über die Spezialkräfte? Oder ist der Weg vom einen zum anderen gar nicht so weit wie es scheint?
Ich bin davon überzeugt, daß ein geisteswissenschaftliches 68
Studium und - im Extremfall - die Führung einer Spezialtruppe keinen Widerspruch, sondern eher eine wohltuende Ergänzung darstellen. Schon Plato hat ja - wenngleich auf einer anderen Ebene - den philosophischen König gefordert. Und auch Goethe, der ganz gewiß kein glühender Verehrer des Militärs war, hat treffend erkannt: »Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat.« Welches Bild vom Offizier wird von offizieller Seite als Leitbild vorgestellt? Wirkt sich dies auf die Rekrutierung aus?
Es gibt kein offizielles Leitbild. Wenn es eins gibt, so ist es mir bislang verborgen geblieben, oder aber es ist so vage, daß es sich von einem technisch, sportlichen Führungsberuf in der bürgerlichen Berufswelt nicht wesentlich unterscheidet. Natürlich, wenn der Verteidigungsminister an der Führungsakademie eine entsprechende Rede zu halten hat, dann zieht selbstverständlich ein kluger Referent sofort ein paar Blätter mit der Überschrift: »Leitsätze für den Offizier« aus der Schublade; aber ein offizielles, aktuelles Leitbild, das einem jungen Offizier als Richtschnur für sein Handeln dienen könnte, sehe ich nicht. Zumindest ist ein solches nicht offiziell verkündet worden. Die letzte ernsthafte Leitbilddiskussion, die diesen Namen verdient, betraf damals die »Leutnante 70«, eine Gruppe junger Offiziere, Studenten der Bundeswehrhochschule Ham69
burg, die im Zuge der Achtundsechzigerbewegung neun Thesen veröffentlichten, die das klassische Berufsethos des Offiziers auf den Kopf, mindestens aber stark in Frage stellten. Diese Diskussion ist aber - nach einer konservativen Antwort der »Hauptleute von Unna«,12 die diese Leitsätze mit entsprechenden Gegenthesen erwiderten - praktisch offen geblieben. Unser heutiges »Leitbild« vom Offizier ist deshalb der brave, biedere Offizier-Student, der seine Pflicht erfüllt, auf dem Papier zwar kritisch sein soll, tatsächlich jedoch ohne jede Tradition, ohne jedes besondere soldatische Ethos einfach funktioniert. Es ist dies der alerte, nette, junge Angestellte im Verteidigungsbetrieb. Der Krieg als Kategorie des Einsatzes tritt dabei nicht in Erscheinung, ja, dieser Begriff wird sogar ängstlich vermieden! Mitte der achtziger Jahre tauchte - wenn ich mich recht erinnere - zum ersten Mal überhaupt der Begriff »kriegsnahe Ausbildung« auf. Es wurden zwei durchaus brauchbare Broschüren mit entsprechenden Beispielen und Anleitungen an die Truppe verteilt. Aber, von wenigen gut gemeinten Versuchen abgesehen, ist es im Grunde dabei geblieben. Kommandeure und Kompaniechefs, die ernsthaft an die Umsetzung gingen, wurden entweder von ängstlichen Vorgesetzten zurückgepfiffen oder sahen sich einer Flut von Beschwerden gegenüber, weil so etwas in unserem gesellschaftlichen Umfeld und in einer Gewerkschaftsarmee13 eben nicht durchzusetzen ist. Um es an zwei Beispielen zu verdeutlichen: Wir haben über70
haupt kein Problem damit, jedes Jahr zwei kriegsstarke Brigaden in Form von Verkehrstoten von unseren Straßen aufzusammeln, weil wir das als ganz normalen Preis der Motorisierung betrachten. Bricht aber auch nur ein einziger Soldat trotz Einhaltung striktester Sicherheitsbestimmungen bei einem Gefechtsmarsch zusammen, dann hyperventiliert unsere Presse wochenlang und verlangt schärfste Untersuchung und Bestrafung der Verantwortlichen. Welcher Vorgesetzte wäre bereit, in einem solchen Umfeld »kriegsnah« auszubilden, also an die Grenze der Belastbarkeit zu gehen? Oder: wenn ein Kompaniechef seine Männer auf den Grundsatz vorbereiten will, daß »im Kriege das Unerwartete die Regel« ist, und er befiehlt dazu am Freitagmittag, wenn die Truppe bereits »in den Startlöchern« steht, eine 36-StundenÜbung, dann wird er sich in der nächsten Woche einer Beschwerdeflut gegenübersehen, die ihn für mehrere Tage an den Schreibtisch bindet. Und seine höheren Vorgesetzten werden ihm eindringlich verdeutlichen, »daß er selbstverständlich kriegsnah ausbilden könne, aber doch bitteschön nicht so«. Wie ist es mit dem Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« ? Der zivile Aspekt dieses Begriffs übt ja eine bändigende Wirkung aus.
Dieser Begriff, der von den Gründungsvätern der Bundeswehr eingeführt wurde, um den damals gewünschten Soldatentyp 71
zu beschreiben, hat leider offiziell immer noch Bestand allenfalls ein wenig abgemildert; dieses idyllische Bild, das man aus der Biedermeierzeit entliehen hat: der wackere Bürger, der auf der Stadtmauer hinter seiner Schießscharte steht und seine Heimat verteidigt, - also der Bäcker, Schuster oder Uhrmacher, der jetzt vorübergehend eben Uniform trägt, der aber natürlich kein Soldat war, und der daher - trotz seiner Beliebtheit im Volk - soldatisch nicht viel getaugt hat. Nun konnte man sich aber damals, im sogenannten Atomzeitalter, einen solchen Mann im Grunde durchaus noch leisten, weil die Bundeswehr von Anfang an als Abschreckungsarmee konzipiert war. Hätte die Abschreckung versagt, wäre die Armee ohnehin kurze Zeit später im atomaren Feuerball verglüht. Das war die herrschende Vorstellung. Und darum brauchte der Soldat auch nicht kämpfen zu können. Die Schlagkraft der Truppe war völlig irrelevant. Dieses Bild ist aber mit den heutigen Auslandseinsätzen »Verteidigung am Hindukusch« - völlig überholt, gleichwohl noch nicht widerrufen. Ehrlicherweise hätte der »Bürger in Uniform« mit dem ersten Auslandseinsatz feierlich begraben werden müssen. Denn: Jetzt muß auch der deutsche Soldat wieder kämpfen können! Aber das Leitbild des »Bürgers in Uniform« hat immer noch Bestand - zumindest ist mir nicht bekannt, daß es aufgehoben worden wäre. Es kann und darf ja auch nicht aufgehoben werden, weil es eben zu den Wesensgrundlagen dieser Armee gehört, daß der 72
Soldat keine eigene Rolle und kein eigenes Selbstverständnis haben darf. Wie entsteht ein solcher Begriff überhaupt? Und wenn er heute völlig überholt ist: Wer denkt dann über einen besseren Begriff nach?
Der Begriff ist entstanden als Ausdruck und Ergebnis des Biedermeierdenkens nach dem Kriege, weil er als Rückgriff auf diesen liberalen Spießbürger in Uniform genau der Denkweise und Haltung dieser damaligen Zeit entsprach. Und er entsprach damit in idealer Weise dem Konzept der »Inneren Führung« des Grafen Baudissin, das damit natürlich genau in die Marktlücke paßte, um die Nachkriegsmentalität mit der Wiederbewaffnung zu versöhnen. Denn die Stimmung in den Jahren nach dem Krieg war geprägt vom Gedanken: »Ohne Mich!«, nie wieder Soldat, nie wieder Militär; zwei Kriege nacheinander verloren, Deutschland in Schutt und Asche. Als der Gedanke der Wiederbewaffnung ins Gespräch gebracht wurde, ging regelrecht ein Aufschrei durch die Bevölkerung. So war die Mentalität Mitte der fünfziger Jahre, und nun mußte man natürlich versuchen, die Wiederbewaffnung auf irgendeine Art und Weise dem Volk wieder schmackhaft zu machen. Da hat man dann die »Innere Führung« und den »Staatsbürger in Uniform« aus dem Hut gezaubert, beides erinnert ja in keiner Weise an diese »furchtbare« Wehrmacht. Der »Staatsbürger in Uniform« wurde also zusammen mit der 73
»Inneren Führung« entworfen. Aber wie jeder Organismus das ganz natürliche Bestreben hat, eine Krankheit zu bekämpfen und Wunden zu heilen, so wurde im Zuge der Normalisierung der Bundesrepublik und der Streitkräfte auch über einen besseren Begriff nachgedacht. Unter dem General Karst und dem Verteidigungsminister Schröder (CDU) standen - wenn ich mich recht erinnere 1967/68 - zwei neue Begriffe zur Wahl: »Der Staatsbürger in Waffen« und »Der Staatsbürger als Soldat«. In dieser Zeit sind überhaupt eine Vielzahl positiver Maßnahmen - sowohl im inneren Gefüge wie auch im äußeren Erscheinungsbild - konzipiert und auf den Weg gebracht worden. Aber mit der sozialliberalen Koalition, dem Verteidigungsminister Helmut Schmidt und der Ellwein-Kommission 14 waren all diese Ansätze sofort wieder vom Tisch. Insofern ist es nicht übertrieben zu sagen, daß auch die Entwicklung der Streitkräfte im Zuge der Achtundsechziger-Kulturrevolution erheblichen Schaden genommen hat. Selbstverständlich versucht die Armee, manches heimlich zu verbessern, aber man darf natürlich an den großen Gründungsdogmen nichts ändern. Schon ein Nachdenken darüber hieße, die Glaubensgrundlagen der Bundeswehr aufs Spiel zu setzen. Und daher wird sich auf absehbare Zeit weder inhaltlich noch begrifflich Wesentliches ändern. Hat denn der Auslandseinsatz am Selbstbild des Soldaten, an seiner Professionalität nichts geändert? Gibt es einen spezifischen Einsatz-
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Offizier, der drei-, viermal für ein halbes Jahr auf dem Balkan oder in Afghanistan Dienst tut, obwohl er das nicht müßte?
