Karl Westhoff Marie-Luise Kluck Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen
Karl Westhoff Marie-Luise Kluck
Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen
5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
123
Prof. Dr. Karl Westhoff Technische Universität Dresden Institut für Psychologie II 01069 Dresden E-Mail:
[email protected]
Prof. Dr. Marie-Luise Kluck Praxis für Gerichtliche Psychologie Dickswall 6, 45468 Mülheim an der Ruhr E-Mail: ml.kluck@ t-online.de
ISBN 978-3-540- 46837-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 1991, 1994, 1998, 2003, 2008 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Svenja Wahl Projektmanagement: Michael Barton Lektorat: Dr. Marion Sonnenmoser, Landau Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin Satz: Typostudio Schaedla, Heidelberg SPIN: 11680703 Gedruckt auf säurefreiem Papier
2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
4.9
Warum und für wen dieses Buch? . . . . . . 1 Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Benutzungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Grundposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Entscheidungsorientiertes psychologischdiagnostisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Auffassung von Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . 10 Ziele entscheidungsorientierten Diagnostizierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Bedingungen für psychologisches Diagnostizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Übergeordnete Kriterien zur Beurteilung psychologischer Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . 13
Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Entscheidung für oder gegen eine Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Notwendige Annahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Anforderungsprofil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Notwendiges Wissen für die diagnostische Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Vorhersage individuellen Verhaltens . . . . . . . 20 Darstellung der Fragestellung im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Auswahl von Variablen . . . . . . . . . . . . . . . 23 Verhaltensgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Umgebungsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Organismusvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kognitive Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Emotionale Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Motivationale Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Soziale Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Drei Klassen von Informationen für die Erklärung und Vorhersage individuellen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Kriterien für die Auswahl von Variablen . . . . 33
5.3 5.4
6 Bearbeit en von Beispielfragestellungen . . . . . . . . . . . . . . 41 6.1 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6.2 Vor Beginn der Untersuchung vorliegende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Anforderungsprofil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Psychologische Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6.4.1 Gliederung der Psychologischen Fragen nach der Verhaltensgleichung . . . . . . . . . . . . . 44 6.4.2 Psychologische Fragen zu motivationalen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6.4.3 Psychologische Fragen zu intellektuellen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 6.4.4 Psychologische Fragen zur emotionalen und körperlichen Belastbarkeit . . . . . . . . . . . . 45 6.4.5 Psychologische Fragen zu sozialen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 6.4.6 Alternative Gliederungen der Psychologischen Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 6.4.7 Entscheidungsorientier te Hypothesenbildung bei gerichtlichen Fragen zur elterlichen Sorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
6.3 6.4
7 7.1 7.2 7.3 7.4
8 8.1 8.2 8.3
5P
sychologische Fragen (= Hypothesen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
5.1 5.2
Funktion Psychologischer Fragen . . . . . . . . . . 36 Erarbeiten Psychologischer Fragen . . . . . . . . 36
Formulieren Psychologischer Fragen . . . . . .37 Anzahl Psychologischer Fragen . . . . . . . . . . . . 38
8.4
Untersuchungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Einordnung des Untersuchungsplans . . . . .54 Grobplanung der Untersuchung. . . . . . . . . . . 54 Feinplanung der Untersuchung . . . . . . . . . . . 55 Verhältnis von Kosten und Nutzen als Kriterium bei der Planung einer psychologischen Untersuchung . . . . . . . . . . . 55
Die Analyse der A-priori-Strategie . . . . . 57 Die Analyse der A-priori-Strategie bei Einzelfallfragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Die qualitative Analyse der A-prioriStrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Optimierung der diagnostischen Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Die quantitative Analyse der A-priori-Strategie bei institutionellen Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
VI
Inhaltsverzeichnis
8.5
Die Analyse der A-priori-Strategie bei eignungsdiagnostischen institutionellen Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
9 Merk
male diagnostischer Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
9.1
Funktionen der Merkmale diagnostischer Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Art des Beobachters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Inhalte der Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Zeitpunkt und Zeitraum der Beobachtung . . 65 Art der Beobachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
9.2 9.3 9.4 9.5
12.3 12.4 12.5 12.6 12.7 12.8 12.9 12.10 12.11 12.12 12.13
10 Standar disierte diagnostische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 10.1 Kriterien für die Wahl standardisierter 10.2 10.3 10.4 10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4
10.5 10.5.1 10.5.2
10.6 10.7
11
11.1 11.2 11.3 11.4
diagnostischer Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Eine Definition von Theorie für psychologisches Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Funktionen von Theorien zu diagnostischen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Objektivität standardisierter Verfahren . . . . 70 Objektivität der Durchführung . . . . . . . . . . . . 70 Maßnahmen zur Erhöhung der Durchführungsobjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Objektivität der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . 71 Objektivität der Interpretation. . . . . . . . . . . . . 73 Reliabilität standardisierter Verfahren . . . . . . 74 Entscheidung für eine Reliabilitätsart . . . . . . 75 Beurteilung der Reliabilität . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Validität standardisierter Verfahren . . . . . . . . 76 Einige Anmerkungen zur Höhe von Validitätskoeffizienten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Teil I des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Standardisierte Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Entscheidungen bei der Auswahl der standardisierten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Auswahl standardisierter Verfahren . . . . . . . . 82 Darstellung der standardisierten Verfahren im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
12 Entscheidungsorientier te Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 12.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 12.2 Ziele verschiedener Gesprächsformen . . . . . 86
Leitfaden für das entscheidungsorientierte Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Funktionen von Leitfäden . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Merkmale von Leitfäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Grobaufbau eines Leitfadens . . . . . . . . . . . . . . 90 Feinaufbau eines Leitfadens . . . . . . . . . . . . . . . 92 Merkmale günstiger Fragen . . . . . . . . . . . . . . . 92 Ungünstige Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Grad der Offenheit einer Frage . . . . . . . . . . . . 95 Grad der Direktheit einer Frage . . . . . . . . . . . . 96 Vorbedingungen für die Durchführung entscheidungsorientierter Gespräche . . . . . 96 Bedingungen für ein erfolgreiches diagnostisches Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
13
Teil II des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Beispielfragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
13.1
Leitfaden zum entscheidungsorientierten Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100 Auswahl der teil- und nichtstandardisierten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .103 Darstellung der teil- und nichtstandardisierten Verfahren im Gutachten . . . . . . . .104
13.2 13.3
14 P
ersonwahrnehmung und diagnostisches Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . 105
14.1
Personwahrnehmung im Alltag und diagnostisches Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106 Bedeutung sozialpsychologischer Forschungen zur Personwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 Individuelle Unterschiede beim diagnostischen Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . .108
14.2
14.3
15 F
ehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
15.1
Zur Darstellung der Fehler und Verzerrungen im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . .110 Fehler und Verzerrungen bei Psychologischen Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . .110 Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Planung diagnostischer Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Darstellung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114
15.2 15.3
15.4
VII
Inhaltsverzeichnis
15.5
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund. . . . . . . . . . . . . . . . .114 15.5.1 Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund, die allgemein zu beobachten sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114 15.5.2 Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund, die durch die Persönlichkeit des Diagnostikers bedingt sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116
16
Möglichkeiten zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung . . . 119
16.1 16.2 16.3 16.4 16.5
Erweiterung des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . .120 Ausgangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .121 Verknüpfen von Aussagen . . . . . . . . . . . . . . .122 Entscheidungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . .122 Beeigenschaften von Menschen? . . . . . . . . .123 16.5.1 Vier Arten der Verhaltensbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123 16.5.2 Merkmale von Persönlichkeitseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123 16.6 Entwickeln dokumentierter Untersuchungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124
17 A
uswerten von Verhaltensbeobachtungen . . . . . . . . . . 125
17.1 17.2 17.3 17.4
Arten von Verhaltensbeobachtungen . . . . .126 Auswerten von Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 Darstellen von Testergebnissen . . . . . . . . . . .128 Entscheidungsorientierte Gespräche: Auswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129 Gesprächsergebnisse: Darstellen . . . . . . . . .130 Die Aussageweise bei der Darstellung von Gesprächsergebnissen . . . . . . . . . . . . . . .131
17.5 17.6
18 Er
19 19.1 19.2 19.3 19.4
gebnisdarstellung zum eignungsdiagnostischen Beispielfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Ziele des Diagnostikers im Befund . . . . . . . .140 Vorgehen des Diagnostikers im Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .140 Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142 Formulierungen im Befund . . . . . . . . . . . . . . .142
20
Befund zum Beispielfall . . . . . . . . . . . . . 145
21
Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
21.1
Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts und der Umgangsregelung im familienrechtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156 Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .160 Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage . . . .199 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199 Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201
21.1.1 21.1.2 21.2 21.2.1 21.2.2 22
22.1 22.2
Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologischdiagnostischen Handelns . . . . . . . . . . . . 227
Annahmen der Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . .228 Überzeugungen als handlungsleitende Kognitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229 22.3 Erwartungen als handlungsleitende Kognitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .230 22.4 Zur Prüfbarkeit der Theorie . . . . . . . . . . . . . . .232 22.5 Erste Ergebnisse von empirischen Prüfungen der Theorie entscheidungsorientierten psychologischdiagnostischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . .232 22.5.1 F amilienrechtliche Begutachtung: Wie sie ist und wie sie sein kann . . . . . . . . . .232 22.5.2 Zur Entwicklung diagnostischer Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233 22.5.3 Entscheidungsorientier te Gesprächsführung in der psychologischen Diagnostik . . . . . . . . . . . . . .234 22.5.4 Ausbildung in psychologischer Begutachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .234 22.5.5 Guidelines for the Assessment Process (GAP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235 22.6 Entscheidungsorientierte Diagnostik – eine nützliche Technologie . . . . . . . . . . . . . . .235 22.6.1 Eine Technologie – eine Notwendigkeit in der psychologischen Diagnostik . . . . . . .235 22.6.2 Nützlichkeit als oberstes Kriterium einer Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235 22.6.3 Optimierung von diagnostischen Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .236
VIII
Inhaltsverzeichnis
23
Hilfen zur Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
23.1 23.2 23.3 23.4 23.5
Gliederung eines Gutachtens . . . . . . . . . . . . .240 Transparenz des Gutachtens . . . . . . . . . . . . .241 Formulierung des Gutachtens . . . . . . . . . . . .241 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .242 Formulierung Psychologischer Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .242 21.6 Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .243 23.7 Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Ergebnisteil des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .243 23.8 Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nicht-standardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 23.9 Befund eines Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . .245 23.10 Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .247
24.14 Checkliste Feinplanung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253
24.15 Checkliste Kosten und Nutzen jeder Informationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .254
24.16 Checkliste Beurteilung eines Beobachters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .254
24.17 Checkliste Inhalte von Beobachtungen . . .254 24.18 Checkliste Merkmale wissenschaftlicher Verhaltensbeobachtungen . . . . . . . . . . . . . . .254
24.19 Checkliste Kriterien zur Wahl standardisierter Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . .254
24.20 Checkliste Durchführungsobjektivität psychologisch-diagnostischer Verfahren . .254
24.21 Checkliste Kriterien für die Auswertung psychologisch-diagnostischer Verfahren . .255
24.22 Checkliste Bedingungen für
24.23 24.24
24
Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten . . . . . . . . . . 249
24.1 24.2 24.3 24.4
Checkliste Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . .251 Checkliste Anforderungsprofil . . . . . . . . . . . .251 Checkliste Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251 Checkliste Auswahl von Variablengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251 Checkliste Auswahl von Umgebungsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251 Checkliste Auswahl von Organismusvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 Checkliste Auswahl von kognitiven Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 Checkliste Auswahl von emotionalen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 Checkliste Auswahl von motivationalen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 Checkliste Auswahl von sozialen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 Checkliste Kriterien zur Auswahl von Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 Checkliste Formulierung Psychologischer Fragen (= Hypothesen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253 Checkliste Auswahl von Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253
24.5 24.6 24.7 24.8 24.9 24.10 24.11 24.12 24.13
24.25 24.26 24.27 24.28 24.29
24.30 24.31 24.32
24.33
24.34 24.35 24.36 24.37
möglichst objektive Interpretation standardisierter psychologischdiagnostischer Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . .255 Checkliste Reliabilität standardisierter psychologisch-diagnostischer Verfahren . .255 Checkliste Validität standardisierter psychologisch-diagnostischer Verfahren . .255 Checkliste Planung eines entscheidungsorientierten Gesprächs (EOG). . . . . . . . . . . . .256 Checkliste Grobaufbau eines Leitfadens . .256 Checkliste Feinaufbau eines Leitfadens . . .256 Checkliste Formulierung günstiger Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .256 Checkliste Suggestivfragen. . . . . . . . . . . . . . .257 Checkliste Voraussetzungen für entscheidungsorientierte Gespräche . . . . .257 Checkliste Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten . . . . . . .257 Checkliste Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .258 Checkliste Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nicht-standardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .258 Checkliste Befund eines Gutachtens . . . . . .259 Checkliste Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten. . . . . . . . . . . . . . . . .259 Checkliste Formulierungen im Befund . . . .259 Checkliste Gliederung eines Gutachtens . .260
Inhaltsverzeichnis
25
Checklisten für die Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
25.1 25.2 25.3 25.4 25.5 25.6
Gliederung eines Gutachtens . . . . . . . . . . . . .262 Transparenz des Gutachtens . . . . . . . . . . . . .262 Formulierung des Gutachtens . . . . . . . . . . . .262 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .262 Formulierung Psychologischer Fragen . . . .262 Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .262 25.7 Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Ergebnisteil des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .263 25.8 Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nichtstandardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens . . . . . . . . . . . . . .263 25.9 Befund eines Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . .263 25.10 Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .263
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
IX
1
Warum und für wen dieses Buch? 1.1 Ziele
– 2
1.2 Überblick 1.3 Benutzungshin
– 2 weise
– 4
1
2
Kapitel 1 · Warum und für wen dieses Buch?
1.1
Ziele
Menschen stehen häufig in ihr em Leben vor einer wichtigen En tscheidung, die f ür sie s chwierig ist, da mi t allen sic h b ietenden Al ternativen s chwerwiegende Folgen verbunden sind. In solchen Fällen kann man psychologische Auskünfte als En tscheidungshilfe einholen. Richter, Ärzte, Lehrer, Eltern oder P aare t un dies und er warten A ussagen, die ihre En tscheidung erleic htern. Die a usführlichste Auskunft ist ein psy chologisches Gutachten. Leser müssen da bei o hne H ilfestellung en tscheiden, ob ein psy chologisches G utachten das leist et, was es leisten k önnte. F ür N ichtpsychologen, wie a uch für die meist en P sychologen, ist dies ein s chwieriges U nterfangen. I n dies em B uch w ollen wir Merkmale gu ter psy chologischer G utachten b eschreiben. Jeder kann nach der B eschäftigung mit unseren V orschlägen b egründet en tscheiden, w o ihm das psychologische Gutachten hilft, und wo es mehr leisten könnte. Häufig f ragen sic h die L eser psy chologischer Gutachten: W as m uss da rin st ehen? W as da rf nicht da rin st ehen? W ie ka nn ic h erk ennen, ob das G utachten fac hgerecht er stellt wur de? Dies e und weitere Fragen, die Nichtpsychologen an psychologische Gutachten haben, werden wir b eantworten. Für P sychologen, die ein G utachten er stellen sollen, st ellen sic h zunäc hst die g leichen F ragen wie für die Leser des Gutachtens. Zusätzlich haben sie jedoch noch weitere Fragen: Wie übertrage ich die F ragestellung des A uftraggebers in »P sychologische F ragen«? Wie p lane ic h eine psy chologische U ntersuchung? W elche I nformationsquellen kann ic h b erücksichtigen? Welche M erkmale v on Tests, Fragebogen, Zeugnissen, Akten, Gesprächen und V erhaltensbeobachtungen m uss ic h wie b erücksichtigen? W ie ka nn ic h ein psy chologisches Gutachten planen und v orbereiten? Auf was m uss ich bei der Durchführung meiner Untersuchungen achten? Welche Fehlerquellen gibt es? W ie wirken sie sic h a uf die B egutachtung a us? W ie ka nn ic h Fehler vermeiden? Wie stelle ich die Informationen angemessen und verständlich dar? Wie kombiniere ich Informationen zu brauchbaren und nützlichen Aussagen? Wie formuliere ich Vorschläge zum weiteren V orgehen? W ie g estalte ic h ein G utachten
sprachlich richtig? Wie weiß ich, ob ic h alles N otwendige bedacht und getan habe? Dies ist n ur eine k leine A uswahl v on F ragen und damit auch Entscheidungen, vor die sich Psychologen g estellt s ehen, w enn sie ein G utachten erstellen wollen. Dazu wollen wir ihnen in dies em Buch Hilfestellungen geben. 1.2
Überblick
Nach dieser Einleitung stellen wir un sere Grundposition da r, erlä utern u . a., was wir un ter en tscheidungsorientiertem psychologisch-diagnostischem Handeln verstehen, und stellen übergeordnete K riterien zur B eurteilung psy chologischer Gutachten vor. Die Fragestellung des Auftraggebers bestimmt, was wir als P sychologen untersuchen. Hier stellen wir z. B. dar, wie wir uns für oder gegen eine Fragestellung entscheiden, welche notwendigen Annahmen wir mac hen, w elche B edeutung W issen und Anforderungsprofile haben. Welche der Variablen, die individuelles menschliches Verhalten bestimmen, können bei der Beantwortung einer F ragestellung helf en? W ie f inden wir solche Variablen und wie entscheiden wir, welche davon im weiteren Verlauf der psychologischen Begutachtung zu b eachten sind? H ierzu w erden wir ein einfaches, aber wirkungsvolles Suchverfahren vorstellen. Nach der Auswahl von Variablen stellen wir im Gutachten dar, welche davon und warum wir diese in Form v on Psychologischen F ragen b erücksichtigen. Warum sp rechen wir v on P sychologischen Fragen statt von Hypothesen? Wie formulieren wir diese P sychologischen F ragen? W ie viele P sychologische Fragen stellen wir zur S trukturierung der gesamten psychologischen Untersuchung? Das b is hierhin era rbeitete W issen v erdeutlichen wir a n dr ei B eispielfragestellungen a us v erschiedenen diagnostischen Arbeitsfeldern: 1. Eign ungsdiagnostik, 2. Sachverständigengutachten f ür das F amiliengericht zu F ragen des S orge- und U mgangsrechts, 3. psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage.
1.2 · Überblick
Der Untersuchungsplan s agt uns nicht nur in der Untersuchung, was wir als näc hstes t un w ollen, sondern erlä utert a uch im G utachten den L esern unser Vorgehen. D abei sind K osten und N utzen, die mit einem diagnostischen Vorgehen verbunden sind, immer ein grundlegendes Kriterium dafür, ob eine Informationsquelle benutzt wird oder nicht. Eine A -priori-Strategie ist die diagnostis che Vorgehensweise, die bis zu dem Zeitpunkt, an dem der G utachtenauftrag a n den Diagnostik er v ergeben wur de, zur B eantwortung der F ragestellung verwendet worden war. Die Anal yse der A -prioriStrategie ka nn n ützliche I nformationen zur o ptimierten Bearbeitung der Fragestellung erbringen. Um sic h leic hter üb er den W ert v on I nformationsquellen klar werden zu können, kann man sie anhand der v on un s v orgeschlagenen M erkmale charakterisieren. Zugleich sind diese Merkmale eine Hilfe bei der Planung der diagnostischen Arbeit. Tests und F ragebögen sind die »k lassischen« Werkzeuge, die als st andardisierte V erfahren b ei der B egutachtung b enutzt w erden k önnen. W ir werden uns mit ihren zentralen Merkmalen Objektivität, Reliabilität und Validität b eschäftigen, und zwar n ur im H inblick a uf ihr e B edeutung f ür die psychologische U ntersuchung, die wir zu p lanen haben. Die b ereits ein geführte er ste B eispielfragestellung gr eifen wir n un wieder a uf und st ellen den er sten Teil des U ntersuchungsplans zu dies er Beispielfragestellung da r. D abei st ellen wir f est, dass die meist en F ragen, wie s ehr hä ufig, nic ht von st andardisierten psy chologischen V erfahren beantwortet werden, sondern von den t eilstandardisierten Verfahren, vor allem den diagnostis chen Gesprächen. Wir b eschäftigen un s da nn mi t den G rundzügen der en tscheidungsorientierten G esprächsführung und st ellen dabei nicht nur dar, wie ma n psychologische Gespräche planen und v orbereiten kann, sondern auch, was man bei ihrer Durchführung berücksichtigen sollte, wenn man zu brauchbaren G esprächsergebnissen k ommen will . D er Plan f ür ein G espräch wir d im L eitfaden zus ammengefasst; dieser ist das entscheidende Hilfsmittel für das Gespräch. Danach stellen wir einen L eitfaden für die eignungsdiagnostische B eispielfragestellung v or und
3
1
verdeutlichen da ran die wic htigen M erkmale v on Leitfäden für psychologische Gespräche. Das diagnostis che U rteil hä ngt u . a. v on der Wahrnehmung des Untersuchten durch den Untersucher ab. Hier stellen sich die Fragen: Wie weit ist Personenbeurteilung ler nbar? W elche B edeutung haben Unterschiede zwischen Untersuchern? In der P sychologie sind eine F ülle v on U rteilsfehlern und U rteilstendenzen b ekannt. W ir beschreiben dies e k urz und g eben a n, w o sie b ei einer psy chologischen Untersuchung wirk en. Wir werden jedoch nicht nur aufweisen, welche Urteilsfehler und Urteilstendenzen wichtig sind, sondern auch p raktisch b ewährte Vorschläge zur V ermeidung v on U rteilsfehlern und V erminderung v on Urteilstendenzen machen. Liegen die Ergebnisse aus Tests, Fragebögen, Gesprächen sowie Verhaltensbeobachtungen oder sonstigen Unterlagen vor, so muss entschieden werden, was da von zur B eantwortung der psy chologischen Fragen und damit der Fragestellung des Gutachtens dient. Wir s chlagen K riterien zur A uswertung v on Gesprächen und Verhaltensbeobachtungen vor und gehen a uch a uf die psy chometrische Einzelfalla uswertung von Tests und Fragebögen ein. Im Befund eines Gutachtens werden alle Ergebnisse zus ammengetragen, die zu vor nac h Verfahren g etrennt aufgeführt wurden, um die ein gangs formulierten Psychologischen Fragen und zugleich die v om A uftraggeber üb ernommene F ragestellung zu b eantworten. W ir st ellen dazu die Z iele des Diagnostikers dar, die er im B efund erreichen will, erlä utern ein p raktikables Vorgehen zur B efunderstellung und g ehen auf Formulierungen im Befund ein. Bei vielen F ragestellungen f ür psy chologische Gutachten wün scht der A uftraggeber a usdrücklich Vorschläge bzw. Empfehlungen zum w eiteren Vorgehen, daher b eschreiben wir , wie wir s olche entscheidungsorientiert formulieren. Damit kommen wir zum letzten Teil eines psychologischen Gutachtens, dem Anha ng, der a ußer dem L iteraturverzeichnis i .d.R. no ch eine Reihe weiterer An gaben enthält, die nic ht zum dir ekten Verständnis erforderlich sind, wohl aber die Nachprüfbarkeit eines Gutachtens gewährleisten. Kollegen, S tudierende, An wälte und Ric hter haben immer wieder angeregt, zusammenhängend
4
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Kapitel 1 · Warum und für wen dieses Buch?
dargestellte Gutachten in ein eigenes Kapitel aufzunehmen. Diesem Wunsch kommen wir hier nac h. Dabei zeigt das er ste Gutachten in Kapitel 21, dass die en tscheidungsorientierte Diagnostik a uch a uf die Diagnostik von Beziehungen nutzbringend angewendet werden kann, denn es geht um »psychologische B egutachtung zu F ragen des S orgerechts und der U mgangsregelung im fa milienrechtlichen Verfahren«. Im zweiten Gutachten von Kapitel 21 geht es um die »psy chologische B egutachtung der Glaubhaftigkeit einer Z eugenaussage«. Dabei handelt es sich, wie der Titel schon sagt, weder um die Begutachtung einer Person wie in dem eignungsdiagnostischen Gutachten noch um die Begutachtung einer B eziehung zwis chen P ersonen wie in dem familienrechtlichen G utachten, s ondern hier liegt der S chwerpunkt a uf der En tstehungsgeschichte einer A ussage und den A ussagemerkmalen, die zur Beurteilung der Gla ubhaftigkeit einer Aussage geeignet sind. In K apitel 22 st ellen wir die G rundzüge einer Theorie en tscheidungsorientierten psy chologischdiagnostischen H andelns da r. D ort b eschreiben wir zunächst die notwendigen Annahmen und g ehen danach auf die Bedeutung von Überzeugungen und Erwartungen als ha ndlungsleitende Kognitionen bei der Planung psychologisch-diagnostischen Handelns ein. A bschließend zeig en wir a uf, wie sich un sere Theo rie em pirisch p rüfen lässt. D anach b erichten wir er ste p ublizierte Er gebnisse von empirischen Prüfungen der Theo rie entscheidungsorientierten psy chologisch-diagnostischen Handelns. A bschließend zeig en wir a uf, dass die entscheidungsorientierte Diagnostik eine nützliche Technologie für die all tägliche psychologische Diagnostik in allen An wendungsfeldern der P sychologie darstellt. Mit K apitel 23 »H ilfen zur B eurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde« werden Nichtpsychologen in die L age versetzt, ein G utachten auf Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit zu beurteilen. Damit Fachfremde die Darstellungsweise in einem Gutachten beurteilen können, beschreiben wir systematisch alle a n der D arstellung eines G utachtens zu b eurteilenden Aspekte. Für Psychologen sind damit die a uf die en tsprechenden Kapitel verteilten Ausführungen zur Darstellung von Informationen im Gutachten zusammengefasst.
Das v orletzte K apitel en thält Chec klisten f ür Psychologen zur Er stellung en tscheidungsorientierter Gutachten. Auf vielfachen Wunsch von Nichtpsychologen, die viel mi t psy chologischen G utachten a rbeiten, stellen wir im letzten Kapitel Checklisten zur Beurteilung psychologischer Gutachten zur Verfügung. Mit deren Hilfe können auch Fachfremde zentrale Darstellungsmerkmale eines Gutachtens prüfen. Gutachten, die nac h un seren V orschlägen er stellt sind , en tsprechen den »Ric htlinien f ür die Erstellung psy chologischer G utachten« der F öderation Deutscher Psychologenvereinigungen (1994) sowie den durch eine Task Force der European Association o f Psychological A ssessment (EAPA) er arbeiteten »Guidelines for the Assessment Process« (Fernandez-Ballesteros et al. 2001), die in deutscher Sprache als »Ric htlinien f ür den diagnostis chen Prozess« erschienen sind (Westhoff et al. 2003). 1.3
Benutzungshinweise
Mit Hilfe dieses Buches kann man Qualitätsmerkmale eines psychologischen Gutachtens feststellen. Nichtpsychologen k önnen die V erständlichkeit und N achvollziehbarkeit eines psy chologischen Gutachtens b eurteilen und dazu die Erk lärungen in K apitel 23 s owie die dazu g ehörenden Chec klisten in Kapitel 25 benutzen. Psychologen können mit Hilfe des B uches darüber hinaus auch theoretische, met hodische und inhal tliche A spekte v on psychologischen G utachten b eurteilen, was F achfremden i .d.R. nic ht syst ematisch und umfass end möglich ist. Bei P sychologen, die ein G utachten er stellen wollen, s etzen wir das V ordiplomwissen und eine Grundausbildung in psychologisch-diagnostischen Methoden voraus. Wir geben gezielte Literaturhinweise und belegen nicht jede Aussage mit möglichst vielen Literaturangaben, da dies er fahrungsgemäß das Verständnis nic ht v ertieft, s ondern den L eser eher entmutigt. Zu B eginn jeden U nterkapitels nennen wir stichwortartig in Übersichten und Definitionen die zu b ehandelnden Punk te. I m nac hfolgenden Text gehen wir dann auf jedes Stichwort näher ein. Auf diese Weise ha ben S ie zu B eginn eine Üb ersicht
1.3 · Benutzungshinweise
über das, was b ehandelt wir d, und zug leich eine Zusammenfassung der w esentlichen Punkte in einer übersichtlichen Form. Wenn wir im W eiteren v on V erhalten sp rechen, s o meinen wir da mit immer V erhalten und Erleben. Mit Verhalten meinen wir also neben den von a ußen b eobachtbaren Verhaltensweisen a uch diejenigen, die n ur der ha ndelnde M ensch s elbst beschreiben kann. Um den T ext mög lichst einfac h zu g estalten, verwenden wir Begriffe wie »der Psychologe«, »der Gutachter« o der »der P roband« als Ga ttungsbegriffe.
5
1
2
Grundposition 2.1
Entscheidungsorientiertes psychologisch-diagnostisches Handeln
– 8
2.2
Auffassung von Psychologie
2.3
Ziele entscheidungsorientierten Diagnostizierens – 11
2.4
Bedingungen für psychologisches Diagnostizieren
2.5
Übergeordnete Kriterien zur Beurteilung psychologischer Gutachten
– 10
– 11 – 13
2
8
Kapitel 2 · Grundposition
2.1
Entscheidungsorientiertes psychologisch-diagnostisches Handeln Diagnostischer Entscheidungsprozess 1. F ragestellung, 2. Annahmen, 3. Anf orderungsprofil, 4. Psychologische Fragen (= Hypothesen), 5. Unt ersuchungsplan, 6. Durchführen der diagnostischen Untersuchung, 7. Darstellen der Ergebnisse, 8. Befund: Beantworten der Psychologischen Fragen und damit der Fragestellung, 9. Vorschläge bzw. Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.
Wir richten uns beim Diagnostizieren an der F ragestellung des A uftraggebers a us, dem wir H ilfestellungen bei einer f ür ihn s chwierigen Entscheidung geben sollen. Ein psychologisches Gutachten dient also immer der Vorbereitung und Unterstützung v on wic htigen En tscheidungen, s o z. B., ob jemand eine Arb eitsunfähigkeitsrente b ekommt, wie jemand therapiert wird, welche Schulform die passendste ist oder welche Sorgerechtsregelung für ein Kind die am wenigsten schädliche ist. Insofern ist un ser diagnostis ches H andeln en tscheidungsorientiert. Die Er stellung eines psy chologischen G utachtens b esteht a us einer S erie v on En tscheidungen, die der P sychologe zu tr effen hat. Jede Etappe auf dem Weg zum Gutachten verlangt vom Diagnostiker wieder eine Reihe v on Entscheidungen. Sehen wir uns die ob en zusammengestellten Schritte erst einmal im Üb erblick a n. Weiter un ten g ehen wir dann auf jede Phase des Prozesses detailliert ein. Fragestellung. Am B eginn einer mög lichen B egutachtung wendet sich jemand an den P sychologen und äußert eine Fragestellung, z. B. ob er o der sie mit Aussicht auf Erfolg eine b estimmte Ausbildung beginnen kann. Schon wenn der P sychologe mit einer s olchen Fragestellung konfrontiert wird, muss er eine Reihe v on En tscheidungen tr effen,
z. B. ob hier üb erhaupt Psychologen die zust ändigen F achleute sind o der vielleic ht eher V ertreter anderer Wissenschaften o der ob die F ragestellung grundsätzlich beantwortbar ist. Weiter unten werden wir un s mit diesen einzelnen En tscheidungen genauer b eschäftigen. Die F ragestellung ist a uf jeden Fall immer im G utachten in der F orm darzustellen, die der A uftraggeber v orgegeben ha t b zw. auf die der G utachter sic h mi t dem A uftraggeber geeinigt hat. Annahmen. Bevor der Psychologe anfangen kann, diagnostisch zu a rbeiten, m uss er einig e gr undlegende Annahmen üb er men schliches Verhalten machen. G rundlegend f ür jedes all tägliche H andeln und das psy chologisch-wissenschaftliche Arbeiten ist die Annahme, dass menschliches Verhalten überhaupt in »irgendeiner« Weise regelhaft ist. Eine Erklärung und damit Vorhersage oder Beeinflussung des Verhaltens wäre sonst nicht möglich. Einige solcher Grundannahmen müssen beim psychologischen Diagnostizieren immer gemacht werden; daher werden wir uns mit diesen weiter unten genauer beschäftigen. Diese Annahmen werden in einem G utachten nic ht a usdrücklich a ufgeführt, doch ist es wic htig, dass ma n sie nennen, erk lären und begründen kann. Anforderungsprofil. Wenn En tscheidungen zu treffen sind , s o b raucht ma n K riterien, mi t der en Hilfe ma n die sic h b ietenden Al ternativen v ergleichen kann. Dies gil t z. B. in g leicher Weise für die F rage, ob sic h jema nd f ür einen b estimmten Beruf eignet, wie a uch für die F rage, welche Form der psy chologischen Thera pie die er folgversprechendste b ei um schriebenen Verhaltensstörungen ist. M an m uss als o etwas üb er die »Anf orderungen« wissen, die unter den verschiedenen, sich bietenden Möglichkeiten an den M enschen gerichtet werden. Die S umme dies er Anforderungen nennt man b ei a rbeitspsychologischen F ragestellungen »Anforderungsprofil«. D a En tscheidungskriterien aber a uch b ei allen a nderen psy chologisch-diagnostischen Fragestellungen erforderlich sind, übernehmen wir dies en B egriff auch f ür pädagogischpsychologische, k linische o der f orensische F ragestellungen. Bei der klinischen Fragestellung, ob ein Proband Störungen (Symptome) eines bestimmten
2.1 · Entscheidungsorientiertes psychologisch-diagnostisches Handeln
9
2
Syndroms ha t, en tspricht dies es S yndrom dem Anforderungsprofil. D as Anf orderungsprofil wir d nicht als eig ener T eil im G utachten a ufgeführt, doch b raucht ma n es, um üb erhaupt b egründet arbeiten zu können.
quellen g eordnet. H ier er scheinen als o in allg emeinverständlicher Form die Ergebnisse aus Tests, Fragebogen, G esprächen, V erhaltensbeobachtungen oder sonstigen Informationsquellen wie Zeugnissen, Akten oder vorgelegten Arztberichten.
Psychologische F ragen. Die F ragestellung wir d vom Auftraggeber meist in einer so globalen Form geäußert, dass sie in mehrere »Psychologische Fragen« übersetzt und aufgefächert werden muss. Mit Hilfe dieser Psychologischen Fragen strukturieren wir unsere diagnostische Arbeit und geben zugleich dem Leser des Gutachtens eine überschaubare und verständliche G rundstruktur der zu v erarbeitenden Informationen, die er auch gut behalten kann. Diese P sychologischen F ragen er scheinen daher nach der F ragestellung als näc hster Teil in einem psychologischen Gutachten.
Befund. Im »B efund« k ombiniert der G utachter alle Informationen zur B eantwortung der P sychologischen Fragen und da mit der F ragestellung des Auftraggebers. W ir w erden w eiter un ten zeig en, dass es hier f ür eine mög lichst w eitgehende Vermeidung von Urteilsfehlern nützlich ist, w enn der Gutachter sic h b ewusst ist, nac h w elchen Reg eln er die era rbeiteten Informationen kombiniert und seine Entscheidungen für die Antwort auf die diagnostische Fragestellung trifft.
Untersuchungsplan. Das Erstellen eines G utachtens v erlangt wie jeder k omplexe V organg einen sorgfältig a usgearbeiteten Pla n, a n den ma n sic h während des ga nzen V organgs hal ten ka nn. F ür die L eser eines G utachtens st ellen wir un ter dem Punkt »Untersuchungsplan« in verständlicher und für die U ntersuchten in wieder erkennbarer F orm die v erwendeten V erfahren und s onstigen I nformationsquellen da r. Alle w eiteren Pla nungsarbeiten auch noch im s chriftlichen Gutachten für den Auftraggeber darzustellen, würde den R ahmen eines G utachtens üb ersteigen. W ir w erden jedo ch zeigen, wie ma n mit dies en Teilen eines U ntersuchungsplans effizient arbeitet. Durchführen der diagnostischen Unt ersuchung. Die diagnostis che Untersuchungssituation verlangt von dem Diagnostiker viele Entscheidungen aus dem A ugenblick heraus. Es ist daher hilfreich, w enn ma n gu t v orbereitet in U ntersuchungen hineingeht. Wir werden zeigen, wie man durch gründliche Pla nung und s orgfältige Vorbereitung wirkungsvoll und f ür alle B eteiligten en tspannt miteinander arbeiten kann. Darstellen der Ergebnisse. Alle für die Beantwortung der F ragestellung wic htigen I nformationen werden im G utachten un ter dem Punk t »Er gebnisse« da rgestellt, und zwa r nac h I nformations-
Vorschläge und Empf ehlungen. Bei vielen F ragestellungen wir d a usdrücklich nac h Vorschlägen zum weiteren Vorgehen gefragt. Auch dafür ist es wieder s ehr hilf reich, w enn ma n en tscheidungsorientiert a rbeitet. Es gil t hier, die sic h b ietenden Möglichkeiten a ufzuzeigen und ihr e mög lichen Folgen zu b eschreiben. Wieder helfen wir s o dem Auftraggeber und sonstigen Betroffenen, sich möglichst zufriedenstellend zu entscheiden. Dieser b is hierher da rgestellte diagnostis che Entscheidungsprozess läuft häufig linear ab, so wie er hier da rgestellt ist. Es ka nn jedo ch no twendig sein, ir gendwann im L aufe der B egutachtung mi t dem Auftraggeber eine geänderte Fragestellung zu vereinbaren oder weitere Psychologische Fragen zu formulieren, die b ei der er sten Planung vergessen wurden oder sich erst später als notwendig herausgestellt haben. Entsprechend den neuen P sychologischen F ragen ist da nn a uch der w eitere A blauf neu zu p lanen und in der Pla nung en tsprechend weiter zu v erfahren. Der diagnostische Prozess ist also prinzipiell rekursiv, wie dies K aminski (1970) beschrieben hat. Gliederung des Psychologischen Gutachtens Titelseite Inhaltsverzeichnis Angaben zu den beteiligten Personen 1. Fragestellung(en) des Auftraggebers 2. Evtl. hier: Aktenanalyse unter psychologischen Gesichtspunkten
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Kapitel 2 · Grundposition
3. Psychologische Fragen (Hypothesen) 4. Untersuchungsmethoden: B eschreibung der Verfahren und B egründung f ür ihr e An wendung im vorliegenden Einzelfall 5. Er gebnisse (Darstellung, evtl. erst hier: Aktenanalyse unter psychologischen Gesichtspunkten 6. P sychologischer Befund: Kombination und Gewichtung der Einzelergebnisse. Beantworten der Psychologischen Fragen und damit der Fragestellung des Auftraggebers (Diagnostische Urteilsbildung) 7. Wenn gefordert: Problemlösungsvorschläge bzw. Empfehlungen f ür das w eitere Vorgehen; e vtl. Ergebnisse v on (a nsatzweisen) Versuchen der Problemlösung (Intervention) 8. D atum, Unterschrift(en) 9. Anha ng: Literaturverzeichnis evtl.: Tabellen mit zusammengefassten Testergebnissen; evtl.: Zusatzgutachten, evtl.: andere Dokumente Eidesstattliche V ersicherung (n ur, falls gefordert) 2.2
Auffassung von Psychologie Definition
I
I
Psychologie ist eine theoriegeleitete, empirische Wissenschaft. Ihre Ziele sind: 1. Beschr eibung, 2. Erk lärung, 3. V orhersage, 4. Beeinflussung individuellen Verhaltens (Intervention).
Unter P sychologen b esteht w eltweit w eitgehend Einigkeit darüber, dass Psychologie eine theoriegeleitete, empirische Wissenschaft ist. Für viele Bereiche individuellen menschlichen Verhaltens gibt es mittlerweile f ür praktische Zwecke s ehr hilf reiche Theorien, die er folgreich em pirisch g eprüft wur den. Wir werden uns im Folgenden ausschließlich auf solche Ansätze beziehen. Rein sp ekulative und empirisch nic ht b elegte o der nic ht b elegbare An-
sichten üb er men schliches Verhalten w erden hier nicht diskutiert. Die Z iele der P sychologie sind (1) die B eschreibung, (2) die Erkl ärung, (3) die Vorhersage und (4) die B eeinflussung in dividuellen V erhaltens. Die er sten drei Ziele werden auch bei einer psychologischen Begutachtung verfolgt. Sie dient indirekt da rüber hina us der B eeinflussung individuellen men schlichen V erhaltens. Dir ekten Einfluss nehmen P sychologen dann auf das Verhalten a nderer, w enn sie z. B. un terrichten o der therapieren. Beschreibung. Voraussetzung da für, dass dies e Ziele erreicht werden können, ist eine mög lichst objektive, zuverlässige und zutreffende Beobachtung konkreter Verhaltensweisen. Werden solche Beobachtungen durch nicht eindeutige Äußerungen üb er den P robanden er setzt, s o sind unbrauchbare G utachten die F olge. W ir w erden weiter unten Bedingungen darstellen, die brauchbare Beobachtungen ermöglichen. Ferner werden wir zeig en, wie ma n das B eobachtete mög lichst verzerrungsarm und o hne F ehler b eschreiben kann. Erklärung. Bei der wiss enschaftlichen Erk lärung individuellen Verhaltens sind die B edingungen zu beschreiben, un ter denen es a uftritt. Es g eht als o nicht darum, irgendeine plausible »Erk lärung« zu geben, s ondern eine nac hprüfbare, die a uch kr itischen Einwänden standhält. Vorhersage. Die P sychologie als t heoriegeleitete, empirische W issenschaft zeic hnet sic h dad urch aus, dass sie indi viduelles V erhalten er folgreich vorhersagen kann. Allerdings muss man dazu i.d.R. das empirisch gesicherte Wissen mehrerer theoretischer Ansätze miteinander kombinieren. Beeinflussung. Zur B eeinflussung men schlichen Verhaltens (I ntervention) b ietet die P sychologie eine F ülle p raktikabler und n ützlicher An sätze. Neue Verhaltensweisen zu ler nen o der g ewohnte zu ändern, dazu helf en beispielsweise die pädag ogische oder die klinische Psychologie. Mit Hilfe der Arbeitspsychologie können z. B. die B edingungen, unter denen Menschen arbeiten, menschengerech-
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2.4 · Bedingungen für psychologisches Diagnostizieren
ter g estaltet w erden, s odass die Arb eit nic ht n ur sicherer und ef fizienter wir d, s ondern a uch mehr Freude machen kann. 2.3
Ziele entscheidungsorientierten Diagnostizierens Merke
I
I
Ziele entscheidungsorientierten Diagnostizierens sind die Beschreibung, Erklärung und Vorhersage individuellen Verhaltens in einem definierten Verhaltensbereich (kein Persönlichkeitsbild). Das heißt, es werden die entscheidenden Bedingungen für vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Verhalten in einem bestimmten Verhaltensbereich eines Individuums aufgezeigt.
Wie wir b ereits g esehen ha ben, g eht es in der P sychologie u. a. darum, individuelles Verhalten zu b eschreiben, zu erk lären und v orherzusagen. F ür die psychologische B egutachtung w ollen wir dies no ch enger verstanden wissen: Es g eht immer nur um einen Ausschnitt aus dem Verhalten eines M enschen. Wir wollen also nie beschreiben, »was für ein Mensch jemand ist«, s ondern die B edingungen beschreiben, die erlauben, das in der Fragestellung angesprochene Verhalten zu erklären oder vorherzusagen. In manchen Fragestellungen geht es nic ht primär um eine einzelne P erson, s ondern um die Beziehung zwis chen P ersonen, z. B. in der P artnerschaftsberatung o der b ei fa milienrechtlichen Fragestellungen. Da wir von einer Beziehung dann sprechen, w enn ein I ndividuum sic h in s einem Verhalten in mehreren Klassen von Situationen an einem a nderen I ndividuum a usrichtet, g elten die oben gemachten Aussagen auch für die Diagnostik von Beziehungen zwischen Personen. Sehr häufig werden an Psychologen Fragestellungen g erichtet, die sic h a uf das V erhalten v erschiedener Personen in der selben Situation beziehen. Es g eht dann darum, herauszufinden, welche Bedingungen zu einem bestimmten Verhalten führen, z. B. zu einer F alschfahrt a uf der A utobahn. Zunächst wir d hier o ft v ermutet, dass es a n den Personen und ihr en M erkmalen lieg en m üsse. I n unserer B eispielsituation sp richt ma n deshalb b e-
2
zeichnenderweise von Geisterfahrern. Es kann sich aber bei einer Untersuchung der S ituation herausstellen, dass si tuative B edingungen allein o der in Kombination mi t b estimmten M erkmalen einer Person zu einem b estimmten V erhalten f ühren. Zum B eispiel sind die A utobahnauffahrten nac h entsprechenden Untersuchungsergebnissen s o g eändert w orden, dass die zu vor g egebenen sp ezifischen B edingungen, die zu einer F alschfahrt führen konnten, nicht mehr vorhanden waren. »Wie k ommt es zu a usländerfeindlichem Verhalten? W ie k ommt es zu s og. Dis co-Unfällen? « sind andere Beispiele von möglichen Fragestellungen, in denen es um die Diagnostik von Situationen geht. Dabei sind neb en situativen Bedingungen in aller Regel auch Merkmale von Personen von B edeutung. »W ie k ommt es, dass un ser 5-jähr iger Hans wieder einnässt? « A uch hierb ei ha ndelt es sich zunächst um eine situationsdiagnostische Fragestellung, bei deren Untersuchung aber nicht nur situative B edingungen eine Ro lle spielen, sondern auch Merkmale der Person oder der Beziehung das Verhalten mit erklären können. Wir v ersuchen nie , das k omplexe V erhalten eines Menschen möglichst vollständig zu beschreiben; wir er stellen als o k ein »P ersönlichkeitsbild«. Die da mit v erbundenen Anf orderungen wä ren ohnehin uner füllbar. W ir b eschränken un s vielmehr von Anfang an auf die B edingungen, die es gestatten, das in der F ragestellung a ngesprochene Verhalten zu erk lären o der v orherzusagen. D amit vertreten wir die An sicht, dass es V erhaltensausschnitte gibt, die für die Erklärung und Vorhersage anderer Verhaltensausschnitte unwichtig sind. 2.4
Bedingungen für psychologisches Diagnostizieren Bedingungen für psychologisches Diagnostizieren 1. Verhaltensorientiertes Vorgehen bei der – Planung der notwendigen Untersuchungen, – Erhebung der erforderlichen Informationen, ▼
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Kapitel 2 · Grundposition
– Auswertung von Informationsangeboten, – Kombination von Informationen zur Beantwortung der Psychologischen Fragen und damit der Fragestellung. 2. Vermeiden von Urteilsfehlern und verringern von Urteilstendenzen 3. Explizite Entscheidungen unter Berücksichtigung von Kosten und Nutzen
Die wesentliche Grundlage für psychologisches Diagnostizieren ist das verhaltensorientierte Vorgehen. Darunter v erstehen wir, dass immer das k onkrete Verhalten, d. h. das F ühlen, Denken und H andeln von Menschen in b estimmten Situationen betrachtet wird. Dies b edeutet, dass b ei der Verhaltensbeschreibung zunächst keine Eigenschaftswörter verwendet werden. Mit Hilfe von Eigenschaftsbegriffen kann ma n w ohl spä ter im B egutachtungsprozess zusammengehörende B eobachtungen zus ammenfassen und abstrahieren, wenn dies erforderlich sein sollte. Solange es eine wissenschaftliche Psychologie gibt, ha t sie immer mög lichst k onkrete B eschreibungen indi viduellen V erhaltens v erwendet. Dies ist nic ht nur von der L ernpsychologie eingebracht worden. W enn wir als o ein v erhaltensorientiertes Diagnostizier en v orschlagen, s o b eziehen wir damit s elbstverständlich die ler npsychologischen Forschungsergebnisse mi t ein, do ch a uch die Er gebnisse aller a nderen t heoretisch f undierten, empirischen Richtungen der Psychologie. Da die psy chologische B egutachtung ein s ehr komplexer Vorgang ist, empfiehlt es sich, sich und den a nderen da ran B eteiligten die Arb eit d urch eine mög lichst wirk ungsvolle Pla nung zu erleic htern. Eine s olch sinn volle Pla nung ist eine , die verhaltensorientiert ist. Bei der Planung versuchen wir, uns vor jedem Schritt des diagnostischen Vorgehens da rüber k lar zu w erden, w elche Al ternativen es dazu gib t und w elche F olgen mi t jeder Alternative verbunden sein können. Bei der Erheb ung der er forderlichen Informationen ist ein verhaltensorientiertes Vorgehen notwendig, w enn ma n den U rteilsfehlern nic ht T ür und Tor ö ffnen will . B esonders im G espräch mi t den Probanden ist es i .d.R. für alle hilf reich, wenn der Gutachter sich das Verhalten in den interessie-
renden Ausschnitten s o s childern lässt, dass er es förmlich »wie in einem Film vor sich sieht«. Psychologische Verhaltensbeobachtungen sind Beschreibungen k onkreten Verhaltens. Dies ist in schon v orliegenden U nterlagen hä ufig nic ht der Fall: Sie kennzeichnen die zu b eurteilenden Personen oft durch Zusammenfassungen, Abstraktionen und Bewertungen ihres Verhaltens, z. B. mit Eigenschaftswörtern. Dur ch eine v erhaltensorientierte Auswertung ka nn ma n s olche U rteilsfehler und -tendenzen leic hter erk ennen und I nformationen sicherer f inden, die k onkretes Verhalten b eschreiben und f ür die B eantwortung der F ragestellung wichtig sind. Im Befund werden alle I nformationen zur B eantwortung der Psychologischen Fragen und damit der F ragestellung mi teinander k ombiniert. D abei ist es s owohl f ür das Er stellen wie a uch f ür das Beurteilen psy chologischer G utachten eine gr oße Erleichterung, w enn k onkrete V erhaltensweisen beschrieben und nur da zusammengefasst werden, wo dies f ür die B eantwortung der F ragestellung ohne V erzerrung der r elevanten I nformationen möglich ist. Die psy chologische B egutachtung b irgt eine Fülle v on M öglichkeiten, diagnostis che U rteilsfehler zu mac hen o der den N eigungen zu b estimmten U rteilsverzerrungen zu erlieg en. Die wichtigste Gegenmaßnahme haben wir schon kurz angesprochen: Das verhaltensorientierte Vorgehen. Wir werden die Urteilsfehler und Urteilstendenzen noch ein gehender b etrachten und da nach V orschläge machen, wie man sie möglichst vermeiden bzw. verringern kann. Die v erhaltensorientierte B eschreibung der Probanden f indet ihr e Er gänzung da rin, dass alle notwendigen En tscheidungen exp lizit g etroffen werden. D arunter v erstehen wir als er stes, dass man sich darüber klar wird, wo im diagnostischen Prozess En tscheidungen zu tr effen sind . Zweitens gehört dazu , dass ma n sic h üb er die Al ternativen klar wir d. Dies b edeutet, die f olgenden b eiden Fragen zu b eantworten: Welche Al ternativen gib t es? Welche mög lichen F olgen sind mi t jeder Alternative verbunden? Ein dr itter Aspekt expliziter Entscheidungen ist die b ewusste An wendung b estimmter En tscheidungsregeln. »Das m achen w ir hier i mmer so«, ist z. B. eine En tscheidungsregel,
2.5 · Übergeordnete Kriterien zur Beurteilung psychologischer Gutachten
führt aber nicht unbedingt zu zuf riedenstellenden Entscheidungen. Die Entscheidung für oder gegen ein diagnostisches Vorgehen nach dem Verhältnis von Kosten und N utzen er scheint vielen t echnokratisch und unpsychologisch. I n W irklichkeit o rientiert sic h jeder von uns an diesem Kriterium, denn niemand käme b eispielsweise a uf die I dee, b ei der F ragestellung, ob ein P roband eine b estimmte B erufsausbildung mit Aussicht auf Er folg machen kann, diesen er st einmal d urch mehr jähriges Z usammenleben k ennenlernen zu m üssen. K osten und Nutzen werden also immer s chon, zumeist jedo ch nicht a usdrücklich, b erücksichtigt. B essere En tscheidungen sind da nn mög lich, w enn ma n üb er seine En tscheidungskriterien a uch un ter K ostenNutzen-Gesichtspunkten exp lizit nac hdenkt und sie begründet vertreten kann. 2.5
Übergeordnete Kriterien zur Beurteilung psychologischer Gutachten Kriterien zur Beurteilung wissenschaftlicher Aussagen 1. Grad der Gültigkeit ( Validität): hängt ab – von der Art und Qualität der zugrunde liegenden theoretischen Aussagen, – davon, ob die Regeln der Logik bei ihrer Verknüpfung beachtet wurden, – von der Angemessenheit der Operatio nalisierungen der hypothetischen Konstrukte, – von den zentralen Merkmalen Objektivität und Messgenauigkeit (Reliabilität) der empirischen Vorgehensweisen, – vom beanspruchten Geltungsbereich. 2. Grad der Kommunizierbarkeit der Aussagen: hängt ab von – der Transparenz des Vorgehens, in allen Schritten, – der Prüfbarkeit des Vorgehens.
Ein psy chologisches G utachten ist eine wiss enschaftliche Arb eit. D amit m uss sie a uch den K ri-
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2
terien en tsprechen, die ma n ga nz allg emein a n wissenschaftliche A ussagen legt: G ültigkeit und Kommunizierbarkeit. Grad der Gültigkeit. Ein psychologisches Gutachten b esteht a us einer Reihe v on zus ammengehörenden, wiss enschaftlichen Aussagen. Es ist daher nicht einfach richtig oder falsch, sondern es kommt dem Ideal der vollkommenen Gültigkeit mehr oder weniger nahe . Die G ültigkeit v on wiss enschaftlichen A ussagen hä ngt in er ster L inie v on der Ar t und Qualität der zugrunde liegenden theoretischen Aussagen a b. Dies b edeutet deshalb a uch f ür das psychologische Gutachten, dass es von der Qualität der v erwendeten t heoretischen An sätze a bhängt. Ein zen trales f ormales K riterium, dem jede Theorie en tsprechen s ollte, ist die logis ch k orrekte Verknüpfung ihrer Einzelaussagen. D ass dies z. B. bei den bekanntesten Aggressionstheorien zumeist nicht der Fall ist, weist Werbik (1974) auf. Auf dem W eg v on der F ormulierung einer Theorie bis zum Nachweis ihrer Gültigkeit müssen die zentralen Aussagen empirisch geprüft werden. Dazu m üssen die G edanken in H andlungen umgesetzt werden. Hierbei können dies e jenen mehr oder weniger vollkommen entsprechen. Je weniger gut die Theo rie in H andlungen um gesetzt wir d, umso s chlechter ist a uch der N achweis ihrer Gültigkeit. Bei der em pirischen P rüfung einer Theo rie müssen Beobachtungen entsprechend der Theo rie erhoben w erden. J e ob jektiver und zu verlässiger beobachtet wird, umso ernsthafter wird eine Theorie geprüft. Eine Theorie ist um so brauchbarer, je k onkreter in ihr etwas üb er ihren Geltungsbereich ausgesagt wir d. D enn je exak ter dies er b eschrieben ist, umso besser weiß man, wann man auf eine Theorie und die bei ihrer Prüfung gefundenen empirischen Befunde zur ückgreifen ka nn. I n der Reg el f inden sich in psy chologischen Theo rien jedo ch k eine Aussagen über ihren Geltungsbereich, sodass man diesen nur aus den zu dieser Theorie vorliegenden empirischen Arbeiten erschließen kann. Grad der Kommunizierbarkeit. Alle wissenschaftlichen A ussagen sind n utzlos, w enn sie a nderen Menschen nic ht mi tgeteilt w erden k önnen. D a-
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Kapitel 2 · Grundposition
her ist die K ommunizierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen ein zentrales Kriterium für ihre Qualität. Je b esser a ndere un sere A ussagen nac hvollziehen können, um so besser war die Kommunikation. Damit Gutachtenleser die G edanken des G utachters im G utachten nachvollziehen können, b eschreibt dieser am besten alle Schritte, die zu einem vollen Verständnis no twendig und hilf reich sind . Diese s chrittweise B eschreibung ist zug leich die Grundlage f ür eine zumindest p rinzipielle P rüfbarkeit des Vorgehens. Geprüft werden kann z. B., ob einwandfrei beobachtet wurde und ob Aussagen nach den Reg eln der L ogik r ichtig mi teinander verknüpft wurden. Zur Prüfbarkeit des Gutachtens gehört, dass die zitierte Literatur nach den jeweils geltenden Richtlinien zur M anuskriptgestaltung der D eutschen Gesellschaft für Psychologie (hier zuletzt 2007) in einem Literaturverzeichnis aufgeführt wird. Dieses Literaturverzeichnis ist ein eig enständiger Teil des Gutachtens.
3
Fragestellung 3.1
Entscheidung für oder gegen eine Fragestellung
3.2 Not
wendige Annahmen
3.3 Anf
orderungsprofil
3.4 3.5 V 3.6
– 16
– 17
– 18
Notwendiges Wissen für die diagnostische Arbeit orhersage individuellen Verhaltens
– 20
Darstellung der Fragestellung im Gutachten
– 21
– 20
3
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Kapitel 3 · Fragestellung
3.1
Entscheidung für oder gegen eine Fragestellung Kriterien für die Übernahme einer Fragestellung 1. Fragestellung eindeutig formuliert? – Ja: Akzeptieren. – Nein: Bitte um eindeutige Formulierung. – Eventuell: Vorschläge zur Neuformulierung. 2. Ist der Psychologe der zuständige Experte? – Ja: Akzeptieren. – Nein: An zuständigen Experten verweisen. 3. Liegt prinzipiell genügend Wissen zur Bearbeitung vor? – Ja: Akzeptieren. – Nein: Erklären, warum diese Fragestellung nicht bearbeitet werden kann. – Eventuell: Vorschläge zur Neuformulierung. 4. Ist die Bearbeitung der Fragestellung rechtlich erlaubt? – Ja: Akzeptieren. – Nein: Erklären, warum diese Fragestellung nicht bearbeitet werden kann. Wenn möglich: legale Alternativen vorschlagen. 5. Ist die Bearbeitung der Fragestellung ethisch verantwortbar? – Ja: Akzeptieren. – Nein: Ethische Bedenken anhand möglichen Nutzens und möglicher Kosten (Schäden) erläutern. – Eventuell: Ethisch vertretbare Fragestellung zur Lösung des Problems vorschlagen. 6. Schränkt die Fragestellung die Vorgehensweise des Diagnostikers ungerechtfertigt ein? – Nein: Akzeptieren. – Ja: Brauchbare Formulierung der Fragestellung vorschlagen und sich darauf mit Auftraggeber einigen. 7. Wird schon eine Intervention vorgeschlagen, die ein bestimmtes Ergebnis der Diagnostik vorwegnimmt? – Nein: Akzeptieren. – Ja: Brauchbare Formulierung der Fragestellung vorschlagen und sich darauf mit Auftraggeber einigen.
Bevor ein G utachter eine F ragestellung bearbeiten kann, m uss er sic her s ein, dass er sie g enau s o verstanden ha t, wie der A uftraggeber sie g emeint hat, sie m uss eindeu tig f ormuliert s ein. Dies ist häufig nic ht der F all. M eist liegt dies da ran, dass der P sychologe den a ngesprochenen B ereich differenzierter sieh t als der A uftraggeber. I n einem solchen Fall ist es sinnvoll, sich erst einmal darüber zu verständigen, was g emeint sein soll. Dabei hilft es den b eauftragenden N ichtpsychologen, w enn wir solche Fragestellungen formulieren, die in der ursprünglichen F ormulierung en thalten sind . F ür den Auftraggeber ist es anhand solcher alternativer Formulierungen erfahrungsgemäß wesentlich einfacher, zu sagen, was er haben möchte. Mitunter w erden F ragestellungen a n P sychologen hera ngetragen, f ür die sie nic ht die zust ändigen Experten sind. Hier hilft es dem A uftraggeber, wenn wir erk lären, warum nicht wir, sondern Vertreter anderer Wissensbereiche die zuständigen Experten sind. In s eltenen Fällen w erden F ragestellungen g eäußert, zu denen in der P sychologie k ein Wissen vorliegt b zw. k ein W issen v orliegen ka nn, w eil die empirische Untersuchung solcher Sachverhalte prinzipiell nicht möglich ist. Bevor wir die Frage beantworten können, ob prinzipiell zu ihrer Bearbeitung in der Psychologie genügend Wissen vorliegt, müssen wir die Fachliteratur hierzu durcharbeiten, denn p ersönliches Nichtwissen eines P sychologen ist nic ht g leichzusetzen mi t einem p rinzipiell in der Psychologie fehlenden Wissen. Handelt es sich also um eine p rinzipiell nic ht zu b eantwortende Fragestellung, s o erk lären wir dies dem F ragesteller. I m G espräch ka nn e ventuell g emeinsam eine Fragestellung zur L ösung des P roblems g efunden werden, die auch untersucht werden kann. Möglicherweise werden Fragestellungen an den Gutachter herangetragen, deren Bearbeitung rechtlich nicht erlaubt ist. Wenn die Gesamtproblematik alternativ eine rechtlich einwandfreie Fragestellung erlaubt, kann der Psychologe diese dem möglichen Auftraggeber vorschlagen. Fragestellungen, die wir et hisch nic ht v erantworten k önnen, sind a m hä ufigsten s olche, b ei denen der A uftraggeber das G utachten b ezahlen und den B egutachtungsprozess a uf sic h nehmen würde, der mög liche N utzen f ür ihn jedo ch s ehr
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3.2 · Notwendige Annahmen
gering s ein wür de o der das G utachten ihm s ogar schaden würde. In diesen wie auch anderen Fällen, in denen wir der Ansicht sind, dass die Bearbeitung einer Fragestellung von uns ethisch nicht vertreten werden ka nn, sp rechen wir mi t dem F ragesteller über sein Problem und suchen mit ihm gemeinsam nach einer Lösung, die in einer akzeptablen Fragestellung oder einem anderen Weg als der psychologischen Begutachtung liegen kann. Die umfa ngreichen Disk ussionen dazu , was in der psy chologischen Diagnostik et hisch zu verantworten ist, la ufen alle da rauf hina us, dass letzten Endes jeder Gutachter nach seinem besten Wissen und G ewissen en tscheiden m uss. Ric htschnur da für sind das G rundgesetz, die üb rigen Gesetze und die da raus a bgeleiteten b erufsethischen V erpflichtungen f ür P sychologen. Dies e sind z.B . in den et hischen Ric htlinien der D eutschen G esellschaft f ür P sychologie e .V. und des Berufsverbands D eutscher P sychologinnen und Psychologen e .V. (zug leich B erufsordnung des Berufsverbandes D eutscher P sychologinnen und Psychologen 1999) dargestellt ( @ http://www.bdpverband.org/bdp/verband/ethik.shtml). Alle S chritte un serer B egutachtung en tsprechen weiter den »Richtlinien für die Erstellung psychologischer G utachten«, w elche die F öderation Deutscher Psychologenvereinigungen zuletzt 1994 veröffentlicht ha t. Die E uropean A ssociation o f Psychological Assessment hat 2001 »Guidelines for the Assessment Process« (Fernandez-Ballesteros et al. 2001) p ubliziert, die W esthoff et al . (2003) als »Richtlinien f ür den diagnostis chen P rozess« in Deutsch v orgestellt ha ben. Die in dies em B uch vorgestellten Vorgehensweisen entsprechen diesen internationalen Guidelines.
Notwendige Annahmen
3.2
Definition
I
Annahmen
I
1. Individuelles Verhalten lässt sich aufgrund von Zusammenhängen zwischen definierten Variablen beschreiben, erklären, vorhersagen und beeinflussen. ▼
3
2. Diese Zusammenhänge können unter definierten Bedingungen empirisch festgestellt werden. 3. Die Art und die Stärke der empirisch ge prüften Zusammenhänge zwischen den ausgewählten Variablen gelten auch für den vorliegenden Einzelfall. 4. Es muss zur Bearbeitung der Fragestellung der Ausprägungsgrad der Variablen festgestellt werden, der nach einer geeigneten Regel weiterverarbeitet wird.
Zu 1. Jede em pirische W issenschaft, s o a uch die Psychologie, g eht v on der Annahme a us, dass in dem v on ihr un tersuchten B ereich r egelhafte und gesetzmäßige Z usammenhänge zwis chen V ariablen zu b eobachten sind . Die r egelhaften und g esetzmäßigen Zusammenhänge zwischen Merkmalen individuellen menschlichen Verhaltens können dazu genutzt werden, um Verhalten von einzelnen zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen. Aufgrund der V ielzahl v on Einzela ussagen über men schliches V erhalten ka nn – s ogar b ei Psychologen s elbst – der Eindr uck en tstehen, in der Psychologie gebe es k eine s olchen regelhaften Zusammenhänge. Jedoch ist jeder M ensch im Alltag o ffensichtlich r echt er folgreich in der V orhersage dess en, was er s elbst o der a ndere M enschen in b estimmten Situationen tun werden. Dies tr ifft in einem no ch höheren Maße für eine fac hkundig betriebene Psychologie zu. Schon ein beliebiges, in die Psychologie einführendes Lehrbuch beschreibt eine Fülle solcher praktisch nutzbarer Zusammenhänge. Zu 2. Diese regelhaften Zusammenhänge zwischen Variablen indi viduellen Verhaltens sind a uch empirisch f eststellbar: W ie in jeder t heoriegeleiteten empirischen W issenschaft k önnen s olche a uch in der P sychologie un ter def inierten B edingungen festgestellt w erden. Es b leibt aller dings immer zu entscheiden, ob genau diese Bedingungen bei einer bestimmten F ragestellung a uch v orliegen. H ierzu benötigen wir in der P sychologie, wie in a nderen Wissenschaften auch, Informationen üb er die B e-
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Kapitel 3 · Fragestellung
dingungen, un ter denen b estimmte Z usammenhänge gelten.
3
Zu 3. Mit Art eines Zusammenhangs zwischen zwei oder mehr V ariablen ist g emeint, ob dies er Z usammenhang mo noton o der k urvilinear ist. Ein linearer Z usammenhang ist der in der P sychologie wic htigste S pezialfall eines mo notonen Z usammenhangs und wir d z. B. d urch die P roduktMoment-Korrelation a usgedrückt. Ein s olcher Zusammenhang ka nn p ositiv o der nega tiv s ein. Als k urvilineare Z usammenhänge k ennt ma n in der Psychologie zumeist n ur noch u-förmige bzw. umgekehrt-u-förmige Zusammenhänge. Für praktische Vorhersagen m üssen wir na türlich wiss en, welche Arten von Zusammenhängen zwischen Variablen vorliegen. Hier hilft die Kenntnis der Fachliteratur ebenso wie bei der Bestimmung der Stärke des Z usammenhangs, die etwas da rüber a ussagt, wie b edeutsam ein Z usammenhang p raktisch ist (Bredenkamp 1972). Die b ekanntesten M aße der praktischen B edeutsamkeit sind der q uadrierte Korrelationskoeffizient und Omegaq uadrat. Die verschiedenen Signifikanzschranken sind dag egen keine A usdrücke der S tärke v on Z usammenhängen: Ein signifikantes Ergebnis sagt immer nur aus, dass es a ufgrund b estimmter Üb erlegungen und empirischer B efunde als nic ht zufällig a ngesehen wird, gleichgültig, wie das S ignifikanzniveau auch gewählt sein mag. Wenn wir V orhersagen mac hen w ollen, s o müssen wir annehmen können und dies g gf. plausibel machen, dass die Ar t und die S tärke des Z usammenhangs, auf die wir un s beziehen, auch für den untersuchten Einzelfall g elten. Ander s ausgedrückt: Wir nehmen a n, dass der Einzelfall zu der empirisch un tersuchten P opulation g ehört. Dies hört sic h einfac her a n als es p raktisch hä ufig ist. Fehlen in psy chologischen Arb eiten do ch hä ufig Angaben üb er die B estimmung der Ar t und der Stärke des un tersuchten Z usammenhangs s owie der N achweis, dass die A ggregation v on D aten über Individuen hinweg sinnvoll war. Zu 4. Sind die angesprochenen Annahmen begründet zu machen, so bleibt nur noch festzustellen, wie stark die V ariablen im Einzelfall a usgeprägt sind , um sie mi t Hilfe einer g eeigneten Reg el v erarbei-
ten zu k önnen. Z ahlreiche s olcher Reg eln, die im diagnostischen Alltag s ehr praktisch sind, werden in der psy chologischen En tscheidungsforschung beschrieben. Die wic htigste U nterscheidung ist die v on k ompensatorischen und nic htkompensatorischen En tscheidungsregeln (F eger u . S orembe 1982). Dabei ist die multiple lineare Regression der bekannteste S pezialfall einer k ompensatorischen Entscheidungsregel. 3.3
Anforderungsprofil Definition
I
I
Anforderung: Erforderliche Ausprägung eines Verhaltensmerkmals eines Individuums in einem bestimmten Verhaltensbereich Anforderungsprofil: Menge aller Anforderungen. Zwei Merkmale von Anforderungen: 1. Kompensierbarkeit, 2. Stabilität.
Anforderungen s ollten v erhaltensorientiert def iniert und möglichst objektiv, zuverlässig und gültig feststellbar sein. Psychologisches Diagnostizier en b edeutet, ein Individuum den B edingungen zuzuo rdnen, die möglichst gu t zu ihm pass en. P raktisch b edeutet dies z. B., f ür dies en b estimmten M enschen die besten B edingungen in A usbildung, Arb eit o der Therapie zu beschreiben. Für ein Kind können beispielsweise die B edingungen b eschrieben w erden, die unter bestimmten, unveränderbaren Gegebenheiten f ür s eine w eitere En twicklung die r elativ besten sind. Dazu müssen jedoch die entscheidenden Merkmale dieser Ausbildung, Arbeit, Therapie oder En twicklungsbedingungen em pirisch f estgestellt worden s ein. Erst wenn wir dies e Merkmale möglichst v ollständig k ennen, k önnen wir b eim Individuum f eststellen, wie w eit es dies en M erkmalen entspricht. Bei der A usbildung o der Arb eit nenn t ma n solche M erkmale Anf orderungen. Ob wohl es im Bereich der k linischen und f orensischen P sychologie i . Allg. un üblich ist, v on Anf orderungen zu sprechen, s chlagen wir v or, dies en B egriff allg emein zu v erstehen und zu v erwenden. S o ist ja
3.3 · Anforderungsprofil
häufig zu diagnostizier en, w elche Thera pie b ei jemandem die er folgversprechendste ist. Dies ist aber g leichbedeutend mi t der F eststellung, w elchen Thera pieanforderungen dies er M ensch a m ehesten en tspricht. B ei S orgerechtsgutachten sind an die Erzieh ungsberechtigten Anf orderungen hinsichtlich ihrer Betreuungsleistung zu stellen. Es ist dann zu entscheiden, welche der sich bietenden Alternativen f ür ein K ind z. B. die a m w enigsten schädliche ist. Kompensierbarkeit. Anforderungen, die in einem Anforderungsprofil zus ammengestellt sind , k önnen sic h g egenseitig a usgleichen, d . h. die M inderausprägung in einer Anf orderung ka nn d urch eine M ehrausprägung in einer a nderen w ettgemacht werden. Dann spricht man von einer k ompensierbaren Anforderung. Daneben kann es a ber auch Anforderungen geben, deren Minderausprägung durch keine Mehrausprägung einer a nderen wettgemacht w erden ka nn. I n einem s olchen F all spricht man von einer nic htkompensierbaren Anforderung. Stabilität. Da wir in einer sich ständig wandelnden Welt leb en, m uss da mit g erechnet w erden, dass sich die Anf orderungen a n M enschen in einem bestimmten B ereich eb enfalls ä ndern. Was heu te eine wic htige Anf orderung ist, ka nn im näc hsten Jahr vielleic ht s chon w eniger wic htig s ein. W ir tun also gut daran, bei allen Anf orderungen eines Anforderungsprofils abzuschätzen, wie stabil diese vermutlich sein werden. Den Anf orderungen en tsprechen b estimmte Merkmalsausprägungen a ufseiten der b eurteilten Personen. Auch hier gibt es mehr oder weniger stabile M erkmale. Alle g eistigen L eistungsmerkmale sind b ekanntermaßen üb er r elativ la nge Z eiten eines L ebens hin weg in ihr er A usprägung g leich. Einstellungen, Er wartungen, Z iele, Üb erzeugungen und Meinungen können sich hingegen schneller wandeln. Von der Stabilität der Merkmale von Personen ist die Änderbarkeit abzuheben. Mangelnde Rechtschreibkenntnisse k önnen b eispielsweise s ehr st abil sein, wenn man nicht versucht, sie zu b eheben. Bei g egebenen notwendigen Voraussetzungen wie geeigneter Motivation und Schulung lassen sie sich
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3
jedoch gut ändern. Auch diesen Aspekt bedenken wir, wenn wir f estzustellen haben, wie gu t jemand einem Anforderungsprofil entspricht. Vage f ormulierte Anf orderungen sind na turgemäß schlechte Maßstäbe. Je konkreter hingegen in einer Anf orderung das er forderliche V erhalten in dem in teressierenden B ereich def iniert ist, umso ob jektiver, zu verlässiger und gül tiger lä ßt sich feststellen, wie weit jemand einer Anforderung entspricht. Unter einer ob jektiven B eurteilung v erstehen wir eine intersubjektiv übereinstimmende Beurteilung. D abei kann die Üb ereinstimmung zwis chen Beurteilern v on »s ehr ho ch« b is »s ehr niedr ig« variieren. Hoch üb ereinstimmende B eurteilungen müssen deshalb nicht »gültig« sein. Haben z. B. alle Beurteiler das g leiche V orurteilssystem, s o k önnen sie a uch s ehr üb ereinstimmend zu der selben Beurteilung kommen, ohne dass ihr U rteil richtig sein muss. Beurteilungen und M essungen sind um so zuverlässiger, je besser sie wiederholt werden können. Dabei ka nn b ei der W iederholung ein a nderes Instrument oder dasselbe Instrument zu v erschiedenen Z eitpunkten ein gesetzt w erden. W ie ma n die M essgenauigkeit o der Relia bilität f eststellt, ist allerdings nic ht b eliebig. Es hä ngt letzt en Endes von den verfolgten Zielen und den benützten Theorien ab. In der P sychologie gib t es viele met hodische Überlegungen und V orgehensweisen, die helf en können, den G rad der G ültigkeit o der V alidität von B eobachtungen f estzustellen. S ie la ufen letzten Endes alle da rauf hina us, dass em pirisch mi t möglichst ein wandfreien M ethoden g eprüft wir d, wie gut die Wirklichkeit die eigenen theoretischen Überlegungen un terstützt. J e mehr Üb erlegungen ein G edankengebäude, eine Theo rie, en thält und je hä ufiger dies es in allen B ereichen er folgreich geprüft wur de, um so b esser ist s eine G ültigkeit nachgewiesen, umso valider ist es. Damit wir d deu tlich, dass s owohl M erkmale des individuellen Verhaltens als auch Anforderungen t heoretisch f undiert def iniert und er folgreich validiert sein müssen, wenn man sie ohne Weiteres in der psychologischen Diagnostik verwenden will. Bei vielen Anf orderungen ist dies jedo ch nic ht gegeben. H ier m üssen wir v on F all zu F all en t-
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Kapitel 3 · Fragestellung
scheiden, ob wir b estimmte Annahmen v ertreten können, die es er möglichen, eine Anf orderung als hinreichend fundiert zu akzeptieren.
3
3.4
Notwendiges Wissen für die diagnostische Arbeit Notwendiges Wissen für die Bearbeitung einer diagnostischen Fragestellung ▬ F achwissen, ▬ Beruf serfahrung, ▬ Alltagser fahrung, bestehend aus: ▬ konk reten, ▬ nachprüfbar en, ▬ gültigen Informationen.
Angesichts einer F ragestellung und eines e ventuell schon vorliegenden Anforderungsprofils müssen wir uns fragen, ob wir für die weitere psychologisch-diagnostische Arb eit g enügend wiss en. Dies bedeutet für das Fachwissen, dass man nicht nur die G rundlagen b eherrscht, s ondern a uch die für die Fragestellung relevante Spezialliteratur überblickt. J eder F ragesteller er wartet v öllig zu Recht v on W issenschaftlern, dass sie a uf dem neuesten S tand ihr er W issenschaft a rbeiten. Die gewohnheitsmäßige Entscheidung, die a ber nicht mehr dem neuest en S tand en tspricht, ist als o mit einem wiss enschaftlichen G utachten un vereinbar. Neben dem F achwissen sind die B erufs- und Alltagserfahrung wic htige I nformationsquellen, ohne die ma n in einem psy chologischen G utachten eig entlich nie a uskommt. N icht alle A spekte, die im B egutachtungsprozess von Bedeutung sind, können o der m üssen wiss enschaftlich un tersucht sein. Wir werden uns weiter unten mit einer Reihe solcher Situationen beschäftigen. Unabhängig v on der K lassifikation des W issens in Fachwissen, Berufs- oder Alltagserfahrung muss dies es immer »zu treffend« s ein. Dies ist a m ehesten gegeben bei möglichst konkreten Aussagen über Verhalten, die sich nachprüfen lassen und die sich b ei einer mög lichen N achprüfung als gül tig
herausstellen. Es g eht also nicht darum, sein eigenes Vorurteilssystem zum M aßstab aller Din ge zu machen. Vielmehr gelten in jedem Fall die übergeordneten K riterien wiss enschaftlichen Arb eitens: Gültigkeit und Kommunizierbarkeit. 3.5
Vorhersage individuellen Verhaltens Definition
I
I
Vorhersage individuellen alltäglichen Verhaltens verlangt: ▬ Orientierung auf diese Verhaltensvorhersage hin, ▬ Einbeziehung aller wichtigen Variablen, ▬ Nutzung aller brauchbaren Informationsquellen.
Psychologische F orschungen b eschäftigen sic h hauptsächlich mi t der B eschreibung, Erk lärung und B eeinflussung indi viduellen V erhaltens. Er staunlich w enig I nteresse f indet die V orhersage. Hiermit b eschäftigen sic h ha uptsächlich einig e Ausschnitte der En tscheidungs- und der P ersönlichkeitsforschung. I n der P raxis aller dings wir d von P sychologen er wartet, dass sie V erhalten in gewissen Grenzen richtig vorhersagen können. Bei der A usrichtung der allg emeinen P sychologie auf die B eschreibung des Verhaltens und die Analyse der B edingungen, die das V erhalten b eeinflussen, sind immer nur wenige Variablen experimentell variierbar und kontrollierbar. Es können hier je weils n ur A usschnitte un tersucht w erden. In der P ersönlichkeitsforschung, w o na turgemäß weniger exp erimentell als mehr k orrelativ g earbeitet wir d, liegt in aller Reg el der Akzen t a uf der B eschäftigung mi t einem K onstrukt wie z. B. Intelligenz, An gst o der K reativität. I n der S ozialpsychologie w erden die s ozialen B edingungen des Verhaltens un tersucht, da bei b leiben a ber die anderen B edingungen w eitgehend un beachtet. I n diesen und allen a nderen Forschungsgebieten gibt es nur s elten An sätze zur I ntegration v on Wissen für p raktische Vorhersagezwecke. Wir w erden im nächsten K apitel hierzu un sere V orschläge da rstellen.
3.6 · Darstellung der Fragestellung im Gutachten
Von entscheidender Bedeutung für die Vorhersage indi viduellen, all täglichen V erhaltens s ehen wir die Ein beziehung aller o der mög lichst vieler wichtiger V ariablen a n. D er mög liche Er folg in einer Ausbildung wird beispielsweise nicht nur von der geistigen Leistungsfähigkeit in ihr en verschiedenen Aspekten als a bhängig a ngesehen, s ondern auch v on emo tionalen, mo tivationalen und s ozialen Bedingungen, des Weiteren von körperlichen Faktoren und Umgebungsbedingungen. Standardisierte psychologische Untersuchungsverfahren wie T ests und F ragebogen sind nic ht die einzig mög lichen I nformationsquellen f ür die Vorhersage indi viduellen Verhaltens. W ir w erden zeigen, dass es da neben viele w eitere n ützliche Quellen f ür b rauchbare diagnostis che I nformationen gibt. Aus diesen kommen bei fast jeder F ragestellung w esentlich mehr und en tscheidendere Informationen als aus Tests und Fragebogen, wobei wir deren Wert damit nicht gering achten. 3.6
Darstellung der Fragestellung im Gutachten Definition
I
I
Darstellung im Gutachten ▬ Die Fragestellung ist erster, eigenständiger Gliederungspunkt des Gutachtens. ▬ Die Fragestellung wird vollständig und wörtlich, ▬ wie im endgültigen Gutachtenauftrag formuliert und ▬ ohne jegliche nachträgliche Änderung oder Erweiterung wiedergegeben.
Da v on der F ragestellung alles w eitere Vorgehen abhängt, empfiehlt es sic h, sie en tsprechend unseren Em pfehlungen zunäc hst zu üb erdenken und ggf. mit dem Auftraggeber gemeinsam die endgültige Fragestellung zu f ormulieren. Da ein G utachten o hne die F ragestellung nic ht zu v erstehen ist, gehört sie als er ster, eig enständiger Glieder ungspunkt in jedes psychologische Gutachten. Zur Vermeidung von Missverständnissen wird die F ragestellung in der w örtlichen und v ollständigen F ormulierung da rgestellt, wie sie zuletzt
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3
zwischen A uftraggeber und P sychologen v ereinbart wur de. D a die F ragestellung G egenstand des Vertrages zwischen Auftraggeber und Psychologen ist, bedarf jede Änder ung der Z ustimmung beider Parteien. Es empfiehlt sich, diese Zustimmung immer vorher einzuholen, bevor man von einer v eränderten Fragestellung ausgehend gutachtet. Auch sog. rein sprachliche Verbesserungen sollten nicht ohne Z ustimmung des A uftraggebers v orgenommen w erden, denn es ha ndelt sic h hierb ei leic ht um en tscheidende Akzen tverschiebungen in der Fragestellung.
4
Auswahl von Variablen 4.1 V
erhaltensgleichung
4.2 Umgebungsv 4.3 Or 4.4 K
ariablen
– 25
ganismusvariablen
– 26
ognitive Variablen – 27
4.5 Emotionale 4.6 Motiv 4.7 S
– 24
Variablen
– 29
ationale Variablen
oziale Variablen
– 30
– 31
4.8
Drei Klassen von Informationen für die Erklärung und Vorhersage individuellen Verhaltens – 32
4.9
Kriterien für die Auswahl von Variablen
– 33
24
Kapitel 4 · Auswahl von Variablen
4.1
Verhaltensgleichung Definition
I
Verhaltensgleichung: V = fI (U, O, K, E, M, S)
4
I
Verhalten ist eine Funktion folgender Gruppen von Variablen: ▬ Umgebungsvariablen (U), ▬ Or ganismusvariablen (O), ▬ Kog nitive Variablen (K), ▬ Emotionale Variablen (E), ▬ M otivationale Variablen (M), ▬ S oziale Variablen (S), ▬ und deren Wechselwirkungen (Subskript I).
Die v on un s v orgeschlagene V erhaltensgleichung dient mehreren Zwecken: 1. Sie fasst die V ariablen, die b ei der Erk lärung, Vorhersage und B eeinflussung indi viduellen Verhaltens wic htig sind , zu w enigen G ruppen zusammen und erlaubt somit 2. eine S trukturierung dies es a nsonsten ka um übersehbaren Bereichs. 3. Sie un terstützt die P rüfung, ob b ei einer B egutachtung alle wic htigen B ereiche b edacht wurden. Sie ist also als Hilfsmittel für das praktische Arbeiten gedacht. Weiter un ten w erden wir jede G ruppe v on V ariablen näher erlä utern und sie je weils a nhand von wichtigen Variablen veranschaulichen. Hier sei zunächst da rauf hin gewiesen, dass ma n die s echs genannten Gruppen von Variablen in zwei Klassen zusammenfassen kann: 1. nichtpsychologische G ruppen v on V ariablen (U und O), 2. psychologische Variablengruppen (K, E, M, S). Die nichtpsychologischen Variablen der Umgebung (U) b eziehen sic h auf äußere L ebensbedingungen wie Wohnsituation, f inanzielle S ituation. M it den nichtpsychologischen V ariablen des Or ganismus (O) sind alle k örperlichen B edingungen g emeint wie Krankheiten, Behinderungen oder körperliche Belastbarkeit. Jeder weiß, wie stark diese Variablen unser aller V erhalten mi tbestimmen. D aher ist es
nach un seren Er fahrungen f ür N ichtpsychologen sehr gu t nac hzuvollziehen, w enn wir dies e B ereiche gesondert betrachten. Die G ruppe v on psy chologischen V ariablen, die als kognitive bezeichnet werden (K), beziehen sich a uf die g eistige L eistungsfähigkeit und meinen b eispielsweise K onzentration, G edächtnis, Intelligenz, K reativität. Dies ist die G ruppe v on Variablen, die sich am besten durch Tests messen lassen. Ganz anders sieht es mi t den emo tionalen Variablen (E) a us. Dies e w erden hä ufig üb ersehen, oder es wir d nur auf die emo tionale B elastbarkeit eines Menschen abgehoben. Dabei sind unsere Gefühle wie Angst, Schuld oder Liebe in b estimmten Klassen von Situationen oft entscheidend f ür das, was wir tun. Dass die Motivation unser Verhalten bestimmt, ist ein Allg emeinplatz, s chwierig ist hin gegen f ür viele die F rage nac h den sp ezifischen mo tivationalen V ariablen (M) zu b eantworten. M an ka nn Motivstärken mess en, z. B. des L eistungsmotivs, und zur V orhersage individuellen Verhaltens nutzen. Bessere Vorhersagen kann man nach unseren Erfahrungen mac hen, w enn ma n die r elevanten individuellen W erte, Z iele, Üb erzeugungen und Erwartungen der Probanden erfasst. Soziale V ariablen (S) b eeinflussen jeden v on uns in so vielfältiger Weise, dass man die für einen Menschen v erbindlichen N ormen und P flichten bei der B egutachtung eb enso b etrachten wird wie die Einf lüsse, die , v on a nderen M enschen a usgehend, das V erhalten mi tbestimmen (»b edeutsame Andere«). Das Geflecht der s ozialen Beziehungen, in denen ein Mensch lebt, kann nie außer Betracht bleiben, wenn wir sein Verhalten erfolgreich erklären und vorhersagen wollen. Wenn wir n un im F olgenden auf die g enannten G ruppen v on V ariablen näher ein gehen, s o müssen wir alle V ariablen einer b estimmten Gruppe zuo rdnen. Ander e G ruppierungen o der andere Eino rdnungen v on V ariablen sind sinnvoll mög lich. Dies ist f ür un ser Anlieg en hier jedoch nic ht en tscheidend. W ir mö chten eine Strukturierungshilfe vorschlagen, die sich für das praktische psy chologische Arb eiten ga nz allg emein und besonders für die Begutachtung als sehr nützlich erwiesen hat. Wir können so vermeiden,
dass wir u . U . ga nze G ruppen v on V ariablen oder wic htige einzelne V ariablen nic ht b edacht haben. Über die in der V erhaltensgleichung genannten G ruppen v on Variablen hina us gib t es w eitere Gruppen von Variablen, die das indi viduelle Verhalten indir ekt mi tbestimmen k önnen wie z. B. s oziologische, p olitische o der hist orische. Hier nehmen wir a n, dass sic h dies e V ariablen durch s olche a uswirken, die in un serer V erhaltensgleichung a ngesprochen sind . S oziologische, politische o der hist orische L ebensbedingungen bestimmen die A usprägung indi vidueller V ariablen. Sie werden indirekt beachtet, indem wir die Variablen a uswählen, v on denen wir b egründet annehmen, dass sie un s helfen, individuelles Verhalten mög lichst gu t zu erk lären und v orherzusagen. Wir nennen dies e V ariablen immer »B edingungen« indi viduellen Verhaltens und nic ht »Ursachen«. D er B egriff der U rsache wir d nä mlich leicht missverstanden. Dabei gibt es nac h unseren Beobachtungen f olgende dr ei hä ufig zu b eobachtende Missverständnisse: 1. Es wir d fäls chlich a ngenommen, dass es n ur eine U rsache gib t. H ier hilf t a uch der hä ufig zu f indende Hinweis auf die »M ultikausalität« wenig. 2. Ursache wir d fäls chlich n ur det erministisch und nic ht a uch p robabilistisch v erstanden. Praktisch b edeutet dies, der B egriff der U rsache wird als un vereinbar mit Wahrscheinlichkeitsaussagen erlebt. 3. Wenn Ursachen für ein Verhalten genannt werden, s o wir d fäls chlich da von a usgegangen, dass dieses Verhalten damit vollständig erklärt oder vorhergesagt werden kann. Diese mög lichen Missverständnisse sind ka um zu beobachten, w enn ma n v on B edingungen indi viduellen V erhaltens a nstatt v on U rsachen sp richt. Allein dies e praktischen Er fahrungen reichen unseres Erac htens a us, den B egriff der U rsache in psychologischen Gutachten immer d urch den der Bedingung zu ersetzen. Schließlich soll ein Gutachten möglichst wenig Anlass zu Missverständnissen geben.
4
25
4.2 · Umgebungsvariablen
4.2
Umgebungsvariablen Definition
I
I
Umgebungsvariablen (U) = äußere Lebensbedingungen, z. B.: ▬ finanzielle Situation, ▬ W ohnsituation, ▬ V erkehrsverbindungen, ▬ Kommunik ationsbedingungen, ▬ zur Verfügung stehende Zeit.
Zur V eranschaulichung der U mgebungsvariablen oder äußeren Lebensbedingungen wollen wir n un einige k urz v orstellen, die sic h b ei ga nz v erschieden g earteten F ragestellungen hä ufig als wic htig herausgestellt haben. Dabei wollen wir s chon hier auf zw eierlei hin weisen, und wir w erden dies e Hinweise wiederho len, dass zum einen dies n ur Beispiele sind, es sic h also um k eine erschöpfende Liste handelt, und zum anderen nicht bei jeder Fragestellung alle Variablen von Bedeutung sind. Finanzielle Situa tion. Die Verhaltensmöglichkeiten eines Menschen werden u. a. ganz entscheidend von s einer f inanziellen S ituation b estimmt. D abei verstehen wir unter der finanziellen Situation nicht nur Eink ommen und f inanzielle Verpflichtungen, sondern a uch die ob jektiv g egebenen M öglichkeiten, f inanziell un terstützt zu w erden. B ei allen Größen ist zudem zu b edenken, wie sie sic h im Laufe der Z eit wahrscheinlich entwickeln werden. Subjektive F ehleinschätzungen der eig enen f inanziellen M öglichkeiten in G egenwart und Z ukunft bedingen häufig katastrophale Lebensumstände. Wohnsituation. Nach einem geflügelten Wort kann man Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt. I n der Reg el sind die W ohnbedingungen jedo ch nic ht v on s o massi ver B edeutung, wie dies einem z. B. a us der M ittelschicht st ammenden Gutachter auf den ersten Blick erscheinen mag. Hier kann ein Gutachter in seinem Urteil sehr leicht Opfer seines eigenen Wertesystems werden. Falsch wä re es jedo ch, dies e B edingung indi viduellen Verhaltens, z. B. bei Sorgerechtsgutachten, überhaupt erst nicht in Betracht zu ziehen.
26
Kapitel 4 · Auswahl von Variablen
Verkehrsverbindungen. Unzureichende oder fehlende Verkehrsverbindungen können u. U. eine bestimmte Ausbildung eines Jugendlichen unmöglich machen. Eine solche entscheidende Voraussetzung für bestimmte Verhaltensweisen wird in einer fachgerechten Begutachtung immer berücksichtigt.
4
Kommunikationsbedingungen. Unter K ommunikationsbedingungen fa ssen wir a bstrahierend alle M öglichkeiten zus ammen, a n I nformationen heranzukommen o der mi t a nderen M enschen in Kontakt tr eten zu k önnen. Die V erfügung üb er Kommunikationsgeräte, z. B. R adio, T V, V ideo, Telefon, g ehört eb enso dazu wie der Z ugang zu bestimmten K ontaktmöglichkeiten wie G ruppen, Kursen, Veranstaltungen, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen. Zur Verfügung st ehende Z eit. Obwohl wir un s alle im All tag da uernd mi t der Z eit b eschäftigen, ist eine zutreffende Einschätzung der Zeit, die man für etwas aufbringen kann, für viele nur mit Hilfestellungen möglich. Steht also bei einem Menschen eine mögliche Änderung der Zeitverteilung auf die verschiedenen Verhaltensbereiche an, so ist immer damit zu r echnen, dass es hier zu S chwierigkeiten k ommen ka nn. B ei der B egutachtung wir d man dies e mög lichen P robleme b erücksichtigen. Denn n ur w enn wir alle wic htigen Verhaltensbedingungen mi t in Rec hnung st ellen, k önnen wir begründet hoffen, dass unsere Verhaltensvorhersagen auch zutreffen werden.
Organismusvariablen
4.3
Definition
I
I
Organismusvariablen (O) = körperliche Bedingungen, z. B.: ▬ allgemeine körperliche Belastbarkeit, ▬ Ernährungsw eise, ▬ Alt er (-sunterschiede), ▬ Beeinträchtigungen, ▬ Behinderungen, ▬ Krankheiten, auch defekt abgeheilte, ▬ Abhängigkeit von Drogen, ▼
▬ Besonderheiten (anatomische, physiologische, des Hormon- oder Ner vensystems, der Sinnesorgane, des Kreislaufs, des Skeletts, der Muskulatur, der Haut).
Psychologische G utachter sind k eine medizinischen Gutachter, und sie k önnen und s ollen diese nicht er setzen. Ein b estimmtes V erhalten ist jedoch immer n ur bei entsprechenden körperlichen Voraussetzungen mög lich. W ir m üssen als o b ei jeder Fragestellung eines psychologischen Gutachtens wissen, welche körperlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Viele Anforderungen an Menschen sind k örperlicher Art, und in der M ehrzahl der Fälle lässt sich entscheiden, ob eine b estimmte körperliche Anf orderung er füllt wir d o der nic ht. Wo man zweifelt, wird man selbstverständlich den medizinischen Experten zu Rate ziehen. Nach un seren Er fahrungen s cheuen sic h P sychologen am meisten, körperliche B edingungen zu beurteilen, obwohl häufig ein sachkundiges psychologisches Gutachten ohne eine Berücksichtigung der körperlichen G egebenheiten ga r nic ht mög lich ist. Dabei wiss en viele P robanden üb er ihren G esundheitszustand recht gut Bescheid, nicht zuletzt durch die Informationen, die sie von ihren Ärzten haben. Allgemeine k örperliche Belastbark eit. Ob eine ausreichende allgemeine körperliche B elastbarkeit z. B. für einen b estimmten Tätigkeitsbereich gegeben ist, kann i.d.R. mit dem Probanden gemeinsam schnell und zutreffend beurteilt werden, wenn man genügend klar formulierte Anforderungen hat. Ernährungsweise. In un serem L and des Üb erflusses an Nahrungsmitteln wird leicht übersehen, dass eine fals che Er nährung das W ohlbefinden und die Leistungsfähigkeit ganz erheblich mindern können. Hier muss sich ein Gutachter ggf. vor der Bearbeitung einer Fragestellung erst so sachkundig machen, dass er b egründet en tscheiden ka nn, ob die Ernährungsweise für die g eforderte Leistungsfähigkeit angemessen ist. Alter. Mit dem Al ter ändern sich die k örperlichen Bedingungen für bestimmte Tätigkeiten und A uf-
gaben. Es ist daher immer zu üb erlegen, ob sic h aus dem Al ter und den da mit v erbundenen Änderungen Einschränkungen ergeben können. Dies gilt im besonderen Maße für die Kindheit und das hohe Lebensalter. Gesundheitliche Beeinträchtigungen. Die Beeinträchtigung des W ohlbefindens und der G esundheit kann durch eine Reihe v on Umwelteinflüssen bedingt s ein, z. B. P assivrauchen, A bgase, L ärm, Erschütterungen. D abei m uss dies sub jektiv nic ht unbedingt als beeinträchtigend erlebt werden. Es ist bei b estimmten F ragestellungen un bedingt er forderlich, zu p rüfen, ob g esundheitliche B eeinträchtigungen vorliegen, wenn man z. B. die körperliche und damit auch die psy chische B elastbarkeit eines Menschen zutreffend einschätzen will. Behinderungen. Körperliche B ehinderungen müssen nicht ins Auge stechen und k önnen trotzdem z. B. eine b estimmte Arb eit v erbieten. H ier kommt es auf die angemessene Planung, Vorbereitung und Durchführung von psychologischen Gesprächen a n, w enn ma n wic htige B ehinderungen nicht ungerechtfertigterweise übergehen will. Chronische Krankheiten. Neben akuten Krankheiten sind vor allem chronische Krankheiten bei vielen Fragestellungen un bedingt zu b erücksichtigen, wenn ma n die L age eines M enschen a ngemessen einschätzen will . K rankheiten, a ber a uch U nfallverletzungen können defekt abgeheilt sein. Hieraus können b esondere L ebensumstände r esultieren, welche die Betroffenen häufig als selbstverständlich und nicht mehr besonders erwähnenswert erleben. Übersieht man dies a ber, so können massive Fehleinschätzungen im Gutachten die Folge sein. Abhängigkeitserkrankungen. Körperliche A bhängigkeit von Drogen, vor allem legalen wie Alkohol, ist hä ufig lä ngst g egeben, b evor es den Betroffenen b ewusst wir d. Die A bhängigkeit v on Drogen wird oft s ehr lange und g eschickt verborgen, hä ufig mi t H ilfe der nahen V erwandten. Es ist daher nic ht da mit zu r echnen, dass eine Dr ogenabhängigkeit »s chon v on s elbst« währ end der Untersuchung a uffallen wir d. H ier hilf t n ur eine gezielte Vorbereitung der Untersuchungen.
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4.4 · Kognitive Variablen
Besonderheiten. Besonderheiten, wie eine v on den Anf orderungen st ark a bweichende K örpergröße, können unmittelbar ins Auge fallen. Andere wiederum können nur b ei einer s orgfältigen Vorbereitung und Durchführung der psychologischen Untersuchung mi t dem P robanden g emeinsam gefunden w erden. Er st da nn ka nn ma n sie b eim Gesamturteil a ngemessen b erücksichtigen. A uch dabei ersetzen wir in k einem Fall ein notwendiges medizinisches Gutachten, s ondern wir trag en nur die Informationen zus ammen, die o hnehin s chon vorliegen, w eil sie dem P robanden a us ä rztlichen Untersuchungen b ekannt sind o der ga r en tsprechende s chriftliche Äußerungen v on Ärzt en üb er den Probanden vorliegen. 4.4
Kognitive Variablen Definition
I
I
Kognitive Variablen (K) allgemein: Leistungsfähigkeit und Inhalte des Wahrnehmens, Lernens und Denkens, z. B.: ▬ allgemeine Intelligenz, ▬ I ntelligenzstruktur, ▬ Konz entration, ▬ Gedächtnis , ▬ K reativität, ▬ künstlerische Begabungen, ▬ Arbeitsstil , ▬ Gewissenhaf tigkeit, ▬ Kulturtechniken: Schreiben, Lesen, Grundrechenarten, ▬ Kenntnisse in: Sprachen, EDV, Maschineschreiben, Stenografie, ▬ F achkenntnisse.
Unter K ognition wir d in der P sychologie der g esamte Bereich geistiger Leistungen oder der Informationsverarbeitung zus ammengefasst. K ognitive Variablen sind demnac h M erkmale der g eistigen Leistungsfähigkeit. Informationen müssen wahrgenommen, gelernt, behalten und durch das Denken weiterverarbeitet werden können, wenn sich Menschen wirk ungsvoll mi t ihr er W elt a useinandersetzen sollen. Dabei unterscheiden sich Menschen nicht n ur hin sichtlich der I nhalte, mi t denen sie
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Kapitel 4 · Auswahl von Variablen
sich b eschäftigen, s ondern auch in der L eistungsfähigkeit, mit der sie dies t un können. Neben sehr bekannten psychologischen Forschungsgegenständen wie I ntelligenz sind f ür die b efriedigende B earbeitung vieler F ragestellungen a uch I nformationen üb er sp ezielle K enntnisse eines P robanden erforderlich.
4
Allgemeine Intelligenz und I ntelligenzstruktur. Da die I ntelligenz in un serer Z eit als zen trales Merkmal individuellen Verhaltens gilt, sind bei den meisten Fragestellungen zumindest Informationen über die allgemeine Intelligenz nützlich. Es werden dabei keine differenzierten Aussagen über Stärken und S chwächen g emacht, da ma n da von a usgeht, dass Intelligenz sich in allen B ereichen in etwa in der gleichen Ausprägung wieder zeigen wird. Entsprechend einer a nderen A uffassung v on Intelligenz zeig en sic h b ei vielen M enschen L eistungsstärken und -s chwächen in v erschiedenen Bereichen, die in telligentes H andeln er fordern. J e nach F ragestellung ka nn es n ützlich s ein, die I ntelligenzstruktur zu er fassen, w enn dif ferenzierte Aussagen in dies em B ereich erforderlich sind. B ei einigen I ntelligenztests w erden b eide K onzeptionen mi teinander v erknüpft: D er M ittelwert v on Leistungen in U ntertests ist do rt als W ert f ür die allgemeine I ntelligenz def iniert (G uthke 1996). Intelligenz ist der in sgesamt b este P rädiktor v on Ausbildungsergebnissen und b eruflichen L eistungen (z. B. S chmidt-Atzert et al . 2004; H ülsheger et al . 2006). Aller dings s ollte ma n b eachten, dass bei T ätigkeiten, die eine d urchschnittliche I ntelligenz v erlangen, üb erdurchschnittlich in telligente Personen a uf D auer s chlechtere L eistungen b ringen k önnen, w eil sie sic h b ei dies en T ätigkeiten langweilen und sie dies e als keine für sie pass ende Herausforderung erleben. Konzentration und Gedächtnisleistungen. Konzentration ist eine Grundlage für praktisch jede anspruchsvolle geistige Arb eit. D abei können bisher übliche Konzentrationstests naturgemäß nur üb er bestimmte A spekte dies es K onstrukts A uskunft geben. Die K onzentrationsleistung eines I ndividuums lässt sic h demnach nicht vollständig durch Konzentrationstestwerte b eschreiben (W esthoff 1995; Westhoff u . H agemeister 2005). M it ihnen
kann zuverlässig gemessen werden, wie s chnell jemand intellektuell anspruchslose Aufgaben richtig bearbeiten kann. Gedächtnisleistungen sind eine no twendige Voraussetzung fast aller k ognitiven L eistungen. Dabei gib t es nic ht n ur gr oße U nterschiede zwischen v erschiedenen M enschen hin sichtlich ihr er Gedächtnisleistungen, sondern der Einzelne behält auch I nhalte v erschiedener B ereiche un terschiedlich gut. Kreativität und künstlerische Begabung. In manchen B ereichen sind b esonders kr eative Menschen gefragt, so z. B. im Bereich technischer Erfindungen. Leider lassen sich bis heute, außer bei Menschen, die bereits en tsprechende kr eative L eistungen erb racht haben, kaum zuverlässige und gültige Informationen über die Kreativität eines Menschen erheben. Schuler et al. (1995) konnten in einer gr oßen Studie den Nutzen psychologischer Diagnostik in der Personalauswahl von Wissenschaftlern und I ngenieuren für die Forschung und Entwicklung überzeugend nachweisen. Sie haben dabei, genau wie wir vorschlagen, alle Informationsquellen, die Auskunft über die Kreativität der Auszuwählenden geben, nach expliziten Regeln kombiniert. Dies ist ein üb erzeugendes Beispiel für eine m ultimethodale Diagnostik, die a uch bei fehlenden »guten« Kreativitätstests nachweislich großen Nutzen produzieren kann. Künstlerische B egabungen k önnen b ei vielen Fragestellungen eine Ro lle sp ielen, nic ht n ur b ei Berufswahlen. Für viele Menschen stellt künstlerisches Arb eiten einen wic htigen Teil ihrer Persönlichkeitsentfaltung dar. Arbeitsstil. Von ga nz en tscheidender B edeutung für L eistungen in S chule, Ausbildung, B eruf o der Freizeit ist der p ersönliche Arb eitsstil. D amit ist die g ewohnheitsmäßige Ar t zu a rbeiten g emeint. Man fasst hier unter eine Reihe s ehr verschiedener Aspekte des p ersönlichen Arb eitens zus ammen. Eine einhei tliche A uffassung da rüber, w elche A spekte hierzu a uf jeden F all g ehören, existier t b is heute nicht. Westhoff et al . (1995) st ellen hier Diagnoseinstrumente zur Op timierung von Arbeitsverhalten, Arb eitsbedingungen und Or ganisation zur Verfügung, die auf beliebige Arbeitssituationen angepasst werden können.
