Sabina Schutter „Richtige“ Kinder
VS RESEARCH Kindheit als Risiko und Chance Herausgegeben von Prof. Dr. Doris Bühler...
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Sabina Schutter „Richtige“ Kinder
VS RESEARCH Kindheit als Risiko und Chance Herausgegeben von Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, Bergische Universität Wuppertal
Kindheit ist in den letzten Jahren verstärkt ins Zentrum öffentlicher und fachlicher Diskussionen gerückt: Mangellagen, Verwerfungen und Exklusion, die diese Lebensphase betreffen, sind nicht mehr zu übersehen. Umgekehrt wachsen aber auch Kulturangebote, ein Markt von Lern- und Vergnügungsmöglichkeiten sowie materielle und emotionale Investitionen der Eltern – für das Glück und die Zukunft der Kinder. Kindheiten werden vielfältiger und ungleicher. Vor diesem Hintergrund thematisiert die Reihe einerseits, was „normale Kindheit“ bedeutet, so wie sie Experten definieren und wie sie Sozialpolitik zu garantieren versucht, und andererseits die große Variation realer Kindheiten. In die Analyse sollen auch die Stimmen der Kinder, ihre Einschätzungen und Ansprüche, die in Surveys und Ethnographien ermittelt werden, eingehen. Die Reihe umfasst das Programm einer Soziologie der Kindheit, zu dessen Einlösung aber auch andere Disziplinen beitragen, wie Literatur- und Medienwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Ökonomie und Entwicklungspsychologie.
Sabina Schutter
„Richtige“ Kinder Von heimlichen und folgenlosen Vaterschaftstests
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Wuppertal, 2010 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18059-5
Danksagung
Die vorliegende Arbeit ist als Dissertation an der Bergischen Universität Wuppertal entstanden. Das Promotionsverfahren wurde mit der Verteidigung am 12. November 2010 abgeschlossen. Mein Dank gilt meinen Gutachterinnen Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, die mich mit vollem Vertrauen in mich und meine Arbeit wesentlich unterstützt hat, sowie Prof. Dr. Rita Casale für wertvolle Hinweise. Während der Dissertation war ich Mitglied im Promotionskolleg „Kinder und Kindheiten im Spannungsfeld gesellschaftlicher Modernisierungen“ der Universitäten Kassel und Wuppertal. Im Rahmen des Kollegs sowie bei den Veranstaltungen habe ich Inspiration erhalten. Daher bedanke ich mich bei den Professor/innen des Kollegs, Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger, Prof. Dr. Friederike Heinzel, Prof. Heinz Sünker, Prof. Dr. Werner Thole und Dr. Rita Braches-Chyrek, sowie den Mitgliedern des Kollegs für Diskussionen und Anregungen. Finanzielle Förderung ist ein wesentlicher Bestandteil von Wissenschaft. Die Hans-Böckler-Stiftung hat mit einem Stipendium sowie mit der Förderung des Kollegs und weiterer Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen durfte, einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. Daher gilt mein Dank der Stiftung sowie insbesondere Werner Fiedler. Ein geduldiger unterstützender und kritischer Rahmen, in dem ich mich aufgehoben, aber auch gefordert fühlte, war ebenfalls von hoher Bedeutung für das Gelingen dieser Arbeit. Ich möchte mich bei Katharina Debus, Lars Alberth, Dr. Thomas Meysen, Dr. Jens Leon Tiedemann, Christian Koch, Peggi Liebisch, Maren Vergiels und Sigrid Andersen besonders für die Unterstützung, Kritik, Diskussionen, das Essen, die Kekse und die vielen unermüdlichen Gespräche über das immer gleiche Thema bedanken. Dr. Sabina Schutter
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis....................................................................................... 13 Einleitung .......................................................................................................... 15 1
Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“ ............................................................................ 23 1.1 1.2 1.3 1.4
Forschungsstand und Lücken ............................................................. 23 Das interpretative Paradigma: die Aushandlung sozialer Ordnung ... 27 Familie als Keimzelle der Gesellschaft .............................................. 28 Generationale Ordnung und normative Überhöhung: Kindheit als Kategorie............................................................................................ 29 1.5 Kindheit im Recht – Objektivationen ................................................ 31 1.6 Von der Natur – Kinder und Liebe .................................................... 32 1.7 Das Kind als Erbe .............................................................................. 33 1.8 Vaterschaft – von der gesellschaftlichen zur identitären Kategorie ... 36 1.9 Vaterschaft als Institution – Vater und Vater Staat ............................ 37 1.10 Vom Familienoberhaupt zum neuen Vater ........................................ 42 1.11 Väter in Trennung und Scheidung: Diskontinuität und Kontinuität im Spannungsverhältnis .................................................. 43 1.12 Väterlichkeit und hegemoniale Männlichkeit .................................... 45 1.13 Gute Mütter ........................................................................................ 48 1.14 Mütter sind Frauen – Mütterlichkeit ist weiblich ............................... 49 1.15 Zwischenfazit: Familie im Wandel der Generationen- und Geschlechterverhältnisse.................................................................... 53 2
Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit ....................................................................................... 55 2.1 Familienrecht im Wandel ................................................................... 57 2.2 Abstammung aus juristischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive ......................................................................................... 59 2.3 Vaterschaft im Familienrecht ............................................................. 60
8
Inhaltsverzeichnis
2.4 2.5 2.6 2.7
Vaterschaftsfeststellung ..................................................................... 61 Vaterschaftsanfechtung ...................................................................... 62 Die Rechtslage zur Abstammungskenntnis aus Sicht des Kindes ...... 63 Die anderen: Ausnahmen als Regelungsfall ...................................... 64 2.7.1 Fortpflanzungsmedizin ........................................................... 64 2.7.2 Homosexuelle Partnerschaften mit Kindern ........................... 66 2.7.3 Familien mit adoptierten Kindern ........................................... 67 2.8 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in historischer Perspektive ......................................................................................... 69 2.9 Abstammung und Vaterschaft: Überblick über europäische Vergleichsstaaten ............................................................................... 75 2.9.1 Vaterschaft in England: Die genetische Wahrheit zählt ......... 76 2.9.2 Frankreich: Statusbesitz als zweite Vaterschaftsbestätigung .. 77 2.9.3 Österreich: keine Regelung heimlicher Tests ......................... 78 2.9.4 Die Natur als Quelle des Rechts: Abstammung und Elternschaft ............................................................................. 78 2.10 Zwischenfazit: Die Konstituierung von Familie durch Recht ............ 79 3
Legitimität und Macht: Diskursanalyse ................................................. 81 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
4
Diskurs als Konflikt um Deutung ...................................................... 82 Akteure in der wissenssoziologischen Diskursanalyse ...................... 84 Diskurse und soziale Typik ................................................................ 86 Diskursanalyse mittels der Grounded-Theory-Methode .................... 87 Material: Gesetze, Urteile und Stellungnahmen ................................ 88
Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes ........................................................................... 91 4.1 Urteil des BVerfG zu heimlichen Vaterschaftstests ........................... 94 4.2 Gesetz zur Klärung der Abstammung unabhängig vom Anfechtungsverfahren ........................................................................ 95 4.3 Diskursiver Effekt: „Für fremde Kinder muss niemand zahlen“ ....... 97 4.4 Rechtslage nach der Einführung des Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft ......................................................................................... 99
5
Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest ..................... 101 5.1 Das Bundesverfassungsgericht als Instanz der Herstellung gesellschaftlicher Realität ................................................................ 101 5.2 Organisation des Bundesverfassungsgerichts .................................. 104 5.3 Höchste Richter/innen und ihre Berufung........................................ 104
Inhaltsverzeichnis
9
5.4 5.5 5.6 5.7 5.8
Normenkontrollverfahren und Beschwerden ................................... 105 Verfassungsauslegung...................................................................... 105 Die parteilichen Texte ...................................................................... 106 Sprecher/innen ................................................................................. 108 Positionen der Stellungnahmen hinsichtlich des Gesamtergebnisses ........................................................................... 109 5.9 Aufbau der Analyse ......................................................................... 110 6
Vom heimlichen zum folgenlosen Vaterschaftstest: die Entscheidung des BVerfG ............................................................... 113 6.1 Der Ausgangsfall und alternative Deutungen .................................. 113 6.2 Abstammung als Identitätsmerkmal: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts .............................................................. 114 6.3 Leitsätze ........................................................................................... 115 6.4 Urteilsbegründung ........................................................................... 115 6.5 Das Verhältnis der berührten Grundrechte von Vater, Kind und Mutter............................................................................... 116 6.6 Zur Zulässigkeit eines heimlichen Vaterschaftstests im Verfahren der Vaterschaftsanfechtung ....................................... 117 6.7 Zwischenfazit: die Abwägung von Grundrechten ............................ 118
7
Das Kind als Faustpfand........................................................................ 119 7.1 Soziale und interessenlose Kinder – die Stellungnahmen ................ 119 7.2 Informationelle Selbstbestimmung des Kindes ................................ 122 7.3 Das Recht des Kindes auf Nichtwissen in der Auffassung des BVerfG ......................................................... 124 7.4 Das Verfahren schützt Kinder – Kinderschutz im parlamentarischen Verfahren ........................................................... 127 7.5 Interessenkoalitionen: Das Kind als entscheidendes Gewicht ......... 130 7.5.1 Die Vertretung der Kindesinteressen durch die Mutter ........ 130 7.5.2 Die Interessen des Kindes als Spiegel der Interessen des Vaters ...................................................... 131 7.5.3 Das Kind als eigenständiger Interesseninhaber .................... 132
8
Mütter zwischen Fürsorge und Fremdgehen ....................................... 133 8.1 Eigennützige und verantwortungsvolle Mütter – die Stellungnahmen.......................................................................... 133 8.2 Entscheidungsbefugnis der Mütter in den Stellungnahmen ............. 136
10
Inhaltsverzeichnis
8.3 Von der Begründung eines Kenntnisinteresses – die mütterliche Intimsphäre im Urteil .............................................. 137 8.4 Mütter sind passiv und beichten – das parlamentarische Verfahren ....................................................... 138 9
Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung .................................. 141 9.1 Väter in Not oder verantwortungslose Väter – die Stellungnahmen.......................................................................... 141 9.2 Der Anspruch des Vaters auf Kenntnis – die Stellungnahmen ........ 146 9.3 Zum Schutz des Grundrechts des Mannes nach geltendem Recht – das BVerfG ................................................................................... 148 9.3.1 Die derzeitige materiell-rechtliche Lage: Vaterschaftsvermutung ......................................................... 148 9.3.2 Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung: das überschießende Ziel........................................................ 149 9.4 Vater und Kind in Beziehung – die Ambivalenz nachmoderner Vaterschaftskonstruktion ................................................................. 150 9.5 Das Interesse des Vaters an seiner Individualität oder Identität – das BVerfG ...................................................................................... 153 9.5.1 Männer in der Sackgasse: Auswege und Schlüssel .............. 154 9.5.2 Exkurs: Referenzurteile zu Individualität und Identität durch Abstammung............................................................... 155 9.5.3 Urteil zum Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung (1989) ............................................................. 155 9.5.4 Urteil zum Anfechtungsrecht und Umgangsrecht des biologischen Vaters (2003) ................................................... 156 9.6 Männlichkeit und weibliche Treue im Urteil des BVerfG ............... 159 9.7 Die Urängste der Väter im parlamentarischen Verfahren ................ 160
10 Familie: von Frieden, Gerechtigkeit und Treue .................................. 163 10.1 Der Schutz des Familienfriedens ..................................................... 163 10.2 Die tradierte Paarfamilie: Rosen, warmes Essen und Latschen ....... 166 11 Zwischenfazit: Kindheit Macht Vaterschaft ........................................ 169 12 Von Äpfeln und Stämmen: Konsequenzen und Effekte...................... 173 12.1 Konsequenzen der Abstammungsfeststellung für das Kind ............. 173 12.1.1 Rückwirkender Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit durch Vaterschaftsanfechtung .............. 175
Inhaltsverzeichnis
11
12.1.2 Neue Hierarchien zwischen biologischen und sozialen Kindern? ............................................................................... 176 12.2 Väter im Spannungsfeld von hegemonialer Männlichkeit und „neuer“ Väterlichkeit ................................................................ 177 12.2.1 Der Staat als misstrauischer Vater: Gesetz zur Ergänzung der Anfechtung der Vaterschaft.......................... 178 12.2.2 Brüche nachmoderner Vaterschaft........................................ 180 12.3 Gleiche Rechte, ungleiche Pflichten: Mütter und das Kindschaftsrecht ........................................................................ 182 12.4 Familie im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität ....... 185 13 Fazit: eigene, richtige und falsche Väter und Kinder ......................... 189 Anhang ............................................................................................................. 197 Literatur .......................................................................................................... 205
Abkürzungsverzeichnis
Baden Württemberg Bayern BDSG Bf BGB BGH BMFSFJ BMJ BVerfG BVerfGE BVerfGG DFGT DIJuF DJB DKSB DNA GG Hib ISUV OGH PAS RG VafK VAMV VK ZPO
Justizministerium Baden-Württemberg Bayerische Staatsregierung Bundesdatenschutzgesetz Beschwerdeführer, vertreten durch die Anwaltskanzlei Zuck Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bundesministerium der Justiz Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung Bundesverfassungsgerichtsgesetz Deutscher Familiengerichtstag Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht Deutscher Juristinnenbund Deutscher Kinderschutzbund Desoxyribonukleinsäure (Träger der Erbinformation) Grundgesetz Heute im Bundestag Interessenverband Unterhalt und Familienrecht Oberster Gerichtshof Parental Alientation Syndrome Rassegesetz (1933) Verein Väteraufbruch für Kinder Verband alleinerziehender Mütter und Väter Verein Väter für Kinder Zivilprozessordnung
Einleitung
Mater semper certa est: „Die Mutter ist immer sicher“ heißt eine bekannte juristische Regel zur Elternschaft. Mit Sicherheit ist in diesem Fall zunächst gemeint, dass durch den Geburtsvorgang immer sicher ist, wer die Mutter eines Kindes ist. Dieser Satz beinhaltet auch, dass, wenn die Mutter sicher ist, es jemanden geben muss, der nicht in gleichem Maß – also immer – sicher ist. Die Fortsetzung der Redewendung lautet: pater est quem nuptiae demonstrant – „Vater ist, wer durch die Heirat als solcher erwiesen ist“. In dieser, durch das Lateinische noch an Gewicht gewinnenden (man kann sie sich geradezu in Marmor gemeißelt vorstellen) Regel ist die Fragestellung der vorliegenden Studie angelegt. Der Mutter mit der ihr zugeschriebenen vollkommenen Sicherheit steht ein Vater gegenüber, der erst durch Heirat beweisen muss, dass er Vater eines Kindes ist. Der Frau wird der „natürliche“ Akt der Geburt zugerechnet, um in den Status einer Mutter zu gelangen, der Mann muss den „kulturellen“ Weg des Rechts, den der Rechtsverbindung zur Mutter, gehen. War die Ehe seit dem römischen Recht ein Machtverhältnis, in dem der Mann als „pater familias“ das Sagen hatte, wurde dies erst in den 70er Jahren im Zuge der Gleichberechtigungsbestrebungen der Geschlechter vollständig aufgelöst. Männer und Frauen wurden in Ehen rechtlich gleichgestellt und die größere Wirtschaftsmacht der Männer gereichte ihnen im Falle einer Scheidung gar zum subjektiv empfundenen Nachteil, da so aus einer Ehe Unterhaltspflichten entstanden. Die durch die Ehe vermittelte Vaterschaft hatte damit für Männer zunehmend Nachteile. Die Abschaffung der schuldhaften Scheidung und die weitgehende Abkoppelung der Unterhaltsansprüche von moralischen Bedingungen ließen Frauen kaum Gründe, eine Ehe aus Befürchtungen der moralischen Verurteilung oder des finanziellen Elends aufrecht zu erhalten. Eine Scheidung war und ist keine Katastrophe und die Mehrzahl der Scheidungen wird von Frauen eingereicht. Damit verliert die Ehe aus patriarchaler1 Sicht an Vorteilen. Die 1 Wenn ich hier und im Folgenden den Begriff des ‚Patriarchats‘ verwende, so ist damit eine Struktur des Geschlechterverhältnisses gemeint, in dem Männer über- und Frauen untergeordnet sind. Dies soll weder bedeuten, dass dies von Frauen oder Männern so gewollt ist, noch dass Männer dies böswillig beabsichtigen. Die Struktur gibt das Verhältnis vor und es ist für Frauen wie für Männer mit enormen sozialen Kosten verbunden, diese Struktur zu verlassen.
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
16
Einleitung
Weisungsbefugnisse des Ehemannes über die Ehefrau sind praktisch verschwunden und die Ehe hat normativ an Bindung verloren. Gleichzeitig führt das romantische Liebesideal dazu, dass Ehen bei Verlust dieser romantischen Bindung eher beendet werden, Unterhaltspflichten jedoch bestehen bleiben. Die Zahl der Geburten bei nicht miteinander verheirateten Paaren nimmt stetig zu und in diesem Fall entsteht für den Vater nach geltendem Recht zunächst keine Rechtsbeziehung zum Kind, geschweige denn eine Weisungsbefugnis gegenüber der Mutter. Vater ist nun nicht mehr, wer mit der Mutter verheiratet ist, sondern wer die Vaterschaft anerkennt. Auch daran ist kein „natürlicher Akt“ gebunden und keine obligatorische Anwesenheit bei der Geburt: Während die Mutter bei der Geburt anwesend sein muss, ist die Anwesenheit des Vaters im geschichtlichen Vergleich unterschiedlich erwünscht und Gegenstand sozialnormativer Verhandlung. Die Spende männlicher Keimzellen ist in der Realität gang und gäbe und sowohl in der fiktiven Literatur als auch im Film Inhalt zahlreicher Verwicklungen. Demgegenüber wird beispielsweise die Eizellspende oder gar die Leihmutterschaft moralisch mit höheren Hürden versehen. In Deutschland ist Leihmutterschaft verboten. Mit der Abnahme der Bedeutung privatrechtlicher Verbindungen zwischen Männern und Frauen – bzw. deren nicht mehr obligatorischen Begründung eines Machtverhältnisses – entsteht im patriarchalen Geschlechterverhältnis ein Machtvakuum. Bis in die 1970er Jahre hinein waren Mütter sowohl normativ als auch rechtlich daran gebunden, bei ihrem Ehemann zu bleiben oder gegebenenfalls die „Schande“ einer nichtehelichen Geburt zu ertragen. Aufgrund der schuldhaften Scheidung waren sie nicht in der Lage, sich aus Ehen zu lösen, ohne wirtschaftliche Verarmung befürchten zu müssen. Die rechtlichen Veränderungen bis zur Kindschaftsrechtsreform von 1998 haben zunehmend dazu geführt, dass Frauen sich vergleichsweise frei für oder gegen Kinder und davon unabhängig für oder gegen Ehen entscheiden konnten. Frauen sind seither nicht nur rechtlich zunehmend unabhängig, sondern müssen sowohl im Falle der Scheidung als auch im Falle der nichtehelichen Geburt weder gesellschaftlichen Makel fürchten, noch sich durch Ehemänner oder Amtsvormünder bestimmen lassen. Es hängt von ihrer Zustimmung ab, wer Vater eines Kindes ist. Aus dieser Perspektive haben Männer und Väter rechtlich und politisch gesehen eine geringere Dominanz über Frauen und vermittelt über die vorrangige Zuständigkeit von Müttern für Kinder auch über ihre Kinder.2
2
Unabhängig davon, wie diese geringere Dominanz ausgestaltet ist, und davon, dass die Dominanz wirtschaftlich nach wie vor erhalten bleibt, handelt es sich auf der juristischen Ebene um einen breiteren Handlungsspielraum für Mütter.
Einleitung
17
Mit dieser zunehmenden Unabhängigkeit von Frauen und Müttern geht ein Wandel der Männlichkeitskonstruktionen einher, der eine veränderte Definition von Vaterschaft mit sich bringt. Ist Vaterschaft nicht mehr in erster Linie durch Macht oder wirtschaftliche Ressourcen gekennzeichnet, ergibt sich einerseits Raum für eine Neudefinition von Väterlichkeit, andererseits eine Unsicherheit und Ambivalenz angesichts persistenter Strukturen im Geschlechterverhältnis. Wenn Väter vom „pater familias“ nicht einfach zu Müttern werden können, was können sie dann sein? Wo das Bemuttern als Aktivität mit Sinn besetzt ist, gibt es bislang noch kein „Bevatern“. Die Unsicherheiten und Brüche dieser Entwicklung zeigen, so scheint es auf den ersten Blick, unterschiedliche Ausprägungen. Diese reichen von ‚Rückfällen‘ in tradierte Rollenmuster bis hin zu einer wenigstens diskursiven Entwicklung „neuer Väter“. Zeitgleich gewinnt die technologisierte biologische Forschung an Gewicht. Es ist nicht mehr die „Natur“, die von Bedeutung ist, es ist die wissenschaftliche und technologisierte Erforschung derselben, die sowohl wirtschaftlich als auch politisch an Bedeutung gewinnt – sei dies die Entschlüsselung des menschlichen Genoms oder die genetische Reproduktion mittels des „Klonens“, die Schaffung von „Retorten-Babys“ oder die Behandlung von Unfruchtbarkeit mittels ISCI, IVF und Hormonen. Der vermeintlich „natürliche“ Bereich der Zeugung und Geburt ist kontrollierbar geworden. Die Sicherheit von Mutter und Vater wird zum Schauplatz von Verhandlungen und es entstehen neue Eltern-KindVerhältnisse, die rechtlich teilweise ungeklärt sind. Diese bisher nur kurz angerissene und keineswegs nur in eine Richtung verlaufende Entwicklung hat in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu sogenannten „heimlichen Vaterschaftstests“ am 13. Februar 2007 eine Zäsur erfahren. Ein Vater hatte Verfassungsklage eingereicht, da er einen ohne Wissen und Zustimmung von Mutter und Kind durchgeführten genetischen Abstammungstest nicht zur Anfechtung der Vaterschaft verwenden durfte. Die vorangehenden Instanzen hatten geurteilt, dass der „heimliche Vaterschaftstest“ das Persönlichkeitsrecht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung verletze. Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass die Kenntnis der Abstammung des Kindes nicht nur wesentlicher Bestandteil der väterlichen Persönlichkeitsentfaltung ist, sondern auch nur durch die Abstammungsfeststellung gesichert werden kann und dass zum Schutz dieses Grundrechtes Väter eine Möglichkeit haben müssten, die Abstammung ihres Kindes festzustellen. Dieses Urteil steht im Mittelpunkt der vorliegenden Analyse. Der Gesetzgeber wurde beauftragt, bis 31. März 2008 ein entsprechendes Gesetz zu schaffen, das den Schutz dieses Grundrechtes gewährleistet. Im Anschluss wurde ein Gesetz geschaffen, das Vätern, Müttern und Kindern einen Anspruch auf Gewinnung einer Probe zur Ermittlung der genetischen Abstammung einräumte (§1598a BGB). Vor dem Hin-
18
Einleitung
tergrund der vorangegangenen Ausführungen erscheint dies wie die Realisierung eines neuen patriarchalen Kontrollanspruches. Eine Partei, der Vater, erhält die nahezu uneingeschränkte Möglichkeit, die Abstammung des eigenen Kindes festzustellen und kann nur auf Basis dieses Ergebnisses die Vaterschaft gegebenenfalls beenden. Angesichts einer Zunahme nicht-biologischer Eltern-KindVerhältnisse und einer – wenn auch quantitativ gering ausgeprägten – Pluralisierung von familialen Lebensformen erscheint dieser biologisierende Rückgriff auf die „genetische Wahrheit“ zunächst nicht automatisch nahe liegend. Unter dem Blickwinkel des Geschlechterverhältnisses erscheint die Entwicklung zudem als Benachteiligung von Müttern. Wie sich im Folgenden jedoch verdeutlicht, wird der Anspruch auf Abstammungskenntnis in erster Linie über Väter und Kinder verhandelt. Das Geschlechterverhältnis ist sowohl im Urteil als auch im Gesetzestext und den parlamentarischen Debatten kaum Thema, es wird ausgelassen.3 Im Wesentlichen wird bei der Frage der „heimlichen Vaterschaftstests“ über das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung des Kindes sowie das Recht des Vaters auf Abstammungskenntnis verhandelt – beides sind Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es stellt sich daher die Frage, wie die Schaffung eines Anspruches auf Abstammungsfeststellung zu Gunsten des rechtlichen Vaters im Kontext eines theoretischen und diskursiven Framings von Vaterschaft und Väterlichkeit interpretieren lässt und welche diskursiven Entwicklungen dazu geführt haben, dass die biologische Vaterschaft eine so hohe Bedeutung erhält. Für Kinder können durch eine Abstammungsfeststellung und eine gegebenenfalls nachfolgende Vaterschaftsanfechtung existenzielle Nachteile entstehen. Daher stellt sich bei Betrachtung des vorliegenden Urteils die Frage, wie Kindheit im Verhältnis zu Vaterschaft verhandelt wird und warum der Diskurs um das „Wohl des Kindes“ gegenüber dem der Identitätsfindung des Mannes ein offenbar geringeres Gewicht hat. Nicht zuletzt wird die folgende Analyse zudem auf die Konzeption von Mutterschaft eingehen. Familiäre Konzeptionen haben die Position von Müttern und Frauen im Geschlechterverhältnis maßgeblich bestimmt und führen noch heute zu wesentlichen Status- und Ressourcennachteilen. Frauen können daher in der vorliegenden Untersuchung nicht ausgelassen werden. Daraus ergeben sich die folgende Fragestellung: Wie erklärt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die „heimlichen Vaterschafts-
3 Abgesehen von einigen Zeitungsbeiträgen, die sich über potenzielle Promiskuität von Frauen und die soziobiologisch amateurhaft hergeleitete Begründung dieser angeblichen Promiskuität auslassen, wobei diese nicht ernsthaft als Verhandlung über das Geschlechterverhältnis gelten können (vgl. Abschn. 4.1)
Einleitung
19
tests“, die der Abstammungskenntnis des Vaters ein so hohes Gewicht beimisst? Die vorliegende Entscheidung ist vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen Entwicklung des Familienrechts keineswegs zwingend. Ausgehend von der „stets sicheren Mutter“, ihrem aus männlicher Sicht wahrgenommenen hohen Handlungsspielraum und der zunehmenden Technologisierung von Reproduktion, sowie von einer nicht feststehenden rechtlichen Position des Kindes, das in der Regel zwar unterlegen, aber als Verhandlungsobjekt machtvoll sein kann, und von Vätern, die mit zunehmenden Gleichberechtigungsanforderungen das patriarchale Geschlechterverhältnis neu legitimieren müssen oder wollen,4 stellen sich unterschiedliche Optionen der Regulierung dar. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in Fällen, in denen entweder die vorliegenden Gesetze nicht mehr ausreichen, um Grundrechte zu schützen, oder um Grundrechtsschutz von Bürger/innen gegenüber dem Staat zu gewährleisten. Die Grundrechte bedürfen in ihrer aktuellen Ausformung und Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen der Interpretation (vgl. dazu detailliert Abschn. 5.5) – daher setzt ein Verfassungsgerichtsurteil in seinen Interpretationen der Grundrechte Annahmen über gesellschaftliche Realität. Die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes als Verfassungsorgan der Bundesrepublik und höchstes Gericht gibt diesen Interpretationen eine hohe Definitionsmacht. Die Vorstellungen über Abstammung, Elternschaft und Kindheit haben nicht nur in dem daraus folgenden Gesetz Wirkung, sondern umgekehrt werden Gesellschaft und soziale Realität auch im Urteilstext reproduziert und vereindeutigt. Das Ziel der vorliegenden Studie ist, den rechtlichen Prozess des Urteils und das daraus entstandene Gesetz aus einer konstruktivistischen Perspektive zu erklären, um die hier wirksam werdenden Definitionen und Annahmen über gesellschaftliche Realität darzustellen und auf ihre Konsequenzen hin zu untersuchen. In Kapitel 1 trage ich die Befundlage zum Untersuchungsgegenstand unter dem Blickwinkel soziologischer Theorien zusammen. Der Abstammungsbegriff verweist im weitesten Sinne auf Beziehung. Denn die Idee der Abstammung bildet nicht nur eine bestimmte Konstruktion des Generationenverhältnisses ab, sondern auch eine bestimmte Form familialer Beziehungen, der Beziehungen im Geschlechterverhältnis und nicht zuletzt der Verortung von Familie in der Ge-
4
Vor dem Hintergrund, dass die vorliegende Untersuchung in erster Linie eine Diskursanalyse darstellt, wird angemerkt, dass die Legitimationsanstrengungen zur Erhaltung des Patriarchats keine willentliche Handlung sein müssen oder es ggf. in den meisten Fällen nicht sind. Im Rahmen eines patriarchalen Geschlechterverhältnisses ist die Wirkmächtigkeit diskursiver Formationen zu Männlichkeit so dominant, dass sich kaum andere Interpretationen oder Handlungsmöglichkeiten für die Subjekte ableiten.
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Einleitung
sellschaft. Anhand dieser Beziehungsstrukturen sollen theoretische Perspektiven entwickelt werden, die den Verweisungsrahmen für die später folgende empirische Analyse bilden. Die Kategorien Väter, Mütter und Kinder sind die zentralen Ordnungseinheiten dieses Kapitels. Die Rechtslage zur Abstammung wird in Kapitel 2 überblicksartig aufgearbeitet. Dabei werden zunächst die Einzelnormen und die Regulierung von ‚Ausnahmefällen‘, in denen Abstammung und Elternschaft nicht übereinstimmen, dargestellt, sowie ein kurzer internationaler Vergleich der Abstammungsregelungen vorgenommen. Das Vorgehen der Diskursanalyse sowie der methodologische Rahmen der Grounded-Theory-Methode werden im Kapitel 3 beschrieben. In einem ersten Schritt der empirischen Analyse werden in Kapitel 4 die Entwicklungen des Kindschaftsrechts seit dessen Reform von 1998 im Hinblick auf Urteile und Gesetze rekonstruiert, die im Zusammenhang mit der Abstammungsfeststellung stehen. Dies ist notwendig, um sowohl den Kontext der Entwicklungsbedingungen für das vorliegende Urteil zu verstehen, als auch um die Interessenlagen der Beteiligten nachzuvollziehen. Den Vorgang der Verhandlung über die „heimlichen Vaterschaftstests“ im verfassungsrechtlichen Verfahren wird in den Kapiteln 5 bis 11 rekonstruiert. Hier werden mittels der Methode der Diskursanalyse der Text des Urteils zu „heimlichen Vaterschaftstests“ sowie die Stellungnahmen zum Urteil analysiert. Diese Analyse mündet in Thesen über die verhandelten Sprecher/innenpositionen und Argumentationsfiguren, die durch das Urteil entstehen. Ein weiterer Analyseschritt zeigt die Diskurse, die im parlamentarischen Verfahren, das im Anschluss an das Urteil erfolgte, identifizierbar sind. Auf Konsequenzen der Vereindeutigung der Abstammungsbeziehung für Väter, Kinder und Mütter wird in Kapitel 12 eingegangen. Fast zeitgleich zur Abstammungsfeststellung als privatrechtlichem Anspruch wurde die Vaterschaftsanfechtung um ein behördliches Anfechtungsrecht ergänzt, das sogenannte ‚missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen‘ zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels bekämpfen sollte. Diese Gesetzesänderung verdeutlicht den Zusammenhang von Abstammung und Zuwanderungsregulierung und soll daher im Abschnitt ‚Konsequenzen‘ dargestellt werden. Außerdem wird auf allgemeine Konsequenzen sowohl für die rechtliche Konzeption von Familienbeziehungen als auch auf diskursive Effekte eingegangen. Im Ergebnis stellt diese Analyse die Frage, warum die „stets sichere Mutter“ nun einen ebenso „stets sicheren Vater“ benötigt, ob die Sicherheit der Mutter die Unsicherheit des Vaters bedingt und welche (Un-)Sicherheiten sich aus dem Sicherheitsbedürfnis der Eltern für das Kind ergeben. Wenn das vorliegende Gesetz den „stets sicheren Vater“ schafft, wie ist es dann um die Si-
Einleitung
21
cherheit für das Kind bestellt? An dieser Stelle ist auch der Titel des Buches zu verorten: „Richtige Kinder“ verweist auf eine Dichotomisierung von Kindern anhand ihrer biologischen Abstammung. Wird das Eltern-Kind-Verhältnis und die Frage „Ist es mein Kind?“ ausschließlich auf die genetischen Informationen reduziert, so entstehen „richtige“ Kinder und mithin auch „falsche“ Kinder. Ein vereindeutigtes „Richtig“ oder „Falsch“ verschleiert mögliche Nuancen familialer Beziehungen, bei denen ohnehin in Frage steht, ob sie nach diesen Kategorien geordnet werden können.
1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
Von der Verhandlung der Abstammung sind sowohl einzelne Familienmitglieder (Väter, Mütter und Kinder) betroffen als auch ihr Verhältnis zueinander. Das heißt, die Ermittlung oder Debatte über die Abstammung eines Kindes meint in der gegenwärtigen Auffassung der Abstammung im Sinne einer Familienbeziehung die wechselseitigen Verhältnisse von Vätern, Müttern und Kindern zueinander. Indem die Abstammung (bzw. ihre Unterstellung) in westeuropäischen Rechtssystemen als familiäres Ordnungselement genutzt wird, ist sie auch untrennbar mit dem Verhältnis der Familienmitglieder zur staatlichen Ordnung verbunden. Die Abstammung nimmt Bezug zum biologischen Vorgang der Fortpflanzung und auch zur vergeschlechtlichten Form der Elternschaft, also dem Verhältnis von Müttern und Vätern zueinander im Rahmen des Geschlechterverhältnisses. Die theoretische Rahmung der vorliegenden Studie wird daher anhand der Kategorien Vater, Mutter, Kind, ihren Beziehungen zueinander sowie dem Verhältnis von Vätern, Müttern und Kindern zur staatlichen Ordnung vorgenommen. Im Verlauf der Analyse kristallisierte sich heraus, dass insbesondere die Verhandlung des Vater-Kind-Verhältnisses im Mittelpunkt des empirischen Materials steht. Der Wandel der Vaterschaft, so die hier vertretene These, sowie damit einhergehende Spannungen und Ambivalenzen im Geschlechter- und Generationenverhältnis bilden sich in den Verhandlungen um die Abstammungsfeststellung des Kindes ab. Daher liegt der Schwerpunkt der folgenden theoretischen Ausführungen auf den Befunden zu Vaterschaft im Generationen- und Geschlechterverhältnis. 1.1
Forschungsstand und Lücken
Im deutschsprachigen Raum beschränken sich die rechtssoziologischen Zugänge zum Kindschaftsrecht bislang weitgehend auf die Verhandlung des Geschlechterverhältnisses. Kinder erhalten als Fokus nur in ihrer Auswirkung auf die Position von Eltern einen Raum. Dabei lassen sich zwei Hauptlinien feststellen, die S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Im Bereich der feministischen Rechtswissenschaft finden sich in Bezug auf Frauen, Fortpflanzung und Beteiligung einige Beiträge (vgl. zusammenfassend Wersig 2006a und 2006b, Oberlies 1997, Baer 2001, Lucke 1997), die sich kritisch mit der Ausweitung väterlicher Rechte auseinandersetzen. Speziell Lucke (1997) hat hierbei eine historische Betrachtung der Entwicklung des Mutterbildes im Recht erarbeitet. Die weiteren Beiträge setzen sich mit dem Konflikt der qua Geburt erfolgenden rechtlichen Zuordnung der Mutter zum Kind gegenüber den Fragen weiblicher Selbstbestimmung auseinander. Die Kritik lässt sich wie folgt zusammenfassen: Frauen werden durch apodiktische Formulierungen des elterlichen Einvernehmens und die von Väterverbänden5 vorangetriebene Ausweitung der väterlichen Rechtsposition in ihren Entscheidungsfreiheiten eingeschränkt. Diese Kritik bezieht sich zum Beispiel auf die Einschränkung räumlicher Mobilität von Müttern bei Trennung und Scheidung, weitgehende Entscheidungsrechte des mitsorgeberechtigten Elternteils und Umgangsgewährung bei häuslicher Gewalt. Dabei konzentriert sich die feministische Rechtssoziologie jedoch weniger am Kind als Subjekt des Verfahrens als an der Beeinflussung der Rechte von Frauen durch ihren Mutterstatus, wie beispielsweise in der Forschung zum Verfassungsgerichtsurteil zur Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen6 oder arbeitsrechtlicher Fragestellungen hinsichtlich des Mutterschutzes (vgl. Biermann 1997). Das heißt, die Konfliktlinie sowohl in theoretischer als auch in politischer Hinsicht verläuft zwischen Kind und Mutter. Scheiwe (2006), Casale/Foster (2006), Foster (2006) und Fichtner (2008) haben sich mit der Ausweitung väterlicher Rechte im Kindschaftsrecht bzw. mit Männlichkeit und Männerpolitik befasst. Während Scheiwe vor allem eine rechtswissenschaftliche Betrachtung der Entwicklung der väterlichen Rechte und der daraus entstehenden Konflikte leistet, sind die weiteren Beiträge eher in einer soziologischen Perspektive verortet. Foster (2006) hat hierbei allgemeiner das Phänomen männlicher Resouveränisierung beschrieben. Männliche Resouveräni5
Die Verwendung des Begriffs „Väterverbände“ sowie „Väterbewegung“ soll diejenigen Verbände benennen, die bundespolitisch in Erscheinung treten: Väteraufbruch für Kinder e.V., Väter für Kinder e.V. und teilweise der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV). Den ersten beiden ist gemeinsam, dass sie sich nicht von Maskulinisten-Verbänden abgrenzen, die sich antifeministisch positionieren. Treffender wäre daher der Begriff antifeministische Väterverbände. Die Verfasserin bewertet Väterverbände als antifeministisch, solange sie keine klare feministische Position formulieren und die Vormachtsstellung von Männern in Politik und Gesellschaft nicht reflektieren, sondern de facto verteidigen, insofern ist auch der Verband ISUV als tendenziell antifeministisch zu bewerten. Da bislang auf bundespolitischer Ebene jedoch keine anderen Väterverbände in Erscheinung getreten sind, wird die Formulierung „Väterverbände“ genutzt. Gegenbeispiele finden sich im Feld antisexistischer Jungenarbeit. 6 Hier findet sich eher die Kontroverse Frau – Embryo. Insofern sind kindliche Subjektpositionen nicht das Thema der Forschung.
1.1 Forschungsstand und Lücken
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sierung beschreibt die Versuche der Reetablierung männlicher Macht- und Herrschaftsansprüche im Zeitalter der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Ein Diskurs über Männer oder Männlichkeit in der Krise wird dazu verwendet, Vorteile und Privilegien wieder zu erhalten. Fichtner (2008) hat sich speziell mit der Verwendung des „Parental Alienation Syndroms“ in der kindschaftsrechtlichen Debatte befasst und dieses diskursive Phänomen mit den Konzept der Männlichkeiten von Connell (2006) verbunden. In diesem Zusammenhang beschreibt er, wie das Konzept der „Entfremdung“ durch den betreuenden Elternteil (die Mutter) dazu verwendet wird, um das Konstrukt des getrennten Vaters innerhalb der Binnenbeziehungen von Männlichkeit zu verorten. Wolde (2007) hat anhand einiger Beiträge aus Väterzeitschriften die geschlechterpolitische Ambivalenz der Väterbewegung analysiert. Ausgangspunkt bei diesen Arbeiten ist das Geschlechterverhältnis oder die Vaterschaft in Bezug auf das Geschlechterverhältnis. Willekens (2006) geht davon aus, dass die Biologisierung der Vater-Kind-Beziehung mit einer Abnahme des funktionalen Wertes von Kindern (beispielsweise als Arbeitskräfte oder als Einsatz in sozialen Tauschbeziehungen) einhergeht und die biologische Abstammung die letzte Möglichkeit der ideellen „Wertschöpfung“ darstellt. Das wäre insofern interessant, als dass die Abstammung in der öffentlichen Debatte häufig mit archaischen Eltern-KindBeziehungen in Verbindung gebracht wird, jedoch nach Willekens ein modernes Phänomen ist. Mit ‚fragmenting fatherhood‘ haben Collier und Sheldon (2008) eine rechtssoziologische Studie vorgelegt, die anhand von Urteilen und Gesetzen in Großbritannien die rechtliche Entwicklung und Veränderung der Konzepte von Vaterschaft hin zu einer Fragmentierung und, als Teil davon, einer „geneticization of fatherhood“ entwickelt. Vaterschaft ist mithin aus rechtssoziologischer Perspektive keine einheitliche Größe mehr, sondern, wie sich anhand der Beispiele heterologer Insemination, sozialer Vaterschaft oder biologischer Vaterschaft darstellen lässt, ein fragmentiertes Gebilde, das sich in ganz unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen niederschlägt. Es lässt sich seit den Debatten um die Kindschaftsrechtsreform zwar ein Fokus auf Kinder in kindschaftsrechtlichen Verfahren identifizieren. Jedoch ist dieser eher ein Bestandteil rechtswissenschaftlicher und psychologischer als soziologischer Auseinandersetzung (vgl. Dudeck, Meysen, Klosinski 2009). In diesem Zusammenhang wird eine Debatte über die Möglichkeiten der Ermittlung des Kindeswillens und seines Verhältnisses zum Kindeswohl geführt (vgl. bspw. Dettenborn 2007). Die Schaffung der Rechtsfigur des Verfahrenspflegers / der Verfahrenspflegerin als „Anwalt/Anwältin des Kindes“ hat diese Diskussionen erweitert (vgl. Salgo 1996). In diesem Zusammenhang verlaufen die Debatten eher praxisorientiert und sollen dem Schutz des Kindes bei Trennung und Scheidung dienen. Explizit soziologische Zugänge zum Kind haben, wohl auch auf-
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
grund der eher anwendungsorientierten juristischen und psychologischen Zugänge, bisher wenig Beachtung gefunden und sich dem Feld Kindschaftsrecht nur selten genähert (vgl. Bühler-Niederberger 2005a). Mason (1996) hat die Entwicklung des Kindschaftsrechts in den USA seit dem Kolonialismus untersucht. Ihre Forschungsperspektive, die sich auch im Titel „From Father’s Property to Children’s Rights“ ausdrückt, stellt eine fast einzigartige Forschungsperspektive dar, da sie konsequent die Stellung des Kindes – und damit Vorstellungen von Kindheit in den USA – abbildet. Schwenzer (z.B. 2008) widmet sich aus juristischer Perspektive der Pluralität von Eltern-Kind-Verhältnissen und ihrer juristisch-praktischen Ausgestaltung. Als Ausnahme in dieser Disziplin entwirft sie Visionen und Vorstellungen einer völligen Neugestaltung des Familienrechts, das sich abseits biologischer Zuschreibungen am Modell „intendierter Elternschaft“ orientiert. Die Neuschaffung der Vaterschaftsklärung als dem Anfechtungsverfahren vorgeschaltete Möglichkeit der Gewinnung eines „Anfangsverdachts“ wurde im juristischen Fachdiskurs eingehend bearbeitet. Bereits im Vorfeld des BVerfGUrteils wurde die juristische Debatte um „die Gene des Kindes“ geführt (vgl. Wellenhofer-Klein 2003, Huber 2006). Frank/Helms (2007) konzentrierten sich auf Verfahrensfragen und führten Mängel des Feststellungsverfahrens in seinem Bezug auf das Anfechtungsverfahren an, wobei sie sich auch generell kritisch zur Durchführung von Abstammungsfeststellungen äußerten. Wesentlich deutlicher hat Schwab (2008) gegen das Verfahren Position bezogen, indem er zynisch feststellte, nun würde endlich wieder echte patriarchale Macht in der Familie geschaffen.7 Meysen (2005) hat angemerkt, dass das Kind in der Diskussion um die Vaterschaftsfeststellung mit seinen Bedürfnissen in den Hintergrund rücke. Kinder werden in der juristischen Fassung mit dem „Kindeswohl“ gleichgesetzt und mit der Einführung von „Kindeswohlvorbehalten“ erschöpft sich meist die Sicht auf ihre Position, zumal sich diese eher praxisorientiert an juristischen Fragestellungen orientiert und politische und gesellschaftliche Dimensionen allenfalls anreißt. Der soziologische Theoriezugang zur Position des Kindes und seinen Handlungsmöglichkeiten im Verfahren bleibt bisher unterbelichtet, sicher auch, weil das Kind als Akteur in juristischer Perspektive unterbelichtet bleibt. Vaterschaft und ihre Ermittlung, Verhandlung und Entwicklung im politischen wie im öffentlichen Diskurs soll ein zweiter Schwerpunkt der vorliegenden Analyse sein. Hat sich die oben beschriebene Forschung zunächst aus juristischer oder psychologischer Perspektive mit Vaterschaft befasst, fehlt bislang weitgehend eine Untersuchung der Vaterschaft als vergeschlechtlichter Ausdruck 7
Eine seltene Veröffentlichung, denn in den meisten weiteren Diskussionen, auch bei persönlichen Gesprächen, ist eine Art Hemmung juristischer Experten/innen zu bemerken, BVerfG-Entscheidungen anzuzweifeln.
1.2 Das interpretative Paradigma: die Aushandlung sozialer Ordnung
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generationaler Ordnung, sprich der Untersuchung der Vaterschaft im VaterKind-Verhältnis am Gegenstand des deutschen Kindschaftsrechts. 1.2
Das interpretative Paradigma: die Aushandlung sozialer Ordnung
Als interpretatives Paradigma werden die theoretischen Ansätze bezeichnet, die von Realität als Ergebnis sozialer Praxis, bestehend aus Deutung, Kommunikation und Interaktion ausgehen. Zum interpretativen Paradigma zählen der symbolische Interaktionismus und die Wissenssoziologie. Im symbolischen Interaktionismus, der maßgeblich von Mead und Blumer entwickelt wurde, wird davon ausgegangen, dass Menschen auf der Basis von Bedeutungen handeln, die sie Dingen beimessen, und dass diese Bedeutungen in Interaktionen ausgehandelt werden (vgl. zusammenfassend Keller 2009). In einem Prozess der Interpretation werden diese Bedeutungen gehandhabt oder abgeändert. Das heißt, die Bedeutungszuschreibung ist ein offener Prozess, die Bedeutungen sind nicht statisch. Verkürzt ausgedrückt entsteht aus diesen Handlungen Gesellschaft. Gesellschaft wird im Sinne des symbolischen Interaktionismus als Geflecht von Handlungszusammenhängen verstanden. Strauss (1993) hat in dieser Tradition den Ansatz der „negotiated order“, also die Idee verfolgt, dass Interaktionsprozesse Strukturen bilden und ihrerseits das Handeln beeinflussen. In einem ständigen Prozess des Ordnens wird gesellschaftliche Realität geschaffen. Diese Aushandlungsprozesse finden in sozialen Welten und Arenen statt, die einer eigenen Logik folgen. Berger und Luckmann (1987) haben in ihrem Ansatz der Wissenssoziologie ebenfalls den Prozess der Konstruktion der Wirklichkeit verfolgt und beschreiben die Produktion und den Rückgriff auf gesellschaftliche Wissensvorräte als wesentlich für die Herstellung sozialer Realität. Da diese Wissensvorräte ungleich verteilt sind, haben einzelne Gruppen oder Gesellschaftsmitglieder mehr Deutungs- und Interpretationsmacht als andere. Strauss (1993) beschreibt diese Deutungsmacht über Repräsentanten, die in öffentlichen Arenen über soziale Ordnung verhandeln. Bedeutsam für die vorliegende Untersuchung ist vor allem die Feststellung, dass es sich bei gesellschaftlicher Realität um ein Ergebnis von Aushandlungsprozessen, sozialer Praxis und institutionellen Arrangements handelt. Familie ist entsprechend eine Institution in dieser gesellschaftlichen Ordnung, die ebenfalls durch soziale Praxis hergestellt, aber auch durch die Ordnung von Generation und Geschlecht konstituiert wird.
28 1.3
1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
Familie als Keimzelle der Gesellschaft
Im Sinne der Familie als Ergebnis sozialer Ordnung kann der Titel „Keimzelle der Gesellschaft“ als Prozess der Einfügung der Familienmitglieder in die Ordnung der Generationen und der Geschlechter verstanden werden. Die Familie befindet sich damit auch im Sinne des interpretativen Paradigmas als gesellschaftliche Institution der Zuordnung von Gesellschaftsmitgliedern im Mittelpunkt eines Systems von Deutungen und Aushandlungen. Konkret bedeutet dies, wie Knieps-Port le Roi (2009) beschreibt, dass in westeuropäischen Gesellschaften, insbesondere im bundesdeutschen Fall, die religiöse Verortung der Familie als Produzent von gläubigen Christen eine zentrale Rolle spielt und die Familie lange Zeit als gottgewollte Form der Zugehörigkeit galt. Aus dieser gottgewollten Form des Zusammenlebens hat sich im Zusammenspiel mit ordnungspolitischen Vorstellungen eine Regulierung von Familie über die Zuordnung von Frauen zur Privatsphäre und von Männern zur Öffentlichkeit und den ökonomischen Ressourcen entwickelt. Dies war vor allem der Trennung von Beruf und Privatsphäre geschuldet, die die Familie als intimen Raum geschaffen hat, in dem quasi nur miteinander verwandte Personen zusammen leben. Dabei wird die Familiensoziologie nicht müde zu betonen, dass im Zeitvergleich die private Kernfamilie ein vergleichsweise junges Phänomen ist und als Massenphänomen erst seit der Industrialisierung besteht (vgl. z.B. Schneider et al. 1998). Die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg gelten als das goldene Zeitalter der Ehe und der Familie, in der die verheiratete Kernfamilie mit mehr als einem Kind das tatsächlich dominante Lebensmodell darstellte. Bereits Ende der sechziger Jahre begann dieses Modell zu erodieren. Steigende Scheidungszahlen, zunehmende Anteile von „nichtehelichen Kindern“ und die zunehmende Müttererwerbstätigkeit lassen die Familie heute als dynamisches Modell des Zusammenlebens erscheinen. Ein wesentliches Merkmal ist und bleibt jedoch, dass ein Großteil aller Kinder auch heute mit beiden Elternteilen aufwächst, ein weiterer Teil mit zwei Erwachsenen, von denen wenigstens einer ein leiblicher Elternteil ist, und der dritte Teil zumindest einen Teil der Kindheit mit einem Elternteil lebt. Die Lebensform Erwachsener mit eigenen leiblichen Kindern scheint demnach nach wie vor im deutschsprachigen Raum das dominante familiäre Lebensmodell zu sein. Unabhängig von dieser empirischen Persistenz des Familienmodells gilt es darüber hinaus als dominantes normatives Lebensmodell (vgl. als Überblick Schneider et al. 1998: 16 ff.). Eine zentrale Änderung des familialen Zusammenlebens ist die bereits von Parsons (1968) beschriebene Übernahme der Existenzsicherung durch den Wohlfahrtsstaat, die den Weg frei macht für die Familie als reine Gemeinschaft der
1.4 Generationale Ordnung und normative Überhöhung: Kindheit als Kategorie
29
Liebe, die mit einer Entökonomisierung des familiären Binnenraums als Ideologie einhergeht. De facto besteht die ökonomische Abhängigkeit im subsidiären Wohlfahrtsstaat erstens fort, zweitens gilt die ökonomische Unabhängigkeit nicht für Kinder. Damit ist der wichtigste Aspekt modernen familiären Zusammenlebens angesprochen: die Fokussierung der Familie auf das Kind als zentralem Bestandteil der Familiengründung und gleichzeitig dem wichtigsten „Produkt der Familie“. Diese Konstruktion des Kindes in der generationalen Ordnung untersucht die Kindheitssoziologie. 1.4
Generationale Ordnung und normative Überhöhung: Kindheit als Kategorie
Wie ist Kindheit möglich, fragt die Kindheitssoziologie nach Honig (2009) und steht damit in der Tradition des interpretativen Paradigmas im Sinne einer Aushandlung gesellschaftlicher Ordnung und deren Kategorien. Indem Kindheit nicht als etwas Ontologisches begriffen wird, sondern die Herstellungsbedingungen von Kindheit im Zentrum des Interesses stehen, wird Kindheit wie Geschlecht zu einer Kategorie, die in die Ordnung der Institution Familie eingelassen ist und deren wesentliche Bedingung darstellt. Ohne Kindheit – mithin ohne eine generationale Ordnung – gibt es keine Familie im engeren Sinne. Die Fragestellung der Kindheitssoziologie orientiert sich an Kindheit unter dem Aspekt der Machtverhältnisse, der Arbeitsteilung und der Verteilung von Ressourcen. Alanen (2005) stellt die Struktur von Gender als konstruierter Abgrenzung in den Zusammenhang mit dem Generationenverhältnis von Erwachsenen und Kindern. Wie Geschlecht bildet auch Alter eine kategoriale Grenze, die Bevölkerungsgruppen schafft, die mit mehr oder weniger Handlungsmöglichkeiten ausgestattet sind. Alanen unterscheidet drei Formen der Kindheitssoziologie: die Soziologie der Kinder, die dekonstruktive Soziologie der Kindheit und die sozialstrukturelle Soziologie der Kindheit. Während die Soziologie der Kinder eine eher ethnografische Untersuchungsperspektive wählt und dabei Kinder im alltäglichen Leben beobachtet (gewissermaßen das „doing child“), richtet sich die Perspektive der sozialstrukturellen Kindheitssoziologie auf Ungleichheitsphänomene, die sich für Kinder ökonomisch, sozial, politisch und rechtlich ausdrücken. Die Fragestellung orientiert sich demnach an der Positionierung der Kinder gegenüber den Erwachsenen und ihren Möglichkeiten, an Rechten und Ressourcen zu partizipieren. Zeiher (1996: 14 f.) beschreibt die dekonstruktive Soziologie der Kindheit als auf drei Konzepten beruhend, die nicht selten synonym verwendet werden:
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
dem Sozialkonstruktivismus, der Diskursanalyse und dem Dekonstruktivismus. Als gemeinsamen Ausgangspunkt beschreibt sie die Annahme, dass es keine objektiven Wahrheiten gebe und dass Machtverhältnisse sich durch Deutungsautorität und Abgrenzung ausdrücken. Als dekonstruktivistisch im engeren Sinne beschreibt sie die Demontage hierarchischer binärer Oppositionen (Natur/Kultur etc.) mittels der Diskursanalyse. Die konstruktivistische Kindheitssoziologie untersucht das Generationenverhältnis als historisch veränderbares und sozial definiertes Konstrukt. Die Mechanismen dieser Aufrechterhaltung von Kindheit werden untersucht. James, Jenks und Prout (1998) haben die theoretischen Kindheitskonzeptionen der Sozialwissenschaften untersucht und diese in den internationalen Kontext der Kindheitsforschung eingeordnet. Sie entwickeln dabei fünf Typen der Kindheitskonzeption. Erstens ist dies „the developing child“ – ein nicht-soziologischer Ansatz, der vom Kind als „Werdendem“ ausgeht und in erster Linie Entwicklungsbedingungen untersucht. Der Typ „the tribal child“ stellt Kindheit als einen ethnomethodologischen Forschungsgegenstand dar, der die kindliche Lebenswelt und Konstruktion derselben anhand teilnehmender Beobachtungen untersucht. „The minority group child“ hat Kinder vor allem als „Minderheitengruppen“ im Fokus und greift damit bestehende Machtverhältnisse an. Honig (2009) kritisiert diesen Zugang als letztlich normativ basiert. Der Ansatz des „social structural child“ untersucht vor allem Ungleichheitsverhältnisse innerhalb der Gruppe der Kinder bzw. Auswirkungen von Ungleichheit auf Kindheit und grenzt sich damit vom „socially constructed child“ ab, ein theoretischer Ansatz, der auch in der vorliegenden Arbeit vertreten wird. Die konstruktivistische Sichtweise auf Kindheit lässt eine Verschiebung der Kategorien von Kindheit und „Erwachsenheit“ zu, sie untersucht die Bedingungen der Herstellung von Kindheit. “This (the social constructivist view of childhood) rejects any idea that childhood rests on some pregiven essential nature and contends that notions of childhood, indeed the very term and concept itself, are a way of looking, a category of thought, a representation. The idea of childhood, in this view, came into being through discourses that created their own objects. The plural is important here because it is also held that childhood can be constructed in diverse and shifting ways.” (James, Jenks, Prout 1998: 140)
Bühler-Niederberger hat bereits Mitte der 90er Jahre die Herstellung und Verhandlung des „Werts der Kinder“ untersucht und damit die wesentlichen Konstruktionsbedingungen von Kindheit als Kategorie benannt. Mit der Untersuchung der Sozialisation als wesentliche Konstruktionsbedingung des bedürftigen Kindes (2005a) hat Bühler-Niederberger historisch die Entwicklung der Kindheit als defizitäre Kategorie untersucht. Diese Idee des „bedürftigen Kindes“ setzt
1.5 Kindheit im Recht – Objektivationen
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sich in der diskursanalytischen Untersuchung zur Instrumentalisierung der Kategorie Kind sowie der Verhandlung über Kindheit und die Reproduktion des Generationenverhältnisses in politischen Prozessen fort. Parlamentarische Debatten konstruieren das Kind als „unschuldig“ und ermöglichen dadurch seine Vereinnahmung und Stellvertretung zur Durchsetzung von Interessen, die nicht in erster Linie als Verwirklichung kindlicher Interessen gelten können. Mit dem Begriff der „Macht der Unschuld“ hat Bühler-Niederberger (2005a) gezeigt, wie wirkmächtig diese Konstruktion eines bedürftigen und passiven Kindes für die Durchsetzung politischer Interessen sein kann. Indem das Kind selbst „bedürftig“ bleibt, können verschiedene Interessengruppen die eigenen Interessen jeweils als Einsatz für Kinder proklamieren. Diese Instrumentalisierung des „unschuldigen Kindes“ – das heißt, in einem ersten Schritt wird das Kind zum „unschuldigen“ oder „bedürftigen“, in einem zweiten Schritt wird es instrumentalisiert – soll auch für die vorliegende Analyse wegweisend sein. 1.5
Kindheit im Recht – Objektivationen
Van Krieken (2005) hat die Grenze der „Strafmündigkeit“ für Kinder in verschiedenen Ländern und deren Verhandlung untersucht. Der Begriff der Strafmündigkeit/Schuldfähigkeit (doli incapax) wird explizit im Jugendstrafrecht angewandt, um zu entscheiden, ob ein Kind, das eine Straftat begangen hat, dafür bestraft werden soll (Intention der Tat, Moral-‚Entwicklung‘). Van Krieken unterscheidet hier zwischen der „‚Unschuld‘, gekoppelt an die Absenz einer im rechtlichen Sinne handlungsfähigen ‚Person‘“, und der „Präsenz solcher Persönlichkeit“ (van Krieken 2005: 186). Er geht davon aus, dass die Debatte um das Alter, zu dem zwischen der Absenz und der Präsenz entschieden wird, bzw. die institutionelle Logik, die mit dieser Mündigkeit zusammenhängt, wichtige Hinweise auf die sich wandelnden Vorstellungen von Kindheit im Recht, sowohl im Kultur vergleichenden als auch im historischen Sinne, bietet. „Eine Untersuchung der Logik verschiedener institutioneller Praktiken und politischer Argumente rund um das doli incapax und seine Äquivalente sollte uns Wichtiges erzählen können über sich wandelnde Vorstellungen von Kindheit im Recht und darüber, wie diese Vorstellungen in je anderen nationalen und rechtlichen Kulturen auch unterschiedlich wirken.“ (van Krieken 2005: 189)
An diesem Zugang ist für die vorliegende Untersuchung zweierlei interessant: Was für die Strafmündigkeit festgestellt wurde, kann auf das Kindeswohl übertragen werden. Was rechtlich als „im Sinne des Kindeswohls“ gilt, unterliegt stetigem Wandel und gibt Hinweise auf die Vorstellungen von Kindheit. Zwei-
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
tens hat van Krieken eindrücklich gezeigt, wie eine emotionalisierte Debatte über Kinder als Straftäter zum einen starke Ängste im Hinblick auf eine generelle Destabilisierung sozialer Ordnung hervorruft – dies durch den Kontrast der unterstellten Unschuld und andererseits der Schuld durch eine Straftat – und zum anderen instrumentalisiert wird, um Verschärfungen im Strafrecht oder andere politische Ziele zu verwirklichen. Wenn die Kindheitssoziologie also danach fragt, wie die Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen so funktioniert, dass eine unhinterfragte Wirklichkeit entsteht, kann diese Frage bezogen auf die Abstammung bedeuten: Wie ist die Entstehung eines rechtlichen Vater-Kind-Verhältnisses möglich? Die Feststellung der biologischen Abstammung kann eine Möglichkeit sein – und hat spezifische Voraussetzungen und Folgen. 1.6
Von der Natur – Kinder und Liebe
Die bürgerliche Intimität beinhaltet die Mutterliebe als Erziehungsinstrument (Schütze 1991, vgl. Bühler-Niederberger 2005b). Die Vaterliebe taucht als „empirische Besonderheit“ auf, ist jedoch eine weit weniger bedeutsame Figur (vgl. Drinck 2005). Mit der natürlichen Mutterliebe geht die natürliche und zweckfreie Liebe des Kindes zu seiner Mutter einher. Ausgehend von den Gänseküken bei Konrad Lorenz wird formuliert, dass Kinder qua Geburt an ihre Mutter gebunden sind und gar nicht anders können, als diese zu lieben. In der Psychoanalyse wird diese Mutter- und Vaterliebe weiter ausformuliert und in ein Konkurrenz- und späteres Abnabelungsverhältnis umgedeutet (vgl. als Analyse z.B. King 2006, als Beispiel Brisch et al. 2002). Auffällig an diesen Figuren ist, dass das Kind in jedem Fall natürlich liebt und dass diese Liebe an nichts weiter gebunden ist als an die Anwesenheit der Bindungsperson. Die Liebe geht, so die Forschung zu Gewalt in Familien, sogar in schädliche Ausmaße hinein, wenn Kinder auch misshandelnde Eltern ungebrochen weiter lieben (vgl. Brisch et al. 2002). Hass auf die Eltern, wie beispielsweise die Konflikte in der Pubertät, wird in diesem Kontext ausgedeutet und als notwendige Reifungsbedingung beschrieben. An der grundsätzlichen Idee der kindlichen Liebe rütteln diese Phänomene nicht (King 2006). Die Trennungs- und Scheidungsforschung leitet aus dieser Liebe das unbedingte Erfordernis des Kindes ab, zu beiden Elternteilen auch nach Trennung und Scheidung gleichermaßen Kontakt zu haben, nahezu unabhängig vom Verhalten der Eltern. Damit wird für das Kind Liebe zum Element seiner gesellschaftlichen Verortung. Wegen seiner bedingungslosen Liebe werden ihm bei-
1.7 Das Kind als Erbe
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spielsweise Umgangsrechte zugestanden. Gleichermaßen wird es jedoch entmachtet, indem es keine Handlungsmöglichkeiten hat, wenn diese Liebe endet. Das Kind kann die Beziehung zu den Eltern nicht auflösen, dies ist nur den Eltern möglich. Diese Figur der mütterlichen und kindlichen Liebe wurde von Schütze (1991) untersucht und von Bühler-Niederberger (2005b) aufgegriffen. Im Rahmen von Bühler-Niederbergers Untersuchung der Entstehung des „Sozialisationsbegriffs“ hat sie die mütterliche Liebe (sowie deren Glorifizierung) in den Zusammenhang mit der Disziplinierung von Kindern gestellt. Die familiäre Liebe beinhaltet eine bestimmte Funktion in der normativen Ordnung der Familie und hat damit nicht nur individuellen Charakter, sondern kann auch als gesellschaftliche Konstruktion und damit als Analysekategorie gelten. 1.7
Das Kind als Erbe
Wenn wir uns mit der Abstammungsfeststellung mittels DNA-Analyse befassen, wird schon in dem Synonym „Erbgut“ für DNA deutlich, dass das Erbe mit der Abstammung einhergeht. Bereits im 19. Jahrhundert findet Drinck (2005) die Idee, dass die Macht des Hausvaters durch seine Verwandtschaft mit dem Kind legitimiert wird. „Deshalb wird in den Texten immer wieder betont, dass der Vater der Erzeuger des Kindes ist – so etwa bei Münch (1845) – und es wird gleichzeitig argumentiert, dass der leibliche Vater der eigentliche Gründer und Erhalter der Familie sein muss.“ (Drinck 2005: 49)
Diese Autorität ist mit der Idee verknüpft, dass der Vater die väterliche Tradition an die Söhne weitergibt. Zwar verschwindet der Vater als Erzieher in den Handbüchern ab dem Bürgertum und wird durch die Mutter und die Schule ersetzt (Drinck 2005: 73 ff.; Bühler-Niederberger 2005b), aber die Weitergabe des Erreichten durch den Vater an den Sohn bleibt erhalten. Dies geschieht nicht nur durch die finanzielle Sicherung des Vaters, sondern auch durch die Vererbung der Güter des Vaters an den Sohn. Dieser muss sich entsprechend verhalten, sich dem Erbe würdig erweisen, aber er muss auch, und das ist das Wesentliche, die väterliche Linie weiterführen – sprich vom Vater abstammen. Das Kind, der Sohn, ist Erbe des Vaters und muss durch entsprechende Legitimität den Aufwand rechtfertigen. Mit der Etablierung genetischer Untersuchungen wird diese Idee auf einer technologischen Ebene fortgeführt: Das Kind ist die Fortsetzung des Selbst, mit
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
Drinck (2005) „der Vater des Vaters“. In dieser Identifizierung des Vaters mit dem Kind ist die „Wahrheit“ dieser Verbindung von besonderer Bedeutung. Bourdieu (2010 [1997]) hat in seinen Überlegungen auf die Ambivalenz der Erbenbeziehung zwischen Vater und Sohn hingewiesen. Das Projekt des Vaters ist es, das Erbe an den Sohn weiterzugeben. Der Sohn soll dem Vater nach Möglichkeit gleichen oder ihn übertreffen. Ein gelungenes Erbe im Sinne eines Übertreffens des Vaters entspricht damit aber einem Vatermord. Somit wohnt dem Topos des Erbens eine Ambivalenz inne. Diese Ambivalenz kann auch bedeuten, dass das Erben eine hohe Bedeutung für den Vater hat – und entsprechend die Ähnlichkeit oder das Nacheifern des Sohnes. Wenn diese ohnehin brüchigen Analysen heute nicht mehr im gleichen Sinne fortgelten können, so ist doch das Motiv der Fortsetzung des Selbst im Erben von hoher Bedeutung für die Abstammungsklärung. Gendiagnostik wird nicht nur unter dem Aspekt der genetischen Abstammungsfeststellung verhandelt. Wesentlich an der politischen, wissenschaftstheoretischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Feld ist die unter anderem ‚voraussehende‘ Diagnostizierbarkeit im Falle genetisch bedingter Krankheiten oder eben die geradezu ‚wahrsagende‘ Funktion im Falle der Abstammung oder der kriminalistischen Aufklärung. Dies führt zu einer Verhandlung von Determiniertheit, die sowohl im öffentlichen Raum und in der öffentlichen Debatte als auch politisch und wirtschaftlich Auswirkungen hat und Diskriminierungsrisiken mit sich bringt. Lemke (2006) hat den Diskurs genetischer Verantwortung im Fall von Erbkrankheiten als Instrument der Gouvernementalität nach Foucault untersucht. Foucault hat den Begriff der Gouvernementalität relativ spät in sein Werk eingeführt und beschreibt damit die Subjektivierung von Herrschaft. Es sei ein Übergang vom Gehorchen aus äußerem Druck zu einem Gehorchen, um den Zustand des Gehorchens zu erlangen. Der Begriff leitet sich aus dem Begriff ‚gouvernemental‘ (die Regierung betreffend) her und beinhaltet auch den subjektiven Aspekt der Selbstregierung im Sinne des Regierenden8 (vgl. Lemke 2008). Hinsichtlich der Gendiagnostik ist dies im mehrfachen Sinne von Bedeutung. Genetische Informationen beziehen sich auf höchst individuelle Merkmale (der ‚genetische Fingerabdruck‘ verdeutlicht diese Einzigartigkeitsidee). Andererseits sind durch die „Vererbbarkeit“ von Merkmalen und die Ebene von Versicherungsrisiken, Einstellungsvoraussetzungen oder Fortpflanzungsrisiken gesellschaftliche und politische Elemente miteinander verwoben. Indem diese quasi öffentlichen Interessen auf die individuellen Merkmale zugreifen, entsteht eine 8
Dabei hat Foucault den Begriff unterschiedlich verwendet, teilweise wird er auch als „Regierungskunst“ verstanden. Es gibt nur eine Definition der Gouvernementalität in einer Vorlesung von Foucault. Wesentlich ist jedoch die Verknüpfung von Herrschaft und Subjektivität/Selbsttechnologien.