Ja, natürlich gibt es Soldaten, die regelrecht in die Einsätze drängen, aus unterschiedlichen Gründen; aber natürlich auch, weil ihnen ein solcher Einsatz wesentlich besser gefällt, als der Routinedienst in der Heimat, weil er also ihrem soldatischen Selbstverständnis entspricht. Und ganz ohne Frage haben all diese Einsätze - Somalia, Balkan, Afghanistan - eine ganz erhebliche Änderung im Selbstbewußtsein unserer Soldaten herbeigeführt. Und wir haben in all diesen Jahren natürlich eine Fülle von Erfahrungen gesammelt, die für künftige Einsätze von unschätzbarem Wert sind. Wer in einem unsicheren Umfeld immer wieder für sechs Monate, getrennt von der Familie, auch unter völlig veränderten klimatischen Bedingungen bislang nicht gekannte Herausforderungen zu bestehen hat, der macht natürlich in seiner soldatischen Entwicklung einen gewaltigen Sprung nach vorn. Und wer regelmäßig bei Nacht mit scharfer Munition in Kabul und den angrenzenden Bezirken Patrouille fährt, der geht natürlich nach einem solchen Einsatz an künftige Aufgaben mit einer ganz anderen professionellen Ernsthaftigkeit und einem anderen Selbstbewußtsein heran als der Kamerad, der die gleiche Zeit in der heimischen Kaserne Dienst getan hat. Und bei all diesen Aufgaben stehen unsere Frauen und Männer allen anderen Armeen um keinen Deut nach. 75
Uns allen ist noch der »berühmte« Hauptfeldwebel lebendig in Erinnerung, der während des ersten Golfkrieges auf dem Luftwaffenstützpunkt im türkischen Erhac eingesetzt war, also im »Hinterhof« der Kriegshandlungen, und der erklärte, daß er während seiner dortigen Tätigkeit »um Monate gealtert« sei. Eine solche Aussage wird es heute ganz gewiß nicht mehr geben. Aber vergessen wir nicht: bisher hat noch kein Bundeswehrsoldat - vom KSK abgesehen - an Kampfhandlungen teilgenommen! Erst danach wird man den Geist und die Professionalität der Truppe bewerten können - nicht nach einem friedenserhaltenden Einsatz. Welche Rolle kommt dem Militär in Friedenszeiten überhaupt zu?
Also: »Schule der Nation« wurde ja bekanntlich abgelehnt; die Bundeswehr war allenfalls einmal die »Fahrschule der Nation«. Früher diente die Armee der Vorbereitung der Nation auf den Krieg. Das ist nicht mehr der Fall. In früheren deutschen Armeen ist ja der gediente Soldat, wenn er ins Zivilleben zurückging, in seinem Kern immer noch Soldat geblieben. In der Bundeswehr ist es genau umgekehrt: Hier bleibt der Soldat - so ist zumindest die Absicht auch wenn er jahrelang die Uniform trägt, in seinem Herzen Bürger, Zivilist. Erschwerend kommt hinzu, daß das Militär von Anfang an auf jede eigene prägende Kraft verzichtet und keine Eselei der 76
Zivilgesellschaft ausgelassen hat. Von den langen Haaren bis zur Mitbestimmung ist jede modische Verirrung und jede gesellschaftliche Strömung bereitwillig übernommen worden, ob sie militärisch sinnvoll war oder nicht. Auch daran zeigt sich wieder in schmerzlicher Weise das Fehlen einer eigenen militärischen Tradition. Und daher haben der Offizier und das Militär in Friedenszeiten auch überhaupt keine prägende Funktion für die Gesellschaft, Gott bewahre! Die Nation will weder von der Bundeswehr, noch vom Krieg etwas wissen, und daher hat der Offizier keine Rolle. Er spielt keine und er hat keine. Er hat nur brav in seiner »Firma« zu funktionieren wie das Personal bei der Post oder der Bahn. Er soll seine Leute ausbilden und schön in seine Einsätze gehen - von Ost-Timor bis Afghanistan - wenn irgendein Außenminister das für richtig hält. Und ansonsten verhindert er Verluste. Er hat ja noch nicht einmal die Aufgabe, die Ehre seines Landes zu verteidigen, die gibt es ja nicht. Der Begriff Ehre ist ja längst abgeschafft! Zeigt sich das in der Dienstauffassung? Ist das ablesbar?
Nehmen wir doch das jüngste Beispiel aus dem Kosovo. Ich sage dies unter allem Vorbehalt, weil ich keine authentischen Informationen habe. Aber wenn das stimmt, was unsere Zeitungen berichten, und was wir aus »wohlunterrichteten Kreisen« hören konnten, dann: »Gute Nacht, deutsches Soldatentum!« 77
Da rücken zweihundert UCK-Kämpfer an, um ein serbisches Kloster anzuzünden und sagen etwa sinngemäß zu den dort eingesetzten deutschen Soldaten: »Keine Angst, wir tun euch nichts, aber geht mal ein bißchen zur Seite, damit wir das Kloster niederbrennen können.« Polizisten der UNO rufen um Hilfe: »Holt uns hier raus, die bringen uns um!« Und was macht der deutsche Panzergrenadierzugführer? Er beurteilt die Lage, kommt zu dem Entschluß, daß zweihundert Kosovaren doch wohl ein bißchen viel sind, lädt die fünf serbischen Mönche in sein Fahrzeug ein und bläst zum Rückzug. Die deutsche Schutztruppe ergreift - horribile dictu - die Flucht! Die Bundeswehrführung, anstatt nun wenigstens den Mantel des Schweigens über diese höchst peinliche Affäre zu legen, erteilt diesem Mann - vielleicht aus schlechtem Gewissen? eine förmliche Anerkennung, »weil er umsichtig gehandelt und Verluste vermieden« habe, denn »Gebäudeschutz« stand wohl nicht auf seiner Auftragsliste. Ich mache dem braven Hauptfeldwebel überhaupt keinen Vorwurf. Er hat in einer höchst prekären Lage, auf die er offensichtlich nicht vorbereitet war, eine Entscheidung getroffen und vielleicht sogar Schlimmeres verhütet. Aber - wo waren denn hier die Vorgesetzten? Hier muß ein junger Hauptfeldwebel (weil unsere Leutnante ja derweil an der Bundeswehrhochschule Erziehungswissenschaften studieren müssen!) eine fast schon strategische 78
Entscheidung treffen, während von der gesamten militärischen Hierarchie bis hinauf zum Drei-Sterne-General nichts zu sehen und zu hören ist! Dieselben Vorgesetzten, die sich sonst mit modernsten Fernmeldeverbindungen, mit VideoKonferenzanlagen, in jedes Deckungsloch verbinden lassen und sich auch die unbedeutendsten Entscheidungen persönlich vorbehalten, sind plötzlich nicht mehr da! Das ist das eigentlich Befremdliche an dieser Geschichte. Gibt es Wendepunkte in der Geschichte der Bundeswehr im Hinblick auf den eben von Ihnen beschriebenen Zustand?
»Wendepunkt« ist vielleicht nicht das richtige Wort, besser gesagt: ein Tiefpunkt in der Geschichte der Bundeswehr war zweifellos die Situation Anfang der siebziger Jahre, wohl infolge der Achtundsechzigerbewegung, die leider auch an der Armee nicht spurlos vorübergegangen ist. Ich meine vor allem die Zeit unter dem Verteidigungsminister Schmidt, der von der Truppe mit großen Hoffnungen erwartet wurde. Als Stichworte nenne ich nur die Ellwein-Kommission und den Haarschnitterlaß, die als innere und äußere Symbole für die gravierenden Veränderungen dieser Jahre genannt werden können. Wesentliche Grundsätze der soldatischen Ordnung standen zur Debatte; selbst die Abschaffung der Grundstellung wurde ernsthaft erwogen, weil sie offenbar ein zu »repressives Element« im »partnerschaftlichen Miteinander« zwischen Vorgesetzten und Untergebenen darstellte. 79
Man muß sich vorstellen: Da stand man als junger Kompaniechef vor einer Truppe, die ihre schulterlangen Haare nur mühsam unter einem Haarnetz - wie unter einem Turban bändigen konnte! Dazu lange Koteletten und Ziegenbärte! Und das alles begleitet von einem herausfordernden, hämischen Grinsen! Das war Wehrkraftzersetzung in Reinkultur, und damit waren wir als junge Offiziere damals konfrontiert. Aber man erhielt nicht die Mittel an die Hand, diesem Treiben rasch und nachhaltig ein Ende zu bereiten. Die Armee wurde liebevoll ironisch als German Hair-Force bezeichnet. Und kein höherer Vorgesetzter, der erkennbar gegen diesen Frontalangriff auf die militärische Disziplin aufgestanden wäre. Im Gegenteil: Verteidigungsminister Schmidt - immerhin Oberleutnant der Wehrmacht! - kommentierte diesen Zustand mit einem so klugen Satz wie: »Es kommt mir nicht darauf an, was der Soldat auf-, sondern was er im Kopf hat.« Wahrlich ein Satz von ministerieller Weitsicht! Wem käme es denn nicht darauf an? Aber muß man seine Intelligenz notwendigerweise durch schulterlange Haare unter Beweis stellen? Wohlgemerkt: Gegen schulterlange Haare ist nicht das Geringste einzuwenden, - wo sie richtig am Platze sind. Sie sind sogar bei Soldaten hinnehmbar, wenn sie - wie beispielsweise bei den Gurkhas15 - als ein Zeichen soldatischer Elite getragen werden. In der Bundeswehr und unterm Haarnetz waren sie aber ein deut80
licher Ausdruck des Protestes und der Obstruktion! Die Armee war eindeutig eine Beute der Achtundsechziger! Vieles, was vorher unter Ellwein an Negativem geschaffen worden war, wurde unter Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) bis zur Olympiade von 1972 wieder so einigermaßen zurechtgerückt, weil man wohl die Bundeswehr nicht dem homerischen Gelächter der Weltöffentlichkeit preisgeben wollte. Die Haare wurden wieder kürzer, das gesamte soldatische Element hielt wieder Einkehr, die Disziplin erlebte eine vorsichtige, aber deutliche Renaissance. Ich war zu dieser Zeit Chef einer Fallschirmjägerkompanie. Unter den Fallschirmjägern war das nie so ein Problem, weil die Männer, die zur Fallschirmtruppe kamen, also auch die Wehrpflichtigen, schon anders gestimmt waren, von ihrem ganzen Selbstverständnis her etwas soldatischer als der Durchschnitt. Natürlich gab es auch bei uns lange Haare und alle anderen Entwicklungsfehler, die ich ansprach; aber es gab sie nicht in dem Umfang, nicht in dieser exzessiven Form, wie das in anderen Truppenteilen der Fall war. Aber selbst wenn die größten Schäden wieder behoben wurden: Dies war natürlich ein weiterer Sargnagel für unsere Streitkräfte. Es ist im Grunde ein Wunder, daß die Truppe unter diesen desaströsen Zuständen überhaupt noch einigermaßen funktioniert hat. Ich bin sicher, daß jede andere Armee der Welt unter solchen Bedingungen zusammengebrochen wäre, wie uns ja auch von alliierten Kameraden immer wieder versichert wurde. 81
Und dies ist zweifellos nur dem Idealismus unserer Offiziere und Unteroffiziere zu verdanken, zum Teil natürlich auch den überwiegend anständigen Wehrpflichtigen, die diese Mißstände nicht bis über die Schmerzgrenze hinaus ausgenutzt haben. Haben Sie damals nie darüber nachgedacht, die Bundeswehr wieder zu verlassen ?
Natürlich haben viele über eine solche Möglichkeit laut nachgedacht; aber wohin wollen Sie denn gehen mit 35 Jahren und einer vierköpfigen Familie? Das ist ja das Dilemma! Der Oberstleutnant von der Marwitz16 konnte dem Alten Fritz seinen Degen vor die Füße werfen und sich auf seine schlesischen Güter zurückziehen. Der Offizier der Bundeswehr tut sich da schon etwas schwerer. Sie haben den Vorstoß der »Hauptleute von Unna« bereits erwähnt. Wie haben Sie dieses doch deutlich konservative Signal damals gewertet? Ist der Soldat nicht per definitionem ein Konservativer?