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4.5 · Emotionale Variablen
Gewissenhaftigkeit. Das zu den s og. Big Five gehörende P ersönlichkeitsmerkmal Gewi ssenhaftigkeit mit seinen Facetten Beharrlichkeit, besonnene Arbeitsweise, Or dentlichkeit, Z uverlässigkeit, I mpulskontrolle, L eistungsbereitschaft, P flichtbewusstsein, Reg elbewusstsein und S elbstdisziplin repräsentiert eine Reihe von Aspekten des Arbeitsstils, jedoch nicht alle. Gewissenhaftigkeit hat sich neben der emo tionalen S tabilität als d urchgängig f ür die V orhersage b eruflicher L eistungen als brauchbar erwiesen (Borkenau et al. 2005).
Schreiben, L esen und Grundr echenarten. Bei vielen F ragestellungen g eht es in der P raxis u . a. darum, festzustellen, wie gu t jemand die s og. Kulturtechniken des L esens und S chreibens und die Grundrechenarten b eherrscht, sind sie do ch in unserer Kultur die V oraussetzung f ür die meist en Tätigkeiten. Besondere K enntnisse. Ausgesprochen hilf reich ist es b ei vielen F ragestellungen, wenn man Informationen üb er die b esonderen K enntnisse eines Menschen ha t. D abei er weisen sic h neb en F achkenntnissen z. B. S prach- und ED V-Kenntnisse häufig als sehr nützlich für die Vorhersage zukünftiger Leistungen in b estimmten Berufen. Daneben gibt es a ber a uch w eniger v erbreitete K enntnisse, die man bei bestimmten Fragestellungen nicht vergessen s ollte zu erheb en. Of t sind sie v on allen bisher an der Lösung eines individuellen Problems beteiligten Personen übersehen worden, obwohl sie zur Lösung benutzt werden können. 4.5
Emotionale Variablen Definition
I
I
Emotionale Variablen (E), z. B.: ▬ emotionale Belastbarkeit, ▬ Umgang mit Belastungen, ▬ Verhalten bei Frustrationen, ▬ Umgang mit Gefühlen, ▬ relativ überdauernde Gefühle, z. B. der Liebe, Schuld, Angst, Minderwertigkeit, ▬ emotionale Bindungen.
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Jedes Verhalten wir d v on G efühlen mi tbestimmt, begleitet und g efärbt. En tsprechend wic htig sind daher f ür die Erk lärung und V orhersage indi viduellen Verhaltens Informationen über die je weils wichtigen G efühle. S ehr o ft wir d dies er B ereich, völlig zu U nrecht wie wir meinen, ein geengt a uf den häufig wichtigen Aspekt der emo tionalen B elastbarkeit. Emotionale Belastbark eit. Neurotizismus, der
Gegenpol der emo tionalen B elastbarkeit o der emotionalen S tabilität, b ezeichnet die g efühlsmäßige Em pfindlichkeit eines M enschen. Ein ho her Neurotizismuswert b edeutet nic ht, dass jema nd neurotisch ist, er ist n ur em pfindlicher. I n vielen Bereichen des L ebens ka nn ein etwas »dic keres Fell« nicht nur sehr bequem, sondern sogar unbedingt erforderlich sein. In anderen Bereichen sind zartbesaitete Menschen glücklich, »robuste« fühlen sich hier jedo ch fehl am Platz. Von der emo tionalen B elastbarkeit, die in ho hem M aße g enetisch festgelegt ist, ist der U mgang mit B elastungen abzugrenzen, der im L aufe des L ebens erler nt wir d. Emotionale S tabilität lässt sic h d urch die f olgenden F acetten k ennzeichnen: S elbstsicherheit, B eherrschtheit, W ohlbefinden, g eringe Än stlichkeit und g eringe N eigung zu D epressivität. D as P ersönlichkeitmerkmal emotionale Stabilität ist neben dem der G ewissenhaftigkeit eins der B ig Five, das durchgängig als ein b rauchbarer P rädiktor v on Ausbildungsergebnissen und b eruflichen L eistungen erwiesen hat (Borkenau et al. 2005). Umgang mit Belastungen. Belastungen w erden individuell sehr verschieden verarbeitet. Dabei gibt es kurzfristig mehr o der weniger wirks ame Ar ten der Bewältigung von Belastungen; langfristig können s olche B ewältigungsstrategien f ür die B etroffenen zu mehr o der w eniger er wünschten F olgen führen. Die Ar t, wie jema nd mit seinen B elastungen umgeht, kann z. B. über seine Gesundheit oder Krankheit mitbestimmen. Umgang mit Frustrationen. Wird ein Individuum daran g ehindert, ein Z iel zu er reichen, s o f ühlt es sic h f rustriert. Eine s olche F rustration ka nn zu mehr o der w eniger sinn vollem Verhalten f ühren. Von besonderer Bedeutung für die Erk lärung
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Kapitel 4 · Auswahl von Variablen
und Vorhersage v on Verhalten sind i .d.R. S erien von g leichen F rustrationen und die Ar t, wie ein Mensch hiermit fertig wird.
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Umgang mit Gefühlen. In vielen B ereichen kann auch im All tag b eobachtet w erden, dass es f ür Menschen entscheidend ist, wie sie mi t ihren G efühlen um gehen. M an ka nn a uch f ragen: Welche Gefühle erleben Menschen in welchen Situationen, was da von g estehen sie sic h s elbst ein, und was folgt daraus für ihr Verhalten? Relativ üb erdauernde G efühle b ewirken a uch immer wieder s ehr ähnliche Verhaltensmuster. Es lohnt sich daher für die Erklärung und Vorhersage von Verhalten, solche überdauernden Gefühle, z. B. der L iebe, S chuld, An gst o der M inderwertigkeit, zu berücksichtigen und hierzu mög lichst konkrete Informationen zu erheben. Emotionale Bindungen. Emotionale B indungen von M enschen a n a ndere b estimmen gr undlegend ihr Verhalten mit, sie sind da mit von großer motivationaler B edeutung (S pangler u . Z immermann 1995). Man könnte sie auch in den nächsten Bereich, den der motivationalen Variablen, einordnen. 4.6
Motivationale Variablen Definition
I
I
Motivationale Variablen (M), z. B.: ▬ Motive, z. B. Leistungsmotiv, Machtmotiv, ▬ I nteressen, ▬ W erte oder Wertvorstellungen, ▬ Ziele , ▬ Über zeugungen, ▬ Er wartungen, ▬ Entscheidungsv erhalten, ▬ Aktivität, ▬ Ex traversion.
Sieht ma n »die« M otivation als die v erhaltensbestimmende B edingung s chlechthin a n, s o er klärt das no ch nichts. Nur bestimmte Aspekte der Motivation bzw. motivationale Konstrukte können erfasst und f ür die V orhersage indi viduellen Verhaltens genutzt werden.
Motive und Interessen. Die Forschungen zur Motivation b eschäftigten sic h s ehr st ark mi t einzelnen M otiven wie dem L eistungsmotiv o der dem Machtmotiv. I nteressen sind eb enfalls ha ndlungsleitende Konstrukte und da mit für die Vorhersage individuellen V erhaltens v on gr oßer B edeutung. Interessen k önnen mi t dem zu erk lärenden o der vorherzusagenden Verhalten übereinstimmen, ihm entgegen oder eine ausgleichende und da mit indirekt förderliche Wirkung haben. Wertvorstellungen. Von zentraler B edeutung für die S teuerung indi viduellen V erhaltens sind die Werte oder Wertvorstellungen eines I ndividuums. Hierüber können Menschen im G espräch spontan häufig n ur unzur eichend A uskunft g eben. V iele Werte w erden nä mlich er st da nn als s olche b ewusst, wenn man sie als b edroht oder gar verloren erlebt. Z um T eil lass en sic h indi viduelle W erte an den in einem L eben immer wiederk ehrenden »Themen« (Tho mae 1988) erk ennen. S taufenbiel u. Borg (1989) k onnten zeigen, dass die Er fassung von facet tentheoretisch def inierten W erten mi t Hilfe von Inventaren zu gut replizierbaren Grundmustern in verschiedenen Stichproben führt. Ziele. Die s og. H andlungstheorie ha t etwas in s Zentrum der A ufmerksamkeit gerückt, was in der Motivationspsychologie s chon la nge als ha ndlungsleitend beschrieben wurde: die Ziele des Individuums. Dabei sind nic ht nur die Ob erziele oder Lebensziele, s ondern a uch die da mit v erknüpften konkreteren Ziele in b estimmten Lebensbereichen zu b erücksichtigen. Aber auch hier gil t Ähnliches wie b ei den W erten: V iele M enschen sind sic h über ihr e Z iele nic ht im K laren. H äufig k ommen sie g erade deshalb zur psy chologischen B eratung. Geplante und einf ühlsame G espräche sind hier häufig der einzige Weg zu einer Diagnose, die dem Ratsuchenden weiterhilft. Überzeugungen. Überzeugungen sind b esonders feste Ansichten. S ie b eziehen sic h auf die eig enen Ziele und N ormen, denen ma n sic h v erpflichtet fühlt, a uf das eig ene S elbst und a uf b esondere Merkmale der diagno stisch r elevanten S ituation. Solche Üb erzeugungen ha ben sic h als s ehr gu te Prädiktoren indi viduellen V erhaltens er wiesen
(z. B. K reitler u . K reitler 1976, 1982; W esthoff u . Halbach-Suarez 1989). Erwartungen. Die F rage nac h der M otivation taucht in der psy chologischen Diagnostik zumeist dann a uf, w enn M enschen v or En tscheidungen stehen. S teht ein I ndividuum v or einer wic htigen und s chwierigen En tscheidung, s o b ildet es i .d.R. Erwartungen aus. Es st ellt sic h v or, w elche Er eignisse mi t jeder Al ternative v erbunden s ein k önnen. S chließlich v erarbeitet es s eine Er wartungen und deren Bewertungen zu einem En tschluss und setzt diesen in die T at um, w enn die no twendigen Bedingungen hierfür gegeben sind. Kennt man die Erwartungen eines M enschen, s o ka nn ma n nac h dem s ehr einfac hen Z ählermodell der b ewerteten Erwartungen (W esthoff 1985) s einen En tschluss und a uch das, was er in dess en F olge t un wir d, recht gut vorhersagen. Entscheidungsverhalten. Für eine zu treffende Verhaltensvorhersage ist es wic htig, neb en den Überzeugungen und Er wartungen v on sic h en tscheidenden M enschen ihr k onkretes V erhalten im b isherigen En tscheidungsverlauf zu k ennen. Dabei wir d deu tlich, wie jema nd b isher b ei der Entscheidung v orgegangen ist, ob er alle Al ternativen b erücksichtigt ha t, w elche I nformationen er wo ein geholt, und wie er dies e w eiterverarbeitet hat und nac h w elcher En tscheidungsregel er sic h entscheiden will. Man kann dabei erkennen, ob jemand so vorgegangen ist, dass er zu seiner eigenen späteren Zufriedenheit entscheiden kann, oder ob er in »F allen« geraten ist, die ihn zu En tscheidungen bringen, die ihm später leid tun können (Janis u. Mann 1977). Aktivität. Die Ak tivität eines M enschen wur de früher in der P sychologie a uch An trieb g enannt. Sie s cheint b ei g esunden Menschen üb er das L eben hin weg r elativ g leichbleibend a usgeprägt zu sein. Z ugleich gib t es gr oße U nterschiede zwischen M enschen in ihr em Ak tivitätsniveau, d . h. darin, wie ak tiv sie sind . D amit ist sie b ei vielen Fragestellungen eine n ützliche V ariable f ür die Vorhersage indi viduellen Verhaltens. S ie ist eine Facette des b reiten P ersönlichkeitsmerkmals Extraversion.
4
31
4.7 · Soziale Variablen
Extraversion. Extravertierte M enschen lieb en die Betriebsamkeit, die Abwechslung und kennen viele Leute. D as Persönlichkeitsmerkmal Extraversiohn gehört zu den s og. B ig Fi ve und b esteht a us F acetten, die a ußer b ei extrem Extravertierten nicht notwendig immer gleich hoch ausgeprägt sind. Für Vorhersagen ist daher eher die A usprägung dieser Facetten von Interesse (vgl. z. B. Bartussek 2000). 4.7
Soziale Variablen Definition
I
I
Soziale Variablen (S), z. B.: ▬ soziale Intelligenz bzw. Kompetenzen, ▬ Einst ellungen, Erwartungen, Vorurteile, Stereotype, ▬ Normen, ▬ Pflicht en, Verpflichtungen, ▬ Einflüsse von »bedeutsamen Anderen«.
Menschen k önnen immer n ur innerhalb s ozialer Verbände leben. Diese bestimmen ihr Verhalten in ganz erheblichem Maß, doch nicht ausschließlich. Eine psychologische Diagnose nur auf die sozialen Beziehungen v on M enschen zu b eschränken, ist daher una ngemessen, en thalten do ch die b isher schon g eschilderten f ünf G ruppen v on Variablen ebenfalls wichtige Bedingungen individuellen Verhaltens. Soziale Intelligenz. Die Idee von der sozialen Intelligenz ist zwar in der psychologischen Wissenschaft wie a uch im All tag al t und w eit v erbreitet, do ch fehlt es b is heute an praktischen Definitionen und brauchbaren M essinstrumenten. Eine T eillösung für die P raxis sehen wir da rin, von sozialen Kompetenzen zu sp rechen. H ierbei wir d deu tlich, dass man immer er st def inieren m uss, w elche s oziale Kompetenz man meint, und sich dann zu überlegen hat, wie ma n dies e mög lichst ob jektiv, zu verlässig und gültig in ihrer Ausprägung erfassen kann. Setzt ma n z. B. s oziale K ompetenz g leich mi t »Umgang mi t a nderen«, s o st ellt sic h s ofort die Frage, w er dies e a nderen sind: M itarbeiter, Kollegen, V orgesetzte, K unden, V erhandlungspartner, Kinder, Jugendliche, Alte o der Kranke. Damit b e-
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Kapitel 4 · Auswahl von Variablen
ginnt die un bedingt er forderliche D efinition dessen, was s oziale K ompetenz s ein ka nn o der s oll; explizite Pla nungen zur Erheb ung der en tsprechenden Informationen müssen sich anschließen.
4
Einstellungen und Er wartungen. Ein wic htiger Bereich s ozialpsychologischer F orschungen b eschäftigt sich mit Einstellungen gegenüber sozialen Gegenständen: P ersonen, I nstitutionen, V erhaltensweisen. Die w eiter ob en s chon b esprochenen Erwartungen kann man als U ntermenge von Einstellungen ansehen. Zu den Ein stellungen w erden vielfach a uch V orurteile und S tereotype g ezählt. Einstellungen st euern im All tag das indi viduelle Verhalten fortwährend mit, sodass sich immer die Frage stellt, in welcher Weise man sie berücksichtigen muss, um mög lichst gute Verhaltensvorhersagen zu erzielen. Normen. Bei den Üb erzeugungen ha ben wir g ezeigt, dass ein Teil unserer Überzeugungen sich auf die s ozialen N ormen und Reg eln b ezieht, denen sich Menschen verpflichtet fühlen. Man kann also, wieder einmal , eine psy chologische V ariable mi t guten G ründen zw ei v erschiedenen G ruppen v on Variablen nac h un serer V erhaltensgleichung zuordnen. Dabei ist w eniger diese Zuordnung wichtig als vielmehr , dass ma n eine wic htige Variable überhaupt berücksichtigt. Verpflichtungen. Subjektiv als verbindlich erlebte Pflichten oder Verpflichtungen können das individuelle Verhalten im Alltag erkennbar beeinflussen. Es bedeutet daher, wichtige Informationen zu v erschenken, wenn man diese Variable bei bestimmten Fragestellungen nicht ausdrücklich berücksichtigt. Bedeutsame ander e P ersonen. Unter dem B egriff »b edeutsame Ander e« v erstehen wir nic ht nur Familienmitglieder und Freunde, sondern alle, die das Individuum für sich als wichtig erlebt. Das können Leute im Verein genauso gut sein wie der Pfarrer oder die Kollegin oder andere sonst, deren Meinung o der Vorbild v on B edeutung sind . D en Einfluss und die B edeutung dies er b edeutsamen Anderen ka nn ma n w ohl b ei ka um einer F ragestellung a ußer A cht lass en, w enn ma n Verhalten möglichst gut erklären und vorhersagen will.
4.8
Drei Klassen von Informationen für die Erklärung und Vorhersage individuellen Verhaltens Definition
I
I
Drei Klassen von Informationen für die Erklärung und Vorhersage individuellen Verhaltens: ▬ P ersönlichkeitsmerkmale, ▬ Situationsmerk male, ▬ lernpsy chologische Informationen. ▬ Aber: nicht alle sind bei jeder F ragestellung wichtig!
Persönlichkeitsmerkmale. Die mi tunter in der Literatur »tradi tionell« g enannte psy chologische Diagnostik verwendet zur Erk lärung und Vorhersage individuellen Verhaltens ausschließlich Informationen üb er die A usprägung b estimmter – als zeitlich und si tuationsunabhängig st abil b etrachtete – Persönlichkeitsmerkmale von Probanden. Situationsmerkmale. Nun wird nicht nur aus dem Alltag, sondern auch aus der psychologischen Literatur deutlich, dass neb en Merkmalen der P erson auch Merkmale der Situation individuelles Verhalten mitbestimmen. Als B eispiele s eien hier L ärm, Belastungen der A temluft, Z eitverschiebungen, Schichtarbeit, S chlafmangel g enannt. S olche und andere wic htige si tuative B edingungen m üssen also un bedingt b eachtet w erden, w enn Verhalten zutreffend erklärt und vorhergesagt werden soll. Lernpsychologische I nformationen. Nach ler ntheoretischer G rundauffassung wird nahezu jedes menschliche V erhalten g elernt o der do ch d urch Lernen beeinflusst: Verhalten verändert sich, wenn wir die B edingungen o der die S ituationen, die es auslösen, verändern. Auch die K onsequenzen, die eine b estimmte V erhaltensweise ha t, b estimmen mit, ob dies es Verhalten in Z ukunft häufiger oder seltener a uftritt, d . h. a ufrechterhalten wir d o der »verschwindet«. W ird V erhalten d urch eine a ngenehme F olge (p ositive V erstärkung) o der das Entfallen v on etwas U nangenehmem (nega tive Verstärkung) b elohnt, s o erhö ht sic h die A uftretenswahrscheinlichkeit f ür dies es Verhalten. Eine unangenehme Folge eines Verhaltens (Bestrafung)
4.9 · Kriterien für die Auswahl von Variablen
senkt die A uftretenswahrscheinlichkeit f ür dies es Verhalten. D abei ist die rä umlich-zeitliche N ähe (Kontigenz) zwischen dem Verhalten und Verstärkung o der B estrafung s owie die K onsistenz v on deren A uftreten v on en tscheidender B edeutung für die Beeinflussung von Verhalten. Um Verhalten im Einzelfall ler npsychologisch zu erk lären, m üssen wir als o dies e B edingungen f ür das g ehäufte Auftreten einer Verhaltensweise finden. Bei vielen psychologisch-diagnostischen F ragestellungen ist dies die Z ugangsweise der W ahl, hilf t do ch b ei vielen P roblemen die K enntnis der A usprägung von Persönlichkeitsmerkmalen allein nic ht weiter. Gerade die L ernpsychologie ha t eine Reihe p raktisch ä ußerst wic htiger G esetze des indi viduellen Verhaltens b eschrieben. S ie nic ht zu n utzen, b edeutet, bestimmte Fragestellungen praktisch unzureichend zu bearbeiten. Die hier v orgestellten Variablen und Z ugänge zu psy chologisch-diagnostischen F ragestellungen haben B eispielcharakter: B ei un terschiedlichen Fragestellungen sind dies e (und a ndere) Variablen unterschiedlich wichtig. Nicht bei jeder psy chologisch-diagnostischen F ragestellung sind zu allen genannten – und w eiteren – M erkmalen Informationen einzuho len. D er Diagnostik er m uss daher immer en tscheiden, w elche Variablen f ür die B eantwortung der je weiligen F ragestellung no twendig und nützlich sind. 4.9
Kriterien für die Auswahl von Variablen Definition
I
I
Kriterien für die Auswahl von Variablen 1. Art und Stärke des Zusammenhangs zwischen der Variablen und dem vorherzusagenden Verhalten müssen reproduzierbar sein. 2. Die Stärke dieses Zusammenhangs muss »praktisch bedeutsam« sein.
Auswahl v on Variablen. Bei jeder F ragestellung überlegen wir un s, welche von den V ariablen, die wir bei einer b estimmten Fragestellung für möglicherweise wic htig a nsehen, wie viel zur Erk lärung
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4
und V orhersage des V erhaltens b eitragen ka nn. Das heißt, im er sten S chritt lass en wir un s, in Anlehnung an Kreativitätstechniken wie Brainstorming, alle die Variablen einfallen und notieren alle diejenigen, die wir b ei der F ragestellung als möglicherweise wichtig ansehen. Wenn wir dies e Liste möglicher Variablen nach unserem besten Wissen vervollständigt ha ben, wählen wir die n ützlichen Variablen aus. »Praktische Bedeutsamkeit«. Als nützliche Variablen f ür die Erk lärung und V orhersage (P rädiktoren) sehen wir solche an, die einen »b emerkenswerten« Beitrag zur Erklärung oder Vorhersage des interessierenden V erhaltens leist en k önnen. W ir müssen dazu den em pirisch er mittelten Z usammenhang zwis chen dies er Variablen und dem in Frage st ehenden V erhalten k ennen. W eiter ob en haben wir g ezeigt, dass als Ar ten von Zusammenhängen in der P sychologie mo notone, mi t dem Spezialfall line are s owie k urvilineare Z usammenhänge in F rage kommen. D abei müssen wir nic ht nur wiss en, ob dies er Z usammenhang üb erzufällig (signif ikant) ist, s ondern a uch, wie st ark der Zusammenhang ist. Die S tärke eines Z usammenhangs wir d nic ht mi t einem S ignifikanztest g eprüft oder nachgewiesen, sondern durch Maße der »praktischen Bedeutsamkeit« (Bredenkamp 1972). Die b ekanntesten B eispiele da für sind der q uadrierte Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient (= Determinationskoeffizient), Omega-Quadra t und Eta-Quadrat. Reproduzierbarkeit des Z usammenhangs. Wir wählen Prädiktoren nicht nur nach der S tärke des Zusammenhangs zwischen Variable und dem interessierenden Verhalten aus, sondern auch danach, wie konsistent und wie hä ufig in wie viel verschiedenen K ontexten dies er Z usammenhang wieder gefunden w orden ist, d . h. wie r eproduzierbar er insgesamt ist. W ir b eurteilen einen Z usammenhang als um so r eproduzierbarer, je hä ufiger er in derselben Art, in v ergleichbarer Höhe in v erschiedenen p raktisch r elevanten K ontexten em pirisch festgestellt wurde.
5
Psychologische Fragen (= Hypothesen) 5.1
Funktion Psychologischer Fragen – 36
5.2
Erarbeiten Psychologischer Fragen
5.3
Formulieren Psychologischer Fragen
5.4
Anzahl Psychologischer Fragen – 38
– 36 – 37
36
Kapitel 5 · Psychologische Fragen (= Hypothesen)
5.1
Funktion Psychologischer Fragen Definition
5
I
I
Funktion Psychologischer Fragen im Gutachten: 1. Sie steuern und gliedern – die Planung des diagnostischen Vorgehens und – die Beantwortung der Fragestellung im Befund. 2. Sie dienen der Transparenz und Prüfbarkeit der Begutachtung.
Ein psy chologisches G utachten ist ein (s chriftlicher) Bericht über eine wissenschaftliche Untersuchung eines Verhaltensausschnitts eines oder mehrerer Menschen. Bei empirisch wissenschaftlichem Arbeiten stehen formulierte Z iele am Anfang, b ei Gutachten sind dies die Fragestellung(en) des Auftraggebers. Dies e Z iele er geben in K ombination mit dem Fachwissen bei der empirischen Arbeit die begründeten Hypothesen. Unter einer Hypothese versteht man eine prüfbare Aussage üb er den Z usammenhang zwis chen zwei o der mehr V ariablen. S ie ka nn sic h b ei der empirischen Prüfung als richtig oder falsch herausstellen. In beiden Fällen erweitert sich dadurch das empirisch geprüfte Wissen. Entsprechend der psy chologisch-diagnostischen F ragestellung ka nn ma n, wie w eiter ob en beschrieben, Variablen a uswählen, die das in der Fragestellung a ngesprochene V erhalten erk lären oder v orhersagen helf en k önnen. W issenschaftlich g esehen b edeutet dies, dass ma n Hypothesen formuliert. Da psychologische Gutachten i.d.R. für Nichtpsychologen g eschrieben w erden, f ormulieren wir k eine H ypothesen, s ondern »P sychologische Fragen«, w eil dies allg emein b esser v erstanden wird. Damit alle L eser un serer G utachten die H erleitungen nac hvollziehen k önnen, üb ersetzen wir die F ragestellung a nhand g eeigneter Variablen in Psychologische F ragen. U m dies e, und da mit die Fragestellung, beantworten zu k önnen, planen wir dann die no twendigen Untersuchungen und f üh-
ren sie durch. Wir werten die erhobenen Informationen aus und st ellen diese als Er gebnisse im Er gebnisteil des Gutachtens dar, und zwar nach Verfahren g eordnet. I m B efund k ombinieren wir die Ergebnisse zur B eantwortung der Psychologischen Fragen und beantworten damit die psychologischdiagnostische Fragestellung. 5.2
Erarbeiten Psychologischer Fragen Merke
I
I
Wie kommen wir zu Psychologischen Fragen? Aus dem Fachwissen, der Berufs- und Alltagserfahrung benennen wir Variablen, die das angesprochene Verhalten erklären oder vorhersagen helfen. Suchhilfen: ▬ V erhaltensgleichung, ▬ List en möglicher Variablen, ▬ drei Informationsklassen zur Erklärung und Vorhersage von Verhalten.
Weiter ob en ha ben wir b eschrieben, dass wir zur Bearbeitung einer F ragestellung F achwissen, a ber auch B erufs- und All tagserfahrung in k ontrollierter und kontrollierbarer Form einsetzen. Wir wählen dazu Variablen aus unserem Wissen gemäß den oben erläuterten Kriterien aus. Da die f reie Rep roduktion v on W issen, hier über mögliche relevante Variablen, immer schwieriger ist als das W iedererkennen, b enutzen wir systematische H ilfen b ei der S uche nac h dies en Variablen. Die von uns vorgeschlagene Verhaltensgleichung hilft, keinen wichtigen B ereich gänzlich zu übersehen. Die L isten möglicher relevanter Variablen b ilden da nn det aillierte S uchstrukturen. Dabei k ommen b ei un terschiedlichen F ragestellungen o der sic h er weiterndem W issen w eitere Variablen in B etracht. Weiter können die v on uns beschriebenen dr ei K lassen v on I nformationen zur Erklärung und Vorhersage von Verhalten (vgl. Abschn. 4.8) dazu dienen, ein psy chologisches Gutachten persönlichkeitstheoretisch nicht einseitig zu beginnen.
5.3 · Formulieren Psychologischer Fragen
5.3
Formulieren Psychologischer Fragen Formulieren Psychologischer Fragen 1. Die Auswahl einer Variablen – bei den psychologischen Variablen ein psychologisches Konstrukt oder Konzept – wird für Nichtpsychologen kurz und allgemeinverständlich mit einer Gesetzmäßigkeit oder Regelhaftigkeit im Verhalten begründet. 2. Dabei stellt diese Begründung einen eindeutigen Bezug zur Fragestellung her. 3. Danach folgt die Psychologische Frage, aus der hervorgeht, welche Informationen erhoben werden sollen. 4. Bei qualitativen psychologischen Variablen wird nach deren qualitativer Ausprägung gefragt. 5. Bei quantitativen psychologischen Variablen wird nach deren quantitativer Ausprägung gefragt.
An die F ragestellung anknüpfend erklären wir f ür jede Psychologische Frage in maximal dr ei kurzen Sätzen, zu w elchen V ariablen wir I nformationen brauchen. Diese Erklärung ist in jedem F all allgemeinverständlich und kn üpft a n das psy chologische W issen v on N ichtpsychologen a n. L eser der Gutachten können so nachvollziehen, wie die F ragestellungen in b egründete Psychologische Fragen aufgelöst werden. Nach dies er erk lärenden B egründung f ür die ausgewählte Variable folgt dann die F rage, auf die durch die Begutachtung Antworten gefunden werden sollen, um da mit einen Teil der F ragestellung zu b eantworten. D abei m uss die F rage nic ht als Frage, s ondern ka nn a uch als A ufgabenstellung formuliert sein. Der B egründungsteil einer P sychologischen Frage in einem G utachten b esteht als o a us den folgenden dr ei Teilen: (1) dem K riterium, das ist das in der F ragestellung b enannte Verhalten, (2) dem P rädiktor, das ist die zur V orhersage o der Erklärung des K riteriums g enutzte V ariable und (3) der B eziehung zwis chen P rädiktor und K riterium. I m F ragenteil einer P sychologischen F rage
37
5
wird da nn nac h der A usprägung des P rädiktors gefragt oder gesagt, dass dessen Ausprägung erfasst werden soll. Dabei werden weder der erforderliche Ausprägungsgrad g enannt no ch die dazu hera nzuziehenden I nformationsquellen. D er A usprägungsgrad ergibt sich aus dem Anforderungsprofil. Die v erwendeten I nformationsquellen w erden in einem eig enen K apitel des G utachtens, dem U ntersuchungsplan, dargestellt. Dort wird angegeben, aus w elcher I nformationsquelle I nformationen zu welcher Psychologischen Frage gewonnen werden können. W ürde ma n dies e I nformationen a uch noch in die P sychologischen F ragen pac ken, s o würden dies e s ehr la ng und un übersichtlich. Ihr e Vorteile liegen jedoch in der K ürze, Prägnanz und Übersichtlichkeit. Statt Psychologischer Fragen könnten nach den Begründungen auch Hypothesen folgen. Das heißt, es wird dann eine Aussage gemacht über die Ausprägung eines Merkmals und darüber, was dies für das in der F ragestellung angesprochene Verhalten bedeutet. N ach un seren Er fahrungen v erwirren solche wiss enschaftlich k orrekt f ormulierten H ypothesen leic ht die nic htpsychologischen Gutachtenleser. Die F ormulierung a ls F rage oder A ufgabenstellung w ird auf j eden F all r ichtig v erstanden. Deshalb ziehen wir sie vor. Die b eiden ersten B ereiche in un serer Verhaltensgleichung, Umgebungs- und Or ganismusvariablen, enthalten k eine psy chologischen Variablen. Diese sind mit den dann folgenden vier B ereichen angesprochen. In diesen Bereichen sollte man nur Variablen formulieren, die psychologischen Konstrukten entsprechen wie z. B. Intelligenz oder emotionale B elastbarkeit o der sp ezifische K onzepte betreffen wie Rechtschreibkenntnisse oder Beherrschen der Grundrechenarten. Unter einem psy chologischen K onstrukt v erstehen wir mehr ere zusammengehörige Aussagen, die ein G edankengebilde beschreiben. Psychologische Konstrukte sind also nicht in der Wirklichkeit direkt zu b eobachten. I ntelligenz z. B. ka nn ma n bei M enschen nic ht s ehen o der s onst ir gendwie sinnlich wahr nehmen wie ihr e K örper. H at ma n allerdings ein psy chologisches K onstrukt I ntelligenz g ebildet, s o erk ennt ma n im indi viduellen Verhalten Merkmale, die für eine mehr oder weniger hohe Intelligenz sprechen. Auf die Ausprägung
38
5
Kapitel 5 · Psychologische Fragen (= Hypothesen)
von psy chologischen K onstrukten ka nn als o immer nur aus dem individuellen Verhalten geschlossen werden. Wählt ma n b ei der B egutachtung k eine psychologischen K onstrukte o der K onzepte, s ondern Alltagskonzepte, so sind darin immer mehrere psychologische K onstrukte mi teinander v erbunden. Dies f ührt s owohl b ei der A uswertung von Informationen und bei ihrer Darstellung im Ergebnisteil als auch ganz besonders im B efund zu S chwierigkeiten für Gutachter und Leser. Ein solches häufig verwendetes Alltagskonzept ist der s og. s chulische W erdegang. H ierin sind Informationen zu ga nz verschiedenen psychologischen K onstrukten en thalten wie z. B. I ntelligenz, Begabungsschwerpunkte, K onzentration, I nteressen, Leistungsmotivation, Prüfungsangst, Umgang mit a nderen. F ührt ma n die z. B. im G espräch erhobenen Informationen unter dem Punkt »schulischer Werdegang« auf, so fehlen sie b ei den en tsprechenden psychologischen Konstrukten. Bezieht sich eine Psychologische Frage auf eine qualitative Variable wie z. B. Bindung, dann fragen wir en tsprechend dem t heoretischen K onstrukt nach der Quali tät o der Ar t der A usprägung. Die meisten psy chologischen K onstrukte sind q uantitativer Ar t, deshalb f ragen wir b ei einem s olchen nach dem Ausprägungsgrad. 5.4
Anzahl Psychologischer Fragen Merke
I
I
Anzahl Psychologischer Fragen ▬ In der Regel weniger als 20 Psychologische Fragen. ▬ Maximal fünf Psychologische Fragen werden zu einer Gruppe zusammengefasst. ▬ Diese Gruppen können nach den sechs Bereichen der Verhaltensgleichung oder anders psychologisch sinnvoll gebildet werden. Ziel: Gutachten für die Leser so zu gestalten, dass sie diese besser verstehen und leichter behalten können.
Psychologische K onstrukte lass en sic h mehr o der weniger allg emein f ormulieren. F ormuliert ma n
sehr viele v erschiedene P sychologische F ragen zu en g mi teinander v erwandten psy chologischen Konstrukten, so wird ein G utachten dadurch sehr unübersichtlich. Die L eser k önnen sic h das D argestellte nicht gut merken, verlieren die Üb ersicht und k önnen viel w eniger da mit a nfangen, als mi t einem Gutachten, das in nicht zu viele Psychologische Fragen aufgeteilt ist. Nach unseren Erfahrungen liegt i.d.R. die Obergrenze b ei 20 P sychologischen Fragen. Dies e liegt aber n ur da nn s o ho ch, w enn dies e no ch einmal in sinn volle G ruppen zus ammengefasst sind . Wir schlagen dabei vor, nicht mehr als f ünf Psychologische Fragen unter einer Üb erschrift zusammenzufassen. B esser sind Z usammenfassungen v on drei oder vier F ragen. Das können Gutachtenleser unter all täglichen B edingungen üb erschauen und gut b ehalten. Entsprechend s ollte man auch nicht mehr als f ünf o der hö chstens s echs G ruppen v on Psychologischen Fragen bilden. Mehr als diese zwei Gliederungsebenen empfehlen sich nach unseren Erfahrungen nicht, weil sonst die Leser zuviel behalten müssten. Insgesamt wir d als o die Ob ergrenze f ür die G esamtzahl aller P sychologischen F ragen b ei etwa 20 liegen. Als S trukturierungsmöglichkeit f ür die P sychologischen F ragen b ieten sic h die in un serer Verhaltensgleichung zus ammengefassten B ereiche von Variablen an. Daneben kann man jedoch auch andere Glieder ungen wählen, die das V erstehen und B ehalten erleic htern. Wir w erden dies w eiter unten a n der B earbeitung einer B eispielfragestellung zeigen. Bei der Diskussion der Anzahl Psychologischer Fragen haben Anfänger immer wieder S chwierigkeiten, zwei Dinge auseinanderzuhalten: 1. die in den P sychologischen F ragen a ngesprochenen Variablen und 2. die Untersuchungspläne zur Erheb ung der I nformationen, die man zur Beurteilung der Ausprägung dieser Variablen braucht. In Plä nen f ür eine V erhaltensbeobachtung o der ein psychologisches Gespräch müssen immer eine Vielzahl von B edingungen b erücksichtigt werden. Diese werden aber weder bei den Psychologischen Fragen noch an anderer Stelle im Gutachten dargestellt. Solche Pläne gehören zur F einplanung einer
5.4 · Anzahl Psychologischer Fragen
psychologischen U ntersuchung. W ir w erden sie weiter un ten da rstellen. S olche F einpläne erleic htern f ür N ichtpsychologen das V erständnis eines Gutachtens nic ht. S ie s agen n ur f ür en tsprechend Vorgebildete etwas über die Arbeitsweise von Gutachtern a us, im G utachten wür den sie N ichtpsychologen eher stören.
39
5
6
Bearbeiten von Beispielfragestellungen 6.1 F 6.2
ragestellung
Vor Beginn der Untersuchung vorliegende Informationen
6.3 Anf 6.4 P
– 42
orderungsprofil
– 42
– 43
sychologische Fragen
– 44
6.4.1
Gliederung der Psychologischen Fragen nach der Verhaltensgleichung
6.4.2
Psychologische Fragen zu motivationalen Bedingungen
6.4.3
Psychologische Fragen zu intellektuellen Bedingungen
– 44 – 45
6.4.4
Psychologische Fragen zur emotionalen und körperlichen Belastbarkeit
6.4.5
Psychologische Fragen zu sozialen Bedingungen
6.4.6
Alternative Gliederungen der Psychologischen Fragen
6.4.7
Entscheidungsorientierte Hypothesenbildung bei gerichtlichen Fragen zur elterlichen Sorge
– 46
– 44
– 45 – 46
– 45
42
Kapitel 6 · Bearbeiten von Beispielfragestellungen
6.1
Fragestellung Merke
I
6.2
I
Beispielfragestellung zur Eignungsdiagnostik: Ist es zu erwarten, dass die 28-jährige Frau H. ihr Umschulungsziel »Altenpflegerin« erreichen und diesen Beruf später erfolgreich ausüben wird?
6
Mit einer solchen Fragestellung könnten sich in der Praxis ganz verschiedene Auftraggeber an Psychologen w enden: F rau H. s elbst ka nn sic h a n einen Psychologen wenden, daneben könnte es aber auch jemand s ein, der ihr e Ausbildung f inanzieren s oll oder will , w enn g enügend A ussicht a uf Er folg in Umschulung und spä terem B eruf b esteht. H ier wäre z. B. a n eine V ersicherung zu denk en, die dazu verpflichtet ist; die B undesagentur für Arbeit könnte sic h mi t dies er F ragestellung a n ihr e P sychologen w enden, o der ein Ric hter, der in einem Streit zwischen Frau H. und einem möglicherweise zur Zahlung der Ausbildungskosten Verpflichteten zu entscheiden hat, könnte ein Gutachten mit einer solchen F ragestellung in A uftrag g eben. F ür den vorliegenden F all nehmen wir a n, dass F rau H. einen Antrag auf Finanzierung ihrer Umschulung bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt hat. Auftraggeberin des G utachtens s ei als o die B undesagentur für Arbeit. Wir w ollen dies e F ragestellung hier deshalb beispielhaft w eiter v erfolgen, w eil sie neb en den für psy chologische Diagnostik v orauszusetzenden K enntnissen in den G rundlagenfächern der Psychologie K enntnisse der Arb eitspsychologie, der forensischen Psychologie, der pädag ogischen Psychologie und nicht zuletzt auch der klinischen Psychologie v erlangt. Es wir d hiera n deu tlich, dass die psy chologische Diagnostik zug leich ein methodisches und angewandtes Fach der Psychologie ist. Nach p ositiver Entscheidung üb er alle b ei der »Fragestellung« (vg l. Abschn. 3.1) b esprochenen Fragen ha ben wir un s im v orliegenden F all en tschieden, die F ragestellung der A uftraggeberin zu übernehmen. Von den ob en dargestellten Annahmen (vg l. Abschn. 3.2) g ehen wir a uch b ei der Bearbeitung der vorliegenden Fragestellung aus.
Vor Beginn der Untersuchung vorliegende Informationen Mitteilungen der Bundesagentur für Arbeit über Frau H. vor der psychologischen Untersuchung ▬ Ausbildung als »Verkäuferin«, kein Abschluss wegen Geburt des ersten Kindes.
▬ Kinder von 3, 8 und 11 Jahren. ▬ Ehemann arbeitet im Schichtdienst. ▬ Nächste Arbeitsstelle als Altenpflegerin in der 25 km entfernten Nachbarstadt.
▬ Betreuung der Kinder wolle sie sich teilen mit ihrem Mann, ihrer Schwiegermutter, die im Schichtdienst arbeite und ihrer Schwester, die 15 km entfernt wohne.
Die zu un tersuchenden P ersonen w erden in der psychologischen Diagnostik P robandin b zw. P roband, d . h. zu p rüfende, zu b eurteilende P erson genannt. Z u t herapierende P ersonen nenn t ma n in der klinischen Psychologie Klientin bzw. Klient. Da Psychologen keine Ärzte sind, scheiden die Begriffe Patientin und Patient als unangemessen aus. Die B egriffe P roband und P robandin sind a uch nicht g leichzusetzen mi t R atsuchendem und R atsuchender. Häufig sind die R atsuchenden nämlich nicht zugleich die Probanden. Wenn sic h b eispielsweise E ltern w egen der Schulschwierigkeiten eines K indes a n P sychologen w enden, s o sind sie die R atsuchenden und Auftraggeber eines G utachtens, das K ind aber ist Proband, a uch w enn ma n b estimmte Verhaltensausschnitte s einer E ltern eb enfalls un tersuchen wird. I n un serem B eispiel ist F rau H. die P robandin. In der Reg el liegen mit der F ragestellung weitere I nformationen v or, die sic h a uf dies e b eziehen. Welche und wie umfangreiche Informationen vorliegen, ist in der P raxis s ehr v erschieden und hängt in er ster L inie v on den P ersonen a b, w elche die F ragestellung ä ußern. V or dem B eginn der U ntersuchungen v orliegende I nformationen können z. T . g enutzt w erden, um dem A uftraggeber a ußer d urch die w örtlich wieder gegebene Fragestellung die Er innerung zu erleic htern, um
6.3 · Anforderungsprofil
welche Person(en) es geht. Zum Beispiel kann man bei familienrechtlichen Gutachten nach der Fragestellung die Namen, Vornamen und Geburtsdaten der b egutachteten K inder s owie der en A dresse angeben und do rt vermerken, b ei wem sie leb en. Die hä ufig r echt umfa ngreichen I nformationen, die a us Ak ten her vorgehen, w erden un ter psychologischen G esichtspunkten a nalysiert und die Ergebnisse un ter dem Punk t »Ak tenanalyse unter psy chologischen G esichtspunkten« als er ster Gliederungspunkt im Ergebnisteil des Gutachtens vorgestellt. In unserem Beispiel sind die v or der psychologischen Untersuchung üb er die P robandin vorliegenden Informationen spärlich. Zudem ist nicht zu erkennen, woher sie stammen. Es kann also nichts über ihre Objektivität, Zuverlässigkeit und Gültigkeit g esagt w erden; etwas, das in der P raxis, z. B. in Ak ten, a uch hä ufig v orkommt. Dies b edeutet: Alle dies e Vorinformationen ha ben n ur v orläufigen Hinweischarakter, keine kann ungeprüft in das Gutachten übernommen werden. 6.3
Anforderungsprofil Informationsquellen zum Anforderungsprofil »Altenpflegerin« ▬ Blätter zur Berufskunde, ▬ sonstige Unterlagen eines BerufsInformations-Zentrums (BIZ), ▬ Ausbildungs- und Prüfungsordnungen, ▬ A usbildungseinrichtungen, ▬ Anforderungen von umliegenden Altenpflegestätten, ▬ mündliche Auskünfte von Ausbildern, ▬ mündliche Auskünfte von Altenpflegeheimleitern, ▬ mündliche Auskünfte von ausgebildeten bzw. berufstätigen Altenpflegern.
Im v orliegenden Z usammenhang w ollen wir a uf mögliche I nformationsquellen zu Anf orderungsprofilen f ür v erschiedene B erufe hinweisen, nic ht jedoch ein k onkretes Anf orderungsprofil f ür Altenpfleger entwickeln.
43
6
Informationsbedarf. Da es allein r und 450 A usbildungsberufe in der B undesrepublik Deutschland gibt, ist v on niema ndem zu er warten, dass er alle ihre Anforderungen kennt. Es ist als o kein Zeichen mangelhafter Arbeitsweise, wenn wir uns zuerst über die Anforderungen informieren, die in einer Ausbildung o der einem B eruf a n einen P robanden g erichtet werden. Entsprechendes gilt für alle anderen Fragestellungen, die an psychologische Diagnostiker herangetragen w erden k önnen. Persönliche Vorurteile, Stereotype und vages Wissen reichen nicht aus, um darauf eine Begutachtung aufzubauen. Informationsquelle Arbeitsamt . Die I nformationen üb er Anf orderungen sind hä ufig eb enfalls wenig konkret, und oft fragt man sich, was sie b edeuten sollen. Aber alle Kritik hält uns nicht davon ab, un s er st einmal s o gu t wie mög lich zu inf ormieren. B ei der B erufsberatung der Arb eitsämter sind die B lätter zur B erufskunde zu erhal ten, die wichtige Informationen über den je weiligen Beruf enthalten, aber auch Hinweise auf weitere Informationsquellen geben. In zentralen Arbeitsämtern gibt es ein B erufsinformationszentrum (BIZ). Hier kann man neben den B lättern zur B erufskunde w eiteres g edrucktes Informationsmaterial über Berufe finden, auch Audio- und V ideokassetten st ehen do rt zur V erfügung. Ausbildungs- und P rüfungsordnungen. Je nach Beruf v erschieden sind A usbildungs- und P rüfungsordnungen bei den zuständigen Institutionen wie K ammern und V erbänden zu erhal ten. A ber auch die Ausbildungseinrichtungen für die jeweiligen Berufe halten i.d.R. weiterführendes Informationsmaterial bereit. Information v on P ersonalabteilungen. In vielen Einr ichtungen, die P ersonen einer b estimmten Berufsgruppe beschäftigen, gibt es schriftliches Material üb er die Anf orderungen, die a n die en tsprechenden P ersonen g erichtet w erden. A usformulierte Anf orderungsprofile sind f ür die P ersonalabteilungen von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen eine wic htige Arb eitsunterlage. B ei Anfragen kann man auch hier w ertvolle Informationen erhalten.
44
6
Kapitel 6 · Bearbeiten von Beispielfragestellungen
Auskunft v on er fahrenen A usbildern. Damit kommen wir zu einer w eiteren Gruppe von Informationsquellen: die m ündlichen A uskünfte v on Personen, die mi t An gehörigen eines b estimmten Berufs zu t un haben. Ausbilder, Personalfachleute oder er fahrene An gehörige des en tsprechenden Berufs ha ben i .d.R. wic htige I nformationen zu bieten und sind nac h un seren Er fahrungen g ern zu A uskünften b ereit. N atürlich b ekommt ma n dabei ma nche sub jektiv g efärbte I nformation. I n der Summe erhält man jedoch ein w esentlich differenzierteres und zu verlässigeres B ild üb er die Anforderungen, als man ohne diese Informationen jemals entwickeln könnte. 6.4
Psychologische Fragen
6.4.1 Gliederung der Psychologischen
Fragen nach der Verhaltensgleichung
Merke
I
I
Als Standardgliederung für Psychologische Fragen verwenden wir im Gutachten die jeweils angesprochenen Bereiche der Verhaltensgleichung. Die Reihenfolge der Bereiche machen wir von der Fragestellung abhängig.
▬ Die verbleibenden beiden Psychologischen Fragen fass en wir un ter dem Glieder ungspunkt emotionale und körperliche Belastbarkeit für die Leser zusammen. Dabei wird deutlich, dass die Verhaltensgleichung von uns immer nur als Hilfe benutzt wird, nicht aber als ein st arres Schema. Weiter un ten (vg l. Abschn. 6.4.6) st ellen wir eine andere Gliederungsmöglichkeit vor. Bei der Glieder ung nach Verhaltensbereichen fällt weiter a uf, dass k eine P sychologische F rage zu den ä ußeren L ebens- b zw. U mgebungsbedingungen formuliert ist. Dies liegt im B eispielfall daran, dass die A uftraggeberin sic h f ür o der g egen eine Finanzierung der U mschulung v on F rau H. zu entscheiden hatte. Damit entfällt aber die P rüfung der b ei a nderen A uftraggebern sic her r elevanten finanziellen Bedingungen. 6.4.2 Psychologische Fragen zu
motivationalen Bedingungen
1
Psychologische Fragen zu motivationalen Bedingungen (Entscheidungsverhalten; Erwartungen an Umschulung und Beruf; Interessen, Ziele, Wünsche) 1.1 Die Entscheidung für eine Umschulung ist ein wichti-
Zu der B eispielfragestellung ha ben wir in sgesamt zehn Psychologische Fragen formuliert. Da aber zehn Gliederungspunkte ka um zu b ehalten sind , ha ben wir sie in Anlehnung an unsere Verhaltensgleichung gegliedert. Dabei gehen wir nur auf die Bereiche ein, die durch Psychologische Fragen besetzt sind: ▬ Die beiden ersten Psychologischen Fragen fassen wir unter dem Gliederungspunkt motivationale Bedingungen zusammen. ▬ Die Psychologischen Fragen zu intellektuelle Bedingungen beziehen sich auf die allgemeine Intelligenz, den Arbeitsstil und Kenntnisse im Schreiben und in den Grundrechenarten (s. 6.4.3). ▬ Die hier wic htigen A spekte des U mgangs mi t anderen ( Abschn. 3.1) und des S prachverhaltens kann man zusammen mit den praktischen Erfahrungen (s. 6.4.4), die ja p rimär s ozialer Art sind , un ter soziale B edingungen zusammenfassen.
ger Entschluss mit langdauernden Folgen. Realistische Erwartungen und eine angemessene Ar t, sich zu entscheiden, sind Voraussetzungen für spät ere Z ufriedenheit. Daher sollten Frau H.s Erwartungen und ihr Vorgehen bei der Entscheidung untersucht werden. 1.2 Frau H. hat einen Haushalt mit dr ei kleinen Kindern zu versorgen. Wenn sie zusätzlich eine Umschulung machen und später in ihrem neuen Beruf arbeiten will, so stellt sich die F rage, wie sehr dies ihr en I nteressen, ihr en persönlichen Zielen und Wünschen entspricht. Daher sollt en Frau H.s Interessen, Ziele und Wünsche untersucht werden.
An b eiden P sychologischen F ragen fäll t a uf, dass sie s ehr en g mi teinander v erwandte, psy chologische K onstrukte v erbinden. I n der er sten P sychologischen F rage sind dies »Er wartungen« und »Vorgehen bei der En tscheidung«. Man könnte zu jedem eine P sychologische Frage formulieren. Die beiden psy chologischen Konstrukte b eziehen sic h
45
6.4 · Psychologische Fragen
insgesamt auf das Verhalten in der hier wic htigen Entscheidung, deshalb ha ben wir sie hier zus ammengefasst, um die Z ahl der Psychologischen Fragen zu beschränken. In der vorgeschlagenen Form halten wir diese hier für übersichtlicher. In der zw eiten Psychologischen Frage sind s ogar drei psychologische Konstrukte zus ammengefasst: »Interessen«, »Z iele« und »W ünsche«. Auch diese psy chologischen K onstrukte sind s ehr en g miteinander v erwandt: S ie b eziehen sic h a uf das, was Frau H. in ihrem Leben anstrebt.
6
der alten Menschen gegenübergestellt und sind emotio nal damit belastet. Daher sollte bei Frau H. der Grad ihr er emotionalen Belastbarkeit und ihr Umgang mit solchen Belastungen erfasst werden. 3.2 Die Arbeit als Alt enpflegerin ist körperlich of t sehr anstrengend. Es sollt en daher I nformationen dazu erho ben werden, ob F rau H. für den Beruf der Alt enpflegerin hinreichend körperlich belastbar ist. 3.3 Die Arbeit als Alt enpflegerin besteht zum großen Teil im pflegerischen Umgang mit alten Menschen wie Betten machen, Waschen und Umk leiden. Eigene Er fahrungen hiermit müssen dur ch ein Vorpraktikum nachgewiesen werden. Deshalb sollten Informationen über Frau H.s ent-
6.4.3 Psychologische Fragen zu
sprechende Fertigkeiten erhoben werden.
intellektuellen Bedingungen
2
Psychologische Fragen zu intellektuellen Bedingungen (Intelligenz, Arbeitsstil, Schreiben, Rechnen) 2.1 Die A usbildung zur Alt enpflegerin v erlangt, sich in mehrere neue Gebiet e einzuarbeit en und hier
Wissen
und Kenntnisse zu er werben. Wie gut dies gelingt, hängt vom Grad der allgemeinen I ntelligenz ab . Es war daher bei F rau H. die A usprägung der allgemeinen I ntelligenz festzustellen. 2.2 Die Anf orderungen einer Umschulung und die zugleich not wendigen Arbeit en für die F amilie v erlangen eine wirkungsv olle, gew ohnheitsmäßige Arbeitsw eise. Daher sollt e bei F rau H. ihr e gewohnheitsmäßige Ar t zu arbeiten, d. h. ihr Arbeitsstil, beschrieben werden. 2.3 Umschulung und spät erer Beruf v erlangen mindestens durchschnittliche Kenntnisse im Schreiben und mindestens das Beherrschen der Grundr echenarten. Daher sollten bei Frau H. diese Kenntnisse geprüft werden.
6.4.4 Psychologische Fragen zur
emotionalen und körperlichen Belastbarkeit
Neben der emotionalen Belastbarkeit, die nicht weiter nach Bereichen differenziert ist, wollen wir auch Informationen dazu erheb en, wie F rau H. mi t den spezifischen Belastungen im angestrebten Beruf fertig wird. Es kann ja jemand i. Allg. emotional weniger belastbar sein, aufgrund besonderer Erfahrungen im interessierenden Bereich mit den do rt auftretenden Belastungen jedoch recht gut fertig werden. Wenn wir Informationen zur körperlichen Belastbarkeit v on F rau H. erheb en, s o mac hen wir damit keine medizinische Untersuchung. Wenn sie uns aber auf Anf rage z. B. von einem da uerhaften schweren R ückenleiden b erichtet, s o m üssen wir im Gutachten darauf hinweisen, dass sie da mit als Altenpflegerin ka um eine D auerarbeitsstelle wir d finden k önnen. S elbstverständlich m üssen a uch solche I nformationen g enauso s orgfältig erhob en und nac h w eiter un ten b eschriebenen K riterien beurteilt werden wie Informationen zu psychologischen Konstrukten. 6.4.5 Psychologische Fragen zu sozialen
Bedingungen
4 3
Psychologische Fragen zu sozialen Bedingungen (Umgang mit anderen, Sprachverhalten)
Psychologische Fragen zur emotionalen und körperlichen Belastbarkeit 3.1 Bei der Pflege alter Menschen sehen sich die Pflegen-
4.1 Die Tätigkeit als Alt enpflegerin ist u . a. gekennz eich-
den häufig ungünstigen so zialen L ebensbedingungen,
net dur ch den Umgang mit alt en M enschen, Kollegen
Behinderungen, schweren Krankheiten, Sterben und Tod
und Behör den. Dies v erlangt Kontaktfähigkeit, Z usam-
▼
▼
46
Kapitel 6 · Bearbeiten von Beispielfragestellungen
menarbeit mit anderen und Durchsetzungsvermögen. Es ist zu prüfen, wie diese M erkmale bei Frau H. ausgeprägt sind. 4.2 Bei der Tätigkeit als Altenpflegerin ist der sprachliche Kontakt zu alt en M enschen wichtig . Daher sollt en die hier wichtigen Aspekte des Sprachverständnisses und des
im B eruf« zus ammenzufassen. H ierbei ist aller dings die Übersichtlichkeit gefährdet; einzelne Fragen un ter einem einzig en Glieder ungspunkt sind darüber hinaus zu s chwer zu b ehalten, als dass sie beim weiteren Lesen des G utachtens jederzeit f rei verfügbar wären.
Sprachverhaltens bei Frau H. erfasst werden.
6
An den b eiden P sychologischen F ragen zu s ozialen B edingungen wir d deu tlich, dass wir en g verwandte psy chologische K onstrukte der Üb ersichtlichkeit w egen in einer F rage zus ammen a nsprechen. Dabei informieren wir die Leser über die bei dieser Fragestellung wichtigen Teilaspekte z. B. des Umgangs mit anderen. 6.4.6 A lternative Gliederungen
der Psychologischen Fragen
Merke
I
I
Alternative Gliederungen der Psychologischen Fragen sollen, wie die Standardgliederung nach der Verhaltensgleichung, dem Gutachtenleser den Überblick über die Psychologischen Fragen und das Behalten der Psychologischen Fragen erleichtern.
Die oben aufgeführten zehn P sychologischen Fragen ließen sic h nac h dem zei tlichen A blauf g liedern, in dem die a ngesprochenen V ariablen im Leben der Probandin von Bedeutung werden: 1. Psychologische Fragen zur jetzigen Situation, 2. Psychologische F ragen zu Anf orderungen in der Umschulung, 3. Psychologische F ragen zu Anf orderungen im Beruf. Unter »P sychologische F ragen zur jetzig en S ituation« wären dann die b eiden Psychologischen Fragen zu den motivationalen Bedingungen zu fassen. Die Psychologischen Fragen zu den in tellektuellen B edingungen k önnte ma n un ter »P sychologische Fragen zu Anf orderungen in der U mschulung« aufführen. Die r estlichen f ünf H ypothesen wä ren da nn unter »P sychologische F ragen zu Anf orderungen
6.4.7 En tscheidungsorientierte Hypo-
thesenbildung bei gerichtlichen Fragen zur elterlichen Sorge
Im F olgenden w ollen wir a n einem B eispiel a us der Rechtspsychologie veranschaulichen, wie P sychologische F ragen en twickelt und in der s chon beschriebenen Form dargestellt werden können. In den daran anschließenden verkürzten Psychologischen F ragen sind in jeder F rage je weils mehr ere Variablenbereiche und da mit a uch mehr ere Einzelvariablen enthalten. Es fehlt bei dieser Form der erste Teil einer P sychologischen Frage, in dem die gesetzmäßige o der regelhafte B eziehung zwis chen einer g ewählten V ariablen und der la ut F ragestellung zu erk lärenden o der v orherzusagenden Verhaltensweisen b eschrieben wir d. Dies e zw eite, verkürzte Darstellungsweise erleichtert den Lesern das Verständnis des G utachtens b esonders da nn, wenn alltägliche Vorstellungen über die Bedingungen indi viduellen Verhaltens zu k orrigieren sind . Dazu werden dann später im Gutachten diese Gesetzmäßigkeiten a usführlich b eschrieben und in ihrer B edeutung für die v orliegende Fragestellung erläutert.
Ziele entscheidungsorientierter Diagnostik bei Sorgerechtsfragestellungen Bei der A ufgabe, ein psy chologisches Sac hverständigengutachten zu einer g erichtlichen F ragestellung zur Reg elung der el terlichen S orge nac h Trennung und S cheidung v on E ltern zu er stellen, zeigt sic h eine »En tscheidungsorientierung« des psychologisch-diagnostischen H andelns in zw eifacher Hinsicht: Einmal soll ein solches Gutachten eine En tscheidungshilfe f ür den F amilienrichter sein, die S cheidungsfolge el terliche S orge »zum Wohl des K indes« (B GB § 1671) mi t fac hlicher Hilfestellung r egeln zu k önnen ( Jessnitzer 1992).
6.4 · Psychologische Fragen
Zum anderen ist na türlich auch der g esamte diagnostische Prozess in dies em Anwendungsfeld eine Abfolge der ob en dargestellten Einzelentscheidungen, die der Gutachter zu treffen hat. Zur ak tuellen Disk ussion um eine mög liche »Ersetzung« v on B egutachtungen d urch B eratung sei hier angemerkt, dass sich beides keineswegs widerspricht oder gar ausschließt: Auch das Ergebnis eines Beratungs- oder Vermittlungsprozesses muss dem Richter in geeigneter Form mitgeteilt werden; Rechtskraft erla ngt a uch eine ein vernehmliche, durch B eratung o der Vermittlung erziel te L ösung der S orgerechtsfrage er st da nn, w enn der Ric hter sie in s eine En tscheidung, d . h. das S cheidungsurteil, a ufnimmt. Eb enso s chließt eine en tscheidungsorientierte B egutachtung s elbstverständlich andere Lösungsvorschläge als die einfac he »Vateroder M utter-Regelung« nic ht a us (s. a uch z. B. Balloff u. Walter 1991; Kluck 1996). Diese Ar t v on F ragestellungen w erden a uch nach Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechts von Psychologischen G utachtern zu b earbeiten s ein. Das g emeinsame S orgerecht als Reg elfall s chließt nicht aus, dass Eltern sich über die Erziehung ihres Kindes so uneinig sind, dass sie nach einer gerichtlichen Regelung verlangen. Die wichtigsten Einzelschritte des gesamten diagnostischen En tscheidungsprozesses sind w eiter oben b eschrieben. Die »Üb ersetzung« und Dif ferenzierung der r ichterlichen Fragestellung a n den psychologischen Sachverständigen nach der Reg elung der elterlichen Sorge »zum Wohl des Kindes« in Psychologische Fragen soll hier a usführlich behandelt werden.
Das Anforderungsprofil Diagnostische Schlussfolgerungen sind n ur in B ezug auf eine b estimmte di agnostische Z ielsetzung sinnvoll; diese Zielsetzung ist im hier vorliegenden Anwendungsbereich g egeben d urch die r ichterliche F ragestellung a n den psy chologischen Sac hverständigen. Die Frage nach einer »dem Wohl des Kindes a ngemessenen« S orgerechtsregelung en thält zugleich ein B ündel von Kriterien, die dies en zunächst »unbestimmten Rechtsbegriff« zu spezifizieren versuchen (zu dies em Problem s. F thenakis et al. 1982; Kluck 1986). Diese Kriterien sind bisher
47
6
nur a nsatzweise aus psy chologischen Forschungsergebnissen b egründbar, da en tsprechende Arb eiten erst in den letzten Jahren in Angriff genommen wurden (z. B. Schmidt-Denter et al. 1995). Allgemein w erden heu te als V oraussetzungen für das a nzustrebende Ziel »Kindeswohl« (Salzgeber 1998) die folgenden Kriterien (z. B. Simitis et al. 1979; Klußmann u. Stötzel 1995) berücksichtigt: 1. Bindungen des Kindes, 2. Wille des Kindes, 3. Kontinuität der B etreuung und der Umgebung für das Kind, 4. Förderung des Kindes durch die Eltern. Wie leicht erkennbar ist, sind dies e Kriterien, abgesehen da von, dass sie un terschiedlichen A bstraktionsebenen und A ussagekategorien a ngehören, nicht unabhängig voneinander: So ist z. B. eine mindestens minimale B etreuungskontinuität eine notwendige, a ber nic ht hinr eichende B edingung für die En twicklung einer B indungsbeziehung (s. dazu auch Spangler u. Zimmermann 1995). Diese Kriterien haben, beim derzeitigen Status des (s ozialwissenschaftlichen, ein schließlich des psychologischen) Wissens darüber, welche B edingungen f ür eine p ositive kindlic he En twicklung förderlich sind , als das »Anforderungsprofil« zu gelten, a uf das hin die psy chologisch-diagnostischen Fragen, die en tsprechenden D atenerhebungen und S chlussfolgerungen a uszurichten sind (Puls 1984). Die A ufgabe des G utachters ist es n un, f ür jedes dies er K riterien die da rin a ngesprochenen, für die F ragestellung r elevanten, psy chologischen Variablen auszuwählen, um sie da nn diagnostisch zu untersuchen und aufgrund der Untersuchungsergebnisse die r ichterliche Fragestellung zu b eantworten. Bei dies er A ufgabe b esteht f ür den psy chologischen G utachter die erheb liche G efahr, dass er wic htige V ariablen syst ematisch igno riert, die das Verhalten und Erleb en der P robanden in den Ausschnitten bestimmen, die das »Kindeswohl« im oben beschriebenen Sinne betreffen. In dieser frühen Pla nungsphase k önnen sic h Vorurteile, Wertvorstellungen, Ziele, Erwartungen, die der G utachter im H inblick a uf En tstehungsbedingungen und Lösungsmöglichkeiten des F amilienkonflikts ha t,
48
6
Kapitel 6 · Bearbeiten von Beispielfragestellungen
dahingehend a uswirken, dass die d urchgeführte Diagnostik und die da raus g ezogenen S chlussfolgerungen die je weilige spezifische Problematik der individuellen Familie nicht angemessen berücksichtigen. Die w eiter ob en b eschriebene »Verhaltensgleichung« dient als S uchstruktur, mi t deren Hilfe derartige systematische Fehler bei der Auswahl der zu untersuchenden Verhaltens- und Erleb ensvariablen und den prognostisch relevanten Bedingungen vermieden bzw. minimiert werden können. Für die B eurteilung, un ter w elchen der zukünftigen L ebensbedingungen die K riterien des angestrebten Z iels »K indeswohl« a m ehest en zu realisieren s ein w erden, k önnen, neb en a nderen, mindestens die f olgenden Merkmale b zw. Variablen herangezogen werden: U Umgebungsbedingungen (z. B. W ohnsituation; finanzielle Verhältnisse), O Organismus-Variablen (z. B. erheb liche g esundheitliche B eeinträchtigungen der B eteiligten; Behinderungen, die besondere Betreuung erfordern), K Kognitive Variablen (z. B. Problemlösefähigkeit, soziale Kompetenz, v. a. der Eltern), E Emotionale V ariablen (z. B. B indungen des Kindes; Ar t des Erleb ens emo tionaler B elastungen b ei allen B eteiligten; Umgang mi t Belastungen; K onflikterleben und -b ewältigung), M Motivationale Variablen (z. B. verbal/nonverbal geäußerter Wille des Kindes; Ziele, Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Er wartungen der Beteiligten, S Soziale V ariablen (z. B. Ein stellungen zum Kind, f ür das K ind »wic htige a ndere«, s oziale Ein bindung, V erhalten im U mgang mi t anderen). Bei der A bleitung Psychologischer Fragen können nun alle diese Bedingungs- und Variablengruppen daraufhin geprüft werden, welchen Beitrag sie leisten zu einer B estimmung des »K indeswohls«. Die zu prüfenden Psychologischen Fragen ergeben sich dann als K ombinationen der hier r elevanten B edingungen und den v erschiedenen A spekten, mi t denen das »Anf orderungsprofil K indeswohl« b eschrieben wird: So werden unter »emotionalen Variablen« hier v orrangig die B indungen des K indes
untersucht (S chwabe-Höllein u . A ugust-Frenzel 1995), aber auch die Ar t des K onflikterlebens des Kindes und der für es wichtigen anderen Personen (Eltern und e vtl. w eitere) und die V ersuche und Möglichkeiten der K onfliktbewältigung der B eteiligten (Fthenakis 1993). Für das B eispiel der »emo tionalen Variablen« bedeutet dies, dass wir uns im Wesentlichen beziehen auf das t heoretisch entwickelte und empirisch als r eliabel und valide b efundene, psy chologische Wissen über »Bindungen« und ihre Auswirkungen auf die kindlic he En twicklung, s owie a uf die Er kenntnisse, die z. B. die dif ferenzielle Psychologie, die S ozialpsychologie, die En twicklungspsychologie und die k linische P sychologie üb er Ar ten des Konflikterlebens und v erschiedene S trategien der Konfliktverarbeitung zur V erfügung st ellen. H ier wird no ch einmal deu tlich, dass der hier v erwendete Verhaltensbegriff selbstverständlich nicht nur das v on a ußen b eobachtbare, »o ffene« V erhalten umfasst, sondern sich ebenso auf das n ur indirekt zu er fassende, sub jektive Erleb en der b eteiligten Personen bezieht, zu dem z. B. Kognitionen, »Schemata«, Gefühle, Einstellungen, Wertvorstellungen, Erwartungen, Ziele usw. gehören.
Auswahl der relevanten Variablen Die F orderung der p raktischen B edeutsamkeit, der Relia bilität und der V alidität des Z usammenhangs zwischen den zu un tersuchenden Variablen und den »v orherzusagenden« K riterien, nä mlich den v erschiedenen A spekten des »K indeswohls«, bedeutet, dass f ür eine F ragestellung der S orgerechtsregelung nic ht alle der ob en a ngeführten Variablenbereiche relevant bzw. gleichermaßen relevant sind; s o ist z. B. der B ereich der k ognitiven Variablen nur in s eltenen, sehr speziellen Ausnahmefällen b ei einer dera rtigen F ragestellung in die diagnostischen Untersuchungen einzub eziehen (s. dazu auch Salzgeber 2001). Hier zeigt sich bereits die Notwendigkeit, worauf weiter unten noch eingegangen wird, dass auch für den psychologischen Sachverständigen die Verpflichtung zur b eständigen F ortbildung b esteht, da er – wie b ei jeder wiss enschaftlichen Arb eit – gehalten ist, die B egutachtung auf dem je weiligen »Stand seiner Wissenschaft« vorzunehmen.
6
49
6.4 · Psychologische Fragen
⊡ Tab. 6.1. Schema zur Entwicklung Psychologischer Fragen: »Kindeswohl« Kontinuität
Kriterium/ Bedingungen
Bindungen des Kindes
Betreuung
Umgebung
Förderung des Kindes
Wille des Kindes
U
X
X
X
X
–
O
–
(X)
–
(X)
–
K
–
(X)
–
X
–
E
X
X
–
(X)
X
M
(X)
X
–
(X)
X
S
X
X
X
(X)
–
Abkürzungen s. S. 48
Die hier abgebildete »Suchstruktur« (⊡ Tab. 6.1) veranschaulicht in K ürze – als Arb eitshilfe – die oben b eschriebene en tscheidungsorientierte V orgehensweise b ei der En twicklung Psychologischer Fragen für eine Sorgerechtsfragestellung. In den einzelnen Z ellen dieses Schemas stehen die r elevanten und im Einzelfall zu un tersuchenden V erhaltensbedingungen und -va riablen, wie oben dargestellt.
Die Formulierung Psychologischer Fragen Psychologische G utachten b esonders f ür A uftraggeber a ußerhalb des psy chologisch g eschulten F achpublikums, wie s olche im A uftrag des Familiengerichts, m üssen k ommunizierbar s ein, d. h. der A uftraggeber m uss die A ussagen des Gutachtens v erstehen k önnen, da mit sie f ür ihn eine En tscheidungshilfe s ein k önnen. U nter diesem A spekt ha ben wir ob en v orgeschlagen, die Psychologischen Fragen, die a us der F ragestellung des G erichts a bgeleitet wur den und w elche die Grundlage für das weitere gutachterliche Vorgehen bilden, »zw eistufig« zu f ormulieren: Die A uswahl einer bestimmten Variablen wird in ihrem Zusammenhang mi t dem zu b eurteilenden K riterium in einem oder zwei kurzen Sätzen begründet. Danach folgt die eig entliche Psychologische Frage, aus der hervorgeht, w elche diagnostis chen I nformationen erhoben werden sollen, um diesen Zusammenhang im Einzelfall zu überprüfen.
Als G rundlage der Pla nung k önnen im Einzelfall a uch en tsprechende, s chon v orliegende I nformationen dienen: S o m uss z. B. eine a us den Gerichtsakten her vorgehende Alkoholproblematik eines E lternteils Anlass s ein, die A uswirkungen dieses P roblems a uf s eine B eziehung zu s einem Kind und seine Möglichkeiten zu einer den kindlichen Bedürfnissen entsprechenden Betreuung und Erziehung syst ematisch zu un tersuchen (V ariablenbereich: O = körperliche Bedingungen). Wie bei der Bearbeitung jeder gutachterlichen Fragestellung ist auch und besonders im Rahmen der B egutachtung im g erichtlichen A uftrag sicherzustellen, dass k eine »ein seitigen« Hypothesen formuliert werden, die die B lickrichtung des Diagnostikers schon in dies em frühen Planungsstadium un gerechtfertigt einen gen und s eine Aufmerksamkeit n ur in eine einzig e Ric htung lenken. M angelnde »Of fenheit« der P sychologischen Fragen bringt die Gefahr mit sich, dass die diagnostischen U ntersuchungen w eitgehend zu sich s elbst er füllenden P rophezeiungen w erden und unterschiedliche Aspekte verschiedener Verhaltensmöglichkeiten ungerechtfertigterweise gar nicht mehr in die gu tachterlichen Üb erlegungen einbezogen werden. Diese nichtwissenschaftliche Arbeitsweise kann sich bei Gutachten im Auftrag des G erichts dahin gehend a uswirken, dass der Gutachter w egen B efangenheit a bgelehnt wir d und das G utachten als un verwertbar b eurteilt wird.
50
Kapitel 6 · Bearbeiten von Beispielfragestellungen
Die Formulierung der Psychologischen Fragen muss ebenfalls gewährleisten, dass die als fragestellungsrelevant a usgewählten V ariablen b etrachtet werden können a) bei allen beteiligten Personen (s. oben) und b) auf der »Z eitachse«: die bisherige Entwicklung, der derzeitige Status und – auf dieser Grundlage – wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen.
6
Das Verhältnis von Kosten (auch der immateriellen, psychischen »Kosten« der B eteiligten) und N utzen (für die B eantwortung der F ragestellung) ist a uch hier b ei den Üb erlegungen zu Anzahl und D etailliertheit Psychologischer Fragen zu beachten. Im Folgenden werden nun beispielhaft zunächst allgemeine Hypothesen (= Psychologische Fragen) zur Frage des Sorgerechts auf der Basis der Verhaltensgleichung formuliert. Dabei gehen wir von der folgenden F ragestellung des F amiliengerichts a us: »In der F amiliensache ..../.... s oll ein psy chologisches G utachten da rüber er stellt w erden, w elche Regelung der el terlichen S orge dem K indeswohl am ehesten entspricht.« Umgebungsbedingungen (U). Die inner - und außerfamiliären Betreuungsmöglichkeiten bestimmen die Entwicklung eines Kindes mit. Es werden daher bei Vater und Mutter von (Name des Kindes) die Betreuungsmöglichkeiten untersucht. Die rä umliche und f inanzielle S ituation ka nn die En twicklung v on K indern mi t b eeinflussen. Deshalb w erden b ei H errn und F rau (Vater und Mutter des K indes) die rä umlichen und f inanziellen Gegebenheiten untersucht. Körperliche Bedingungen (O). Abhängig von ihrem G esundheitszustand k önnen E ltern den B edürfnissen ihr es K indes un terschiedlich g erecht werden. Darum ist f estzustellen, wie w eit hier b edeutsame gesundheitliche Beeinträchtigungen aufseiten der Eltern vorliegen. Der G esundheitszustand v on K indern wirk t sich a uf ihr e g esamte k örperliche und psy chische Entwicklung a us. B ei la ng a ndauernden g esundheitlichen P roblemen m üssen K inder b esonders betreut w erden. D eshalb wir d un tersucht, ob (Name des Kindes) einer besonderen körperlichen Betreuung bedarf.
Kognitive Bedingungen (K ). Um die sp rachliche und in tellektuelle En twicklung ihr es K indes f ördern zu k önnen, m üssen die E ltern dess en individuelle M öglichkeiten a ngemessen wahr nehmen können; da rüber hina us m üssen sie üb er Verhaltensweisen verfügen, die ihnen eine je weils altersund p ersönlichkeitsangemessene F örderung des Kindes ermöglichen. Um angemessen beurteilen zu können, in welcher Weise der V ater und die M utter dies b isher geleistet haben und in Zukunft werden leisten können, wir d der derzei tige sp rachliche und in tellektuelle En twicklungsstand v on (N ame des K indes) festgestellt. Weiterhin wir d un tersucht, wie die E ltern wahrnehmen, w elche H ilfestellungen (N ame des Kindes) zur En twicklung s einer/ ihr er g eistigen Fähigkeiten benötigt und üb er welche Verhaltensmöglichkeiten f ür einen a ngemessenen U mgang mit dies en B edürfnissen v on (N ame des K indes) sie verfügen. Emotionale Bedingungen (E). Einen en tscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Kindern haben ihr e emo tionalen B eziehungen (G efühlsbeziehungen, »B indungen«) zu f ür sie wic htigen anderen Menschen. Deshalb sollen diese Gefühlsbeziehungen v on (Name des K indes) b eschrieben werden. Emotionale Belastungen und die V ersuche, sie zu b ewältigen, b estimmen die En twicklung eines Kindes mit. Daher ist zu b eschreiben, wie die B eteiligten (beide Eltern und K ind) solche Belastungen erleben und darauf reagieren. Motivationale Bedingungen (M). Ziele, Er wartungen, Wünsche und Befürchtungen der Beteiligten im Hinblick auf die zukünftigen Lebensbedingungen b estimmen ihr V erhalten mi t. D eswegen sollen hier die Z iele, Er wartungen, Wünsche und Befürchtungen v on (N ame des K indes) und s einen/ ihren Eltern beschrieben werden. Für eine f örderliche Erzieh ung m üssen E ltern die I nteressen ihr er K inder erk ennen und a ngemessen darauf eingehen können. D arum s oll hier untersucht werden, wie weit Herr und Frau (Name) dazu in der Lage sind.
6.4 · Psychologische Fragen
Soziale Bedingungen (S). Die Einstellung zu dem Kind bestimmt in gr oßem Maß das Verhalten der Eltern oder sonstiger Bezugspersonen diesem Kind gegenüber. Deshalb sollen diese Einstellungen der für (Name des K indes) wichtigen Personen erfasst werden. Die Ein bindung v on K indern in ihr s oziales Umfeld ist eine wic htige B edingung f ür die kindliche En twicklung. D eshalb s oll die Ar t und die Bedeutung der s ozialen K ontakte v on (N ame des Kindes) sowie seinen/ ihren Eltern oder möglichen anderen f ür ihn/ sie wic htigen P ersonen er fasst werden. Die En twicklung s ozialer V erhaltensweisen von Kindern wird auch durch das s oziale Umfeld geformt. Deshalb sollen hier die s ozialen Entwicklungsmöglichkeiten v on (N ame des K indes) untersucht werden, wie sie sic h b eim Vater bzw. der Mutter darstellen. Eine a ndere, inhal tlich g leichwertige, jedo ch für den A uftraggeber leic hter nac hvollziehbare Möglichkeit, alle r elevanten F ragen zu er fassen, besteht darin, Variablenbereiche und K indeswohlkriterien in der Frageformulierung bereits zu integrieren. Auch dies soll hier am Beispiel demonstriert werden; die jeweiligen Variablenbereiche bzw. Kindeswohlkriterien, die in einer F rage angesprochen sind, stehen abgekürzt in Klammern.
Verkürzte Psychologische Fragen Hinter den n un f olgenden, v erkürzten P sychologischen F ragen g eben wir hier in K lammern a n, welche Variablen und Anforderungen darunter zusammengefasst sind. Diese Angaben in Klammern dienen hier didak tischen Z wecken und k ommen im Gutachten nicht vor. Die folgenden Psychologischen Fragen werden im Hinblick auf die jeweiligen Gefühlsbeziehungen (u. a. B indungen des K indes) und den W illen des Kindes sowie auf Aspekte der B etreuungskontinuität, der U mgebungskontinuität und in B ezug a uf die Förderungsmöglichkeiten des K indes b earbeitet und beurteilt. 1. Welcher Art sind die G efühlsbeziehungen von N. N. zu ihr er/ s einer M utter und zu ihr em/ seinem Vater? (B indungen, W ille des K indes: Variablenbereiche E, M, S).
51
6
2. Wie ha ben sic h dies e B eziehungen b is heu te entwickelt? (En twicklungsbedingungen, B indungsentwicklung: U, E, M, S). 3. Wie ha ben die b eiden E ltern (Name) v on (N. N.) b isher ihr e Erzieh ungsaufgaben er füllt? (Entwicklungsgeschichte von Bindungen, Kontinuität von Umgebung und Betreuung, Förderung: U, O, K, E, M, S). 4. Wie stellen sich die Mutter/ der Vater die w eitere Erzieh ung v on (N. N.) v or? (K ontinuität, Förderung, Erziehungseinstellungen und -v erhalten: K, E, M, S). 5. Welche En twicklungsmöglichkeiten sind f ür (N. N.) un ter den v erschiedenen L ebensbedingungen der beiden Eltern zu er warten? (Zu erwartende En twicklungsbedingungen: K ontinuität, Förderung: U, O, K, E, M, S).
7
Untersuchungsplan 7.1
Einordnung des Untersuchungsplans
– 54
7.2
Grobplanung der Untersuchung
7.3
Feinplanung der Untersuchung
7.4
Verhältnis von Kosten und Nutzen als Kriterium bei der Planung einer psychologischen Untersuchung – 55
– 54 – 55
54
7.1
Kapitel 7 · Untersuchungsplan
Einordnung des Untersuchungsplans Einordnung des Untersuchungsplans ▬ Die Fragestellung des Auftraggebers wird aufgelöst in Psychologische Fragen.
▬ Zu ihrer Beantwortung wird ein Untersuchungsplan entwickelt, der die Untersuchungen steuert. Er ist der z weite und letzte Teil der Planung einer psychologischen Begutachtung. ▬ Der Plan wird in der Untersuchung verwirklicht.
7
Da die Beantwortung einer Fragestellung in einem psychologischen Gutachten eine k omplexe Untersuchung v oraussetzt, em pfiehlt es sic h, dies e Untersuchung in mehr eren S chritten zu p lanen. Wir haben bisher dargestellt, wie wir uns für oder gegen eine F ragestellung en tscheiden und wie wir die Fragestellung in Psychologische Fragen auflösen. Nachdem wir un s en tschieden ha ben, was wir untersuchen wollen, entscheiden wir uns dann dafür, wie wir es un tersuchen wollen. Im Gutachten stellen wir in den Psychologischen Fragen dar, was wir un tersuchen w ollen; im U ntersuchungsplan beschreiben wir das Wie. Von der Quali tät des U ntersuchungsplans hängen die Quali tät der U ntersuchung, ihr er Er gebnisse und der da rauf im B efund g egründeten Entscheidungen ab. Das Ergebnis eines Gutachtens kann also nur so gut sein wie seine Planung. Die »G robplanung« der psy chologischen U ntersuchung wir d im G utachten f ür die L eser allgemeinverständlich da rgestellt, die »F einplanung« wird im Gutachten nicht beschrieben. 7.2
Grobplanung der Untersuchung Definition
I
I
Die Grobplanung einer psychologischen Untersuchung besteht in der begründeten Auswahl von Informationsquellen: 1. standar disierte Verfahren: – T ests, ▼ – F ragebogen,
– standar disierte Verhaltensbeobachtungen, – Arbeitspr oben, 2. t eilstandardisierte Verfahren: – V erhaltensbeobachtungen, – entscheidungsorientier te Gespräche, 3. sonstige Informationsquellen: z. B. – Akt en, – Z eugnisse, – Ar ztberichte, – P roduktionen.
Im Gutachten wird jede verwendete Informationsquelle allg emeinverständlich b eschrieben, und es wird a ngegeben, zur B eantwortung w elcher P sychologischen Frage sie herangezogen wurde. Nach der Era rbeitung der Psychologischen Fragen suchen wir systematisch nach nützlichen Informationsquellen zu ihr er B eantwortung. Als er stes prüfen wir, welche standardisierten psychologischen Untersuchungsverfahren mi t G ewinn v erwendet werden können. In ungezählten empirischen Arbeiten ha t sic h nä mlich immer wieder hera usgestellt, dass eine mög lichst weitgehend standardisierte Gewinnung v on I nformationen einem w eniger st andardisierten Vorgehen ebenbürtig, meist sogar überlegen ist. I n Kap. 10 w erden wir a usführlich a uf die Kriterien eingehen, die wir bei der Auswahl von standardisierten Verfahren anlegen. Neben den grundsätzlichen Annahmen, die wir bei jedem diagnostischen Arbeiten machen müssen – wir ha ben sie w eiter ob en b ei der Üb ernahme der F ragestellung disk utiert (vg l. 3.2) –, m üssen wir a uch sp ezifische Annahmen zur An wendung jedes einzelnen V erfahrens mac hen. Dies e k önnen wir wegen ihrer verfahrensbezogenen Besonderheit hier nicht besprechen, gibt es in D eutschland doch über 3 000 st andardisierte psychologische Untersuchungsverfahren. Auf jeden Fall müssen wir uns vor der Anwendung eines Verfahrens über diese spezifischen Annahmen k lar werden, s odass wir sie a uf Nachfrage hin nennen und begründen können. Für viele diagnostis che F ragestellungen gib t es st andardisierte V erhaltensbeobachtungen und Beobachtungssysteme. W ir zählen dazu eb enfalls die standardisierten Arbeitsproben, worunter auch viele Teile von Assessment Centern zu fassen sind.
55
7.4 · Verhältnis von Kosten und Nutzen als Kriterium bei der Planung
Sehr aufwändig für Untersucher und Probanden sind die teilstandardisierten Verfahren. Wir verstehen darunter V erhaltensbeobachtungen und en tscheidungsorientierte G espräche. A uf b eide Verfahrensgruppen werden wir w eiter unten noch ausführlich eingehen, da vor allem die entscheidungsorientierten Gespräche in s ehr vielen F ällen die meist en für die Fragestellung relevanten Informationen liefern. Unter psy chologischen G esichtspunkten a m wenigsten st andardisierte I nformationen f inden sich in den s onstigen Informationsquellen wie z. B. Akten. W enn a uch mi t dies en I nformationsquellen b esondere S chwierigkeiten v erbunden sind , s o enthalten sie do ch hä ufig I nformationen, die unbedingt berücksichtigt werden müssen, wenn man die F ragestellung a ngemessen b eantworten will . Um die B eurteilung v on I nformationsquellen zu erleichtern, w erden wir un s in K ap. 9 mi t einig en ihrer Merkmale beschäftigen. Alle v erwendeten I nformationsquellen b eschreiben wir im G utachten im K apitel »U ntersuchungsplan«. Dies e B eschreibungen sind k urz, allgemeinverständlich und s o g ehalten, dass die Probanden sie a nhand der B eschreibung im G utachten wiedererkennen können. Bei jeder Informationsquelle geben wir an, zu welcher der Psychologischen F ragen sie I nformationen b eisteuert. W ir lassen so die Leser unserer Gutachten, wozu in aller Regel auch die Probanden gehören, nachvollziehen, welche Verfahren wir wozu benutzt haben. 7.3
Feinplanung der Untersuchung Definition
I
I
Zur Feinplanung einer Untersuchung werden Beobachtungspläne für die Verhaltensbeobachtungen und Leitfäden für die entscheidungsorientierten Gespräche schriftlich ausgearbeitet. Wir legen fest, wer, wann, wo und womit untersucht wird. Die Feinplanung wird im Gutachten nicht dargestellt.
Ohne s orgfältig a usgearbeitete Plä ne sind syst ematische Verhaltensbeobachtungen und en tscheidungsorientierte G espräche nic ht mög lich, w eil
7
auch er fahrene psy chologische Diagnostik er v on der V ielfalt der A ufgaben, die währ end der psychologischen U ntersuchungen in k urzer Z eit zu erledigen sind , v öllig üb erfordert sind . Wenn wir weiter unten auf die v on uns vorgeschlagene, entscheidungsorientierte G esprächsführung ein gehen, wir d die K omplexität der Anf orderungen a n Diagnostiker in einem di agnostischen G espräch deutlich. Um hier mög lichst zuverlässige und gültige Ergebnisse zu erzielen, hilft in erster Linie eine sorgfältige Pla nung und g ewissenhafte V orbereitung. Dies bedeutet: Wir arbeiten alle Pläne schriftlich aus. Auf dies e Ausarbeitungen ka nn ma n b ei ähnlichen Fragestellungen wieder zurückgreifen. Zur F einplanung g ehört w eiter, dass wir un s für Untersuchungstermine, Untersuchungsorte, die Reihenfolge der Verfahren und zei tliche Abstände zwischen ihnen en tscheiden. D abei en tscheiden wir uns so, dass – unter Beachtung von Kosten und Nutzen (vg l. Abschn. 7.4) – mög lichst a ussagekräftige Untersuchungen mög lich sind. Wir üb erlegen uns also immer, welche Effekte ein bestimmtes V orgehen ha ben wir d und ob dies e Ef fekte die B eantwortung der F ragestellung un terstützen oder sie eher b ehindern. B elastet z. B. eine b estimmte Reihenf olge der v orgesehenen Verfahren den Probanden unnötig, so wählen wir die weniger belastende Reihenf olge, denn der P roband ka nn unnötige B elastungen als s olche erk ennen; dies kann z. B. s eine B ereitschaft zur Z usammenarbeit mit dem Gutachter senken. Die Feinplanung stellen wir im G utachten nicht dar, da sie, wenn sie von Nichtpsychologen nachvollzogen werden soll, zu umfangreich erläutert werden müsste: Die einzelnen I nhalte dieser Pläne beruhen auf psychologischem Fachwissen, das durch ein Studium der Psychologie erlangt werden kann. 7.4
Verhältnis von Kosten und Nutzen als Kriterium bei der Planung einer psychologischen Untersuchung Merke
I
I
1. Das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse ist das übergeordnete Kriterium bei der ▼ Entwicklung eines Untersuchungsplans.
56
Kapitel 7 · Untersuchungsplan
2. Kosten und Nutzen der Verwendung jeder Informationsquelle werden abgeschätzt für: – P robanden, – A uftraggeber, – sonstige direkt und indirekt betroffene Personen, – direkt und indirekt beteiligte Institutionen und Organisationen – Gutacht er. 3. Bilanzbogen helfen bei der systematischen Schätzung von Kosten und Nutzen. 4. Sequenzielles Vorgehen optimiert das Verhältnis von Kosten und Nutzen.
7
Das Verhältnis von Kosten und N utzen ist immer das üb ergeordnete K riterium f ür die Pla nung einer psy chologischen U ntersuchung und das en tsprechende diagnostis che Handeln. D abei werden selbstverständlich nic ht n ur die K osten f ür P robanden und A uftraggeber berücksichtigt, sondern auch f ür indir ekt b etroffene P ersonen, die b eteiligten Institutionen und Or ganisationen sowie die Psychologen. Für viele Psychologen ist ein solches Kriterium problematisch. Theo retisch wie p raktisch zeigt sich a ber, dass sic h alle P sychologen a n dies em Kriterium ausrichten. D enn niema nd tr eibt einen beliebig gr oßen diagnostis chen A ufwand. I mmer steht der A ufwand in einem b estimmten Verhältnis zu dem zu er wartenden Nutzen. Wir plädieren dafür, diese Abschätzung explizit und differenziert vorzunehmen. Zu einer differenzierten Abschätzung von Kosten und N utzen g ehören neb en ma teriellen a uch immaterielle, ideelle K osten- und N utzenaspekte. Beispiele für solche Kosten sind das Eindr ingen in die Intimsphäre der Untersuchten, Anstrengungen von Proband und Gutachter; immaterieller Nutzen erwächst z. B. aus der Erhöhung der Lebensqualität aufseiten des Probanden bei einer zutreffenden Diagnose. Wir berücksichtigen also nicht nur Effekte, die s ofort o der bald ein treten w erden, s ondern auch solche, die w eiter in der Z ukunft liegen. Ferner beachten wir nicht nur das, was mi t Sicherheit eintreten wir d, s ondern a uch n ur mög licherweise eintretende Folgen.
Die Ein schätzung v on K osten und N utzen einer bestimmten diagnostischen Vorgehensweise ist bei näherer B etrachtung wesentlich komplizierter, als ma n zunäc hst a nnehmen k önnte. Es ist daher nützlich, w enn ma n dies e A ufgabe syst ematisch angeht. Wir verwenden dabei das Hilfsmittel eines Bilanzbogens, wie er v on Janis u. Mann (1977) in der Entscheidungsforschung beschrieben wurde. Ein Bilanzbogen ist nic hts als ein B latt Papier, auf das ma n ob en die zur W ahl st ehende Alternative, hier als o ein b estimmtes diagnostis ches Verfahren, aufschreibt. Man teilt dieses Blatt dann durch einen senkrechten Strich in – und +. Unter – werden alle negativen Konsequenzen der zur Wahl stehenden Al ternative und un ter + alle p ositiven Konsequenzen a ufgeführt. Dur ch dies e s chriftliche V eranschaulichung und Üb ersicht üb er alle möglichen Kosten und Nutzen fällt es leichter, eine »Bilanz« zu ziehen, d . h. zu erk ennen, ob sic h der Einsatz eines diagnostischen Verfahrens insgesamt »lohnt«. Mit w eniger A ufwand k önnen u . U. die g leichen Er gebnisse erziel t w erden. D er Ein satz v on mehreren T ests, die alle z. B. n ur die allg emeine Intelligenz messen, ist dann unter Kosten-NutzenÜberlegungen erk ennbar V erschwendung. V erwendet man in dies em B ereich den b ei einer F ragestellung besten Test, so verursacht jeder w eitere Test zur Erfassung der allgemeinen Intelligenz nur weitere Kosten ohne irgendeinen Nutzen. Bei einer einfac hen diagnostis chen S trategie werden alle geplanten Verfahren durchgeführt. Bei einer sequenziellen Strategie untersucht man Probanden nur dann weiter, wenn dies weitere für die Beantwortung der F ragestellung n ützliche I nformationen v erspricht (Cr onbach u . Gles er 1965). Nach der Auswertung von Akten, Zeugnissen und sonstigen Unterlagen und der K ombination dieser Informationen mit denen aus einem Breitbandverfahren wie dem psy chologischen G espräch ka nn sich z. B. hinreichende Information üb er die A usprägung der allg emeinen I ntelligenz eines P robanden er geben ha ben. Eine s equenzielle S trategie sieht dann vor, keinen weiteren Intelligenztest durchzuführen. Bei einer einfachen diagnostischen Strategie wür de dies er jedo ch d urchgeführt, obwohl er k einen N utzen, s ondern n ur K osten v erursachen würde.
8
Die Analyse der A-priori-Strategie 8.1
Die Analyse der A-priori-Strategie bei Einzelfallfragestellungen
– 58
8.2
Die qualitative Analyse der A-priori-Strategie – 58
8.3
Optimierung der diagnostischen Strategie – 59
8.4
Die quantitative Analyse der A-priori-Strategie bei institutionellen Fragestellungen – 59
8.5
Die Analyse der A-priori-Strategie bei eignungsdiagnostischen institutionellen Fragestellungen – 60
58
Kapitel 8 · Die Analyse der A-priori-Strategie
Definition
I
I
Eine A-priori-Strategie ist die diagnostische Vorgehensweise, die bis zur Auftragsvergabe an den Diagnostiker zur Beantwortung der im Auftrag vereinbarten Fragestellung verwendet wurde. A-priori-Strategien können die Bearbeitungsversuche von angeblichen oder tatsächlichen Experten oder der Betroffenen selbst und ihres sozialen Umfeldes sein. Die Analyse der A-priori-Strategie kann nützliche Informationen zur optimierten Bearbeitung der Fragestellung erbringen. Die Ergebnisse einer solchen A-priori-Strategie finden sich z. B. in Akten oder bisherigen Gutachten. Die A-priori-Strategie kann bei Einzelfallfragestellungen und bei institutionellen Fragestellungen (das sind solche, die sich auf mehrere oder viele gleichartige Fälle beziehen) analysiert werden. Bei institutionellen Fragestellungen kann man die A-priori-Strategie nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ analysieren.
8
8.1
Die Analyse der A-priori-Strategie bei Einzelfallfragestellungen Merke
I
I
Schriftliche Unterlagen analysieren. Allgemeine diagnostische Hypothesen leiten diese Analyse. Bisheriges Vorgehen erheben im entscheidungsorientierten Gespräch.
Diagnostische F ragestellungen v ersucht der A uftraggeber i.d.R. zunächst selbst zu beantworten, bevor er sich – oft als letzter Versuch – an einen professionellen psychologischen Diagnostiker wendet. Solche vorherigen Versuche zur B eantwortung der Fragestellung en thalten f ür den Diagnostik er und seine Arb eit a n der F ragestellung o ft un verzichtbare, aber auf jeden Fall nützliche Informationen. Der Diagnostik er a rbeitet a uf jeden F all er st einmal die zur F ragestellung gehörenden schriftlichen Unterlagen durch, die ihm zur Verfügung gestellt wurden. Hierbei wird er auf jeden Fall (a) die zeitliche A bfolge der (b) b isher a bgelaufenen Er -
eignisse s owie der (c) mög licherweise er griffenen Maßnahmen sowie (d) deren jeweiligen Ergebnisse registrieren, soweit sie dokumentiert sind. Die Anal yse v on Ak ten und a nderen s chriftlichen U nterlagen wir d g eleitet v on allg emeinen diagnostischen H ypothesen, die der Diagnostik er schon bei der Übernahme der Fragestellung formulieren konnte. Diese lassen sich aus den Ergebnissen der em pirischen F orschung zu den Themen der Fragestellung a bleiten. Dies e h ypothesengeleitete Aktenanalyse kann und wir d dann i.d.R. zu w eiteren fallsp ezifischen Hypothesen führen, die in der weiteren Diagnostik ebenfalls zu prüfen sind. Der Diagnostiker lässt sic h im En tscheidungsorientierten G espräch exp lizit die b isherige En twicklung der P roblematik da rstellen. Er lässt sic h z. B. den B eginn des p roblematischen Verhaltens und die Bedingungen, unter denen es zuerst aufgetreten ist, mög lichst genau schildern. Dabei achtet er b esonders a uf die ler npsychologischen B edingungen, die b eim Beginn und im w eiteren Verlauf der Verhaltensentwicklung zu beobachten waren. Auch L aiendiagnostiker k ommen zu Diagnosen, die mehr oder weniger zutreffen können. Häufig haben sie darüber hinaus auch schon Interventionen zur B ewältigung des p roblematischen Verhaltens oder der problematischen Lebensumstände realisiert. Diese Interventionen können mehr oder weniger hilfreich gewesen sein. Aus den L aiendiagnosen und Interventionen kann der Diagnostiker wichtige I nformationen üb er die Erleb ens- und Verhaltensweisen des Probanden und seines sozialen Umfeldes entnehmen. 8.2
Die qualitative Analyse der A-priori-Strategie Merke
I
I
Die qualitative Analyse der A-priori-Strategie untersucht die ausgewählten ▬ Anf orderungen, ▬ I nformationsquellen, ▬ Kriterien für den Erfolg.
Die Anforderungen müssen sich möglichst objektiv, zu verlässig und gül tig er fassen lass en, w enn sie b rauchbare M aßstäbe s ein s ollen. S ie m üssen
59
8.4 · Die quantitative Analyse der A-priori-Strategie
über den P rognosezeitraum hinweg stabil bleiben, und es m uss b ei jeder Anf orderung k lar s ein, ob, und wenn ja, durch welche höhere oder niedrigere Ausprägung einer a nderen Anforderung sie k ompensiert werden kann. Die I nformationsquellen m üssen mög lichst gültige (zu treffende, r ichtige) I nformationen liefern, wenn sie den Nettonutzen (Nutzen abzüglich aller Kosten) einer Strategie erhöhen sollen. Die K riterien f ür den Er folg einer diagnostischen Strategie müssen ihrerseits möglichst objektiv, zu verlässig und gül tig f eststellbar s ein, w enn mit ihrer Hilfe die Qualität einer Auswahlstrategie angemessen eingeschätzt werden soll. 8.3
Optimierung der diagnostischen Strategie Merke
I
I
Eine diagnostische Strategie lässt sich optimieren durch: ▬ Beachtung der Ergebnisse der Analyse der A-priori-Strategie, ▬ entscheidungsorientier tes Vorgehen zur Optimierung des Nettonutzens, ▬ sequenzielles Vorgehen, ▬ adaptiv es Testen.
Durch die E valuation der A -priori-Strategie ergibt sich nicht nur ein Maßstab (»benchmark«) für den mindestens zu erzielenden Nettonutzen der zu entwickelnden diagnostischen Strategie, sondern auch eine Liste von möglichen Verbesserungen der neuen gegenüber der vorherigen diagnostischen Strategie. Eine p rofessionelle diag nostische S trategie zeichnet sich ganz allgemein dadurch aus, dass jede zu tr effende En tscheidung w ohlüberlegt g etroffen wird. Die je weiligen er reichbaren Z iele w erden dabei ebenso bedacht wie die mög lichen (un-) er wünschten F olgen jeder Al ternative. Alle S chritte (z. B. w elche I nformationsquellen, Ar t ihr er A uswertung und I nterpretation) des diagnostis chen Vorgehens w erden v or der U msetzung der diagnostischen Strategie festgelegt. Auch die En tscheidungsregeln f ür jede zu tr effende En tscheidung (z. B. K ombination der I nformationen zu jeder
8
psychologischen Hypothese/ Frage/ Anforderung) werden vor dem Beginn der Informationserhebung explizit festgelegt. Das Oberziel ist dabei immer die Optimierung des Nettonutzens. Eine s equenzielle diagnost ische S trategie o ptimiert den N ettonutzen dad urch, dass nic ht alle Probanden anhand von allen I nformationsquellen beurteilt werden. Sie legt vielmehr v orher die Reihenfolge der zu b enutzenden Informationsquellen sowie die Abbruchkriterien so fest, dass Personen, die mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen sind, nicht weiter untersucht werden. Eine weitere Möglichkeit zur Op timierung des Nettonutzens st ellt das ada ptive Testen da r. D abei wird den zu t estenden P ersonen nic ht der ga nze Test v om leic htesten (er sten) b is zum s chwersten (letzten) Item vorgegeben (wie b ei konventionellen Tests), s ondern die T estdarbietung fä ngt mi t einem für den zu Testenden relativ schwierigen Item an. Durch eine leist ungsabhängige Darbietung von leichteren bzw. wieder schwereren Items kann dann schneller als mi t k onventionellen Tests der wahr e Leistungswert des zu Testenden bestimmt werden. Die inkrementelle Validität bezeichnet den Validitätszuwachs, den eine diagnostis che S trategie bei einer b estimmten F ragestellung ha t, w enn sie um die Informationen aus einer Informationsquelle erweitert wird. Der Diagnostiker wird analysieren, ob und wenn ja, wie gut es ihm gelingen kann, mit seiner neuen diagnostischen Strategie erfolgreicher zu s ein, als es die al te wa r. D azu ka nn er die A priori-Strategie nicht nur qualitativ, s ondern auch quantitativ analysieren. 8.4
Die quantitative Analyse der A-priori-Strategie bei institutionellen Fragestellungen Merke
I
I
Die quantitative Analyse der A-priori-Strategie untersucht: ▬ die Verteilungen der Kriterienwerte, ▬ die Verteilungen der Anforderungen, ▬ der bivariaten Verteilungen von Kriterien und Anforderungen, ▬ Trends über längere Zeiträume.
60
8
Kapitel 8 · Die Analyse der A-priori-Strategie
Weichen die V erteilungen der K riterienwerte wie z. B. I ndikatoren v on L eistung, v on einer t heoretisch zu er wartenden V erteilung a b, da nn wir d man nach den Ursachen hierfür suchen. Gleiches gilt für die Verteilungen der Anforderungen wie z. B. fachliche Kenntnisse. Die bivariate Verteilung von einem L eistungsindikator (z. B. Vorgesetztenurteil) und einer b estimmten Anf orderung (z. B. F achkenntnisse) g eben weitere entscheidende Hinweise auf die Qualität einer Auswahlstrategie. Mit H ilfe dies er I nformationen und w eiterer aus der L iteratur lässt sic h der N ettonutzen einer A-priori-Strategie a bschätzen. H ieran ka nn ma n dann erk ennen, wie s chwierig es w ohl s ein wir d, besser zu sein als die A-priori-Strategie. Die Analyse der Er gebnisse der A -priori-Strategie üb er lä ngere An wendungszeiträume hin weg kann einen Trend in den Daten zeigen, der weitere nützliche I nformationen zu V erbesserungsmöglichkeiten gibt. 8.5
Die Analyse der A-priori-Strategie bei eignungsdiagnostischen institutionellen Fragestellungen Merkmale professioneller diagnostischer Strategien Bedingungen für den Erfolg einer institutionellen eignungsdiagnostischen Fragestellung: ▬ Basisrat e, ▬ S elektionsquote, ▬ Validität der diagnostischen Strategie.