1.7 Das Kind als Erbe
35
Idee politischer Steuerbarkeit dieser Risiken. Öffentliche Kampagnen machen darauf aufmerksam, dass genetische Ursachen für bestimmte Krankheiten gefunden wurden, und beziehen nicht selten die eigene Verantwortung mit ein, das Risiko für diese Krankheit abklären zu lassen (dies häufig, ohne tatsächlich eine Behandlung für die Krankheit, geschweige denn die genetische Ursache zu kennen). Lemke (2006) nennt dies den Diskurs der genetischen Verantwortung. Die genetische Verantwortung bringt zum einen die Frage der individuellen Steuerbarkeit genetischer Risiken mit sich, aber auch die Frage der Vererbung eigener genetischer Risiken auf eigene Kinder. Bezogen auf die genetische Feststellung der Abstammung kann die Individualisierung von Risiken unter dem Aspekt der Gouvernementalität festgestellt werden. Die Bedeutung der Abstammung gilt sowohl für unterhaltsrechtliche Konsequenzen als auch für die Staatsbürgerrechte. Diese Konsequenzen können nicht unterschätzt werden, da beide wesentliche Bestandteile des Abstammungsrechtes sind. Hinzu kommt, dass über den Begriff der Identität durch Abstammung diese Projekte zum Element des subjektiven Interesses umgedeutet werden. Die diskursive Verknüpfung der Identität mit genetischer Abstammung kann so als weiteres Element der „genetischen Gouvernementalität“ gelten. Die genetische Abstammungsfeststellung als Identitätsmerkmal wirkt jedoch in zwei Richtungen. Die genetische Information wird aus dem Individuum herausgelöst und beispielsweise durch Gametenkonservierung9 oder die Reproduktion genetischer Informationen10 ‚unsterblich‘ (vgl. Lemke 2008: 116). Die Idee des eigenen Kindes als Fortsetzung ‚meiner selbst‘ erhält damit für den Elternteil eine neue Dimension. Denn das Kind ist nicht mehr nur ‚Abkömmling‘ oder zu versorgendes Individuum, es ist ein Träger von Informationen über die eigene Person. Damit nehmen die Bedeutung dieser Information und damit das sichere Wissen, ob es sich um die eigenen Informationen handelt im Sinne einer Abgrenzung von anderen, zu. Der Gentest schafft dadurch die Frage, auf die er eine Antwort zu geben verspricht. Gleichsam entstehen so Entgrenzung und Abgrenzung in einem Schritt. Das ‚Ich‘ wird durch die Fortsetzung im eigenen Kind entgrenzt, und im ‚sicheren‘ Wissen über das Kind als Träger der eigenen genetischen Informationen und nicht die eines anderen findet die Abgrenzung statt.
9
Einfrieren von Ei- und Samenzellen. Bekannt als „Klonen“.
10
36 1.8
1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
Vaterschaft – von der gesellschaftlichen zur identitären Kategorie
Soziologische Theorien zur Vaterschaft lassen sich entweder in den Bereich der Familiensoziologie einordnen oder verfolgen im Sinne der Vaterschaft als vergeschlechtlichter Form der Elternschaft geschlechtersoziologische Ansätze. Talcott Parsons (1968) kann als früher Vertreter der familiensoziologischen Konzeption des Vaters gelten und hat in strukturfunktionalistischer Tradition den Vater der „Außenwelt“ zugeordnet, in seinem Engagement für die Familie als Gegenpol zur Mutter, die sich in der Familie engagiert. Parsons lässt jedoch die Kategorie ‚Macht‘ weitgehend unbeachtet und ist daher für die Diskursanalyse nicht weiterführend. Weitere Theorien zur Vaterschaft sind selten. Drinck (2005) hat „Vatertheorien“ und ihre diskursive Entwicklung sowohl historisch als auch theorievergleichend untersucht. Sie identifiziert den Vater in den psychoanalytischen Theorien, in den Erziehungswissenschaften und in der kritischen Theorie, wobei dem Vater jeweils unterschiedliche Funktionen zukommen. Im Ergebnis zeichnet sie eine Installation, ein Verschwinden und ein Bekämpfen des Vaters nach, um im Abschluss auf die Geschlechter- und Männlichkeitsforschung zu kommen, die eine Analyse des nachmodernen Vaters versucht. Ausgangspunkt der Väterforschung war vor allem eine psychologische Perspektive, die die „Vaterabwesenheit“ und ihre Auswirkungen zum Gegenstand hatte. Der Ansatz der psychologischen Väterforschung hinterfragt die Vaterrolle nicht hinsichtlich ihres Geschlechts (ebenso wenig wie die Mutter hinterfragt wird) und fokussiert sich auf die Andersartigkeit der Bindung von Vater und Kind gegenüber der von Mutter und Kind. In Ergänzung zur (zunächst zur wichtigsten Bindungsperson erklärten) Mutter werden dem Vater Eigenschaften attestiert, die stereotyp männlichen Konzepten zuordnenbar sind. Dabei wird insbesondere in der Bindungsforschung und der Entwicklungspsychologie die Rolle des Vaters als besonderem Entwickler der Spielfeinfühligkeit, der motorischen Fähigkeiten und der sexuellen Identitätsfindung für das Kind betont. Die Bedeutung des Vaters ergibt sich damit aus der Notwendigkeit der komplementären Ergänzung des mütterlichen Erziehungsstils (vgl. Franz 2008, Seiffge-Krenke 2009). Entsprechend wird die Abwesenheit des Vaters als Mangel interpretiert. Sozialpsychologische Ansätze z.B. zur ‚vaterlosen Gesellschaft‘ (Mitscherlich 2003) haben eine ähnliche Richtung vertreten. Sie bleiben jedoch in der Konsequenz bei der individuellen Befindlichkeitsperspektive stehen und werden schnell in Richtung eines apodiktisch formulierten Erfordernisses der Vateranwesenheit interpretiert (vgl. kritisch dazu Collier/Sheldon 2008, Drinck 2005). Die Diskussion um die Ab- oder Anwesenheit des Vaters liefert jedoch für die
1.9 Vaterschaft als Institution – Vater und Vater Staat
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soziologische Betrachtung kaum weiterführendes Material, höchstens hinsichtlich der politischen Selbstverortung einzelner Vätergruppen. Nicht zuletzt im Hinblick auf die geschlechtsspezifischen Befunde der großen Bildungsstudien existiert eine breite Debatte um die vermeintliche Notwendigkeit männlicher Vorbilder für die Bildung von Jungen (kritisch dazu Bundesjugendkuratorium 2009). Im Rahmen der Forschung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie lassen sich ebenfalls Studien zur Vaterschaft finden, auch die jüngere Forschung zur Entscheidung für Familie zeigt Männer im Rollenkonflikt beim Übergang zur Elternschaft („null Bock auf Familie“, Zerle/Krok 2008). Diese Rollenkonflikte oder objektiven Schwierigkeiten beim Übergang zur Elternschaft nähern sich bereits einer theoretischen Fassung von Vaterschaft in der Nachmoderne an und ermöglichen ein Einordnen der Befunde. Im Hinblick auf die Frage, wie Abstammung Vaterschaft konstruiert und wie diese institutionell verortet wird, sind die folgenden Perspektiven aufschlussreich. Eine institutionelle Einordnung des Vaters ermöglicht die Analyse ordnungspolitischer Interessen an der Konstruktion des Vater-Kind-Verhältnisses. Die Untersuchung bzw. die Theorien zu einem Wandel der Vaterschaft infolge des gesellschaftlichen Wandels beleuchtet, warum eine Veränderung der rechtlichen Vaterschaft nötig sein könnte. Die Verortung des Vaters im Konzept von Männlichkeit gibt Aufschluss über Friktionen zwischen dem Wandel des Geschlechterverhältnisses und einem Wandel der Vaterschaft. 1.9
Vaterschaft als Institution – Vater und Vater Staat „Der institutionelle Vater kann ein Mann sein, der das Kind nicht gezeugt hat, keine besonderen Gefühle für es hegt und nie mit ihm zusammen gelebt hat. Er kann sogar ein Mann sein, der sich nicht materiell um das Kind kümmert und keine Entscheidungen für das Kind trifft, obwohl dies normalerweise die Kernaufgaben des institutionellen Vaters sind – denn die Vaterschaft im institutionellen Sinne ist ein normatives Konstrukt, kein Begriff zur Beschreibung von Handlungen.“ (Willekens 2006: 19)
Im institutionellen Sinne wird in Deutschland Vaterschaft über die rechtliche Konstruktion der Ehe, bzw. der Vaterschaftserklärung oder der Vaterschaftsfeststellung, hergestellt. Die biologische Eltern-Kind-Beziehung wird in diesem Fall angenommen und auch als Normalfall betrachtet. Dies ist, wie von Willekens (2006: 23 f.) beschrieben, nicht überall und immer so. Er führt Beispiele aus afrikanischen Gesellschaften an, in denen es unter anderem die durch die Zahlung des „Brautpreises“ eingegangene Ehe zwischen zwei Frauen (die zahlende
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Frau wurde so zum „Ehemann“) gab, deren Kinder von einem anderen gezeugt wurden. Die Kinder wurden dennoch als von der Familie der Frau, die „Ehemann“ war, abstammend gewertet. Ähnliches wird von den Nuer im Südsudan berichtet, bei denen auch nach dem Tod des Ehemannes gezeugte Kinder als von der Familie des Ehemannes abstammend zugerechnet werden. Sinn dieser Konstruktionen ist in jedem Fall die Erzeugung patrilinearer Abstammungen, die jedoch nicht zwingend biologisch begründet sein müssen. Warum ist also die hier untersuchte Berechtigung zur Vaterschaftsfeststellung genau jetzt entstanden? Wie erklärt sich die Vereindeutigung der Vater-Kind-Beziehung im Sinne einer ‚Genetisierung‘? Vor dem Hintergrund des oben beschriebenen möglichen Wandels der Vaterschaft und seinem Spannungsverhältnis zu tradierten Formen der Männlichkeit lässt sich hinsichtlich der rechtlichen Fassung von Vaterschaft die Motivation zur Abstammungsklärung unterschiedlich erklären: Der sicherste Weg, eine dauerhafte Rechtsbeziehung zum Kind zu etablieren, ist der Nachweis der biologischen Vaterschaft. Zudem entsteht dadurch eine nicht mehr durch die soziale Beziehung zur Mutter vermittelte, sondern eine direkte Beziehung von Vater und Kind. Angesichts steigender Trennungs- und Scheidungszahlen bei gleichzeitigem Verbleib der Kinder bei den Müttern (und Zahlungsverpflichtungen für die Väter) hat sich ein dominanter Diskurs „Väter als Opfer des Familienrechts“ entwickelt, der auch zu vehementer politischer Aktivität von Väterrechtsaktivisten und damit einhergehend zu zahlreichen Klagen geführt hat (vgl. Collier/Sheldon 2008). Dabei stehen sowohl die Argumente der Gleichberechtigung im Mittelpunkt als auch eine starke Fokussierung auf das Kind, wie Schwab feststellt. „Die vaterrechtlichen Positionen konnten über das ‚gleiche Elternrecht‘ aus dem Gedanken der Gleichberechtigung begründet werden, doch scheint diese Argumentation wegen ihres egoistischen Einschlags als unzureichend empfunden zu werden. Von daher erklärt sich unter anderem eine Paradigmenhäufung, die das Elternrecht des Vaters mit den Rechten und Interessen des Kindes verknüpft (Recht des Kindes auf seinen Vater).“ (Schwab 1997: 824)
Damit gewinnt die biologische Vaterschaft nicht nur im Hinblick auf die Vaterschaftsanfechtung als Beweis des Nichtbestehens der Vaterschaft, und damit zur Abwendung finanzieller Verpflichtungen, an Bedeutung, sondern auch zur Herstellung von Rechten. Willekens (2006) geht von einer Entwicklung der Biologisierung der ehelichen Vaterschaft in westlichen Gesellschaften aus. Dies lässt sich durch die Erleichterung der Vaterschaftsanfechtung, auch durch nicht rechtliche Väter, belegen – und nicht zuletzt durch das hier untersuchte Gesetz zur Vaterschaftsfestellung unabhängig vom Anfechtungsverfahren.
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Diese Entwicklung kann auf unterschiedlichen Wegen erklärt werden. Willekens wählt den „rational choice“- orientierten Ansatz.11 Kinder seien „[…] die Fortsetzung unseres Selbst (oder, so man will, unserer Gene) und das ist offensichtlich ein ausreichender Grund, um sie zu bekommen und erhebliche Kosten für sie einzugehen.“ (Willekens 2006: 30)
Da ein Nutzen von Kindern wie beispielsweise ihrer Arbeitskraft, ihres Tauschwerts oder die Möglichkeit, über Kinder Macht in der Familie auszuüben, verboten sind oder keine soziale Bedeutung mehr haben – und sie damit kaum noch als soziale oder wirtschaftliche Ressource auf individueller Ebene gelten können –, bleibt die genetische Abstammung das letzte Motiv, um die Investitionen in Kinder mit Sinn zu versehen. Die Herkunft gewinnt also an Bedeutung, wenn ihre Bedeutung als Individuum und als Abkömmling wichtig wird. Eine Biologisierung von Vaterschaft ließe sich nach Willekens also dadurch erklären, dass Väter zum einen die Macht über die Familie verloren haben (Schwächung der Entscheidungsrechte, kaum Einflussmöglichkeiten im Falle nichtehelicher Vaterschaft). Andererseits haben Kinder als soziale oder wirtschaftliche Ressource an Bedeutung verloren und die Kosten für Kinder werden zunehmend auf individuelle Familien umgelegt. Diese ‚Erhöhung der Investition‘ bei abnehmendem direkten Nutzen führt zu einem zunehmenden symbolischen Wert der Familiengründung. Daraus ergibt sich: „Wenn die Kosten also schon Einzelnen auferlegt werden müssen, dann kommen nur die biologischen Eltern in Frage. Das bedeutet: Der Mann soll für die Kinder aufkommen, die er gezeugt hat – aber eben nur für diese.“ (Willekens 2006: 33)
Dieser zunächst eher deskriptiven und kosten-/nutzenorientierten Überlegung können kritischere Aspekte hinzugefügt werden. Scheiwe (2006: 38) betont, dass die Ressourcen- und Aufgabenverteilung für Kinder zwischen den Geschlechtern nach wie vor ungleich verteilt sind und die Biologisierung der Vaterschaft zu zahlreichen Konflikten führt, die weiterhin ungelöst sind. „Mit der Individualisierung und der Biologisierung des Anfechtungsrechts entstehen neue Interessenkonflikte zwischen den Beteiligten und Abwägungsprobleme zwischen den Grundrechten der Mutter, des Vaters und des Kindes.“ (Scheiwe 2006: 52) „Die Tendenz zur Biologisierung der Vaterschaft im Recht zeigt sich […] auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Kenntnis der Abstammung.“ (Scheiwe 2006: 53)
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Damit ist die Ausrichtung des individuellen Handelns an der Nutzenmaximierung gemeint.
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Aus behördlicher und politischer Sicht finden sich ebenfalls verschiedene Intentionen, die biologische Vaterschaft zunehmend zum Anknüpfungspunkt für die rechtliche Vaterschaft zu machen. Im Zusammenhang mit der behördlichen Vaterschaftsfeststellung lässt sich die Zielsetzung der Reduktion finanzieller Ausgaben für Kinder ohne Unterhaltsverpflichtete feststellen. Dies kann unter anderem daran abgelesen werden, dass Mütter im Unterhaltsvorschussgesetz verpflichtet sind, bei der Feststellung des Vaters mitzuwirken. Im Kontext einer zunehmenden Gleichverteilung väterlicher und mütterlicher Rechte und einer zunehmenden Beteiligung von Vätern am „Muttern“ interpretieren Collier und Sheldon (2008) die „geneticisation“12 der Vaterschaft. Sie diene zum einen dazu, eine nicht über die Mutter vermittelte vertikale rechtliche Beziehung zum Kind herzustellen (Collier/Sheldon 2008: 225). Zudem sei ihre Funktion, den biologischen Beitrag von Vätern zur Reproduktion zu betonen, um darüber die biologische Rolle der Mutter auszugleichen: „This ‚geneticisation‘ of fatherhood is, we suggest, integrally linked to the rise of the discourse of equality discussed above. A reliance on genetics serves to emphasise men’s and women’s contributions (and thus responisibilities) to a child as equal, giving further weight to a presumption that law adopts a policy of formal equality in dealing with men’s and women’s claims.” (Collier/Sheldon 2008: 226)
Die Möglichkeit einer rechtlichen, reproduktiven und sozialen Fragmentierung von Vaterschaft führt zu unterschiedlichen Reaktionen. Der Gesetzgeber versucht, dieser Fragmentierung durch Regelungen gerecht zu werden. Aber auch die Väterrechtsbewegung sieht sich mit der Frage konfrontiert, für welche Väter sie sich einsetzt, wenn deren Interessen – z.B. im Falle von biologischer und sozialer Vaterschaft – entgegengesetzt sein können. Gesetzlich ist vorgegeben, dass Mutterschaft in der Regel nicht fragmentiert sein kann, da die Mutter stets die Frau ist, die ein Kind geboren hat. Im Zusammenhang mit einer Zunahme von Geburten bei nicht miteinander verheirateten Eltern und einer wenigstens ideologisch zunehmenden Bereitschaft von Vätern, sich an Sorge und Erziehung für Kinder zu beteiligen, bei gleichzeitig wachsender wirtschaftlicher und sozialer Autonomie von Müttern, wird der bis zu diesem Zeitpunkt funktionierende Weg der Vaterschaft über Ehe brüchig. Die Ehe ist eine über die Beziehung zur Mutter vermittelte Vaterschaft und keine direkte Rechtsbeziehung zum Kind. Auch die gemeinsame Sorge für nicht verheiratete Eltern ist für den Vater keine direkte Rechtsbeziehung, sondern bedarf der Zustimmung durch die Mutter. 12 Collier und Sheldon schreiben von der „geneticisation“, also der zunehmenden Orientierung von Vaterschaft an der genetischen Abstammung, als neuerem Phänomen der rechtlichen Regulierung von Vaterschaft, das aber an Gewicht gewinnt. Gleichzeitig beschreiben sie jedoch, wie der Titel „Fragmenting Fatherhood“ die zunehmende Vielfalt von Vater-Kind-Beziehungen nahelegt.
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Doch wo kann, neben einer Brüchigkeit der Ehebeziehung, das Bedürfnis einer eigenständigen Rechtsbeziehung zum Kind noch seine Ursache haben? In den Wohlfahrtsstaatentypologien (Esping-Andersen 1990) taucht der Vater als Ernährer auf – bzw. in Form der Frage, wer die Familie ernährt. Das System des Male-Breadwinner-Modells beinhaltet, dass der Vater die Familien ernährt und ein entsprechendes Einkommen erwirtschaften muss, während die Mutter die Aufgaben im Zusammenhang mit der Kindererziehung übernimmt. Ostner (2009) formuliert dies weiter aus, indem sie die Staaten nach der Verantwortung für die Kinder typologisiert. Relevant für die vorliegende Frage ist, dass der Vater als finanzielle Ressource der Existenzsicherung der Familie formulierbar wird und damit ein wesentlicher Bestandteil seiner Funktion in der familialen Ordnung beschrieben ist. Dies gilt zumindest für konservative Sozialstaaten und damit für die Bundesrepublik. Fällt der Vater aus, springt der Staat als subsidiäre Existenzsicherung der Familie ein. Das grundsätzliche Prinzip konzipiert jedoch den Vater als Ernährer. Über die Notwendigkeit eines ‚Ernährers‘ ergibt sich in einem zweiten Schritt die Notwendigkeit der rechtlichen Formulierung von Vaterschaft. Es ist zunächst irrelevant, ob die unterhaltsrechtliche Stellung von ‚nichtehelichen‘ Kindern Folge oder Ursache ihrer Verwandtschaft ist. Tatsache ist, dass die rechtliche Verwandtschaft mit dem Vater, auch wenn dieser nicht mit der Mutter verheiratet ist, mit den gleichen Ansprüchen auf Unterhalt und Erbe einhergeht wie bei Kindern miteinander verheirateter Eltern. Die ordnungspolitische Dimensionierung des Vaters beinhaltet damit sowohl eine verwandtschaftliche Zugehörigkeit wie auch finanzielle Verpflichtungen und zieht vielleicht nicht zuletzt damit die zunehmende Bestrebung einer Neudefinition von Vaterschaft nach sich. Neben der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder beinhalten die Reformen des Ehe- und Kindschaftsrechts eine rechtliche Entmachtung des Vaters gegenüber dem Kind und der Ehefrau. Hatte der Vater im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 noch die elterliche Gewalt über das Kind und damit die innerfamiliäre Entscheidungshoheit, veränderte sich diese Regelung über die Eherechtsreform und die Kindschaftsrechtsreform. Heute gilt das gemeinsame Sorgerecht nach Trennung und Scheidung als Regelfall und seit 2002 haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, was auch eine Veränderung des elterlichen Erziehungsstiles erfordert. „Dies erscheint als Verlust an Status und Rechten für den Mann in der Familie. Allerdings war dessen rechtliche Privilegierung und seine herausgehobene Position an eine bestimmte Konstitution von Familie gebunden: die Familie war wichtig als funktionsfähige Einheit, die gegen Ansprüche von außen und innen zu schützen war; individuelle Rechte und Interessen der Mitglieder waren untergeordnet.“ (Helfferich 2009: 192)
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Die Vorstellung des Familienoberhauptes ist weitgehend abgelöst und die Vaterschaft befindet sich in einem tief greifenden Wandel.13 Sowohl im populär- als auch im sozialwissenschaftlichen Diskurs finden sich seit mehr als 20 Jahren die „neuen Väter“, deren Funktion nun kaum mehr die Ausübung von Gewalt ist, sondern eine gleichberechtigte Beteiligung an Erziehung und Pflege, bei faktisch gleichzeitig weiter bestehendem Topos des „Ernährers“ (vgl. z.B. Baader 2006). Die Erwerbsbiografien ändern sich jedoch insofern, als dass eine dauerhafte und ungebrochene Definition als „Ernährer“ mit Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. als Überblick Meuser 2009: 152). 1.10 Vom Familienoberhaupt zum neuen Vater Der Wandel der Geschlechterverhältnisse und die veränderten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt bringen neue Anforderungen gegenüber dem Vater mit sich, so die einhellige Meinung der aktuellen soziologischen Forschung. Dies ist mit der gestiegenen Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erklären, die damit einerseits zunehmend zum Familieneinkommen beitragen, auf der anderen Seite zeitliche Entlastung bei der Reproduktionsarbeit einfordern. Der Vater ist als öffentliches Desiderat zunehmend als liebende, zugewandte und fürsorgliche Figur formuliert (vgl. Meuser 2009, Wolde 2006, Baader 2006, Helfferich 2009, Zulehner/Volz 2009). Vor allem diese Diskursivierung von Vaterschaft deutet auf ihren Wandel hin, so Meuser (2006 und 2009) und Collier/Sheldon (2008). Nicht zuletzt ist der unterstellte Wandel der Vaterschaft auch Ergebnis der „Kindzentrierung“ der Familie, in der eine eigene Rolle der Eltern für die Entwicklung des Kindes von zunehmender Bedeutung ist (vgl. Cyprian 2007). Die „neue Väterlichkeit“ wird von Meuser (2009) in einem konfliktiven Spannungsverhältnis zu den Anforderungen an Männlichkeit beschrieben, da bisher fürsorgliche Aufgaben weiblichen Eigenschaften zugeordnet waren. Entsprechend beschränken sich die Diskurse um die „neuen Väter“ auf eine selbstverständlich weiter bestehende Vorrangigkeit der Ernährerrolle. Die durch die Anforderung an den „neuen Vater“ entstehende Doppelbelastung aus beruflichen und familiären Aufgaben wird durch die Maxime „Qualität statt Quantität“ aufgelöst. Der Vater ist als Spielkamerad des Kindes konzipiert, nicht in einer entlastenden Funktion gegenüber der Mutter (vgl. Meuser 2009: 149). Im Gegenteil, wesentlicher Bestandteil des ‚neuen Vaters‘ ist die „Emanzipation von der Mutter“, indem beispielsweise explizite „Vater-Sohn-Zeiten“ 13 Wobei die Auffassungen über die Geschwindigkeit des Wandels bzw. die Persistenz tradierter Vorstellungen je nach Standpunkt differieren.
1.11 Väter in Trennung und Scheidung: Diskontinuität und Kontinuität im Spannungsverhältnis
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etabliert werden (vgl. Meuser 2009). Die Beziehung zum Kind wird, so Baader (2006), als Dominanzverhältnis dargestellt, in dem der Vater groß, stark und anleitend wirkt, was sich nicht wesentlich von der Figur des bürgerlichen Vaters unterscheidet (vgl. Drinck 2005). Insgesamt herrscht Uneinigkeit über die empirische Relevanz des „neuen Vaters“.14 Zwar wird der Wandel der Vaterschaft konstatiert, doch scheint er sich vor allem aus dem Wandel des Geschlechterverhältnisses abzuleiten. „Obwohl seit dem Ende der 90er Jahre in der Familienforschung zunehmend neue oder erweiterte Vaterschaftskonzepte diskutiert werden, ist auffällig, dass sich diese neueren Konzepte in erster Linie als Ergänzung oder Reaktion auf das klassische Ernährermodell verstehen. Es fehlt jedoch bis heute eine genaue Definition, durch welche Dimensionen oder Eigenschaften ‚neue Väter‘ gekennzeichnet sind, bzw. wodurch sie sich von ‚herkömmlichen Vätern‘ abgrenzen lassen.“ (Mühling/Rost 2007: 14)
Besonders auffällig ist nach Drincks (2005) Diskursanalyse historischer und aktueller Ratgeberliteratur die Hinwendung der Väter zum Kind. „Neue Vaterschaft“ bedeutet damit nicht zwangsläufig eine Orientierung an Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Dies identifiziert Drinck vor allem bei den maskulinistisch orientierten Vätern, die durch eine archaische Bindung zum Kind ihre wahre Identität finden möchten. „Denn vor allem in seiner Aufgabe als Vater gelinge es dem Mann, seine wahre Identität zu finden. Der Vater wird damit zum Initianden des Kindes – das Kind wird zum Vater des Vaters – und damit nach bekannter psychoanalytischer Tradition zur Instanz, an der sich das Über-Ich des Vaters aufbaut.“ (Drinck 2005: 222)
Diese Hinwendung zum Kind findet sich jedoch in unterschiedlicher Ausprägung bei verschiedenen Vätergruppen – geht jedoch in den meisten Fällen mit der Dethematisierung und/oder Abwertung der Mutter einher (vgl. speziell für getrennte Väter Collier/Sheldon 2008: 154; Wolde 2006). 1.11 Väter in Trennung und Scheidung: Diskontinuität und Kontinuität im Spannungsverhältnis Zunehmende Trennungs- und Scheidungszahlen – die sich in anteilig höheren Zahlen weiblicher Alleinerziehender abzeichnen – ergeben eine hohe Zahl von Vätern, die nicht mit ihren Kindern zusammenleben. Daraus wird ein neuer 14
Die repräsentative Befragung von Wippermann et al. (2009) findet den ‚neuen Mann‘ sogar in Anteilen von über 20% in der Stichprobe, hier wurde allerdings nach Vaterschaft differenziert.
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Vatertyp entwickelt, der sich sowohl durch den getrennten Wohnsitz – und damit intervallartige Kontakte mit dem Kind – als auch durch die Identifikation mit väterlichen Eigenschaften auszeichnet (vgl. Collier/Sheldon 2008 und Wolde 2006). Der nicht mit seinem Kind zusammenlebende Vater bedarf, angesichts der Figur des ‚neuen Vaters‘, einer Re-Konzeptualisierung, da die Vaterschaft in die veränderte Lebensform integriert werden muss. Wolde (2006) hat die Gruppe der Väter nach Trennung und Scheidung untersucht, die aus ihrer Lebenssituation gezwungenermaßen eine nichtnormative Väterlichkeit entwickeln und diese mit Männlichkeitsanforderungen in Einklang bringen müssen. Sie hat sich hierbei auf die Väterinitiativen als Betroffenengruppe mit politischen Anliegen konzentriert. Diese Vätergruppen bestehen aus Männern nach Trennung und Scheidung, die in vielen Fällen von Umgangs- oder Sorgerechtsausschluss oder individuell als ungerecht empfundenen Unterhaltszahlungen betroffen sind und sich in dieser konfliktiven Situation für Väterrechte einsetzen. Diese Väter sind damit konfrontiert, dass Paarbeziehungen zunehmend diskontinuierlich verlaufen, während die Vater-Kind-Beziehung weiterhin auf Kontinuität angelegt ist. Wolde hat zwei Typen der Väterlichkeit identifiziert: „kämpfende Väter“ und „ambivalente Väter“. Beide Gruppen versuchen, die Widersprüche eines Wandels der Geschlechterverhältnisse aufzulösen. Während die kämpfenden Väter das neue Rollenverständnis ablehnen und die emanzipierte Mutter als Feindbild identifizieren, benennen die ambivalenten Väter Handlungsräume im neuen Rollenverständnis. Die Beziehung zum Kind wird von den kämpfenden Vätern als archaisch vorhanden vorausgesetzt und kaum als Handlung konzipiert. Ihre Anwesenheit bei der kindlichen Erziehung reicht als Rollenvorbild aus und wird qua Geschlecht begründet. Auch bei den ambivalenten Vätern wird zur Auflösung von Widersprüchen und Rollenunsicherheiten latent auf ein dichotomes Geschlechterverhältnis zurückgegriffen – mit tradierter Aufgabenverteilung. Auch die Vorbildfunktion des Vaters für die (vorwiegend männlichen) Kinder wird qua Geschlecht begründet. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist hierbei, dass die Väterlichkeit über starke Abgrenzung zur Mutter und die Betonung einer eigenständigen Beziehung des Vaters zum Kind definiert wird. Fichtner (2008) hat, indem er die Argumentationsweisen des „Parental Alienation Syndrome“ (PAS) untersucht und in Beziehung zu der Theorie der Binnenrelationen von Männlichkeit nach Connell gesetzt hat, die These aufgestellt, dass eine Syndromisierung von Fremdheit oder Ablehnung des Kindes bei Umgangskontakten politisch und individuell verwendet wird, um sich nicht mit den möglichen Herausforderungen der Beziehung zum Kind bei Umgangskontakten auseinandersetzen zu müssen. Indem Männer sich zu Opfern einer verein-
1.12 Väterlichkeit und hegemoniale Männlichkeit
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nahmenden Mutterliebe stilisieren, müssen sie sich nicht mit eigenen Defiziten der Beziehungsgestaltung beschäftigen. Gleichzeitig finden sich kaum Konzepte zur Gestaltung einer nachmodernen, sogenannten „aktiven Vaterschaft“, die zudem erst im Trennungsfall offenbar so vehement eingefordert wird. Von Fichtner als „eklatanter Mangel an Konzepten von väterlichem Handeln“ bezeichnet, ermöglicht es das PAS, die Ablehnung dem Kind bzw. der Beeinflussung des Kindes durch ein Fehlverhalten der Mutter zuzuschreiben. Eine enge Mutter-Kind-Beziehung, in bestehenden Paarfamilien positiv bewertet, wird nun pathologisiert. „Damit erfüllt PAS sowohl die Funktionen der Inklusion als auch der Distinktion für eine neu entstehende Form von Mannsein, eine aus Scheidungserfahrungen heraus motivierte Väterlichkeitsform, die sich einen Platz erkämpft innerhalb der hegemonialen Männlichkeit. Dass sie sich rhetorisch andockt an die Vorstellungen von ‚neuer Väterlichkeit‘, ohne sich lange mit deren strukturellen Voraussetzungen aufzuhalten, dürfte die Attraktivität dieser Väterlichkeitsform nur erhöhen.“ (Fichtner 2008: 246)
Die Rekonzeptualisierung des getrennten Vaters ist nicht zuletzt im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen zu verstehen. Collier und Sheldon (2008: 151 ff.) stellen die finanzielle Verantwortung des getrennten Vaters für das Kind in den Zusammenhang mit einer gestiegenen öffentlichen Besorgnis über Kinder geschiedener Eltern. Die Problemformulierung der Risiken, denen diese Kinder ausgesetzt seien, führt zu einer Formulierung der Notwendigkeit einer aktiven Vaterschaft, insbesondere bei getrennten Vätern. 1.12 Väterlichkeit und hegemoniale Männlichkeit In der Reformulierung der Vaterschaft wird ein Einbezug fürsorglicher Qualitäten gefordert. Wie oben angedeutet, entsteht dadurch ein Konflikt zwischen fürsorglichen Eigenschaften und Männlichkeitsidealen. Eine Theorie zu Männlichkeit als Beziehungsgeflecht und binnendifferenziertem Geschlechterkonstrukt bietet Connell (2006). Connell zielt mit seinem Konzept auf die Binnenbeziehungen des patriarchalen Geschlechterverhältnisses ab. Er geht davon aus, dass auch Männlichkeiten intern hierarchisch organisiert sind und verschiedene Typen von Männlichkeit von der patriarchalen Geschlechterordnung unterschiedlich profitieren. Männlichkeit ist demnach kein eindimensionales Gebilde, sondern es gibt mehrere Formen von Männlichkeit, die das Geschlecht intern organisieren über Macht- und Ausschlussbeziehungen. Männlichkeit sei kein ontologisches Gebilde, sondern bedeute auch Geschlechterpolitik.
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„Es reicht nicht, die Mannigfaltigkeit von Männlichkeitsformen zu erkennen. Es geht auch um die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Arten von Männlichkeiten: Bündnisse, Dominanz und Unterordnung. Diese Verhältnisse entstehen durch Praxen, die ein- oder ausschließen, einschüchtern, ausbeuten, und so weiter. Männlichkeit bedeutet auch Geschlechterpolitik.“ (Connell 2006: 56)
Die Männlichkeitsform, die die Legitimitätsprobleme des Patriarchats am besten lösen kann und die Unterordnung von Frauen sowie die Dominanz von Männern am besten gewährleistet, erlangt historisch jeweils Hegemonie und ist damit die „hegemoniale Männlichkeit“. Derzeit wird hegemoniale Männlichkeit beispielsweise wesentlich über finanzielle Leistungsfähigkeit und nicht in gleichem Ausmaß über körperliche Kraft formiert (ein hegemonialer Mann muss zwingend über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügen, die er über legale Tätigkeiten erlangt hat, und sollte körperlich gesund sein, jedoch muss ein starker und gesunder Mann nicht zwingend der hegemonialen Gruppe angehören). Davon abzugrenzen ist die komplizenhafte Männlichkeit, die sich vordergründig nicht dominant gegenüber Frauen und Mädchen verhält, jedoch stillschweigend die Vorteile des Patriarchats akzeptiert. Die untergeordnete Männlichkeit trifft all diejenigen Männer, die der hegemonialen Männlichkeit nicht genügen können und entsprechend als „unmännlich“ markiert und untergeordnet werden. Dazu zählt beispielsweise die Dominanz heterosexueller Männer über homosexuelle Männer (vgl. Connell 2006: 101). Der Beweis der eigenen Heterosexualität durch eine Ehe und ein eigenes Kind kann daher auch als Indiz der Abgrenzung von Homosexualität betrachtet werden. Marginalisierte Männlichkeit bedeutet, dass im Wandel der Produktionsverhältnisse viele Männer nicht mehr in gleicher Weise an wirtschaftlicher Macht teilhaben oder rassistische Aspekte eine Rolle spielen. Die Unterminierung männlicher Dominanz, beispielsweise im Bereich der Erwerbsteilhabe von Frauen, muss durch einen anderen Bereich ausgeglichen werden, z.B. über die Fortpflanzungskontrolle von Frauen. Entscheidend an den verschiedenen Formen von Männlichkeiten ist ihre Beziehung von Hegemonie, Dominanz, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. Da die Forderungen nach Einlösung der Gleichberechtigung zunehmend lauter werden, befindet sich das Patriarchat in seiner bisher größten Krise. Dies führt zu Verteidigungsverhalten in auffälliger „hysterische(r) Qualität“ (Connell 2006: 107). Die Legitimitätskrise wird ausgelöst durch einen zunehmenden Anteil von Frauen, die an der produktiven Sphäre teilhaben, die zunehmende Sichtbarkeit homosexueller Lebensweisen und die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes.
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„Die Männer in den führenden Industrienationen befinden sich geschichtlich betrachtet in einer paradoxen Situation. Wie keine Klasse der Menschheit zuvor haben sie Macht in Händen, die Zukunft zu gestalten, akkumulierte Ressourcen, naturwissenschaftliche und Sozialtechniken. Und gleichzeitig haben der Feminismus, die sexuelle Befreiungsbewegungen und utopisches Denken mehr Zukunftsentwürfe als jemals zuvor entstehen lassen.“ (Connell 2006: 223)
Connell bleibt jedoch nicht bei einer Diagnose der „Krise“ der „Männlichkeit“ stehen, sondern geht davon aus, dass Männer, unabhängig von ihrer Hierarchiestufe, von der Hegemonie über Frauen profitieren, allein dadurch, dass sie an den Ergebnissen des Patriarchats partizipieren. Dies nennt er die „patriarchale Dividende“ (Connell 2006: 101). Politisch erfolgt die Sicherung der hegemonialen Männlichkeit anhand dreier Strategien: erstens der Besetzung der Massenmedien, zweitens der Nutzung politischer oder rechtlicher Macht, indem der Staat involviert wird, und drittens der Bezugnahme auf traditionelle Arbeitsteilung. Im Anschluss daran lassen sich die Interpretationen der Spannungen von Väterlichkeit und Männlichkeit von Meuser (2009) verstehen. Meuser gibt einen Überblick über die aktuelle Väterforschung und zeigt auf, dass die Vaterschaft als vergeschlechtlichte Form der Elternschaft wesentlich stärker über die Beziehung des Vaters zum Kind als über die Entlastung der Mutter bei Reproduktionsaufgaben verhandelt wird. Indem Vaterschaft als vergeschlechtlichte Form eines Generationenverhältnisses gelten kann und sich damit im System hegemonialer Männlichkeit verortet, ist die Vaterschaft in einer doppelten Krise. Die patriarchale Form des Familienernährers kann weder voll eingelöst werden, noch bietet eine Adaptation fürsorglicher Eigenschaften eine neue Form der Patriarchatslegitimierung. Kurz: Ein Mann kann nicht gleichzeitig ein ‚neuer Vater‘ und ein hegemonialer Mann sein, er braucht eine Neuinterpretation von fürsorglicher Väterlichkeit, die sich in die hegemoniale Männlichkeit integrieren lässt. So schließt Meuser: „Vaterschaft [wird] zur ambivalenten Angelegenheit, die den Vätern eine Balance von widersprüchlichen Anforderungen abverlangt. Diese sind nicht nur im Spannungsfeld von Beruf und Familie gegeben, sondern auch zwischen verschiedenen Dimensionen der geschlechtlichen Identität. Das neue Verständnis von Vaterschaft muss in einen Identitätsentwurf integriert werden, der bei den meisten Männern in hohem Maße am Leitbild der hegemonialen Männlichkeit orientiert ist.“ (Meuser 2009: 153)
Konkret heißt eine Modernisierung von Vaterschaft im Spannungsverhältnis zu hegemonialer Männlichkeit auch, auf Privilegien zu verzichten und Ressourcen abzugeben. Welche Funktion hat Abstammung in diesem Identitätsentwurf, der sich in der Spannung von hegemonialer Männlichkeit, neuer Väterlichkeit und
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der Diskontinuität von Paarbeziehungen befindet? In welchem Verhältnis stehen diese Konzepte zu ordnungspolitischen Vorstellungen der Zugehörigkeit? Die neueren Theorien zur Vaterschaft benennen, so lässt sich zusammenfassen, vor allem ein Mäandern zwischen tradierten Verhaltensmustern und Retraditionalisierungen und einen Widerspruch zwischen dem Diskurs um eine erwünschte neue Vaterschaft oder Väterlichkeit und den Handlungsspielräumen innerhalb von Familie, Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Das Zusammenspiel von Männlichkeit und Fürsorglichkeit scheint nach wie vor nur mit zahlreichen Reibungsverlusten und Ambivalenzen zu funktionieren – bzw. nicht zu funktionieren. Die theoretischen Vorüberlegungen und die Befundlage deuten an, dass ein Wandel der Vaterschaft stattfindet und dass dieser in Richtung einer Modernisierung verläuft. Wie ist vor diesem Hintergrund ein Rekurs auf die biologische Abstammungsdimension der Vater-Kind-Beziehung zu erklären? In welchem Verhältnis steht die Konstruktion von Mutterschaft dazu? 1.13 Gute Mütter In der strukturfunktionalistischen Konzeption der Familie wird der Mutter das Engagement in der Familie zugewiesen (Parsons 1968). Das heißt, dass die Mutter für die Aufgaben in der Privatsphäre zuständig ist, dabei insbesondere für die Pflege und Erziehung der Kinder. Dies heißt auch, dass Mütter zunächst nur über den Vater vermittelt Zugang zur Öffentlichkeit und ökonomischen Ressourcen haben, was sie faktisch entmachtet. Die strukturfunktionalistische Perspektive blendet die Verteilung von Macht aus, was nicht nur von der Frauen- und Geschlechterforschung kritisiert wird (vgl. Grunow 2009). Mutterschaft und Mütterlichkeit sind eng mit Weiblichkeit verknüpft, daher ist die Position von Müttern im Machtverhältnis der Geschlechter mit der Benachteiligung von Frauen verbunden. Mit der Bildungsexpansion und der Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit ab den 1970er Jahren hat sich die Position von Müttern grundsätzlich verändert. Die Teilhabe an ökonomischen Ressourcen hat Frauen und Müttern Unabhängigkeit verschafft. Der deutsche Wohlfahrtsstaat nimmt hier eine Sonderstellung ein, weil er im Vergleich zu anderen europäischen Staaten sehr lange an einer rein privaten Verantwortung für Kinder festgehalten hat, die eine gleichberechtigte Erwerbsbeteiligung von Müttern verhindert. Die Familiensoziologie und die Frauen- und Geschlechterforschung haben die Verknüpfung von Mütterlichkeit und Weiblichkeit untersucht. In einer interaktionistischen Perspektive kann Mutterschaft daher als soziale Praxis verstanden werden, die durch normative Vorgaben eine enge Hinwendung zum Kind
1.14 Mütter sind Frauen – Mütterlichkeit ist weiblich
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beinhaltet. Unter einer geschlechterkritischen Perspektive kann diese Konstruktion aufgedeckt werden, mit strategisch ambivalenten Folgen. 1.14 Mütter sind Frauen – Mütterlichkeit ist weiblich Unabhängig davon, ob Geschlechtsunterschiede als biologisch vorgegeben oder vollständig sozial konstruiert konzipiert werden, hängt eine wesentliche Definition der Frau an ihrer Fähigkeit, Kinder zu bekommen, – und aus dieser Definition leiten sich Benachteiligungen von Frauen und Müttern ab. Die Zuschreibung und gleichzeitige Abwertung spezifisch als weiblich konnotierter Eigenschaften an Frauen geht mit der permanenten Reproduktion von Geschlechterdifferenzen und einer daraus resultierenden gesellschaftlichen Ungleichheit einher. Schwangerschaft und Geburt als Vorgänge, die nur Frauen betreffen, werden mit spezifischen Aufgaben der Fürsorge für Kinder und Haushalt in einen quasi-zwingenden Zusammenhang gebracht und vor allem als Resultat der bürgerlichen Idealisierung romantischer Liebe stark emotionalisiert. Diese Emotionalisierung und Naturalisierung der Mutterrolle geht mit einem weitgehenden Ausschluss von Frauen aus der öffentlichen Sphäre, von gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Macht einher (vgl. Nave-Herz 1997). Die zunehmende Beteiligung von Frauen und Müttern an der Erwerbstätigkeit, mit ihrem Zuwachs an ökonomischen Ressourcen und damit Unabhängigkeit sowie rechtliche Änderungen, die die Diskriminierung von Frauen und Müttern abbauen sollen, haben Mütterlichkeit und Mutterschaft verändert. Hochschild (2006) hat den neuen Typus der arbeitenden Mutter erforscht und beschrieben, wie sich Mutterschaft zu einer Managementaufgabe entwickelt, deren erfolgreiche Meisterung zum wesentlichen Ziel wird. Auch McRobbie (2009) hat den Typus der „Superwoman“ beschrieben, in dem die erfolgreiche Vereinbarung von Berufs- und Familienaufgaben (unter fast vollständiger Auslassung des Vaters) als wünschenswertes Lebensmodell gilt. „Instead of challenging the traditional expectation that women take primary responsibility in the home, there is a shift towards abandoning the critique of patriarchy and instead heroically attempting to ‘do it all’ while also looking to government for support in this Herculean endeavour. The transition to this feminine mode of activity comes into existence by means of a series of luminosities (the glamorous working mother, the so-called yummy mummy, the high-flyer who is also a mother etc) images and texts which are accompanied also by popular genres of fiction including best selling novels such as I Don’t Know How She Does It (Pearson 2003).” (McRobbie 2009: 80)
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
Dennoch bleibt seit dem Bürgertum die vorrangige Zuständigkeit der Mutter für das Kind als Modell bestehen, Mutterliebe gilt als unersetzlich und diese Befunde werden nicht nur durch die Bindungsforschung reifiziert, sondern auch durch eine Retraditionalisierung von Müttern wiederbelebt. Die psychologische Bindungsforschung beschreibt auch in jüngster Vergangenheit erneut die Bedeutung, die die enge Mutter-Kind-Bindung für die gedeihliche Entwicklung des Kindes hat. Dies führt zu einer steigenden Verantwortung von Müttern für Kinder, auch wenn diese sich als nominal gleichberechtigt verorten. Mütter sind für die Beziehungsarbeit in Familien zuständig, ihre Funktion ergibt sich durch das richtige Erziehen und fürsorgliche Lieben ihrer Kinder.15 Mutterschaft wird, wie Vaterschaft, auch durch Recht konstruiert, ist jedoch, so Lucke, durch eine überwiegend symbolische Gesetzgebung gekennzeichnet und transportiert so dominante Bilder über Mutterschaft. „Bei näherem Hinsehen offenbart sich eine Mischung aus Allegaten, Allegorien, Ammenmärchen und Alltagstheorien, welche die juristische Legendenbildung angeregt und die legislative Phantasie befördert haben. Das Ergebnis sind Aussagen und darauf aufgebaute Normierungen von zweifelhafter Zitierfähigkeit und fragwürdiger Berufungsdignität mit kaum verhohlenen biologistischen und religiösen Anleihen.“ (Lucke 1997: 139)
Die körperliche Fähigkeit von Frauen zu Schwangerschaft und Geburt bilden für die vorliegende Fragestellung den wesentlichen Anhaltspunkt. Die mit zahlreichen Ratgebern und Handlungsanweisungen verbundene Vorstellung von Schwangerschaft und Geburt als „Wunder“, angeknüpft an die Verantwortung für das „ungeborene Leben“, ist nicht nur in der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch, im Kinderschutzdiskurs und in der pränatalen Gendiagnostik virulent.16 Sie scheint anzuzeigen, dass Schwangerschaft und Geburt mehr Bedeutung beigemessen werden als dem zeitlich wesentlich kürzeren Vorgang der Zeugung. Die Mystifizierung des weiblichen schwangeren Körpers bindet Frauen damit stärker an Kinder, bzw. weist ihr die natürliche Mutterfunktion zu. Das heißt auf der anderen Seite, dass Vaterschaft demgegenüber anders konnotiert sein und ihre Bedeutung auf einem anderen Weg erhalten muss.17 Ein Weg kann die sichere Abstammungskenntnis sein und damit die sichere Kontrol15
Ehnis (2008) identifiziert gar ein Modell hegemonialer Mütterlichkeit, das die Binnendifferenzierung von Müttern und deren Glorifizierung gegenüber Vätern beschreibt. 16 Nicht zuletzt geht mit der zunehmenden Bedeutung von Kindern die erneute Debatte um die Spätabbrüche einher und die in Fachkreisen diskutierte Frage, ob und wie eine Kindeswohlgefährdung des ungeborenen Kindes geahndet werden kann (vgl. JAmt 2008: 248). 17 Über das Verhältnis von Müttern und Vätern finden sich zahlreiche psychoanalytisch inspirierte Theorien, die vom Penisneid bis zum Gebärneid reichen. Die Verfasserin möchte an dieser Stelle nicht darauf eingehen, da sie keinen strukturellen Zugang zum Verhältnis von Vaterschaft und Mutterschaft bezüglich der biologischen Konzeption bieten.
1.14 Mütter sind Frauen – Mütterlichkeit ist weiblich
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le über den weiblichen Körper (vgl. Yuval-Davis 1997, Kaufmann 2002). Der Frage nach dem Konzept von Vaterschaft in Bezugnahme auf die Konstruktion der Mutterschaft wird mit der vorliegenden Analyse nachgegangen. Mutterschaft und Vaterschaft sind im Geschlechterverhältnis verortet, die Fähigkeit, im biologischen Sinne Vater oder Mutter eines Kindes zu sein – bzw. die Unterstellung dieser Fähigkeit –, bestimmt das System der Zweigeschlechtlichkeit in wesentlichem Maße. Sie ist auch für die vorliegende Untersuchung von höchster Bedeutung. Um diese Konstruktion zu beleuchten, ist es notwendig, im Bezug auf das Geschlecht eine radikal konstruktivistische Perspektive zu wählen. Der diskurstheoretische, radikalkonstruktivistische Ansatz von Judith Butler fasst Gender als Kategorie auf, die bereits körperliche Definitionen und Erfahrungen vorformt, so dass jede Erfahrung in das dichotome Geschlechtsmuster passt und nicht-passende (beispielsweise intersexuelle oder transsexuelle Menschen) passend gemacht werden (durch Operationen). Sie stellt heraus, dass „das Geschlecht keine vordiskursive anatomische Gegebenheit sein“ kann (Butler 1991: 26).18, 19 „‚Intelligibile‘ Geschlechter sind solche, die in einem bestimmten Sinne Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren stiften und aufrecht erhalten.“ (Butler 1991: 38)
In dieser Abwendung von vermeintlich ontologischen Geschlechtsunterschieden stellt sich für die Frage der Fortpflanzung eine interessante theoretische Herausforderung, die jedoch erst durch den vollständig konstruktivistischen Zugang auch eine Analyse der Vorstellung von Abstammung und ihrer Folgen für das Geschlechterverhältnis erlaubt. Ausgehend von Foucaults Annahme, dass Sexualität in der Moderne der Ort der Wahrheit des Subjekts geworden ist, geht Butler über diesen hinaus und entwickelt die Idee, dass diese Wahrheit vor allem der Herstellung von Heterosexualität dient. Die Heterosexualität erzeugt in ihrer Ausformung als „normale“ Form der Sexualität, die der Fortpflanzung diene, die Abgrenzung von allen anderen Formen der Sexualität. Sie verursacht damit die binäre Geschlechterordnung. „Die diskursive Verzahnung von Zwangsheterosexualität, Reproduktion und Geschlechtsidentität bewirkt in der (auch nicht-diskursiven) Praxis eine Naturalisierung des binären Systems der Zweigeschlechtlichkeit.“ (Villa 2003: 68) 18 Ähnlich hat Hagemann-White (1984) mit der Aufstellung der „Null-Hypothese“ argumentiert, wurde jedoch erst durch die intensive Rezeption von Butler in Deutschland in den neunziger Jahren in ähnlichem Ausmaß wahrgenommen. 19 Zur Entwicklung des dichotomen Geschlechterbildes in der Medizin hat Barbara Duden aufschlussreiche Arbeiten veröffentlicht (1991).
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
Gender ist damit sowohl gelebte Geschlechtsidentität, die täglich rekonstruiert wird (in Form performativer Akte), als auch die Vorformung eigener Erfahrungen und des eigenen Begehrens (Butler 1991: 49). Geschlecht wird in dem Maße definiert, in dem nicht das gleiche Geschlecht begehrt wird. Dadurch wird die dichotome Geschlechterordnung aufrecht erhalten (Butler 1991: 39). Die vorliegende Debatte um die Frage der Abstammung reproduziert Heteronormativität, denn die Frage der Abstammung stellt sich nur in dem Zusammenhang, in dem Männer in der gegenwärtigen Geschlechterordnung als „Unwissende“ über die Fortpflanzung definiert werden und nur Männer ausschließlich mit Frauen Kinder zeugen dürfen (beispielhaft sei hier erwähnt, dass transsexuelle Menschen nach dem Transsexuellengesetz (TSG) sich nicht fortpflanzen dürfen, bzw. dass sie mit der geschlechtsverändernden Operation ihre Fortpflanzungsfähigkeit operativ beenden müssen). Abstammung hat durch seine biologisch orientierte Konzeption in westeuropäischen Gesellschaften einen engen Bezug zum Geschlechterverhältnis. Dieser Bezug führt zum einen zu einer Reproduktion des Wissens über die Funktionen und Rollen der beiden Geschlechterkategorien bei der Fortpflanzung und hält, indem beiden unterschiedliches „Wissen“ über die Entstehung/Zeugung des Kindes zugeschrieben wird, bipolare, an der Kategorie ‚Geschlecht‘ orientierte Machtverhältnisse aufrecht. Indem Frauen ein vermeintliches „Wissen“ über die biologische Abstammung des Kindes zugeschrieben wird, erhalten sie eine vermeintliche Machtposition, die bekämpft werden muss, um männliche Hegemonie aufrecht zu erhalten. Strategisch ergeben sich für das Anliegen der weiblichen Emanzipation und der Gleichberechtigung durch die „Dekonstruktion“ von Geschlecht jedoch auch Nachteile. Indem Frauen nicht mehr als einheitliche Gruppe zu verstehen sind, die deckungsgleiche Anliegen haben, bedeutet die Politisierung für Frauenanliegen entweder eine Vereindeutigung oder die Benachteiligung bestimmter Frauengruppen. Am Beispiel der Kategorie „Mutter“ bedeutet die Aufdeckung der Mutterschaft als soziale Praxis, dass rechtliche Sonderregelungen neu begründet werden müssten. Verschiedene feministisch orientierte Wissenschaftlerinnen haben sich zu diesem „Ontologie-Problem“ geäußert. Baer (2005) vertritt aus einer rechtssoziologischen Perspektive die Ansicht, dass eine bestehende soziale Ungleichheit auch ungleicher, rechtlicher Maßnahmen zu deren Ausgleich bedarf. Knapp (1999) formuliert aus einer geschlechtersoziologischen Perspektive, dass das historische „Gewordensein“ unabhängig von seiner Konstruktion faktische Auswirkungen hat. Für die Frage der Definition von Mutterschaft im Recht und insbesondere im Hinblick auf kindschaftsrechtliche Regelungen ergeben sich dennoch neue Verhandlungsbedarfe.
1.15 Zwischenfazit: Familie im Wandel der Generationen- und Geschlechterverhältnisse
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1.15 Zwischenfazit: Familie im Wandel der Generationen- und Geschlechterverhältnisse In der Zusammenschau der vorangegangenen Ausführungen deutet sich an, dass sich die gegenwärtige Strukturierung der Familie entlang ihrer Geschlechter- und Generationendimensionen wandelt. Dies zeichnet sich in einer Diskontinuität der Beziehungsverläufe und in einer Neujustierung der Verteilung von Macht, Ressourcen und Arbeit ab. Im Sinne des interpretativen Paradigmas wird im Folgenden angenommen, dass Familie eine sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Herstellungsleistung ist. Diese Herstellung beinhaltet sowohl die Machtverteilungen zwischen den Geschlechtern und den Generationen als auch deren jeweilige Ausgestaltung. Kann man demnach gemäß den vorliegenden Ausführungen davon ausgehen, dass die Ausgestaltung der Mutter im familiären Binnenverhältnis von Kontinuität und in erster Linie durch ihre Zuwendung zum Kind gekennzeichnet ist, befindet sich die Funktion und Gestalt des Vaters im Wandel. Dieser ist einerseits ausgehend von einem Wandel der familiären Binnenstruktur, mithin der Hinwendung zum Kind, gekennzeichnet, zum anderen von einem Wandel der Geschlechterverhältnisse. In diesem muss sich der Mann als Vater im Sinne Connells auch innerhalb der Hierarchie von Männern verorten und entsprechend verhalten. Das Kind wird in diesem Sinne als „Platzhalter“ der generationalen Ordnung verstanden, auf den sich Zuwendung, Selbst- und Fremdkonstruktion als „Mutter“ oder „Vater“ und auch Machtansprüche beziehen können. Mit der Bedeutungszunahme des Kindes innerhalb der Familie entsteht auch ein Machtgewinn durch das Kind. Bei diesem Wandel, der vor allem durch die zunehmenden Gleichberechtigungsbestrebungen von Frauen, ihrer Befreiung von zwingenden Zuschreibungen der Weiblich- und Mütterlichkeit, der Diskontinuität von Erwerbsverläufen und einer Kindzentrierung (infolge rückläufiger Kinderzahlen in Familien) ausgelöst wurde, steht der Vater im Mittelpunkt der Veränderungserfordernisse. Geht der Wandel der Mutterschaft mit Vorteilen durch die Teilhabe an wirtschaftlichen und machtstrategischen Ressourcen einher, ist der Wandel der Vaterschaft mit der Übernahme von Pflichten sowie der Abgabe von Privilegien und Ressourcen verbunden. Beim Vater zeichnen sich die deutlichsten Friktionen in den Modernisierungsanforderungen zur Konzeption des Geschlechterverhältnisses ab. Die Kindzentrierung der Familie hat für den Vater zwei Folgen:
Erstens kann mit Willekens (2006) angenommen werden, dass die Abstammung des Kindes an Bedeutung gewinnt, je mehr das Kind als Individuum
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1 Generation trifft Geschlecht: theoretische Perspektiven auf den Begriff „Abstammung“
im Zentrum der Familie steht. Indem das Kind eine (auch mit Drinck [2005] formulierbare) zunehmende initiierende Funktion für den Vater gewinnt, die abseits von ökonomischen oder offen machtstützenden Motiven liegt, wird es wichtiger, ‚woher‘ das Kind kommt, wenigstens im westeuropäisch-traditionellen Verständnis von Familienbeziehung. Zweitens hat die Kindzentrierung zur Folge, dass der Vater fürsorgliche Eigenschaften entwickeln muss, die teilweise im Widerspruch zu hegemonialer Männlichkeit stehen. Der Vater darf also nicht einfach „feminisiert“ werden, sondern muss fürsorgliche Aufgaben finden, die Männlichkeitskonstruktionen stützen und womöglich verstärken. Der Vater wendet sich – das ist die Folge (nach Drinck 2005 und Baader 2006) – dem Kind als eigenständiger „Spielkamerad“ zu, der entweder spezifisch männliche Aufgaben übernimmt (keinen „Weiberkram“, Wolde 2006) – d.h. die Mutter nicht entlastet – oder sich auf die Ebene des Kindes begibt. In dieser Logik und vor dem Hintergrund der Diskontinuität der Paarbeziehung müsste er, das wäre eine naheliegende Interpretation, eine abseits der Geburt liegende eigene Vaterbeziehung zum Kind aufbauen. Diese eigenständige Vaterfunktion muss andererseits im System der Binnenrelationen von Männlichkeit verortet werden und darf nicht zum Angriff auf die eigene Position werden.
Diese Hypothesen lassen sich auf Basis der vorliegenden Theorien und Befunde ableiten. Sie dienen dazu, die nachfolgenden Interpretationen und Analysen in diesen theoretischen Rahmen einzubetten.