Selbstverständlich. Wer einen Eid darauf leistet, sein Leben für sein Vaterland einzusetzen, der kann schwerlich ein Revolutionär sein, der wird sich immer eher der Tradition als der Revolution verpflichtet fühlen. Insofern ist auch das Signal der »Hauptleute von Unna« wohl überwiegend positiv aufgenommen worden; aber dabei ist es im Grunde dann auch geblieben, weil eben eine Richtungsänderung immer nur von vorne, also von oben erfolgen kann. 82
Mußte alles so kommen ? Von welchen Startbedingungen war bei der Wiederbewaffnung auszugehen? War die Bundeswehr die Fortführung der Wehrmacht mit anderen Mitteln?
Die Armee war von Anfang an falsch, mindestens aber unglücklich konzipiert. Oder anders gesagt: sie war immer ein ungeliebtes Kind dieses Staates. Sie wurde nie wirklich innerlich akzeptiert, bestenfalls toleriert. Sie war immer ein »notwendiges Übel«. Ja, sie war sogar ein ungewolltes Kind. Denn sie ist ja nicht aus dem Volk heraus entstanden, sondern aus einer Liaison mit den Besatzungsmächten. Adenauer ging es ausschließlich darum, mit zwölf schnell aufgestellten Divisionen die Bündnisfähigkeit der BRD herzustellen. Die Schlagkraft spielte dabei überhaupt keine Rolle. Und dann hat man - unter der Last der Vergangenheitsbewältigung und begeistert von der »Gnade der Stunde Null« - eine Armee konzipiert, die sich in allem von der Wehrmacht unterscheiden sollte. Das ist brillant gelungen. Denn während die Wehrmacht allen Armeen ihrer Zeit weit überlegen war und von der Welt bewundert wurde, müßte sich die Bundeswehr schon sehr auf die Zehenspitzen stellen, um da heranzureichen. Man hatte das Gefühl, daß sich die Schöpfer der Bundeswehr ständig für ihr Werk entschuldigen wollten. Daher um Himmels willen bloß nicht zu militärisch, bloß keine Ähnlichkeit mit früheren deutschen oder preußischen Armeen! »Der Friede ist der Ernstfall« und andere Sprechblasen sind mir noch deutlich in Erinnerung. 83
Die Aufstellung der ersten Divisionen war also getragen von einem deutlichen Mißtrauen gegen den Soldaten, gegen das Militär, dem man ja die Schuld an der Katastrophe gegeben hatte. Diese Angst spiegelt sich in vielen Organisationsstrukturen wider, angefangen bei der Einrichtung des Wehrbeauftragten, dem institutionalisierten Mißtrauen! Andere Beispiele sind die Wehrgesetzgebung oder die Tatsache, daß wesentliche Funktionen in der Hand von Beamten liegen, daß die Bundeswehr keine Militärgerichtsbarkeit ausüben darf, über keinen eigenen Nachrichtendienst verfügt und daß der höchste Soldat weitgehend machtlos unter dem Staatssekretär rangiert. Man hatte oft das Gefühl, daß irgendeine geheime Kraft permanent Sand ins Getriebe schaufelte, damit diese Armee bloß nicht über ein bescheidenes Mittelmaß hinauskommt. Und so scheint man bei der Organisation der Bundeswehr auch weit mehr darum bemüht gewesen zu sein, den »braven Soldaten« vor »seinem bösen Vorgesetzten« zu schützen und den Staat vor dem Soldaten, als darum, den Soldaten optimal in die Lage zu versetzen, diesen Staat zu schützen. War aber die Bundeswehr nicht faktisch die »Fortführung der Wehrmacht mit anderen Mitteln« ?
Vielleicht soviel: Etwa zehntausend Offiziere und rund dreißigtausend Unteroffiziere der Wehrmacht haben die Bundeswehr aufgebaut und dabei natürlich versucht, ihr einen 84
gewissen Geist und eine besondere Haltung zu vermitteln. Insofern gab es schon ein Anknüpfen an die Wehrmacht. Aber - wie jeder Pfadfinder weiß - wenn die Marschkompaßzahl falsch eingestellt ist, dann kann man laufen wie der Wind: man kommt nicht ans Ziel. Erschwerend kommt hinzu, daß dieser Homunculus »Bürger in Uniform«, den man ja aus purer Angst vor dem Soldatischen geschaffen hatte, natürlich keinerlei Verbindung haben durfte zur großen deutschen soldatischen Tradition. Man hat also einen Baum gepflanzt ohne Wurzeln. Wen kann es da wundern, daß dieser Baum wie ein Schilfrohr im Sumpf des Zeitgeistes hin und her schwankt? Und daher ist es immer wieder erstaunlich zu erleben, mit welch beispielhafter Leistungsbereitschaft die vielen hervorragenden Soldaten und Kommandeure, die diese Bundeswehr natürlich hatte und hat, ihr exzellentes Potential bei internationalen Wettbewerben und Manövern glänzend unter Beweis gestellt haben, weil offenbar dieser Volkscharakter auch mit der kläglichsten ideologischen Konzeption nicht totzukriegen ist. An der betrüblichen Gesamtsituation kann dies aber leider nichts ändern. Welche Rolle spielte die Innere Führung, welche spielt sie heute?
Das ist eher eine Frage für ein Wochenendseminar. Man hat ja eigens zur Erklärung und Vermittlung dieses äußerst schillernden und schwammigen Begriffes eine separa85
te Schule geschaffen - das »Zentrum Innere Führung« in Koblenz. Ganze Bibliotheken sind mit entsprechenden Abhandlungen gefüllt! Und das zeigt bereits, daß diese Idee - um nicht zu sagen: Ideologie - nicht truppentauglich ist. Das »Handbuch Innere Führung« ist eine Ansammlung von Annahmen, Behauptungen und Idealvorstellungen, die für die Ausrichtung einer Armee weitgehend untauglich sind. Die Truppe kann jedenfalls nicht viel damit anfangen. Ich unterstelle dem Grafen Baudissin - dem Schöpfer der »Inneren Führung« - durchaus ehrenwerte, edle Motive. Aber er war, bei allem schuldigen Respekt, in vielen Bereichen ein Romantiker, auf der Suche nach der »Blauen Blume« des Militärs! Und »heilige Einfalt« kann und darf doch nicht die Grundlage einer Armee sein, bei der es im Ernstfall um nichts Geringeres geht als um Leben und Tod, um die Existenz unseres Staates! Und es ist immerhin bemerkenswert festzustellen, daß keine Armee der Welt dieses Konzept der »Inneren Führung« übernommen hat, obwohl es immer wieder - gerade jetzt den neuen NATO-Partnern aus Mittel- und Osteuropa - als großer Erfolgsschlager angedient wird! Alle haben es sofort beiseite gewischt oder ignoriert und nur nach »Wehrmachtslösungen« gefragt. So etwa der renommierte israelische Militärwissenschaftler van Creveld,17 der in seinen Werken immer wieder der Frage nachgeht: »Was hat oder hätte die Wehrmacht in dieser Lage gemacht? Was war das 86
Erfolgsgeheimnis der Wehrmacht?« Kein Mensch hat jemals die Frage nach der Bundeswehr gestellt! »Innere Führung« wird von vielen Offizieren als »zeitgemäße Menschenführung« übersetzt. Aber das greift natürlich viel zu kurz. Wenn es nur das wäre, dann hätte man sich die Kubikmeter von Literatur sparen können. Welche Armee würde denn nicht von sich behaupten, daß sie ihre Soldaten »zeitgemäß« führt? Und gerade die deutschen und preußischen Armeen sind schon seit dem Großen Kurfürsten - beispielhaft in ihrer Menschenführung gewesen. Anders wären doch die großen Erfolge - zumal überwiegend bei einer Unterlegenheit an Zahl - gar nicht möglich gewesen! Nein, Menschenführung mußte in Deutschland nicht neu erfunden werden. Das Wesen der »Inneren Führung« ist deshalb etwas ganz anderes: Zunächst wurde mit der »Inneren Führung« das Kunststück versucht, eine Armee zu schaffen, die nach außen gefährlich, aber nach innen harmlos sein sollte. Ein Kunststück, das die großen Demokratien, genauer gesagt: die angelsächsischen Demokratien übrigens geschafft haben, wobei all diesen Armeen natürlich immer ihre Tradition, ihr Eigenleben belassen wurde. Was allerdings keine besondere Leistung war, weil sie ihre Kriege ja auch - von Ausnahmen abgesehen - immer gewonnen haben. Genau diesen Kunstgriff hat man mit der Bundeswehr versucht, und das ist im Grunde die eigentliche Absicht und der 87
Clou der »Inneren Führung«. Aber dieser »Exportschlager« interessiert natürlich niemanden, weil keine andere Nation unsere neurotischen Probleme hat. Und so bestehen die beiden entscheidenden Faktoren der »Inneren Führung« darin, daß der Soldat erstens keine eigene Kultur mehr haben darf, geschweige denn eine Sonderstellung im Staat. Der Satz des damaligen Verteidigungsministers KaiUwe von Hassel: »Der Beruf des Soldaten ist ein Beruf wie jeder andere. Er genießt weder höheren noch niederen ethischen Wert. Er ist ein Teil unserer Gesellschaft«, bündelt diese verhängnisvolle Forderung. So etwas funktioniert aber, wie bereits dargestellt, allenfalls in einer Abschreckungsarmee. Im Kalten Krieg brauchte der Soldat nicht »gehätschelt« zu werden, weil er ja für diesen Staat nicht kämpfen und nicht sterben mußte. Aber genau das gilt jetzt nicht mehr, und darum hat sich auch der Begriff der »Inneren Führung« erledigt. Zweitens bedeutet »Innere Führung« die Verbürgerlichung des Soldaten: Sein Wesenskern, das Soldatische, soll verschwinden. Er soll eigentlich Zivilist sein, soll aber gleichzeitig das können, was ein Soldat kann - von dem besonderen Berufsethos einmal ganz abgesehen. Und das kann nicht funktionieren. Es ist dies ein Spagat, der jeden Menschen überfordert. Man kann zum Beispiel nicht von einem Fallschirmjäger verlangen, bei Nacht und Nebel aus 3000 Meter Höhe in einen 88
Busch hineinzuspringen, vier feindliche Soldaten bei den Ohren zu packen - und sich dann tags darauf so brav zu benehmen wie die heilige Veronika. Diesen Menschen gibt es nicht. Die Verwirklichung der klassischen soldatischen Tugenden setzt einen besonderen Typus voraus, der eben nicht »nebenbei« auch noch Zivilist ist. Der Verteidigungsminister Strauß hat dies einmal so schön ironisch auf den Punkt gebracht: »Die Bundeswehr soll einerseits die sowjetischen Divisionen an der innerdeutschen Grenze aufhalten und andererseits so brav sein wie die Freilassinger Feuerwehr.« Wenn man von einem Soldaten verlangt, daß er mitten im Frieden sein Leben aufs Spiel setzt, während der satte Bundesbürger dies im bequemen Sessel am Fernsehschirm verfolgt, dann muß man ihm schon etwas mehr geben als Geld; oder man muß ihm wenigstens dieses Geld geben - aber dann richtig. Mit einer Gewerkschaftsarmee, die man behandelt wie ein bewaffnetes »Technisches Hilfswerk«, ist so etwas nicht zu haben. Was könnte dieses »Mehr« sein, das man den Soldaten geben muß?