Die Strategien b ei institutionellen Fragestellungen lassen sic h in p rofessionelle und nic htprofessionelle S trategien un terteilen. P rofessionelle S trategien sind dad urch gekennzeichnet, dass sie a n der Optimierung des N ettonutzens a usgerichtet sind . Sie b edienen sic h dazu aller M öglichkeiten, w elche die W issenschaft hierzu b ereitstellt. Ihr e Anwender k önnen b ei jeder En tscheidung da rlegen, dass sie den zur V erfügung st ehenden R aum v on Alternativen sorgfältig bedacht und sich nach vorher f estgelegten exp liziten Reg eln zwis chen ihnen
entschieden haben. Nichtprofessionellen Strategien bei in stitutionellen F ragestellungen f ehlen dies e Merkmale. Die A -priori-Strategie ka nn als B enchmark (Maßstab) f ür eine neu zu en twickelnde S trategie dienen. Der Erfolg sowohl der A-priori-Strategie wie auch der neuen diagnostischen Strategie hängen von den f olgenden B edingungen a b: B asisrate, S elektionsquote und Validität der Auswahlstrategie. Die B asisrate ist der »An teil der in B ezug a uf das in teressierende M erkmal p otenziell G eeigneten innerhalb der una usgelesenen B ewerberpopulation« (DIN 33430, S. 19). I st die B asisrate hoch, z. B. 90%, da nn ist b ei rein zufälligem Auswählen die W ahrscheinlichkeit, einen U ngeeigneten zu finden und einstellen zu können, 10%. Die Selektionsquote oder Auswahlrate bezeichnet den An teil der a ufgenommenen B ewerber im Verhältnis zur B ewerberzahl in sgesamt. Es ist leichter, un ter vielen mehr o der w eniger gu t G eeigneten wenige sehr gut Geeignete zu suc hen, als möglichst alle Geeigneten zu finden. Die Validität oder Gültigkeit der A uswahlstrategie bezeichnet den Anteil der korrekt klassifizierten K andidaten. J e gül tiger eine A uswahlstrategie ist, um so mehr Kandidaten kann sie korrekt klassifizieren, z. B. als »g eeignet«, »b edingt g eeignet« oder »ungeeignet«.
9
Merkmale diagnostischer Informationsquellen 9.1
Funktionen der Merkmale diagnostischer Informationsquellen
9.2
Art des Beobachters – 62
9.3
Inhalte der Beobachtung
9.4
Zeitpunkt und Zeitraum der Beobachtung
9.5
Art der Beobachtung
– 63
– 65
– 65
– 62
62
Kapitel 9 · Merkmale diagnostischer Informationsquellen
9.1
Funktionen der Merkmale diagnostischer Informationsquellen Definition
I
I
Merkmale diagnostischer Informationsquellen: Wer? Art des Beobachters Was? Inhalte der Beobachtung Wann? Zeitraum der Beobachtung Wie? Art der Beobachtung dienen: – der Systematisierung der Planung, Durchführung und Auswertung diagnostischer Untersuchungen, – der Vervollständigung des Untersuchungsplans, – der Relativierung von Informationen nach ihrer Aussagekraft.
9
Der Umgang mit standardisierten psychologischen Untersuchungsverfahren, als o Tests und F ragebogen, ist f ür Psychologen aufgrund der dazu v orliegenden L iteratur p rinzipiell w esentlich einfac her als die V erwertung nic ht st andardisierter I nformationsquellen, deren Aussagen nicht nach einem psychologisch begründeten Plan erhoben wurden. Die Aussagen v on P robanden s elbst und v on a nderen Personen über das Verhalten der Probanden sind i .d.R. a uf nic ht st andardisierte B eobachtungen gegründet, d. h., s olchen Beobachtungen liegt kein psy chologisch b egründeter B eobachtungsplan zugrunde. Besonders schwierig zu b eurteilen sind B erichte üb er B eobachtungen da nn, w enn Diagnostiker k eine M öglichkeit ha ben, g enauere Auskünfte zu erhalten. Bei schriftlichen Aussagen, Berichten und Befunden, die sich in Akten finden, ist dies oft der Fall. Bei vielen Fragestellungen müssen die Diagnostiker N ichtpsychologen als B eobachter ein setzen, z. B. die Eltern, Erzieher oder Lehrer von kindlichen Probanden. Für diese müssen wir p raktikable und aussagekräftige B eobachtungspläne en twerfen (es liegen v or z. B.: En twicklungsgitter nac h K iphard (1991), Fragebogen zur Er fassung praktischer und sozialer S elbstständigkeit 4- b is 6-jähr iger K inder von Duhm u . H uss (1979), M arburger V erhaltensliste v on E hlers et al . (1978), Child B ehavior Checklist f ür v erschiedene Al tersstufen v on der Arbeitsgruppe Deutsche Child B ehavior Checklist
(1998), bei Konzentrationsproblemen in den K lassen 5–10: W esthoff et al . (1990), W esthoff (1991, 1992a,b, 1993)). Er gänzend zur en tsprechenden Literatur w ollen wir mi t den M erkmalen v on I nformationsquellen Hilfestellungen für die Pla nung von Beobachtungen geben. Im Befundteil eines psy chologischen Gutachtens werden alle Informationen zur Beantwortung der P sychologischen F ragen und da mit der F ragestellung des A uftraggebers zus ammengestellt. Dabei müssen die Informationen nach ihrer Aussagekraft g ewichtet w erden. A uch hierb ei ka nn man sic h b ei jeder I nformation f ragen: Wer ha t was, wann und wie beobachtet? Hinter jedem Teil dieser F rage v erbirgt sic h eine Reihe v on Üb erlegungen, die wir n un s chrittweise d urchgehen wollen. 9.2 Art des Beobachters
Definition
I
I
Art des Beobachters (Wer?) ▬ Erfahrung des Beobachters, ▬ Ausbildung des Beobachters, ▬ Kontrolle des Beobachters, ▬ psychische Prozesse, welche die Beobachtungen bzw. ihre Verarbeitung beim Beobachter beeinflussen, z. B.: – W ahrnehmungsbedingungen, – A ufmerksamkeitsrichtung, – Gedächtnispr ozesse, – emotionale Beteiligung, – M otive, Werte, Ziele, – Einst ellungen.
Erfahrung des Beobacht ers. Die Er fahrung v on Beobachtern in der Beobachtung des interessierenden Verhaltens ist eine nic ht zu un terschätzende Größe, fallen do ch viele B esonderheiten im V erhalten U nerfahrenen ga r nic ht a uf. Er fahrung in diesem Sinne ist nützlich z. B. für den Umgang mit Drogenabhängigen, Kindern oder Behinderten. Ausbildung des Beobacht ers. Erfahrung in der Beobachtung ist da nn b esonders wirks am, w enn sie a uf einer syst ematischen A usbildung a ufbaut.
Ohne Ausbildung können Beobachter häufig nicht die v olle B reite mög licherweise wic htiger Verhaltensweisen üb erblicken, denn Er fahrungen b eziehen sic h i .d.R. n ur a uf b estimmte V erhaltensbereiche. Kontrolle des Beobacht ers. Immer mög liche Fehler und V erzerrungen in B eobachtungen k önnen sic h b esonders da nn a uswirken, w enn ein Beobachter der Ansicht ist, dass seine Beobachtungen nicht kontrolliert werden können. Es ist daher wichtig, B eobachter zu k ontrollieren und ihnen zugleich den zutreffenden Eindruck zu vermitteln, dass sie kontrolliert werden. Psychische Prozesse. Auch bei Nichtpsychologen ist i. Allg. recht gut bekannt, dass das Beobachten durch weitere Vorgänge in den Beobachtern selbst oder ihr er U mgebung u . U . s ehr st ark b eeinflusst w erden ka nn. F ür das A uffinden s olcher Bedingungen k önnen wieder um die G ruppen von Variablen, die wir in der Verhaltensgleichung zusammengefasst ha ben, als S uchhilfe dienen. Einige da von w ollen wir hier b eispielhaft a nführen. Für N ichtpsychologen a m nahelieg endsten sind unzur eichende W ahrnehmungsbedingungen als Ein schränkung mög licher B eobachtungen. Ein G eschehen, das zu w eit en tfernt a bläuft o der das w egen ma ngelnder B eleuchtung nic ht r ichtig wahrgenommen werden kann, sind hier p opuläre Beispiele. Weiter ist bekannt, dass Beobachter zwar vieles sehen können, es aber trotzdem nicht wahrnehmen, wenn sie ihr e Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet haben. Ein w eiterer P roblemkreis ist mi t dem S peichern von Beobachtungen im Gedächtnis verbunden. M it jeder B eschreibung des B eobachteten ergeben sic h wieder z. B. neue S peicherinhalte, welche die ur sprünglichen üb erlagern und v erändern k önnen. S o k önnen sic h B erichte üb er Beobachtungen v on W iedergabe zu W iedergabe ändern, o hne dass die B erichterstatter eine T äuschung beabsichtigen. Individuelles Verhalten wird nicht nur ständig von Emo tionen b egleitet, s ondern dies e Emo tionen wirk en sic h da rüber hina us in vielfäl tiger Weise a uf das V erhalten a us, als o a uch a uf B e-
9
63
9.3 · Inhalte der Beobachtung
obachtungs- und G edächtnisprozesse. Weiter sind auch die emo tionalen B eziehungen zwis chen B eobachtern und Beobachteten bei der Einschätzung der Aussagekraft einer Beobachtung immer mit zu berücksichtigen. Emotionale V orgänge zeig en u . a. a n, dass Werte, Z iele, o der M otive eines I ndividuums a ngesprochen sind . I nsofern sind die Emo tionen, die Diagnostik er b ei sic h s elbst im H inblick a uf Probanden feststellen können, immer Hinweise auf eigene Ziele und Wertvorstellungen, die durch das Verhalten der P robanden b erührt w erden. Dies gilt s owohl f ür p ositiv wie f ür nega tiv b ewertete Emotionen. Aus den f rühen F orschungen zur G esprächsführung ist b ekannt, dass die Ein stellungen v on Interviewern s ehr deu tlich ihr e B eobachtungen verzerren k önnen. Ein stellungen r ichten die A ufmerksamkeit a uf b estimmte V orgänge und b lenden a ndere wieder um a us. D amit wir d deu tlich, dass eine Reihe v on B edingungen g leichzeitig die Beobachtung b eeinflussen und daher immer eine kritische Beurteilung von Beobachtungen notwendig ist, wenn möglichst zutreffende psychologische Gutachten erstellt werden sollen. 9.3 Inhalte der Beobachtung
Definition
I
I
Inhalte der Beobachtung (Was?) Merkmale individuellen Verhaltens, die seine Beobachtbarkeit mitbedingen: – Fremd- oder Selbstbeobachtung, – Häufigkeit, – Dauer , – Regelmäßigkeit, – V ariabilität, – V ermeidbarkeit, – Öffentlichkeit (öffentlich – privat – intim), – not wendige Interaktionspartner, – so ziale Erwünschtheit.
Ob ein Verhalten gut zu beobachten ist, hängt von einer ganzen Reihe von Merkmalen dieser Verhaltensweisen s elbst a b. Einig e da von w ollen wir im Folgenden kurz ansprechen, um zu v erdeutlichen,
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Kapitel 9 · Merkmale diagnostischer Informationsquellen
welche B edeutung dies e Merkmale f ür die B egutachtung haben.
9
Fremd- oder Selbstbeobachtung. Vieles im Verhalten und Erleb en ist n ur der S elbstbeobachtung zugänglich, und das auch nicht vollständig. Hierzu gehören beispielsweise die G efühle, die M enschen in b estimmten S ituationen ha ben und a us denen heraus sie handeln. Mit jeder F remdbeobachtung ist das P roblem verbunden, dass die v om Probanden wahrgenommene Beobachtung das zu beobachtende Verhalten ändern kann. Es ist jedo ch verfehlt, hieraus abzuleiten, dass M enschen un ter F remdbeobachtung ihr Verhalten b eliebig ä ndern k önnten. G rundlegende Verhaltens- und Interaktionsmuster können nur dann gezeigt werden, wenn sie auch verfügbar sind. Sicher verhalten sich z. B. Eltern beim Hausbesuch des P sychologen ihren Kindern gegenüber sozial wünschenswerter als ohne Beobachter. Dabei ändert sic h jedo ch nic ht die gr undlegende B eziehung zwischen Eltern und Kind und ihr Ausdruck im Verhalten. Hierfür sprechen u. a. die Ergebnisse der em pirischen Untersuchungen zum B indungsverhalten von Kindern (Suess et al. 1986; SchwabeHöllein u. August-Frenzel 1995). Häufigkeit. Sind alle anderen Merkmale gleich, so sind die häufigeren und lä nger dauernden Verhaltensweisen leichter zu beobachten. Entsprechendes gilt für regelmäßig wiederkehrendes Verhalten. Die Variabilität von Verhaltensweisen kann sich beziehen a uf die H äufigkeit, die D auer und z. B. a uch den Kontext, in dem ein b estimmtes Verhalten zu beobachten ist. V or allem b ei einer ler npsychologischen V erhaltensanalyse wir d ma n a uf dies e Merkmale des zu beobachtenden Verhaltens schon bei der Pla nung der B eobachtungen b esonders achten. Vermeidbarkeit. Wie b ereits a ngedeutet, ka nn Verhalten mehr o der w eniger gu t v on M enschen vermieden, d . h. immer d urch a nderes V erhalten ersetzt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass andere Verhaltensweisen mi t der g leichen S elbstverständlichkeit zur V erfügung st ehen. U ngeübte Verhaltensweisen fallen nic ht nur durch die ihnen anhaftende B emühtheit auf, sondern, wenn es a uf
Interaktion a usgerichtete V erhaltensweisen sind , auch dad urch, wie die I nteraktionspartner a uf sie reagieren. Öffentlichkeit. Der K reis mög licher B eobachter wird k leiner, w enn Verhalten eher p rivaten o der gar intimen Charakter hat. Hier ist zu b erücksichtigen, dass es hier gr oße Unterschiede hinsichtlich dessen gibt, was eine Person für sich als eine mehr oder weniger private o der intime Verhaltensweise ansieht. Notwendige Interaktionspartner. Bei der F rage, was zu b eobachten ist, ist na türlich immer zu bedenken, dass dies a n die v erschiedenen zu b eobachtenden Personen geknüpft ist. V iele psychologisch-diagnostische Fragestellungen können nur angemessen b earbeitet w erden, w enn a ußer den Probanden selbst noch weitere Personen in die diagnostischen Untersuchungen einbezogen werden. So wird man z. B. bei Fragen der Schullaufbahnberatung nicht nur diagnostische Informationen vom Kind erheben, sondern auch die Eltern und evtl. die Lehrer syst ematisch zu den f ragestellungsrelevanten Themen befragen. Bei anderen Fragestellungen kann es no twendig s ein, w eitere Verwandte o der andere P ersonen a us der U mgebung der P robanden einzub eziehen. D abei ist jedo ch zu b eachten, dass dafür immer die Ein willigung des Probanden und/ oder des Auftraggebers erforderlich ist. Soziale Er wünschtheit. Welches V erhalten zu beobachten ist, hä ngt u . a. v on den N ormen a b, denen sic h jema nd v erpflichtet f ühlt und die v on den Bezugsgruppen bestimmt werden, denen sic h Menschen s elbst zuo rdnen. B eobachtete w erden versuchen, das V erhalten zu zeig en, was sie f ür sozial wünschenswert halten, oder, wie wir b ereits gesehen haben, das, was die B eobachter ihrer Vermutung nac h f ür a ngemessen hal ten. B eobachter hingegen w erden V erhalten nac h ihr en eig enen Normvorstellungen als mehr o der w eniger a ngemessen beurteilen. Letzteres kann besonders dann zu Schwierigkeiten führen, wenn Psychologen oder andere B eobachter, die s elbst z.B. aus b ehütenden Elternhäusern st ammen, unr eflektiert ihr e W ertmaßstäbe auf Probanden in anderen Verhältnissen übertragen.
9.4 Zeitpunkt und Zeitraum
der Beobachtung
Merke
I
9
65
9.5 · Art der Beobachtung
I
Zeitpunkt und Zeitraum der Beobachtung (Wann? Wie lange?) Auch unter Berücksichtigung der Stabilität und Änderbarkeit von Merkmalen gilt die allgemeine Regel: Je länger eine Beobachtung zurück liegt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht mehr wiederholt werden kann, weil sich das zu Beobachtende geändert hat.
Bestimmte V erhaltensmerkmale b leiben in ihr er Ausprägung üb er die Z eit hin weg eher g leich als andere, sind als o st abiler. Vom G esichtspunkt der Stabilität un terscheiden wir den der Änderba rkeit: Auch stabile Merkmale können änderbar sein. Mangelhafte Rechtschreibkenntnisse können zwar sehr stabil sein, sind aber trotzdem durch systematisches T raining zu ä ndern. D er Z eitpunkt einer Beobachtung ist immer zu b eachten, da sic h zwischenzeitlich das b eobachtete M erkmal g eändert haben kann. Beispielsweise w erden wir das Er gebnis eines Intelligenztests, der vor zwei Wochen durchgeführt wurde, a nders v erarbeiten als eines, das v or zehn Jahren er mittelt wur de. I ntelligenz ist zwa r eines der st abilsten und ka um ä nderbaren M erkmale, aber es gib t Krankheiten o der Unfälle, die sie b eeinträchtigen können. Die A usprägung eines M erkmals ka nn k onstant bleiben, doch wird man in der Praxis häufiger erfahren, dass ma n mi t einmal erhob enen I nformationen V erschiedenes v orherzusagen v ersucht, z. B. zuerst den A usbildungserfolg und spä ter den Berufserfolg. Hier konnte Hossiep (1995) in einer großen S tudie zeig en, dass psy chologische V ariablen den A usbildungserfolg zuf riedenstellend vorhersagen k onnten, den B erufserfolg nac h der Ausbildung zunächst nicht, wohl aber nach einigen Jahren. Alle B eurteilten wa ren im U nternehmen nach der A usbildung zunäc hst g leich ein gestuft, dann war keine Vorhersage möglich. Nach einigen Jahren stiegen die B eurteilten unterschiedlich weit auf, da nn zeigt e sic h wieder eine V orhersageleistung der psy chologischen V ariablen. M angelnde
Vorhersageleistung m uss als o nic ht a n den psychologischen V ariablen lieg en, s ondern ka nn a n den M erkmalen lieg en, die v orhergesagt w erden sollen. 9.5 Art der Beobachtung
Definition
I
I
Art der Beobachtung (Wie?) Merkmale wissenschaftlicher Verhaltensbeobachtungen: 1. Gültiger Plan mit wohlbegründeten Kategorien für Durchführung, Auswertung und Interpretation der Beobachtungen. 2. Durchführung der Beobachtungen gemäß dem gültigen Plan durch – qualifizier te Beobachter, – die die bestgeeigneten Aufzeichnungsmöglichkeiten verwenden. 3. Auswertung der Beobachtungen wie im Plan festgelegt.
Die Quali tät v on nic htstandardisierten B eobachtungen er gibt sic h da raus, wie s ehr sie dem I deal wissenschaftlicher V erhaltensbeobachtungen nahekommen. Es bleibt eine im Einzelfall fachlich zu begründende En tscheidung, w elche B eobachtungen wir mi t welchen Einschränkungen zur B eantwortung der P sychologischen F ragen und da mit der Fragestellung des Gutachtens verwenden. Die Grundlage jeder wiss enschaftlichen Beobachtung b esteht im syst ematischen Vorgehen, das in aller Reg el n ur d urch eine s orgfältige Pla nung erreicht werden kann. Dabei muss der Plan in allen Details w ohlbegründet s ein und g enaue An gaben über das »W as? «, »W er? «, »W ann? « und »W ie? « der B eobachtung mac hen. D er Pla n mac ht dies e Anweisungen s owohl f ür die Dur chführung als auch f ür die A uswertung und I nterpretation v on Beobachtungen. Alltägliche B eobachtungen wie a uch un geplante B eobachtungen des V erhaltens b ei psy chologischen Untersuchungen erfüllen diese Kriterien durchweg nicht. Bei dieser Art von Beobachtungen besteht daher immer die G efahr, dass der B eobachter n ur das b eobachtet, r egistriert und w eiter-
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9
Kapitel 9 · Merkmale diagnostischer Informationsquellen
verwendet, was ihm g erade »pass end« er scheint. Bei en tscheidungsorientiertem V orgehen in der psychologischen Diagnostik lass en sich solche Urteilsfehler w eitestgehend v ermeiden, w eil hier die Psychologischen F ragen s owie die a nschließende Grob- und F einplanung die A ufmerksamkeit der Untersuchenden auf die b egründetermaßen wichtigen Aspekte lenken. Müssen die P robanden o der s onstige N ichtpsychologen als B eobachter ein gesetzt w erden, s o empfiehlt es sich, ihnen genau zu erk lären, welche Verhaltensweisen sie in welcher Weise festzuhalten haben. Dabei legen wir Wert auf einfach zu b eobachtendes V erhalten, das sic h mög lichst ob jektiv registrieren lässt. Dies verlangt eine Beschränkung auf das wirk lich Wesentliche und da rf die B eobachter nicht überfordern. Einen w esentlichen G rundsatz b efolgen wir immer: Es s oll nie n ur das p roblematische, st örende Verhalten b eobachtet w erden, s ondern immer a uch das, was F reude mac ht. Dies b ewirkt durchweg, dass z. B. E ltern ihr e K inder deu tlich weniger p roblematisch erleb en. J edes ein seitige Ausrichten der B eobachtungen n ur a uf P robleme im Verhalten b irgt dem gegenüber die G efahr der Intensivierung b estehender S chwierigkeiten, w eil die A ufmerksamkeit no ch mehr a uf sie g erichtet wird. Außerdem bieten die B eobachtungen positiv bewerteten Verhaltens eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Interventionen. Die A uswertung v on B eobachtungen, d . h., welche Psychologischen F ragen da mit b eantwortet w erden s ollen, muss eb enfalls g eplant w erden. Besonders hilf reich ist es, w enn ma n auch dies en Schritt dir ekt zu B eginn der U ntersuchungen t ut. Dann fäll t a uf, ob der B eobachtungsplan hinr eichend dif ferenziert o der auch unangemessen ausführlich ist. W enn b ereits D aten v orliegen, sind u. U. gün stige G elegenheiten v erpasst, b estimmte Aspekte zu berücksichtigen. Beobachtungen, die in den v orgegebenen I nformationen enthalten sind, lassen sich oft schwer beurteilen: Dies e sind i .d.R. nic ht un ter der Z ielsetzung einer psy chologischen B egutachtung v orgenommen w orden. A us s olchen nic htpsychologischen B eobachtungen sind hä ufig w esentlich weniger weitreichende Schlüsse zu ziehen, als dies auf den er sten B lick s cheinen mag, vielmehr b e-
darf A ussage f ür A ussage dies er V orinformationen einer gr ündlichen P rüfung hin sichtlich der in dies em K apitel a ngesprochenen Merkmale v on Beobachtungen.
10
Standardisierte diagnostische Verfahren 10.1
Kriterien für die Wahl standardisierter diagnostischer Verfahren
10.2
Eine Definition von Theorie für psychologisches Arbeiten
10.3
Funktionen von Theorien zu diagnostischen Verfahren
10.4 Objektivitä t standardisierter Verfahren 10.4.1 Objektivität der Durchführung
– 70 – 71
– 71
10.4.4 Objektivität der Interpretation
– 73
10.5 Reliabilitä t standardisierter Verfahren 10.5.1 Entscheidung für eine Reliabilitätsart 10.5.2 Beurteilung der Reliabilität
– 69
– 70
10.4.2 Maßnahmen zur Erhöhung der Durchführungsobjektivität 10.4.3 Objektivität der Auswertung
– 68
– 74
– 75
– 75
10.6 V alidität standardisierter Verfahren – 76 10.7
Einige Anmerkungen zur Höhe von Validitätskoeffizienten
– 77
– 68
68
Kapitel 10 · Standardisierte diagnostische Verfahren
10.1
Kriterien für die Wahl standardisierter diagnostischer Verfahren
Kriterien für die Wahl standardisierter diagnostischer Verfahren Kriterien für Tests und Fragebogen sind z. B. 1. die theoretischen Grundlagen der Verfahren, 2. die empirischen Merkmale: – Objektivität, – Reliabilität, – V alidität, – Normen, 3. das Verhältnis von Kosten und Nutzen bei der jeweiligen Fragestellung.
10
Es ist in der psy chologischen Diagnostik un gewöhnlich, in den t heoretischen G rundlagen eines Verfahrens da s o berste A uswahlkriterium zu sehen. Wir werden aber zeigen, dass dieses Kriterium immer das erste sein muss, weil die nachfolgenden Kriterien da rauf a ufbauen. Z ur B eurteilung der Qualität der t heoretischen G rundlagen b raucht man einen M aßstab. Ein s olcher M aßstab ist die Theoriedefinition v on G uttman (1981), die wir hier vorstellen werden. Für jeden P sychologen sind die Ob jektivität, Reliabilität, Validität und N ormen s elbstverständliche Merkmale eines Tests oder Fragebogens, über die ma n inf ormiert s ein m uss, w enn ma n sic h für o der g egen den Ein satz eines s olchen Verfahrens en tscheidet. Ausführliche D arstellungen und kritische A useinandersetzungen mi t dies en T estmerkmalen sind in ein schlägigen L ehrbüchern zu finden (z. B. Kline 1993; Lienert u. Raatz 1994; Rost 1996). Daher verzichten wir hier a uf eine Wiederholung und w eisen stattdessen auf eine Reihe v on Aspekten hin, die dort nicht zur Sprache kommen, nach un seren Er fahrungen a ber b ei der A uswahl und b eim Ein satz v on st andardisierten Verfahren wichtig sind. Neben den allgemeinen Merkmalen eines Verfahrens gib t es un tersuchungsspezifische B esonderheiten, die ein V erfahren f ür eine b estimmte Fragestellung mehr oder weniger geeignet erscheinen lass en: K osten und N utzen ihr es Ein satzes.
Überlegungen hierzu ha ben wir s chon im Z usammenhang mit dem U ntersuchungsplan dargestellt. Diese s ollen hier nic ht wiederho lt w erden. W ir wollen nur daran erinnern, dass der Einsatz einzelner Verfahren s owie das diagnostis che Vorgehen insgesamt n ützlicher s ein m üssen als die V orgehensweisen, die bisher bei solchen Fragestellungen angewendet w erden. D as b edeutet, das K ostenNutzen-Verhältnis für unser Vorgehen muss besser sein als f ür s og. A-priori-Strategien (Cr onbach u . Gleser 1965). 10.2
Eine Definition von Theorie für psychologisches Arbeiten
Definition
I
I
Guttman (1981, S. 51) definiert Theorie »A theory is an hypothesis of a correspondence between a definitional system for a universe of observations and an aspect of the empirical structure of those observations, together with a rationale for such an hypothesis.«
Guttmans Definition verlangt von einer Theorie 1. ein D efinitionssystem f ür das U niversum der Beobachtungen, 2. die Angabe von einem (oder mehreren) Aspekten an der em pirischen Struktur der B eobachtungen, 3. eine (o der mehr ere) H ypothese(n) üb er die Entsprechung v on D efinitionssystem und einem Aspekt der em pirischen Struktur der B eobachtungen und 4. eine inhal tliche B egründung f ür dies e H ypothese. Schauen wir un s die B estimmungsstücke dies er Definition einmal etwas genauer an. Zu B eginn jeder wiss enschaftlichen T estkonstruktion m uss def iniert w erden, was b eobachtet werden s oll und wie das U niversum der (möglichen) B eobachtungen a ussieht. Ein v olles V erständnis dess en, was T estautoren t heoretisch und damit auch praktisch mit ihrem Verfahren wollen, ist n ur da nn mög lich, w enn ma n alle ihr e Üb erlegungen S chritt f ür S chritt nac hvollziehen ka nn
69
10.3 · Funktionen von Theorien zu diagnostischen Verfahren
und wenn sie alle notwendigen und hinreichenden Schritte a ngeben. Als K riterium ka nn hier g elten, ob im Theo rieteil eines V erfahrens alle no twendigen D efinitionen s o g egeben w erden, dass a ndere P sychologen da mit v ergleichbare neue T ests konstruieren k önnten. Dies ist b ei den meist en psychologischen V erfahren no ch nic ht o der n ur ansatzweise der Fall. Je mehr notwendige Definitionen des Definitionssystems für das Universum der Beobachtungen fehlen, um so mehr Z usatzannahmen m üssen wir machen, um ein V erfahren praktisch einsetzen zu können. Damit werden die Aussagen aber unsicherer, die wir a uf dieses Verfahren bei der B egutachtung gründen. Mit Aspekten der empirischen Struktur der Beobachtungen sind die Verteilungen von Daten, die Merkmale dies er Verteilungen s owie Z usammenhänge und U nterschiede zwis chen V erteilungen von Daten gemeint. Eine Theo rie b esteht a us mindest ens einer , i.d.R. a ber s ehr vielen H ypothesen üb er die En tsprechung v on dem D efinitionssystem und A spekten der em pirischen Struktur der B eobachtungen. – W ir erinnern noch einmal da ran, dass eine Hypothese eine Aussage über den Zusammenhang zwischen Variablen ist, der em pirisch geprüft werden ka nn und sic h da bei als fals ch hera usstellen kann, d . h. falsif izierbar ist. – H ypothesen einer Theorie s agen v orher, w elche D atenverteilungen die A utoren einer Theo rie er warten und w elche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Verteilungen sie vorhersagen. Die W erte einer S tichprobe v on P robanden in einem T est v erteilen sic h in einer b estimmten Form. Am häufigsten nähern sich diese Verteilungen einer N ormalverteilung a n. Aller dings m uss dies nicht so sein. Die Theorie eines Tests sagt die Verteilungsform der D aten vorher, empirisch lässt sich dann feststellen, ob diese Vorhersage (= Hypothese) stimmt oder nicht. Statt ganzer Verteilungen betrachtet man häufig n ur die als wic htig a ngesehenen M erkmale dieser V erteilungen und b erechnet dazu M aße der zen tralen T endenz wie M ittelwert, M edian oder M odus, und M aße f ür die S treuung wie Standardabweichung und Varianz. In der Theo rie können n un V orhersagen üb er die A usprägung
10
dieser und a nderer M erkmale v on V erteilungen gemacht werden. Weiter kann in der Theo rie vorhergesagt werden, wie gu t V erteilungen üb ereinstimmen o der wie sie sic h un terscheiden. Eine Theo rie ka nn also Aussagen über Gemeinsamkeiten und U nterschiede zwischen Verteilungen von Testwerten machen, d. h. beispielsweise, wie gut die Testwerte von Probanden b ei zw ei T estungen üb ereinstimmen oder wie sic h die W erte v erschiedener G ruppen von Probanden unterscheiden. Schließlich zeic hnet sic h eine Theo rie w eiter dadurch aus, dass sie eine inhal tliche Begründung für jede ihr er H ypothesen a ngibt. Die A utoren von Theorien geben als o die psy chologischen Argumente a n, mi t denen sie ihr e H ypothesen b egründen, denn es gib t keine Hypothesen, die sic h von s elbst ergeben o der s olche, die »ma n immer« prüft. 10.3
Funktionen von Theorien zu diagnostischen Verfahren
Funktionen Eine Theorie zu einem diagnostischen Verfahren hilft dem Diagnostiker mit den notwendigen Informationen über ▬ das Definitionssystem für das Universum der Beobachtungen, ▬ die Aspekte der empirischen Struktur der Beobachtungen, ▬ Hypothesen über Entsprechungen zwischen Definitionssystem und Aspekten der empirischen Struktur, ▬ psychologische Begründungen für diese Hypothesen. Diese braucht er, um die Konstruktion zu verstehen und das Verfahren entsprechend der Theorie anwenden, auswerten und die Ergebnisse interpretieren zu können.
Der v erantwortungsvolle G ebrauch wiss enschaftlicher I nstrumente – um s olche ha ndelt es sic h bei psychologischen Tests und Fragebogen – s etzt
70
10
Kapitel 10 · Standardisierte diagnostische Verfahren
voraus, dass die An wender die K onstruktion der Instrumente v erstehen k önnen. D azu b rauchen sie I nformationen üb er alle S chritte der K onstruktion. Aber nic ht n ur f ür die An wendung, s ondern auch f ür die A uswertung und I nterpretation der Messwerte wiss enschaftlicher I nstrumente b enötigen ihr e B enutzer die g enannten I nformationen über die zugr unde liegende Theorie, wenn sie die Ergebnisse ihr er M essungen je weils in K ombination mit anderen Informationen über den Probanden zutreffend weiterverarbeiten wollen. Hier st ellt sic h in der P raxis hä ufig das P roblem, dass notwendige Angaben über die Theorie zu einem Test fehlen. Es gib t s ogar eine ga nze Reihe von Verfahren, bei denen üb erhaupt keine theoretischen Grundlagen dargestellt werden. Hier müssen sich Psychologen durch Informationen aus der Fachliteratur und entsprechende Zusatzannahmen die notwendigen Grundlagen schaffen. Je mehr sie dabei a nnehmen m üssen, um so gr ößer wir d das Fehlerrisiko für Aussagen, die auf solche Testergebnisse gegründet sind. Alle psychologischen Diagnostiker sollten sich bei jedem V erfahren, das sie v erwenden w ollen, immer erst f ragen, ob sie die hierzu no twendigen Annahmen a us der zugr unde lieg enden Theo rie und der en tsprechenden em pirischen F orschung heraus gu t b egründen k önnen. S ie w erden da nn feststellen, wie oft dies nicht möglich ist. Projektive Verfahren z. B. scheiden danach u. E. f ür eine entscheidungsorientierte Diagnostik a us (vg l. s chon Hörmann 1964, 1964a).
Anwender in s einer Dur chführung, A uswertung und Interpretation übereinstimmen. Ein Verfahren ist nic ht einfac h ob jektiv o der nic ht, s ondern die intersubjektive Üb ereinstimmung ka nn v on s ehr niedrig bis sehr hoch variieren. Wenn wir v erlangen, dass es sic h um fac hlich kompetente An wender ha ndeln s oll, s o w ollen wir da mit da rauf hin weisen, dass zu dem Einsatz psychologischer Verfahren mehr dazug ehört, als dass jema nd z. B. T ests a usteilen, I nstruktionen vorlesen und Tests nach der H andanweisung durchführen, auswerten und in terpretieren ka nn. Wir werden im Folgenden nämlich auf eine Reihe von Problemen eingehen, die sic h bei der Dur chführung, Auswertung und Interpretation von Tests ergeben k önnen. W ir w erden L ösungen f ür die Probleme v orschlagen, und es wir d sic h zeig en, dass psy chologische F achkenntnisse a uch f ür die Anwendung ob jektiver V erfahren un bedingt er forderlich sind.
Objektivität standardisierter Verfahren
Probanden k önnen, zumindest zei tweise, Z iele verfolgen, die nic ht mi t den U ntersuchungszielen übereinstimmen o der ihnen ga r en tgegengesetzt sind. Ebenso können die P robanden sich ein Verfahren oder die ganze Untersuchung anders vorgestellt haben, als sie dies e dann tatsächlich erleben. Beides kann zu v öllig unbrauchbaren Ergebnissen führen. Bei vielen V erfahren sind die An weisungen für P robanden o der a uch Testleiter nic ht immer hinreichend eindeutig. In solchen Fällen kann die starre Fixier ung a uf die H andanweisung zu unbrauchbaren Ergebnissen führen. Haben Psycholo-
10.4
Definition
I
Objektivität
I
bedeutet intersubjektive Übereinstimmung bei der Durchführung, Auswertung und Interpretation von standardisierten diagnostischen Verfahren.
Ein psy chologisches V erfahren ist um so ob jektiver, je b esser v erschiedene fac hlich k ompetente
10.4.1
Objektivität der Durchführung
Merke
I
I
Mögliche Probleme bei der Durchführung standardisierter psychologischer Verfahren: ▬ Probanden verfolgen unpassende Ziele. ▬ Probanden haben unzutreffende Erwartungen. ▬ Anweisungen sind nicht eindeutig. ▬ Es tauchen bisher in der Lit eratur nicht berichtete Schwierigkeiten auf.
71
10.4 · Objektivität standardisierter Verfahren
gen die Theorie des Verfahrens jedoch verstanden, dann ergibt sich hieraus, wie in s olchen Fällen zu verfahren ist. 10.4.2
Maßnahmen zur Erhöhung der Durchführungsobjektivität
Merke
I
I
Zur Erhöhung der Durchführungsobjektivität kann beitragen: ▬ Erklären der Ziele und des Ablaufs der Untersuchung, ▬ Erläutern der Rollen: der Probanden, der Psychologen usw., ▬ Frage nach den Vorstellungen der Probanden, unzutreffende Erwartungen korrigieren, ▬ auf mögliche Schwierigkeiten hinweisen und erklären, wie man damit umgehen kann, ▬ Vereinbarung über das gemeinsame Vorgehen.
Eine wic htige G rundlage f ür Vertrauen ist Of fenheit. Wir erk lären daher zu B eginn jeder psy chologischen U ntersuchung die Z iele, die wir da bei verfolgen. Dies t un wir a uch dann, wenn die P robanden »eig entlich« s chon v on jema nd a nderem informiert worden sind. Zur Darstellung des Ablaufs der gesamten Untersuchung b eschreiben wir den P robanden die vorgesehenen Verfahren und ihr e Abfolge und er klären, wozu sie eingesetzt werden. Weiter erlä utern wir nic ht n ur un sere eig ene Rolle bei der B egutachtung, sondern auch die des Probanden und möglicher anderer Beteiligter. Da P robanden hä ufig unzu treffende Er wartungen an psychologische Untersuchungen haben, ist es sinn voll, sie ihr e Vorstellungen darstellen zu lassen, damit man dies e nötigenfalls r ichtigstellen kann. Z ugleich w eisen wir immer a uf S chwierigkeiten hin, die er fahrungsgemäß auftauchen k önnen. Wir erklären auch, wie wir mit den Probanden gemeinsam damit erfolgreich umgehen können. Den Abschluss eines solchen Vorgesprächs (das ist noch kein entscheidungsorientiertes Gespräch!)
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stellt immer eine ausdrückliche Vereinbarung über das gemeinsame Vorgehen dar. Dieses Vorgehen ist gerade b ei zunäc hst s chlecht motivierten Probanden äußerst hilfreich. Bei gut motivierten Probanden erhöht dieses Vorgehen die Z ufriedenheit mit der Untersuchung, weil sie sich als Person geachtet fühlen. 10.4.3
Objektivität der Auswertung
Merke
I
I
Kriterien für die wissenschaftliche Auswertung von standardisierten psychologischen Verfahren Psychologische Verfahren müssen immer nach dem neuesten Stand der Wissenschaft hinsichtlich Theorieentwicklung, Methoden und Inhalten ausgewertet werden. Weiter müssen Auswertungen: ▬ theorieentspr echend, ▬ psy chometrisch sinnvoll, ▬ logisch gerechtfertigt sein.
Bei psy chologischen G utachten ha ndelt es sic h um wiss enschaftliche Arb eiten, die den K riterien entsprechen m üssen, die a n wiss enschaftliche Arbeiten allg emein a ngelegt w erden. D as w eiter oben da rgestellte K riterium zur B eurteilung wissenschaftlicher A ussagen, die G ültigkeit, s oll hier hinsichtlich der A uswertung st andardisierter Verfahren präzisiert werden. Auswertungen v on st andardisierten V erfahren k önnen n ur da nn gül tig s ein, w enn sie nac h dem neuest en Stand der W issenschaft v orgenommen werden. Dabei müssen die Fortschritte in der Theoriebildung ebenso berücksichtigt werden wie methodische Weiterentwicklungen und inhal tlich neue Erk enntnisse. Eine Auswertung eines T ests nur unter Berücksichtigung der Informationen aus seiner Handanweisung führt also u. U. zu wiss enschaftlich nicht mehr vertretbaren Ergebnissen. Wir b eurteilen V orschläge und An weisungen zur Auswertung v on Tests immer nac h f olgenden drei Kriterien: 1. Entsprechen sie der Theo rie, die dem V erfahren zugrunde liegt?
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Kapitel 10 · Standardisierte diagnostische Verfahren
2. Sind sie psychometrisch sinnvoll? 3. Sind sie logisch gerechtfertigt?
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Aus der Theo rie eines T ests g eht her vor, wie er auszuwerten ist. Die A uswertungshinweise der Testautoren müssen sich aus der Theo rie ergeben, sie dürfen ihr aber zumindest nicht widersprechen. Wenn als o b eispielsweise alle W echsler-Intelligenztests die allgemeine Intelligenz erfassen sollen, dann stimmen P rofilauswertungen nic ht mi t der zugrunde liegenden Theorie überein. An dies em B eispiel lässt sic h a uch das zw eite Kriterium v eranschaulichen: Rein f ormal mög liche A uswertungen sind psy chometrisch sinnlos, wenn b estimmte Testmerkmale gegeben sind. Die Untertests der W echsler-Intelligenztests sind , der Theorie entsprechend, so konstruiert, dass sie alle die allgemeine Intelligenz erfassen, die Er gebnisse in den U ntertests k orrelieren en tsprechend ho ch miteinander. B ei ho hen K orrelationen zwis chen Subtests sind a ber a us t esttheoretischen G ründen (Huber 1973) k eine Informationen über ein P rofil zu erhalten. Man kann testtheoretisch nicht sicherstellen, dass es sic h um ein ec htes P rofil ha ndelt. Von einem ec hten Profil kann man nur sprechen, wenn die Unterschiede zwischen den Subtestergebnissen eines P robanden nicht durch den M essfehler erklärt werden können. Viel häufiger als eine una ngemessene Profilinterpretation ist die fäls chliche I nterpretation v on Punktwerten. Z ur B eschreibung der A usprägung psychologischer M erkmale v erwenden wir der Klarheit w egen immer n ur die f olgende K lassifikation: (1) unterdurchschnittlich, (2) unterdurchschnittlich bis durchschnittlich, (3) durchschnittlich, (4) durchschnittlich bis überdurchschnittlich (5) überdurchschnittlich. Jedes Merkmal lässt sic h nur mit einer b estimmten G enauigkeit mess en. Die g emessenen W erte stehen als o st ellvertretend f ür einen mehr o der weniger gr oßen B ereich v on W erten. I nnerhalb dieses B ereichs liegt der t esttheoretisch »wahr e« Testwert eines P robanden mi t einer s ehr ho hen Wahrscheinlichkeit. Die Größe dieses Bereichs variiert mi t der M essgenauigkeit (Relia bilität) des
verwendeten V erfahrens. Die An gabe eines einzelnen Punk twertes ist als o k eine fac hgerechte Informierung des Gutachtenlesers. Testtheoretisch begründet m uss immer das I ntervall a ngegeben sein, in dem der wahr e W ert mi t ho her W ahrscheinlichkeit liegt. In einem G utachten b eschreiben wir f ür Nichtpsychologen eindeu tig und v erständlich, in welchen Bereich ein Testwert einzuordnen ist. Für diese Mitteilung reichen die o . g. f ünf Kategorien aus. Bei allen psy chologischen T ests und F ragebogen wir d v on den A utoren a ngegeben, w elche Punktwerte der Dur chschnittsbereich umfasst. Bei den meist en mit Standardnormen arbeitenden Tests liegt der M ittelwert b ei einem S tandardwert von 100 und der Dur chschnitt zwischen den Standardwerten 90 und 110 . W urde n un b ei einem Probanden ein Wert von 91 gemessen, so ist dieser als un terdurchschnittlich b is d urchschnittlich zu klassifizieren, da der V ertrauensbereich f ür den entsprechenden wahr en W ert v on un terdurchschnittlich bis durchschnittlich reicht. Wir v erwenden n ur die ob en v orgeschlagene Klassifikation und v ersehen sie der K larheit w egen mi t k einerlei w eiteren Z usätzen. G utachtenleser f inden dies s ehr hilf reich. W enn sic h im Gutachten Klassifikationen wiederholen, so ist das kein sp rachliches M issgeschick, s ondern die k orrekte B eschreibung v on em pirischen F akten. Z ur Beantwortung der F rage, w elche T estwerte ma n wie k lassifiziert, dien t die f olgende syst ematische Übersicht. Die Verteilung von Testwerten besteht aus drei Bereichen: ▬ »unterdurchschnittlich«: Werte kleiner als Mittelwert minus eine Standardabweichung, ▬ »durchschnittlich«: Werte v on M ittelwert minus eine S tandardabweichung b is M ittelwert plus eine S tandardabweichung ein schließlich der G renzen (b eim I Q sind als o 85 und 115 »durchschnittlich«), ▬ »überdurchschnittlich«: Werte gr ößer als M ittelwert plus eine Standardabweichung. Zur Klassifikation e ines Testwertes b estimmt ma n die Lage der linken und rechten Grenze des Konfidenzintervalls (KI) des wahren Testwerts.
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10.4 · Objektivität standardisierter Verfahren
Untere Grenze des KI
obere Grenze des KI
Klassifikation des Testwertes als
unterdurchschnittlich
unterdurchschnittlich
unterdurchschnittlich
unterdurchschnittlich
durchschnittlich
unterdurchschnittlich bis durchschnittlich
durchschnittlich
durchschnittlich
durchschnittlich
durchschnittlich
überdurchschnittlich
durchschnittlich bis überdurchschnittlich
überdurchschnittlich
überdurchschnittlich
überdurchschnittlich
Logisch nic ht g erechtfertigte A uswertungsvorschläge f ür st andardisierte Verfahren lieg en da nn vor, wenn logisch falsche Schlüsse gezogen werden. Am B eispiel der s og. Of fenheits-, K ontroll- o der Lügenskalen sei das veranschaulicht. In diesen Skalen werden überwiegend bis ausschließlich Fragen oder Feststellungen v erwendet, in denen die P robanden da rin b eschriebene k leine N ormverstöße zugeben oder abstreiten können. Nun können Probanden dies e N ormverstöße a bstreiten, w eil sie (1) sie nic ht zugeben wollen; sie l ügen dann, oder (2) sie dies e t atsächlich nicht b egangen haben. Es wird in den V erfahren a ngenommen, dass jeder Proband eine b estimmte Anzahl s olcher N ormverstöße a ngeben m üsste. D abei wir d üb ersehen, dass es wirk lich P ersonen gib t, die k eine s olchen Normverstöße zuzugeben haben. Dies bedeutet, es wird logisch falsch geschlossen. Der r egelmäßig da mit v erknüpfte, zw eite logische F ehler b esteht da rin, dass ma n a nnimmt, dass P ersonen, die b ei F ragen und F eststellungen zu kleinen Normverstößen vielleicht beschönigend geantwortet ha ben, a uch a uf a ndere F ragen und Feststellungen unzutreffend antworten. In den a nderen Skalen dieser Fragebogen geht es aber häufig um Verhalten, das durch soziale Normen nicht oder nicht eindeu tig g eregelt ist. Es ist o ffensichtlich, dass der b eschriebene Schluss logisch nicht richtig sein kann. Anstelle des hier nic ht mög lichen logischen S chlusses k önnte der em pirische N achweis eines sehr hohen Zusammenhanges zwischen dem
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Antwortverhalten in Offenheitsskalen und anderen Persönlichkeitsskalen von praktischem Nutzen sein. Solche gibt es jedoch unseres Wissens nicht. Es bleibt zu dem Problem der Fälschbarkeit von Antworten in F ragebogen f ür die diagnostis che Praxis bis heute nur eine F eststellung: Wer Fragebogen verstehen kann, kann sie a uch verfälschen. Wenn a ber mi t Verfälschungen g erechnet w erden muss, so kann man (1) entweder keine Fragebogen einsetzen, (2) d urch Of fenlegung aller Z iele und durch B eschreibung der F olgen v on Verfälschung die P robanden zur ehrlic hen B eantwortung motivieren o der (3) F ragebogen n ur do rt ein setzen, wo die P robanden s chon en tsprechend mo tiviert sind. L etzteres ist z. B. da nn der F all, w enn die Probanden selbst eine psychologisch-diagnostische Untersuchung wün schen, da mit ihnen b ei einem persönlichen Problem geholfen werden kann. 10.4.4
Objektivität der Interpretation
Bedingungen für eine möglichst objektive Interpretation der Ergebnisse standardisierter Verfahren 1. Beobachtung des Verhaltens der Probanden während, kurz vor und nach der Untersuchung. Im Kapitel »Ergebnisse« eines Gutachtens ist die Verhaltensbeobachtung vor den Ergebnissen im jeweiligen Verfahren darzustellen. 2. Im Kapitel »Ergebnisse« eines Gutachtens werden die Ergebnisse von standardisierten Verfahren immer relativiert in Bezug auf – das Verfahren, – den Zeitpunkt der Untersuchung (Präteritum) – die Vergleichsstichprobe.
Testergebnisse können nur dann angemessen interpretiert werden, wenn sichergestellt wurde, dass die Probanden en tsprechend der Anlei tung g earbeitet haben. Um dies b eurteilen zu k önnen, m uss ma n das V erhalten der P robanden b eobachten. D abei kommt es nic ht n ur a uf die B eobachtungen während der Testdurchführung an: Auch aus dem Ver-
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10
Kapitel 10 · Standardisierte diagnostische Verfahren
halten k urz v or o der nac h der U ntersuchung sind oft wichtige Hinweise zu en tnehmen, wie die T estund Fragebogenergebnisse zu interpretieren sind. Wir gehen b ei unseren Einzelfalluntersuchungen no ch einen S chritt w eiter. W ir sp rechen mi t den Probanden vor den Untersuchungen und stellen eine mög lichst gu te M otivation sic her. N ach jedem Verfahren lassen wir uns darüber berichten, wie die P robanden einen Test erlebt haben, wo es Schwierigkeiten ga b und wie sie mi t dies en umgegangen sind . I n dies en k urzen G esprächen, die oft n ur B emerkungen sind , erhal ten wir hä ufig entscheidende H inweise a uf die Arb eitsweise der Probanden. Beides, die B eobachtungen wie a uch die Er gebnisse der k urzen G espräche, b erichten wir als Verhaltensbeobachtung im Er gebnisteil des G utachtens. Dies e V erhaltensbeobachtungen ka nn man alle zus ammen un ter einem U ntergliederungspunkt des K apitels »Er gebnisse« da rstellen. Wir b evorzugen aller dings, jede V erhaltensbeobachtung v or dem B ericht üb er die Er gebnisse des speziellen Verfahrens da rzustellen. D adurch wir d das, was zus ammengehört, a uch zus ammenhängend berichtet. Alle im H inblick a uf die F ragestellung wic htigen Verhaltensweisen, die wir währ end der übrigen K ontakte b eobachten, st ellen wir in dem Gliederungspunkt »V erhaltensbeobachtung« des Kapitels »Er gebnisse« zus ammen. Dies e V erhaltensbeobachtungen gliedern wir nach den von uns formulierten P sychologischen F ragen, da wir ja entsprechend diesen Fragen das Verhalten der Probanden und aller üb rigen b ei der B egutachtung wichtigen Personen beobachten. Im Kapitel »Ergebnisse« des Gutachtens stellen wir die Er gebnisse aller V erfahren im P räteritum dar. Durch die Relativierung auf den Zeitpunkt der Untersuchung wird für den L eser deutlich, dass es sich um ein b estimmtes Er gebnis in einem V erfahren handelt und noch nicht um eine endgültige Befundaussage (= Antwort auf eine Psychologische Frage). Wenn wir Er gebnisse v on P robanden in st andardisierten Verfahren darstellen, so klassifizieren wir die W erte in dies em V erfahren im H inblick auf eine V ergleichsstichprobe, der en W erte den Maßstab, die Norm, bilden.
Damit werden L eser (1) nic ht mit Z ahlenwerten belastet, die ihnen weniger sagen als eindeutige Klassifikationen. (2) S ie er fahren die K lassifikation, z. B. der I ntelligenz, en tsprechend dem v erwendeten Verfahren. Die endgül tige Aussage, z. B. über die Ausprägung der Intelligenz, erfolgt erst im Befund, wo alle Informationen über die Intelligenz des P robanden zus ammengetragen und g ewichtet werden. (3) Dur ch die An gabe der V ergleichsstichprobe v erdeutlichen wir , mi t w em wir den Probanden verglichen haben. Die L eistungen, z. B. in Intelligenztests, sind nämlich unterschiedlich zu klassifizieren, je nac hdem, ob sie mi t dem Dur chschnitt der Gleic haltrigen o der mi t dem Dur chschnitt der g leichaltrigen A biturienten v erglichen werden. 10.5
Reliabilität standardisierter Verfahren
Definition
I
I
Reliabilität (Messgenauigkeit)
Ein standardisiertes Verfahren ist um so reliabler (messgenauer), je höher die Ergebnisse bei Anwendungen von Testteilen oder zu verschiedenen Zeitpunkten übereinstimmen. 1. Übereinstimmung zwischen Teilen geben die interne Konsistenz, die Testhalbierungsund die Paralleltest-Reliabilität an. 2. Übereinstimmung zwischen Zeitpunkten gibt die Retest-Reliabilität an.
Die M essgenauigkeit v on st andardisierten Verfahren nennt man allgemein Reliabilität. Dieses Merkmal ist umso höher ausgeprägt, je besser die Ergebnisse des V erfahrens üb ereinstimmen, w enn ma n entsprechende Teile wiederholt oder dieselben Teile zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholt. Zur P rüfung der Üb ereinstimmung zwis chen entsprechenden Teilen eines Verfahrens gibt es drei prinzipiell gleiche Vorgehensweisen: (1) Man prüft, wie gut ein Item (Aufgabe, Frage, Feststellung) mit den zus ammengefassten üb rigen I tems üb ereinstimmt. Dies e Üb ereinstimmung nenn t ma n »interne Konsistenz«. (2) Vergleicht man die Übereinstimmung zwischen zwei Hälften eines Verfahrens,
so spricht man von »Testhalbierungs-Reliabilität«. (3) Prüft man die Übereinstimmung zwischen zwei Tests, die dass elbe messen und in der selben Weise entwickelt wurden, so nennt man dies ParalleltestReliabilität. Die Retest-Reliabilität eines Verfahrens gibt an, wie üb ereinstimmend die G etesteten v on einem Verfahren hin sichtlich des g emessenen M erkmals in dies elbe R angordnung g ebracht w erden. Die Retest-Reliabilität eines V erfahrens ist als o etwas anderes als die S tabilität eines M erkmals. Ein Merkmal wird nämlich dann als st abil bezeichnet, wenn es in seiner Ausprägung gleich bleibt. Wenn die A usprägung eines M erkmals d urch Übung verbessert werden kann, so muss sich dies nicht auf die Retest-Reliabilität des entsprechenden Tests auswirken. Die R angordnung der G etesteten kann nä mlich in dem g eübten M erkmal g leich geblieben sein. Wir w ollen hier nic ht a uf die v erschiedenen Vorgehensweisen ein gehen, mi t der en H ilfe ma n empirisch die A usprägung der b eiden Relia bilitätsarten b estimmen ka nn. V ielmehr w ollen wir darauf hin weisen, dass sic h a us der Theo rie zu einem Konstrukt er gibt, w elche Relia bilitätsart zu bestimmen ist. Geht aus einer Theo rie her vor, dass die I tems eines Verfahrens alle das Konstrukt in der gleichen Weise erfassen sollen, so ist die interne Konsistenz des V erfahrens zu b estimmen. T esthalbierungsund P aralleltest-Reliabilität sind S pezialfälle der internen Konsistenz. Bezieht sic h die Theo rie a uf ein K onstrukt, das in seiner Ausprägung relativ stabil sein soll, so muss die Retest-Reliabilität bestimmt werden. Eine Theorie ka nn die B estimmung b eider o der n ur einer der Relia bilitätsarten verlangen. Die B estimmung der Reliabilität eines Verfahrens ist also kein rein »technischer« Vorgang, vielmehr bestimmt die zugrunde liegende Theorie, welche Art von Reliabilität zu bestimmen ist. Daraus er gibt sic h, dass mi t der em pirischen Prüfung der Relia bilität eines Verfahrens zug leich wichtige Aspekte der zugr unde liegenden Theorie geprüft w erden. Die er folgreiche Relia bilitätsprüfung ist s omit zug leich ein B eitrag zum N achweis der Gültigkeit (Validierung) eines Verfahrens und der Theorie.
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10.5 · Reliabilität standardisierter Verfahren
10.5.1
Entscheidung für eine Reliabilitätsart
Definition
I
I
Kriterien für die Wahl der Reliabilitätsart sind 1. die Fragestellung, 2. die Psychologischen Fragen, 3. die Theorie zu einem Verfahren.
Spätestens bei der Auswertung standardisierter Verfahren muss man sich für eine Relia bilitätsart entscheiden. Zur Berechnung des Bereichs, in dem mit einer ho hen W ahrscheinlichkeit der wahr e W ert eines P robanden in einem T est liegt, b raucht ma n Angaben über die angemessene Reliabilitätsart. In der F ragestellung g eben A uftraggeber a n, was Gutachten leisten sollen. Also richten wir un s bei der Wahl der Reliabilitätsart an ihr aus. (1) Verlangt die F ragestellung Aussagen, die in die Vergangenheit o der in die Z ukunft reichen, so sind bei der Auswahl der Variablen und der Formulierung P sychologischer F ragen st abile K onstrukte zu wählen. Entsprechend diesen stabilen Konstrukten wählen wir retest-reliable Messinstrumente. (2) V erlangt die F ragestellung A ussagen, die sich auf Veränderungen beziehen, so sprechen wir in den Psychologischen Fragen entsprechende Konstrukte an und verwenden änderungsempfindliche Messinstrumente. B ei s olchen I nstrumenten wir d der Theo rie en tsprechend en tweder k eine Ret estReliabilität bestimmt oder sie fäll t niedrig aus. Bei der Auswertung solcher Tests sind dann Informationen über die interne Konsistenz wichtig. 10.5.2
Beurteilung der Reliabilität
Zur Beurteilung der Reliabilität erforderliche Informationen 1. Reliabilitätsar t, 2. Reliabilitätsmaß , 3. Ausprägung des Reliabilitätsmaßes in Zahlen, 4. Stichprobengröße in Zahlen, ▼
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Kapitel 10 · Standardisierte diagnostische Verfahren
5. Art der Stichprobenziehung (es gibt nicht »die« repräsentative Stichprobe. Die Theorie bestimmt das Universum der Personen und das Verfahren, nach dem daraus eine Stichprobe gezogen wird).
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Wenn wir uns aufgrund der obengenannten Überlegungen f ür eine Relia bilitätsart en tschieden haben, brauchen wir a us der L iteratur zu einem Test hierüber die entsprechenden Informationen. Diese fehlen häufig in Handanweisungen oder sind u. U. auch sonst nirgendwo zu finden. In solchen Fällen ist es günstig, wenn man die Wahl eines Verfahrens schon v on hinr eichenden An gaben zur Relia bilitätsart abhängig gemacht hat: Unzureichend dokumentierte Verfahren sind daher nicht verwendbar. Die zufallskritische Auswertung eines Tests (Huber 1973) zeigt, wie g enau die Relia bilitätsschätzung ist. D as heißt, es wir d g eprüft, ob der Relia bilitätsparameter eines Tests als »p raktisch invariant« angesehen w erden ka nn. D azu m üssen wir die Höhe def inierter Reliabilitätsmaße in Z ahlen wissen. Weiter benötigen wir dazu An gaben über die Größe der jeweiligen Stichproben in Zahlen. Vor der An wendung eines T ests o der eines Testprofils (dies ist eine Gruppe von Untertests, die statistisch relativ unabhängige Aspekte der Persönlichkeit er fassen) prüfen wir nä mlich, ob ein V erfahren f ür die zufallskr itische Einzelfalldiagnostik hinreichend reliabel ist, d.h. ob nach Huber (1973) die S chätzung des Relia bilitätsparameters f ür den Test bzw. jeden Untertest »praktisch invariant« ist. Je größer der Vertrauensbereich für diese Schätzung ist, umso weniger messgenau kann mit einem Test der wahr e W ert eines P robanden b estimmt werden. Die G röße des Vertrauensbereiches hängt von der S tichprobengröße a b. Wurde ein Relia bilitätskoeffizient a n einer S tichprobe v on mehr als 400 P ersonen b estimmt, s o ist die S chätzung des Reliabilitätsparameters nac h Huber (1973) »p raktisch in variant«. »P raktische I nvarianz« ist nac h Huber da nn g egeben, w enn das I ntervall f ür die Schätzung des Relia bilitätsparameters k leiner ist als 0,1 (1973, S. 105). Entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis gib t es nic ht »die« r epräsentative S tichprobe.
Vielmehr wird jeweils in der sp ezifischen Theorie u. a. das Universum der Personen definiert. Aus der Theorie ergibt sich auch, nach welchem Verfahren eine S tichprobe a us dies em Universum zu ziehen ist. Wir benötigen diese Angaben, um feststellen zu können, ob der Proband zu der Population gehört, für die der Test konstruiert wurde. Liegen die Relia bilitätsuntersuchungen längere Zeit zurück, so stellt sich die F rage, ob die da mals erhobenen Werte heute no ch gültig sind. S o können sic h z. B. die G rundgesamtheit der P ersonen, der U mgang mi t den T estmaterialien o der a uch die Verteilung des zu t estenden M erkmals in der Bevölkerung geändert haben. 10.6
Validität standardisierter Verfahren
Definition
I
Validität (Gültigkeit)
I
Ein standardisiertes Verfahren ist um so valider, je mehr Hypothesen der Theorie über das zugrunde liegende Konstrukt beibehalten werden können, weil sie von den empirischen Daten unterstützt werden. Konstruktvalidität, Kriteriumsvalidität, prädiktive Validität sowie konvergente und diskriminante Validität sind verschiedene Beiträge zur Validierung von Tests.
Bei der Besprechung der Reliabilität (Messgenauigkeit) von Tests haben wir s chon gesehen, dass mi t der P rüfung der Relia bilität zug leich die en tsprechenden A ussagen der Theo rie g eprüft w erden. Die G ültigkeit eines T ests – und da mit der zugrunde liegenden Theorie – zeigt sich also in vielen Aspekten, die em pirisch g eprüft w erden k önnen. Alle S chritte zur P rüfung einer Theo rie und der aus ihr a bgeleiteten V orgehensweisen, da runter auch T ests, b ezeichnet ma n als V alidierung. Z ur Prüfung der Validität von Tests gibt es in der P sychologie verschiedene Vorgehensweisen. Zu jedem psy chologischen K onstrukt gib t es i.d.R. eine ga nze Reihe v on H ypothesen, die in einer Theo rie v erbunden s ein k önnen. J e mehr dieser H ypothesen em pirisch er folgreich g eprüft wurden, umso besser ist die Konstruktvalidität.
10.7 · Einige Anmerkungen zur Höhe v on Validitätskoeffizienten
Ein Teil der H ypothesen kann sich darauf b eziehen, wie Testergebnisse mit anderen Verhaltensweisen zus ammenhängen m üssten. D amit mac ht man dies e anderen Verhaltensweisen zu K riterien für einen T est. Ein b ekanntes B eispiel ist der Z usammenhang zwischen Ergebnissen in Intelligenztests und S chulleistungen. W ird der b ehauptete Zusammenhang zwis chen T estergebnissen und Kriterium empirisch b estätigt, s o ist dies ein B eitrag zur Kriteriumsvalidität eines Tests. Bei der p rädiktiven V alidität (V orhersagevalidität) wir d ein spä ter zu b eobachtendes Verhalten theoretisch mit Hilfe von Testergebnissen vorhergesagt. J e b esser dies e Vorhersagen em pirisch bestätigt w erden, um so hö her ist die p rädiktive Validität des verwendeten Verfahrens. Da sich s owohl b ei der K riteriumsvalidität als auch bei der p rädiktiven Validität die H ypothesen immer a uf das zugr unde lieg ende psy chologische Konstrukt b eziehen, sind b eide V aliditätsarten Aspekte der K onstruktvalidität. Z ur V alidierung eines Verfahrens trag en die Er gebnisse vieler empirischer Studien bei. Es ist daher un passend, von »der« Validität eines Tests zu sprechen. Für praktische Zwecke müssen wir un s immer da rüber k lar werden, welche konkreten Validierungsbeiträge bei einer v orliegenden F ragestellung v on B edeutung sind, als o die S tärken und S chwächen eines V erfahrens beurteilen. Bei der En twicklung einer Theo rie zu einem psychologischen K onstrukt wir d dies es zumeist auch g egen ähnlic he o der v erwandte K onstrukte abgegrenzt. Dies e H ypothesen, die üb er die ur sprüngliche Theo rie hina usgehen, k önnen eb enfalls empirisch geprüft werden. Bei der Validierung von Tests untersucht man dazu em pirisch die Z usammenhänge zwischen Tests, die ähnliche Konstrukte messen, und solchen, die davon verschiedene Konstrukte er fassen s ollen. K orrelieren Tests, die ähnliche K onstrukte er fassen s ollen, in der v orhergesagten Weise p ositiv mi teinander, s o sp richt man von konvergenter Validität. Korrelieren Tests, die verschiedene Konstrukte erfassen sollen, nicht miteinander, so bezeichnet man dies als diskr iminante Validität. Die k onvergente und diskr iminante V alidität sind praktisch bedeutsame Informationen über die Konstrukte, die mi t bestimmten Tests erfasst wer-
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den. Er st a ufgrund s olcher em pirischer S tudien wird deu tlich, ob die b ehaupteten G emeinsamkeiten und U nterschiede zwis chen v erschiedenen Konstrukten bzw. Tests zu ihrer Erfassung von der Empirie unterstützt werden. Mit dies en Ausführungen wollen wir v erdeutlichen, dass zur fac hgerechten An wendung v on Tests Anwender wissen müssen, wie man Theorien formuliert und empirisch prüft. Jede Auswahl von Tests, die sich nur an Wortähnlichkeiten orientiert, und jede s chematische Anwendung von psychologischen U ntersuchungsverfahren b ergen die G efahr schwerwiegender Fehlentscheidungen. Auftraggeber, P robanden und L eser v on G utachten ha ben das s elbstverständliche Rec ht, dass ihnen die Auswahl von Tests fachlich fundiert begründet und jeder S chritt bei Testanwendung und -auswertung erk lärt wir d. I m G utachten s elbst ist dies a us Pla tzmangel nic ht mög lich. A uf Anf rage können dies e B egründungen und Erk lärungen jedoch allg emeinverständlich m ündlich er wartet werden. 10.7 Einige Anmerkungen zur Höhe
von Validitätskoeffizienten
Seit Mischel (1968) wird immer wieder b ehauptet, dass die K riteriumsvalidität von Tests bei r = 0,30 liege. Dies sei für praktische Zwecke zu niedrig. Gegenargumente ▬ Es gibt häufig höhere Validitätskoeffizienten. ▬ Es gibt Fehler bei der Formulierung von Theorien und ihren Operationalisierungen durch Tests, die diese Koeffizienten mindern. ▬ Verhalten wird durch viele Faktoren bedingt, deshalb können einzelne Konstrukte i.d.R. nur in mittlerer Höhe mit bestimmten Verhaltensweisen als Kriterium korrelieren. ▬ Weniger die Höhe der Validitätskoeffizienten als vielmehr der Nutzen von Tests im Vergleich zum bisherigen Vorgehen (A-priori-Strategie) sagt etwas über ihre praktische Brauchbarkeit aus.
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Kapitel 10 · Standardisierte diagnostische Verfahren
Von Kritikern der psychologischen Diagnostik wird häufig gegen Tests eingewendet, dass diese mit den vorherzusagenden V erhaltensweisen n ur niedr ig korrelieren, r s ei immer etwa 0,30, dies s ei für die praktische Diagnostik zu niedr ig. Dazu lassen sich eine Reihe von Gegenargumenten vorbringen. In den em pirischen S tudien zu T ests f inden sic h häufig höhere Validitätskoeffizienten. In vielen Fällen sind sie jedo ch in der H öhe, wie die K ritiker behaupten. Schaut man sich diese Arbeiten an, so findet ma n viele t heoretische und met hodische Schwächen. Wenn zu einem T est k eine o der eine unzureichende Theo rie f ormuliert ist, da nn ka nn sich dies v erschlechternd auf die Quali tät der empirischen Ergebnisse auswirken. D as g leiche kann der Fall sein, wenn die empirische Umsetzung nur z. T. der Theorie entspricht. Die w eitaus meist en em pirischen Arb eiten in der Psychologie untersuchen Bedingungen, die das individuelle V erhalten erk lären, o der s olche, mi t deren Hilfe man es b eeinflussen kann. Nur in r elativ w enigen Arb eiten wir d v ersucht, V erhalten vorherzusagen. Wendet ma n sic h dies em Z iel im Einzelfall zu, so stellt es sich als notwendig heraus, dass man viele v erschiedene Faktoren berücksichtigen muss, wenn man erfolgreich sein will. Viele Einzelfak toren b estimmen das indi viduelle V erhalten. D araus f olgt, dass jeder einzelne Faktor nur relativ b escheiden mit dem indi viduellen Verhalten korrelieren kann. Hohe Korrelationen zwischen Merkmalen der P erson und dem indi viduellen Verhalten sind nur dann möglich, wenn die anderen Faktoren kaum von Bedeutung sind. Praktisch b edeutet dies, dass z. B. I ntelligenztestergebnisse zwa r in mi ttlerer H öhe mi t S chulerfolg korrelieren können, jedenfalls höher als alle anderen Faktoren, doch sind motivationale und soziale Bedingungen ebenfalls von Bedeutung. Wenn also die K orrelationen zwis chen Er gebnissen in Intelligenztests und S chulleistungen entgegen den Forderungen ma ncher K ritiker nic ht s ehr ho ch sind, s o spiegelt dies n ur wider, dass no ch andere Faktoren neben der Intelligenz die Schulleistungen mitbestimmen. Das Z iel jeder en tscheidungsorientierten Diagnostik ist es, die Anzahl v on Fehlentscheidungen zu v erringern. S pätestens s eit Cr onbach u . Gles er (1965) w eiß ma n in der P sychologie, dass nic ht
die Höhe von Validitätskoeffizienten, sondern der Nutzen a bzüglich aller K osten, den der Ein satz eines Tests bei einer b estimmten Fragestellung erbringt, ein M aß f ür die p raktische B rauchbarkeit eines Tests ist (vgl. z. B. Hunter u. Hunter 1984). Wieviel ein T est n ützen ka nn, hä ngt w eniger von der H öhe der V aliditätskoeffizienten als vielmehr da von a b, zu w elchem Z weck er ein gesetzt werden soll. Menschen versuchen i. Allg., möglichst gut zu entscheiden, d. h. möglichst wenige Fehlentscheidungen zu tr effen. S ie v erwenden dazu eine beschreibbare En tscheidungsstrategie, d . h. eine bestimmte Vorgehensweise. Dies nennt man in der Diagnostik die A-priori-Strategie, weil sie von den Entscheidenden verwendet wurde, bevor sie einen Diagnostiker um Hilfe baten. Mit H ilfe des psy chologischen Diagnostik ers soll die Anzahl der F ehlentscheidungen verringert werden. I st die A -priori-Strategie ziemlic h gu t, d . h. w erden w enige F ehlentscheidungen g etroffen, so hat es der Diagnostik er s chwer, b esser zu s ein. Auch der Einsatz von hochvaliden Tests kann hier u. U. ka um no ch eine V erbesserung b ringen. B ei einer w enig er folgreichen A-priori-Strategie ka nn dagegen auch ein Test mit niedrigen Validitätskoeffizienten F ehlentscheidungen v ermeiden helf en, weil er n ützliche I nformationen in die En tscheidung einbringen kann. In der psy chologischen Einzelfalldiagnostik lassen sic h die o . g. Üb erlegungen na turgemäß nicht statistisch prüfen. Es sind jedo ch auch keine Gründe erk ennbar, die dag egen sp rechen, sie a uf die Einzelfalldiagnostik zu übertragen. Den N utzen un seres en tscheidungsorientierten Vorgehens sehen Auftraggeber, Probanden und wir selbst u. a. darin, dass wir mi t den P robanden gemeinsam mög lichst alle b ei einer En tscheidung wichtigen Bedingungen untersuchen. Darauf können mög lichst zuf riedenstellende En tscheidungen aufbauen. In der En tscheidungsforschung versteht man un ter mög lichst zuf riedenstellenden En tscheidungen un ter U nsicherheit s olche, die den Entscheidenden später nicht deshalb leid t un, weil sie ma ngelhafte En tscheidungsstrategien v erwendet haben.
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Teil I des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Fragestellung 11.1 Standar disierte Verfahren 11.2
– 80
Entscheidungen bei der Auswahl der standardisierten Verfahren
11.3 A uswahl standardisierter Verfahren – 82 11.4
Darstellung der standardisierten Verfahren im Gutachten
– 83
– 81
80
Kapitel 11 · Teil I des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Fragestellung
Wir greifen hier die eignungsdiagnostische Fragestellung aus Kapitel 6 wieder auf und zeigen, wie standardisierte V erfahren i m U ntersuchungsplan nac h den Regeln der entscheidungsorientierten Diagnostik ausgewählt und dargestellt werden. 11.1
Standardisierte Verfahren
In der B eispielfragestellung »Altenpflegerin« können die f olgenden Variablen a us den P sychologischen Fragen mit standardisierten Verfahren, d. h. mit Tests und Fragebögen, erfasst werden: ▬ allg emeine Intelligenz, ▬ Kenntnisse in Rechtschreibung, ▬ Kenntnisse im Rechnen, ▬ emo tionale Belastbarkeit, ▬ K ontaktfähigkeit.
11
Bei der Pla nung der psy chologisch-diagnostischen U ntersuchung w enden wir un s nac h der Auswahl der V ariablen und ihr er D arstellung in Psychologischen F ragen den En tscheidungen f ür Instrumente und V orgehensweisen zu , mi t denen wir die I nformationen erheb en k önnen, die zur B eurteilung der A usprägung der V ariablen notwendig sind. An un serer Beispielfragestellung fällt auf, und das ist typisch für die psychologische Diagnostik, dass mi t st andardisierten Verfahren, d. h. Tests oder Fragebögen, nur wenige der fragestellungsrelevanten Variablen un tersucht w erden können. Die w eitaus meist en I nformationen erhal ten wir aus den teilstandardisierten Verfahren wie dem entscheidungsorientierten G espräch. W ichtige er gänzende Informationen liefern die Verhaltensbeobachtung während der Untersuchung und die bereits vorliegenden Beschreibungen des Verhaltens. Hierbei handelt es sic h um nic htstandardisiert erhobene Informationen. Es gib t a uch G ruppen v on F ragestellungen, bei denen k eine o der nahezu k eine der r elevanten Variablen st andardisiert erhob en w erden kann. Dies k önnte z. B. a uch b ei der v orliegenden F ragestellung der F all s ein, w enn (1) mehr Ausgangsinformationen v orgelegen hä tten o der (2) eine a ndere A bfolge der V erfahren g ewählt würde.
Bei Nachweis eines q ualifizierten Hauptschulabschlusses k önnte ma n b ei der v orliegenden Fragestellung da von a usgehen, dass dies e T atsache f ür eine a usreichende allg emeine I ntelligenz spricht. Aus einem s olchen Z eugnis und mi t entsprechender B efragung im G espräch k önnte auch hinreichend gesichert werden, ob die Kenntnisse in Rechtschreibung und Z eichensetzung eb enso wie im Rechnen für eine Umschulung zur Altenpflegerin ausreichen. Die b eiden v erbleibenden Merkmale »emo tionale B elastbarkeit« und »K ontaktfähigkeit« lassen sic h in F ragebögen er fassen, die n ur w enige Minuten er fordern und hinr eichend ob jektive, zuverlässige und gültige Ergebnisse liefern. Einen solchen F ragebogen k önnte ma n a m Ende eines Gesprächs ausfüllen lass en. M it b rauchbaren Ergebnissen ist a ber n ur zu r echnen, w enn sic her ist, dass die P robandin ein eig enes I nteresse a n einer möglichst zutreffenden Selbstdarstellung im Fragebogen ha t. I st dies nic ht g egeben, s o m uss man a uf einen s olchen F ragebogen v erzichten und die en tsprechenden I nformationen im en tscheidungsorientierten G espräch erheb en, was dann mehr Zeit erfordert. Extravertierte Menschen tun sich leichter, Kontakt zu a nderen a ufzunehmen. D aher g estatten Fragebögen zur Extraversion eine Abschätzung des Ausmaßes der Kontaktfähigkeit. Die emo tionale B elastbarkeit o der emo tionale Stabilität v on M enschen, d . h. wie r obust o der empfindlich sie i . Allg. r eagieren, wird in der P sychologie b ei um gekehrter B etrachtung a uch mi t Neurotizismus o der emo tionale L abilität b ezeichnet. Neurotizismus heißt als o nicht, eine N eurose zu ha ben o der mehr o der w eniger neur otisch zu sein. Emotionale Belastbarkeit kann man mit Neurotizismusfragebögen erfassen. Ein a nderer G esichtspunkt ist es, wie M enschen mit B elastungen fertig werden, d. h. w elche Vorgehensweisen sie wählen, um mi t b estimmten Belastungen umzug ehen. D a es sic h hierb ei um sehr sp ezifische B elastungen und en tsprechend spezifische B ewältigungstechniken ha ndeln ka nn, bietet sic h hier zur Er fassung das en tscheidungsorientierte Gespräch an.
11.2 · Entscheidungen bei der A uswahl der standardisierten Verfahren
11.2
Entscheidungen bei der Auswahl der standardisierten Verfahren
Entscheidungen bei der Auswahl der standardisierten Verfahren ▬ Festlegung des Bereichs möglicher Tests bzw. Fragebögen,
▬ Entsprechung von zu erfassenden Variablen ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
und deren Definition durch die standardisierten Verfahren, Entsprechung von Gültigkeitsprüfung und vorliegender Fragestellung, Zuverlässigkeitsnachweis entsprechend der Fragestellung, Objektivität bei dieser Fragestellung und dieser Probandin, Brauchbarkeit der Normen bei dieser Fragestellung, Angemessenes Verhältnis von Kosten und Nutzen.
Zu Beginn der Auswahl von Tests und Fragebögen legen wir zuerst fest, aus welcher Grundgesamtheit von Verfahren wir eine A uswahl tr effen. F ür die meisten F ragestellungen g eben K ompendien v on Tests und Fragebögen (z. B. zu Tests und Fragebogen: die b eiden B ände des »B rickenkamp H andbuch psy chologischer und pädag ogischer T ests«, herausgegeben v on B rähler et al . (2002), zu En twicklungstests: Rennen-Allho ff u . Allho ff (1987), zu F ragebogen: W esthoff (1993), zu P ersönlichkeitstests im P ersonalmangement: H ossiep et al . (2000), zu p ersonaldiagnostischen I nstrumenten: Kanning u . Holling (2002), zu wir tschaftspsychologischen Testverfahren: Sarges u. Wottawa (2001)) eine gu te Üb ersicht. V eröffentlichungen in den Fachzeitschriften oder die je weiligen Kataloge der Verlage, die deu tschsprachige Tests verlegen, können dies e B eschreibungen der zur V erfügung st ehenden Verfahren ergänzen. Von zentraler B edeutung f ür das w eitere Vorgehen ist eine mög lichst gu t pass ende A uswahl eines V erfahrens. D abei ac hten wir da rauf, dass die Verfahren das zu er fassende Konstrukt s o definieren, wie wir es b ei der vorliegenden Fragestellung b enötigen. H ier g ehen wir aller dings nic ht
81
11
von b loßen Wortgleichheiten o der -ähnlic hkeiten aus, s ondern f ür eine a ngemessene B earbeitung der Fragestellung benötigen wir explizite Beschreibungen dessen, was Verfahren erfassen bzw. nicht erfassen. Bei un serer Fragestellung ist z. B. zu en tscheiden, ob allgemeine Intelligenz 1. durch einen Matrizentest, 2. durch einen Test zur Er fassung der I ntelligenz über eine f estgelegte Art und Anzahl v on Untertests, 3. durch den Mittelwert einer festzulegenden Auswahl von Untertests eines Intelligenztests oder 4. durch ein a nderes Verfahren def iniert w erden soll. Bei der A uswahl eines V erfahrens ist w eiter v on Interesse, ob die G ültigkeit des Verfahrens bei der vorliegenden F ragestellung g esichert ist. Es s ollte dabei d urch em pirische U ntersuchungen nac hgewiesen s ein, dass ma n ein V erfahren b ei der gegebenen F ragestellung v erwenden ka nn, o hne dabei s chlecht b egründbare Annahmen mac hen zu müssen. Die Zuverlässigkeit (Messgenauigkeit) von standardisierten Verfahren kann auf zwei verschiedene Arten nachgewiesen werden. Die Beschreibung des Konstrukts innerhalb der Theorie sagt aus, wie diese Prüfungen auszusehen haben. In der Reg el prüfen Testautoren sowohl die Homogenität der Einzelaufgaben wie a uch die W iederholungszuverlässigkeit des Verfahrens. B ei einer g egebenen Fragestellung ist dann zu en tscheiden, (1) ob die hier er forderliche Zuverlässigkeitsprüfung vorgenommen wurde, (2) ob die Vorgehensweise bei dieser Prüfung angemessen war, (3) ob der Relia bilitätskoeffizient und die zu s einer B eurteilung no twendigen An gaben praktisch b rauchbar sind . Die K riterien, die wir für dies e En tscheidungen hera nziehen, ha ben wir weiter o ben s chon b ei den K riterien für die W ahl diagnostischer Verfahren dargestellt. Weiter p rüfen wir , (1) ob ein V erfahren b ei der gegebenen Fragestellung und un serer Probandin zu ob jektiven Er gebnissen f ühren ka nn; (2) ob f ür die v orliegende Fragestellung hinreichende Normen v orliegen und (3) ob das V erhältnis v on Kosten und N utzen b eim Ein satz des V erfahrens angemessen ist.
82
Kapitel 11 · Teil I des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Fragestellung
11.3
Auswahl standardisierter Verfahren
Ausgewählte standardisierte Verfahren ▬ Untertests des Wilde-Intelligenztest 2, WIT-2,
▬ R T-Rechtschreibungstest, ▬ Ggf. NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI)
11
Bei un serer B eispielfragestellung ha ben wir un s aus dem An gebot aller G ruppen von Intelligenztests für den Wilde-Intelligenztest 2 (WIT-2) von Kersting et al . (in Dr uck) en tschieden. Dies es Verfahren g estattet es, einzelne B ereiche in telligenten V erhaltens, z. B. die f olgenden P rimärfaktoren nac h Th urstone zu p rüfen – v erbales, rechnerisches, rä umliches und s chlussfolgerndes Denken – und zug leich den M ittelwert der er brachten L eistungen als W ert f ür die allg emeine Intelligenz zu in terpretieren. D a im WIT -2 b ewährte alte Items beibehalten worden und d urch neue, a ber str ukturgleiche er gänzt w orden sind , sind die U ntersuchungen zum WIT b ei der v orliegenden F ragestellung immer no ch v on einer gewissen A ussagekraft. Z um WIT -2 gib t es eine Studie a n 63 P ersonen, die zeigt, das die Ret estReliabilitäten nach neun M onaten – was f ür Studien zur Ret est – Relia bilität eine un gewöhnlich lange Z eit ist – f ür den G esamttest b ei 0,88 und für die hier in teressierenden F aktoren zwis chen 0,79 b is 0,86 lieg en. M an ka nn daher in sgesamt davon a usgehen, dass die Ret est-Reliabilitäten wie b eim WIT p raktisch b rauchbar sind . D er alternativ hier in F rage k ommende I ntelligenzstrukturtest 2000 in der r evidierten F orm (IS T 2000-R) ha t leider k eine An gaben zur Ret estReliabilität. Verschiedenste A spekte der G ültigkeit des WIT sind in zahlreichen Studien an entsprechenden S tichproben er folgreich g eprüft w orden. D a die B erufe K rankenpfleger und Al tenpfleger in ihrem Anf orderungsprofil r elativ ähnlic h sind , besonders hinsichtlich der Anforderungen an die Intelligenz, sind die in der H andanweisung zum WIT ( Jäger u . Al thoff 1983, S. 36) a ufgeführten K orrelationen zwis chen WIT-Untertests und
Ausbildungserfolg als K rankenpfleger hier v on Bedeutung. Mit dem U ntertest »Ein gekleidete Rec henaufgaben« (ER) k önnen wir zug leich p rüfen, ob die Probandin die no twendigen Rechenkenntnisse für eine U mschulung zur Al tenpflegerin mi tbringt. Wir spa ren da mit die A uswahl eines sp eziellen Rechentests, der bei der vorliegenden Fragestellung keine weiterreichenden Informationen verspricht. Die Rec htschreibkenntnisse der P robandin können wir mi t dem Rec htschreibtest (R T) v on Kersting u . Al thoff (2004) p rüfen. Dies er Rec htschreibtest zeic hnet sic h in sgesamt d urch eine sorgfältige K onstruktion und im U nterschied zu anderen Rec htschreibtests, die f ür Er wachsene in Frage kommen, durch Angaben zur K onstruktvalidität aus. Geprüft werden nur solche Wörter, die nach der alten wie der neuen Rechtschreibregelung gleich g eschrieben w erden. H ierin s ehen wir b ei dieser F ragestellung einen V orteil f ür die p raktische Aussagekraft. Nur b ei einem als un terdurchschnittlich zu klassifizierenden Ergebnis sehen wir in der Umschulung größere Probleme auf die Probandin zukommen. Wir sehen es als nic ht sinnvoll an, den Ein satz eines Fragebogens zur Erfassung von Gewissenhaftigkeit und emo tionaler S tabilität v on v ornherein einzuplanen, denn Fragebögen sind von jedem, der sie verstehen kann, bei entsprechender Zielsetzung auch verzerrt zu beantworten. Sollte das en tscheidungsorientierte G espräch keine f ür die F ragestellung hinr eichenden I nformationen üb er die b eiden er wähnten P ersönlichkeitsmerkmale erb ringen, und s ollte sic h da rüber hinaus dabei zeigen, dass F rau H. zu einer un verzerrten S elbstdarstellung b ereit ist, s o w ollen wir ihr das NEO-F ünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) von B orkenau u . O stendorf (2003) v orlegen. D er Einsatz des NEO-P ersönlichkeitsinventars nac h Costa u . M cCrae, r evidierte F assung (NEO-PI-R) von Ostendorf u. Angleitner (2004), er scheint uns aufgrund des U mfangs (240 I tems) als üb ermäßig aufwändig, da b ei der v orliegenden F ragestellung die A usprägung der F acetten der zu erheb enden Merkmale nicht von Bedeutung sind, sondern nur die gobalen S chätzungen f ür zwei der f ünf Merkmale, nämlich Gewissenhaftigkeit und emo tionale Stabilität.
11.4 · Darstellung der standardisierten Verfahren im Gutachten
11.4
Darstellung der standardisierten Verfahren im Gutachten
Bei der B eschreibung des r ealisierten U ntersuchungsplans im Gutachten stellen wir die v erwendeten standardisierten Verfahren dar: Wilde-Intelligenztest 2 mit den a usgewählten Faktoren: ▬ S prachliches Denken: Die Fähigkeit, mit sprachlichen K onzepten umzug ehen, w obei W ortschatz, S prachverständnis und sp rachlogisches Denken eine Rolle spielen. ▬ Rechnerisches Denken: Die Fähigkeit, einfache Rechenoperationen der A ddition, Subtraktion, Multiplikation und Division korrekt auszuführen. Beim rechnerischen Denken geht es nic ht um k omplexere Fähigkeiten, die dem s chlussfolgerndem Denken zugeordnet sind. ▬ S chlussfolgerndes Denken: Die F ähigkeit, b estimmte Regeln zu erk ennen und b ei der Vorhersage des näc hstfolgenden E lements a nzuwenden. RT-Rechtschreibungstest. Im Untersuchungsplan eines Gutachtens stellen wir die tatsächlich zur Gewinnung diagnostischer Informationen verwendeten Verfahren dar. Die Überlegungen, die zu dieser Auswahl von Verfahren geführt haben, beschreiben wir nicht, da sie (1) s ehr umfangreich sein können und (2) die Gutachtenleser i.d.R. überfordern bzw. nicht in teressieren. A uf N achfrage erlä utern wir diese Üb erlegungen in allen g ewünschten Einzelheiten. Im F olgenden b eschreiben wir den W ilde-Intelligenztest, die a usgewählten Untertests und den Rechtschreibtest s o, wie dies e B eschreibungen in das Gutachten eingehen: Der Wilde-Intelligenztest (WIT) ka nn zur Er fassung wic htiger Teilbereiche der I ntelligenz wie auch der allg emeinen I ntelligenz v erwendet w erden. Allg emeine I ntelligenz ist da bei der Dur chschnitt der Leistungen in den Teilbereichen. Die v erwendeten U ntertests b eschreiben die Testautoren (K ersting, p ersönliche M itteilung 26.09.06):
83
11
GW: Gleiche Wortbedeutungen: Zu einem vorgegebenen Wort ist aus fünf anderen Wörtern das sinnähnlichste herauszusuchen. (Verbales Denken) AL: Analogien: Auf der link en S eite eines Gleic hheitszeichens sind zw ei Wörter vorgegeben, die in einer b estimmten B eziehung zueina nder st ehen, auf der r echten S eite ein W ort. V on f ünf W ahlwörtern ist dasjenig e a uszuwählen, das a uf der rechten Seite des Gleic hheitszeichens eine a naloge Beziehung herstellt. (Verbales Denken, Schlussfolgerndes Denken) GR: Grundrechnen: Z u Rec henaufgaben der vier Grundrechenarten sind auf dem Antwortbogen die Ziffern der L ösungen d urchzustreichen. (Rec hnerisches Denken) ER: Eingekleidete Rec henaufgaben: V erbal ein gekleidete Rechenaufgaben sind v orgegeben und auf dem Antwortbogen die Z iffern der L ösungen einzutragen. (Rechnerisches Denken) ZR: Zahlenreihen: Vorgegeben ist eine F olge v on Zahlen, die nach einer Regel aufgebaut ist; auf dem Antwortbogen sind die Z iffern der Z ahl durchzustreichen, die als näc hstes Glied der Reihe f olgen müsste. (Schlussfolgerndes Denken) In den U ntertests »G rundrechnen« (GR) und »Eingekleidete Rec henaufgaben« (ER) des WIT sind Aufgaben zu lös en, b ei denen Rec henkenntnisse verlangt werden, die für die Umschulung zur Altenpflegerin und b ei der Arb eit als Al tenpflegerin von Bedeutung sein können. Daher wurden die Untertest GR und ER des WIT a uch zur P rüfung der notwendigen Rechenkenntnisse verwendet. Im R T-Rechtschreibungstest v on K ersting u . Althoff (2004) m üssen in L ückentexten nach Diktat W örter in f reigelassene T extstellen ein gefügt werden.
12
Entscheidungsorientierte Gesprächsführung 12.1 Definition
– 86
12.2
Ziele verschiedener Gesprächsformen
12.3
Leitfaden für das entscheidungs-orientierte Gespräch
12.4
Funktionen von Leitfäden
12.5
Merkmale von Leitfäden
12.6
Grobaufbau eines Leitfadens
12.7
Feinaufbau eines Leitfadens
– 92
12.8
Merkmale günstiger Fragen
– 92
12.9 Ungünstige
Fragen
– 86 – 87
– 88 – 89 – 90
– 94
12.10 Grad der Offenheit einer Frage
– 95
12.11 Grad der Direktheit einer Frage
– 96
12.12 Vorbedingungen für die Durchführung entscheidungsorientierter Gespräche – 96 12.13 Bedingungen für ein erfolgreiches diagnostisches Gespräch
– 97
86
Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
12.1
Definition
Definition
I
I
Was ist ein entscheidungsorientiertes Gespräch? Ein entscheidungsorientiertes Gespräch ist ein Gespräch, das zur Vorbereitung von möglichst zufriedenstellenden Entscheidungen nach Kriterien der psychologischen Wissenschaft geplant, durchgeführt und ausgewertet wird.
12
Ein en tscheidungsorientiertes G espräch dien t der Vorbereitung von Entscheidungen. Damit die Entscheidenden spä ter ihr e V orgehensweise b ei der Entscheidung nic ht b ereuen m üssen, v ersuchen sie, möglichst alle wic htigen Informationen in a ngemessener W eise zu b erücksichtigen. Dies e I nformationen können oft nur im Gespräch erhoben werden. Psychologische Gutachter, die en tscheidungsorientiert a rbeiten, w erden b ei der B earbeitung einer diagnostis chen F ragestellung die no twendigen G espräche nach den K riterien der psy chologischen Wissenschaft planen, durchführen und auswerten. Es gib t s eit J ahrzehnten zahlr eiche U ntersuchungen in der Psychologie, die alle belegen, dass ungeplante und nic ht o der s chlecht v orbereitete Gespräche f ehlerhafte und v erzerrte I nformationen zur F olge ha ben. S olche G espräche sind , auch wenn so genannte Experten sie durchführen, nicht auf dem Stand der psychologischen Wissenschaft. Zusammenfassend s chließen wir a us der L iteratur, dass en tscheidungsorientierte G espräche sorgfältig zu p lanen und v orzubereiten sind . Dies bedeutet, dass alle no twendigen Einzel überlegungen in einen a usführlichen L eitfaden f ür das G espräch einm ünden. Dies er L eitfaden wir d a ußerdem so aufgebaut, dass er mög lichst üb ersichtlich ist und die G esprächsführung sic h immer da ran orientieren kann. Bei der Dur chführung en tscheidungsorientierter Gespräche werden Leitfäden als H ilfsmittel verwendet. Z usätzlich v ersuchen en tscheidungsorientiert a rbeitende P sychologen, währ end der
Gespräche ihr Verhalten nach Kriterien auszurichten, die sic h in der psy chologischen Wissenschaft nachweislich als n ützlich er wiesen ha ben (vg l. 12.12 und 12.13). Die Auswertung entscheidungsorientierter Gespräche und die s chriftliche und m ündliche D arstellung der G esprächsergebnisse er folgen eb enfalls nac h wiss enschaftlich b egründeten K riterien und Regeln (vgl. 17.4, 17.5, 17.6). Weiter unten werden wir a uf die v on uns verwendeten K riterien und Reg eln f ür die en tscheidungsorientierte G esprächsführung näher ein gehen. Bevor wir dies tun, wollen wir entscheidungsorientierte G espräche v on a nderen F ormen des Gesprächs abgrenzen. 12.2
Ziele verschiedener Gesprächsformen
Merke
I
I
Ziel entscheidungsorientierter Gespräche ist es, möglichst vollständig und unverzerrt die Informationen zu erheben, die für zufriedenstellende Entscheidungen nützlich sind. Ein entscheidungsorientiertes Gespräch verfolgt folgende Ziele nicht ▬ Informieren der Öffentlichkeit wie in Interviews für Presse, Rundfunk und Fernsehen, ▬ Beeinflussung des Gegenübers wie in Verhör und Verhandlung, ▬ Lehren wie in Unterricht, in Anweisungen und Unterweisungen, ▬ Auseinandersetzung wie in Diskussionen, Debatten oder Zank, ▬ Unterhaltung wie an Theke, Stammtisch oder in Pausen, ▬ Therapie und Beratung.
Entscheidungsorientierte G espräche ha ben mi t anderen F ormen v on G esprächen vieles g emeinsam. Die A ufzählung dies er G emeinsamkeiten ist a ber w eniger hilf reich f ür das F ühren v on Gesprächen, als dass ma n üb er w esentliche U nterschiede B escheid w eiß. V on allen mög lichen Unterschieden w ollen wir hier die U nterschiede
in den Z ielsetzungen a nsprechen, denn a us den Zielen v on G esprächen f olgen un terschiedliche Vorgehensweisen. I n en tscheidungsorientierten Gesprächen s ollen die I nformationen mög lichst vollständig und un verzerrt erhob en w erden, die für zuf riedenstellende En tscheidungen n ützlich sind. Entscheidungsorientierte Gespräche verfolgen nicht das Z iel, die Öf fentlichkeit zu inf ormieren, wie dies in I nterviews f ür Presse, Rundfunk und Fernsehen der F all ist. Z war könnten diese Interviews sehr an Qualität gewinnen, wenn eine Reihe von M erkmalen der en tscheidungsorientierten Gesprächsführung da bei mehr b eachtet wür den; doch s elbst w enn dies der F all wä re, b lieben die prinzipiellen Unterschiede in der Z ielsetzung erhalten. In vielen G esprächen ist es das ob erste Z iel eines der beiden Gesprächspartner, den anderen in einer b estimmten Ric htung zu b eeinflussen. Dieses Z iel v erfolgt die en tscheidungsorientierte G esprächsführung nicht, weil es mi t einer mög lichst vollständigen und un verzerrten D arstellung v on Informationen unvereinbar ist. Probanden äußern zwar immer wieder spontan in o der nac h en tscheidungsorientierten G esprächen, dass sie n un b estimmte Sac hverhalte b esser verstünden. Dies ist jedoch nur ein willkommener, aber unbeabsichtigter Nebeneffekt. In der entscheidungsorientierten G esprächsführung ist es k ein Ziel, die P robanden zu b elehren. Z war b ekommen sie alle no twendigen I nformationen, die sie brauchen, um alles b ei der B egutachtung r ichtig verstehen zu k önnen, do ch w erden sie in nic hts ausgebildet. In entscheidungsorientierten G esprächen g eht es nic ht da rum, S tandpunkte zu k lären o der einander v on ir gendetwas zu üb erzeugen wie in Diskussionen, D ebatten o der b eim Z ank. M erken P sychologen, dass sie in s olche Ar ten der Gesprächsführung v erfallen, s o k önnen sie da ran sicher erk ennen, dass sie nic ht mehr en tscheidungsorientiert arbeiten. Diagnostische Gespräche können daran kranken, dass nicht nur in der Aufwärmphase, sondern auch im w eiteren V erlauf sic h s ehr viel »un terhalten« wir d. D amit meinen wir den A ustausch von Informationen, die mi t der eig entlichen Ziel-
12
87
12.3 · Leitfaden für das entscheidungs-orientierte Gespräch
setzung, wie sie in der F ragestellung v orgegeben ist, nic hts mehr o der n ur no ch s ehr a m R ande zu t un ha ben. S olche Unterhaltungen wie a n der Theke, am Stammtisch oder in Pausen haben dort ihren Wert, wo sie hin gehören. In diagnostischen Gesprächen er müden sie n ur und lenk en v om Thema ab. Entscheidungsorientierte G espräche k önnen therapeutische Effekte haben oder führen durch das systematische Vorgehen zu Einsichten, die auch in Beratungen angestrebt werden. Diese Nebeneffekte sind willk ommen, w erden a ber nic ht a ngestrebt. In Thera pien und B eratungen s oll M enschen g eholfen werden, Verhaltensprobleme zu lös en. Dies setzt immer v oraus, dass zunäc hst diagnostizier t wurde, worin diese Probleme bestehen und welche Bedingungen sie b ewirken. J ede v erantwortungsbewusste Therapie und B eratung b edarf einer zutreffenden Diagnos e als G rundlage. Dafür sind in jeder Diagnostik entscheidungsorientierte Gespräche unverzichtbar. 12.3
Leitfaden für das entscheidungsorientierte Gespräch
Definition
I
I
Ein Leitfaden für ein entscheidungsorientiertes Gespräch ist ein vollständiger, konkret ausformulierter Plan für die Durchführung eines Gesprächs. Er ist kein Fragebogen.
Ein Leitfaden ist das wic htigste Hilfsmittel für ein fachgerechtes entscheidungsorientiertes Gespräch. Weiter unten werden wir darstellen, wozu ein Leitfaden im Einzelnen dien t. Die Dur chführung eines guten entscheidungsorientierten Gesprächs ist eine derartig komplexe Aufgabe, dass sie a uch von Experten nic ht v ollständig und zuf riedenstellend bewältigt werden kann, wenn dabei kein Leitfaden benutzt wird. Die meist en Anfä nger in G esprächsführung halten die A usformulierung eines L eitfadens zunächst f ür üb erflüssig. D och die Er fahrung, dass sie sich nach kurzer Zeit im ungeplanten und nicht vorbereiteten Gespräch sehr hilflos fühlen, belehrt sie eines besseren.
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Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
Die näc hste S chwierigkeit b esteht in der k onkreten Ausformulierung aller notwendigen Fragen. Hierzu bedarf es der Umstrukturierung des bei Psychologen vorhandenen Grundlagenwissens aus den verschiedensten B ereichen der P sychologie. D abei hat sic h die V erwendung un serer V erhaltensgleichung bei der Auswahl von Variablen für die Themen des Gesprächs als sehr hilfreich erwiesen. Bei jeder V ariablen m uss f estgelegt w erden, an w elchen V erhaltensweisen ma n ihr e A usprägung f estmachen will . D abei ist immer da rauf zu achten, dass g eprüft wir d, wie o ft sic h b estimmte Verhaltensmuster in a nderen S ituationen wieder finden und üb er w elche Z eiträume hin weg dies zu b eobachten ist. F erner sind die B edingungen herauszuarbeiten, unter denen sich bestimmte Verhaltensweisen zeigen können. Diese V orplanungen sind da nn un ter B eachtung der Reg eln f ür en tscheidungsorientierte Gesprächsführung in F ragen und A bfolgen v on Fragen umzus etzen. D abei ist der L eitfaden s o zu g estalten, dass er dem P sychologen die Arb eit erleichtert und dem Probanden ermöglicht, so weit es geht, unverzerrt zu berichten. In L eitfäden w erden a ber nic ht n ur die F ragen, s ondern auch alles a ndere, was im G espräch angesprochen w erden m uss, k onkret a usformuliert. Hierunter fassen wir z. B. Einleitungen, Überleitungen, Z usammenfassungen. Dies e k onkrete schriftliche Ausformulierung wird von Anfängern oft als überflüssig erachtet. In Übungen merken sie dann a ber s ehr s chnell, dass sie un ter G esprächsbedingungen s chlechter f ormulieren k önnen als bei der Planung. Leitfäden werden sehr oft als Fragebögen missverstanden, da angenommen wird, sie dienten dem starren Abfragen. Das Gegenteil ist der Fall! Allerdings bedarf es einig er Übung, einen L eitfaden so zu gestalten, dass er g enau das f lexible Instrument ist, das er sein muss. Wenden wir un s zunäc hst den F unktionen von L eitfäden, dann ihren Merkmalen s owie dem Grob- und F einaufbau v on L eitfäden zu . Auf das Kernstück jeden L eitfadens, die F ragen, gehen wir danach ein. Abschließend werden wir uns mit den Voraussetzungen f ür er folgreiche G espräche b eschäftigen und H inweise f ür ihr e Verwirklichung geben.
12.4
Funktionen von Leitfäden
Funktionen von Leitfäden 1. Für das Gespräch: – Möglichst vollständige, unverzerrte, – objektive, zuverlässige und gültige Erhebung von Informationen. 2. Für die Probanden: – Bericht über Verhalten und Erleben, – wird von den geistigen und emotionalen Anforderungen her leichter, – sie können von sich aus Beobachtungen einbringen, – sie haben eine Grundlage für spätere Beobachtungen, – Hilfen bei Entscheidungen 3. Für den Gutachter: – geistige und emotionale Entlastung, – höher e Flexibilität, – weniger Fehler und Verzerrungen bei der Urteilsbildung.