2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
Recht reguliert gesellschaftliches Zusammenleben und interpretiert daher gesellschaftliche Realität, indem es auf diese Bezug und Einfluss nimmt. Nicht alles Recht ist Konfliktrecht, aber Recht orientiert sich regelmäßig an den Grenzen dessen, was erlaubt ist. Es steckt den Rahmen des Zusammenlebens ab. Im Konfliktfall – und ein solcher ist bei der Verfassungsklage zum heimlichen Vaterschaftstest entstanden – wird deutlich, dass unterschiedliche Auffassungen des Rahmens des Zusammenlebens entstanden sind, die auf Basis des geltenden Rechts und mit Hilfe seiner Auslegung gelöst werden sollen. Diesem Lösungsprozess widmet sich die vorliegende Untersuchung, indem gefragt wird, wie die Interpretation und Auslegung der gesellschaftlichen Realität erfolgt ist. Die zweite Frage ist, welche Konsequenzen diese Auslegung für den Rahmen des Zusammenlebens hat, also wie die Konfliktlösung die gesellschaftliche Realität beeinflusst. Howard S. Becker (1973) hat mit der Entwicklung des Labelling Approachs eine Theorie der Etikettierung abweichenden Verhaltens entwickelt, die für die deutsche kriminologische Forschung von maßgeblicher Bedeutung ist (vgl. Keckeisen 1974, Sack 1979 – als Überblick Bock 2000: 82 ff.). Kern der Theorie ist, dass abweichendes, also auch kriminelles Verhalten, nicht immer gleich bewertet wird, sondern in Abhängigkeit von gesellschaftlicher Normierung entsteht. Gesellschaftliche Gruppen definieren Normalität und damit auch von der Norm abweichendes Verhalten. Dieses wird durch öffentliche Thematisierung problematisiert und z.B. zur Straftat oder zum Normverstoß erklärt. Becker spricht hier von „moralischen Kreuzzügen“, durch die ein Normverstoß konstituiert wird. In gesellschaftlichen Teilkulturen wird dieses erlernt und daraus entsteht eine „Karriere abweichenden Verhaltens“. Bedeutsam ist diese Idee im vorliegenden Kontext im Sinne der öffentlichen Thematisierung und Problematisierung von Verhalten, bzw. genereller der Definition juristischer Probleme, wie der Frage nach der Strafbarkeit einer DNA-Analyse ohne Zustimmung der zu untersuchenden Person. Indem die Definitionsmöglichkeiten und Deutungshoheiten ungleich verteilt sind, werden bestimmte Verhaltensweisen stärker problemati-
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
siert als andere. Ein einfaches Beispiel hierfür ist die öffentliche Bewertung von Steuerhinterziehung gegenüber der Bewertung von Raubüberfällen.20 Dabei stand bei der vorliegenden Aushandlung nicht die Strafbarkeit des DNA-Tests im Mittelpunkt. Dennoch lässt sich der Gedanke der „Problemdefinition“ und des „moralischen Kreuzzuges“ auf die rechtliche Definition von Familie übertragen. Indem eine rechtliche Rahmung der Familie stattfindet und diese, wie im vorliegenden Fall, konfligierenden Deutungen ausgesetzt ist, werden eine neue Norm und damit eine neue Abweichung definiert. Es handelt sich bei der Debatte um die heimlichen Vaterschaftstests gewissermaßen um eine Normalisierung abweichenden Verhaltens. Legitimierungsprozesse und Diskursverschiebungen haben zu dieser Normalisierung geführt. Die Untersuchungsperspektive richtet sich also damit auf die Frage, welche Ungleichheiten und Deutungshoheiten hier verändert wurden und welche Ungleichheiten gegebenenfalls geschaffen bzw. wie Deutungen definiert und ausgehandelt wurden. Dabei stehen das Generationen- und Geschlechterverhältnis als zentrale Dimensionen familiärer Ungleichheit im Mittelpunkt. Im Rahmen feministischer Rechtswissenschaft wurden rechtliche Ungleichheiten entlang der Dimension Geschlecht bereits vielfach untersucht. „Feministische Rechtswissenschaft macht darauf aufmerksam, dass die weibliche Lebensrealität im Recht häufig nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird.“ (Autor/innenkollektiv 2006: 17)
Recht gilt in dieser Forschungsrichtung als Instrument, das die Hierarchie zwischen Frauen und Männern aufrecht erhält: „Dekonstruierende feministische Ansätze bieten das Instrumentarium dafür, all diese Hierarchieebenen zu analysieren und zueinander in Beziehung zu setzen. Geschlecht ist danach nur eine von vielen Kategorien, mit deren Hilfe gesellschaftliche Hierarchien konstruiert und aufrecht erhalten werden“ (Autor/innenkollektiv 2006: 19). „Realitäten sind nicht nur Grundlage, sondern auch Zielobjekt rechtlicher Regelungen. Recht soll gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur widerspiegeln, sondern oft auch verändern.“ (Autor/innenkollektiv 2006: 21)
Durch die Frage der Abstammung ist auch das Geschlechterverhältnis betroffen und damit Fragen der Regulierung von Familie über Heteronormativität. „Eine Ehe kann nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden, obwohl weder Art. 6 GG noch die §§1303 ff. BGB die Ehe als rechtlich verbindliche Lebens20 Wo Gesellschaftsmitglieder eigene geringere Verdienste steuerlich nicht angeben und dies mit ihrem Verhältnis zum Staat oder genereller Steuerungerechtigkeit rechtfertigen, gibt es kaum ebenso viele Personen, die kleinere Raubüberfälle auf der Straße begehen, auch wenn es um die gleichen Beträge ginge.
2.1 Familienrecht im Wandel
57
gemeinschaft heterosexueller Paare definieren. Nur Eheleute können ein Kind gemeinschaftlich adoptieren (§1741 II BGB).[…] Recht basiert damit auf der sozialen bipolaren Heteronorm.“ (Schmidt 2006: 176)
Auch andere Themen, die an die Abstammung angrenzen, wie die Fortpflanzungsmedizin wurden in kritischer feministischer Rechtswissenschaft bereits beleuchtet – dies jedoch unter dem Aspekt der Benachteiligung von Frauen oder der Benachteiligungsachse Geschlecht. Damit wird das Kind entweder ausgeblendet oder als Annex in der Mutter-Kind-Symbiose gedacht. Andere Ansätze sehen in der Verantwortung von Müttern für Kinder oder in ihrer Fortpflanzungsrolle auch ein Hindernis für weibliche Befreiung (vgl. Schneider 2003: 44). In diesem Fall, insbesondere in der Debatte um die Straffreiheit der Schwangerschaftsabbrüche, wurde die Symbiose von Kind und Mutter durch eine Polarität Kind vs. Mutter ersetzt (vgl. Wersig 2006, Wiesemann 2003). Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, die Ungleichheitsdimension Geschlecht mit der Ungleichheitsdimension Generation zu verknüpfen. Konkret stellt sich die Frage, wie Generation, also das Verhältnis von Kindern und Eltern, mit dem Geschlecht, hier insbesondere der Konstruktion von Vaterschaft, verknüpft wird und wie diese Konstruktionen legitimiert werden. Ist es bei der Untersuchung von Geschlecht unter der Prämisse der Gleichbehandlung die Suche nach subtilen Prozessen der Benachteiligung, ist diese bei Kindern leichter zu identifizieren: Sie sind durch einfache Altersgrenzen und die Konstruktion von Urteilsfähigkeit von der Teilhabe und Vertretung im Recht ausgeschlossen. Das Kind als Subjekt im Recht ist weder einseitig im Geschlechterverhältnis verortet, noch soll eine kindheitssoziologische Perspektive die Analyseachse Geschlecht ausblenden. Die Kategorie Generation erweitert den Blickwinkel auf das Geschlechterverhältnis, indem generationale Perspektiven und kindspezifische Interessen aufgenommen werden. Indem also die Verhandlungsprozesse im Familienrecht untersucht werden und Veränderungen in Beziehung zu gesellschaftlichen Gruppen mit Definitionsmacht gesetzt werden, ergibt sich aus der rechtssoziologischen Untersuchung eine Analyse sozialer Ungleichheiten und sozialen Wandels im Generationen- und Geschlechterverhältnis. 2.1
Familienrecht im Wandel „Familie wird heute in vielfältiger Form gelebt. Unterschiedlicher als jemals zuvor: Kinder wachsen nicht nur in Ehen auf. Auch nichteheliche Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende, Stieffamilien und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften geben vielen Kindern ein Zuhause. All das gilt es auch im Familienrecht zu berücksichtigen.“ (Zypries 2005, www.bmj.bund.de)
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
Im Familienrecht werden Rechtsbeziehungen und Geschäftsgrundlagen von Familien definiert, die jedoch nicht wie im weiteren Zivilrecht auf der Willensentscheidung geschäftsfähiger Beteiligter basieren, sondern auf Ideen von lebenslangen quasinatürlichen Verbindungen und der daraus resultierenden Verantwortung. Im Gegensatz zu einem Kauf- oder Mietvertrag wird die Familienbeziehung neben der „Vereinbarung“ der gegenseitigen finanziellen und (i.d.R. wenigstens gegenüber dem Kind) unkündbaren Verantwortungsübernahme, Erziehungs- und Sorgerechten, Entscheidungsbefugnissen und Erbrechten um eine kulturelle Idee erweitert. Speziell bei Kindern, denen keine oder eine beschränkte Geschäftsfähigkeit zuerkannt wird, heißt das Eltern-Kind-Verhältnis für Kinder, keine Wahl zu haben. Im Gegenteil, die „Entökonomisierung“ des Kindes (vgl. Bühler-Niederberger 1996) hat zur Folge, dass die Eltern-Kind-Beziehung auf einer einseitigen wirtschaftlichen Verantwortung der Eltern ohne konkrete Gegenleistung beruht und demnach ihr ideeller Charakter ganz zentral ist.21 Dass Kinder dennoch über ihren Nutzen oder Wert thematisiert werden, ist demgegenüber unbenommen, wird aber nicht rechtlich definiert. Ehe, Familie und die Mutter sind grundgesetzlich geschützt (Artikel 6 GG), wobei die Verfassung selbst nicht bestimmt, wie diese Lebensformen genau ausgestaltet sein müssen. Einen Rahmen für die Ausgestaltung von Ehe und Familie bieten das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), im Besonderen das Familienrecht, sowie teilweise das Kinder- und Jugendhilfegesetz (8. Sozialgesetzbuch, SGB VIII). Darüber hinaus sind bestimmte moralische Vorstellungen mit Ehe und Familie verknüpft und ihr grundgesetzlicher Schutz belegt ihre besondere Bedeutung. Familie basiert im deutschen Familienrecht auf Vorstellungen von (Bluts-)Verwandtschaft, dem Zusammenleben von zwei (heterosexuellen) Erwachsenen mit ihren biologisch eigenen Kindern und weiteren (Bluts-)Verwandten sowie sogenannten „Verschwägerten“, denjenigen, die durch die Eheschließung miteinander verwandt sind. Hinzu kommt, dass weder Ehe noch Kindschaft sich ohne staatlichen Eingriff auflösen lassen. Für das Schließen und Auflösen einer Ehe ist staatliches Handeln notwendig. Auch ein Eltern-Kind-Verhältnis kann nur durch staatliches Handeln beendet werden, zum Beispiel durch die Adoption oder die Vaterschaftsanfechtung. Mit dem Kindeswohl als unbestimmtem Rechtsbegriff sind zudem Sorgfaltspflichten der Eltern in der Wahrnehmung der elterlichen Sorge verbunden. Beispielhaft kann auch die Anerkennung der „Zerrüttung“ als Scheidungsgrund angeführt werden, um anzuzeigen, dass das Familienrecht persönliche Beziehungen auf einer Ebene reguliert, die abseits des 21
Der sogenannte Generationenvertrag, der beinhaltet, dass Kinder später als Erwerbstätige die Renten ihrer Eltern bezahlen, ist gegenüber der konkreten Versorgung diffus und wird in der Regel nicht über direkte Zahlungen eingelöst.
2.2 Abstammung aus juristischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive
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Austauschs von Waren oder Leistungen liegen. Es lässt sich daher festhalten, dass sozial geprägte Vorstellungen und Interpretationen die Rechtsbeziehungen gestalten. Es handelt sich dabei keineswegs um neutrale Regelungsgegenstände, wie auch die leidenschaftlichen Debatten um Veränderungen im Familienrecht zeigen. Der Rahmen, den das Familienrecht für die Beziehungen von Müttern, Kindern und Vätern bildet, wird im Folgenden nachgezeichnet, sowie eine historische und eine internationale Vergleichsperspektive eröffnet. 2.2
Abstammung aus juristischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive
Die Kindschaft ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Teil der Verwandtschaftsbeziehungen. Dabei wird die Verwandtschaft „gerader“ Linie, in der eine Person von einer anderen abstammt (Väter, Mütter, Kinder, Enkelkinder), von Seitenlinien, in der Personen von derselben dritten Person abstammen, unterschieden (§ 1589 BGB). Die Abstammung bildet jedoch in beiden Fällen den zentralen Anknüpfungspunkt (vgl. Schwab 2006: 203). Nur bei der väterlichen Abstammung wird eine genetische Abstammung vorausgesetzt, von einer Mutter stammt ein Kind ab, wenn sie es geboren hat (theoretisch auch mit einer Eizellspende). Es wird zwar grundsätzlich die „natürliche“ Abstammung angestrebt und vorausgesetzt, Abweichungen zwischen rechtlicher und biologischer Abstammung werden jedoch toleriert, sofern eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Beispielhaft hierfür stehen die Regelungen zur Vaterschaftsanfechtung durch den biologischen, aber nicht rechtlichen Vater sowie die Regelungen zur Stiefkindadoption, bei der die soziale Eltern-Kind-Bindung geprüft wird. Mutterschaft wird durch die Geburt, Vaterschaft durch die Annahme der genetischen Abstammung erzeugt. Bei der Mutter ist demnach die genetische Verwandtschaft weniger bedeutsam als der Geburtsvorgang, während beim Vater in der Regel die genetische Abstammung entscheidend ist. Im Kern findet sich hier neben anderen Ideen die Vorstellung patrilinearer Verwandtschaftskonzeption.22, 23 22 Wie Kaufmann (2002) sehr kritisch dargestellt hat, wird in den meisten westlichen Kulturen die gesellschaftliche Reproduktion über Kinder durch eine Reihe von Regeln hergestellt. Sie leitet diese Regeln aus Levi-Strauss ethnologischen Untersuchungen her. Am bedeutsamsten ist das Inzestverbot und damit verbunden die Exogamieregel: Frauen werden außerhalb des eigenen Kreises geheiratet („Fremde“) und gebären die eigenen Kinder. Durch diese Vorstellung der Blutsverwandtschaft wird die Kontrolle von Frauen über Monogamiegebote notwendig. Denn um die Weitergabe von Besitzständen zu sichern, muss sichergestellt werden, dass es das „eigene“ Kind ist. „Obwohl ethnologische Verwandtschaftsforschungen betonen, wie wichtig andere Verwandt-
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
Der neue §1598a BGB bekräftigt mit dem Anspruch auf die Abstammungsfeststellung (väterlicherseits) und dem bei fehlender Abstammung begründeten Recht der Vaterschaftsanfechtung, dass die väterliche genetische Abstammung von hoher Bedeutung ist. Eine Mutterschaftsanfechtung gibt es nach geltendem Recht nicht. 2.3
Vaterschaft im Familienrecht
Während der Mutterschaft im Zivilrecht eine Regelung gewidmet ist, nämlich §1591 BGB (Mutter eines Kindes ist die Frau, die das Kind geboren hat), gibt es für Vaterschaften verschiedene Konstellationen. Ist die Mutter verheiratet, wird jedoch grundsätzlich zunächst angenommen, dass ihr Ehemann Vater des Kindes ist. Vater eines Kindes ist also nach §1592 BGB der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt eines Kindes mit der Mutter verheiratet ist. Ist die Mutter nicht verheiratet, ist der Vater der Mann, der die Vaterschaft anerkennt. Treffen diese beiden Umstände nicht zu, kann die Vaterschaft in einem gerichtlichen Verfahren festgestellt werden. Wird die Ehe durch den Tod des Ehemannes aufgelöst und innerhalb von 300 Tagen nach dem Tod ein Kind geboren, ist der Ehemann der Vater (§1593 BGB). Schließt die Mutter eine weitere Ehe, so dass sowohl der frühere als auch der aktuelle Ehemann Vater des Kindes sein könnte, ist das Kind als Kind des neuen Ehemannes anzusehen. Wenn die Vaterschaft (nach §§ 1600 BGB ff.) rechtskräftig angefochten und festgestellt wird, dass der neue Ehemann nicht Vater des Kindes ist, so ist der frühere Ehemann Vater des Kindes. Die Vielfalt der Regelungen verdeutlicht, dass das Zivilrecht versucht, die unterschiedlichen Rollen, die Frauen und Männer bei der Zeugung eines Kindes einnehmen, gesetzlich zu fassen und der gesellschaftlichen Norm anzunähern. Die Ehe gewinnt dabei eine erstentscheidende Funktion. Eine Vaterschaftsanerkennung ist nur möglich, wenn nicht ein anderer bereits Vater des Kindes ist (§1594 BGB). So kann zum Beispiel bei einem in einer Ehe geborenen Kind kein anderer Mann die Vaterschaft für das Kind anerkenschaftsformen sind – dass exogame Heirat, Heiratsverbindungen mit ‚Fremden‘ beispielsweise der Begründung sozialer Beziehungen unter Gesellschaftsgruppen dienen –, bleiben gerade in ‚westlichen‘ Gesellschaften Vorstellungen von ‚Blutsverwandtschaft‘ als engste und wichtigste soziale Beziehung aktuell“ (Kaufmann 2002: 151). Zwar wird diese Regel heute durchbrochen, da die Exogamieregel für Frauen und Männer gleichermaßen gilt, doch fand sie sich in Ansätzen noch im Namensrecht (Übernahme des Nachnamens vom Ehegatten für Frau und Kinder). Angesichts der neueren Gesetzesentwicklungen, die im Folgenden beschrieben werden, könnte Kaufmann dahingehend erweitert werden, dass die ‚Blutsverwandtschaft‘ wieder an Aktualität und Bedeutung gewinnt. 23 Vgl. auch Günter (2007) zur Metaphorik der Frau als „Gefäß“.
2.4 Vaterschaftsfeststellung
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nen, da zunächst immer der Ehemann der Mutter als Vater des Kindes gilt. Sind die Eltern nicht miteinander verheiratet, bedarf die Vaterschaftsanerkennung der Zustimmung der Mutter des Kindes (unabhängig davon, ob die Mutter die Sorge für das Kind hat). Wird ein Kind nach einem Scheidungsantrag geboren und ein Dritter erkennt bis zu einem Jahr nach der rechtskräftigen Scheidung die Vaterschaft an, ist dieser der Vater (§1599 BGB). Es lässt sich festhalten, dass im Falle einer Vaterschaft zahlreiche Regelungen für mögliche Konstellationen bestehen. Sie folgen dem Prinzip der Ehe als Institution, die Vaterschaft generiert. Die Ehe gilt als der Normalfall, durch den die Vaterschaft automatisch hergestellt wird. In zweiter Linie gibt es Regelungen für den Tod des Mannes oder die Scheidung, wobei auch willentliche Anerkennungsprozesse (mit Zustimmung der Mutter) maßgeblich sind. Gleiches gilt für nicht miteinander verheiratete Eltern. Die genetische Feststellung des Vaters war bis zur Schaffung des Vaterschaftstests nicht im Gesetz formuliert, es gab aber sowohl im Anfechtungs- als auch im Feststellungsverfahren den Hinweis auf die Abstammung. 2.4
Vaterschaftsfeststellung
Die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung nach §1600d BGB kann erfolgen, wenn die Mutter nicht verheiratet ist und keine Vaterschaftsanerkennung besteht. Dabei wird angenommen, dass derjenige Vater des Kindes ist, der „der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat“. Diese Vermutung gilt nicht, wenn schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen. Üblicherweise wird heute im Zweifel die Vaterschaft durch ein serologisches Gutachten oder einen Gentest ermittelt. Die sorgeberechtigte Mutter kann eine Feststellung verbieten. Dies wurde im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform von 1998 festgelegt. Bis dahin wurde bei unverheirateten Müttern eine Amtsbeistandschaft für das Kind eingerichtet, in deren Rahmen der Amtsvormund die Vaterschaftsfeststellung erlauben durfte. Das einzige Mittel, das heute von gesetzlicher Seite die Mutter zur Ermittlung des Vaters drängt, ist der Unterhalt/Unterhaltsvorschuss. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz werden nur gezahlt, wenn sich die Mutter an der Ermittlung des Vaters beteiligt. Sprechen schwerwiegende Gründe dagegen oder versichert die Mutter glaubhaft, dass sie nicht weiß, wer Vater des Kindes ist, wird von der Ermittlung abgesehen und es besteht trotzdem ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss (vgl. Unterhaltsvorschussgesetz UhVorschG §1). Da der Unterhaltsvorschuss als Leistung konzipiert ist, die später vom Unterhaltspflich-
62
2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
tigen zurückgefordert wird, ist es entsprechend bedeutsam, einen „Schuldner“ zu ermitteln. 2.5
Vaterschaftsanfechtung24
Mit der Vaterschaftsanfechtungsklage kann der/die Kläger/in die bisherige Vater-Kind-Beziehung beenden. Diese kann durch die Mutter, den rechtlichen Vater oder das Kind (bei Minderjährigkeit durch den gesetzlichen Vertreter) erfolgen. Bis 1998 war nur der Vater unbeschränkt anfechtungsberechtigt. Das Kind hatte ein eingeschränktes Anfechtungsrecht, die Mutter war nicht anfechtungsberechtigt. Mit der Kindschaftsrechtsreform erhielten auch das Kind und die Mutter ein unbeschränktes Anfechtungsrecht.25 Grundsätzlich ist geboten, dass der Gesetzgeber eine Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher Vaterschaft herstellt (vgl. Schwab 2006). Für die Vaterschaftsanfechtung gilt eine Frist von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der/die Anfechtungsberechtigte von Umständen erfährt, die ihn/sie an der Vaterschaft zweifeln lassen. Das Kind kann die Vaterschaft selbst anfechten. Die Frist beginnt dann mit dem Zeitpunkt, zu dem das Kind von den Umständen erfährt bzw. mit Eintritt der Volljährigkeit. Der Gesetzestext geht nicht näher auf die Umstände ein, die zur Anfechtung einer Vaterschaft gegeben sein müssen. Diese Umstände werden im Einzelfall gerichtlich bewertet. Zu dieser gerichtlichen Bewertung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs notwendig, dass substantiierte Zweifel an der Vaterschaft vorgetragen werden. Wird Anfechtungsklage erhoben, muss der/die Kläger/in glaubhaft machen, dass das Kind nicht vom Vater abstammen kann (vgl. FamRZ 2003: 155 f.). Dies soll dazu dienen, Familienangehörige vor Klagen „ins Blaue hinein“ zu schützen. Im Sinne dieses Interessenausgleichs hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der Anfangsverdacht entscheidend für die Annahme der Klage ist. Der Anfangsverdacht darf es „nicht ganz fernliegend“ erscheinen lassen, dass ein anderer als der rechtliche Vater der biologische Vater des Kindes ist. Dabei reicht es nicht aus, wenn der Vater angibt, er sei nicht biologischer Vater des Kindes. Die Rechtsprechung zur Erlangung des „Anfangsverdachts“ ist umstritten. Nachweisliche Ortsabwesenheit, zum Beispiel durch Haft zum Zeitpunkt der Empfängnis, Unfruchtbarkeit des Mannes während des Empfängniszeitraums 24 Die folgenden Regelungen beschreiben die Rechtslage vor der Gesetzesänderung, die ein Anrecht auf die Abstammungsfeststelllung etabliert hat. 25 Dies deutet auf die Höherbewertung der Kindesinteressen im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform hin.
2.6 Die Rechtslage zur Abstammungskenntnis aus Sicht des Kindes
63
oder ähnliche konkrete Anhaltspunkte werden in der Literatur genannt (vgl. FamRZ 2005a: 291 ff. m.w.N.; FamRZ 2005b: 340 f.; Schwab 2006). Es reiche nicht aus, zu behaupten, das Kind sehe dem Vater nicht ähnlich. Dagegen bietet die Äußerung, das Kind sei „einem anderen wie aus dem Gesicht geschnitten“, hinreichend Anlass für die Klageerhebung. Führt ein nicht vom Gericht in Auftrag gegebenes Gutachten dazu, dass die Mutter vor Gericht den „Mehrverkehr“ gesteht, so kann auch der Inhalt des Gutachtens als Beweismittel genutzt werden (vgl. FamRZ 2005: 291). Ein nicht vom Gericht beauftragtes Gutachten kann jedoch das Geständnis der Mutter nicht ersetzen. Die Befürworter/innen einer Absenkung der Anfangsverdachtsschwelle schreiben dieser „restriktiven“ Auslegung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu, dass dadurch mehr heimliche Vaterschaftstests durchgeführt würden: „Sie [die Rechtsprechung des BGH zu Gründen für die Vaterschaftsanfechtung, S.S.] hat den Boom der heimlichen Vaterschaftstests mit begründet, denn zweifelnde Väter sahen sich häufig nicht in der Lage, ihren Verdacht anders als mit heimlichen Gutachten zu substanziieren.“ (Huber 2006: 1425)
2.6
Die Rechtslage zur Abstammungskenntnis aus Sicht des Kindes
Ab dem 16. Lebensjahr haben adoptierte Kinder Anspruch auf Einsicht in die Adoptionsakten sowie in das Geburtenregister. Begrenzt wird dieser Anspruch nur, wenn durch die Einsicht die soziale Adoptionsfamilie gefährdet würde (vgl. Schönberger 2008: 14, m.w.N.). Kinder, die durch heterologe Insemination geboren sind, haben den Anspruch beim behandelnden Arzt Einsicht in die Spenderakten zu erhalten. Zur heterologen Insemination gibt es derzeit keine einfachgesetzlichen Regelungen – abgesehen davon, dass die Vaterschaftsanfechtung bei einvernehmlicher heterologer Zeugung ausgeschlossen ist. Weiterhin gibt es Richtlinien der Bundesärztekammer zur heterologen Insemination (Wiss. Beirat d. Bundesärztekammer 2006). Die Bewahrung von Spenderakten ist in Deutschland jedoch nicht eindeutig geregelt. Daher kann ggf. der Anspruch nicht realisiert werden. „Die Vorschläge der Arbeitsgruppe [Bund-Länder-Arbeitsgruppe ‚Fortpflanzungsmedizin‘, S.S.] wurden vom Gesetzgeber aber nicht umgesetzt. Durch seine inzwischen beinahe zwanzig Jahre andauernde Untätigkeit steht der Gesetzgeber dem Recht im Weg. Nimmt er die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Kenntnisrecht des Kindes ernst – und dazu ist er von Verfassungs wegen verpflichtet – muss er durch Einrichtung obligatorischer Spenderdatenregister die Voraussetzungen für die tatsächliche Erfüllbarkeit eines solchen Auskunftsanspruchs schaffen.
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
Denn ein Recht nützt ohne die Möglichkeit seiner Umsetzung wenig.“ (Schönberger 2008: 15)
Aus dem Anspruch auf elterlichen Beistand und Rücksichtnahme nach §1618a BGB hat ein Kind den Anspruch, dass seine Mutter ihm den Vater nennt. Dieses Recht gilt jedoch nur in Abwägung gegen die Interessen der Mutter. Die Rechtsprechung der letzten Jahre hat jedoch deutlich in Richtung des Kindes entschieden. Gemäß §1600d kann ein Kind die Vaterschaft gerichtlich klären lassen. Die Folge ist, bei positiv festgestellter Vaterschaft, eine rechtliche Vater-Kind-Beziehung. Ab dem Zeitpunkt, zu dem das Kind von Umständen erfährt, die gegen die biologische Vaterschaft seines rechtlichen Vaters sprechen, kann das Kind mit einer Frist von zwei Jahren die Vaterschaft anfechten. Nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung gilt das Kind als „vaterlos“. Es hat keine Möglichkeit, eine Vaterschaftsfeststellung beispielsweise gegen „unbekannt“ durchzusetzen, es bedarf einer bestimmten Person, gegen die das Kind seine Feststellungsklage durchsetzen kann. 2.7
Die anderen: Ausnahmen als Regelungsfall
Das Familienrecht beinhaltet eine Reihe von Ausnahmen, in denen Verwandtschaft auch ohne biologische Abstammung entstehen kann. Diese Ausnahmen sind Kennzeichen einer zunehmenden Vielfalt von familiärer Verantwortungsübernahme. Diese Familienformen sind jedoch in einem eng umrissenen Regelungsrahmen festgelegt. 2.7.1
Fortpflanzungsmedizin
Paare, die sich ihren Kinderwunsch nicht auf dem ‚üblichen biologischen‘ Weg erfüllen können, haben Möglichkeiten der medizinischen Behandlung. Einige Methoden werden von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, jedoch sind diese in der Regel darauf beschränkt, eine Befruchtung durch Eizelle und Samen von Ehepartner/innen herbeizuführen. Damit sind in der Regel medizinische Belastungen von Frauen verbunden. So werden Hormonbehandlungen durchgeführt, befruchtete Eizellen werden bei Frauen eingesetzt. Dies ist eine schmerzhafte Behandlung. Eine Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) wird beispielsweise durchgeführt, wenn bei eingeschränkter Beweglichkeit oder geringer Zahl der Spermien eine einfache In-Vitro-Fertilisation (IVF) oder Insemi-
2.7 Die anderen: Ausnahmen als Regelungsfall
65
nation nicht möglich ist. Durch eine Hormonbehandlung werden Eizellen stimuliert, die durch Punktion aus dem weiblichen Körper entnommen werden. Danach wird die Eizelle fixiert und ihr wird genau ein Samenfaden eingespritzt. Wenn sich 4-8 Zellen gebildet haben, werden sie wieder über einen Schlauch in die Gebärmutterhöhle eingesetzt. Diese körperlich belastende Behandlung ist mit geringen Erfolgsaussichten verbunden. Die psychische Belastung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch ist beim Scheitern einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung vergleichbar mit dem Verlust eines Partners oder des Kindes durch Tod (vgl. Stöbel-Richter et al. 2008).26 Das heißt, auch bei der Zeugungsunfähigkeit des Vaters trägt die Mutter die Hauptlast der medizinischen Behandlung. Eine Möglichkeit, die bei mangelnder Zeugungsfähigkeit des Mannes eingesetzt wird, ist die Befruchtung durch die Samenspende eines Dritten. Um Unterhaltspflichten auszuschließen, gilt es als Voraussetzung, dass das Paar verheiratet ist. Dies ist jedoch keine gesetzlich fixierte Voraussetzung (vgl. Bundesärztekammer 2006, Arbeitskreis donogene Insemination 2006). Nach einer Richtlinie der Bundesärztekammer sollen nur fest miteinander lebende Paare oder Ehepaare Zugang zu Samenbanken haben. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten dieser Behandlung nicht. Behandlungen für künstliche Befruchtungen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nur für Ehepaare und nur bei Verwendung des Samens und der Eizelle der Ehepartner. Haben beide Eltern in die heterologe Insemination eingewilligt, ist die Vaterschaftsanfechtung für die Eltern ausgeschlossen. Das Kind kann mit Kenntnis der Umstände und bei Eintritt der Volljährigkeit die Vaterschaft binnen einem Zeitraum von zwei Jahren anfechten. Nicht miteinander verheirateten Eltern wird in der Regel geraten, bereits vor der Geburt des Kindes eine Vaterschaftsanerkennung durchzuführen. Die juristische Einschätzung zur Rechtskräftigkeit der Vaterschaftsanerkennung vor der Geburt wird derzeit noch diskutiert und ist uneinheitlich (vgl. JAmt 2007: 419). Das Kind hat mit Eintritt der Volljährigkeit das Recht, die Identität des Spenders zu erfahren (vgl. Schönberger 2008). Hinsichtlich erb- und unterhaltsrechtlicher Beziehungen zwischen dem Kind und dem Spender bestehen nach wie vor Unklarheiten. Ebenso gibt es keine einheitlichen Grundsätze zur Behandlung alleinstehender Frauen. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer haben gleichgeschlechtliche Paare keinen Zugang zu Samenbanken und keinen Anspruch auf fortpflanzungsmedizinische Behandlung. Das wesentliche Ordnungsprinzip ist
26 Die Belastungen, die mit den Behandlungen einhergehen, sowie die Familiendefinitionen dieser Paare bzw. Familien werden kaum öffentlich thematisiert. Auch dies kann als Indiz der Wirkmächtigkeit der Norm des „eigenen Kindes“ gelten. Zur Definition von Familien, die Kinder durch Fortpflanzungsmedizin bekommen haben, siehe Beck (2007).
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
nach wie vor die Ehe, da das Kind dadurch automatisch als Kind des Ehemannes gilt. Die Belastungen, die mit den Methoden der Fortpflanzungsmedizin verbunden sind, deuten darauf hin, dass leibliche Elternschaft von beiden Eltern einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert hat. Trotz geringer Erfolgsaussichten, hoher Kosten und hoher Gesundheitsbelastungen ist die Option, gegebenenfalls ein nicht-leibliches Kind zu haben, nicht in gleichem Maß Gegenstand der Debatte. 2.7.2
Homosexuelle Partnerschaften mit Kindern
Im Rahmen der normativen Anpassung homosexueller Partnerschaften an die Ehe durch das „Lebenspartnerschaftsgesetz“ wurde zum 1. Januar 2005 die Möglichkeit der Stiefkindadoption eingeführt. Damit kann ein/e Partner/in Vater oder Mutter werden und der/die andere Partner/in das Kind adoptieren. Beide werden dadurch Eltern dieses Kindes. Diese Adoption bedarf der Zustimmung des zweiten leiblichen Elternteils und ab dem 14. Lebensjahr auch der Zustimmung des Kindes. Die Stiefkindadoption ist auch bei verheirateten heterosexuellen Paaren möglich. Im Unterschied zur Volladoption erlöschen nur die verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem Elternteil. Hinsichtlich der heterologen Insemination durch eine Samenbank lässt sich die Einwilligung durch Vorlage einer notariellen Vereinbarung ersetzen. Wenn es einen „privaten“ Spender gibt, der anonym bleiben möchte, kann eine Mutter auch angeben, den Vater nicht zu kennen.27 Die Stiefkindadoption muss dem Kindeswohl dienen. Das Jugendamt wird daher beteiligt. Die CSU hatte 2005 eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Stiefkindadoption eingereicht. Auch seitens des Väteraufbruchs für Kinder wird diese Form der Adoption als Benachteiligung leiblicher Väter angesehen. Als ordnende Elemente gelten die Voraussetzung der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft, die Beteiligung des Jugendamtes und die Einwilligung des leiblichen Vaters. Die Stiefkindadoption wird von Kritikern als Möglichkeit angesehen, „den außerhalb der Stiefehe lebenden Elternteil ein für alle Mal ‚aus dem Felde zu schlagen‘“ (Frank 2007: 1695). Zudem wird es als gefährlich angesehen, dass Stiefeltern ohne leibliche Bindung an das Kind eine lebenslange 27 Die Adoption eines Kindes ohne Einwilligung des Vaters ist nach wie vor in der rechtlichen Diskussion. Derzeit ist es nach §1747 BGB möglich, ein Kind ohne Einwilligung des Vaters zur Adoption freizugeben, wenn dessen Aufenthalt dauerhaft unbekannt ist oder er zur Abgabe einer Erklärung außerstande ist. Nicht zuletzt durch den Fall Görgülü ist diese Regelung in die Kritik geraten und es wird über die Amtsermittlungspflicht diskutiert (vgl. dazu FamRZ 2007: 2060 ff.).
2.7 Die anderen: Ausnahmen als Regelungsfall
67
Verantwortung übernehmen. Denn die Stiefkindadoption geschehe, so die Annahme, zuliebe des leiblichen Elternteils. „Für Stiefväter ist die Adoption oft nichts anderes als eine Art Symbolakt, der dazu dient, der Mutter und dem Kind gegenüber kund zu tun, dass der Stiefvater bereit ist, uneingeschränkte elterliche Verantwortung zu übernehmen.“ (Frank 2007: 1696)
Wenn die Ehe scheitere, gäbe es zahlreiche Bemühungen, die Stiefkindadoption rückgängig zu machen (Frank 2007: 1695). 2.7.3
Familien mit adoptierten Kindern
Eine vollständig nichtbiologische Form der Elternschaft ist die Adoption. Bereits die Gesetzesformulierung „Annahme als Kind“ verdeutlicht eine Abgrenzung zur Elternschaft. Die Annahme als Kind ist möglich, wenn ein Kind dauerhaft nicht bei seinen leiblichen Eltern leben kann, diese der Adoptionsfreigabe zustimmen oder das Gericht die Einwilligung der Eltern ersetzt. Mit der Adoption erlöschen alle verwandtschaftlichen Beziehungen des Kindes zu seiner leiblichen Familie. Im Jahr 2005 fanden in Deutschland 4.762 Adoptionen statt, davon etwa 60 Prozent Stiefkindadoptionen. Einem zur Adoption freigegebenen Kind stehen etwa zwölf Adoptionsbewerbungen gegenüber. Neben Adoptionen von Kindern aus Deutschland gibt es Adoptionen mit Auslandsbezug.28 Der wesentliche Unterschied besteht hier in den deutlich höheren Kosten und einer besonderen Eignungsprüfung der Adoptionsbewerber/innen durch die Vermittlungsstelle. 99.372 Kinder waren 2005 entweder in einer Pflegefamilie oder in einem Heim untergebracht (vgl. Deutscher Bundestag 2007a). Die Kinder- und Jugendhilfe hat bei der Adoption verschiedene Aufgaben. Zum einen muss bei einem Kind, das nicht bei seinen Eltern leben kann, geprüft werden, ob ein Heimaufenthalt oder ein Aufenthalt bei einer Pflegefamilie als begrenzt anzusehen ist, also die Gefährdungssituation in der Herkunftsfamilie beendet werden kann. Anderenfalls muss frühzeitig eine Adoption geprüft werden. Die Adoptionszahlen sind stark rückläufig. Eine „Doppelbewerbung“ von Eltern für Kinder aus dem In- und Ausland ist nicht möglich. Zudem muss die Adoptionseignung der Bewerber/innen geprüft werden. Die häufigsten Ablehnungsgründe sind Alter, fehlende finanzielle Absicherung oder persönliche Nichteignung. Die Gründe werden im Einzelnen nicht erhoben. Es wird unter anderem vorausgesetzt, dass Adoptionsbewerber/innen keine lebensverkürzenden, psychischen oder Suchterkrankungen haben. Darüber hinaus 28
Dies ist ein Fachbegriff für die Adoption von Kindern aus dem Ausland.
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
müssen sie ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Bei Auslandsadoptionen werden zusätzlich die besondere Beziehung zum Herkunftsland des Kindes sowie die Fähigkeit, ein aus dem Ausland stammendes Kind zu adoptieren, geprüft. Im Gegensatz zu leiblichen Eltern müssen Adoptiveltern von Anfang an ihre „Elternfähigkeit“ unter Beweis stellen (Wild 1998: 269 und Auskunft der Adoptionsvermittlung Hannover zu allgemeinen Kriterien). Das Kind muss ab dem Alter von 14 Jahren der Adoption zustimmen. Zuvor kann der/die gesetzliche Vertreter/in die Zustimmung erteilen. Die Annahme kann aufgehoben werden, wenn eine/r der Beteiligten der Annahme nicht zugestimmt hat oder die Annahme bei Bewusstlosigkeit, unter Drohungen oder ähnlichen Umständen stattfand und damit unwirksam ist. Darüber hinaus kann die Annahme von Amts wegen aufgehoben werden, wenn dies aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Das ist nur möglich, wenn ein leiblicher Elternteil oder ein Ehegatte eines annehmenden Paares bereit ist, die elterliche Sorge zu übernehmen, und dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Die „Ausforschung und Offenbarung“ der Annahme und ihrer Umstände ohne die Zustimmung der Annehmenden und des Kindes ist verboten (vgl. §1758 BGB). Eingetragene Lebenspartnerschaften können nicht gemeinsam ein Kind adoptieren. Homosexuellen Paaren bleibt die gemeinsame Adoption verwehrt. Sie können jedoch ein Kind in Vollzeitpflege aufnehmen. Adoptionen unterliegen demnach ebenfalls einem engen Regelungsrahmen. Im Gegensatz zum sonst geltenden Primat leiblicher Abstammung wird in diesem Fall jede Form leiblicher Abstammung durch einen rechtlichen Akt vollständig beendet. Juristisch wird die Annahme als Kind von der „natürlichen“ Elternschaft abgegrenzt und daher auch von Kritikern als „künstliches Verwandtschaftsverhältnis“ betrachtet (Frank 2007). Das vollständige Erlöschen der Verwandtschaftsbeziehungen führe aus psychologischer Sicht zu lebenslangen Identitätsproblemen des Kindes (Hoksbergen 2006, zit. nach Frank 2007). Begreift man Adoption als langfristigen Prozess, gibt es verschiedene Bedingungen, die zu einem erfolgreichen Verlauf beitragen können. Dazu gehört die Verarbeitung der unfreiwilligen Kinderlosigkeit durch die Adoptiveltern, das Alter des Kindes, die Betreuung durch die Adoptionsvermittlung. Hoffmann-Riem (1984) hat in ihrer Studie den Begriff der „Normalisierung eigener Art“ geprägt, als eine Möglichkeit, den Sonderstatus als Familie bewusst anzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Die „Normalisierung-als-ob“ führt dagegen dazu, dass die Eltern den Adoptionsstatus verdrängen und die Aufklärung des Kindes möglichst minimalistisch gestalten. Das Kind hat keinen Rechtsanspruch darauf zu erfahren, dass es adoptiert ist. Der „lebenslange“ Rucksack, der den Kindern in ihrer
2.8 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in historischer Perspektive
69
Identitätsfindung zugeschrieben wird, kann keinesfalls so konsistent festgestellt werden. Schwierigkeiten von Adoptivkindern sind zum einen auf Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt zurückzuführen, weitere Studien können bei Schulkindern keine Unterschiede feststellen. Einige Studien deuten auf eine Normalisierung mit zunehmendem Alter hin (vgl. Wild 1998: 275 ff. m.w.N). Wild (1998) hat in ihrer Zusammenstellung von Adoptionsstudien betont, dass das Problempotenzial aus der Festlegung auf die biologisch fundierte Kernfamilie erwächst. „Andererseits ist jedoch dadurch, daß die biologisch fundierte Kernfamilie zu einer alternativlosen Selbstverständlichkeit und die Mutteridee mit der Einheit von Gebären und Aufziehen zum unbestrittenen Prinzip wurde, für die am Adoptionsprozess beteiligten Personen ein spezifisches Problempotenzial entstanden.“ (Wild 1998: 267)
Die rechtlich institutionelle Festlegung auf die Kernfamilie erzeugt in ihrer Anwendung auf die Adoption eine Anpassung an die Norm und damit eine ständige Abgrenzung zu den „normalen“ Familien, die die leibliche Abstammungsnorm erfüllen können. Während die Annahme als Kind aus der Perspektive der Jugendhilfe im Sinne der Kontinuität für ein Kind als Hilfsalternative angesehen wird, wenn die Eltern dauerhaft nicht in der Lage sind, die elterliche Sorge zu tragen (und damit die Adoption dem Kind hilft, einen neuen stabilen Rahmen zu erhalten), ist sie juristisch wegen der Fixierung auf die Zweielternfamilie so eng gefasst, dass alle vorherigen Verwandtschaftsbeziehungen enden müssen. Damit wird der Adoption aus psychologischer Perspektive vorgehalten, sie nehme dem Kind die Identität. Das Kind ist in diesem Fall die Person, die Ungereimtheiten zwischen dem gesellschaftlichen Wunsch nach einer kontinuierlichen Zweielternfamilie und der Fixierung auf die leibliche Abstammung mit der eigenen Identität vereinbaren muss. Die rechtliche Regulierung formuliert die Rahmenbedingungen in Form des Erlöschens der Verwandtschaft zur Herkunftsfamilie und der Festlegung darauf, wer Kinder adoptieren darf. 2.8
Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in historischer Perspektive
Das Bundesverfassungsgericht hat im zu analysierenden Urteil, wie in Kapitel 1 ausgeführt wird, zunächst auf das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung Bezug genommen, um das väterliche Recht auf Kenntnis der Abstammung des eigenen Kindes zu begründen. Da auch die Ableitung eines solchen Rechts nicht widerspruchslos
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
geblieben ist (z.B. Meyer 2005: 79 ff.), stellt sich die Frage, wie sich dieses Recht entwickelt hat. Daher wird im Folgenden ein Abriss der Entwicklung von Vaterschaftsfeststellungs- und Vaterschaftsanfechtungsklagen im Zusammenhang mit der Stellung der Abstammungskenntnis im Verhältnis zu den Grundrechten sowie der Fassung von Abstammung seit 1900 dargestellt, da zu diesem Zeitpunkt das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft getreten ist. Wie Meyer (2005) herausstellt, gab es 1900 keine biologisch begründete Verwandtschaftsbeziehung zwischen nichtehelichen Kindern und ihren Vätern. Die Vaterschaft wurde bei ehelichen Kindern durch die Ehe begründet, bei nichtehelichen Kindern musste die Abstammung zur Feststellung einer Unterhaltspflicht ermittelt werden. Die Vaterschaftsbeziehung beschränkte sich jedoch auf die Unterhaltspflicht. Das nichteheliche Kind und sein Vater waren explizit nicht miteinander verwandt (§1589 II BGB). Die Klage auf Bestehen oder Nichtbestehen der Vaterschaft hatte bei nichtehelichen Kindern keine praktische Bedeutung, da die Zivilprozessordnung gemäß §644 ZPO festlegte, dass die Vorschriften des Statusprozesses (gemäß §640-643 ZPO) nicht auf die Feststellung einer unehelichen Vaterschaft anzuwenden seien. Das heißt, die Beweisermittlung für die nichteheliche Vaterschaft war nahezu unmöglich, denn die Vorschriften über den Statusprozess enthielten unter anderem die Beweisermittlung von Amts wegen. Die Begründung des Ausschlusses der Statusvorschriften war, eine solche Klage liege wegen der geringen materiell-rechtlichen Bedeutung (keine Herstellung einer Verwandtschaftsbeziehung, Beschränkung der nichtehelichen Vaterschaft auf die Unterhaltspflicht) nicht im öffentlichen Interesse. Dies änderte sich nach 1933 im Zuge der Rassenideologie des Nationalsozialismus. Die Feststellung der „blutsmäßigen“ Abstammung wurde als im öffentlichen Interesse liegend erklärt. Daher wurde mit dem RG eine Differenzierung zwischen der ehelichen und der „blutsmäßigen“ Abstammung eingeführt. Sofern nach dem RG „rassenpolitische“ Belange berührt wurden, waren alle Anfechtungsbeschränkungen bedeutungslos. Insbesondere die Beweisermittlung von Amts wegen nach der ZPO war nun auch auf die nichteheliche Vaterschaft anwendbar. „In den ersten Akademiesitzungen 1935 wurde die Richtung der Reform des Nichtehelichenrechts deutlich: Grundlegend für eine Neuregelung, so formulierte Brandis, seien die biologische und genealogische Verbindung der Menschen miteinander, die Erbgesundheit und die Rassenzugehörigkeit.“ (Buske 2004: 150 f.)
Der Reichsminister Hans Frank drückte es wie folgt aus: „Der Rassengedanke des Nationalsozialismus ist hier das entscheidendste. Denn er hat an die Stelle papierener oder sonstiger aus dem individuellen Recht hervorgegangener Wertmaßstäbe des einzelnen einen großen Wertmaßstab gesetzt, nämlich
2.8 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in historischer Perspektive
71
den des Blutes.“ (Frank in der Sitzung des Familienrechtsausschusses 1935, zit. nach Buske 2004: 151)
Die Gesetzentwürfe zum damals geplanten zweiten Familienrechtsänderungsgesetz richteten sich im Wesentlichen darauf, dass die Vaterschaftsfeststellung grundsätzlich gerichtlich erfolgen solle, ebenso sollte die Ehelichkeitsanfechtung des Kindes durch die Staatsanwaltschaft erfolgen (vgl. Buske 2004: 152). Biologisch „einwandfreie“ Kinder sollten im Rechtssinne als mit beiden Eltern verwandt gelten, es sei denn, der Vater hatte eine eigene eheliche Familie (vgl. Buske 2004: 159). „Bei aller gehobener Prosa über die Ehe als ‚ursprünglichste völkische Gemeinschaft‘ war dem Regime ein ‚arisches‘ uneheliches Kind lieber als ein eheliches, das die Rassenstandards nicht erfüllte, wie das Unternehmen ‚Lebensborn e.V.‘ unschwer beweist. Das mußte die Bedeutung der ehelichen Familie stark relativieren und einen Reformimpuls zugunsten einer Verbesserung der Rechtsstellung nichtehelicher Kinder auslösen, schon weil ein Denken in den Kategorien der ‚Blutsverbundenheit‘ den nichtehelichen Vater, der in einer ‚echten Abstammungsgemeinschaft‘ zu seinem Kind stand, notwendig einbeziehen mußte.“ (Schwab 1997: 805)
Adolf Hitler hat den Entwurf des zweiten Familienrechtsänderungsgesetzes abgelehnt, aus bis heute nicht geklärten Gründen (vgl. Alyakut-Yavuz 2007). Die Einzelregelungen wurden dennoch in der Praxis angewandt. Hier findet sich im Zuge der Rassenideologie eine deutliche Aufwertung biologischer Abstammung, die sogar über eine moralische Verurteilung nichtehelicher Elternschaft hinweg auf die biologische Verwandtschaft abstellt. Das Rechtsinstitut der Ehe verlor demgegenüber an Bedeutung, blieb jedoch erhalten. Buske (2004: 174) hat zudem nachgewiesen, dass im Zuge der einwandfreien Abstammungsnachweisbarkeit sogar Eheschließungen für nicht verheiratete Mütter mit gefallenen Wehrmachtsangehörigen möglich waren, um die Unterhaltsrechte zu erhalten, dies galt jedoch nur für Frauen, die als „erbgesund“ galten. Man könnte demnach ableiten, dass das normative Rechtsinstitut der Ehe genutzt wurde, um biologisch bzw. nach rassistischen Gesichtspunkten erwünschten Kindern einen Rechtsstatus zu ermöglichen. In der Nachkriegszeit fand sich zwar eine bewusste Abkehr von der Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses aufgrund der „blutsmäßigen Abstammung“ (vgl. Urteil des OGH Köln v. 26.04.1949), im Ergebnis gab es jedoch auch Befürworter für die Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses auf Basis der Abstammung (so bspw. Guggomos, der feststellte „schon wegen der Vielzahl der Volksgruppen“ in Deutschland sei die Zulässigkeit eines Statusverfahrens zwingend notwendig). Die Rasse- und Erbforschung sei nicht nationalsozialistisch, so Guggomos (1947/48). Bosch (1950) machte der Recht-
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
sprechung den Vorwurf, sie knüpfe nicht an die „einst so fortschrittlich judizierende“ Rechtsprechung des RG an (alles zit. nach Meyer 2005: 40 ff.). Meyer (2005) kommt zu dem Schluss, dass der Erklärungsnotstand der Befürworter der Abstammungsfeststellung infolge der Tabuisierung und des Verbots nationalsozialistischer Begründungen schließlich dazu führte, die Abstammung als in der Menschenwürde begründet und als Persönlichkeitsrecht des Einzelnen zu definieren. „Wer keinen Vater habe, sei kein ganzer Mensch“ fasst diese neue Haltung zusammen (Meyer 2005: 46). In der Folge gab der BGH dem Druck nach und ließ die Abstammungsfeststellungsklage wieder zu. Im Zusammenhang mit mehreren Klagen wurde wiederholt auf die „rational nicht mehr fassbare“ Wirklichkeit und Bedeutung der Abstammung Bezug genommen. Tatsächliche Beweise für diese generell geltende Behauptung wurden nicht erhoben. Dennoch hat sich aus dieser Begründung ein heute fast universell geltender Anspruch auf Abstammungskenntnis entwickelt. „Die Rechtsfolgen, die wir an die Tatsache einer Blutsverwandtschaft knüpfen, sind nicht von Natur aus – nicht >physei<, sondern >thesei<, sind Produkte der Rechtsordnung und diese schaffen die Menschen. Die Familie ist, so seltsam ihnen das klingen mag, als Institution, an die sich bestimmte Rechte und Pflichten knüpfen, ein Produkt der Rechtsordnung, und je nach Rechtsordnungen, die in den einzelnen Epochen und einzelnen Gegenden gelten, ist die Familie etwas vollkommen anderes, und es knüpfen sich an gleiche biologische und soziologische Tatbestände verschiedene Rechtsfolgen.“ (Carlo Schmid (SPD) im Parlamentarischen Rat 7.12.1948, zit. nach Buske 2004: 205).
Nachdem im Nationalsozialismus institutionelle Merkmale nachrangig gegenüber der biologischen Abstammung gewertet wurden, verlegte sich die Feststellung biologischer Abstammung auf eine Form psychischer Notwendigkeit oder als Merkmal der Persönlichkeit. Gleichzeitig wurden Ehe und Familie durch den Einfluss der katholischen Kirche wieder aufgewertet und als „Träger des Staates“ bezeichnet (vgl. Buske 2004: 212). Die Abstammungsbeziehung, die nun nicht mehr dem Beleg einer nach rassistischen Gesichtspunkten einwandfreien Herkunft dienen sollte, musste nun als Merkmal einer individuellen Identitätsbestimmung bezeichnet werden. Dies stand im engen Bezug auf die Feststellung einer väterlichen Verwandtschaft. Die „Einrede des Mehrverkehrs“, um nicht verheiratete Väter vor Unterhaltspflichten zu bewahren, wurde rechtlich erhalten und erst 1969 abgeschafft. Damit etablierte sich erneut eine moralische Dimension der Elternschaft. „Der ‚Lebenswandel‘ einer unverheirateten Mutter konnte in Unterhaltsprozessen zur Entscheidungsgrundlage für Alimentationsansprüche des Kindes werden. Stellten die Richter moralische Verfehlungen in bezug auf ihr Sexualverhalten fest, wurde dies durch den Verlust des Anspruchs auf Alimente negativ sanktioniert. Die
2.8 Das Recht auf Kenntnis der Abstammung in historischer Perspektive
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Taktik der Beklagten vor Gericht bestand oft darin, die Ehre und Glaubwürdigkeit der Frauen in Frage zu stellen.“ (Buske 2004: 213)
1958 urteilte das BVerfG erstmals über die Verfassungsmäßigkeit des Statusverfahrens und lehnte sich an die damalige soziologische Auffassung grundlegender Differenz zwischen ehelichen Familien und der Gemeinschaft der ledigen Mutter mit dem Kind an. Gleiche Bedingungen zu schaffen, müsse demnach heißen, dass die Situation des nichtehelichen Kindes möglichst gleichwertig wie die des ehelichen gestaltet wird, und bedeute im vorliegenden Falle, dem Kind Gewissheit über seinen Vater zu ermöglichen. Dies galt als Anweisung an den Gesetzgeber. Bis 1961 gab es dennoch keine rechtliche Grundlage für Statusverfahren nichtehelicher Kinder. Mit dem Familienrechtsänderungsgesetz wurde die Vorschrift des §644 ZPO angeglichen und zudem das Anfechtungsrecht des Staatsanwaltes abgeschafft. Damit hatten nichteheliche Kinder die Möglichkeit, mit Hilfe der Beweisermittlung von Amts wegen eine Vaterschaftsfeststellung durchzusetzen, und eine Vaterschaftsanfechtung seitens des Staatsanwaltes war nicht mehr möglich. Die Bundesregierung sah dieses Eingriffsrecht des Staates als nicht mehr gerechtfertigt an: „Es gibt kein offensichtliches Interesse an der Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes. Der NS-Staat hatte ein politisches Interesse daran. Dieses Interesse besteht nicht mehr.“ (Ausschuss für Familien- und Jugendfragen, zit. nach Buske 2004: 234)
Zeitgleich wurde das private Anfechtungsrecht erweitert: Das Kind erhielt ein Ehelichkeitsanfechtungsrecht, das jedoch auf Fälle beschränkt war, in denen die Ehe der Mutter unheilbar zerrüttet oder beendet war. Die Mutter erhielt kein Anfechtungsrecht. „Die Aufdeckung der Scheinehelichkeit eines Kindes sollte allerdings in erster Linie in die Hand des Scheinvaters, unter bestimmten Umständen auch in die seiner Eltern und als letztes in die des Kindes gelegt werden.“ (Meyer 2005: 50) „Die biologische Abstammung hatte damit wieder einen (nur auf persönlichkeitsrechtliche Aspekte gestützten) hohen Stellenwert.“ (Meyer 2005: 51)
1969 wurde die Vorschrift abgeschafft, nach der nichteheliche Kinder als nicht mit ihren Vätern verwandt galten. Damit wurde die Verwandtschaft von Vater und Kind unabhängig vom Ehestatus etabliert. Erst 1988 und 1989 urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Dieses Urteil stand im Kontext einer öffentlichen Debatte um die Zulässigkeit heterologer Insemination. Der Beschluss des BVerfG von 1988 ergab einen Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegenüber seiner Mutter auf Nennung des biologischen Vaters. Im Urteil von 1989 entschied das BVerfG, dass die Regelung der Ehelichkeits-
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
anfechtung als verfassungswidrig zu bewerten sei. 1997 revidierte das BVerfG seine Einschätzung im Hinblick auf das Verhältnis des Rechts des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zum Recht der Mutter auf Wahrung der Intimsphäre. Die Gerichte hätten, so das BVerfG, einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieses Urteil war in Folge mehrerer Klagen von Jugendämtern im Namen minderjähriger Kinder ergangen. Die Jugendämter, zu diesem Zeitpunkt automatisch mit der Beistandschaft für ein nichteheliches Kind ausgestattet, klagten teilweise gegen den ausdrücklichen Willen der Kinder gegen die Mütter auf Nennung des biologischen Vaters. Ziel dieser Klagen der Beistände (bzw. damals „Amtsvormund“ genannt) war in weiten Teilen die Erlangung von Unterhaltsrückzahlungen oder der Vermeidung der Zahlung von Unterhaltsvorschuss (vgl. Meyer 2005: 26-31). Begründet wurden diese Klagen jedoch mit dem Persönlichkeitsrecht des Kindes. Mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 erhielten Kinder ein sachlich unbeschränktes Anfechtungsrecht. Nach Angaben von Schwab (2006) wurde in den Beratungen zur Kindschaftsrechtsreform diskutiert, dem Kind zusätzlich zur Vaterschaftsanfechtung eine „rechtsfolgenlose“ Klärung der Vaterschaft zu ermöglichen, die zu diesem Zeitpunkt jedoch verneint wurde. Der Autor merkt dazu an, dass das Kind die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung mit dem Verlust des „Scheinvaters“ „bezahlt“ und erwähnt die Auffassung, es schieße „über das Ziel hinaus“, wenn das Kind nur durch eine Vaterschaftsanfechtung sein Recht auf Kenntnis der Abstammung verwirklichen kann (Schwab 2006: 241). Hier wurde ein eigenständiges Feststellungsverfahren noch auf die Interessen des Kindes gestützt. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die biologische Abstammungsbeziehung zwischen Vater und Kind und die Ehe sowohl in einem Spannungsverhältnis zueinander standen, als auch sich gegenseitig gestützt haben. Je mehr Gewicht die Abstammungsbeziehung erhielt, desto weniger wichtig wurde die Ehe als Legitimation der Vaterschaft. Es lassen sich sowohl behördliche Interessenlagen der Vaterschaftsfeststellung (zur Gewinnung von Unterhaltspflichtigen) als auch individuell zugeschriebene Interessen (Vaterschaftskenntnis als Persönlichkeitsmerkmal) festhalten. Mit Ausnahme des Nationalsozialismus wurde die biologische Beziehung im Sinne einer Rassen- oder Abstammungsideologie und damit im Sinne der Abstammungsbeziehung als „Zugehörigkeitsmerkmal“ kaum thematisiert. Bis in die 60er Jahre wurde Vaterschaft ausschließlich über die Ehe mit der Kindesmutter hergestellt. So entstand nicht nur eine über die Mutter vermittelte Rechtsbeziehung zum Kind, sondern die normative Koppelung von Ehe und Elternschaft wurde dadurch manifestiert. Umgekehrt gab es für nicht verheiratete Väter keine Motivation, ihre biologische Beziehung zum Kind auf andere Weise
2.9 Abstammung und Vaterschaft: Überblick über europäische Vergleichsstaaten
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als durch Ehe zu gewährleisten. Nicht verheiratete Eltern genossen kein gesellschaftliches Ansehen, daher konnten aus einer „nichtehelichen“ Vaterschaft allenfalls finanzielle Verpflichtungen entstehen. Dieser konnten Väter, wie bereits ausgeführt, bis 1969 durch die sogenannte „Einrede des Mehrverkehrs“ entgehen. Durch eine moralische Verurteilung der Mutter wurde damit jede Verpflichtung des Vaters beendet. Die biologische Beziehung hatte in diesem Zusammenhang kaum Bedeutung. In der Folgezeit wurde vor allem durch die Amtsvormünder der nichtehelichen Kinder ein stärkeres Interesse an der Realisierung väterlicher Unterhaltszahlungen generiert. In diesem Zusammenhang gab es verschiedene Verfahren der Vaterschaftsfeststellung. Eine biologische Vaterschaftsfeststellung wurde auch in diesem Zusammenhang kaum privat angestrebt, wenn, dann nur um finanziellen Verpflichtungen zu entgehen. Vorrang vor einer biologischen Vaterschaft hatte dennoch die eheliche Vaterschaft mit „Abstammungsvermutung“.29 2.9
Abstammung und Vaterschaft: Überblick über europäische Vergleichsstaaten
Zum Thema der Abstammungskenntnis lassen sich die folgenden Regelungsbereiche abgrenzen. Ein Kind macht sein Recht auf Abstammungskenntnis in der Regel im Fall einer anonymen Geburt, einer Adoption oder einer heterologen Fertilisation geltend. In diesen Fällen gibt es einen Anlass, die eigene biologische Abstammung anzuzweifeln, und gegebenenfalls eine Motivation, diese herauszufinden. Mutterschaft wird in den meisten Fällen über die Geburt hergestellt, daher ist die Abstammung des Kindes nicht in erster Linie genetisch begründet. Spickhoff äußert sich dazu: „[…] – der Konflikt [werde, S.S.] gewissermaßen zwischen zwei biologischen Müttern zugunsten der gebärenden und nicht der genetischen Mutter entschieden. Derzeit lässt sich ein Embryo außerhalb des Mutterleibes noch nicht vollständig entwickeln. Sonst käme es auf die genetische Mutter an.“ (Spickhoff 2007: 15)
Möchten Väter die Abstammung ihres Kindes erfahren, erfolgt dies in der Regel im Rahmen einer Vaterschaftsanfechtung oder der Erlangung einer Vaterschaft. Ein gesondertes Verfahren zur Abstammungskenntnis ist bisher nur in Deutsch29 Zwar ist die genetische Abstammungsfeststellung erst seit etwa fünf Jahren technisch kostengünstig durchzuführen. Dennoch wurde sowohl im Nationalsozialismus als auch danach mittels verschiedener Verfahren (Blutgruppenvergleiche, Vermessungen) versucht, biologische Abstammung festzustellen. Dies verdeutlicht, dass es jeweils vom technischen Fortschritt abhängt, als wie zuverlässig ein Verfahren gilt (vgl. Buske 2004).
76
2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
land etabliert. Der Gesetzentwurf zur Klärung der Abstammung benennt es selbst: „Regelungen, die einen Anspruch auf Einwilligung in die Durchführung einer privaten genetischen Abstammungsuntersuchung vorsehen, sind bisher nicht bekannt geworden.“ (Regierungsentwurf 2007: 10)
Eine im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durchgeführte Länderabfrage ergab folgenden Stand (2007): In Österreich, Belgien, Tschechien und Ungarn sind heimliche Vaterschaftstests nicht geregelt. In Luxemburg, Frankreich und den Niederlanden sind heimliche Tests verboten. Gleiches gilt für Irland und Finnland. Die Verbote sind entweder durch eine Einwilligungserfordernis oder durch datenschutzrechtliche, zivil- oder familienrechtliche Gesetze reguliert. Frank/Helms (2007) bezeichnen das deutsche, von der Vaterschaftsanfechtung abgetrennte Verfahren als einzigartig auf der Welt und bewerten es daher kritisch. Unterschiede im europäischen Raum gibt es vor allem hinsichtlich der Vorschriften zur Durchführung von Tests, teilweise können diese nur auf richterliche Anordnung mit Einwilligung der Betroffenen durchgeführt werden, teilweise reicht ein privater Test, sofern dieser mit Einwilligung vorgenommen wird. Die Fokussierung auf die biologische Abstammung lässt sich jedoch in den Vergleichsstaaten in unterschiedlichem Ausmaß feststellen, zudem finden sich in einigen Staaten explizit soziale Regulierungen der Elternschaft. Im Folgenden werden daher England, Frankreich und Österreich verglichen, da diese jeweils unterschiedliche Schwerpunkte der Definition von Elternschaft setzen. In einem abschließenden Abschnitt wird auf Besonderheiten weiterer europäischer Staaten Bezug genommen, die jeweils unterschiedliche Konzeptionen der Vaterschaft sowie deren Anfechtung und Feststellung offenbaren. 2.9.1
Vaterschaft in England: Die genetische Wahrheit zählt
Lowe (2007) beschreibt das englische System der Abstammungsregulierung als vergleichsweise streng und von deutlichen Unterschieden zum kontinentaleuropäischen Recht gekennzeichnet. Eine ‚freiwillige‘ Anerkennung der Vaterschaft gibt es in England rechtlich nicht, auch wenn sie faktisch durchgeführt wird. Der Mann, der Vater eines Kindes sein will, ist in der Pflicht zu beweisen, dass er tatsächlich biologischer Vater des Kindes ist. Der Schwerpunkt der Vaterschaft liegt auf dem Primat der biologischen Beziehung. Entsprechend dieses Primates ist auch die Anfechtung der Vaterschaft jederzeit möglich und durch geringe Anfechtungshürden gekennzeichnet.