Ganz einfach: man muß ihm etwas geben, das ihm den Einsatz seines Lebens mitten im Frieden wert erscheinen läßt. Denn wir befinden uns ja nicht im »Großen Vaterländischen Krieg«, in dem die Existenz unseres Staates oder das Leben unserer Familien auf dem Spiel steht. 89
Hier geht es darum, ausreichend qualifizierte Männer zu gewinnen, die bereit sind, freiwillig ihre Haut zum Markte zu tragen; und dies für politische oder humanitäre Zwecke, die nicht immer so ohne weiteres einsehbar sind. Warum sollte sich jemand, der bestenfalls wie ein Briefträger bezahlt wird und im gesellschaftlichen Ansehen im unteren Drittel liegt, für so etwas hergeben? (Wobei diese Geringschätzung ja nicht aus seiner mangelhaften Leistung resultiert, sondern ganz gezielt von oben verordnet wurde.) Ein Blick in die Geschichte und die verschiedenen Kulturkreise zeigt, daß es vielfältige Möglichkeiten gibt, um Menschen zu diesem Opfer zu bewegen: materielle und ideelle. Und da sich in unserer Gesellschaft der Wert eines Menschen vorwiegend über das Geld definiert, wird man wohl am ehesten hier ansetzen müssen. Wenn man aber dieses Geld nicht hat oder nicht ausgeben will, würde ja schon eine Parade »Unter den Linden« oder ähnliche Maßnahmen das Selbstwertgefühl der Truppe ganz erheblich anheben und ihr wieder für einige Monate Kraft geben. Den Versuch unseres Staates hingegen, solche Männer quasi zum Nulltarif zu gewinnen, wird man weiterhin mit Interesse beobachten dürfen. Solange der Dienst beim »Bund« lediglich einen sicheren Arbeitsplatz bedeutet, mag dies noch gelingen; wenn aber am Flugplatz Köln-Bonn die ersten Zinksärge ausgeladen werden, wird bei unseren jungen Männern und ihren Familien vermut90
lich etwas Nachdenklichkeit einkehren. Denn was ein »scharfer Einsatz« für die Familie bedeutet, kann ich als ehemaliger Kommandeur des KSK recht gut beurteilen. Natürlich wird es immer einige Idealisten geben; ob das aber für eine Armee von einer Viertelmillion Mann ausreicht, wird sich zeigen. Wie muß ein junger Offizier ausgebildet werden, damit er Ihren Vorstellungen entspräche?
Eine schwierige Frage, über die in allen Armeen mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen nachgedacht wird. Neben der rein fachlichen Ausbildung muß der Ausbildungsgang zum einen die geistige und dann vor allem die charakterliche Entwicklung und Bildung zum Ziel haben. Und da ist meine Wunschvorstellung zunächst einmal ein umfassend geisteswissenschaftlicher, historischer und humanistischer Ausbildungsgang - vielleicht eine Idealvorstellung. Natürlich brauchen wir auch Naturwissenschaftler, keine moderne Armee wird ohne sie auskommen. Aber ein Offizier sollte schon die humanistischen Ideen und Werte des christlichen Abendlandes kennen und sogar verinnerlicht haben. Denn für die muß er ja eintreten! Für die muß er sogar bereit sein, sein Leben einzusetzen! Außerdem ist der humanistisch gebildete Offizier nicht nur bestmöglich gegen jede ideologische Vereinnahmung gewappnet, sondern es werden ihm auch in einem solchen Erziehungsgang die Werte und Ideale vermittelt, die nicht dem Zeitgeist 91
geist unterworfen sind, und die ihm eine grundsätzliche Orientierung und Richtschnur geben können. Und diese humanistischen Werte und Ideale werden in einem Ingenieursstudium nur sehr begrenzt vermittelt. Und unsere konsumorientierte Wohlstands- und Spaßgesellschaft vermittelt sie schon gar nicht. Warum haben beispielsweise die Kommunisten sofort die humanistischen Gymnasien abgeschafft und die Geschichte neu geschrieben? Weil sie so die Menschen leichter führen beziehungsweise verführen konnten. Es bleibt abzuwarten, wie sich der zunehmende Mangel an humanistischer Bildung auf Geist und Charakter unserer Streitkräfte auswirkt. Ganz zweifellos kommt aber der Charakterbildung des Offiziers die ungleich höhere Bedeutung zu. So stellen unsere Führungsvorschriften immer wieder fest, daß »im Kriege die Eigenschaften des Charakters oft schwerer wiegen als die des Verstandes«, und ein Blick in die Kriegsgeschichte zeigt, daß die großen Feldherrn selten aus der Reihe der vielwissenden oder gelehrten Offiziere entstammen. Selbst wenn hierüber noch Einigkeit zu erzielen wäre, so werden sich bei der Frage nach dem »Wie« zweifellos die Geister scheiden. Bis Ende der sechziger Jahre gab es auf der Offizierschule die sogenannten »Kopfnoten«, darunter den »Persönlichkeitswert«, mit dem die besondere charakterliche Eignung, aber auch die Nichteignung eines Offizieranwärters zum Ausdruck gebracht werden konnte. Diese Kopfnoten wurden abgeschafft, weil sie nicht justitiabel waren. 92
Und so scheint der Schlüssel weniger in der Erziehung und Bildung des Einzelnen, als vielmehr in der Gesamtheit des Offizierkorps zu liegen. Dieses Offizierkorps muß mit seinen Wertmaßstäben, seinem Ehrenkodex, seinen Maximen praktisch die militärische alma mater sein, an der sich der junge Offizier grundsätzlich und in allen Zweifelsfragen ausrichtet. Wenn das Korps gut ist - wie zum Beispiel in Preußen dann kann die Leistung des Einzelnen von untergeordneter Bedeutung sein. Der preußische Leutnant war ja durchaus kein aufsehenerregendes Bildungserlebnis. Er war weder besonders belesen, er hatte kein Abitur, er war arrogant, aber er hatte Haltung, eine Haltung, die ihm einen besonderen Platz in der Militärgeschichte eingetragen hat. Wie der britische Kolonialoffizier oder der römische Centurio. Wer oder was gab ihm die Kraft zu dieser Haltung? Ganz zweifellos sein Korps, sein Regiment, aus dem er Tradition, Patriotismus und eine bewußte Distanz bis hin zu einem Schuß Askese schöpfen konnte. Und so ist der Charakter durchaus gleichzusetzen mit dem Esprit de corps, der den Offizier trägt und seine Entwicklung bestimmt. Gibt es diese eben beschriebenen jungen Offiziere noch?
Ja, es gibt sie noch; erstaunlicherweise, möchte man sagen. Es gibt immer noch erfreulich viele Bewerber mit soldatischen Vorstellungen, mit Idealen, mit klaren Wertvorstellungen. Dies ist aber bedauerlicherweise kein Beweis für die Attrakti93
vität unserer Bundeswehr. Die Armee ist nun einmal ein Monopolbetrieb. Wohin soll denn ein junger Mann gehen, wenn er Soldat werden will? Leider werden diesen jungen Männern aber sehr bald »die Zähne gezogen«, nicht nur deshalb, weil - wie immer im Leben - aus den Blütenträumen des Frühlings im Herbst Marmelade gemacht wird, sondern weil die Bundeswehr den klassischen soldatischen Traditionen und Tugenden nur noch sehr begrenzt entspricht. Und wenn so ein junger Mann ehrgeizig ist und etwas werden will, dann wird er sich natürlich sehr bald auf die speziellen Gegebenheiten und Anforderungen dieser Armee einstellen. Anders kommt er nicht weiter. Und außerdem kann er ja auch nicht mehr zurück - jedenfalls nicht ohne weiteres. Man kann nicht von einem jungen Offizier erwarten, daß er sich gegen die Strömung, gegen den herrschenden Geist einer Armee stellt und damit sein berufliches Todesurteil unterschreibt. Außerdem wäre ein solcher Versuch völlig sinnlos: eine Armee entwickelt sich immer so, wie es von oben gewollt wird; und darum kann natürlich auch eine Änderung niemals von unten, sondern nur von oben erfolgen. Und - auch das darf natürlich nicht verschwiegen werden: ein nicht geringer Teil unseres Offiziernachwuchses geht auch deshalb zur Bundeswehr, weil hier ein sicherer Arbeitsplatz geboten wird, eine lukrative Abfindung und vor allem das Studium. 94
»Arbeitsplatz Kaserne« - das war ein Werbeslogan der achtziger Jahre! Viele Bewerber wollen also nicht in erster Linie Offizier und schon gar nicht Fallschirmjäger, Panzer-Aufklärer oder Gebirgsjäger werden - nein, sie suchen einen »krisenfesten Job«. Das ist die vorherrschende Motivation zahlreicher junger Offiziere, leider. Man geht eben zum »Bund« genauso wie zur Bahn oder zur Post. Ob das allerdings in letzter Konsequenz ausreichende Motivation für diesen Beruf sein kann, darf bezweifelt werden. Sie haben nun immer wieder davon gesprochen, daß die Konzeptionen eines »Staatsbürgers in Uniform« und einer »Inneren Führung« den Soldaten als eigenen Typus untergraben und ihn zu einem zufällig in Uniform gekleideten Zivilisten machen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es aber den Soldat als Typus und er ist durch die Auslandseinsätze auch in Deutschland wieder sichtbar geworden. Können Sie ihn beschreiben ?
Das Bild unserer Soldaten, ihr Bewußtsein, ihre Haltung, hat sich mit den Auslandseinsätzen ganz erheblich verbessert. Schon das äußere Erscheinungsbild ist überhaupt nicht mehr vergleichbar mit den geradezu demütigenden Anzügen, in die man uns als junge Soldaten gesteckt und geradezu der Lächerlichkeit preisgeben hat. Heute braucht er sich - was Anzug und Ausrüstung betrifft - vor seinen alliierten Kameraden überhaupt nicht mehr zu verstecken, wie das früher immer der Fall war. Und das gibt ihm Selbstbewußtsein. 95
Außerdem sind die Kameraden, die ins Ausland gehen, immer eine positive Auswahl und sorgfältig auf den Einsatz vorbereitet. Und so könnte sich hier, sofern die Anforderungen nur systematisch erhöht werden, durchaus eine positive Eigengesetzlichkeit in Richtung »soldatische Professionalität« ergeben. Auch die bloße Existenz des KSK hat ja schon - und nicht nur bei der Fallschirmtruppe - eine nicht zu unterschätzende beispielhafte Wirkung erzeugt. Ist dieser Soldat, wie Sie ihn gerade beschrieben haben, ein Gegentyp, ein extremer Gegenentwurf zum zivilen Mann in unserer Gesellschaft? Ist er integrierbar oder ist er heute per se ein notwendiger Fremdkörper?