Ein en tscheidungsorientiertes G espräch da uert i.d.R. zwischen 45 und 90 M inuten, je nac h Komplexität der F ragestellung. I n dies er Z eit sp richt vorwiegend der Proband. Die Aufgabe des Psychologen b esteht da rin, den B ericht des P robanden mit mög lichst w enig Worten zu st euern. Z u diesem Z weck m üssen dem P sychologen alle a nzusprechenden Themen und die mög lichen F ragen dazu jederzei t g egenwärtig s ein. Dies ist n ur mi t Unterstützung eines L eitfadens möglich. Während eines Gesprächs sind fortwährend Entscheidungen darüber zu treffen, ob der Bericht zu einem Thema vollständig ist, ob der P roband weitererzählen soll oder ob er s ofort o der spä ter um er gänzende I nformationen g ebeten w erden s oll. I n dem L eitfaden können alle vollständig besprochenen Themen abgehakt w erden, s odass a m Ende des G esprächs anhand des L eitfadens g eprüft w erden ka nn, ob alle v orgesehenen Themen hinr eichend a usführlich besprochen worden sind. Leitfäden, die nac h den Reg eln der en tscheidungsorientierten G esprächsführung en twickelt wurden, sind die b este Gewähr dafür, dass in den Gesprächen alle wic htigen G esichtspunkte a nge-
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12.5 · Merkmale von Leitfäden
sprochen w erden, d . h., dass I nformationen unverzerrt erhoben werden. Dies ist eine no twendige Voraussetzung dafür, dass dies e Informationen zu möglichst fehlerfreien und unverzerrten diagnostischen Urteilen weiterverarbeitet werden können. Sollen v erschiedene P sychologen in G esprächen v ergleichbare I nformationen erheb en, s o kann dies n ur g elingen, w enn sie den selben L eitfaden verwenden. Denn nur wenn der Arbeitsplan bei v erschiedenen P ersonen g leich ist, ka nn ein ähnliches Arb eitsergebnis er wartet w erden. Die Verwendung desselben Leitfadens ist also eine notwendige, wenn auch noch keine hinreichende Bedingung für intersubjektiv übereinstimmende, also objektiv und zu verlässig gewonnene G esprächsergebnisse. Die G ültigkeit v on G esprächsinformationen lässt sic h d urch v erschiedene M erkmale des B erichts i .d.R. leic ht f eststellen. V orausgesetzt, dass der Psychologe v om P robanden immer k onkretes Verhalten und Erleben in genau beschriebenen Situationen und B edingungen s childern lässt, fallen ungültige Berichte durch ihre Widersprüchlichkeit auf. Erfundene B erichte sind unk onkret und hä ufig k lischeehaft, v or allem f ehlen ihnen a ber die Details, die n ur jemand berichten kann, der etwas wirklich erlebt hat. Leitfäden er möglichen es dem P sychologen, sich flexibel auf den Probanden einzustellen, denn es entlastet den Diagnostik er g eistig und g efühlsmäßig sehr, wenn er sicher sein kann, dass er keine wichtige F rage v ergessen ka nn und jederzei t im Gespräch weiß, was s chon besprochen wurde und was noch zu besprechen ist. Da in en tscheidungsorientierten G esprächen immer n ur k onkretes V erhalten und Erleb en zu schildern ist, sind die Äußerungen als indirekte Verhaltensbeobachtungen zu b etrachten. Der Proband berichtet, was er b eobachtet hat. In vielen diagnostischen Situationen hat der Proband das interessierende Verhalten bisher noch nicht hinreichend beobachtet. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn Eltern, Erzieher oder Lehrer Kinder beobachten sollen. Die Probanden ha ben da nn die A ufgabe, b estimmte Ausschnitte des Verhaltens so zu b eobachten, dass sie dies beim nächsten Gespräch konkret darstellen können. Die B eobachtungsanweisungen ka nn der Psychologe aus dem Leitfaden ableiten.
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Der Auftraggeber ist häufig auch der Proband. Bei f ür ihn s chwierigen En tscheidungen hilf t es ihm, w enn im G espräch syst ematisch alle wic htigen G esichtspunkte b esprochen w erden. Dies es Vorgehen ist a ber n ur da nn mög lich, w enn v orher wirk lich s orgfältig g eplant wur de, d . h. ein Leitfaden formuliert wurde. D amit sind L eitfäden sowohl f ür den A uftraggeber und P robanden als auch f ür den G utachter eine un verzichtbare En tscheidungshilfe. 12.5
Merkmale von Leitfäden
Merke
I
I
Leitfäden für entscheidungsorientierte Gespräche sind ▬ an der Fragestellung und den davon abgeleiteten Psychologischen Fragen ausgerichtet, ▬ auf gesicherte Anforderungen gegründet, ▬ am Verhältnis von Kosten und Nutzen ausgerichtet sowie ▬ praktik abel gestaltet.
Das Oberziel jeder psy chologischen Begutachtung ist die B eantwortung der F ragestellung. Wir r ichten daher die L eitfäden f ür en tscheidungsorientierte G espräche immer a n dies em Ob erziel a us. Dies b edeutet, dass wir n ur s olche Informationen erheben, die der B eantwortung der F ragestellung und der von ihr abgeleiteten Psychologischen Fragen dienen. Bei der en tscheidungsorientierten Pla nung von G esprächen zu v erschiedenen F ragestellungen gib t es k eine F ragen, die wir r outinemäßig stellen. S chematische Anamneseleitfäden und jedes andere schematische und da mit im Einzelfall nur z. T. begründete Vorgehen sind mit entscheidungsorientierten G esprächen un vereinbar. I n einem s olchen G espräch k ommen gr undsätzlich nur s olche F ragen v or, die in einem w ohlbegründeten Zusammenhang zur Fragestellung und den da raus a bgeleiteten P sychologischen F ragen stehen. Fragen in en tscheidungsorientierten G esprächen sind n ur da nn gut b egründet, w enn sie sic h
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Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
auf Anf orderungen b eziehen, die ihr erseits möglichst gut abgesichert sind. Wir haben weiter oben dargestellt, dass b ei je der diagnostis chen F ragestellung, g leichgültig a us w elchem B ereich sie kommt, b ei jeder der sic h b ietenden Al ternativen an die Probanden unterschiedliche Anforderungen gestellt w erden. N ur w enn dies e Anf orderungen eindeutig b eschrieben sind , ka nn in G esprächen geprüft w erden, wie w eit P robanden ihnen en tsprechen. So wie sic h die g esamte Pla nung und Dur chführung einer psy chologischen U ntersuchung a n dem Verhältnis von Kosten und Nutzen ausrichtet, so t ut es a uch die der en tscheidungsorientierten Gespräche. Wir verwenden nur solche Fragen, von denen wir uns nützliche Informationen für die diagnostischen En tscheidungen v ersprechen. D amit scheiden G esprächsteile a us, die nic hts o der zu wenig von dem b ieten, was f ür die B eantwortung der Fragestellung nützlich ist. Da Leitfäden Werkzeuge sind, müssen sie sic h möglichst einfac h ha ndhaben lass en. D amit dies möglich ist, empfiehlt es sich, zuerst die Langform des Leitfadens mit allen notwendigen Einzelheiten zu f ormulieren. Dies s chließt ein, dass ma n sic h über die L änge der einzelnen G esprächsabschnitte klar wir d. Z umindest der P sychologe m uss während des G esprächs jederzei t wiss en, in w elchem Abschnitt seines Plans er sich befindet. Günstig ist es, w enn a uch der P roband k lar erk ennen ka nn, wie das Gespräch gegliedert ist. Die L angform eines L eitfadens s chreiben wir uns in mög lichst üb ersichtlicher W eise a uf und heben die wic htigen Punk te o ptisch her vor. Dies allein r eicht in der P raxis i .d.R. jedo ch nic ht a us, da die L angform mehrere Seiten umfasst. D eshalb machen wir un s zusätzlich auf ein b is zwei S eiten eine mög lichst üb ersichtliche K urzform, die alle wichtigen Gliederungspunkte enthält. Im G espräch b ehält ma n mi t H ilfe der K urzform des L eitfadens den Üb erblick, die L angform hilft da nn in b esonders s chwierigen A bschnitten des G esprächs, die pass enden W orte zu f inden. Dabei m uss ma n nic ht die F ragen w örtlich a blesen. S chlecht g eplante G espräche sind in er ster Linie an den hohen Redeanteilen des Psychologen und ihr en un passend f ormulierten F ragen zu er kennen.
12.6
Grobaufbau eines Leitfadens
Grobaufbau eines Leitfadens 1. Einleitungst eil: – Beg rüßen und Vorstellen, – Erklären der Ziele, Fragestellung und der Vorgehensweise (Themen, Dauer, Pausen), – Einverständnis zur Aufnahme mit Tonträger oder Video, – Darstellung des Problems aus der Sicht des Probanden. 2. Je ein Abschnitt zu jeder ausgewählten Variablen: – Am Beginn eines Abschnitts wird der Zweck des Vorgehens erklärt. – Am Ende eines Abschnitts werden die wichtigen Informationen zusammengefasst. 3. S chlussteil: – Möglichkeit für den Interviewten, etwas zu ergänzen, – Rückmeldung des Interviewten zum Gespräch. – w eiteres Vorgehen erläutern – Kontaktmöglichkeiten zum Interviewer, – wenn nötig, Unterhaltung über emotional neutrales Thema, – V erabschiedung.
Mit der Begrüßung und Vorstellung ist immer ein Gesprächsabschnitt verbunden, in dem ma n sich gegenseitig etwas k ennen ler nt und a ufeinander einstellt. H ierbei ist es f ür den w eiteren Verlauf des Gesprächs entscheidend, dass der P sychologe auf die mo mentane Situation des P robanden eingeht. D abei k önnen d urchaus Din ge b esprochen werden, die mi t der F ragestellung nic hts zu t un haben, denn er st m üssen die G esprächspartner in einer »all täglichen U nterhaltung« zueina nder Kontakt finden. Von der F ragestellung a usgehend st ellen wir die Z iele des G esprächs und die V orgehensweise dar. Es ist wic htig, dass f ür die P robanden k lar wird, w elche B edeutung das G espräch f ür die Beantwortung der F ragestellung ha t. D amit er -
12.6 · Grobaufbau eines Leitfadens
höht sic h die B ereitschaft des P robanden zur Mitarbeit. Ebenfalls motivierend ist es, wenn man einen Überblick über die zu b esprechenden Themen gib t, die un gefähre D auer des G esprächs bekanntgibt und M öglichkeiten f ür P ausen einräumt. Viele Psychologen, i.d.R. nicht die P robanden, haben eine gr oße S cheu, ihre G espräche auf Tonträger o der ga r a uf V ideo a ufzuzeichnen. D abei scheinen zwei Gründe im Vordergrund zu st ehen: Die eig ene a uf T onträger a ufgezeichnete S timme hört sic h nämlich f ür jeden M enschen anders an, als er sie s elbst erlebt. Diese »andere« Stimme findet fast jeder una ngenehm. Weiter hört und sieh t der der P sychologe die eig enen F ehler b eim A bspielen in aller D eutlichkeit. P robanden hin gegen haben b ei einer a ngemessenen Erk lärung g egen eine T onträgeraufnahme meist ens nic hts einzuwenden. L ehnen sie dies e jedo ch a b, s o dik tieren wir unmittelbar nach dem Gespräch möglichst alle Informationen a uf Tonträger und b enutzen da bei den Leitfaden als Gliederung und Erinnerungshilfe, ferner stützen wir un s dann auch auf handschriftliche N otizen. V ideoaufnahmen v on G esprächen können zus ätzliche I nformationen üb er das g esprächsbegleitende no nverbale Verhalten (G estik, Mimik, Motorik) erbringen, die diagnostisch hilfreich sind . Die Ar t der A ufzeichnung ha t sic h jedoch a uch a n K osten-Nutzen-Gesichtspunkten zu orientieren. Selbstverständlich ist vor einer Tonträger- oder Videoaufzeichnung immer das Ein verständnis des Probanden einzuho len. Ohne dies es Ein verständnis ist eine s olche A ufzeichnung nic ht g estattet. Eine heimlic he A ufzeichnung en tspräche w eder dem geltenden Recht noch der partnerschaftlichen Grundeinstellung zum P robanden. A us S icht des Probanden ist hier anzumerken, dass er nur bei einer Tonträgeraufnahme sicher sein kann, dass alle seine Äußerungen maximal objektiv aufgezeichnet werden und er n ur so eine Cha nce hat, sich gegen eine v erzerrte o der ga r fals che G esprächsauswertung wenden zu können. Am Beginn jeden A bschnitts erklären wir den Probanden k urz und zu treffend die Z ielsetzung des f olgenden G esprächsteils. Dies f estigt die B ereitschaft zur M itarbeit. Die Z usammenfassung der wic htigen I nformationen a m Ende eines A b-
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schnitts inf ormiert den P robanden da rüber, wie wir ihn v erstanden ha ben und gib t ihm zug leich die M öglichkeit, M issverständnisse a ufzuklären oder die Informationen zu ergänzen. Als S tandardaufbau eines en tscheidungsorientierten G esprächs em pfiehlt es sic h, zunäc hst den P robanden das da rstellen zu lass en, was f ür ihn mi t der F ragestellung a ngesprochen ist, und dann nac h den a usgewählten kr itischen S ituationen vorzugehen. Im Hinblick auf die Fragestellung sind kritische Situationen solche, in denen U nterschiede zwischen Personen, die sie gut bewältigen, und solchen, die sie weniger gut bewältigen, gut zu beschreiben sind . I n kr itischen S ituationen m uss sich nichts Dramatisches ereignen, vielmehr kann man a n ihnen erk ennen, wie das V erhalten in für die B eantwortung der Fragestellung wichtigen Situationen a ussieht, z. B. wie ein S chüler, um dessen s chlechte S chulleistungen es g eht, s eine Hausaufgaben mac ht. Die Reihenf olge der v erschiedenen B ereiche ist da bei nic ht b eliebig. B estimmte Themen lass en sic h nä mlich er st spä ter im G espräch zuf riedenstellend b esprechen. B ei anderen drängen die Probanden danach, auf diese zuerst einzugehen. Den A bschluss en tscheidungsorientierter G espräche können indirekte Fragen darstellen, die für viele Zwecke nützliche Informationen bringen, z. B. die S childerung eines k onkreten o der typ ischen oder idealen Tagesablaufs oder Wochenendes. Am Beginn eines Gesprächs stoßen solche Fragen leicht auf Unverständnis und Misstrauen. Am Ende eines I nterviews b ietet es sic h a n, dem Interviewten noch einmal die M öglichkeit zu geben, etwas zu er gänzen, ihn R ückmeldung zum Interview geben zu lassen und ihm zu erklären, wie es nun im diagnostischen Prozess weiter geht. Hilfreich für den Interviewten kann es auch sein, dass man ihm sagt, wie er Kontakt zum Interviewer aufnehmen kann, wenn er dies mö chte, weil ihm z. B. noch etwas Wichtiges eingefallen ist. Abschließend kann der I nterviewer a uf ein emo tional neu trales Thema zu sprechen kommen, falls dies erforderlich erscheint, damit er den Interviewten in einer guten Verfassung verabschieden kann.
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Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
12.7
Feinaufbau eines Leitfadens
Merke
I
I
Beim Feinaufbau eines Leitfadens ist auf Folgendes zu achten: 1. A usdruck: – einfaches, klares, genaues Deutsch, – keine Fremdwörter und Fachausdrücke, – kurze, zutreffende, verständliche Erklärungen. 2. Unt ergliederung: – notwendige längere Erklärungen im Dialog und nicht als Vortrag, – Fragen und Aufforderungen in sachnotwendiger Reihenfolge. 3. Art der Fragen und Aufforderungen: – nach konkretem individuellem Verhalten, – »günstige« statt »ungünstige« Fragen, – angemessen offene Fragen, – angemessen direkte Fragen.
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Beim F einaufbau eines L eitfadens ist b ei allen Formulierungen a uf ein einfac hes, k lares und g enaues Deutsch zu achten. Viele Psychologen stehen ebenso wie P robanden mi t einer akademis chen Ausbildung hier v or b esonderen S chwierigkeiten. Eine Sprache ohne Fremdwörter und Fachausdrücke wir d als b eschämend un gebildet erleb t. Die meisten M issverständnisse k ommen in G esprächen jedo ch daher , dass a nstelle k onkreter und anschaulicher Beschreibungen unangemessen abstrakte Begriffe verwendet werden. In G esprächen k ommt es da rauf a n, dass die notwendigen Erk lärungen f ür P robanden k urz, zutreffend und v erständlich sind . H ierfür er weist es sich wieder als a ußerordentlich hilf reich, wenn man sich alle vorhersehbar notwendigen Erklärungen v or dem G espräch in R uhe üb erlegt und als Teil des Leitfadens niederschreibt. Am B eginn eines en tscheidungsorientierten Gesprächs sind mehr ere Erklärungen erforderlich. Diese s ollte ma n nic ht in Ar t eines k leinen Vortrages v orsehen, s ondern sie s o p lanen, dass sie den Probanden im G espräch, d. h. in F ragen und Antworten, vermittelt werden können. Dies bedarf nach un seren Er fahrungen, wie die a nderen Teile der en tscheidungsorientierten G esprächsführung, besonderer Übung.
Die Reihenf olge der F ragen zu einem B ereich ist nicht beliebig. Sie hängt in er ster Linie vom Ziel des Gesprächs ab. Daneben sind aber eine Reihe von psychologischen B edingungen zu b eachten, da mit Probanden die gewünschten Informationen in einer brauchbaren Form darstellen können. Weiter unten werden wir auf diese Bedingungen näher eingehen. Nur die S childerung k onkreten indi viduellen Verhaltens bietet die Informationen, die wir für eine nützliche Diagnostik b rauchen. W ir f ordern daher unsere G esprächspartner immer dazu a uf, un s das Verhalten so zu schildern, dass wir es so konkret »wie in einem Film« v or uns sehen können. Dies g elingt den meisten Probanden nach wenigen Minuten sehr leicht. B ei en tscheidungsorientierten G esprächen gibt es gün stige und un günstige Ar ten von Fragen. »Ungünstige« Fragen können in vielen Bereichen zu völlig unbrauchbaren Ergebnissen führen. Wir werden daher weiter unten auf günstige wie ungünstige Arten von Fragen näher ein gehen. D anach werden wir uns mit dem Grad der Offenheit und dem Ausmaß der Direktheit von Fragen beschäftigen. 12.8
Merkmale günstiger Fragen
Merke
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I
»Günstig« sind Fragen und Aufforderungen, die 1. inhaltlich – sich immer auf konkretes individuelles Verhalten beziehen, – immer in einem eindeutigen Bezugsrahmen stehen, – nur einen Aspekt ansprechen; 2. im Ausdruck – möglichst kurz und treffend sind, – nicht suggestiv sind, – neutral sind hinsichtlich der Bewertung des erfragten Verhaltens; 3. als Hilfe – den Kontext als Gedächtnisstütze verwenden, – Wörter und Redewendungen verwenden, die möglichst wenig emotional geladen sind, – zutreffend formuliert werden, auch wenn sie dem Psychologen peinlich sind.
12.8 · Merkmale günstiger Fragen
Unser V orgehen in der Diagnostik ist immer a m Verhalten orientiert, welches von außen oder durch den Probanden selbst beobachtet werden kann. Solche V erhaltensbeobachtungen b ieten eine b esser prüfbare Grundlage für diagnostische Urteile als abstrakte Verhaltensbeschreibungen wie Beeigenschaftungen von Personen. Aussagen über Eigenschaften von Menschen können am Ende von diagnostischen Untersuchungen st ehen. I n G esprächen m uss jedoch zunächst beschrieben werden, wie sich jemand in b estimmten S ituationen v erhält. Er st da nn lässt sich nachvollziehen, ob den beschriebenen Personen bestimmte Eigenschaften zukommen oder nicht. Verhalten zu schildern fällt Gesprächspartnern dann leichter, wenn der Bezugsrahmen klar ist, innerhalb dessen danach gefragt wird. Wenn wir ein neues Thema im G espräch a nsprechen, erk lären wir daher k urz dess en Z ielsetzung innerhalb des Gesprächs und die Inhalte. Probanden k önnen leic hter a ntworten, w enn sie n ur nac h einem einzig en Sac hverhalt g efragt werden. V erstößt der I nterviewer g egen dies es Prinzip des »einen G edankens« (C annell u . Kahn 1968) und sp richt in einer F rage mehr eres a n, s o ist für den P robanden nicht klar, auf welchen Teil der Frage er antworten soll, oder er vergisst, einen Teil zu b eantworten. I n b eiden F ällen m uss da nn doch k orrekt nac hgefragt w erden, o der es f ehlen entscheidende Informationen. Der Proband soll im entscheidungsorientierten Gespräch üb er b eobachtetes Verhalten und Erleben b erichten. Die F ragen und A ufforderungen des P sychologen s ollen dies en B ericht lei ten und nur s o viel un terbrechen, wie es im S inne der Fragestellung erforderlich ist. Möglichst kurze und treffende Formulierungen dienen dies em Zweck i. Allg. am besten. Fragen in G esprächen sind suggestiv, wenn die vom I nterviewer »er wünschte« An twort a us der Frage erkennbar ist, w eil mindestens eine der f olgenden Bedingungen erfüllt ist: 1. Vorausgeschickte Informationen verdeutlichen die erwünschte Antwort. 2. In der F rage ist b ereits eine B ewertung des er fragten Verhaltens enthalten. 3. Es wir d etwas als g egeben v oraussetzt, was nicht vorausgesetzt werden kann, weil es a uch anders (gewesen) sein kann.
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4. Antwortalternativen werden unvollständig aufgezählt. 5. Bei vollständigen Antwortalternativen oder bei »Ja-Nein«-Antworten ist eine der An tworten für den Interviewten näher liegend. 6. Es sind H inweis g ebende F üllwörter wie »sicher«, »etwa« usw. enthalten. Die Gefahr, suggestiv zu f ragen, wird vielfach unterschätzt, da die S uggestion s o sub til s ein ka nn, dass der F ragende sie nic ht bemerkt, der P roband aber sehr wohl darauf reagiert. Wird gar eine Reihe von Suggestivfragen verwendet, so kann dies ganze Gespräche v erzerren. Vor s olchen s chwerwiegenden Interviewerfehlern kann man sich nur bewahren, w enn ma n nac h en tsprechendem T raining sorgfältig ausgearbeitete Leitfäden verwendet. Günstige F ragen in G esprächen zeic hnen sic h weiter dadurch aus, dass sie dem Probanden die Erinnerung erleichtern. Eine Möglichkeit besteht darin, die Fragen so zu gestalten, dass sie den Kontext eines Verhaltens wieder aktivieren. Hierzu müssen Psychologen en tweder a us Er fahrung wiss en, wie bestimmte Ereignisse ins Gedächtnis übernommen werden, oder die F ragen müssen so gehalten sein, dass die P robanden aufgefordert werden, sich erst einmal an den K ontext zu er innern, in dem etwas geschehen ist. Emotional geladene Wörter und Redewendungen in diagnostis chen Fragen ka nn ein P roband als s ehr tr effend erleb en, a ber a uch als s ehr unpassend. D a ma n dies b ei der F ormulierung v on Leitfäden nicht vorhersehen kann, verwenden wir solche B estandteile v on F ragen nac h M öglichkeit nicht. D as heißt jedo ch nic ht, dass G efühle nic ht beachtet w erden: I ndem sic h der P sychologe im Gespräch für die erleb ten Gefühle des G esprächspartners o ffen häl t, ka nn er sie g enauer er fassen und angemessener darauf reagieren. Es ka nn v orkommen, dass P sychologen f ür die F ragestellung no twendige F ragen, die sie p ersönlich als p einlich erleb en, v ermeiden o der unzutreffend formulieren, auch dann noch, wenn sie die »Schere im Kopf« bemerken. Die dahinter stehenden Ängste müssen f ür angemessene B earbeitungen v on F ragestellungen üb erwunden w erden. Eine s orgfältige G esprächsvorbereitung (= L eitfadenentwicklung) ist hier für unabdingbar; darüber
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Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
hinaus b edarf es syst ematischer A usbildung und regelmäßiger kollegialer Supervision. Für die G esprächsführung in der Eign ungsdiagnostik steht für die Rückmeldung das Diagnoseinstrument zur Er fassung der I nterviewerkompetenz in der Personalauswahl (DIPA) zur Verfügung (Strobel 2004). Mit dem DIPA kann ein Interviewer sein eigenes oder fremdes Interviewerverhalten in einem I nterview o der einer Reihe v on I nterviews anhand von 147 Items detailliert beurteilen. Interviewexperten aus der Praxis haben im Delphi-Verfahren die Angemessenheit der beschriebenen Verhaltensweisen beurteilt. Damit steht ein ob jektiver Maßstab a us der P raxis für I nterviewerverhalten in Eign ungsinterviews zur V erfügung. A uf dies e Weise lässt sic h der k onkrete En twicklungsbearf erkennen, und b ei er fahrenen I nterviewern wir d deutlich, w o sie nac hlässig g eworden sind . Durch regelmäßige Selbst- oder Fremdrückmeldung mittels D IPA ka nn die Quali tät v on Eign ungsinterviews gesichert und können die Kosten für wiederholte Trainings gespart werden. 12.9
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Ungünstige Fragen
Merke
I
I
▬ In ungünstigen Fragen wird
– nach »vernünftigen« Gründen gefragt (Warum...? Wieso...? Welches sind die Gründe...?) und – nach hypothetischem Verhalten gefragt, d. h. vermutetem Verhalten in unbekannten Situationen. ▬ I nformativere Alternative: – Fühlen, Denken, Handeln in erlebten Situationen und – Erwartungen und Überzeugungen zu zukünftigen Situationen schildern lassen.
Mit Fragen, die mi t »warum«, »wieso«, »weshalb« oder »w elches sind die G ründe« b eginnen, wir d versucht, die M otivation von Menschen zu einem bestimmten V erhalten zu er fragen. S olche F ragen r ichten sich nicht auf Verhalten und Erleb en, sondern v erlangen v om P robanden, K ausalattributionen zu äußern. Solche Ursachenzuschreibun-
gen sind jedo ch keine B erichte üb er b eobachtetes Verhalten. S omit g eben sie k eine A uskunft üb er die verhaltensleitenden B edingungen in b estimmten Situationen, sondern nur über später erdachte Erklärungen f ür das r elevante V erhalten. S olche Kausalattributionen werden häufig, auch von Psychologen, mi t den mo tivationalen B edingungen für ein Verhalten verwechselt. Falls Kausalattributionen bei einer Fragestellung von Bedeutung sind, dann fragen wir da nach, wie sic h der P roband ein bestimmtes Verhalten erk lärt. S olche Erk lärungen können f ür die w eitere B earbeitung einer F ragestellung von Bedeutung sein, da Menschen ihre Ursachenzuschreibungen meist f ür zutreffend halten und sic h en tsprechend v erhalten. Die wirk lichen Bedingungen f ür ein g ezeigtes Verhalten k önnen jedoch völlig andere sein, als in den Kausalattributionen geäußert werden. Fragen nac h »wa rum«, »wies o«, »w eshalb«, »was sind die G ründe« sug gerieren zudem, dass nur »vernünftige« Gründe als An twort er wünscht sind. Dies ka nn ma n a n vielen G esprächsbeispielen zeig en. Die meist en P robanden f ühlen sic h gehemmt, b ei s olchen F ragen einen V erlauf zu schildern, in dem G efühle eine wic htige o der die überwiegende Ro lle sp ielen, vielmehr f ühlen sie sich verpflichtet, etwas »Vernünftiges« zu äußern. Darüber hina us zeigt die All tagserfahrung, dass F ragen nac h den v ernünftigen G ründen f ür Verhalten hä ufig mi t der A bsicht des T adels o der im S treit ein gesetzt w erden. S o w erden im All tag Fragen nac h B egründungen f ür Verhalten hä ufig gestellt, wenn jemand einen a nderen für sein Verhalten tadeln will. Wenn man weiß, dass der andere aus einem Gefühl heraus gehandelt hat, meint man, ihn so zur Angabe von »vernünftigen« Begründungen zwingen zu können. Gelingt dies, so kann man ihm im G egenzug k larmachen, dass alle g eäußerten Begründungen falsch sind. Probanden t un sic h w esentlich leic hter, w enn der P sychologe sie b ittet, einen b estimmten H ergang konkret zu schildern, also das zu beschreiben, was sie g etan, g edacht und g efühlt ha ben. D abei können sie alles da rstellen, a uch das, was »unvernünftig« wa r. S olche S childerungen en thalten dann auch Überlegungen, die im alltäglichen Sinne »vernünftig« sein können. Beschreibungen von inneren und äußeren Vorgängen enthalten mehr zu-
treffende I nformationen üb er die M otivation als Antworten auf Fragen nach Gründen. Viele P sychologen b eschreiben in einer F rage bestimmte Situationen und wollen dann hören, wie sich die P robanden in s olchen v erhalten wür den. Solche Fragen verlangen von dem Probanden, dass er s owohl alle wic htigen B edingungen einer s olchen Situation kennt und a ngemessen einschätzen kann, als a uch, dass er sic h selbst so genau kennt, dass er einschätzen kann, wie er dies en Bedingungen entsprechen kann. Dies ka nn bestenfalls dann der F all s ein, w enn jema nd dera rtige o der s ehr ähnliche S ituationen b ereits erleb t ha t. D aher ist es in jedem F all gün stiger, dies e erleb te S ituation direkt schildern zu lass en. Befragt man einen Probanden nach vermutetem Verhalten in für ihn unbekannten S ituationen, als o nac h hypothetischem Verhalten, s o ist dies immer eine in tellektuelle und emo tionale Üb erforderung des P robanden. Wie soll sich jemand, auch noch unter Z eitdruck, alle wic htigen S ituationsbedingungen angemessen vorstellen können und sich außerdem in Sekunden angemessene eig ene V erhaltensweisen üb erlegen, für die M enschen in der Re alität S tunden, T age oder mehr Zeit haben? Bei den V ariablen, die b ei der B eantwortung einer F ragestellung zu b eachten sind , ha ben wir Überzeugungen und Er wartungen als zen trale motivationale K onstrukte v orgestellt. Üb erzeugungen beziehen sich auf die Ziele, die Normen, die jemand als für sich verbindlich erlebt, die je weils wichtigen Ausschnitte aus dem Selbstbild wie auch situationsspezifische Vorstellungen. Eine Er wartung ist eine Vorstellung, die ein I ndividuum von einem mög lichen zukünftigen Ereignis hat. An Er wartungen ist zu erk ennen, was jema nd üb er einen b estimmten Bereich weiß, wie er bestimmte mögliche zukünftige Ereignisse b ewertet und w elche G efühle er da mit verknüpft. Die Er wartungen und Üb erzeugungen, die Menschen mit verschiedenen sich ihnen bietenden V erhaltensmöglichkeiten v erbinden, g estatten nachweislich gu te Verhaltensvorhersagen (vg l. z. B. Westhoff 1985; Westhoff u. Halbach-Suarez 1989). Erwartungen und Üb erzeugungen als ha ndlungsleitende K ognitionen k önnen um so r ealistischer s ein, je b esser der P roband eine b estimmte Situation k ennt. H at er sie s elbst s chon erleb t, dann ka nn ma n ihn b itten, s ein V erhalten und
12
95
12.10 · Grad der O ffenheit einer Frage
Erleben in dieser Situation zu schildern. Das ist der psychologisch-diagnostisch günstigste Fall. Konnte er a ndere in einer s olchen S ituation b eobachten oder zusätzlich auch mit ihnen da rüber sprechen, dann wird er sich u. U. recht gut vorstellen können, wie er sich in dieser Situation verhalten würde. Am schwierigsten ist es jedoch, sich eine Situation vorzustellen, die ma n n ur v om Hörensagen o der ga r nicht kennt. Hier ist dann auch mit den wenigsten Erwartungen zu r echnen, die zudem w enig k onkret und wenig realistisch sind. Die so gewonnenen Erwartungen sind am wenigsten gut brauchbar für die Prognose zukünftigen Verhaltens. 12.10
Grad der Offenheit einer Frage
Definition
I
I
Grad der Offenheit einer Frage
Eine Frage ist umso offener, je weniger durch sie die Art zu antworten festgelegt wird. Offene Fragen können genaue Fragen sein. Fragen in einem entscheidungsorientierten Gespräch sind, von begründeten Ausnahmen abgesehen, offene Fragen.
Bei o ffenen F ragen ist nic ht f estgelegt, wie die Gesprächspartner a ntworten s ollen. B ei g eschlossenen Fragen können sie im Extremfall nur mit einem Wort wie »ja« o der »nein« antworten. In Persönlichkeitsfragebögen und den meist en sonstigen Fragebögen wir d b is a uf s eltene Ausnahmen eine solche geschlossene Art von Fragen verwendet. Offene F ragen sind nic ht un genau o der vag e. Sie können vielmehr so formuliert werden, dass die Probanden sehr genau wissen, worüber sie erzählen sollen, nur die Art, wie sie berichten, wird durch die Art zu f ragen nicht festgelegt. Probanden bevorzugen o ffene F ragen, w eil sie r eden k önnen, wie sie wollen. Offene Fragen sind daher a m Anfang eines neuen Gesprächsabschnitts besonders hilfreich, weil der Psychologe da no ch nicht viel üb er das Verhalten des Probanden in dem a ngesprochenen Bereich weiß. In einem Abschnitt eines entscheidungsorientierten G esprächs g eht es i .d.R. en tweder um eine konkrete Situation, die es zu explorieren gilt oder um eine psychologische Variable. In beiden Fällen lassen
96
Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
wir den P robanden mi t H ilfe einer o ffenen F rage oder Aufforderung darüber berichten. Interessieren hier ga nz b estimmte A usschnitte da raus näher, s o verwenden wir auch dann wieder eine offene Frage, die sic h n ur a uf dies en A usschnitt b ezieht. A uch wenn im Anschluss daran eine noch differenziertere Betrachtung notwendig ist, als o ein A usschnitt des Ausschnitts näher zu b etrachten ist, s o v erwenden wir auch dazu immer o ffene Fragen. Grundsätzlich sind die Fragen in einem en tscheidungsorientierten Gespräch, von begründeten Ausnahmen wie Fil terfragen a bgesehen, o ffene F ragen. Fil terfragen s etzt man ein, um zu er fahren, ob ein P roband in einem bestimmten Bereich Erfahrungen sammeln konnte. Wenn dies nic ht der F all ist, da nn en tfällt ein T eil des Leitfadens, der f ür den F all vorbereitet ist, dass der P roband b estimmte Er fahrungen g emacht ha t, beispielsweise ein bestimmtes Praktikum. Mit geschlossenen Fragen werden im entscheidungsorientierten G espräch n ur ga nz g ezielt I nformationen a bgefragt, b ei denen o ffene F ragen zu unnö tig la ngen B erichten f ühren wür den. Es hängt also von den Zielen eines geplanten und dem tatsächlichen G esprächsverlauf a b, w elcher G rad der Of fenheit v on F ragen und A ufforderungen weiterführt.
12
12.11
Grad der Direktheit einer Frage
Definition
I
I
Grad der Direktheit einer Frage Je leichter zu erkennen ist, worauf eine Frage abzielt, umso direkter ist sie. Je indirekter eine Frage ist, umso mehr Aspekte des Verhaltens und Erlebens sind in einem bestimmten Bereich zu schildern. Der Grad der Direktheit einer Frage wird gewählt nach ▬ der Art der Wissensrepräsentation beim Gesprächspartner, ▬ der Art der zu äußernden Inhalte, ▬ dem Ziel der Frage im Gesamtablauf des Gesprächs.
Je leichter der Proband erkennen kann, auf welche Einzelheiten eine F rage a bzielt, um s o dir ekter
ist sie . J e indir ekter eine F rage ist, um so w eniger wird in ihr a usgedrückt, welche Aspekte in einem bestimmten V erhaltensbereich in teressieren. D er Proband ist dad urch aufgefordert, alles das zu er zählen, was er für berichtenswert hält. Der Grad der Direktheit einer Frage hängt davon ab, wie das erfragte Verhalten beim Probanden repräsentiert ist. V ieles ist a uf dir ekte F ragen hin nicht o der nur schlecht zu er innern. Fordert man den Probanden dagegen durch eine entsprechende indirekte Frage auf, einen bestimmten Ablauf oder eine Entwicklung zu s childern, so kann er Einzelheiten b erichten, die ihm a uf dir ekte F ragen hin nicht einfallen. Bei b estimmten Inhalten fällt es dem P robanden s chwer, f rei da rüber zu sp rechen, w eil sie sich a uf s ozial missb illigtes Verhalten, emo tional belastende Ereignisse oder motivational schwierige Situationen b eziehen. H ier sind indir ekte F ragen häufig eine unverzichtbare Einstiegshilfe. Nicht zuletzt hängt der Grad der Direktheit einer Frage von den Z ielen eines zu p lanenden oder laufenden G esprächs a b. Auf b estimmte indir ekte Fragen, z. B. s olche nac h »p einlichen« I nhalten, sind erst dann informative Antworten zu erwarten, wenn der P roband in einem lä ngeren G espräch erfahren hat, dass er offen und vertrauensvoll sprechen kann. 12.12
Vorbedingungen für die Durchführung entscheidungsorientierter Gespräche
Merke
I
I
Vorbedingungen für die Durchführung entscheidungsorientierter Gespräche
▬ Gesprächsber eitschaft. ▬ Erwartungen an das Gespräch und die Beteiligten sind möglichst zutreffend und vollständig. ▬ Jeder Gesprächsteilnehmer hinterfragt selbstkritisch die Bewertungen seiner Erwartungen. ▬ Jeder Gesprächsteilnehmer ist angemessen auf das Gespräch vorbereitet.
97
12.13 · Bedingungen für ein er folgreiches diagnostisches Gespräch
Für alle I nterviews ist die zen trale Vorbedingung, dass der zu Interviewende zu dem Gespräch bereit ist. U m dies e G esprächsbereitschaft zu er reichen, stellt der Psychologe seine mit dem Gespräch angestrebten Ziele dar und erklärt und begründet seine Vorgehensweise s o, dass der P roband zu treffende Erwartungen an das Gespräch ausbilden kann. Dies ist die G rundlage f ür G esprächsbereitschaft und diese muss vor dem B eginn des en tscheidungsorientierten Gesprächs entwickelt worden sein. Bei der Vorbereitung von Gesprächen liegen in aller Reg el s chon einig e I nformationen üb er den Gesprächspartner v or. D er P sychologe st ellt sic h auf dieser Grundlage vor, wie sich der Proband verhalten wird. Solche vorgestellten Verhaltensweisen bewertet jeder als mehr o der w eniger a ngenehm oder una ngenehm, als sym pathisch o der un sympathisch. Diese B ewertungen der Er wartungen b ei der Vorbereitung des Gesprächs nehmen wir zum Anlass, darüber nachzudenken, was wir a n dem G esprächspartner anziehend und was wir a bstoßend finden. Dies hä ngt immer mi t un seren eig enen Zielen und p ersönlichen W ertesystemen zus ammen. Er st w enn un s dies b ewusst ist, k önnen wir mit den G efühlen umgehen, die unsere Erwartungen b egleiten. W ir ac hten da bei g leichermaßen auf p ositiv wie nega tiv b ewertete Er wartungen, denn bleibt eine Bewertungsrichtung unreflektiert, kann sie die Ein stellung zu dem G esprächspartner verzerren. Eine a ngemessene G esprächsvorbereitung b edeutet also eine intellektuelle Leistung und zugleich eine B earbeitung eig ener G efühle, die mi t Er wartungen verbunden sind. Diese Gefühle werden von den Z ielen und W ertvorstellungen a usgelöst, die von dies en Er wartungen a ngesprochen w erden. Nur w enn dies e in tellektuellen, emo tionalen und motivationalen Voraussetzungen für ein G espräch aufseiten des P sychologen gegeben sind, kann der soziale Kontakt vor und während des Gesprächs im Sinne des Gesprächsziels zum Erfolg führen. Häufig nehmen I nterviewer v on sic h a n, sie seien ihren Gesprächspartnern gegenüber »neutral« eingestellt. Wie jedoch die umfa ngreiche Literatur zur Personwahrnehmung, zu Vorurteilen und S tereotypen o der im pliziten P ersönlichkeitstheorien zeigt, gibt es keine globale neutrale Voreinstellung.
12
Das ob en skizzier te Vorgehen b ietet die Cha nce, sich G esprächspartnern g egenüber mög lichst fa ir einzustellen. 12.13
Bedingungen für ein erfolgreiches diagnostisches Gespräch
Merke
I
I
Bedingungen für ein erfolgreiches diagnostisches Gespräch 1. Die oben dargestellten Vorbedingungen für ein entscheidungsorientiertes Gespräch sind möglichst weitgehend gegeben. 2. Zeitliche Aspekte werden angemessen berücksichtigt. 3. Die Umgebung ist für das Gespräch günstig gestaltet. 4. Die Gesprächspartner stellen sich aufeinander ein hinsichtlich ihrer – momentanen emotionalen Situation, – M otivationslage, – so zialen Beziehungen, – kog nitiven Fähigkeiten, – körperlichen Besonderheiten. 5. Die Techniken der Gesprächsführung werden richtig eingesetzt.
Die ob en skizzier ten V oraussetzungen f ür en tscheidungsorientierte G espräche m üssen möglichst w eitgehend g egeben s ein, w enn s olche G espräche alle S eiten zuf riedenstellen s ollen. N eben der V orbereitung der P artner und der L eitfäden für Gespräche bestimmen auch die zeitlichen Rahmenbedingungen eines G esprächs s einen Er folg ganz wesentlich mit. Die Wahl eines f ür alle B eteiligten gün stigen Termins ist eine B edingung, die i.d.R. erfüllt wird. Schwierigkeiten gibt es jedo ch häufig mit der B estimmung des zei tlichen R ahmens, w eil hier zu wenig Z eit f ür das K ennenlernen und das V erabschieden v orgesehen wir d. Dies e inf ormellen Gesprächsanteile sind a ber f ür die Z ufriedenheit mit diagnostis chen G esprächen wic htig. N icht zu knapp b emessene Z eit er möglicht es a uch eher , pünktlich zu sein und so die Stimmung der Partner nicht unnötig zu belasten.
98
12
Kapitel 12 · Entscheidungsorientierte Gesprächsführung
Störungen der G espräche s ollten d urch eine entsprechende G estaltung der U mgebung a usgeschlossen werden. Eine angenehme Umgebung für Gespräche zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass die Gesprächspartner b equem si tzen und sic h b eim Sprechen anschauen können. Eine f ür alle gu t ablesbare U hr hilf t, die ein geplanten Z eiten einzuhalten. Alle T eilnehmer a n G esprächen s ollten sic h vorstellen und ihr e A ufgaben k urz erk lären, s odass die s ozialen B eziehungen v or allem f ür den Probanden eindeu tig k lar sind . D er I nterviewer erklärt dem P robanden a uch, w ozu der L eitfaden dient. D ann ka nn der I nterviewer sic h währ end des G esprächs a usdrücklich a uf dies en L eitfaden beziehen: D er P roband erk ennt da ran, dass der Interviewer die F ragestellung er nst nimm t und sich auf das G espräch vorbereitet hat. Gut lesbare Namensschilder erleichtern die G espräche eb enso wie Erfrischungen. Ein Gespräch kann nur dann zufriedenstellend beginnen, w enn sic h die P artner auf die mo mentane emo tionale S ituation des a nderen ein stellen und dies e in ihr em V erhalten b erücksichtigen. Vom Psychologen muss dies v erlangt werden, von Gesprächspartnern ka nn ma n es w eder er warten noch ga r v erlangen. Dur ch die B esprechung der gegenseitigen Erwartungen und Z iele können sich die Partner motivational aufeinander einstellen. Für Berichte über konkretes Verhalten und Erleben genügt die U mgangssprache. Sie eignet sic h deshalb gu t, w eil der P roband da nn s o sp rechen kann, wie er es gewohnt ist. Probleme können sich nur da er geben, w o der P sychologe die M undart eines Probanden nicht versteht. Im Extremfall wird man den G utachtenauftrag zur ückgeben m üssen, denn es ist un verantwortlich, ein G utachten zu erstatten, w enn ma n den G esprächspartner nic ht oder n ur zum T eil v erstehen ka nn, a us dem G espräch aber die entscheidenden Informationen gewonnen werden müssen. Zu den B edingungen für ein er folgreiches Gespräch g ehört nic ht zuletzt, dass die P artner in jeder psychologischen Untersuchung und in jedem Gespräch die g egenseitigen k örperlichen B esonderheiten b erücksichtigen. Eine F ülle mög licher Störungen können Gespräche behindern. Als B eispiele seien hier akute oder chronische Schmerzen
oder auch Hör- und S ehstörungen genannt. Diese körperlichen Bedingungen berücksichtigen wir, soweit sie aus den Unterlagen bekannt sind o der aus ihnen darauf geschlossen werden kann, schon b ei der Planung. Im Vorgespräch oder auch durch eine aufmerksame Verhaltensbeobachtung während des Gesprächs v ersuchen wir , a uf k örperliche B esonderheiten Rücksicht zu nehmen. Verbale und nonverbale Verstärker, wie sie vielfach in der F achliteratur b eschrieben sind , s etzen wir ein, um den P rozess des B erichtens beim Probanden zu f ördern. Hierzu gehören beispielsweise kurze Äußerungen wie »hm« und »ja«, Kopfnicken oder Veränderungen der K örperhaltung. Dabei ist darauf zu ac hten, dass nic ht a uch uner wünschtes Verhalten wie z. B. A bschweifen v om Thema, verstärkt wird. Das Gespräch führt bei derartigem Interviewerverhalten immer w eiter v om Z iel a b. Eine M öglichkeit, uner wünschtes V erhalten im Gespräch zu lös chen, wä re das A ussetzen aller Verstärker. S chneller wirkt jedo ch der dir ekte a nschauliche Hinweis durch den Psychologen, welche Inhalte in welcher Darstellungsweise vom Probanden er wartet w erden. Es v ersteht sic h v on s elbst, dass s olche A ufforderungen und H inweise dem Probanden in einer Form gegeben werden, die ihn als Partner anerkennt und ihn keinesfalls verletzt.
13
Teil II des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Beispielfragestellung 13.1
Leitfaden zum entscheidungsorientierten Gespräch
– 100
13.2
Auswahl der teil- und nichtstandardisierten Verfahren
13.3
Darstellung der teil- und nichtstandardisierten Verfahren im Gutachten – 104
– 103
100
Kapitel 13 · Teil II des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Beispielfragestellung
Wir g reifen h ier d ie ei gnungsdiagnostische F ragestellung au s K apitel 6 w ieder auf un d z eigen, w ie teil- u nd n ichtstandardisierte Verfahren i m U ntersuchungsplan n ach d en R egeln d er e ntscheidungsorientierten D iagnostik a usgewählt, bea rbeitet u nd dargestellt werden. 13.1
Leitfaden zum entscheidungsorientierten Gespräch
Leitfaden zum entscheidungsorientierten Gespräch zu: ▬ En tscheidungsverhalten, ▬ Erwartungen an Umschulung und Beruf, ▬ Interessen, Ziele, Wünsche, ▬ Lernen (Hinweise auf Intelligenz), ▬ A rbeitsstil, ▬ emotionale B elastbarkeit und U mgang mi t emotionalen Belastungen, ▬ k örperliche Belastbarkeit, ▬ Umgang mit anderen (soziale Bedingungen).
13
Wir wollen nun die Langform eines Leitfadens für ein en tscheidungsorientiertes G espräch zu un serer B eispielfragestellung v orstellen. B egrüßung, Vorstellung, den inf ormellen G esprächseinstieg und die Bitte um Genehmigung zur Tonbandaufnahme f ühren wir hier nic ht a uf. D as S tichwort »Zusammenfassung« st eht immer da für, dass im Interview an dieser Stelle die w esentlichen Informationen zum g erade besprochenen Thema v om Interviewer zus ammengefasst w erden, s odass die P robandin etwas k orrigieren o der er gänzen könnte. Den n un f olgenden L eitfaden st ellen wir im Gutachten nic ht da r. Es wür de dad urch b ei den Gutachtenlesern der fals che Eindr uck er weckt, dass die F ragen in der da rgestellten F orm und Reihenfolge g estellt w orden s eien. W eiter un ten zeigen wir , in w elcher F orm das en tscheidungsorientierte G espräch in den U ntersuchungsplan eingeht.
1 Entscheidungsv erhalten Der Entschluss, sich zur Alt enpflegerin umschulen zu lassen und spät er in diesem Beruf zu arbeit en, hat wichtige und langfristige Folgen. Wir sollten daher über die hierbei wichtigen Bereiche sprechen. 1.1
Schildern Sie bitt e einmal , wie Sie zu dem Entschluss gekommen sind , sich zur Alt enpflegerin umschulen zu lassen.
1.2
Welche anderen Möglichkeiten haben Sie bedacht?
1.3
Inwieweit haben Sie sich informiert?
1.4
Woher haben Sie Informationen bekommen?
1.5
Wie wichtig waren die Informationen für Sie?
1.6
Haben Sie mit ander en darüber gespr ochen, wie Sie sich entscheiden sollen?
1.7
Wenn ja: Mit wem?
1.8
Was meinte er/ sie?
1.9
Was bedeutete das für Sie?
1.10 Welche Vorteile sind für Sie mit den zur Wahl stehenden Möglichkeiten verbunden? 1.11 W elche Nachteile? 1.12 Welche Folgen hat Ihre Wahl für Sie? 1.13 Was war bei Ihrer Wahl wichtig? 1.14 Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor? Zusammenfassung
2 Erwartungen an Umschulung und Beruf Kommen wir jetzt einmal dazu , was für Sie währ end der Umschulung und für die spät ere Beruf stätigkeit wichtig sein wird. 2.1
Wie stellen Sie sich die Umschulung vor?
2.2
Was wird nach Ihren Vorstellungen an der Umschulung schön sein?
2.3
Was wird weniger schön sein?
2.4
Was wird Ihnen beim Lernen eher leicht fallen?
2.5
Was wird Ihnen beim Lernen eher schwer fallen?
2.6
Wo werden Sie die Umschulung machen können?
2.7
Wie sieht die Umschulung aus? Wie läuft sie ab?
2.8
Was müssen Sie in der Umschulung lernen?
2.9
Wie sieht das bei Ihnen mit Praktika aus?
2.10 Wie wollen Sie Ihre Ausbildung finanzieren? 2.11 Wie können Sie die Schule erreichen? 2.12 In welchen Bereichen können Sie später arbeiten?
▼
101
13.1 · Leitfaden zum entscheidungs orientierten Gespräch
13
2.13 In welchen möchten Sie arbeiten?
5 Arbeitsstil
2.14 Was finden Sie daran gut?
2.16 Wo können Sie Arbeit finden?
Bei einer Umschulung und einer spät eren Berufstätigkeit müssten zusätzlich Haushalt und Kinder versorgt werden. Dabei spielt die Ar t und Weise, wie man arbeit et, eine wichtige Rolle.
Zusammenfassung
5.1
Welche Arbeiten fallen für Sie an?
5.2
Welche Arbeiten gefallen Ihnen?
2.15 Was finden Sie daran nicht so gut?
3 I nteressen, Ziele, Wünsche Jetzt w ollen wir darüber spr echen, was alles für Sie am Beruf der Altenpflegerin wichtig ist.
5.3
Was finden Sie daran gut?
5.4
Was finden Sie daran vielleicht auch nicht so gut?
5.5
Welche Arbeiten gefallen Ihnen weniger? Was finden Sie daran nicht so gut?
3.1
Was ist für Sie am Beruf der Alt enpflegerin wichtig?
5.6
3.2
Was interessiert Sie daran?
5.7
Was finden Sie daran vielleicht doch auch gut?
3.3
Was finden Sie an der Pflege alt er Menschen gut?
5.8
Welche Arbeiten fallen Ihnen leicht?
3.4
Was finden Sie an der Pflege alt er Menschen nicht so gut?
5.9
Wie kommt das?
Zusammenfassung
5.11 Woran liegt das?
4 Lernen (Hinweise auf Intelligenz und Arbeitsstil) Bei der Umschulung müssen Sie nach länger wieder die Schulbank drücken und lernen.
5.10 Welche Arbeiten fallen Ihnen schwer?
er P ause
5.12 Wie ist das bei I hnen, wenn Sie et was tun müssen, was Ihnen nicht liegt? Zusammenfassung 5.13 Wie bewältigen Sie umfangreiche Arbeiten? 5.14 Gehen Sie nach einem Plan vor? 5.15 Wenn ja: Wie machen Sie den Plan?
4.1
Wie stellen Sie sich vor, dass das sein wird?
4.2
Wenn Sie einmal an I hre Schulzeit und Ausbildung zurückdenken, was hat Ihnen daran gefallen?
4.3
Was hat Ihnen daran weniger gefallen?
5.18 Wenn nein: Wie gehen Sie vor?
4.4
Welche Fächer lagen Ihnen?
Zusammenfassung
4.5
Was gefiel Ihnen daran?
5.19 Wo tauchen Probleme bei Ihrer Arbeit auf?
4.6
Was gefiel Ihnen daran weniger?
5.20 Wie lösen Sie diese?
4.7
Welche Fächer lagen Ihnen weniger?
4.8
Was gefiel Ihnen daran weniger?
5.21 Wie ist das für Sie , wenn Sie unt er Zeitdruck arbeiten müssen?
4.9
Was gefiel Ihnen daran vielleicht doch?
Zusammenfassung 4.10 Was gefiel Ihnen an Ihrer Ausbildung? 4.11 Was gefiel Ihnen daran weniger? 4.12 Haben Sie sich auf Klassenarbeiten vorbereitet? 4.13 Wie war das bei Prüfungen? 4.14 Wie haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht? 4.15 Was fiel Ihnen dabei leicht? 4.16 Was fiel Ihnen weniger leicht? 4.17 Wieviel Zeit haben Sie dafür aufgewendet?
5.16 Wie sieht der Plan aus? 5.17 Inwieweit halten Sie sich an den Plan?
5.22 Wie verhalten Sie sich dann? Zusammenfassung 5.23 Bei welchen Gelegenheiten arbeiten Sie mit ande ren zusammen? 5.24 Was finden Sie daran gut? 5.25 Was finden Sie daran weniger gut? 5.26 Wann arbeiten Sie allein? 5.27 Was finden Sie daran gut? 5.28 Was finden Sie daran weniger gut? Zusammenfassung
Zusammenfassung
5.29 Wann können Sie sich gut auf eine Arbeit konz entrieren?
▼
▼
102
Kapitel 13 · Teil II des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Beispielfragestellung
5.30 Wann können Sie sich w eniger gut auf eine Arbeit konzentrieren? 5.31 Wie lange arbeiten Sie konzentriert an einem Stück? 5.32 Wann machen Sie Pausen? 5.33 Wie lange machen Sie Pausen? 5.34 Was machen Sie in den Pausen? 5.35 Wann sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden?
6.19 Was meint die Familie ihres Mannes dazu? 6.20 Was meinen Ihre Bekannten/ Freunde dazu? Zusammenfassung 6.21 Nachdem wir nun eine Reihe v on nicht einfachen Situationen bespr ochen haben: Wie schätz en Sie sich selbst ein: Wie belastbar sind Sie in solchen Situationen insgesamt? 6.22 Wie werden Sie da von anderen eingeschätzt?
5.36 Wann sind Sie mit Ihrer Arbeit weniger zufrieden? Zusammenfassung
6 Emotionale Belastbarkeit und Umgang mit emotionalen Belastungen 6.1
13
Wie ist das für Sie , wenn Sie unt er Zeitdruck arbeiten müssen?
7 K örperliche Belastbarkeit Die Tätigkeit einer Alt enpflegerin ist körperlich anstr engend. 7.1
Wie sieht es mit Ihrer Gesundheit aus?
7.2
Welche Krankheiten hatten Sie bisher?
7.3
Sind da von Beeinträchtigungen zurückgeblieben? Wenn ja: welche?
7.4
Hatten Sie schon mal einen Unfall? Wenn ja: Sind davon Beeinträchtigungen zurückgeblieben? Wenn ja: welche?
7.5
Haben Sie Probleme mit Herz oder Kreislauf? Wenn ja: welche?
6.2
Wie gehen Sie dann vor?
6.3
Wie verhält sich dann Ihr Mann?
6.4
Wie ist das für Sie, wenn eines Ihrer Kinder krank ist?
6.5
Was tun Sie, um damit fertig zu werden?
6.6
Wie verhält sich dann Ihr Mann?
6.7
Haben Sie persönliche Er fahrungen mit k ranken Menschen, die Ihnen fremd sind?
7.6
Haben Sie Schwierigkeiten mit der A tmung? Wenn ja: welche?
6.8
Wenn ja: Welche? Wie sehen die aus? Wie ist das für Sie?
7.7
Haben Sie S chwierigkeiten mit den F üßen? Wenn ja: welche?
6.9
Wenn nein: Wie stellen Sie sich den täglichen Umgang mit Kranken und Pflegebedürftigen vor?
7.8
Haben Sie S chwierigkeiten mit den Beinen? Wenn ja: welche?
7.9
Haben Sie Schwierigkeiten mit den Händen? Wenn ja: welche?
6.10 Haben Sie Erfahrungen mit Sterbenden? 6.11 Wenn ja: Welche? Wie sehen die aus? Wie war das für Sie? 6.12 Wenn nein: Wie wir d das nach I hrer Vorstellung für Sie sein, w enn Sie mit St erbenden zu tun haben?
7.10 Haben Sie S chwierigkeiten mit den Armen? Wenn ja: welche? 7.11 Haben Sie Schwierigkeiten mit dem Rücken? Wenn ja: welche?
6.13 Haben Sie Er fahrungen mit (geistig/ körperlich) behinderten alten Menschen?
7.12 Sind Sie gegen et was aller gisch? Wenn ja: w ogegen?
6.14 Wenn ja: Welche? Wie sahen die aus?
7.13 Haben Sie sonst irgendwelche körperlichen Besonderheiten, die wir bei I hrem neuen Beruf beachten müssen? Wenn ja: welche?
6.15 Wenn nein: Wie stellen Sie sich den täglichen Umgang mit (geistig/ körperlich) behinder ten alt en Menschen vor? 6.16 Neben diesen Belastungen im Beruf w erden Sie auch Haushalt und K inder zumindest mitzuv ersorgen haben. Wie wollen Sie diese Belastung bewältigen?
7.14 Rauchen Sie? Wenn ja: bei welchen Gelegenheiten? Wieviel? 7.15 Trinken Sie Alkohol? Wenn ja: bei welchen Gelegenheiten? Wieviel? 7.16 Welche Medikamente nehmen Sie?
6.17 Was meint Ihr Mann dazu?
7.17 Was tun Sie für sich?
6.18 Was meint Ihre Familie dazu?
Zusammenfassung
▼
▼
103
13.2 · Auswahl der teil- und nicht standardisierten Verfahren
13
8 Umgang mit anderen (soziale Bedingungen)
8.25 Wie sieht bei I hnen zzt. ein Wochenende aus, z. B. das letzte?
Als Altenpflegerin haben Sie viel mit ander en Menschen zu tun. Das k ann schön, manchmal aber auch sch wierig sein.
8.26 Wie stellen Sie sich den Verlauf eines Arbeitstages vor, wenn Sie die Umschulung machen? 8.27 Wie stellen Sie sich ein Wochenende vor, wenn Sie die Umschulung machen?
8.1
Wie kommen Sie denn im Allgemeinen mit ande ren aus?
8.2
Mit w elcher Ar t v on M enschen gehen Sie gerne um?
8.3
Was gefällt Ihnen daran?
8.29 Wie stellen Sie sich ein Wochenende vor, wenn Sie als Altenpflegerin arbeiten?
8.4
Wie gehen Sie auf solche M enschen zu?
Zusammenfassung
8.5
Mit welcher Ar t von Menschen haben Sie nicht so gerne zu tun?
8.6
Was ist Ihnen daran unangenehm?
8.7
Wie gehen Sie mit solchen M enschen um?
8.28 Wie stellen Sie sich einen Arbeitstag v or, wenn Sie als Altenpflegerin arbeiten?
13.2
Auswahl der teil- und nichtstandardisierten Verfahren
Zusammenfassung 8.8
Was finden Sie schön am Umgang mit ander en?
8.9
Was stört Sie am Umgang mit anderen?
8.10 Was ist Ihnen wichtig im Umgang mit anderen? 8.11 Was ist I hnen nicht so wichtig im Umgang mit anderen? Zusammenfassung 8.12 Welche Menschen sind für Sie in Ihrem Leben wichtig? 8.13 Was wird sich für diese durch Ihre Umschulung und Berufstätigkeit ändern? 8.14 Was finden Sie daran gut? 8.15 Was finden Sie daran nicht so gut? 8.16 Was finden diese daran gut? 8.17 Was finden diese daran nicht so gut? 8.18 Haben Sie Er fahrung im Umgang mit alt en M enschen? 8.19 Wenn ja: welche? 8.20 Wenn nein: Woher wissen Sie , dass Sie mit alt en Menschen umgehen können? 8.21 Haben Sie Erfahrung im Umgang mit pflegebedürftigen alten Menschen? Wenn ja: welche? 8.22 Wie zeigt es sich, dass Sie mit alt en Menschen umgehen können? Zusammenfassung 8.23 Wir haben jetzt viele Einz elheiten bespr ochen. Schauen wir sie uns einmal im Z usammenhang an. 8.24 Bitte schildern Sie einmal einen Arbeitstag , wie er zzt. bei Ihnen üblich ist, z. B. den Tag gestern.
▼
Für die Fragestellung ausgewählte teil- und nichtstandardisierte Verfahren ▬ Entscheidungsorientier tes Gespräch, ▬ V erhaltensbeobachtung, ▬ S chulzeugnisse, ▬ Arbeitsz eugnis. Entscheidungsorientiertes G espräch. Das en tscheidungsorientierte Gespräch – ein teilstandardisiertes Verfahren – ist bei fast allen psychologischdiagnostischen F ragestellungen die Quelle f ür die meisten Informationen. S o ist es a uch bei unserer Fragestellung. Dies er Aufgabe ka nn ein G espräch allerdings nur dann gerecht werden, wenn es nach den ob en da rgestellten P rinzipien g eplant, d urchgeführt und ausgewertet wird. Verhaltensbeobachtung. Weiter oben haben wir dargestellt, dass es zur S icherung gül tiger T estinformationen no twendig ist, das V erhalten der Probanden kurz vor, während und nach einem Test zu b eobachten. Dies gil t nic ht n ur f ür Tests und Fragebögen, s ondern f ür alle T eile einer psy chologischen U ntersuchung. M anche en tscheidende Information drücken Probanden z. B. im Gespräch durch Gestik und Mimik aus. Während der gesamten U ntersuchung b eobachten wir daher immer das Verhalten unserer Partner, registrieren es und verwenden dies e I nformationen einer nic ht st an-
104
Kapitel 13 · Teil II des Untersuchungsplans zur eignungsdiagnostischen Beispielfragestellung
dardisierten B eobachtung mit der g ebotenen Vorsicht b ei der B eantwortung der P sychologischen Fragen im Befund. Schulzeugnisse als Quelle für diagnostische Informationen w erden vielfac h a bgelehnt, da sie als wenig aussagekräftig gelten. Wenn man jedoch mit dem Probanden darüber spricht, wie – a us s einer Sicht – die B eurteilungen im Z eugnis zust andegekommen sind , ka nn die G ültigkeit der N oten angemessen eingeschätzt werden. Schulzeugnisse. Nach Möglichkeit bitten wir um mehrere Zeugnisse aus einem relevanten Ausschnitt der S chulzeit. In der Reg el werden das die letzt en drei oder vier Z eugnisse sein. Wir besprechen mit den P robanden, wie es zu g leichbleibenden o der sich verändernden Noten gekommen ist. Arbeitszeugnisse. Arbeitszeugnisse k önnen f ür die psy chologische Diagnostik wic htige I nformationen enthalten. Voraussetzung ist hier allerdings, dass der Diagnostik er w eiß, wie Arb eitszeugnisse zu s chreiben und zu v erstehen sind . V iele Ar beitszeugnisse g eben jedo ch k eine diagnostis ch verwertbaren I nformationen. H ier b emühen wir uns um die notwendigen Erläuterungen durch den Probanden und g gf. s ein Ein verständnis f ür eine Rückfrage beim Aussteller eines Zeugnisses.
13
13.3
Darstellung der teil- und nichtstandardisierten Verfahren im Gutachten
Bei der B eschreibung des r ealisierten U ntersuchungsplanes im Gutachten stellen wir die teil- und nichtstandardisierten Verfahren dar: ▬ En tscheidungsorientiertes Gespräch, ▬ V erhaltensbeobachtung, ▬ S chulzeugnisse, ▬ Arb eitszeugnis. Im F olgenden b eschreiben wir das en tscheidungsorientierte G espräch, die nic htstandardisierte Verhaltensbeobachtung, die S chulzeugnisse und das Arbeitszeugnis so, wie dies im Gutachten erscheint. Mit der P robandin wur de ein en tscheidungsorientiertes Gespräch geführt, das die I nformatio-
nen aus den folgenden Bereichen liefern sollte, die bei der anstehenden Entscheidung von Bedeutung sind: ▬ En tscheidungsverhalten, ▬ Motivation zum Beruf, ▬ Motivation zur Umschulung, ▬ L ernen, ▬ emotionale B elastbarkeit und U mgang mi t emotionalen Belastungen, ▬ k örperliche Belastbarkeit, ▬ s oziale Bedingungen. Während der g esamten U ntersuchung und aller Gespräche wur de das V erhalten der P robandin beobachtet, um ihr Erleb en der U ntersuchungssituation b ei der B eurteilung der Er gebnisse a ngemessen berücksichtigen zu können. Ferner können hierbei I nformationen üb er f olgende Teilbereiche gesammelt werden: ▬ allg emeine Intelligenz, ▬ K ontaktfähigkeit, ▬ S prachverständnis, ▬ S prachverhalten, ▬ emo tionale Belastbarkeit. Frau H.s S chulzeugnisse a us den b eiden letzt en Hauptschuljahren s owie alle Z eugnisse der g ewerblichen S chule a us der Z eit ihr er A usbildung wurden, zusammen mit ihren Kommentaren dazu, herangezogen zur Beurteilung: ▬ ihrer allgemeinen Intelligenz, ▬ ihrer Kenntnisse im Schreiben und Rechnen, ▬ ihr er Interessen. Das Arbeitszeugnis von Frau H. über die Zeit ihrer Ausbildung diente, zusammen mit ihren Kommentaren dazu, zur Beurteilung: ▬ ihr es Arbeitsstils, ▬ ihr er Kontaktfähigkeit, ▬ ihrer Zusammenarbeit mit anderen, ▬ ihr es Durchsetzungsvermögens, ▬ ihr es Sprachverhaltens, ▬ ihrer emotionalen Belastbarkeit und ihres Umgangs mit emotionalen Belastungen.
14
Personwahrnehmung und diagnostisches Urteil 14.1
Personwahrnehmung im Alltag und diagnostisches Ur teil
14.2
Bedeutung sozialpsychologischer Forschungen zur Personwahrnehmung – 107
14.3
Individuelle Unterschiede beim diagnostischen Urteilen
– 106
– 108
106
Kapitel 14 · Personwahrnehmung und diagnostisches Urteil
14.1
Personwahrnehmung im Alltag und diagnostisches Urteil
Definition
I
I
Entscheidungsorientiertes psychologisches Diagnostizieren unterscheidet sich von der Wahrnehmung anderer im Alltag durch ▬ die Ziele, ▬ die spezielle Planung und Vorbereitung, ▬ die wissenschaftlichen Methoden der Informationsgewinnung, ▬ die schrittweise, wissenschaftlich begründete Auswertung der Informationen, ▬ die nachvollziehbare Art der Kombination von Informationen zu wohlbegründeten Entscheidungen.
14
Im All tag nehmen N ichtpsychologen wie P sychologen st ändig a ndere M enschen wahr und b ilden sich aufgrund ihrer Eindrücke Urteile, die dann ihr Verhalten mi tbestimmen (K anning 1999). Dies e Urteilsbildung f unktioniert im All tag meist r echt zufriedenstellend. I n s chwierigen S ituationen jedoch ist dies er s og. g esunde M enschenverstand überfordert. M eist ha ndelt es sic h da nn um En tscheidungen, von denen viel für das weitere Leben eines einzelnen oder mehrerer Menschen abhängt. Unsicherheit k ommt a uf, w enn ma n a ndere nur aufgrund von alltäglichen Eindrücken beraten soll, z. B. b ei der W ahl einer g eeigneten S chulform, Ausbildung, Umschulung, bei Störungen des Verhaltens und Erleb ens, in den v erschiedenen Bereichen der Rechtsprechung oder des Justizvollzuges. Jeder weiß aus dem All tag, wie leic ht bloße Eindrucksurteile falsch oder verzerrt sein können. Hier ka nn die en tscheidungsorientierte psy chologische Diagnostik helf en, die F ehler zu v ermeiden und die Verzerrungen zu verringern, die im Alltag leicht zu Fehlurteilen über andere führen. Die alltägliche Wahrnehmung und Beurteilung anderer geht im Unterschied zur entscheidungsorientierten psychologischen Diagnostik nicht von einer sorgfältig formulierten Fragestellung aus. Wer jedoch ein psy chologisches G utachten in A uftrag gibt, bemüht sich – im Zweifelsfall nach Rücksprache mi t dem P sychologen – s chon die F ragestellung so zu f ormulieren, dass s eine Ziele dabei an-
gemessen berücksichtigt werden. Das heißt, s chon der erste Schritt wird viel besser überlegt, als es im Alltag allgemein der Fall sein kann. Die Psychologie stellt umfangreiches Wissen für die Planung und Vorbereitung diagnostischer Untersuchungen zur V erfügung. Dies es Wissen st eht im All tag nic ht jederzei t zur V erfügung. D aher werden Eindr ücke im All tag in aller Reg el unsystematisch g ewonnen und die da rauf g egründeten Urteile üb er a ndere mehr o der w eniger v erzerrt. Weiter ob en ha ben wir a usführlich b eschrieben, wie wir in der en tscheidungsorientierten Pla nung des diagnostischen Handelns vorgehen, um I nformationen systematisch zu sammeln. Im Unterschied zum Alltag stehen den Psychologen eine Reihe s ehr wirks amer M ethoden zur Verfügung, mi t denen sie wic htige diagnostis che Informationen gewinnen können. Nicht nur Tests und F ragebögen k önnen hier ein gesetzt w erden, sondern v or allem die en tscheidungsorientierte Gesprächsführung und die syst ematische B eobachtung des Verhaltens. Große Schwierigkeiten macht es im All tag, die bei einer En tscheidung wic htigen I nformationen von den un wichtigen zu tr ennen. M anches wir d im Alltag als wic htige Information angesehen, das aber nac hweislich in einem b estimmten Z usammenhang un bedeutend o der ga r ir reführend ist. Hier kann das in der Psychologie vorhandene Wissen dazu genutzt werden, um aus den vielen Informationen diejenigen herauszufiltern, die b ei einer Fragestellung zu b eachten sind . Dies er Fil tervorgang kann im Unterschied zum Alltag schrittweise geschehen, w eil das no twendige W issen und die dafür erforderliche Zeit zur Verfügung stehen. Eindrücke von anderen werden im Alltag meist recht s chnell und o hne Ref lexion des da bei v erwendeten V orgehens g ebildet, z. B. a ufgrund des »ersten Eindr ucks«, den ein a nderer M ensch a uf einen selbst macht. Diese Fehlerquelle wird in der entscheidungsorientierten psy chologischen Diagnostik dad urch a usgeschaltet, dass die I nformationen zu einer psy chologischen Frage systematisch zusammengetragen w erden. Dies e I nformationen werden f erner nac h einer En tscheidungsregel kombiniert, die der F ragestellung nachweisbar angemessen ist. H ierbei ka nn der psy chologische Diagnostiker a uf ein b reites W issen a us der psy-
14.2 · Bedeutung sozialpsychologischer Forschungen zur Person-wahrnehmung
chologischen En tscheidungsforschung zugr eifen. Dort w erden nä mlich u . a. En tscheidungsregeln beschrieben und ihre Merkmale untersucht. 14.2
Bedeutung sozialpsychologischer Forschungen zur Personwahrnehmung
Personwahrnehmung als Gegenstand sozialpsychologischer Forschung 1. Ziele: Beschreibung und Erklärung der Prozesse bei der Wahrnehmung und Beurteilung anderer Menschen. 2. Vorgehen: Vergleich von objektiv gültigen Urteilen über andere mit subjektiven Beschreibungen derselben Personen. 3. Ergebnisse: Beschreibung und Erklärung von Nichtübereinstimmungen zwischen objektiv gültigen und subjektiven Urteilen über andere. 4. Bedeutung für die psychologische Diagnostik: Das Wissen über Urteilsfehler und -tendenzen ermöglicht es, Vorgehensweisen zu entwickeln, die es gestatten, Urteilsfehler zu vermeiden und Urteilsverzerrungen zu verringern.
Sozialpsychologische F orschungen zur P ersonwahrnehmung w ollen die P rozesse b eschreiben und erklären, die bei der Wahrnehmung und Beurteilung anderer Menschen ablaufen. Aufgrund dieser W ahrnehmungen und B eurteilungen w erden im Alltag oft weitreichende Aussagen über andere gemacht. Die F orschungen zur P ersonwahrnehmung g eben H inweise, w elche U rteilsfehler und -tendenzen b ei der B eurteilung a nderer wirk en können. Einen Üb erblick üb er die F orschungsergebnisse zur P ersonwahrnehmung g eben z. B. Preiser (1979) und Kanning (1999). Bei der Er forschung der P ersonwahrnehmung geht ma n hä ufig v on ob jektiv gül tigen U rteilen oder Aussagen über Menschen aus und v ergleicht diese A ussagen mi t s olchen, die V ersuchsteilnehmer unter bestimmten experimentellen Bedingungen abgeben. Meist werden dabei nicht die P erso-
107
14
nen selbst vorgestellt, sondern nur Beschreibungen ihres V erhaltens und Erleb ens. D arin ka nn ma n einerseits eine S chwäche dies er F orschungen s ehen, w eil im All tag die meist en U rteile üb er a ndere nach persönlichen B eobachtungen und nic ht nach B eschreibungen durch Dritte gefällt werden. Andererseits haben diese Forschungen für alle diejenigen B ereiche b esondere B edeutung, in denen Urteile üb er a ndere ga nz o der t eilweise a ufgrund von schriftlich oder mündlich übermittelten Informationen gefällt werden. Vielfältige s ozialpsychologische F orschungen zur P ersonwahrnehmung lief ern B eschreibungen der Urteilsfehler und -tendenzen, die sich aus dem Vergleich objektiv gültiger und sub jektiver Urteile ergeben. Weiterhin konnte man durch theoretisch fundierte Experimente erklären, unter welchen Bedingungen man mit welchen Fehlern und Verzerrungen zu rechnen hat. Schriftlich und m ündlich üb ermittelte, d . h. indirekte I nformationen, üb er a ndere lieg en im Alltag häufig als er ste v or und b estimmen s o unsere Er wartungen an die b eschriebenen Personen. Bei wichtigen Entscheidungen über Personen spielen s olche indir ekten I nformationen meist eine zentrale Ro lle. Dies ist b ei allen En tscheidungen in der S chule, der A us- und W eiterbildung, b ei juristischen En tscheidungen, En tscheidungen im Personalbereich und meist b ei Problemen mit gestörtem Verhalten und Erleben der Fall. Eines der wic htigsten Anlieg en der psy chologischen Diagnostik b esteht da rin, zu treffende und mög lichst w enig v erzerrte I nformationen zu gewinnen und dies e in einer ob jektiven und a ngemessenen Weise zu diagnostis chen Aussagen zu kombinieren. Dazu reicht es aber nicht aus, die Urteilsfehler und -t endenzen zu k ennen. Es m üssen Vorgehensweisen beschrieben und erprobt werden, die helfen können, diese Fehler zu v ermeiden und Verzerrungen s o g ering wie mög lich w erden zu lassen. Weiter unten werden wir die U rteilsfehler und -tendenzen b eschreiben, die nac h un seren Er fahrungen in der psy chologischen Diagnostik v on Bedeutung sind. Ferner werden wir darstellen, wie sich nac h un seren Er fahrungen U rteilsfehler v ermeiden und V erzerrungen diagnostis cher U rteile minimieren lass en. Z uvor w ollen wir jedo ch da r-
108
Kapitel 14 · Personwahrnehmung und diagnostisches Urteil
auf ein gehen, ob es eine allg emeine Fähigkeit zur richtigen Einschätzung anderer Personen gibt oder ob bestimmte Menschen wenigstens in bestimmten Bereichen zu b esonders zu treffenden B eurteilungen in der Lage sind. 14.3
Individuelle Unterschiede beim diagnostischen Urteilen
Merke
I
I
Individuelle Unterschiede beim diagnostischen Urteilen ▬ beruhen nicht auf einer allgemeinen Fähigkeit zur richtigen Einschätzung anderer Menschen. ▬ hängen nur bei spezifischen Inhalten, Methoden und Objekten mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. ▬ entstehen durch Wissens- und Trainingsunterschiede.
14
Aufgrund all täglicher B eobachtungen g ewinnen viele v on sic h s elbst o der a nderen den Eindr uck, Menschen besonders gut und zu treffend einschätzen zu können. Daraus wird häufig abgeleitet, dass es »g eborene« Diagnostik er o der eine allg emeine Fähigkeit zur richtigen Einschätzung anderer Menschen gib t. Dies e S chlussfolgerung wir d jedo ch von den v orliegenden em pirischen U ntersuchungen nicht unterstützt. Es k ommt v or, dass b estimmte Menschen a ndere in um schriebenen V erhaltensbereichen immer wieder b eurteilen und zug leich Rückmeldung darüber bekommen, ob ihre Urteile objektiv zutrafen o der nic ht. I n s olchen S ituationen ka nn sic h ein si tuationsbezogenes Exp ertentum in der Einschätzung a nderer en twickeln. H inweise da rauf, dass s olche M enschen a uch in a nderen K lassen von S ituationen ein eher zu treffendes Urteil üb er andere äußern, gibt es jedoch nicht. Wenn es s chon keine allgemeine Fähigkeit zur richtigen B eurteilung a nderer M enschen gib t, s o könnte man doch vermuten, dass die A usprägung bestimmter P ersönlichkeitsmerkmale f ür r ichtige Personbeurteilungen wic htig s ein k önnen. A ber auch hier gib t es k eine r egelhaften Z usammen-
hänge. V ielmehr ist f estzuhalten, dass b isher n ur Zusammenhänge zwis chen P ersönlichkeitsmerkmalen und sp ezifischen I nhalten, M ethoden und Objekten (z. B. I ndividuen o der G ruppen) nac hgewiesen w erden k onnten. Ein zus ammenfassender B ericht üb er die ein schlägigen t heoretischen Überlegungen und die em pirische Forschung zum hier a ngesprochenen Themen bereich f indet sic h im Sammelreferat von Lüer u. Kluck (1983). Was sich in all täglichen Situationen der B eurteilung a nderer M enschen s chon erk ennen ließ, wird für die syst ematische Beurteilung durch psychologische Diagnostiker bestätigt. Für die zu treffende B eurteilung a nderer M enschen un ter einer bestimmten K lasse v on F ragestellungen ist er forderlich: 1. All tagswissen, 2. theoretisches, met hodisches und inhal tliches Grundlagenwissen, 3. theoretische Kenntnisse in psychologischer Diagnostik, 4. Training des B eurteilungsverhaltens mit Rückmeldung über individuelle Stärken und Schwächen. Zusätzlich ka nn k ontrollierte B erufserfahrung in einem b estimmten B ereich der psy chologischen Diagnostik eine effiziente Bearbeitung einer Fragestellung aus diesem Bereich unterstützen.
15
Fehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung 15.1
Zur Darstellung der Fehler und Verzerrungen im Prozess
– 110
15.2
Fehler und Verzerrungen bei Psychologischen Fragen
15.3
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Planung diagnostischer Untersuchungen – 113
15.4
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Darstellung der Untersuchungsergebnisse – 114
15.5
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund
– 110
– 114
15.5.1 Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund, die allgemein zu beobachten sind
– 114
15.5.2 Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund, die durch die Persönlichkeit des Diagnostikers bedingt sind
– 116
110
Kapitel 15 · Fehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung
15.1
Zur Darstellung der Fehler und Verzerrungen im Prozess
Merke
I
I
Fehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung 1. werden beschrieben in – sozialpsychologischen Arbeiten zur Personwahrnehmung, – der psychologischen Entscheidungsforschung, – Arbeiten zur diagnostischen Urteilsbildung, 2. können in der Praxis schwerwiegende negative Folgen haben, 3. werden hier für die Phasen der diag nostischen Urteilsbildung dargestellt, in denen sie die wichtigsten Folgen haben.
15
Wir w erden in dies em K apitel die U rteilsverzerrungen und -fehler beschreiben, die im Prozess der diagnostischen U rteilsbildung wic htig s ein k önnen. B eschreibungen s olcher U rteilsverzerrungen finden sich in den s ozialpsychologischen Arbeiten zur Personwahrnehmung und der psychologischen Entscheidungsforschung. W ir st ellen da von hier nur die U rteilsfehler und -v erzerrungen da r, die nach unseren Beobachtungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung von Bedeutung sind. Viele Urteilsfehler und -v erzerrungen k önnen sehr f rüh im diagnostis chen U rteilsprozess und auch danach immer wieder auftreten. Andere Fehler und V erzerrungen des U rteils k önnen n ur in bestimmten Phas en des diag nostischen P rozesses eine Ro lle sp ielen. Die F olgen s olcher F ehler und Verzerrungen im P rozess der diagnostis chen U rteilsbildung k önnen ä ußerst s chwerwiegend s ein. Gutachter k önnen zu v öllig una ngemessenen Schlussfolgerungen kommen und s o die En tscheidungsträger zu En tscheidungen v erleiten, die f ür die B etroffenen la ngandauernde nega tive F olgen haben können. Im F olgenden s childern wir die p raktisch b edeutsamen Fehler und Verzerrungen jeweils für die Phasen im A blauf des diagnostis chen U rteilsprozesses, in denen sie nac h unseren B eobachtungen die gravierendsten Folgen haben können.
15.2
Fehler und Verzerrungen bei Psychologischen Fragen
Merke
I
I
Bei der Übersetzung der Fragestellung in Psychologische Fragen können Fehler und Verzerrungen auftreten durch: ▬ so ziale Stereotype, ▬ implizit e Persönlichkeitstheorien, ▬ unangemessene Urteilsheuristiken, ▬ mangelnde kognitive Komplexität, ▬ Prozesse des sozialen Hypothesentestens.
Unter einem sozialen Stereotyp versteht man ein Bündel typ ischer Eig enschaften v on M itgliedern einer sozialen Einheit wie z. B. einer Gruppe, einer Schicht, einem Volk, das b ei dies en er wartet wird. Dies e erwarteten Eig enschaften k önnen b ei einem M itglied einer s olchen s ozialen Einhei t mehr o der w eniger gegeben s ein. Dies e st ereotypen Vorstellungen v on anderen dienen im All tag dazu, dass sic h Menschen schnell, sicher und i.d.R. angemessen verhalten können. In un gewöhnlichen S ituationen k önnen sie jedoch zu schwerwiegenden Irrtümern führen. Ein Beispiel mag dies v erdeutlichen: Die Trennung oder Scheidung von Eltern ist für ihre Kinder immer eine problematische Situation. Dieses Problem kann mehr oder weniger erfolgreich gelöst und von den K indern bewältigt werden. Häufig haben Kinder in F olge einer s olchen Trennungssituation auch in a nderen B ereichen ihr es L ebens S chwierigkeiten, z. B. in der Schule. Wird ein solches Kind wegen der S chulschwierigkeiten b ei P sychologen vorgestellt, so wird als Erk lärung oft direkt mitgeliefert, dass die Eltern sich gerade scheiden lassen. Würden P sychologen in s olchen S ituationen ihren B lick n ur a uf die fa miliären B edingungen richten, un ter denen ein K ind leb t, s o k önnten ihnen die u . U . wirk lich wic htigen B edingungen für die S chulschwierigkeiten entgehen. S chwierigkeiten in der Schule können jedoch unterschiedlich bedingt s ein, z. B. d urch Üb er- o der U nterforderung des K indes, falsche Erwartungen des K indes, seine Ziele und Wünsche, die dem Er folg in einer bestimmten Schule entgegenstehen, soziale Diskriminierung. Alle diese Bedingungen können neben den emotionalen Schwierigkeiten wegen der Tren-
15.2 · Fehler und Verzerrungen bei Psychologischen Fragen
nung der E ltern b estehen und k önnen auch o hne diese K omplikation w eiter b estehen b leiben. Die emotionale Auseinandersetzung mit der Trennung der Eltern ist eben nur eine unter vielen möglichen Bedingungen für Schulschwierigkeiten. Die Hilfen bei Konzentrationsproblemen in den Klassen 5 b is 10 v on Westhoff et al . (1990) g eben dem Lehrer in dieser oben beschriebenen Weise die Möglichkeit, die en tscheidenden B edingungen f ür das uner wünschte Verhalten zus ammen mi t dem Schüler zu b eschreiben und g emeinsam syst ematisch nach Lösungen zu suc hen. Ist dieser Versuch nicht er folgreich und m uss der P sychologe ein geschaltet werden, so kann dieser auf die von Westhoff (1991, 1992a,b, 1993) b eschriebene entscheidungsorientierte diagnostis che U ntersuchungsstrategie bei K onzentrationsproblemen zur ückgreifen. Eine Zusammenfassung dieser Strategien findet sich bei Westhoff u. Hagemeister (2005). Jeder Mensch hat s eine eigenen Vorstellungen über den Z usammenhang zwischen den M erkmalen des V erhaltens und Erleb ens v on M enschen, dies ist s eine im plizite P ersönlichkeitstheorie. Diese implizite Persönlichkeitstheorie er weist sich im Alltag als mehr oder weniger hilfreich, wenn es um das V erständnis a nderer g eht. I n b estimmten Äußerungen wird ein B ruchteil einer s olchen impliziten Persönlichkeitstheorie deutlich: »Wer lügt, der stiehlt.« »Wer intelligent ist, der ist a uch kreativ.« »Extravertierte sind nicht empfindlich.« Richten sic h P sychologen in der Diagnostik nach ihrer – unzu treffenden – im pliziten Persönlichkeitstheorie, s o üb ersehen sie wic htige B edingungen, die zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage indi viduellen V erhaltens v on B edeutung sind. S ie üb ertragen da nn eine F ragestellung n ur unvollständig in P sychologische F ragen. Fehlende Psychologische Fragen führen zu einer unvollständigen Informationsgewinnung und u . U. zu v öllig unzutreffenden Aussagen im Befund des psychologischen G utachtens. Voreingenommenheiten dieser Ar t, wie a uch stereotype Annahmen üb er Zusammenhänge v on Merkmalen und B edingungen menschlichen Verhaltens, können die S elbstbestätigungsneigung einseitiger Hypothesen verstärken; dies wird weiter unten ausführlicher dargestellt. In der psy chologischen En tscheidungsforschung wurden eine Reihe von Entscheidungsheu-
111
15
ristiken beschrieben und untersucht (Kahneman u. Tversky 2000). Unter einer Entscheidungsheuristik versteht ma n eine Reg el, nac h der sic h P ersonen bei Entscheidungen richten. Dabei wurde das A ugenmerk zunächst darauf gerichtet, dass solche Regeln b ei s chriftlich da rgebotenen En tscheidungen in nicht vertrauten Kontexten zu unangemessenen Aussagen führen können. Die s og. Rep räsentativitätsheuristik b esagt für die diagnostis che Arb eit im W esentlichen das Gleiche wie das s oziale Stereotyp: Ein b estimmtes Merkmal wir d f ür das V erhalten v on b estimmten Mitgliedern einer sozialen Einheit als repräsentativer oder typischer oder wahrscheinlicher gehalten. Origineller ist die Verfügbarkeitsheuristik. Danach ka nn es v orkommen, dass U rteiler ein b estimmtes V erhalten f ür wahr scheinlicher hal ten, weil sie es sic h leic hter v orstellen k önnen. B eim Diagnostizieren besteht die Gefahr, dass ma n vertrautere I nformationen, das sind eb en s olche, die man b esser v erfügbar ha t, f ür wic htiger und f ür wahrscheinlicher hält. Verzerrungen entsprechend der Verfügbarkeitsheuristik können aufgrund von Alltagserfahrungen, B erufserfahrungen und V orlieben für bestimmte Theorien und Ansätze in der Psychologie zust ande k ommen. Dies alles ka nn wiederum dazu f ühren, dass b ei der Pla nung der systematischen Diagnostik nicht alle erforderlichen Psychologischen F ragen f ormuliert und a ufgrund gültiger und mög lichst v ollständiger diagnostischer Informationen beantwortet werden. Bei den U rteilsheuristiken wir d a uch die V erwendung un gerechtfertigter K ausalannahmen b eschrieben: Bei der Bearbeitung diagnostischer Fragestellungen ha ndelt es sic h um einen S pezialfall einer impliziten Persönlichkeitstheorie. In der P sychologie st ehen sic h zw ei v erschiedene A uffassungen v on »k ognitiver K omplexität« oder »k ognitiver S trukturiertheit« g egenüber: (1) Sie wir d als P ersönlichkeitsmerkmal o der (2) als bereichsspezifisches M erkmal indi vidueller I nformationsverarbeitung g esehen. Die zw eite A uffassung b etont, dass I ndividuen nic ht g enerell mehr oder w eniger »k ognitiv k omplex« sind , s ondern dass es v on dem je weiligen B ereich a bhängt, ob sie I nformationen in mehr o der w eniger k ognitiv komplexer Art und Weise verarbeiten können. Hinsichtlich der W ahrnehmung und B eurteilung
112
15
Kapitel 15 · Fehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung
von Menschen lässt sic h eindeutig festhalten, dass die v orliegenden em pirischen I nformationen f ür die zweite Auffassung sprechen. Am Konstrukt kognitive Komplexität unterscheidet man drei Aspekte: (1) die Diskriminationsfähigkeit, (2) die Dif ferenziertheit und (3) die I ntegriertheit. Die Diskr iminationsfähigkeit ist um s o höher, je f einer ein B eurteiler a uf einer B eurteilungsdimension unterscheiden kann. Bei der Formulierung Psychologischer Fragen und im weiteren Verlauf des Prozesses der diagnostis chen Urteilsbildung besteht ein P roblem da rin, einen der F ragestellung a ngemessenen Grad der Diskriminierung zu finden. Ein Gutachten wir d nic ht um so b esser, je mehr U nterscheidungen bei einem einzelnen Merkmal gemacht werden. Als B eispiel s ei hier da rauf hin gewiesen, dass Tests f einere U nterscheidungen in den W ertpunkten machen, als im G utachten b egründet und verwendet werden können. Weiter oben sind wir bereits mehrfach auf die v ertretbaren Klassifikationen bei der Einzelfalldiagnostik eingegangen. Differenziertheit meint die F ähigkeit eines B eurteilers, zwischen verschiedenen Merkmalen und Bedingungen mehr o der w eniger gu t un terscheiden zu k önnen. Die meist en S chwierigkeiten mi t sog. Widersprüchen in B erichten über individuelles Verhalten b eruhen da rauf, dass U rteiler nic ht hinreichend differenzieren. Es ist oft von entscheidender B edeutung, dass die S ituationen wirk lich sorgfältig v erglichen w erden, in denen a ngeblich widersprüchliches V erhalten g ezeigt wir d. D abei stellt sich i.d.R. heraus, dass unterschiedliches Verhalten auf Unterschiede in den Situationen zurückzuführen ist. S olche ma ngelnde Dif ferenziertheit im U rteil ist nac h un seren B eobachtungen meist auf unzureichendes Wissen zurückzuführen. Unzureichende Differenzierung kann im gesamten P rozess der diagnostis chen U rteilsbildung zu beobachten sein. Je früher sie jedo ch eintritt, umso zahlreicher und s chwerwiegender sind die F olgen. Werden wichtige Aspekte an Personen oder Situationen bei der Üb ersetzung der Fragestellung in Psychologische Fragen üb ersehen, s o wirkt sich dies er Mangel, wenn er nicht zwischenzeitlich erkannt und behoben wird, bis in den Befund hinein aus. Mit zunehmender I ntegriertheit sind M enschen b esser in der L age, B eziehungen zwis chen Merkmalen v on B eobachtungsobjekten zu erk en-
nen und auszudrücken. Dieser Aspekt der kognitiven Komplexität, die Integriertheit, ist schon in der Planungsphase des diagnostischen Prozesses wichtig. Denn bei der Auswahl der relevanten Variablen muss üb er ihr e B eziehung zueina nder und v or allem ihr e B edeutung f ür das zu erk lärende b zw. vorherzusagende V erhalten nac hgedacht w erden. Hierbei ist ein f undiertes psy chologisches Wissen die unabdingbare Voraussetzung. Bei der I ntegration v on diagnostis chen I nformationen im B efund k önnen eine Reihe v on Bedingungen dazu f ühren, dass Diagnostik er wichtige I nformationen a usklammern o der nic ht angemessen b erücksichtigen; da rauf w erden wir weiter un ten no ch ein gehen. G egen dies e F ehler und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung wirken eine Erweiterung des Wissens und ein systematisches individuelles Training im Diagnostizieren. Auch die von uns bisher vorgeschlagenen Vorgehensweisen dienen dazu , s olche F ehler und Verzerrungen zu vermeiden bzw. zu verringern. Die gu tachterliche B eurteilung v on diagnostischen D aten, als o die Er stellung des B efundes eines Gutachtens, kann geradezu als Prototyp einer Situation des »Testens sozialer Hypothesen« angesehen w erden, da der G utachter hier Annahmen über mög liche Z ustände o der B eziehungen des Probanden macht. Der Prozess dieses Testens läuft grundsätzlich genau s o ab wie das ob en b eschriebene wissenschaftliche Hypothesentesten (Trope u. Liberman 1996). Umfangreiche F orschung ha t inzwis chen g ezeigt, dass es b ei dies em H ypothesentesten nic ht nur zu unsystematischen Fehlern kommt, sondern dass hierb ei un ter b estimmten B edingungen eine Reihe von Mechanismen wirken, die syst ematisch die B estätigung einer H ypothese begünstigen und ihre Ablehnung unwahrscheinlich machen. Solche Selbstbestätigungsmechanismen ha ben S chulzHardt u . Köhnken (2000) g efunden in k ognitiven Prozessen, einer k onfirmatorischen T eststrategie und in mo tivationalen P rozessen. Als b eteiligte kognitive Prozesse führen sie an: ▬ eine Üb erschätzung der A -priori-Wahrscheinlichkeit der Hypothese, ▬ eine s elektive S peicherung und/ o der ein s elektiver A bruf v on s olchen D aten, w elche die Hypothese stützen,
15.3 · Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Planung
▬ uneindeutige Daten werden hypothesenkonsistent interpretiert, ▬ stärkere Reaktion auf das Auftreten als auf das Ausbleiben b estimmter D aten (»a ffirmation bias«). Eine k onfirmatorische T eststrategie igno riert Alternativhypothesen, die mög liche F ehlerhaftigkeit von Informationen und die Basisrate. Unter mo tivationalen A spekten wirk t es sic h selbstbestätigend a uf eine H ypothese a us, w enn für ihr e Z urückweisung eine hö here S chwelle a ngesetzt wir d als f ür ihr e B estätigung; V oreingenommenheiten wie z. B. die ob en b eschriebenen, verstärken da bei eine s chon b estehende S elbstbestätigungsneigung der Hypothese. Mit wachsender Überzeugtheit von der Ric htigkeit einer in dies er W eise k onfirmatorisch getesteten H ypothese st eigt wieder um der A usprägungsgrad der b eschriebenen S elbstbestätigungsmechanismen, s odass es immer un wahrscheinlicher wir d, dass die H ypothese a n en tgegenstehenden D aten s cheitert: S o en tsteht ein sich s elbst a ufrecht erhal tender K reislauf zwischen h ypothesenkonformer I nformationssuche, ebensolcher D atenerhebung und en tsprechender Beurteilung. Die hier b eschriebenen P rozesse la ufen i .d.R. nicht bewusst ab; auch Gutachter sind davor nicht sicher. Um so wichtiger ist es, S trategien zu entwickeln, um die da raus en tstehenden B eurteilungsfehler möglichst gering zu halten. Solche Möglichkeiten werden im Kapitel 16 beschrieben.
15.3
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Planung diagnostischer Untersuchungen
Merke
I
I
Fehler und Verzerrungen im Untersuchungsplan können sein: Die Absicht, möglichst viele Informationen zu gewinnen ▬ ohne Berücksichtigung ihrer Gültigkeit, ▬ ohne Berücksichtigung des Kosten-NutzenVerhältnisses.
113
15
Mit der Erhö hung der Anzahl der I nformationen steigt, v or allem b ei Anfängern, die sub jektive S icherheit, mit der diagnostis che Aussagen gemacht werden. D abei nimm t mi t der S icherheit nic ht unbedingt die Ric htigkeit des U rteils zu . Dies ist nur nac h la ngjähriger k ontrollierter P raxis zu er warten, und a uch da nn in n ur in s ehr mä ßigem Umfang. Häufig wird bei der Planung des diagnostischen Vorgehens nicht genügend berücksichtigt, dass nur mit syst ematisch g ewonnenen I nformationen, die bei einer v orliegenden F ragestellung gül tig sind , auch a ngemessene Antworten auf die P sychologischen Fragen zu er warten sind. Es wird irrtümlich angenommen, dass dies um so b esser g elingt, je mehr I nformationen ma n üb er einen P robanden hat. Wenige gültige Informationen sind jedoch eine größere Hilfe als viele I nformationen, die f ür eine bestimmte Fragestellung irrelevant sind. Bei jeder I nformationsquelle, die ma n b eim weiteren diagnostischen Vorgehen berücksichtigen will, stellt sich auch in der Einzelfalldiagnostik die Frage nac h der N ützlichkeit dies er Quelle . N ur bei einem v ertretbaren K osten-Nutzen-Verhältnis berücksichtigen wir eine w eitere I nformationsquelle. Dies gil t nic ht nur f ür Tests und F ragebogen, s ondern f ür jede a ndere I nformationsquelle wie V erhaltensbeobachtung und G espräch s owie für die Ein beziehung w eiterer Personen, die A uskunft üb er den P robanden g eben k önnen. Neben diesen psychologischen Überlegungen sind na türlich immer a uch die en tsprechenden r echtlichen Rahmenbedingungen psy chologischen H andelns zu beachten. Es ist da bei s eltener zu en tscheiden, ob ma n eine b estimmte Informationsquelle üb erhaupt b erücksichtigt, s ondern viel hä ufiger, in w elchem Umfang. S o ist die V erwendung mehr erer T ests zur Er fassung des g leichen M erkmals unö konomisch im V ergleich zu der V erwendung des b ei dieser F ragestellung b esten Verfahrens. Weiter ist es in G esprächen wichtig, dass sie nic ht möglichst lange dauern und somit möglichst viel Information ergeben, s ondern dass sie in v ertretbarer Z eit die entscheidenden Informationen erbringen. Generell vergleichen wir das Ergebnis bei jeder möglichen I nformationsquelle mi t den I nformationen, die a ufgrund eines b ereits v erwirklichten
114
Kapitel 15 · Fehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung
Untersuchungsplans no ch zus ätzlich zu er warten sind. D abei st ellt sic h hera us, ob neb en w eiteren Kosten v on b estimmbarer G röße a uch mi t w eiterem Nutzen gerechnet werden kann. Nur wenn der Nutzen die K osten üb ersteigt, ist die zus ätzliche bzw. w eitergehende B erücksichtigung einer I nformationsquelle angezeigt. Diese K osten-Nutzen-Überlegungen d ürfen jedoch nic ht dazu f ühren, dass n ur nac h s olchen Informationen g esucht wir d, die a ufgrund einer einseitig formulierten Hypothese zu erwarten sind. Vielmehr müssen die Bedingungen der Diagnostik so s ein, dass a uch er wartungskonträre D aten auftreten k önnen. B ei der spä teren G ewichtung aller Ergebnisse im Befund ist darauf zu achten, dass die Aussagekraft hypothesenkonformer Informationen nicht überschätzt wird (s. o.). 15.4
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung bei der Darstellung der Untersuchungsergebnisse
Merke
I
I
Urteile bei Diagnostikern können verfälscht werden durch Verteilungsfehler wie: ▬ »Milde-« und »Strenge«-Fehler, ▬ Neigung zu »mittleren« oder »extremen« Formulierungen, ▬ »Konser vatismus«, ▬ S chwellenphänomene.
15
Besonders b ei der A uswertung q uantitativer Verfahren wie Tests und F ragebogen sind in der L iteratur einige mögliche Fehler in der diagnostis chen Urteilsbildung beschrieben. Preiser (1979) hat diese Fehler zus ammenfassend als »V erteilungsfehler« bezeichnet, weil sie sich auf die Verbalisierung von relativen Positionen in Verteilungen beziehen. Aus der S chule k ennt jeder L ehrer, die eher »milde«, oder andere, die eher »streng« beurteilen. Gemeint ist da mit, dass b ei g leicher ob jektiver Leistung diese als zu gut oder zu schlecht beurteilt wird. Dies e Tendenzen gib t es a ber nic ht n ur b ei der Verbalisierung v on Er gebnissen in T ests und Fragebogen, sondern auch bei der Darstellung von Verhaltensbeobachtungen und Gesprächsergebnis-
sen. G erade b ei den nic ht- o der t eilstandardisierten Verfahren können sich Milde- bzw. Strengefehler b esonders leic ht ein schleichen und s chwer zu erkennen sein. Sowohl eine N eigung zu »mi ttleren« als a uch eine zu »extr emen« F ormulierungen b ei der B eschreibung indi viduellen Verhaltens ka nn zu v erzerrten und fals chen U rteilen üb er a ndere M enschen f ühren. B ei der D arstellung der Er gebnisse von psy chologischen U ntersuchungen k önnen beide Neigungen schwerwiegende negative Folgen haben, weil sie Diagnostiker und Gutachtenleser zu unangemessenen Urteilen über Probanden führen. Unter »Konservatismus« versteht man die Neigung, extr eme Werte nic ht s o extr em einzus chätzen und zu v erbalisieren, wie sie ob jektiv sind . Andererseits werden bei Diagnostikern auch Tendenzen zu »mi ttleren« U rteilen b eobachtet; dies e können sich nicht nur auf die Beurteilung von Extremwerten, sondern auch auf die Beurteilung aller Ausprägungen eines Merkmals auswirken. Aus der W ahrnehmungspsychologie ist b ekannt, dass die Reizintensität bestimmte Schwellen überschreiten muss, damit ein Individuum feststellen kann, dass ein Reiz v orhanden ist o der er sic h geändert ha t. Ein en tsprechendes S chwellenphänomen gilt für die Wahrnehmung von Merkmalen individuellen V erhaltens. G eringe M erkmalsausprägungen o der g eringe M erkmalsänderungen können, obwohl sie diagnostis ch b edeutsam sind , übersehen werden. 15.5
Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund
15.5.1 Fehler und Verzerrungen der
Urteilsbildung im Befund, die allgemein zu beobachten sind
Merke
I
I
Allgemein im Befund zu beobachtende Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung können sein: 1. die bisher beschriebenen Fehler und Verzerrungen oder deren Auswirkungen, ▼
15.5 · Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund
2. zusätzlich: – Hof effekt, – Reihenf olgeeffekte, – unpassendes Adaptionsniveau, – Tendenz zu einem konsistenten Bild, – A ttribuierungen.