2.9 Abstammung und Vaterschaft: Überblick über europäische Vergleichsstaaten
77
Es gilt außerdem die „Ehelichkeitsvermutung“, wie in allen europäischen Staaten, dass zunächst der Ehemann der Mutter als Vater eines Kindes gilt. Wird die Vaterschaft angefochten, ordnet das Gericht einen Test an, zu dem ein Erwachsener nicht gezwungen werden kann, wohl aber ein Kind. Und so stellt Lowe (2008: 320) fest: „Succession apart, English law tends to provide for descent by placing obligations or responsibilities on the parents rather than by conferring rights upon the child.“ (Lowe 2008: 320)
2.9.2
Frankreich: Statusbesitz als zweite Vaterschaftsbestätigung
In Frankreich ist die Debatte um „heimliche Vaterschaftstests“ nicht akut, denn bereits bei deren Aufkommen haben sowohl die Ärztekammer als auch der nationale Ethikrat davor gewarnt, dass diese Tests nur gerichtlich angeordnet durchgeführt werden dürfen (Ferrand 2007: 104). Eine genetische Feststellung der Abstammung ist nur mit ausdrücklicher Zustimmung der betroffenen Personen möglich und darf nicht unter Zwang erfolgen. Weigert sich eine Person gegen den Test, so darf der Richter aus dieser Weigerung Schlüsse ziehen. In Frankreich wurde das Kindschaftsrecht 2005 reformiert. Anonyme Geburten sind möglich und es gilt die Ehelichkeitsvermutung für die Vaterschaft. Bei der Geburt eines Kindes werden Vater und Mutter als Eltern eingetragen, ob sie verheiratet sind oder nicht. Eine Besonderheit stellt die sogenannte „possession d’état“ (Statusbesitz) dar, eine eindeutig soziale Konzeption von Elternschaft (vgl. Ferrand 2007: 99 ff.). Der Statusbesitz wird an eine Sammlung von Fakten gebunden: Das Kind wird von seinen Eltern wie ein eigenes Kind behandelt, die Eltern sorgen für seine Erziehung und seinen Unterhalt, die öffentliche Gewalt sieht das Kind als Kind dieser Eltern an und das Kind trägt den Namen der Eltern. Ist der Statusbesitz erfolgt, entfällt die Möglichkeit einer Vaterschaftsanfechtung fünf Jahre nach der Statuserlangung. Egal, ob das Kind ein biologisch eigenes ist oder nicht, bleibt die Elternschaft damit erhalten. Eine weitere Besonderheit ist, dass sowohl Mutter als auch Vater des Kindes eine Anerkennung durchführen müssen, sofern sie nicht verheiratet sind, dies ist der Möglichkeit der anonymen Geburt geschuldet. Der französische Court de Cassation hat entschieden, dass bei einer Vaterschaftsanfechtung der DNA-Test nicht fakultativ ist, sondern durch das Gericht durchgeführt werden soll, sofern nicht ein berechtigter Grund (z.B. Inzest) dagegen spricht. Das Interesse des Kindes ist demgegenüber nicht relevant. Bei einer
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2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
Statusbesitzklage muss der DNA-Test nicht durchgeführt werden, da der Statusbesitz auf „gefühlsmäßiger Wahrheit“ beruht (vgl. Ferrand 2007: 117). 2.9.3
Österreich: keine Regelung heimlicher Tests
Orel (2008) hat, ohne das hier untersuchte Urteil einzubeziehen, Österreich, Schweiz und Deutschland im Hinblick auf die Vaterschaftsklärung untersucht. Sie stellt die Relevanz heimlicher Vaterschaftstests in den Zusammenhang mit den Hürden der Vaterschaftsanfechtung. In Österreich dürften, so Orel, auch rechtswidrig erlangte Beweismittel im Verfahren verwendet werden. Darüber hinaus bedarf es beim österreichischen Verfahren zur Beseitigung einer rechtlichen Vaterschaft keines hinreichenden Anfangsverdachtes. Die Beseitigung der Vaterschaft führt allerdings automatisch dazu, dass der zuvor benannte, sofern es einen gibt, Vater wieder zum Vater des Kindes wird (der sogenannte „Wechselvater“, Orel 2008: 88). Im Verfahren besteht Untersuchungszwang (vgl. Orel 2008: 90 f.). Private Abstammungsgutachten sind, so die Bundesregierung in ihrer Länderabfrage, in Österreich rechtlich nicht reguliert, werden aber, so die Bundesregierung, als unzulässig bewertet (Deutscher Bundestag 2007b: 09). Es gibt daher verschiedene Auffassungen zur Frage der Verwertbarkeit eines rechtswidrig erlangten Gutachtens im Verfahren. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Gutachten nicht reguliert sind. Ferrari (2007) hält fest, dass das österreichische Recht über eine breite Palette der Abstammungsregulierung verfügt, nach Auffassung der Autorin des vorliegenden Buches sogar nahezu die breiteste. Das vaterschaftsdurchbrechende Anerkenntnis, die Vaterschaftsanfechtung und der sogenannte Vätertausch machen deutlich, dass hier ein Schwerpunkt auf den Erhalt eines rechtlichen Vaters gelegt wird. 2.9.4
Die Natur als Quelle des Rechts: Abstammung und Elternschaft
Die vorliegenden Beispiele verdeutlichen, dass die Regulierung von Eltern-KindBeziehungen und damit auch die Anfechtungs- und Feststellungsregelungen unter anderem der Sichtweise auf Elternschaft und damit einer moralischen Einschätzung von deren Bedeutung unterworfen sind. Ein weiteres Beispiel kann Italien bieten, wo bis vor kurzem die Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen war, wenn der Vater den ‚Ehebruch‘ der Mutter nicht beweisen konnte. Hier findet sich also eine enge Anknüpfung von Elternschaft und moralischem Verhalten.
2.10 Zwischenfazit: Die Konstituierung von Familie durch Recht
79
Darüber hinaus scheinen Abstammungstests bzw. deren heimliche Durchführung in Abhängigkeit von den Anfechtungshürden und der staatlichen Macht, Tests durchzuführen, Relevanz zu erlangen. Es wird deutlich, dass Frankreich beispielsweise ein deutlich höheres Gewicht auf die soziale Elternschaft legt als England. Das Zitat von Spickhoff verdeutlicht die in Deutschland zunehmende Relevanz einer naturwissenschaftlichen Konzeption von Elternschaft. Anna Singer stellt dieses Verhältnis aus schwedischer Perspektive in die Kritik: „Nature is not a good source for law. The purpose and function of parental law must therefore be examined from partly new advantage point. There is an agreement that the law on parenthood should protect the interest of the child. The question today is which interest – the interest of having legal parents, good parents or knowledge of origin” (Singer 2007: 148).
Im Folgenden stellt sich daran anschließend die Frage, wer die Interessen von Kindern schützt und welche Interessen von Kindern unter Nichtberücksichtigung möglicher anders gelagerter Interessen dem zum Opfer fallen. 2.10 Zwischenfazit: Die Konstituierung von Familie durch Recht Die vorangegangenen Ausführungen lassen die folgenden Schlüsse zu: Familie ist eine Institution, die sowohl international als auch historisch Veränderungen unterworfen ist, diese Veränderungen zeichnen sich unter anderem im Familienrecht ab. Die Konstruktion der Abstammungsbeziehungen von Familien im gegenwärtigen Recht orientieren sich zunächst an zwei Merkmalen: erstens die Geburt seitens der Mutter, zweitens die Ehe des Mannes mit der Mutter. Weitere Unterscheidungsperspektiven lassen sich dann nach der Orientierung an sozialer oder biologischer Vaterschaft erkennen, wobei, so scheint es zunächst, die biologische Vaterschaft gegenüber der sozialen an Bedeutung gewinnt. Im historischen Vergleich zeigt sich nach dem Ende des Nationalsozialismus eine deutliche Abkehr von der biologischen Vaterschaft als Desiderat der öffentlichen Ordnung. In einem zweiten Schritt wird die biologische Vaterschaft zum Merkmal der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes erklärt und auf diesem Wege als bedeutsam formuliert. Im europäischen Vergleich zeigen sich unterschiedliche Schwerpunkte der Vaterschaftsdefinition, die von einer Fokussierung auf die genetische Vaterschaft (wie in England) bis hin zu einer „Doppelexistenz“ von biologischer und sozialer Vaterschaft (wie in Frankreich) reichen.
80
2 Recht und Macht – die Untersuchung von Legitimation und Ungleichheit
Wie hat sich die Entwicklung der Vaterschaft im Bezug auf das Kindschaftsrecht in Deutschland so entwickelt, dass sich derzeit ein Fokus auf die biologische Vaterschaft erkennen lässt? Diese Frage wird in einem ersten Rekonstruktionsprozess im folgenden Abschnitt beantwortet.
3 Legitimität und Macht: Diskursanalyse
Wann ist ein Vater ein Vater? Mit dem Begriff der Vaterschaft ist, wie mit Mutterschaft oder Kindheit, eine bestimmte Deutung verbunden, die in der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung als Wahrheit gilt. Dennoch bedarf es eines Tests, um diese Deutung zu legitimieren, dies legt der Vaterschaftstest nahe. Die Vaterschaftsfeststellung ist ein mehrfach besetztes Thema, das sich sowohl auf die private wie auf die öffentliche Ebene bezieht. Die heutige Form des genetischen Vaterschaftstests und seine Legitimierung in Form eines Gesetzes sind nicht natürlich vorgegeben, sondern bedurften eines langfristigen Klagevorganges einer Einzelperson bis hin zu einer Beschwerde vor dem höchsten nationalen Gericht. Die „Deutung“ des Vaterschaftstests wurde damit von dieser Instanz vorgenommen und seine „Bedeutung“ legitimiert. Mittels der Diskursanalyse lässt sich untersuchen, wie der Vaterschaftstest die Bedeutung gewonnen hat, dass beispielsweise die genetische Abstammungsinformation als Wahrheit über die Vaterschaft gilt. Die Diskursanalyse nach Foucault untersucht, abstrakter ausgedrückt, wie bestimmte Deutungsstrukturen Geltung erlangt haben. Diskurse sind Konflikte um legitime Deutungen und beschreiben einen Wandel oder ein Fortbestehen dieser Deutungen. Indem Foucault Wissen untrennbar mit Macht verknüpft, verleiht diese Legitimität Macht und produziert Macht. Mit Schwab-Trapp (2006) kann festgehalten werden, dass die soziologische Diskursanalyse den Wandel der Deutungsmuster untersucht. Die Abstammungsfeststellung ist in der Konsequenz mit machtförmigen Strukturen verbunden. Familienmitglieder erhalten die Möglichkeit, einander zu kontrollieren, und diese Möglichkeit fällt überwiegend zugunsten einer Kontrollmöglichkeit des Vaters aus. Diese Strukturen, ihre Rahmen und ihre Auswirkungen auf Machtverteilungen bzw. Strukturerhalt lassen sich fallspezifisch durch Diskursuntersuchung abbilden. Nicht zuletzt sind es die Diskursformationen zu Kindheit, Vaterschaft und Identität, die in der rechtlichen Regulierung der elterlichen Abstammung in einer bestimmten Form reifiziert werden.
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
82 3.1
3 Legitimität und Macht: Diskursanalyse
Diskurs als Konflikt um Deutung
Schwab-Trapp geht nach den folgenden Parametern vor, um die soziologische Diskursanalyse zu präzisieren: Das Produkt eines Diskurses, die legitime Sichtweise zu einem Problem oder Phänomen, ist die diskursive Formation. Die diskursive Formation ist also die dominante Sichtweise, die Geltung erlangt hat. Diskursformationen organisieren Diskurse, die in Konkurrenz, Dominanz oder Koalitionsbeziehungen zueinander stehen. Dabei identifiziert Schwab-Trapp drei Strategien der Organisation: den Verweis auf historische Ordnungen, die Verdichtung zu legitimen Sichtweisen und die Aufnahme und Fortführung bereits bestehender Deutungen. Diskurse entfalten damit ein doppeltes Legitimierungspotenzial, das sie für die Soziologie zu einem fruchtbaren Informationsträger macht: Indem sie kollektive Deutungen produzieren, sind sie legitime Deutungen, können aber auch als legitimierungsfähige Deutungen verwendet werden, da sie kollektive Bedeutungsmuster institutionalisiert haben. Keller (2006) geht im Anschluss an Foucault davon aus, dass Diskurse zeitweilig gültige Bedeutungsarrangements sind, deren Status durch soziale Praktiken fortgesetzt oder verändert werden. Entscheidend ist ihr institutionalisierter Status als ‚Wahrheit‘ oder als ‚legitime Bedeutung‘, der ihnen Geltung verschafft. In der Diskursanalyse geht es um die Rekonstruktion der Mechanismen, die zum Auftauchen bestimmter Aussagen an bestimmten Stellen führen (Keller 2004). „Diskurse sind institutionalisierte, nach verschiedenen Kriterien abgrenzbare Bedeutungsarrangements, die in spezifischen Sets von Praktiken (re)produziert und transformiert werden. Sie existieren als relativ dauerhafte und regelhafte, d.h. zeitliche und soziale Strukturierung von (kollektiven) Prozessen der Bedeutungszuschreibung.“ (Keller 2006: 205)
Der Vorgang der Etablierung von Diskursen verläuft über den Prozess der diskursiven Verknappung, das heißt, dass bestimmte Aussagen zu bestimmten Zeitpunkten an bestimmten Orten auftauchen und ihre Emergenz Regeln folgt. Damit entstehen „Wahrheiten“, die andere Aussagen unsagbar machen oder dazu führen, dass andere Aussagen keine Gültigkeit haben. Es gibt damit im Ergebnis zeitweilig nur eine Wahrheit, weitere Wahrheiten werden ausgeblendet, nicht thematisiert, also verknappt. „Die Diskursanalyse zielt auf die Rekonstruktion der institutionell-praktischen, symbolisch-semantischen Verknappungsmechanismen, die zum Auftauchen spezifischer Aussagen an bestimmten Stellen führen. Nicht alles, was sich sagen ließe, wird gesagt; und nicht überall kann alles gesagt werden. Dass jeweils gerade eine spezifische Art von Aussagen (énoncés) und keine anderen auftreten, lässt sich durch die erwähnten Regeln, die Foucault ‚Formationsregeln‘ nennt, erklären. Sie
3.1 Diskurs als Konflikt um Deutung
83
strukturieren, welche Aussagen überhaupt in einem bestimmten historischen Moment an einem bestimmten Ort erscheinen können. Solche diskursiven Formationen (Diskursformationen) beziehen sich im Sinne seiner wissenssoziologischen Perspektive nicht auf die gegenstandsangemessene Beschreibung außerdiskursiver Objekte, sondern sie stellen diese her …“ (Keller 2007: 45).
Schwab-Trapp (2006) bezeichnet die Deutungsangebote, die in diskursiven Konflikten stattfinden, als Deutungsangebote, die auf bestimmte Techniken der Legitimierung zurückgreifen, beispielsweise der „Leugnung der Unschuld des Opfers“ oder der „historischen Kontextualisierung“. Es soll vorliegend im Besonderen untersucht werden, welche Legitimierungsstrategien angesichts einer juristischen Auseinandersetzung angewendet werden und welche im Ergebnis zur dominanten Deutung führen. Gibt es angrenzende Diskursfelder, auf die bewusst Bezug genommen wird oder die, obwohl naheliegend, bewusst ausgelassen werden, um Legitimität nicht zu gefährden? Die Arena der Auseinandersetzung, das diskursive Feld, ist der juristische Kampf um Deutung anhand konkreter Auslegung der Grundrechte. Bedeutsam für das methodische Vorgehen ist, dass der juristische Diskurs ein Fachdiskurs ist, dessen Deutungsmacht sich zum einen aus der regulatorischen Funktion von Recht ergibt, zum anderen durch eine mit festgelegten Bedeutungsstrukturen durchsetzte Sprache. Grundrechte nehmen jedoch schon in ihrer Funktion direkt auf gesellschaftliche Realität Bezug und bauen daher nicht, wie beispielsweise das Unterhaltsrecht, systematisch auf anderen Gesetzen auf. Die Grundrechte, die Verfassung, bilden das Grundgerüst, den Bezugsrahmen für andere Gesetze und legen die ‚Verfassungsmäßigkeit‘ eines Gesetzes im Einzelfall aus. Sie müssen damit die wesentliche Matrix der Gerechtigkeit der deutschen Gesellschaft bilden. Mit Gerechtigkeit ist ein wesentlicher Aspekt der Legitimierung angesprochen. Mit der Zuschreibung der „Verfassungsgerechtigkeit“ bzw. der Urteilsfähigkeit darüber an das Bundesverfassungsgericht kann das BVerfG als diskursive Elite gelten. Das BVerfG ist daher ein Diskursakteur, der über besondere Autorität verfügt, gleichzeitig bezieht es aber, über die Stellungnahmen, auch andere Akteure in die Auseinandersetzung mit ein. Damit können die Verbände als diskursive Elite gelten, wenn auch gewissermaßen eine Elite ‚zweiter Ordnung‘. Für die soziologische Diskursanalyse ist von Bedeutung, dass es sich dabei um Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn, d.h. von Deutungsmustern, handelt. Es geht dabei um die Rekonstruktion dieser Prozesse auf der Ebene von kollektiven Akteuren (Institutionen, Organisationen) im Sinne von zusammenhängenden Strukturen und nicht als einzelne Aussageereignisse (vgl. Keller 2004, 205).
84
3 Legitimität und Macht: Diskursanalyse
„Nicht jede(r) erfüllt die Kriterien und verfügt über die Ressourcen oder Kapitalien, die für die Teilnahme an einem spezifischen Diskurs vorausgesetzt sind. Und auch spezifische Definitionen der Wirklichkeit, die ein Diskurs vorgibt, schließen andere Varianten aus. Insoweit verweist der Diskursbegriff unmittelbar auf den Begriff der Macht. Diskursstrukturen sind zugleich Machtstrukturen; diskursive Auseinandersetzungen sind machthaltige Konflikte um Deutungsmacht.“ (Keller 2004: 207)
3.2
Akteure in der wissenssoziologischen Diskursanalyse
Foucault (1976) hat in seinen Analysen Handlungsmotivationen und Akteure, sowie deren Beziehungen zueinander insofern ausgelassen, als dass sie als Produzenten von Diskursen nicht vorkommen. Diskurse entwickeln nach Foucault eine eigenständige, nicht steuerbare Emergenz. Diese Perspektive würde für die vorliegende Forschung zu kurz greifen, da Handlungsintentionen in diesem Fall von besonderer Bedeutung sind: Der Prozess der Auseinandersetzung in einem Gerichtsverfahren, die Intentionen der streitenden Parteien und deren Konfliktgeschichte können nach Ansicht der Verfasserin im vorliegenden Fall nicht ausgelassen werden. Die Bindung der produzierten Diskurse an Akteure ermöglicht es, die politische Relevanz des Vorganges zu verdeutlichen. Schwab-Trapp (2006) bindet die Akteure als „Trägergruppen konkurrierender Deutungen“ ein. Keller (2006) geht in seinem Konzept der „wissenssoziologischen Diskursanalyse“ einen Schritt weiter. Entgegen einer lange postulierten Unvereinbarkeit von konstruktivistischen, eher auf Interaktion konzentrierten Ansätze und der strukturalistisch orientierten Diskursanalyse wird in den letzten Jahren unter anderem von Keller (z.B. 2007), aber auch von Waldschmidt (2004) die Anschlussfähigkeit von Diskursanalyse und Wissenssoziologie festgestellt. Dies liegt nicht fern, da beide die Herstellung von Realität durch Interaktion oder Sprache und Sinnsysteme annehmen. Die wissenssoziologische Diskursanalyse verbindet die Theorie der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit nach Berger/Luckmann30 und den Symbolischen Interaktionismus mit dem Diskursbegriff von Foucault. Damit lässt sich ein diskursanalytischer Zugang mit der Idee von kollektiven Akteur/innen in Machtbeziehungen mit Positionen, Intentionen und einer Diskursgeschichte mit dem eher sprachwissenschaftlich orientierten poststrukturalistischen Diskursbegriff verbinden. „Die Wissenssoziologische Diskursanalyse untersucht diese gesellschaftlichen Praktiken und Prozesse der kommunikativen Konstruktion, Stabilisierung und Transfor30
Keller (2006) schreibt, dass auch der Arena-Ansatz von Strauss oder der Bezug auf den symbolischen Interaktionismus anschlussfähig an die Diskursanalyse wären.
3.2 Akteure in der wissenssoziologischen Diskursanalyse
85
mation symbolischer Ordnungen sowie deren Folgen: Gesetze, Statistiken, Klassifikationen, Techniken, Dinge oder Praktiken bspw. sind in diesem Sinne Effekte von Diskursen und ‚Voraus‘-Setzungen neuer Diskurse. Der Wissenssoziologischen Diskursanalyse geht es dann darum, Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren.“ (Keller 2007: 57)
Die Bindung des Diskursbegriffes an die Wissenssoziologie legt den Schwerpunkt der Diskursanalyse zum einen auf die kollektiven Akteur/innen als Produzent/innen der Diskurse und zum anderen auf die durch die Diskurse geschaffenen Verhältnisse. Die Diskursanalyse erfährt ihren Wert für die Soziologie erst durch die Anbindung an die Auswirkungen auf gesellschaftliche Realität. Der Akteursbegriff legt das Augenmerk zudem auf implizite oder explizite Diskurskoalitionen (vgl. Keller 2007: 63). An anderer Stelle geht Keller sogar weiter und definiert die wissenssoziologische Diskursanalyse nur als Wissenssoziologie, die um ein Kapitel der Diskursanalyse ergänzt wurde (Keller 2006). „Das tatsächliche Geschehen ist dabei keine direkte Folge der zugrunde liegenden Strukturen, sondern Ergebnis des aktiv-interpretierenden Umgangs sozialer Akteure mit diesen Mustern. Deswegen unterscheidet sich der konkrete Sprachgebrauch mit seinen Möglichkeiten der Welt(um)deutung von den starren Systemen des Strukturalismus.“ (Keller 2007: 9)
Für die vorliegende Forschungsfrage ist die Frage der aktiven Sinnkonstruktion insofern relevant, als dass sich die Akteure/Diskursteilnehmer/innen einerseits auf unterstellte Motive und Handlungen im konkreten Fall beziehen und diese generalisieren und andererseits selbst aus einer bestimmten historischen Entwicklung oder Motivation heraus handeln. Die Motive der Verbände und der Parlamentarier/innen, sowie deren Verhandlung oder Auseinandersetzung um die Legitimierung der eigenen Position legen es nahe, die Akteure in die Analyse einzubeziehen. Jedoch ist dies nicht bei allen Diskursteilnehmer/innen der Fall. Das Bundesverfassungsgericht tritt bewusst als kollektiver Akteur auf, der außer dem Motiv, die Verfassungsgerechtigkeit herzustellen und zu verteidigen, augenscheinlich keine subjektiven Interessen vertritt. Wenn aus dieser Deutung bestimmte Strukturen reifiziert werden, geschieht dies nicht mit dem Motiv, diese Strukturen zu stützen oder zu erhalten. Das BVerfG kann daher die Objektivierung von Diskursen und Deutungsarrangements in besonderer Weise forcieren und hat daher im Ergebnis, wenn mit dem Urteil die legitime Deutung feststeht, eine Intention verwirklicht. Für die Analyse ist der Ansatz damit in mehrfachem Sinne nutzbar. Der Verhandlungsprozess, reduziert auf das Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, stellt einen Prozess diskursiver Verknappung im engeren
86
3 Legitimität und Macht: Diskursanalyse
Sinne dar. Beschwerdeführer und stellungnehmende Verbände und Institutionen können als kollektive Akteure verstanden werden, die mit ihrer Deutung von Welt hinsichtlich der Legitimation „heimlicher Vaterschaftstests“ und damit ihrer Vorstellung von Geschlecht, Familie und Kindheit um Deutungshoheit kämpfen. Das Bundesverfassungsgericht, als höchstes Gericht und Verfassungsorgan, entscheidet über die Geltung dieser Aussagen und hält damit die sozial wirksamste Deutung fest. 3.3
Diskurse und soziale Typik
Bei Diskursen handelt es sich um „Beobachterunterstellungen“ (Keller 2004: 206), nicht um ontologische Gegebenheiten. Die von mir durchgeführte Interpretation kann damit nur eine Lesart des Vorganges sein, dessen Konsequenzen nahe liegen. Auch Schwab-Trapp grenzt die Generalisierbarkeit der Diskursanalyse in der Soziologie ein. Die Analyse eines Falles kann zunächst nur für diesen Fall gelten und in einem zweiten Schritt als Vermutung für die Strukturierung anderer Fälle bestehen. Hier wird daher der Prozess des Verhandelns im engeren Sinne in einer Analyse der Aussagen, Bilder, diskursiven Verknappungen, Koalitionen und Deutungen abgebildet und versucht, die Lücken darzustellen und Ungesagtes aufzudecken. In einem weiteren Schritt werden die angrenzenden Diskursfelder im Hinblick auf ihre Wechselwirkungen mit dem Diskurs um Vaterschaftstests im Kindschaftsrecht abgesteckt. Das bedeutet zum einen, dass die rechtlichen/ potenziellen Auswirkungen ermittelt werden. Zum anderen bedeutet dies, dass die diskursiven Verzahnungen und ihre politischen Auswirkungen, die sich um die Begriffe Vaterschaft, Sicherheit/Unsicherheit, richtige und falsche Kinder, Wissen/Unwissen gruppieren, dargestellt werden. Im genealogischen Sinne wird ein Teil der Entwicklungsgeschichte des Kindschaftsrechts seit 1998 im Hinblick auf die beteiligten kollektiven Akteure und die Auswirkungen auf die derzeitige Bedeutung von Abstammung und Vaterschaft rekonstruiert. Dies dient dazu, die kollektiven Akteure hinsichtlich ihrer Intention, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer diskursiven Entwicklung verstehbar zu machen. Das heißt, dass die Diskursanalyse nicht versucht, subjektiven Sinn zu konstruieren oder ein individuelles Fallverstehen betreibt, sondern bewusst nach kollektiven und mehrheitsfähigen Deutungen sucht, um sozialen Wandel zu erklären (vgl. Schwab-Trapp 2006: 270). Für die vorliegende Untersuchung sollen die folgenden Forschungsfragen leitend sein: Im Bestreben, Verfassungsgerechtigkeit herzustellen, hat das Bundesverfassungsgericht bestimmte Strategien der Legitimierung angewandt und den Anspruch auf einen Vaterschaftstest als einzi-
3.4 Diskursanalyse mittels der Grounded-Theory-Methode
87
ge Möglichkeit der Konfliktlösung präsentiert. Welche Vorgänge haben dazu geführt und wie ist der Konflikt mit welchen Strategien verlaufen? Auf welche Diskursfelder wurde Bezug genommen, auf welche nicht, obwohl sie nahe liegen? Ausgehend von der konstruktivistischen Fassung von Vaterschaft, Recht und Kindheit wird die Interpretation aus diesem theoretischen Vorverständnis und anhand der Interpretationsfragen nach den Konstruktionen des Generationen- und Geschlechterverhältnisses erfolgen. Die Bedeutung der Abstammung als Motiv für den Vorgang bildet damit den Ankerpunkt für neue Machtbeziehungen oder die Reetablierung von Machtbeziehungen. Wie hat die Kenntnis des Vaters über die Abstammung des eigenen Kindes eine so hohe Legitimität erlangt, dass sie als eigenständiger Anspruch gesetzlich verankert werden musste und als einzig mögliche Lösung im Konflikt der Grundrechte erschien? Wie sind die Diskurse um Abstammung organisiert? Inwiefern verweisen diese Diskurse auf neue Deutungen von Vaterschaft, Väterlichkeit und Männlichkeit? Ausgehend von diesen Fragen sollen die Verfassungsbeschwerde, die Stellungnahmen und das Urteil als konkreter, sehr umgrenzter Fall der diskursiven Auseinandersetzung um Deutung untersucht werden. 3.4
Diskursanalyse mittels der Grounded-Theory-Methode
Für die methodische Umsetzung empfiehlt Keller (2007) das Vorgehen nach der Grounded Theory Methode von Anselm Strauss. Die methodischen Vorschläge von Strauss zur Grounded Theory beziehen sich auf alltägliche direkte Interaktionen und teilnehmende Beobachtungen. Bei der Diskursanalyse handelt es sich um die sozialwissenschaftliche Auswertung von Textmaterial. Daher hat Keller die Anpassung und Erweiterung einiger Vorgehensweisen der Grounded Theory an die Diskursanalyse vorgenommen (vgl. Keller 2007: 94 FN 79; 101, FN 86). Entsprechend der Tradition einer Rekonstruktion der Herstellung von sozialer Wirklichkeit entwickelt die Grounded-Theory-Methode in enger Auseinandersetzung mit dem empirischen Material eine Theorie, die sich aus dem Gegenstand ergibt – daher wird sie teilweise auch als gegenstandsbezogene Theorie übersetzt. Die Forschung nach der Grounded-Theory-Methode versucht daher, frei von Vorannahmen31 das Material zu bearbeiten und in einem ständigen parallelen Prozess von Datenerhebung, Datenanalyse und Theoriebildung eine sozialwissenschaftliche Theorie zu entwickeln. Die Offenheit für neue Kategorien und Phänomene ist wesentliche Bedingung der Grounded-Theory-Methode. 31 Auch Strauss selbst betont, dass ein gewisses theoretisches Vorverständnis nicht ausgeschlossen werden kann. Dies wird, sofern es für die Analyse von Bedeutung ist, transparent gemacht.
88
3 Legitimität und Macht: Diskursanalyse
In der vorliegenden Arbeit wurde die Grounded-Theory-Methode angewendet. Dennoch wird im ersten Teil der Arbeit ein theoretischer Rahmen vorgegeben und transparent gemacht. Im Vorgang der Textanalyse und -interpretation wurde dennoch ein möglichst offenes Vorgehen gewählt, das auch passagenweise intersubjektiv reflektiert wurde. In einem dritten Schritt wurden die Ergebnisse wieder an den theoretischen Rahmen rückgebunden.
3.5
Material: Gesetze, Urteile und Stellungnahmen
In der vorliegenden Analyse werden mehrere Textsorten verwendet, um ein möglich umfassendes Bild des Diskurses zu erarbeiten. Das Urteil wird als Vorgang der Verhandlung über Geltung analysiert. Hier bildet zum einen der vom Bundesverfassungsgericht veröffentlichte Urteilstext die Grundlage des Analysematerials. Außerdem werden die Stellungnahmen der Verbände und Institutionen untersucht. Dabei werden in einem ersten Schritt, entsprechend der zeitlichen Abfolge, die Stellungnahmen gemeinsam analysiert. In einem zweiten Schritt wird das Urteil untersucht. Hinzu kommen Texte zu den „Sprecher/innen“. Sowohl in den Stellungnahmen zum Urteil über die „heimlichen Vaterschaftstests“ als auch in der Aufarbeitung der gesetzlichen Veränderungen seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 kommen Parteien, Politiker/innen und Verbände zu Wort. Die Position dieser Sprecher/innen ist interpretierbar, wenn der politische Kontext und die damit zusammenhängenden Interessen transparent werden. Es wurde deshalb bei der Beschreibung der Verbände auf die von ihnen selbst formulierten Interessen zurückgegriffen. Bei der Bundesregierung bezieht sich die Studie auf die im relevanten Zeitraum veröffentlichten Koalitionsvereinbarungen. Im Verlauf der Analyse haben sich daraus zwei Rekonstruktionsschritte ergeben. Den ersten Schritt bildet die genealogische Rekonstruktion der kindschaftsrechtlichen Entwicklung seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998. Dieser erste Schritt dient der Darstellung der Motivlagen, der Erfolge und Misserfolge, die für die Akteure entstanden sind, sowie einer übergreifenden Fokussierung auf unterschiedliche Beteiligte im Kindschaftsrecht. Diese Entwicklungen und Fokussierungen haben – so die hier vertretene These – dazu geführt, dass die Abstammungsfeststellung als notwendige Bedingung erschien, der Entwicklung von Familie und Vaterschaft gerecht zu werden.
3.5 Material: Gesetze, Urteile und Stellungnahmen
89
In einem zweiten Rekonstruktionsschritt werden die Stellungnahmen und das Gerichtsurteil sowie die daran anschließende parlamentarische Debatte zur Abstammungsfeststellung analysiert. Die im ersten Schritt entwickelte Fragestellung nach der Abstammungsklärung im Kontext des Wandels von Familienstrukturen soll in diesem Schritt beantwortet werden.
4 Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes
Bereits 2001 hatte die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder gefordert, heimliche Abstammungsgutachten zu verbieten. Im Jahr 2004 kündigte die Justizministerin an, heimliche Vaterschaftstests zu einem Straftatbestand zu erklären und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr zu ahnden (z.B. Handelsblatt 2005, Der Spiegel 2006). Nach parteiübergreifenden Protesten wurde dieses Gesetz immer wieder verschoben und durch die Auflösung des Bundestages 2005 zunächst nicht weiter verfolgt. Ein GendiagnostikGesetz stand bis 2008 aus. Im Januar 2005 urteilte der Bundesgerichtshof im Fall des Frank S., dass ein heimlicher Vaterschaftstest das Persönlichkeitsrecht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung verletze und daher nicht gerichtlich verwertbar sei. Im Kontext der öffentlichen Debatte bekräftigte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, dass sie mit dem neuen Gendiagnostik-Gesetz heimliche Vaterschaftstests strafrechtlich verfolgen wolle.32 Daraufhin gründete sich ein Netzwerk „ProTest“, das sich „gegen das Verbot selbstbestimmter Vaterschaftstests“ richtete. „Das beabsichtigte Gesetz diskriminiert neben den Vätern vor allem die Kinder: die Kinder werden betrogen und ihnen wird ihr Grundrecht genommen, zu erfahren, wer ihre biologischen Eltern sind. Diese Kenntnis kann jedoch lebenswichtig sein bei Operationen oder bei Erbkrankheiten. Der Wert der leiblichen Vaterschaft wird durch das beabsichtigte Gesetz ignoriert. Die Lügen der Mütter dagegen staatlich geschützt. Lügen haben kurze Beine, so sagt der Volksmund weise, denn Gesetze und Strafen waren bisher kein geeignetes Mittel die Wahrheit zu unterdrücken.“ (Stellungnahme der Arbeitsgruppe Pro-Test vom 06.01.2005)
In dieser Passage wird zum einen die Hinwendung zum Kind deutlich und die Vereinnahmung des Kindes, indem das „Betrogen“-Werden als Schaden des Kindes gilt. Latent deutet sich hier die Identifikation von Vater und Kind an. Zum anderen zeigt das Zitat eine hohe Emotionalisierung des Themas, indem 32
Die Ankündigung der strafrechtlichen Verfolgung entspricht der von Becker analysierten Definition von Norm und abweichendem Verhalten. Die Gegenbewegung nutzte diese „Kriminalisierung“ zur öffentlichen Stimmungsmache, vor allem anhand emotionalisierender Beispiele.
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes
zum einen „die Mutter“ der „Lüge“ bezichtigt wird und zum anderen auf Ausnahmesituationen wie „Erbkrankheiten“ verwiesen wird, deren Kenntnis „lebenswichtig“ sein könnte. Diese Formulierungen weisen auf eine stark empfundene Notwendigkeit der Regulierung bzw. der Durchführung des Vaterschaftstests hin, dem offenbar eine über die Kenntnis der Abstammung hinausgehende Bedeutung beigemessen wird. Im weiteren Verlauf der öffentlichen Debatte wurden mit hohem öffentlichen Aufwand Einzelfälle geschildert. Insbesondere die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ veröffentlichte zahlreiche Artikel zum Thema. In Sendungen der privaten Fernsehsender gab es Vaterschaftstests, deren Ergebnisse in Talkshows unter Anwesenheit der Beteiligten (und der Öffentlichkeit) verlesen wurden. Kern war eine emotionale Stimmung, die eine mögliche Verfehlung von Frauen in den Mittelpunkt stellte, was sich auch im Begriff „Schlampenschutzgesetz“ (Der Spiegel, 4/2005: 40, EMMA 2/2005) ausdrückt. Der massenmediale Diskurs gestaltete sich entsprechend emotional, es war und ist die Rede von den „gehörnten Ehemännern“ oder dem Leid der Kinder, die spät herausfanden, dass die bestehende Vaterschaft nicht-biologisch gewesen sei. In keinem Fall wurden alternative Deutungsformen gewählt. Die Deutungsform der „Schlampe“ Mutter (s.o.) und des leidenden „gehörnten Zahlvaters“ (Gehb (CDU) in Spiegel vom 13.02.2007) sowie des leidenden („Kuckucks“-)Kindes (Der Spiegel 2005) lassen Formen der moralischen Über- und Unterordnung erkennen.33 Auch die Krisenhaftigkeit und der kämpferische Charakter des Ereignisses wurden durch die Deutung des „Wattestäbchenkrieges“ (Der Spiegel 7.12.2004) vermittelt. In den Pressetexten zu diesem Fall entwickelten sich im Wesentlichen zwei Deutungen zum Geschlechterverhältnis. Soziobiologische Erklärungsmuster wählten die Formel, dass Frauen mit für die Erziehung von Kindern ungeeigneten, aber sehr maskulinen und mithin über eine überzeugende genetische Ausstattung verfügenden Männern Kinder zeugen würden, um dann mit verantwortungsvollen und weniger maskulinen Männern diese Kinder aufzuziehen: „Robin Bakers Ergebnissen zufolge können sich Männer beim zweiten Kind am sichersten sein, dass es ihn zu Recht ‚Daddy‘ nennt. Das Erstgeborene dagegen habe oft der Vorgänger gezeugt, berichtet der Verhaltensforscher, während der dritte Sprößling nicht selten ein Produkt dessen sei, was Baker den ‚genetischen Einkaufsbummel‘ der Mutter nennt.“ (von Bredow 1999: 162)
33
Wolde (2006) hat die enge Verknüpfung des maskulinistisch orientierten Autors Mattussek mit dem „Spiegel“ aufgezeigt und auf eine entsprechende Ausrichtung des „Spiegels“ auf eine weiße mittelschichtsorientierte Männlichkeit hingewiesen. Die hohe Auflage und Verbreitung dieser Wochenzeitschrift lässt eine Deutungshoheit zum Thema vermuten.
4 Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes
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„‚Das hat nichts mit Sexgier oder einem Mangel an Moral zu tun. Hinter Seitensprüngen steckt oft ein – manchmal unbewusster – Kinderwunsch. Die Frauen suchen sich als Erzeuger Männer aus, deren Erbanlagen ihnen imponieren, deren Gene sie für ihre Nachkommen wollen.‘ Die Erzeuger sind ja nicht automatisch die besten Väter. Fürsorglicher und als Ernährer zuverlässiger sind oft die bisherigen Partner.“ (Der Spiegel 2005: 45)
Diese Deutung legt eine generelle Angst vor dem „Seitensprung“ als natürliche Form der genetischen Auswahl nahe. Damit entsteht ein unterstelltes Verhalten der Frauen als vernatürlichte Handlung. Gleichzeitig werden generell alle Männer, die fürsorgliche Seiten zeigen, in ihrer Männlichkeit im Sinne der Binnenbeziehungen von Männlichkeiten angezweifelt. Dies ist für das Spannungsverhältnis fürsorglicher Vaterschaft zur hegemonialen Männlichkeit ein bedeutsamer Befund, denn er beweist zum einen den hohen Wert, der der weiblichen Treue für die Männlichkeitsdefinition zukommt. Zum anderen verdeutlicht er die Angst, als fürsorglicher Mann unmännlich zu wirken. Jeder Mann, der gegenüber seinen Kindern fürsorglich ist, müsste in dieser Logik die leibliche Vaterschaft überprüfen, um damit die eigene Männlichkeit zu beweisen. Der zweite Aspekt, der zu einer Legitimation des Zweifels an der Vaterschaft in der Presse verwendet wird, ist eine „Urangst“ – ein schon immer bestehender Zweifel – eine Vernatürlichung von Misstrauen: „So also fühlt sich der schlimmste Alptraum aller Väter an. Wenn die jahrtausendealte Urangst, das Kind, das geliebte, könnte von einem anderen sein, wahr wird und die ewige Furcht vor dem ultimativen Vertrauensbruch der Gewissheit weicht, dass man zum lächerlichen Opfer des ältesten Betrugs der Welt geworden ist – zum gehörnten Depp, der sich ein Kind hat unterschieben lassen.“ (Der Spiegel 2005: 40)
Die Passage enthält neben der historisierenden Legitimation des Misstrauens starke Gegenüberstellungen. Die Angst vor dem „ultimativen“ Vertrauensbruch (der Mutter) wird zur Gewissheit, als Vater ein „Depp“ zu sein, das heißt, durch den „Vertrauensbruch“ eine generelle Abwertung zu erfahren. Dies kann er, so müsste man schlussfolgern, nur durch bessere Kontrolle verhindern. Aspekte der Bindung, Beziehung, Betreuung und Liebe zum Kind spielen in diesem Zusammenhang nur als durch die möglicherweise fehlende Abstammungsbeziehung falsch investierte Fürsorge eine Rolle, die mit Demütigung verbunden wird. Wurde die fehlende Abstammungsbeziehung aufgedeckt, so die mediale Darstellung, handelt es sich um die Bestätigung einer schon immer bestehenden Fremdheit. Die thematisierten Beziehungsebenen fokussieren sich mithin auf die Beziehung von Vater und Kind, die dann durch Fremdheit gekennzeichnet wird, (und die Parallelisierung des Fremdheitsgefühls für das Kind) sowie auf die Beziehung von Vater und Mutter (die durch einen Betrug gekennzeichnet wird).
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4 Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes
Fürsorglichkeit steht hinsichtlich des möglicherweise „maskulineren“ biologischen Vaters als Merkmal von Unmännlichkeit zur Disposition. Indem der potenzielle, anonyme Mann als biologischer Vater mitimaginiert wird, ist jede Handlung, in der der Vater sich dem Kind zuwendet, auch eine Bestätigung, dass die Mutter ihn womöglich gar nicht als biologischen Vater für ihre Kinder wünscht. Das Durchführen eines heimlichen Vaterschaftstests wurde mit der Überschrift „Männer im Wattestäbchenkrieg“ (Der Spiegel 2005) überschrieben, was eine weitere Deutung der Entmännlichung, aber gleichzeitig auch der Krisenhaftigkeit des Erlebten darstellt. Das Gesetz zum Verbot des Vaterschaftstests wurde öffentlich auch als „Schlampenschutzgesetz“ bezeichnet, die promiskuitive Mutter ist also gegenüber dem „gehörnten Deppen“ das abzuwertende Gegenstück. Die im Diskurs angezweifelte und gleichsam abgewertete fürsorgliche Väterlichkeit, als Mangel an Maskulinität gedeutet, zieht demnach die Abwertung der Mutter als (potenzielle) „Schlampe“ nach sich. So entsteht eine klar dichotome Geschlechterordnung, die entlang biologistischer Definitionen und, gemäß Connell (2006), den Mechanismen der Über- und Unterordnung funktioniert. Darüber hinaus wurde gelegentlich seitens der Befürworter der Vaterschaftstests eine Analogie zur Debatte um den §218 StGB hergestellt.34 In der Verwendung des Begriffs der „Selbstbestimmung“ im Hinblick auf den Vaterschaftstest wird dieser Zusammenhang sichtbar. Datenschutzrechtliche Fragen oder Aspekte einer familiären Beziehung, die nicht in einer vermeintlich genetischen Wahrheit zu finden waren, rückten damit in den Hintergrund. Am 21. Februar 2005 reichte Frank S. beim Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde ein. Er rügte darin eine Einschränkung seines Persönlichkeitsrechts durch die Nichtverwertung eines heimlich, ohne Wissen von Kind und Mutter durchgeführten Vaterschaftsgutachtens als Beweismittel in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren. Die Beschwerde wurde zur Entscheidung angenommen. 4.1
Urteil des BVerfG zu heimlichen Vaterschaftstests
Am 13. Februar 2007 verkündete das Bundesverfassungsgericht sein Urteil. Heimliche Vaterschaftstests stellten demnach einen verfassungswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes dar und dürften daher nicht gerichtlich verwertet werden. Das bestehende Verfahren zur Anfechtung der Vaterschaft schütze jedoch das verfassungsmäßig garantierte Recht des Vaters auf Kenntnis 34
So beispielsweise durch den Schauspieler Mathieu Carriere in der Talkshow „busch @ n-tv“ am 15.02.2007.
4.2 Gesetz zur Klärung der Abstammung unabhängig vom Anfechtungsverfahren
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der Abstammung seines rechtlichen Kindes nicht ausreichend. Der Gesetzgeber wurde deshalb aufgefordert, bis zum 31.03.2008 ein rechtsförmiges Verfahren zu schaffen, das eine Verwirklichung dieses Rechts ermögliche.35 4.2
Gesetz zur Klärung der Abstammung unabhängig vom Anfechtungsverfahren
Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte rechtsförmige Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren findet sich im 2008 geschaffenen §1598a BGB. Danach erhalten jeweils die Mutter, der Vater und das Kind die Möglichkeit, voneinander die Gewinnung einer Probe zur Feststellung der genetischen Abstammung zu verlangen und gegebenenfalls die Einwilligung zu einer solchen Gewinnung gerichtlich ersetzen zu lassen. Im ersten Entwurf war noch die Klausel enthalten, dass mit der Erkenntnis der fehlenden biologischen Abstammung die zweijährige Frist der Vaterschaftsanfechtung erneut für Vater und Kind beginne, auch wenn beispielsweise schon vorher Gründe bekannt waren, die an der biologischen Vaterschaft zweifeln ließen. Damit sollte verhindert werden, dass für Väter unerträgliche Ergebnisse entstehen, so zum Beispiel: „Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Vater die Entscheidung gegen eine Vaterschaftsanfechtung auf achtbare Überlegungen stützt, die sich später als falsch erweisen, so zum Beispiel, wenn der Mann die Frist trotz Zweifeln an der fremden Abstammung verstreichen lässt, um die Ehe bzw. die soziale Familie zu retten, diese dann nach Ablauf der Anfechtungsfrist aber gleichwohl auseinanderbricht.“ (Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 16/6561: 14)
Der Ablauf der Anfechtungsfrist war offenbar an das Wohlverhalten der Mutter gebunden: Wenn die Beziehung aufrecht erhalten wird, kann eine Anfechtungsfrist verstreichen, eine aus welchen Gründen auch immer entstehende Trennung hätte im Anschluss eine Anfechtung ermöglicht. Die Anfechtung sollte gemäß dem ersten Entwurf ausgesetzt werden, solange diese das Kindeswohl beeinträchtigen würde. Im Gesetzentwurf wurde als Beispiel genannt, dass eine Suizidgefahr bestehe oder eine bereits bestehende Krankheit des Kindes sich erheblich verschlechtere. Ist die Kindeswohlgefährdung vorüber, beginnt die Frist erneut. Finanzielle Interessen können im Übrigen nicht gegen eine Anfechtung sprechen:
35
Zu den Details dieser Entscheidung siehe Kapitel 6.
96
4 Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes
„Es ist nicht Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften über die rechtliche Vaterschaft, einen bestimmten Lebensstandard zu garantieren.“ (Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 16/6561: 14)
Die Fristdurchbrechung galt nicht für die Mutter, da angenommen wurde, „dass die Mutter durch eine Anfechtung der Vaterschaft auf eine rechtliche Beziehung einwirkt, an der sie nicht unmittelbar beteiligt ist.“ (Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 16/6561: 14)
Im parlamentarischen Verfahren wurden zwei Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen. Zum einen wurde der erneute Fristbeginn nach dem Ergebnis der Vaterschaftsklärung gestrichen. Die Vaterschaftsanfechtung ist damit weiter daran gebunden, dass eine Vaterschaft innerhalb von zwei Jahren nach Kenntnis der Umstände, die gegen eine Vaterschaft sprechen, angefochten werden muss. Zudem wurde der Kindeswohlvorbehalt aus dem Anfechtungsverfahren gestrichen. Damit sollte verhindert werden, dass durch zweifache Kindeswohlprüfung (im Feststellungs- und im Anfechtungsverfahren) ein Vater gegebenenfalls eine Einwilligung zur Feststellung erwirken kann, jedoch am Kindeswohlvorbehalt im Anfechtungsverfahren scheitert. Es sei unwahrscheinlich, dass sich die Kindeswohlsituation im Zeitraum der maximal zwei Jahre zwischen der Klärung und dem Anfechtungsverfahren verändert. Dennoch kann ein Vater, sofern er seine Zweifel nicht eröffnet, zum Beispiel im Falle einer Trennung ein Feststellungsverfahren anstreben und danach die Vaterschaft anfechten. Interessant ist, dass bei den Debatten um die Durchsetzung von Umgangsrechten auf das kürzere Zeitgefühl von Kindern verwiesen wird in dem Sinne, dass Umgangsverfahren, die einen längeren Zeitraum überdauern, zu Entfremdungen des Kindes vom umgangsberechtigten Elternteil führen können (vgl. z.B. Heilmann 1998). Es scheint, als sei die Einschätzung einer zeitabhängigen Veränderung des Kindeswohls davon abhängig, welches Gesetz verhandelt wird. Frank und Helms kritisierten, dass im Urteil (und im Gesetz) nicht erwähnt wird, dass „Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus schon einmal Vorreiter einer ‚Klage auf Feststellung der blutsmäßigen Abstammung‘ war“ (Frank/ Helms 2007: 1278). Das BVerfG spricht sich für die rechtsfolgenlose Feststellung der Abstammung aus, um es Vätern, die nur die Abstammung kennen, nicht jedoch die Familienbeziehung auflösen möchten, zu ermöglichen, den Familienverbund zu erhalten. Nach Auffassung von Frank/Helms sind diese Väter bisher kaum vorgekommen. „Väter, die nur das Ziel verfolgen, Abstammungsfragen zu klären, ohne daraus statusrechtliche Konsequenzen zu ziehen, falls der DNA-Test ihre Nichtvaterschaft erweisen sollte, sind – vorsichtig ausgedrückt – eine Seltenheit. Schließlich hätten solche Väter auch schon nach bisherigem Recht die Möglichkeit gehabt, ihre Anfech-
4.3 Diskursiver Effekt: „Für fremde Kinder muss niemand zahlen“
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tungsklage nach Einholung des Abstammungsgutachtens zurückzunehmen“ (Frank/ Helms 2007: 1279).
In letzter Konsequenz führe das gesonderte Verfahren dazu, dass die Beteiligten zeitlich unbefristet die Möglichkeit erhalten, „gelebte soziale Bindungen jederzeit im Namen der biologischen Wahrheit aufzukündigen“ (Frank/Helms 2007: 1279). Daher dürfe das Recht zur Klärung der Abstammung, wenn man es denn für so bedeutsam halte, nicht zu einer Statusänderung befähigen. „Hält man dieses Recht [auf Kenntnis der Abstammung S.S.] für so fundamental, dass man meint, die deutsche Rechtsordnung müsse (wohl als einzige auf der Welt) ein eigenes Verfahren für dessen Durchsetzung zur Verfügung stellen, dann muss man auch den Mut aufbringen, denjenigen, der die Klärung der genetischen Abstammungsverhältnisse erzwingt, darauf zu verweisen, dass er sich mit der Befriedigung seines Rechts auf Kenntnis der genetischen Abstammung zufrieden geben muss und statusrechtlich hieraus keine Vorteile ziehen kann.“ (Frank/Helms 2007: 1281)
Unter anderem entsteht innerfamiliär eine neue Hierarchie. Der Vater erhält eine nahezu unbefristete Möglichkeit, bei nicht vorhandener Abstammung die Vaterschaft zu beenden, wenn er sein Wissen nicht öffentlich macht. Es könnte beispielsweise informelle Absprachen zwischen den Eltern gegeben haben, einen längst vergebenen „Fehltritt“, der Jahre später zu einer Feststellungsklage und infolgedessen zu einer Anfechtung führt (vgl. Stellungnahme des DJB 2006, Schwab 2008). Das neue Klärungsgesetz schafft lediglich einen Anspruch auf Einwilligung in die Feststellung der Vaterschaft und Duldung der Entnahme einer Probe. Das bedeutet, sofern eine/r der Berechtigten die Probe erlangt hat, liegt es in seinem/ihrem Ermessen, ob die Probe an ein Labor gesandt wird, und ebenso, ob die Vaterschaft angefochten wird. Es kann demnach vorkommen, dass beispielsweise der Vater sein Recht auf Feststellung durchsetzt, faktisch aber Mutter und Kind während der zweijährigen Frist in der Schwebe lässt, ob er auch eine Vaterschaftsfeststellung durchführt. 4.3
Diskursiver Effekt: „Für fremde Kinder muss niemand zahlen“
„Für fremde Kinder muss niemand zahlen“, lautete eine Meldung der Tageszeitung „taz“ zu einem BGH-Urteil vom 17.04.2008 (die tageszeitung, 17.04.2008). Als Effekt der nun salonfähigen Abstammungsklärung gewann die Frage an Bedeutung, wer von wem Unterhaltsansprüche zurückverlangen kann. Durch die Kindschaftsrechtsreform konnte gegen den Willen der Mutter der biologische
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4 Heimliche Vaterschaftstests: die öffentliche Debatte um die Gene des Kindes
Vater nicht ermittelt werden. Im vorliegenden Fall hatte der inzwischen geschiedene Ehemann nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung verlangt, dass die Vaterschaft des mutmaßlichen leiblichen Vaters ermittelt würde. Er war überzeugt, dass der inzwischen mit der Mutter und den drei Kindern zusammen lebende Mann der leibliche Vater der Kinder sei. Bisher hatte derjenige, der die Vaterschaft durch Anfechtung beendet hat, keine Möglichkeit mehr, eine Vaterschaftsfeststellungsklage durchzuführen, und damit keine Möglichkeit, Unterhaltszahlungen vom leiblichen Vater zurückzuverlangen. „Der Beklagte hat die Vaterschaft nicht anerkannt und lehnt es ab, ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren einzuleiten; hierzu ist auch die allein sorgeberechtigte Mutter weder im eigenen Namen noch als gesetzliche Vertreterin der Kinder bereit. Der Kläger selbst kann eine solche Vaterschaftsfeststellungsklage nicht erheben, § 1600e Abs. 1 BGB. Beide Vorinstanzen haben der Klage den Erfolg versagt, weil § 1600d Abs. 4 BGB bestimmt, dass die Rechtswirkungen der Vaterschaft erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können, und haben sich insoweit auf ein Senatsurteil aus dem Jahre 1993 (BGHZ 121, 299) berufen, demzufolge eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft im Rahmen eines Prozesses über den Scheinvaterregress grundsätzlich unzulässig ist.“ (Pressemitteilung des BGH vom 17.04.2008)
Da das Jugendamt seit der Kindschaftsrechtsreform keine eigenmächtige Vaterschaftsfeststellung durchführen kann, ist der erfolgreich Anfechtende darauf angewiesen, dass die Mutter den leiblichen Vater feststellen lässt. In einem sogenannten „Scheinvaterregress“ wurde am 17.04.2008 vom BGH entschieden, dass die Inzidentfeststellung der Vaterschaft in Einzelfällen zulässig sei. Ohne eine Inzidentfeststellung wäre der „Scheinvater“ „faktisch der Willkür der Kindesmutter und des wahren Erzeugers“ ausgeliefert und „rechtlos“ gestellt (Pressemitteilung des BGH vom 17.04.2008). Die ursprünglich als Rechteverbesserung eingeführte Abschaffung der Amtspflegschaft (1998) wird nun, im Falle nicht übereinstimmender Abstammung und der Rückforderung von Unterhaltszahlungen, als „Willkür“ bezeichnet. Die ursprünglich angestrebte Erweiterung der Handlungsspielräume von ledigen Müttern soll so offenbar wieder eingegrenzt werden. Eine Vater-Kind-Beziehung, die mehr als zehn Jahre bestand, wird nun durch den Vater auf eine „Zahlvaterschaft“ reduziert.
4.4 Rechtslage nach der Einführung des Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft
4.4
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Rechtslage nach der Einführung des Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft
Nach dem parlamentarischen Prozess wurde das „Gesetz zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren“ abgestimmt und trat am 01.04.2008 in Kraft. Das Gesetz beinhaltet den neuen §1598a BGB, den Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung, sowie Folgeänderungen des Familienverfahrensrechts, der Zivilprozessordnung und des Vaterschaftsanfechtungsrechts gemäß §1600 BGB. Im Einzelnen sind folgende Änderungen relevant:
§1598a BGB enthält den Anspruch des Vaters gegen Mutter und Kind, der Mutter gegen Kind und Vater sowie des Kindes gegenüber beiden Elternteilen, eine für die genetische Untersuchung geeignete Probe von den jeweils betroffenen Personen zu gewinnen. Ein Anspruch auf Einwilligung in diese Untersuchung ist ebenfalls enthalten. Stimmt eine/r der Beteiligten nicht zu, hat das Familiengericht die Einwilligung zu ersetzen und kann die Probenentnahme anordnen. Wenn die Klärung das Kindeswohl erheblich beeinträchtigt, hat das Gericht das Verfahren auszusetzen, solange die Beeinträchtigung besteht. Die Personen, die in die Untersuchung eingewilligt haben, erhalten Einsicht in das Ergebnis der Untersuchung. Stimmen rechtliche und biologische Vaterschaft nicht überein, muss binnen zwei Jahren die Vaterschaft angefochten werden, anderenfalls verfällt die Anfechtungsmöglichkeit.
5 Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest
Anhand des exemplarischen Verlaufs der öffentlichen, der rechtlichen und der parlamentarischen Debatten zu den heimlichen Vaterschaftstests wird im Folgenden untersucht, wie der Vaterschaftstest von einem nicht legitimen Instrument der Abstammungsuntersuchung zu einem Anspruch geworden ist, der auf der Identitätsfindung des Vaters basiert. Verkürzt ausgedrückt heißt das: Wie wurde aus einem „heimlichen“ Vaterschaftstest ein sogenannter „folgenloser“ Vaterschaftstest? Dazu wird zunächst eine Zusammenfassung der beteiligten Sprecher/innen geleistet und im Anschluss eine Analyse der vorliegenden Diskursformationen dargestellt. Neben den argumentativen Vorgängen lässt sich im Material jedoch vor allem ein breites Feld der Konstruktionen von Mutterschaft, Vaterschaft und Kindheit abbilden. Diesen Konstruktionen wird im Folgenden ebenfalls nachgegangen. 5.1
Das Bundesverfassungsgericht als Instanz der Herstellung gesellschaftlicher Realität
Im folgenden Teil der Untersuchung wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu heimlichen Vaterschaftstests auf ihre Begründungszusammenhänge und diskursiven Vorgänge untersucht. Dazu ist es hilfreich, einige Bemerkungen zum Bundesverfassungsgericht als Institution voranzustellen. In einem ersten Abschnitt wird der Aufbau des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) erläutert, sowie seine Funktion als Verfassungsorgan des Bundes. Darüber hinaus soll erarbeitet werden, welche Funktion eine Entscheidung des BVerfG für die Gesetzgebung und damit für die gesellschaftliche Realität hat und inwiefern Realitätsannahmen des BVerfG auf diese zurückwirken. „Realitäten sind nicht nur Grundlage, sondern auch Zielobjekt rechtlicher Regelungen. Recht soll gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur widerspiegeln, sondern auch verändern.“ (Autor/innenkollektiv 2006: 21)
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5 Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest
Das Bundesverfassungsgericht ist „ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes“ (§1 Abs. 1 BVerfGG). Es kontrolliert Entscheidungen des Parlaments auf seine Verfassungsmäßigkeit oder konkretisiert den Inhalt von Verfassungsnormen oder stellt diese im Streitfall autoritativ fest. Der §31 des BVerfGG besagt, dass die Entscheidungen des BVerfG Bindungswirkung für die Verfassungsorgane des Bundes sowie alle Gerichte und Behörden haben. Da es sich um die Konkretisierung von Verfassungsnormen mit Grundrechtscharakter handelt, heißt dies auch, dass es die Anwendung der Grundrechte definiert. Die Debatten um die Universalität von Menschenrechten (vgl. zusammenfassend Sachs 2006) verdeutlichen, dass Grundrechte sozialem Wandel unterliegen. Dass sie der Konkretisierung durch das BVerfG bedürfen, ist ein nicht unwesentlicher Beweis dafür (vgl. Landfried 1984 zur Definition der eigenen Rolle durch die Richter am BVerfG). Davon ausgehend, dass auch Grundrechte wie das der Persönlichkeitsentfaltung oder der Gleichberechtigung keine absoluten Werte sind, sondern im Verlauf der Zeit unterschiedlich ausgestaltet werden, kann festgehalten werden, dass das BVerfG mit seinen Entscheidungen gesellschaftliche Realität gestaltet. Speziell die Entscheidungen des BVerfG zur Gleichstellung von Kindern unabhängig vom Familienstand ihrer Eltern sowie zum Recht der Kinder auf Umgang mit beiden Eltern, die maßgeblichen Einfluss auf die Kindschaftsrechtsreform von 1998 hatten, lassen den Schluss zu, dass das BVerfG über seine normkontrollierende Funktion hinaus die Anpassung des Rechts an gesellschaftliche Realität vorgibt. Dies hat seinerseits die Wechselwirkung, dass Individuen neue Rechte zugestanden (oder Rechte aberkannt) werden und sie dadurch veränderte Handlungsspielräume erhalten. Lucke (1997) hat dies bezüglich der Konstruktion von Mutterschaft festgestellt: „Recht ist ein unterschätzter Indikator gesellschaftlicher Verhältnisse. Im Recht werden Umgangsweisen und Verkehrsformen zwischen den Geschlechtern augenfällig, und nirgendwo sonst manifestiert sich die soziale Konstruktion Mutterschaft sinnbildlicher und politisch folgenreicher als in ihren rechtlichen Regelungen.“ (Lucke 1997: 133)
So dienen zum Beispiel Mutterschutzregelungen nicht allein dem Schutz, sondern regulieren auch ein bestimmtes Bild einer Verbindung von Schwangerschaft und Schutzbedürftigkeit. Auch wenn Frauen eine problemlose Schwangerschaft durchleben, werden sie vom Mutterschutz und den entsprechenden Arbeitseinschränkungen umfasst (vgl. dazu Biermann 1997). Das BVerfG kann nicht nur beauftragt werden, bestimmte Normen zu prüfen, sondern ist auch berechtigt, alle das Verfahren betreffenden Normen zu prüfen. Das heißt, es reagiert nicht nur passiv auf Vorlagen, sondern kann selbst bestimmen, in welchem Umfang es aktiv wird. Vor dem Hintergrund der Bin-
5.1 Das Bundesverfassungsgericht als Instanz der Herstellung gesellschaftlicher Realität
103
dungswirkung seiner Entscheidungen und der Unabhängigkeit des BVerfG bedeutet dies eine außerordentliche Machtfülle. Zudem kann es bedeuten, dass die Interpretation und Beurteilung gesellschaftlicher Veränderungen sowie die Ableitung eines Gesetzeserfordernisses letztlich von diesen Richter/innen abhängt. In der Selbstdarstellung auf der Homepage des BVerfG wird dies als notwendige Überwachung der Einhaltung des Grundgesetzes und als politisch wirkungsvoll dargestellt: „Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.“ (www.bundesverfassungsgericht.de, „Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts“)
Auf der anderen Seite bedeutet dies auch, dass jede/r Bürger/in sich an das Bundesverfassungsgericht wenden kann, wenn seine/ihre Grundrechte durch die Anwendung einfachen Rechts verletzt werden. Im Merkblatt über die Verfassungsbeschwerde heißt es: „Jedermann kann Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte (vgl. Art. 1 bis 19 Grundgesetz [GG]) oder bestimmten grundrechtsgleichen Rechten (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103, 104 GG) verletzt glaubt. Das Bundesverfassungsgericht kann die Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt feststellen, ein Gesetz für nichtig erklären oder eine verfassungswidrige Entscheidung aufheben und die Sache an ein zuständiges Gericht zurückverweisen. Andere Entscheidungen kann das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde hin nicht treffen. Es kann z.B. weder Schadensersatz zuerkennen noch Maßnahmen der Strafverfolgung einleiten. Der einzelne Staatsbürger hat grundsätzlich auch keinen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers.“ (Merkblatt über die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, www.bundesverfassungsgericht.de)
Es kann angenommen werden, dass im Verlauf gesellschaftlichen Wandels die Auslegung einfachen Rechts an Grenzen stößt, in denen das Recht nicht mehr mit den Optionen gesellschaftlicher Differenzierung übereinstimmt und vielleicht in dieser Folge Grundrechte verletzt. Daher wird in dieser Studie im Hinblick auf Familienrecht davon ausgegangen, dass das BVerfG Familienrealität mitgestaltet und dann aktiviert wird, wenn die familienrechtlichen Regelungen den Grundrechten einzelner möglicherweise nicht mehr gerecht werden.