Wenn Sie mit Ihrer Frage auf den Offizier Jünger'scher Prägung abheben, der sich als kultivierter Antityp zur Zivilgesellschaft versteht, den »Frontkämpfer« aus der Weimarer Republik, so wird es diesen vielleicht noch vereinzelt geben, aber er spielt in unserer veränderten Gesellschaft und damit auch in den Streitkräften keine Rolle mehr. Diese Wurzeln sind in der Bundeswehr abgeschnitten. Es kommt aber hier ein anderer Gedanke ins Spiel, der bisher noch nicht angesprochen wurde: Die große Wende im Selbstverständnis und in der Zweckbestimmung unserer Streitkräfte, die offenbar noch nicht in allen Köpfen angekommen ist, erfolgte 1989/90 mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der damit verbundenen Umwandlung von einer 96
reinen Verteidigungsarmee in eine Interventionsarmee, auch wenn das nie so deutlich ausgesprochen wurde. Und eine Interventionsarmee ist natürlich ein Fremdkörper, ob sie will oder nicht. Denn wenn sie sinnvoll ist, kann sie nicht im eigenen Land stationiert sein. Es ist genau die Armee, die wir in den früheren Kolonialarmeen unserer heutigen Alliierten finden. Und eine solche Armee hat natürlich immer eine sehr ausgeprägte Eigengesetzlichkeit. Die heutige Praxis: »6 Monate Einsatz - 2 Jahre Heimat« wird auf die Dauer nur schwer durchzuhalten sein. Welche Firma, die auf Auslandsmontage spezialisiert ist, kann sich den Luxus leisten, ihr Personal die überwiegende Zeit zu Hause zu lassen? Zu welchem Zweck? Ein weiterer Punkt: Es gab in all diesen Armeen eine sehr scharfe soziale Spaltung: Der Offizier war anerkannt, während es sich bei den Mannschaften überwiegend um geprügelte, zwangsweise rekrutierte Männer aus den unteren Schichten handelte. Man trug also nicht einheitlich »des Königs Rock«, wie in Preußen, sondern es war eher wie bei der Royal Navy: die Offiziere hatten Ansehen, und unter Deck war - plakativ gesagt - der Schrott, also genau nicht der Staatsbürger in Uniform. Insgesamt also eine Armee, die mit eiserner Disziplin zusammengehalten und dafür mit großen inneren Freiräumen ausgestattet wurde. Diesen Soldatentypus hat es in Deutschland nie gegeben, weil wir immer eine Verteidigungs97
armee hatten, die eine Einheit war. Wenn der Feldmarschall anerkannt war, dann war es auch der Soldat. Oder es wurden alle verdammt. Aber die Armee war eine Einheit. Jetzt verteidigt sie nicht mehr das Vaterland, sondern sie ist Spielmasse der Politik. Und dafür muß sie entschädigt werden, materiell oder durch innere Freiheiten. Und diese Freiheiten wird sie sich nehmen, oder es wird eine solche Armee nicht geben. Mit all diesen Bedingungen muß man sich auseinandersetzen, wenn man den Weg in die Interventionsarmee konsequent weitergehen will. Und insofern wird der Soldat also nicht ein »notwendiger«, wohl aber ein »zwangsläufiger« Fremdkörper sein. Finden wir ihn in den Einheiten anderer Länder vor, und wie ist seine Stellung dort?
Ja, in Europa finden wir diesen Typus in klassischer Form bei den Briten und Franzosen. Das sind die alten Kolonialarmeen mit Eigengesetzlichkeiten und einem ausgeprägten eigenen Kultus. Der Soldat hat dort eine hohe Stellung, ein hohes Ansehen; aber man möchte mit ihm doch nicht viel zu tun haben - vor allem, soweit es die Unteroffiziere und Mannschaften betrifft. Wollten Sie ein Gegentyp sein ? Oder warum sind Sie zur Armee gegangen?
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Lassen Sie es mich allgemein sagen: Wer zur Armee geht soweit er sich dabei nicht ausschließlich von praktischen, materiellen Gründen leiten läßt, der will natürlich immer eine Antithese zum bürgerlichen Leben, will immer einen Beruf sui generis. Im Hinblick auf die Art, wie Rekruten eingezogen oder nicht eingezogen werden, hat ein Gericht entschieden, daß von Wehrgerechtigkeit nicht mehr die Rede sein könne. Ist es tatsächlich der einzige Ausweg, die Bundeswehr mittel- bis langfristig zur reinen Berufsarmee umzubauen, oder ihr einen völlig anderen Charakter zu geben als Armee?
Es ist eine Binsenweisheit, daß der »Profi« immer dem Amateur überlegen ist. Das gilt im Fußball ebenso wie beim Militär - und erst recht bei der Kürze unserer Wehrpflicht! Von jedem Dachdecker verlangen wir eine Lehrzeit von drei Jahren, bevor wir ihm erlauben, selbständig einen Ziegel aufs Dach zu legen, während wir unsere jungen Männer schon nach neun Monaten als ausgebildet bezeichnen, vermutlich, weil es da ja »nur« um ihr Leben geht. Natürlich ist es unverantwortlich, solche Kameraden in Einsätze zu schicken. Ich halte eine Ausbildungszeit von 18 Monaten für die unterste vertretbare Grenze, und auch nur dann, wenn der Mann in dieser Zeit ausschließlich auf den Einsatz hin ausgebildet wird. Denn wohlgemerkt: Es geht ja auf absehbare Zeit immer um Einsätze in Krisen- und Bürgerkriegsregio93
nen, während sich unser Land im tiefsten Frieden befindet. Und da sollten wir mit dem Leben unserer jungen Mannschaft schon ein wenig verantwortungsvoller umgehen! Da aber eine Verlängerung der Wehrpflicht bei dem weit verbreiteten militärischen Sachverstand und der damit verbundenen Beratungsresistenz unserer Politiker wohl eher auszuschließen ist, scheint in der Tat die Lösung des Problems in einer Berufsarmee zu liegen. Interventionsarmee und Wehrpflicht schließen sich ohnehin aus: Die Wehrpflicht ist immer selektiv, und man kann nicht eine willkürlich selektierte Gruppe von Bürgern ins Feuer schicken. Aber die Abschaffung der Wehrpflicht bringt auch einige Probleme mit sich, über die man sich sehr genau im klaren sein muß: Zunächst wird es mit der Wehrform »Berufsarmee« in absehbarer Zeit keine Reservisten mehr geben. Das mag bei der jetzigen politischen Situation - »von Freunden umzingelt« - noch hinnehmbar sein, aber ein rascher Aufwuchs der Streitkräfte bei einer veränderten politischen Lage ist dann nicht mehr möglich; denn allein die »Produktion« eines neuen Kompaniechefs dauert etwa acht Jahre. Eine Armee läßt sich also nicht auf Kommando aus- und anknipsen. Zweitens gewinnt das Heer etwa 30 Prozent seiner Offiziere und 50 Prozent seiner Unteroffiziere aus Wehrpflichtigen. Wo kommen die in Zukunft her? Zum dritten werden wir all die hochqualifizierten Facharbeiter wie etwa Elektromechaniker, Computerfachleute, Trieb100
werkspezialisten, die wir heute als Wehrpflichtige einziehen, dann teuer einkaufen müssen; denn für ein ObergefreitenGehalt wird so ein Mann nicht zu haben sein. Und wir sollten auch nicht vergessen, daß Politiker weit weniger Skrupel haben, eine Berufsarmee ins Feuer zu schikken, als eine Wehrpflichtarmee. Das finanzielle Argument spielt zwar in einem billionenfach verschuldeten Staat keine Rolle mehr, aber ob die Berufsarmee - wie behauptet - billiger wird, bleibt abzuwarten. Natürlich ist die teuerste Armee immer diejenige, die falsch konzipiert und damit - ganz oder teilweise - nicht einsetzbar ist. Daß mit dem Wegfall der Wehrpflicht auch der Zivildienst entfällt, ist zwar kein Argument, muß aber in die Gesamtrechnung einbezogen werden. Und nicht zuletzt sollte jeder sofort hellwach werden, wenn gerade die Grünen und der linke Flügel der SPD - also genau diejenigen, deren Zuneigung zur Bundeswehr geradezu sprichwörtlich ist - die Berufsarmee fordern. Glaubt man denn wirklich, daß diesen politischen Kräften die Einsatzbereitschaft und Schlagkraft unserer Streitkräfte am Herzen liegt? Oder könnte es da vielleicht auch noch andere Gründe geben, beispielsweise den Einstieg in den Ausstieg, wie bei der Atomkraft? Aber ganz im Sinne der Regeneration eines »Gegentyps Soldat« wäre diese Entkoppelung vom Kurzzeitsoldaten doch begrüßenswert. Es werden eben diejenigen kommen, die sich berufen sehen.
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Ich fürchte, daß auch hier wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Die Männer werden dann kommen, wenn die Rechnung stimmt, wenn sich die Sache so oder so lohnt. Wir hören immer »wenn - dann«, aber das »dann« wird nie erfüllt! Vor jeder Heeresreform wurden in vollmundigen Erklärungen »Einspareffekte« angekündigt, die der Truppe zugute kommen sollten. Ja, die Truppe hat den Gürtel enger geschnallt, hat sich krumm gelegt, aber von dem Ersparten nie einen Cent gesehen. Bei jeder Verkürzung der Wehrpflicht wurde durch »Straffung der Ausbildung« und »effektivere Organisationsformen« sogar eine Verbesserung des Ausbildungsstandes angekündigt - wobei sich der einfache, aber gläubige Truppenoffizier immer an das Matthäus-Evangelium und die wundersame Brotvermehrung erinnert fühlte. Natürlich kommt auch die Bundeswehr - wie die katholische Kirche - in diesem Zustand ohne Wunder wohl nicht mehr aus. Aber zunächst sollten wir uns besser an das klassische Wort von Descartes halten: »Diskutieren wir nicht - rechnen wir.« Von Annahmen und Wunschvorstellungen, die dann doch nicht erfüllt werden, sollten wir uns nicht mehr leiten lassen. Ich jedenfalls habe erhebliche Zweifel, ob in unserem Land der politische Wille vorhanden ist, diese Bundeswehr in allen Belangen so auszustatten und auch auszubilden, daß sie den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden kann. 102
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Das bedeutet doch aber, den Pfusch ins Unendliche hinein zu verlängern.
Wir können sicher sein: Die Rechnung wird diesem Staat noch präsentiert werden. Denn in keinem anderen Beruf ist die Strafe für schlecht ausgebildetes und ausgerüstetes Personal so unabänderlich und grausam wie in dem des Soldaten. Noch hat sich diese Armee nicht bewähren müssen. Wie ich bereits sagte: Das Stapeln von Sandsäcken an Oder und Elbe oder die Verkehrsregelung im Kosovo sind noch kein Maßstab für das Funktionieren einer Armee auf dem Gefechtsfeld. Und die Einsätze in Afghanistan?