Alle bisher b eschriebenen Fehler o der Verzerrungen der U rteilsbildung k önnen en tweder im B efund eines G utachtens wieder zu b eobachten sein, oder diese früheren Fehler und Verzerrungen wirken sich durch ihre Folgen indirekt auf den Befund aus. Als Beispiel möge hier genügen, dass notwendige Psychologische Fragen im Befund nicht beantwortet werden können, wenn der Diagnostik er sie aufgrund s einer im pliziten P ersönlichkeitstheorie gar nicht erst formuliert hatte. Sehr b ekannt sind U ntersuchungsergebnisse, die nachweisen, dass ein bestimmtes Eigenschaftswort, z. B. in telligent, in K ombination mi t einer Reihe a nderer Eig enschaftswörter b ei den L esern ein anderes Bild der beschriebenen Person entstehen lässt, als w enn dies elben Eig enschaftswörter mit »unintelligent« kombiniert werden. Durch bestimmte Eigenschaftswörter können also verzerrte Eindrücke her vorgerufen w erden »H of«-Effekt. Um solche Verzerrungen zu v ermeiden, beschreiben wir das k onkrete V erhalten v on P ersonen in b estimmten S ituationen, die wir zu K lassen zusammenfassen. D amit ka nn ma n Eig enschaftswörter und die mi t ihr er V erwendung im G utachten v erbundenen S chwierigkeiten w eitgehend vermeiden. Aus vielen U ntersuchungen ist b ekannt, dass Menschen I nformationen b esser b ehalten, die a n einer her vorgehobenen S telle da rgeboten w erden. Solche markanten Stellen sind z. B. der Anfang und das Ende einer Reihe v on I nformationen (»p rimacy-« b zw. »recency-effect«). Um s olche Ef fekte möglichst gering zu halten, gliedern wir Gutachten auf eine möglichst übersichtliche und gut nachvollziehbare Weise. Dabei stellen die P sychologischen Fragen eine s ehr hilf reiche G robgliederung da r. Weiter hilft es den Lesern der Gutachten, wenn sie die Informationen und Gedanken zu jeder Psychologischen F rage S chritt f ür S chritt nac hvollziehen
115
15
können, sie also jeweils den Weg zu einer Entscheidung lückenlos aufgewiesen sehen. In Analogie zur Wahrnehmung kann man auch bei der Verarbeitung verbal dargebotener Informationen v on einem b estimmten A daptationsniveau ausgehen. Dies kann der Fragestellung angemessen oder zu em pfindlich o der zu w enig em pfindlich »eingestellt« s ein. I m er sten F all w erden r elativ kleine Unterschiede als bemerkenswert angesehen, die in Wirklichkeit keine diagnostische Bedeutung haben. Im zweiten Fall werden Informationen über relativ große Unterschiede v ernachlässigt, obwohl sie von diagnostischer Bedeutung sind. Relativ o ft ist in G utachten zu b eobachten, dass eine N eigung b esteht, ein mög lichst k onsistentes B ild v om V erhalten eines P robanden zu en twerfen, ob wohl im U ntersuchungsbericht widersprüchliche I nformationen zu f inden sind . Man ka nn da rin einen S pezialfall der »T endenz zur gu ten G estalt« s ehen. D as ist die N eigung, Fehlendes a n einem B ild zu er gänzen o der S törendes zu üb ersehen. Diese Tendenz zum k onsistenten B ild ka nn sic h b esonders b ei G utachtern bemerkbar mac hen, die ein »P ersönlichkeitsbild« des P robanden er stellen w ollen. D och a uch b ei dem v on un s v orgeschlagenen en tscheidungsorientierten Vorgehen ka nn sic h dies e Tendenz v or allem da nn a uswirken, w enn nic ht un sere w eiter unten da rgestellten P rinzipien zur M inimierung von F ehlern und V erzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung beachtet werden. Aus der S ozialpsychologie ist w ohlbekannt, dass M enschen dazu neig en, a nderen ga nz b estimmte Verhaltensweisen zuzus chreiben, d. h. zu attribuieren, die sie nicht mit konkreten Informationen, sondern nur mit nicht näher beschreibbaren Eindrücken o der V ermutungen b elegen k önnen. Solche A ttribuierungen k önnen a uch in psy chologischen G utachten v orkommen und sind da nn schwere Fehler. Jede Aussage in einem G utachten muss hinreichend durch konkrete gültige Beobachtungen b elegt o der logis ch r ichtig a bgeleitet s ein, wenn alle L eser die Entscheidungen im Gutachten Schritt für Schritt nachvollziehen können sollen. Begründete Aussagen, die empirisch noch nicht geprüft sind , k önnen in G utachten als G rundlage für neue P sychologische F ragen dienen und eine möglicherweise no twendige F ortführung des di-
116
Kapitel 15 · Fehler und Verzerrungen im Prozess der diagnostischen Urteilsbildung
agnostischen P rozesses a nregen. D azu ist es no twendig, dass sie entsprechend formuliert sind und nicht mi t g esicherten A ussagen v erwechselt w erden können. 15.5.2 F ehler und Verzerrungen
der Urteilsbildung im Befund, die durch die Persönlichkeit des Diagnostikers bedingt sind
Merke
I
I
Durch die Persönlichkeit des Diagnostikers bedingte Fehler und Verzerrungen in der Urteilsbildung können sein: 1. S ensitivierung bzw. Wahrnehmungsabwehr, 2. I nteraktionsfehler: – v ermutete Ähnlichkeit, – Kontrastf ehler, – Über tragungsfehler, – Verfolgen unangemessener eigener Ziele und Wertvorstellungen.
15
Situationen, die ein I ndividuum als b edrohlich erlebt, kann es sehr unterschiedlich wahrnehmen. Es gibt ein K ontinuum an mög lichen Verhaltensweisen von einer b esonders intensiven B eschäftigung mit etwas B edrohlichem, der S ensitivierung, üb er eine a ngemessene Wahrnehmung und A useinandersetzung b is dahin, sic h mög lichst w enig mi t einer bedrohlichen Situation auseinanderzusetzen, der Wahrnehmungsabwehr. Für Diagnostiker können nach der Übernahme einer F ragestellung S ituationen en tstehen, die sie als b edrohlich erleb en. Entsprechend ihrer b evorzugten Verhaltensweise gegenüber solchen Situationen können dann aus sensitivem wie a us abwehrendem Verhalten Verzerrungen und Fehler in der Diagnostik folgen. Im Befund kann dann eine b esonders in tensive A useinandersetzung mi t r elativ harmlosen Situationen ebenso zu unangemessenen Schlussfolgerungen f ühren wie die A bwehr der Erkenntnis, dass eine Situation wirklich besondere Gefahren enthält. Bestimmte U rteilstendenzen sind in p ersönlichen Er fahrungen der Diagnostik er im U mgang mit a nderen M enschen b edingt. P reiser (1979)
nennt sie deshalb I nteraktionsfehler. S o k önnen Diagnostiker im L aufe des diagnostis chen P rozesses den Eindr uck b ekommen, dass ihnen b estimmte P robanden s ehr ähnlic h sind . Dies ka nn dazu f ühren, dass nic ht mehr die er forderlichen Informationen erhob en o der b erücksichtigt w erden. V ielmehr wir d a us der wahr genommenen Ähnlichkeit zwis chen sic h und den P robanden fälschlich geschlossen, dass bei den Probanden sich die en tscheidenden M erkmale und B edingungen genauso darstellen wie im eigenen Leben. Unter dem K ontrastfehler v ersteht ma n die Neigung, bei anderen mehr oder weniger unzutreffend das G egenteil der eig enen Verhaltensweisen wahrzunehmen. Diese Tendenz kann bei Diagnostikern während und nac h den diagnostis chen Untersuchungen wirk en. I m B efund ka nn der K ontrastfehler dann zu schwerwiegenden Verzerrungen in den Aussagen führen. Mit dem Üb ertragungsfehler ist die T endenz gemeint, b ei a nderen fäls chlich Verhaltensweisen wahrzunehmen, w eil dies e P ersonen ähnlic h er lebt w erden wie f rühere I nteraktionspartner. S olche Interaktionspartner können die eigenen Eltern gewesen s ein – dies wir d z. B. im K onzept der Übertragung von Freud angenommen –, es können aber auch alle anderen Menschen sein, die der Diagnostiker als beeindruckend erlebt hat. Über die v erschiedenen Z iele diagnostis chen Arbeitens wir d in der psy chologischen F achliteratur s eit la ngem disk utiert. J eder Diagnostik er verfolgt b ei s einer Arb eit a uch p ersönliche Z iele. Wenn seine persönlichen Ziele und die vorgegebenen Ziele des Diagnostizierens übereinstimmen, so kann dies den diagnostischen Prozess fördern. Verfolgen Diagnostiker ihre persönlichen Ziele entgegen den d urch die F ragestellung vorgegebenen, so können daraus schwerwiegende Fehler resultieren. Beachten Diagnostik er nic ht die b erechtigten Interessen aller a m diagnostis chen P rozess B eteiligten, s o ha ben sie die wic htigsten Z iele a us den Augen v erloren, denn das wiss enschaftlich f undierte Diagnostizier en f olgt a us dem B estreben, alle wic htigen G esichtspunkte in einer En tscheidungssituation zu beachten. Diagnostiker k önnen mehr o der w eniger a bsichtlich ihre Wertvorstellungen zum Maßstab des Verhaltens ihrer Probanden machen. Dies kann der
15.5 · Fehler und Verzerrungen der Urteilsbildung im Befund
Fall sein, wenn ihnen empirisch gesichertes Wissen über die B edeutung b estimmter M erkmale und Verhaltensbedingungen f ehlt o der w enn sie ihr er persönlichen Weltsicht zum Durchbruch verhelfen wollen. Beide Situationen sind mit wissenschaftlich fundiertem Diagnostizieren unvereinbar. Ein großes Problem besteht darin, die eig enen Ziele und Wertvorstellungen zu erk ennen und r elativieren zu k önnen. Hier kann es helf en, sich als Diagnostiker s orgfältig s elbst zu b eobachten und sich immer zu fragen, welche Situation oder welche Verhaltensweisen ma n a ngenehm, sym pathisch und »v ernünftig« b zw. una ngenehm, un sympathisch und »unvernünftig« findet. Wenn uns etwas positiv oder negativ erscheint, dann fragen wir uns, was un s da ran g efällt b zw. st ört. Auf dies e Weise versuchen wir b ei jedem F all zu erk ennen, welche unserer persönlichen Ziele und Wertvorstellungen angesprochen sind. Auch k ollegiale S upervision ka nn hierb ei helfen, eigene »blinde Flecken« oder bevorzugte »Fallen« zu erk ennen. S ystematisches fallsp ezifisches Gutachtertraining ka nn da rüber hina us dazu b efähigen, da raus die K onsequenzen f ür das eig ene Diagnostizieren zu ziehen. Vergleicht man die Wertvorstellungen von Menschen, die unter verschiedenen sozialen Bedingungen leb en, s o f indet man s ehr s chnell heraus, wie persönlich bzw. schichtspezifisch diese sind. Daher sehen wir un s v erpflichtet, mög lichst nur wiss enschaftliche Forschungsergebnisse als M aßstab von Beurteilungen zu verwenden, um Probanden möglichst una bhängig v on ihr er S chichtzugehörigkeit gerecht werden zu können.
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15
16
Möglichkeiten zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung 16.1 Er weiterung des Wissens 16.2 A usgangsbedingungen 16.3
– 121
Verknüpfen von Aussagen
16.4 Entscheidungsk riterien 16.5
– 120
– 122
– 122
Beeigenschaften von Menschen?
– 123
16.5.1 Vier Arten der Verhaltensbeschreibung – 123 16.5.2 Merkmale von Persönlichkeitseigenschaften
16.6
– 123
Entwickeln dokumentierter Untersuchungspläne – 124
120
Kapitel 16 · Möglichkeiten zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung
16.1
Erweiterung des Wissens
Merke
I
I
Fehler und Verzerrungen können minimiert werden durch: ▬ Erwerb relevanten Wissens in den psychologischen Grundlagenfächern, ▬ Erwerb relevanten Wissens in psychologischer Diagnostik, ▬ Erwerb des spezifischen Wissens im Bereich der gutachterlichen Tätigkeit, ▬ fallspezifisches individuelles Gutachtertraining.
16
Diagnostische U rteilsbildung ist im U nterschied zur s ozialen W ahrnehmung ein st euerbarer P rozess. D as heißt, alle S chritte im diagnostis chen Prozess können durchschaubar und nac hvollziehbar g emacht w erden. W enn ein G utachten alle seine Aufgaben erfüllen soll, so müssen alle Aussagen begründet und Schritt für Schritt nachvollziehbar gestaltet sein. Eine zen trale V oraussetzung da für, dass ein Gutachten auf dem Stand der Wissenschaft erstellt werden ka nn, s ehen wir da rin, dass G utachter in den psychologischen Grundlagenfächern auf dem neuesten Stand sind. Diese erforderlichen Grundkenntnisse können auch nicht durch lange Berufserfahrung ausgeglichen werden. In der psychologischen Diagnostik haben viele Variablen k eine einhei tliche D efintion mi t einer Facettierung der da runter zu v erstehenden V erhaltensweisen. W esthoff et al . (2007) ha ben f ür »Gewissenhaftigkeit«, »emo tionale B elastbarkeit« und » Umgang mit emotionalen Belastungen« den aktuellen Forschungsstand in je weils einem üb ersichtlichen K ategoriensystem a ufbereitet. Dies e Kategoriensysteme k önnen das Diagnostizier en wesentlich erleichtern und verbessern, da umfangreiche Recherchen entfallen und man diese Variablen und ihre Facetten im gesamten diagnostischen Prozess einfacher und k orrekter verwenden kann. Solche K ategoriensysteme wä ren f ür jede psy chologische Variable zu en twickeln, um Diagnostik er von der mittlerweile sehr aufwändigen Suche nach den s ehr w eit v erstreuten G rundlageninformationen zu entbinden.
Es wird von Fachgutachtern zu Recht erwartet, dass sie die neuesten Entwicklungen in der psychologischen Diagnostik nic ht n ur k ennen, s ondern auch in ihr er B edeutung f ür das p raktische Diagnostizieren a bschätzen k önnen. G utachter st ehen darüber hinaus in der Pflicht, neue Entwicklungen nicht n ur t heoretisch nac hzuvollziehen, s ondern sie auch praktisch umsetzen zu können. Von nic ht zu un terschätzender B edeutung ist das spezifische Wissen von Gutachtern in dem Bereich, auf den sie sich gutachterlich spezialisiert haben. Hier kann man von Fachgutachtern ebenfalls erwarten, dass sie die relevanten Informationen aus den jeweiligen Nachbarwissenschaften kennen und berücksichtigen. Dies sind f ür F ragestellungen in der f orensischen P sychologie z. B. die Rec htswissenschaften und die f orensische Psychiatrie, in der Arbeits-, B etriebs- und Or ganisationspsychologie u.a. die B etriebswirtschaftslehre, in der S chulpsychologie beispielsweise die Pädagogik, in der klinischen Psychologie unabdingbar die Psychiatrie. In der Literatur gibt es eine Reihe v on Hinweisen darauf, dass er st eine k ontrollierte Ausbildung von G utachtern der en indi viduelle F ehler- und Urteilstendenzen minimieren kann. B ei einer s olchen Ausbildung hat es sich bewährt, dass mehrere Psychologen zu Üb ungszwecken dies elbe Gutachtenfragestellung a nhand b ereits erhob ener I nformationen bearbeiten. Sie k önnen a n einer s olchen Üb ungsfragestellung die gesamte Planung und wesentliche Schritte der D atenerhebung üb en. Die A usbildungsleiter können im Ro llenspiel die P robanden und die weiteren e vtl. zu b efragenden P ersonen sp ielen. Auswertung und D arstellung der Er gebnisse können diskutiert werden; ein Vergleich der v erschiedenen Gutachten zeigt s ehr leicht, wo die S tärken und Schwächen in den Befundteilen der Gutachten liegen. Wir w ollen im F olgenden a uf Reg eln zur M inimierung v on F ehlern und V erzerrungen in der diagnostischen U rteilsbildung ein gehen, die sic h in der A usbildung v on psy chologischen G utachtern b ewährt ha ben. F ehler, die a uf ma ngelndem Wissen b eruhen, lass en sich durch die B eachtung dieser Regeln naturgemäß nicht vermeiden. Alle im F olgenden dargestellten Regeln haben wir w eiter ob en s chon a n den S tellen v orgestellt,
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16.2 · Ausgangsbedingungen
wo dies inhal tlich no twendig wa r. I m F olgenden wollen wir sie hier der Üb ersichtlichkeit w egen zusammenfassend darstellen. 16.2 Ausgangsbedingungen
Merke
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Zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung müssen folgende Ausgangsbedingungen beachtet werden: 1. Zu allen bei einer Fragestellung relevanten Variablen werden Psychologische Fragen (Hypothesen) formuliert. 2. Zu jeder Positiv-Annahme versucht der Gutachter, zumindest gedanklich und soweit dies möglich ist, auch die entsprechende Gegenhypothese zu formulieren 3. Konk rete Verhaltensweisen, Gewohnheiten oder Persönlichkeitsmerkmale werden beschrieben, erklärt oder vorhergesagt. 4. Alle Aussagen, die sich auf individuelles Verhalten beziehen, werden mit systematisch gewonnenen Beobachtungen belegt. 5. Es wurde auch nach solchen Informationen gesucht, die den Positiv-Annahmen widersprechen.
Grundlage jeden wiss enschaftlichen Arb eitens ist ein hypothesengeleitetes Vorgehen, dies gil t demnach auch für eine wissenschaftliche Begutachtung. Für G utachter und L eser v on G utachten mac hen die H ypothesen deu tlich, w elche G esichtspunkte der F ragestellung einer eig enen B etrachtung b edürfen. Wie diagnostische Hypothesen (= Psychologische Fragen) formuliert werden können, damit sie den L esern das V erständnis erleichtern, haben wir weiter oben dargestellt. Damit H ypothesen nic ht n ur k onfirmatorisch getestet w erden, m uss f ür jedes Er gebnis da nach gefragt w erden, wie es zu erk lären wä re, w enn die v orher f ormulierte H ypothese nic ht zu treffen würde. B ei einer dera rt kr itischen G rundhaltung treten die in K apitel 15 b eschriebenen S elbstbestätigungsmechanismen in w esentlich g eringerem Maße auf.
16
Selbstbestätigungstendenzen können weiterhin durch die bewusste Abwägung von erwartungkonformen und h ypothesenkonträren I nformationen verringert w erden: H ypothesenkonforme D aten werden o hne einen s olchen exp liziten G ewichtungsprozess in ihrer Aussagekraft eher überschätzt (Oswald 1993). In psy chologischen G utachten g eht es immer darum, Verhalten zu beschreiben, zu erklären oder vorherzusagen. D abei ist zu un terscheiden, ob es sich um konkrete Verhaltensweisen in bestimmten Situationen oder um G ewohnheiten oder um P ersönlichkeitsmerkmale handelt. Konkrete Verhaltensweisen in b estimmten S ituationen stellen dabei die kleinste Einheit dar, mit der wir un s b eschäftigen. Von einer G ewohnheit oder gewohnheitsmäßigem Verhalten sprechen wir dann, w enn ein M ensch k onkrete Verhaltensweisen in einer b estimmten K lasse v on S ituationen immer wieder zeigt bzw. gezeigt hat. Aus der Fragestellung geht hervor, ob vorrangig konkretes Verhalten in einer S ituation oder in erster Linie gewohnheitsmäßiges Verhalten in Klassen von Situationen zu untersuchen ist. Von einem Persönlichkeitsmerkmal sprechen wir dann, wenn mehrere Gewohnheiten immer wieder in ähnlic her A usprägung zus ammen v orkommen und es sich dabei um Verhalten handelt, hinsichtlich dessen sich jeder M ensch einstufen lässt. B ekannte Beispiele f ür P ersönlichkeitsmerkmale sind I ntelligenz oder emotionale Belastbarkeit. Ein weiteres unverzichtbares Kennzeichen wissenschaftlichen Arb eitens ist das syst ematische Vorgehen. Dies bedeutet: 1. Wissenschaftler planen sorgfältig, d.h. auf dem neuesten Stand ihrer Wissenschaft, wie sie notwendige I nformationen erheb en w ollen und bereiten alles dafür Notwendige vor. 2. Während sie die Informationen möglichst ohne Fehler und V erzerrungen erheb en, hal ten sie sich a n dies en Pla n o der r egistrieren, wa nn und aus welchen Gründen sie davon abweichen mussten. 3. Sie werten die Informationen entsprechend ihrem Plan aus und betrachten über den Plan hinausgehend erhobene Informationen als mögliche G rundlage f ür neue H ypothesen, die sie systematisch prüfen werden.
122
Kapitel 16 · Möglichkeiten zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung
16.3
Verknüpfen von Aussagen
Merke
I
I
Zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung helfen folgende Regeln zur Verknüpfung von Aussagen: 1. Aussagen werden nach den Regeln der Logik zueinander in Beziehung gesetzt. 2. Ableitungen von Aussagen aus anderen Aussagen werden schrittweise und vollständig dargestellt. 3. Bei Abstraktionen werden alle dazugehörigen Überlegungen ins Gutachten geschrieben.
16
Damit L eser ein G utachten v erwenden k önnen, müssen sie alle Wörter in der Weise verstehen, wie sie v om Gutachter g emeint sind . D azu ist es hilfreich, wenn Gutachter statt Fremdwörter deutsche Wörter verwenden und evtl. notwendige Fachwörter kurz und verständlich erklären. Die Sätze eines G utachtens können wahr o der falsch sein. Sie können zu weiterführenden Aussagen miteinander verknüpft werden. Dabei müssen die Reg eln der f ormalen L ogik b eachtet w erden. Das bedeutet, dass, abgesehen vom Inhalt, ein Gutachter z. B. nicht über eine P erson etwas a ussagen und gleichzeitig das G egenteil behaupten kann. Er muss als o A ussagen in s einem G utachten f ormal korrekt miteinander verknüpfen. Formallogische F ehler t auchen in G utachten i.d.R. als eine F olge ma ngelnder sp rachlicher G enauigkeit auf. Es s oll daher hier k eine Einführung in die formale Logik gegeben werden, dazu gibt es eine Reihe von Lehrtexten. Vielmehr wollen wir es hier mit dem Hinweis auf die Regeln der formalen Logik und einem mi t ihr er B eachtung v erbundenen korrekten Sprachgebrauch genügen lassen. Werden Aussagen in einem Gutachten gemacht, die v on a nderen A ussagen a bgeleitet w erden, s o zeichnet sic h wiss enschaftliches Ar gumentieren dadurch aus, dass alle da bei notwendigen G edanken s chrittweise und in v erständlicher F orm niedergeschrieben sind. Ist es doch ein Merkmal jedes geäußerten wiss enschaftlichen G edankenganges, dass er von anderen nachvollzogen werden kann. Gleiches gilt für Abstraktionen. Wird in einem psychologischen G utachten a bstrahiert, s o heißt
das, dass der G utachter die G emeinsamkeiten b estimmter V erhaltensweisen o der S ituationen b eschreibt und dabei deutlich macht, dass die Unterschiede zwischen diesen Verhaltensweisen oder Situationen bei der vorliegenden Fragestellung nicht von Bedeutung sind. 16.4
Entscheidungskriterien
Merke
I
I
Zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung helfen folgende Kriterien für Entscheidungen: 1. Bei Aussagen über Zusammenhänge zwischen Variablen werden Art und Stärke des Zusammenhangs berücksichtigt. 2. Es werden nur solche Aussagen gemacht, die in einem begründeten Zusammenhang mit der Fragestellung stehen. 3. Der Prozess der Entscheidung über diagnostische Hypothesen wird bei einem vorher festgelegten Kosten-Nutzen-Verhältnis abgebrochen.
Eine nic ht üb erschaubare F ülle v on Variablen b eeinflusst das indi viduelle Verhalten. Wollen wir in einem psychologischen Gutachten Verhalten erklären oder vorhersagen, so müssen wir die V ariablen auswählen, die eine mög lichst gute Erklärung oder Vorhersage er möglichen. U m s olche P rädiktoren auswählen zu k önnen, berücksichtigen wir die empirisch gewonnenen Informationen über die Art und die Stärke des Zusammenhangs zwischen Variablen individuellen Verhaltens und diesen Prädiktoren. Bei der Er stellung eines psy chologischen Gutachtens erhält der Gutachter oft für ihn persönlich oder f ür andere »interessante« Informationen, die aber nic hts mi t der F ragestellung zu t un ha ben. Solche I nformationen v erwenden wir in G utachten nicht, da sie nic ht systematisch, d. h. p lanvoll, gewonnen wur den und in k einem b egründeten Zusammenhang mit der Fragestellung stehen. Es ist immer n ützlich, sic h b ei der Pla nung von diagnostis chen M aßnahmen da rüber k lar zu werden, was sie k osten und was sie n ützen. Jeder erfahrene Diagnostik er s etzt sic h b ei einer F rage-
stellung eine G renze f ür s eine B emühungen. W ir empfehlen hier, dies e Grenzziehung ganz b ewusst und absichtlich schon bei der Planung vorzusehen. Anderenfalls kann es g eschehen, dass der G utachter bestimmte Informationsquellen entgegen ihrer tatsächlichen B edeutung zu w enig b eachtet, v or allem s olche, die einer (v on ihm ein seitig f ormulierten) Hypothese widersprechen. 16.5
Beeigenschaften von Menschen?
16.5.1 Vier Arten der
Verhaltensbeschreibung
Definition
I
I
Die vier Arten der Verhaltensbeschreibung sind: 1. v erbaler Modus, 2. adv erbialer Modus, 3. adjektivischer Modus, 4. substantivischer Modus.
Mit G raumann (1960, S. 90f f.) un terscheiden wir vier Arten der Verhaltensbeschreibung. Im verbalen Modus wird nur beschrieben, was jema nd tut, nicht aber, wie er es tut, z. B. »Martin klopft an«. Im adverbialen Modus hingegen wird zusätzlich angegeben, wie jema nd etwas t ut, z. B. »M artin k lopft leise (laut, kurz) an«. In Gutachten verwenden wir den rein verbalen Modus sehr selten, sondern meist den ad verbialen Modus. D er r ein v erbale M odus nimm t nä mlich relativ viel R aum b ei der V erhaltensbeschreibung ein. D er ad verbiale M odus v erlangt a ndererseits vom Gutachter, dass er die Ar t und W eise, in der etwas g eschieht, b zw. die U mstände, un ter denen etwas geschieht, korrekt beschreibt, und zwar auch so verständlich, dass die Leser des Gutachtens sich möglichst zutreffend das vorstellen können, was er beschreiben wollte. Im ad jektivischen M odus k ennzeichnet der Gutachter jema nden d urch Eig enschaftswörter, z. B. »Martin ist ein aktiver Mensch«. Hier ist dann nicht mehr v on k onkretem V erhalten die Rede , vielmehr wird hier una usgesprochen die I nformation mitgeliefert, dass jemand früher, heute und in Zukunft, b ei allen mög lichen G elegenheiten ein
16
123
16.5 · Beeigenschaften von Menschen?
Verhalten zeigt, das der G utachter mi t einem b estimmten Eigenschaftswort bezeichnet. Der ad jektivische M odus der V erhaltensbeschreibung b irgt die gr oße G efahr, dass der G utachter mehr üb er einen M enschen s agt, als er aufgrund der v on ihm erhob enen I nformationen aussagen ka nn. Die s o b eschriebenen P ersonen verwahren sich oft gegen solche zu Unrecht verallgemeinernden A ussagen. A djektivische B eschreibungen v on P ersonen sind in un seren G utachten denn auch die Ausnahme. Wir verwenden sie nur, wenn wir v öllig sic her sind , dass wir alle hierzu notwendigen Informationen erhoben und b edacht haben. Beim subst antivischen M odus k ennzeichnet der G utachter einen M enschen d urch S ubstantive, die er ihm zus chreibt, z. B. »Martins Aktivität hilft ihm...«. Dieser substantivische Modus der Beschreibung eines M enschen birgt die g leichen Gefahren und S chwierigkeiten wie der ad jektivische Modus. Zusätzlich wird der irreführende Eindruck erweckt, dass die P ersönlichkeit eines M enschen aus Einzel teilen b esteht, die g leichsam ein Eig enleben f ühren. Dies ka nn ma n b eispielsweise a m Gebrauch der tiefenpsychologischen Begriffe »Es«, »Ich« und »Über-Ich« in der L iteratur und im Alltag beobachten. 16.5.2 Merk male von
Persönlichkeitseigenschaften
Definition
I
I
Persönlichkeitseigenschaften haben folgende Merkmale: 1. Konsistenz oder Generalität, 2. Stabilität, 3. Univ ersalität.
Von einer Persönlichkeitseigenschaft sprechen wir nur da nn, w enn eine P erson eine b estimmte Ar t des Verhaltens in verschiedenen Klassen von Situationen zeigt; ihr Verhalten ist in diesen Situationen also von der Art her gleich oder ähnlich, d. h. es ist konsistent bzw. es tritt generell auf. Eine P ersönlichkeitseigenschaft ist w eiter dadurch g ekennzeichnet, dass sie in ihr er A usprä-
124
Kapitel 16 · Möglichkeiten zur Minimierung von Fehlern und Verzerrungen in der diagnostischen Urteilsbildung
gung über einen längeren Zeitraum hinweg gleich, d. h. st abil, b leibt. D eshalb sind I ntelligenz und emotionale B elastbarkeit b eispielsweise P ersönlichkeitsmerkmale, nicht aber Stimmungen. Von der Stabilität unterscheiden wir die Änderbarkeit von Verhaltensweisen. Ein Verhalten kann sehr stabil sein, aber trotzdem leicht zu ändern, z. B. können Analphabeten durch geeigneten Unterricht Schreiben und L esen ler nen. Ohne einen s olchen Unterricht b leibt ihr V erhalten, nic ht S chreiben und L esen zu k önnen, st abil und un verändert. Ein Persönlichkeitsmerkmal ist in um s o höherem Maße änderbar, je st ärker es in s einer Ausprägung durch g eeignete M aßnahmen t atsächlich v erändert w erden ka nn. I n K lauer (2001) f inden sic h Beschreibungen v on Trainings, die sic h als wirksam erwiesen haben zur Änderung von kognitiven Merkmalen. Die S tabilität v on Verhaltensweisen ka nn als o durch die Stabilität von Lebensumständen bedingt sein. Als G utachter ac hten wir immer da rauf, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen sich bisher stabiles Verhalten ändern könnte. Zur B ezeichnung v on P ersönlichkeitsmerkmalen eignen sic h n ur s olche B egriffe, die zur Beschreibung v on M enschen allg emein g eeignet sind und nic ht n ur einen einzig en o der w enige Menschen in seinem Verhalten beschreiben. Solche Bezeichnungen für Persönlichkeitsmerkmale kann man also universell und nicht nur singulär verwenden. Wird das Verhalten einer jungen Frau dadurch beschrieben, dass es g ewirkt habe »wie ein j unger Frühlingsmorgen«, so ist diese Beschreibung nicht als Persönlichkeitsmerkmal geeignet.
16
16.6
Entwickeln dokumentierter Untersuchungspläne
Merke
I
I
Dokumentierte Untersuchungspläne ▬ lassen sich bei der gleichen Fragestellung wieder verwenden. ▬ können leicht aktualisiert werden. ▬ können zur Hilfe für andere werden. ▬ können evaluiert werden.
Der gr oße V orteil v on do kumentierten U ntersuchungsplänen b esteht da rin, dass ma n sie immer wieder verwenden kann. Die meisten Diagnostiker beschäftigen sich zudem mi t einer k leineren Auswahl v on diagnostis chen F ragestellungen, s odass sich s chnell ein B estand a n Untersuchungsplänen entwickeln lässt, die ma n v on da nn a n n ur no ch aktualisieren muss. Besonders günstig ist es, w enn mehrere Diagnostiker gemeinsam solche Untersuchungspläne entwickeln, anwenden und a ufgrund ihrer Er fahrungen und neuer F orschungsergebnisse ak tualisieren. Es wä re eine gr oße Arb eitserleichterung f ür sic h neu eina rbeitende Diagnostiker, w enn sie s olche Untersuchungspläne a uch in der Fachliteratur finden könnten. Innerhalb einer s olchen U ntersuchungsstrategie haben dann auch Tests und F ragebögen ihren Stellenwert. Z udem lässt sic h jede neue U ntersuchungsstrategie a uf ihr e N ützlichkeit hin untersuchen. D abei s ollte sie w enigstens der v orher praktizierten En tscheidungsstrategie (= A -prioriStrategie), gemessen am Verhältnis von Kosten und Nutzen, überlegen sein.
17
Auswerten von Verhaltensbeobachtungen 17.1 Ar ten von Verhaltens-beobachtungen – 126 17.2 A uswerten von Tests
– 127
17.3 Darst ellen von Testergebnissen 17.4
Entscheidungsorientierte Gespräche: Auswerten
17.5 G esprächsergebnisse: Darstellen 17.6
– 128 – 129
– 130
Die Aussageweise bei der Darstellung von Gesprächsergebnissen
– 131
126
Kapitel 17 · Auswerten von Verhaltensbeobachtungen
17.1
Arten von Verhaltensbeobachtungen
Merke
I
I
Verhaltensbeobachtungen können sein: 1. direkt und in standardisierter Umgebung, 2. direkt, in natürlicher Umgebung und mehr oder weniger geplant, 3. indirekt und mehr oder weniger standardisiert.
17
Psychologische Diagnostik wir d hä ufig in er ster Linie als T estdiagnostik missv erstanden. Ein T est ermöglicht die st andardisierte B eobachtung individuellen Verhaltens. Hier sind die A ufgaben bzw. Fragen a n den P robanden eb enso f estgelegt wie die ihm mög lichen K lassen v on An tworten und Reaktionen. Daneben schreiben Testautoren in den Handanweisungen v or, wie ihr T est d urchzuführen und a uszuwerten ist. W eiter ob en ha ben wir beschrieben, dass nac h wiss enschaftlichen M aßstäben diesen Empfehlungen der Testautoren nicht mehr zu f olgen ist, w enn neue wiss enschaftliche Erkenntnisse dies nahelegen. Neben Tests gibt es in der P sychologie jedo ch seit la ngem eine Reihe v on a nderen st andardisierten Situationen zur B eobachtung individuellen Verhaltens. Arb eitsproben k önnen z. B. s ehr st ark standardisiert w erden. A us dies en Arb eitsproben hat sich das A ssessment C enter, vor allem b ei der Auswahl und En twicklung v on F ührungskräften, als eine eig ene G ruppe diagnostis cher Verfahren entwickelt, die s ehr st ark st andardisiert s ein k önnen (vgl. z. B. Fisseni u. Preusser 2007; Wottawa u. Hossiep 1997). Die B eobachtung indi viduellen V erhaltens in einer standardisierten Umgebung und mit standardisierten »Aufgaben« hat sich jedoch auch in ganz anderen B ereichen der psy chologischen Diagnostik als außerordentlich nützlich erwiesen. Beispiele finden sic h eb enfalls in der F amiliendiagnostik, so f ür die B eobachtung des B indungsverhaltens von Kleinkindern (Ainsworths »Fremde Situation« von Ainsworth et al . (1978); Weiterentwicklungen dieses diagnostischen Systems sind beschrieben bei Solomon u . G eorge 1999) o der der FIT -KIT v on Sturzbecher u . Freytag (2000) als r egelspielbasier-
tes Befragungsinstrument für Kinder über die von ihnen erlebte Interaktionsqualität in der Familie. Bei vielen F ragestellungen ist es un bedingt erforderlich, die P robanden in ihr er na türlichen Umgebung zu beobachten. Hiervor schrecken nach unseren Erfahrungen viele Psychologen häufig unberechtigterweise zur ück. S ie b efürchten zu U nrecht, dass sie dort keine brauchbaren Beobachtungen machen könnten. Weiter ob en sind wir s chon auf die zu b eachtenden M erkmale diagnostischer I nformationsquellen ein gegangen. H ier s oll deshalb n ur no ch einmal festgehalten werden, dass M enschen manche Verhaltensweisen in einem a nderen A usmaß als gewöhnlich zeigen (quantitativer Aspekt), wenn sie sich beobachtet fühlen. »Völlig anders« als sonst (qualitativer A spekt) k önnen sie sic h a ber a uch dann nicht verhalten, weil ihnen i.d.R. keine anderen Verhaltensmuster zur Verfügung stehen. Auch B eobachtungen in der na türlichen Umgebung p lanen wir s o w eit wie mög lich, d . h. wir benutzen einen B eobachtungsplan. Solche geplanten B eobachtungen in der na türlichen Umgebung nennen wir t eilstandardisierte B eobachtungen, weil das V erhalten des B eobachters d urch den Plan f estgelegt ist, der zu B eobachtende hin gegen kann und soll sich möglichst so wie für ihn üblich verhalten. Selbstverständlich beobachten wir in der natürlichen U mgebung a uch s olche V erhaltensweisen, die für die F ragestellung wichtig, aber in un serem Beobachtungsplan nicht vorgesehen sind. Bei guter Planung ist dies jedoch die Ausnahme. Solche teilstandardisierten B eobachtungen ha ben den V orteil, dass alle f ehlerhaften B eobachtungen, die a uf mangelhafter Planung und Vorbereitung beruhen, weitestgehend vermieden werden können. Bei den meist en F ragestellungen, die in der Praxis vorkommen, finden wir diagnostis ch wichtige I nformationen in indir ekten B eobachtungen. Unter indir ekten B eobachtungen v erstehen wir solche, die v on a nderen P ersonen, als o nic ht v on dem b egutachtenden P sychologen, v orgenommen wurden. Indirekte B eobachtungen k önnen als s chriftliche Äußerungen eines Beobachters vorliegen. Dies ist z. B. b ei Z eugnissen, B eurteilungen o der B erichten üb er den P robanden der F all. M enschen
127
17.2 · Auswerten von Tests
können sich mündlich über Verhalten äußern, das sie bei sich selbst oder bei anderen beobachtet haben, b eides b ezeichnen wir eb enfalls als indir ekte Beobachtungen. Wesentlich für die diagnostische Verwendbarkeit indir ekter V erhaltensbeobachtungen ist es, dass da bei k onkretes Verhalten g eschildert wir d. »Beeigenschaften« v on Menschen ist k eine S childerung k onkreten Verhaltens. B eschreibung liegt nur da nn v or, w enn der B eobachter im v erbalen oder ad verbialen M odus üb er V erhalten b erichtet. Äußerungen im ad jektivischen o der subst antivischen M odus b edürfen immer der K onkretisierung, da B eobachter Eig enschaftswörter i .d.R. für psy chologisch-diagnostische Z wecke in unangemessener Weise verwenden: d. h. es ist nic ht sicher, ob alle ob en erlä uterten M erkmale v on Persönlichkeitseigenschaften a uch wirk lich g egeben sind. 17.2
Auswerten von Tests
Merke
I
I
Die Testauswertung wird bestimmt durch: 1. F ragestellung, 2. H ypothesen, 3. Stand der Wissenschaft.
Tests sind W erkzeuge, der en An wendung da von abhängt, was ma n mi t ihnen er reichen will . En tsprechend der v om Auftraggeber üb ernommenen Fragestellung wählen wir un sere psy chologischdiagnostischen W erkzeuge a us, zu denen a uch Tests g ehören. Die K riterien, nac h denen wir im Einzelfall Tests auswählen, haben wir w eiter ob en dargestellt. Aus der F ragestellung lei ten wir H ypothesen ab, die wir der b esseren V erständlichkeit w egen als P sychologische F ragen f ormulieren. Die a usgewählten Tests sollen uns helfen, über die H ypothesen zu en tscheiden, d . h., die P sychologischen Fragen zu beantworten. Die Vorschläge eines Testautors in der Handanweisung zu s einem Test prüfen wir s chon b ei der Planung der diagnostis chen Untersuchung darauf, wie w eit sie f ür die B eantwortung der F ragestel-
17
lung und der von ihr abgeleiteten Psychologischen Fragen dienlic h sind . B ei der A uswertung und Interpretation eines Tests verwenden wir alle Informationen, w elche die wiss enschaftliche L iteratur zur Auswertung von Tests gibt. Auf einig e Üb erlegungen zur psy chometrischen Einzelfalldiagnostik (Huber 1973; Lienert u. Raatz 1994) wollen wir hier deshalb nachdrücklich hinweisen, weil in der P raxis hier o ft grobe Fehler bei der A uswertung und I nterpretation v on Tests gemacht w erden, die s chwerwiegende F olgen f ür die Probanden haben. Um ein Testergebnis angemessen klassifizieren zu können, muss man mindestens den Vertrauensbereich f ür den wahr en Testwert des P robanden bestimmen. Unterschiede zwischen Tests bzw. Subtests oder Subtestgruppen eines P rofils k önnen d urch die jeweiligen Messfehler bedingt sein. Dies m uss daher zufallskr itisch g eprüft w erden. D er o ptische Eindruck, den ein Profil vermittelt, oder der wahrgenommene Unterschied in der Größe von Zahlen können nä mlich k ein ob jektives K riterium s ein. Entsprechendes gil t a uch f ür den F all, dass ma n ein Profil mit einem anderen, sei es ein Individualoder ein Referenzprofil, vergleichen will. Hageböck (1991) ha t in s einem PC-P rogramm PS YMEDIA die V orschläge v on H uber (1973) zur zufallskr itischen Einzelfalldiagnostik bedienerfreundlich umgesetzt. Zusätzlich zu den Prozeduren v on Huber b ietet das PC-P rogramm CASE123 v on W illmes u . G uillot (1990) a uch neuere t eststatistische En twicklungen dem N utzer komfortabel an. Im Internet findet unter dem Stichwort DiagnosticCalc kostenloses und b enutzerfreundliche S oftware f ür die zufallskr itische Einzelfalldiagnostik. Die vom Probanden erzielten Punktwerte können als un terdurchschnittlich, d urchschnittlich oder üb erdurchschnittlich k lassifiziert w erden. Aufgrund der G renzen der M essgenauigkeit jedes Tests g eben wir im Er gebnisteil des G utachtens jedoch nicht die v om Probanden erzielten Punktwerte an. Wir berechnen vielmehr den B ereich, in dem mi t 90-p rozentiger W ahrscheinlichkeit der Wert des Probanden liegt. Dieser B ereich ka nn eine K lassifikationsgrenze ein schließen. W ir v erwenden daher f ünf
128
Kapitel 17 · Auswerten von Verhaltensbeobachtungen
Klassifikationen f ür den B ereich, in dem mi t 90prozentiger W ahrscheinlichkeit der wahr e W ert eines P robanden liegt: (1) un terdurchschnittlich, (2) unterdurchschnittlich bis durchschnittlich, (3) durchschnittlich, (4) d urchschnittlich b is üb erdurchschnittlich, (5) üb erdurchschnittlich. Alle weiteren v erbalen A bstufungen er schweren nac h unseren Er fahrungen N ichtpsychologen unnö tig das Verständnis. Bei jedem Test verwenden wir immer n ur dies e a ufgeführten K lassifikationen und keine anderen, um den L esern das Verstehen und Behalten zu erleichtern. In Kapitel 10 haben wir die folgende An weisung f ür die K lassifikation s chon vorgestellt. S ie ist hier zur Erleic hterung f ür den Leser noch einmal wiedergegeben: Die Verteilung von Testwerten besteht aus drei Bereichen: ▬ »unterdurchschnittlich«: Werte kleiner als Mittelwert minus eine Standardabweichung, ▬ »durchschnittlich«: Werte v on M ittelwert minus eine S tandardabweichung b is M ittelwert plus eine S tandardabweichung ein schließlich der G renzen (b eim I Q sind als o 85 und 115 »durchschnittlich«), ▬ »überdurchschnittlich«: Werte gr ößer als M ittelwert plus eine Standardabweichung. Zur Klassifikation e ines Testwertes b estimmt ma n die Lage der linken und rechten Grenze des Konfidenzintervalls (KI) des wahren Testwerts.
17
Untere Grenze des KI
obere Grenze des KI
Klassifikation des Testwertes als
unterdurchschnittlich
unterdurchschnittlich
unterdurchschnittlich
unterdurchschnittlich
durchschnittlich
unterdurchschnittlich bis durchschnittlich
durchschnittlich
durchschnittlich
durchschnittlich
durchschnittlich
überdurchschnittlich
durchschnittlich bis überdurchschnittlich
überdurchschnittlich
überdurchschnittlich
überdurchschnittlich
Reicht ein Konfidenzintervall für den wahren Wert von un ter M–S D b is üb er M+S D, s o ha t ein T est
keine b rauchbare I nformation g eliefert, denn im Bereich von »unterdurchschnittlich bis überdurchschnittlich« liegt jeder mögliche Testwert. Die Punk twerte zu den einzelnen T ests st ellen wir zus ammen mit den no twendigen B erechnungen zur zufallskr itischen A bsicherung der Ergebnisse im Anha ng des G utachtens da r. Dies geschieht in einer f ür Diplom-Psychologen nachvollziehbaren Weise, denn es würde ein Gutachten sprengen, wenn wir alle no twendigen Berechnungen im Anhang für Nichtpsychologen verständlich darstellen würden. Dieser Teil des Gutachtens entfällt als o nic ht einfac h, s ondern auch die zufallskritische Einzelfalla uswertung ka nn p rinzipiell, d. h. zumindest v on Sac hverständigen, nac hgeprüft werden. Die f ür die zufallskr itische Einzelfalla uswertung no twendigen An gaben f inden wir nic ht n ur in der H andanweisung eines T ests, s ondern a uch in der ein schlägigen Fachliteratur, die sic h auf die dem Test zugrunde liegende Theorie oder auf den Test selbst bezieht. Eine zentrale Rolle spielen dabei Angaben zur Zuverlässigkeit (Messgenauigkeit) des Tests. Häufig geben die Testautoren nicht nur einen Reliabilitätskoeffizienten an. Hier wählen wir nicht einfach den mi t dem hö chsten Wert aus, s ondern wir en tscheiden un s f ür den, der f ür das zu er fassende K onstrukt a m a ngemessensten ist (vg l. hierzu Kap. 9.5, Kap. 9.5.1 und Kap. 9.5.2). 17.3
Darstellen von Testergebnissen
Merke
I
I
Zur Darstellung von Testergebnissen gehören: 1. V erhaltensbeobachtung, 2. Relativierung auf den Test, 3. Relativierung auf den Untersuchungszeitpunkt, 4. Relativierung auf die Vergleichsstichprobe.
Bevor wir im Er gebnisteil des G utachtens die Er gebnisse eines T ests o der a nderer V erfahren b erichten, st ellen wir das V erhalten da r, das wir während der Dur chführung des V erfahrens b eobachtet haben und das f ür die B eantwortung der Fragestellung wichtig ist.
129
17.4 · Entscheidungsorientierte Gespräche: Auswerten
Verhaltensbeobachtungen, die sic h außerhalb der B eschäftigung mi t sp eziellen V erfahren wie Tests und G esprächen er geben, b erichten wir ebenfalls im Er gebnisteil des G utachtens. A uch hier b erichten wir n ur s olche B eobachtungen, die etwas zur B eantwortung der F ragestellung beitragen. Im Befundteil eines G utachtens tragen wir a us allen I nformationsquellen die I nformationen zusammen, die zur B eantwortung einer der eingangs formulierten P sychologischen F ragen helf en k önnen. Dabei kann es vorkommen, dass die einzelnen Informationen wider sprüchlich sind o der zumindest s o er scheinen. S olche W idersprüche gr eifen wir im B efund auf und erk lären sie wiss enschaftlich fundiert, was b is auf ganz seltene Ausnahmen möglich ist. B leiben W idersprüche b estehen, s o erläutern wir im B efund, wie wir sie im H inblick auf die Fragestellung beurteilen. Damit n un die G utachtenleser nic ht v erwirrt werden, berichten wir die Ergebnisse der einzelnen Verfahren im Er gebnisteil eines G utachtens, der dem B efundteil v orangeht, v erfahrensweise, d . h. nach Verfahren getrennt. Um Missverständnissen vorzubeugen, machen wir im Er gebnisteil no ch k eine endgül tigen A ussagen üb er die un tersuchte P erson. Dies en A ufschub erreichen wir dad urch, dass wir immer n ur berichten, welches Ergebnis der Proband in einem bestimmten Test b ei der U ntersuchung erzielt hat und wie wir dies es im V ergleich zu einer S tichprobe, zu der a uch der P roband g ehören k önnte, klassifizieren. Wir sagen im Er gebnisteil des G utachtens also nicht (!): »F rau H. ist un terdurchschnittlich b is durchschnittlich in telligent.« S ondern: »F rau H. erzielte im W ilde-Intelligenztest 2 einen W ert f ür die allg emeine I ntelligenz, der im V ergleich zu Personen ihres Alters als unterdurchschnittlich bis durchschnittlich zu bezeichnen ist.« An diesem Beispiel wird deutlich, dass wir noch keine endgül tige Aussage üb er die allg emeine I ntelligenz von Frau H. machen. Es kann ja sein, dass die Er gebnisse der V erhaltensbeobachtung da für sprechen, dass b esondere Umstände dazu g eführt haben, dass Frau H. dieses Ergebnis erzielte. Weiter können Informationen aus anderen Informationsquellen üb er a ndere in tellektuelle L eistungen v on
17
Frau H. dafür sprechen, dass ihre allgemeine Intelligenz durch den Test unterschätzt wurde. Vor allem ist a ber wic htig, dass es in der en tscheidungsorientierten Diagnostik nic ht da rum geht, ein »Bild« von einem Menschen zu entwerfen, vielmehr w ollen wir mög lichst zuf riedenstellende Entscheidungen v orbereiten helf en. I m eign ungsdiagnostischen B eispielfall ist als o die ein gangs formulierte Psychologische Frage zu b eantworten, ob die allg emeine Intelligenz von Frau H. f ür eine Umschulung zur Al tenpflegerin a usreicht. Dies e Psychologische Frage können wir erst dann beantworten, w enn alle I nformationen üb er F rau H.s allgemeine Intelligenz vorliegen und wir sie gegeneinander abwägend berücksichtigen können. Durch den G ebrauch des P räteritums in der Ergebnisdarstellung machen wir deutlich, dass dieses Er gebnis zu einem b estimmten Z eitpunkt er zielt wurde und dass es no ch keine abschließende Aussage ist. Die endgül tige An twort a uf un sere Psychologischen F ragen f ormulieren wir im B efundteil nämlich im Präsens. Im Präsens teilen wir dem L eser des G utachtens als o das mi t, was eine Psychologische Frage abschließend beantwortet. Auch mi t der Rela tivierung a uf v ergleichbare Personen b etonen wir , dass dies es Er gebnis n ur verstanden werden kann im Vergleich zu anderen. Die von uns verwendeten fünf Klassifikationen (1) »unterdurchschnittlich«, (2) »un terdurchschnittlich b is d urchschnittlich«, (3) »d urchschnittlich«, (4) »d urchschnittlich b is üb erdurchschnittlich« und (5) »üb erdurchschnittlich« o rientieren sic h auch v on der W ortwahl her immer a m Dur chschnitt der V ergleichsgruppe, die wir immer a ngeben, da mit der L eser un sere Vorgehensweise in jedem Schritt nachvollziehen kann. 17.4
Entscheidungsorientierte Gespräche: Auswerten
Merke
I
I
Die Auswertung von Gesprächsergebnissen hat 1. zur Beantwortung der Fragestellung beizutragen, 2. sich an den Psychologischen Fragen auszurichten.
130
17
Kapitel 17 · Auswerten von Verhaltensbeobachtungen
Weiter oben haben wir dargestellt, wie wir entscheidungsorientierte Gespräche planen und durchführen. Um sie mög lichst objektiv auswerten zu k önnen, zeichnen wir sie mi t dem v orher eingeholten Einverständnis der G esprächspartner a uf. I st dies in ga nz s eltenen F ällen nic ht der F all, s o w erten wir sie unmittelbar im Anschluss an das G espräch aus. D abei dik tieren wir alle I nformationen a uf Tonband, a n die wir un s a nhand des L eitfadens und unserer schriftlichen stichwortartigen Notizen erinnern k önnen. Die spä tere A uswertung dies es Tonbandprotokolls erfolgt dann nach den gleichen Regeln, die wir n un f ür die T onbandaufnahmen von en tscheidungsorientierten G esprächen s childern werden. Bei jeder A ussage des P robanden st ellen wir uns zunächst die Frage, ob sie in ir gendeinem Zusammenhang mit der F ragestellung steht. Können wir diese Frage bejahen, so nehmen wir diese Aussage auf und bearbeiten sie weiter. Wir f ragen uns dann, zu w elchen der P sychologischen Fragen, die wir aus der Fragestellung abgeleitet ha ben, eine b estimmte Aussage dazu eine Information gibt. Wir notieren diese Aussage dann bei den en tsprechenden P sychologischen F ragen. Wenn eine A ussage I nformationen zu mehr eren Psychologischen F ragen en thält, no tieren wir sie bei allen berührten Psychologischen Fragen. Dadurch können wir sicherstellen, dass wir alle Informationen a us einem G espräch hera usfiltern, die bei der B eantwortung der F ragestellung helfen können. Z ugleich v ermeiden wir da mit, dass wir Informationen berücksichtigen, die mit der Fragestellung und den zu b eantwortenden P sychologischen Fragen nichts zu tun haben. Auf diese Art und Weise werten wir allerdings nicht nur entscheidungsorientierte Gespräche aus, sondern auch sonstige schriftliche und m ündliche Informationen üb er den P robanden. D abei st ellt sich sehr häufig heraus, dass solche Informationen für die psychologische Diagnostik nur begrenzt zu gebrauchen sind , da die in teressierenden Verhaltensweisen und die B edingungen, unter denen sie zu beobachten waren, nicht konkret genug dargestellt sind. Auch direkte Verhaltensbeobachtungen werten wir en tsprechend dem V orgehen b ei indir ekten Verhaltensbeobachtungen wie Gesprächen aus.
17.5
Gesprächsergebnisse: Darstellen
Merke
I
I
Die Darstellung von Gesprächsergebnissen im Gutachten muss 1. richtig sein, 2. sprachlich korrekt sein, 3. die Leser des Gutachtens beachten.
Zu aller erst ist v on jeder D arstellung v on G esprächsergebnissen zu f ordern, dass sie die I nformationen a us einem G espräch r ichtig wieder gibt. Dabei muss immer deu tlich s ein, wer was in w elchem Zusammenhang geäußert hat. Weiter stellen wir auch die Bedingungen dar, unter denen unsere Gesprächspartner b estimmte B eobachtungen g emacht haben. Hier wir d deu tlich, wie n ützlich es ist, G espräche als indir ekte Verhaltensbeobachtungen zu planen, d urchzuführen und a uszuwerten. B ei der Darstellung der G esprächsergebnisse k önnen wir dann nämlich individuelles Verhalten in bestimmten Situationen konkret schildern. Der adverbiale Modus der Verhaltensbeschreibung hilf t den L esern, eine G esprächsauswertung möglichst gut zu verstehen. Gesprächspartner fühlen ihr e Ä ußerungen dad urch eher r ichtig v erstanden und wieder gegeben. Abstrahierende D arstellungen im adjektivischen oder substantivischen Modus f ühren leic ht zu M issverständnissen b ei den Lesern des Gutachtens. Wie alle a nderen Er gebnisse im Er gebnisteil eines G utachtens st ellen wir die G esprächsergebnisse eb enfalls im P räteritum dar. Mit dies er zeitlichen Relativierung wollen wir a uch hier deu tlich machen, dass es sich um Beobachtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt handelt und noch nicht um endgültige Aussagen. Von en tscheidender B edeutung b ei der D arstellung von Gesprächsergebnissen ist ferner, dass immer deutlich ist, v on wem eine b estimmte Information stammt. Die Informationsquelle ist also immer wieder a nzugeben, wir v erweisen meist am Anfang eines jeden Abschnitts darauf, wessen Informationen wir berichten. Zugleich stellen wir alle G esprächsergebnisse in der indir ekten Rede dar.
131
17.6 · Die Aussageweise bei der Darstellung von Gesprächsergebnissen
Die k orrekte indir ekte Rede ist nac h un seren Beobachtungen f ür die meist en P sychologen zunächst ein Problem. Daher wollen wir weiter unten in einem k urzen Exk urs a uf die A ussageweisen bei der D arstellung v on G esprächsinformationen eingehen. Manche P sychologen v ersuchen, die S chwierigkeiten mi t der D arstellung v on G esprächsergebnissen dadurch zu umgehen, dass sie möglichst viel w örtlich zi tieren. Er fahrungsgemäß sp rechen wir a ber alle etwas a nders, als wir s chreiben. S o ist auch niemand g lücklich darüber, s eine im G espräch nicht störenden aber verunglückten Formulierungen schwarz auf weiß zu sehen. Wörtliche Z itate a us G esprächen v erwenden wir n ur da nn, w enn sie etwas f ür die F ragestellung wic htiges kna pp und tr effend da rstellen. Z u umfangreiche wörtliche Z itate enthalten i.d.R. Informationen, die f ür die F ragestellung wenig oder keine Bedeutung haben. Die Aufgabe des G utachters ist es jedo ch, den L eser nic ht d urch s olche irrelevanten Informationen zu v erwirren, sondern nur die f ür die F ragestellung bedeutsamen Inhalte wiederzugeben. Dies führt dazu, dass wir eher s elten wörtlich zitieren. Unter rechtlichen Gesichtspunkten verbietet es sich ebenfalls, Informationen, die nic ht zur Fragestellung gehören, weiterzugeben: Für Psychologen gilt f ür alle dera rtigen I nformationen S chweigepflicht. Bei allen F ormulierungen b eachten wir , w er das Gutachten les en wird. Neben dem A uftraggeber sind dies a uch i.d.R. die P robanden o der ihre Angehörigen. W ir b enutzen daher mög lichst n ur deutsche Wörter, die nicht zu ungebräuchlich sind. Fremdwörter sind meist überflüssig. Insgesamt bemühen wir uns um einen verbalen Stil und vermeiden einen substantivischen Stil. Im substantivischen Stil wandelt der Schreiber Verben in S ubstantive um und b ildet die Sä tze da nn mi t Hilfsverben wie haben und sein. Häufig verwenden Schreiber den substantivischen Stil und das Passiv. Dabei en tfällt o ft eine A ussage da rüber, w er der Handelnde in einem Sa tz ist. D as kann in psy chologischen Gutachten jedoch zu Missverständnissen und Rückfragen führen. Wenn wir G esprächsergebnisse da rstellen, s o fragen wir uns bei jedem Satz, wie er wohl bei den
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Lesern a nkommt. D amit meinen wir nic ht n ur, wie sie ihn v erstehen, s ondern a uch, wie sie sic h dabei fühlen. Es geht uns dann nicht darum, harte Wahrheiten zu verschweigen oder zu beschönigen. Wir b emühen un s jedo ch um eine fa ire D arstellungsweise. Eine faire Darstellungsweise von Gesprächsinformationen zeic hnet sic h dad urch a us, dass wir Beobachtungen mög lichst w enig w ertend wieder geben. Dies erreicht man dadurch, dass man keine allgemeinen A ussagen mac ht, s ondern sie immer nur im H inblick a uf die in der F ragestellung a ngesprochenen Umstände macht. Um festzustellen, ob eine F ormulierung nega tiv b ewertend wirk t, fragen wir un s: Wie würden wir un s fühlen, wenn wir so unser eigenes Verhalten oder das Verhalten von M enschen, die un s nahest ehen, b eschrieben sähen? U nangemessen p ositive F ormulierungen vermeiden wir, indem wir un s üb erlegen, ob wir beim L eser nic ht zu ho he Er wartungen a n den Probanden entstehen lassen. 17.6
Die Aussageweise bei der Darstellung von Gesprächsergebnissen
Merke
I
I
Als Aussageweise (Modus) bei der Darstellung von Gesprächsergebnissen in der indirekten Rede ist 1. der Indikativ fast immer unangebracht, 2. die entsprechend richtige Konjunktivform (I oder II) zu verwenden.
In psychologischen Gutachten ist es extr em wichtig, dass jeder Leser eine nur berichtete Aussage von einer Aussage des P sychologen selbst klar trennen kann. D aher m üssen G esprächsergebnisse in der indirekten Rede da rgestellt w erden, o der es m uss durch die Angabe der Informationsquelle jederzeit sichergestellt sein, woher eine Aussage stammt. Die sp rachliche F orm der indir ekten Rede ist i.d.R. der K onjunktiv I. I n der indir ekten Rede ist es in jedem F all una ngemessen, G esprächsergebnisse im I ndikativ da rzustellen. I m All tag wir d häufig fälschlich der K onjunktiv II in der indir ek-
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Kapitel 17 · Auswerten von Verhaltensbeobachtungen
ten Rede verwendet. Dies kann in psychologischen Gutachten zu s chwerwiegenden M issverständnissen f ühren. D er K onjunktiv II ist zu v erwenden, wenn a usgesagt w erden s oll, dass etwas nic ht der Fall ist oder nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn z. B. F rau H. g esagt hä tte: »I ch f inde eine Arb eitsstelle«, da nn wä ren f olgende Er gebnisdarstellungen fals ch: (1) F rau H. f indet eine Arbeitsstelle. (2) F rau H. s agte, sie fä nde eine Arbeitsstelle. Richtig wäre: Frau H. s agte, sie f inde eine Arbeitsstelle.
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Ergebnisdarstellung zum eignungsdiagnostischen Beispielfall
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Kapitel 18 · Ergebnisdarstellung zum eignungsdiagnostischen Beispielfall
Wir g reifen h ier d ie ei gnungsdiagnostische F ragestellung aus Kapitel 6 wieder auf, zu der wir in den Kapiteln 11 u nd 13 den U ntersuchungsplan da rgestellt haben, und zeigen nun an diesem Beispiel, wie die E rgebnisse vo n s tandardisierten so wie t eil- u nd nichtstandardisierte Verfahren i m G utachten n ach den Regeln der entscheidungsorientierten Diagnostik dargestellt werden. Merke
I
I
Unter dem Gliederungspunkt »Ergebnisse« stellen wir im Gutachten dar: ▬ pr o Informationsquelle ▬ alle Informationen, die wir im Befund zur Beantwortung der Fragestellung verwenden, und beachten dabei ▬ alle die weiter oben beschriebenen Regeln zur Darstellung von Informationen im Ergebnisteil eines Gutachtens.
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Im F olgenden gr eifen wir un sere B eispielfragestellung wieder a uf und st ellen die I nformationen hierzu s o da r, wie wir es in einem G utachten f ür angemessen hal ten. W eiter ob en ha ben wir die Regeln a ufgeführt und b egründet, die wir da bei beachten. I m F olgenden f ühren wir als o k eine neuen Überlegungen ein, s ondern illustrieren unser Vorgehen. Da bei der g ewählten Fragestellung keine Akten v orlagen, die psy chologisch b edeutsame I nformationen hä tten en thalten k önnen, m uss in unserem Beispiel der Untergliederungspunkt »Aktenanalyse un ter psy chologischen G esichtspunkten« entfallen. Das NEO-FFI, dess en Verwendung im S inne einer sequenziellen Untersuchungsstrategie hier u. U. f ür sinn voll g ehalten wur de (vg l. Kap. 11) , wurde nicht durchgeführt: Die Ergebnisse des entscheidungsorientierten G esprächs erla ubten eine für die B eantwortung der F ragestellung hinr eichend genaue Beurteilung des Ausprägungsgrades der P ersönlichkeitsmerkmale G ewissenhaftigkeit und emo tionale B elastbarkeit b ei F rau H.. U nter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten wur de daher im vorliegenden F all a uf ein w eiteres diagnostis ches Verfahren verzichtet.
4. Eignungsdiagnostischer Beispielfall: 4 Ergebnisse Am xx.y y.20zz zwis chen 8.00 und 12.00 U hr t estete der Unterzeichner des G utachtens Frau H. im Institut f ür P sychologie der TU Dr esden mi t den angegebenen psychologischen Tests und führte anschließend mi t ihr ein en tscheidungsorientiertes Gespräch. 4.1
Wilde-Intelligenztest 2 (WIT-2)
Frau H. meinte zu Beginn der Untersuchung spontan, dass sie es gut finde, dass auch ein Intelligenztest gemacht werde. So wisse sie da nn auch selbst, ob sie sic h in dies er H insicht r ichtig ein schätze. Sie ha be etwas S orge, dass der T est s chlechter als erwartet a usfallen k önne, denn sie ha be s o etwas noch nie g emacht und k enne sic h da nic ht a us. Bekannte hä tten ihr erzähl t, dass dies e Tests s ehr anstrengend seien. Bei der Dur chführung des T ests hö rte F rau H. aufmerksam zu und v erstand alle An weisungen s ofort. N ach dem T est b edauerte sie , dass sie nic ht die Z eit g ehabt ha be, alle A ufgaben zu versuchen, sie ha be das »alles s ehr in teressant« gefunden. Frau H. wur de mit den Untertests des WIT-2 getestet,die eine Ein schätzung der I ntelligenzFaktoren v erbales D enken, r echnerisches D enken und s chlussfolgerndes D enken s owie der allgemeinen I ntelligenz er möglichen, indem die Werte der er stgenannten dr ei B ereiche g emittelt werden. Frau H. er reichte in den dr ei g eprüften I ntelligenz-Faktoren im WIT -2 eine L eistung, die im Vergleich mi t P ersonen ihr es Al ters als d urchschnittlich zu b ezeichnen ist. D er M ittelwert dieser W erte ka nn als ein M aß f ür die allg emeine Intelligenz gelten. Frau H. erzielte im WIT-2 einen Gesamtwert, der im V ergleich mit Personen ihres Alters als durchschnittlich zu bezeichnen ist. 4.2 RT
-Rechtschreibungstest
Beim Rec htschreibtest s chrieb Frau H. die in den Text einzus etzenden W örter f lüssig und in einer gut leserlichen Schrift.
Ergebnisse
Frau H. erziel te im R T einen W ert f ür Rec htschreibkenntnisse, der im V ergleich zu P ersonen ihres Alters als durchschnittlich zu bezeichnen ist. 4.3 En
tscheidungsorientiertes Gespräch mit Frau H.
Frau H. zeigt e sic h er staunt da rüber, dass der Untersucher »n ur« f ür das G espräch mi t ihr einen Leitfaden erstellt hatte. Sie begrüßte dies und fand a uch die A ufzeichnung des G esprächs a uf Tonband s ehr gu t. S o etwas hä tten diejenig en Bekannten, die s chon einmal v on P sychologen untersucht worden seien, nicht berichtet. Sie finde das aber gut, ein Gespräch so zu führen. Am Ende des Gesprächs von etwa einer Stunde Dauer stellte sie fest, dass sie b is jetzt no ch mit niemandem so lange und s o gr ündlich üb er ihr e U mschulung gesprochen habe. Sie wisse jetzt viel g enauer, was dabei wichtig sei. Frau H. erzählte auf die an sie gerichteten Fragen frei und ungezwungen, was sie dazu zu berichten hatte. Sie antwortete ohne zu zög ern und gin g auf alles ein, w onach sie der U ntersucher f ragte. Sie drückte sich dabei immer verständlich aus, und ihre Aussprache war sehr gut zu verstehen. Frau H. sprach ein k orrektes H ochdeutsch mi t Dr esdner Dialektfärbung. I m G espräch b erichtete sie , dass sie den Dr esdner Dialek t s ehr gu t b eherrsche, da sie mit ihren Großeltern, die sie in den letzten Jahren gepflegt habe, sich immer nur in der Dresdner Mundart un terhalten ha be. S ie ha be f estgestellt, dass dies vor allem für ältere Menschen »ein Stück Heimat« bedeute. Entscheidungsverhalten; Erwartungen an Umschulung und Beruf Auf die F rage, wie sie zu dem En tschluss g ekommen s ei, sic h zur Al tenpflegerin um schulen zu lassen und später in dies em Beruf zu arbeiten, berichtete Frau H., sie s ei im G espräch mit Bekannten auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Sie habe in den letzt en beiden Jahren ihre Großeltern mütterlicherseits g epflegt, die b eide üb er ein J ahr bettlägerig g ewesen s eien. Ihr e G roßeltern hä tten fünf H äuser w eiter in der g leichen S traße wie sie gelebt. 4.3.1
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Sie ha be s chon lä nger da rüber nac hgedacht, wie sie s elbst G eld v erdienen k önne. D och bisher sei alles nic ht möglich gewesen, weil sie mi t ihren drei K indern und den p flegebedürftigen G roßeltern so viel Arb eit gehabt habe. Sie gehe gern mit anderen Menschen um, deshalb ha be sie nac h der Schule auch eine L ehre als Verkäuferin begonnen. Bei der Arb eit als V erkäuferin ha be sie sic h dann aber hä ufig g elangweilt, a ußerdem s eien K unden oft unverschämt gewesen. Die Pflege ihrer Großeltern sei zwar sehr anstrengend gewesen, aber sie habe diese Arbeit als sinnvoll erlebt. Ihre Großeltern seien ihr immer sehr dankbar für alles gewesen, was sie für sie getan habe. Über a ndere B erufe, in denen sie a uch mi t Menschen umzug ehen hä tte, ha be sie no ch nic ht nachgedacht. Die V orstellung, al te M enschen zu pflegen, sei für sie b isher die einzig e gewesen, die für sie wirklich in Frage gekommen sei. Sie ha be hä ufiger mi t einer B ekannten üb er deren Arb eit als Al tenpflegerin in einem Al tersheim g esprochen. Von ihr wiss e sie a uch, wie die Umschulung aussehe und was da auf sie zukomme. Diese B ekannte ha be s elbst eine U mschulung zur Altenpflegerin vor etwa vier J ahren abgeschlossen und a rbeite s eitdem in dies em B eruf. A ufgrund dieser Gespräche glaube sie a uch, sich richtig vorstellen zu k önnen, was a uf sie als Al tenpflegerin zukomme. 4.3.2 Interessen, Ziele, Wünsche Frau H. b erichtete, dass sie es als wic htig a nsehe, einen eig enen B eruf zu ha ben, s elbst a uch G eld zu verdienen, und da mit s chon heute anzufangen und nic ht er st spä ter, w enn die K inder a us dem Haus seien. Sie habe das bei einigen ihr bekannten Frauen erleb t, dass dies e sic h s ehr s chwer g etan hätten, wieder in einen B eruf hineinzufinden. Frau H. berichtete, dass sie noch nicht so genau wisse, wie die Umschulung für sie sein werde, denn ihre Bekannte habe die Umschulung in einer anderen Schule gemacht, als die, die jetzt für sie in Frage komme. Da müsse sie sich noch informieren. Sie freue sich darauf, in der Umschulung mit anderen zusammen zu sein und einen sie interessierenden Stoff lernen zu d ürfen. Was sie in den F ächern im Einzelnen ler nen müsse, wisse sie no ch nicht so
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Kapitel 18 · Ergebnisdarstellung zum eignungsdiagnostischen Beispielfall
genau, aber sie sei sicher, dass sie das alles mi t ihrer Begeisterung für den Beruf schaffen könne. Von ihr er S traße f ühre eine B uslinie dir ekt zu der S chule, s odass sie n ur zwa nzig M inuten für eine F ahrt b rauche. S ie g ehe f est da von a us, dass ihre Umschulung zur Altenpflegerin gefördert werde, denn s olche würden doch immer mehr g ebraucht, da es immer mehr al te Menschen gebe. Frau H. b erichtete w eiter, dass sie eine Z usage für eine Vorpraktikumsstelle habe, bei einer w eiteren Stelle habe sie sic h b eworben. D ort habe man ihr sofort gesagt, das dürfte eigentlich kein Problem sein. Sie erwarte jeden Tag die schriftliche Zusage.
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4.3.3 Lernen Frau H. b erichtete, das L ernen sei ihr nic ht immer leicht gefallen. Wenn sie ein F ach nicht interessiert habe, da nn ha be sie die Arb eit da für s o la nge wie möglich vor sich hergeschoben. In solchen Fächern habe sie dann auch schon mal Ärger mit den Lehrerinnen und Lehrern gehabt. Am Ende der S chulzeit habe sie n ur no ch ein Z iel g ehabt: »R aus a us der Schule!« Auch zu Beginn ihrer Lehre als Verkäuferin habe sie sich kaum für die Berufsschule interessiert, da sei sie lieber tanzen gegangen als zu lernen. In dies er Z eit ha be sie da nn ihr en heu tigen Mann kennengelernt. Sie hätten dann f rüh geheiratet, weil sie mit dem Ältesten schwanger gewesen sei. S ie ha be da mals desw egen a uch die L ehre als Verkäuferin abgebrochen. Die Schwangerschaft sei ihr ga nz r echt g ewesen, denn s o ha be sie die Ausbildung nicht zu Ende mac hen müssen. In der Berufsschule habe sie zudem da mals s chon große Lücken im Fachwissen gehabt. Sie habe diese dann im dr itten L ehrjahr eig entlich aufarbeiten w ollen, so wie es die meist en a nderen auch g emacht hätten, doch eine eigene Familie sei damals für sie viel verlockender gewesen. In der H auptschule und a uch in der B erufsschule ha be sie immer n ur das N ötigste g emacht und trotzdem in den meist en Fächern »Drei o der mal eine V ier« g ehabt. Mehrere L ehrerinnen und Lehrer hätten sie da mals darauf hingewiesen, dass sie w esentlich b esser s ein k önnte, w enn sie mehr für die Schule arbeiten würde. Frau H. meinte von sich aus, dass ihr bisheriges Verhalten dafür spreche, dass sie »keine Lust« zum
Lernen ha be. I n der V ergangenheit s ei das sic her richtig gewesen, da sie nic ht gesehen habe, wofür ihre Anstrengung gut sein solle. In den letzten Jahren habe sie, nicht zuletzt durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder, erlebt, wie wichtig es sei, etwas zu lernen, und zwar möglichst gründlich. Sie sei stolz auf ihre beiden Ältesten, die in der Realschule und in der Grundschule recht gut mitkämen, ohne dass sie sich besonders um sie kümmern müsse. Das sei auch ein An sporn f ür sie s elbst, ihr e A usbildung zur Altenpflegerin möglichst ernst zu nehmen. 4.3.4 Arbeitsstil Frau H. b erichtete, dass es ihr nic hts a usmache, wenn sie viel a rbeiten müsse. S ie ha be da nn vielmehr das G efühl, wirk lich g ebraucht zu w erden. Seit dem T od ihr er G roßeltern, die sie g epflegt habe, langweile sie sich öfter, weil der Haushalt und die K inder sie b ei w eitem nic ht a uslasteten. Die Jüngste gehe jetzt in den K indergarten, s odass sie vormittags viel freie Zeit habe. Bisher habe sie im Haushalt und in der Familie alle Arb eiten zur Z ufriedenheit aller b ewältigen können. Früher, als sie no ch in der L ehre gewesen sei, habe es sie s ehr gestört, wenn sie zu w enig zu tun gehabt habe. Bei umfa ngreichen Arb eiten g ehe sie »immer nach einem System« vor, denn ansonsten mache es ihr keinen Spaß, wenn immer wieder etwas um geplant werden müsse, nur weil man sich vorher zu wenig Gedanken gemacht habe. Sie habe in dies er Hinsicht schon einigen Bekannten auf deren Bitten hin ihr S ystem erk lärt, wie sie den H aushalt und die üb rigen Arb eiten o rganisiere. Manches hätten diese B ekannten da nn da von üb ernommen, a ber sie ha be den Eindr uck, dass dies e t eilweise das umständliche Arb eiten lieb ten und ga r nic ht viel schneller werden wollten, weil sie nicht mehr wüssten, was sie mit sich dann anfangen sollten. Wenn sie einmal un ter Zeitdruck gerate, dann überlege sie sic h, was un bedingt zuer st g emacht werden müsse. Sie stelle dann alles andere zurück, auch wenn es sie störe, angefangene Arbeiten nicht zügig zu Ende bringen zu können. Mit der Z usammenarbeit mi t a nderen ha be sie nur innerhalb der F amilie Er fahrung, denn ihr e Schwiegermutter und ihr e S chwester hätten ihr b ei
Ergebnisse
der Pflege und B etreuung der b ettlägerigen Großeltern geholfen. So etwas sei nicht in allen Punkten mit einer b eruflichen Z usammenarbeit zu v ergleichen. Doch ha be sie immer da für g esorgt, dass a m Wochenende ein Plan für die nächste Woche vereinbart wurde, damit immer jemand da gewesen sei, der sich um die Großeltern habe kümmern können. Die b isher v on ihr zu erledig enden Arb eiten habe sie gerne getan, sie könne sich nur vorstellen, dass es sie s ehr st ören wür de, w enn a ndere üb er die Arbeit, die zu tun sei, stöhnten und schimpften. Dafür habe sie wenig Verständnis. Sie selbst arbeite immer s o la nge, b is sie ein v orher g esetztes Z iel erreicht ha be. D as s ei meist s o nac h ein b is zw ei Stunden der F all. D ann gönne sie sic h eine P ause von fünf bis zehn Minuten und freue sich an dem, was sie bis dahin geleistet habe. Wenn sie den Eindr uck habe, dass eine Arb eit nicht s o gu t g eworden s ei, da nn k önne sie a uch »schon mal F ünf g erade s ein lass en«. W enn es jedoch etwas W ichtiges sei wie z.B . b ei der P flege der Großeltern, dann habe sie ihre Arbeit nachgebessert. Sie halte es nämlich für eine Zumutung für Pflegebedürftige, wenn sie unnötig Unbequemlichkeiten ertragen müssten. 4.3.5 Emotionale Belastbarkeit und Umgang
mit emotionalen Belastungen Frau H. s childerte, sie s ei bisher mit allen s chwierigen Situationen gut zurechtgekommen. Natürlich sei es immer etwas B esonderes, w enn jema nd in der Familie krank sei. In solchen Situationen rücke die F amilie b esonders en g zus ammen und jeder gebe s ein B estes. Zum Glück hätten sie a ber auch nicht so sehr viel mi t Krankheiten zu t un. Sie beschrieb da nn, dass zwa r alle K inder die üb lichen Kinderkrankheiten g ehabt hä tten und ihr M ann zweimal w egen eines B etriebsunfalls f ür mehr ere Wochen kra nk g eschrieben w orden s ei. D as s ei aber, s o mein te sie , nic hts U ngewöhnliches. M an habe eigentlich immer absehen können, wann alles wieder überstanden sei. Sie ha be s chon immer gu t mi t M enschen, b esonders mi t al ten, um gehen k önnen. S o s ei es f ür die ga nze G roßfamilie s elbstverständlich g ewesen, dass sie die kra nken Großeltern gepflegt habe. Frau H. schilderte eine Reihe von Beispielen, die zeigten,
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dass sie in s chwierigen S ituationen wie lä ngeren Krankheiten und dem sic h üb er M onate hinziehenden Sterben ihrer Großmutter immer die R uhe bewahrt ha be. Die ga nze Familie ha be sic h immer gewundert, wie sie mi t der ga nzen Arbeit und den nervlichen Belastungen so gut fertig geworden sei. Die bei der Pflege älterer und besonders bettlägeriger Menschen zu verrichtenden Arbeiten seien sicher nicht immer a ngenehm oder leicht, aber es müsse sic h do ch jema nd um die al ten M enschen kümmern, auch wenn sie einem zwischendurch auf die Nerven gehen könnten. Frau H. räumte ein, dass sie mi t kranken alten Menschen, die ihr fremd seien, bisher kaum eigene Erfahrungen ha be. S ie wiss e v on vielen B erichten ihrer B ekannten, dass es nic ht immer einfac h sei, mit solchen Menschen umzugehen. Auch den Umgang mi t S terbenden k enne sie n ur a us ihr er eigenen Familie. Sie meinte, es k omme darauf an, wie ma n zum S terben al ter M enschen ein gestellt sei. Für sie sei das etwas ga nz Natürliches, aber sie sei sic h k lar da rüber, dass es f ür viele M enschen einfach eine Katastrophe sei. Frau H. s ah die D oppelbelastung d urch die Umschulung b zw. die spä tere B erufstätigkeit und die Familie zwar als gegeben an; sie meinte jedoch, dass sie da mit gut fertig werden könne. Sie könne sich nic ht vorstellen, dass das mehr Arb eit s ei als die zus ätzliche P flege ihr er b ettlägerigen G roßeltern im letzten Jahr. Und das habe sie ja auch ohne besondere Schwierigkeiten bewältigt. 4.3.6 Körperliche Belastbarkeit Frau H. b erichtete, dass sie nie er nstlich kra nk gewesen s ei. N ur b ei den En tbindungen ha be sie jeweils im Krankenhaus gelegen. Sie habe keinerlei Beschwerden, auch nicht, wenn sie sich anstrenge. Als sie ihr e G roßeltern g epflegt ha be, ha be sie keine k örperlichen P robleme g ehabt, ob wohl der Großvater mi t 170 P fund ein gr oßer, s chwerer Mann gewesen sei. Frau H. erk lärte, dass sie k einerlei M edikamente b rauche. S ie ra uche nic ht. B ei F eiern o der wenn sie einmal in der W oche mi t ihr em M ann zusammen in ihre Stammkneipe gehe, dann trinke sie drei bis vier k leine Glas B ier am Abend. Mehr würde ihr auch nicht schmecken.
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Kapitel 18 · Ergebnisdarstellung zum eignungsdiagnostischen Beispielfall
4.3.7 Umgang mit anderen Frau H. mein te, sie k omme im Allg emeinen mi t allen Menschen gut zurecht. Schwierigkeiten habe sie mit Menschen, die sie herablassend oder bevormundend behandelten. Solchen Personen gehe sie lieber a us dem W eg. Wenn sic h A useinandersetzungen nicht vermeiden ließen, dann suche sie das offene G espräch. D abei k önne sie a uch K ritik a n ihrem eig enen V erhalten a nhören. An schließend überlege sie sic h da nn, was da von b erechtigt s ei. Manche Kritik habe sie eingesehen und ihr Verhalten daraufhin geändert. Es st öre sie s ehr, w enn L eute nic ht den M ut hätten, offen ihre Meinung zu sagen. Aber sie habe gelernt, dass ma n das nic ht erzwin gen k önne. S ie sei da in den letzt en Jahren vorsichtiger geworden und r echne da mit, dass M enschen sic h ö ffentlich anders verhielten, als sie sich privat äußerten. Frau H. führte aus, dass ihre eigene Familie und die Verwandtschaft besonders wichtig für sie seien. Hier fühle sie sich anerkannt, und sie s ei auch immer unterstützt worden, wenn es nötig gewesen sei. Alle fänden ihre Pläne gut, und es sei dann auch in der Familie und Verwandtschaft selbstverständlich, dass man sich gegenseitig helfe. Sie gehe davon aus, dass ihr e Schwiegermutter ihr b ei der V ersorgung der K inder a uch w eiter helfen w erde. Dies es P roblem ha be sic h zudem dadurch v erkleinert, dass die J üngste n un in den Kindergarten g ehe. D er K indergarten ha be a uch einen H ort, s odass ihr e Tochter do rt den ga nzen Tag versorgt sei. Die beiden Größeren kämen ganz gut allein zur echt, das ha be sie in der letzt en Z eit immer wieder feststellen können. Frau H. berichtete, ihr Mann unterstütze sie in ihren Plänen, denn es komme so ja auch erheblich mehr Geld in die Familienkasse. Gerade im letzten Jahr habe er no tgedrungen manche Einkäufe und Arbeiten im Haushalt mit übernehmen müssen. Er habe zwar manchmal gemurrt, aber letzten Endes habe er eingesehen, dass es nötig sei. Die F amilien fä nden ihr e Plä ne gu t, a uch die Bekannten und F reunde hätten alle g emeint, dass das Vorhaben ganz vernünftig sei, denn man müsse ja auch an später denken. In wenigen Jahren seien die Kinder sowieso aus dem H aus und sie s ei viel zu aktiv, um die Hände in den Schoß legen zu können. Viele hätten auch darauf hingewiesen, dass sie
so später eine eigene Rente bekommen könnte, was sie selbst auch wichtig finde. Die B ekannten und F reunde, mi t denen sie über ihre Pläne gesprochen habe, hätten zwar auch gemeint, dass sie sic h da viel Arb eit zumute, aber alle seien ganz zuversichtlich, dass sie das s chaffen könne. Diese Unterstützung durch die Familie, die Freunde und die B ekannten b estätige sie in ihr en Plänen. Bei der B esprechung eines k onkreten T ageslaufs b zw. W ochenendes heu te und eines mög lichen Tageslaufs b zw. Wochenendes währ end der Umschulung bzw. der Berufstätigkeit als Altenpflegerin stellte sich heraus, dass Frau H. konkrete und realistische Vorstellungen v on ihr em zuk ünftigen Alltag en twickelt ha tte. S ie k onnte alle wic htigen Gesichtspunkte b erücksichtigen und da rstellen, wie sie den v erschiedenen Anf orderungen in F amilie, U mschulung und B eruf en tsprechen w olle. Dabei beachtete sie a uch außergewöhnliche Situationen wie eine mög liche Erkrankung eines F amilienmitglieds. 4.4 A
llgemeine Verhaltensbeobachtung
Frau H. er schien pünktlich zum v ereinbarten Untersuchungstermin. I n der B esprechung zur V orbereitung a uf die a nstehenden U ntersuchungen hörte sie in teressiert zu und f ragte zu wic htigen Gesichtspunkten der U ntersuchungen nac h. Alle Anweisungen v erstand sie s ofort und f ührte sie richtig aus. Frau H. ist 28 J ahre alt, etwa 1,75 m gr oß und wirkte gepflegt. Sie machte einen sp ortlichen Eindruck und bewegte sich ruhig und sicher. 4.5 Z
eugnisse
Frau H. legte die Originale ihrer Zeugnisse aus den beiden letzt en H auptschuljahren und der B erufsschule vor. Die N oten waren meist »b efriedigend« und in w echselnden F ächern ma nchmal »a usreichend«.
19
Befund 19.1
Ziele des Diagnostikers im Befund
19.2
Vorgehen des Diagnostikers im Befund
19.3
Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
19.4
Formulierungen im Befund
– 142
– 140 – 140 – 142
140
Kapitel 19 · Befund
19.1
Ziele des Diagnostikers im Befund
Merke
I
I
Der Diagnostiker verfolgt im Befund folgende Ziele: 1. Er beantwortet die Psychologischen Fragen und damit die Fragestellung(en), aus denen er sie abgeleitet hat. 2. Er beachtet die Leser des Gutachtens. 3. Er berücksichtigt angemessen die Interessen aller Beteiligten.
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Im Befund beantworten wir die v om Auftraggeber übernommene(n) F ragestellung(en). W enn T eile einer F ragestellung gr undsätzlich nic ht zu b eantworten sind, so erklären wir im Gutachten wissenschaftlich begründet, warum dies so ist. Die F ragestellung ha ben wir zu B eginn der Planung der B egutachtung in P sychologische Fragen aufgelöst. Im B efundteil b eantworten wir nun diese Psychologischen Fragen, indem wir alle im Er gebnisteil a ngeführten I nformationen v erwenden. Damit ein G utachten s einen Zweck mög lichst gut erfüllt, beachten wir b ei allen Formulierungen die möglichen Leser des Gutachtens. Dabei denken wir immer daran, dass Gutachten häufig, über den aktuellen Anlass zur B egutachtung hina us, einen Menschen ein S tück s eines L ebens b egleiten und immer wieder einmal als I nformationsquelle her angezogen werden. Wir b eschränken unsere Aussagen daher immer auf die zu b eantwortende Fragestellung und verwenden da bei n ur I nformationen üb er k onkretes V erhalten. A bstrahierende A ussagen machen wir n ur, nachdem wir das k onkrete Verhalten beschrieben haben, auf das sie sic h beziehen. Für die B eantwortung der F ragestellung unnö tig verallgemeinernde Aussagen vermeiden wir. S olche v erallgemeinernden A ussagen w erden nä mlich spä ter hä ufig in a nderen Z usammenhängen herangezogen, um üb er den B egutachteten zu entscheiden. Unnötig verallgemeinernde Aussagen über Begutachtete wirk en hä ufig wie E tiketten, die sie nicht wieder losw erden. G eht ma n b ei spä teren
Entscheidungen üb er den B egutachteten v on s olchen E tiketten a us, s o ist da mit einer F ülle v on Fehlern und V erzerrungen in der diagnostis chen Urteilsbildung Tür und T or geöffnet. Weiter ob en haben wir dies e U rteilsfehler und V erzerrungstendenzen beschrieben. Wir gestalten den B efund eines Gutachtens deshalb so, dass Personen, die das Gutachten später noch einmal verwenden, nicht zu Fehlurteilen verleitet werden. 19.2
Vorgehen des Diagnostikers im Befund
Merke
I
I
Im Befund 1. stellen wir alle Informationen zu jeder Psychologischen Frage zusammen und kombinieren sie zu einer Antwort. 2. gehen wir auf Widersprüche zwischen Informationen ein. 3. berücksichtigen wir bei jeder Variablen ihre Stabilität, Änderbarkeit und Kompensierbarkeit. 4. stellen wir Schritt für Schritt dar, wie wir zu unseren Entscheidungen kommen.
Im Befund stellen wir alle I nformationen zu jeder Psychologischen F rage zus ammen, die wir eingangs aus der Fragestellung abgeleitet haben. Dabei verwenden wir n ur die I nformationen, die im Er gebnisteil des Gutachtens aufgeführt sind. Sollten wir seit der Auswertung der verschiedenen Informationsquellen und der D arstellung der Informationen im Ergebnisteil weitere Informationen erhalten haben, die f ür die B eantwortung der Fragestellung wichtig sind, so tragen wir sie zuer st an den entsprechenden Stellen im Ergebnisteil des Gutachtens nac h. A uf dies e Weise st ellen wir sicher, dass wir alle v erwendeten Informationen im Ergebnisteil berichten. Grundsätzlich f ühren wir alle I nformationen (= dir ekte und indir ekte V erhaltensbeobachtungen) im B efund a n und g eben immer a n, w oher sie st ammen und wa nn sie g ewonnen wur den. Dies g eschieht in der Reg el dad urch, dass wir die Informationen s o, wie sie im Er gebnisteil des
19.2 · Vorgehen des Diagnostikers im Befund
Gutachtens da rgestellt sind , im B efund wieder aufführen. D a dies b ei mehr eren la ngen G esprächen allerdings zu Befundteilen führen würde, die für die L eser zu w enig üb ersichtlich sind , fass en wir das Wesentliche aus den Gesprächen dann zusammen. Dabei geben wir in Klammern allerdings immer an, auf welchen Seiten des G utachtens die ausführliche D arstellung dies es G esprächsteils zu finden ist. Zu jeder P sychologischen F rage gib t es i .d.R. Informationen a us v erschiedenen I nformationsquellen. Dies ka nn b edeuten, dass die I nformationen nic ht die g leiche A ussagekraft ha ben. W ir gewichten die I nformationen einmal nac h ihr er Bedeutung f ür die F ragestellung, und zwa r s o, dass alle L eser des Gutachtens unsere Gewichtung nachvollziehen können. Darüber hina us b eziehen wir die »Quali tät« der v orliegenden D aten in die G ewichtung ein: Informationen z. B. über die allgemeine Intelligenz, die wir bei der psychologischen Untersuchung mit einem Intelligenztest gewonnen haben, welcher der Fragestellung und den Eig enheiten des Probanden möglichst gu t en tsprach, g ewichten wir hö her als nichtstandardisierte B eobachtungen, die eb enfalls Auskunft über die allg emeine Intelligenz des P robanden geben. Es ka nn v orkommen, dass sic h b ei einer P sychologischen F rage die I nformationen a us v erschiedenen I nformationsquellen wider sprechen oder es zumindest auf den ersten Blick so aussieht. Solche t atsächlichen o der v ermeintlichen W idersprüche zwis chen I nformationen disk utieren wir im Befund. Tatsächliche Widersprüche zwischen Informationen k ommen nac h un seren Er fahrungen s ehr selten vor. Wenn dies aber so ist, dann diskutieren wir die Bedeutung dieser widersprüchlichen Informationen f ür die je weilige P sychologische F rage und die übergeordnete Fragestellung. Vieles v on dem, was in einem G utachten als widersprüchlich erlebt wird, beruht auf einer nicht ausreichenden Differenzierung der zu beachtenden Bedingungen, un ter denen ein b estimmtes V erhalten zu b eobachten war. Um dies zu v ermeiden, geben wir die psy chologisch no twendigen I nformationen, da mit die L eser des G utachtens in der erforderlichen Weise differenzieren können.
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19
Jede P sychologische F rage b ezieht sic h a uf mindestens eine V ariable. B ei un seren A ussagen über dies e Variablen b erücksichtigen wir immer ihre Stabilität, Änderbarkeit und Kompensierbarkeit. Um eine F ragestellung b efriedigend b eantworten zu k önnen, g eben wir a n, s eit wa nn eine Variable eine bestimmte Ausprägung hat und wie lange dies v oraussichtlich s o b leiben wir d. M anche V ariablen ka nn ma n mi t b estimmten M aßnahmen ändern, z. B. durch Unterricht, Beratung oder Thera pie. A uf s olche M öglichkeiten und ihre Er folgsaussichten g ehen wir immer da nn ein, w enn dies v on der F ragestellung her no twendig ist. Abhängig von der Fragestellung muss die Möglichkeit b erücksichtigt w erden, dass die extr eme (zu hohe oder zu g eringe) Ausprägung einer Variablen durch die A usprägung einer a nderen Variablen kompensiert, d. h. ausgeglichen werden kann. So ka nn z. B. eine M inderbegabung d urch Fleiß teilweise a usgeglichen w erden. Es b leibt in einem solchen Fall immer abzuschätzen, ob ein möglicher Ausgleich f ür die Er füllung der Anf orderungen ausreicht. Die G ewichtung der f ür die B eantwortung einer P sychologischen F rage b edeutsamen I nformationen b ei ihr er K ombination, die B eurteilung von V ariablen nac h S tabilität, Änderba rkeit und Kompensierbarkeit stellen jeweils Entscheidungen dar, die wir als G utachter zu tr effen ha ben. Alle diese Entscheidungen müssen die Leser eines Gutachtens Schritt für Schritt nachvollziehen können, damit sie das G utachten b ei ihr er En tscheidung berücksichtigen können. Zur B eantwortung einer diagnostis chen F ragestellung kann es er forderlich sein, den ak tuellen Stand des psy chologischen W issens im B efund darzustellen. Dies e I nformationen v ermitteln wir in einer allgemein verständlichen kurzen und prägnanten Form und geben zugleich, wie in jeder wissenschaftlichen Arb eit, die b enutzte L iteratur a n, damit es den G utachtenlesern mög lich ist, un sere Ausführungen zu prüfen.
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Kapitel 19 · Befund
19.3
Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
Merke
I
I
Bei Empfehlungen und Vorschlägen beschreiben wir 1. die sich anbietenden Verhaltensmöglichkeiten, 2. die Bedingungen für ihre Verwirklichung, 3. die damit zu erreichenden Ziele, 4. die möglichen Folgen jeder beschriebenen Verhaltensmöglichkeit. Empfehlungen und Vorschläge können im Gutachten 1. zur Fragestellung gehören, 2. not wendig werden, 3. unangemessen sein; 4. im Befund stehen oder ein eigener Gliede rungspunkt sein.
19
Manche F ragestellungen en thalten nic ht n ur den Auftrag, zu diagnostizieren, sondern sie v erlangen Empfehlungen o der V orschläge f ür das w eitere Vorgehen. Solche Empfehlungen leiten wir immer aus den Antworten auf die Psychologischen Fragen ab. Dabei beschreiben wir (1) die sich anbietenden Verhaltensmöglichkeiten, (2) die B edingungen für ihre Verwirklichung, (3) die damit zu erreichenden Ziele und (4) die möglichen Folgen jeder beschriebenen Verhaltensmöglichkeit. Nach dem G rundverständnis der en tscheidungsorientierten Diagnostik b ereiten wir a us psychologischer S icht En tscheidungen mög lichst gut v or, damit die En tscheidenden sic h mög lichst zufriedenstellend en tscheiden k önnen. Ein G utachten ist also eine Hilfestellung zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung. Entsprechend un serem G rundgesetz ka nn niemand, a uch k ein G utachter, einem m ündigen Erwachsenen s eine En tscheidungen a bnehmen. Wir k önnen den En tscheidenden b ei s einer En tscheidung a uf ein umfa ngreiches psy chologisches Fachwissen aufbauend möglichst gut beraten. Das ist unser Auftrag bei einem Gutachten. Empfehlungen o der V orschläge v on G utachtern k önnen a ber a uch una ngemessen s ein, z. B.
dann, w enn ein psy chologischer G utachter sic h in einem f orensischen G utachten üb er n ur v om Richter zu beurteilende Probleme äußert. Mit einer gutachterlichen Äußerung, in der die »B eweiswürdigung« vorweggenommen wird, überschreitet der Gutachter seinen Auftrag. Dies ka nn dazu f ühren, dass zumindest T eile des G utachtens v or G ericht nicht v erwertbar sind (U lrich 2007; Eis enberg 2002; Salzg eber 2001). Ein P sychologe ka nn sic h selbst vor solchen Pannen bewahren, wenn er sich zunächst erkundigt, welches genau sein Gutachtenauftrag ist. Hier hilft die vertrauensvolle und offene Frage an den Auftraggeber, bevor man einen G utachtenauftrag üb ernimmt b zw. da nn, w enn während der Begutachtung Zweifel auftauchen. Es ka nn sic h d urch Erk enntnisse währ end der Begutachtung als no twendig erweisen, den A uftraggeber im Gutachten auf mögliche Sachverhalte hinzuweisen, die noch weiter abzuklären sind. Wir können dann begründet vorschlagen, z. B. bestimmte medizinische Untersuchungen vornehmen zu lassen. Empfehlungen und Vorschläge können, je nach Fragestellung, entweder im B efund eines G utachtens am sinnvollsten sein oder besser unter einem eigenen Glieder ungspunkt a ufgeführt w erden. Dies entscheiden wir je weils v on Fall zu F all. Für Empfehlungen a n den en tsprechenden S tellen im Befund sp richt, dass s o hä ufig der B egründungszusammenhang für den L eser b esser zu s ehen ist. Allerdings muss man dann darauf achten, dass alle für den Vorschlag oder die Em pfehlung wichtigen Informationen im B efund s chon a ufgeführt sind , denn es widerspricht der Nachvollziehbarkeit eines Gutachtens, w enn zum V erständnis no twendige Informationen er st nac h einem V orschlag o der einer Empfehlung geäußert werden. 19.4
Formulierungen im Befund
Merke
I
I
Es hilft dem Leser, wenn ein Befund 1. sprachlich gut zu verstehen ist. 2. in der richtigen Zeitform steht. 3. in den angemessenen Aussageformen (Modi) ausgedrückt ist. 4. möglichst wertneutral formuliert ist.
19.4 · Formulierungen im Befund
Klare und eindeu tige F ormulierungen erleic htern es dem L eser, den B efund zu v erstehen. Wir v ermeiden Fremdwörter und Fachjargon. Wo Fachbegriffe notwendig sind, erklären wir sie . Da längere Sätze schlechter zu verstehen sind als kurze, bevorzugen wir k ürzere Sä tze. K omplizierte Sa tzkonstruktionen f ühren leic hter zu M issverständnissen, deshalb bevorzugen wir im G utachten einfach gebaute Sätze. Viele P sychologen s ehen in ihr er F achsprache und mög lichst k omplizierter A usdrucksweise einen B eweis ihr er fac hlichen K ompetenz. N ach unseren Er fahrungen s ehen das N ichtpsychologen jedo ch v öllig a nders. S ie sind P sychologen immer da für da nkbar, w enn sie sic h v erständlich ausdrücken. Fachliche Kompetenz zeigt sic h nach unserem Verständnis an den Inhalten und nicht an einer unnötig komplizierten Ausdrucksweise. Die Psychologischen Fragen verwenden wir als Gliederung des B efundes. Z u jeder P sychologischen F rage b erichten wir zuer st alle I nformationen aus allen Informationsquellen. Diesen Berichtteil f ormulieren wir in der g leichen F orm wie im Ergebnisteil des G utachtens. Das heißt, wir b ehalten die Relativierungen auf die Informationsquelle, Zeitpunkt und ggf. die Vergleichsstichprobe bei; alles, was in der indir ekten Rede st eht, übernehmen wir a uch s o, a usgenommen s ehr la nge G espräche oder V erhaltensbeobachtungen. Dies e st ellen wir in zus ammengefasster W eise da r, g eben a ber zu jeder Aussage in Klammern an, auf welchen Seiten des G utachtens die a usführliche A uswertung zu finden ist. Alle un sere Üb erlegungen, S chlussfolgerungen und En tscheidungen dr ücken wir im P räsens aus. Dur ch das P räsens wir d deu tlich, dass jetzt der Gutachter Stellung bezieht und zu endgültigen Aussagen kommt. Als A ussageweise (M odus) k ommt f ür die Überlegungen, S chlussfolgerungen und En tscheidungen nur der Indikativ in Frage, allerdings ohne (!) modale Färbung. Modale F ärbungen sind im B efund mög lich durch (1) A dverbien wie »sic herlich« und »zw eifellos«; (2) mo dale Wortgruppen wie »m. E.« und »meiner M einung nac h«; (3) b estimmte V erben im üb ergeordneten Sa tz wie »ic h v ermute«. S olche Versicherungen und B eteuerungen werden in
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19
der Reg el da nn v erwendet, w enn die er forderlichen B elege für die A ussage fehlen. Daraus ergibt sich, dass s olche mo dalen F ärbungen im B efund des psy chologischen G utachtens un passend sind , vielmehr ist jede A ussage durch hinreichende B eobachtungen zu b elegen. F ür die F ormulierung des B efundes g elten da rüber hina us alle A usführungen, die wir w eiter ob en zur A uswertung v on Gesprächen gemacht haben. Der Gutachter s oll in s einem Gutachten nicht seine p rivate M einung ä ußern, s ondern er s oll wissenschaftlich f undiert b ei wic htigen En tscheidungen beraten. Dabei soll er nic ht vermuten und spekulieren, s ondern das b ei der En tscheidung nützliche F achwissen in v erständlicher F orm einbringen. Ein mög lichst s achlich f ormulierter B efund erleichtert den L esern des G utachtens eine s achliche B eschäftigung mi t den da rgestellten I nformationen.
20
Befund zum Beispielfall
146
Kapitel 20 · Befund zum Beispielfall
Merke
I
I
Unter dem Gliederungspunkt »Befund« 1. beantworten wir die von der Fragestellung abgeleiteten Psychologischen Fragen (= Hypothesen), 2. beantworten wir die Fragestellung und 3. geben wir ggf. Empfehlungen oder machen Vorschläge.