104 5.2
5 Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest
Organisation des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richter/innen. Aufgrund der Zunahme der zu erledigenden Verfahren wurden in beiden Senaten mehrere Kammern mit jeweils drei Richter/innen gebildet. Diese entscheiden über die Annahme von Verfassungsbeschwerden und können Verfassungsbeschwerden stattgeben, wenn diese offensichtlich begründet sind. Grundsätzlich bedeutsame Entscheidungen trifft stets ein Senat. Als sogenannter „dritter Senat“ werden die wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen des BVerfG umgangssprachlich bezeichnet. Diese informelle Bezeichnung gilt als Kritik daran, dass ein großer Teil der Ausarbeitung von Beschlüssen durch die Mitarbeiter/innen geleistet wird. Laut Geschäftsordnung des BVerfG ist jeweils ein/e wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in einer/einem Richter/in zugeteilt, wobei diese/r den/ die Mitarbeiter/in persönlich auswählen darf und ihn/sie auch selbst dienstlich beurteilen darf. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen erarbeiten Sachberichte und Entscheidungsvorlagen. Zudem sind sie im Anschluss gehalten, die Entscheidungen auszuarbeiten. Das bedeutet, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen ein hohes Maß an Einsicht in die Entscheidungsfindung haben und teilweise Formulierungen gestalten. 5.3
Höchste Richter/innen und ihre Berufung
Die 16 Richter/innen werden jeweils zur Hälfte vom Bundesrat und vom Bundestag gewählt. Der Bundesrat wählt in direkter Wahl, im Bundestag findet die Wahl mittelbar durch einen Wahlmännerausschuss mit 12 Mitgliedern statt. Innerhalb des Ausschusses muss eine Zweidrittel-Mehrheit erreicht werden. Die großen Parteien suchen ihre Kandidat/innen in sogenannten „Findungskommissionen“ (vgl. Biermann 1997; Landfried 1984 zum Parteienproporz und den Biografien). Drei Mitglieder jedes Senats müssen aus den Richter/innen an den obersten Gerichtshöfen (Bundesgerichtshof, Bundessozialgericht) des Bundes gewählt werden. Alle weiteren müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen und mindestens 40 Jahre alt sein. Die Amtszeit gilt für zwölf Jahre, eine Wiederwahl ist nicht möglich. Der Präsident des BVerfG sitzt dem ersten Senat, der VizePräsident dem zweiten Senat vor. Drei der 16 Richter/innen sind derzeit Frauen. 13 Richter/innen sind Hochschul-Professor/innen, von den verbleibenden 3 Richter/innen haben zwei bereits als wissenschaftliche Mitarbeiter/innen am BVerfG gearbeitet. Alle Richter/innen des ersten Senats sind verheiratet, sieben von acht
5.5 Verfassungsauslegung
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Richter/innen haben zwei oder mehr Kinder. Nur ein Richter des BVerfG ist unverheiratet, ein weiterer ist geschieden. Wenn auch nicht nachweisbar ist, dass die persönliche Lebenssituation die Entscheidungsfindung beeinflusst, fällt doch auf, dass der überwiegende Anteil der Richter/innen ein eher traditionelles Familienmodell lebt. Darüber hinaus sind die Richter/innen in der Überzahl männlich, ein Sachverhalt der wiederholt in der Kritik steht (vgl. die ironische Pressemitteilung des deutschen Juristinnenbundes vom 14.01.2008: „Die ‚drohende Übermacht der Frauen‘ in der Justiz wird nun mit der bevorstehenden Wahl zweier Richter an das Bundesverfassungsgericht erfolgreich abgewendet“). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Wahl der Richter/innen des BVerfG ein politischer Prozess ist, der auch durch die Machtfülle des BVerfG zu erklären ist. Zusammenhänge zwischen den Biografien, der Lebenssituation oder der Partei des/der Richter/in wurden bisher nicht nachgewiesen. 5.4
Normenkontrollverfahren und Beschwerden
Das BVerfG hat drei zentrale Aufgaben. Einerseits können Bürger/innen Verfassungsbeschwerde erheben. Dazu müssen einige Vorbedingungen erfüllt sein (es darf nicht bereits eine Entscheidung zu diesem Sachverhalt geben, der Rechtsweg muss ausgeschöpft sein, bestimmte Fristen müssen gewahrt werden). Das BVerfG trifft keine Entscheidungen in der Sache, sondern befasst sich nur mit der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Normen. Es kann in der Sache nur an das betreffende Gericht rückverweisen. Ein Normenkontrollverfahren kann von einem Gericht (beispielsweise einem Amtsgericht) angestrebt werden. In diesem Fall bittet das Gericht das BVerfG um Überprüfung, ob betroffene Normen unter bestimmten Gesichtspunkten verfassungsgemäß sind. Weiter können die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel des Bundestages überprüfen lassen, ob ein Gesetz verfassungsgemäß ist. Als drittes Verfahren gibt es die Entscheidung bei Organstreitigkeiten zwischen Verfassungsorganen oder in Bund-Länder-Streitigkeiten über die Verfassungsmäßigkeit von Rechten und Pflichten. 5.5
Verfassungsauslegung
Die Entscheidungsfindung am BVerfG erfolgt durch die Auslegung der Verfassung. Dabei gibt es vier Verfahren: die grammatische, die historische, die syste-
106
5 Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest
matische und die teleologische Auslegungsweise. Die teleologische Auslegung wird heute als wichtigster Weg angesehen. Die teleologische Auslegung richtet sich nach dem Sinn und Zweck einer Norm, danach, was mit dem Gesetz bezweckt werden soll. Damit ist sie die flexibelste Form der Auslegung, denn sie ist mit dem gesellschaftlichen Wandel veränderbar. 5.6
Die parteilichen Texte
In der vorliegenden Analyse werden auch die Texte untersucht, die versuchen, ihre Position im vorliegenden Fall zu vertreten,36 also die Stellungnahmen und die Verfassungsbeschwerde. Über die Rolle der Stellungnahmen bei der Entscheidungsfindung des BVerfG gibt es wenige Hinweise in der Literatur. Bryde (2001) schreibt (vor seiner Berufung als Verfassungsrichter), dass das BVerfG in der Regel keine Beweisaufnahme durchführt, da die Entscheidungsfindung in der Sache dem vorinstanzlichen Gericht obliegt. Die Stellungnahmen können daher nicht als Beweismittel gelten. Er wertet die Stellungnahmen der Verbände als Eröffnung eines gesellschaftlichen Verfassungsdiskurses, die in der Fachliteratur auch kritisch bewertet wird. In diesem Zusammenhang kann angenommen werden, dass das BVerfG die Stellungnahmen als Indiz für gesellschaftliche Strömungen wertet. Inwiefern diese auf den Entscheidungsprozess Einfluss nehmen, kann nicht belegt werden. „Die Rechtsprechung bietet denn auch, wie zu zeigen sein wird, Beispiele für den ganz unterschiedlichen Umgang mit Wirklichkeitsvorstellungen zur Beeinflussung des Normsinns: explizite Bezugnahmen auf Tatsachen zur Normauslegung, Ignorierung tatsächlichen Wandels und deutliche Zurückweisung tatsächlicher Argumente. Gerade hier findet sich aber auch der oben geschilderte Fall, daß Tatsachen zwar zur Kenntnis genommen und – in der Regel unter Bezugnahme auf Äußerungen Beteiligter – geschildert, aber nicht in einer erkennbaren Weise in der Begründung verwertet werden, ohne daß das die Beeinflussung der Auslegung durch die Tatsachen ausschließt.“ (Bryde 2001: 539)
Bryde stellt die Annahme auf, dass es möglich sei, dass die Richter/innen sich zwar auf das Ergebnis einigen könnten, über die Realbedingungen jedoch unterschiedlicher Auffassung seien. Die Zitation der Stellungnahmen im Urteil wird als Möglichkeit interpretiert, den Meinungen Öffentlichkeit zu geben (vgl. Bryde 2001: 543). Es kann jedoch nicht nachgewiesen werden, dass bestimmte, in den 36
Zu den Inhalten der Stellungnahmen siehe Anhang.
5.6 Die parteilichen Texte
107
Stellungnahmen vertretene Auffassungen direkten Eingang in die verfassungsrichterlichen Entscheidungen finden. Bezüglich der Verfassungsgerichtsentscheidungen zum Familienrecht hält Bryde fest, dass gerade diese sich besonders zur Untersuchung „des Verhältnisses von sozialer Entwicklung und Normverständnis“ eignen, da sich hier seit 1949 ein grundlegender Wandel vollzogen habe (vgl. Bryde 2001: 559). Für die vorliegende Analyse bedeutet dies, dass die Stellungnahmen nicht in einen direkten Verweisungszusammenhang mit der Entscheidung gestellt werden können. Sie geben jedoch Hinweise auf diskursive Formationen, die entweder mehrheitsfähig sind, oder – gerade weil sie sich womöglich nicht wiederfinden – auf unsagbare und nicht legitime Auffassungen. Die Verbände haben im Hinblick auf das Verfahren am Bundesverfassungsgericht eine Doppelrolle. Sie werden einerseits angefragt, um der Entscheidung eine Rückbindung an die soziale Realität oder das vorhandene Meinungsspektrum zum verhandelten Fall zu geben. Andererseits sind sie selbst Stellvertreter der Gruppe, für die sie einen Vertretungsanspruch postulieren, der nicht mit der Meinung aller Mitglieder dieser Gruppe übereinstimmen muss. Bereits innerverbandlich kann es zu ein und derselben Frage unterschiedliche Auffassungen geben (nicht alle Alleinerziehenden sind Mitglied im Verband alleinerziehender Mütter und Väter, nicht alle Juristinnen teilen die Meinung des Deutschen Juristinnenbundes). Im Rahmen demokratischer Prozesse wird jedoch in der Regel versucht, das mehrheitliche Meinungsbild des Verbandes abzubilden. Hinsichtlich kindschaftsrechtlicher Fragen besteht gelegentlich eine Anbindung des Klagenden an einen Verband oder ein Verband hat eine Klage initiiert oder organisiert. Je nach Anbindung haben die Verbände demnach auch ein politisches Interesse, nicht allein ihre Wirklichkeitsauffassung wiederzugeben, sondern auch das Gericht von der eigenen Meinung zu überzeugen – die Verbände vertreten damit auch teilweise den Beschwerdeführer. Ein Obsiegen oder eine Niederlage des Klägers wird von den Verbänden ebenfalls politisch ausgewertet, da eine Entscheidung für die eigene politische Arbeit verwendet werden kann. Eine weitere Rolle spielen die staatlichen Organe. Die Bundesregierung selbst, in diesem Fall das Bundesjustizministerium, müsste, sofern das Bundesverfassungsgericht dem Kläger Recht gibt, einräumen, in der eigenen Gesetzesgestaltung etwas versäumt zu haben (vgl. dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung bzw. die parlamentarischen Debatten). Es ist demnach nicht allein Expertise, die von den Stellungnahmen vertreten wird. Es ist, so die hier vertretene These, mindestens in gleichem Maße eine Teilnahme an der Verhandlung und eine Vertretung von Verbandsinteressen bzw. von Regierungsinteressen.
108 5.7
5 Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest
Sprecher/innen
Die vom BVerfG an die Verbände versendete Anfrage zur Stellungnahme bezog sich zunächst auf zwei Verfassungsbeschwerden, die sich auf den gleichen Sachverhalt richteten, von denen jedoch nur eine entschieden wurde, da die andere sich durch Vaterschaftsanfechtung des inzwischen volljährigen Kindes erledigt hatte. Die Stellungnahmen gehen einheitlich von zwei Beschwerdeführern aus. Daher werden teilweise Pluralformen benutzt. Die Entscheidung bezieht sich nur auf eine Beschwerde. Im Folgenden wird nur auf die Beschwerde des entschiedenen Falles eingegangen. Das Bundesverfassungsgericht hat den folgenden Institutionen am 09.11.2005 zur Stellungnahme Gelegenheit gegeben:
Deutscher Familiengerichtstag e.V. Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht e.V. Deutscher Juristinnenbund e.V. Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. Verband alleinerziehender Mütter und Väter Bundesverband e.V. Väter für Kinder e.V. Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V. Bundesvorsitzender des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht ISUV/VDU e.V. Väteraufbruch für Kinder e.V.
Zudem haben die folgenden Institutionen Stellungnahmen abgegeben:
Bundesministerium der Justiz Bundesbeauftragter für den Datenschutz Bayerische Staatsregierung Justizministerium Baden-Württemberg
Von den aufgeführten Organisationen haben das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) sowie der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) und die Wissenschaftliche Vereinigung für Familienrecht nicht Stellung genommen.37 Die katholische und die evangelische Kirche wurden beide nicht angefragt.
37
Die Rücksprache mit dem DIJuF ergab, dass zum gleichen Zeitpunkt ein anderes Gesetz, die Einführung des §8a SGB VIII (Regelung des Vorgehens bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung), politisch verhandelt wurde und daher die personellen Ressourcen vorwiegend auf dieses Thema ver-
5.8 Positionen der Stellungnahmen hinsichtlich des Gesamtergebnisses
109
Dem Bundesverfassungsgericht liegen Listen mit Verbänden, Vereinigungen und Expert/innen vor, die jeweils für die einzelnen Verfahren danach ausgewählt werden, ob sie bzw. die Interessen derer, die sie vertreten, vom Verfahren betroffen sind. Dabei wird darauf geachtet, dass alle Verbände eingeladen werden, die besonders bedeutsam sind, jedoch werden nicht immer alle Verbände angefragt, die ggf. im gleichen Themengebiet arbeiten und ähnliche Interessen vertreten.38 5.8
Positionen der Stellungnahmen hinsichtlich des Gesamtergebnisses
In der Übersicht aller Stellungnahmen und der Position des Beschwerdeführers lassen sich drei Ausrichtungen erkennen. Gegner der Verfassungsbeschwerde Die Position des Deutschen Juristinnenbundes (DJB) und des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) hält weder die Verfassungsbeschwerde für begründet noch eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Vaterschaftsanfechtung für notwendig. Heimliche Vaterschaftstests werden als rechtswidriger Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Kindes und in das Sorgerecht der Mutter bewertet. Die Hürden der Vaterschaftsanfechtung dienen dem Schutz von Mutter und Kind und der Gewährleistung von Rechtssicherheit. Der Schwerpunkt der Argumentation liegt auf der gelebten und erfahrenen Eltern-KindBeziehung. Sie können demnach im Folgenden als Gegner der Verfassungsbeschwerde gelten. Mittlere Position Der Deutsche Familiengerichtstag (DFGT) und das Bundesjustizministerium (BMJ) nehmen eine mittlere Position ein. Sie halten die Verfassungsbeschwerden für unbegründet und können keinen Grundrechtsverstoß feststellen. Dennoch bewerten beide die Hürden der Vaterschaftsanfechtung als zu hoch und plädieren für eine Absenkung der Schwelle zur Vaterschaftsanfechtung. Das BMJ präsentiert dazu bereits vorliegende Gesetzentwürfe. Beide sprechen sich für eine Gleichwertigkeit gelebter Eltern-Kind-Beziehung und biologischer Abstammung wendet wurden. Im Anschluss an das Urteil hat das DIJuF Stellung genommen und war am parlamentarischen Prozess beteiligt. 38 Diese Informationen ergeben sich aus einem Gespräch mit der Richterin am Bundesverfassungsgericht Frau Dr. Hohmann-Dennhardt (Berichterstatterin des Verfahrens) am 13.03.2009.
110
5 Sprecherpositionen in Verfahren zum Vaterschaftstest
aus, halten jedoch eine zweifelsfreie Zuordnung zu den biologischen Eltern für sinnvoll. Befürworter der Verfassungsbeschwerde Die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern sowie der Väteraufbruch für Kinder (VafK), der Verein Väter für Kinder (VK) und der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV) halten es für notwendig, die Rechtslage zu ändern. Bayern und Baden-Württemberg reichen Gesetzentwürfe zur Vaterschaftsfeststellung ein. Sie können als Befürworter der Verfassungsbeschwerde gelten. Die biologische Vater-Kind-Beziehung wird in unterschiedlichem Maße als wichtig angesehen, jedoch als in allen Fällen nahezu zwingend mit dem rechtlichen Status in Übereinstimmung zu bringen. Sonderposition des Beschwerdeführers Der Beschwerdeführer (Bf) nimmt eine Sonderposition ein, da er zwar die eigene Beschwerde für begründet hält, jedoch in seinem Einzelfall dafür argumentiert, den eigenen, heimlich durchgeführten Vaterschaftstest gerichtlich zu verwerten. Eine Gesetzesänderung hält der Bf nur im Hinblick auf eine Interessenkollision der alleinsorgeberechtigten Mutter für notwendig. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz (Datenschutzbeauftragter) hat sich nicht hinsichtlich der Bewertung der Verfassungsbeschwerde geäußert, sieht die Verwertung eines heimlichen Vaterschaftstests aber als Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz an. Die hier vertretenen Positionen verdeutlichen, neben ihrer für die nachfolgenden Formationen erklärenden Funktion, dass es offensichtlich zum Sachverhalt nicht nur eine richtige Deutung oder Auffassung gibt. 5.9
Aufbau der Analyse
Wie oben dargelegt verfügt das BVerfG über ein hohes Ausmaß an Definitionsmacht über das Recht und die dadurch geschaffene Rechtswirklichkeit. Das hier untersuchte Urteil zu „heimlichen Vaterschaftstests“ hat die Auswirkungen des Familienrechts insofern verändert, als dass den Familienmitgliedern ein hohes Ausmaß an gegenseitiger Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der biologischen Abstammung zugestanden wird und Kinder de facto den geringsten Handlungsspielraum haben.
5.9 Aufbau der Analyse
111
Neben dem juristischen Verfahren der Argumentation soll im Folgenden untersucht werden, welche Idee von Kindheit, Familie und gegenseitigen Interessen in den Stellungnahmen und im Urteil entworfen wurden, um die Situation so zu interpretieren, dass die Schaffung eines Feststellungsverfahrens als einzig sinnvolle Lösung erscheint. Wenn das BVerfG familiäre Realität gestaltet, muss eine Idee dieser Realität existieren, auf die im Urteil Bezug genommen wird. Die Konstruktion dieser Idee soll im Folgenden untersucht werden. Im Sinne der Offenheit der Grounded-Theory-Methode orientiert sich die Analyse zwar an Leitfragen, im Verlauf der Untersuchung, insbesondere im ersten Rekonstruktionsschritt deuteten sich aber ein kategorialer Rahmen und einige Annahmen an, die hier offen gelegt werden.
Der Vorgang des Verhandelns besteht auch in gerichtlichen Verfahren aus dem Ineinandergreifen von Interessen verschiedener Akteure. Welche Interessen von Verbänden, welche staatlichen Ordnungsvorstellungen und welche Idee einer juristisch korrekten Lösung lassen sich im vorliegenden Urteil identifizieren? Welche Rolle spielen die Interessen des Kindes und gegebenenfalls demgegenüber das Kindeswohl in der Verhandlung zur Vaterschaftsklärung? In welchem Verhältnis stehen die Interessen und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern im vorliegenden Fall zu den Handlungsmöglichkeiten von Eltern? Wie werden unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten gerechtfertigt? Wem werden von welchen Sprecher/innen welche Interessen auf Basis welcher Motive unterstellt und welche Ansprüche leiten sich daraus ab? Wie steht die Konstruktion von Vaterschaft und der Vater-Kind-Beziehung im Verhältnis zu Kindheit?
6 Vom heimlichen zum folgenlosen Vaterschaftstest: die Entscheidung des BVerfG
Zunächst wird nun der Frage nachgegangen, welche formalen Begründungen das BVerfG für die Schaffung eines Anspruchs auf Vaterschaftsfeststellung angeführt hat. Dazu wird zunächst der Ausgangsfall beschrieben, um die Fragestellung zu klären. Im Anschluss sollen alternative Deutungen eröffnen, von welchen Prämissen die Entscheidung hätte ausgehen können. Dies dient der Klärung der grundsätzlichen Argumentationen und verdeutlicht, welche Aussagen und Annahmen grundsätzlich keinen Eingang in das Material fanden. 6.1
Der Ausgangsfall und alternative Deutungen
Der Fall betraf den Vater einer Tochter, der nicht mit der Mutter verheiratet war. Die Eltern hatten zunächst zusammengelebt, sich jedoch zwei Jahre nach der Geburt der Tochter getrennt. Später stellte sich im Rahmen einer urologischen Untersuchung heraus, dass der Vater zu 90 Prozent zeugungsunfähig ist. Daraufhin versuchte der Vater mittels der Bescheinigung seiner verminderten Zeugungsfähigkeit die Vaterschaft anzufechten. Diese wurde nicht als hinreichender Anfangsverdacht anerkannt. Der Vater hat daraufhin nach eigenen Angaben bei einem Umgangskontakt einen vom Kind benutzten Kaugummi mit einer Probe seines eigenen Speichels an ein Labor zur genetischen Untersuchung geschickt. Die Untersuchung ergab, dass die beiden Proben zu 99 Prozent belegen, dass die beiden zu Untersuchenden nicht miteinander verwandt sind. Für die Untersuchung wurde kein Identitätsnachweis des Kindes vorgelegt. Der Vater erhob daraufhin erneut eine Vaterschaftsanfechtungsklage und wurde sowohl vom Amtsgericht als auch vom Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof (BGH) zurückgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Entscheidung des BGH. Auch wenn im Hinblick auf die Diskursanalyse nicht entscheidend ist, welcher Sachverhalt der Wahrheit entspricht, werden an dieser Stelle einige Deutungsmöglichkeiten des Ausgangsfalles dargestellt. Diese Alternativen sollen einen Abgleich mit den im Material vorkommenden Deutungen ermöglichen. S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
114
6 Vom heimlichen zum folgenlosen Vaterschaftstest: die Entscheidung des BVerfG
Der Vater kann einen Test in Auftrag gegeben haben, der zum Ergebnis kommt, dass das Kind nicht sein biologisches Kind ist. Es ist ebenfalls möglich, dass er die genetischen Proben, absichtlich oder unabsichtlich vertauscht hat. Es ist auch möglich, dass ihm die ganze Zeit über bewusst war, dass das Kind nicht sein biologisches Kind ist, er aber erst nach der Trennung von der Mutter die Vaterschaft anficht. Die Mutter könnte während der Beziehung einen sexuellen Kontakt mit einem dritten gehabt und es dem Vater verschwiegen haben. Sie könnte Opfer einer Vergewaltigung sein. Es ist möglich, dass beide Eltern im Konsens und im Wissen über die Zeugungsunfähigkeit des Vaters ein Kind mit Spendersamen gezeugt haben.
Die genauen Motivlagen der Beteiligten gehen zunächst nur aus der Verfassungsbeschwerde des Vaters hervor, die sich alleine auf die Angaben des Vaters stützt. Da das genetische Gutachten bis dahin nicht als Beweismittel zugelassen wurde, kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem vorliegenden Gutachten um eine zuverlässige Information handelt. 6.2
Abstammung als Identitätsmerkmal: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat die Stellungnahmen umfänglich zitiert und im Anschluss eine Bewertung der Grundrechtspositionen vorgenommen. Das Ergebnis dieser Bewertung ist, dass das grundrechtlich geschützte Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes nach geltender Gesetzeslage zum Zeitpunkt des Urteils nicht ausreichend verwirklicht werden konnte. Damit erhält der Beschwerdeführer nur insofern nicht Recht, als dass er den heimlich durchgeführten Vaterschaftstest nicht als Beweismittel verwenden darf. Diejenigen stellungnehmenden Verbände und Länder, die eine Gesetzesänderung gefordert haben, erhalten damit weitgehend Recht. Welche Begründungen und Argumentationen tauchen in der Urteilsbegründung auf? Welche Positionen werden wie gegeneinander abgewogen? In der vorliegenden Analyse wird der Entscheidungstext des BVerfG untersucht. Dieser verweist in seiner Begründung auf weitere, zuvor gefällte Entscheidungen, die in den Abschnitten 9.5.3 und 9.5.4 auf ihre Wirkung und ihren Informationswert für die vorliegende Entscheidung untersucht werden.
6.4 Urteilsbegründung
6.3
115
Leitsätze
Das Bundesverfassungsgericht hat im vorliegenden Fall zwei Entscheidungen getroffen, die sich in den Leitsätzen finden: 1.
2.
Der Gesetzgeber hat zur Verwirklichung des Rechts des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes von ihm (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein geeignetes Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitzustellen Es entspricht dem Grundgesetz, wenn die Gerichte die Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen (BVerfG, 1 BvR 421/05 vom 13.2.2007, Absatz-Nr. (1))
Die wesentlichen Ansprüche sind in diesen beiden Leitsätzen enthalten. Der folgende Teil des Urteils bezieht sich zunächst auf die Verfassungsbeschwerde und die Stellungnahmen. Im Anschluss begründet das Gericht die eigene Entscheidung. Wie später deutlich wird, ist die Festlegung eines Gesetzeserfordernisses gegenüber dem Gesetzgeber eine Demonstration der Autorität des BVerfG. In den auf das Urteil folgenden Gesetzentwürfen wird als Begründung für das Gesetz nur selten auf das Urteil verwiesen. 6.4
Urteilsbegründung
Das Bundesverfassungsgericht behandelt in seiner Begründung entsprechend den Leitsätzen zwei Kernfragen. 1. 2.
Wird das Grundrecht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung seines rechtlichen Kindes nach geltendem Recht hinreichend geschützt oder bedarf es einer gesetzlichen Regelung zum Schutz dieses Rechts? Darf ein heimliches, ohne Zustimmung des Kindes oder seiner sorgeberechtigten Mutter eingeholtes DNA-Gutachten zur Klärung der Vaterschaft im Rahmen einer Vaterschaftsanfechtung verwertet werden?
116 6.5
6 Vom heimlichen zum folgenlosen Vaterschaftstest: die Entscheidung des BVerfG
Das Verhältnis der berührten Grundrechte von Vater, Kind und Mutter
Hinsichtlich der Grundrechte nennt das Bundesverfassungsgericht zunächst das als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 GG) entstehende Recht auf Kenntnis der Abstammung. Die Abstammung nehme für den Einzelnen eine Schlüsselstellung für die eigene Individualität und die genealogische Beziehung zu anderen ein und umfasse sowohl die Kenntnis der eigenen Abstammung als auch die Kenntnis eines Mannes, ob ein Kind von ihm abstammt. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung werde nicht schrankenlos gewährt, sondern unterliege der gesetzgeberischen Ausgestaltung. Diese verletze das Grundrecht erst dann, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht eingehalten wird. Aus den Grundrechten ergebe sich eine staatliche Schutzpflicht. Diese entstehe im vorliegenden Fall, da der Gesetzgeber die Verwirklichung dieses Rechts nicht durch ein Verfahren gewährleistet. Die private Klärung der Abstammung sei für einen Mann von der Zustimmung anderer abhängig und bleibe ihm verschlossen, wenn diese verweigert wird (BVerfG 1 BvR 421/ 05: 35 ff.). Hier wird, ähnlich den Darstellungen der Befürworter der Verfassungsbeschwerde, eine Situation gezeichnet, die sich für den Vater als ausweglos darstellt. Das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung sei ebenfalls Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auch dieses werde nicht schrankenlos gewährt, insbesondere wenn die Einschränkung dieses Rechts im überwiegenden Interesse anderer oder der Allgemeinheit liegt. Diese Einschränkung müsse der Gesetzgeber unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestalten. Im vorliegenden Fall sei die Verwirklichung des Grundrechts des Mannes von der Einschränkung des Grundrechts des Kindes abhängig, da nur die Gene des Kindes Aufschluss über die Abstammung gäben. Ein Recht des Kindes auf Nichtkenntnis der eigenen Abstammung bezweifelt das Gericht und hält es zudem für den Schutz einer möglicherweise fehlerhaften Annahme (BVerfG 1 BvR 421/05: 39 ff.). Die sorgeberechtigte Mutter habe ein aus Art. 6 Abs. 2 GG geschütztes Recht auf Schutz vor unbefugten Zugriffen auf ihr Sorgerecht sowie ein Recht auf Wahrung ihrer Intimsphäre (BVerfG 1 BvR 421/05: 46 ff.). In der Abwägung ergibt sich für das Bundesverfassungsgericht, dass die Grundrechte von Mutter und Kind es nicht rechtfertigen, dem Vater ein Verfahren auf Klärung der Abstammung vorzuenthalten. Ein Recht auf Schutz einer möglicherweise fehlerhaften Annahme, wie der Nichtkenntnis der eigenen Abstammung, sei gegenüber dem Beitrag, den ein Abstammungsgutachten zur Iden-
6.6 Zur Zulässigkeit eines heimlichen Vaterschaftstests
117
titätsfindung des Mannes leiste, weniger schützenswert. Das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung müsse vor diesem Hintergrund ebenfalls eingeschränkt werden, da die Verwirklichung des Rechts des Mannes nur in Abhängigkeit von der Einschränkung des Rechts des Kindes möglich sei. Dieses Interesse des Mannes werde durch seine für das Kind bestehenden Pflichten verstärkt. Das Persönlichkeitsrecht der Mutter auf Schutz ihrer Intimsphäre sei einzuschränken, da der Eingriff vorrangig dem Ziel der Abstammungsklärung des Kindes diene und sie zudem dem Mann bereits Zugang zu ihrer Intimsphäre gewährt habe.39 Weitere grundrechtlich geschützte Positionen stünden der Durchsetzung des Rechts des Mannes nicht entgegen. Ein Schutz des Familienfriedens rechtfertige ebenfalls nicht die Vorenthaltung des Verfahrens. Zudem könne der Familienfrieden bereits durch den geäußerten Zweifel des Mannes beeinträchtigt sein. Im Ergebnis kommt das Gericht zu der Auffassung, dass das grundrechtlich geschützte Interesse des Mannes daran, die Abstammung seines Kindes zu klären, nur durch eine vom Anfechtungsverfahren getrennte Möglichkeit der Klärung der Abstammung sichergestellt werden könne. 6.6
Zur Zulässigkeit eines heimlichen Vaterschaftstests im Verfahren der Vaterschaftsanfechtung
Hinsichtlich der zweiten Frage kommt das Gericht zum Ergebnis, dass die Vorinstanzen die Verwertung des heimlichen Gutachtens zu Recht abgelehnt haben. Im vorliegenden Fall wollte der Beschwerdeführer die Vaterschaft beenden, daher müssten die für die Vaterschaftsanfechtung geltenden Maßstäbe angewandt werden. Im Gegensatz zu einem zu schaffenden Verfahren, das nur der Abstammungsklärung diene, müssten bei der Anfechtung die berührten Grundrechtspositionen in Ausgleich gebracht werden. Das geltende Anfechtungsverfahren gewährleiste diesen Ausgleich, insbesondere den Schutz der sozialen Familie des Kindes, in verfassungsgemäßer Weise. Die Gerichte könnten sich nicht über die zivilprozessrechtlichen Regeln für die Beweisaufnahme hinwegsetzen.
39
Bereits infolge der Urteilsfindung zum Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung von 1989 wurde die Intimsphäre der Mutter als weniger schützenswert als das Kenntnisinteresse des Kindes erachtet. Es wurde vielfach, auch gegen den ausdrücklichen Wunsch des Kindes, von Amts wegen der Vater ermittelt – dies in erster Linie um Unterhaltsforderungen durchzusetzen (vgl. Meyer 2005, 29). Von einer Ermittlung wurde dann abgesehen, wenn die Mutter angab, die Ehe des Kindesvaters schützen zu wollen.
118
6 Vom heimlichen zum folgenlosen Vaterschaftstest: die Entscheidung des BVerfG
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Bundesverfassungsgericht zwar das Recht eines Mannes auf Klärung der Abstammung seines Kindes als nicht ausreichend geschützt ansieht, im vorliegenden Einzelfall dieser Mangel aber nicht von Gewicht ist, da der Beschwerdeführer die Vaterschaft beenden wollte. Ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes und das Sorgerecht der Mutter durch einen heimlichen Vaterschaftstest sei vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. 6.7
Zwischenfazit: die Abwägung von Grundrechten
Wie die vorangegangenen Ausführungen verdeutlichen, fand im Prozess des Abwägens der Grundrechte von Mutter, Vater und Kind ein Gewichtungsprozess statt, der auf Annahmen zu Identität, Mutterschaft, Vaterschaft, Intimsphäre und anderen Begriffen basieren. Im Sinne der interpretativen Soziologie sind zu den jeweiligen Begriffen unterschiedliche Deutungen, Sinngehalte und Bedeutungen möglich. Anhand der Kategorien Kind, Mutter, Vater und dem Beziehungsgefüge Familie werden diese Zuschreibungen und Interpretationen im Folgenden untersucht.
7 Das Kind als Faustpfand
Wie bereits dargestellt, verfügen Kinder im Recht über eine beschränkte Subjektposition. Sie sind nicht voll geschäftsfähig und auch im kindschaftsrechtlichen Verfahren erhalten sie, obwohl sie zentraler Regelungsgegenstand sind, nur eingeschränkte Mitsprache. Vor diesem Hintergrund ist von Interesse, wie die Position des Kindes im vorliegenden Textkorpus verhandelt wird. Dabei sind vier wesentliche Formationen relevant: 1. Die Position des Kindes wird als weitgehend ohne materielle oder sachliche Interessen dargestellt, dies gilt insbesondere für die Stellungnahmen. 2. Die informationelle Selbstbestimmung des Kindes erhält eine gegenüber dem Kenntnisinteresse des Vaters untergeordnete Position. 3. Entsprechend wird auch das Recht des Kindes auf „Nichtwissen“ durch das Bundesverfassungsgericht dem Recht des Vaters auf Kenntnis untergeordnet. 4. Im parlamentarischen Verfahren ist der Kinderschutz ein wesentliches Element der diskursiven Formation. 7.1
Soziale und interessenlose Kinder – die Stellungnahmen
Die Bedürfnisse der Kinder werden in den Stellungnahmen in sehr unterschiedlicher Weise ausgelegt, die von rein juristischen Argumentationen über die Grundrechtspositionen des Kindes bis hin zum Rückgriff auf biologisch bzw. naturalistisch hergeleitete Verhaltensweisen der „Primaten“ reicht. Dem Kind werden, insbesondere hinsichtlich seiner Interessen an der eigenen Abstammung, divergierende Positionen zugeschrieben. Während die Gegner der Verfassungsbeschwerde einen Schwerpunkt des Kindesinteresses am Erhalt seiner sozialen Familie sehen, begründen die Befürworter ein grundsätzliches Interesse des Kindes an der eigenen Abstammung und zudem ein Interesse daran, dass biologische und rechtliche Elternschaft übereinstimmen. BadenWürttemberg und VafK gehen davon aus, dass Kinder sich für die eigene Abstammung interessieren, VafK, ISUV, VK und Bf führen an, dass die Kenntnis der eigenen Abstammung eine hohe psychologische und existenzielle Bedeutung
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7 Das Kind als Faustpfand
für das Kind haben (Baden-Württemberg 2006: 11; VK 2006: 2; ISUV 2006: 1; Bf 2005: 11; VafK 2006: 4). „Grundsätzlich besteht auch ein gleichgerichtetes Interesse des Kindes an der Klärung nicht gesicherter Abstammungsverhältnisse“ (Baden-Württemberg 2006: 11). „Zu wissen, von wem man selbst abstammt, wer Vater und Mutter sind, ist in nicht geringerem Maße von existentieller Bedeutung für die übergroße Mehrzahl aller Menschen, insbesondere solange diese minderjährig sind, wie ebenfalls von der empirischen Sozialforschung belegt wird.“ (VafK 2006: 4)
Der VK begründet dies daneben mit der Möglichkeit, bei einer Organtransplantation die genetischen Informationen zu haben (VK 2006: 2). Der VafK bewertet es als „schwere Bürde“, den Vater nicht zu kennen, die zu medizinischen Beeinträchtigungen führe, und stellt zudem fest, das Kind sei statistisch einem höheren Risiko ausgesetzt, von einem Partner der Mutter, der nicht Vater des Kindes ist, getötet zu werden, als vom leiblichen Vater (VafK 2006: 6 ff.). Es bestehe darüber hinaus auch bei (nicht näher benannten) ausländerrechtlichen Gründen, ein Grundrecht der Kinder auf Klärung der Abstammungsverhältnisse.40 Abgesehen von Ausnahmesituationen (Organtransplantation, Tötung) werden keine weiteren Begründungen für das Interesse des Kindes an der Abstammung genannt. Es spreche nicht viel dafür, dass das Kind einen Scheinvater als Vater haben wolle, so der Bf ohne Benennung von Gründen, die dafür oder dagegen sprechen könnten (Bf 2006: 14). Bei der Formulierung des Interesses des Kindes an der eigenen Abstammung wird auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1989, das einen Anspruch des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung begründet hat, Bezug genommen. Auch die soziale Familie ist für die Befürworter der Verfassungsbeschwerde von Bedeutung. Jedoch könne diese keine biologische Beziehung ersetzen. Es könne zwar, so der VafK, gute Beziehungen zwischen Scheinvätern und ihren Kindern geben, das Kind habe jedoch immer das Interesse, die rechtliche Beziehung aufzulösen. „Es passt zu den ALLBUS Befunden, dass man auch bei noch so guten sozialen Bedingungen zwischen Scheinvater und Kind beobachtet, dass nicht nur der Scheinvater, sondern auch das Kind ein unbedingtes Interesse an den Tag legt, das rechtliche Abstammungsverhältnis zu lösen, was gegenwärtig vor Volljährigkeit des Kindes praktisch nicht möglich ist.“ (VafK 2006: 6)
40
Auf die hier aufgeworfenen Zusammenhänge von biologistischer Begründung auf individualrechtlicher Ebene mit dem Zuwanderungsrecht wird in Kapitel 12 detailliert eingegangen.
7.1 Soziale und interessenlose Kinder – die Stellungnahmen
121
Diese Passage deutet wieder die Interpretation gleich gerichteter Interessen zwischen Vater und Kind an. Es wird auf ein Beobachten verwiesen und verallgemeinert. Die Gefahr, die vom Stiefvater ausgeht, scheint an dieser Stelle gebannt. Dabei wird ausgelassen, dass das Kind bei der Feststellung oder Aufdeckung der fehlenden Abstammung keine Wahl hatte und seinerseits in einer Struktur ist, die der biologischen Abstammung eine hohe Bedeutung beimisst. Die Figur des Interesses an Abstammung zur „Identitätsfindung“ kommt häufiger vor. Es wird auch in der öffentlichen und fachlichen Debatte auf Adoptiv-Kinder verwiesen, die bei Nicht-Kenntnis ihrer biologischen Eltern Identitätsprobleme hätten (vgl. Frank 2007). Die Gegner der Verfassungsbeschwerde beharren auf einem Interesse des Kindes am Erhalt seiner sozialen Familie. Es habe nicht nur einen grundrechtlich garantierten Anspruch auf Schutz seiner Familie, es seien darüber hinaus „[…] viele Konstellationen denkbar, in denen es dem Kindeswohl entspricht, wenn die biologische Vaterschaft eines bestimmten Mannes nicht oder jedenfalls nicht zu dem gegebenen Zeitpunkt in Frage gestellt und wenn weitergehend die bestehende rechtliche Zuordnung nicht gelöst wird.“ (DJB 2006: 3)
Der VAMV weist darauf hin, dass die soziale Vaterschaft in Zeiten instabiler Partnerschaften an Bedeutung gewinne (VAMV 2006: 3). Utilitaristische Interessen des Kindes finden nur vereinzelt Erwähnung. Es leiten sich für das Kind unterhalts- und erbrechtliche Interessen aus der Vaterschaft ab, so ISUV und Datenschutz (Datenschutz 2006: 3; ISUV 2006: 1). Auch der DJB geht davon aus, dass es für das Kind von Nachteil ist, wenn die Vaterschaft zu jedem Zeitpunkt angefochten werden kann und ein biologischer Vater womöglich nicht mehr greifbar ist, was indirekt auf unterhaltsrechtliche Interessen schließen lässt (DJB 2006: 5). Die Stellungnehmenden halten sich hier jedoch mit Bewertungen zurück, es werden eher der Mutter unterhaltsrechtliche Beweggründe unterstellt, statt einem Kind diese materiellen Interessen zuzuschreiben. Das Kind soll, so das entworfene Bild, eher sozialen oder an der Identität orientierten Motiven folgen. Eine (finanziell) berechnende Perspektive würde zu einem moralischen Makel führen und das Kind als zurechenbares Gewicht für die eigenen Motive abwerten. Wer sich für das moralisch einwandfreie Kind einsetzt, kann auch für sich selbst berechtigte Interessen beanspruchen. Eine Ermittlung der Motive, beispielsweise der Interessen des Kindes im vorliegenden Fall, kommt nicht vor. Während auch die Verfassungsbeschwerde sowohl der Mutter als auch dem Vater lange Passagen widmet, kommt das Kind kaum als Einzelperson vor. Diese Verallgemeinerung und Vernatürlichung kindlicher Interessen sowie eine unbedingte Gleichstellung der Interessen von Vater und Kind findet sich bereits in der von Bühler-Niederberger (2005a) analysierten Debatte um die Kindschaftsrechtsreform.
122
7 Das Kind als Faustpfand
Der VAMV macht geltend, dass das Kind unabhängig vom Verhalten der Mutter einen „Betrug“ nicht zu verantworten habe (VAMV 2006: 4). Während der DJB sich nicht wertend zum (potenziellen) Verhalten der Mutter äußert, geht der VAMV von einem „Betrug“ aus und stellt sich damit moralisch urteilend gegen die Mutter, löst das Kind jedoch aus diesem Zusammenhang heraus.41 7.2
Informationelle Selbstbestimmung des Kindes
Einen Schwerpunkt der Argumentationen in den Stellungnahmen bildet die Frage des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Kindes, das durch die heimliche Entnahme einer Probe sowie deren Begutachtung durch ein Labor verletzt wird. Einigkeit herrscht bei allen Beteiligten darüber, dass es sich um einen Eingriff handelt, der nach geltender Rechtslage nicht zugelassen ist. Darüber hinaus geht das Einvernehmen jedoch nicht, denn bereits die Schwere des Eingriffs wird sowohl durch juristische, medizinische als auch moralische Maßstäbe bewertet. Die Befürworter der Verfassungsbeschwerde halten den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes für „nicht besonders schwerwiegend“ (Stellungnahme Baden-Württemberg 2006: 10; ebenso ISUV 2006: 2). Aus medizinischer Sicht sei der Eingriff keine schwerwiegende Belastung, so Baden-Württemberg (2006: 12) und der VK (2006: 2). Auch moralisch sehen die Befürworter keinen besonderen Vertrauensbruch in der heimlichen Probenentnahme (Baden-Württemberg 2006: 12). „Wir folgern aus diesen Tatsachen der überragenden Bedeutung der Abstammung und den heutigen Möglichkeiten der Klärung, mit einem auch im Vergleich zu einem Bluttest wegen Alkoholisierungsverdacht etc. vernachlässigbaren Eingriff, sofern er überhaupt wahrgenommen wird, dass eine niedrige Anforderungsschwelle auch gerechtfertigt ist.“ (VK 2006: 2) „Lebt der Vater mit der Mutter, wie in den vorliegenden beiden Sachverhalten, nicht zusammen, erscheint die Verschaffung des für den Test notwendigen Genmaterials – hier des Kaugummis und von Haarwurzeln – nicht als besonderer Vertrauensbruch und nicht als für Kind und Mutter unzumutbare Belastung.“ (Baden-Württemberg 2006: 12) 41
Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es hier von der Verfasserin für die Gerichtsentscheidung als unerheblich bewertet wird, ob es sich tatsächlich um einen Betrug handelt oder nicht. Im Ergebnis geht es um die Frage, ob ein Vaterschaftstest, der ohne Zustimmung der Beteiligten durchgeführt wurde, gerichtlich verwertbar ist. Bei der Deutung des „Betrugs“ handelt es sich nicht um eine im vorliegenden Fall entscheidende juristische Frage, sondern um eine moralische Deutung einer Situation, der bestimmte Implikationen folgen.
7.2 Informationelle Selbstbestimmung des Kindes
123
Einerseits ist demnach das Ergebnis des Tests von überragender Bedeutung und liegt auch im zentralen Interesse des Kindes, andererseits seien die Durchführung und die Erlangung von Proben hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität vernachlässigbar. Eingriff und Ergebnis werden getrennt voneinander betrachtet. In der Zusammenschau mit der Passivkonstruktion bezüglich des Vaters erscheint dies logisch (vgl. Abschn. 9.5.1), denn es gibt keinen Handelnden, der den Test durchführt, bzw. wenn der Vater als Handelnder auftritt, dann in einer Zwangslage und als Retter des Kindes (vor der möglichen Gefährdung der Tötung), entsprechend ist der Eingriff bedeutungslos.42 Demgegenüber bewerten die Gegner DJB, VAMV und das BMJ den Eingriff als schwerwiegende Rechtsverletzung (DJB 2006: 6; VAMV 2006: 2; BMJ 2006: 2). Das BMJ weist auf eine Intensivierung des Eingriffs hin (BMJ: 3). „Das Bundesverfassungsgericht hat in früheren Entscheidungen auch mehrfach darauf hingewiesen, dass es zu einer Intensivierung des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führt, wenn dieser in einer Situation vermeintlicher Vertrautheit erfolgt.“ (BMJ 2006: 3)
Die Bewertung des Eingriffs erfolgt auch aus der Argumentation heraus, die die berührten Grundrechte von Kind und Vater in ein Verhältnis zu bringen versucht. Ausgehend vom Bf, der die berührten Grundrechte als gleichrangig ansieht, bewerten auch die Stellungnahmen die Verhältnismäßigkeit. Dabei geht ISUV in Übereinstimmung mit dem Bf davon aus, es handle sich um gleichrangige Rechte, bei denen die Rechte des Kindes nur im Einzelfall von Vorrang sein könnten (ISUV 2006: 3). „Es liegt somit eine Grundrechtskollision und nicht eine Vorrangproblematik vor. Die Interessen des (Nicht-)Vaters liegen ähnlich wie beim Kind. Das Grundrecht des Vaters auf Kenntnis der eigenen Abkömmlinge ist Spiegelbild des Rechts des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung also des informationellen Selbstbestimmungsrechts.“ (ISUV 2006: 3)
Die Spiegelbild-Metapher verweist erneut auf die oben genannte Identifikation von Vater und Kind. Bayern plädiert für den gerechten Ausgleich zwischen den Rechten des Vaters und denen des Kindes durch ein neues Gesetz zur Feststellung der Vaterschaft (Bayern 2006: 1). Umgekehrt argumentieren BMJ und DJB, dass die Rechte des Kindes nicht hinter denen des Mannes zurückstehen dürften (BMJ 2006: 2; DJB 2006: 6). Das Kind habe sowohl ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung (BadenWürttemberg: 5) als auch ein Recht darauf, dass die Abstammung nicht ohne 42 Assoziativ erscheint hier das Bild des körperlich strafenden Elternteils, das dem Kind sagt, „das tut mir mehr weh als Dir“.
124
7 Das Kind als Faustpfand
sein Einverständnis geklärt wird, sowie ein Recht auf Nichtkenntnis. Davon sind nicht nur DJB und Datenschutzbeauftragte überzeugt, auch der Bf hält dies für „natürlich“ (Datenschutzbeauftragter 2006: 3; DJB 2006: 3; Bf 2005: 14). „Dieses Interesse des Kindes ergibt sich in den vorliegenden Fällen neben den Unterhalts- und möglichen Erbansprüchen auch aus dem unstrittigen Recht des Kindes auf Nichtwissen hinsichtlich der Ergebnisse genetischer Untersuchungen.“ (Datenschutzbeauftragter 2006: 3)
Es deutet sich an, dass das Verhältnis der Grundrechte von Vater und Kind schwerer zu bestimmen ist als das zwischen Mutter und Vater. Während bei der Mutter moralische Aspekte der Verurteilung zu finden sind, wird zwischen Vater und Kind darauf abgestellt, dass es sich um einen Gleichrang handle und demnach der Vater nicht zurückgestellt werden dürfe. Es scheint offensichtlich, dass die Interessen des Vaters nicht offen als bedeutsamer bewertet werden und zum Nachteil des Kindes wirken dürfen. 7.3
Das Recht des Kindes auf Nichtwissen in der Auffassung des BVerfG
Das Gericht gibt dem Gesetzgeber auf, ein Verfahren zu schaffen, das die gerichtliche Durchsetzung der Feststellung der Vaterschaft ermöglicht. Damit wird notwendigerweise das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt. Die „Einschränkungen dieses Rechts“ müsse der Einzelne hinnehmen, wenn diese „im Interesse anderer oder der Allgemeinheit liegen“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 39). Die gerichtliche Abwägung der beiden Rechte stellt fest, dass das Recht des Vaters notwendigerweise nur durch diese Einschränkung verwirklicht werden kann und zudem von so hohem Gewicht ist, dass diese Folge hingenommen werden muss. „Dem Recht des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung des Kindes ist in dieser Grundrechtskonstellation größeres Gewicht beizumessen als dem Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere auch, weil der Gesetzgeber seiner Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nur nachkommen kann und Genüge leistet, wenn er ein Verfahren bereitstellt, in dem unter Zuhilfenahme der genetischen Daten des Kindes in Abgleich mit den Daten des rechtlichen Vaters geklärt werden kann, ob das Kind wirklich von diesem abstammt.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 45) „Da es sich um Daten handelt, die in Beziehung zu denen des Mannes stehen können, der rechtlicher Vater des Kindes ist, ist das Recht des Kindes, diese Daten nicht preiszugeben, ihm gegenüber weniger schützenswert“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 45).
7.3 Das Recht des Kindes auf Nichtwissen in der Auffassung des BVerfG
125
Das BVerfG bewertet in seiner Entscheidung das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung in diesem Zusammenhang als nachrangig gegenüber dem Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes, da das Recht des Mannes nur durch Einschränkung des Rechts des Kindes zu verwirklichen sei.43 Das BVerfG bezweifelt die Existenz eines Rechts auf Nichtwissen als Umkehrung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung, zudem sei es im vorliegenden Fall nicht höher zu bewerten als das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes, da es sich im Zweifelsfall um ein Recht auf eine fehlerhafte Annahme handele (BVerfG 1 BvR 421/05: 41). Das Recht auf Nichtkenntnis wurde sowohl in der Vorinstanz vom Bundesgerichtshof als auch vom Beschwerdeführer selbst, dem Bundesjustizministerium und dem Bundesdatenschutzbeauftragten als wesentlicher Bestandteil der informationellen Selbstbestimmung des Kindes angesehen. Das BVerfG befindet, dass es vorliegend keiner Entscheidung bedürfe, ob das Kind ein Recht auf Nichtkenntnis habe. „Es ist schon fraglich, ob ein solches Recht überhaupt als negative Kehrseite des Rechts auf Kenntnis der Abstammung vom Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG mit umfasst wird. Denn die Nichtkenntnis eröffnet anders als die positive Kenntnis der Abstammung dem Einzelnen mit der Information nicht die Möglichkeit, sich zu konkreten Personen in Beziehung zu setzen und den persönlichen familiären Zusammenhang zu erfahren, an dem sich eigene Identität ausrichten kann.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 42)
Der Abstammung wird hier eine maßgebliche Funktion für die eigene Identität zugeschrieben. Identität wird von der konkreten Abstammungsbeziehung zu bestimmten Personen abhängig gemacht. Eine mögliche Identitätskonstruktion ohne Abstammungskenntnis (die das Kind in seinem „Nichtwissen“ bereits geleistet haben müsste) wird im Vergleich zu einer Identitätsfindung des erwachsenen Vaters, der diese durch ein Abstammungsgutachten bestätigt wissen möchte, als weniger schützenswert angesehen, bzw. grundsätzlich bezweifelt. Hinzu kommt, dass die Identitätsausrichtung durch das „in Beziehung setzen“ notwendigerweise an konkreten Personen erfolgen müsse, die aber, so die Auffassung, auch in einer Abstammungsbeziehung zueinander stehen müssten. „Insofern ist im Falle eines Verfahrens zur Klärung der Abstammung eines Kindes in Wahrheit auch nicht dessen Nichtwissen über die Abstammung betroffen, sondern sein möglicherweise nur vermeintliches Wissen über die Abstammung von seinem rechtlichen Vater, das durch die Kenntnis der wahren Abstammung erschüttert werden könnte. Ein Recht aber, das eine möglicherweise fehlerhafte Annahme schützt 43 Diese Abstammungsfeststellung sei notwendig, weil der Gesetzgeber die rechtliche Vaterschaft regelmäßig auf der Abstammungsvermutung begründe.
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7 Das Kind als Faustpfand
und das Kind vor einer Klärung der tatsächlichen Abstammung bewahrt, hätte, selbst wenn es vom Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts umfasst wäre, grundsätzlich ein geringeres Gewicht gegenüber dem Recht auf Kenntnis der Abstammung, weil allein dieses letztlich einen dauerhaften Beitrag zur eigenen Identitätsfindung sowohl des Mannes als auch des Kindes leisten kann.“ (BVerfG 1BvR 421/05: 42)
Wird in diesem Abschnitt zunächst angenommen, dass die Nichtkenntnis oder Annahme des Kindes über seinen Vater durch ein Klärungsverfahren erschüttert werden könne, wird im nächsten Abschnitt die Tatsache gesetzt, dass nur eine Verwirklichung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung einen dauerhaften Beitrag zur Identitätsfindung von Vater und Kind leisten könne, dies obgleich die Identität des Kindes durch das Klärungsverfahren erschüttert wird. Was zunächst ein „möglicherweise vermeintliches Wissen“ des Kindes ist, wird zu einer „möglicherweise fehlerhaften Annahme“, der dann die „tatsächliche“ Abstammung gegenüber gestellt wird, als Lösung des Problems einer Identitätssuche. Der Begriff des „dauerhaften“ Beitrages, den die (so muss angenommen werden, durch einen Gentest verifizierte) Abstammungskenntnis leistet, verweist auf die Unveränderlichkeit der biologisch fundierten Abstammungsbeziehung, die scheinbar im Gegensatz zur weniger dauerhaften Identifikation durch eine soziale Beziehung steht. Geht man von einer Statusgleichheit zum Zeitpunkt der Nichtkenntnis aus – der Vater weiß nicht sicher, ob er der biologische Vater dieses Kindes ist, das Kind weiß nicht, ob es tatsächlich das biologische Kind dieses Vaters ist –, befinden sich beide in der gleichen Ausgangssituation. Das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines rechtlichen Kindes kann nur verwirklicht werden, wenn das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung (und damit auch sein Recht auf Nichtwissen) eingeschränkt wird. Umgekehrt könnte das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung und damit sein Recht auf Nichtwissen nur vollständig geschützt werden, wenn das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung eingeschränkt würde. Letztlich ist für die Entscheidung maßgeblich, dass der Abstammungskenntnis die Schlüsselstellung für die Individualität des Vaters zuerkannt wurde. Alternativ hätte auch dem Nichtwissen des Kindes eine Schlüsselstellung für eine sichere Individualität zugeschrieben werden können, was zu einem vollständig anderen Ergebnis geführt hätte. Zu klären bleibt, wie die Abstammungskenntnis des Kindes die Schlüsselstellung für die Individualität des Vaters erhält (vgl. Abschn. 9.5). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Frage des Rechts des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes die Interessen des Kindes an einer Nichtklärung als weniger schützenswert bewertet werden. Dies zum einen,
7.4 Das Verfahren schützt Kinder – Kinderschutz im parlamentarischen Verfahren
127
da seine Identitätskonstruktion im Zustand des „Nichtwissens“ nicht rechtlich geschützt und weil das Recht des Vaters nur in der Einschränkung des Rechts des Kindes zu verwirklichen sei. Da das Nichtwissen ohnehin möglicherweise fehlerhaft sei, könne nur die Abstammungsklärung einen dauerhaften Beitrag zur Identitätsfindung leisten. Die von Honig (2009) aufgeworfene Frage, „wie wird Kindheit möglich“, beantwortet diese Passage mit der Beziehung zu konkreten Personen. Eine konkrete, bestätigte Abstammungsbeziehung begründet ein Generationenverhältnis. Die Selbstdefinition als Kind ist, so legt es die Passage nahe, nicht ohne Abstammungsbeziehungen möglich. Die Verhältnismäßigkeit von Kindheit wird dadurch eindrücklich dargestellt. 7.4
Das Verfahren schützt Kinder – Kinderschutz im parlamentarischen Verfahren
Ein in der Debatte um das Kindschaftsrecht stets bedeutsame Variable ist der Kinderschutz. Uneinigkeit herrscht im Parlament jedoch darüber, ob das neue Verfahren das Kindeswohl ausreichend berücksichtige. Es handelt sich bei diesem Aspekt um die Passage, die am konfliktreichsten verhandelt wird, denn es gibt zahlreiche Zwischenrufe. Dies verdeutlicht, dass es offenbar Diskussionsbedarf gibt und die Frage nicht abschließend klärbar ist. „Das erleichterte Verfahren hatten wir bislang auch nicht; genau so ist es. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber da haben die Frauen doch eingewilligt! Da braucht man gar keine Darlegungslast! Das entspricht der gegenwärtigen Gesetzeslage!) – Nein, das sehen Sie falsch. Die Rechte der Kinder werden hier wieder missachtet. (Zurufe von der SPD: Ach!)“ (Wunderlich, Linksfraktion, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15328)
Der Vertreter der Linken-Fraktion bezieht sich hier auf den Sachverhalt, dass der Ausschluss des Kindeswohlvorbehaltes im Anfechtungsverfahren dazu führen kann, dass das Kindeswohl in keinem Fall geprüft werde. Denn die geringe Erfolgsaussicht, vor Gericht die Nichtdurchführung eines Abstammungsgutachtens zu erwirken, wird voraussichtlich zu vielen privat durchgeführten Gutachten führen. Ein Kindeswohlvorbehalt gegen die Klärung müsste seitens eines Sorgeberechtigten oder gesetzlichen Vertreters vor Gericht geltend gemacht werden. Daher nimmt der Sprecher an, dass die Kinderrechte missachtet würden. Der Vorwurf der Missachtung der Kinderrechte führt seitens der Regierungsfraktionen zu Zwischenrufen. Dies deutet darauf hin, dass speziell das Thema Kinderrechte und der Vorwurf, Kinder im Besonderen nicht ausreichend zu schützen, zu den größten Differenzen führen.
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7 Das Kind als Faustpfand
Die Vertreter/innen der Regierungsfraktion vertreten die Auffassung, dass das Kindeswohl auf drei Wegen geschützt werde. Erstens schützt das gesonderte Verfahren das Kindeswohl, da die Vaterschaft grundsätzlich erhalten bleiben könne. Dies wird jedoch, so der CDU-Abgeordnete, kaum der Fall sein. Stellt der Vater jedoch fest, dass er sich an das Kind gewöhnt habe, so kann er die Vaterschaft erhalten: „Er hat auch die Möglichkeit, zu sagen: Ich belasse es dabei. Was kann eigentlich der Kleine dafür? Ich habe mich an ihn gewöhnt und zu ihm – genauso wie bei einem adoptierten Kind – Liebe und Herzlichkeit entwickelt. Ich sehe davon ab, anzufechten.“ (Gehb, CDU, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15327)
Diese Passage legt nahe, dass es von der emotionalen Nähe des Vaters abhängt, ob die Vaterschaft erhalten bleibt. Die Vater-Kind-Beziehung hängt damit von der „Gewöhnung“ oder der „Liebe und Herzlichkeit“ des Vaters ab. Gleichzeitig wird versucht, eine Deutung für diese neue Form der Beziehung zu entwickeln, dies gelingt durch die Analogie zu einer Adoption. In jedem Fall scheint das Kind dadurch geschützt zu werden, dass die Feststellung nicht sofort zur Anfechtung führt, mithin wird der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts gefolgt. Potenzielle Liebe oder Herzlichkeit seitens des Kindes wird hier weder genannt noch erfragt, die Liebe des Vaters erscheint als gönnerhafte Geste. Zweitens schütze die Anfechtungsfrist von zwei Jahren, die mit dem Feststellungsverfahren zu laufen beginnt, das Kind, da so binnen zwei Jahren nach Kenntnis der Umstände, die einen Zweifel an der Vaterschaft begründen, die Frist abläuft. Im ursprünglichen Entwurf begann die Anfechtungsfrist mit der Kenntnis des Ergebnisses der Klärung der Vaterschaft. Dadurch hätte ein Vater eine unbegrenzte Möglichkeit der Anfechtung gehabt, denn er hätte sowohl die Vaterschaft anfechten können, mit dem Gentest (den er zu einem beliebigen Zeitpunkt hätte durchführen können), aber eine neue Anfechtungsfrist anbrechen können. Drittens schütze die Kindeswohlklausel im Abstammungsverfahren das Kindeswohl, denn dies sei der richtige Zeitpunkt für die Überprüfung einer Kindeswohlgefährdung. Dies rechtfertige die Streichung des Kindeswohlvorbehaltes im Anfechtungsverfahren. Das haben wir Gott sei Dank übereinstimmend mit den Kollegen von der SPDFraktion wieder eliminiert, weil wir gesagt haben: Das Kindeswohl ist eigentlich ausreichend berücksichtigt, indem wir erstens im Klärungsverfahren die Möglichkeit der Aussetzung gewähren, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, und zweitens die Frist, binnen derer angefochten werden muss, bei zwei Jahren belassen, damit nicht über Jahre das Damoklesschwert über dem Familienfrieden schwebt …“ (Gehb, CDU, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15327).
7.4 Das Verfahren schützt Kinder – Kinderschutz im parlamentarischen Verfahren
129
Die Streichung des Kindeswohlvorbehaltes im Anfechtungsverfahren scheint von hoher Bedeutung zu sein, denn es wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kindeswohlprüfung im Klärungsverfahren der richtige und der entscheidende Zeitpunkt sei. „Wir sind nämlich der Meinung, dass das erste Verfahren aus der Sicht des Kindes entscheidend ist. Wenn ein Kind, das in einer vermeintlich intakten Familie lebt, auf einmal erfährt, dass der Vater, mit dem es jahrelang zusammen in einer Gemeinschaft gelebt hat, nicht sein biologischer Vater sein soll, dann ist der Moment gekommen, in dem dieses Kind Schutz braucht.“ (Lambrecht, SPD, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15330) „Wir brauchen die Kinderschutzklausel in diesem Moment und nicht dann, wenn es darum geht, ob Unterhalt gezahlt wird, ob es ein Besuchsrecht gibt oder ob weiß der Teufel welche rechtlichen Regelungen getroffen werden. Da, wo es an die Substanz der kindlichen Seele geht, brauchen wir die Kinderschutzklausel.“ (Lambrecht, SPD, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15330)
Zweifach verweist die Vertreterin auf den richtigen Moment, zu dem das Kind geschützt werden muss, und betont damit die Zeitdimension des Verfahrens. Mit dem Verweis auf den Moment erscheint auch eine Form der Dringlichkeit zu entstehen, die nahelegt, dass es einen falschen Moment geben könne, zu dem das Kind bereits zu wenig geschützt sei. Die Kinderschutzklausel diene der Substanz der kindlichen Seele, die nicht durch Unterhalt oder Besuchsrechte gefährdet wird, sondern durch die Abstammungsfeststellung. Hier ist erneut die „Entökonomisierung“ des Kindes von Bedeutung. Assoziativ werden in diesem Redebeitrag noch der Teufel und die Seele des Kindes genannt, um der Dringlichkeit Ausdruck zu verleihen. Es besteht darüber hinaus die Annahme, dass das Kindeswohl offenbar zu häufig geschützt werden könnte. Der Zeitraum bis zum Anfechtungsverfahren sei hingegen so kurz, dass das Kindeswohl kein zweites Mal geprüft werden müsse. Der Gesetzentwurf beinhaltet (Deutscher Bundestag 2007b: 8), dass das Verfahren eine Einschaltung von Gerichten möglichst vermeiden soll. Die Kindeswohlprüfung als regelmäßiger Bestandteil einer Vaterschaftsklärung wird, sollte die Vermeidung eines Gerichtsverfahrens der Realität entsprechen, nicht stattfinden. Die Vertreterin der SPD-Fraktion führte nicht zuletzt deshalb, wie oben genannt, das Vertrauen in die Mütter an, die eine Kindeswohlgefährdung anzeigen sollen. Eine andere Begründung führt die Fraktion der CDU/CSU in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses an: Es sei die materielle Gerechtigkeit gegenüber dem Vater, die eine Anfechtung bei Kenntnis der Nichtvaterschaft nicht unmöglich machen dürfe.
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7 Das Kind als Faustpfand
„Anderenfalls wären widersprüchliche Ergebnisse die Folge, so dass beispielsweise ein rechtlicher Vater seine Nichtvaterschaft feststellen lassen könnte, er aber dennoch das Anfechtungsverfahren verlieren könnte. Dies widerspreche der materiellen Gerechtigkeit.“ (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucksache 16/8219: 10)
Dieses Argument kommt in der parlamentarischen Debatte nicht mehr vor. Unabhängig davon, wie bedeutsam dieser Grund ist, fällt auf, dass dieses Argument scheinbar tabu für die parlamentarische Debatte ist. Denn wenn das Kindeswohl debattiert wird, sind alle parlamentarischen Redner/innen sehr interessiert daran, sich als ‚über Zweifel erhaben‘ darzustellen. Es ist demnach einerseits nicht mehr notwendig, das Kindeswohl auch im Anfechtungsverfahren zu überprüfen, da die kindliche Seele bei der Klärung der Vaterschaft bereits geschützt wird. Offenbar spielt auch der Beweggrund eine Rolle, dass der Vater, der infolge der festgestellten, nicht übereinstimmenden Abstammung auch die Vaterschaft anfechten können muss. Das Ziel, die Familie und das Kindeswohl zu schützen, indem die Klärung nicht direkt zur Anfechtung wird, scheint insgesamt als ein Ziel gedeutet zu werden, das eigentlich nicht zu verwirklichen ist. Das Kind bleibt demgegenüber das „Fritzchen“, ein Stellvertreter und im Ergebnis passiver Zuschauer, Projektionsfläche für Schutz und gegebenenfalls Liebe. Das Kind ist darüber hinaus nach wie vor schutzbedürftig, wobei der Zeitpunkt des Schutzes von entscheidender Bedeutung ist und ein zweifacher Schutz des Kindeswohles vermieden werden muss. 7.5
Interessenkoalitionen: Das Kind als entscheidendes Gewicht
Ausgehend von den Interessenhierarchien lässt sich eine Verbindung der Interessen von entweder Mutter und Kind oder Vater und Kind jeweils gegen den anderen Elternteil festhalten. 7.5.1
Die Vertretung der Kindesinteressen durch die Mutter
In der Betrachtung des DJB vertritt die Mutter berechtigt die Interessen ihres Kindes und ihre eigenen Interessen. Beide benötigen Rechtssicherheit und Unterhaltssicherheit. Darüber hinaus werden sie durch die Grenzen der Vaterschaftsanfechtung vor Anfechtungsverfahren, die ohne jeglichen Anlass sind, geschützt. In verschiedenen Passagen lässt sich erkennen, dass Mutter und Kind hier als schützenswerte Familie angesehen werden.