Wenn Sie damit die Teilnahme des »Kommando Spezialkräfte« an der Operation Enduring Freedom ansprechen, so muß ich dazu sagen, daß das KSK mit den normalen Heeresverbänden nur schwer vergleichbar ist. Personalauswahl, Ausbildung und Ausrüstung, aber auch die Kampfweise und die Art der Einsätze sind doch zu weit voneinander entfernt, als daß daraus Rückschlüsse auf die Schlagkraft der Bundeswehr im allgemeinen gezogen werden können. Aber die Bundeswehr insgesamt hat natürlich eine Fülle wertvoller Erfahrungen gesammelt, die ihr bei diesem und weiteren Einsätzen zusätzliche Sicherheit, Routine und Professionalität geben. Darauf läßt sich aufbauen. Im Grunde muß man sich ja immer wieder die Augen reiben, wenn man sieht, welch gewaltigen Sprung die Truppe in dieser verhältnismäßig 104
kurzen Zeit seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Auslandseinsätzen im Jahre 1993 gemacht hat. Was lernt die Bundeswehr zwangsläufig aus der Konfrontation mit der Realität des Einsatzes 1
Bisher hatte die Bundeswehr - Gott sei Dank - noch keine Gelegenheit, aus »scharfen Einsätzen« zu lernen. Die Erfahrungen des KSK können aus Gründen der Geheimhaltung nicht allgemein ausgewertet werden, und alle anderen Einsätze waren ausschließlich friedenserhaltende Operationen. Aber man muß sich ja nicht unbedingt erst selbst eine blutige Nase geholt haben, um sich optimal vorzubereiten. Nach 3000 Jahren voller beeindruckender kriegsgeschichtlicher Beispiele gibt es keine Entschuldigung für eine dilettantische militärische Konzeption. Welchen Auftrag hatten Sie in Afghanistan mit Ihren Männern vom KSK zu erfüllen?
Das KSK hatte den Auftrag, als Teil einer Spezialkräftekoalition am Kampf gegen den internationalen Terrorismus teilzunehmen. Man hört so hier und da, daß der Einsatz des KSK tatsächlich auch ein Kampfeinsatz war.
Spezialkräfte kommen immer erst dort zum Einsatz, wo konventionelle Kräfte nicht oder nicht mehr zur Wirkung gelan105
gen können. Für friedenserhaltende Einsätze sind sie grundsätzlich nicht vorgesehen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Sie sprachen vorhin davon, daß es in einer Wehrpflichtarmee unmöglich sei, Soldaten irgendwo auf der Welt in einen zweifelhaften Einsatz zu schicken. Konnten Sie den Einsatz Ihrer Männer in Afghanistan ganz und gar verantworten, fachlich und ethisch?
Auch im KSK gibt es - beispielsweise im Unterstützungsbereich - wehrpflichtige Soldaten. Aber die werden natürlich nicht dem Risiko eines »scharfen Einsatzes« ausgesetzt. In fachlicher Hinsicht haben wir das Menschenmögliche getan, um unsere Kommandosoldaten auf solche und ähnliche Einsätze vorzubereiten. Gemeinsame Operationen sowie die Tatsache, daß wir bei gleichen Anforderungen ohne Verluste zurückgekommen sind, zeigen, daß wir mit unserer Konzeption und Ausbildung richtig liegen und uns auch mit den etablierten Spezialkräften durchaus bereits »auf Augenhöhe« befinden. Natürlich muß man die jeweiligen Aufträge im Einzelfall immer sehr sorgfältig prüfen und entsprechend vorbereiten; aber grundsätzlich gab es an der Teilnahme an dieser Operation in fachlicher Hinsicht für uns nicht den leisesten Zweifel. Und auch in rechtlicher und moralischer Hinsicht war dieser Einsatz nicht zu beanstanden. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist ja gerade eine der Kernaufgaben des KSK, und eine solche Aufgabe galt es hier zu erfüllen. Der 106
vereinzelt erhobene Vorwurf, wir hätten uns völkerrechtswidrig an einem Angriffskrieg beteiligt, ist schlicht abwegig. Insofern sind beide Fragen mit einem klaren »Ja« zu beantworten. Haben Sie sich als Kommandeur des KSK mit den Vorwürfen auseinandergesetzt, die gegen die Amerikaner wegen vermuteter Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht erhoben wurden und werden? Konkret denke ich an die Massengräber in der Wüste bei Dasht-iLaili.18
Natürlich haben wir diese Dinge in der Presse verfolgt und darüber gesprochen. Aber wie Sie richtig sagen: »Sollen« erschossen worden sein. Genauere Kenntnisse oder Beweise lagen uns und liegen mir bis heute nicht vor. Insofern will ich hier keine hypothetische Antwort geben. Inwiefern ist es vorstellbar, daß das Militär sich fragwürdigen Auslandseinsätzen verweigert? Gehören solche Überlegungen mit zu dem, was Sie vorhin als Zivilcourage bezeichneten ?
Vorstellbar ist es natürlich nahezu alles. Ich habe mich oben zur Verbindlichkeit von Befehlen geäußert. Insofern ist eine Gehorsamsverweigerung nur zulässig bei unrechtmäßigen, unverbindlichen Befehlen. Aber bei aller Kritik an vielen Dingen in unserem Land und auch, wenn man über die politische Zweckmäßigkeit mancher Einsätze durchaus unterschiedlicher Auffassung sein mag: Daß aber von unseren Regierenden wider besseres Wissen 107
unrechtmäßige Einsätze angeordnet werden, erscheint mir doch eine recht verwegene Unterstellung. Dennoch sei die Feststellung erlaubt, daß der deutsche Fallschirmjäger, der im Mai 1941 über Kreta abgesprungen ist, eine klarere völkerrechtliche Situation hatte als der TornadoPilot im Frühjahr 1999 über Belgrad. Und daher ist es schon bemerkenswert, daß diese am 20. Juli und der diesem Datum zugeschriebenen Geisteshaltung orientierte Armee - selbst in ihrer höchsten Führungsspitze - auch nicht den Hauch einer Diskussion erlebt hat. Dies ist vor allem auch deshalb bemerkenswert, weil ja die Vorwürfe des Nürnberger Prozesses gegen die militärische Führung des Reiches nicht nur aus der Beteiligung an einem Genozid resultierten, sondern vor allem aus dem völkerrechtswidrigen Beginn eines Krieges, eines Angriffskrieges. Im Idealfall vertraut der Soldat seiner politischen Führung. Sie selbst sind nun seit Ihrer Entlassung zu der Auffassung gelangt, daß unter der derzeitigen politischen Führung und dem herrschenden Zeitgeist vieles im Argen liegt. Leiten Sie daraus ein Widerstandsrecht ab?
Also, der Soldat vertraut nicht nur im »Idealfall«, sondern im »Normalfall« seiner politischen Führung. In einer Demokratie, in der jede Meinung geäußert wird und gleichermaßen gilt - wem kann und soll er denn vertrauen, wenn nicht seiner politischen Führung? 108
Was wissen wir denn heute? Wer von uns weiß um die wirklichen Vorgänge in Afghanistan? Wer weiß, ob Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hatte? Wer weiß es, bis heute? Wer kennt die wirklichen Hintergründe? Es bleibt ihm doch gar keine andere Möglichkeit, als zu vertrauen. So, wie dies ja auch die Soldaten 1939 in bestem Glauben getan haben. Denn die Menschheit hatte bis dahin eine schreckliche Erfahrung noch nicht gemacht. Die Welt würde sofort in ein heilloses Chaos stürzen, wenn der Soldat aus allen ihm fragwürdig erscheinenden Maßnahmen ein Widerstandsrecht ableiten würde. Dies muß wirklich die ultima ratio sein und bleiben. Wie schätzen Sie den Zustand unseres Landes ein?
Ich sehe in einigen Bereichen einen Verfall der institutionellen Ordnung unseres Staats. Damit meine ich zunächst und ganz grundlegend, daß das »Wir«, also das Recht des Staates, der Nation, der gerade eben betroffenen Institution gegenüber dem »Ich« in Rechtsstreitigkeiten und im allgemeinen Bewußtsein stets zurückgedrängt und damit geschwächt wird. Dieser Individualismus, den wir überall beobachten können, sorgt ja wirklich dafür, daß keine Ordnung unangetastet bleibt. Immer kommt einer daher und fordert für sich selbst und für diesen Moment und diese Laune die Grenzüberschreitung ein. Wer denkt denn noch im Sinne des Staates? Wer nimmt sich 109
selbst zurück, weil er die Notwendigkeit staatlicher Ordnung begreift? Ich glaube, es wäre nicht schwierig, diese zunächst allgemeine Feststellung an Beispielen zu verdeutlichen. Aber lassen wir's beim Allgemeinen. Ich verstehe eben nicht, warum sich der Staat, warum sich staatliche Stellen auf so vielen Gebieten so sehr zurückdrängen lassen. Da bitte ich nun doch um ein Beispiel.
Also gut, nehmen wir eine recht augenscheinliche Entwicklung. Ich las neulich, daß es in Berlin ein oder zwei Stadtteile mit hohem Ausländeranteil gibt, in die sich die Polizei ab der Abenddämmerung nicht mehr hineinbegibt. Von »rechtsfreien Räumen« war die Rede, von der Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols im Innern, von Parallelstrukturen und von einem seltsamen modus vivendi, der von der Politik gefordert werde. Oder ein anderes Beispiel: die Arbeitsmoral. Wenn wir mit ansehen, welche Verrenkungen der Staat machen muß, damit er die Arbeitsunwilligen von den tatsächlich nicht vermittelbaren Arbeitslosen getrennt bekommt! Die komplizierten Modelle, ob sie nun Hartz IV heißen oder anders, versuchen ja immer nur das einzufangen, was an Selbstverständlichkeit verlorengeht: daß man erst dann zum Staat kriecht und um Hilfe bittet, wenn es nicht mehr anders geht. Statt dessen kommen die Leute dann, wenn sie eine Lücke in den Regelungen finden und einen Vorteil wittern. 110
Alles das ist weit komplizierter als ich es hier erklären kann, und die Frage, die Sie stellen, wäre bei einem Staatstheoretiker weitaus besser aufgehoben. Jedoch denke ich, daß meine Beobachtungen nicht ganz falsch sind und daß sie Anlaß zur Sorge sein können. Welche Rolle könnte der Offizier als Vertreter einer Ordnungsmacht, der Armee, angesichts solcher besorgniserregender Umstände spielen? Gibt es historische Beispiele, an denen man sich orientieren kann ?
Nach meiner Überzeugung kommt in einer westlichen Industriegesellschaft der Armee überhaupt keine Schlüssel- oder Entscheidungsfunktion zu. Auch keine Erneuerungsrolle übrigens. Ich habe dazu ja vorhin bereits einiges gesagt. Eine Rolle im Sinne einer staatsgestaltenden oder innenpolitisch stützenden Kraft nahm die Armee nach meinen historischen Kenntnissen etwa bei den Jungtürken im Osmanischen Reich ein. In Deutschland könnte man die Preußische Heeresreform nach 1806 oder vielleicht die instabilen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg nennen: Beide Male spielte die Armee eine staatssichernde, innenpolitisch stabilisierende Rolle. Das waren aber historische Ausnahmesituationen. Heute, in unserer Zeit, kann und muß die Armee diese Rolle nicht mehr spielen. Wir sind ja auch vom revolutionären Ausnahmezustand weit, weit entfernt. 111
Eine stabilisierende Rolle käme der Armee bei einem Einsatz im Innern doch wieder zu. Diese Möglichkeit wurde nach dem 11. September 2001 auch in Deutschland diskutiert.