Wir zei gen n un a n der Beis pielfragestellung au s Kapitel 6, zu der w ir in den Kapiteln 11 und 13 den Untersuchungsplan u nd K apitel 18 d ie E rgebnisse dargestellt haben, wie ein Befund in seiner ausführlichen Form dargestellt werden kann. Wir verwenden im Befund die eingangs formulierten Psychologischen Fragen als Gliederung. Bei insgesamt mehr als f ünf P sychologischen F ragen gruppieren wir diese nach einer für die Leser sinnvollen übergeordneten Gliederung. Im B efund f ühren wir alle I nformationen a us dem Ergebnisteil wieder a uf, denn im Er gebnisteil sind ja alle die I nformationen zus ammengestellt, die für die Beantwortung der Fragestellung wichtig sind und k eine weiteren. Im Ergebnisteil des G utachtens sind die I nformationen nac h V erfahren geordnet da rgestellt. I m B efund st ellen wir alle Informationen a us allen I nformationsquellen zu einer Psychologischen Frage zusammen. 5. B
efund
Im B efund wird die F ragestellung des G utachtens beantwortet. D azu w erden zu jeder P sychologischen F rage alle I nformationen zus ammengetragen, die im Er gebnisteil des G utachtens nac h I nformationsquellen g eordnet da rgestellt sind . Die Informationen werden kommentiert, und jede einzelne Psychologische Frage wird beantwortet. 5.1
Erwartungen und Entscheidungsverhalten Frau H. b erichtete, dass sie im G espräch mi t B ekannten a uf die M öglichkeit hin gewiesen w orden sei, sic h zur Al tenpflegerin um schulen lass en zu 5.1.1
20
Psychologische Fragen zu motivationalen Bedingungen
können. Sie habe in den letzten beiden Jahren ihre Großeltern mütterlicherseits gepflegt. Sie ha be s chon lä nger da rüber nac hgedacht, wie sie s elbst G eld v erdienen k önne. D och bisher sei alles nic ht möglich gewesen, weil sie mi t ihren drei K indern und den p flegebedürftigen G roßeltern so viel Arb eit gehabt habe. Sie gehe gern mit anderen Menschen um, deshalb ha be sie nac h der Schule auch eine L ehre als Verkäuferin begonnen. Bei der Arb eit als V erkäuferin ha be sie sic h dann aber hä ufig g elangweilt, a ußerdem s eien K unden oft unverschämt gewesen. Die P flege ihr er G roßeltern s ei zwa r s ehr a nstrengend g ewesen, a ber sie ha be dies e Arb eit als sinnvoll erlebt. Über a ndere B erufe, in denen sie a uch mi t Menschen umzug ehen hä tte, ha be sie no ch nic ht nachgedacht. Sie habe häufiger mit einer B ekannten, die als Altenpflegerin in einem Al tersheim a rbeite, üb er deren Arb eit g esprochen. Von ihr wiss e sie a uch, wie die U mschulung a ussehe und was da a uf sie zukomme. Frau H. ha t sich bisher nicht mit anderen B erufen beschäftigt, in denen sie auch mit Menschen umzugehen hä tte. S ie erleb t die Arb eit als Al tenpflegerin als sinnvoll und kann dies aufgrund ihrer Erfahrungen b ei der P flege ihr er G roßeltern und den Berichten einer Bekannten, die als Altenpflegerin arbeitet, angemessen für sich selbst beurteilen. Betrachtet ma n F rau H.s Er wartungen, s o ist sie also für eine Umschulung als Altenpflegerin geeignet. Sie hat sich allerdings noch nicht über andere Berufe inf ormiert, in denen sie a uch M enschen zu pflegen hätte. Dies k önnte sie no ch tun, b evor sie sich endgültig entscheidet. Insgesamt sprechen Frau H.s Er wartungen und ihr En tscheidungsverhalten dafür, dass sie ihr Z iel der Umschulung zur Altenpflegerin erreichen kann. 5.1.2 Interessen, Ziele und Wünsche Zum Beruf . Frau H. b erichtete, dass sie es als wichtig a nsehe, einen eig enen B eruf zu ha ben, selbst a uch G eld zu v erdienen und da mit s chon heute a nzufangen und nic ht er st später, w enn die Kinder a us dem H aus s eien. S ie ha be das b ei einigen ihr b ekannten Frauen erlebt, dass dies e sich
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Formulierungen im Befund
sehr s chwer g etan hä tten, wieder in einen B eruf hineinzufinden. Sie ha be s chon immer gu t mi t M enschen, besonders mi t al ten, um gehen k önnen. S o s ei es f ür die ga nze G roßfamilie s elbstverständlich gewesen, dass sie die kra nken Großeltern pflegte. Frau H. s childerte eine Reihe v on B eispielen, die zeigten, dass sie in s chwierigen S ituationen wie längeren Krankheiten und dem sic h über Monate hinziehenden S terben ihr er G roßmutter immer die R uhe b ewahrt ha be. Die ga nze F amilie ha be sich immer g ewundert, wie sie mi t der ga nzen Arbeit und den ner vlichen B elastungen s o gu t fertig geworden sei. Die bei der Pflege älterer und besonders bettlägeriger Menschen zu verrichtenden Arbeiten seien nicht immer a ngenehm oder leicht, aber es m üsse sich do ch jema nd um die al ten M enschen k ümmern, auch wenn sie einem zwischendurch auf die Nerven gehen könnten. Außerhalb der F amilie ha be sie b isher k eine Erfahrung im U mgang mi t der P flege al ter M enschen sammeln können. Diese wolle sie aber demnächst in den Vorpraktika machen, die vor Beginn der A usbildung zur Al tenpflegerin nac hzuweisen seien. S ie s ei a ber sic her, dass sie sic h d urch die Gespräche mi t der ihr b ekannten Al tenpflegerin richtig v orstellen k önne, was v on ihr in dies em Beruf erwartet werde. Obwohl Frau H. bislang keine Erfahrungen in der Pflege alter Menschen außerhalb der F amilie sammeln konnte, ist da von auszugehen, dass der Beruf der Altenpflegerin den Interessen von Frau H. en tspricht. S ie ka nn sic h in dies em B eruf f ür sie wic htige W ünsche er füllen und p ersönlich wichtige Z iele v erfolgen. Ihr e b eruflichen I nteressen sp rechen f ür eine U mschulung zur Al tenpflegerin. Zur Umschulung . Frau H. b erichtete, dass sie noch nic ht s o g enau wiss e, wie die U mschulung für sie s ein w erde, denn ihr e B ekannte ha be die Umschulung in einer a nderen S chule gemacht als der, die jetzt f ür sie in F rage komme, da müsse sie sich noch informieren. Sie freue sich darauf, in der Umschulung mit anderen zusammen zu sein und einen sie interessierenden Stoff lernen zu d ürfen. Was sie in den F ächern
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im Einzelnen ler nen müsse, wisse sie no ch nicht so genau, aber sie sei sicher, dass sie das alles mi t ihrer Begeisterung für den Beruf schaffen könne. Von ihrer Straße f ühre eine B uslinie direkt zu der S chule, s o dass sie n ur zwa nzig M inuten f ür eine Fahrt brauche. Frau H. b erichtete weiter, dass sie eine Z usage für eine Vorpraktikumsstelle habe, bei einer weiteren Stelle habe sie sic h beworben. Dort habe man ihr sofort gesagt, dass das eig entlich kein Problem sein d ürfte. S ie er warte jeden T ag die s chriftliche Zusage. Sie gehe fest davon aus, dass ihr e Umschulung zur Al tenpflegerin g efördert w erde, denn s olche würden doch immer mehr gebraucht, da es immer mehr alte Menschen gebe. Frau H. w eiß no ch nicht in allen Einzelhei ten über die Umschulung Bescheid. Sie hat sich jedoch so w eit inf ormiert, dass sie sic h ein hinr eichend klares B ild v on der U mschulung mac hen ka nn. Sie ha t sic h b ereits er folgreich um S tellen f ür die erforderlichen Vorpraktika b eworben. F rau H. ist also nic ht n ur a n der spä teren B erufstätigkeit als Altenpflegerin in teressiert, s ondern a uch a n der dafür erforderlichen Umschulung. 5.2
Psychologische Fragen zu intellektuellen Bedingungen
5.2.1 Allgemeine Intelligenz In der Besprechung zur Vorbereitung auf die anstehenden Untersuchungen hörte Frau H. interessiert zu und f ragte zu wic htigen G esichtspunkten der Untersuchungen nach. Alle Anweisungen verstand sie sofort und führte sie richtig aus. Frau H. mein te zu B eginn der U ntersuchung mit dem Wilde-Intelligenztest (WIT) spontan, dass sie es gu t f inde, dass a uch ein I ntelligenztest g emacht werde. So wisse sie dann auch selbst, ob sie sich in dies er Hinsicht richtig einschätze. Sie habe etwas S orge, dass der T est s chlechter als er wartet ausfallen könne, denn sie ha be s o etwas no ch nie gemacht und k enne sic h da nic ht a us. B ekannte hätten ihr erzähl t, dass dies e Tests s ehr a nstrengend seien. Nach dem Test bedauerte sie, dass sie nicht die Zeit g ehabt ha be, alle A ufgaben zu v ersuchen, sie habe das »alles sehr interessant« gefunden.
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20
Kapitel 20 · Befund zum Beispielfall
Frau H. legt e die Or iginale ihr er Z eugnisse aus den b eiden letzt en Hauptschuljahren und der Berufsschule v or. Die N oten wa ren meist »b efriedigend« und in w echselnden F ächern ma nchmal »ausreichend«. Frau H. b erichtete, dass ihr das L ernen nic ht immer leicht gefallen sei. Wenn sie ein F ach nicht interessiert habe, dann habe sie die Arbeit dafür so lange wie mög lich v or sic h her geschoben. I n s olchen Fächern habe sie dann auch schon mal Ärger mit den L ehrerinnen und L ehrern g ehabt. I n der Hauptschule und a uch in der B erufsschule ha be sie immer nur das Nötigste gemacht und trotzdem in den meisten Fächern »Drei oder mal eine Vier« gehabt. M ehrere L ehrerinnen und L ehrer hä tten sie damals darauf hingewiesen, dass sie w esentlich besser s ein k önne, w enn sie mehr f ür die S chule arbeite. In den letzten Jahren habe sie, nicht zuletzt durch die Erzieh ung ihr er eig enen K inder, erleb t, wie wichtig es sei, etwas zu lernen, und zwar möglichst gründlich. Das sei ein Ansporn für sie selbst, ihre Ausbildung zur Altenpflegerin möglichst ernst zu nehmen. Frau H. wurde mit dem Wilde-Intelligenztest 2 (WIT-2) getestet. Frau H. erzielte in den getesteten Intelligenzfaktoren »v erbales D enken«, r echnerisches D enken« und »s chlussfolgerndes D enken« Leistungen, die im V ergleich mi t P ersonen ihr es Alters als durchschnittlich zu bezeichnen sind. Der Mittelwert dies er Werte ka nn als ein M aß f ür die Allgemeine I ntelligenz g elten. F rau H. erziel te im WIT-2 einen G esamtwert, der im V ergleich mi t Personen ihr es Al ters als d urchschnittlich zu b ezeichnen ist. Bei umfa ngreichen Arb eiten g ehe sie »immer nach einem System« vor, denn ansonsten mache es ihr keinen Spaß, wenn immer wieder etwas um geplant werden müsse, nur weil man sich vorher zu wenig Gedanken gemacht habe. Sie habe in dies er Hinsicht schon einigen Bekannten auf deren Bitten hin ihr S ystem erk lärt, wie sie den H aushalt und die üb rigen Arb eiten o rganisiere. Manches hätten diese Bekannten dann davon übernommen. Wenn sie einmal un ter Zeitdruck gerate, dann überlege sie sic h, was un bedingt zuer st g emacht werden müsse. Sie stelle dann alles andere zurück, auch wenn es sie störe, angefangene Arbeiten nicht zügig zu Ende bringen zu können.
Alle B eobachtungen zu F rau H.s V erhalten in der U ntersuchungssituation, die Er gebnisse des Intelligenztests, ihr e Z eugnisse s owie die S childerungen des eig enen V erhaltens in a usgewählten Klassen v on S ituationen w eisen in dies elbe Ric htung: F rau H. ist a usreichend in telligent, um mi t Aussicht auf Erfolg zur Al tenpflegerin umgeschult werden zu k önnen und spä ter in dies em B eruf zu arbeiten. 5.2.2 Arbeitsstil Frau H. b erichtete, dass es ihr nic hts a usmache, wenn sie viel a rbeiten müsse. S ie ha be da nn vielmehr das G efühl, wirk lich g ebraucht zu w erden: Seit dem T od ihr er G roßeltern la ngweile sie sic h öfter, w eil der H aushalt und die K inder sie b ei weitem nicht auslasteten. Die Jüngste gehe jetzt in den K indergarten, s odass sie v ormittags viel f reie Zeit habe. Bisher habe sie im Haushalt und in der Familie alle Arb eiten zur Z ufriedenheit aller b ewältigen können. Früher, als sie no ch in der L ehre gewesen sei, habe es sie s ehr gestört, wenn sie zu w enig zu tun gehabt habe. Bei umfa ngreichen Arb eiten g ehe sie »immer nach einem System« vor, denn ansonsten mache es ihr keinen Spaß, wenn immer wieder etwas um geplant werden müsse, nur weil man sich vorher zu wenig Gedanken gemacht habe. Wenn sie einmal un ter Zeitdruck gerate, dann überlege sie sic h, was un bedingt zuer st g emacht werden müsse. Sie stelle dann alles andere zurück, auch wenn es sie störe, angefangene Arbeiten nicht zügig zu Ende bringen zu können. Mit der Zusammenarbeit mit anderen habe sie nur innerhalb der F amilie Er fahrung, denn ihr e Schwiegermutter und ihr e S chwester hä tten ihr bei der P flege und B etreuung der b ettlägerigen Großeltern g eholfen. S o etwas s ei nic ht in allen Punkten mit einer beruflichen Zusammenarbeit zu vergleichen. D och ha be sie immer da für g esorgt, dass a m W ochenende ein Pla n f ür die näc hste Woche v ereinbart wur de, da mit immer jema nd da g ewesen s ei, der sic h um die G roßeltern ha be kümmern können. Die b isher v on ihr zu erledig enden Arb eiten habe sie gerne getan, sie könne sich nur vorstellen,
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Formulierungen im Befund
dass es sie s ehr st ören wür de, w enn a ndere üb er die Arbeit, die zu tun sei, stöhnten und schimpften. Dafür habe sie wenig Verständnis. Sie selbst arbeite immer s o la nge, b is sie ein v orher g esetztes Z iel erreicht ha be. D as s ei meist s o nac h ein b is zw ei Stunden der F all. D ann gönne sie sic h eine P ause von fünf bis zehn Minuten und freue sich an dem, was sie bis dahin geleistet habe. Wenn sie den Eindruck habe, dass eine Arbeit nicht so gut geworden sei, dann könne sie a uch »s chon mal F ünf gerade sein lass en«. Wenn es jedo ch etwas W ichtiges s ei wie z. B. bei der P flege der G roßeltern, dann habe sie ihre Arbeit nachgebessert. Alle dies e D arstellungen sp rechen da für, dass Frau H.s g ewohnheitsmäßige Art zu a rbeiten, d.h. ihr Arb eitsstil, in allen w esentlichen Punkten den Anforderungen entspricht, welche die Umschulung zur Altenpflegerin und die spätere Tätigkeit in diesem Beruf an sie richten werden. Kenntnisse in der Rechtschreibung und im Rechnen Beim Rechtschreibungstest s chrieb Frau H. die in den T ext einzus etzenden W örter f lüssig und in einer gut leserlichen Schrift. Frau H. erziel te im R T-Rechtschreibungstest einen W ert, der im V ergleich zu P ersonen ihr es Alters als durchschnittlich zu bezeichnen ist. Frau H. legt e die Or iginale ihr er Z eugnisse aus den b eiden letzt en Hauptschuljahren und der Berufsschule v or. Die N oten wa ren in D eutsch und M athematik immer und s onst meist »b efriedigend« und in w echselnden F ächern ma nchmal »ausreichend«. Gleic hes b erichtete F rau H. im entscheidungsorientierten G espräch. Dies e N oten wie a uch die L eistungen im Rec htschreibungstest sprechen da für, dass F rau H. üb er a usreichende Rechtschreibkenntnisse f ür die U mschulung zur Altenpflegerin und eine spätere Tätigkeit in diesem Beruf verfügt. Frau H. b erichtete, und dies b estätigen die vorgelegten Zeugnisse, dass ihre Leistungen in Mathematik in H aupt- und B erufsschule zumeist als befriedigend benotet wurden. Im Intelligenzfaktor »rechnerisches D enken« des WIT -2 erziel te sie eine Leistung, die im Vergleich mit Personen ihres Alters als durchschnittlich zu bezeichnen ist. 5.2.3
20
Alle dies e Informationen sprechen dafür, dass Frau H. f ür die U mschulung zur Al tenpflegerin und eine spä tere T ätigkeit in dies em B eruf üb er ausreichende Rechtschreib- und Rechenkenntnisse verfügt. 5.3
Psychologische Fragen zu sozialen Bedingungen
Umgang mit anderen und Unterstützung durch andere Frau H. erschien pünktlich zum vereinbarten Untersuchungstermin. I n der B esprechung zur V orbereitung a uf die a nstehenden U ntersuchungen hörte sie in teressiert zu und f ragte zu wic htigen Gesichtspunkten der U ntersuchungen nac h. S ie erzählte auf die an sie gerichteten Fragen frei und ungezwungen, was sie dazu zu berichten hatte. Sie antwortete ohne zu zög ern und gin g auf alles ein, wonach sie der U ntersucher f ragte. S ie dr ückte sich dabei immer v erständlich aus, und ihr e Aussprache war sehr gut zu verstehen. Frau H. sprach ein korrektes Hochdeutsch mit Dresdner Dialektfärbung. Sie ha be s chon immer gu t mi t M enschen, besonders mi t al ten, um gehen k önnen. F rau H. schilderte eine Reihe v on B eispielen, die zeigt en, dass sie in s chwierigen S ituationen wie lä ngeren Krankheiten und dem sic h üb er M onate hinziehenden Sterben ihrer Großmutter immer die Ruhe bewahrt habe. Außerhalb der F amilie ha be sie b isher k eine Erfahrung im U mgang mi t der P flege al ter M enschen sammeln können. Sie wisse jedoch von vielen Berichten ihrer Bekannten, dass es nicht immer einfach s ei, mi t s olchen M enschen umzug ehen. Auch den U mgang mi t S terbenden k enne sie n ur aus ihr er eig enen F amilie. S ie mein te, es k omme darauf a n, wie ma n zum S terben al ter M enschen eingestellt s ei. F ür sie s ei das etwas ga nz N atürliches, aber sie sei sich klar darüber, dass es für viele Menschen einfach eine Katastrophe sei. Sie f reue sic h da rauf, in der U mschulung mi t anderen zusammen zu sein. In der S chule ha be sie einig e M ale Är ger mi t den Lehrern gehabt, da sie Arbeiten für Fächer, für die sie sich nicht interessiert habe, immer vor sich hergeschoben habe. 5.3.1
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Kapitel 20 · Befund zum Beispielfall
Frau H. b erichtete, sie ha be B ekannten a uf deren B itten hin ihr S ystem der Arb eitsorganisation erk lärt; ma nches hä tten dies e da nn a uch übernommen. Mit der Zusammenarbeit mit anderen habe sie nur innerhalb der F amilie Er fahrung, denn ihr e Schwiegermutter und ihr e S chwester hä tten ihr bei der P flege und B etreuung der b ettlägerigen Großeltern g eholfen. S o etwas s ei nic ht in allen Punkten mit einer beruflichen Zusammenarbeit zu vergleichen. Die b isher v on ihr zu erledig enden Arb eiten habe sie gerne getan, sie könne sich nur vorstellen, dass es sie s ehr st ören wür de, w enn a ndere üb er die Arbeit, die zu tun sei, stöhnten und schimpften. Dafür habe sie wenig Verständnis. Sie selbst arbeite immer s o la nge, b is sie ein v orher g esetztes Z iel erreicht habe. Frau H. f ührte a us, dass ihr e eig ene F amilie und die V erwandtschaft b esonders wichtig f ür sie seien. S ie b erichtete, ihr M ann un terstütze sie in ihren Plänen, denn es komme so ja auch erheblich mehr Geld in die Familienkasse. Gerade im letzten Jahr habe er no tgedrungen manche Einkäufe und Arbeiten im Haushalt mit übernehmen müssen. Er habe zwar manchmal gemurrt, aber letzten Endes habe er eingesehen, dass es nötig sei. Die F amilien fä nden ihr e Plä ne gu t, a uch die Bekannten und F reunde hätten alle g emeint, dass das Vorhaben ganz vernünftig sei, denn man müsse ja auch an später denken. Obwohl sie sic h mit der Umschulung viel Arb eit zum ute, s eien alle ga nz zuversichtlich, dass sie es schaffen werde. Sie gehe daher da von aus, dass ihr e S chwiegermutter ihr bei der Versorgung der Kinder auch weiter helfen werde. Dies es Problem habe sich zudem dadurch v erkleinert, dass die J üngste n un in den Kindergarten g ehe. D er K indergarten ha be a uch einen H ort, s o dass ihr e Tochter do rt den ga nzen Tag versorgt sei. Die b eiden Größeren kämen ganz gut allein zur echt, das ha be sie in der letzt en Z eit immer wieder f eststellen k önnen. Ihr M ann, ihr e Schwiegermutter und ihre übrige Familie wollten sie wie bisher bei ihren Plänen unterstützen und hätten ihre eigene Zuversicht bestätigt, auch mit der bevorstehenden größeren Belastung fertig zu werden. Frau H. b erichtete, dass sie i . Allg. mi t allen Menschen gu t zur echtkomme. F rau H. erk lärte,
sie ha be S chwierigkeiten mi t M enschen, die sie herablassend o der b evormundend b ehandelten. Solchen P ersonen g ehe sie lieb er a us dem W eg. Wenn sich Auseinandersetzungen nicht vermeiden ließen, dann suche sie das o ffene Gespräch. Dabei könne sie a uch Kritik an ihrem eigenen Verhalten anhören. Anschließend überlege sie sich dann, was davon berechtigt sei. Manche Kritik habe sie eingesehen und ihr Verhalten daraufhin geändert. Es st öre sie s ehr, w enn L eute nic ht den M ut hätten, offen ihre Meinung zu sagen. Aber sie habe gelernt, dass ma n das nic ht erzwin gen k önne. S ie sei da in den letzt en Jahren vorsichtiger geworden und r echne da mit, dass M enschen sic h ö ffentlich anders verhielten, als sie sich privat äußerten. Wenn a uch F rau H. in dem B eruf der Al tenpflegerin noch keine Erfahrungen im Umgang mit ihr fremden Menschen hat, so weisen doch alle bisher v orliegenden I nformationen da rauf hin, dass sie sich im Kreis der Verwandten, Freunde und Bekannten in ihrem Umgang mit anderen anerkannt und bestätigt fühlt. Diese für sie wic htigen Personen unterstützen ihre Pläne; dies ka nn wesentlich zu ihrer Verwirklichung beitragen. Der Umgang mit den zu pflegenden alten Menschen wird ihr eher leic ht fallen, da sie g erne und nach ihren D arstellungen auch s ehr geschickt mit alten Menschen umzugehen versteht. Auf die Untersuchungssituation konnte Frau H. sich immer angemessen einstellen. Darüber, wie sie mit V orgesetzten und B ehörden um gehen ka nn, kann a ufgrund der v orliegenden I nformationen nichts g esagt w erden. Es lieg en a ber a uch k eine Informationen vor, die hier auf zukünftige Schwierigkeiten hinweisen wür den, die im W esentlichen durch Frau H.s g ewohnheitsmäßiges Verhalten im Umgang mit anderen bedingt wären. Sprachverständnis und Sprachverhalten Während der g esamten psychologischen Untersuchung v erstand F rau H. alle An weisungen s ofort und führte sie richtig aus. Frau H. erziel te im I ntelligenzfaktor »v erbales D enken« eine L eistung, die im V ergleich mi t Personen ihr es Al ters als d urchschnittlich zu b ezeichnen ist. 5.3.2
151
Formulierungen im Befund
Frau H. erzähl te im en tscheidungsorientierten Gespräch auf die an sie gerichteten Fragen frei und ungezwungen, was sie dazu zu b erichten hatte. Sie antwortete ohne zu zög ern und gin g auf alles ein, wonach der Gutachter fragte. Sie drückte sich dabei immer verständlich aus, und ihr e Aussprache war sehr gut zu verstehen. Frau H. sprach ein korrektes Hochdeutsch mit Dresdner Dialektfärbung. Frau H.s V erhalten währ end der psy chologischen U ntersuchung, ihr e T estergebnisse und ihre S childerungen sp rechen da für, dass F rau H. sich klar ausdrücken kann. Damit erfüllt sie eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umschulung zur Al tenpflegerin. Da sie a ußer Hochdeutsch a uch den Dr esdner Dialek t sp rechen kann, wird sie sich mit vielen zu p flegenden älteren Menschen aus der Region Dresden besonders gut verstehen. Praktische Erfahrungen in der Altenpflege Frau H. b erichtete, sie ha be zw ei J ahre la ng ihr e Großeltern gepflegt. Das sei zwar sehr anstrengend gewesen, aber sie habe diese Arbeit als sinnvoll erlebt. Ihre Großeltern seien ihr immer sehr dankbar für alles gewesen, was sie für sie getan habe. Sie ha be s chon immer gu t mit Menschen, b esonders mit alten, umgehen können. S o s ei es f ür die ganze Großfamilie selbstverständlich gewesen, dass sie die kra nken G roßeltern p flegte. F rau H. schilderte eine Reihe v on B eispielen, die zeigt en, dass sie in s chwierigen S ituationen, wie lä ngeren Krankheiten und dem sic h üb er M onate hinziehenden Sterben ihrer Großmutter, immer die Ruhe bewahrt habe. Sie habe häufiger mit einer Bekannten über deren Arbeit gesprochen, die als Altenpflegerin in einem Altersheim arbeite. Von dieser wisse sie, dass die b ei der P flege äl terer, b ettlägeriger M enschen zu verrichtenden Arbeiten nicht immer angenehm oder leicht seien, aber es m üsse sich doch jemand um die al ten M enschen k ümmern, a uch w enn sie einem zwis chendurch a uf die N erven g ehen könnten. Außerhalb der F amilie ha be sie b isher k eine Erfahrung im U mgang mi t der P flege al ter M enschen s ammeln k önnen. A uch den U mgang mi t 5.3.3
20
Sterbenden kenne sie n ur aus ihrer eigenen Familie. Sie meinte, es komme darauf an, wie man zum Sterben al ter M enschen ein gestellt s ei. F ür sie s ei das etwas ga nz N atürliches, a ber sie s ei sic h k lar darüber, dass es f ür viele M enschen einfac h eine Katastrophe sei. Erfahrungen damit wolle sie demnächst in den Vorpraktika mac hen, die v or B eginn der A usbildung zur Altenpflegerin nachzuweisen seien. Sie sei aber sicher, dass sie sic h durch die G espräche mit der ihr bekannten Altenpflegerin richtig vorstellen könne, was auf sie als Altenpflegerin zukomme. Frau H. ha t umfa ngreiche Er fahrung in der Altenpflege innerhalb ihr er Familie, nic ht a ber in der P flege ihr f remder al ter M enschen. D arüber hat sie sich bisher nur durch die Berichte einer Bekannten informiert, die als Altenpflegerin in einem Altersheim a rbeitet. F rau H. ha t sic h nac h ihr en Darstellungen erfolgreich um Stellen für die beiden erforderlichen Vorpraktika beworben. Da Frau H. bereits Pflegeerfahrungen mit alten Menschen hat und sie sic h s chon gr ündlich da rüber inf ormiert hat, was als Al tenpflegerin v on ihr er wartet wir d, ist nic ht da mit zu r echnen, dass sic h d urch dies e Vorpraktika F rau H.s B ild v om B eruf der Al tenpflegerin s o s ehr ändern wird, dass sie dies es B erufsziel nicht weiter verfolgen wird. 5.4
Psychologische Fragen zur emotionalen und körperlichen Belastbarkeit
5.4.1 Emotionale Belastbarkeit und Umgang
mit emotionalen Belastungen Frau H. s childerte eine Reihe v on B eispielen, die zeigten, dass sie in s chwierigen S ituationen wie längeren Krankheiten und dem sic h üb er Monate hinziehenden Sterben ihrer Großmutter immer die Ruhe b ewahrt ha be. Die ga nze F amilie ha be sic h immer g ewundert, wie sie mi t der ga nzen Arb eit und den ner vlichen B elastungen s o gu t f ertig g eworden sei. Die bei der Pflege älterer und besonders bettlägeriger Menschen zu verrichtenden Arbeiten seien nicht immer a ngenehm oder leicht, aber es m üsse sich do ch jema nd um die al ten M enschen k ümmern, auch wenn sie einem zwischendurch auf die Nerven gehen könnten.
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Kapitel 20 · Befund zum Beispielfall
Frau H. berichtete, dass es ihr nichts ausmache, wenn sie viel a rbeiten müsse. S ie ha be da nn vielmehr das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden. Bisher habe sie im Haushalt und in der Familie alle Arb eiten zur Z ufriedenheit aller b ewältigen können. Früher, als sie no ch in der L ehre gewesen sei, habe es sie s ehr gestört, wenn sie zu w enig zu tun gehabt habe. Wenn sie einmal un ter Zeitdruck gerate, dann überlege sie sic h, was un bedingt zuer st g emacht werden müsse. Sie stelle dann alles andere zurück, auch wenn es sie störe, angefangene Arbeiten nicht zügig zu Ende bringen zu können. Die b isher v on ihr zu erledig enden Arb eiten habe sie gerne getan, sie könne sich nur vorstellen, dass es sie s ehr st ören wür de, w enn a ndere üb er die Arbeit, die zu tun sei, stöhnten und schimpften. Dafür habe sie wenig Verständnis. Wenn sie den Eindr uck ha be, dass eine Arb eit nicht s o gu t g eworden s ei, da nn k önne sie a uch »schon mal Fünf gerade sein lassen«. Wenn es jedoch etwas Wichtiges sei wie z. B. bei der Pflege der Großeltern, dann habe sie ihre Arbeit nachgebessert. Frau H. s childerte, dass sie b isher mi t allen schwierigen Situationen gut zurechtgekommen sei. Natürlich s ei es immer etwas B esonderes, w enn jemand in der F amilie krank sei. In solchen Situationen rücke die Familie besonders eng zusammen und jeder g ebe s ein B estes. Z um Gl ück hä tten sie a ber a uch nic ht s o s ehr viel mi t K rankheiten zu tun. S ie b eschrieb dann, dass zwa r alle K inder die üblichen Kinderkrankheiten gehabt hätten und ihr Mann zweimal wegen eines Betriebsunfalls für mehrere W ochen kra nkgeschrieben w orden s ei. Das sei aber, so meinte sie, nichts Ungewöhnliches. Man habe eigentlich immer absehen können, wann alles wieder überstanden sei. Frau H. räumte ein, dass sie mi t kranken alten Menschen, die ihr fremd seien, bisher kaum eigene Erfahrungen ha be. S ie wiss e v on vielen B erichten ihrer B ekannten, dass es nic ht immer einfac h sei, mit solchen Menschen umzugehen. Auch den Umgang mi t S terbenden k enne sie n ur a us ihr er eigenen Familie. Sie meinte, es k omme darauf an, wie ma n zum S terben al ter M enschen ein gestellt sei. Für sie sei das etwas ga nz Natürliches, aber sie sei sic h k lar da rüber, dass es f ür viele M enschen einfach eine Katastrophe sei.
Frau H. s ah die D oppelbelastung d urch die Umschulung b zw. die spä tere B erufstätigkeit und die Familie zwar als gegeben an, sie meinte jedoch, dass sie da mit gut fertig werden könne. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das mehr Arb eit sei, als die zus ätzliche P flege ihr er b ettlägerigen G roßeltern im letzten Jahr. Und das habe sie ja auch ohne besondere Schwierigkeiten bewältigt. Schwierigkeiten habe sie mit Menschen, die sie herablassend o der b evormundend b ehandelten. Solchen P ersonen g ehe sie lieb er a us dem W eg. Wenn sic h A useinandersetzungen nic ht v ermeiden ließen, da nn suc he sie das o ffene G espräch. Dabei k önne sie a uch K ritik a n ihr em eig enen Verhalten anhören. Anschließend überlege sie sich dann, was da von b erechtigt s ei. M anche K ritik habe sie ein gesehen und ihr V erhalten da raufhin geändert. Es st öre sie s ehr, w enn L eute nic ht den M ut hätten, offen ihre Meinung zu sagen. Aber sie habe gelernt, dass ma n das nic ht erzwin gen k önne. S ie sei da in den letzt en Jahren vorsichtiger geworden und r echne da mit, dass M enschen sic h ö ffentlich anders verhielten, als sie sich privat äußerten. Frau H. b eschreibt sic h s elbst als emo tional belastbar; s o s ehen sie nac h ihr en A usführungen auch ihre Familie, ihre Verwandten, Freunde und Bekannten. I n s chwierigen Z eiten ha t sie zudem nach ihren Schilderungen auch immer mit wirksamer Unterstützung dieser Menschen rechnen können. Dies alles sp richt dafür, dass F rau H. s owohl den emotionalen Belastungen der Umschulung als auch denen der spä teren Berufstätigkeit als Al tenpflegerin gewachsen sein wird. 5.4.2 Körperliche Belastbarkeit Frau H. ist 28 J ahre al t, etwa 1,75 m gr oß und wirkte gepflegt. Sie machte einen sp ortlichen Eindruck und bewegte sich ruhig und sicher. Frau H. b erichtete, dass sie nie er nstlich krank gewesen s ei. N ur b ei den En tbindungen ha be sie jeweils im Krankenhaus gelegen. Sie habe keinerlei Beschwerden, auch nicht, wenn sie sich anstrenge. Als sie ihr e G roßeltern g epflegt ha be, ha be sie keine körperlichen Probleme gehabt. Frau H. b erichtete, dass sie k einerlei M edikamente b rauche. S ie ra uche nic ht, b ei F eiern o der
Formulierungen im Befund
wenn sie einmal in der W oche mi t ihr em M ann zusammen in ihre Stammkneipe gehe, dann trinke sie einige Glas Bier am Abend. Nach diesen Informationen erfüllt Frau H. alle körperlichen V oraussetzungen, um die U mschulung zur Al tenpflegerin erfolgreich zu a bsolvieren und anschließend dies en B eruf er folgreich auszuüben. 5.5
Abschließende Stellungnahme zur Fragestellung
Frau H.s Er wartungen sprechen dafür, dass sie ihr Ziel der Umschulung zur Al tenpflegerin erreichen kann. Sie hat sich allerdings noch nicht über andere Berufe informiert, in denen sie a uch Menschen zu pflegen hätte. Dies k önnte sie no ch tun, b evor sie sich endgül tig en tscheidet. Eine U mschulung zur Altenpflegerin und die Arbeit in diesem Beruf entspricht voll ihren beruflichen Interessen. Ihre allg emeine I ntelligenz, ihr Arb eitsstil sowie ihr e Rec htschreib- und Rec henkenntnisse entsprechen den Anf orderungen, die a n eine Altenpflegerin gestellt werden. Auch hinsichtlich der sozialen U nterstützung, die F rau H. erhäl t, und hinsichtlich ihres Umgangs mit anderen ist da von auszugehen, dass sie die U mschulung abschließen und danach erfolgreich als Altenpflegerin arbeiten wird. A ufgrund v on F rau H.s V erhalten in der Untersuchungssituation und da k eine s onstigen gegenteiligen I nformationen v orliegen, ist da von auszugehen, dass F rau H. a uch mi t Vorgesetzten und Behörden angemessen umgehen kann. Frau H. v erfügt üb er a usreichend p raktische Fertigkeiten in der P flege al ter M enschen, sie ist körperlich dafür geeignet und auch den emotionalen B elastungen s owohl der U mschulung als a uch des Berufes der Altenpflegerin gewachsen. Aus all dies en I nformationen ka nn ma n in sgesamt s chließen, dass eine U mschulung als Altenpflegerin für Frau H. in Frage kommt. Sie kann sowohl dies e U mschulung a bschließen als a uch danach erfolgreich als Altenpflegerin arbeiten. Zusätzlich k önnte g eprüft w erden, ob es mög licherweise einen a nderen B eruf gib t, a n den F rau H. bislang nic ht g edacht ha t, der ähnlic he Anf orderungen stellt, der Frau H. auch gefällt und vielleicht andere, bisher nicht bedachte Vorteile bringt.
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Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie 21.1
Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts und der Umgangsregelung im familienrechtlichen Verfahren – 156
21.1.1 Einführung –
156
21.1.2 Gutacht en –
160
21.2
Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage – 199
21.2.1 Einführung –
199
21.2.2 Gutacht en –
201
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21.1
Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts und der Umgangsregelung im familienrechtlichen Verfahren
21.1.1 Einführung
Psychologische Sac hverständigen-Gutachten zu familienrechtlichen F ragestellungen wur den a uch vor der Ref orm des K indschaftsrechts v on 1998 ausschließlich da nn ein geholt, w enn die E ltern hoch zer stritten wa ren im H inblick a uf B elange gemeinsamer K inder und dem F amilienrichter die eig ene Sac hkunde als B eurteilungsgrundlage nicht a usreichte. Dies b etraf üb er J ahre hin weg konstant 2–5% der E hescheidungen, v on denen minderjährige K inder b etroffen wa ren. Dies e Voraussetzungen ha ben sic h a uch nac h der Ref orm nicht geändert. Geändert hat sich seitdem jedoch, dass die F amilien, in denen heu te ein fa miliengerichtlicher G utachter ein geschaltet wir d, hä ufiger als f rüher B eratungen, M ediationen o der a ndere Vermittlungsversuche hin ter sic h ha ben, die jedoch gescheitert sind: Die Begutachtung wird vom Familienrichter o der auch von den B eteiligten als das letzt e M ittel zu einer mög lichen L ösung der Probleme im Kampf um das Kind in der nachehelichen Auseinandersetzung gesehen. Oberste L eitlinie f ür fa milienrechtliche En tscheidungen ist nac h wie v or das K indeswohl. Soll dies e I dealnorm nic ht zur L eerformel v erkommen, so ist in jedem einzelnen F all zu f ragen, welche Bedingungen (äußere Lebensbedingungen, individuell-psychologisch und sozialpsychologisch fördernde B edingungen) ein indi viduelles K ind mit s einen v orhandenen B indungen, s einen F ähigkeiten, s einen S tärken und S chwächen, V orlieben und A bneigungen la ngfristig b enötigt, um ein psychisch möglichst wenig beeinträchtigtes Leben führen zu k önnen. S olche B edingungen kann der Sac hverständige aufgrund der ihm b ekannten einschlägigen F orschungsergebnisse a ufzeigen; er kann mi t psy chologisch-diagnostischen M itteln prüfen, w elche f ördernden o der hemmenden B edingungen im Einzelfall v orliegen, er ka nn dies e aktuell v orhandenen B edingungen im L icht der Forschungsergebnisse gewichten und prognostisch beurteilen. Dies e p rognostische G ewichtung je-
doch a usschließlich a uf den je weils ak tuellen I stZustand zu st ützen, gin ge a n der t atsächlichen psychischen Situation der Beteiligten und an deren Möglichkeiten vorbei: Wie in den vorhergehenden Kapiteln dieses Buches aufgezeigt, ist der G utachter n un vielmehr g efragt, a ufgrund s eines – wissenschaftlich begründeten – Änderungswissens zu eruieren, üb er w elche Ress ourcen zur (W ieder-) Übernahme der v ollen el terlichen Verantwortung und zur Verwirklichung des Wohls des g emeinsamen Kindes Eltern verfügen, auch wenn sie ak tuell aufgrund der emo tionalen Krise der T rennung darin b ehindert sind . I n dies em Z usammenhang gehört es nac h der K indschaftsrechtsreform n un auch exp lizit zu den A ufgaben des G utachters, den Eltern die aktuellen und langfristigen (psychischen) B edürfnisse s owie die je weiligen En twicklungschancen und -risiken ihres Kindes bewusst zu machen; da rauf a ufbauend, ka nn (m uss, s oll) der Sachverständige durch geeignete Maßnahmen und Hilfestellungen dazu beitragen, die Eltern (wieder) zu einer K ommunikation, die er neut zu K onsens und Kooperation hinsichtlich der Belange des Kindes führen sollte, zu befähigen. Diese entwicklungsorientierte Konzeption von Begutachtung und Diagnostik als P rozess auch für familienrechtliche B egutachtungen wir d z. B. b ei Westhoff et al. (2000) ausführlich beschrieben; unter dem B egriff der Interventionsdiagnostik gehen z. B. Schade u. Friedrich (1998) a uf einzelne da für geeignete Zielsetzungen und Vorgehensweisen ein. Geht ma n v om r einen Wortlaut des G esetzes in § 1671, A bs. (2), Sa tz 2 des B GB aus (B GB, 59. Aufl., 2007), s o hä tte der Sac hverständige a uch nach der Ref orm immer no ch eine F rage zu b eantworten, die g enau g enommen wiss enschaftlich begründet nicht zu entscheiden ist: Welche Lösung der S orgerechtsfrage o der der U mgangsregelung für ein indi viduelles K ind in einer sp ezifischen Situation und für einen langen Zeitraum am besten ist, ka nn nic ht v orausgesehen w erden, da w eder der G utachter no ch ir gendein a nderer der B eteiligten am Verfahren alle Bedingungen, die sich auf die weitere Entwicklung des Kindes in der Zukunft auswirken werden, vorhersehen kann. Der Sac hverständige ka nn jedo ch mi t H ilfe des diagnostischen Prozesses in der Arbeit mit der Familie a ufzeigen, w elche Cha ncen und Risik en
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
für diese weitere Entwicklung des Kindes mit den unterschiedlichen Lebensbedingungen verbunden sind, d . h., w elche ä ußeren L ebensbedingungen und welche psychologischen Einflüsse sich in Zukunft auf das K ind mit hoher Wahrscheinlichkeit fördernd oder hemmend a uswirken werden, oder welche B edingungen, z. B. im V erhalten b eider Elternteile, sich in w elcher Weise ändern müssen, um w eiteren S chaden v on dem je weiligen K ind abzuwenden. I nternationale und na tionale F orschungen b elegen jedo ch, dass »in aller Reg el … die Trennung der Eltern für das Kind die zentrale Belastung o der s ogar einen pa thogenen F aktor dar«(stellt) (Er g. d . A.), was d urch ein b estimmtes – je weils a uf den Einzelfall zug eschnittenes – S orgerechtsmodell allenfalls zu minder n, nic ht aber aus der Welt zu schaffen ist (Balloff u. Walter 1991, S. 21; im g leichen S inne: Er gebnisse der Längsschnittstudie v on W allerstein et al . 2001). Neueste F orschungsergebnisse b elegen da rüber hinaus, dass es v or allem das (a nhaltend) ho he Konfliktniveau zwis chen den E ltern ist, das sic h langfristig nega tiv a uf die En twicklung in vielen Bereichen des Verhaltens und Erlebens des Kindes auswirkt (f ür eine Üb ersicht: Walper u . G erhard 2003; K indler u . Reinho ld 2007). D araus er gibt sich, dass der psy chologische Sachverständige mit wissenschaftlich b egründeten M itteln, die ihm aufrund s einer F ach-und Sac hkenntnis zur V erfügung st ehen, auch dazu b eitragen s oll, mi t den Eltern Ansätze zur V erringerung dies es Konfliktniveaus zu era rbeiten und nac h M öglichkeit in Gang zu s etzen. Dies wir d jedo ch auch weiterhin in vielen Fällen nicht gelingen. Nach wie v or er wartet der Ric hter v on einem Gutachten: ▬ Hilfe f ür eine En tscheidung – w enn sie denn notwendig wird – üb er und f ür die G estaltung von S orgerechts- und U mgangsregelungen nach Trennung und Scheidung von Eltern. Dies gilt nicht nur dann, wenn einem E lternteil die alleinige el terliche S orge zug esprochen wir d, sondern auch dann, wenn beide Eltern die g emeinsame elterliche Sorge beibehalten, z. B. in Bezug a uf die B ereiche der All tagssorge. Dies gilt gleichermaßen für ehelich geborene Kinder und für solche, deren Eltern nicht miteinander verheiratet waren.
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▬ Hilfe für evtl. notwendige Entscheidungen über Entzug o der T eilentzug der el terlichen S orge für einen o der b eide E lternteile in F ällen v on Vernachlässigung, M isshandlung o der s exuellem Missbrauch von Kindern in F amilien, deren Eltern nicht getrennt oder geschieden sind (§§ 1666, 1666a BGB). ▬ Hilfe b ei En tscheidungen üb er N amenserteilung/Namensänderungen für Kinder, z. B. nach Wiederheirat eines E lternteils. A ufgrund der veränderten Re alitäten d urch die immer hä ufiger auftretenden Konstellationen s o g enannter P atchwork-Familien ist zu er warten, dass diese Art von Fragestellung in Zukunft auch als gutachterliche Fragestellung häufiger auftreten kann als bisher. Der Familienrichter fordert neben diesen Entscheidungshilfen vom Sachverständigen immer häufiger Befriedungsbemühungen explizit an. Diesen Anforderungen versucht der Sac hverständige durch eine oben b ereits er wähnte in terventionsdiagnostische Strategie nac hzukommen (w eitere Erlä uterungen dazu s. u.; Balloff 2004; Schade u. Friedrich 1998). Das B emühen da rum, B edingungen f ür die Verwirklichung v on K indeswohl a ufzufinden, hat zu einem in der G esetzgebung und in der Rechtsprechung en twickelten Anf orderungsprofil geführt, das, a ufgrund na tur- und s ozialwissenschaftlicher F orschungsergebnisse, einig e w esentliche Merkmale f ür die Annäher ung an das W ohl des Kindes im oben erläuterten Sinn aufführt. Auf dies es, a uch als K indeswohlkriterien b ezeichnetes B ündel v on B edingungen, s oll im F olgenden k urz ein gegangen w erden (a usführliche Darstellungen dazu s. z. B. bei Fthenakis et al. 1982; Salzgeber 2001; Westhoff et al. 2000). Kriterien da für, was dem K indeswohl dien t, ergeben sic h a us den Erk enntnissen psy chobiologischer (ethologischer), entwicklungs-, sozial- und klinisch-psychologischer, pädag ogischer wie a uch soziologischer F orschungen: Z u b erücksichtigen sind B edingungen, die sic h nach diesen Ergebnissen bisher als f ür die w eitere kurzfristige und e vtl. langfristige En twicklung v on K indern als f örderlich bzw. als risikobehaftet gezeigt haben. Als förderlich für eine psy chisch gesunde Entwicklung v on K indern wir d z. B. a ufgrund der
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Ergebnisse der B indungsforschung (B owlby 1975; Spangler u . Z immermann 1995; G rossmann u . Grossmann 1998; S chwabe-Höllein et al . 2001) angenommen, dass es v on äußerst gr oßer B edeutung ist, dass ein K ind in den er sten Lebensjahren sichere Bindungen an mindestens eine Person entwickeln kann. Dies gelingt dann, wenn es mindestens eine Betreuungsperson gibt, die in der Lage ist, feinfühlig auf die (g eäußerten) k örperlichen, psychischen und s ozialen B edürfnisse des K indes zu reagieren und diese in jeweils angemessener Weise zu befriedigen (s. dazu die F orschungen von Ainsworth, z. B. 1978); s olche B edürfnisse b eziehen sich auf Nahrung, Wärme, Gesundheit, emotionale Zuwendung, S icherheit in B elastungssituationen, Kommunikation, s oziale K ontakte, Unterstützung von Neugierverhalten und explorativem Verhalten der Umgebung. Die Entwicklung sicherer Bindungen in den f rühen L ebensjahren b ilden u .a. die Grundlage f ür eine spä tere B indungsfähigkeit des Kindes an weitere Personen, z. B. auch in P artnerschaften im Er wachsenenalter: Die En twicklung von B indungen ist daher als leb enslanger P rozess anzusehen (Ainsworth 1991). Bindungen wie a uch B eziehungen a nderer Qualität (z. B. Freundschaften) benötigen, um sich entwickeln zu k önnen, ein M indestmaß a n zei tlicher Kontinuität im Kontakt mit den Personen, zu denen dies e B eziehungen en tstehen s ollen. Eine Kontinuität der B etreuung ist s eit den f rühen Ergebnissen v on René S pitz (1945) zum H ospitalismus-Syndrom b ei K indern, die eine s olche nic ht erleben k onnten, als una bdingbar no twendig f ür eine psychisch gesunde, altersgemäße Entwicklung des Kindes bekannt. Die K ontinuität der U mgebung f ür das K ind tritt daher dem gegenüber in einem f rühen L ebensalter in ihr er B edeutung f ür s eine En twicklung zurück gegenüber der Aufrechterhaltung von Bedingungen, in denen eine K ontinuität der B etreuung g ewährleistet ist. W enn das K ind spä ter seinen Aktionsradius üb er die F amilie und einig e freundschaftliche B eziehungen hina us er weitert hat und erst recht, wenn die allmähliche Ablösung aus f rühen A bhängigkeiten als En twicklungsaufgabe a nsteht, ka nn die U mgebungskontinuität a n Bedeutung f ür das sub jektive Wohlbefinden und das ob jektive Wohl des K indes zunehmen. N ach
einer T rennung der E ltern k önnen die v ertraute Umgebung und die a ußerfamiliären Ein bindungen (z. B. S chule, F reundeskreis, A usübung eines Hobbies) ein hohes Maß an Stabilität bieten und so zur emo tionalen S icherheit des K indes b eitragen, trotz der B elastung, die es d urch den Verlust eines Elternteils erlebt. Wird in einer fa miliengerichtlichen A useinandersetzung eine r ichterliche Entscheidung über die Belange des Kindes notwendig, so soll auch der wirkliche Kindeswille als K riterium eine wic htige Rolle spielen. Ausgangspunkt für diese Forderung ist die B etrachtungsweise des K indes als S ubjekt innerhalb des Trennungsprozesses der Eltern, dessen sp ezifische S ichtweise in die En tscheidung einbezogen w erden s oll. P sychologisch g esehen kann als Grundlage dafür angesehen werden, dass sich im W illen des K indes, den es a uf v erschiedenen V erhaltensebenen k undtun ka nn, die Ar t seiner B indungen ä ußert: Unter dies er Annahme würde das K ind sich f ür diejenigen B edingungen entscheiden, v on denen es a ufgrund s einer b isherigen Er fahrungen er wartet, dass dies e s eine elementaren B edürfnisse a m ehest en b efriedigen werden. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Kind in s einen P räferenzen nic ht ein seitig (nega tiv) wertend b eeinflusst wur de. Die Erk undung des Kindeswillens darf hier jedoch nicht dahingehend missverstanden w erden, dass das K ind zu einer Entscheidung zwis chen V ater o der M utter a nimiert oder gar gezwungen werden dürfte: Ein solches Vorgehen wäre ethisch völlig indiskutabel. Da Kinder aufgrund ihrer existenziellen Abhängigkeit von der äußeren und emotionalen Fürsorge beider Elternteile i .d.R. b eide E lternteile lieb en, d ürfen sie nic ht dazu a ngehalten w erden, sic h f ür einen Elternteil zu en tscheiden: Dies wür de implizit die Entscheidung g egen den a nderen E lternteil b edeuten. D em Kind auf dies em Weg die En tscheidung über seine zukünftigen Lebensbedingungen zu überlassen, wäre darüber hinaus auch insofern nicht zu v erantworten, als das K ind die F olgen, die eine bestimmte Wahl für seine zukünftige Entwicklung haben kann, no ch nic ht üb erblickt und insofern nic ht b eurteilen ka nn, was ihm n ützen bzw. was ihm schaden wird. Auf der a nderen S eite d ürfte es, zumal b ei älteren K indern o der J ugendlichen, w enig er folg-
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
reich s ein, ihr en L ebensmittelpunkt b ei dem jenigen E lternteil zu b estimmen, den das K ind als Erziehungsperson v öllig a blehnt: Erzieh ung ka nn nur dann erfolgreich sein, wenn das Kind erzieherischen Einflüssen gegenüber offen ist; eine dera rtige Erziehungswilligkeit des K indes oder Jugendlichen muss die Erziehungsfähigkeit der jeweiligen Erziehungsperson(en) er gänzen (E ll 1990, S. 41). Anderenfalls ist ein S cheitern aller Erzieh ungsbemühungen v orprogrammiert und da mit a uch die Chance zum A ufbau o der der A ufrechterhaltung einer p ositiven B eziehung zu den E ltern b zw. zu mindestens einem E lternteil v ertan. B ei äl teren Kindern und Jugendlichen kann dies bis hin zu einer erheblichen (S elbst-) Gefährdung durch Weglaufen o . ä. und da mit zu einer G efährdung des Kindeswohls f ühren: »es gib t ... k ein K indeswohl gegen den Kindeswillen« (Ell 1990, S. 59). Um als o a uch dera rtige F ehlzuordnungen zu vermeiden, ist es no twendig, die V orstellungen und Bedürfnisse des Kindes, um das die Eltern sich streiten, und deren psychologische Grundlagen zu erkunden. Dies b ezieht sic h a uch a uf F ragen der Gestaltung des Umgangsrechts des nicht-betreuenden Elternteils. Als w eiterer Anhal tspunkt a uf dem W eg zur Verwirklichung des K indeswohls wir d ein B ündel v on Verhaltensweisen, Motiven, Ein stellungen und Emo tionen v on E ltern g enannt, das hä ufig unter den Begriffen der Elterlichkeit oder auch Erziehungsfähigkeit/ F örderungskompetenz zus ammengefasst wir d. Dies e vielfäl tigen Er wartungen an v erantwortliche E ltern st ehen nac h der K indschaftsrechtsreform im V ordergrund der Üb erlegungen dazu, wie das K indeswohl trotz der T rennung der Eltern am besten gewahrt bzw. hergestellt werden kann. Dieser Anspruch an den Sachverständigen wird unter dem S tichwort der I nterventionsdiagnostik behandelt (s. dazu z. B. S chade u . F riedrich 1998; ähnlich Ro hmann 1998, 2000; Salzg eber 1998; Balloff 1994). H ierzu sei (erneut) angemerkt, dass jede F orm der syst ematischen Diagnostik b ereits eine F orm der I ntervention da rstellt. Dur ch die Systematik bei der Er fassung der sub jektiven Problemdarstellungen wie a uch der syst ematischen Beobachtung der Konfliktäußerungen und der Beziehungen der Beteiligten werden neue, veränderte
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und v erändernde B edingungen f ür die Ref lexionen der B eteiligten, für ihre Kommunikation und ihre I nteraktionen g esetzt. Es k ommt ga r nic ht so s elten v or, dass die N achfrage in der Exp loration nac h einer b estimmten H andlung, einem Gefühl o der einem G edanken b ei einem b eteiligten F amilienmitglied eine diesb ezügliche erhö hte Aufmerksamkeit oder, zumindest punktuell, einen Perspektivwechsel in Ga ng setzt. In einigen Fällen kann dies dazu f ühren, dass ein E lternteil einlenkt und es do ch no ch zu einem üb ereinstimmenden Vorschlag der Eltern kommt. Das Gutachten würde dann durch einen Bericht über diesen Vorschlag an das Gericht abgeschlossen. Im oben genannten Konzept ist der Begriff der Intervention jedo ch umfass ender g emeint: Diagnostisch g eprüft w erden – im H inblick a uf eine mögliche V erwirklichung v on K indeswohl – die Kooperationsfähigkeit der E ltern, ihr e diesb ezügliche Lernfähigkeit und ihr e Lernbereitschaft, bisherige Einstellungen, Meinungen und V erhaltensweisen, vor allem gegenüber dem früheren Partner, aber auch u. U. gegenüber dem Kind, zu verändern. Im neuen K indschaftsrecht wur de n unmehr die gesetzliche G rundlage da für g eschaffen, dass der Gutachter a uch exp lizit b eauftragt w erden ka nn, die Eltern in ihr er Lernbereitschaft und K ooperationsfähigkeit im Sinne des Kindeswohls zu unterstützen. D azu ka nn er mi t g eeigneten M ethoden ihre Fähigkeit zu konstruktivem Konfliktverhalten, ihre Kooperationsfähigkeit und ihre Kooperationsbereitschaft ak tivieren und mi t den E ltern nac h Konsensmöglichkeiten suc hen. V ermittlungsversuche s owie Anlei tungen und S tützung v on k onkreten, v on den E ltern s elbst un ternommenen Veränderungsschritten k önnen n un exp lizit a uch als G utachtenauftrag f ormuliert w erden, das V erfahren ka nn g gf. b is zur Er reichung b estimmter Ziele in b egrenzter Z eit a usgesetzt w erden. B ei dieser Aufgabe ka nn der G utachter sic h v erschiedener Techniken z. B. aus der Familientherapie, der Mediation oder aus dem Kommunikationstraining bedienen. Damit kann er – in w esentlich höherem Maße als b isher – syst ematisch konkrete Veränderungsschritte in Ga ng s etzen, sie a uf ihr en Er folg hin überprüfen und, falls notwendig, entsprechend modifizieren. Diese Schritte können jeweils durch den Gutachter diagnostisch begleitet und prognos-
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
tisch im Hinblick auf eine Verbesserung der Bedingungen für das Kindeswohl bewertet werden. Hier zeigt sic h, dass das in dies em B uch v orgestellte Modell der en tscheidungsorientierten Diagnostik als rekursives Begutachtungsmodell auch den nun-
mehr er weiterten Anf orderungen einer I nterventionsdiagnostik entspricht (W esthoff et al . 2000; Balloff 1998; Rohmann 1998, 2000). Im f olgenden B eispielgutachten w erden die hier dargestellten Aspekte mit einbezogen.
21.1.2 Gutach ten Titelblatt
Inhalt S
(Briefkopf des Sachverständigen)
I. Fragestellung des Amtsgerichts H. II. P sychologische Fragen III. Aktenauszug unter psychologischen Gesichtspunkten IV. Unt ersuchungsmethoden V. Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen 1. Ank nüpfungstatsachen 2. Psychodiagnostische Gespräche mit beiden Elternteilen 2.1 Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Herrn V. 2.2 Psychodiagnostische Einzelgespräch mit Frau V. 3. Diagnostik mit Kristina V. 3.1 Psychodiagnostischer Erstkontakt in der Wohnung von Frau V. 3.2 Interaktionsbeobachtung von Kristina mit ihrer Mutter in der Praxis 3.3 Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Kristina V. 3.4 Ergebnisse des Family Relations Test (FRT) mit Kristina 4. I nformatorische Gespräche 4.1 Mit Frau T., der jetzigen Ehefrau des Vaters von Kristina 4.2 Mit Frau G. (Jugendamt), incl. Berichte über den begleiteten Umgang VI. P sychologischer Befund 1. Kristinas Bindungen und emotionale Beziehungen zur Mutter 2. Erziehungsverhalten und Bindungstoleranz von Frau V. 3. Kristinas Bindungen und emotionale Beziehungen zum Vater 4. Erziehungsverhalten und Bindungstoleranz von Herrn V. 5. K indeswille 6. Kristinas Beziehungen zu weiteren wichtigen Bezugspersonen 6.1 Zur zweiten Ehefrau von Herrn V. und deren Kindern 6.2 Zu Familienangehörigen der Mutter 7. Entwicklungschancen Kristinas unter den verschiedenen Lebensbedingungen 7.1 Im Haushalt der Mutter 7.2 Im Haushalt des Vaters VII. Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung VIII. Im Gutachten verwendete Literatur
Psychologisches Gutachten in der Familiensache V. /. V. Az xx F yy/00 beim Amtsgericht H. B., den xx 09. 2004
eite
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
Im folgenden Beispielgutachten werden die einzelnen Entscheidungsschritte über den gesamten Prozess der Begutachtung hinweg deutlich gemacht. Die entsprechenden Überlegungen und Kommentare sind kursiv gedruckt. Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts H. (Familiengericht) v om T T.09.2003 er statte ic h in der Familiensache V. / V. das folgende psychologische Gutachten. Informationen zu den beteiligten Personen
Diese kurzen Informationen sollen zur Orientierung des Gutachtenlesers dienen, und ihm vorstellen, um welche P ersonen e s i m G utachten i n ers ter L inie geht; i m s päteren Verlauf k önnen h ier wei tere, f ür die Beteiligten psychologische bedeutsame Personen hinzukommen. (aus den G erichtsakten b eim Amtsgericht H., F amiliengericht, Az xx F y y/03):Vater: Herr V. Wohnung: (Anschrift in K.) Mutter: Frau V. (Anschrift in K., anderer Ortsteil als der Vater) Kind: Kristina V., geb. TT.06.1997 wohnhaft bei ihrer Mutter
I. Fragestellung des Amtsgerichts H. Die Fragestellungen des Amtsgerichts an die Sachverständige lauten: Es »s oll ein kinder psychologisches G utachten zu folgenden Fragen eingeholt werden: 1. Entspricht es dem W ohle des K indes Kristina, die d urch g erichtliche g enehmigte V ereinbarung der E ltern v om T T.MM.2002 (B l. zzz.) geregelten U mgangskontakte des K indes mi t dem Antragsteller auszusetzen; bejahendenfalls für welche Dauer? 2. Ist zu er warten, dass die A ufhebung der g emeinsamen el terlichen S orge f ür das K ind Kristina und die Üb ertragung der el terlichen Sorge auf den An tragsteller allein dem W ohle des K indes a m b esten en tspricht: I st in sbesondere der An tragsteller g eeigneter, die Er ziehung des K indes sicherzustellen, und s ollte Kristina auf längere Sicht ihren L ebensmittelpunkt im Haushalt des Antragstellers haben?« (Bl. zzz.)
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Diese g erichtliche F ragestellung z eigt d eutlich di e Maximen, d ie bei f amiliengerichtlichen E ntscheidungen zu m U mgangs- u nd S orgerecht sei t der Kindschaftsrechtsreform explizit gelten sollen: ▬ Kontakte zw ischen dem El ternteil, bei dem e s nicht le bt, u nd sei nem K ind d ienen i.d.R . dem Kindeswohl; sie sind daher nur dann – und i.d.R. auch n ur f ür ei ne bef ristete D auer – a uszusetzen, wenn solche Kontakte dem Kind ausdrücklich schaden, ▬ das gem einsame S orgerecht beider El tern n ach der Trennung so ll n ach M öglichkeit a ufrechterhalten bleiben, da dies dem Kindeswohl i.d.R. am besten dient. Nur bei Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes und beim Risiko einer Schädigung darf das »s taatliche Wächteramt« in der Person de s F amilienrichters h ier ei ngreifen u nd z. B. ei nem El ternteil a llein d ie e lterliche S orge übertragen. D er R ichter h at bei S treitigkeiten zwischen den Eltern über den ständigen Wohnort des Kindes (Lebensmittelpunkt) auch über diesen zu entscheiden (Aufenthaltsbestimmungsrecht als Teilbereich der elterlichen Sorge). Für den p sychologischen G utachter en thalten d iese gerichtlichen F ragestellungen zwei p roblematische Anforderungen: Psychologische K riterien dazu, n ach we lchem Zeitraum Vater-Kind-Kontakte, die vorher womöglich als kindeswohlschädlich angesehen wurden und dies ev tl. n icht m ehr s ind, g ibt e s n icht: A ufgrund psychologischer E rkenntnisse k önnen le diglich Bedingungen aufgezeigt werden, die sich ändern müssen, da mit ei ne (wei tere) S chädigung d urch das Fehlen von Kontakten nicht mehr wahrscheinlich ist (s. dazu Kindler 2007). Der W ortlaut d er F ragestellung v erlangt d arüber h inaus vo m G utachter, A ussagen da rüber zu machen, welche Regelung der elterlichen Sorge »dem Wohle des Kindes am besten entspricht«: Der Richter zitiert hierbei Fragestellung den einschlägigen Gesetzestext § 1671 BGB (59. Aufl., 2007): »(1) Le ben El tern, den en d ie e lterliche S orge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so k ann je der El ternteil be antragen, das s ih m das Familiengericht d ie e lterliche S orge oder ei nen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt. (2) Dem Antrag ist stattzugeben, soweit
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
1. ………… 2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. (3) ……«. Streng gen ommen is t ei ne so lche F rage log isch korrekt g rundsätzlich n icht zu be antworten, da auch bei der V erwirklichung se hr g uter Le bens-, Erziehungs- un d B etreuungsbedingungen i mmer noch bessere denkbar sind. Darüber hinaus müssen Voraussagen ü ber d ie zuk ünftige E ntwicklung v on Kindern immer unter Unsicherheitsbedingungen getroffen werden, da v iele D eterminanten dieser Entwicklung unb ekannt bl eiben mü ssen. Es k ann a lso bei der Bearbeitung dieser Fragestellung nur um eine Annäherung an das Besten-Ideal zur Verwirklichung von Kriterien des Kindeswohls gehen. Aufgrund d ieser Pr obleme der so f ormulierten F ragestellung des Gerichts zeigt sich an diesem Punkt im Prozess der Begutachtung die Notwendigkeit, dass der Gutachter explizit über die Annahme oder die Ablehnung de s A uftrags en tscheiden m uss: Oh ne wei tere Rücksprache mit dem auftraggebenden Richter müsste er die Bearbeitung der Fragestellung als »mit psychologischen M itteln n icht be antwortbar« a blehnen. E r kann aber auch diese Probleme dem Richter mitteilen; dieser ka nn s eine F ragen dann s o u mformulieren, dass seine Zielsetzung erhalten bleibt und gleichzeitig eine sachverständige Beantwortung aufgrund psychologisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse möglich wird. Möglicherweise möchte der Richter aber auch bei seiner Formulierung bleiben, weil er s ich durch das Zitieren de s Ge setzestextes s icher f ühlt, a us j uristischer S icht ei ne f ehlerfreie F rage ge stellt zu h aben. Häufig er gibt s ich bei R ückfragen, das s der R ichter seine Ziele durch die vom Gutachter vorgeschlagenen Psychologischen Fragen vertreten sieht.
II. P sychologische Fragen Aus der F ragestellung des G erichts wur den f olgende psychologisch-diagnostische Fragen (= H ypothesen) abgeleitet: Zunächst k önnen a us der ger ichtlichen F ragestellung, auch ohne nähere Kenntnis der Besonderheiten der F allakten (a ls A -priori-Informationen), ei nige grundlegende Hypothesen abgeleitet werden, welche sich a uf d ie wei ter o ben da rgestellten a llgemeinen
Kindeswohlkriterien beziehen und die bei derartigen familienrechtlichen Fragestellungen immer zu prüfen sind: Kriterien: Bindungen und Be ziehungen de s Kindes, Betreuungskontinuität 1. Welcher Ar t sind die B indung (i. S. v . B owlby 1982; s. b ei S pangler u . Z immermann 2004) und die sonstigen Beziehungen von Kristina zu Herrn V.? Wie ha ben sic h dies e B indung und diese Beziehungen bis heute entwickelt? 2. Welcher Ar t sind die B indung und die s onstigen Beziehungen von Kristina zu ihrer Mutter? Wie haben sich diese Bindung und diese Beziehungen bis heute entwickelt? 3. Gibt es w eitere Personen, die f ür Kristinas Erleben wichtig sind? Welche Rolle spielen diese für Kristina? Kriterien: F örderung, U mgebungskontinuität, E ntwicklungsstand des Kindes 4. Wie haben beide Eltern bisher ihre Erziehungsaufgaben er füllt (gemeinsam und jeder in s einem B ereich)? W ie zeig en b eide E ltern ihr e elterliche Erzieh ungsbereitschaft s owie ihr e Erziehungs- und Förderungskompetenz gegenüber Kristina? 5. Wie stellt sich die M utter/der Vater die w eitere Betreuung und Erziehung von Kristina vor? (subjektiv wahrgenommene Erziehungsfähigkeit) 6. Welche k örperlichen, g eistigen, psy chischen und s ozialen En twicklungsmöglichkeiten sind für K ristina un ter den je weils v erschiedenen Lebensbedingungen (b ei der M utter mi t b zw. ohne K ontakte zum V ater/beim Vater) zu er warten? (durch den Gutachter beurteilbare Erziehungsfähigkeit) Kriterium: Wille des Kindes Zum Sorgerecht, zum zukünftigen Lebensmittelpunkt: 7. Wie st ellt sic h K ristina ihr zuk ünftiges L eben vor? (Umgebung, Personen, passive Erziehungsbereitschaft)
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
Zu einer Umgangsregelung: 8. Wie und un ter w elchen B edingungen s ollen nach Kristinas Wunsch zukünftig Kontakte zu ihrem Vater stattfinden? Ressourcen der El tern zu r Verwirklichung de s Kindeswohls: Bindungstoleranz: 9. Welches sind die V orstellungen des Vaters/der Mutter in B ezug a uf die w eitere En twicklung der Beziehung von Kristina zum je weils anderen Elternteil? Änderungsbereitschaft, Änderungsfähigkeit: 10. Über welche Fähigkeit und Bereitschaft zur Lösung von Problemen und K onflikten in B ezug auf den Umgang mit dem früheren Partner und in Bezug auf das K ind Kristina verfügen beide Elternteile? 11. Welche F ähigkeit und B ereitschaft zur K ommunikation, zur Kooperation und zu Kompromissen zum W ohl ihr er Tochter zeig en b eide Elternteile von Kristina? 12. Welche Ar t v on H ilfen k önnten zu einer V erbesserung der elterlichen Kommunikation, der Konfliktlösungsfähigkeit s owie der K ooperationsfähigkeit der E ltern im S inne des K indes beitragen? Bevor n un d ie U ntersuchungsstrategie f ür den vo rliegenden Beis pielfall en twickelt w ird, so llen d ie Ergebnisse der A ktenanalyse u nter p sychologischen Gesichtspunkten dargestellt werden. Die dort vorhandenen Informationen können in mehrfacher Hinsicht für die weitere Fallbearbeitung nützlich sein: ▬ Es kann sich zeigen, dass weitere, völlig neue Hypothesen notwendig werden oder dass die vorher formulierten a llgemeinen H ypothesen d ifferenziert werden müssen. ▬ Bei d er nachfolg enden U ntersuchungsplanung können Doppeluntersuchungen, d. h. so lche, die keinen I nformationszuwachs er warten lass en, vermieden w erden ( Anwendung d er Er gebnisse vorhergehender U ntersuchungen zu der F ragestellung einer A-priori-Strategie, s. Kap. 8). ▬ Die bereits vorhandenen Informationen können später als Grundlage für einen späteren Vergleich
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mit den vo m G utachter n eu er hobenen D aten verglichen werden. So können z. B. Entwicklungen und Veränderungen der Beteiligten zwischen zwei verschiedenen Zeitpunkten aufgezeigt werden, u nterschiedliche B lickwinkel versc hiedener Beurteiler können deutlich werden, oder es können sich (un/auflösbare) Widersprüche ergeben.
III. Aktenauszug unter psychologischen Gesichtspunkten (Anknüpfungstatsachen aus Az xx F yy/03 sowie Az xx F y y/00) Der Aktenauszug w ird hier in chronologischer Reihenfolge dargestellt, damit die Beziehungs- und Konfliktentwicklung nachvollzogen werden kann. Wie bereits angedeutet ging der hier vorliegenden Sorgerechtsstreitigkeit ei n U mgangsrechtsverfahren voraus. F ür di e v orliegende F ragestellung r elevante Auszüge aus diesem Verfahren werden im Folgenden ebenfalls unter psychologischen Gesichtspunkten an der passenden Stelle zusammengefasst. Herr und F rau V. heira teten a m xx.05.1997. Ihr e gemeinsame Tochter K ristina ka m a m 09.06.1997 zur W elt. Am xx.04.2000 tr ennte sic h das P aar, die S cheidung wurde am xx.08.2002 r echtskräftig. Kristina lebte nach der Trennung bei ihrer Mutter. Das g emeinsame S orgerecht wur de b eibehalten. Probleme b zgl. der U mgangsregelung s eien v on Anfang an aufgetreten (s. u., Az xx F y y/00). Am xx.04.2003 b eantragte H err V ., v ertreten durch F rau Rec htsanwältin R ., das alleinig e S orgerecht f ür s eine Tochter K ristina. Er b egründete seinen Antrag damit, dass s eine frühere Frau trotz gemeinsamer Vereinbarung im Umgangsrechtsverfahren die Kontakte zwischen Vater und Tochter behindere. Sie sei »nicht in der L age, die gemeinsame elterliche S orge üb er K ristina g ewissenhaft a uszuüben« und sie sei »nicht erziehungsfähig«. Als Beleg führte er vier T ermine an, an denen K ristina ohne oder mi t zw eifelhaften B egründungen v on s einer Frau nicht zu den Umgangskontakten gelassen worden s ei. S eine An gaben hin sichtlich der ma ngelnden Kooperationsbereitschaft seiner Frau und ihrer Unfähigkeit, die B eziehung zwis chen V ater und Tochter zu fördern, stützte Herr V. durch Angaben des Jugendamtes und d urch das Sac hverständigengutachten, das im U mgangsrechtsverfahren d urch
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Frau Dr. A. er stellt worden war (B l. 1-7, vg l. auch Bl. 38). Z udem f ührte Herr V. innerhalb des U mgangsrechtsverfahrens am xx.05.2003 an, dass seine Tochter sic h nic ht v on ihm v erabschieden k önne, wenn er sie nac h Hause bringe, weil sie An gst vor ihrer Mutter habe. Frau V. sage ihrer Tochter, dass ihr Vater wertlos sei und fordere das Mädchen auf, alle Fotos von ihm zu zer schneiden. D arüber hinaus müsse Kristina ihren Angaben nach seine Geschenke vor der Mutter verstecken und er dürfe sie nicht im K indergarten besuchen kommen. Herr V. betonte, dass er es f ür wenig entwicklungsfördernd halte, wenn Frau V. ihre 6-jährige Tochter »ständig« auf dem Arm trage (Bl. 152-160). Hinsichtlich s einer eig enen, derzei tigen L ebensbedingungen gab Herr V. an, dass er mit seiner langjährigen L ebensgefährtin, Frau T., deren zw ei Töchtern (9 und 12 J ahre) und ihr em g emeinsamen Sohn (15 Monate) zusammenlebe. Kristina sei gern bei ihm und ha be »guten Kontakt« zu s einer Lebensgefährtin, die für die tägliche Betreuung des Kindes währ end s einer Arb eitszeit s orgen w olle. Seit dem xx.06.2003 ha be er zudem eine gr ößere Wohnung (5 Z immer, in sgesamt 106,21 qm) g emietet, die a uch rä umlich g enügend Pla tz f ür ein weiteres Kind biete (Bl. 3, 5). In einem S chriftsatz v om xx.08.2003 v erwies Herr V. zudem darauf, dass nicht Kristina sich weigere, ihren Vater zu besuchen, sondern Frau V. dies unterbinde, indem sie ihr erseits das K ind un ter Druck setze. Seine Tochter sage ihm beispielsweise, dass es ein G eheimnis b leiben m üsse, dass es ihr beim Vater so gut gefalle. Der Mutter sage sie, dass es b eim P apa nic ht s chön g ewesen s ei (B l. 36-38, vgl. Bl. 45). Während der Sitzung des Amtsgerichts H. vom xx.08.2003 b estärkte Herr V. s eine S icht der S ituation, indem er zus ätzlich a nführte, dass K ristina immer gern über Nacht bei ihm geblieben sei, dass er sie aber bei der Übergabe in Gegenwart der Mutter nicht mehr habe anfassen dürfen. Im Gespräch mit dem G ericht wa r H err V. zunäc hst nic ht zu gemeinsamen Erziehungsberatungsgesprächen mit seiner Ex-F rau b ereit, nac h k urzer Z eit lenk te er jedoch ein (Bl. 45, 47-48). Frau V. b eantragte a m xx.06.2003 d urch ihr en Anwalt, H errn D., die Z urückweisung des An trags vom xx.04.2003. Als B egründung führte Frau V. an,
dass die U mgangskontakte nic ht dem K indeswohl entsprächen und dass der V ater nic ht im S inne des K indeswohls ha ndele, w enn er K ristina d urch »psychischen Druck« zum Umgang zwinge. Vor den Besuchskontakten habe Kristina »panische Angstanfälle« bekommen, sie werde »hysterisch und aggressiv« und ha be sich geweigert, zum V ater zu g ehen. Auch im K indergarten ha be ma n b emerkt, dass Kristina erhebliche Schwierigkeiten habe, seit sie zu den Üb ernachtungsbesuchen b eim V ater g ezwungen werde. Als Beleg führte Frau V. einen Bericht des Kindergartens an, aus dem hervorgeht, dass Kristina im ersten Halbjahr 2003 »Entwicklungsrückschritte« gemacht habe (Bl. 22, vgl. S. 5). Trotz dieser Reaktionen habe Frau V. immer v ersucht, p ositiv auf das Kind einzu wirken, do ch K ristina w olle b ei ihr er Mutter bleiben und a uch bei ihrer Mutter wohnen. Frau V . st ellte da rüber hina us die gu ten s ozialen Beziehungen und die a ngeblich gu ten rä umlichen Bedingungen bei Herrn V. infrage (Bl. 19-21). In der S itzung des Am tsgerichts H. v om xx.08.2003 betonte Frau V., dass erst mit den Übernachtungsbesuchen die P robleme b ei Kristina angefangen hätten und dass sie nic ht gewillt sei, das Kind zum U mgang mi t dem V ater zu zwin gen. Grundsätzlich sei sie jedo ch bereit, bei einer p ositiven G estaltung der U mgangskontakte mi tzuwirken. G efragt nac h der U msetzung der d urch die Sachverständige F rau Dr . A. im G utachten v om xx.11.2001 a ngeregten t herapeutischen M aßnahmen, erklärte Frau V., dass sie sich und ihre Tochter bei mehreren Einrichtungen vorgestellt habe. Dort sei sie wiederho lt da rauf v erwiesen w orden, dass auch Herr V. seine Zustimmung zu einer Thera pie geben müsse (Bl. 42-46). Das Jugendamt des Kreises M., vertreten durch Frau G., betonte in der Sitzung des Amtsgerichts H. vom xx.08.2003, dass Frau V. – trotz ihrer Aussage, dass er st die Üb ernachtungsbesuche b ei K ristina zu Verhaltensauffälligkeiten geführt hätten – nic ht bereit g ewesen s ei, B esuche o hne Üb ernachtung zuzulassen. I nnerhalb der G espräche mi t dem J ugendamt habe sie den Eindr uck vermittelt, dass sie nicht an einer Einigung interessiert sei. Frau G. war außerdem überzeugt, dass die Ablehnung Kristinas gegenüber ihrem Vater letztlich den Willen der Mutter und der en H altung g egenüber dem K ind a usdrücke. Sie betonte, dass es in jedem Fall die Pflicht
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
der sorgeberechtigten Mutter sei, Umgangskontakte zu gestalten (Bl. 42-46). Abschließend unterbreitete sie Frau V. und dem Gericht das Angebot, Frau V. in eine Erziehungsberatung zu integrieren, wenn diese einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung stelle. Frau V. erklärte sich damit einverstanden (Bl. 45-46). Frau J ., die V erfahrenspflegerin, b erichtete in derselben S itzung des Am tsgerichts, dass K ristina ihr gegenüber mitgeteilt habe, dass sie nic ht mehr zum V ater w olle. B egründet ha be das M ädchen diesen Wunsch nicht (Bl. 43-44). Im ihr em B eschluss v om xx.09.2003 v erfügte Frau Ric hterin C. zum einen die Einho lung eines psy chologischen Sac hverständigengutachtens hinsichtlich der S orge- und U mgangsrechtsfragestellung und zum a nderen die W iederaufnahme wöchentlicher b egleiteter U mgangskontakte im evangelischen V erein f ür J ugend- und F amilienhilfe e.V. (Bl. 52). Im U mgangsrechtsverfahren b eantragte H err V. am xx.09.2000 14-t ägige Umgangskontakte mit seiner Tochter K ristina s owie F erien- und F eiertagsaufenthalte. Als B egründung f ührte der V ater an, dass die a ußergerichtlichen B emühungen zur Regelung des Umgangsrechts gescheitert seien und dass H err V . K ristina s eit s einem A uszug nic ht mehr bei sich gehabt habe (Bl. 1-2). Er habe damals eingewilligt, sic h s echs Wochen nic ht zu melden, damit Frau V. Kristina die Trennung der Eltern erklären könne. Nach Ablauf dieser Frist habe seine Frau jedoch die Herausgabe des Kindes »als Strafe« verweigert (B l. 1-2, B l. 32). A uch in der S itzung vom xx.07.2001 führte Herrn V. an, dass seine Frau nicht n ur T elefonate zum G eburtstag nic ht a nnehme, s ondern a uch die G eschenke f ür K ristina im Vorjahr zurückgegeben habe. Seinen Vorschlag, ihr ein H andy für Kristina zur Verfügung zu st ellen, lehnte Frau V. ab (Bl. 31, 32). H insichtlich des Problems des Einnäss ens s einer T ochter v erwies Herr V. in einem S chriftsatz v om xx.05.2001 a uf die b ehandelnde K inderärztin. Dies e ha be ihm mitgeteilt, dass das Einnäss en v on K ristina nic ht auf seine Person zurückzuführen sei (Bl. 19). Frau V. b eantragte a m xx.09.2000 die Z urückweisung des vä terlichen An trags a uf Reg elung des Umgangsrechts und begründete dies mit dem bisher fehlenden Interesse des Vaters an seiner Tochter; er habe sich nach der Trennung nicht gekümmert und
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auch innerhalb der Ehe habe er mit Kristina »nichts anzufangen g ewusst«. Er üb e n ur Dr uck a uf das Kind aus, anstatt auf dessen Interessen Rücksicht zu nehmen und s ehe in der F orderung des U mgangsrechts eine M öglichkeit, F rau V. zu s chikanieren. Außerdem b etonte sie , dass sic h der K ontakt zwischen ihr und ihr em E hemann »a ußerordentlich schwierig, um nic ht zu s agen unmög lich« g estalte (Bl. 4-6). Innerhalb der Sitzung vom xx.07.2001 betonte Frau V. außerdem, dass sie k eine Notwendigkeit darin sehe, ihrem früheren Ehemann ihre neue Adresse mitzuteilen (Bl. 31). Als weiteres Argument führte Frau V. an, dass ihre Tochter wieder einnässe. Um ein al tersbedingtes P roblem ha ndele es sic h dabei jedoch nicht, sondern vielmehr um die F olge der Vater-Kind-Interaktionen (Bl. 4-6, vgl. Bl. 17, Bl. 30-31 »Was ist K ristina, wenn Du zum V ater mußt ...« (...) da nn s age sie , dass sie »da nn in die H ose mache«). In einem S chreiben vom xx.06.2001 f ügte Frau V . S chlafstörungen v on K ristina als w eitere Verhaltensauffälligkeit inf olge der B esuchskontakte hinzu. Die Mutter gab zudem an, dass der problemlose A blauf der b egleiteten U mgangskontakte a usschließlich a uf ihr e Anwesenheit im N achbarraum zurückzuführen sei. Von sich aus frage das Kind nie nach seinem Vater oder nach Besuchen (Bl. 23-26). Am xx.03.2001 b eantragte F rau V. die S cheidung und die alleinige elterliche Sorge für Kristina. Sie s ah sic h s elbst als einzig e V ertrauensperson ihrer T ochter, sp rach v on einer »En tfremdungssituation« in der V ater-Kind-Beziehung und wies außerdem auf die mangelnde Konsensfähigkeit auf der Paarebene hin (Bl. 47). Herr V. stellte seinerseits am xx.03.2001 einen An trag a uf E hescheidung, sprach sich jedoch für den Erhalt des gemeinsamen Sorgerechts aus. Aus einem Schreiben des Kreisjugendamtes M. vom xx.01.2001 g eht her vor, dass b eide E ltern probeweise mi t einem b etreuten U mgang ein verstanden seien (Bl. 15). Einem weiteren Bericht vom xx.04.2001 ist zu en tnehmen, dass dr ei K ontakte stattgefunden hätten und dass dies e nahezu p roblemlos verlaufen seien (Bl. 16-17). Innerhalb der Sitzung vom xx.07.2001 ergänzte Frau S., die die K ontakte begleitet hatte, dass Kristina beim ersten Kontakt etwas zur ückhaltend gewesen s ei, sich jedo ch bald a uf ein S piel mit dem Vater ha be einlass en k önnen. D er zw eite Kontakt
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habe zunäc hst mi t einer v erbalen V erweigerung des K indes b egonnen, als H err V. ihr jedo ch die Jacke ausgezogen habe, habe sie, ohne den Kontakt zur Mutter zu suc hen, mit dem Vater gespielt. Bei dem abschließenden Elterngespräch am xx.04.2001 sei Kristina aus eigenem Antrieb zum Vater gegangen und habe sich auf dessen Schoß gesetzt. Frau V. sei es sic htlich s chwer gefallen, den K ontakt ihrer Tochter zum Vater zuzulassen (Bl. 30, vg l. Bl. 17). Innerhalb des J ugendamtsberichts wur de zudem darauf v erwiesen, dass F rau V. das G espräch v orzeitig abgebrochen habe (Bl. 16-17). Nach Anhörung aller P arteien, des J ugendamtes und des K indesschutzbundes wur de im Anschluss a n die S itzung des F amiliengerichts v om xx.07.2001 die Einho lung eines Sac hverständigengutachtens beschlossen. Zudem wurde vereinbart, weiterhin b egleitete B esuchskontakte durchzuführen (Bl. 34). Das am xx.11.2001 vorliegende Gutachten kam zu der Auffassung, dass Besuchskontakte zwischen Kristina und ihrem Vater sich nicht nur positiv auf das K indeswohl a uswirkten, s ondern zur psy chischen Stabilisierung des Kindes unerlässlich seien. Frau Dr. A. wies da rauf hin, dass die V ater-KindBindung tragfähig sei, während sich zwischen Mutter und T ochter ein un sicher-ambivalentes B indungsverhalten zeig e. Die Sac hverständige f ührte dies in er ster L inie a uf die S chwankungen im psychischen Wohlbefinden und da mit v erbunden auch im Erzieh ungsverhalten der M utter zur ück. Sie empfahl daher nicht nur Erziehungsberatungsgespräche, sondern auch eine therapeutische Intervention für Frau V.. Ihrer Ansicht nach richte sich Kristina a ufgrund dies er Erzieh ungserfahrungen ganz stark nach den Wünschen der Mutter, sodass sich im Verhalten von Kristina in er ster Linie der mütterliche W ille wider spiegele (B l. 43-81, in sb. Bl. 52-55). Im An schluss a n die S itzung v om xx.05.2002 wurde a m xx.06.2002 zwis chen H errn und F rau V. unter Vermittlung des G erichts eine neue U mgangsregelung g etroffen, die es H errn V. a b dem xx.11.2002 er möglichen s ollte, s eine T ochter alle 14 Tage von samstags 10.00 Uhr bis sonntags 14.00 Uhr zu sic h zu nehmen. Dies e Reg elung s olle »langsam anlaufen«. Die Übergaben sollten (entgegen deren Wünschen: vgl. Bl. 137-138) b ei Frau V.
erfolgen. Außerdem einigt en sic h die P arteien im Falle einer Z uwiderhandlung a uf ein Z wangsgeld (Bl. 143-145). Am xx.04.2003 b eantragte H err V . die F estsetzung eines Z wangsgeldes g egen s eine Ex-F rau, weil dies e wiederho lt die B esuchswochenenden vereitelt habe. In einem S chreiben vom xx.05.2003 begründete er dies wie folgt: Zum Teil habe Frau V. Kristina kra nk g emeldet, zum T eil ha be sie g esagt oder das Kind sagen lassen, dass es nicht wolle, und manchmal ha be sie ihm die T ür ga r nic ht a ufgemacht. A ußerdem ga b er a n, dass K ristina mehr fach noch im S chlafanzug gewesen sei und dass er sie nicht gegen ihren Willen vom Arm der M utter gezogen ha be, s ondern K ristina f reiwillig zu ihm gekommen sei. Als sie einmal a ngefangen habe zu weinen, sei dies erst erfolgt, als ihre Mutter laut und »hysterisch« geschrieen habe (Bl. 146, 152-160). Frau V. entgegnete den An schuldigungen hinsichtlich der nic ht ein gehaltenen U mgangsregelung in einem S chriftsatz vom xx.05.2003, dass sie sich a b s ofort nic ht mehr v erpflichtet f ühle, ihr e Tochter zum Vater zu geben, da die B esuche nicht dem K indeswillen en tsprächen. K ristina w eigere sich b eharrlich, wenn sie zum V ater s olle. Zudem habe eine s chulärztliche U ntersuchung er geben, dass K ristinas Ein schulung um ein J ahr zur ückgestellt w erden s olle, obwohl die P rognosen no ch im D ezember 2002 p ositiv g ewesen s eien. F rau V. b erief sic h da bei auf Frau Dr. N., die K ristinas »Verhaltensweisen« auf die »Problemsituation« zurückführe (Bl. 147-149). Außerdem führte sie a m xx.06.2003 einen B ericht des Kindergartens an (Bl. 163-164). Aus dies em B ericht der K indertagesstätte S t. Anton g eht her vor, dass K ristina V. die Einr ichtung s eit dem xx.05.2001 b esuche. I n der Ein gewöhnungszeit ha be es hä ufig P robleme g egeben, da K ristina s ehr ag gressiv auf andere Er wachsene reagiert habe. Dies s ei aber zunehmend b esser geworden. Kristina sei ein in allen Bereichen – sozial, emotional, k ognitiv, sp rachlich und mo torisch – gut entwickeltes K ind. D er Kontakt zu M utter s ei stets lieb evoll. S eit Anfa ng 2003 hä tten mehr ere Erzieherinnen deutliche Entwicklungsrückschritte bei Kristina bemerkt. Sie habe sich zurückgezogen, habe wenig gelacht, habe Angebote abgelehnt und im Rollenspiel Streitszenen der Eltern imitiert. Ge-
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
meinsam mi t der M utter hä tten sic h die Erzieher daher darauf geeinigt, Kristina noch ein Jahr in den Kindergarten gehen zu lassen (Bl. 165-166). Bereits innerhalb dieses Verfahrens verwies der Rechtsbeistand des H errn V. wiederho lt a uf das Sorgerechtsverfahren (Az xx F yy/03), auf das oben bereits detailliert Bezug genommen wurde. Aus di esen Vorinformationen l assen si ch z usätzlich zu den o ben da rgestellten f olgende f allspezifische Psychologische Fragen ableiten: 13. Wie ka m es zu einem K ontaktabbruch zwischen Kristina und ihrem Vater? Diese F rage w ird h ier i m H ypothesenteil zu nächst nicht w eiter sp ezifiziert: In di esem f rühen Sta dium des Be gutachtungsprozesses m uss der B lick f ür a lle möglichen B edingungen f ür den K ontaktabbruch noch o ffen ge halten wer den, da mit d ie D atenerhebung im nächsten Schritt nicht von Vorabannahmen bestimmt w ird, zu den en da nn n ur n och so lche Informationen gesammelt werden, die geeignet sind, diese Annahmen zu u nterstützen (zu r Pr oblematik der Voreinstellung des Diagnostikers s. Kap. 15). So k önnen z. B. u ngünstige V erläufe vo n Über gabesituationen, das M iterleben vo n A useinandersetzungen zwischen den Eltern, eigene (möglicherweise negative) E rfahrungen K ristinas m it ih rem V ater bzw. i n sei ner U mgebung, u nangemessene F ormen oder Zei tplanung f ür Kontakte oder a uch m ögliche Einflüsse vo n Dr itten (u nd n icht n ur der M utter!) Bedingungsbündel s ein, di e z u e inem K ontaktabbruch geführt haben. 14. Zeigt K ristina (zum Z eitpunkt der B egutachtung) Verhaltensauffälligkeiten o der Auffälligkeiten in ihrer Entwicklung? Wenn ja: Welche? In welchem Zusammenhang sind sie er stmalig aufgetreten? Was wurde bisher unternommen, um sie zu beseitigen? Auch diese Frage ist absichtlich allgemein gehalten, um n icht vo rschnell e twaige A uffälligkeiten i n der Entwicklung oder im Verhalten des Kindes einseitig in ei nen Z usammenhang m it den e lterlichen K onflikten und/ oder mit den Kontakten mit dem Vater zu b ringen: M öglicherweise s ind so lche A uffällig-
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keiten (wenn sie denn hier zu d iagnostizieren sind) auch völlig anderen Ursprungs.
IV. Un tersuchungsmethoden Bei der Be schreibung der U ntersuchungsmethoden muss der Bezug zu den oben aufgeführten Hypothesen deutlich werden. Um dies zu er reichen, werden bei den E xplorationen d ie jeweil igen Th emen genannt u nd bei den V erhaltens- u nd I nteraktionsbeobachtungen d ie jeweil igen A spekte, u nter den en das V erhalten b zw. d ie I nteraktionen be obachtet werden so llen. Werden dazu be stimmte s tandardisierte Beobachtungssyteme oder –sc hemata benutzt, so müssen diese hier genannt werden. 1. Einige f ür die B eantwortung der F ragestellung wichtige I nformationen wur den der G erichtsakte (Az xx F yy/00) entnommen. Diese wurden unter psychologischen Gesichtspunkten zusammengefasst und weiter oben bereits dargestellt. 2. Mit den verschiedenen Beteiligten wurden systematische psy chodiagnostische Einzelg espräche (Explorationen) geführt: 2.1. Mit Herrn V. zu folgenden Themen: – Kristinas Entwicklung und ihre gegenwärtige psychische und physische Situation – die B eziehungen und der en En twicklung zwischen Herrn V. und Kristina – die B eziehungen und der en En twicklungen zwischen Frau V. und Kristina – das Erziehungsverhalten von Herrn V. – das Erzieh ungsverhalten v on F rau V . a us Sicht des Vaters – die P aarbeziehung und die T rennungsgeschichte des Ehepaars V. – Besuchskontakte von Kristina seit der Trennung und deren Verlauf – Ein stellungen hin sichtlich K ooperation und Kommunikation mit dem anderen Elternteil – Zukunftsvorstellungen bzgl. der Umgangskontakte und der Lebenssituation von Kristina 2.2. Mit Frau V. w urden die g leichen Themen, b ezogen auf ihre Person und b zgl. des Vaters aus ihrer Sicht besprochen. 3. Diagnostik mit Kristina V. (Gespräche und Interaktionsbeobachtungen): Kristina wurde zu folgenden Themen befragt:
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– Ihre f rühere und g egenwärtige emo tionale Beziehung zu ihrer Mutter – Ihre f rühere und g egenwärtige emo tionale Beziehung zu ihrem Vater – Ihre f rüheren emo tionalen B eziehungen zu Frau T., der Lebensgefährtin ihres Vaters und zu deren Kindern – Ihre emotionalen Beziehung zu anderen, für sie wichtigen Bezugspersonen – Ihr Erleb en der derzei tigen und f rüheren Umgangskontakte mit Herrn V. – Ihr Erleb en der K ontakte zwis chen M utter und Vater s owie der Einf luss dies e Erleb ens auf ihr V erhalten, ihr e G edanken und ihr e Gefühle – Ihr alltägliches Leben im H aushalt der Mutter (All tag, U mgebung, Ak tivitäten, s oziale Kontakte) – Ihre Ängste und Sorgen – Ihre Hoffnungen, Wünsche und Befürchtungen b zgl. der zuk ünftigen L ebenssituation und der Umgangskontakte Diese Themen wur den währ end der Dur chführung des FR T, im G espräch und b eim S pielen mit Kristina allein, o hne die An wesenheit Dritter, besprochen. 4. I nteraktionsbeobachtungen 4.1 Psychodiagnostischer Erstkontakt Bei einem H ausbesuch b ei F rau V., der un ter anderem dem K ennenlernen von Kristina dienen sollte, wurde das Verhalten von Kristina in der Interaktion mit Frau V. systematisch unter den folgenden Aspekten beobachtet: – der En twicklungsstand und mög liche V erhaltensauffälligkeiten von Kristina – das Erziehungsverhalten der Mutter – die B eziehung zwis chen K ristina und ihr er Mutter Diese Aspekte können weiter differenziert werden: Hierbei wurden v.a. die folgenden beziehungs- bzw. bindungsrelevanten Verhaltensmerkmale g eprüft (s. Tausch u. T ausch 1998; S pangler u. Z immermann 2002): – Flüssigkeit des Dialogs – »Verzahnung« der Interaktion
– Balance von Nähe und Distanz beider Interaktionspartner – Angemessenheit der Re aktion der M utter auf Bedürfnisäußerungen des Kindes – Ausgewogenheit von Unterstützung und Lenkung de s K indes d urch d ie M utter ei nerseits und A nregung z ur S elbstständigkeit a ndererseits – Grad der Gehemmtheit/ Anspannung bzw. der Spontaneität/Entspannung in der Beziehung – verbal geäußerte positive und negative Emotionen sowohl des Kindes als auch der Mutter. 4.2 Die Beobachtung des Verhalten von Kristina in der Interaktion mit Herrn V., die unter den entsprechenden G esichtspunkten er folgen s ollte, konnte a ufgrund der wiederho lten massi ven Weigerung von Kristina im Rahmen der Begutachtung nicht durchgeführt werden. 4.3 Bei einem Hausbesuch bei Herrn V. wurde das Verhalten von Herrn V. in der I nteraktion mit seinem S ohn P eter syst ematisch b eobachtet, um b eurteilen zu k önnen, in wieweit H err V. grundsätzlich in der Lage ist, kindliche Bedürfnisse wahrzunehmen und a ngemessen da rauf zu reagieren. 5. Die Ar t und I ntensität v on K ristinas G efühlsbeziehungen zu P ersonen in ihr er U mgebung wurden mi t dem F amily Rela tions T est (FR T von Bene u. Anthony 1957, r ev. 1985; d t. Bearbeitung von Flämig u. Wörner 1977) untersucht. Nachdem K ristina s chematisch g ezeichnete Figurendarstellungen als F amilienangehörige ausgewählt ha tten, s ollte sie ihnen A ussagen zuordnen. Dies e A ussagen b eziehen sic h a uf Einstellungen und G efühle, die das je weilige Kind dies en P ersonen g egenüber ha t und die es von diesen Personen erlebt. Der FRT ermöglicht es K indern, Ein stellungen und G efühle auszudrücken, die sie zwar bewusst erleben, die in Worte zu fassen ihnen jedoch schwer fällt. Dieses Verfahren wurde ausgewählt, da es sich in der Längsschnittstudie von Schmidt-Denter u. Beelmann (1997) (s. a uch Beelmann u. S chmidt-Denter 2001) »als ein sensibles Verfahren zur Erfassung des kindlichen Erlebens der sozial-emotionalen Beziehungen in T rennungs-Scheidungsfamilien e rwiesen h at.« (Beelmann u. Schmidt-Denter 2001, S. 89).
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
Kristina gehört zu der A ltersgruppe, für die das Verfahren entwickelt wurde. Im vorliegenden Fall w urden die Zuordnungen, die K ristina bei m FR T vo rnahm, a ls G rundlage benutzt, u m wei tergehende u nd de taillierte F ragen an Kristina zu stellen; eine Auswertung des FRT mit Normenvergleich i st un ter di eser A nwendungsform dann se lbstverständlich n icht m ehr m öglich. Beu rteilt wer den v ielmehr d ie E rgebnisse a uf der E bene der einzelnen Aussagen. Die Themen der Explorationen und der systematischen Beobachtungen zeigen, dass die wesentlichen Informationen z u d en H ypothesen ( und d amit z ur Fragestellung d es G erichts) mit Hilfe dieser Verfahren er hoben wer den k önnen. F ür d ie A nwendung weiterer Verfahren, z. B. Tests oder F ragebögen, ergab sich aus den Vorinformationen in der Akte keine Notwendigkeit. Zeitplan der diagnostischen Untersuchungen:
xx.10.2003: En tscheidungsorientiertes G espräch mit Herrn V. in der P raxis des G utachters (Dauer: 1 3/4 Stunden). xx.10.2003: S ystematische Verhaltensbeobachtungen K ristinas s owie der I nteraktion v on F rau V. und ihrer Tochter während des Hausbesuchs bei Frau V. in K. (Dauer: 1 1/2 Stunden). yy.12.2003: Gespräch mit Frau V. und Kristina u.a. üb er den w eiteren Verlauf der B egutachtung, da F rau V. K ristina en tgegen der Einlad ung zum entscheidungsorientierten E lterngespräch mi tgebracht hatte (Dauer: 1 S tunde), im An schluss daran: Systematische Verhaltensbeobachtung, Exploration und t estpsychologische U ntersuchung mi t Kristina V. in der P raxis des G utachters (D auer: 2 Stunden). zz.01.2004: En tscheidungsorientiertes G espräch mi t F rau V. in der P raxis des G utachters (Dauer: 2 Stunden). aa.08.2004: S ystematische Verhaltensbeobachtung der Interaktion von Vater und Sohn sowie ein informatorisches G espräch mi t F rau V. währ end eines Hausbesuchs bei Herrn V. und seiner Familie in K. (Dauer: 1,5 Stunden). bb.09.2004: I nformatorisches G espräch mi t Frau G. vom Jugendamt M. An allen T erminen nahm F rau Di plom-Psychologin F. t eil. A ußerdem a rbeitete die K ollegin
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mit bei der Auswertung der Ergebnisse und bei der Ausarbeitung des schriftlichen Gutachtens.
V. Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen Die Gliederung der folgenden Ergebnisdarstellung des Gutachtens wurde nach den beteiligten Personen (Eltern – Kind – weitere Personen) vorgenommen (Die Datenerhebungsphase erstreckte sich im vorliegenden Fall a us v ielerlei G ründen ü ber m ehrere M onate). Möglich sind auch andere Strukturen der Darstellung wie z eitliche Reihenfolge (z. B., u m E ntwicklungen während der Begutachtungszeit deutlich zu machen) oder nach Art der Erhebungsmethoden (z. B. standardisierte/teilstandardisierte Verfahren/ Informationen von Dritten). Es sollte die für den jeweiligen Einzelfall angemessenste Gliederung benutzt werden. Die E rgebnisse der E xplorationen s ind t hematisch anhand der H ypothesen geordnet (s. Kap. 17.4) . Hypothesenbezogene Stichworte sind fett gedruckt. 1. A
nknüpfungstatsachen
Diese wurden bereits unter III. dargestellt. 2.
Psychodiagnostische Gespräche mit beiden Elternteilen
Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Herrn V. am xx.10.2003 in der Praxis der Sachverständigen in B. Herr V. erschien am 27.10.2003 begleitet von seiner Lebensgefährtin F rau T . und dem g emeinsamen Sohn P eter zum en tscheidungsorientierten G espräch. B evor H err V. das U ntersuchungszimmer betrat, v erabschiedete er sic h v on s einer L ebensgefährtin und str eichelte s einem S ohn üb er den Kopf. Als H err V. daraufhin den Fl ur verließ, fing Peter an zu weinen, versuchte, aus seinem Kinderwagen hera uszuklettern, und str eckte s eine Ar me in Richtung s eines Vaters aus. Frau T. b eugte sich daraufhin üb er ihr en S ohn und b eruhigte dies en durch das V ersprechen, dass er s einen Vater bald wieder gemeinsam mit ihr abholen werde. Über seine derzeitige Lebenssituation gab Herr V. an, dass er mi t seiner Lebensgefährtin, Frau T.,
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
ihrem 2-jähr igen S ohn P eter und zw ei K indern von Frau T. aus erster Ehe, dem 9-jährigen Manuel und der 12-jähr igen Sa ndra, zus ammenlebe. Vor einiger Z eit seien sie in eine 5-Z immer-Wohnung gezogen, in der a uch K ristina zuk ünftig g gf. ein eigenes Zimmer bekommen könne. Kennengelernt ha be er s eine L ebensgefährtin, die er im D ezember 2003 heiraten wolle, auf einer Feier. D er erste Kontakt von ihm mi t Sandra und Manuel s ei un problematisch v erlaufen. S ie hä tten gemeinsam einen Ausflug gemacht. Heute respektierten Manuel und Sandra ihn als Lebensgefährten der Mutter. Einen Vaterersatz stelle er f ür die b eiden äl teren K inder nic ht da. S ie b esuchten ihr en Vater jedes W ochenende. D ennoch r espektierten sie von ihm aufgestellte Regeln und Verbote. Beruflich s ei er als V orarbeiter im S traßenbau tätig. Zumeist gehe er mo rgens gegen 6.30 U hr aus dem Haus und komme gegen 17.00 Uhr heim. Wenn er geduscht habe, spiele er i .d.R. mit Peter. Danach äßen sie alle g emeinsam A bendbrot, und w enn er Peter in s B ett g ebracht hä tte, sp iele er ma nchmal noch etwas mi t F rau T. und den äl teren K indern. Manchmal habe er dazu aber auch keine Lust. Die K ontakte zu K ristina fä nden derzei t b egleitet im e vangelischen V erein f ür J ugend- und Familienhilfe e .V. st att. D ort tr effe er sic h s eit etwa vier bis fünf Wochen jeden Dienstag für eine Stunde und jeden Sa mstag f ür zw ei S tunden mi t seiner Tochter. I n der Reg el s ei er b ereits a nwesend, wenn Kristina und ihr e Mutter kämen. Frau V. gebe Kristina in der Diele a b, während er in der Küche warte. Direkten Kontakt zwischen ihm und Kristinas Mutter gebe es daher in dies er Situation nicht. Wenn Kristina zu ihm k omme, s ei sie st ets aufgeschlossen und b eginne s ofort, mi t ihm zu spielen. Herr V. b etonte, dass er s ehr er staunt g ewesen s ei. B ereits b eim er sten K ontakt nac h eine dreiviertel Jahr o hne Kontakte zwis chen ihm und seiner Tochter ha be dies e k einerlei S cheu g ezeigt. Sie ha be ihn mi t »Hallo Papa« b egrüßt und ha be ihm vom Kindergarten erzählt. Er ha be sie in den Arm g enommen und sie a n sic h g edrückt. Es s ei »einfach super« gewesen, und all seine Wut sei vergessen gewesen. Die gemeinsame Zeit verbrächten sie zumeist mi t Pu ppenspielen, da K ristina dies e besonders g ern mög e. D azu b ringe er ma nchmal Fingerpuppen mi t. A ber a uch »M ensch-Ärgere-
Dich-Nicht« sp ielten sie a b und zu . An sonsten kuschelten sie ma nchmal miteinander. Kurz bevor ihre g emeinsame Z eit v orbei s ei, f ordere er s eine Tochter auf, mit ihm aufzuräumen. Herr V. berichtete, dass sic h K ristinas V erhalten da nach s ofort schlagartig verändere. Ab dies em Z eitpunkt dürfe er sie nic ht einmal mehr a m Ar m b erühren, und sie rede kaum noch mit ihm. Dieses V erhalten s ei ihm b ereits f rüher a m Ende von Besuchswochenenden an seiner Tochter aufgefallen. W ährend K ristina das W ochenende über aufgeschlossen und fröhlich gewesen sei, habe sie b ei der R ückfahrt st ets s ehr v erschlossen g ewirkt. Als er sie einmal g efragt ha be, ob sie der Mutter v on einem Z oobesuch b erichten w erde, habe sie dies v erneint. Ihr e M utter w erde s onst »böse«. Auch ihm habe sie nichts von ihrem Alltag mit Frau V. berichtet. Über die f rüheren B esuchskontakte zwis chen ihm und K ristina gab Herr V. an, dass er K ristina unmittelbar nac h der T rennung zunäc hst s echs Wochen nicht gesehen habe. Dies sei ein Vorschlag seiner Frau gewesen. Sie s ei der An sicht gewesen, dass K ristina die T rennung s o b esser v erarbeiten könne. Er ha be sic h da mals da rauf ein gelassen. Inzwischen bereue er dies. Bevor er ausgezogen sei, habe er K ristina g esagt, dass er sie w eiterhin lieb habe und dass er wiederkommen werde, um sie zu treffen. Als er nac h s echs Wochen v ersucht ha be, Besuchskontakte zu ini tiieren, habe seine Frau gesagt, dass Kristina ihn nicht mehr sehen wolle. Erst durch Vermittlung des K inderschutzbundes s ei es schließlich zu Besuchskontakten seiner Tochter bei ihm gekommen. Wenn er sie abgeholt habe bei ihrer Mutter, habe es zunäc hst manchmal Probleme gegeben: Kristina habe beispielsweise nicht mit zu ihm g ewollt, und a uch F rau V. ha be b etont, dass Kristina ihren Vater nicht besuchen wolle. Zumeist habe sich Kristina dann jedoch von ihm überreden lassen, mi tzugehen. Herr V. ga b a n, dass sic h das Verhalten des Kindes danach schlagartig verändert habe: Sobald Kristina im Auto gesessen habe, habe sie nicht mehr zur M utter zur ückgewollt. Manchmal ha be er sie mehr fach a m T ag und a bends gefragt, ob sie lieber zu Hause schlafen wolle. Kristina habe dies stets verneint. Um ihr die Angst vor der neuen Umgebung zu nehmen, ha be er da mals bei ihr im Z immer auf einer M atratze geschlafen.