7.5 Interessenkoalitionen: Das Kind als entscheidendes Gewicht
131
„Wesentlich ist das Interesse der Frau daran, dass ihr Kind keinen Schaden dadurch nimmt, dass überhaupt oder zu einem in der Kindesentwicklung ungünstigen Zeitpunkt oder nach längerer Zeit, in der ein Mann der rechtliche Vater gewesen ist, die Vaterschaft in Zweifel gezogen wird.“ (DJB 2006: 3) „Kind und Kindesmutter werden im Einklang mit ihren Grundrechte, davor geschützt, ohne jeglichen Anlass mit Vaterschaftsanfechtungsverfahren überzogen zu werden, während es dem Mann zuzumuten ist, die Frage der Vaterschaft entweder bereits bei der Vaterschaftsanerkennung klären zu lassen oder im Falle einer späteren Anfechtung Umstände darzulegen, die ihn nachträglich an der Vaterschaft zweifeln lassen.“ (DJB 2006: 5)
Der anfechtungswillige Vater steht dem gegenüber und will sich aus eigennützigen Motiven seinen Pflichten entziehen. Statt der von den Befürwortern der Beschwerde beschriebenen promiskuitiven Mutter wird hier das Bild des promiskuitiven und dazu verantwortungslosen Vaters entworfen, der sich jederzeit von Kind und Mutter trennt, wenn ihm Kind und/oder Mutter nicht mehr gefallen. 7.5.2
Die Interessen des Kindes als Spiegel der Interessen des Vaters
Idealtypisch auf der anderen Seite sind die Konstellationen zu verorten, in denen der Vater und das Kind eine Interessenkoalition bilden. Ersterer möchte die Vaterschaft testen und gegebenenfalls anfechten, das Kind will seine Abstammung kennen und gegebenenfalls mit dem biologischen Vater eine Beziehung aufbauen. Beide haben ein Interesse, das in die gleiche Richtung geht. Dem steht die Mutter mit eigennützigen Motiven gegenüber, die die Verwirklichung von Vater und Kind hemmt. Die Interessenkoalition soll die zuvor benannte „Kollision“ des Persönlichkeitsrechts des Vaters gegenüber dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes auflösen. „Gewichtet man die Rechtsbeeinträchtigung des Kindes und der sorgeberechtigten Mutter und vergleicht sie mit der Beeinträchtigung des rechtlichen Vaters, gebührt der vom Bundesgerichtshof nicht ausreichend berücksichtigten Rechtsposition des Vaters der Vorrang. […] Grundsätzlich besteht auch ein gleichgerichtetes Interesse des Kindes an der Klärung nicht gesicherter Abstammungsverhältnisse.“ (BadenWürttemberg 2006: 11)
Ähnliche Vorstellungen finden sich bei der Auffassung des Beschwerdeführers und des VafK. „Nunmehr weiß der Beschwerdeführer, dass er nicht Vater seiner Tochter ist. Das ist geeignet, die Beziehung zu beenden. […] Das Vertrauensverhältnis [des Kindes
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7 Das Kind als Faustpfand
S.S.] zu ihr [der Mutter S.S.] ist gefährdet, weil die Mutter dem Kind einen Vater untergeschoben hat.“ (Bf 2005: 12)
Die Rechte des Kindes sind das Spiegelbild der Rechte des Vaters, auch dadurch entsteht eine Identifikation von Vater und Kind, die allerdings teilweise von Brüchen durchzogen ist, denn der Vater im vorliegenden Fall beharrt ja darauf, nicht der Vater zu sein. Aus diesem Bruch ergibt sich auch die Figur des „(Nicht-)Vaters“, der wiederholt auftaucht und einerseits die gleichen Interessen wie das Kind hat, es andererseits aber potenziell gefährdet. 7.5.3
Das Kind als eigenständiger Interesseninhaber
Der VAMV entwirft eine dritte Konstellation, indem die Interessen des Kindes von denen von Mutter und Vater abgelöst betrachtet werden. Eine Vaterschaftsanerkennung wird zunächst als „Verantwortungsübernahme“ bezeichnet. Das Verhalten der Mutter wird als Betrug bezeichnet. „Ungeachtet dessen, dass ein Betrug auch im Hinblick auf eine Vaterschaft immer schwer wiegt und nicht zu rechtfertigen ist, hat das Kind dies nicht zu verantworten. Auch bedeutet eine Vaterschaft mehr als die Feststellung der genetischen Abstammung.“ (VAMV 2006: 3)
Damit entzieht sich der VAMV der Koalition kindlicher Interessen mit denen von Müttern oder Vätern, kommt aber dennoch zum Ergebnis, dass die Begrenzung der Vaterschaftsanfechtung im Sinne des Kindes ist. Nimmt man die Position des VAMV aus der Gesamtbetrachtung, fällt auf, dass das Kind als „Zünglein an der Waage“ angesehen werden kann: Wer die Interessen des Kindes mit den eigenen Interessen argumentativ verbinden kann, wird als berechtigt angesehen. Dies steht im Zusammenhang mit einer Ablösung utilitaristischer Interessen von der Person des Kindes. Indem das Kind als weitgehend interessenlos bzw. nur an seiner (natürlichen) Bindung zum Vater (sei dieser biologisch wie für die Befürworter oder sozial wie für die Gegner) interessiert angesehen wird, kann es jeweils als „neutrales Faustpfand“ der einen oder anderen Seite zugerechnet werden und entscheidet über die Berechtigung der Interessenvertretung. Was nicht im Interesse des Kindes stattfindet, gilt als „eigennützig“ oder berechnend und damit unberechtigt.
8 Mütter zwischen Fürsorge und Fremdgehen
Es kann als Indiz für die hervorgehobene Rolle, die die Neuverhandlung der Väterlichkeit spielt, gelten, dass Mütter im gesamten Verfahren nur in geringem Ausmaß verhandelt werden. Schwerpunkt der Deutungen zur Mutter ist die Frage, ob die Mutter fremdgegangen ist und ob damit ihr moralischer Status in Zweifel zu ziehen ist. Dies drückt sich in den folgenden vier zentralen Diskursformationen aus: 1. In den Stellungnahmen wird über die Verantwortung oder die Eigennützigkeit der Mutter als Vertreterin der Kindesinteressen verhandelt. Dies liegt nahe, da die Mutter als Alleinsorgeberechtigte die Entscheidungshoheit über einen Vaterschaftstest hat. 2. Entsprechend steht die mütterliche Entscheidungsbefugnis im Mittelpunkt der Verhandlung. 3. Die Intimsphäre der Mutter wird in den Zusammenhang mit ihrem moralischen Status gestellt. 4. Im parlamentarischen Verfahren ist es vor allem die Gestaltung einer tradierten Mutterfigur, die im Zentrum der Deutungen steht. 8.1
Eigennützige und verantwortungsvolle Mütter – die Stellungnahmen
Bezüglich der Mutter findet sich eine Entwicklung von einer Bewertung des mütterlichen Verhaltens im vorliegenden Einzelfall hin zu Annahmen über Mütter im Allgemeinen. Die Mutter im vorliegenden Fall hat nach Angaben des Bf im Verlauf des Vaterschaftsanfechtungsverfahrens zunächst angeboten, einen Vaterschaftstest durchzuführen. Nach Kenntnis des Ergebnisses des heimlichen Tests hat sie die Zulassung des Beweismittels untersagt. Daher sei ihre Glaubwürdigkeit anzuzweifeln („Glaubwürdigkeitsproblem“). Ihr wird unterstellt, sie wäre daran interessiert, den Unterhalt für ihr Kind zu sichern, sie habe also ein
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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8 Mütter zwischen Fürsorge und Fremdgehen
„Unterhaltsproblem“ (Bf 2005: 14). Ihr „widersprüchliches“ Verhalten trage zur Begründung eines Anfangsverdachts bei (Bf 2005: 15).44 „Die allein sorgeberechtigte Mutter des Kindes trifft im Rahmen ihres Elternrechts die gebotenen Entscheidungen für das Kind und gibt die entsprechenden Erklärungen ab, BVerfGE 107, 104 (20). Die Mutter muss diese Maßnahmen aber ausschließlich am Wohl des Kindes orientiert treffen. […] Die Mutter, die Mehrverkehr geleugnet hat, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie hat außerdem, bezogen auf das Kind, ein Unterhaltsproblem.“ (Bf 2005: 14 f.)
Über diese Einzelfallbewertung hinaus finden sich in den Stellungnahmen seitens der Befürworter, aber auch teilweise der Gegner der Verfassungsbeschwerde Wertungen und Annahmen über die Interessen und Motive von Müttern. Die alleinsorgeberechtigte Mutter befinde sich in einem Interessenkonflikt, da sie ihre eigenen unterhaltsrechtlichen Interessen nicht vom Kindeswohl trennen könne, so Bf, Baden-Württemberg, VK und VafK (Bf 2005: 14; Baden-Württemberg 2006: 12; VK 2006: 2; VafK 2006: 3, 14). Im Vergleich mit den Interessen des Kindes, dem kaum explizit unterhaltsrechtliche Motive zugeschrieben werden, findet hier eine Vermischung der Vertretung minderjähriger Kinder durch Sorgeberechtigte mit einer Annahme der Vertretung eigener Interessen statt. „Es kann auch nicht generell davon ausgegangen werden, dass die Mutter ihr Sorgerecht allein an den Interessen und dem Wohl des Kindes ausrichtet, da bei ihr auch subjektive Geheimhaltungs- und Unterhaltsinteressen eine Rolle spielen können, wenn sie nicht bereit ist, einem Vaterschaftstest zuzustimmen oder ihn zumindest nachträglich zu genehmigen (vgl. Ohly a.a.O. S. 627, Muscheler a.a.O. S. 187).” (Baden-Württemberg 2006: 12) „Selbstverständlich darf aus einer Ablehnung der Begutachtung, z.B. auf das oft zitierte ‚informationelle Selbstbestimmungsrecht‘ des Kindes, nicht schon auf einen arglistigen Täuschungsversuch geschlossen werden, aber diese Möglichkeit besteht und zusätzlich noch, wenn dieses Recht von der Mutter für ein minderjähriges Kind missbräuchlich wahrgenommen wird, dass dann auch sein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung erheblich verletzt wird, mit wahrscheinlich gravierenden Folgen auch für die spätere Mutter-Kind-Beziehung.“ (VK 2006: 2)
Mit der Gleichsetzung von Kindes- und Mutterinteressen bzw. mit der Unterstellung der eigennützigen Interessenvertretung für das Kind werden auch Argumente gegen die Alleinsorge lediger Mütter gesammelt. Vergleicht man diesen Befund mit Schützes Analyse der Mutterliebe als normativem Muster (1991), so fällt auf, dass der Interessenkonflikt nur dort entstehen kann, wo von gleich ge44
Stellt man nicht die Mutter, sondern den Beschwerdeführer unter Verdacht, wäre die Annahme, dass die Mutter die Verwendung des Beweismittels untersagt, weil sie es für falsch hält und z.B. davon ausgeht, dass der Vater die Proben vertauscht hat, auch nicht fernliegend.
8.1 Eigennützige und verantwortungsvolle Mütter – die Stellungnahmen
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richteten, moralisch unfehlbaren Interessen der Sorgeberechtigten und des Kindes als Regelfall ausgegangen wird. Zunächst muss die Sorge nicht zwingend mit gleichen Interessen einhergehen, im Gegenteil, es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Interessen von Eltern und Kindern häufig widersprechen. Der Interessenkonflikt ist daher allgegenwärtig. Erst wenn von der bedingungslosen und aufopfernden Elternliebe als normativem Leitbild ausgegangen wird, entsteht der Interessenkonflikt als Einzelfall, der ggf. rechtlich reguliert werden soll. Der moralische Status von Frauen wird über die Verurteilung des Einzelfalls generell in Frage gestellt. Sowohl der VAMV spricht von einem „Betrug“, der „nicht zu rechtfertigen“ sei (VAMV 2006: 3), als auch Baden-Württemberg in der Annahme, die Mutter habe „Sexualkontakte verschwiegen“ (Baden-Württemberg 2006: 10). Der VafK geht davon aus, dass die unverheiratete Frau, die eine Schwangerschaft austrage und „zwischen mehreren ihr gleich nah oder gleich ferne stehenden Männern wählen kann“, sich den als Vater aussuche, der ihren Vorstellungen von Elternschaft entspreche (VafK 2006: 15). Dadurch wird ein Bild der Promiskuität im Zusammenhang mit der zuvor erwähnten „sittenwidrigen Schädigung“ (VafK 2006: 3) oder der „arglistigen Täuschung“ (VK 2006: 2) erzeugt. Das Ergebnis ist, dass die Interessen der Mutter als nicht berechtigt bewertet werden: „Es besteht kein schutzwürdiges Interesse der Mutter, die dem rechtlichen Vater nicht offenbarten Abstammungsverhältnisse geheim zu halten und seine Pflichten womöglich zu Unrecht fortbestehen zu lassen.“ (Baden-Württemberg 2006: 10)
Der VAMV richtet sich zwar gegen den „betrügerischen Generalverdacht“, unter den Mütter in der öffentlichen Debatte gestellt würden (VAMV 2006: 3), geht jedoch selbst davon aus, dass „ein Betrug nicht zu rechtfertigen“ ist. Die Idee der Interessenvertretung des Kindes durch die Mutter findet sich nur in den Darstellungen des DJB: Die Mutter habe ein Interesse daran, dass ihr Kind durch eine Anfechtung keinen Schaden nimmt, dass ihre Beziehung zum Kind nicht gestört wird und daran, für sich und ihr Kind Rechtssicherheit zu erlangen (DJB 2006: 3). Es gibt zum „Betrug“ keine alternative Deutung, die zulässt, dass die Mutter ggf. unabsichtlich oder unfreiwillig schwanger geworden ist oder dass zunächst noch nicht bewiesen ist, dass der Vater nicht der genetische Vater des Kindes ist. Im Ergebnis finden sich zwei konträre Ideen zu Müttern: Dies ist zum einen die Vorstellung von verantwortungsvollen Müttern, die die Interessen ihrer Kinder schützen und für diese auch Rechtssicherheit herstellen möchten, und zum anderen die Idee von Müttern, die in den Zusammenhang mit promiskuitivem Verhalten, Unglaubwürdigkeit und eigennütziger Täuschung zur Verwirklichung von eigennützigen Unterhaltsinteressen gestellt werden.
136
8 Mütter zwischen Fürsorge und Fremdgehen
Im Zusammenhang mit den Befunden von Nave-Herz (1997), Schütze (1991) und Lucke (1997) entwickelt sich ein massiver Widerspruch der Konzeption einer uneigennützig liebenden und fürsorglichen Mutter zur Deutung der eigennützigen und betrügenden, untreuen Mutter. Gerade durch diesen Gegensatz, eine unterstellte Verfehlung der sonst überhöhten und grundgesetzlich geschützten Mutter, gewinnt dieses Bild ein starkes Gewicht. Die Verfehlung, bzw. das unterstellte abweichende Verhalten, entsteht durch die normative Kraft der „guten Mutter“. 8.2
Entscheidungsbefugnis der Mütter in den Stellungnahmen
Die Rechtsposition der Mutter besteht aus ihrem Sorgerecht für das Kind, in das durch den heimlichen Vaterschaftstest eingegriffen wird, ihrem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Anspruch auf Achtung ihrer Intimsphäre sowie dem Recht auf Schutz ihrer Familie aus Art. 6 Abs. 2 GG. Das Recht der Mutter auf Wahrung ihrer Intimsphäre sei, so der VafK, gegenüber dem Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes zu vernachlässigen (VafK 2006: 4). DJB und Baden-Württemberg bewerten einen heimlichen Vaterschaftstest als Eingriff in das Personensorgerecht der Mutter, wobei Baden-Württemberg die Position gegenüber dem Interesse des Vaters nicht als schutzwürdig ansieht (DJB 2006: 8; Baden-Württemberg 2006: 9, 12). Der Bf vertritt, dass die Mutter ihr Sorgerecht in diesem Fall nicht ausüben kann, da sich in ihr ein unauflösbarer Interessenkonflikt personifiziert. Der Interessenkonflikt entstehe aus dem Interesse, dem Kind den Unterhalt zu sichern und andererseits dem Kindeswohl zu schaden, indem sie wissentlich eine nicht mit der biologischen Vaterschaft übereinstimmende rechtliche Vaterschaft aufrecht erhalte. Als Alleinsorgeberechtigter gilt der Entscheidungsbefugnis der Mutter über die Belange des Kindes einerseits eine hohe Aufmerksamkeit. Für die Befürworter der Verfassungsbeschwerde ist es von hoher Bedeutung, die Entscheidungsfähigkeit der Mutter in Frage zu stellen. Dies erfolgt sowohl über die Unterstellung eines Interessenkonfliktes, als auch über die Bezweiflung ihrer Glaubwürdigkeit oder ihrer Motivlage. Die verlangte Gesetzesänderung überträgt diese Vorstellung potenziell auf alle Mütter. Es überrascht, dass der Mutter breite Passagen gewidmet sind, die sich moralisch wertend über ihr „betrügerisches“ Verhalten äußern, andererseits jedoch das juristische Kerninteresse der Beziehung von Vater und Kind, beziehungsweise dem Verhältnis der Grundrechte von Vater und Kind, gilt. Es scheint als müsse die Mutter von den Befürwortern der Verfassungsbeschwerde zunächst
8.3 Von der Begründung eines Kenntnisinteresses – die mütterliche Intimsphäre im Urteil
137
argumentativ in einen Status gebracht werden, in dem ihr keine Rechte zugestanden werden können, bevor im Vergleich dazu wertfreier über Kind und Vater verhandelt wird. 8.3
Von der Begründung eines Kenntnisinteresses – die mütterliche Intimsphäre im Urteil
Die Mutter hat nach Auffassung des Gerichts ein grundrechtlich geschütztes Interesse an der Wahrung ihrer Intimsphäre. Dieses werde jedoch eingeschränkt, da die Mutter „dem Mann bereits Zugang zu ihrer Intimsphäre eröffnet hat, ihn an ihrem Geschlechtsleben hat teilnehmen lassen und dadurch ein Kenntnisinteresse des Mannes an der Abstammung ihres Kindes mitbegründet hat.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 47)
Darüber hinaus habe sie ein grundrechtlich geschütztes Interesse am Schutz ihrer Familie. „Das betrifft auch die Mutter des Kindes, deren Interesse am Bestand der familiären rechtlichen Beziehungen ebenfalls von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist.“ (BVerfG1 BvR 421/05: 48)
Das Recht der Mutter auf Wahrung ihrer Intimsphäre ist in der Abwägung mit dem Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung des Kindes nicht unzulässig beeinträchtigt. Sie habe selbst das Interesse des Mannes mitbegründet, indem sie ihm einen Zugang zu ihrer Intimsphäre (durch Teilnahme an ihrem Geschlechtsleben) eröffnet habe. „Die Klärung, ob ihr Kind von dem Mann abstammt, der als sein rechtlicher Vater gilt, berührt zwar auch das Persönlichkeitsrecht der Mutter aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, das ihr das Recht einräumt, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem sie Einblick in ihre Intimsphäre und ihr Geschlechtsleben gibt (vgl. BVerfGE 96: 56 <61>). Allerdings ist damit kein unzulässiger Eingriff in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung der Mutter verbunden.“ (BVerfG1 BvR 421/05: 46)
Der Eingriff diene der Klärung, ob das Kind aus ihrer Beziehung mit dem Vater hervorgegangen sei (BVerfG 1 BvR 421/05: 46). Diese Passage deutet – wie bereits im Hinblick auf die Rolle und Haltung des Vaters zur Mutter erarbeitet – auf den Aspekt hin, dass es letztlich nicht allein um die Abstammung des Kindes geht, sondern auch um das Verhalten der Mutter während der Beziehung. „Der Eingriff dient dem vorrangigen Ziel der Klärung, ob das Kind aus ihrer Beziehung mit dem rechtlichen Vater hervorgegangen ist, der wiederum ein verfassungs-
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8 Mütter zwischen Fürsorge und Fremdgehen
rechtlich geschütztes Recht auf Kenntnis hat, ob das Kind aus dieser Beziehung hervorgegangen ist und von ihm abstammt.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 47)
Würde die letzte Passage der Abstammung ausgeblendet, könnte das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Mannes auf Kenntnis auch als verfassungsrechtlich geschütztes Recht der Überprüfung partnerschaftlicher Treue interpretiert werden. Auf diese Frage der partnerschaftlichen Treue und ihre Implikationen für die Konstruktion hegemonialer Männlichkeit wurde im Kapitel 1 hingewiesen. In der Verbindung mit der bereits beschriebenen Beziehungs- und Treueerwartung, sowie mit der zumindest in den Stellungnahmen vorgefundenen Deutung eines Betruges seitens der Mutter, findet in diesem Abschnitt die Delegitimierung mütterlicher Interessen statt. Würde man sie als Opfer eines Eingriffes in ihre Intimsphäre betrachten, könnte hier als diskursive Strategie die „Leugnung der Unschuld des Opfers“ identifiziert werden (vgl. Schwab-Trapp 2006). Einen heimlichen Vaterschaftstest sieht das BVerfG als unzulässigen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Sorgerecht der Mutter an (BVerfG 1 BvR 421/05: 41). Ein Sorgerechtseingriff könne nur dann geboten sein, wenn für die Mutter in der Wahrnehmung ihres Sorgerechts ein unauflöslicher Interessenkonflikt entstehe. Das Recht der Mutter auf Bestandsschutz ihrer Familie werde durch die hohe Hürde der Vaterschaftsanfechtung geschützt. Daher müsse es zum Schutz der Rechte der Mutter ein gesondertes und folgenloses Verfahren der Vaterschaftsfeststellung geben. 8.4
Mütter sind passiv und beichten – das parlamentarische Verfahren
Mütter kommen zweifach in den Debatten vor. In der Rede des CDU-Abgeordneten beichtet die Mutter ihren Fehltritt oder sie kann dem Vater sagen, er sei umsonst eifersüchtig gewesen. „Der Vater, der es wissen will, geht zu der Mutter, mit der er zusammenlebt, und sagt: Ich habe arge Bedenken, dass das Fritzchen von mir ist. Es hat so eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Nachbarn. – Daraufhin kann die Frau sagen: ‚Jawohl, du hast recht‘ und beichtet.“ (Gehb, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15327)
Erneut wird ein religiöser Verweis auf das Beichten bemüht. Die Mutter in der traditionellen Konzeption bleibt also passiv, sie nimmt den Rosenstrauß an, sie macht das Essen warm oder sie erträgt die Eifersucht.
8.4 Mütter sind passiv und beichten – das parlamentarische Verfahren
139
Im letzten Redebeitrag wird an das Vertrauen der Parlamentarier/innen in die Mütter appelliert. Diese sollten, so die SPD-Abgeordnete Lambrecht, nicht in die gleiche Falle wie die Männer tappen, sondern darauf vertrauen, dass Mütter ihre Kinder im Anfechtungsverfahren schützten. „Haben Sie doch ein bisschen mehr Vertrauen zu Müttern! […] Da sollten wir ein bisschen mehr Mut haben, den Müttern zu vertrauen (Lambrecht, SPD, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15330).
Gleichzeitig braucht dieses Vertrauen aber Mut. Es scheint, als sei mit diesem Vertrauen ein Risiko verbunden, denn sonst müsste es nicht mutig sein, den Müttern zu vertrauen.
9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Die zentrale Figur, sowohl im öffentlichen als auch im Diskurs des Bundesverfassungsgerichts und im parlamentarischen Verfahren, ist der Vater. Nicht zuletzt, weil ein Vater die Verfassungsbeschwerde eingereicht hat und dieser auch um eine spezielle Rechtsposition kämpft, sind die Deutungen um Vaterschaft von wesentlichem Belang für die vorliegende Analyse. Gleichsam kann, so die hier vertretene These, dies jedoch auch als Indiz für die besondere Funktion der Vaterschaft innerhalb des Geschlechterverhältnisses gelten. Die zentralen Formationen um Vaterschaft sind die Folgenden: 1. Wird bei Müttern zwischen Eigennutz oder Verantwortung unterschieden, so steht beim Vater die Frage der Verantwortungslosigkeit gegenüber der Not oder Notwehr bei den Stellungnahmen im Mittelpunkt. 2. Wesentlich sowohl für die Argumentation, aber auch für die Funktion der biologischen Vaterschaft ist die Begründung des Anspruchs auf Kenntnis. 3. Zwar beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht zunächst auf die Frage, wie die Position des Vaters nach geltendem Recht aussehen soll, doch lässt sich unter 4. auch eine Schlüsselstelle des Verhältnisses von Männlichkeit und Väterlichkeit identifizieren. 4. Von zentraler Bedeutung ist die Beschreibung, die das Bundesverfassungsgericht der Beziehung von Vater und Kind zukommen lässt. 5. Sowohl für die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts als auch für die Beantwortung der Frage nach der Rangfolge der Grundrechte ist die Deutung zu Individualität aus Sicht des BVerfG. 6. Im parlamentarischen Verfahren findet eine Legitimation des männlichen Zweifels an der Vaterschaft statt. 9.1
Väter in Not oder verantwortungslose Väter – die Stellungnahmen
Gleichsam als Antipode zur unglaubwürdigen Mutter lassen Bf, VafK und VK den Vater erscheinen. Im Interesse, die eigenen Zweifel auszuräumen, hat der Vater in einer Zwangslage zum letzten Mittel gegriffen, das seine Nichtvater-
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
schaft beweisen könnte. Er hat dem Kind einen benutzten Kaugummi entwendet und diesen mit seinem eigenen Speichel als Vergleich an ein Labor zur Überprüfung gesendet. Väter würden, so Bayern, in Tests „abgedrängt“, die zum „Missbrauch einladen“, da sie keine legale Möglichkeit hätten, die Vaterschaft zu überprüfen (Bayern 2006: 2).45 Der Vater befinde sich in Beweisnot (BadenWürttemberg 2006: 10 und VafK 2006: 3), der VafK geht gar von einer „notwehrähnlichen Lage“ aus, die die Verwertung eines heimlichen Vaterschaftstests rechtfertige. „Die Rechtslage ist ungeachtet der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen unbefriedigend. Sie entspricht nicht mehr dem Stand der modernen Gendiagnose. Väter werden in Tests abgedrängt, die ihnen keine rechtlich verwertbaren Ergebnisse liefern können und zu Missbrauch einladen, weil die anerkannten Standards der Genanalyse nicht eingehalten werden können.“ (Bayern 2006: 2)
Während die Mutter demnach im rein eigennützigen Interesse handelt und als „arglistig“ beschrieben wird, befinden sich Väter in einer Lage, die ihnen keinen anderen Ausweg als ein rechtswidriges Handeln lässt. Als entscheidendes Argument für das Interesse des Vaters an der Abstammung seines Kindes wird seine Identitäts- und Beziehungsfindung genannt. Hier kommt häufig ein Zitat aus dem BVerfG-Urteil vom 09.04.2003 zum Anfechtungsrecht des biologischen Vaters vor, das sich auf die Möglichkeit beruft, „sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in einen Beziehung zu anderen“ zu setzen, oder auf eine Variante dieses Arguments, die sich auf die psychologische Bedeutung der Abstammung für den Vater bezieht (Baden-Württemberg 2006: 5; VafK 2006: 2; VK 2006: 2). „Die Kenntnis seiner Abstammung hat für ein Kind unbestritten eine hohe psychologische Bedeutung. Genau das [G]leiche gilt aber auch für den gesetzlichen Vater und seine Bindung zum Kind.“ (VK 2006: 2)
Diese Darstellung passt zu den Befunden von Drinck (2005), die den Vater als Initianden des Kindes, das Kind als Vater des Vaters identifiziert hat. Die Kindzentrierung des Vaters und gleichsam seine Identifikation mit dem Kind und seinen Interessen, die oben (Kapitel 1) an verschiedenen Beispielen beschrieben wurden, lässt sich hier wieder finden. Das Interesse an der Beendigung der Unterhaltsverpflichtungen bei Nichtbestehen der biologischen Abstammung wird als weiteres wichtiges Motiv aufgeführt: 45
Gleichermaßen könnte man bei strafrechtlich relevantem Vergehen wie einem Diebstahl argumentieren, der Dieb sei zum Diebstahl eingeladen worden, denn er habe nicht genügend Geld bei sich gehabt.
9.1 Väter in Not oder verantwortungslose Väter – die Stellungnahmen
143
„Dieses ist nicht nur ideeller Natur, sondern ergibt sich auch aus den erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen, die an eine rechtliche Vaterschaft geknüpft werden, etwa im Sorgerecht, aber auch im Unterhalts- und Erbrecht.“ (BadenWürttemberg 2006: 10) „Und schließlich, obwohl es vorliegend nur um die Klärung der Abstammung geht, erscheint der Anspruch auf Kenntnis der Abstammung als gerechtfertigt, weil das gesetzliche Vater-Kind Verhältnis erhebliche wechselseitige Ansprüche bezüglich Unterhalt und im Erbrecht bedingen kann.“ (VK 2006: 2)46 „Das Recht des Vaters zu wissen, ob man eigene Kinder hat oder nicht, ist sowohl ideeller als auch finanzieller Natur, da es (auch) um Unterhalts- und Erbansprüche geht.“ (ISUV 2006: 3)
Im Gegensatz zum „eigennützigen“ Interesse der Unterhaltssicherung, das der Mutter unterstellt wird, kann hier keine negative Wertung dieses Interesses entnommen werden. Der Vater als Ernährer der Familie, der quasi natürlicher Weise ein Anrecht auf die finanziellen Ressourcen hat, da er sie erwirtschaftet, kann hier als Deutungsfigur entwickelt werden (vgl. Parsons 1968). Darüber hinaus diene die Vaterschaftsanfechtung durch den „(Nicht-)Vater“ (vgl. Bf) im Ergebnis dem Kind. Baden-Württemberg geht davon aus, die Vaterschaftsanfechtung durch den biologischen Vater diene letztlich der Stärkung des Familienverbandes, wenn rechtlicher Vater und Kind nicht zusammenlebten (Baden-Württemberg 2006: 6), da der biologische Vater die Möglichkeit erhalte, den Vaterstatus einzunehmen. Der VafK befindet, der rechtliche Vater mache durch seine Anfechtung den „Weg frei“ für den biologischen Vater, der dann eine Beziehung zum Kind aufbauen könne. „Daraus folgt, dass die Mutter ihre Zustimmung zu einer zumutbaren Klärung der Abstammungsverhältnisse ihres Kindes nicht versagen darf, wenn diese Zustimmung den Weg freimachen kann für eine Zuordnung des Kindes zu dem Mann, von dem es abstammt […]“ (VafK 2006: 15).
Ausgehend von der Annahme der erhöhten Wahrscheinlichkeit der Kindestötung durch den Stiefvater seitens des VafK liege diese unverbrüchliche Beziehung (mit weitgehenden Eingriffsrechten) zwischen biologischem Vater und Kind im öffentlichen Interesse: „Stiefväter sind gefährlicher als Stiefmütter: Es sind vor allem die neuen Partner der Mütter, die die Kinder töten, oder mit denen gemeinsam die Mütter die Kinder verkommen lassen. Diese Gefahr ist umso größer, je jünger die Kinder sind“ (VafK: 7). „Die prinzipielle Handlungsempfehlung aus diesen Befunden für Gesetzgeber und Rechtsprechung ist eindeutig: das Kindeswohl verlangt gebieterisch, dass Kinder 46
Zitat im Sinne der besseren Verständlichkeit leicht korrigiert.
144
9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
unverbrüchlich ihren leiblichen Vätern auch rechtlich zugeordnet werden und diese weitreichende unverbrüchliche Eingriffsrechte in das Leben ihrer Kinder haben, insbesondere dann, wenn die Kinder räumlich getrennt von ihnen leben.“ (VafK 2006: 10)
Die biologische Vaterschaft soll nach Auffassung des VafK also schon immer deshalb festgestellt werden, weil Kinder durch nichtleibliche Väter gefährdet seien. Der VafK führt hier statistische Belege an, die jeweils beweisen sollen, dass Stiefväter die Kinder ihrer Partnerinnen signifikant häufiger töten als leibliche Väter. Vor dem Hintergrund einer Vertretung von getrennt vom Kind lebenden Vätern wird damit deutlich, dass der VafK einerseits die Notwendigkeit sieht, durch Bedrohungsszenarien die Notwendigkeit des Kontakts und des „Eingriffs“ in die Einelternfamilie als unverzichtbar („gebieterisch“) darzustellen. Da dies jedoch andererseits die vom VafK in anderen Veröffentlichungen nachdrücklich bestrittene höhere Gewalttätigkeit von Männern belegen könnte (vgl. „offener Brief gegen geschlechterdiskriminierende Gewaltschutzpolitik“ vom 15.12.2001), wird diese Gefährdung in einem weiteren Naturalisierungsschritt erklärt. Es handele sich um quasi natürlich angelegtes Verhalten, da der „abstammungsdifferenzierende Infantizid“ auch im Tierreich vorzufinden sei. Dies sei eine Strategie der Maximierung des eigenen Reproduktionserfolges. Die Einführung der Begrifflichkeit „Reproduktionserfolg“ legt nahe, dass die vom VafK vertretenen Väter ihre eigene Vaterrolle über die Reproduktion definieren. Da dies andererseits die vom VafK vertretene Bedeutung von Kontakthäufigkeit und sozialer Beziehung zwischen Kind und Vater gefährden könnte, wird eine dritte Strategie eröffnet: Der nichtleibliche Vater, der die Vaterschaft anficht (und unter Umständen auch ein Umgangsrecht erhalten soll), macht „den Weg frei“ für den Aufbau einer dem Kind förderlichen Beziehung mit dem biologischen Vater (VafK 2006: 14). Dadurch erhalten die anfechtenden Väter jedoch eine Doppelrolle: Sie werden potenzielle Gefährder, gar Kindesmörder, andererseits jedoch diejenigen, die rechtmäßig die Beziehung zu Kind und Mutter beenden, um einem biologischen Vater die Vaterrolle zu eröffnen. Die Befunde von Wolde (2006) zu den maskulinistischen, kämpfenden Vätern und den ambivalenten Vätern sehen sich hier eindrücklich bestätigt, aber auch erweitert. Die geschlechterpolitische Ambivalenz, die sich einerseits aus der eindeutig dichotomen Geschlechterperspektive, andererseits aus Gleichberechtigungsbestrebungen ableitet, lässt sich an dieser Stelle belegen. Eine quasi-natürliche Gefahr, die von Männern ausgeht, soll als Rechtfertigung dazu dienen, den ebenso quasi-natürlichen Vater als Beschützer des Kindes zu etablieren. Das heißt, die geschlechterpolitische Ambivalenz findet sich nicht nur in der von Wolde als „ambivalent“ beschriebenen Vätergruppe, sondern auch in der
9.1 Väter in Not oder verantwortungslose Väter – die Stellungnahmen
145
Gruppe der maskulinistisch orientierten „kämpfenden“ Väter. Es entstehen argumentative Brüche in zwei Richtungen:
Zum einen gibt es eine Identifikation des väterlichen Interesses mit dem kindlichen Interesse. Der Vater muss erstens die Abstammung kennen, um seine Identität zu finden, gleiches gilt für das Kind, gleichzeitig hat auch der nichtbiologische Vater die gleichen Interessen wie das Kind, weil er den Weg für den biologischen Vater frei macht, und drittens gefährdet der nichtbiologische Vater das Kind, weil er es potenziell töten kann. Das nimmt teilweise unlogische Zusammenhänge an. Zum anderen bricht sich die Argumentation einer Gleichbehandlung von Männern und Frauen mit dem weiterbestehenden Modell hegemonialer Männlichkeit.
Der DJB unterstellt dem Vater eigennützige Motive bei der Überprüfung und gegebenenfalls Beendigung der Vaterschaft. Die Begrenzungen der Vaterschaftsanfechtung dienten dazu, die Mütter und Kinder davor zu schützen, „ohne jeglichen Anlass mit Vaterschaftsanfechtungsverfahren überzogen zu werden“ (DJB 2006: 5). Es könnte beispielsweise sein, dass der Vater die Beziehung nachträglich nur auflösen will, weil das Kind eine „aus seiner Sicht ungünstige Entwicklung“ nimmt, oder dass der Vater bewusst ein Kind anerkennt und später im eigenen Interesse die Vaterschaft wieder anficht. „Als ‚unerträglich‘ mag man auch das Beispiel bezeichnen, dass ein nicht-biologischer Vater in Kenntnis der Abstammungsverhältnisse die Vaterschaft zu einem Kind bewusst anerkennt, mit der Kindesmutter zusammenlebt und mit ihr weitere Kinder bekommt, dann eine neue Frau kennen lernt, die Beziehung zur Kindesmutter löst und die Vaterschaft nunmehr mit Blick auf die eigenen Interessen anficht, obwohl das betroffene Kind ihn als seinen Vater ansieht und in einer sehr schwierigen Entwicklungsphase steckt.“ (DJB 2006: 4)
Mutter und Kind werden hier als Familie angesehen, die von unbegründeten Anfechtungsverfahren „überzogen“ werden. Der VAMV äußert sich nicht zu den Interessen des Vaters. Im Hinblick auf den heimlichen Test durch den Vater lässt sich neben der unterstellten Zwangslage vor allem die Feststellung des „rechtswidrigen“ Verhaltens finden. Es fällt auf, dass nur der DJB dieses Verhalten eindeutig den Vätern zuordnet (DJB 2006: 6, 8). Die weiteren Stellungnahmen (BMJ 2006: 2; VAMV 2006: 2) belassen es bei der Feststellung, ein heimlicher Test sei rechtswidrig – der Handelnde tritt dabei nicht auf. Gegenüber dem Verhalten der Mutter, das ihr eindeutig zugeschrieben wird, ist dies ein Unterschied, denn das väterliche Verhalten erfährt dadurch weniger individuelle Wertung.
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Der Vater handelt, wenn als Handelnder benannt, demnach entweder aus der Notlage heraus oder aus dem Interesse, den Weg frei zu machen, oder es gibt einen Test, der jedoch keinem Handelnden zugeordnet wird. Die Krisenhaftigkeit des eigenen Verhaltens, die sich aus der Friktion einer an hegemonialer Männlichkeit orientierten Beharrung auf individuellen Rechten gegenüber einem Erfordernis der Anpassung an gesellschaftlichen Wandel ergibt, eröffnet sich insbesondere in diesen Passivkonstruktionen. Obwohl der Vater im vorliegenden Fall der aktivste Beteiligte ist (er hat den Test durchgeführt und mehrfach geklagt), wird er als passiv beschrieben oder als Opfer in einer Zwangslage. Dies passt auch zur öffentlichen Wahrnehmung des „gehörnten Deppen“, der sich ein Kind „unterschieben lässt“. 9.2
Der Anspruch des Vaters auf Kenntnis – die Stellungnahmen
Das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines rechtlichen Kindes wird aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Da der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Entscheidung – nach Auffassung der Befürworter und des Beschwerdeführers – das Verhältnis des väterlichen Rechts auf Kenntnis und das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Vorrangproblematik bewertet hat (einige der Befürworter jedoch eine Grundrechtskollision vermuten), gilt dem Anspruch des Vaters die zentrale Argumentation. Der VAMV bewertet diese Situation anders: Nach seiner Auffassung hat der BGH sich nicht zum Verhältnis der Grundrechte geäußert, sondern lediglich dazu, was zur Durchsetzung des jeweiligen Rechts zulässig sei. Ein heimlicher Vaterschaftstest verletze daher einseitig die Rechte des Kindes. Nach Auffassung des VAMV und des DJB wird dem Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass bei der Vaterschaftsanerkennung eventuelle Zweifel geklärt werden könnten. Darüber hinaus gebe es das Vaterschaftsanfechtungsverfahren. In beiden Fällen wird das Recht des Vaters nicht angezweifelt, es wird ihm jedoch zugetraut, die ggf. nicht mit der biologischen „Wahrheit“ übereinstimmende Entscheidung für ein Kind zu tragen. „Erkennt ein Mann die Vaterschaft an, muss er zu diesem Zeitpunkt prüfen, ob er auch tatsächlich der biologische Vater sein kann. Durch diese Möglichkeit der Überprüfung einer Vaterschaft zu diesem Zeitpunkt werden die Persönlichkeitsrechte des Vaters geschützt.“ (VAMV 2006: 3) „Ist ein Mann kraft eigener Anerkennung rechtlicher Vater, ist es ihm zuzumuten, im Falle einer Anfechtung vorzutragen, welche Umstände ihn nunmehr an der Vaterschaft zweifeln lassen. […] In den gerne präsentierten Fällen, in denen der Mann
9.2 Der Anspruch des Vaters auf Kenntnis – die Stellungnahmen
147
nach seinem Vorbringen so gut wie nichts mehr mit der Kindesmutter zu tun hatte, mag sich die Klärung der biologischen Vaterschaft damit auf die Vaterschaftsanerkennung verschieben. Das ist aber auch der interessengerechte Ort.“ (DJB 2006: 5)
In beiden Zitaten wird auf einen „Mann“ verwiesen, der zudem aktiv die Vaterschaft anerkennt oder Zweifel vorträgt. Im Gegensatz zum passiven Tester werden hier Aktivkonstruktionen mit „Mannsein“ verknüpft. Auch das BMJ und der DFGT gehen im Ergebnis nicht davon aus, dass die väterlichen Persönlichkeitsrechte verletzt seien. „Die Beschwerdeführer werden durch das von den angegriffenen Gerichtsentscheidungen ausgesprochene Verbot der Verwertung eines heimlich durchgeführten Vaterschaftsgutachtens nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG) verletzt […] Bei der gebotenen Abwägung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen darf das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes nicht hinter dem Interesse des Klägers an der Feststellung seiner Vaterschaft zurückstehen.“ (BM 2006J: 2) „Der BGH ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – wie in anderen Fällen zivilrechtlicher Ansprüche – höher zu bewerten sei. Jedenfalls verleihe das Recht auf Kenntnis der eigenen Vaterschaft noch kein Recht auf Verschaffung solcher Kenntnis. Kenntnis und Geheimhaltung der eigenen Identität (auch Vater eines Kindes zu sein oder von einem bestimmten Mann abzustammen) sind nur Ausflüsse des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Insofern kann es keinen Vorrang des einen oder anderen Rechts geben. Das ändert nichts daran, dass bei Gleichrangigkeit der Rechte ein Verstoß der BGH-Entscheidung gegen Verfassungsrecht nicht festgestellt werden kann.“ (DFGT 2006: 2)
Bayern, Baden-Württemberg, VK, VafK und ISUV sehen dagegen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der sich aus dem Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des Kindes ableitet. „Um dem privaten Gentest die Heimlichkeit und damit die Anstößigkeit zu nehmen, schlägt der Gesetzentwurf vor, dem Vater einen Anspruch gegen das Kind auf Durchführung eines privaten Gentests einzuräumen. Damit wird die Handlungsfreiheit des Vaters, sein Recht auf Kenntnis der Abstammung und das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes in Ausgleich gebracht.“ (Bayern 2006: 2) „Sowohl aus Artikel 6 Abs. 1 GG als auch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1) ergibt sich in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation mit mindestens drei Beteiligten (Kind, Mutter, rechtlicher Vater), berücksichtigt man auch den biologischen Vater sogar vier, ein Recht des rechtlichen Vaters auf Klärung der Abstammung des Kindes und seiner biologischen Vaterschaft. Diesem Recht stehen keine überwiegenden Rechte der anderen Beteiligten gegenüber.“ (Baden-Württemberg 2006: 3, Hervorhebung im Original)
148
9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Zu bemerken sei an dieser Stelle, dass das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes als Ausformung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (und damit Bestandteil seiner Menschenwürde) vom BVerfG 2003 definiert wurde, in Ableitung aus dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung (vgl. Abschnitt 9.5.4). Im Vergleich der Positionen fällt auf, dass die Gegner/innen sich weitgehend an nüchtern juristische Fachsprache halten, während die Befürworter/innen ein weiteres Mal auf die „Heimlichkeit“ und „Anstößigkeit“ sowie die notwendige „Handlungsfreiheit“ des Vaters verweisen. Zudem kommt bei den Befürworter/innen fast ausschließlich der „Vater“ vor, nicht der „Mann“. 9.3
Zum Schutz des Grundrechts des Mannes nach geltendem Recht – das BVerfG
Die Frage nach der Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung wird vom BVerfG bejaht. Dabei lassen sich drei Begründungsstränge nachzeichnen, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden: 1. 2. 3.
Die derzeitige materiell-rechtliche Lage der familienrechtlichen Herstellung von Vaterschaft (basierend auf einer Vermutung) schafft die Notwendigkeit eines Klärungsverfahrens. Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Vaterschaftsanfechtungsverfahrens entfaltet keine ausreichende Schutzwirkung für die berührten Grundrechte. Das Verhältnis der berührten Grundrechte von Vater, Kind und Mutter ergibt einen Vorrang des Rechts des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes gegenüber den anderen berührten Grundrechten.
9.3.1
Die derzeitige materiell-rechtliche Lage: Vaterschaftsvermutung
Die Vaterschaft wird nach geltendem Recht darüber hergestellt, dass entweder der, der mit der Mutter verheiratet ist, oder wer die Vaterschaft anerkennt, biologischer Vater des Kindes ist. Der Gesetzgeber verzichtet auf eine regelmäßige biologische Feststellung der Vaterschaft, vermutet aber, so das BVerfG, dass der rechtliche auch der biologische Vater ist. So könne nach Auffassung des BVerfG ein Zweifel an der biologischen Vaterschaft entstehen, da keine Beweise vorliegen. Der Gesetzgeber müsse daher für diese Fälle ein Verfahren bereitstellen, mit dem die Vaterschaft geklärt werden könne. Dies sei erforderlich, da sich im Fall
9.3 Zum Schutz des Grundrechts des Mannes nach geltendem Recht – das BVerfG
149
der Klärung der Vaterschaft gleichrangige kollidierende Grundrechte gegenüber stehen, die die Beteiligten nicht nach eigenem Gutdünken lösen könnten (BVerfG: 38 ff). Das BVerfG stimmt in dieser Hinsicht mit der Beschwerde überein, die ebenfalls von kollidierenden Grundrechten ausgeht. „Der Gesetzgeber ist zwar nicht verpflichtet, die rechtliche Anerkennung der Elternschaft stets von der Prüfung abhängig zu machen, von wem das Kind im Einzelfall abstammt […] Entscheidet sich der Gesetzgeber für diesen rechtlichen Weg, die leibliche Vaterschaft in weiten Teilen nicht zu klären, sondern zu vermuten, hat er aber zugleich ein Verfahren vorzusehen, in dem im Einzelfall derartige Zweifel geklärt werden können.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 44)
9.3.2
Die verfahrensrechtliche Ausgestaltung: das überschießende Ziel
Verfahrensrechtlich führe eine Vaterschaftsanfechtung automatisch zur Beendigung der rechtlichen Vater-Kind-Beziehung, sofern biologische und rechtliche Vaterschaft nicht übereinstimmten. Einem Vater, der lediglich sein Grundrecht auf Kenntnis der Abstammung verwirklichen wolle, werde dieses Verfahren nach Auffassung des Gerichts nicht gerecht. Darüber hinaus sei mit dem Vaterschaftsanfechtungsverfahren auch das Interesse des Kindes an einem Fortbestand seiner sozialen Familie tangiert. Diesem nach Artikel 6 der Verfassung geschützten Recht wird die Vaterschaftsanfechtung mit dem „überschießenden“ Ziel der Beendigung der Rechtsbeziehung nicht gerecht, wenn nur die Abstammung geklärt werden soll. Mit einem Verfahren, das lediglich der Klärung der Abstammung dient, bestehe die Möglichkeit, dass der Vater die rechtliche Beziehung trotz nicht übereinstimmender biologischer Abstammung fortbestehen lasse. Die Hürden der Vaterschaftsanfechtung würden daher in verfassungsmäßiger Weise die Grundrechte der Kindes sowie der Mutter am Bestand und Schutz ihrer Familie schützen. Eine Absenkung der Hürde für die Vaterschaftsanfechtung würde den Interessenausgleich einseitig zu Ungunsten von Mutter und Kind verschieben. Demnach bedürfe es eines gesonderten Verfahrens, das einerseits das Grundrecht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung schütze, jedoch nicht zugleich zur Beendigung der Vaterschaft führe (BVerfG 1 BvR 421/05: 48 ff.). „Doch kann sich der Wunsch eines rechtlichen Vaters auch allein darauf richten, zu wissen, ob das Kind wirklich von ihm abstammt, ohne zugleich seine rechtliche Vaterschaft aufgeben zu wollen. Dies kann darin begründet liegen, dass er zwar Klarheit über die Abstammung des Kindes haben will, sich aber mit dem Kind persönlich so verbunden fühlt, dass er auch dann, wenn er nicht der Erzeuger des Kindes ist, diesem rechtlicher Vater bleiben will.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 53)
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Das BVerfG konstruiert hier, dass einerseits die Hürden der Vaterschaftsanfechtung erhalten bleiben müssten, da diese dem Schutz von Mutter und Kind dienten. Die reine Feststellung der Vaterschaft müsse andererseits davon unabhängig möglich sein und die Folgenlosigkeit sei im Interesse des Kindes, da es die Möglichkeit gebe, dass der Vater sich trotz fehlender Abstammung für die rechtliche Beziehung entscheidet. Dabei wird der Handlungsrahmen ausschließlich für den Vater erweitert.47 Denn es liegt in seinem Ermessen, ob er ein ggf. die nicht übereinstimmende Abstammung bezeugendes Gutachten nutzt, um die Vaterschaft anzufechten. Im Ergebnis werden ein Interesse des Mannes an der Abstammung und ein diese Feststellung ermöglichendes Gesetz als im Interesse von Mutter und Kind liegend ausgelegt. 9.4
Vater und Kind in Beziehung – die Ambivalenz nachmoderner Vaterschaftskonstruktion
In einem zweiten Schritt werden die Rechte und Interessen des Kindes hinsichtlich des bestehenden Vaterschaftsanfechtungsverfahrens geprüft. Das Kind habe ein Interesse am Erhalt seiner sozialen Bindungen, an rechtlicher Stabilität und auch unterhaltsrechtliche Interessen. Im Gegensatz zu den Stellungnahmen projiziert das Gericht die Unterhaltsinteressen des Kindes nicht auf die Mutter. Darüber hinaus könne für das Kind in bestimmten Entwicklungsphasen das Interesse bestehen, dass die Vaterschaft nicht in Frage gestellt werde (BVerfG 1 BvR 421/05: 43). Die Pflichten, die dem Mann durch das Kind entstehen, verstärken nach Auffassung des Gerichts das Kenntnisinteresse des Vaters. „Das berechtigte Interesse des Vaters an der Kenntnis der wahren Abstammung des Kindes wird verstärkt durch die für ihn als rechtlichen Vater bestehenden Pflichten für das Kind.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 43)
Hier geht es um das berechtigte Interesse des Vaters, im Folgenden um den rechtlichen Vater. Dabei geht das Gericht offenbar bereits davon aus, es gebe eine „wahre“ Abstammung. Im Gegensatz zu einer grundsätzlichen Offenheit und im Urteil von 2003 postulierten Gleichrangigkeit von „leiblichem“ und 47
Es ist darüber hinaus fraglich, wie das BVerfG auf diese Annahme kommt. Der Beschwerdeführer zielt auf die Beendigung der Vaterschaft ab und auch die zuvor verhandelten Fälle (z.B. zum Anfechtungsrecht des biologischen Vaters von 2003) hatten eine Änderung des Rechtsstatus zum Ziel. Es gibt keine Untersuchungen, die belegen, dass Väter, die Zweifel an ihrer Vaterschaft hegen, diese erhalten möchten, sofern die biologische Abstammung nicht mit dem rechtlichen Status übereinstimmt.
9.4 Vater und Kind in Beziehung – die Ambivalenz nachmoderner Vaterschaftskonstruktion
151
rechtlichem Vater, wird hier bereits von einer „Wahrheit“ ausgegangen. Die „wahre“ Abstammung müsste im Gegensatz zur „Abstammung“ ein Gegenstück, eine „unwahre“ oder „vermutete“ oder „falsche“ Abstammung haben. Das Kind habe ein grundrechtlich geschütztes Interesse am Bestand seiner Familie. Dieses Argument wird vom BVerfG dazu verwendet zu rechtfertigen, dass es ein von der Anfechtung getrenntes Verfahren der Vaterschaftsanfechtung geben müsse. So werde dem Mann Gelegenheit gegeben, die rechtliche Beziehung zum Kind aufrecht zu erhalten und das Kind habe eine Chance auf Erhalt des Vaters. „Dieses Interesse des Kindes wiegt schwer, ist es doch für seine Persönlichkeitsentwicklung von maßgeblicher Bedeutung, einen stabilen familiären Rahmen zu haben, in dem es sich einem Vater und einer Mutter zugehörig fühlen kann.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 49)
Wurde im vorhergehenden Abschnitt noch in der Verhandlung über das Nichtwissen auf den dauerhaften Beitrag, der durch die Abstammung zur Identität geleistet wird, verwiesen, ist es nun die Zugehörigkeit (und deren Gefühl), die im Interesse des Kindes liegt. Der stabile familiäre Rahmen ist nun im Hinblick auf die Vaterschaftsanfechtung von Interesse. Im Folgenden wird daher das Anfechtungsverfahren und sein Verhältnis zu einer möglicherweise davon abgetrennten Abstammungsklärung beschrieben. „Bei Zweifeln an seiner Vaterschaft wird der rechtliche Vater zwar oftmals schon den Entschluss gefasst haben, die rechtliche Bindung zum Kind lösen zu wollen, sollte sich herausstellen, dass er nicht der biologische Vater ist.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 53) „Doch kann sich der Wunsch eines rechtlichen Vaters auch allein darauf richten, zu wissen, ob das Kind wirklich von ihm abstammt, ohne zugleich seine rechtliche Vaterschaft aufgeben zu wollen. Dies kann darin begründet liegen, dass er zwar Klarheit über die Abstammung des Kindes haben will, sich aber mit dem Kind persönlich so verbunden fühlt, dass er auch dann, wenn er nicht Erzeuger des Kindes ist, diesem rechtlicher Vater bleiben möchte.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 53)48
Was zunächst mit dem Interesse des Kindes am Erhalt seiner Familie eingeleitet wird, konzentriert sich im Folgenden auf den Vater, sein Interesse an der Abstammungskenntnis und seine Verbundenheit mit dem Kind. „Auch ist möglich, dass der rechtliche Vater zunächst einmal seine Zweifel über die Abstammung des Kindes ausräumen möchte, um sich nach Kenntnis des Ergebnis48
Hier liegt die Frage nahe, wie die Identität des Kindes sich ausrichten soll, wenn es weiß, dass es nicht vom rechtlichen Vater abstammt, dieser aber die rechtliche Beziehung erhalten möchte. Zu diesem Topos schweigt der vorliegende Text.
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
ses einer entsprechenden Begutachtung, sollte diese seine biologische Vaterschaft nicht bestätigen, dann damit auseinanderzusetzen und sich klar darüber zu werden, welche rechtlichen Konsequenzen er daraus ziehen will.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 53)
Das Kind ist nun als Inhaber von Rechten und als Akteur verschwunden. Im Mittelpunkt steht der Vater, dessen Handlungsspielraum so ausgeweitet wird, dass er sich „klar werden“ kann, welche „Konsequenzen“ er zieht. Im Folgenden wird zurückgeschwenkt auf das Kind, indem das Vaterschaftsanfechtungsverfahren – wegen seines überschießenden Ziels der Trennung von Vater und Kind – nicht den Interessen von ihnen gerecht werde: „Dies wird weder dem väterlichen Kenntnisinteresse gerecht, das sich nur auf die Abstammung bezieht, noch dient es dem Interesse des betroffenen Kindes am Erhalt seiner rechtlichen Beziehung zu seinem Vater.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 54)
Es ist bereits ab der eingangs zitierten Passage deutlich, dass der Vater meist ohnehin den Entschluss gefasst hat, die rechtliche Beziehung zu lösen und damit auch, dass das geschützte Interesse des Kindes in der Vaterschaftsanfechtung ein rein formelles Recht ohne praktische Auswirkung ist. Die Ausweitung dieser Interpretation ist jedoch, dass ein vorgeschaltetes Klärungsverfahren, das dem Vater ermöglicht, sich über „Konsequenzen“ klar zu werden, im Ergebnis das Interesse des Kindes schützen soll. In der gesamten Passage wird, wenn von der Beziehung zum Kind seitens des Vaters die Rede ist, der bestimmte Artikel verwandt (das Kind). Ist von der Beziehung des Kindes zum Vater die Rede, wird das Possessivpronomen verwendet (sein Vater). Das überschießende Ziel der rechtlichen Trennung im Rahmen einer Vaterschaftsanfechtung werde dem Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes nicht gerecht. Die erhöhten Anforderungen an die Vortragung substantiierter Zweifel bei der Vaterschaftsanfechtung erschwerten es für den Vater, die Kenntnis zu erlangen. Zudem müsse er die Beendigung der Vaterschaft in Kauf nehmen oder auf die Kenntnis verzichten. Ein von der Anfechtung unabhängiges Verfahren ermögliche es dem Vater, entweder eine Anfechtung anzuschließen oder seine rechtliche Vaterschaft nicht zu beenden. Darüber ergibt sich durch das Verfahren, dass der Vater sich erst über die Konsequenzen des Ergebnisses klar werden kann. Der Handlungsspielraum des Vaters wird erweitert, der Fortbestand der Familie ist von der Entscheidung des Vaters abhängig. Bei dieser Passage handelt es sich in zweifacher Weise um eine Schlüsselstelle. Zunächst legt dieser Abschnitt latent die Deutung der „natürlichen Liebe“ des Kindes nahe und setzt voraus, dass die Liebe des Vaters scheinbar optional ist, während das Kind die Vater-Kind-Beziehung unbedingt erhalten möchte.
9.5 Das Interesse des Vaters an seiner Individualität oder Identität – das BVerfG
153
Anders als mit dieser Interpretation wäre es nicht möglich, die Entscheidungsoption des Vaters als im Interesse des Kindes liegend zu formulieren. Es wird nicht benannt, wie die Identitätsfindung des Kindes anhand eines Wissens über die Nichtabstammung aussehen kann oder ob das Kind auch Optionen der Auseinandersetzung mit dem Ergebnis hat. Auch die Mutter wird in diesem Zusammenhang ausgelassen. Darüber hinaus eröffnet das BVerfG jedoch eine breiter gefasste Interpretation von Vaterschaft. Indem es optional die Möglichkeit schafft, auch bei nicht bestehender biologischer Abstammungsbeziehung eine rechtliche Vaterschaft zu erhalten und explizit auf diese Möglichkeit hinweist, wird eine AlternativInterpretation von Vaterschaft geschaffen, die auf sozialen Beziehungen fußt. Gleichzeitig wird die Ambivalenz nachmoderner Vaterschaftskonstruktionen deutlich. Denn der Verweis auf die soziale Elternschaft geschieht um den Preis einer radikalen Einschränkung der kindlichen Position und um die Schaffung einer weit gefassten Option der biologischen Fundierung der Vater-KindBeziehung. Es werden mithin zwei entgegengesetzte Interpretationen angeboten. Gerade die logischen Brüche zwischen dem Identitätsbeitrag der genetischen Abstammung, der sozialen Vater-Kind-Beziehung und der Einschränkung des kindlichen Handlungsspielraumes (bzw. dessen Auslassung) deuten auf die Wandlungstendenzen und Brüche von Männlichkeit und Vaterschaft hin. Die Friktionen aus patriarchalen Kontrollbedürfnissen und gleichzeitiger Neudefinition von Väterlichkeit in der Beziehung und Fürsorge für ein Kind ergeben die quasi fiktive Trennung der Verfahren der Abstammungsklärung und der Vaterschaftsanfechtung. 9.5
Das Interesse des Vaters an seiner Individualität oder Identität – das BVerfG
Das Hauptargument für die Entscheidung des BVerfG ist die Bedeutung, die das Wissen über die Abstammung des Kindes für den Vater hat. Dabei wird zunächst angenommen, dass das Wissen um die eigene Abstammung wichtig ist und in Ableitung davon auch das Wissen um die Abstammung des rechtlichen Kindes: „Verständnis und Entfaltung der Individualität sind dabei mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen zählt auch die Abstammung (vgl. BVerfGE 79, 256 <268>). Sie nimmt im Bewusstsein des Einzelnen eine
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Schlüsselstellung für seine Individualitätsfindung wie für sein Selbstverständnis und sein familiäres Verhältnis zu anderen ein“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 35).49
Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich auf eine eigene Entscheidung von 1989, in dem eine Tochter nach Eintritt der Volljährigkeit die Vaterschaft ihres mit ihrer Mutter verheirateten rechtlichen Vaters anfechten wollte. Die Vorlage richtete sich auf die Frage, ob ein eheliches Kind bei bestehender Ehe die Vaterschaft anfechten könne. Bis dahin war dies nur möglich, wenn der Vater verstorben war, die Eltern getrennt lebten oder die Ehe bereits geschieden war. In diesem Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht die Schlüsselstellung der Kenntnis der Abstammung bereits festgestellt. Wie das Kind habe auch der Vater ein Recht auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt, so das BVerfG im Jahr 2003. Beides werde vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst. Das BVerfG beruft sich auf eine Entscheidung von 2003, die dem biologischen, aber nicht rechtlichen Vater eines Kindes ein eingeschränktes Anfechtungsrecht einräumt. Die Begriffe Individualität und Identität werden vom Gericht offenbar deckungsgleich verwendet, da im Urteil von 2007 in der Regel von „Identität“ die Rede ist, die Begründung jedoch auf dieses Urteil von 1989 verweist, in dem die Individualität im Mittelpunkt der Argumentationen stand. Die von Willekens (2006) formulierte Perspektive, dass die Herkunft des Kindes von zunehmender Bedeutung ist, je mehr das Kind zur Fortsetzung der eigenen Person wird, findet sich in der Konstruktion der eigenen Identität durch das Kind wieder. Gleiches gilt für die Interpretation von Drinck (2005) der Konstitution der Identität des Vaters durch das Kind sowie in der Theorie von Lemke (2008) zur Fortsetzung des Selbst in den Genen des Kindes. Dass dies vor allem eine Konstruktion ist, die aus der geschlechterpolitischen Ambivalenz in der Neujustierung der Vaterschaft entsteht, hat Drinck (2005) nahegelegt. 9.5.1
Männer in der Sackgasse: Auswege und Schlüssel
Das durch die Schlüsselstellung für die Individualität begründete Interesse des Mannes an der Kenntnis der Abstammung seines Kindes führt das Bundesverfassungsgericht zu einem Recht des Mannes auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt. Dieses Recht sei Ausformung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. In der Verwirklichung dieses Rechts sei der Mann vor der Vorenthaltung dieser erlangbaren Informationen zu schützen. Der „Schlüssel“ zur Kenntnis des 49 Das BVerfG zitiert im Urteil aus den Sammelbänden der BVerfG-Entscheidungen, daher ergibt sich eine unterschiedliche Zitierweise. Die Zitationen des vorliegenden Buches beziehen sich auf den Originaltext, der an die Stellung nehmenden Verbände versandt wurde, da zum Zeitpunkt der Auswertung noch kein Sammelband vorlag.
9.5 Das Interesse des Vaters an seiner Individualität oder Identität – das BVerfG
155
Mannes liege in „den genetischen Informationen aus der Erbanlage des Kindes“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 37) und der Weg, diese Kenntnis zu erlangen, sei „rechtlich verschlossen, wenn Kind oder Mutter ihre Einwilligung verweigern“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 38). Wie eingangs erwähnt, stellt sich hier für den Vater nach Auffassung des BVerfG eine ausweglose Situation dar. Dies führt zur Notwendigkeit der Schaffung eines neuen Verfahrens. Die Rechte des Vaters sind schützenswert, weil sie für seine Individualität maßgeblich sind, und sie können nur verwirklicht werden, wenn der Vater die erlangbaren Informationen erhält. Die dreimalige Erwähnung der Schlüssel-Begrifflichkeit unterstreicht die Abstammungskenntnis als das am höchsten zu bewertende Grundrecht. Dem stehen keine überwiegenden, verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Mutter und des Kindes entgegen. Diese Interessen erhalten keine Schlüsselstellung. Denkbar wäre gewesen, der Familie des Kindes beispielsweise eine Schlüsselrolle zuzugestehen oder der Intimsphäre der Mutter. 9.5.2
Exkurs: Referenzurteile zu Individualität und Identität durch Abstammung
Nach wie vor bleibt die Frage offen, wie die Kenntnis des Vaters über die Abstammung seines Kindes eine für die Identität maßgebliche Stellung erhält. Im Urteil selbst findet sich lediglich die Begründung, die Abstammungskenntnis hätte eine Schlüsselstellung für die Individualität/Identität des Vaters. Weiter wird angenommen, dass der Vater ein Recht habe, erlangbare Kenntnisse über die Abstammung des eigenen Kindes zu erhalten. Dazu wird auf zwei Urteile verwiesen, die deshalb im Folgenden auf diese Aspekte hin untersucht werden. 9.5.3
Urteil zum Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung (1989)
Nach Auffassung des BVerfG verstoße es gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dass ein volljähriges Kind seine Abstammung nur dann klären lassen könne, wenn die Ehe seiner Mutter nicht mehr bestehe (vgl. BVerfG 79, 256 <268>). Im Anschluss folgt eine längere Passage zur Rolle der Abstammung für die Individualität. Der Begründungszusammenhang ist, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Entwicklung und Wahrung der Individualität gewährleiste. „Insofern hängt der Persönlichkeitswert der Kenntnis auch nicht von dem Maß an Aufklärung ab, das die Biologie derzeit über die Erbanlagen des Menschen, die für seine Lebensgestaltung bedeutsam sein können, zu vermitteln vermag.