Die Bundeswehr würde nur dann im Innern eingesetzt, wenn die Polizeikräfte für die Aufrechterhaltung der Ordnung nicht mehr ausreichten. Die Armee wäre dann in den Status einer Hilfspolizei versetzt. Das wäre dann etwa der Fall, wenn terroristische Maßnahmen in gewaltigem Ausmaß über unser Land hereinbrächen, und die Polizei die Ordnung alleine nicht wiederherstellen könnte. Aber da muß schon eine Menge passieren, bis es soweit kommt. Wenn wir nochmals von den rechtsfreien Räumen sprechen, über die wir eben schon einmal sprachen: Das könnte die Polizei natürlich alleine regeln, wenn sie denn wollte. Das ist doch nichts, wofür wir schon militärische Macht im Innern brauchten. Mangelnder politischer Wille ist ein Kennzeichen für eine dekadente Gesellschaft. Entschlußkraft, Formulierung des eigenen Willens: Das sind Tugenden, die dem Offizier zu eigen sind, wenn er gut ausgebildet ist. Sind hohe Offiziere, die in die Politik wechseln, eine Möglichkeit? Ich denke auch an Jörg Schönbohm.
Natürlich sind Wille und Entschlußkraft wesentliche Eigenschaften und Fähigkeiten des militärischen Führers. Und sie sind in diesem Beruf sicherlich auch stärker ausgeprägt als in vielen anderen Berufen. Aber wir wollen nicht vergessen: der Offizier ist - wie alle anderen - ein Kind dieser Gesellschaft, ist 112
in ihr und von ihr erzogen. Insofern werden sich die Probleme unseres Landes, die ja nicht so sehr in der mangelnden Schnelligkeit, als vielmehr in der mangelhaften Qualität der Entscheidungen bestehen, mit einer solchen Maßnahme kaum lösen lassen. Herr General, Sie haben seit dem letzten November viel Zeit, sich mit Dingen außerhalb des Militärs zu beschäftigen. Was haben Sie vor, auch nach den politischen Erfahrungen, die Sie sammeln mußten?
Dazu habe ich meine Beurteilung der Lage noch nicht abgeschlossen. Nach einem solchen Tiefschlag wird es auch wohl noch einige Zeit dauern, bis sich die Wunden geschlossen haben und der Kopf wieder frei ist. Wer eine solche Kampagne nicht persönlich erlebt hat, wird das nur schwer nachvollziehen können. Natürlich werde ich auch in Zukunft die Entwicklung unserer Streitkräfte mit großem Interesse verfolgen und mich vielleicht auch in angemessener Form - wie dies einem Pensionär zukommt - hier und da äußern. Wie das aber im Einzelnen aussieht, kann ich noch nicht sagen. Es gibt eine Fülle aufzuarbeiten und nachzulesen, die vielen Dinge, die man immer wieder zur Seite gelegt hat, um sie dann »nach der Pensionierung« in Angriff zu nehmen. Ich bin sicher, daß dieser vor mir liegende Lebensabschnitt nicht langweilig wird, und ich freue mich darauf. 113
Anmerkungen
1 Zu den Vorfällen in Schneeberg siehe S. 44. 2 Am 21. September 2001 veröffentlichte spiegel-online ein Interview mit General Reinhard Günzel unter der Überschrift »Es würde ein Blutbad geben«. Günzel äußerte darin, daß er eine Festnahme von Osama Bin Laden »zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt für so gut wie unmöglich« halte. Eine Operation von Sonderkommandos gegen den bis zu 200 Mann starken Schutzkräfte-Kordon Bin Ladens »würde ein Blutbad geben. Keine Spezialeinheit der westlichen Welt könnte einem solchen Einsatz zustimmen«. Günzel blieb jedoch nicht bei der militärischen Einschätzung stehen. Die Welt, so der General, habe sich seit dem Terroranschlag vom 11. 9. verändert, »und ich vermute, damit auch die Risikobereitschaft der Politiker. Wenn es künftig darum geht, das Leben von Tausenden zu retten, wird wohl eher der Tod von speziell zur Terrorismusbekämpfung ausgebildeten Soldaten in Kauf genommen«. Zu einem möglichen Einsatz des KSK in Afghanistan sagte er: »Nebenbei brauchten uns die Amerikaner bestimmt nicht dazu. Eine deutsche Beteiligung wäre mehr ein politisches Signal.« Es war diese Gegenüberstellung von politischer und militärischer Beurteilung, die dann vom Verteidigungsministerium 115
scharf kritisiert wurde. Günzel, so hieß es, sei gar nicht autorisiert, Interviews dieses Inhalts zu geben. 3 Auch als Blomberg-Fritsch-Krise bezeichnet. Gemeint ist damit die Entwicklung, die im Frühjahr 1938 ausgelöst wurde durch die Heirat des Reichskriegsministers Wilhelm von Blomberg mit einer ehemaligen Prostituierten. Nach Bekanntwerden dieses Skandals kam Blomberg am 27. Januar um seine Entlassung ein. Der gegebene Nachfolger wäre der Oberkommandierende des Heeres, Werner von Fritsch, gewesen. Über den existierte allerdings ein Gestapo-Dossier, das Vorwürfe im Hinblick auf strafbare homosexuelle Kontakte enthielt, die durch Zeugenaussagen bekräftigt wurden. Daraufhin entließ Hitler auch Fritsch. Aber die Vorwürfe erwiesen sich schnell als unhaltbar, so daß ein Ehrengericht unter dem Vorsitz Görings bereits am 18. März 1938 eine vollständige Rehabilitierung aussprach. Fritsch wurde als eine Art Wiedergutmachung zum persönlichen Inhaber des Artillerieregiments 12 ernannt, aber von entscheidenden militärischen Positionen ferngehalten. Es spricht vieles dafür, daß er zu Beginn des Polenfeldzugs bewußt den Tod suchte; er fiel am 22. September 1939 in der Nähe von Warschau. Da Hitler am 4. Februar auf Empfehlung Blombergs selbst das Oberkommando der Wehrmacht übernahm, haben schon Zeitgenossen den Verdacht geäußert, die Diskreditierung von Blomberg und Fritsch habe dem Ziel gedient, die Armee dem unmittelbaren Einfluß Hitlers zu unterwerfen. Das war ohne 116
Zweifel ein Nebeneffekt, neuere Untersuchungen sprechen allerdings gegen eine Inszenierung, die »Blomberg-FritschKrise« wurde gerade auch von den führenden Repräsentanten des Regimes als Krise wahrgenommen. 4 In einem Verhandlungsergebnis mit den westlichen Alliierten (Petersberg-Memorandum, 4. Juni 1951) wurde festgelegt, daß deutsche Streitkräfte in Zukunft vom demokratischen Geist »beseelt« sein sollten. Damit sollte die Übereinstimmung von Wehr- und Staatsform erreicht werden, die Wolf Graf Baudissin (1907-1993) zwei Jahre später in seinem Vortrag zum »Bild des künftigen Soldaten« erläuterte. Aus dieser Zeit stammt der programmatische Begriff »Innere Führung«. Ziel aller Arbeiten sollte die Verwirklichung und Weiterbildung des »modernen Soldaten« sein, »der freier Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat zugleich ist«. 1955 wurde Baudissin zum Unterabteilungsleiter im Bundesverteidigungsministerium ernannt, ab 1956 wurde er in die Bundeswehr im Rang eines Oberst übernommen, wo er von 1958 bis 1961 der Leiter einer Kampfgruppe, der späteren Panzerbrigade 4, war. Ab 1961 war Baudissin Vorgesetzter der Abteilung Operations and Intelligence im Nato-Hauptquartier in Fontainebleau, ab 1963 Kommandeur des NATO-Defence College in Paris und ab 1965 Stellvertretender Chef des Stabes für Planung und Operation beim NATO-Oberkommando Europa in Paris und später in Casteau/Belgien bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1967. Am 5. Juni 1993 verstarb Baudissin in Hamburg. 117
5 Als Kommando bezeichnet man Elite- oder Spezialeinheiten im Bereich der Streit- oder Polizeikräfte, die in meist kleiner Personalstärke für spezielle, oftmals verdeckte Operationen eingesetzt werden. Hauptträger solcher Unternehmen ist in der Bundeswehr das Kommando Spezialkräfte (KSK). Grundsätzliche Planungen und Aufstellungsversuche gehen auf das Jahr 1990 zurück, als im Rahmen der Luftlandeverbände der Bundeswehr erste so genannte Kommandokompanien aufgestellt und ausgebildet wurden. Im Ressortkonzept vom März 1995 hat der Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe, erstmals den Aufbau eines Kommandos Spezialkräfte (KSK) angekündigt, im Juni des Jahres wurde der Aufbau des KSK vom Kabinett beschlossen. Das KSK ist als Bestandteil der Krisenreaktionskräfte (KRK) konzipiert. Über die üblichen Aufgaben im Rahmen des erweiterten Aufgabenspektrums (Auslandseinsätze) hinaus soll das KSK besonders befähigt sein, zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus beizutragen. Kommandosoldaten werden für Kampfhandlungen unter schwierigen Bedingungen ausgebildet. Soldaten dieser Einheiten trainieren die Verbringung in den Einsatz zu Land, zu Wasser und aus der Luft ebenso wie beispielsweise Fernspähaufklärung oder Zielzerstörung und sind befähigt, in den unterschiedlichen Klimazonen zu operieren. Kommandotrupps zeichnen sich durch hohe individuelle Selbstdisziplin, Initiative und Leistungsfähigkeit des einzel118
nen Soldaten, taktische Vielseitigkeit, Improvisationsgabe und Mobilität im Einsatzraum aus. Ihre Einsatzverfahren wurden im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt und modernen Erfordernissen angepasst, finden direkte geschichtliche Vorläufer aber bereits in der Ära der nordamerikanischen Unabhängigkeitskriege im 18. Jahrhundert und in der Guerilla-Taktik des 20. Jahrhunderts. 6 Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 und der daraus folgenden Beendigung des »Kalten Krieges« brach in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und im ehemaligen »Ostblock« der Rüstungssektor zusammen. Die vereinigte Bundesrepublik Deutschland, genauso wie Großbritannien, kürzten ihre Ausgaben für Rüstung und Militär daraufhin erheblich und mit Ausnahme einiger asiatischer Staaten gingen die Ausgaben für Militär und Rüstung weltweit zurück. Wurden auf dem Höhepunkt der globalen Wettrüstung 1987 weltweit noch mehr als 1 Billion US-Dollar (gemessen in US-Dollar 1994) allein für Militär und Rüstung aufgewendet, so sank diese Summe auf 700 Milliarden US-Dollar im Jahre 1995. (Die verwendeten Daten entstammen der Datensammlung des Bonn International Center for Conversion, BICC 1997.) Die Senkung der weltweiten Militärausgaben um mehr als 30 Prozent zwischen 1987 und 1994 setzte enorme finanzielle Mittel frei, die in der Öffentlichkeit als »Friedensdividende« nach Beendigung der Blockkonfrontation bezeichnet wurden. 119