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
Manchmal ha be ihr das g enügt, ma nchmal ha be sie ihn zum Ein schlafen a ber a uch in ihr B ett gebeten. H err V. ga b üb erdies a n, dass ihm der Kinderschutzbund da mals g eraten ha be, K ristina bei P roblemen in der Üb ergabesituation, wie sie oben beschrieben sind, einfach mitzunehmen. Als er dies einmal versucht habe, habe seine Frau lautstark a ngefangen zu s chreien. A uch K ristina s ei daraufhin in Tränen ausgebrochen, sodass er seine Tochter s chließlich b ei ihr er M utter zur ückgelassen ha be. Er ha be sic h nic ht v orstellen k önnen, dass dies gut für seine Tochter sei. Die B esuche b ei ihm s eien i.d.R. s o verlaufen, dass er K ristina um 10.00 U hr s amstags mo rgens a bgeholt ha be. G emeinsam s eien sie da nn zu s einer Familie gefahren und hä tten zus ammen gefrühstückt. Danach hätten er und s eine zukünftige F rau etwas mi t den K indern un ternommen. Manchmal seien sie in den Zoo, in den Zirkus oder schwimmen gegangen. An anderen Tagen seien sie spazieren gegangen oder hätten etwas mit Kristina und den a nderen g espielt. Auch Plä tzchen hä tten sie einmal g emeinsam g ebacken. Die M ahlzeiten habe zumeist s eine Lebensgefährtin gekocht, doch Kristina habe sich zumeist etwas wünschen dürfen, wenn sie zu B esuch gewesen sei. Am liebsten habe sie Spaghetti gegessen. D as Abendbrot s ei von allen g emeinsam v orbereitet w orden. K ristina ha be genau wie die a nderen K inder die P flicht g ehabt, dabei zu helf en und ihr Z immer a ufzuräumen. Auch wenn sie manchmal keine Lust zum Aufräumen gehabt habe, habe dies nie zu S treit zwischen ihm und seiner Tochter geführt. Auch andere Konflikte habe es nicht gegeben. Herr V. gab in diesem Zusammenhang a n, dass er a ufgrund der S eltenheit der B esuche auf viele Wünsche seiner Tochter Rücksicht genommen habe. Insgesamt ha be K ristina etwa 4-mal b ei ihm übernachtet. D ann ha be F rau V. wiederho lt U mgangskontakte a bgesagt. S ie ha be dies st ets mi t verschiedenen Krankheiten des K indes b egründet (z. B. Fieber, Schnupfen, Mittelohrentzündung). Bereits zuvor habe Frau V. versucht, zumindest die Üb ernachtungsbesuche dad urch zu un terbinden, dass sie K ristina nie K leidung zum Wechseln mitgegeben habe. Sie habe wiederholt gesagt, dass Herr V. ein s chlechter Vater s ei und mi t K indern nicht umgehen könne.
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Über s eine B eziehung zu K ristina b erichtet Herr V., dass er v on Anfa ng a n eine en ge B eziehung zu s einer T ochter g ehabt ha be. Ob wohl er viel g earbeitet ha be, ha be er sie a bends v or dem Zubettgehen stets gesehen. Er habe sie zumeist in s Bett gebracht und ihr eine G eschichte vorgelesen. Auch an den Wochenenden habe er häufig mit seiner Tochter gespielt. Sie hätten gemeinsam gefrühstückt, da nach P ferde g efüttert und a nschließend mit der ganzen Familie etwa unternommen. Überdies ha be er K ristina b eispielsweise das L aufen beigebracht. Seiner Ansicht nach habe sich daraus eine en ge emo tionale B eziehung zwis chen ihm und seiner Tochter entwickelt. Er ha be sich daher nicht v orstellen k önnen, dass sie ihn nac h s echs Wochen nic ht mehr ha be s ehen w ollen. Auch ihr aufgeschlossenes Verhalten bei den ersten Besuchskontakten habe ihn davon überzeugt, dass Kristina noch immer gern mit ihm zusammen sei. Herr V. beschrieb Kristina als Wunschkind. Vor ihrer Geburt habe Frau V. einmal eine F ehlgeburt gehabt. Kristina sei ein leb ensfrohes und k ontaktfreudiges Kind. Am liebst en spiele sie mi t Puppen und denk e sic h Pha ntasiegeschichten a us. W enn er sie s ehe, erzähle sie ihm st ets von Vorfällen im Kindergarten, von Freunden und von anderen Besonderheiten ihres Alltages. Wenn er sie z. B. nach der S chuluntersuchung o.ä. g efragt ha be, ha be sie ihm auch darüber stets berichtet. Hinsichtlich ihrer Entwicklung gab Herr V. an, dass Kristina mit etwa acht M onaten b ereits er ste W orte deu tlich ha be sprechen k önnen. L aufen ha be sie hin gegen er st mit eineinhalb Jahr gelernt. Besondere Krankheiten habe es in Kristinas Entwicklungsverlauf – abgesehen von einer Sehschwäche und einem einmaligen Krupp-Anfall – seines Wissens nach nicht gegeben. Damals hätten er und s eine Frau die ga nze Nacht mit dem K ind im B adezimmer v erbracht, um sie Wasserdampf inhalieren zu lassen. Das weitere Jahr im Kindergarten sei seines Wissens nach mit einer motorischen S chwäche s einer T ochter b egründet worden. H err V. wa r diesb ezüglich der Üb erzeugung, dass K ristina der K indergartenbesuch a uf Dauer langweilen werde, da sie einen Wissendrang habe, der d urch den K indergarten nicht mehr g estillt w erden k önne. S ie s elbst h abe ihm g esagt, dass sie jetzt a uf die k leinen Kinder mit aufpassen werde. Die v om Kindergarten beschriebenen Ent-
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wicklungseinbrüche s eien s einer Auffassung nac h vor allem die F olge des S tresses, der sic h aus dem anhaltenden Streit um die Besuche mit ihm ergebe. Die Erzieherin habe ihm erk lärt, dass K inder sich häufig zur ückziehen, w enn sie alles, was sie erleben, mi t sic h s elbst a usmachen m üssen und niemanden haben, mit dem sie o ffen über alles reden können. Dass Kristina sich anderen Kindern oder Erziehern g egenüber ag gressiv v erhalte, s ei ihm bisher noch nicht berichtet worden. Angesprochen auf das Einnässen und Einkoten seiner Tochter, dass v on Frau V. als F olge der B esuchskontakte vorgetragen werde, gab Herr V. an, dass Kristina bei ihm nur einmal im Spiel im Alter von etwa zw eieinhalb Jahren in ihr e Hose uriniert habe. Er habe sie daraufhin geduscht, die Kleidung gewaschen und ihr s aubere a ngezogen. K ristina habe damals nur gesagt, dass ihr etwas passiert sei. Weiter habe man nicht darüber gesprochen. Herr V. betonte, dass er s eit der Trennung keinerlei Informationen von Kristinas Mutter über die Entwicklung und den g esundheitlichen Z ustand seiner Tochter erhalte. Er ha be sic h st ets b emüht, diese Informationen durch Nachfragen bei Ärzten, im Kindergarten usw. selbst zu erhalten. Bezüglich der B eziehungs- und K onfliktentwicklung zwis chen ihm und s einer f rüheren Frau gab Herr V. a n, dass sie sic h da mals in der Gastwirtschaft s einer E ltern k ennengelernt hä tten. S ie hätten viele gemeinsame Interessen gehabt, und er habe gern etwas mit ihr unternommen. Bald seien sie ein P aar g ewesen und hä tten einen b ereiten Bekanntenkreis a ufgebaut. Als F rau V. s chwanger geworden sei, hätten sie geheiratet. Die Fehlgeburt habe sie s ehr verändert. Sie sei sehr traurig gewesen und ha be einen H und, den er ihr zum T rost geschenkt habe, wie ein Er satzkind behandelt. Als Kristina g eboren wa r, ha be sie ihn immer mehr ausgegrenzt. Zuerst sei das Kind gekommen, dann der Hund, dann lange Z eit nic hts und s chließlich irgendwann er. Eine B eziehung ha be es zwis chen ihnen eb enso wie g emeinsame Ak tivitäten nic ht mehr gegeben. Freunde und Verwandte hätten sich mehr und mehr v on ihnen a bgewandt, w eil F rau V. H ilfe und R atschläge st ets als B evormundung interpretiert habe. Als er schließlich nach etwa drei Jahren beschlossen habe, auszuziehen, sei dies von Frau V. exp lizit b egrüßt w orden. H err V. g laubte
jedoch, dass F rau V. nic ht da mit g erechnet ha be, dass er sie wirk lich verlassen werde. Zuvor s ei sie in der Beziehung stets diejenige gewesen, die vieles bestimmt und entschieden habe. Auch hin sichtlich der Erzieh ungsvorstellungen ha be es zwis chen ihm und K ristinas M utter Meinungsverschiedenheiten g egeben. F rau V. s ei teilweise s ehr str eng mi t K ristina um gegangen. Einmal habe das Kind beispielsweise mit acht Monaten tr otz mehr maliger Er mahnungen immer wieder nac h einem S chlüssel g egriffen. Während er den S chlüssel ha be w egnehmen w ollen, ha be Frau V. K ristina krä ftig a uf die Fin ger g ehauen. Außerdem habe er es nicht gut geheißen, dass Frau V. Kristina mit zweieinhalb Jahren stets kalt abgeduscht ha be, w enn sie ein genässt o der ein gekotet habe. A uf N achfrage ga b H err V. a n, dass sie es beide in dera rtigen Situationen vermieden hätten, sich lautstark vor ihrer Tochter zu streiten. Zumeist sei ihnen das a uch gelungen. In anderen Konfliktsituationen, die nic ht immer das K ind b etroffen hätten, habe s eine Frau ihn ma nchmal körperlich attackiert. So habe sie ihn beispielsweise einmal, als er sie gedrängt habe, sich zu b eeilen, im B adezimmer mi t einer R asierklinge g eschnitten. D anach habe ihr dies L eid getan und sie ha be sich bei ihm entschuldigt. Herr V. erklärte, dass er in derartigen Situationen stets das Haus verlassen habe, um sich nicht eb enfalls zu g ewaltsamen H andlungen hinreißen zu lassen. Derzeit ha be er fast k einen K ontakt zu s einer früheren F rau. L ediglich im Z uge der b egleiten Umgangskontakte ha be b isher ein g emeinsames Elterngespräch stattgefunden. Ihnen s ei zurückgemeldet worden, dass die K ontakte zwis chen Vater und Tochter positiv verliefen und dass es f ür Frau V. k einen G rund zur B eunruhigung g ebe. H err V. erk lärte, dass er das G efühl g ehabt ha be, dass Kristinas Mutter dies nic ht g efallen ha be. F rau V. sei s ehr »hibb elig« g eworden. Außerdem ha be sie gesagt, dass Kristina zu Hause immer s ehr aggressiv werde und es daher nic ht möglich sei, dass die Besuchskontakte im Sinne des Kindes seien. Die B eziehung zwis chen K ristina und F rau V. beschrieb H err V. wie f olgt: S eit der G eburt des Kindes ha be sic h F rau V . s ehr a n K ristina »g eklammert«. S ie s ei den ga nzen Tag n ur mi t dem Kind zus ammen g ewesen. I nsbesondere nac h der
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Trennung sei ihm wiederholt aufgefallen, dass Frau V. alles mi t ihr er Tochter b espreche, was ma n als Erwachsener normalerweise mit einem Partner bespreche. So habe ihn Kristina beispielsweise bereits mit f ünf J ahren wiederho lt a uf Unterhaltszahlungen a ngesprochen. A uch üb er Themen wie z. B. Tod wisse sie »mehr als er«. Kristina hä nge einer seits s ehr a n ihr er M utter. S o ha be sie sic h b eispielsweise a n ihr f estgeklammert, w enn er sie ha be a nholen w ollen. Andererseits verhalte sie sich ihr gegenüber häufig aggressiv. Herr V. war überzeugt, dass sich dadurch die Wut des K indes da rüber ä ußere, dass sie ihr verbiete, den Vater zu tr effen, und sie nic ht unbeschwert aufwachsen lasse. Angesprochen auf weitere Bezugspersonen von Kristina gab Herr V. an, dass dazu die G roßmutter mütterlicherseits zu zählen sei. Diese beaufsichtige Kristina, wenn Frau V. arbeiten gehe. Auch zu einem Bruder von ihm, der mi t einer Schwester von Frau V . v erheiratet s ei, b estehe derzei t K ontakt. Herr V. ga b da rüber hina us a n, dass F rau V. sic h zunächst mit seiner und ihrer Familie gut verstanden ha be. I nfolge der F ehlgeburt und K ristinas Geburt habe Frau V. jedoch immer weniger soziale Kontakte g epflegt. Dies und ihr e Ar t, gu te R atschläge als Bevormundung wahrzunehmen, hätten im L aufe der Z eit viele ehemalig e F reunde v or den Kopf gestoßen. Auch zu ihren Eltern sowie zu seinen und ihren Geschwistern habe sie kurzzeitig keinen Kontakt gehabt. Die B eziehung zwis chen K ristina und F rau T. beschrieb Herr V. als unproblematisch. Ebenso wie er Manuel und Sandra habe Frau T. Kristina damals bei einem Ausflug zu einem P ferdestall kennengelernt. Zunächst habe sich Kristina nur mit dem Tier beschäftigt, doch dann habe er ein Wettrennen mit Kristina zu F rau T. veranstaltet, und sie ha be sich dabei s ofort an die B eine s einer zukünftigen Frau geheftet. Auch b ei späteren B esuchswochenenden und Üb ernachtungen ha be es nie S treitigkeiten zwischen K ristina und F rau T. g egeben. K ristina sei sehr offen mit der Lebensgefährtin ihres Vaters umgegangen. Sie habe sie b eispielsweise um etwas zu Essen und zu trinken gebeten. Der K ontakt der K inder un tereinander s ei ebenfalls st ets un problematisch g ewesen. S treit habe es s elten g egeben. I nsbesondere Sa ndra und
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Kristina hätten sich gut verstanden. Kristina habe viel mi t Sa ndra und der en Pu ppen g espielt. D er Kontakt zu P eter, der g erade ein J ahr alt g ewesen sei, s ei nic ht s o in tensiv g ewesen. K ristina ha be sich zwa r üb er das B rüderchen g efreut, do ch a n den Wochenenden habe sie sich zumeist mit ihrem Vater und weniger mit Peter beschäftigt. Angesprochen auf seine Zukunftsvorstellungen und Wünsche im Hinblick auf Kristina gab Herr V. an, dass er sich Sorgen um seine Tochter mache. Er habe Angst, dass sie nicht wie ein Kind aufwachsen dürfe und dass sie darunter leide. Früher s ei er st ets der A uffassung g ewesen, dass ein Kind zu seiner Mutter gehöre, doch heute sehe er dies im F alle v on K ristina a nders. Er s ei überzeugt, dass er und s eine F amilie K ristina ein besseres Z uhause b ieten k önnten. W enn sie v on ihm aus zu Besuchen der Mutter gehe, könne Kristina hinterher frei berichten, was sie mit der Mutter Schönes erlebt habe. Umgekehrt dürfe Kristina dies ihren Aussagen nach nicht. Seine derzei tige L ebensgefährtin und zuk ünftige Frau s ei eb enso wie die K inder damit einverstanden, dass Kristina demnächst bei ihnen wohne. Die J ungen s ollten da nn zunäc hst zus ammen ein Zimmer b ekommen, da mit Sa ndra und K ristina jeweils einen R aum f ür sic h hätten. D er Tagesablauf im Alltag werde sich ihren Vorstellungen nach insgesamt nicht groß verändern, wenn Kristina zu ihnen ziehe. Frau T. werde weiter für den Haushalt und die Kinder da sein, und er werde seinem Beruf nachgehen. Sowohl er als a uch F rau T. s eien sic h jedo ch bewusst, dass es zu Anfa ng v ermutlich P robleme geben w erde, w enn K ristina – e vtl. g egen ihr en Willen – b eim Vater un terbracht w erde und eine andere Frau ihr s age, dass sie a ufräumen und sic h waschen s olle. H err V. wa r jedo ch zu versichtlich, dass sie gemeinsam auch derartige Probleme lösen würden könnten. Sollte K ristina b ei F rau V. b leiben und dies e evtl. das alleinig e S orgerecht f ür K ristina d urch das G ericht zug esprochen b ekommen, w olle er nicht w eiter um s ein B esuchsrecht kä mpfen. Er habe in den letzt en Jahren alles versucht und habe wiederholt sehr viel Zeit und Geld investiert, ohne dass sic h f ür das K ind wirk lich etwas v erändert habe. Stets müsse der Rest s einer Familie auf Frau
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
V. R ücksicht nehmen. Er ha be das G efühl, dass ihnen dies a uf D auer nic ht mehr zuzum uten s ei. Als B eispiel f ührte H err V. einen S panienurlaub an. Dies er s ei g emeinsam mi t K ristina g eplant gewesen. I m Endef fekt s ei das Fl ugzeug o hne die Familie abgeflogen, weil Frau V. Kristina nicht zu ihrem Vater gelassen habe. Herr V. betonte in diesem Z usammenhang, dass er ho ffe, dass K ristina irgendwann aus eigenem Antrieb zu ihm kommen werde, wenn sie älter sei. Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Frau V. am xx.01.2004 Frau V. berichtete, dass sie derzeit mit ihrer Tochter Kristina allein leb e. Einen L ebensgefährten ha be sie nic ht. K ristinas Mutter b etonte in dies em Z usammenhang, dass sie nie einen »Er satzvater« f ür Kristina »suchen« werde. Auch zukünftig werde sie niemandem erla uben, sic h in die Erzieh ung ihr er Tochter »einzumischen«. Über den gemeinsamen Tagesablauf berichtete Frau V., dass sie mo rgens mit Kristina zus ammen gegen 6.30 U hr a ufstehe. K ristina s ei ein »M orgenmuffel«. S ie w erde mo rgens nic ht g ern a ngesprochen und w erde s chnell wü tend, w enn ma n sie »nerve«. Nach einem gemeinsamen Frühstücke bringe F rau V. ihr e Tochter in den K indergarten, wo sie dies e gegen 12.30 U hr wieder a bhole. Frau V. ga b a n, dass sie sic h st ets no ch k urz mi t den Kindergärtnerinnen v on K ristina un terhalte. A uf Nachfrage, was dies e ihr üb er K ristinas U mgang mit anderen Kindern b erichteten, gab Frau V. an, dass sie da rüber mi t den Erzieher n v or K ristina nicht jeden Tag sprechen könne. Zuhause kochten sie g emeinsam M ittagessen, und nac h dem Ess en treffe sich Kristina manchmal mit einer F reundin, die eb enfalls im H aus w ohne. Die a nderen Nachmittage v erbringe das M ädchen mi t ihr er M utter. Abends gegen 19.00 U hr äßen sie g emeinsam Abendbrot. Dabei erzähle K ristina von ihrem Tag im K indergarten, währ end sie ihr er Tochter v on ihrem Arb eitstag b erichte. U m 20.15 U hr g ehe Kristina s chließlich in s B ett. F rau V. ga b a n, dass Kristina er st s eit Ende der K ur in ihr em eig enen Bett s chlafe. Zuvor habe sie st ets b ei ihrer Mutter schlafen w ollen. B egründet ha be sie dies mi t der Angst, dass ihr e M utter nic ht mehr da s ei, w enn
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sie aufwache. Erstmals aufgetreten sei dies, als die Übernachtungsbesuche b eim Vater im D ezember 2002 begonnen hätten. Hinsichtlich der begleiteten Kontakte zwischen Kristina und ihr em V ater ga b F rau V . a n, dass derzeit einmal w öchentlich b egleitete U mgangskontakte im evangelischen Verein für Jugend- und Familienhilfe e . V. st attfänden. B ereits v or ihr em Kuraufenthalt habe es derartige begleitete Kontakte gegeben. S eit ihr er R ückkehr ha be K ristina ihr en Vater einmal dort getroffen. Frau V. betonte mehrfach, dass sie s elbst st ets A tteste v orgelegt ha be, wenn K ristina a us g esundheitlichen G ründen einen Besuchskontakt nicht habe wahrnehmen können, während der Vater wiederholt abgesagt habe. Einmal habe er beispielsweise behauptet, auf einem Lehrgang zu s ein. Ihre Schwester habe ihn jedo ch im en tsprechenden Z eitraum a uf einer B austelle gesehen. Ein anderes Mal habe er seine Hochzeit zu diesem Termin samstags morgens »feiern müssen«, und nach ihrer Kur habe er Samstagstermine generell als p roblematisch zur ückgewiesen, s odass die Kontakte nun freitags für zwei Stunden stattfänden. Über die Besuchskontakte im Anschluss an die Kur sei Kristina von Frau J. unterrichtet worden. Diese habe dem K ind erklärt, dass ihr e Mutter sie do rthin fahr e und dass sie dahin »m üsse o der s olle«, um ihren Vater zu treffen. Frau V. betonte, dass sie ihrer Tochter dies niemals s o vermittelt hätte. Auf die Frage, wie sie ein dera rtiges Gespräch gestaltet hätte, gab Kristinas Mutter an, dass dies außerhalb ihrer Verantwortung liege und sie sich daher keine Gedanken mehr da rum mac he. S ie wür de ihr e Tochter jedenfalls nicht dazu zwingen. Über Frau G. v om Jugendamt äußerte Frau V. überdies, dass dies e sie im G erichtssaal als nic ht erziehungsfähig dargestellt habe. Welche Anhaltspunkte F rau G. zu dies er S chlussfolgerung b ewogen hätten, konnte Frau V. nicht angeben. Frau G. habe n ur 2-mal mi t ihr g esprochen. Als F rau V. der Jugendamtsmitarbeiterin gesagt habe, dass sie die gegenwärtige Situation nicht »okay« finde und dabei – a ufgrund einer Erkäl tung – etwas la uter geworden sei, habe diese ihr sofort unterstellt, dass sie aggressiv sei. Ihre B eziehung zu K ristina b eschrieb F rau V. als s ehr en g. V on Anfa ng a n s ei sie es g ewesen, die sich um das K ind gekümmert habe. Streit zwi-
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schen ihnen gebe es vor allem dann, wenn Kristina wütend s ei o der w enn sie sic h v on ihr er M utter durch Fragen genervt fühle. Das Mädchen schlage dann z. B. Türen zu . F rau V. v ertrat diesb ezüglich die A uffassung, dass K ristina k eine G egenstände zerstören d ürfe, die sie da nach er setzen m üsse. Stattdessen solle das Kind lieber Unordnung in seinem Z immer s chaffen und dies e hinterher wieder aufräumen. Wenn Kristina Türen knallend in ihrem Zimmer verschwinde, reagiere Frau V. nach eigenen Angaben zunächst gar nicht darauf. Nach etwa fünf bis zehn M inuten habe sich das M ädchen zumeist beruhigt und wolle mit der Mutter schmusen. Frau V. erklärte, dass sie dies in diesem Moment auch zulasse. Später am gleichen Tag suche sie jedoch noch einmal das G espräch b zgl. des K onflikts. K ristina wisse zu diesem Zeitpunkt i.d.R. zumeist selbst, dass sie im Unrecht gewesen sei. Wenn Frau V. ihrerseits einen F ehler g emacht ha be, en tschuldige sic h b ei Kristina dafür. Einmal b eispielsweise habe sie ihr e Tochter v erdächtigt, eine S chmuckschatulle »w eggetan« zu ha ben, bis sie b emerkt habe, dass sie sie selbst verlegt hatte. Wenn sie mit Kristina schimpfe, gehe diese i.d.R. zunächst in ihr Z immer. Es s ei so eine Abmachung zwischen ihnen, dass sie sic h bei Konflikten zunäc hst einmal a us dem W eg gin gen. Frau V. gab an, dass sie in S treitsituationen fast nie lauter w erde und ihr e Tochter a uch nic ht s chlage. Gewalt lehne sie a b. A uch w enn ihr e Tochter sie schlage, trete oder an ihr zerre, bleibe sie ruhig und warte, bis Kristina sie von alleine loslasse. Die A ggressivität des K indes, die u . a. in diesem Verhalten zum A usdruck k omme, s ei neb en Hauterkrankungen ein G rund f ür den K uraufenthalt gewesen. Kristina sei nicht nur ihr g egenüber aggressiv, s ondern s chlage und tr ete a uch a ndere Kinder. Außerdem quäle sie Tiere. Über den A ufenthalt im K urhaus b erichtete Frau V., dass K ristina den V ormittag im K inderhaus v erbracht ha be. Von dort s ei sie a uch zu ihren Anwendungen (z. B. Autogenes Training, Entspannungen) gegangen. Auch nachmittags habe sie manchmal mit anderen Kindern etwas un ternommen. Zumeist habe Frau V. ihre Tochter jedoch gegen Mittag im Kinderhaus abgeholt, und sie hätten den Nachmittag gemeinsam verbracht. Kristina sei ein Wunschkind von ihr g ewesen. Sie habe immer ein Mädchen haben wollen, weil es
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für diese hübschere Kleidung gebe als f ür Jungen. Herr V . s ei aller dings s ehr en ttäuscht g ewesen, als er er fahren habe, dass er eine T ochter b ekommen w erde. W ie g enau sic h s eine En ttäuschung geäußert ha be, da ran k onnte sic h F rau V . nic ht erinnern. G esagt ha be er dies nic ht exp lizit, und sie habe ihn a uch nie a uf ihre Wahrnehmung angesprochen. Frau V. gab an, dass sie den Eindr uck gehabt habe, dass Herrn V. jede B eschäftigung mit dem Kind zu mühsam gewesen sei. Überdies sei er eifersüchtig a uf die B eziehung zwis chen ihr und dem Kind gewesen. Auch Kristina habe zu ihr em Vater von Anfang an keine enge Beziehung gehabt. Als er a usgezogen s ei, ha be s eine Tochter zu ihm gesagt, dass sie ihn gar nicht mehr lieb habe. Über K ristina ga b F rau V. a ußerdem a n, dass sie gu t k ochen k önne. M ehrfach b etonte F rau V., dass K ristina ein s ehr s elbstständiges K ind s ei. Sie k önne K artoffeln, N udeln, Reis und R ührei allein zub ereiten. Üb erdies räume sie ihr Z immer auf und v ersorge die T iere. Z u malen in teressiere sie im G egensatz zu »allg emeinem Wissen« nicht. Kristina st elle viele F ragen, lass e sic h alles g enau erklären oder wünsche sich entsprechende Bilderbücher. In ihrer Freizeit spiele sie a m liebsten mit Puppen und B arbies. A uch K arten- und G esellschaftsspiele möge sie. Die G eburt v on K ristina s ei eb enso wie die Schwangerschaft k omplikationslos v erlaufen. N ur in den er sten Wochen der S chwangerschaft ha be sie häufig Schmerzen gehabt. Frau V. gab an, dass sie K ristina in den er sten L ebensmonaten b einah vollständig allein v ersorgt ha be. Einmal s ei K ristinas V ater mi t zu einer V orsorgeuntersuchung gewesen, doch anstatt mit hereinzukommen, habe er 100 DM mit seinem Handy vertelefoniert. Die En twicklung v on K ristina s ei zunäc hst völlig no rmal v erlaufen. S ie ha be mi t s echzehn Monaten la ufen k önnen – w enn a uch no ch nic ht frei, weil dafür ihre Rückenmuskulatur zu schwach gewesen s ei –, und mi t neun M onaten ha be sie bereits ganze Sätze sprechen können. Hinsichtlich der Sauberkeitsentwicklung von Kristina gab Frau V. an, dass Kristina trocken gewesen sei, bevor die Besuchskontakte b egonnen hä tten. Er st im Z uge der Umgangskontakte habe das Kind erneut angefangen, einzunässen und einzukoten. Sie habe dies nicht nur zu Hause bei ihr gemacht, sondern auch
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
im Kindergarten. Gegen Ende des K uraufenthalts, als K ristinas F reundin nac h H ause g efahren s ei, habe K ristina eb enfalls zw eimal ein genässt. F rau V. erk lärte, dass dies f ür sie ein Z eichen g ewesen sei, dass Kristina nicht länger in der Kur habe bleiben wolle. Eine ihr a ngebotene Verlängerung habe sie daher a bgelehnt. I n dies em Z usammenhang berichtete F rau V. zudem, dass ma n ihr g eraten habe, K ristina diesb ezüglich einem Thera peuten vorzustellen. B isher hä tten sic h jedo ch alle v on ihr angesprochenen Psychotherapeuten geweigert, ihrer T ochter zu helf en. Alle b estünden da rauf, auch mit dem Vater zu sprechen, bevor sie mit der Behandlung b egönnen. S ie wiss e jedo ch, ob wohl sie nie mi t ihm da rüber g esprochen ha be, dass Herr V. mit einer derartigen Therapie niemals einverstanden sei. Neben dem b ereits a ngesprochenen ag gressiven Verhalten von Kristina habe der S chulreifetest im v ergangenen Jahr er geben, dass K ristina nic ht belastbar g enug s ei, um die S chule zu b esuchen. Zeitgleich ha be sie zudem wieder um b egonnen, einzunässen und einzukoten. Daher habe man sich dazu en tschieden, sie no ch ein J ahr lä nger im Kindergarten zu b elassen. I n dies er Z eit ha be sie als M utter die M öglichkeit, K ristina wieder » a uf Vordermann« zu b ringen. I nnerhalb des G espräches über die Grundschule, in die K ristina danach gehen werde, äußerte Frau V., dass es »keine streng katholischen Schulen mehr gebe«. Auf einer katholischen Grundschule habe nach ihrer Ansicht »kein Moslem etwas zu suchen«. Über Kristinas Verhalten gegenüber Gleichaltrigen berichtete Frau V., dass ihre Tochter sich stets nur w egen K leinigkeiten mi t ihr en F reundinnen streite. In der Regel gingen sich die Kinder danach zunächst a us dem W eg. B ereits a m näc hsten Tag sei der S treit zumeist v ergessen, und sie sp ielten wieder mi teinander. Im Streit s elbst s chubse o der schlage Kristina ihre Freunde gelegentlich. Danach bereue sie dies jedo ch zumeist. F rau V. erk lärte, dass Kristina einmal zu ihr gesagt habe, dass sie andere Kinder zukünftig nicht mehr s chlagen wolle. Die Frage, ob sie im Kindergarten von den Erzieherinnen regelmäßig über aggressives Verhalten ihrer Tochter g egenüber a nderen K indern un terrichtet werde, ließ F rau V. wiederho lt un beantwortet. I n einem a nderen Z usammenhang ga b F rau V. a n,
dass K ristina nic ht n ur F reundinnen v erprügle, sondern a uch ihr e M utter und ihr e G roßeltern angreife. Die Beziehungs- und Konfliktentwicklung zwischen sic h und H errn V . b eschrieb F rau V . als langwierigen P rozess. V or der T rennung s ei es wiederholt zu la utstarken A useinandersetzungen vor Kristina gekommen. An die positiven Aspekte, die sie einmal v erbunden hätten, könne und w olle sie sic h heu te nic ht mehr er innern. H err V. ha be sich s eit der G eburt v on K ristina v on ihr und ihrer Tochter zur ückgezogen. I m s ei es wic htiger gewesen, auf Partys zu g ehen und sic h a bends zu betrinken. Zu H andgreiflichkeiten s ei es w eder in ihr er Ehe noch im Zuge der Umgangskontakte, etwa bei Übergabesituationen, g ekommen. En tsprechende Berichte aus der Akte entsprächen nicht der Wahrheit. Bezüglich der Trennung von Herrn V. gab Frau V. a n, dass sie ihn g ebeten ha be, a uszuziehen. Er habe da mals b ereits eine B eziehung mi t F rau T . gehabt. D azu ha be er eine W ohnung a ngemietet gehabt, die er en tgegen seiner Versprechungen nie aufgegeben habe. Nach der Trennung habe er sic h – ebenso wie zuvor – nicht für Kristina oder Kontakte zu ihr interessiert. Erst auf wiederholte Nachfrage ga b F rau V. a n, dass die K ontakte zwis chen Kristina und ihr em V ater mehr fach a uf dess en Initiative hin zust ande g ekommen s eien. S päter berichtete Frau V., dass Herr V. Kristina Briefe für die Mutter mitgegeben habe, die sie aber ungelesen zerrissen ha be. F rau V. mein te, dass er wieder zu ihr zurückgewollt habe. Hinsichtlich der gerichtlichen Auseinandersetzung wies F rau V. daraufhin, dass es st ets Herr V. gewesen sei, der in den J ahren nach der Trennung Gerichtsverfahren a ngestrebt ha be, ob wohl sie ihm entgegengekommen sei. Einmal ha be sie ihm beispielsweise a ngeboten, dass er das K ind üb ers Wochenende zu sic h nehmen k önne, w enn er sie nachts zu ihr zur ückbringe. Dies ha be er jedo ch abgelehnt. G egenüber dem G ericht ha be er da nn erklärt, dass er nicht mit ihr reden könne. Die er sten Kontakte nac h der T rennung s eien schließlich vom Kinderschutzbund vermittelt und begleitet worden. Obwohl man ihr versichert habe, dass mehr ere b egleitete B esuchskontakte st attfin-
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den sollten, habe Herr V. seine Tochter bereits nach dem ersten Kontakt mitnehmen können. Die Z eiten seien ausgedehnt worden, und schließlich habe man hinter ihrem Rücken Üb ernachtungsbesuche beschlossen. Kristina s ei nac h dies en B esuchen st ets s ehr aggressiv g ewesen, ha be ein genässt und ein gekotet. S ie ha be die K ontakte »do of« g efunden, w eil Herrn V . nic ht mi t ihr , s ondern st ets allein f ür sich g espielt ha be. A ußerdem ha be K ristina sic h bei Übergabesituationen geweigert, ihren Vater zu begleiten. Das Mädchen habe sich kaum von ihrer Mutter a nziehen lass en, w enn U mgangskontakte angestanden hätten. Aus diesen Gründen sei Frau V. zu der Auffassung gelangt, dass es nicht im Sinne des K indes s ei, w enn K ristina g ezwungen w erde, ihren Vater zu s ehen. Wenn K ristina nac h H ause gekommen s ei, ha be sie ihr e Mutter aufgefordert, sie nie wieder zum »schrecklichen Papa« zu geben. Sie ha be ihr b erichtet, dass sie b ereits zum F rühstück Pommes habe essen müssen, dass sie a uf einer Matratze auf dem Boden habe schlafen müssen und dass sie gezwungen worden sei, »Harry Potter – Die K ammer des S chreckens« a uf V ideo a nzuschauen. Üb erdies ha be sie n ur in einem R aum mit einer Puppe spielen dürfen. Sie habe sich nicht frei b ewegen d ürfen. S chließlich s ei F rau V. mi t Kristina zusammen auf die S traße gegangen. Dort habe das M ädchen ihrem Vater selbst gesagt, dass sie ihn nicht mehr zu H ause besuchen wolle. Herr V. habe auf die Weigerung seiner Tochter vor deren Augen mit lautstarken Beschimpfungen der Mutter reagiert. Er habe ihr damit gedroht, dass es Frau V. einmal »dreckig« gehen werde. Außerdem habe er wiederholt betont, dass er wolle, dass seine Tochter weiterhin zu Besuchen zu ihm komme. Frau V. gab an, da raufhin nic hts mehr g esagt zu ha ben und ohne weitere Reaktionen in ihre Wohnung zurückgegangen zu sein. Im Z uge der b egleiteten U mgangskontakte beim e vangelischen V erein f ür J ugend- und F amilienhilfe e. V. habe im J anuar 2004 ein g emeinsames E lterngespräch st attgefunden. (F rau V. ga b an, dass sie ein früheres habe absagen müssen, weil sie w egen eines W asserschadens H andwerker im Haus gehabt habe.) In diesem Elterngespräch habe man mit ihr b esprechen wollen, wie die K ontakte in Zukunft gestaltet werden könnten. Sie habe den
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teilnehmenden P ersonen jedo ch erk lärt, dass sie so w eit nic ht in die Z ukunft s chauen und nic ht über das K ind b estimmen k önne. S ie ha be sic h damit einverstanden erk lärt, dass H err V. mit s einer Tochter auf einen Spielplatz in der Nähe gehen dürfe. Ausflügen mit dem A uto habe sie nic ht zugestimmt. Als B egründung führte Frau V. an, dass sowieso jeder sage, dass Kinder heute mehr B ewegung b räuchten und dass sie A utofahren g enerell für unnötig halte. Über ihren Gesundheitszustand gab Frau V. an, dass sie s eit der G eburt von Kristina an Schlafstörungen leide. Insbesondere in der Zeit, als Kristina bei ihrem Vater übernachtet habe, sei sie erst nach etwa 2-st ündigem Wachliegen ein geschlafen, und sie sei auch vielfach nachts aufgewacht. Lange Zeit habe sie v ersucht, ohne ärztliche Hilfe damit umzugehen. In der Kur habe sie dann eine Einführung in Autogenes Training b ekommen. Dies helf e ihr, und sie w ende dies inzwis chen auch zu H ause an. Medikamente nehme sie nur im Notfall. Frau V. betonte, dass sie k eine Drogen nehme und a uch keinen Alkohol trinke. Auf Nachfrage gab sie an, dass sie sich bisher – tr otz entsprechender Empfehlung von Frau Dr. A. – noch nie in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung befunden habe. Angesprochen a uf ihr e B efürchtungen, w enn das G ericht en tscheiden wür de, dass K ristina in Zukunft regelmäßige Kontakte zu ihr em Vater haben sollte, gab Frau V. an, sie glaube, dass Kristinas Verhaltensauffälligkeiten in dies em F alle w eiter zunehmen würden, anstatt sich zu v erbessern. Ihrer A uffassung nac h d ürfe ma n K inder zu nic hts zwingen, was sie nic ht w ollten. Als die Sac hverständige anhand des Beispiels »Morgenmuffel zum Aufstehen b ewegen« zu erlä utern v ersuchte, dass Erziehung ma nchmal da mit v erbunden s ei, dass man K inder zu Din gen zwin ge, die la ngfristig zu ihrem Besten seien, auch wenn sie dies jetzt nic ht wollten, v erstand F rau V. dies nic ht. W iederholt erklärte sie , dass K ristina k ein P roblem mi t dem Aufstehen habe, sondern nur damit, wenn ihr a m Frühstückstisch viele Fragen gestellt würden. Derartige Verständnisschwierigkeiten traten im Verlauf des G esprächs wiederho lt a uf. H äufig b eantwortete Frau V. nicht die konkret an sie gerichteten F ragen, s ondern b erichtete etwas Allg emeines oder Unspezifisches, das nur am Rand mit der
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gestellten Frage im Zusammenhang stand. Wurden die F ragen da raufhin v on der Sac hverständigen wiederholt, präzisiert oder anders formuliert, wies Frau V. dies e hä ufig zur ück und b eschwerte sic h, dass sie stets dasselbe gefragt werde. Auch ausführliche Thematisierungen dieser Kommunikationssituation durch die beiden Sachverständigen führten nicht zu einer Lösung des Problems. Frau V. sprach in dera rtigen G esprächsausschnitten einig e M ale sehr la ut. U nklar m uss a ufgrund des G esamtverlaufs des G esprächs jedo ch b leiben, ob F rau V . infolge v on Verständnis- und K onzentrationsproblemen nic ht zu einer k onkreten B eantwortung einzelner Fragen in der Lage war, oder ob sie nicht gewillt wa r, sic h zu b estimmten Themen gebieten präzise zu äußern. 3.
Diagnostik mit Kristina V.
Psychodiagnostischer Erstkontakt während des Hausbesuchs in der Wohnung von Frau V. in K. am xx.10.2003 Bei der Ank unft der Sac hverständigen und ihr er Kollegin, Frau Dipl.-Psych. F., wartete Kristina im Treppenhaus. Sie trug eine Strumpfhose, ein Sweatshirt und k eine Hausschuhe. Sie hatte einen K orb in der Hand, in dem sich zwei schwarze Mäuse befanden. Das Mädchen begann sofort, von diesen zu erzählen. Nach etwa zwei bis drei Minuten erschien Frau V. in der Wohnungstür und erk lärte, dass sie ihre Gardinen noch habe aufhängen müssen. Daraufhin fa nd zunäc hst ein k urzes G espräch mit F rau V. und K ristina im W ohnzimmer st att. In dem hellen R aum lief ein F ernsehgerät, und in der M itte des Z immers a uf einem T eppich ha tte Kristina ein großes Barbiehaus gebaut. Die gesamte Wohnung wa r tr otz kal ter W itterung un beheizt, die F enster wa ren z. T . g eöffnet. W ährend des Gesprächs b eschäftigte sic h K ristina unaufhörlich mit ihr en M äusen. S ie ac htete nic ht n ur da rauf, dass sie nic ht a us dem K orb kra bbelten, s ondern wickelte sie a uch »zum S chlafen« in ein T aschentuch ein, k üsste dies e und zwa ng eine M aus, die sich sichtlich wehrte, bis an den Rand des Tisches, unter dem ja ulend der k leine H und v on F rau V. lauerte. Frau V. erklärte, dass es sic h bei den Mäusen um s ehr kinderlieb e L abortiere ha ndele. A uf
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die H andlungen ihr er Tochter r eagierte sie nic ht. Später sprach sie davon, dass Kristina sich so gern um Tiere kümmere, dass sie sicherlich einmal Tierpflegerin werden würde. Nach einiger Zeit lud Kristina die Sachverständige und F rau Di pl.-Psych. F. in ihr Z immer ein. Bei diesem Raum handelt es sich um ein g eräumiges, helles Zimmer mit einem kleinen Balkon. Das Bett war als Couch hergerichtet. Auf Nachfrage erklärte Kristina, dass sie in diesem Bett auch schlafe; Frau V., die in g ewissen Zeitabständen immer mal wieder in s Z immer her einkam, merk te dazu a n, dass K ristina no ch b is v or s echs Wochen b ei ihr geschlafen ha be. N achdem K ristina das Z immer betreten hatte, machte sie sofort eine Musikkassette mit den Charthits der vergangenen Monate an. Als diese zu Ende war, wählt sie ein Hörspiel aus. Während des G esprächs mit Kristina in ihr em Zimmer berichtete diese, dass sie im K indergarten die Älteste sei. Wenn ein jüngeres Kind ein Problem habe, dann komme es i.d.R. zunächst zu ihr und sie »regele das da nn«, indem sie es den Er wachsenen sage. Kristina gab an, dass sie hä ufig mit gleichaltrigen Kindern spiele. Noch gestern sei eine Freundin bei ihr g ewesen. Die meist e Zeit verbringe sie mit Kindern aus dem Haus. Auch hier trat Frau V. ins Z immer und erk lärte, dass sie K ristina nac h dem K indergarten a bhole und da nn g emeinsam mit ihr g egen 13.30 U hr zu M ittag ess e. K ristina spiele nac hmittags viel mi t den K indern a us dem Haus oder aus dem Bekanntenkreis der Mutter. Vor einiger Z eit sei ein Wanderzirkus, der a uch Ponyreiten angeboten habe, in der N ähe gewesen, doch sie habe es – im Gegensatz zu den anderen Kindern – K ristina nic ht erla ubt, do rt allein hinzug ehen. Ihrer Meinung nach sei es zu g efährlich, weil dort niemand wirk lich a uf die K inder A cht g ebe und sie spä ter f ür U nfälle zur Rec henschaft g ezogen werden könne. Kristina habe ihr manchmal gesagt, dass sie nur auf die Straße wolle, aber darauf habe sie sic h nic ht v erlassen; sie ha be K ristina lieb er nicht aus der Wohnung gelassen. Nach einig er Z eit zeigt e K ristina der Sac hverständigen ihr e S chminkutensilien, die sie in einem Suitcase aufbewahrte, in dem sie a uch ihre Milchzähne v ermutete. Als sie die Z ähne nic ht fand, b egann das M ädchen, sic h zu s chminken. Dabei b enutzte sie zw ei K inderschminksets und
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alte S chminkartikel ihr er M utter. D er U mgang Kristinas mit ihren Sachen war dabei wenig behutsam: S ie wa rf den K offer mehr fach hef tig zu und warf auch die Sets auf dem Bett und im Köfferchen herum. Eines v on dies en wa r b ereits in mehr ere Einzelpaletten zer fallen. Während ihrer S chminkübungen schien Kristina ihre Mäuse zwischenzeitlich v ollkommen v ergessen zu ha ben. Er st nac h einigen Minuten sagte sie, dass die Sachverständige auf die Mäuse aufpassen müsse. Kristina wurde dann gefragt, ob sie wiss e, warum sie heu te B esuch b ekommen ha be. Dies v erneinte sie . Als die Sac hverständige ihr da raufhin erklärte, dass es um ihr e Mutter und die B esuche bei ihrem Vater gehe, erklärte Kristina, keinen Vater mehr zu ha ben, w eil er v on ihr und ihr er M utter weggegangen sei. Die G egenfrage, ob sie ihn nic ht regelmäßig tr effe, ließ K ristina un beantwortet. Stattdessen wurde sie s ehr unruhig, ging vom Bett runter und sp rach z. B. üb er ein B ild, das a n der Wand hing. Nach einiger Zeit sagte sie er gänzend: »Ich will bei Mama bleiben, hier bin ich glücklich.« Während der Z eit in K ristinas Z immer ka m Frau V., wie b ereits b erichtet, in k urzen Z eitabständen immer mal wieder her ein. M anchmal beteiligte sie sic h a n dem je weiligen G espräch, manchmal ka m sie jedo ch a uch, um mi t K ristina über Din ge des all täglichen L ebens zu sp rechen (z. B. ob die Gemüsemenge, die sie in einem Beutel vorbereitet hatte, für das morgige Mittagessen ausreichend sei). Frau V. verwies in ihren Gesprächen mit K ristina und mi t der Sac hverständigen nic ht nur wiederholt darauf, dass viele Din ge sehr teuer seien (sie gab dazu den genauen Preis an) und dass sie sich dies nic ht leisten könne, sondern sie legt e Kristina auch Themen in den M und, die K ristina dann nac h einig en A ufforderungen der M utter aufgriff und da raufhin k urz da rüber b erichtete. Innerhalb dies er Erzähl ungen des K indes un terbrach F rau V. K ristina jedo ch wieder um wieder holt und er gänzte sie . I n einem dies er G espräche ging es b eispielsweise um den T od eines en gen Bekannten im v ergangenen J ahr. F rau V . f ührte dazu vor Kristina anschaulich aus, wie die K rankheit den j ungen Mann körperlich verändert habe. Außerdem b erichtete F rau V. v on ihr er T ätigkeit als R aumpflegerin, b ei der sie v or k urzem die Wohnung eines T oten ha be p utzen m üssen. Ihr e
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Kollegen und sie hätten die Leiche, die schon einige Tage in der Wohnung gelegen habe, dort gefunden. Innerhalb des G espräches f orderte K ristina ihr e Mutter zudem no ch a uf, ihr etwas zu tr inken in einer Trinkflasche zu bringen, und Frau V. tat dies ohne zu zögern. Aufforderungen ihrerseits an ihre Tochter wur den v on K ristina jedo ch mi t einem Nein o der s onstigen W iderworten k ommentiert. Nur selten folgte sie ihrer Mutter. Gegen Ende des H ausbesuchs s ollte da nn in der Küche der W ohnung ein T ermin f ür eine Exploration mi t K ristina a bgesprochen w erden. A uf dem T isch b efand sic h ein A schenbecher v oller Zigarettenkippen. W ährend die Sac hverständige mit Frau V. beriet, kam Kristina mit ihren Inlinern herein und bat ihre Mutter, diese anziehen zu dürfen. F rau V. un terbrach da raufhin das G espräch und zog ihr er Tochter die S chuhe an. Danach unterhielt sie sich noch mit Kristina über Aktivitäten, die für den mo rgigen Tag geplant seien. Während dieses Gesprächs hielt Frau V. sich zunächst an der Türklinke fest. Kristina schlug wiederholt auf ihren Arm, b is dies e losließ. F rau V. zeigt e a uch da rauf keine Reaktion. Nach einigen Minuten wandte sich F rau V. er neut der Sac hverständigen zu . B ei der Verabschiedung lief K ristina a uf Ro llschuhen durch die W ohnung und v erzichtete auf das »A uf Wiedersehen«. Interaktionsbeobachtung von Kristina V. und ihrer Mutter vor und nach dem entscheidungsorientierten Gespräch mit Kristina V. am xx.12.2003 Frau V. betrat mit Kristina die P raxisräume. Beide wurden durch die Sachverständige und Frau Dipl.Psych. F. b egrüßt. Die W artezeit b is zum B eginn des Termins verbrachten Kristina und ihre Mutter, indem Frau V. ihrer Tochter etwas aus einem Buch vorlas und beide gemeinsam Musik hörten. Frau V. erklärte sich nach ausführlichen Erklärungen d urch die Sac hverständige da mit ein verstanden, dass das G espräch mit Kristina auf Tonband a ufgezeichnet w erden d ürfe. K ristina ha tte sich indess en o hne P robleme v on ihr er M utter verabschiedet und begann mit Frau Dipl.-Psych. F., das Tonbandgerät funktionstüchtig zu machen.
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Nach dem en tscheidungsorientierten Gespräch mit K ristina fa nd ein g emeinsames Spiel mi t Frau V. statt. Kristina fragte ihre Mutter, ob diese mit ihr, Frau Dipl.-Psych. F. und der Sachverständigen UNO Junior spielen wolle. Frau V. erklärte zunächst, dass ihre T ochter b ereits die V ersion f ür Er wachsene sehr gut beherrsche. Im Untersuchungsraum nahm sie da nn ihr e T ochter a uf ihr en S choß. Ob wohl Kristina zunäc hst allein sp ielen w ollte, ga b F rau V. ihrer Tochter vor, mit ihr zus ammen zu sp ielen. Dabei sagte sie zu K ristina: »Das kannst du nicht.« Dennoch erklärte sie Kristina den Unterschied zwischen den V ersionen. K ristina b egann, die K arten auszuteilen und legt e sie da bei zunäc hst sic htbar auf den T isch. Diesbezügliche Einwände der Sac hverständigen lies das M ädchen jedo ch g elten und korrigierte sich. Beim Zählen der Karten hatte Kristina trotz der H ilfe ihrer Mutter Probleme. Frau V. gelang es nic ht, ihr e Tochter zu einem syst ematischen Verteilen der Karten anzuleiten, und förderte dadurch die Verwirrung ihrer Tochter zusätzlich. Nach dem zw eiten Dur chgang b estand K ristina da rauf, die K arten s elbst zu mis chen. Als sie damit begann, wurde deutlich, dass sie dazu nic ht allein in der L age wa r. F rau V. b eobachtete, wie ihre T ochter die K arten v ollständig d urcheinander brachte und zahlr eiche Karten auf den B oden fielen. S ie s agt zwa r: »D as kr iegst d u no ch nic ht auf die Reihe«, half ihr a ber nicht mehr, nachdem Kristina sie einmal er mahnt hatte: »L ass mic h alleine.« Während K ristina etwa eine V iertelstunde versuchte, die Karten zu mischen und zu s ortieren (was ihr letztendlich nicht gelang), berichtete Frau V., welche Spiele ihre Tochter alle beherrsche. Gegen Ende des G esprächs sagte Kristina wiederholt zu ihrer Mutter, dass sie nicht mit dem Zug nach Hause fahren wolle. Frau V. versuchte, ihrer Tochter zu v erdeutlichen, dass sie k eine a ndere Möglichkeit hätten, do ch K ristina st ellte sic h st ur und beharrte darauf, zu Fuß nach Hause laufen zu wollen. Als sie ihren Willen offensichtlich nicht bekam, kippte sie zunäc hst alle B onbons der M utter aus der Verpackung auf den Tisch. Als ihre Mutter dies rügte, ihr die Packung aus der Hand nahm und danach das G espräch mi t der Sac hverständigen fortsetzte, sagte Kristina plötzlich zu ihr er Mutter: »Die wollten mich nicht gehen lass en.« Die Sac hverständige fragte sie daraufhin, ob sie da bei nicht
geflunkert ha be. K ristina v erneinte dies. F rau V. ging nicht auf die Äußerung ihrer Tochter ein und fragte auch nicht nach. Danach hängte sich Kristina sowohl im S itzen als a uch im S tehen in die Ar me ihrer M utter. Dies e tr ug da raufhin ihr e 6-jähr ige Tochter mehr ere M inuten a uf dem Ar m, ob wohl sie dad urch k örperlich sic htlich üb erfordert wa r. Im Flur holte Kristina auf Bitten ihrer Mutter die Jacken. D a sie die K leiderhaken nic ht er reichen konnte, zog sie s o la nge a n den J acken, b is dies e herunterfielen. Danach zog sie die Kleidungsstücke hinter sich her und wa rf sie ihrer Mutter über den Kopf. Außerdem sprang sie Frau V., die sich gerade die S chuhbänder zuba nd, a uf den R ücken. F rau V. ließ ihr e Tochter k ommentarlos g ewähren und setzte ihre Unterhaltung mit der Sac hverständigen fort. Es da uerte einig e M inuten, b is F rau V. ihr e Tochter s o w eit unter Kontrolle hatte, dass sie sie anziehen und g emeinsam mi t ihr die P raxis v erlassen konnte. Psychodiagnostisches Einzelgespräch mit Kristina V. am xx.12.2003 in der Praxis der Sachverständigen in B. Eingebettet in den A blauf des F amily Rela tions Tests wurde mit Kristina über ihre Familie, andere Bezugspersonen, die derzei tige familiäre Konfliktsituation, ihr en All tag und ihr e Z ukunftsvorstellungen und -wün sche g esprochen. Als F rau V . draußen Pla tz g enommen ha tte, b egann K ristina sofort, über sich zu erzählen. Kristina b erichtete, dass es ihr im H aushalt ihrer Mutter manchmal langweilig s ei. Wenn ihre Freundin L inda nic ht b ei ihr s ei, sp iele sie mi t ihren Mäusen. Linda sei ihre einzige Freundin und wohne im selbem Haus in der Wohnung nebenan. Wenn sie mit ihrer Freundin spiele, liefen sie häufig zwischen den Wohnungen hin und her. Manchmal gingen sie aber auch draußen zusammen spazieren oder führen Inliner. Kristina betonte, dass sie eine sehr gute Läuferin sei und auch häufig ohne Helm fahre. A uf N achfrage ga b K ristina a n, dass ihr e Mutter sie in dera rtigen S ituationen a uch nic ht zwinge, den H elm aufzusetzen. Frau V. nehme sie dann manchmal an die Hand. Gefragt nac h ihr em All tag im K indergarten gab Kristina an, dass sie die s chnellste, älteste und
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21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
stärkste sei. Sowohl dort als auch bei ihren Cousins gewinne sie jeden Kampf. Am Nachmittag habe sie zu den Kindern des Kindergartens keinen Kontakt. Kristina berichtete, dass sie sic h mit allen Kindern und allen Erziehern gut verstehe. Das Z usammenleben mi t ihr er M utter b eschrieb K ristina wie f olgt: M orgens st ehe sie um 6.00 U hr a uf. M anchmal ziehe sie sic h s chon alleine an, manchmal helfe ihr ihre Mutter aber auch dabei. Der Kindergarten beginne um 7.30 U hr. Zu Hause ess e sie mo rgens nic hts, und a uch in den Kindergarten nehme sie k ein B rot mi t, s ondern »klaue« sic h etwas v on den T ellern der K indergärtnerinnen. Sie berichtete auch, dass sie viel Z eit damit verbringe, ihre Mäuse zu tra inieren. Außerdem k oche sie g ern s elbst und b estimme immer, was von den vorhandenen Lebensmitteln gegessen werden s olle. I n dies em Z usammenhang erzähl te Kristina, dass sie einmal Nudeln mit Käse-SahneSauce gegessen hätten, die nac h alten Tee-Beuteln geschmeckt und »gestunken« habe. Auf Nachfrage, ob die L ebensmittel v erdorben g ewesen s eien, erklärte Kristina, sie seien frisch gewesen. Über die Rolle ihrer Mutter berichtete Kristina, dass Frau V. immer s ofort mit ihr zum Arzt g ehe, wenn es ihr nic ht gu t g ehe. Außerdem b ringe sie sie a bends in s B ett, w enn sie a uf dem Ar m ihr er Mutter eingeschlafen sei. Danach schaue sie aller dings w eiter F ernsehen (z. B. »D eutschland suc ht den Superstar«) oder höre Musik. Später berichtete Kristina, dass ihre Mutter ihr abends auch manchmal etwas vorlese. Angesprochen auf mögliche Situationen, in denen F rau V . mi t K ristina s chimpfe, ä ußerte das Mädchen zunäc hst, dass ihr e M utter nic ht mi t ihr s chimpfe. K urz da rauf rä umte sie ein, dass dies schon vorkomme, wenn sie z. B. etwas ka putt gemacht ha be. D ann b ekomme sie Är ger, z. B. in Form v on F ernsehverbot o der der Dr ohung, dass sie ihr e M äuse nic ht b ehalten d ürfe. F rüher ha be sie ma nchmal S tubenarrest b ekommen, a ber das sei schon lange nicht mehr vorgekommen. Über ihr en Vater ga b K ristina a n, dass dies er nicht mehr zu ihr er Familie gehören s olle. Als B egründung für diesen Ausschluss führte sie zunächst an, dass sie sic h da nn w ohler f ühle. A ußerdem erzählte sie, dass sie beim Vater keinen Saft, sondern nur Cola und Wasser zu tr inken bekomme, dass er
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ihr Harry Potter auf Video gezeigt habe, und dass er sie einmal nicht nach Hause gefahren habe, obwohl sie nic ht mehr b ei ihm ha be üb ernachten w ollen. An den g enauen Ablauf dieser Auseinandersetzung konnte sic h K ristina nic ht mehr er innern. S päter führte sie als w eiteres Ar gument a n, dass H err V. immer mit ihrer Mutter gezankt habe und sic h von dieser getrennt habe. Auch Frau V. möge ihn daher nicht mehr. Besonders betonte Kristina, dass ihr Vater Angst vor ihren Mäusen habe und dass sie dies e deshalb nicht mit zu ihm nehmen könne. Dies habe ihre Mutter ihr gesagt. Kristina war einerseits überzeugt, dass ihr Vater sie liebe und traurig sei, dass sie ihn nicht mehr besuchen wolle. Andererseits glaubte sie aber, dass er seinen Sohn mehr liebe als sie, da er mehr Z eit mi t dies em v erbringe. Verhaltensweisen oder Situationen, die sie zu dies er Überzeugung gebracht hätten, konnte Kristina nicht berichten. Peter, der S ohn des V aters a us zw eiter E he, wird v on K ristina als »der , der eig entlich mein Stiefbruder s ein s ollte« b etitelt. Angesprochen auf diese Ein schränkung erk lärt sie , dass er dies n un nicht s ei, w eil er nic ht V. heiße . Außerdem s ei er langweilig. Man könne mit ihm nicht so gut toben wie mit ihrem »eigenen« Cousin. Das letzt e T reffen zwis chen ihr und ihr em Vater habe im G erichtssaal stattgefunden. Kristina gab a n, dass sie mi t ihr er M utter und ihr er Oma dort g ewesen s ei. Ihren Vater ha be sie zwa r g esehen, nic ht a ber g esprochen. S ie und ihr e M utter seien nur wiederholt an ihm v orbei gegangen. An die b egleiteten K ontakte b eim K inderschutzbund konnte o der w ollte sic h K ristina eb enso w enig erinnern wie an ihre früheren Besuche beim Vater und seiner Familie. Über die Beziehung der Eltern und deren Konflikte ga b K ristina a n, dass sie wiss e, dass es im Streit der E ltern um sie g ehe. S ie »zer rten a n ihr herum«. Früher seien sie da bei häufig laut geworden und hä tten g eschrieen. I m G erichtssaal ha be sie beide bis auf den Flur gehört. Ihre Mutter habe jedoch a m la utesten g eschrieen. K ristina b etonte, dass sie es nic ht gu t f inde, dass sic h ihr e E ltern streiten und dass sie nic ht mehr w olle, dass a n ihr her umgezerrt w erde. D eshalb w olle sie nic ht mehr zu ihr em V ater. K ristina lehn te in dies em Zusammenhang nic ht nur wiederho lt p ersönliche Besuche beim Vater oder Treffen mit dem Vater in
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einer neutralen Umgebung ab, sondern sie weigerte sich a uch, t elefonische o der b riefliche K ontakte zum Vater aufzunehmen. Kristina betonte, dass sie selbst wiss e, was gu t f ür sie s ei. S ie w olle n ur b ei ihrer M utter leb en. K ristina b erichtete in dies em Zusammenhang, dass ihr e Mutter ihr g esagt habe, dass sie dies dem Gericht sagen solle. Gegen Ende des G esprächs erk lärte sich Kristina b ereit, ein B ild v om Ga rten ihr es Onk els zu malen. Sie malte einen Pool und einen Apfelbaum. Als die Sac hverständige sie a ufforderte, do ch ihre Familie in den Garten zu malen, weigerte sich Kristina zunäc hst. D ann b ot das M ädchen a n, ihr en Opa, ihre Oma und L., eine ehemalig e Erzieherin, in den Ga rten zu malen. K ristina malte daraufhin eine P erson und einen S chmetterling. Die Z eichnung wies K reise und L inien auf. Beim Ausmalen der Flächen hatte Kristina deutliche Probleme. Die Abbildung der Person stellte die Weiterentwicklung eines Kopffüßlers dar. Dieser hatte acht Finger. Als das B ild f ertig wa r, b eschriftete K ristina dies mi t ihrem Namen. Diesen schrieb sie spiegelverkehrt. Ergebnisse des Family Relations Tests, durchgeführt mit Kristina V. am xx.12.2003 in der Praxis der Sachverständigen in B. Als Kristina zu B eginn des T estverfahrens gefragt wurde, w er alles zu ihr er F amilie g ehöre, na nnte sie spontan sich selbst, ihre Cousins Falk und Leon, sowie ihre Tante Inge, ihren Onkel Matthias, ihre Tante K atja s owie ihr en Onk el S ebastian. Allen Personen o rdnete K ristina entsprechende Figuren zu. Erst auf direkte Nachfrage gab das Mädchen an, dass a uch F rau V. zu ihr er F amilie g ehöre. Herrn V. wollte Kristina an diesem »Familienspiel« nicht teilnehmen lassen. Die meist en Z uschreibungen erhiel t F rau V . (15). Kristina beschrieb ihre Mutter als die Person, die sie g ern k üsse und mi t der sie g ern spazier en gehe. Außerdem machte Kristina durch ihre Aussagen deutlich, dass sie sic h von ihrer Mutter geliebt und geachtet fühlt. Darüber hinaus zeigten Kristinas Antworten, dass sie sic h in st arker Abhängigkeit von ihrer Mutter sieht. Dies e ist g emäß Kristinas An gaben die P erson, v on der sie sic h H ilfe und Unterstützung in jeder Ar t erho ffe. N egative
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Bewertungen oder Aussagen schrieb Kristina ihrer Mutter nicht zu. Ihre T ante I nge b eschrieb K ristina als net te Person, b ei der sie g ern auf dem S choß sitze und von der sie a ngelacht w erde. A uch ihr e C ousins Leon und Falk stellte Kristina überwiegend positiv dar. M it Falk spiele sie g ern, obwohl er nic ht immer brav sei und sie auch ab und zu ärgere. Sie sei sein k leines Mädchen. L eon und sie sp ielten auch gern miteinander. Dabei »haue« er sie ma nchmal, manchmal nehme er sie aber auch in den Arm. Tante Katja, Onkel Matthias und Onkel Sebastian t eilte K ristina im w eiteren Verlauf des T estverfahrens keine bzw. nur eine Aussagen zu: Üb er Tante Katja gab sie an, dass sie diese lieb habe. Sich s elbst wies K ristina k eine Z uschreibungen zu . N ach F rau V. erhiel t H errn N iemand die meisten Karten (13). Diese Figur steht als Platzhalter f ür Eig enschaften o der Verhaltensweisen, v on denen die K inder s agen, dass dies e a uf k einen in der F amilie zu treffen. Die v on K ristina a n H errn Niemand vergebenen Karten enthielten ausnahmslos Z uschreibungen v on nega tiven G efühlen, die sie g egenüber a nderen ha t o der die a ndere ihr er Meinung nach gegenüber ihr haben. Hinsichtlich ihres Vaters äußerte Kristina spontan auf die Frage, wen sie nicht mehr in der Familie haben wolle: »Ihren Vater«. Auf Nachfrage erklärte Kristina: »Weil er sic h immer mi t meiner M ama gezankt ha t und w eil er sic h v on meiner M ama getrennt hat.« 4.
Informatorische Gespräche
Informatorisches Gespräch mit Frau T. während des Hausbesuches in der Wohnung der Familie V. am xx.08.2004 in K. Herr V. bewohnt mit seiner Frau, seinem Sohn und den b eiden K indern s einer F rau eine 4-Z immerWohnung. Die dr ei K inderzimmer sind q uadratisch geschnitten und hell. Als F rau Di pl.-Psych. F. a nkam, sp ielte P eter mit Manuel und Sa ndra in s einem Kinderzimmer. Durch die geschlossene Tür waren Stimmen zu hören, die durcheinanderredeten und lachten. Frau T . b erichtete üb er die B esuchskontakte von Kristina, dass zu Anfang Frau S. diese begleitet
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hätte. N ach einig er Z eit s ei sie n ur no ch a n der Übergabe des K indes b eteiligt g ewesen. S ie ha be das Kind zu ihnen gebracht, und sie und ihr Mann hätten Kristina nac h dem B esuch wieder zu ihr er Mutter zur ück g ebracht. Dies e Üb ergaben ha be sie als s chwierig in Er innerung. »W enn K ristina wusste, dass es nach Hause geht, dann war Kristina jemand a nders.« B ereits im A uto ha be K ristina kein Wort mehr gesagt. Sie habe sich von ihrem Vater nicht mehr berühren lassen und sich nicht von ihm v erabschiedet. Als H err V. sie einmal g efragt habe, ob sie ihr er Mutter erzählen w erde, dass es ihr beim Vater gefallen habe, habe Kristina erklärt, dass dies ihr G eheimnis b leiben m üsse. F rau V. werde s onst b öse. A uch B erührungen des V aters zur Verabschiedung führten gemäß Kristina dazu, dass ihre Mutter anschließend mit ihr g eschimpft habe. B ei der Üb ergabe s ei F rau V. a us der T ür gekommen, habe Kristina auf den Arm genommen und s ei o hne ein W ort wieder mi t dies er v erschwunden. Ein G espräch zwis chen den f rüheren Eheleuten habe nicht stattgefunden. Die K ontakte hätten zunächst einmal w öchentlich samstags von 10.00 bis 17.00 Uhr stattgefunden. Als Frau S. die Übergaben nicht mehr begleitet habe, ha be K ristina jedes M al a n der T ür g esagt, dass sie nic ht mit zum Vater wolle und auch nicht dort übernachten wolle. Wenn Herr V. dann einige Worte mit ihr geredet habe, habe sie aber schließlich doch immer zug estimmt, mi tzukommen. Einmal sei es dabei zu einem Streit gekommen, den Frau T. im Rückspiegel b eobachtet habe. Kristinas Mutter habe wiederum mit Kristina auf dem Ar m an der Straße g estanden. K ristina ha be g esagt, dass sie nicht mitwolle. Als Herr V. sie vom Arm der Mutter herunter genommen habe, habe Kristina jedoch keinerlei Gegenwehr gezeigt. Daraufhin habe Frau V. a ngefangen, »h ysterisch« zu s chreien. K ristina habe begonnen zu weinen, und Herr V. sei gemeinsam mi t ihr und o hne s eine Tochter nac h H ause zurückgefahren. Bei allen anderen Kontakten habe Kristina im A uto si tzend s ofort g esagt, dass sie doch beim Vater schlafen wolle. Sie sei ab diesem Moment offen und fröhlich gewesen. Jeden Abend hätten sie und ihr M ann Kristina überdies gefragt, ob sie lieber zu Hause schlafen wolle. Dies habe sie jedoch stets verneint. Allerdings habe sie mit ihrem Vater in einem Raum schlafen wollen, was ihr auch
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gestattet w orden s ei. A uf die F rage, ob K ristina von ihrer Mutter K leidung zum W echseln f ür die Übernachtungsbesuche mi tbekommen ha be, ga b Frau T. a n, dass dies jedes M al der F all g ewesen sei. Kristina habe sowohl frische Kleidung als auch Schlafkleidung und Waschzeug dabei gehabt. Während der Besuchskontakte sei Kristina sehr offen gewesen. Sie habe mit ihrem Vater geschmust und g etobt. Die Z eit mi t ihm ha be sie sic htlich genossen. H err V . ha be mi t s einer T ochter b eispielsweise Puppen gespielt, oder sie hätten alle gemeinsam etwas zus ammen unternommen. Häufig hätten sie mi t Kristina kleinere Ausflüge gemacht. So seien sie beispielsweise zum Tierpark oder zum Spielplatz g egangen. I m S ommer s eien sie hä ufig im Schwimmbad gewesen. Kristina habe dabei jedes Mal mitentscheiden dürfen, was unternommen werden s ollte. F rau T. zeigt e F rau Di pl.-Psych. F. Photos, a uf denen K ristina mi t ihr em Vater o der mit F rau T .s K indern im S chwimmbad und a uf Spielplätzen abgebildet war. Situationen, in denen K ristina kra nk g ewesen s ei o der sie An gst g ehabt ha be, ha be es nic ht gegeben. Einmal ha be K ristina b eim S pielen in die H ose g emacht. K ristina ha be dies zunäc hst vehement a bgestritten, was F rau T . merkwür dig vorgekommen sei. Kristina habe ihr den Eindr uck vermittelt, als warte sie auf etwas, nachdem Herr V. das Einnässen bemerkt hatte. Danach habe sie sich jedoch wieder wie immer verhalten. Frau T. b etonte, dass sie K ristina niemals a uf ihre Mutter angesprochen habe, und auch Kristina habe nur sehr selten etwas von ihrer Mutter und ihrem Alltag erzählt. Einmal ha be sie sic h beispielsweise im T ierpark einen Rin g aus einem Automaten gezogen und habe dazu erklärt, dass sie dies en hinter ihrer Puppenküche verstecken müsse, damit ihre Mutter ihr dies en nicht wegnehme. Ein anderes M al ha be sie g esagt, dass H err V. k einen Unterhalt zahle, obwohl dies nic ht der Wahrheit entspreche. Kristina habe Herrn V. jedoch im gleichen Atemzug auch angeboten, ihm ihr S parschwein zu schenken. Außerdem habe das Mädchen berichtet, dass sie alle Photos von sich und ihrem Vater habe zerschneiden müssen. Den Teil mit Herrn V. hätten sie und ihr e M utter da nn w eggeworfen. F rau T . gab überdies an, dass K ristina manchmal im S piel auch verletzende Sachen gesagt habe. Einmal habe
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
sie ihren Vater beispielsweise als »wertlosen Vater« bezeichnet, ohne jedoch ihr Spielverhalten mit ihm zu v erändern. Ein a nderes M al ha be sie ihm er klärt, dass er nicht schwarzarbeiten dürfe. Er müsse stattdessen mehr arbeiten, damit er mehr Unterhalt zahlen k önne. K leidung, die K ristina v on ihnen bekommen habe, habe sie nie wieder getragen. Das Mädchen habe später berichtet, dass F rau V. diese auf den Speicher gebracht habe. Frau T . ga b a n, dass derzei t o ffiziell immer noch begleitete Kontakte beim evangelischen Verein f ür J ugend- und F amilienhilfe st attfänden. I n den letzt en W ochen s eien jedo ch alle K ontakte durch Frau V. abgesagt worden. Zuvor habe Frau V. Kristina stets auf dem Ar m getragen, wenn sie sie gebracht und a bgeholt hätte. Die Z eit, die K ristina mit ihrem Vater verbracht habe, habe Frau V. vor der Tür sitzend gewartet. Über den er sten K ontakt zwis chen K ristina und sic h ga b F rau T. a n, dass sie da mals p ositiv überrascht g ewesen s ei. V or dem T reffen ha be sie An gst g ehabt, dass K ristina durch ihre Mutter beeinflusst s ein k önnte und sie a blehnen k önnte. Kristina s ei jedo ch b ei ihr em er sten Z usammentreffen sehr offen und aufgeschlossen gewesen. Sie hätten g emeinsam mi t F rau S. g efrühstückt, und danach s eien sie no ch zu P ferden g efahren. D ort hätten sie F angen gespielt, und K ristina habe sich laut lachend von ihr auffangen lassen. Sie ha be K ristina b isher als s ehr zu vorkommendes, aufgeschlossenes und fröhliches Mädchen kennen gelernt. Weder ihr noch ihren Kindern gegenüber habe sich Kristina jemals aggressiv verhalten. Auch frech sei sie ihr g egenüber nie g ewesen. Wenn Kristina mit etwas gespielt habe und man sie gebeten habe, hinterher aufzuräumen, habe sie das getan. Kristina habe noch einige Puppen und Z ubehör f ür dies e im H aushalt des Vaters. Wenn sie zu Besuch gewesen sei, habe sie stets damit spielen wollen. Kristina habe dann zumeist bestimmt, wer welche Pu ppe sp ielen s ollte. F rau T. ga b a n, dass es ihr eb enso wie ihr er Tochter und H errn V. b ei diesen S pielen jedo ch a uch mög lich g ewesen s ei, Kristina v on einem k urzzeitigen Tausch der Pu ppen zu überzeugen. Die B eziehung zwis chen K ristina und P eter beschrieb Frau T. als wenig intensiv. Peter sei etwa ein halb es J ahr al t g ewesen, als K ristina ihn k en-
nengelernt ha be. K ristina ha be sic h zwa r um ihn gekümmert, wie ma n sic h um eine Pu ppe k ümmere, do ch ha be ihr H auptinteresse eindeutig b ei ihrem Vater gelegen. Eifersüchtig habe sie sic h jedoch niemals gezeigt, wenn Herr V. Peter auf dem Arm g ehabt ha be o der mi t ihm g eschmust ha be. Allerdings habe sich Herr V. an den Wochenenden auch v ermehrt mi t K ristina b eschäftigt, da P eter mit s einen V ater jeden T ag in der W oche ha be spielen können. Über P eters B eziehung zu H errn V. ga b F rau T. an, dass dies e ebenfalls sehr eng sei. Peter habe vor einigen Wochen mit Verdacht auf Pfeiffer’sches Drüsenfieber für eine Woche im Krankenhaus gelegen. Herr V. sei in dieser Zeit bei ihm geblieben. Sie habe no ch ihr e äl teren K inder v ersorgen müssen, und a ußerdem ha be n ur sie einen F ührerschein. Peter habe dies nic hts ausgemacht. Vielmehr habe er a uch nac h der W oche im K rankenhaus da rauf bestanden, dass er v on seinem Vater an- und a usgezogen werde. Kristinas Beziehung zu Sandra und Manuel sei ebenfalls b isher no ch nic ht s ehr in tensiv. W enn Kristina übers Wochenende bei ihnen gewesen sei, seien M anuel und Sa ndra hä ufig b ei ihr em Vater gewesen. W enn alle zus ammen zu H ause g ewesen s eien, ha be sic h M anuel w eniger f ür K ristina interessiert. Sa ndra und K ristina hä tten jedo ch zusammen mit Puppen gespielt oder andere Dinge unternommen. Streit habe es nic ht gegeben. Auch die Tatsache, dass Herr V. während der Wochenenden seine Zeit überwiegend mit Kristina verbringe, hätten M anuel und Sa ndra gu t v erstanden. A uch die V orstellung, dass K ristina mög licherweise zu ihnen ziehe , s ei f ür die K inder k ein P roblem. Sie hä tten sic h ledig lich üb er die V erteilung der Zimmer G edanken g emacht. M anuel und Sa ndra bekämen s eit vier J ahren mi t, wie s chwierig die Situation von Kristina und ihrem Vater sei, und sie wüssten als Scheidungskinder, was es bedeutet, den Vater r egelmäßig und s o o ft sie w ollen, b esuchen zu können. Die B eziehungen v on Sa ndra und M anuel zu Herrn V. s eien f reundschaftlich. Herr V. s ei nic ht ihr V ater, a ber sie hö rten a uf ihn, w enn es um alltägliche Angelegenheiten ginge. Zu Anfang habe es da ma nchmal P robleme g egeben, a ber inzwischen sei dies nicht mehr der F all. Wenn sie etwas
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angestellt hä tten, r edeten sie g emeinsam mi t den Kindern da rüber. K äme die Ein sicht nic ht, da nn müssten sie in ihr Z immer. Zumeist reiche jedoch ein ernstes Gespräch aus. Gefragt nac h ihr en Z ukunftsvorstellungen er klärte Frau T., dass sie – sollte Kristina nicht zu ihnen kommen – mit dem Gedanken spiele, halbtags arbeiten zu gehen. Sollte Kristina jedoch zukünftig bei ihnen w ohnen, w erde sie dies nic ht mac hen, weil Kristina in den ersten Schuljahren vermutlich zu sehr unterschiedlichen Z eiten Schulschluss haben werde. Auf Nachfrage gab Frau T. an, dass es nur eine Grundschule im Or t gebe. Angesprochen auf die Vorstellung, wie sich ihr Alltag und der der Familie v erändern wür de, falls K ristina zuk ünftig bei ihnen w ohnen wür de, erk lärte F rau T ., dass sich ihr All tag nur b egrenzt verändern werde. Sie werde f ür K ristina eb enso wie f ür alle a ndere da sein. Sie stehe morgens auf, mache Frühstück, die Kinder gingen in die Schule, während sie mit Peter spiele und das Ess en zub ereite. N achmittags b eschäftigten sie sich gemeinsam. Wenn Herr V. nach Hause käme, äßen sie alle zus ammen, und a bends hätten sie jetzt im S ommer häufig no ch lange auf der Terrasse gesessen, während die Kinder draußen noch g espielt hä tten. M ögliche P robleme s ehe sie insbesondere bei Kristinas Mutter. Frau T. gab an, dass sie f ürchte, dass dies e r egelmäßig v or ihr er Wohnung st ehen k önne, um die H erausgabe v on Kristina zu v erlangen. A uch K ristina s elbst wä re zu Anfa ng sic her tra urig und wür de leiden. F rau T. war der Überzeugung, dass Kristina ihre Mutter wie jedes K ind lieb t, und dass sie es nic ht s chön finden wür de, nic ht mehr b ei dies er w ohnen zu dürfen. Auf die Frage, wie sie und Herr V. Kristina dann b egegnen wür den, ga b F rau T. a n, dass sie Kristina ihre Mutter nicht nehmen wolle und dass das Kind – w enn es dies s age – jederzei t zu B esuchen zur Mutter könne. Bezüglich der g egenwärtigen S ituation s agte Frau T., dass sie in sbesondere die Lügen, zu denen Kristina durch ihre Mutter erzogen werde, als »gefährdend« ansehe. Kristina dürfe im H aushalt der Mutter w eder f rei da rüber r eden, dass sie ihr en Vater liebe und gern Zeit mit ihm verbringe, noch dürfe sie als K ind a ufwachsen. W iederholt ha be Kristina üb er Din ge b erichtet, die sie n ur d urch Gespräche mi t der M utter wiss en k önne und die
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zeigten, dass K ristina im H aushalt der M utter die Rolle eines P artners ausfüllen müsse. Als B eispiel führte F rau T. den K rebstod eines B ekannten a n, über den Kristina alles gewusst habe. Kristina habe überdies b erichtet, dass ihr e M utter ihr a ufgetragen ha be, die etwa 11-jähr ige Tochter des T oten zu trösten. Während des G esprächs mit Frau T. kam Herr V. v on der Arb eit nac h H ause. Er b egrüßte die Sachverständige und gin g da nn zunäc hst zu s einem S ohn Peter, der a m Vormittag einen T ermin zur Nachuntersuchung beim Kinderzahnarzt hatte. Peter sprang auf den Ar m seines Vaters und s agte, dass es ihm gu t g ehe. H err V. v erließ da nn mi t seinem Sohn das Wohnzimmer und brachte diesen zurück ins Kinderzimmer, in dem sich Manuel und Sandra aufhielten. Herr V. gab gegenüber Frau Dipl.-Psych. F. an, dass es v or etwa vierzehn W ochen letztmalig zum begleiten Kontakt zwischen ihm und s einer Tochter g ekommen s ei. Er ha be dr ei Termine a bsagen müssen: Einmal s ei Peter operiert worden, einmal sei er kra nk g ewesen, und einmal ha be er un gedingt arbeiten müssen. Kristinas Mutter habe alle anderen K ontakte a us g esundheitlichen G ründen oder wegen einem K indergartenfest abgesagt. Die nächsten Kontakte sollten nach den Sommerferien neu terminiert werden. Über die vergangenen begleiteten Kontakte gab Herr V. an, dass sic h das Verhalten seiner Tochter ihm g egenüber nic ht v erändert ha be. W enn sie komme, b rauche er einig e M inuten, um mi t ihr warm zu w erden. D anach spielten sie a usgelassen miteinander, und w enn die g emeinsame Z eit zu Ende g ehe, d ürfe er K ristina nic ht einmal mehr anfassen, und sie sp reche a uch nic ht mehr mi t ihm. In dieser Art und Weise verhalte sich Kristina auch, w enn er sie und ihr e M utter b eispielsweise beim Einka ufen tr effe. F rau V. v erstecke K ristina dann unter ihrem Mantel. Wenn sie im Auto sitze, mache sie schnell alle Knöpfe herunter. Obwohl er Kristina winke, schaue das Mädchen ihn in solchen Situationen kaum an. Die E lterngespräche, die jeden D onnerstag beim evangelischen Verein für Jugend- und F amilienhilfe st attfänden, s eien »katastrophal«. Frau V. spreche nie direkt mit ihm und sehe ihn auch nicht an. Wenn sie üb er ihn r ede, benutze sie nic ht sei-
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nen Namen, sondern nenne ihn nur »der Mensch«. Wenn er sie a nspreche, s age sie der M oderatorin, was sie H errn V. mi tteilen w olle. I nformationen über Kristina erhalte er auf diesem Weg gar keine. Er werde weder über den Gesundheitszustand noch über andere wichtige Lebensabschnitte informiert. Während der g esamten Z eit erleb e er K ristinas Mutter als aggressiv. Gefragt nac h s einen Z ukunftsvorstellungen stellte Herr V. noch einmal hera us, dass es f ür ihn, für K ristina und f ür s eine F amilie k einesfalls s o weitergehen könne wie bisher. Alle litten unter dieser Situation. Wenn Kristina jedoch zu ihnen kommen w erde, r echne er zu Anfa ng mi t P roblemen. Kristina s ei s ehr a n ihr e M utter »g ebunden« und würde sich sicher zu Anfa ng nur s chwer einleb en. Er glaube jedoch, dass sie K ristina darüber hinweg helfen könnten, wenn sie sic h viel Z eit für sie nehmen und viel mit ihr reden würden. Dabei sah Herr V. seine Frau an, die zustimmend nickte. Er betonte, dass K ristina sic h nic ht nur a n ihn, s ondern auch an die gr oße Familie gewöhnen müsste. Sie müsse den ersten Schritt auf die Familie zu machen, wenn sie sich danach f ühle. S o lange müsse man ihr innerhalb der Familie so etwas wie einen Schutzraum gewähren. Er sah die Gefahr, dass Kristinas Mutter weniger den K ontakt suchen als vielmehr a uf Fehler ac hten w erde, die sie mög licherweise b egehen werden. Herr V. betonte in diesem Zusammenhang, dass er sic h niemals s o v erhalten wür de wie s eine Ex-Frau dies t ue. Er ha be das Z iel, dass K ristina genauso mit ihren beiden Eltern aufwachsen könne, wie dies für Sandra und Manuel möglich sei. Wenn sich alles b eruhigt hätte, s olle K ristina s agen k önnen, wann immer sie zur Mutter wolle, und es solle ihr frei stehen, diese auch außerhalb der offiziellen Besuchskontakte mal zu besuchen. Am Ende zeigt e H err V. F rau Di pl.-Psych. F. die Wohnung. Er erklärte, dass sich ggf. vermutlich Manuel und K ristina zunäc hst ein Z immer t eilen sollten. Als F rau T. ihn da rauf hin wies, dass dies aufgrund der G eschlechtsunterschiede e vtl. nic ht die b este M öglichkeit s ei, erk lärte H err V., dass auch M anuel und P eter sic h mög licherweise ein Zimmer teilen könnten. D arüber werde man entscheiden, wenn das Problem anstünde. Im Kinderzimmer von Peter angekommen, begrüßten alle drei Kinder Frau Dipl.-Psych. F.. Peter
zeigte ihr eine D ose und erk lärte, dass dies K augummi sei. Dann fragte er dies e: »Gehst du gleich wieder?« Frau Dipl.-Psych. F. nickte daraufhin und fragte ihn, ob er dies w olle, damit er s einen Vater für sich hätte. Dies bejahte Peter lachend. Informatorisches Gespräch mit Frau G. vom Jugendamt am xx.09.04 Frau G. erk lärte, dass ihr B erichte des e vangelischen Vereins f ür Jugend- und F amilienhilfe v orlägen und sie dies e zur V erfügung st elle. Dies e umfassten den Zeitraum bis Mai 2004. Über die b egleiteten Umgangskontakte s chrieb die B esuchsbegleiterin des e vangelischen V ereins, dass Kristina stets offen auf ihren Vater zugegangen sei. Sie habe sich auf Spielangebote, die H err V. ihr gemacht habe, eingelassen und von sich aus Körperkontakt zu ihrem Vater gesucht. Herr V. sei es dabei gelungen, seine Tochter durch Rollenspiele »aus der Reserve zu lo cken«. K ristinas Ä ußerungen hä tten oft im W iderspruch zu ihr em Verhalten gestanden. Am Ende der Kontakte habe Kristina sich gegenüber ihrem Vater immer sehr distanziert verhalten. Auch verabschiedet habe sie sich von ihm nicht. Bei den er sten Terminen sei Kristina stets mit Verhaltensregeln, die ihr e Mutter ihr zu vor gesagt hatte, belastet gewesen. Herr V. habe diese Regeln akzeptiert. Nach einem diesb ezüglichen G espräch mit Frau V. hätten diese Vorgaben auch »zunächst« abgenommen. Über die G espräche mi t H errn V . g eht a us dem B ericht her vor, dass dies er die L oyalitätskonflikte s einer Tochter nachvollziehen und dies e berücksichtigen konnte. Er ha be das Wohlergehen seiner Tochter in s Z entrum g estellt. E twas un gehalten ha be er r eagiert, als er g ebeten wur de, f ür ausgefallene Termine, eb enso wie F rau V., Atteste beizubringen. In den Reflektionsgesprächen mit Frau V. würden in sbesondere die U mgangskontakte t hematisiert. Frau V. s ei stets auf der S uche nach Erk lärungen f ür K ristinas Verhalten. Wiederholt s ei es innerhalb der G espräche zu M issverständnissen gekommen. Frau V. habe sich dann »hereingesteigert«. S ie s ei »s ehr a ufgebracht« g ewesen. Dur ch ruhiges Z ureden ha be sie sic h jedo ch b eruhigen lassen. H insichtlich der K ontakte zum V ater s ei 4.2
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Frau V. zu einer Ausdehnung nicht bereit gewesen. Sie habe nicht gewollt, dass Kristina beim Vater zu Abend esse. Außerdem habe sie sich nicht dazu bewegen lassen, Kristina allein b ei der F amilienhilfe zu lassen oder ihr warme Kleidung für Außenkontakte mitzubringen. Über die Elterngespräche geht aus dem Bericht hervor, dass b eide E ltern S chwierigkeiten hä tten, zwischen E ltern- und P aarebene zu tr ennen. A bsprachen seien nur über die M oderatorin möglich gewesen. In diesem Rahmen sei ein Informationsaustausch jedoch möglich gewesen.
VI. P sychologischer Befund Aus den ob en da rgestellten U ntersuchungsergebnissen sind die folgenden psychologischen Schlussfolgerungen abzuleiten. Anm.: Die im F olgenden a ngeführten S eitenzahlen beziehen sich auf die entsprechenden Seiten im v orhergehenden Er gebnisteil, a uf denen die ausführlichen B elege f ür die je weiligen hier im Befund f ormulierten A ussagen b zw. S chlussfolgerungen zu finden sind. 1.
Kristinas Bindungen und emotionale Beziehungen zur Mutter
Die emotionale B eziehung zwis chen K ristina und ihrer Mutter wird gemäß den v orliegenden Informationen s ehr un terschiedlich wahr genommen. Frau V. s elbst sieht sich von ihrer Tochter geliebt. Die B eziehung zwis chen sic h und ihr er T ochter nimmt sie als p ositiv und eng wahr. Auch die Mitarbeiterinnen des H orts b eschreiben den K ontakt zwischen Mutter und Tochter als liebevoll (S. ..). Bei den B ezügen a uf den Er gebnisteil w erden alle S eiten, a uf denen die en tsprechenden D aten dort zu finden sind, angegeben Dem gegenüber beschreibt Kristina ihre Mutter nicht als P erson, die sie lieb t, s ondern als P erson, die sie versorgt und von der sie sich abhängig fühlt. Innerhalb des Family Relations Tests beschreibt sie ihre Mutter nicht als eine der P ersonen, die sie als zur Familie gehörig ansieht (S. ..f.). Die emo tionale Beziehung zwischen Kristina und ihr er Mutter basiert demnach weniger auf Vertrauen, das K ristina in ihre Mutter hat, als vielmehr v orrangig auf Ver-
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lustängsten. Dies zeigt sic h nic ht n ur in der v on Kristina erleb ten unein geschränkten Abhängigkeit von der M utter, s ondern auch in ihr em Verhalten gegenüber ihrer Mutter: Auf der einen S eite suc ht das M ädchen en gen k örperlichen K ontakt zu ihrer Mutter, um ihr zu v ermitteln, dass sie F rau V. braucht und lieb t, und o rdnet sic h dem W illen der Mutter unter (vgl. Kindeswillen: S. ..). A uf der anderen S eite bringt sie ihr e Wut über das v ereinnahmende Verhalten der Mutter zunehmend durch Aggressivität im Umgang mit dieser zum Ausdruck (S. ..; vgl. S. ..ff. des ersten Gutachtens). Sowohl die verbale Repräsentation der Bindung zur Mutter als auch das V erhalten des K indes g egenüber F rau V. lassen demnac h a uf eine un sichere B indung des Kindes a n s eine M utter s chließen. K ristina wa r zwar in der Lage, sich ohne Probleme von der Mutter zu lösen, als sie allein mi t der Sachverständigen und F rau Di pl.-Psych. F. sp rechen s ollte, das B indungsverhalten, das Kristina jedoch zeigte, als Frau V. wieder a nwesend war, entsprach ihrem Alter in keiner Weise. K ristina ließ sic h v on ihr er M utter auf den Ar m nehmen und her umtragen. D erartiges unr eifes V erhalten wir d hä ufig b ei un sicherambivalenten Kindern beobachtet, da sie a ufgrund der Trennungsängste und der da mit v erbundenen anhaltenden Ak tivierung des B indungssystems in ihrem Exp lorationsverhalten ein geschränkt sind (Fremmer-Bombik 2002, S. 114). Die v on F rau Dr. A. im G utachten v om 27.11.2001 b eschriebene Bindungsqualität lässt sich demnach noch immer diagnostizieren (S. ..f. des er sten Gutachtens). Ebenso deutlich zeigt sich aufgrund der einseitigen Darstellungen des K indes und der a bnehmenden positiven emotionalen Facetten in der B indungsrepräsentation der Mutter (vgl. Bl. 25; S. ..ff. des ersten Gutachtens und S. .., ..f.), dass die »tiefgr eifende Vertrauensstörung«, die im J ahr 2001 die emo tionale B eziehung K ristinas zu ihr er Mutter p rägte, nicht a ufgearbeitet w erden k onnte. N och immer vermittelt Frau V. ihrer Tochter das Gefühl, dass das Mädchen sie verlieren werde, wenn sie sich dem Vater zuwende (vgl. S. ..f.; ..ff. des ersten Gutachtens). Keine Veränderungen gibt es üb erdies im b indungsrelevanten V erhalten der M utter. F rau V . zeigte sic h g egenüber ihr er T ochter nic ht in der Lage, deren Bedürfnis nach unbedingter Liebe und Geborgenheit gerecht zu werden. Sie begegnet ihrer
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Tochter st attdessen in einer a mbivalenten und f ür Kristina nicht vorhersagbaren Weise: Frau V. macht einerseits alles, was ihr e Tochter mö chte, und gib t ihr körperliche Zuwendung (z. B. Schmusen, wenn Kind es einf ordert; auf den Ar m nehmen und her umtragen: Bl. 152-160, S. .., vg l. auch Angaben des Horts: S. ..), andererseits straft sie Kristina durch distanziertes Verhalten und emo tionale Kühle (nicht beachten, in s Z immer s chicken, emo tionsarme Beschreibung des K indes: S. ..) und k ontrolliert sie (z. B. währ end des H ausbesuchs der Sac hverständigen: S. ..f f.). A uf der einen S eite b ehandelt sie K ristina wie ein K leinkind (z. B. a uf den Ar m nehmen und herumtragen: S. ..), während sie sie auf der anderen Seite insbesondere durch ihr Kommunikationsverhalten als g leichberechtigten P artner behandelt (S. ..; S. .. des er sten Gutachtens). Darüber hinaus ist Frau V. nicht fähig, das B edürfnis ihrer Tochter nach Zuwendung und L iebe des V aters a nzuerkennen (vg l. B indungstoleranz: S. ..). Ihr e eigene Angst, das K ind möglicherweise an den V ater zu v erlieren, ist ma ßgeblich f ür ihr Verhalten (klammern: S. ..; vgl. S. .. des ersten Gutachtens). Dem kindeswohldienlichen Ziel, Kristina eine w eitere zen trale B indungsperson zu erhal ten und ihr dad urch nicht nur eine umfass endere Erziehung, s ondern auch ein sic heres s oziales Netzwerk zur V erfügung zu st ellen, ha ndelt sie a us egoistischen M otiven zu wider. F rau V. v ermittelt Kristina durch dieses Verhalten stets, dass sie – und zwar a usschließlich sie – immer f ür das K ind da sei, und dass Kristina sich solange auf sie verlassen könne, wie das M ädchen den Er wartungen der Mutter – in sbesondere hinsichtlich der B eziehung zum Vater – entspreche (vgl. S. .. des ersten Gutachtens). D er Dr uck und die a nhaltende Trennungsangst, die Frau V. ihrer Tochter dadurch vermittelt, destabilisieren die emotionale Beziehung zwischen Mutter und T ochter und v ermitteln K ristina ein problematisches B ild v on en gen s ozialen B eziehungen (vgl. Zimmermann 2002, S. 229f.). 2. Er ziehungsverhalten und
Bindungstoleranz von Frau V.
Das bereits angesprochene, wenig feinfühlige Verhalten v on F rau V. g egenüber den zen tralen B edürfnissen ihr er T ochter t angiert nic ht n ur die
emotionalen und s ozialen B eziehungen v on K ristina, s ondern a uch die Erzieh ungsfähigkeit v on Frau V.. Da Frau V. erhebliche Schwierigkeiten hat, Kristinas B edürfnisse nac h un bedingter emo tionaler Wärme wahrzunehmen und dies en zu b egegnen, ist sie a uch nic ht in der L age, K ristina als sic here Basis f ür deren Entwicklung zu dienen. Exp loratives Verhalten stellt bereits bei sehr kleinen Kindern das Gegengewicht zum Bindungsverhalten dar. Nur wenn diese wissen, dass ihre Mütter verfügbar sind, wenn sie sie brauchen, entwickeln sie das Vertrauen, ihrer Neugier auf die Welt freien Lauf zu lassen. Das anklammernde, nic ht al tersgemäße B indungsverhalten Kristinas und die da mit im Zusammenhang stehende, demo nstrierte A bhängigkeit v on ihr er Mutter, die v on Frau V. durch ihre Re aktion no ch verstärkt werden (z. B. entmutigende Kommentare der M utter: »D as kr iegst d u do ch nic ht a uf die Reihe.«, auf den Ar m nehmen, w enn K ristina das wünscht; U nvermögen, das K ind a nzuleiten: S. ..; Bl. 152-160), s chränken Kristinas Explorationsverhalten erheblich ein und v erzögerten altersgemäße Entwicklungsschritte (vg l. Z ubinden v on S chuhbändern, zählen, malen, erler nen von Spielen: S. ..; Fremmer-Bombik 2002, S. 114f.). Gleichzeitig hat Frau V. massive S chwierigkeiten, ihre Tochter als K ind wahrzunehmen, das f ür seine gesunde Entwicklung einen mög lichst unbelasteten S chutzraum b raucht, den das E lternhaus i.d.R. g ewähren s ollte. K ristina und ihr e M utter machten im R ahmen der B egutachtung wieder holt deutlich, dass Themen wie T od, Krankheiten, Geldsorgen und der All tagsstress der M utter r egelmäßig g emeinsam b esprochen w erden (S. ..). Durch ein dera rtiges K ommunikationsverhalten, das auch den E lternkonflikt als Thema nic ht ausschließt, drä ngt F rau V. ihr e Tochter in die Ro lle eines Partnerersatzes und überfordert sie jedenfalls emotional in unzum utbarer Weise (Dettenborn u. Walter 2002, S. 99f.). N icht nur in dies em Bereich zeigt F rau V . T endenzen, ihr e B edürfnisse üb er die Bedürfnisse ihrer Tochter zu stellen (vgl. auch: Bindungstoleranz: S. ..f.; nic ht bei Ponyreiten spielen dürfen, weil sie s onst haftbar gemacht werden kann: S. ..). Neben der mangelnden Feinfühligkeit von Frau V. b ei der W ahrnehmung der B edürfnisse ihr er
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Tochter sind in ihrem Erziehungsverhalten weitere problematische Facetten aufzuzeigen: Frau V. ist zwar prinzipiell in der Lage, Kristina angemessen zu v ersorgen, ihre passende Kleidung zur Verfügung zu st ellen und die ä rztliche Versorgung ihrer Tochter zu gewährleisten, dennoch kam es im R ahmen des H ausbesuchs zu B eobachtungen, die eine V ernachlässigung der F ürsorge g egenüber Kristinas physischer Gesundheit erkennen ließen (z. B. voller Aschenbecher in der Wohnung, obwohl K ristina einmal a n K rupphusten li tt; eisige Temperaturen und o ffene F enster b ei kal tem Wetter, währ end K ristina n ur mi t einer S trumpfhose und einem S weatshirt b ekleidet üb er den unbeheizten B oden lief, Ess en v on o ffensichtlich verdorbenen L ebensmitteln: S. ..). A ußerdem ist Frau V. n ur b egrenzt in der L age, K ristinas aggressivem Verhalten G renzen zu s etzen und ihr er Tochter Reg eln aufzuzeigen. Wenn K ristina etwas anstellt bzw. ihr gegenüber aggressiv ist, lässt sie sie gewähren und schickt sie danach in ihr Zimmer (S. ..f., vgl. S. ..f. des ersten Gutachtens). Andere Erziehungsmaßnahmen er greift F rau V. nac h eig enen Aussagen i .d.R. nic ht (S. ..). D adurch s etzt K ristina gegenüber ihrer Mutter auch Verhaltensweisen durch, die F rau V. eig entlich un terbinden m üsste (z. B. Treten der Mutter; Fahren ohne Helm, wenn sie keine Lust hat, ihn aufzusetzen; abends im Bett noch f ernsehen nac h 20.00 U hr, »F rühstückdiebstahl« im Kindergarten: S. ..f.). Frau V. ist demnach nicht in der L age, ihr e Erzieh ungsziele d urch ihr Verhalten k onsequent d urchzusetzen. W ie b ereits von F rau Dr . A. b eschrieben, b efindet sic h F rau V. in einer »Erzieh ungs-Ohnmacht«, die zu einer zunehmenden Entgleitung Kristinas aus dem Einfluss der M utter g eführt ha t und a uch w eiterhin führen wird. Hinsichtlich der B indungstoleranz, die eb enfalls ein b edeutsames E lement der Erzieh ungsfähigkeit einer P erson darstellt, lass en sich b ei Frau V. ebenfalls gravierende Einschränkungen feststellen. Frau V. un terband, wie b ereits das G utachten von Frau Dr. A. belegt, seit dem Auszug von Herrn V. a us der ehemals g emeinsamen W ohnung a nhaltend die U mgangskontakte zwis chen K ristina und ihrem Vater. Eine Veränderung hat sich trotz formaler Einigun gen im V orfeld des G utachtens
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und auch danach nicht eingestellt (S. ..f.; B l. 1-7). Frau V. ä ußerte nac h wie v or, dass K ristina die Kontakte zu ihr em Vater nicht wolle und dass das Kind nach den Besuchen Verhaltensauffälligkeiten zeige (z. B. Aggressivität). Überdies gab sie im Jahr 2001 an, dass es ihr Ziel sei, die Kontakte zwischen Kristina und ihrem Vater vollständig und endgültig auszusetzen (S. .. des er sten G utachtens). W enn Übernachtungsbesuche anstanden, sprach sie sic h gegen die Üb ernachtung a us, o hne jedo ch einem Besuch ohne Übernachtung zuzustimmen (Bl. 13). Frau V. sagte gegenüber der Sachverständigen, dass die M itarbeiter des e vangelischen Vereins f ür J ugend- und F amilienhilfe K ristina zum U mgang mit dem V ater zwingen würden und dass sie dies ihrem K ind nic ht zum uten wür de (S. ..). N och während des B egutachtungsprozesses s agte F rau V. zahlr eiche b egleitete U mgangskontakte w egen Erkrankungen oder anderen Besonderheiten (z. B. Kindergartenfest) ab (S. ..). F rau V. demonstrierte daher bis zum S ommer 2004 eine k ontinuierliche Ablehnung der Kontakte zwischen Vater und Tochter. Ihre Überzeugung, dass Kristinas Verhalten ihr gegenüber eine empfundene Ablehnung gegenüber dem Vater wider spiegle, ließ sie sic h a uch d urch das G utachten v on F rau Dr . A. nic ht nehmen. Obwohl Frau V. diese starke Form der A blehnung allein gegenüber dem Vater zum Ausdruck bringt, zeigt sie a uch gegenüber anderen potenziellen Bezugspersonen des Kindes eine abweisende Haltung (z. B. Großmutter, möglichem zukünftigen Lebensgefährten: S. .. des ersten Gutachtens). Eine B etrachtung der nega tiven Ein stellung, die F rau V . g egenüber ihr em M ann ha t, mac ht deutlich, dass der noch immer schwelende Konflikt zwischen ihr und ihr em f rüheren E hemann den Kern ihrer Ablehnung ausmacht. Frau V. ist nic ht in der L age, K ristinas emo tionale B eziehung zu ihrem Vater v on ihr er eig enen En ttäuschung und Wut über seinen Weggang zu trennen. Alle Bemühungen v on H errn V. in terpretiert sie als An griff auf ihr e P erson (z. B. B esorgnis des V aters nac h Autounfall, Brief des Vater nach der T rennung: S. ..; S. .. des er sten G utachtens). P ositive A spekte, die ihre Beziehung einstmals geprägt haben, kann Frau V. nicht mehr zulassen. Gleiches gilt auch für Kristinas Umgang mit ihrem Vater (S. ..f.). Da Frau V. auch in anderen Bereichen Schwierigkeiten hat,
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sich in die B edürfnisse ihrer Tochter hineinzuversetzen und diese nicht durch ihrer eigenen zu überlagern, st ellt die v orliegende P rojektion ihr er Ablehnung auf ihre Tochter eine zwingende Folge der problematischen M utter-Tochter-Beziehung da r. Im Z usammenleben mi t ihr er T ochter v ermittelt sie dies er d urch G espräche und Re aktionen nic ht nur ihr e nega tive Ein stellung, s ondern v erknüpft diese zus ätzlich mi t ihr er eignen B eziehung zum Kind (vgl. Vorfall, als H err V. ohne Kristina fährt, weil F rau V . zu s chreien b eginnt, Anr ede »der Mensch« v or K ristina, K ristinas B eschuldigungen gegen den V ater (er s ei w ertlos, a rbeite s chwarz, zahle keinen Unterhalt): S. ...f.; Beziehung zur Mutter: S. ..f f.). Ohne dies wahrzunehmen, zwin gt sie ihrer Tochter damit ein Verhalten auf, das allein an ihre Bedürfnisse angepasst ist und denen des K indes zuwiderläuft (vgl. Kindeswillen: S. ..ff.). Einsicht in die G renzen ihr er Erzieh ungsfähigkeit und in die P robleme, die ihr e f ehlende Bindungstoleranz g egenüber der emo tionalen B eziehung zwis chen K ristina und ihr em V ater mi t sich bringen, zeigte Frau V. seit der Er stattung des letzten Gutachtens nicht (S. .. vs. ..f., S. .. des ersten Gutachtens). F rau V. k onnte w eder im G espräch ihre Einsicht deutlich machen, no ch hatte sie den Versuch unternommen, sich durch therapeutische Gespräche helf en zu lass en (S. ..). Die Einzelg espräche, die sie b eim evangelischen Verein für Jugend- und F amilienhilfe e.V. wahrgenommen hat, konnten k eine Verbesserungen in der K ommunikation mit Herrn V., in ihrer negativen Einstellung gegenüber K ristinas Vater und im V erhalten v on Frau V. gegenüber ihrer Tochter erzielen (S. ..). Es ist daher da von a uszugehen, dass F rau V. auch in Z ukunft nic ht in der L age s ein wir d, ihren T eil der V erantwortung f ür die g egenwärtig kindeswohlgefährdenden Situation zu s ehen. Frau V. neigt dazu , immer a nderen – v or allem H errn V. – die S chuld f ür K ristinas P robleme zu g eben, ohne selbstkritisch ihr Verhalten zu reflektieren (S. .. des er sten G utachtens). K ritische D enkanstöße von a ußen st ehenden P ersonen in terpretiert sie als f eindselig (S. ..). Eine w eitere M aßnahme ist vor dem H intergrund der ma ngelnden Ein sichtsfähigkeit und der zunehmenden erzieher ischen Probleme v on F rau V. daher nic ht als Er folg v ersprechend zu beurteilen.