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Bei Individualitätsfindung und Selbstverständnis handelt es sich vielmehr um einen vielschichtigen Vorgang, in dem biologisch gesicherte Erkenntnisse keineswegs allein ausschlaggebend sind. Als Individualisierungsmerkmal gehört die Abstammung zur Persönlichkeit, und die Kenntnis der Herkunft bietet dem Einzelnen unabhängig vom Ausmaß wissenschaftlicher Ergebnisse wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Daher umfaßt das Persönlichkeitsrecht auch die Kenntnis der eigenen Abstammung. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß es Fälle gibt, in denen die Abstammung unaufklärbar bleibt und die Persönlichkeitsentfaltung ohne diese Kenntnis erfolgen muß. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verleiht kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen der eigenen Abstammung, sondern kann nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen schützen.“ (BVerfG, 79, 256, <268f.>)
Demnach lege die Abstammung die genetische Ausstattung fest und nehme im Bewusstsein des Einzelnen eine „Schlüsselstellung“ ein. Es handele sich jedoch um einen „vielschichtigen“ Prozess, bei dem die biologischen Erkenntnisse „nicht ausschlaggebend“ seien. Dennoch gehöre die Abstammung zur Persönlichkeit und biete wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Indem das BVerfG die Abstammung von den biologischen Kenntnissen ablöst, erhält sie einen biologisch-sozialen Doppelcharakter. Sie nimmt Bezug auf biologische Annahmen wie die „genetische Ausstattung“ und damit auch eine Annahme der Unveränderbarkeit, bietet aber andererseits „Anknüpfungspunkte für die Entfaltung der eigenen Individualität“. Es scheint, als würde auf die biologische Annahme (die, so das BVerfG, selbst veränderbar ist) eine zusätzliche soziale Bedeutung geschichtet. In der Rückbindung an das Urteil von 2007 findet diese doppelte Interpretation der Abstammung nicht mehr statt. Hier wird sie lediglich als „konstitutiver Faktor“ angesehen. 9.5.4
Urteil zum Anfechtungsrecht und Umgangsrecht des biologischen Vaters (2003)
Nachdem bisher nur die Abstammung des Kindes vom Vater und seine Auswirkung auf das Kind behandelt wurde, soll nun die Frage geklärt werden, warum die Abstammung des Kindes eine gleichermaßen individualitätsbeeinflussende Bedeutung für den Vater haben soll. Im Urteil von 2007 heißt es dazu: „Die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in eine Beziehung zu anderen zu setzen, wird deshalb vom Schutz des Persönlichkeitsrechts mit umfasst und begründet aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
9.5 Das Interesse des Vaters an seiner Individualität oder Identität – das BVerfG
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Abs. 1 GG ein Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung ebenso wie es einem Mann das Recht auf Kenntnis einräumt, ob ein Kind von ihm abstammt (vgl. BVerfGE 108, 82 <105>).“ (BVerfG: 35f)
Hier wird das Urteil zum Anfechtungs- und Umgangsrecht des biologischen Vaters von 2003 zitiert. Der Fall bezog sich auf die Verfassungsbeschwerde zweier Väter, da sie als biologische, aber nicht rechtliche Väter weder ein Anfechtungsrecht gegenüber den rechtlichen Vätern noch ein Umgangsrecht mit ihren Kindern hatten. Die Kläger wollten als biologische, aber nicht rechtliche Väter die Möglichkeit erhalten, die Vaterschaft anzufechten. Die Fallkonstellation bestand mithin aus einer Mutter, die mit einem Mann ein Kind bekam und in einem Fall noch mit einem anderen Mann verheiratet war. Nach der Geburt des Kindes verließ sie den biologischen Vater und kehrte zum Ehemann zurück. Durch die bestehende Ehe wurde automatisch der Ehemann der rechtliche Vater des Kindes. Von Bedeutung ist nun, in welchem Zusammenhang die Abstammungsbeziehung zur Grundrechtsträgerschaft des Vaters (im Regelungsbereich des Schutzes von Ehe und Familie) steht und welcher Zusammenhang sich zwischen dem Schutz der Familie und dem Recht auf Kenntnis der Abstammung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes ergibt. Denn in diesem Urteil wurde das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung auf ein mögliches Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des Kindes ausgeweitet. „Der Schutz von Ehe und Familie gewährleistet demnach nicht ein Recht auf Klärung der Abstammung durch den biologischen Vater, denn dieser muss auch die Vaterstellung einnehmen wollen. Ebenso wie das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung in seinem Persönlichkeitsrecht begründet ist (vgl. BVerfGE 79, 256 [268 ff.]), betrifft auch der Wunsch eines Mannes lediglich nach Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt, sein Selbstverständnis und die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in eine Beziehung zu anderen zu stellen, und damit sein von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes Recht. Ob auch ihm aus dem Persönlichkeitsrecht ein Anspruch erwächst, die Abstammung eines Kindes von ihm gerichtlich klären zu lassen, kann hier offen bleiben, da es in keinem der zu entscheidenden Fälle allein um eine solche Klärung geht. Ein Anspruch auf Zuerkennung der rechtlichen Vaterschaft folgt aus dem Persönlichkeitsrecht nicht.“ (BVerfGE, 108, 82 <105>)
Die Zitatstelle bezieht sich demnach zunächst auf den Schutz, den der biologische Vater durch Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 (Schutz von Ehe und Familie) erhält, und der ihm grundsätzlich die Möglichkeit gewähren muss, zur rechtlichen Va-
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
terstellung Zugang zu gewinnen, auch wenn dies zunächst nicht möglich war.50 Im Weiteren wird festgestellt, dass das Recht eines Mannes auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt, vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst wird, das es ihm ermöglichen soll, sich genealogisch zu anderen in Beziehung zu setzen. Der Anspruch gilt jedoch nicht nur für den Vater, sondern für das Recht „eines Mannes“ auf Kenntnis, ob ein Kind von ihm abstammt. Das Recht des Kindes wird voraussetzungslos auf den Mann übertragen. Die Frage der Abstammung wird in diesem Zusammenhang und in dieser Fallkonstellation jedoch wesentlich im Zusammenhang damit betrachtet, welche Rechte sich aus der biologischen Vaterschaft im Verhältnis zur rechtlichen Vaterschaft ableiten: Es gibt zwei vorhandene Väter, die in der vorliegenden Konstellation auch beide Verantwortung tragen möchten. Dies unterscheidet den Fall deutlich vom Fall von 2007, in dem ein Vater seine Vaterschaft für das Kind beenden möchte. Der Anspruch diese Kenntnis zu erlangen, wird hier bereits erwähnt, die Frage wird jedoch nicht beantwortet. Das Gericht schließt den Anspruch auf Klärung nicht aus. Die folgende Passage kann andeuten, dass mit der Annahme der ‚natürlichen‘ Elternschaft auch die Verpflichtung zur Verantwortungsübernahme verbunden ist. „Für die Entwicklung des Kindes ist aber neben seiner Abstammung und neben der Qualität der Beziehung zu seinen jeweiligen Bezugspersonen das Wissen und die Gewissheit von maßgeblicher Bedeutung, zu wem es gehört, welcher Familie es zugeordnet ist und wer als Mutter oder Vater Verantwortung für es trägt. Nur dies schafft personale und rechtliche Sicherheit für das Kind, die ihm die Grundrechtsnorm über das Elternrecht vermitteln soll.“ (BVerfGE, 108, 82, 101f.)
In Bezug auf das Kind wird die biologische Abstammungsebene verlassen und der Aspekt der Sicherheit gewinnt an Bedeutung. Im Verhältnis zum Elternrecht verdeutlicht das Gericht die Wichtigkeit personaler und rechtlicher Sicherheit für das Kind und stellt im vorliegenden Urteil die Anfechtungsrechte der biologischen Väter unter besondere Voraussetzungen. Diese Beziehungsebene zwischen Kind und Eltern wird im Urteil von 2007 zur Vaterschaftsfeststellung weitgehend verlassen: Sie bleibt nur in dem Sinne erhalten, dass die Anfechtungshürden zum potenziellen Erhalt einer Familie ein gesondertes Feststellungsverfahren erfordern. Zudem ist im Urteil von 2007 eine Ambivalenz bei der Interpretation des Rechts auf Nichtwissen und der Trennung von Feststellungsund Anfechtungsverfahren entstanden. 50
Für die vorliegende Analyse ist nur von Bedeutung, welchen Stellenwert die Abstammungskenntnis für die Entfaltung der Persönlichkeit hat. Die Besonderheit des Urteils, den biologischen Vater erstmals in den Vordergrund zu stellen, kann im Kontext der „Genetifizierung“ von Vaterschaft als erstes Anzeichen einer in diese Richtung gehenden Entwicklung interpretiert werden.
9.6 Männlichkeit und weibliche Treue im Urteil des BVerfG
9.6
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Männlichkeit und weibliche Treue im Urteil des BVerfG
Die Schlüsselstellung der Identität wird nach Auffassung des Gerichts für Väter um einen weiteren Aspekt ergänzt: „Das Wissen um die Abstammung des Kindes hat auch maßgeblichen Einfluss auf das Selbstverständnis des Mannes sowie die Rolle und Haltung, die er der Mutter und dem Kind gegenüber einnimmt.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 36)
Es ist nicht allein das Wissen über die Abstammung des Kindes, das die Identität/Individualität generiert, darüber hinaus wird die „Rolle und Haltung“ des Vaters gegenüber der Mutter und dem Kind beeinflusst. Damit geht das Wissen um die Abstammung des Kindes über genealogische Fragen hinaus. Es ist die Frage nach der Treue und Glaubwürdigkeit der Lebenspartnerin bzw. Mutter des Kindes, die hier enthalten ist und möglicherweise die zentrale Motivation des Kenntnisinteresses sein könnte. Diese Motivation drückt sich auch darin aus, dass das BVerfG annimmt, die Zweifel seien gewissermaßen naturgegeben, denn der Vater könne „nicht unbedingt wissen, ob die Mutter während der Empfängniszeit noch mit anderen Männern Geschlechtsverkehr gehabt hat“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 43). Die Bedingungen für das Interesse des Vaters an der Klärung der Abstammung sind demnach die Schlüsselstellung der Kenntnis der Abstammung des Kindes für die eigene Individualität und die Rolle und Haltung gegenüber Mutter und Kind. Zudem sind sein Selbstverständnis, die mit der Vaterschaft einhergehenden Pflichten und die Tatsache, dass die biologische Vaterschaft derzeit nicht regelmäßig festgestellt wird, maßgeblich für den besonderen Anspruch auf die Klärung. Blendet man das Interesse des Vaters an der eigenen Individualität aus, geht es bei der Abstammungskenntnis um die Beziehung, Rolle und Haltung des Vaters zu Mutter und Kind. Die Beziehungen zum Kind wurden bereits im Abschnitt zu den Interessen des Kindes analysiert. Warum ist die Beziehung des Mannes zur Mutter maßgeblich von der Abstammung des Kindes abhängig? In der Passage zum möglichen Geschlechtsverkehr der Mutter wird angenommen, dass der Vater hierüber im Ungewissen ist. Dies bestimme sein Kenntnisinteresse maßgeblich mit. Im Kern scheint es also um die Überprüfung des Verhaltens der Mutter in der Vergangenheit zu gehen. Geht man auch hier von einer Statusgleichheit von Mutter und Vater aus, sind beide in der gleichen Situation. Beide wissen nicht mit Sicherheit, ob der andere im Verlauf der Beziehung mit anderen Personen Geschlechtsverkehr hatte, beide wissen nicht mit Sicherheit, ob der andere mit einem/einer Dritten ein Kind gezeugt hat. Es stellt sich demnach die Frage, warum das Kenntnisinteresse des
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
Vaters schwerer wiegt als ein potenzielles Kenntnisinteresse der Mutter an vom Vater mit anderen Frauen gezeugten Kindern oder der Schutz der Intimsphäre der Mutter. Dies kann erneut auf die Krisenhaftigkeit des Verhältnisses von Männlichkeit und Väterlichkeit hindeuten. Indem Väterlichkeit im Widerspruch zu Maskulinität steht, wird es bedeutsam, die Treue der eigenen Frau nachzuweisen, dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Diskontinuität von Familien. Wenn hingenommen werden muss, dass die Ehefrau nicht mehr lebenslang bleibt, sondern gegebenenfalls weitere Partner nach der Ehe hat, könnte es von zunehmender Bedeutung sein, wenigstens die zeitweise Monogamie nachzuweisen. Dies passt ebenfalls zur öffentlichen, bereits weiter oben benannten Interpretation des passiven „Deppen“, der erst durch die Aktivität der Vaterschaftsfeststellung wieder zum aktiven Mann wird. 9.7
Die Urängste der Väter im parlamentarischen Verfahren
Die Zweifel der Väter sind eine Figur, die ganz selbstverständlich sowohl im Gesetzentwurf als auch in den Reden auftaucht. Väter zweifeln an ihrer Vaterschaft, das bedarf weder der kritischen Beurteilung noch der Ursachensuche. Die Angst, das eigene Kind könne nicht das biologisch eigene Kind sein, ist eine Urangst, die es schon immer gegeben habe und der Gesetzgeber helfe dieser Angst nun ab. „Die Frage, ob der Vater der Vater ist, hat schon die Generationen vor uns umgetrieben. Heute kann dies mit einem einfachen DNA-Test überprüft werden.“ (Zypries, SPD, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15325)
Diese Frage oder diese Angst verweist wieder auf die öffentliche Rezeption des Falles. Die Urangst war zuletzt in der öffentlichen Debatte um die heimlichen Vaterschaftstests aufgetaucht und war Ausgangspunkt der Passivitätskonstruktion des Vaters. Im Verlauf des Verfahrens war diese quasi generationenübergreifende Angst verschwunden. Weiter geht der Beitrag der CDU/CSU-Fraktion, der bereits davon ausgeht, dass zweifelnde Väter nicht die biologischen Väter seien, sondern sich in der „babylonischen Gefangenschaft“ der „Zahlvaterschaft“ befänden. Aus dieser könnten sie sich nun befreien. Die Zweifel seien quälend. „Heute ist ein guter Tag für die materielle Gerechtigkeit und insbesondere für all diejenigen Männer, die es bisher schwer hatten, aus ihrer babylonischen Gefangenschaft einer Zahlvaterschaft herauszukommen und besser als bisher zu klären, ob man als Zahlvater überhaupt der biologische Vater ist.“ (Gehb, CDU, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15327)
9.7 Die Urängste der Väter im parlamentarischen Verfahren
161
Der Verweis auf die Qual und vermutlich der Verweis auf die Bibel scheint im Zusammenhang mit der zuvor geschilderten, seit Generationen bestehenden Frage notwendig, um dem Zweifel Gewicht zu verleihen. Die damit verbundene Strategie des Verweises auf Wissensbestände ist ein klassisches Beispiel für einen Diskurs, der gleichzeitig als Legitimierung verwendet wird und selbst Legitimierung erzeugt. Es wäre offenbar nicht möglich, einfach darauf zu verweisen, dass die neue Lösung vom Bundesverfassungsgericht als erforderlich zur Sicherung der Grundrechte bewertet wurde. Dass Misstrauen der Männer ist aber auch eine Falle: „… [da sollten wir, S.S.] nicht in die gleiche Falle tappen, in die immerhin 80 Prozent der Männer tappen, die fälschlicherweise vermuten, sie seien nicht der biologische Vater.“ (Lambrecht, SPD, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15330)
Die Männer tappen massenhaft in die Falle des Misstrauens, das aber scheinbar aus sich heraus entstanden ist. Die Männer misstrauen nicht aktiv, sondern sie tappen in eine Falle und deshalb, so könnte weitergedacht werden, muss ihr Misstrauen durch einen gesetzlichen Anspruch institutionalisiert werden. Der Zeitpunkt, zu dem Väter zweifeln, ist jedoch umstritten: Einerseits zweifeln sie bereits aus einer Urangst heraus, andererseits wird von der Opposition benannt, dass die Väter häufiger am Ende einer Beziehung an ihrer Vaterschaft zweifeln. „Ich frage mich, woher dieses große Misstrauen vieler Männer gegenüber der Mutter des gemeinsamen Kindes kommt, wenn es um die Frage ihrer biologischen Vaterschaft geht. Bei über 80 Prozent der circa 20 000 Tests steht fest, dass es sich bei dem Zweifler um den biologischen Vater handelt. Ich frage Sie: Ist es Zufall, dass die Zweifel meist im Vorfeld von Scheidungen auftauchen?“ (Schewe-Gerigk, Bündnis 90/ DIE GRÜNEN, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15329).
Zweifeln sie innerhalb der Beziehung, würden sie einen heimlichen Test vorziehen, um den Familienfrieden nicht zu gefährden. Andererseits schütze ein offenes Verfahren den Familienfrieden, da nicht sofort eine Anfechtung durchgeführt werde. Der konfliktärmste Weg sei es, einen heimlichen Test durchzuführen und, wenn dieser die Vaterschaft bestätige, der Mutter einen Rosenstrauß mitzubringen. Insgesamt fällt auf, dass in der parlamentarischen Debatte der Vater nicht mehr als ambivalente Figur vorkommt. Es scheint, als müsse im Sinne der Vereindeutigung ein klares Handlungsmuster der Beteiligten entstehen. Der Vater ist entweder der latschenschwingende Despot oder der gequälte Zahlvater, allenfalls noch der rachelustige Trennungsvater, Fürsorglichkeit taucht hingegen
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9 Väter: von Notwehr, Hörnern und Zuwendung
kaum auf. Wenn Fürsorglichkeit seitens des Vaters auftaucht, dann in Form einer gönnerhaften Haltung („was kann denn eigentlich der Kleine dafür“): Mütter werden im Ergebnis auch auf dichotome Rollenerwartungen zurückgestutzt – entweder sie sind die rechthaberischen, gleichwohl gütig ermahnenden Mütter oder diejenigen, die das Vertrauen der Parlamentarier geschenkt bekommen, auf dass sie nun erneut in Fürsorglichkeit handeln und die Kindeswohlgefährdung anzeigen.
10 Familie: von Frieden, Gerechtigkeit und Treue
Einen zentralen Bezugspunkt der Argumentationen bilden Vorstellungen zur Familie. Dabei ist der Familienfrieden und dessen Schutz ein wesentlicher Bestandteil, da dieser entweder als bereits verloren gilt oder andererseits als besonders bedeutsam gewertet wird. Je nachdem, aus welcher politischen Richtung argumentiert wird, kann auch Familie unterschiedlich definiert werden. 10.1 Der Schutz des Familienfriedens Der Familienfrieden taucht als Figur in allen drei Textsorten auf. Ihm wird ein hohes Gewicht beigemessen, indem er als dominante Figur, als Wert auftaucht, der in seiner Abstraktion als Legitimation sowohl für als auch gegen einen heimlichen oder einen offen durchgeführten Vaterschaftstest eingebracht wird. Einzig das Bundesverfassungsgericht hat den Familienfrieden als durch den Zweifel an der Abstammung grundsätzlich gestört bewertet. Die Familie wird durch Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt und die Stellungnehmenden beziehen sich in unterschiedlicher Weise darauf. Es lässt sich ein Kontinuum der Maßnahmen feststellen, durch die die Familie geschützt werden soll. Nach Auffassung des DJB hat die Mutter einen grundrechtlich geschützten Anspruch darauf, dass ihre familiäre Beziehung zum Kind durch einen heimlichen Gentest oder ein unbegründetes Anfechtungsverfahren nicht beeinträchtigt wird. Der DJB ist damit der einzige Verband, der explizit die Mutter-KindFamilie als grundrechtlich geschützt ansieht. „Hinzu kommt das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Frau daran, dass ihre bestehende familiäre Beziehung zu dem Kind nicht gestört wird.“ (DJB 2006: 3)
Auch das BMJ sieht die Anfechtungsgrenzen als grundrechtlichen Schutz der Familie an: „Unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann der Schutz von Ehe und Familie eine Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten zulassen (BVerfGE 79, 256,
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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10 Familie: von Frieden, Gerechtigkeit und Treue
269). Mit der Beschränkung des Anfechtungsrechts soll letztlich zum Schutze des Familienfriedens verhindert werden, dass die Abstammung eines Kindes etwa bei jedem beliebigen Konflikt der Eltern in Frage gestellt werden kann.“ (BMJ 2006: 3)
Der Schutz der Familie wird nach Auffassung von Bayern dadurch erreicht, dass es einen Rechtsanspruch auf Durchführung eines privaten Gentests gibt. Dies würde, so die Auffassung, die Einschaltung von Gerichten vermeiden. „Dabei ist eine möglichst familienschonende Lösung anzustreben, die den innerfamiliären Dialog fördert und die Einschaltung der Gerichte vermeidet.“ (Bayern 2006: 2)51
Weiter geht Baden-Württemberg in seinem Vorschlag. Die Durchführung eines heimlichen Tests sei der Weg, der es ermögliche, die Familie nicht zu gefährden. Dies diene dem Schutz des Familienfriedens, da bei einer Bestätigung der Vaterschaft keine weiteren Schritte gegangen werden müssten und die Familie unbehelligt bleibe. Denn bei Zweifeln könnte dadurch entweder die Abstammung bestätigt und die Familie aufrecht erhalten oder eben eine Vaterschaftsanfechtung vorbereitet werden. „Bei der Bewertung der ‚Heimlichkeit‘ der Abstammungsuntersuchung ist zu berücksichtigen, dass dies in den meisten Fällen der einfachste, konfliktärmste und auch schonendste Weg sein wird. […] Dennoch ist ein ‚heimlicher‘ Vaterschaftstest durch den rechtlichen Vater für das Kindeswohl sowie den Familienfrieden in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle die ‚familienschonendste‘ und auch zumutbare Maßnahme. […] hierdurch können Zweifel an der Abstammung eines Kindes auf diskrete, die persönlichen Beziehungen der Beteiligten nicht belastende Weise geklärt und dadurch Ehe und Familie geschützt werden.“ (Baden-Württemberg 2006: 12 f.)
Im Ergebnis heißt dies, dass Baden-Württemberg und Bayern die Durchführung eines Vaterschaftstests als Familienschutz bewerten. Die Alternative, keinen Test durchzuführen, wird nicht diskutiert. Neben dem grundgesetzlich formulierten Gedanken des Schutzes der Familie ist hier von Bedeutung, dass auch ein ordnungspolitisches Interesse am „Familienfrieden“ formuliert wird. Der Frieden in der Familie verweist auf die Konzeption der Familie als „Keimzelle des Staates“, in ihrer Funktion Gesellschaftsmitglieder zu produzieren, was unter nicht friedlichen Bedingungen scheinbar erschwert wird. Während die Klärung eines Anliegens vor Gericht als 51 Im Ergebnis bedeutet die Vermeidung der Einschaltung von Gerichten, dass die Einführung eines Anspruches die Erfolgsaussichten, vor Gericht die Untersuchung abzuwenden, sehr gering hält. Eine eventuelle Prozesskostenhilfe würde auf dieser Basis mangels Erfolgsaussicht nicht bewilligt. Voraussichtlich werden private Gentests durchgeführt, wie sie im Belieben der Kenntnisinteressierten liegen.
10.1 Der Schutz des Familienfriedens
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konfliktreich beschrieben wird, erscheint demgegenüber die außergerichtliche Klärung als „Dialog“. Die Vertretung eigener Anliegen vor Gericht ist die Gefährdung des Familienfriedens, während ein heimlicher Test die Beteiligten nicht belasten soll. Es scheint, als würde das Verschweigen oder das innerfamiliäre Ausfechten von Zweifeln an der Abstammung als konfliktarm interpretiert. Die Stellungnahmen der Länder Bayern und Baden-Württemberg hatten jeweils auf den Schutz der Familie und des Familienfriedens abgestellt. Insbesondere Baden-Württemberg hatte für eine Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftstests zur Vorbereitung einer Anfechtung plädiert und dies mit dem Schutz der Familie begründet. Dieser Auffassung tritt das Bundesverfassungsgericht entgegen: Zum einen rechtfertige der Schutz des Familienfriedens keine Einschränkung des Rechts des Vaters auf Kenntnis der Abstammung und außerdem sei der Familienfrieden schon durch den Zweifel beeinträchtigt: „Auch kann der Familienfriede allein schon durch geäußerte Zweifel eines rechtlichen Vaters an der Abstammung seines Kindes von ihm beeinträchtigt werden, nicht erst durch ein Verfahren, das die bezweifelte Abstammung klärt.“ (BVerfG 1 BvR 421/05: 47)
Letztlich wird die Familie nach Auffassung des BVerfG demnach weder durch einen heimlichen Test noch durch das „Nicht-Testen“ geschützt, sondern dadurch, dass ein neues, gesondertes Verfahren nicht direkt zum Ende der familiären Beziehung führt. Der Familienfrieden, so könnte man umgangssprachlich schließen, sei ohnehin nicht zu retten. Anders sieht dies die Bundesregierung: „Die hier vorgeschlagene Regelung zur Einführung eines solchen Verfahrens soll den Dialog in der Familie und der Gesellschaft fördern, die Familie in ihrem sozialen Bestand schützen und die Einschaltung von Gerichten möglichst vermeiden.“ (Deutscher Bundestag 2007b: 8)
Der Familienfrieden kehrt in der parlamentarischen Debatte als Desiderat zurück. Zum einen wird er angeführt, um die Notwendigkeit, heimliche Vaterschaftstests weiterhin zuzulassen, zu rechtfertigen. Denn eine öffentliche Abstammungsuntersuchung würde den Frieden stören. Nach einem heimlichen Test, der den rechtlichen Vater als biologischen bestätige, könne der Mann mit einem Strauß Rosen nach Hause kommen und sagen „Alles Bestens, liebe Frau“. Erneut wird seitens der CDU-Fraktion auf ein patriarchal-dichotomes Geschlechterverhältnis rekurriert und deckt damit auch auf, dass es sich bei der Abstammungsklärung auch um einen patriarchalen Kontrollanspruch handeln müsste, wenigstens in der Deutung der CDU-Fraktion. Zweitens sei der Familienfrieden aber bereits durch die Abstammungsuntersuchung gefährdet, denn der geäußerte Zweifel führe zu Konflikten.
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10 Familie: von Frieden, Gerechtigkeit und Treue
„Wenn ein zweifelnder Vater entweder bei seiner Frau mit der Idee vorstellig wird, sich untersuchen zu lassen, oder gar schon zum Gericht rennt und damit sein Anliegen öffentlich – notorisch – macht, dürfte der Familienfrieden gefährdet sein.“ (Gehb, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15328)
Der Konflikt auf „kleiner Flamme“ sei die Erwirkung einer Zustimmung zum Vaterschaftstest. Dennoch sei der Familienfrieden dadurch „mächtig gestört“. Drittens sei der Familienfrieden wahrscheinlich ohnehin bereits im Argen, so die Opposition, denn die Abstammungsfeststellung finde in der Regel am Ende der Paarbeziehung statt. „Man muss doch keine Hellseherin sein, um schon jetzt sagen zu können: Auch das neue Verfahren zur Klärung der Vaterschaft wird meist genutzt werden, wenn eine Beziehungskrise besteht. Diese Krise wird dann auf dem Rücken des Kindes ausgetragen.“ (Schewe-Gerigk, Bündnis 90 / DIE GRÜNEN, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15329)
Einerseits soll das gesonderte Verfahren demnach den Familienfrieden dadurch schützen, dass es nicht direkt zur Anfechtung führt. Andererseits findet dieses Verfahren während einer Familienkrise statt oder führt zu einer solchen. Insgesamt scheint damit der Schutz des Familienfriedens ein untergeordnetes Ziel zu sein, da es durch das Verfahren nicht in jeder Hinsicht erreicht wird. Ein Schutz des Familienfriedens wäre nach Ansicht der CDU-Fraktion nur durch einen heimlichen Test gewährleistet, der wie bereits angedeutet, die Diskretion und den Rosenstrauß beinhaltet. Die Figur, einen Konflikt dadurch zu vermeiden, dass es keine gerichtliche Beteiligung gibt, drückt noch einmal die Tabuisierung aus, mit der die Verbindung von Familie und Gericht belegt ist. 10.2 Die tradierte Paarfamilie: Rosen, warmes Essen und Latschen Die bereits erwähnte Thematisierung des Rosenstraußes bildet ein Element einer Vorstellung von Familie, die der CDU-Abgeordnete Gehb formuliert. Der Rosenstrauß kann in mehrfacher Weise interpretiert werden. Indem der Vater der Mutter einen Rosenstrauß mitbringt, wenn das Ergebnis des heimlich durchgeführten Tests die Vaterschaft bestätigt, entschuldigt er sich einerseits für sein heimliches Fehlverhalten. Der Rosenstrauß zählt mithin als Wiedergutmachung. Andererseits kann der Rosenstrauß auch als Belohnung für die bestätigte Treue der Mutter gelten. Dies deutet die geringe Verhandlungsposition von Frauen an, sie erhält Rosen, wenn dem Vater klar ist, dass er nicht Unterhaltszahlungen für mehrere Jahre zurückverlangen wird. Dieses Bild eines beschenkenden Ehegatten wird noch bestärkt durch die Szene, die der Abgeordnete eröffnet, sollte der
10.2 Die tradierte Paarfamilie: Rosen, warmes Essen und Latschen
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Vater zwar ein Ergebnis des Tests haben, das ihm die Vaterschaft nicht bestätigt, in der Folge jedoch diese nicht anfechten. „Liebe Frau, bring mir einmal die Latschen und mach mir das Essen warm! Wenn du nicht spurst, dann werde ich anfechten.“ (Gehb, CDU, Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15328)
Gehb stellt dies zwar als negatives Szenario dar, im Ergebnis kann dies jedoch als die ‚Kehrseite des Rosenstraußes‘ gelten. In beiden Fällen wird die Mutter als mit geringer Verhandlungsmacht ausgestattet dargestellt. Der Vater hat die Macht, entweder eigenmächtig die mütterliche Treue zu testen oder auch sich bedienen zu lassen. Die Mutter kocht bzw. erwärmt zumindest das Essen, der Mann trägt „Latschen“. Dem stellt Gehb jedoch auch eine mächtige Mutter gegenüber: „Dann kann die Mutter sagen: Du hast dich umsonst aufgeregt; du warst wieder einmal voreilig eifersüchtig.“ (Gehb, CDU Deutscher Bundestag 2008a, Plenarprotokoll vom 21.02.2008: 15327)
Bestätigt der Test die Vaterschaft, wird die Mutter zur Figur, die den Vater rügt, er sei wieder einmal voreilig eifersüchtig gewesen. Die Mutter wird als wissende, geduldige Person beschrieben. Sie ist die klassische Mutter, die den impulsiven Vater erinnert und ermahnt und offenbar seine Eifersucht relativ klaglos hinnimmt. Gleichzeitig wird die Doppelbödigkeit des oben als historisch beschriebenen Zweifels offensichtlich. Denn einerseits ist der Zweifel eine Urangst, gegen die der Mann gar nichts machen kann, andererseits scheint diese Eifersucht häufiger auch voreilig vorzukommen. Generell zeichnet sich eine eigentümliche Form der Familienbeziehung ab. Denn der Vater ist misstrauisch, potenziell erpresserisch und hintergeht gegebenenfalls die Frau, um die Vaterschaft zu testen. Gleichzeitig ist die Mutter passiv oder rechthaberisch, kann mit einem erhobenen Zeigefinger den Mann der voreiligen Eifersucht rügen. Das Kind taucht als „Fritzchen“ auf und hat scheinbar keine Rolle, außer der äußerlichen Ähnlichkeit mit dem Nachbarn.
11 Zwischenfazit: Kindheit Macht Vaterschaft
Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht zwar heimliche Vaterschaftstests weiterhin als unzulässigen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Kindes und das Sorgerecht der Mutter bewertet, jedoch den Gesetzgeber beauftragt, ein voraussetzungsloses Verfahren der Vaterschaftsklärung zu schaffen. Begründet wurde dies mit dem Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung, das in seiner Schlüsselstellung für die Individualität des Mannes allen anderen berührten Grundrechten vorrangig sei. Diese Absolut-Setzung des männlichen/väterlichen Rechts ist Leitlinie der Begründungen und führt zu einer Ausrichtung der Interessen der weiteren Beteiligten an einer Klärung der biologischen Abstammung. Eine Projektion utilitaristischer Interessen des Kindes auf die Mutter – wie sie in den Stellungnahmen zu finden war – fand nicht mehr statt. Das Interesse des Kindes an der Nichtkenntnis der Abstammung wurde jedoch dadurch entkräftet, dass die Nichtkenntnis als nicht zu konkreten Personen in Beziehung stehend und möglicherweise „fehlerhafte Annahme“ betrachtet wurde. Auch wenn letztlich die Mutter nicht mehr in gleichem Ausmaß moralisch verurteilt wurde wie in den Stellungnahmen, scheint es möglich, aufgrund eines unterstellten Sexualverhaltens die Intimsphäre der Mutter als nicht unantastbar zu betrachten. Ihre Interessen wurden delegitimiert, indem ihr gewissermaßen die Mitverantwortung für das Kenntnisinteresse des Vaters zugeschrieben wurde. Der Schutz der Familie der Mutter würde durch die Anfechtungshürden und das gesonderte Verfahren der Vaterschaftsklärung gewährleistet. Das Urteil wurde als Entscheidung zum Wohl des Kindes erklärt und damit der in Abschn. 7.5 entwickelte Konflikt, das Kind in einer Grundrechtskollision gegenüber dem Vater zu bewerten, aufgelöst: Indem die gesonderte Klärung der Abstammung nicht sofort zur Beendigung der Vaterschaft führe, würde im Ergebnis die Familie des Kindes geschützt, mithin die Interessen des Vaters, der Mutter und des Kindes. Hinzu käme ein Vorbehalt, der in besonderen Lebenslagen des Kindes eine Aussetzung des Verfahrens ermögliche. Geht man von einer Statusgleichheit aller Beteiligten zum Zeitpunkt der Nichtkenntnis aus, wird deutlich, dass dem väterlichen Interesse an der Klärung der Vaterschaft ein Vorrang eingeräumt wird. Dies dient nicht allein der Individualitätsfindung, sondern auch der Klärung partnerschaftlicher Treue (ob das Kind aus dieser BeS. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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11 Zwischenfazit: Kindheit Macht Vaterschaft
ziehung hervorgegangen ist) und der Erweiterung des väterlichen Handlungsspielraumes. Denn auch wenn dieser vielleicht bereits den Entschluss gefasst hat, die rechtliche Beziehung bei fehlender Abstammung zu beenden, so kann er doch als einziger die Konsequenzen bestimmen, darauf deutet die Formulierung des Urteils hin. Wie Yuval-Davis (1997) im Hinblick auf die demografische Debatte verdeutlicht hat, zeigt sich auch hier, dass die Eltern-Kind-Beziehung im Ergebnis auf einen einmaligen biologischen Akt reduziert wird und nicht als Prozess der Integration und der Entwicklung einer sozialen Beziehung begriffen wird. Im Gegenteil, durch die Formulierung, das Kind sei „aus dieser Beziehung hervorgegangen“, werden Beziehung und biologische Abstammung gleichgestellt. Gleichzeitig wird jedoch, durch die Ablösung des Feststellungsverfahrens vom Anfechtungsverfahren, die Option auf eine rechtliche, aber nicht biologische Vaterschaft geschaffen. Einerseits findet dies als explizite Formulierung der Beziehung des Vaters zum Kind statt, andererseits scheint diese Alternativkonzeption nur um den Preis einer biologisch fundierten „Rücktrittsoption“ möglich. Ein folgenloses Verfahren der Vaterschaftsfeststellung erscheint als Lösung zum Wohle aller Beteiligten. Die Folgenlosigkeit diene dem Schutz der Familie und ermögliche Mutter und Kind, die Familie (in Abhängigkeit von der väterlichen Entscheidung) zu erhalten. Der Vater müsse das „überschießende“ Ziel der Anfechtung der Vaterschaft nicht in Kauf nehmen und könne zudem die hohen Anforderungen eines Anfechtungsverfahrens umgehen. Im Zusammenhang mit der Logik eines Erhalts der Vater-Kind-Beziehung wird, wie zuvor dargestellt, die bereits angedeutete Ambivalenz der Neujustierung von Vaterschaft auch im Geschlechterverhältnis erneut sichtbar. Wird einerseits die Zuwendung des Vaters zum Kind und eine Option auf den Erhalt der Beziehung erwähnt, scheinen an dieser Stelle wieder Motive auf, die einer patriarchal orientierten Ordnung entstammen. Die Ausblendung bzw. das Absprechen der Rechtsposition der Mutter, indem eine Fokussierung auf Vater und Kind stattfindet, passt zu der von Meuser (2009), Wolde (2006) und Baader (2006) diagnostizierten Modernisierung der Vaterschaft durch eine Zentrierung auf das Kind. Diese Hinwendung zum Kind geht so weit, dass auch die Intimsphäre der Mutter quasi als „Teil“ der Vater-Kind-Beziehung interpretiert wird. Gleichzeitig schwankt die Gewichtung deutlich in Richtung einer Höherbewertung der genetischen VaterKind-Beziehung, bei gleichzeitiger Mitbeachtung der sozial-familiären Beziehung. Durch die Auslegung alternativer Deutungen ergab sich, dass die Identität des Mannes durch die Feststellung der Abstammung des Kindes nicht die einzige Möglichkeit der Grundrechtsabwägung wäre, sondern dass auf Wissensbestände verwiesen wird, die sich nicht aus dem aktuellen Text ergeben. Insbesondere die Annahmen zu Treue, zu Beziehung und zu Identität werden im Text nicht aus-
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führlich begründet. Sie tauchen vielmehr als implizite Annahmen dessen auf, wie das Zusammenleben von Familien funktioniert oder funktionieren sollte. Kindheit macht Vaterschaft. Was wie ein Wortspiel wirkt, deutet auf den zentralen Befund der Analyse hin. Der Mann wird erst durch seine Beziehung zum Kind zum Vater. Wer kein Kind hat, ist kein Vater.52 In diesem Sinne ist die Kenntnis über die eigene Vaterschaft zentraler Bestandteil der Selbstdefinition als Vater. Diese Selbstdefinition als Vater steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung darüber, ob heimliche Vaterschaftstests für die Anfechtung einer Vaterschaft verwandt werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Selbstdefinition als Merkmal der Identität des Vaters ausgelegt und sie zudem an die Feststellung der genetischen Abstammung gebunden. Dies kann Ergebnis der Auffassung sein, dass Vaterschaft in erster Linie über biologische Abstammung definiert wird, es kann aber auch Ergebnis einer öffentlichen Aushandlung über die Definition von Vaterschaft am Ende des Patriarchats sein. Neben die Absolut-Setzung der genetischen Vaterschaft wurde über die Eröffnung der Option, eine sozial-rechtliche Vaterschaft zu erhalten, die Bedeutung einer Vater-Kind-Beziehung abseits der genetischen Abstammung erwähnt. Auch wenn die faktische Option kaum in Anspruch genommen wird, deutet es doch auf eine Ausweitung der Deutungsoptionen von Vaterschaft hin. Diese Ausweitung ist jedoch, so scheint es, nur um den Preis einer radikalen Ausweitung väterlicher Handlungsspielräume und der Einschränkung der Möglichkeiten der weiteren Beteiligten zu erreichen. Der Vater ist, so deuten es die Befunde an, nur durch das Kind ein Vater, aber ist nur ein Mann, wenn er die Macht hat, dies auch zu überprüfen. Dies führt zum Aspekt der Macht. Die Macht der Mutter, gegebenenfalls eine weitere sexuelle Beziehung zu verschweigen und ein eventuell daraus entstandenes Kind mit dem nichtbiologischen Vater zu erziehen, erschüttert die Machtverteilung im Geschlechterverhältnis. Der Verweis auf die Urangst, die Passivkonstruktionen eröffnen eine krisenhaft besetzte Ohnmachtserfahrung von Vätern, die zentrale Aspekte hegemonialer Männlichkeit angreift. Diese Ohnmacht wird rückgängig gemacht, indem der Vater die Möglichkeit erhält, die mütterliche Treue durch einen Abstammungstest zu kontrollieren. Die Mutter ist gewissermaßen selbst schuld, denn sie hat das Kenntnisinteresse mit begründet, indem sie dem Mann Zugang zu ihrer Intimsphäre gewährt hat. In der parlamentarischen Verhandlung zum Verfahren der Abstammungsklärung und in den Stellungnahmen nahm die Machtperspektive des Geschlechterverhältnisses, aber auch des Generationen52
Dies erinnert an das in Abschnitt 2.8 verwendete Zitat der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg „wer keinen Vater hat, ist kein Mensch“, mit dem zu diesem Zeitpunkt das Anrecht auf Abstammungsfeststellung etabliert werden sollte.
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11 Zwischenfazit: Kindheit Macht Vaterschaft
verhältnisses Platz ein und wurde wieder anhand klarer Linien verteilt. Die Macht wird entlang des dichotomen Geschlechterverhältnisses interpretiert, indem der Vater einen Rosenstrauß als Belohnung kauft, wenn die Mutter treu war, und anderenfalls die Mutter anhält, ihm das Essen warm zu machen und die Pantoffeln zu bringen. Die Macht im Geschlechterverhältnis wird, so die Deutung, wieder dem zugeteilt, dem sie im Patriarchat gebührt. Und auch im Generationenverhältnis wird Macht verteilt: Die Option des Vaters, aufgrund einer Bindung zum Kind die Vaterschaft erhalten zu können, definiert das Vater-Kind-Verhältnis als einseitig veränderbare Beziehung. Der Vater erhält die Macht zu bewerten, ob ihm das Kind genug bedeutet, um auch bei fehlender Abstammung die Beziehung zu erhalten. Dem Kind bleibt demgegenüber zwar die Anfechtung, wenn es volljährig ist, vorher ist es jedoch im Vergleich dazu auf die Interpretation des Vaters angewiesen. Das Kind kann nicht aus einem eigenen Interesse heraus die Beziehung zum Vater erhalten. Im parlamentarischen Verfahren erscheint dies als gönnerhafte Geste des Vaters. Das Kind taucht entsprechend nur als schutz- und beziehungsbedürftige Person auf, deren Seele in Gefahr ist. Auf der anderen Seite wird durch die Identifikation des Kindes mit dem Vater die Deutung entwickelt, dass das Kind zentraler Bestandteil des Vaters ist. Wenn es also nicht sein (biologisches) Kind ist, dann ist nicht nur die Vaterschaft bedroht, sondern auch die Männlichkeit. Die übereinstimmenden Interessen von Kind und Vater, sei dieser biologisch oder sozial, erzeugen eine moralisch nicht angreifbare Einheit, sind sie doch beide Opfer der Mutter, die sie hintergangen hat, so die Deutung in den Stellungnahmen. Der Vater ist entweder Retter des Kindes, indem er den Weg für den wahren Vater frei macht oder indem er die Bindung zum Kind als erhaltenswert ansieht oder indem er (als biologischer Vater) das Kind vor dem sozialen Stiefvater schützt. Insbesondere in diesen logischen Brüchen und den recht freien Assoziationen der Rolle von Vätern im Leben von Kindern zeichnen sich die Brüche von hegemonialer Männlichkeit und den Versuchen einer neuen Definition nachmoderner Vaterschaft ab. Das Mäandern zwischen biologisch fundierten Kontrollansprüchen gegenüber Müttern und Kindern und der Betonung einer sozialen Zuwendung vom Vater zu Kind zeigt die Schwierigkeiten, die mit diesen Definitionsversuchen verbunden sind. Diese Definitionsschwierigkeiten münden, so die hier entwickelte These, in einer Fokussierung auf die biologische Vaterschaft, die als einzige Option erscheint, dem endpatriarchalen Definitionsvakuum zu entkommen. Diese biologistische Fokussierung hat jedoch diskursive und praktische Effekte und Konsequenzen, die über die Regulierung privaten Zusammenlebens hinausgehen.
12 Von Äpfeln und Stämmen: Konsequenzen und Effekte
Was bedeutet der Anspruch auf die Abstammungskenntnis für Kinder, Väter und Mütter? Welche Konsequenzen ergeben sich für ihre Rechtsposition, ihren Handlungsspielraum und welche breiteren politischen Effekte sind erkennbar oder denkbar? Das Recht auf Abstammungsklärung hat für die bereits oben angerissene Machtverteilung zwischen den Generationen und den Geschlechtern Effekte. Darüber hinaus werden Deutungen von Familie, Elternschaft und Kindheit entwickelt, die sowohl individuell wirkmächtig sind, als auch rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die über die privatrechtliche Ebene hinausgehen. 12.1 Konsequenzen der Abstammungsfeststellung für das Kind 1989 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Kind ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung als Ausfluss seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat. Dieses Recht wurde durch mehrere Gerichtsurteile bestätigt. 1997 hat das BVerfG die Entscheidung insofern revidiert, als dass es den Gerichten bei der Abwägung der Interessen des Kindes gegenüber den Interessen der Mutter einen breiten Ermessensspielraum zugebilligt hat. Dieses Urteil war Folge mehrerer Klagen von Amtsvormündern53 nichtehelicher Kinder gegen die Mütter auf Nennung des Vaters. Da diese Klagen auch gegen den Willen der Kinder durchgeführt wurden, nimmt Meyer (2005) an, dass die Amtsvormünder auch die Realisierung der Unterhaltspflicht zum Ziel hatten, denn eine private Unterhaltszahlung ersetzt eventuelle staatliche Existenzsicherung, wie beispielsweise den Unterhaltsvorschuss. Bis zur Regelung des §1598a BGB von 2008 konnten auch Kinder die Vaterschaft nicht ohne Rechtsfolge feststellen lassen. Der Anspruch des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung hat nicht zu einem entsprechenden Verfahrenserfordernis geführt. Als Folge der „rechtsfolgenlosen“ Vaterschaftsklärung 53
Heute: Beistände.
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12 Von Äpfeln und Stämmen: Konsequenzen und Effekte
kann nun auch das Kind einen Anspruch auf Feststellung seiner Abstammung verwirklichen. Es bedurfte offenbar zunächst der Anerkenntnis eines väterlichen Rechts auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes, um ein entsprechendes Verfahren zu schaffen. Im Anschluss an die „rechtsfolgenlose“ Abstammungsklärung hat der Bundesgerichtshof unter anderem zum „Vaterschaftsregress“ 2008 geurteilt, dass ein Mann nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung die Unterhaltszahlungen für die Kinder gegenüber dem biologischen Vater geltend machen kann (bzw. ggf. eine Abstammungsfeststellung gegenüber dem mutmaßlichen biologischen Vater durchsetzen kann). Dies legt nahe, dass die Rechtsfolgenlosigkeit der Abstammungsklärung eine Fiktion ist. Eine infolge einer Abstammungsfeststellung angefochtene Vaterschaft kann auch Konsequenzen für die Staatsangehörigkeit des Kindes haben, denn Zuwanderung ist eng mit Abstammung verknüpft, da ein Kind in der Regel die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Abstammung von einem deutschen Elternteil erhält. Der Anspruch auf Abstammungsfeststellung schafft zunächst nur eine biologische Statusfeststellung bezüglich der Verbindung zwischen einem Kind und seinen Eltern. In der Konsequenz kann das Ergebnis jedoch als Begründung für eine Vaterschaftsanfechtung verwendet werden.54 Nach geltendem Recht ist die nicht vorhandene biologische Beziehung die einzige Option, die Rechtsbeziehung zwischen Vater und Kind zu beenden. Diese Genetifizierung der ElternKind-Beziehung macht das Kind zum passiven Teilnehmer am Prozess. Es hat keinen Einfluss auf das Ergebnis. Ein Kind kann die Vaterschaft nicht anfechten, weil der Vater sich nie gekümmert hat oder keinen Unterhalt gezahlt hat oder einfach, weil es kein Interesse mehr an seinem Vater hat. Ein Kind kann sich weder von seiner Mutter noch von seinem Vater trennen. Es kann die Trennung im eigentlichen Sinne nur dann vollziehen, wenn die Eltern bereit sind sich zu trennen. Vor dem Hintergrund der bereits seit Gründung der Bundesrepublik bestehenden Anknüpfung von Staatsangehörigkeit an die Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen, die mithin eindeutig biologisch definiert wird, erscheint die privatrechtliche Anknüpfung von Vaterschaft an Abstammung als konsequente Fortführung dieses Prinzips, die damit jedoch neben der privatrechtlichen auch weiterreichende Konsequenzen nach sich zieht, wie die folgenden Abschnitte verdeutlichen.
54
Im Wissen, dass die Mutter bzw. das Kind vor Gericht kaum Aussicht auf die Ablehnung eines solchen Tests haben bzw. allenfalls einen Aufschub erreichen, wird der Anspruch voraussichtlich schlicht dazu führen, dass private Abstammungstests durchgeführt werden.
12.1 Konsequenzen der Abstammungsfeststellung für das Kind
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12.1.1 Rückwirkender Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit durch Vaterschaftsanfechtung Am 24.10.2006 beschloss das Bundesverfassungsgericht, die Verfassungsbeschwerde eines zu diesem Zeitpunkt siebenjährigen Kindes nicht zur Entscheidung anzunehmen (BVerfG 2006a 2 BvR 696/04). Der Beschwerdeführer war 1998 in Hamburg als eheliches Kind eines deutschen Vaters und einer aus Albanien stammenden Mutter geboren. Der Vater focht mit Erfolg die Vaterschaft an. Daraufhin wurde der Kinderausweis des Beschwerdeführers eingezogen, da er mit Wegfall der Vaterschaft keine deutsche Staatsangehörigkeit mehr besaß. Das Kind reichte als Beschwerdeführer eine Verfassungsbeschwerde ein, da die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 GG nicht verfassungsgemäß sei. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, denn der Staatsangehörigkeitsverlust des Kindes stelle keine Entziehung der Staatsangehörigkeit dar, da de facto keine deutsche Staatsangehörigkeit bestand. „Im Ergebnis ist denn auch, bei im Einzelnen unterschiedlichen Begründungen, in der fachgerichtlichen Rechtsprechung unumstritten und wird auch in der Literatur ganz überwiegend angenommen, dass der Wegfall der Staatsangehörigkeit, der als Folge rechtskräftiger Feststellung des Nichtbestehens der die Staatsangehörigkeit vermittelnden Vaterschaft eintritt, grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet.“ (BVerfG 2006a 2 BvR 696/04, Abs. 21)
Sobald die fehlende Abstammung festgestellt und die Vaterschaft angefochten wird, können nicht nur die rechtliche Vater-Kind-Beziehung, sondern auch Staatsbürgerrechte entfallen.55 Auch Mütter werden dadurch vom väterlichen Wohlwollen abhängig. Da die Heirat zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltsstatus ebenso wie die zu diesem Zweck stattfindende Vaterschaftsanerkennung nicht erwünscht sind, ist diese Haltung seitens des Staates konsequent. Die Situation von Müttern und Kindern mit ungesichertem Aufenthaltsstatus ist jedoch prekär, da sie nicht nur behördlicher, sondern auch der väterlichen Macht ausgesetzt sind.56
55 Dieser Verlust der Staatsangehörigkeit wurde inzwischen zeitlich begrenzt, Kinder können nur bis zum fünften Lebensjahr die Staatsangehörigkeit verlieren. 56 Umgekehrt entsteht aus Art. 6 GG eine aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung, wie im Fall eines nigerianischen Vaters eines deutschen Kindes, der zunächst nach Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg abgeschoben werden sollte. Das BVerfG hob den Abschiebungsbeschluss auf unter Verweis auf den Schutz der Familie nach Art. 6 GG (vgl. BVerfG 2006b, 2 BvR 1935/05 vom 23.1.2006).
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12 Von Äpfeln und Stämmen: Konsequenzen und Effekte
12.1.2 Neue Hierarchien zwischen biologischen und sozialen Kindern? Vielfach wird angenommen, Kinder seien von Trennung und Scheidung negativ betroffen. „Scheidungskinder“ haben, so wird untersucht und vielfach behauptet, schlechtere Entwicklungsbedingungen, weniger Chancen, eine glückliche Partnerschaft zu führen und höhere Erkrankungsrisiken (vgl. z.B. Wallerstein/Lewis/ Blakeslee 2002). Ein großer Bereich der psychologischen Scheidungsforschung widmet sich Fragen des gelingenden Umganges oder der Begutachtung kindlicher Bindung bei Entscheidungen im Bereich des Umgangs- oder Sorgerechts. Die Etablierung der medizinisch-psychologischen Begutachtung ersetzt teilweise den geäußerten Kindeswillen im Verfahren, wenn beispielsweise beim Kind eine krankhafte Bindung an einen Elternteil diagnostiziert wird. Die Syndromisierung bildet argumentativ den einzigen Ausweg aus einer scheinbar nicht nachvollziehbaren Ablehnung des Kindes gegenüber einem Elternteil. Wenn der Mangel eines Elternteils durch die Orientierung an heteronormativer Elternschaft als Nachteil des Kindes definiert wird oder potenzielle Nachteile erforscht werden, stellt sich die Frage, welche Nachteilsdefinitionen durch die Etablierung eines Primats biologischer Elternschaft entstehen können. Hinweise finden sich bereits in der Stellungnahme des Väteraufbruchs für Kinder. Eine höhere Gefährdung von Kindern durch nicht-biologische Väter sowie ein erhöhtes Risiko der Unzufriedenheit und Krankheit durch „Vaterlosigkeit“ wurde in diesem Kontext formuliert. Es ist demnach denkbar, dass ein Mangel der biologisch nachweisbaren Elternschaft zu einer neuen Definition der Gruppe von Kindern, die keinen biologischen Vater vorweisen können, führt, mit Problemen, die womöglich erst diskursiv entstehen, aber individuell wirkmächtig werden. Im Hinblick auf die eingangs formulierten Fragestellungen zeigt der vorliegende Fall zudem erneut eine Entökonomisierung des Kindes (vgl. Bühler-Niederberger 1996). Werden unterhalts- und erbrechtliche Interessen kaum dem Kind zugeschrieben, wird dies auf der Ebene der staatlichen Unterhaltspflichten noch ausgeweitet, denn ein nicht-deutsches Kind, dessen Vater die Vaterschaft anficht, hat auch vom Staat keine Unterstützung mehr zu erwarten. Die Formulierung des Kindes als schutzbedürftig und damit seine Verfestigung im minoritären Status der Sprach- und Entscheidungslosigkeit wird durch die Abstammungsklärung ebenfalls nicht aufgelöst. Die Frage, wie Kindheit möglich wird (vgl. Honig 2009), beantwortet sich auch im vorliegenden Fall durch Entmachtung und die Zuschreibung von Interessen, die keine Handlungsfähigkeit erzeugen, sowie der Annahme einer bedingungslosen Liebe zu den Eltern. Zweitens wird innerhalb der Gruppe der Kinder zum einen nach Staatsangehörigkeit unterschieden, zum anderen nach ökonomischem Status der Eltern und einer nach-
12.2 Väter im Spannungsfeld von hegemonialer Männlichkeit und „neuer“ Väterlichkeit
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weisbaren biologischen Abstammung vom Vater. Diese Binnendifferenzierung von Kindheit ist der aktiven De-Konstruktion durch Kinder kaum zugänglich. 12.2 Väter im Spannungsfeld von hegemonialer Männlichkeit und „neuer“ Väterlichkeit Einerseits wird die Abstammungsklärung als die „Rückkehr echter patriarchaler Macht“ kritisiert (vgl. Schwab 2008). Die Verbindung der Abstammung eines Kindes mit Fragen der Moral und der partnerschaftlichen Treue gibt dem Vater mit der Abstammungsklärung ein Instrument zur ständigen und auch rückwirkenden Kontrolle der Mutter bzw. seiner Frau/Partnerin. Indem Frauen (und insbesondere Mütter) wirtschaftlich gegenüber Männern (und insbesondere Vätern) benachteiligt sind und in und nach Partnerschaften häufiger auch wirtschaftlich von Männern abhängig sind, hat dieses Instrument wirtschaftliche Folgen. Es stützt die ökonomische Überlegenheit von Männern ab und ermöglicht es ihnen, gegebenenfalls am Ende einer Beziehung Entscheidungen, wie beispielsweise die wissentliche Vaterschaftsanerkennung für ein nicht biologisch eigenes Kind rückgängig zu machen. Die Konzeption von Vaterschaft anhand der biologischen Abstammung und damit eine restriktive Orientierung von Familie an dieser Vorstellung stellen sich tatsächlich wie eine patriarchale Ordnungsvorstellung dar und ermöglichen bereits während der Beziehung die Kontrolle der Sexualität der Frau. Eine kritische Reflexion dieser Ideen scheint den Akteuren vor diesem Hintergrund unmöglich. Auf der anderen Seite schränkt diese patriarchale Orientierung von Vaterschaft die alternative Vaterschafts-Konzeption maßgeblich ein. Die eigentlich sowohl politisch als auch von nachmodernen Männlichkeitskonzepten favorisierte Orientierung von Vaterschaft an fürsorglichen Handlungen gerät in den Hintergrund. Die Möglichkeit von Männern, sich im „Muttern“ zu beweisen, ihre Bindung an das Kind durch eine emotional-soziale Rolle im kindlichen Erleben zu rechtfertigen, wird diskursiv reduziert. Zwar deutet sich mit der Option des Erhalts der rechtlichen Vaterschaft auch eine Mitbeachtung der Bedeutung sozialer Vater-Kind-Beziehungen an. Jedoch scheint dies nur um den Preis einer sicheren Abstammungsfeststellung möglich, quasi einer Test-Garantie, sofern die soziale Bindung nicht ausreichen sollte. In der Debatte um die Abstammungsklärung findet sich überraschend ein neuer misstrauischer „Vater“, der das Misstrauen auf privater Ebene durch eine öffentliche Ebene ergänzt.
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12.2.1 Der Staat als misstrauischer Vater: Gesetz zur Ergänzung der Anfechtung der Vaterschaft Mit bemerkenswerter zeitlicher Koinzidenz wurden fast zeitgleich das individuelle Recht auf Klärung der Abstammung und das behördliche Anfechtungsrecht verhandelt und kurz nacheinander verabschiedet. Das letztere Gesetz sollte der Bekämpfung des „Erschleichens“ der deutschen Staatsbürgerschaft dienen (Deutscher Verein 2006: 369).57 Der Amtsstatistik zufolge sei im Zeitraum 2003/ 2004 1.700 Müttern, die zu diesem Zeitpunkt ausreisepflichtig gewesen wären, aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung ein Aufenthaltstitel erteilt worden. Da davon ausgegangen wurde, dass diese Anerkennungen erfolgt seien, ohne dass die Väter biologische Väter seien oder eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hätten und diese Väter zudem keine Unterhaltspflichten zu fürchten hätten, da sie meist mittellos seien, gehe man davon aus, dass die Vaterschaft „missbräuchlich“ anerkannt wurde (vgl. Hib-Meldung vom 15.11.2006, hib 344/2006). Nach dem Gesetzentwurf sollten Behörden das Recht erhalten, eine Vaterschaft anzufechten. Dies schränke die durch die Kindschaftsrechtsreform erlangte Autonomie der Eltern jedoch nicht ein: „Nach der alten Rechtslage war im Regelfall für die Anerkennung die Zustimmung des Jugendamts als Amtspfleger für das nichteheliche Kind erforderlich. Darauf hat 57 Diese bemerkenswerte Koinzidenz wird ergänzt durch die zunehmende Praxis deutscher Botschaften in bestimmten Staaten, zur Bewilligung des Familiennachzuges Gentests zum Verwandtschaftsnachweis zu fordern. Nach der Berichterstattung in der Frankfurter Rundschau am 22. Oktober und 12. November 2007 werden jährlich im Rahmen von Familienzusammenführungen 450 bis 550 Abstammungsgutachten in Deutschland durchgeführt. Dies diene beispielsweise dem Abstammungsnachweis, wenn eine nichtdeutsche Mutter, die mit einem deutschen Mann verheiratet ist, für ihr Kind ein Einreisevisum beantragt (Frankfurter Rundschau 2007a, 2007b, 2007c). Die Bundesregierung hat in ihren Antworten auf die kleinen Anfragen der FDP-Fraktion und der LINKEN-Fraktion darauf hingewiesen, es handele sich um freiwillige Gutachten. Diese würden insbesondere dann verwendet, wenn keine andere Möglichkeit des Identitätsnachweises vorhanden sei. In den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik würde auf diese freiwillige Möglichkeit hingewiesen. Ein Visumantragsteller sei gesetzlich verpflichtet, die Unterlagen, die zur Feststellung seiner Person notwendig seien, beizubringen. Wenn diese nicht vorhanden seien oder begründete Zweifel an deren Richtigkeit bestünden, könne kein Visum ausgestellt werden (Deutscher Bundestag 2008b, BTDrs. 16/7120, 16/7698). In bestimmten Staaten ist die Legalisierung von Dokumenten durch die deutschen Auslandsvertretungen ausgesetzt. Dies sind vor allem wirtschaftlich benachteiligte Gebiete, Kriegs- und Krisengebiete und Staaten mit überwiegend nicht-weißer Bevölkerung. In einzelnen dieser Staaten wird Kindschaft und Abstammung unterschiedlich bewertet. So ist beispielsweise im kongolesischen Familienrecht diejenige Mutter eines Kindes, die von den übrigen Gesellschaftsmitgliedern als solche betrachtet wird (vgl. FamRZ 2007). Darüber hinaus gibt es insbesondere in afrikanischen Staaten eine hohe Sterblichkeit durch die Immunschwächekrankheit AIDS. Viele Kinder haben keine leiblichen Eltern mehr und leben bei Verwandten oder Nachbarn. Notwendigerweise wird in diesen Fällen Verwandtschaft und Verantwortungsübernahme nicht über biologische Abstammung hergestellt.