7 Am 1. August 1966 erging ein Erlaß des Verteidigungsmini sters Kai-Uwe von Hassel über das Koalitionsrecht der Soldaten und gewerkschaftliche Betätigung. Der Gewerkschaft Öffentli che Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) ist seither die Arbeit in den Kasernen erlaubt. Dieser ÖTV-Erlaß führte zum Rück tritt von Generalinspekteur Heinz Trettner und des Befehlsha bers im Wehrbereich III, Generalmajor Pape. General Ulrich de Maiziere wurde daraufhin Generalinspekteur der Bundeswehr. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Werner Panitzki, trat ebenfalls im Jahre 1966 zurück, nachdem er in einem Zeitungsinterview Vorwürfe gegen das Verteidigungsministerium im Zusammenhang mit dem Waffensystem Starfighter erhoben hatte. Diese Geschehnisse gingen als »Generalskrise« in die Geschichte der Bundeswehr ein. 8 Nach einer Serie von Abstürzen von Jagdflugzeugen des Typs Starfighter mußte im Frühjahr 1966 der Inspekteur der Luftwaffe vor dem Verteidigungsausschuß über die Flugsicher heitslage berichten. Von der Opposition wurde dem früheren Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß vorgeworfen, das Beschaffungsprogramm F-104 G Starfighter nicht mit der not wendigen Sorgfalt betrieben zu haben. Am 10. März 1966 fand eine Bundestagsdebatte über das Waffensystem F-104 G statt. Die Stellungnahme des Bundesverteidigungsministeri ums lautete, daß die Bundesregierung zur 1958 beschlossenen Umrüstung auf das Waffensystem stehe, das im NATO-Vergleich die Gesamtnote »gut« erhalten habe. 120
9 Infolge eines langen Kolonialkriegs in Algerien drohte die französische Regierung Ende der fünfziger Jahre mit der Aufga be des Gebietes. Das führte am 13. Mai 1958 zum sogenann ten Ersten Putsch von Algier, der mit der Bildung eines »Wohl fahrtausschusses« weißer Siedler und muslimischer Sympathi santen Frankreichs endete. Unterstützt wurde die Aktion durch den Befehlshaber in Algier, General Jacques Massu, der seine Hoffnung auf de Gaulle setzte; de Gaulle löste zwar in den folgenden Wochen durch einen kalten Staatsstreich die Vierte durch die Fünfte Republik ab, in Algerien ging es ihm aber um einen Ausgleich mit der Befreiungsfront. Der ange strebte »Friede der Tapferen« wurde von den Weißen mehr heitlich abgelehnt, aber der Zweite Putsch, am 24. Januar 1960 fand keine breitere Unterstützung. Erst nachdem klar wurde, daß de Gaulle Algerien in die Unabhängigkeit entlas sen wollte, kam es am 22. April 1961 zum Dritten, dem »Putsch der Generale«, der nur deshalb so schnell zusammen brach, weil die Verantwortlichen einen Bürgerkrieg ablehnten. 10 Eine »freie Pläne« ist im militärischen Sprachgebrauch ein offener Geländeabschnitt ohne Bewuchs oder Bebauung, der Truppen weder Sicht- noch Wirkungsdeckung bietet. 11 Werner Mölders wurde am 18. März 1913 in Gelsenkirchen geboren und trat 1932 im Infanterieregiment 2 in Allenstein in die Wehrmacht ein. Zuerst als »fluguntauglich« bei der Luft waffe abgelehnt, meldete er sich 1936 freiwillig als Jagdflieger zur »Legion Condor«, wo er im Spanischen Bürgerkrieg mit 14 121
Abschüssen zum erfolgreichsten Jäger wurde. Im Zweiten Weltkrieg flog Mölders Einsätze über Polen, Frankreich, der Sowjetunion und in der Luftschlacht über England und errang am 15. Juli 1941 als erster Jagdpilot der Geschichte seinen 100. bestätigten Luftsieg, wofür ihm als erstem von letztendlich 27 Offizieren die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern verliehen wurden. Bei einem Unfall während eines zivilen Fluges am 22. November 1941 kam Mölders in der Nähe von Breslau ums Leben. Obwohl Mölders nie in der NSDAP war und als praktizierender Katholik deutlich von der Parteilinie abwich, gab es in jüngster Zeit Überlegungen über eine Umbenennung des im bayerischen Neuburg stationierten Jagdgeschwaders 74 »Werner Mölders«. 12 Von Beginn an war das Konzept der »Inneren Führung« des Grafen von Baudissin Gegenstand heftiger Kritik innerhalb der Bundeswehr. So hatte beispielsweise Brigadegeneral Heinz Karst Ende der sechziger Jahre der Bundeswehr vorgeworfen, eine »unsoldatische Armee« zu sein. Im Gefolge der gesellschaftlichen Umbrüche der Studentenrevolution von 1968 meldeten sich jedoch mehr und mehr Soldaten zu Wort, denen die liberaldemokratischen Reformvorstellungen Baudissins noch nicht weit genug gingen. Bekannt wurden die neun Thesen der »Leutnante 70«, die für eine offene Armee sozialistischen Zuschnitts eintraten. Beantwortet wurde dieser Vorstoß unter anderem durch die Thesen der »Hauptleute von Unna« (1971). Diese dreißig Hauptleute der in Unna statio122
nierten 7. Panzergrenadierdivision warfen dem Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« vor, mit Disziplin und Kampfauftrag unvereinbar zu sein. Soldatische und zivile Existenz seien voneinander getrennte Bereiche, der Soldatenberuf müsse als ein Beruf sui generis aufgefaßt und gelebt werden. Dies beinhalte eine Rückbesinnung auf die militärische Tradition Deutschlands und auf soldatische Werte, die systemunabhängig Gültigkeit beanspruchen könnten. 13 Nicht nur die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) vertritt die Arbeitnehmerinteressen der Soldaten, sondern auch der Deutsche Bundeswehrverband (DBwV). 14 Die Ellwein-Kommission legte am 18. Mai 1971 ihr Gut achten zur »Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr« vor. Die 24-köpfige Bildungskommission unter Vorsitz des Politik- und Verwaltungswissenschaftlers Professor Dr. Thomas Ellwein berief der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt im Juli 1970. Das Gremium schlug vor, mög lichst jedem längerdienenden Soldaten einen Beruf, eine zusätzliche Berufsförderung oder einen weiteren Schul- oder Hochschulabschluß anzubieten. Mit der Bildungsreform wollte Schmidt Ansehen und Anziehungskraft der militäri schen Führungsberufe erhöhen, wobei er bezeichnenderweise nicht den Weg wählte, die Bundeswehr soldatischer zu machen. Stattdessen erweiterte Schmidt das Angebotsspek trum, indem er den zivilstudentischen Aspekt einführte: 123
Bereits zwei Jahre nach dem Gutachten begannen hunderte Offizieranwärter ihr Studium an den neu gegründeten beiden Hochschulen der Bundeswehr in Hamburg und München. Zum ersten Präsidenten der Hochschule in der Hansestadt wurde 1974 Professor Ellwein berufen, nachdem er sie schon zuvor kommissarisch geleitet hatte. 15 »Gurkhas« ist eine verallgemeinernde Bezeichnung für Angehörige nepalesischer Stämme, die in der Britischen und Indischen Armee dienen. Die Bezeichnung geht auf den Namen des Stadtstaats Gorkha im 18. Jh. in West-Nepal zurück. Bereits 1815 schloß Großbritannien - beeindruckt von der Tapferkeit, mit der die Gurkhas 1814 gegen die Truppen der Ostindien-Kompanie kämpften - einen Vertrag mit Nepal über die Aufstellung von Gurkha-Regimentern für den Dienst in Indien. Allein im Zweiten Weltkrieg waren über 150.000 Gurkhas auf Seiten der Briten im Einsatz. Angehörige der Gurkha-Regimenter sind weltweit für ihre unerhörte Zähigkeit, den ausgeprägten Esprit de Corps, ihre Loyalität und ihre infanteristischen Höchstleistungen berühmt. Die britischen Streitkräfte nehmen in der Dienstordnung für Gurkha-Einheiten besondere Rücksicht auf deren kulturelle und traditionelle Gepflogenheiten. Im Selbstverständnis einer Leistungselite verzichten die Gurkhas abseits des Paradeplatzes heutzutage aber auf alle Äußerlichkeiten, die im Einsatz unpraktisch sind: Ein kurzer 124
Haarschnitt beugt Kopfparasiten vor und ist gerade im Felde wesentlich leichter zu pflegen als eine »Mähne« - so haben auch die Gurkhas den Truppenfriseur für sich entdeckt. 16 Der 1723 geborene Johann Friedrich Adolf von der Marwitz diente Friedrich dem Großen im Siebenjährigen Krieg (1756-1763). Weil die Sachsen Schloß Charlottenburg ver wüstet hatten, erteilte Friedrich der Große den Befehl, das sächsische Schloß Hubertusburg zu plündern. Von der Marwitz verweigerte den Befehl, machte daraufhin in der preußi schen Armee keine Karriere mehr und forderte mehrmals sei nen Abschied, den er 1769 erhielt. Berühmt wurden die Worte auf dem Grabstein des 1781 verstorbenen von der Marwitz in der Friedersdorfer Kirche in Brandenburg: »Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.« 17 Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld ver faßte im fahre 1982 eine vergleichende Studie über die Kampf kraft der deutschen und amerikanischen Armeen im Zweiten Weltkrieg unter dem Titel Fighting Power. German and U.S. Army Performance, 1939-1945, Westport/Connecticut, die im Jahre 1989 unter dem Titel Kampfkraft. Militärische Organisa tion und militärische Leistung 1939-1945, Freiburg, (Einzel schriften zur Militärgeschichte, 31) in Deutschland erschien und durch ihre außerordentlich positive Würdigung der Lei stungen der Wehrmacht Aufsehen erregte. Martin van Crefeld gilt über diese Studie hinaus als einer der bedeutendsten The oretiker des Krieges unserer Zeit. Weitere Veröffentlichungen: 125
Die Zukunft des Krieges, Hamburg 2004. Frauen und Krieg, München 2001. Aufstieg und Untergang des Staates, München, 1999. 18 Unter dem Oberkommando der Amerikaner sollen im November 2001 in der Nähe der afghanischen Stadt Masar-iScharif 3000 von insgesamt 8000 gefangenen Taliban verschwunden sein. Nach Recherchen des irischen Dokumentarfilmers Jamie Doran wurden jeweils bis zu 150 Gefangene (die Frankfurter Rundschau sprach von 300) in Frachtcontainern zunächst in das Gefängnis Sheberghan transportiert und von dort ebenfalls in Containern an den nahe gelegenen Ort Dasht-i-Laili in der Wüste gebracht. Schon bei dem Transport sollen viele Männer in den Containern erstickt sein. Laut Augenzeugenberichten wurde in Dasht-i-Laili ein Massengrab ausgehoben, an dessen Rand diejenigen, die noch lebten, erschossen wurden. Anschließend mußten laut Dorans Dokumentation alle Toten verscharrt werden. Auch bei den Erschießungen in der Wüste sollen - so sagen die Zeugen in Dorans Film - amerikanische Soldaten anwesend gewesen sein. Dorans Film Massaker in Afghanistan wurde zuerst im britischen Channel 5 und danach in zahlreichen weiteren Sendern (unter anderem der ARD) ausgestrahlt, was zu heftigen Protesten der amerikanischen Regierung führte.
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