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der Gesetzgeber bewusst verzichtet und damit auch die rechtliche Anerkennung sozialer Vater-Kind-Verhältnisse ermöglicht.“ (BT-Drs. 16/3219: 1)
Im Gesetzentwurf findet sich zudem ein wesentlicher Aspekt, der den Verdacht der missbräuchlichen Anerkennung stützt: „Es gibt jedoch gerade im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus der beteiligten Personen Fälle, in denen Männer eine Vaterschaft anerkennen, die nicht die biologischen Väter der Kinder sind, auch kein soziales Vater-Kind-Verhältnis anstreben und oft die aus der Vaterschaft folgende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit nicht fürchten.“ (BT-Drs. 16/3219: 1)
Im Kontext mit der Bezugnahme auf die Unterhaltspflicht beim Scheinvaterregress scheint es hier auch die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit zu sein, die den ‚Missbrauchsverdacht‘ nährt. Eine Anerkennung der Vaterschaft mit der Übernahme der Unterhaltspflicht und entsprechender Leistungsfähigkeit wäre ein Indiz für die väterliche Verantwortungsübernahme – denn die staatliche Unterstützungspflicht würde damit entfallen. Es scheinen demnach nicht in erster Linie die Kinder mit fehlender Abstammungsbeziehung zum Vater zu sein, sondern die Kinder mittelloser Väter, denen der Aufenthalt verweigert werden soll und die im Zentrum des Verdachts stehen. Fraglich ist, ob eine Übernahme der Unterhaltspflichten vor dem Verdacht der „missbräuchlichen“ Vaterschaftsanerkennung schützen könnte. Das Gesetz solle, so der Gesetzgeber, der „Entstehung eines ‚Generalverdachts‘ gegen binationale Familien“ entgegenwirken ((BT-Drs. 16/3219: 2). Nach dem neuen Gesetz erhält eine durch Landesrecht festgelegte zuständige Behörde ein Recht, die Vaterschaft anzufechten. Dieses Recht ist auf den Zeitraum von einem Jahr nach Kenntnis der Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Voraussetzungen für eine Anfechtung vorliegen, beschränkt. Die Voraussetzungen sind, dass zwischen Vater und Kind keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Fünf Jahre nach der Anerkennung ist die Anfechtung ausgeschlossen. Das heißt, dass sich Mütter und Kinder im Zeitraum von fünf Jahren behördlicher Überprüfung aussetzen müssen. Im Hinblick auf die Handlungsspielräume machen sich Mütter nicht nur von den Vätern abhängig, die gegebenenfalls eine nicht biologisch übereinstimmende Vaterschaft anfechten, sie sind nun zusätzlich der behördlichen Kontrolle ausgesetzt. Dieses behördliche Misstrauen ist, so legt es der Gesetzentwurf nahe, besonders hoch, wenn der Vater keinen Unterhalt zahlen kann. Damit geraten die Väter zum einen in eine retraditionalisierte Rolle des Ernährers der Familie und müssen sich zum anderen gegenüber dem Über-Vater Staat als Väter beweisen. Im Sinne der Wohlfahrtsstaatentypologie von Esping-Andersen (1990) ist dies die konsequente Fortführung einer auf innerfamiliärer geschlechtlicher Ar-
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beitsteilung fußenden konservativen Wohlfahrtsordnung. Fällt der Vater als Ernährer aus, wird der Staat zum Ersatz-Ernährer. Dass dieser, ebenso wie der Vater, ein Interesse an „eigenen Kindern“ im weiteren Sinne hat und nicht für „fremde Kinder“ zahlen möchte, ist in dieser Logik der angemessen folgende Schritt. Der ordnungspolitische Eingriff beschränkt sich damit nicht nur auf die Gewährung individueller Rechte, sondern weitet sich auf die Kontrolle eventuellen Missbrauchs aus. 12.2.2 Brüche nachmoderner Vaterschaft Die von Collier/Sheldon (2008) dargestellte „Geneticisation of Fatherhood“ zeichnet sich auch im vorliegenden Urteil zu heimlichen Vaterschaftstests ab. Als Option, eine eigenständige Rechtsbeziehung zum Kind herzustellen, und vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Verbotes heimlicher Vaterschaftstests erscheint die Möglichkeit, einen Rechtsanspruch auf Abstammungsfeststellung zu erwerben, als der einzige Weg, sich von der über die Mutter vermittelten Rechtsbeziehung abzulösen. Dies bedeutet im Gegenzug eine Reduktion der Optionen von Vaterschaft. Die Festlegung insbesondere der Vereine „Väteraufbruch für Kinder“ und „Väter für Kinder“ auf die „unverbrüchliche“ biologische Bindung an das Kind reduziert die Optionen, die eine aktive Form von Väterlichkeit mit sich bringen könnte. Vaterschaftskonzepte werden retraditionalisiert und auf Rechtsansprüche und Unterhaltszahlungen reduziert. Gleichzeitig legt die öffentliche Erkämpfung von Rechten mit Bezugnahme auf das dichotome Geschlechterverhältnis eine männlich-patriarchale Resouveränisierung nahe (vgl. Foster 2006). Die Fokussierung der Debatte auf moralische Aspekte des Verhaltens von Müttern und auf die väterliche Identitätsfindung blendet aus, dass Familienleben Ergebnis eines sozialen Prozesses ist (vgl. z.B. Yuval-Davis 1997). Im Ergebnis führt die Festlegung auf biologische ‚Besitzansprüche‘ zwar zu einem Rechtsanspruch, wird jedoch in diesem Zusammenhang stärker über die Auflösung von Vaterschaft verhandelt als über die Schaffung einer verlässlichen Beziehung und benachteiligt durch die geringere Bewertung fürsorglicher Beziehungen soziale Väter. Indem insbesondere der VafK die „Gefährdung“ durch nicht-biologische Väter ins Feld führt, wird die Möglichkeit verbaut, argumentativ auf eine aktive Sozialbeziehung zum Kind abzustellen. Im Zuge einer zunehmenden Varianz von Familienformen, die unabhängig von biologischer Verwandtschaft gestaltet werden, erscheint die Festlegung auf biologische Elternschaft wie eine Verengung und die Festlegung auf eine deterministische Deutung von Abstammung und Familie. Darüber hinaus tritt über die moralische Beurteilung des mütterlichen
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Treueverhaltens eine stärkere Gewichtung der heterosexuellen Paarbeziehung mit Monogamieerwartungen in den Vordergrund (vgl. Butler 1991).58 Auch hinsichtlich der Konzeption von Identität wird eine Vereindeutigung anhand biologischer Merkmale gegenüber einer nicht abgeschlossenen Identitätsvorstellung favorisiert (vgl. Butler 1997). Die „Genetifizierung“ der Vaterschaft hat darüber hinaus den Effekt, dass Väterlichkeit über individuelle Selbstfindung definiert wird und weniger ein Aspekt der Eltern-Kind-Beziehung ist. Der individuelle Gewinn steht über einer sozialen Verantwortungsübernahme, die Einforderung von Privilegien über dem Bedürfnisverzicht. Vaterschaft wird, anhand der Festlegung von Abstammungsbeziehungen, die nicht die Notwendigkeit von Fürsorglichkeit nach sich ziehen, reproduziert und verortet Väterlichkeit im System der Binnenrelationen von Männlichkeit anhand hegemonialer Kriterien (vgl. Connell 2006). Im Zusammenhang mit den Argumentationen, die im Kontext der Zuwanderungsgesetzgebung auftreten, scheint die genetische Vaterschaft mit der Zahlungsfähigkeit des Vaters für den Kindesunterhalt verknüpft zu werden. Eine Überprüfung oder Anfechtung der Vaterschaft (im Kontext mit Migration) wird dann als indiziert dargestellt, wenn der Vater keine Unterhaltsverpflichtungen befürchten muss. Zusätzlich zur Befindlichkeit der Identitätsfindung wird damit ein ökonomischer Aspekt relevant, der im Kontext der Verhandlung des demografischen Wandels verstärkt wird. Zahlungskräftige Eltern, die gute Bildungsressourcen mitbringen und diese dem Kind vermitteln können, sollen zur Elternschaft ermutigt werden. Damit entsteht in der Interpretation von Connells Überlegungen zu hegemonialer Männlichkeit (2006) ein neuer hegemonialer Vatertyp: der herkunftsdeutsche, zahlungskräftige und gut gebildete Vater, der biologisch seine Zeugungskraft beweist und zudem Aspekte der „neuen Väterlichkeit“ als soziale Fähigkeiten mitbringt, um den Emanzipationsanforderungen der erwünschten Mütter gerecht zu werden. Er wird, um zur Vaterschaft ermutigt zu werden, mit Rechten ausgestattet, die ihm gegebenenfalls einen Rücktritt von der Vaterschaft ermöglichen. Gleichzeitig verdeutlicht sich an den vorangegangenen Ausführungen auch die Strategie zur Absicherung hegemonialer Männlichkeit nach Connell (2006). Die von Connell benannten drei Strategien sind: die Besetzung der Massenmedien, die Nutzung politischer oder rechtlicher Macht, indem der Staat involviert wird, und die Bezugnahme auf traditionelle Arbeitsteilung. Anhand des Vorganges der Legitimierung der heimlichen Vaterschaftstests lassen sich diese Strate-
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Die Norm, dass nur Männer nur mit Frauen Kinder zeugen dürfen und dass Vaterschaft besteht, wenn diese durch eine Abstammungsklärung bestätigt wird, beinhaltet, dass die Frau monogam mit dem Mann leben muss.
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gien sowohl übergeordnet als auch in den einzelnen Diskursformationen identifizieren. Die öffentliche Meinung wird durch emotionalisierte Beispiele besetzt und es wird kontinuierlich auf ein biologisch fundiertes traditionelles Geschlechterverhältnis – also die geschlechtliche Arbeitsteilung – Bezug genommen, indem die Frau untergeordnet wird. Auf der anderen Seite fungiert die Abwertung der Frau dazu, die Bedrohung einer möglicherweise nicht bestätigten Männlichkeit umzulenken. Im Vorgang der Verfassungsklage wird der Staat involviert. Speziell im parlamentarischen Verfahren lässt sich die Bezugnahme auf tradierte Arbeitsteilung mehrfach erkennen. In der Konsequenz spielt die Persistenz hegemonialer Männlichkeit mit der staatlichen Ordnung zusammen, so dass Ausbrüche aus diesem Konzept mit hohen Kosten und einem Abweichen von der gesellschaftlichen Norm in einer Weise verbunden werden, die dieses Abweichen fast unmöglich machen. 12.3 Gleiche Rechte, ungleiche Pflichten: Mütter und das Kindschaftsrecht Seit der Kindschaftsrechtsreform haben sich die Handlungsspielräume von Müttern reduziert. Dies war zum einen der Ausweitung der Handlungsspielräume von Vätern geschuldet, zum anderen einer nominalen und teilweise praktischen Ausweitung kindlicher Handlungsmöglichkeiten. Die moralische Aufwertung getrennter, geschiedener oder nichtverheirateter Eltern sowie ein zunehmendes Interesse von Vätern an ihren Kinder auch nach Trennung oder Scheidung führte zu einer seit 1998 kaum verebbenden Verhandlung über mütterliche Entscheidungsspielräume. Je ‚aktiver‘ und machtvoller Vaterschaft konzipiert wird, desto weniger können Mütter gerade nach Trennung oder Scheidung beispielsweise über Umzüge, Zeitverwendung oder Erziehungsfragen entscheiden. Die Hauptverantwortung für Aufgaben der Versorgung und Betreuung von Kindern liegt nach wie vor bei Frauen. Sie tragen im Wesentlichen berufliche Nachteile, sowohl durch die Möglichkeit Kinder zu bekommen als auch durch kindbedingte Berufsunterbrechungen.59 Alleinerziehende Elternteile sind zu 90 Prozent weiblich und zu überdurchschnittlichen Anteilen von Armut betroffen, diese Zahlen verändern sich kaum. Das bedeutet, dass wesentliche Entscheidungen des Alltages von Müttern getroffen werden, sofern Kinder sich nicht beteiligen oder nicht beteiligen können. Gleichzeitig wird öffentlich eine erwünschte Beteili59 Die dadurch entstehenden Ungleichzeitigkeiten, bspw. durch die Unterhaltsrechtsreform, die die Ansprüche auf Ehegattenunterhalt massiv reduziert hat – bei gleichzeitig schlechten Arbeitsmarktchancen für Mütter –, wird daher auch sowohl von konservativer Seite als auch seitens der Frauenbewegung kritisiert.
12.3 Gleiche Rechte, ungleiche Pflichten: Mütter und das Kindschaftsrecht
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gung von Männern/Vätern an Aufgaben der Reproduktion gefordert und verhandelt. Die Balance der Abgabe von Handlungsspielräumen und der Entlastung von Verpflichtungen ist damit zunächst zu Ungunsten der Frauen verschoben. Wesentlich am vorliegenden Fall ist, dass die allein sorgeberechtigte Mutter dem Vaterschaftstest nicht zustimmte und damit ein Feld der Vermutungen über ihre partnerschaftliche sexuelle Treue eröffnet wurde. Der heimliche Test, der eine nicht bestehende biologische Vaterschaft belegte, wurde mit einem „Betrug“ der Mutter gegenüber dem Vater gleichgestellt.60 Dies zeigt sich sowohl in der Verfassungsbeschwerde, zieht sich jedoch bis in die Urteilsbegründung. Die Verhandlung über die Vaterschaftstests bei bestehender rechtlicher Vaterschaft weist damit Parallelen zur historischen Argumentation der „Einrede des Mehrverkehrs“ auf. Sowohl in den Stellungnahmen als auch in der Urteilsbegründung wurde das sexuelle Verhalten und die Intimsphäre der Mutter – und damit ihre partnerschaftliche Treue – zum Gegenstand der Verhandlung. Die Konzentration einer potenziellen Promiskuität auf Mütter – allein über die Annahme, dass ein Mann nicht wisse, ob das Kind von ihm abstamme – führt dazu, dass über die Bedürfnisse und Interessen der Mutter außer in sorgerechtlichen Belangen nicht weiter verhandelt wird. Sie ist auch im Rahmen des folgenden Gesetzentwurfes nicht Gegenstand der Verhandlung. Diese Debatten finden, wie dargestellt, weitgehend abgekoppelt von einer Verhandlung tatsächlicher Machtverteilungen im patriarchalen Geschlechterverhältnis statt. Während also auf der rechtlichen Ebene um eine Beteiligung der Väter in Trennungs- und Scheidungsfamilien gerungen wird, liegen nach wie vor die größten wirtschaftlichen, machtpolitischen und strategischen Ressourcen in den Händen von Männern. Auch werden grundlegende Debatten über Geschlecht allenfalls im akademischen Sektor geführt und bilden, abgesehen von einer häufigeren Verwendung des Begriffes „Gender“, keine Grundlage einer politischen Neuverhandlung des Geschlechterverhältnisses.61 Im Kontext dieser Debatten wurde das Abstammungsrecht so geändert, dass die Beteiligten (Mütter, Väter und – vertreten durch einen Beistand– Kinder) den Anspruch haben, die Abstammung des Kindes durch die Gewinnung einer für einen DNA-Test notwendigen Probe feststellen zu lassen. Dabei geht es jedoch um die Abstammung des Kindes vom Vater, da die Abstammung von der Mutter durch die Geburt festgelegt wird.62 Bereits hier wird ein rechtlicher Unterschied 60
Der ‚heimliche Test‘ jedoch nicht in gleichem Ausmaß mit einem Betrug gegenüber Mutter und Kind. 61 Beziehungsweise auf Basis des ‚Männer als Opfer‘-Diskurses wird die Gender-Debatte maskulinistisch gewendet. 62 Diese unterschiedliche Definition geht, im Falle einer Eizellspende, davon aus, dass Mutterschaft und die eigene Identität als Mutter nicht über Abstammung, sondern über die Geburt hergestellt wird.
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gestaltet, da die väterliche Abstammung genetisch, die mütterliche jedoch prozessual definiert ist. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Höherbewertung genetischer Informationen ist dies, zumindest de lege lata, ein erster Schritt der Ungleichbehandlung von Müttern und Vätern. Das Nicht-Gehört-Werden beziehungsweise die geringere Legitimität mütterlicher Interessen sowie die moralische Abwertung eventuell vorhandener Interessen führen dazu, dass die Interessen des Kindes weniger mit den Belangen der Mutter verbunden werden als mit denen des Vaters und dass die Mutter kaum als Interesseninhaberin diskutiert wird. In einem zweiten Schritt wird dem Vater ein Eingriffsrecht gewährt, das, und dies wird auch im Urteil angedeutet, der Überprüfung der Monogamie der Mutter dienen kann.63 Männliche Dominanz wird durch die Höherbewertung genetischer (und damit technologisch erlangbarer) Informationen gegenüber der „natürlichen“ Mutterschaft und über das Eingriffsrecht aufrecht erhalten. Damit entsteht ein Primat der biologischen Vater-Kind-Beziehung. War der Gesetzgeber zuvor gehalten, möglichst ein Übereinstimmen von biologischer und rechtlicher Elternschaft zu gewährleisten, erleichtert der Anspruch auf Abstammungsfeststellung zumindest ein Auflösen bei Nichtübereinstimmung. Hinzu kommt, dass finanzielle Interessen des Kindes der Mutter zugeschrieben und damit als eigennützig und anrüchig gegenüber dem Vater definiert werden. Dies macht das Kind frei von instrumentellen Interessen, wird bei der Mutter jedoch als berechnendes Verhalten verurteilt. Mütter geraten dadurch in einen double-bind: Sie sind Hauptverantwortliche für das Kind und bilden den größten Anteil der Haushaltsvorstände in Einelternfamilien – dies bringt die finanzielle Verantwortung für das Kind mit sich. Das Interesse, diesen finanziellen Unterhalt für das Kind zu sichern, wird moralisch abgewertet. Mütter können aber auch finanzielle Konsequenzen tragen, wenn durch eine fehlende biologische Abstammung Unterhaltspflichten entfallen. Männer erhalten damit den Spielraum, sich aus einer Familie qua biologischer „Wahrheit“ zu entfernen, während Mütter nicht die gleiche Option haben. Entsprechend der Norm der „guten Mutter“ (Schütze 1991) wird angenommen, dass Mütter eine engere Bindung zum Kind haben und diese natürliche Mutterliebe sich gegebenenfalls auch über Fragen der Abstammung hinwegsetzt, bzw. wird Abstammung in diesem
Gleiches würde für ein Kind gelten, das mit einer Eizellspende gezeugt wurde. Das heißt, dass die Abstammung als Identitätsmerkmal offenbar nur zwingend für die Vater-Kind-Beziehung gilt. 63 Die Mutter hätte aufgrund väterlicher Nicht-Monogamie keine Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten.
12.4 Familie im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität
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Kontext nicht verhandelt. Generell wird kaum verhandelt, dass Mütter sich ggf. im Trennungsfall von der Familie verabschieden würden.64 Im Kontext der behördlichen Vaterschaftsanfechtung setzt sich dieses Konstrukt fort. Die ab 1998 nicht verheirateten Müttern zugestandene Unabhängigkeit wird abgebaut, da sie bei zugewanderten Müttern in Einzelfällen nicht entsprechend den gesetzgeberischen Interessen eingesetzt werden könnte. Erneut werden Anliegen von (speziell eingewanderten) Müttern verhandelbar gemacht und nicht unter dem Gesichtspunkt eines patriarchalen Geschlechterverhältnisses thematisiert.65 12.4 Familie im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität Die Reduktion der Vater-Kind-Beziehung auf das biologische Merkmal der Abstammung macht es möglich, eine eventuell langjährige Familienbeziehung zu beenden. Da mit der Abstammung jedoch zusätzlich die partnerschaftliche Treue und Verbundenheit angezweifelt wird („ich weiß ja nicht, ob das Kind aus dieser Beziehung stammt“), kann es sich bereits bei der Durchführung eines solchen Verfahrens um den Wunsch handeln, eine Paar- und eine Familienbeziehung zu beenden, unabhängig vom Ergebnis eines Tests. Werden diese Tests nach beendeten Paarbeziehungen (Trennung und Scheidung) durchgeführt, können damit zum einen Zweifel an der Vergangenheit, zum anderen können auch unterhaltsrechtliche Verpflichtungen oder generelle Kontroll- und Sanktionslüste verbunden sein. In jedem Fall würde die Feststellung einer fehlenden biologischen Abstammung des Kindes vom Vater höchstwahrscheinlich ein schnelles und wirksames Ende dieser Beziehung bedeuten.66 Heute verbleibt ein hoher Anteil der Kinder bei der Trennung ihrer Eltern bei den Müttern (vgl. Statistischen Bundesamt, Mikrozensus 2008). Die Väter, zuvor im täglichen Kontakt zum Kind, müssen die Beziehung nun in einem kürzeren und intervallartigen Zeitraum aufrechterhalten. Dies erfordert Hinwendung zum Kind und nicht zuletzt können in dieser Situation Fremdheitsgefühle entstehen. Ein Weg, diese Fremdheit zu interpretieren, könnte es sein, eine fehlende 64 In diesem Kontext lässt sich anführen, dass die größere Verantwortungsübernahme der Mütter für Kinder ein Prozess der strukturellen Macht des Geschlechterverhältnisses sowie einer innerfamiliären Aushandlung ist, die sowohl von Männern als auch von Frauen abgestützt wird (vgl. z.B. Jurczyk/ Lange 2009). 65 Ursprünglich feministisch motivierte Anliegen, wie die Abschaffung der Amtsermittlung des Vaters bei ledigen Müttern, gelten demnach nur für inländische Mütter und schaffen so weitere Abgrenzung und Entsolidarisierung unter Frauen. 66 Es sei denn, es ginge um eine Erhöhung der Verhandlungsmasse und damit der Dominanzposition des Vaters.
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biologische Beziehung heranzuziehen. Dies wäre ein Ausfluss der Ideologie der natürlichen Liebe in Eltern-Kind-Beziehungen, anstatt der Anerkennung der Kompetenz einer kontinuierlichen Fürsorge, die üblicherweise von Müttern erbracht wird. Im Rekurs auf die Überlegungen von Fichtner (2008) zur Funktion des PAS für die Etablierung des getrennten Vaters im System der Binnenrelation von Männlichkeit lässt sich der Kampf um den Anspruch auf den Vaterschaftstest ebenfalls als Notwendigkeit der Beziehungsklärung zum Kind verstehen. „Was in der Kritik immer wieder als eine Schwäche des Konzeptes angeführt wird, nämlich einseitig die abgelehnten Väter zum Opfer zu machen und nicht nach den Ursachen der Ablehnung zu fragen, ist aus Sicht der Väter verständlicherweise die Stärke des PAS. Auch wenn es scheinbar die Pathologie von Kindern beschreibt, behandelt es doch vor allem das Leiden der Väter. Kaum eine andere Beschreibung der Trennungssituation geht so stark auf die schmerzlichen Verluste auf der Seite der Väter und ihre subjektiv erlebte Opfererfahrung ein. PAS beinhaltet ausdrücklich die Versicherung an die Väter, dass ihre Situation vergleichbar oder gar noch schlimmer sei, als wenn die Kinder gestorben wären.“ (Fichtner 2008: 240)
Von Fichtner als „eklatanter Mangel an Konzepten von väterlichem Handeln“ bezeichnet, ermöglicht es das PAS, die Ablehnung dem Kind, bzw. der Beeinflussung des Kindes durch ein Fehlverhalten der Mutter, zuzuschreiben. Eine enge Mutter-Kind-Beziehung, in bestehenden Paarfamilien positiv bewertet, wird nun pathologisiert. „Es scheint etwa, dass die während der Partnerschaft funktionale enge Mutter-KindBeziehung nach der Trennung zentrales Hindernis für den Aufbau der nun entstehenden Vaterschaftsvorstellungen des Mannes wird.“ (Fichtner 2008: 232)
Diese am Beispiel des PAS entwickelte Form der Väterlichkeit, die in verkürzter Form versucht, der Problemstellungen nachmoderner Gesellschaftsorganisation „Herr“ zu werden, dabei jedoch in Dominanzkonzepten (der Absicherung von Privilegien und weiteren Delegation emotionaler Reproduktion) verhaftet bleibt, lässt sich auf den Rechtsanspruch auf einen Vaterschaftstest übertragen. Für entscheidend hält die Verfasserin in diesem Fall jedoch die Funktion der abkürzenden Erklärung, die sich auch in der Herangehensweise des PAS findet. Sowohl die Problematisierung des PAS als auch die Durchführung von Vaterschaftstests finden sich gehäuft bei getrennten oder geschiedenen Vätern. „Mit der vielfach kritisierten Simplifizierung hinsichtlich der Genese von kindlicher Kontaktverweigerung geht eine kaum weniger atemberaubende Generalisierung von elterlicher und kindlicher Liebe unter dem Dach des PAS einher. […] Das PAS verspricht den betroffenen Vätern ‚Normalität‘ und – damit verbunden – eine gleichbleibende Liebe des Kindes.“ (Fichtner 2008: 241)
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Diese Normalität oder umgekehrt, eventuelle Ambivalenzen elterlicher und kindlicher Beziehung in und nach einer Trennungssituation können, wenigstens im Falle fehlender biologischer Abstammung, ebenfalls vereinfacht erklärt werden. Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer ein Vater, der nach der Trennung die Vaterschaft anfechten wollte. Auch die Stellungnahmen der Länder Baden-Württemberg und Bayern gehen davon aus, dass die Vater-Kind-Beziehung im Falle der nicht vorhandenen biologischen Abstammung beendet würde. Prof. em. Dr. Rainer Frank und Tobias Helms (Richter am BGH) (2007) gehen davon aus, dass Väter, die die Eltern-Kind-Beziehung nach einem Vaterschaftstest, der die biologische Vaterschaft nicht bestätigt, erhalten möchten, nicht vorkommen. Phänomene und Schwierigkeiten der Beziehungsgestaltung zwischen Vater und Kind in der Umgangssituation können, sofern keine biologische Vaterschaft besteht, auf diesen Mangel reduziert werden. Die gesamte Vater-Kind-Beziehung kann so in Frage gestellt und damit letztlich ungeschehen gemacht werden. Auch der entstehende Zweifel deutet auf eine vereinfachte Form der Erklärung hin: Verweigert das Kind den Kontakt oder ist in der Kontaktsituation keine spontane Emotionalität zu spüren, könnte dies darauf hindeuten, dass das eigene Kind gar nicht das eigene ist. Dies würde Fremdheit und Zweifel erklären und auf einfachem Weg die Vater-Kind-Beziehung und damit die vorangegangene Familienbeziehung endgültig beenden, ungeschehen machen. In beiden Fällen könnte die Mutter für das Scheitern der Beziehung verantwortlich gemacht werden.67 Gleichzeitig kann, wie von Fichtner aufgezeigt, das Modell einer männlichen kämpfenden Vaterschaft aufrecht erhalten werden, die Zusammenführung von Vaterschaft in einer patriarchal ausgerichteten Männlichkeit kann so gelingen. Der Diskurs der Krisenhaftigkeit zur Einforderung von Privilegien im Sinne männlicher Resouveränisierung, wie von Foster (2006) entwickelt, findet hier auch seinen Platz.
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Wie oben angemerkt muss eine als fremd empfundene Umgangssituation nicht der einzige Grund für einen Vaterschaftstest sein, aber als Beispiel für die Reinstallierung patriarchaler Ansprüche eignet sich diese Konstellation.
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Das vorliegende Buch widmete sich der Frage, welche argumentativen Vorgänge dazu geführt haben, dass die Kenntnis der Abstammung eines Kindes für einen Vater zu einem so notwendigen Merkmal werden konnte, dass das Bundesverfassungsgericht daraus eine Gesetzeserfordernis abgeleitet hat. Wie wurden Kinder als Akteure im Verfahren verhandelt und welche Funktion hatten sie für die Legitimation eines väterlichen Kenntnisinteresses? Welche Funktion hatten Mütter als Akteurinnen im Verfahren? Welche diskursiven Formationen haben Genetik als entscheidendes Ordnungsmoment von Elternschaft konfiguriert und wie entstand ihre Wirkmächtigkeit? Ist der Diskurs um die Abstammung des Kindes vom Vater ein Anzeichen familialen Wandels oder des Wandels von Väterlichkeit, Vaterschaft und Kindheit? Gemeinhin wird diskutiert, dass ein unaufhaltsamer familialer Wandel vor sich gehe, der zur Folge habe, dass die Familie deinstitutionalisiert würde und sich eine Vielfalt ungeahnten Ausmaßes entwickeln könne. Die Emanzipation von Frauen habe zunehmende Ansprüche an Partnerschaften mit sich gebracht, die zu einer Destabilisierung von Ehen und Partnerschaften führen würden. Dadurch gebe es mehr Scheidungen, Stieffamilien, nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern und Alleinerziehende. Hinzu kämen homosexuelle Partnerschaften mit Kindern. Diesen neuen vielfältigen Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern müssten Politik und Recht einen Rahmen bieten (vgl. dazu z.B. Zypries 2005). In der Zusammenschau der Ergebnisse deutet sich an, dass auch die vorliegende Installation eines Anspruches auf Abstammungsklärung als Ausdruck dieser Ordnung nachmoderner familialer Vielfalt zu interpretieren ist. Was zunächst wie ein patriarchal begründeter Rückschritt in traditionelle Verhältnisse erscheint, eröffnet auf den zweiten Blick die Notwendigkeit der Neukonzeptualisierung von Vaterschaft im Rahmen einer Neuaushandlung des Geschlechterund Generationenverhältnisses. Dabei kann die Vaterschaft als Symbol der Neuordnung der Beziehungen verstanden werden, denn es hätte sich auch um die Klage einer Mutter auf die Vaterschaftsanerkennung eines anonymen Samenspenders handeln können. Dass dies nicht der Fall ist, sondern eben erneut über S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8_14, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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väterliche Ansprüche verhandelt wurde, erscheint einerseits als Ausfluss eines auf männlicher Hegemonie basierenden öffentlichen Diskurses und entsprechender Machtverteilungen. Gleichzeitig handelt es sich beim untersuchten Diskurs um eine Neukonzeptualisierung von Vaterschaft am Ende des Patriarchats. Die von Connell beschriebene „hysterische Qualität“ der Kämpfe um patriarchalen Machterhalt in einer sich wandelnden Gesellschaft ist auch im vorliegenden Verhandlungsvorgang zu finden, so die These dieser Studie. Die öffentliche Stimmungsmache gegenüber Müttern als „Schlampen“ und Vätern als „gehörnte Deppen“, die zahlreichen Verweise auf traditionelle Geschlechterverhältnisse anhand biblischer Zitate, narrative Elemente, die auf stereotype Kernfamilien aus den 50er Jahren verweisen (Rosenstrauß und Pantoffeln), sowie die Konstruktion einer Kindesgefährdung durch abstammungsdifferenzierten Infantizid belegen, dass es offenbar starker Bilder bedarf, um die Abstammungsklärung zu rechtfertigen. Diese starke, polemisierende und emotional aufgeladene Diskursivierung privater Beziehungen deuten darauf hin, dass die Spannungen nachmoderner Vaterschaft mit ihren Ansprüchen an Beziehung und Zuwendung zum Kind als krisenhaft und belastend erfahren werden – die Lösungen daraus jedoch in erster Linie auf der Basis von Rechtsansprüchen gesucht werden. Angesichts dieser endpatriarchalen Verwerfungen scheinen auch das Bundesverfassungsgericht und der Gesetzgeber aufgefordert, neue Privilegien zu etablieren, die genetische Sicherheit in einem unsicheren Geschlechter- und Generationenverhältnis im Umbruch verleihen. Dass dies gerade nicht bruchlos geschieht, sondern stattdessen sowohl im Urteilstext als auch in der Ablösung des Feststellungsverfahrens vom Anfechtungsverfahren sachte Zeichen einer Höherbewertung sozialer Vaterschaft zu erkennen sind, ist ein Anzeichen für die Ambivalenz, die in der Polarisierung technologischer Wahrheiten mit gefühlten und gelebten Beziehungen und damit der Polarisierung von Privilegien anhand deterministischer Merkmale gegenüber sozialen Handlungen entsteht. Diese Anzeichen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Genetifizierung von Vaterschaft Effekte einer Naturalisierung des Geschlechter- und Generationenverhältnisses hat und dass diese Effekte bis hin zu rassistischen Elementen in der Zuwanderungspraxis reichen. Indem zeitgleich mit dem individuellen Recht auf Abstammungsfeststellung die behördliche Vaterschaftsanfechtung für Fälle wieder eingeführt wurde, in denen die Vaterschaft möglicherweise „missbräuchlich“ zur Erlangung eines Aufenthaltstitels anerkannt wurde, wird eine weitere gesellschaftliche Aufgabe durch Biologisierung gelöst. Strikte Zuwanderungsregulierung und die Abhängigkeit der Staatsangehörigkeit von der Abstammung werden erhalten, gleichzeitig werden Zuwanderungsängste und Integrationsherausforderungen über eine weitere
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behördliche Regulierung scheinbar behandelt. Angesichts der möglichen Fallzahl sogenannter „missbräuchlicher“ Vaterschaftsanerkennungen (etwa 1.000) gab es kein zwingendes Gesetzeserfordernis. Es scheint mehr die Debatte um Zuwanderung und deren zunehmend ausgrenzender Charakter zu sein, die eine Regulierung und mit diesem Gesetz eine klare Festlegung auf Abstammung – und damit ein klares politisches Signal für die Naturalisierung von Staatsangehörigkeit – befördert haben. An dieser Stelle ist gerade kein Umbruch zu beobachten, sondern vielmehr eine bruchlos beständige Orientierung deutscher Staatsangehörigkeit an biologischer Abstammung. Dies verdeutlicht zweierlei: ‚Integrationsprobleme‘, die zunehmend im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit stehen, können ungeschehen gemacht werden, wenn die Staatsangehörigkeit weiterhin auf Abstammung reduziert wird. Dann gibt es nur noch „eigene“ Kinder und die anderen können ihre Staatsangehörigkeit nur durch „missbräuchliche“ Verfahren erlangen, die behördlich „ungeschehen“ gemacht werden. Grundsätzliche politische Fragen, wie die Konzeption von Vaterschaft einer nachmodernen Gesellschaft abseits einer Reinstallierung patriarchaler Strukturen aussehen kann, ob es andere Formen gesellschaftlicher Reproduktion geben kann, wenn Generationen nicht vollständig durch „Inländer“ ersetzt werden, oder wie Aufenthaltsrecht angesichts zunehmender binationaler Familien, internationaler Konflikte und mangelnder Regelungen der Zuwanderung und Asylmöglichkeiten für Frauen aussehen müssten, werden nicht beantwortet. Vielfalt hat damit Grenzen. Diese Grenzen definieren sich zum einen durch Zahlen: Es können nicht mehr als zwei Erwachsene rechtliche Verantwortung für ein Kind tragen. Es sollten nach Möglichkeit zwei Erwachsene sein. Die Abwesenheit einer Person muss begründbar sein (Scheidung, Trennung, Tod) und vermieden werden (gemeinsames Sorgerecht, Umgangsrechte). Die beiden Personen sind im Regelfall gegengeschlechtlich und leben in einer Paarbeziehung mit gemeinsamem Haushalt. Auf der Ebene getrennt lebender Familien finden sich zwei Tendenzen. Die biologische Kindschaft ersetzt die Ehe als Legitimationsinstrument von Kindern. Für biologische Kinder herrscht die lebenslange Verantwortung, damit ist finanzielle Verantwortung und die Übernahme von Elternverantwortung gemeint. Die Elternverantwortung erstreckt sich bis hin zu einer apodiktischen Formulierung elterlichen Einvernehmens. Vielfalt endet, wo ein Vater vermutet oder befürchtet, dass er nicht biologischer Vater seines rechtlichen Kindes sein könnte. Der Abstammungstest kann diese Vermutung bestätigen oder nicht, in jedem Fall wird kontrollierend in die Familie eingegriffen. Stimmt die Abstammung nicht überein, kann die Vaterschaft beendet werden und die Unterhaltsansprüche können vom „Erzeuger“
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zurückgefordert werden, denn „für fremde Kinder muss niemand zahlen“ (vgl. die tageszeitung vom 17.04.2008). Vielfalt endet auch, wo nicht wenigstens ein Elternteil, der als mit dem Kind biologisch verwandt gilt, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Ausnahmen bilden Auslandsadoptionen, doch hier wird die biologische Elternschaft durch Amtshandlung ersetzt. Im Zuwanderungsrecht gewinnt die biologische Elternschaft gemeinsam mit der finanziellen Verantwortungsübernahme eine zusätzliche Dimension. Neben die Kontrolle der väterlichen Abstammung tritt der staatliche Eingriff über die behördliche Vaterschaftsanfechtung, die kontrolliert, ob es sich tatsächlich um eine „echte“ Familie mit biologischen Beziehungen und familiärem Zusammenleben handelt. Verdacht auslösend ist es, wenn Väter keine finanzielle Verantwortung übernehmen. Das Zitat „für fremde Kinder muss niemand zahlen“ erhält dadurch eine neue Dimension. Die Kinder, die weder die Abstammung von einem deutschen Staatsbürger nachweisen können, noch eine deutsche Mutter haben und bei denen der rechtliche Vater die Vaterschaft anficht, verlieren ihre Staatsbürgerschaft. Damit verlieren sie ihren Aufenthaltsstatus und ihre sozialrechtlichen Ansprüche: Der Staat will im Wortsinne nicht mehr für sie bezahlen, sie werden im doppelten Sinne „fremd“, denn durch den Verlust der Staatsbürgerschaft „zahlt“ der deutsche Staat nicht mehr für sie und sie verlieren Ansprüche auf Sozialleistungen. Der nicht-biologische und erfolgreich anfechtende Vater ‚zahlt‘ auch nicht für sie, denn er hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Die Naturalisierung sozialer Probleme und damit deren Verlagerung auf individuelle Zuständigkeiten haben sowohl auf der Ebene der Sozialpolitik als auch hinsichtlich des Aufenthaltsrechts und der Gestaltung privat(rechtlich)er Beziehungen zu einer Entpolitisierung des Geschlechterverhältnisses geführt. Im breiteren diskursiven Rahmen wird deutlich, dass sich eine Vernatürlichung oder Biologisierung von Elternschaft abzeichnet. Dies zeigt sich sowohl auf der Ebene der privaten Vaterschaftsfeststellung als auch auf der Ebene der Zuwanderungsgesetzgebung zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung. Auf der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Diskurses wird erkennbar, dass auch in der Debatte um den demografischen Wandel das Hauptaugenmerk auf der Zahl der Geburten von den „richtigen Eltern“ liegt. All dies erscheint wie eine Bestrebung, der Varianz von Familie im Sinne von Zuwanderung, Trennung und Scheidung und damit der abnehmenden normativen Kraft der Ehe gerecht zu werden, im Sinne einer Kategorisierung derer, die „richtig“ (also biologisch) voneinander abstammen, und aller anderen, die jeweils gesonderter rechtlicher Regulierung bedürfen. Die soziale Eltern-Kind-Beziehung gerät gegenüber dem Gewicht, das die Abstammungsbeziehung erhält, in den Hintergrund und erhält den Charakter,
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eine „Wirkung“ der Abstammung zu sein. Zudem zeigt sich, dass instrumentelle Argumente, wie die Sicherung von Unterhaltsansprüchen oder der Wegfall von Zahlungsverpflichtungen, nur dann wirksam sein können, wenn diese mit weiteren Aspekten wie der Abstammung, der sozial-familiären Beziehung oder der Identitätsstiftung zusammen genannt werden. Allein erhalten diese instrumentellen Aspekte die Wertung des „eigennützigen“ Verhaltens. Geschlechterfragen, nämlich die vorwiegende Verpflichtung von Frauen für Kinder, die rechtlich bei der unauflöslichen Mutter-Kind-Beziehung beginnt und mit der alleinigen Sorge nicht verheirateter Mütter verbunden ist, werden im Zusammenhang mit der Abstammungsfeststellung nicht diskutiert. Die Intimsphäre der Mutter erscheint verhandelbar. Im Vergleich zu einem 2005 geplanten Verbot heimlicher Vaterschaftstests mittels eines geplanten Gendiagnostikgesetzes stellt diese Entwicklung eine Wendung dar. War zu diesem Zeitpunkt noch starker öffentlicher Protest gegen dieses Verbot hörbar und in diesem Zusammenhang eine Debatte über das für und wider von Gentests, wurde diese Debatte durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes beendet. In der Debatte um ein Gendiagnostikgesetz wurde von den Fraktionen ein „Recht auf Nichtwissen“ als ständiger Argumentationsgegenstand verwendet. In diesem Zusammenhang wurde im April 2009 auch ein Verbot der Abstammungstests ohne Zustimmung des Kindes bzw. dessen sorgenberechtigter Mutter verabschiedet. Dieses Gesetz wird allerdings durch die privatrechtliche Regelung insofern ausgehebelt, als dass die Zustimmung zu einem Abstammungstest nun gerichtlich erstritten werden kann. Das Gendiagnostikgesetz eröffnet im Hinblick auf ethische Fragen einen wesentlich breiteren Rahmen der genetischen Untersuchungen, insbesondere hinsichtlich der Untersuchungen von genetischen Risiken. Dies kann allerdings nicht Gegenstand der vorliegenden Erörterungen sein. Insbesondere die Sondervoten der Enquête-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ zu den Fragen der Schwangerschaftsabbrüche infolge von Pränataldiagnostik (Menschenwürde des Embryos im Verhältnis zur Menschenwürde der austragenden Mutter) sowie der Präimplantationsdiagnostik verdeutlichen, dass zukünftig die biologische Mutter-Kind-Beziehung erneut Gegenstand von Verhandlungen sein wird. Offen bleibt, inwiefern Vaterschaftstests zukünftig zum Gegenstand familiärer Verhandlungen werden und welchen Einfluss diese Regelung auf innerfamiliäre Machtverhältnisse haben wird. Nach wie vor fehlt es an zukunftsfähigen Konzepten der rechtlichen Regulierung von Familien, insbesondere hinsichtlich der Fortpflanzungsmedizin. Wenn die angenommen ‚natürliche‘ – und mithin rechtlich bestehende – Vaterschaft bei nicht übereinstimmender Abstammung angefochten werden kann, wel-
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che Gründe sprechen dann dagegen, auch die durch heterologe Insemination68 entstandene Vaterschaft anzufechten? Das Argument der Identitätsfindung könnte, sofern der Zusammenhang von Identität und genetischer Abstammung weiterhin so dominant ist, auch für Kinder, die konsensuell mit dem Samen eines Dritten gezeugt wurden, gelten. Die Fortsetzung oder die Gegenbewegung zu einer biologischen Begründung von Familienbeziehungen wird sicher weiterhin Gegenstand öffentlicher, politischer und juristischer Debatten sein. Noch ist die bindende Wirkung des heteronormativen Familienmodells so machtvoll, dass der Gesetzgeber weder über die Neuordnung von Elternschaft nachzudenken scheint, noch der patriarchalen Machtrealisation im Wege steht. Auf Basis einer auf naturalisierenden Vorstellungen fußenden Identitätsfiktion wird eher in Kauf genommen, dass Exklusionen von Kindern mit biologischem Herkunftsnachweis gegenüber Kindern ohne eine gleichermaßen gesicherte Abstammung stattfinden, dass innerfamiliär patriarchalen Machtverhältnissen der Weg gebahnt wird und dass eine biologisierende Vorstellung von Beziehungen tendenziell soziale Beziehungen und Verantwortungsübernahme abwertet. Neue Kontrollen und Definitionen derer, die legitime Interessen haben, und derer, denen keine Interessen zustehen, lassen bisher keine Abkehr von diesem Kurs erkennen. Die (bio-)technologische Forschung und Entwicklung wird weiter fortschreiten. Schon jetzt werden genetische Veränderungen untersucht und es finden sich immer neue Prognosemöglichkeiten und Determinismen. Es wird daher von zunehmendem Interesse sein, wie sich diese Entwicklung auf diskursive Formationen auswirken wird und welche politischen und sozialen Konsequenzen sich daraus ergeben. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch Forschungsbedarf an der Schnittstelle von Genetik, Neurospsychologie und Sozialwissenschaft identifizieren. Nach wie vor unbelegt bleibt der angenommene Zusammenhang von Eigenschaften, Verhaltensweisen, Ähnlichkeit oder Beziehungswahrnehmung und genetischer Abstammung. Es wäre interessant, welche Effekte eine nachgewiesene, nicht vorhandene Abstammung hat und welche dieser Effekte sich gegebenenfalls tatsächlich auf biologische Merkmale, welche sich aber womöglich auf soziale Ideen zu Abstammung zurückführen ließen. Es bleibt offen, ob der sachte Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die soziale Vater-Kind-Beziehung tatsächlich als Anzeichen eines grundlegenden Wandels der patriarchalen Konzeption von Familien und Elternschaft gelten kann. Würde dieses Anzeichen gestärkt, stünden weitere konfliktreiche Auseinandersetzungen an, die eine grundlegende Umverteilung von Macht und Privilegien zwischen Müttern und Vätern und Eltern und Kindern nach sich ziehen 68
Künstliche Befruchtung mit dem Samen eines Dritten.
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würden. Eine solche Neukonzeption und Umverteilung würde vor allem beinhalten, dass Gruppen Gehör erhalten, die bislang in diesem Kontext passiv konstruiert wurden. Neben kindlichen Belangen wären dies die Thematisierung des geschlechtlichen Machtverhältnisses und auch die Benennung von Migrationsbelangen. Dies wäre insbesondere vor dem Hintergrund einer Konzeption von Staatsbürgerschaft anhand einer Abstammungsbeziehung von Interesse, denn die zunehmend soziale Definition von Familie hätte damit weitreichende ordnungspolitische Konsequenzen. In diesem Bereich des Zusammenhangs von Ordnungspolitik und Privatbeziehung wird hier daher auch der größte Forschungsbedarf gesehen, der in verschiedene Richtungen gehen könnte. Vorstellbar wären Fragen der Verteilung innerfamiliärer Macht durch die staatliche Zuwanderungspraxis oder die Neuordnung von Geschlechterverhältnissen durch Reproduktionsmedizin und deren staatliche Regulierung. Eine Untersuchungsperspektive könnte es deshalb sein, wie sich Zuwanderungsgesetze und Zuwanderungspraxis in privaten Familienbeziehungen, beispielweise bei binationalen Beziehungen, auswirken. Breitere diskursive Zusammenhänge konnten hier leider nicht beleuchtet werden. Zu nennen wäre hier die öffentliche Debatte um den demografischen Wandel. In der Benennung erwünschter Eltern und erwünschter Kinder sowie der damit zusammenhängenden selektiven Ermutigung zur Familiengründung sind Abstammungsideologien latent enthalten. Dies zeigt sich zum einen an der immer wieder auftauchenden Figur der Vererbbarkeit von Bildungserfolgen, indem Akademiker/innen zu mehr Kindern motiviert werden sollen, aber auch in der Thematisierung von diffusen Ängsten gegenüber Zuwanderung, die sich vor allem darin äußern, dass angeblich „die Falschen“ in Deutschland die Kinder bekämen. Hier deutet sich der Denkzusammenhang Migration – Abstammungskontrolle – Geburtenentwicklung an. Durch die Abstraktion von Kindern anhand von Geburtenzahlen, die mit Nachkommastellen ausgedrückt werden, wird in diesem Kontext der Humankapitaldebatte ein weiteres Mal im Sinne einer biologistischen Auffassung von Menschen, die nicht als Subjekte konzipiert sind, offensichtlich. In diesen politischen Diskursfeldern wäre vor diesem Hintergrund eine detaillierte Beobachtung der Diskurse von höchstem wissenschaftlichem und politischem Interesse.
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Die Verfassungsbeschwerde69 Der Beschwerdeführer (Bf) erhebt Verfassungsbeschwerde wegen einer Verletzung seiner Grundrechte aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht). Nach der Schilderung des Sachverhaltes stellt der Bf fest, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes zwingend gleichrangige Rechte seien. Daher handle es sich bei der Verwertbarkeit heimlicher Vaterschaftstests nicht, wie von den Vorinstanzen entschieden, um eine Vorrangproblematik, sondern um eine Grundrechtskollision. Die Abstammungsklärung betreffe nicht nur unterschiedliche Grundrechtsträger, sondern begründe ein biologisches Band zwischen drei Personen. Damit beträfen diesbezügliche Entscheidungen eine soziokulturelle Gemeinschaft. Die Grundrechtskollision von Kind und Vater sei nicht mit Mitteln des einfachen Rechts zu lösen, sondern bedürfe einer Klärung am konkreten Einzelfall. Abstammung sei (nach Auffassung des BVerfG) ein wichtiger Anhaltspunkt für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Die Ausgestaltung dieser Kenntnis unterliege dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, dabei ergebe sich kein Anspruch auf Verschaffung, jedoch auf Schutz vor der Vorenthaltung erlangbarer Kenntnisse. Diese Einschätzung der Verhältnismäßigkeit der Grundrechte nimmt der Bf im Folgenden vor. Erheblich für die Abwägung sei, dass die Eltern nie verheiratet waren und die Beziehung zwischen Vater und Tochter von Unsicherheit geprägt war. Das Wissen um die Nichtabstammung sei geeignet, die Bindung zwischen Vater und Tochter zu beenden, das Vertrauen zwischen Mutter und Tochter sei gestört, da sie ihr einen Vater „untergeschoben“ (Bf 2005: 12) habe. Der Bf müsse Unterhalt für ein Kind zahlen, dessen Vater er nicht sei.
69 Diese und folgende Quellen wurden über das Archiv des Deutschen Bundestages, die Archive der zitierten Verbände oder auf Anfrage bei Gerichten recherchiert. Sie liegen der Verfasserin vor, sind jedoch nicht alle über das Internet zugänglich. Zugängliche Texte sind im Literaturverzeichnis mit Link angegeben.
S. Schutter, „Richtige“ Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-92867-8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Der Bf sei zu 90 Prozent zeugungsunfähig und habe ein Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben. Der Vaterschaftstest schließe den Bf als Vater aus, die Mutter habe sich in Bezug auf den Test widersprüchlich verhalten, indem sie zunächst einem Test zugestimmt habe, die Zustimmung jedoch später widerrufen habe. Sie begründe damit einen Anfangsverdacht. Die Mutter unterliege einer Interessenskollision zwischen ihren Interessen und denen des Kindes, zudem habe sie ein Glaubwürdigkeitsproblem, da sie den „Mehrverkehr“ (Bf: 14) geleugnet habe. Das Kind wolle vermutlich keinen Scheinvater, daher entspreche dieses Festhalten am Scheinvater nicht dem Kindeswohl. Die Mutter könne aufgrund einer in ihrer Person liegenden Interessenkollision keine kindeswohldienliche Entscheidung treffen (Bf 2005: 18). Bei einer Gewichtung der einzelnen Elemente ergebe sich, dass im Hinblick auf das Paar ein unlösbarer Konflikt bestehe. Bei der gegenwärtigen Rechtslage bleibe der misstrauische Vater in der unsicheren Rolle des „Vaters oder NichtVaters“. Andererseits ergebe eine uneingeschränkte Zulassung von Gutachten eine Aussetzung der verfassungsrechtlich gesicherten Rechte des Kindes. Die vom BGH etablierten Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht legten die Grundlage für diesen Konflikt. Es müssten Kriterien gefunden werden, die eine einzelfallbezogene Bewertung des Anfangsverdachts ermöglichen. Das ohne Einwilligung eingeholte Gutachten stünde im Ergebnis dem gerichtlichen Gutachten gleich und hätte daher maßgebliche Bedeutung. Die Einwilligungsproblematik könne durch den Interessenkonflikt der Mutter nicht sachgerecht gelöst werden. Da der Gesetzgeber bisher keine Vorkehrungen zum Ausgleich der berührten Grundrechtspositionen getroffen habe, habe die Rechtsprechung ihre Freiräume unzumutbar ausgenutzt. Die Mutter instrumentalisiere mit ihrem widersprüchlichen Verhalten das Kindeswohl, ihr Verhalten hätte also einen Anfangsverdacht begründen müssen. Das Zeugungsfähigkeitsgutachten hätte einbezogen werden müssen und daher sei auch das Vaterschaftsgutachten heranzuziehen. Die in der Mutter personifizierte Interessenkollision müsse gesetzgeberisch aufgelöst werden. Als Ergebnis führt der Bf an, dass die angegriffenen Entscheidungen den kollidierenden Grundrechtspositionen von „(Nicht-) Vater“ (Bf 2005: 18) und Kind nicht gerecht werden. Im vorliegenden Fall habe keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit stattgefunden. Es liege ein hinreichender Anfangsverdacht vor. Der Gesetzgeber habe versäumt, den in der alleinsorgeberechtigten Mutter begründeten Interessenskonflikt aufzulösen.
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Im Ergebnis fordert der Bf die einzelfallbezogene Zulassung des heimlich erlangten Vaterschaftsgutachtens sowie eine gesetzgeberische Auflösung der „Interessenkollision“ der Mutter im Fall einer Vaterschaftsfeststellung. Die Stellungnahmen Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) Das BMJ sieht in der angegriffenen Entscheidung keine Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers. Die Abwägung ergebe, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht hinter dem Recht auf Kenntnis der Abstammung zurücktreten dürfe. Da dieser Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung in einer Situation vermeintlicher Vertrautheit erfolge, sei zudem eine Intensivierung des Eingriffs festzustellen. Zwar seien biologische und rechtliche Elternschaft möglichst in Übereinstimmung zu bringen, die Anfechtungsfristen dienten jedoch dem Schutz des Familienfriedens. Der Staat sei verpflichtet, das Kind in für es existenziellen Entscheidungen zu schützen. Nach derzeitiger Rechtslage sei es zudem möglich, einen privaten Vaterschaftstest bei Zustimmung des Kindes im Gerichtsverfahren zu verwenden. Es sei zudem fraglich, ob der Schutzbereich des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 1 auch gelte, wenn der Zweck die Aufhebung der Elternbeziehung sei. Eine Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergebe ebenfalls, dass zum Schutz des Kindes ein heimlicher Vaterschaftstest nicht gerichtlich verwertbar ist. Die Bundesregierung plane, mit der Reform des familiengerichtlichen Verfahrens die Schwelle für eine Vaterschaftsanfechtung abzusenken und im Rahmen eines Gendiagnostikgesetzes die Voraussetzungen für genetische Abstammungsuntersuchungen zu definieren. Stellungnahme des Justizministeriums Baden-Württemberg (Baden-Württemberg) Baden-Württemberg betrachtet die Grundrechtsposition des Vaters als unverhältnismäßig beeinträchtigt. Die Beschwerde sei begründet, da dem Recht des Vaters auf Klärung der Abstammung keine überwiegenden Rechte der anderen Beteiligten gegenüberstünden. Eine umfassende Würdigung aller Rechtspositionen ergebe, dass bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Rechte der anderen
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Beteiligten weniger schutzwürdig seien und zudem ein Vaterschaftstest keine besonders sensiblen Daten zutage fördere. Die Verwertung der Ergebnisse eines heimlich erlangten Vaterschaftsgutachtens müsse demnach zulässig sein. BadenWürttemberg bringt daher einen Gesetzentwurf ein, der die Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftstests zur Vorbereitung einer Vaterschaftsanfechtung ermögliche. Dadurch würden Ehe und Familie geschützt, denn Zweifel an der Abstammung des Kindes könnten „auf diskrete, die persönlichen Beziehungen nicht belastende Weise geklärt“ werden (Baden-Württemberg 2006: 13). Stellungnahme der bayerischen Staatsregierung (Bayern) Bayern hält die derzeitige Rechtslage für unbefriedigend. Väter würden in nicht verwertbare Tests abgedrängt und benötigten eine legale Möglichkeit, ein Abstammungsgutachten einzuholen. Dabei sollten insbesondere die Persönlichkeitsrechte des Kindes und des Vaters in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Das Ziel müsse eine familienschonende Lösung sein, die den Dialog in der Familie fördere. Deshalb hat Bayern einen Gesetzentwurf vorgelegt, der dem Vater einen Anspruch auf die Durchführung eines privaten Gentests einräume. Stellungnahme des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit der Bundesregierung (Datenschutzbeauftragter) Der Datenschutzbeauftragte beschränkt sich auf die datenschutzrechtlich relevante Frage der Zulässigkeit heimlicher Gentests. Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung seien nur auf Basis einer gesetzlichen Grundlage möglich, diese gebe es im vorliegenden Fall derzeit nicht. Es liege keine wirksame Einwilligung der Mutter in die Erhebung und Nutzung der Daten vor. Die Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten sei nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) nur zulässig, wenn eine Einwilligung vorliege. Familiäre Tätigkeiten fielen aus dem Regelungsbereich des BDSG heraus, die Daten wurden jedoch durch ein Labor verarbeitet. Eine Verarbeitung wäre zulässig, wenn es kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an einem Ausschluss der Verarbeitung gäbe, dieses ergebe sich aber unter anderem aus dem Recht auf Nichtwissen hinsichtlich des Ergebnisses. Heimliche Vaterschaftstests verstießen daher sowohl gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht als auch gegen das BDSG.
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Stellungnahme des Deutschen Familiengerichtstages e.V. (DFGT) Der DFGT sieht in der BGH-Entscheidung weder einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch gegen den Schutz der Familie. Daher hält er die Verfassungsbeschwerde zwar nicht für begründet, sieht aber die Notwendigkeit einer Änderung des Anfangsverdachtes bei der Vaterschaftsanfechtung. Die hohe Schwelle des Anfangsverdachts durch die BGH-Rechtsprechung zur Vaterschaftsanfechtung erzeuge im vorliegenden Fall das Problem, dass die Anfechtungsfrist abgelaufen sei, der Beschwerdeführer jedoch keine Anfechtung habe durchführen können. „Überlegt werden sollte daher“, die Schwelle des Anfangsverdachts so abzusenken, dass innerhalb der Zweijahresfrist nach der Geburt des Kindes die Vaterschaft auf Antrag zu untersuchen sei. Nach der Zweijahresfrist müssten konkrete Umstände vorgebracht werden, die erst nach Ablauf der Frist bekannt geworden sind (DFGT 2006: 3). Dazu bedürfe es einer Änderung des Gesetzes zur Vaterschaftsanfechtung. Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes (DJB) Der DJB trennt drei Fragestellungen: die Grundrechtspositionen, auf die sich die Beschwerdeführer beziehen, die Verfassungsmäßigkeit des derzeitigen Verfahrens der Vaterschaftsanfechtung und die Verwertbarkeit einer heimlichen DNAAnalyse. Die Grundrechtspositionen der Beschwerdeführer leiteten sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab und beinhalten das Recht auf Kenntnis der Abstammung eines ihnen zugeordneten Kindes sowie das Recht, dass der Staat ihnen „die Vaterrolle nicht oder nicht mehr zuweist, sollte das Kind nicht von ihnen abstammen“ (DJB 2006: 1). Der DJB stellt fest, dass der Gesetzgeber diesbezüglich einen Gestaltungsspielraum habe. Die Interessenlagen von Müttern und Kindern begründeten, dass die gesetzlichen Regelungen verfassungsgemäß seien. Der Gesetzgeber müsse hier Grenzen der Anfechtung setzen, um alle Betroffenen zu schützen. Eine Grenze sei die zweijährige Anfechtungsfrist, die gewährleiste, dass es eine Rechtssicherheit für die betroffene Familie gebe, wenn sich ein Vater trotz Kenntnis der Nichtabstammung rechtlich zu einem Kind bekenne. Über die zweijährige Frist hinaus könne ein Vater die Vaterschaft anfechten, wenn er Umstände darlegen könne, die Zweifel an der Vaterschaft wecken. Dies sei der angemessene Ausgleich. Grundsätzlich sei möglich, dass es Konstellationen gebe, in denen ein Mann wissentlich die Vaterschaft für ein nicht von ihm abstammendes Kind anerkennt.
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Auch in dieser Situation solle die soziale Familie geschützt werden. Die vom Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte seien vor diesem Hintergrund verfassungsgemäß. Heimliche DNA-Analysen seien schon deshalb rechtswidrig, weil sie dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Kindes entgegenstehen. Zudem handle es sich um einen rechtswidrigen Eingriff in das Sorgerecht der Mutter. Jeder Mensch habe ein Recht darauf, dass der Staat ihn vor der unbefugten Verwendung genetischen Materials schütze. Es bestehe eine erhebliche Gefahr des Missbrauchs dieser Daten, zum Beispiel für Versicherungen, und zudem sei nicht sichergestellt, dass es sich tatsächlich um Daten der beiden betroffenen Personen handele. Die Ablehnung dieser rechtswidrig erlangten Testergebnisse sei daher ebenfalls verfassungsgemäß. Eine Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel sei allenfalls in Ausnahmesituationen möglich. In einer Ausnahmesituation befänden sich die Beschwerdeführer nicht, da es ein rechtsförmiges Verfahren der Vaterschaftsanfechtung gebe. Da nicht sichergestellt sei, dass Väter möglicherweise das Genmaterial anderer Personen verwenden und damit die Anfechtungsfristen unterlaufen, ergebe sich schon grundsätzlich ein Vorrang der Grundrechte des betroffenen Kindes. Stellungnahme des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter Bundesverband e.V. (VAMV) Der VAMV hält die derzeitige Rechtslage für ausreichend und die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Ein Vaterschaftstest, der ohne Zustimmung durchgeführt wurde, stelle einen rechtswidrigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar. Nach der Begründung des BGH gehe es darum, was zur Durchsetzung eines individuellen Rechts zulässig sei. Angesichts des wissenschaftlichen Fortschritts sei es unumgänglich, die Bürger/innen vor dem Eingriff in persönliche Daten zu schützen. Ein Kind habe einen Betrug nicht zu verantworten. Die Hürden der Vaterschaftsanfechtung würden dem Schutz des Kindes dienen und dürften daher nicht abgesenkt werden. Das Kind dürfe in der Abstammungsdiskussion nicht aus dem Blick geraten. Der Vater könne zum Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung einen DNA-Test durchführen lassen. Zudem gebe es die Möglichkeit, im Rahmen einer Anfechtung einen Vaterschaftstest zu erwirken. Es könne ein Auseinanderfallen biologischer und rechtlicher Vaterschaft geben. Vaterschaft sei mehr als eine Sache der Genetik: Ein Mindestmaß an Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen sei Voraussetzung für die Vaterschaft.
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Stellungnahme des Interessenverbands Unterhalt und Familienrecht (ISUV) Nach Auffassung des ISUV habe der BGH in seiner Entscheidung fälschlicherweise eine Vorrangproblematik der Grundrechte der Betroffenen angenommen. Es liege jedoch eine Gleichrangigkeit der Grundrechte und damit eine Grundrechtskollision vor. Diese sei nicht mit einfachen Mitteln des Rechts zu lösen. Vielmehr sei eine Einzelfallabwägung am Prinzip der Verhältnismäßigkeit notwendig, die hier nicht erfolgt sei. Der Konflikt sei nur durch ein Gesetz lösbar und diese Lösung sei im bayerischen Gesetzentwurf zu finden. Der ISUV befürworte daher diesen Gesetzentwurf. Der Eingriff in das Grundrecht des Kindes sei im Hinblick auf das Recht des Mannes auf Kenntnis der Abstammung seines Kindes verhältnismäßig. Stellungnahme des Bundesvorstandes des Väteraufbruch für Kinder e.V. (VafK) Der VafK sieht Schwangerschaft und Geburt als halböffentliche Ereignisse an, wobei Geschlechtsverkehr im Verborgenen stattfinde und deshalb „oft nicht klar“ sei, welcher Verkehr zur Zeugung eines Kindes geführt habe. Daher gäbe es die Konstruktion, dass Vater des Kindes der Mann sei, der mit der Mutter verheiratet ist oder der die Vaterschaft anerkannt hat. Das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden habe dies bisher hingenommen (VafK 2006: 1). Nun, da genetische Tests zur Feststellung der Abstammung preiswert möglich seien, müsse sich die Lage ändern. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei gerechtfertigt, da sich der Vater in einer notwehrähnlichen Lage befinde. Wenn der Vater daran zweifle, „ob die da vor seinen Augen und auf seine Kosten heranwachsenden Kinder überhaupt die eigenen sind“, beschneide dies das Recht des Mannes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (VafK 2006: 4). Darüber hinaus könnten Kinder mit Scheinvätern nicht in gewohnten sozialen Bindungen aufwachsen. Ergebnisse der kriminologischen Forschung würden zeigen, dass Kinder, die nicht bei ihrem leiblichen Vater aufwachsen, ein signifikant höheres Risiko hätten, vom Intimpartner der Mutter getötet zu werden. Der abstammungsdifferenzierende Infantizid sei die auch bei den Primaten und anderen Säugetieren übliche männliche Strategie zur Maximierung des eigenen Reproduktionserfolgs (VafK 2006: 10). Es läge daher im öffentlichen Interesse, die leiblichen Abstammungsverhältnisse zu klären. Da es einen gesellschaftlichen Trend zur Abnahme der Eheschließungen und der Zunahme nicht ehelich geborener Kinder und eine zunehmende gesellschaftliche Toleranz gegenüber kurzfristigen sexuellen Beziehungen gebe, müsse
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es eine zweifelsfreie, unaufhebbare rechtliche Zuordnung des Kindes zum leiblichen Vater geben. Nichtpaternalität könne auch ausländerrechtliche Gründe haben. Auch hier müsste eine Übereinstimmung von biologischer und rechtlicher Vaterschaft herbeigeführt werden. Die Mutter sei zur Mitwirkung an der Aufklärung von Abstammungsbeziehungen verpflichtet, die der rechtliche Vater einfordern können müsse. Zudem sei zukünftig im Rahmen molekularer Medizin zu erwarten, dass zunehmend lange Genomabschnitte analysiert würden und dass in diesem Rahmen auch Vaterschaftsanalysen durchgeführt werden könnten. Die Zustimmungsbedürftigkeit der Mutter zu einem Vaterschaftstest würde für die Mutter das Potenzial enthalten, zwischen mehreren, ihr gleich nahe stehenden Männern den auszuwählen, der ihren Vorstellungen von einer zukünftigen Ausgestaltung der Elternschaft entspräche. Die schüfe Erpressungspotenzial, indem die Mutter die Abgaben einer Sorgeerklärung davon abhängig mache, wie sich der Vater verhalte (VafK 2006: 14). Der leibliche Vater bleibe nach gegenwärtiger Rechtslage vom Umgang ausgeschlossen, wenn ein anderer Mann rechtlicher Vater des Kindes sei. Das Kind habe jedoch ein Recht auf Umgang mit beiden Eltern, dieser dürfe ihm nicht verwehrt werden. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung sei daher allen anderen Grundrechten vorrangig zu behandeln. Die Klärung der Abstammung von Kindern und die anschließende zweifelsfreie rechtliche Zuordnung seien von öffentlichem Interesse. Stellungnahme des Vereins Väter für Kinder (VK) Der VK trennt die Frage der Zulässigkeit eines heimlichen Vaterschaftstests von der Frage der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Klärung der Abstammung. Die Ablehnungsgründe des BGH würden lächerlich und willkürlich erscheinen. Die Tatsache, dass jemand bereit sei, die Kosten und Mühen eines DNA-Tests auf sich zu nehmen, sei als Grund für ein Verfahren ausreichend. Die überragende Bedeutung der genetischen Abstammung und die geringe Intensität des Eingriffs rechtfertigten eine niedrige Anforderungsschwelle. Es bestehe die Möglichkeit, dass die Mutter ihr Recht auf die Ablehnung der Begutachtung missbräuchlich ausübe und einen arglistigen Täuschungsversuch unternehme, deshalb müsse es die Möglichkeit eines rechtsstaatlichen Eingriffs geben. Im Ergebnis würde sich dadurch die Frage heimlicher Vaterschaftstests erledigen.
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