Zusammenfassend m uss die Erzieh ungsfähigkeit von Frau V. daher als erheb lich eingeschränkt beurteilt werden. Frau V. ist nic ht in der L age, die Bedürfnisse ihrer Tochter angemessen wahrzunehmen und diese von ihren eigenen zu differenzieren. Sie üb erfordert das K ind d urch die Ro lle, die sie ihm innerhalb der L ebensgemeinschaft zu weist. Gleichzeitig fördert sie jedoch durch ihr Verhalten die al tersgemäße En twicklung des K indes nic ht angemessen. Demnach sind zentrale Facetten der Erziehungsfähigkeit bei Frau V. nicht in a usreichendem Maße vorhanden (Dettenborn u. Walter 2002, S. 100). 3.
Kristinas emotionale Beziehungen und Bindungen zum Vater
Die emotionale B eziehung zwis chen K ristina und ihrem Vater wur de v on F rau Dr . A. als en g und vertrauensvoll b eschrieben. Die Sac hverständige arbeitete in ihr em G utachten eine sic here B indung zwis chen Vater und T ochter hera us, die es jedenfalls zu stabilisieren und zu erhal ten galt, um Kristinas g esunde En twicklung zu sic hern (S. ..f f. des ersten Gutachtens). Bereits zum Zeitpunkt der ersten Begutachtung war das Verhalten Kristinas gegenüber ihrem Vater ambivalent. Ausschlaggebend für die un terschiedlichen Reaktionen des Kindes war die Anwesenheit der M utter, die ihr e eig ene nega tive Ein stellung gegenüber dem Vater auf die B eziehung zwis chen Vater und T ochter üb ertrug und K ristina k eine Möglichkeit ließ, ihre Bindung zum Vater offen zu leben (S. ..ff. des ersten Gutachtens; S. ...). Dieses Re aktionsmuster ha t K ristina his heu te beibehalten. Verbal zeigt sie k einerlei p ositive G efühle g egenüber dem V ater. S ie w eigert sic h, üb er ihn zu sp rechen und ihn zu tr effen. Ä ußerungen, die sie mac ht, w eisen einen deu tlichen B ezug zur Argumentation der Mutter auf, bis hin zu deren »erwachsenen« Wortwahl (vgl. Kindeswillen: S. ...ff.). Ihr Verhalten g egenüber Herrn V. hat sic h jedoch eb enfalls nicht verändert. Kristina zeigt sic h im Kontakt mit dem Vater nach wenigen Minuten aufgeschlossen und f röhlich. S ie sp ielt mi t ihr em Vater und sucht von sich aus Körperkontakt zu diesen (S. ..f.). Er st wenn der b egleitete Umgang dem Ende en tgegen g eht, v erhält sic h K ristina er neut
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
distanziert und a bweisend gegenüber ihrem Vater (S. ..). Die T atsache, dass sie hä ufig das G espräch über ihren Vater verweigert (S. ..f.), zeigt demnac h mit großer Wahrscheinlichkeit auch, dass das Mädchen nic ht g ewillt ist, jede Cha nce zu er greifen, negativ üb er ihr en Vater zu sp rechen und dies en als böse oder schlecht darzustellen. Trotz der ob erflächlichen, v erbalen A blehnung des V aters und K ristinas Erk lärung, dass sie sic h ohne B esuche des V aters w ohler f ühle (S. ..), lässt das Verhalten des Kindes noch immer auf eine enge emotionale Beziehung zu Herrn V. schließen. Diese verbale Ablehnung rührt neben der Übermacht der mütterlichen Ar gumente a uch daher, dass K ristina ihrem Vater übel nimmt, dass er sie verlassen hat. Wie b ereits von Frau Dr. A. da rgestellt, spricht die S tabilität der p ositiven emo tionalen B eziehung zwischen V ater und T ochter, in sbesondere w egen der massi ven negativen Ein stellung der M utter g egenüber Herrn V., für die sic here Qualität der B indung. K ristina ha t mi t gr oßer W ahrscheinlichkeit bereits vor der Trennung eine B indungsrepräsentation von ihrem Vater entwickelt, die ihn als sic here und v ertrauensvolle B ezugsperson a bbildet. Dies e Erfahrungen konnte sie aufgrund der unregelmäßigen Besuchskontakte bis heute aufrechterhalten, da sie stets eigene positive Erfahrungen mit dem Vater sammeln konnte (Fremmer-Bombik 2002, S. 110f., 114; Z immermann 2002, S. 204f.). K ristina ist sic h bis heute der L iebe ihres Vaters sicher. Gleichzeitig nimmt jedo ch ihr e – aller dings nic ht d urch das Verhalten des V aters b egründete – S orge zu , dass ihr Vater Peter ihr vorziehen könnte (S. ..). Da Kontaktabbrüche jedo ch die G efahr der V eränderung internaler Arb eitsmodelle d urch die Üb ernahme von Ansichten der Bezugsperson bergen, auch wenn diese im Widerspruch zu den früheren Erfahrungen des Kindes stehen, sollte ein zukünftiger Kontaktabbruch zwis chen Vater und T ochter jedenfalls v ermieden werden (Zimmermann et al. 2000, S. 302). Aus Sicht des V aters stellt sich die emo tionale Beziehung zwis chen ihm und s einer Tochter unverändert als p ositiv und v ertrauensvoll dar. Herr V. b eschreibt s eine T ochter üb erwiegend p ositiv und ist tr otz der ma ngelnden K ooperation v on Frau V. über viele Erkra nkungen und b edeutsame Entwicklungsschritte Kristinas informiert. Gegenüber der Sac hverständigen gab er an, dass er dies e
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Informationen z. B. bei der Kinderärztin selbst einhole (S. .. des er sten G utachtens). D as er nsthafte Interesse an s einer Tochter, das H errn V. dadurch zum A usdruck b ringt, zeigt sic h a uch in s einen Reaktionen gegenüber Kristina. Herr V. nimmt seit etwa zwei Jahren die begleiteten Umgangskontakte bis a uf w enige b egründete A ussagen r egelmäßig wahr (S. .. vs. S. ..f.). Z uvor holte er s eine Tochter zu den B esuchswochenenden b ei F rau V. a n. Als es da bei einmal zu einem eskalier enden K onflikt zwischen ihm und s einer F rau ka m und K ristina anfing zu w einen, ließ er das K ind bei der M utter zurück. Dies es Verhalten des V aters demo nstriert beispielhaft ein a n den B edürfnissen des K indes orientiertes Verhalten des Vaters. Er ist in der Lage, die B edürfnisse s einer T ochter wahrzunehmen (vgl. kein Bedrängen: S. ..ff. des ersten Gutachtens) und seine eigenen Ziele und Belange hinter denen des K indes zur ückzustellen (vg l. z. B. a uch: mög l. Verzicht auf Umgang, wenn dieses in Kristinas Interesse wäre, Nachfragen bzgl. Übernachtungskontakten und der en Ausführung, Gestaltung der B esuche: S. ..f f. des er sten Gutachtens). Durch dieses feinfühlige Verhalten, das Herr V. im Umgang mit Kristina zeigt, konnte er bisher die sichere Bindung seiner Tochter an ihn regelmäßig stabilisieren. Alles in allem ist H err V.s emo tionale B eziehung zu s einer Tochter daher als lieb evoll zu b ezeichnen. In Übereinstimmung mit Frau Dr. A. ist auch anhand der b is heute vorliegenden Informationen davon auszugehen, dass K ristina jedenfalls sehr regelmäßigen und ausgedehnten Kontakt zum Vater haben muss, um die noch immer sichere Bindung a n ihn a uch in Z ukunft aufrechterhalten zu können. Im G egensatz zur un sicher-ambivalenten Bindung Kristinas an ihre Mutter birgt die emo tionale Beziehung zum Vater für das M ädchen und seine zuk ünftige En twicklung Ress ourcen, die es aufgrund s eines b isherigen p roblematischen En twicklungsverlaufs dringend benötigen wird (Zimmermann et al. 2000, S. 310ff.). 4. Er ziehungsverhalten und
Bindungstoleranz von Herrn V.
Auch im S piel mi t K ristina v erhält sic h H err V. bis heu te kindzen triert. Er g eht a uf die W ünsche Kristinas ein, un terbreitet ihr V orschläge, und es
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gelingt ihm, sie zum g emeinsamen S piel zu a nimieren (Bl. 44, 45). D as familiäre Umfeld fungiert während der g emeinsamen Familienausflüge, in sbesondere b ei An wesenheit der a nderen K inder, als s ozialer Üb ungsraum f ür K ristina. S ie ler nt, ihre W ünsche mi t denen a nderer a bstimmen zu müssen und altersangemessene Ansprüche an sich zu stellen (vgl. S. ..). Darüber hina us g elingt es H errn V., die K ontakte mit Kristina aggressionsfrei zu g estalten. Als Kristina ihn b eispielsweise als »w ertlos« b etitelt habe, ha be er sie g efragt, ob sie wiss e, was dies bedeute. Geschimpft habe er mit ihr nicht (S. ..ff.). Herr V . g eht demzuf olge a uf das V erhalten des Kindes ein und b ietet K ristina a uf dies em Wege ein Modell f ür eine a ndere Form der s ozialen Interaktion und der K ommunikation als die M utter (Magai 2002, S. 147). Im U mgang mi t s einem S ohn P eter und den Kindern seiner Lebensgefährtin zeigt sich das feinfühlige V erhalten des V aters eb enfalls (S. ..). I n seiner F reizeit sp ielt er mi t den K indern und unternimmt A usflüge mi t der F amilie. Gleic hzeitig übernimmt er in sbesondere b ei Peter jedo ch auch Aufgaben im B ereich der P flege und der V ersorgung (in s B ett b ringen, währ end eines K rankenhausbesuchs begleitet: S. ..). Dadurch wird deutlich, dass er zumindest b ei P eter en g in die B etreuung des Kindes eingebunden ist und in tensiv an seiner Entwicklung teilnimmt. Die Konzentration auf das gemeinsame Spiel mit seinem Sohn nach der Arbeit stellt eine Konstellation dar, die sich aus der Rollenverteilung in der Familie V. zwangsläufig ergibt. Für die Qualität der Bindung ist jedoch nicht die Quantität der gemeinsam verbrachten Zeit entscheidend, sondern vielmehr die Quali tät der I nteraktionen zwischen V ater und K ind (K indler 2002, 183f f.). Hinweise für eine mangelnde Förderung der Kinder im Haushalt des Vaters gab es keine (S. ..ff.). Im Bezug auf Kristina äußerte Herr V. wiederholt den W unsch, zuk ünftig die Erzieh ung K ristinas g emeinsam mi t s einer F rau üb ernehmen zu wollen. Herr V. erklärte, dass er im R ahmen seiner Freizeit bereit sei, sich viel Zeit für seine Tochter zu nehmen, um ihr zuk ünftig möglichst konfliktfreie Kontakte mit beiden Eltern ermöglichen zu können (S. ..). S eine B ereitschaft, zukünftig g gf. Umgangkontakte zwischen Mutter und Tochter zu fördern,
betonte H err V. wiederho lt. Er nahm in dies em Zusammenhang Bezug auf die Kinder seiner Frau, die ungezwungen auch außerhalb der vereinbarten Umgangszeiten K ontakt zu ihr em V ater p flegten (S. ..). Üb erdies mac hte H err V. b ereits v or dem Sorgerechtsantrag deutlich, dass er um die B edeutung der M utter f ür Kristina weiß. Ausschließlich die T atsache, dass er sic h S orgen um K ristinas Entwicklung mac he, ha be ihn dazu b ewogen, das Sorgerecht für seine Tochter zu beantragen (vgl. S. ..des ersten Gutachtens; S. ..). Darüber hina us demo nstrierte H err V . s eine Bereitschaft, mi t F rau V. zu k ommunizieren s eit August 2000 (S. .., S. .. des er sten G utachtens). Während des B egutachtungszeitraums traf er sic h wöchentlich mi t s einer F rau zum g emeinsamen Elterngespräch, o hne dass sic h dad urch r elevante Veränderungen im K ommunikationsverhaltern der Eltern erzielen ließen (S. ..). Eine gr undlegend nega tive Ein stellung v on Herrn V. g egenüber s einer f rüheren E hefrau ließ sich im R ahmen der B egutachtung nic ht f eststellen. Herr V. zeigte sich wütend über ihr Verhalten im B ezug a uf K ristina und üb er den V erlauf der Umgangskontakte. S eine Aussagen konzentrierten sich da rüber hina us a uf Verhaltensschilderungen (S. ..ff.). Insgesamt ist H err V. da mit jedenfalls erziehungsfähig. H inweise a uf eine a bwertende Einstellung b zgl. K ristinas M utter, die zuk ünftig die Bindungstoleranz gegenüber dem a nderen Elternteil b eeinflussen k önnten, sind nic ht zu erk ennen (S. ..). A usschließlich die T atsache, dass H err V. aufgrund s einer B erufstätigkeit b ei der Erzieh ung und Versorgung auf die Unterstützung seiner Frau angewiesen wä re, er fordert zumindest der en B ereitschaft und den Wunsch von Frau V., Kristina in den Haushalt aufzunehmen (vgl. S. ..ff.). 5. Kindeswille
Unter Kindeswille wird die al tersgemäß stabile und autonome A usrichtung des K indes a uf er strebte, persönlich b edeutsame Z ielzustände v erstanden (Dettenborn 2001, S. 63). G emäß dies em K onzept ist der kindlic he W ille nic ht un bedingt mi t einer Äußerung des K indes g leichzusetzen; in einzelnen Fällen kann er s ogar zu dies er im Widerspruch ste-
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hen. Der Wille eines Kindes umfasst neben der verbalen Komponente auch motivationale, intentionale und zeitliche Aspekte (Dettenborn 2001, S. 67f.). Kristinas W illensäußerungen sind als st abil ambivalent zu b eurteilen. Z unächst dr ückte sic h diese Ambivalenz nicht nur über die un terschiedlichen K ommunikationskanäle a us, s ondern a uch in wider sprüchlichen Ä ußerungen g egenüber der Mutter und dem V ater. Ihr er M utter erk lärte sie , dass es b eim Vater nic ht s chön s ei, währ end sie diesem das Gegenteil erzählte (S. ..f.). Sowohl g egenüber F rau J. im S eptember 2003 als a uch g egenüber der Sac hverständigen erk lärte Kristina, dass sie ihr en V ater nic ht mehr s ehen wolle. W ährend sie dies zunäc hst da mit b egründete, dass sie bei Herrn V. ins Freibad gemusst habe und nac h den B esuchen immer kra nk g eworden sei (Bl. 193ff. vgl. S. ..), gab sie gegenüber der Sachverständigen an, dass sie sic h ohne Kontakte zum Vater besser fühlen werde (S. ..). Ihr Verhalten spiegelt jedoch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen anderen Wunsch (S. ..ff.), sodass ihre Willensäußerungen in sgesamt als st abil a mbivalent zu b eurteilen sind . Die I ntensität, mi t der das M ädchen seinen Willen zum A usdruck bringt, ist demnac h als gering zu beschreiben. Kristinas Ar gument, nic ht mehr zum V ater zu w ollen, w eil es ihr »da nn b esser g ehe« (S. ..), drückt das zen trale Z iele des M ädchens a us: M it Hilfe des K ontaktabbruchs will sie sic h a us dem anhaltenden K onflikt der E ltern lös en und ihr en eigenen Loyalitätskonflikt beenden. Kristina selbst sagt, dass ihre Eltern an ihr herumzerrten und dass sie w olle, dass das a ufhöre (S. ..). K ristina w eiß um die Ein stellungen ihr er M utter und sieh t im Kontaktabbruch ein Mittel, sich die Zuwendungen ihrer M utter zu sic hern (vg l. S. ..). Dies e Ar t der Überlegung r eflektiert zwa r einen in tentionalen Willen des Kindes, doch machen weitere Aussagen Kristinas deutlich, dass sie diesen Entschluss unter der Voraussetzung fals cher Vorannahmen traf. S o war K ristina sic h b eispielsweise un sicher, ob ihr Vater sie s o liebt wie P eter (S. ..). A ußerdem habe ihre M utter ihr g esagt, dass sie ihr e M äuse nic ht mit zum Vater nehmen dürfe, weil dieser Angst vor den Tieren habe (S. ..). An der Autonomie des Wunsches, den Kristina verbal äußert, bestehen darüber hinaus erhebliche
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Zweifel: Kristina erklärte, dass sie ihren Vater nicht möge, weil ihre Mutter ihn nicht möge und weil er ihre Mutter verlassen habe (S. ..). Außerdem gab sie ihre Mutter als Urheber des M äuse-Arguments an (S. ..). Frau V. habe ihr gesagt, dass sie dem Gericht sagen solle, dass sie nicht mehr zum Vater wolle (S. .., vgl. Sitzungsprotokoll: S. ..). Neben diesen direkten Hinweisen deuten weitere Argumente des Kindes (z. B. Krankheit nach Besuchskontakten, in die Hose machen, zum An schauen von einem »H arry Potter«-Film »gezwungen«) auf einen Einf luss der Mutter hin. A uch im R ahmen der B egutachtung legte Frau V. ihrer Tochter wiederholt Themen in den M und, üb er die K ristina b erichten s ollte (S. ..). Kristina unterliegt demnach mit großer Wahrscheinlichkeit einer dir ekten B eeinflussung d urch Frau V., die, gepaart mit ihrem Erziehungsverhalten, erheb liche Verlustängste b ei K ristina s chürt. Nicht a uszuschließen ist a ufgrund der nega tiven Einstellung v on F rau V. und ihr er N eigung, die Verhaltensweisen des V aters als S chikane g egen ihre Person zu b ewerten, im v orliegenden Fall jedoch eine vorgeschaltete Selbsttäuschung der Mutter (Dettenborn 2001, S. 87f.). Die a nhaltend a mbivalenten B otschaften, die Kristina in der verbalen und nonverbalen Kommunikation mit und üb er ihren Vater s endet, weisen daraufhin, dass K ristina sich an die Vorstellungen der M utter a ngepasst ha t, dass sie der en Vorstellungen und Ziele aber noch nicht verinnerlicht hat. Aufgrund dies er Tatsache ka nn derzei t nic ht v on autonomen Willensäußerungen des Kindes gesprochen w erden, w enn sie sic h g egen K ontakte zum Vater ausspricht (Dettenborn 2001, S. 68, 87f.). Allein die Aussage, dass sie nicht mehr möchte, dass ihr e E ltern a n ihr »her umzerren«, st ellt mi t großer W ahrscheinlichkeit ein a utonomes I nteresse des Kindes dar. Obwohl auch Kristinas Wunsch, zukünftig weiterhin bei ihrer Mutter leben zu w ollen, die F olge der oben dargestellten Beeinflussung durch Frau V. ist, st ellt dies er Wunsch – wä re es eine a utonome Willensbekundung von Kristina – einen Kindeswillen dar, der aus psychologischer Sicht hier nicht zu berücksichtigen wäre: Kristina ist nicht in der Lage, die Konsequenzen zu a ntizipieren, die eine dera rtige En tscheidung f ür ihr e psy chische und p hysische En twicklung mi t gr oßer Wahrscheinlichkeit
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hätte. Aufgrund der erheblichen Einschränkungen in der Erzieh ungsfähigkeit v on F rau V. und der damit einher gehenden V ulnerabilität des K indes, die im U mfeld der M utter aller V oraussicht nac h zunehmen wir d, wä re in dies em F all v on einem selbstgefährdenden Kindeswillen auszugehen, dem im S inne des K indeswohls nic ht zu f olgen wä re (Dettenborn 2001, S. 80). 6.
Kristinas Beziehungen zu weiteren wichtigen Bezugspersonen
6.1 Kristinas Beziehungen zur zweiten
Ehefrau von Herrn V. und deren Kindern Kristina v erstand sic h g emäß den v orliegenden Informationen b ei den B esuchskontakten gu t mi t Frau V.. Bereits beim ersten Treffen mit der damaligen Lebensgefährtin des Vaters zeigte sie sich dieser gegenüber offen und f reundlich. Kristina hatte keine S cheu, K örperkontakt zu ihr a ufzunehmen (S. ..f.). Frau V. gab an, dass es niemals zu S treitigkeiten zwis chen ihr und K ristina g ekommen s ei (S. ..). D emzufolge v erlief der B eziehungsaufbau zwischen Frau V. und K ristina bis zum B egutachtungszeitraum unproblematisch. Es gibt keine Hinweise dafür, dass Kristina Frau V. als Bezugsperson neben ihrem Vater ablehnen würde. Frau V. beschrieb Kristina ausschließlich positiv. Sie ga b a n, sic h zunäc hst v or der A blehnung des Kindes g efürchtet zu ha ben. K ennengelernt ha be sie K ristina da nn jedo ch als M ädchen, das ihr g egenüber stets freundlich, offen und höflich gewesen sei. W enn sie sie a ufgefordert ha be, S pielsachen einzuräumen, habe sie dies g etan. Auch frech oder aggressiv s ei K ristina ihr g egenüber nie g eworden (S. ..). F rau V.s A ussagen üb er K ristina und ihr e Überzeugung, dass Kristina die Chance bekommen müsse, wie ein K ind aufwachsen zu k önnen (S. ..), machen tr otz der w enig in tensiven B eziehung zu Kristina ein Interesse am Wohl des Kindes deutlich. Hinsichtlich K ristinas B eziehungen zu P eter, Sandra und M anuel ist a nhand der v orliegenden Informationen davon auszugehen, dass dies e zum gegenwärtigen Zeitpunkt wenig intensiv sind. Kristina ler nte P eter k ennen, als dies er ein halbes J ahr al t wa r. S ie s elbst b ezeichnet ihn als »den, der mal mein S tiefbruder sein sollte«. Diese distanzierte B eschreibung s owie die An gaben von
Herrn V. und s einer zw eiten F rau mac hen deu tlich, dass K ristina zu P eter in der V ergangenheit keine g eschwisterliche B eziehung a ufgebaut ha t. Auch ein I nteresse da ran wir d in den A ussagen des K indes n ur b edingt deu tlich. V ielmehr leg en sowohl ihr e b isherigen Er fahrungen als a uch ihr e Angst, dass Herr V. Peter »mehr« lieben könnte als sie, nahe, dass Kristina möglicherweise eifersüchtig auf Peter werden könnte, wenn sie sic h zukünftig die A ufmerksamkeit und Z eit des V aters b ei B esuchskontakten oder im Alltag vermehrt mit ihrem kleinen Halbbruder teilen müsste (vgl. S. ..). A uch Peter könnte seinerseits mit Eifersucht und Unverständnis auf die neue Schwester reagieren (S. ..). Sandra und K ristina ha ben sic h bisher g emäß den v orliegenden A ussagen gu t v erstanden. D as Mädchen spielte mit Kristina und wurde von dieser als S pielpartner g esucht (S. ..). H äufige K ontakte gab es b isher aller dings nic ht, s odass a uch hier nicht v on b estehenden F reundschafts- o der S tiefgeschwisterbeziehungen gesprochen werden kann. Dies gilt auch für Manuel, der bisher weniger Interesse an der Tochter seines Stiefvaters gezeigt hat als seine große Schwester (S. ..). 6.2 Kristinas Beziehungen zu
Familienangehörigen der Mutter Innerhalb der F amilie der M utter hat Kristina Bezugspersonen, die sie r egelmäßig b esucht und zu denen sie z. T . enge emotionale B eziehungen aufgebaut ha t. K ristina s elbst hob in dies em Z usammenhang ihre Tante Inge und ihre Cousins hervor. Ihre Großmutter mütterlicherseits nannte sie nicht, obwohl dies e – jedenfalls in der V ergangenheit – eine zen trale B ezugsperson im All tag des K indes gewesen ist (vgl. S. .. des ersten Gutachtens; S. ..f.) 7.
Entwicklungschancen Kristinas unter den verschiedenen Lebensbedingungen
7.1 Entwicklungsbedingungen
Kristinas im Haushalt der Mutter Wie b ereits in den A usführungen v on F rau Dr . A. deu tlich wur de, wa r s chon im J ahr 2001 die Vertrauensbasis zwis chen M utter und T ochter »brüchig« und »das Sorgeverhalten der Mutter ins-
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gesamt erheb lich ein geschränkt« (S. .. des er sten Gutachtens). Bereits zu dies em Z eitpunkt wies F rau Dr. A. auf die N otwendigkeit »b eziehungsmäßigen Öf fnung des K indes zum Vater« hin, um das psy chische Wohlbefinden Kristinas dauerhaft zu sichern. Bei Frau V. nimmt sie eine massi ve direkte Beeinflussung Kristinas durch ihre offene Ablehnung des Vaters wahr (S. ..ff. des ersten Gutachtens). Anstatt Kristina weitere Entwicklungsmöglichkeiten zu g eben, indem F rau V. ihr e B indungstoleranz in sbesondere g egenüber dem V ater erhö ht und an ihren Erziehungsfertigkeiten arbeitet, trieb Kristinas M utter den E lternkonflikt, der ihr em Kind g emäß F rau Dr. A. s chadet, v oran und unterband weiterhin die zu vor abgesprochenen Umgangskontakte zwischen Vater und Tochter. Damit stellt Frau V. er neut unter B eweis, dass sie nic ht in der L age ist, K ritik a n ihr er P erson anzunehmen und im S inne der B edürfnisse des Kindes zu ha ndeln, wenn dies ihr en eigenen Vorstellungen zuwider läuft. Unklar ist in dies em Zusammenhang allein, ob sie aufgrund der Projektion ihrer V orstellungen a uf das K ind nic ht fähig ist, Kristina als s elbstständige Person mit eigenen B edürfnisse und Z ielen wahrzunehmen, o der ob sie sich wiss entlich üb er die B edürfnisse des K indes hinwegsetzt. Kristinas Entwicklung verlief daraufhin – wie prognostiziert – a uffällig. Der problematische Erziehungsstil der M utter und der a nhaltende Konflikt der E ltern f ührten b ei K ristina nic ht n ur zu einer erheb lichen inner en Dist anzierung v on ihrer Mutter, sondern auch zu einer Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten des Kindes. Kristina verhält sich b eispielsweise in ho hem Maße aggressiv gegenüber ihr er Mutter. Inzwischen üb erträgt sie ihr aggressives Verhaltensmuster zudem in andere soziale Kontexte wie z. B. den Freundeskreis. Darüber hinaus wurde Kristina verzögert eingeschult, und es f ehlen ihr a n al tergemäßen F ertigkeiten (zählen, malen, S chuhe zubinden: S. ..). I m Bezug auf die w eitere Entwicklung Kristinas ist a uch die Beobachtung b edeutsam, dass K ristina ihre Tiere quält (S. ..). Dies e Ar t der V erhaltensauffälligkeit stellt aus prognostischer Sicht ein erheb liches Warnsignal für eine abweichende Entwicklung dar (Petermann u. Warschburger 1998). I nsgesamt ist
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der En twicklungsverlauf v on K ristina s eit dem letzten G utachten daher als ala rmierend zu b ezeichnen. Es ist hinzuzuf ügen, dass F rau V. a ußerdem noch immer nic ht in der L age ist, ihr er Tochter Grenzen zu s etzen. S ie lässt sic h v on K ristina treten und s chlagen, o hne da rauf zu r eagieren. Auch auf offensichtliche Lügen ihrer Tochter reagiert Frau V. nicht; sie bemüht sich nicht einmal um eine A ufklärung des Sac hverhalts (s. K ristinas wahrhei tswidrige B ehauptung, die Sac hverständigen hä tten sie nic ht g ehen las en: S. ..). Inzwischen v erfügt K ristina g emäß F rau V. üb er weitere Möglichkeiten, ihrer Mutter ihren Willen aufzuzwingen: G egen Ende der K ur ha be K ristina wiederho lt ein genässt, um ihr zu zeig en, dass sie n un nac h H ause mö chte (B l. 27). Dies e Erziehungsverhalten der M utter, das b ereits v on Frau Dr. A. als p roblematisches Gewähren-lassen und »Erzieh ungsohnmacht« b eschrieben wur de, deckt sich mit den Risikofaktoren, die im Zusammenhang mi t einer S törung des S ozialverhaltens im K indesalter g enannt w erden (P etermann u . Warschburger 1998). Die B edingungen, die derzei t b ei der M utter vorherrschen, m üssen daher als in ho hem M aße gefährdend für die weitere Entwicklung des Kindes angesehen werden. Darüber hinaus kann im Hinblick auf die Entwicklung s eit dem letzt en G utachten a uch nic ht mehr a uf die S chutzwirkung eines a usgedehnten Umgangs mit dem Vater vertraut werden. Zum einen ist mi t gr oßer Wahrscheinlichkeit davon a uszugehen, dass F rau V. a uch in Z ukunft die K ontakte zwis chen Vater und T ochter mi t allen Mitteln unterbinden und nic ht aufhören wird, schlecht üb er den V ater zu r eden. K ontakte wür den en tweder ga r nic ht zust ande k ommen o der Kristina immer tief er in einen L oyalitätskonflikt treiben, der s einerseits zur D estabilisierung der kindlichen S elbstwirksamkeitserwartung und des kindlichen S elbstvertrauen b eitragen wür de (Figdor 1997, S. 77f.). Zum anderen ist Herr V. – aufgrund der Belastungen, die da mit nicht nur f ür Kristina, s ondern auch f ür s eine g esamte Familie v erbunden sind – nicht gewillt, die g egenwärtige Situation aufrechtzuerhalten (S. ..f.).
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Entwicklungsbedingungen für Kristina im Haushalt des Vaters Die vorliegenden Informationen weisen daraufhin, dass K ristina V. no ch immer eine v ertrauensvolle emotionale B eziehung zu ihr em Vater hat. Es gib t keine H inweise a uf eine erheb liche V eränderung der kindlichen Bindung an den Vater. Aus diesem Grund ist da von a uszugehen, dass der V ater als Hauptbezugsperson f ür K ristinas zuk ünftige En twicklung eine gewichtige Ressource darstellt. Herr V. ist nic ht n ur in der L age, K ristina un bedingte Liebe zu v ermitteln und ihr R aum zu g eben, unbelastet von altersunangemessenen Themen aufzuwachsen, sondern er ka nn ihr a uch als M odell für angemessenes K onfliktverhalten dienen. K inder mit aggressiven Verhaltenstendenzen neigen dazu, diese g enerell als M ittel der indi viduellen Z ielerreichung einzusetzen. Allein die E tablierung eines Kommunikationsmodells, das a uf a ndere S trategien (z. B. r eden, K ompromisse suc hen: S. ..) zurückgreift, ka nn das sic h st ets s elbst v erstärkende aggressive Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster durchbrechen (Magai 2002, S. 147). Auch das v on Frau Dr. A. b eschriebene fa miliäre U mfeld des V aters ha t sic h s eit dem letzt en Begutachtungszeitraum als st abil er wiesen. Inzwischen hat er s eine Lebensgefährtin geheiratet und mit ihr zus ammen einen g emeinsam S ohn. Ihr e Kinder aus erster Ehe, der 10-jähr ige Manuel und die 12-jähr ige Sa ndra, leb en eb enfalls mi t im F amilienverbund, dessen Strukturen etabliert wirken. Die K ontakte der K inder zum leib lichen V ater laufen ebenso reibungslos wie das Zusammenleben mit Herrn V. im Alltag (S. ..ff.). Während Herr V. berufstätig ist und gegen 17.00 Uhr nach Hause kommt, betreut seine Frau die Kinder und den Haushalt. Die Familie lebt in einer hellen und geräumigen 5-Zimmer-Wohnung, die auch für ein w eiteres Familienmitglied genügend R aum bieten. Herr und F rau V. teilten in dies em Zusammenhang mi t, dass sie b ereits mi t den K indern darüber g esprochen hä tten, dass sie w ollten, dass Kristina zukünftig eb enfalls b ei ihnen w ohne. Die Kinder, insbesondere Manuel sei sich bewusst, dass er dann evtl. ein Zimmer mit Peter teilen müsse. Das L ebensumfeld v on H errn V . wür de f ür Kristina demnach nicht nur einen Wechsel von der Mutter zum V ater b edeuten, s ondern g leichzeitig 7.2
einen Sprung von der Ein-Eltern-Kind-Familie zur Großfamilie. Dies würde von Kristina eine enorme Anpassungsleistung er fordern, b ei der ihr erhebliche U nterstützung d urch H errn V . und s einer Frau zuteil w erden müsste. B eide sind sic h dies er Problematik jedoch bewusst (S. ..f.). Der B ruch in der K ontinuität b zgl. Erzieh ung und L ebensumfeld, der sic h da raus un weigerlich ergibt, st ellt v or dem H intergrund v on K ristinas Entwicklungsverlauf s eit 2001 eine no twendige Folge da r. Die Erzieh ung und das L ebensumfeld, die bisher ihr L eben prägten, bilden – wie b ereits erläutert – k eine G rundlage f ür eine p ositive zukünftige En twicklung. Üb er dies e L ebensbereiche hinaus muss sich für Kristina durch einen Wechsel in den H aushalt des V aters jedo ch nic hts v erändern. Die rä umliche N ähe zwis chen der vä terlichen und der m ütterlichen Wohnung wür den es Kristina – gemäß den vorliegenden Informationen – erlauben, weiterhin in die S chulklasse zu g ehen, in die sie eingeschult worden ist. Auch Kontakte zu Freundinnen k önnen K ristina o hne un verhältnismäßigen A ufwand in der hä uslichen U mgebung des Vaters weiterhin ermöglicht werden. Die bisherige B eziehung Kristinas zur zw eiten Frau des V aters lässt k eine A blehnung erk ennen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass ein abrupte Wechsel in den H aushalt des V aters zu einem – v orrübergehenden – K onflikt f ühren k önnte, weil dies e p lötzlich viele A ufgaben üb ernehmen würde, die zu vor K ristinas M utter erledigt e. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Mutter-Kind-Beziehung b esteht die M öglichkeit, dass K ristina erhebliche Schuldgefühle entwickelt, die Basis dieser potenziellen A blehnung s ein k önnten. A ufgrund der r ealistischen B edenken des E hepaares V., die auch diese potenziellen Probleme nicht außer Acht lassen, b estehen a us psy chologischer S icht k eine Bedenken gegen die Ein beziehung von Frau V. in die Erzieh ung und t ägliche Versorgung K ristinas im Haushalt des Vaters. Der K ontakt K ristinas zu ihr en H alb- und Stiefgeschwistern, mit denen sie d urch den Wechsel in den H aushalt des Vaters gleichsam viel Z eit verbringen würde, stellt für Kristina ebenfalls eine Anpassungsanforderung da r, die sie – mi t Unterstützung der g esamten Familie – d urchaus b ewältigen ka nn. Z war wir d es f ür K ristina no twendig
21.1 · Psychologische Begutachtung zu Fragen des Sorgerechts
werden, sich im G eschwistergefüge einen Pla tz zu suchen, do ch er öffnet ihr g enau dies es A ustesten von eig enen S tärken und S chwächen im en gen Kontakt mi t Gleic haltrigen eine zus ätzliche M öglichkeit, ihr e s ozialen K ompetenzen zu s chulen. Von einer ausgrenzenden Haltung von Manuel und Sandra ist v or dem H intergrund der v orliegenden Daten vorab nicht auszugehen, sodass auch dies als Entwicklungschance zu beurteilen ist. Alles in allem eröffnet die Unterbringung Kristinas b eim Vater dem M ädchen daher zahlr eiche Entwicklungschancen und viele p otenzielle Ressourcen, die sie f ür ihr e zuk ünftige psy chische und physische Entwicklung nutzbar machen kann. Sicher er fordert ein dera rtiger Ein schnitt in sbesondere in den er sten M onaten erheb liche Anpassungsleistungen v on K ristina. M öglicherweise werden dies e a uch mi t dem W unsch, wieder zur Mutter ziehen zu d ürfen, oder mit aggressiver Ablehnung g egenüber Herrn und F rau V. s owie den Kindern v erbunden s ein. D ennoch ka nn inzwischen f ür K ristinas En twicklung la ngfristig n ur dann eine günstige Prognose gestellt werden, wenn sie zukünftig im Haushalt des Vaters aufwächst.
VII. Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung Das Sorgerecht für Kristina V., das Herr V. und Frau V. derzeit gemeinsam ausüben, sollte aus psychologischer Sicht aufgrund des erheblichen Konfliktpotenzials zwis chen den E ltern, der U nfähigkeit der Eltern, miteinander üb er B elange v on K ristina zu reden, der v or allem v on F rau V. demo nstrierten Bindungsintoleranz gegenüber Herrn V. und ihr er eingeschränkten Erziehungsfähigkeit zukünftig auf Herrn V. allein übertragen werden. Das gemeinsame Sorgerecht stellt immer dann die b este L ösung a us S icht des K indeswohls da r, wenn b eide E lternteile willen s und in der L age sind, den ehemalig en P artner als E lternteil des Kindes wahrzunehmen und zu t olerieren. M indestvoraussetzung f ür die A usübung der g emeinsamen Sorge stellt überdies die Fähigkeit der Eltern dar, miteinander über das K ind reden zu k önnen, Informationen über dieses auszutauschen und Er ziehungslinien aufeinander abzustimmen (Dettenborn u. Walter 2002, S. 136ff.).
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Eine B etrachtung der En twicklung des T rennungskonflikts zw ischen Kr istinas E ltern mach t jedoch deu tlich, dass es K ristinas E ltern s eit dem Auszug von Herrn V. nicht mehr möglich war, über Kristina zu k ommunizieren. I nsbesondere F rau V. kam ihrer Pflicht, den V ater üb er zentrale L ebensereignisse und üb er den G esundheitszustand des Kindes zu inf ormieren, nic ht nac h. A uch die g emeinsamen G espräche b eim e vangelischen Verein für Jugend- und F amilienhilfe e .V. ließen b is April 2004 keine Auflösung des Konflikts erkennen. Eine Kommunikation der E ltern – o hne die M oderation dritter Personen – wird mit großer Wahrscheinlichkeit a uch in Z ukunft nic ht mög lich s ein. Vor dem Hintergrund, dass Frau V. überdies dazu neigt, Kristina aktiv am Konflikt teilhaben zu lassen, indem sie ihr zum B eispiel Informationen über die la ufenden Verfahren gib t, en tspräche die A ufhebung der g emeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten. Darüber hina us ha ndelt F rau V. in K enntnis der mög lichen nega tiven F olgen f ür K ristina a nhaltend ihr er P flicht zu wider, die U mgangskontakte zwischen Vater und Tochter aktiv zu fördern. Stattdessen unterband sie dies e und k onfrontierte das K ind o ffen mi t ihr er nega tiven Ein stellung gegenüber dem V ater. Ob wohl H errn V. die v on ihm vorgegebene Bindungstoleranz gegenüber der Mutter-Kind-Beziehung und K ristinas emo tionalen B eziehungen zu Verwandten der m ütterlichen Herkunftsfamilie bisher nicht belegen musste, lassen seine Argumentation und seine Erfahrung mit gelungenen U mgangskontakten zuk ünftig mehr gelebte Bindungstoleranz erwarten. Mindestens eb enso b edeutsam f ür die zuk ünftige Entwicklung Kristinas wie die bereits angesprochenen Aspekte ist die ein geschränkte Erziehungsfähigkeit von Frau V.. Frau V. ist kaum in der L age, die B edürfnisse ihr es K indes wahrzunehmen und angemessen auf diese zu reagieren. Stattdessen projiziert sie ihre Vorstellungen und Ein stellungen auf das Kind und zwin gt ihrer Tochter diese durch ihr ambivalentes Erzieh ungsverhalten a uf, s odass die Entwicklung der Autonomie des Kindes ebenso wie der seines Selbstwertgefühls erheblich eingeschränkt wird. Frau V. neigt dazu, Kristina einerseits kognitiv und emotional zu üb erfordern (z. B. durch die B ehandlung als Partnerersatz), während sie sie in a nderen Lebensbereichen häufig unterfordert und ihr
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Fähigkeiten abspricht (Spielsituationen, Herumtragen). Als F olge dies es Erzieh ungsverhaltens m uss sowohl die problematische Mutter-Kind-Beziehung angesehen w erden, die neb en Z ügen einer un sicher-ambivalenten Bindung deutliche Hinweise auf einen Vertrauensverlust des Kindes enthält, als auch die da mit im Z usammenhang st ehenden ag gressiven Verhaltenstendenzen v on K ristina. F rau V.s emotional dist anziertes Verhalten g egenüber K ristina trägt das S einige zu dies er p roblematischen Beziehung b ei. Z ur E tablierung dies es Verhaltens geführt ha t mi t gr oßer W ahrscheinlichkeit, dass Frau V. nic ht in der L age ist, K ritik a nzunehmen. Auch gut gemeinte Ratschläge werden als feindselig wahrgenommen. Eine V eränderung ihr er p roblematischen V erhaltens- und I nterpretationsmuster gegenüber Herrn V. und Kristina zu erarbeiten, war ihr v or dies em H intergrund in der V ergangenheit nicht möglich und wir d ihr a uch in Z ukunft ohne psychologische Hilfestellung nicht möglich sein. Herrn V .s Erzieh ungsverhalten s owie s eine emotionale Beziehung zu Kristina sind demgegenüber als un problematisch zu b ezeichnen. H err V. erzieht gemeinsam mit seiner jetzigen Ehefrau drei Kinder zwis chen zw ei und zw ölf J ahren. Die familiären Verhältnisse sind g eordnet. Hinweise auf eine mögliche Überforderung oder eine mangelnde Förderung der K inder sind nic ht erk ennbar. D er Umgang von Herrn V. mit seiner Tochter Kristina ist wiederho lt und a nhaltend v on v erschiedenen Fachleuten als lieb evoll und f einfühlig b eschrieben worden. Auch das M iteinander zwischen ihm und seinem leiblichen Sohn lässt die F ähigkeit des Vaters erk ennen, die B edürfnisse s einer K inder wahrzunehmen und a ngemessen a uf dies e zu r eagieren. Trotz der Tatsache, dass Herr V. erst gegen 17.00 U hr nac h H ause k ommt und sic h f olglich erst ab dann an der »direkten« Erziehung Kristinas beteiligen kann, stellt ein Wechsel Kristinas in den väterlichen Haushalt aus psychologischer Sicht die beste Alternative dar. Die »Verletzung« des Kontinuitätsprinzips, die da raus unweigerlich resultiert, wird d urch die erheb lichen V orteile die sic h f ür Kristinas Entwicklung im H aushalt des V aters ergeben, a ufgehoben. B ei einem V erbleib K ristinas in der alleinig en Ob hut der M utter wür de lediglich eine stark kindeswohlgefährdende Kontinuität fortgesetzt. Üb erdies er möglicht es die rä umliche
Nähe zwis chen Herrn V.s und F rau V.s Wohnungen, dass K ristina s owohl ein S chulwechsel als auch der Abbruch von Kontakten mit Freundinnen erspart werden können. Auch Kontakte zur Mutter sind daher für Kristina gut möglich. Ein W echsel K ristinas in den H aushalt des Vaters ist a uch da nn a us psy chologischer S icht zu b efürworten, w enn ma n mög liche K onflikte berücksichtigt, die a ufgrund der zen tralen Ro lle von H errn V.s neuer E hefrau in K ristinas L eben und der Ein bindung K ristinas in die G eschwisterfolge zu er warten sind . K ristina w erden d urch diesen Wechsel erheblichen Anpassungsleistungen abverlangt, g leichzeitig bietet er ihr a ber auch die Möglichkeiten, neue K onfliktlösungsstrategien zu lernen, ihr e ag gressiven V erhaltenstendenzen zu überwinden, im en gen K ontakt mi t ihr en H albund S tiefgeschwistern ihr e s ozialen Kompetenzen auszubauen und ein realistisches Gefühl für eigene Stärken und Schwächen zu entwickeln. Eine Üb ertragung der alleinig en S orge a uf Herrn V . st ellt daher a us psy chologischer S icht langfristig f ür das K indeswohl v on K ristina die beste Lösung dar. Hinsichtlich der G estaltung mög licher U mgangskontakte zum nic ht-sorgeberechtigten Elternteil ist v or dem H intergrund der ma ngelnden Einsichtsfähigkeit von Frau V. und des Einf lusses, den sie derzei t a uf ihr e Tochter ha t, v orläufig v on unbegleiteten Umgangskontakten abzusehen. Kristina muss Z eit und R aum g egeben w erden, sic h o hne weitere Auseinanderstetzungen der Eltern um sie in das neue L ebensumfeld einzugewöhnen. Gleichzeitig sollte jedoch auch ein Kontaktabbruch zwischen Mutter und T ochter jedenfalls v ermieden w erden. Zum einen könnte sich Kristina in diesem Fall umso mehr die Schuld dafür geben, wenn es ihrer Mutter schlecht g ehen s ollte. Z um a nderen s ollte K ristina auch in Z ukunft nach Möglichkeit b eide E ltern als Bezugspersonen langfristig erhalten bleiben. Parallel dazu s ollte F rau V. dr ingend H ilfe b ei einer psy chologischen B eratung suc hen. M öglicherweise wir d ihr e B eziehung zu K ristina a uch durch den Verlust ihres ersten Kindes während der Schwangerschaft b elastet. D as a nklammernde Verhalten der M utter k önnte d urch erheb liche Verlustängste bedingt sein, die sie allein nicht zu überwinden in der Lage war und die infolge eines möglichen
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
Wechsels des Lebensmittelpunktes von Kristina eine neue Qualität erreichen könnten. Die Aufarbeitung dieses kr itischen L ebensereignisses k önnte F rau V. möglicherweise helfen, Kristinas Zuneigung zu a nderen Menschen nicht als B edrohung für sich, sondern als B ereicherung für ihr K ind wahrzunehmen und a uf dies em Weg eine tragfähig ere emo tionale Beziehung zu Kristina aufzubauen. Unbegleitete K ontakte zwis chen M utter und Tochter, insbesondere flexible Umgangsregelungen, würden für Kristina derzeit eine zu hohe Belastung darstellen und s ollten daher s o la nge v ermieden werden, bis Kristina sich in der F amilie des Vaters eingelebt ha t und mög lichen B eeinflussungsversuchen der M utter d urch eig ene Ar gumente o der durch die Ein weihung einer Vertrauensperson begegnen kann. B., den xx.09.2004 (Unterschriften beider Gutachter)
VIII. Im Gutachten verwendete Literatur Bowlby, J. (1982). Attachment and Loss. Vol. 1: Attachment (2nd ed.). New York: Basic Books. Dettenborn, H. (2001). Kindeswohl und K indeswille. München: Reinhardt. Dettenborn, H. & Walter, E. (2002). Familienrechtspsychologie. München: Reinhardt. Figdor, H. (1997). Über die Befindlichkeit v on K indern nach Trennung und S cheidung im R ahmen unt erschiedlicher Sorgerechtsmodelle. In C. Brauns-Hermann, B .M. Busch & H. Dinse (H rsg.). Ein Kind hat das Recht auf beide Eltern, S. 174–196. Neuwied: Luchterhand. Flämig, J . & Wörner, U . (1977). Standar disierung einer deutschen Fassung des Family Relations Test (FRT) an Kindern von 6 bis 11 Jahr en. Praxis der K inderpsychologie und K inderpsychotherapie, 26, 5–46. Fremmer-Bombik, E. (2002). I nnere Arbeitsmodelle v on Bindung. I n: G. Spangler & P . Zimmermann (H rsg.). Die Bindungstheorie – Grundlagen, F orschung und A nwendung, S. 109–119. Stuttgart: Klett-Cotta. Kindler, H. (2002). Väter und K inder. Langzeitstudien über v äterliche Fürsorge und die so zioemotionale Entwicklung von Kindern. Weinheim: Juventa. Magai, C. (2002). Bindung, Emotionen und Persönlichkeitsentwicklung. I n: G. Spangler & P . Zimmermann (H rsg.). Die Bindungstheorie. Grundlagen, F orschung und A nwendung, S. 140–148. Stuttgart: Klett-Cotta. Petermann, F. & Warschburger, P. (1998). Aggression (3. A ufl.). Göttingen: Hogrefe. Spangler, G. & Zimmermann, P . (Hrsg.) 2002. Die Bindungstheorie – Grundlagen, F orschung und A nwendung. Stutt gart: Klett-Cotta.
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Tausch, R. & Tausch, A. (1998). Erziehungspsychologie. Be gegnung v on P erson zu P erson (11. A ufl.). Göttingen: Hogrefe. Zimmermann, P. (2002). Bindungsentwicklung von der frühen Kindheit bis zum Jugendalter und ihre Bedeutung für den Umgang mit F reundschaftsbeziehungen. I n: G. Spangler & P. Zimmermann (H rsg.). Die Bindungstheorie – Grundlagen, F orschung und A nwendung, S. 203–231. Stutt gart: Klett-Cotta. Zimmermann, P., Suess , G.J ., S cheuerer-Englisch, H. & Gr ossmann, K .E. (2000). Der Einfluss der Elt ern-Kind-Bindung auf die Ent wicklung psy chischer Gesundheit. I n: F . P etermann, K . N iebank & H. S cheithauer (H rsg.). Risiken in der frühk indlichen Ent wicklung, S. 301–327. Göttingen: Hogrefe.
Anmerkung 1: Die m it S be zeichneten S eitenver-
weise bezogen sich auf die Seitenzahlen im Originalgutachten; sie sind hier durch ... ersetzt. Anmerkung 2: Anstelle der h ier ver wendeten Verfahren können die genannten Variablen auch durch Tests und Beobachtungsmethoden erfasst werden wie sie z. B. bei S turzbecher (2001), S uess e t a l. (2001) oder Kindler (2002) beschrieben sind. 21.2
Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
21.2.1 Einführung
Wiewohl die B eurteilung der Gla ubwürdigkeit eines Z eugen die ur eigenste A ufgabe des Ric hters selbst ist (B GH 8, 131), ist in a ußergewöhnlichen Fällen hierzu ein Sac hverständiger hinzuzuziehen. Zu dies en a ußergewöhnlichen F ällen zählen u . a. solche, in denen K inder und/ o der J ugendliche gleichzeitig Op fer und (hä ufig die einzig en) Z eugen einer mög lichen S traftat g ewesen s ein s ollen. Dies e K onstellation liegt typ ischerweise v or bei Aussagen über mutmaßliches sexualbezogenes Verhalten oder auch über mutmaßliche Misshandlungen gegenüber Kindern und J ugendlichen. Die Notwendigkeit einer a ussagepsychologischen B egutachtung der Gla ubhaftigkeit der A ussage v or allem von sehr jungen Opferzeugen ergibt sich daraus, dass ho chspezifische psy chologische K enntnisse üb er en twicklungspsychologische B esonderheiten der W ahrnehmung, des G edächtnisses und der Kommunikation erforderlich sind, um die
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
mögliche Erleb nisbegründetheit einer kindlic hen Zeugenaussage beurteilen zu k önnen. Darüber hinaus sind die Aussagen sehr junger Kinder leichter durch sug gestive B edingungen zu b eeinflussen, sodass es hier eher zu einer V erzerrung und V erfälschung v on A ussagen k ommen ka nn, b is hin zu Pseudoerinnerungen (s. dazu zusammenfassend z. B. Bruck u. Ceci 1999; Volbert 2000). Im individuellen Fall können aber auch andere Bedingungen v orliegen, b ei denen i .d.R. da von ausgegangen werden muss und auch angenommen wird, dass die eigene Sachkunde des Gerichts nicht ohne W eiteres a usreicht, um den Re alitätsgehalt einer Z eugenaussage zu b eurteilen. Hier sind b eispielhaft zu nennen: ▬ aktuelle oder dauerhafte Einschränkungen der geistigen (k ognitiven) L eistungsfähigkeit des Zeugen; ▬ lange Z eit v on der m utmaßlichen Tat b is zur Aussage (wie im folgenden Beispielgutachten); ▬ Widersprüche zwis chen v erschiedenen Z eugenaussagen, die nic ht d urch a ndere M ittel aufgeklärt werden können. In diesen Fällen wird dann i.d.R. ein psy chologischer Sac hverständiger b eauftragt, die Gla ubhaftigkeit der Z eugenaussage zu b egutachten. B eim Vorliegen psy chischer S törungen und/ o der psychopathologischer A uffälligkeiten b eim Z eugen
kann die (zus ätzliche) Begutachtung durch einen psychiatrischen Sac hverständigen er forderlich sein. Ausgangspunkte f ür die G utachtenerstellung sind im f olgenden B eispielfall innerhalb des G utachtens im K apitel III (A bleitung der psy chologischen H ypothesen, 1. Allg emeine G rundlagen) dargestellt. I n dies er A usführlichkeit wur den die Grundlagen nur in der ersten Zeit nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu Anforderungen an aussagepsychologische Gla ubhaftigkeitsgutachten (s. u.) im einzelnen G utachten erlä utert. I nzwischen kann da von a usgegangen w erden, dass nac h der Veröffentlichung des g enannten U rteils dies e Ar gumente auch den jeweiligen Auftraggebern (i.d.R. Staatsanwaltschaften und Gerichten) bekannt sind. Diese haben nunmehr auch zu prüfen, ob ein v orgelegtes G utachten den in dem g enannten U rteil vom BGH vorgegebenen Richtlinien entspricht. Aus den f olgenden Erläuterungen im B eispielgutachten zum V orgehen b ei der gu tachterlichen Hypothesenbildung und U ntersuchungsplanung zu F ragen der Gla ubhaftigkeit v on Z eugenaussagen g eht her vor, dass a uch f ür dies en Themenbereich das in dies em B uch en twickelte K onzept der en tscheidungsorientierten Diagnostik f ür ein nachvollziehbares und nac hprüfbares G utachten nützlich ist; ein s o er stelltes Gla ubhaftigkeitsgutachten erfüllt die BGH-Kriterien.
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
21.2.2
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Gutachten
Titelblatt
Inhalt
(Briefkopf (des) Sachverständigen)
I.
Aussagepsychologisches Gutachten zur Frage der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin Karin L. im Strafverfahren gegen Herrn V.T. bei dem Landgericht B. Az xxx/00 (Ort, Datum des Gutachtens)
Seite
Fragestellung des Landgerichts B.
II. Ank nüpfungstatsachen III. Ableitung der Psychologischen Hypothesen 1. Allgemeine Grundlagen 2. Fallspezifische Hypothesen IV. Unt ersuchungsmethoden V. Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen: 1. Zur Aussagekompetenz von Frau L. 2. Motivationale Aspekte, Aussageentstehung und –entwicklung 3. Exploration zur Sache mit Frau L. VI. P sychologischer Befund VII. Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung Anhang 1: Literatur Anhang 2: Transkript der hier relevanten Explorationsergebnisse für Karin L.
Aufgrund der Beauftragung durch das Landgericht B. v om M ai 2000 im S trafverfahren g egen H errn V. T. (Az xxx, B l. 1 bis ...) er statte ich das f olgende aussagepsychologische Gutachten. Informationen zur Person der Zeugin
Karin L., geboren am 25.10.1982 Frau L. lebte zum Zeitpunkt der Exploration in B. in einer eigenen Wohnung (seit Juli 1999) im Rahmen des Betreuten Wohnens vom Jugendamt. Ihr dortiger Betreuer hatte Frau L. zur Praxis begleitet. Anm.: Alle im F olgenden angeführten Bl.-Angaben beziehen sich auf das Aktenzeichen Az xxx, Landgericht B.
I. Fragestellung des Landgerichts B. Im A uftrag des L andgerichts B . (S chreiben v om xx.05.2000; Ein gang hier : y y.05.2000) s ollte »ein
Glaubwürdigkeitsgutachten b etreffend K arin L.« im Verfahren gegen Herrn V.T. erstattet werden.
II. Anknüpfungstatsachen (Zusammenfassung der für das Gutachten relevanten Informationen aus den Gerichtsakten Az xxx, Bl. 1 bis ...) Zur Zeit der Anzeige des hier fraglichen Ereignisses im A ugust 1997 w ohnte F rau L. zus ammen mi t ihrem älteren Bruder N. L. b ei ihrem Vater Herrn M. L. Die E ltern von Frau L. sind g eschieden. Die Mutter ha be die F amilie v erlassen, als K arin ein halbes Jahr alt gewesen s ei; der V ater s ei zeitweise berufstätig g ewesen, er leb e jetzt v on der S ozialhilfe (B l....). (Er gänzung: F rau L. b erichtete in der aussagepsychologischen Exploration im S eptember 2000, ihr Vater habe eine Umschulung gemacht und arbeite jetzt vollzeitig in der Computerbranche.)
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Die An wältin v on F rau L., F rau Rec htsanwältin R ., er stattete a m xx.08.1997 im A uftrag ihr er Mandantin S trafanzeige g egen H errn V.T. w egen Vergewaltigung (B l....). D em S chreiben v on F rau Rechtsanwältin R. sind die folgenden Angaben von Frau L. zu entnehmen: Bei dem a ngezeigten V orfall ha ndele es sic h nach den An gaben v on F rau L. v om xx.07.1997 um ein Er eignis, das »s chon länger zurückliege« : Sie sei in der er sten oder zweiten Klasse gewesen. Frau L. ha be, mit einiger Üb erlegung, den f raglichen Zeitraum wie f olgt rekonstruiert: Sie sei sieben bzw. knapp acht Jahre alt gewesen. Eingeschult worden s ei sie im S ommer 1988, die Er eignisse hätten sich aber im S ommer darauf ereignet, also im zweiten Schuljahr. Kurz nach dem Vorfall habe sie w egen einer P ilzinfektion einen F rauenarzt aufgesucht. Herr T. habe sie a m fraglichen Tag gefragt, ob sie L ust ha be, mi t ihm ein b isschen spazier en zu fahren. Sie seien dann auf seinem Fahrrad in den Wald gefahren, wo sie, auf einer Waldlichtung sitzend, ein Eis g egessen hätten. Er ha be sie g efragt, ob sie mal a n s einem Eis lec ken w olle. S ie ha be nichts dagegen gehabt und habe eingewilligt. Herr T. habe dann zu ihr g esagt, sie m üsse vorher ihre Augen v erbinden. S ie ha be sic h da rüber g ewundert und ihm v ersprochen, die A ugen zuzumachen. Mit geschlossenen Augen habe sie dann das Geräusch eines Reißv erschlusses g ehört und die Augen g eöffnet. S ie ha be da nn g esehen, »wie er seine Hose g eöffnet hatte und s ein Penis herausschaute«. Frau L. berichtete, sofort losgerannt und hingefallen zu s ein. H err T. s ei ihr g efolgt, ha be sie an den S chultern gepackt und auf den Rücken gedreht. Frau L. machte detaillierte Angaben über ihre B ekleidung. Sie b erichtete weiter, Herr T. s ei »mit s einem Fin ger in ihr e S cheide g egangen« , worauf sie »g eweint und g eheult« ha be. B ei dem Versuch, ihn w egzudrücken, ha be er »H alt die Fresse« zu ihr g esagt. Er s ei dann s chließlich mit dem Penis in ihre Scheide eingedrungen und habe »immer gestoßen«. Es habe »furchtbar weh getan«, und er habe »nach Pisse« gestunken. Sie habe auch gesagt, sie wür de ihr em V ater da von b erichten, was ihm jedoch offenbar »egal« gewesen sei. Als er »irgendwann« a ufgehört ha be, ha be sie a n ihr em Bein »ga nz viel B lut« g esehen. Er ha be ihr da nn
ein rotes Taschenmesser an den Hals gehalten und gedroht, sie umzub ringen, w enn sie etwas s agen würde. Schließlich habe er sie wieder a uf s einem G epäckträger mi tgenommen und zu H ause mi t den Worten »Du weißt Bescheid« abgesetzt. Ungefähr zwei Wochen später sei Herr T. wieder b ei ihnen zu H ause g ewesen und s ei in s B ad gekommen, während sie in der B adewanne gesessen ha be, und ha be sie b eobachtet. S ie wä re »a m liebsten ertrunken«. Weitere Wochen später habe er sie un ter dem Tisch mi t s einem F uß a m B ein und b is zu den Oberschenkeln b erührt. S ie ha be ihn »a ngefahren«, er s olle das lass en und s ei in ihr Z immer »verschwunden«. Ihr B ruder ha be sic h üb er ihr Verhalten g ewundert und s ei ihr g efolgt und ha t gefragt, was los s ei. Ihm habe sie dann »oberflächlich v on der G eschichte im W ald« erzähl t; er s ei empört gewesen und ha be darauf b estanden, dass sie dem Vater »die Geschichte« erzählen müsse. Sie habe das dann auch am gleichen Tag versucht. Ihr Vater habe dann einfach nur gesagt, »er würde das nicht glauben«, und wenn, dann sei sie auch »selbst schuld«. Sie s olle do ch mal guc ken, »was f ür eine aufgetakelte Tussi« sie sei. Frau L. ga b a n, sie s ei mi t zw ölf J ahren zum ersten M al v on zu H ause »a bgehauen«, s ei da nn zunächst in ein H eim und da nn wieder zur ück zu ihrem Vater gekommen. Sie habe erstmals 1995 währ end eines A ufenthalts in der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in W . einer do rt t ätigen P sychologin v on der Sac he b erichtet. F rau L. ga b zum Z eitpunkt der Anzeig e a n, zur Z eit r egelmäßig G espräche beim K inderschutzbund wahrzunehmen. Z u der Anzeige ha be sie sic h er st entschlossen, nac hdem Herr T . jetzt in ihr e unmi ttelbare N achbarschaft gezogen sei und ihr alles hochgekommen sei, als sie ihm erneut begegnet sei. Der Vater v on F rau L., H err M.L., b erichtete am xx.09.1997 b ei seiner polizeilichen Zeugenvernehmung (Bl....), dass seine Tochter seines Wissens zum ersten Mal 1996 in der Klinik in W. über diese Sache g esprochen ha be: er s elbst s ei v on dort aus informiert w orden. D araufhin ha be er H errn T ., der ein B ekannter v on ihm s ei, zur Rede g estellt. Dieser habe ihm erk lärt, dass er sic h in der f ragli-
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
chen Situation im Wald von Karin oral habe befriedigen lassen wollen. Dies s ei 1990 g ewesen; Karin sei damals in der zw eiten Klasse gewesen. Herr L. erklärte, das ha be ihm »g ereicht«, mehr ha be er sich ga r nic ht s childern lass en, s ondern H errn T. sofort »rausgeschmissen«. Er selbst habe damals nichts von der Sache gemerkt, könne sich aber daran erinnern, dass er von Karins Lehrerin angesprochen worden sei, dass das Kind einen ga nzen Tag la ng »mehr o der w eniger völlig abwesend« in der Schule gesessen habe. Herr L. erk lärte w eiter, er ha be mi t K arin zusammen mehr ere G espräche b eim K inderschutzbund g ehabt, nac hdem s eine T ochter mehr fach von zu H ause weggelaufen sei. Seine Tochter habe ihm s elbst da nn a uch die f raglichen Er eignisse geschildert. Sie habe ihm a uch erzählt, dass es ihr »schreckliche Schmerzen« (Bl....) bereitet hätte. Herr L. b estätigte, dass s eine Tochter einmal angefangen habe, davon zu reden, dass »der V. was von ihr g ewollt habe«. Er ha be das a n diesem Tag aber »nicht so geglaubt, da eh schon Streit gewesen sei (Bl....). Im Z usammenhang mi t der jetzig en Anzeig e habe K arin ihm erzähl t, dass sie H errn T. wieder begegnet s ei und er sie v on s einem F ahrrad a us »von hinten angefasst« habe (Bl....). Der B ruder v on F rau L., H err N.L., erk lärte in s einer p olizeilichen V ernehmung a m (D atum im S eptember 1997), er er innere sic h no ch a n die Szene, als Herr T. unter dem Tisch mit seinen Füßen K ontakt zu K arin g esucht ha be: S ie s ei dann aufgesprungen und in ihr Zimmer gegangen, nachdem sie ihm g esagt habe, er möge damit aufhören. Er s elbst s ei s einer S chwester g efolgt, und sie ha be ihm da nn erzähl t, H err T. ha be ihr ein Eis a usgegeben, sie mi t in den W ald g enommen, ihr die A ugen verbunden, sie ha be an seinem Eis lecken s ollen, er ha be sic h a ber die H ose a ufgemacht. Herr T. ha be, nac h An gaben v on Frau L., erst haben wollen, dass sie den Penis in den Mund nehme, dann habe er sie aber »einfach genommen und mit ihr geschlafen« (Bl....). Frau L. war von (Datum im Oktober 1995) bis zum (Datum im November 1995) in der Klinik für Kinder- und J ugendpsychiatrie W . st ationär untergebracht, nac hdem sie mehr fach v on zu H ause und a us v erschiedenen a nderen Unterbringungen
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entwichen und lange »auf Trebe« gewesen war; das 13-jährige M ädchen wa r v on der P olizei a us der Wohnung ihres 22-jährigen Freundes herausgeholt worden. I m B ericht der K linik v om (D atum im Januar 1996) wur de b zgl. der hier f raglichen Er eignisse b erichtet, dass K arin b ei t herapeutischen Gesprächen in der K linik »fast ausschließlich über ihre B eziehung zu ihr em Vater gesprochen« habe, zu dem sie eine starke emotionale Beziehung habe. Diese B eziehung wur de als »s chwer g estört« g ekennzeichnet: Karin habe einerseits einen st arken Wunsch nach Zuwendung durch den Vater gehabt, andererseits s ei sie v oller Wut und H ass a uf ihn gewesen, »a usgelöst d urch s ein V erhalten, nac hdem sie ihm den M issbrauch d urch einen s einer Freunde eröffnet hatte« (Bl....). Zusammenfassend wurde erklärt, es sei bei dem damals 13-jährigen Mädchen in den letzten Jahren zu einer »s chweren emo tionalen Verunsicherung und H altlosigkeit mi t einer V erwahrlosungsentwicklung g ekommen; a uch ihr B ruder en twickle sich im dissozialen Sinne«. Dem alleinerziehenden Vater sei es »wohl aufgrund eigener Probleme nicht gelungen »... den Kindern eine Leitlinie für ihr Leben zu vermitteln« (Bl....). Es wurden jedoch »noch Ressourcen bei Karin gesehen, sich einem sozialen Regelsystem anzupassen, sich dort auch wohl zu fühlen und sich positiv zu entwickeln« (Bl....). Der P sychotherapeut v on F rau L., H err H., berichtete a m (D atum im M ai 1998), dass das Berichten üb er den s exuellen M issbrauch f ür sie extrem belastend gewesen sei und dass G espräche darüber f ür sie mi t extr emen E kelgefühlen v erbunden gewesen s eien. S ie habe sic h »sp ontan an die ekelhaften Berührungen und den Mundgeruch des Täters« erinnert. Erst »seit kurzem wachse die Bereitschaft v on F rau L., sic h mi t dem s exuellen Missbrauch in ihr er K indheit näher a useinanderzusetzen« (Bl....).
III. Ableitung der Psychologischen Hypothesen 1. A llgemeine Grundlagen
Bei der psy chologischen Gla ubhaftigkeitsbeurteilung der A ussage wir d g eprüft, ob die (wiss enschaftliche) Nullhypothese, dass die Zeugenaussage
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
unwahr sei, aufrechterhalten werden kann, oder ob in einer konkreten Aussage Merkmale hinreichender Quali tät da für zu f inden sind , dass dies e Annahme nic ht a ufrechterhalten w erden ka nn, d .h., dass a ngenommen w erden ka nn b zw. m uss, dass die v orliegende A ussage mi t ho her W ahrscheinlichkeit auf tatsächlich Erlebtem beruht und nic ht aufgrund v on a nderen, v erfälschenden, Einf lüssen zustande gekommen ist (vg l. BGH-Urteil vom 30.07.1999, v eröffentlicht in: B GH-Nack: B GHSt 45 164 f f.; a bgedruckt u . a. in: P raxis der Rec htspsychologie (= PRP), H eft 2, 1999, S. 113 f f.: Aus dieser Quelle wird im Folgenden zitiert). Steller u. Volbert (1999, S. 60) f ormulieren als Leitfrage der Glaubhaftigkeitsbeurteilung:
»Könnte dieser Zeuge mit den gegebenen individuellen Voraussetzungen unter den gegebenen Befragungsumständen und un ter B erücksichtigung der im k onkreten Fall möglichen Einflüssen von Dritt en diese spezifische A ussage machen,
ohne dass sie auf einem realen Erlebnishintergrund basiert?« Die psy chologische Gla ubwürdigkeitsbeurteilung v on Z eugenaussagen ist nac h dem heu tigen Stand der t heoretischen En twicklungen und der empirisch-psychologischen F orschung, wie sie auch der BGH (a.a.O.) aufgreift, daher im Wesentlichen un ter den f olgenden A spekten v orzunehmen (ausführlich: Steller u. Volbert 1999): 1. Hinsichtlich s olcher M erkmale, die sic h a uf aussagerelevante B esonderheiten des Z eugen beziehen (sog. Aussagetüchtigkeit oder Aussagekompetenz). 2. H insichtlich der Aussagequalität: D azu g ehören M erkmale und B edingungen der A ussagesituationen, w elche die Z uverlässigkeit und Qualität der Aussage beeinflussen können (Fehlerquellenanalyse), dazu gehören auch die Entstehung ( Genese) und die w eitere Entwicklung der Aussage sowie u. U. eine Analyse der Motivationslage in Bezug auf die (Erst-) A ussage. 3. Die k onkreten v orliegenden Aussage(n) s elbst sind schließlich hinsichtlich solcher Merkmale zu untersuchen, in denen sic h erlebnisbegründete A ussagen syst ematisch v on s olchen unterscheiden, denen k ein selbsterlebtes Ereignis zugrunde liegt (s og. Glaubhaftigkeitskriterien). Die hier a ufgeführten A spekte, w elche
die Grundlage für die psychologische Untersuchung und Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen der Z eugin K arin L. da rstellen, werden im Folgenden näher erläutert. Aussagekompetenz Zu dies en g ehören zunäc hst B esonderheiten der Aussageperson hinsichtlich spezifischer Leistungsmöglichkeiten s owie B esonderheiten in ihr em Erleben und V erhalten, die sic h a uf die Z uverlässigkeit einer Z eugenaussage a uswirken k önnen (Aspekte der s og. A ussagekompetenz). Dies sind vor allem die F ähigkeit zu r ealitätsangemessenen Wahrnehmungen, die L eistungsfähigkeit des (a utobiografischen) G edächtnisses und das sp rachliche A usdrucksvermögen; hinzu k ommen die F ähigkeit zur U nterscheidung zwis chen in ternalen und ext ernalen Quellen v on Informationen s owie ein hinr eichendes V erständnis da für, w elche B edeutung die Aussagen für alle Beteiligten haben.
1.1
Motivation und (weitere) Fehlerquellen Haben mehr ere B efragungen st attgefunden, s o ist bei der psy chologischen A ussagebeurteilung w eiterhin zu b erücksichtigen, dass die G esamtheit der Befragungen und ihr er Folgen f ür den Z eugen einen kognitiven, emotionalen und sozialen Lernprozess darstellt, in dessen Verlauf es ebenfalls zu Fehlern in der Erinnerung und/ oder der Reproduktion tatsächlicher Erleb nisse k ommen ka nn. S ituative, soziale B edingungen k önnen im S inne mög licher direkter und/ o der indirekter suggestiver Einf lüsse auf die Aussage bei ihrer Entstehung und Entwicklung als mög liche Störfaktoren o der Fehlerquellen wirken, w elche die Z uverlässigkeit der A ussagen einschränken k önnen. Die Anfällig keit g egenüber suggestiven Einf lüssen ist jedo ch i .d.R. b ei psychisch g esunden J ugendlichen o der Er wachsenen wesentlich geringer als bei jungen Kindern. Als w eiteres M erkmal, das un ter b estimmten Bedingungen zur A bschätzung der S icherheit der Gesamtbeurteilung der A ussage b eitragen ka nn, kann die A ussagemotivation hera ngezogen w erden. Allein das Auffinden einzelner plausibler Motive f ür eine mög liche F alschaussage ka nn da bei jedoch nic ht als H inweis a uf eine b ewusst unzu1.2
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
treffende Aussage verstanden werden, da eine derartige H andlung – wie die M otivationsforschung zeigt – auf der B asis eines k omplexen Gefüges aus mehreren (zei tlich üb erdauernden und ak tuellen) Motiven und si tuativen äußeren Anregungsbedingungen der je weiligen H andlungssituation (hier z. B. der Erstaussage) zustande kommt. Eine Motivationsanalyse kann dann einen Beitrag zu S icherheit der Gla ubhaftigkeit einer A ussage leisten, wenn »Motivationshypothesen sowohl für den h ypothetischen F all einer F alschaussage als auch f ür den F all einer sub jektiv wahren Aussage a usdrücklich f ormuliert w erden, und … die Argumente dafür, eine der b eiden Hypothesen für plausibler zu hal ten als die a ndere, expliziert werden« (G reuel et al . 1998, S. 179). I n dies er Weise soll hier die Aussagemotivation betrachtet werden, wenn a uch, wie ob en erlä utert, den S chlussfolgerungen aus der M otivationsanalyse ein g eringerer Stellenwert einzurä umen ist als den Er gebnissen der inhaltlichen Aussagenanalyse selbst. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass b ei einer differenzierteren Betrachtung motivationaler Merkmale, die in einer A ussage en thalten sind , einige s olcher M erkmale g eeignet sind , mi t gu ter Zuverlässigkeit zwischen erlebnisbegründeten und Falschaussagen zu un terscheiden; dazu g ehören die D arstellungen v on Er innerungsbemühungen innerhalb der A ussagen und g eäußerte Unsicherheiten bzgl. der Richtigkeit eigener Angaben (Niehaus, Forschungsreferat Jena am 27.09.2000; Anm.: inzwischen veröffentlicht in Niehaus 2001). Qualität der Aussageinhalte Ist da von a uszugehen, dass die o . g. F acetten der Aussagekompetenz eines Z eugen hinr eichen, um eine zuverlässige Zeugenaussage erwarten zu k önnen, und er geben sich aus der A ussageentstehung und -en twicklung k eine H inweise da rauf, dass verzerrende o der v erfälschende Einf lüsse a uf die Aussage in einem M aße stattgefunden haben, dass nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass eine zuverlässige Erinnerung und U nterscheidung von S elbsterlebtem und a us a nderen Quellen Er fahrenem no ch mög lich ist, k önnen die I nhalte einer k onkreten A ussage einer kr iterienorientierten Aussageanalyse un terzogen w erden (S teller u .
1.3
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21
Köhnken 1989). H ierbei lass en sic h allg emeine, spezielle und mo tivationsbezogene M erkmale der Aussage un terscheiden (s. u .); als Quali tätsmerkmale, die über die Einzelaussage hinausgehen, sind Präzisierbarkeit und das Ausmaß der Konstanz der vorliegenden Aussagen zu prüfen. Der K onzentration a uf die inhal tliche A ussagenanalyse liegt die – auf umfangreicher praktischer Begutachtungserfahrung b eruhende – Annahme zugrunde, dass erleb nisbegründete A ussagen sic h in ihrer Qualität von solchen unterscheiden, denen kein s elbsterlebtes Er eignis zugr unde liegt (s og. Undeutsch-Hypothese; s. Undeutsch 1967, S. 125). Verschiedene Autoren legten dazu inhaltliche Kriterienkataloge vor (Undeutsch 1967, 1993; Trankell 1971; Arntzen 1993; Littmann u. Szewczyk 1983). Zahlreiche wiss enschaftliche U ntersuchungen stützen inzwischen insgesamt die Undeutsch-Hypothese, und ihr e Er gebnisse w eisen da rauf hin, dass viele der p ostulierten Gla ubhaftigkeitskriterien in hohem Maße geeignet sind, erlebnisbegründete Aussagen von ausgedachten Aussagen zu unterscheiden. Als notwendige, aber nicht hinreichende Mindestanforderungen, die ma n in jeder erleb nisgestützten Aussage erwarten kann, nennen Greuel et al. (1998, S. 161/162) ▬ die logische Konsistenz der Aussage. ▬ ein bestimmter Detaillierungsgrad der Aussage. ▬ eine (differenzierte) Konstanz der Aussage. Als zus ätzliche Qualif izierungsmerkmale einer Aussage, die eine b esonders ho he B elegkraft f ür die Erleb nisbegründetheit einer A ussage ha ben, führen die genannten Autoren an: ▬ »Schilderung von Handlungskomplikationen, ▬ phänomengemäße Schilderung unverstandener Handlungselemente, ▬ Schilderung des Erleb ens p hänomenaler K ausalität, ▬ Schilderung origineller Details, ▬ Schilderung von Interaktionsketten, ▬ Schilderung von Wirklichkeitskontrollen, ▬ Spontane Präzisierbarkeit der Aussage« (Greuel et al. 1998, S. 162). Die hier b zw. im F olgenden g enannten K riterien bilden – als Anforderungsprofil – die Grundlage für eine psychologische Aussagenanalyse. Von Steller u.
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Köhnken (1989; Steller et al. 1992) wurden die vorliegenden Kriteriensysteme integriert zu einer Z usammenstellung s og. Gla ubhaftigkeitskennzeichen von Aussagen. Diese Systematisierung umfasst fünf Kategorien von Merkmalen einer Aussage: Allgemeine Merkmale, die sich auf die gesamte Aussage beziehen: ▬ logis che Konsistenz ▬ un strukturierte Darstellung ▬ q uantitativer Detailreichtum Spezielle Inhalte (b ezogen auf einzelne I nhalte; zu beurteilen nach dem Ausmaß der Konkretheit/ Anschaulichkeit der Schilderung: kognitiver Aspekt): ▬ ra um-zeitliche Verknüpfungen ▬ I nteraktionsschilderungen ▬ Wiedergabe von Gesprächen ▬ Schilderungen von Komplikationen im H andlungsablauf Inhaltliche B esonderheiten (b ezogen a uf einzelne Inhalte; zu beurteilen nach dem Ausmaß der Konkretheit/ An schaulichkeit der S childerung: k ognitiver Aspekt): ▬ Schilderung ausgefallener Einzelheiten ▬ Schilderung nebensächlicher Einzelheiten ▬ Phänomengemäße S childerung unverstandener Handlungselemente ▬ indirekt handlungsbezogene Schilderungen ▬ Schilderung eigener psychischer Vorgänge ▬ Schilderung psychischer Vorgänge des Täters Motivationsbezogene Inhalte (bezogen auf die I nhalte der Aussage): ▬ Spontane Verbesserungen der eigenen Aussage ▬ Eingeständnis von Erinnerungslücken ▬ Einwände g egen die Ric htigkeit der eig enen Aussage ▬ S elbstbelastungen ▬ Entlastung des Angeschuldigten Deliktspezifische Inhalte: Deliktspezifische A ussageelemente (z. B. Schweigegebot, B eschreibung v on E jakulationsvorgängen, Ein gangs- und A usgangsrituale v on sexuellen Handlungen). Diese K riterien sind n un nic ht als Chec kliste zu betrachten, die im Einzelfall a bzuarbeiten wäre
und als A uszählergebnis die Diagnos e »A ussage wahrscheinlich g laubhaft« o der »A ussage wahr scheinlich nic ht g laubhaft« erb ringen wür de. Die Aussageinhalte m üssen vielmehr in tegriert und gewichtet werden unter B erücksichtigung des B edingungsgefüges der ob en a ngeführten p ersonenspezifischen und si tuativen R ahmenbedingungen einer vorliegenden Aussage im Sinne der Datenaggregation (vgl. BGH-Urteil 1999). Die Annahme , dass das (a ussagebegleitende) Ausdrucksverhalten, als o G estik und M imik als nonverbaler Ausdruck von Emotionen wie Sprechverhalten, S prechstörungen und die V erwendung von Illustratoren Hinweise auf die Glaubhaftigkeit einer A ussage g eben k önne, k onnte d urch die bisherigen U ntersuchungen dazu nic ht g estützt werden. Dies b edeutet, dass b estenfalls der aktuelle psy chische Z ustand des Z eugen zu treffend wahrgenommen w erden ka nn; w eitere S chlussfolgerungen a us dem A usdrucksverhalten in B ezug a uf die Gla ubhaftigkeit der A ussage m üssen hingegen als eher sp ekulativ a ngesehen w erden (Köhnken 1990). 2. F
allspezifische Hypothesen
Für die psy chologische B eurteilung der Gla ubhaftigkeit der Z eugenaussagen v on K arin L. sind a uf dieser G rundlage f olgende T eilfragestellungen zu beantworten: Aussagekompetenz Verfügt Frau L. über die kognitiven Voraussetzungen (Wahrnehmungsfähigkeit, Er innerungsfähigkeit und sprachliche Ausdrucksfähigkeit), die eine zuverlässige A ussage üb erhaupt er warten lass en? Erhebliche Ein schränkungen in dies en B ereichen können dazu f ühren, dass die F rage, ob eine A ussage wahrscheinlich erlebnisfundiert ist, mi t psychologischen Methoden nicht mehr zu b eantworten ist (Kompetenzanalyse). Notwendig dafür, dass eine zu verlässige A ussage g emacht w erden ka nn, ist z. B., dass der Zeuge in der Lage ist, Realität und Phantasie zu un terscheiden. Dies ist jedo ch b ei psychisch g esunden Jugendlichen und Er wachsenen i .d.R. v orauszusetzen; Ein schränkungen gib t es diesb ezüglich eher b ei j ungen K indern, psychisch Kranken und geistig behinderten Zeugen.
2.1
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
Fehlerquellenanalyse 2.2.1 L iegen im B ereich der Motivation v on Frau L. Störfaktoren vor, welche möglicherweise die Zuverlässigkeit der Aussage einschränken? Hierbei ist z. B. zu f ragen, ob F rau L. s elbst o der eine a ndere Person Vorteile oder Nachteile durch die B eschuldigung bzw. durch eine mögliche Verurteilung des Beschuldigten ha ben k önnte. I n dies em Z usammenhang ist u.a. die frühere und jetzige Beziehung der Zeugin zum Beschuldigten von Bedeutung. Anzumerken ist jedo ch, dass wiss entliche Falschbeschuldigungen mi t S chädigungsabsicht im Vergleich zu a nderen Ar ten v on F alschaussagen (als F olge von Irrtum, Projektion, Induktion, Fremd- o der A utosuggestion) r elativ s elten v orkommen.
2.2
2.2.2 Aussagegenese und Aussageentwicklung Jedoch ist zu b eachten, dass a uch b ei V orliegen von Falschbeschuldigungsmotiven beim Zeugen der Aussageinhalt erleb nisbegründet s ein ka nn. D er Untersuchung der Aussagegenese k ommt daher
ein w esentlich höher er St ellenwert zu als dem Auffinden möglicher einzelner Belastungsmotive.
Aus dies er Anal yse der A ussagegenese lass en sich auch Hinweise darauf ableiten, ob die A ussagen von Frau L. u. U. durch Fremdbeeinflussungen (Induktion, S uggestion) zust ande g ekommen s ein könnten. Daher ist zu un tersuchen, ob es f ür Frau L. Personen gibt, die st arken psychischen Einfluss auf sie haben und die ein Interesse an einer Falschbeschuldigung haben könnten. Weiterhin ist hier zu fragen, ob Frau L. evtl. eigene Erlebnisse, die sie tatsächlich hatte, irrtümlich oder intentional auf den Beschuldigten transferiert haben k önnte; auch hierzu k önnen sic h Hinweise aus der Analyse der Aussagegenese und der Aussageinhalte er geben: Z uverlässige Gla ubhaftigkeitskennzeichen wie z. B. Verflechtung mit eigenen Lebensumständenkönnen einen B eitrag zur P rüfung dieser Hypothese leisten. Zu prüfen ist außerdem, ob es Hinweise darauf gibt, dass die A ussagen v on F rau L. v ollständig oder t eilweise P rodukte v on sug gestiven B efragungssituationen und/ o der -techniken sind. Dies kann v on B edeutung s ein, da die Z eugin inzwischen mehr fach A ussagen g emacht ha t und sic h psychotherapeutischen B ehandlungen un terzogen
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hat. Hierzu bietet sich vor allem eine P rüfung der differenzierten Konstanz der Aussage an. Schließlich ist zu un tersuchen, ob H inweise darauf bestehen, dass es sich bei den Aussagen der Zeugin um ein Pha ntasieprodukt ha ndelt in dem Sinne, dass sie Er eignisse f ür r eal erleb t häl t, die tatsächlich jedo ch ihr er Vorstellung (als r eine Erfindung, als T raumbild o der als ill usionäre Wahrnehmung) entsprungen sind. Kriterienorientierte Inhaltsanalyse der Aussage Auf dieser Grundlage wird schließlich zu prüfen sein, inwieweit die Aussagen von Frau L. solche Merkmale aufweisen, die erlebnisfundierte Aussagen von nicht erlebnisfundierten Aussagen unterscheiden. 2.3
IV. Un tersuchungsmethoden 1. I nformationsgrundlage f ür die Pla nung der psychodiagnostischen Untersuchungen bildeten die I nhalte der Akte des Landgerichts B . (Az xxx); dies e wur den als Anknüpfungstatsachen in den hier r elevanten A usschnitten oben bereits dargestellt. Zur B eantwortung der ob en entwickelten Hypothesen wurden darüber hinaus die folgenden psychologischen Untersuchungsmethoden eingesetzt: 2.1 Zur Aussagetüchtigkeit (Wahrnehmung, G edächtnis, S prachproduktion): A ufgrund der Schilderungen fallneutraler, d. h. nic ht auf das inkriminierte Geschehen bezogener Erlebnisse ließ sich das allgemeine Sprach- und Fragever-
ständnis der Z eugin abschä tzen so wie ihr e Fähigkeit zur Sprachproduktion.
Auf testpsychologische Untersuchungen hierzu wurde v erzichtet, da allg emeine I ntelligenzund G edächtnistests kaum diejenigen Aspekte der g eistigen L eistungsfähigkeit er fassen, die im v orliegenden Z usammenhang v on B edeutung sind . D arüber hinaus geben (objektivierbare) An gaben üb er S chulerfolg b zw. (A us-) Bildungsstand in hinr eichendem M aße H inweise a uf die hier r elevanten F ähigkeiten und Fertigkeiten (s. dazu auch Greuel et al. 1998, S. 46; Steller u. Volbert 1999, S. 64). Auf eine P rüfung der s og. Pha ntasiefähigkeit wurde ebenso verzichtet, da
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
▬ das Konzept nicht hinreichend definiert ist und daher im v orliegenden Z usammenhang keinen Beitrag zur B eantwortung der Fragestellung liefert; ▬ hierzu infolgedessen keine zuverlässigen und/ oder aussagekräftigen Verfahren vorliegen; ▬ die B edeutung einer b estimmten Ar t und eines b estimmten A usmaßes v on Pha ntasiefähigkeit eines Z eugen in B ezug a uf beliebige Themen k eine G eneralisierung zulässt auf die Fähigkeit, sich Berichte über sexuelle Erleb nisse ausdenken zu k önnen (s. dazu z. B. Undeutsch 1993). 2.2 Zur Motivation, zur A ussageentstehung und -entwicklung:
Motivationale und situative Bedingungen, die für die A ussageentstehung und -en twicklung und die Ein schätzung mög licher F ehlerquellen wic htig sind , wur den in der Exp loration mit F rau L. erhob en. I n dies em G espräch wurden A uskünfte zu den f olgenden, da für relevanten Themen eingeholt: ▬ ihre derzeitige Lebenssituation ▬ ihre frühere und jetzige Beziehung zu ihrem Vater, zu w eiteren, f ür sie wic htigen (Vertrauens-) P ersonen (»signif icant o thers«) und zu Gleichaltrigen ▬ ihre f rühere und jetzig e B eziehung zum Beschuldigten ▬ ihre derzeitige subjektive psychische Verfassung ▬ Sexualanamnese (Ein stellungen, s exuelles Verhalten) ▬ ihre Zukunftsvorstellungen und Er wartungen, soweit sie mit dem derzeitigen Verfahren und den da ran beteiligten Personen in Zusammenhang stehen 2.3 Zur aussagepsychologischen Analyse: In der Exploration zur Sache mit Frau L. wurden diesbezüglich folgende Bereiche angesprochen: ▬ situative und psy chologische B edingungen für ihre (Erst-)Aussage (Motive) ▬ ihre D arstellung der in F rage st ehenden Vorfälle ▬ wie sie die F olgen und En twicklungen im Anschluss an die Anzeige erlebt (hat)
Rahmenbedingungen der psychologischen Untersuchung
Die psychologische Untersuchung mit Frau L. wurden am (Datum im September 2000) (2,5 Stunden) in der Praxis der Gutachterin in A. durchgeführt. Frau L. wur den die A ufgabenstellung und die Rolle der G utachterin erklärt, u. a. auch deren Berichtspflicht an das G ericht bzgl. aller I nformationen, die f ür die B eantwortung der gutachterlichen Fragestellung wichtig sind. Der Untersuchungsplan wurde ihr erläutert. Vor B eginn des G esprächs wur de F rau L. er klärt, dass ihr e T eilnahme a n der U ntersuchung freiwillig sei und sie ein A uskunftsverweigerungsrecht habe (im Sinne des § 55 A bs. (1) StPO). Der allein sorgeberechtigte Vater von Frau L. hatte sein Einverständnis mit der B egutachtung erklärt. Frau L. selbst erklärte sich bereit, bei der B egutachtung mitzuarbeiten und a uszusagen. Frau L. wur de auf ihre Wahrheitspflicht hingewiesen. Die Z eugin wurde ausschließlich von der U nterzeichnenden allein, o hne Anwesenheit weiterer Personen exp loriert. Die Exp lorationen wur den mit Einverständnis von Frau L. auf Tonband aufgezeichnet und wörtlich transkribiert.
V. Ergebnisse der aussagepsychologischen Untersuchungen 1. Zur Aussagekompetenz von Frau L. Die a ussagepsychologisch r elevanten M erkmale der geistigen Leistungsfähigkeit (Wahrnehmungsfähigkeit, a utobiografisches G edächtnis, sp rachliche Rep roduktionsfähigkeit) v on F rau L. wur den im Rahmen der fallneutralen Exploration geprüft. Frau L. b erichtete, ihr V ater und ihr e L ehrer hätten sie nac h der G rundschule zum G ymnasium schicken w ollen; das ha be sie a ber nic ht g ewollt, weil sie zum einen die do rtigen Schüler ausnahmslos f ür »S treber« g ehalten ha be, und zum a nderen viele Freunde gehabt habe, welche die H auptschule besucht hätten. Dort habe sie deshalb auch hingehen wollen. Sie habe dann begonnen, häufig die S chule zu s chwänzen. Man habe sich dann auf den K ompromiss eines Realschulbesuchs geeinigt. Dort habe sie dann aber auch häufig den U nterricht nicht besucht. Nach eineinhalb Jahren sei sie von der Schule »geflogen« und zur Hauptschule gegangen. Dort sei
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sie zunächst »glücklicher« gewesen, aber »auch nicht viel regelmäßiger« hingegangen. Weil sie da nn dort auch »S chwierigkeiten« b ekommen ha be, s ei sie dort in der ac hten Klasse abgegangen. Sie sei dann viel »un terwegs« g ewesen (En tweichungen v on zu Hause, aus Unterbringungsstellen; Klinikaufenthalt) und habe auch zeitweise (von ihrem 12. bis zu ihrem 14. L ebensjahr) v erschiedene Dr ogen g enommen, wenn sie sic h für das »A usgehen« gute Laune habe verschaffen wollen. Das habe sie a us »Neugier« begonnen, sie s ei nie »süc htig« gewesen und g enauso, wie sie das b egonnen ha be, ha be sie v or mehr als drei J ahren da mit a uch wieder a ufgehört. S eitdem nehme sie keine Drogen mehr, ab und zu tr inke sie Alkohol, jedoch nur in Gesellschaft. Sie ha be jedo ch inzwis chen den H auptschulabschluss in der VHS nac hgeholt und a rbeite jetzt dort auf den Re alschulabschluss hin: Wegen guter Abschlussleistungen ha be sie ein S emester üb erspringen k önnen. N ach dem Re alschulabschluss wolle sie entweder eine Ausbildung zur Stewardess machen oder das Fachabitur ablegen; danach dann evtl. Psychologie oder Sozialpädagogik studieren. Frau L. a rbeitete währ end der g esamten (mi t Pause) zw eieinhalb S tunden da uernden Exp loration konzentriert mit. Wie (auch) aus dem im Anhang a ngeführten Wortprotokoll der A ussage zur Sache (S eitenzahlen mi t E 1 b eginnend) her vorgeht, konnte sie ausführliche, zusammenhängende Berichte üb er Er eignisse, Erleb nisse und A bläufe geben, die in sic h logis ch k onsistent, nac hvollziehbar, detailliert, konkret und damit anschaulich waren. Frau L. ist – sic herlich auch aufgrund ihrer Therapieerfahrenheit – s ehr gu t in der L age, ihr e Gedanken und G efühle dif ferenziert zu r eflektieren und in tr effende Worte zu fass en (gu te Verbalisationsfähigkeit, v erbunden mi t ho her I ntelligenz). S ie b erichtete v on sic h a us, a uf allg emeine Berichtsaufforderungen bzw. offene Fragen hin gab sie häufig mehr als n ur die kürzeste Antwort (sog. Überhangantworten). Auch die v on Frau L. b erichteten epilepsieartigen Anfälle, denen nach Angaben von Frau L. kein organischer B efund zugr unde liegt, b ieten k einen Anhaltspunkt f ür die Annahme gra vierender Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit und des Gedächtnisses, die für die vorliegende Fragestellung nach der Möglichkeit, zutreffende Erinnerungen an
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das hier fragliche Erlebnis aktualisieren und verbalisieren zu können, von Bedeutung sein könnten. Daher b leibt b zgl. der A ussagekompetenz v on Frau L. festzuhalten:
Weder aus den Angaben in der Akte noch aus der fallneutralen (d. h. nicht mit den Vorwürfen des se xuellen M issbrauchs in Z usammenhang stehenden) Exploration von vergangenen Erlebnissen der Z eugin ließen sich H inweise für eine erheblich gest örte b zw. eingeschr änkte Wahrnehmungs- oder Gedächtnisfunktion erkennen.
Aus fac hlichen und fac hethischen G ründen wurde daher hier , in Üb ereinstimmung mi t der einschlägigen Fachliteratur, auf eine weitergehende, z. B. t estgebundene Üb erprüfung dies er F ähigkeiten v erzichtet (G reuel et al . 1998, S. 75–77 und S. 79–88; s. dazu auch Urteil des BGH, zitiert aus Praxis der Rechtspsychologie (= PRP) 2000, S. 116). Unter den hier v orliegenden B edingungen ist ein weitergehender Eingriff in die P ersönlichkeitssphäre, wie sie a uch eine a usführliche I ntelligenzdiagnostik darstellen würde, nicht zu rechtfertigen, zumal eine solche in diesem Fall nicht zur Klärung der Fragestellung beitragen würde. Es sind nämlich bei einer Begutachtung am Einzelfall nur diejenigen Hypothesen zu f ormulieren und zu p rüfen, die f ür die konkrete Fragestellung relevant sind und für die es – z. B. aufgrund bereits vorliegender Informationen – konkrete Anhaltspunkte gibt (hypothesengeleitete Diagnostik , die u. a. die Abwägung zwischen materiellen, s ozialen und psy chischen Kosten und ebensolchem Nutzen einbezieht (s. u. a. BGH-Urteil in PRP 2000, S. 123). Eine a usführliche Diskussion der Z eugentüchtigkeit eines j ugendlichen Z eugen ist im S inne einer s equenziellen diagno stischen Strategie daher n ur in den F ällen a ngezeigt, in denen konkrete Hinweise auf mögliche aussagerelevante Beeinträchtigungen vorliegen (vgl. dazu z. B. Steller u. Volbert 1999, S. 60f. und S. 77). Dies wa r hier jedoch nicht der Fall. Zur Sexualanamnese berichtete Frau L., dass sie mit zwölf Jahren ihren ersten – ein vernehmlichen – Geschlechtsverkehr mit einem ca. eineinhalb b is zwei Jahre älteren Jungen gehabt habe; vorher habe sie nur »rumgeknutscht und H ändchen gehalten«: Sie sei damals neugierig auf die »P raxis« gewesen, nachdem ihr die »Theo rie« s chon la nge b ekannt gewesen s ei. D as »er ste M al«, v on dem sie sic h
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
»ganz früher was Besonderes erhofft« habe, sei ihr aber n un »egal« g ewesen. D as s ei »ga nz s chnell«, nach kurzer Bekanntschaft, darauf hinausgelaufen, dass ma n mi teinander g eschlafen ha be. P robleme habe es dabei für sie nicht gegeben, auch hinterher habe sie es nic ht b ereut. Es s eien b ei ihr da mals auch keine (negativen) Erinnerungen an Herrn T. aufgetaucht. Dies em J ungen ha be sie a uch nic hts darüber erzählt. Das ha be sie er st b ei ihr em spä teren F reund und jetzig em Ex-F reund g etan, b ei dem sie da nn auch eine Zeitlang gewohnt habe. Mit ihm habe sie sich schon sehr schnell sehr gut verstanden, sodass sie bereits nach einigen Tagen ihr früheres Erlebnis mit H errn T . erzähl t ha be. I n s exueller H insicht könne sie es »manchmal gar nicht leiden«, wenn jemand ihr »ins Gesicht tatsche« oder an ihrem Hals lecke. Da bekomme sie »einen Ekel«; einmal sei sie auch r ichtig a usgeflippt und ha be ihr em F reund den Hals zerkratzt. Ihr Freund habe dafür, dass sie manchmal P robleme b eim S ex g ehabt ha be, »immer Verständnis« gehabt. Weiterhin b erichtete F rau L. üb er zahlr eiche frühere V erhaltensauffälligkeiten (S tehlen, W eglaufen, Dr ogenkonsum), psy chische S törungen (Konzentrationsprobleme, Depression, zwei Selbstmordversuche, Alb träume) s owie üb er psy chosomatische B eschwerden und Erkra nkungen (c hronische B auchschmerzen, ep ilepsieartige Anfälle u. ä.; a uch eine b ulimische S ymptomatik); nac h Angaben von Frau L. läg en – nac h Aussagen ihrer Ärzte – f ür ihr e B eschwerden k eine k örperlichen Ursachen vor, das k omme alles »v on der P syche«; die Symptome träten z. T. heute noch auf und seien besonders heftig, wenn sie »Stress« habe. 2. Motivationale Aspekte, Aussage-
entstehung und -entwicklung
Motivationale und si tuative B edingungen, die f ür die A ussageentstehung und -en twicklung wic htig sind, wur den einer seits der Ak te, a ndererseits in der Exploration mit Frau L. erhoben. 2.1 (Familiäre) Beziehungen von Frau L.
Frau L. erklärte, sie sei das dritte Kind ihrer Mutter; diese sei bei ihrer Geburt erst 19 Jahre alt gewesen. Sie ha be ihr e Mutter immer g ehasst, w eil dies e sie
durch die frühe Trennung habe »hängen lassen«; die Familie des V aters ha be a uch immer n ur s chlecht über sie g esprochen. Sie habe inzwischen erfahren, dass ihre Mutter von ihrem eigenen Vater als K ind sexuell missbraucht worden s ein s olle. Ihre Mutter lebe jetzt seit sechs oder sieben Jahren in Indonesien; sie wolle in K ürze zu B esuch zu ihr k ommen. Frau L. meinte, das glaube sie aber erst, wenn die Mutter »vor ihr st ehe«. S ie ha be s chon das B edürfnis, mi t ihrer Mutter über vieles zu reden, weil es sie erschrecke, wie sie s elbst dabei sei, das L eben ihrer Mutter zu wiederholen, bis auf die f rühe Mutterschaft und Ehe. S ie w olle ihr en K indern s ehr viel mehr L iebe und Z uwendung g eben, als sie s elbst b ekommen habe. Dies e ha be sie a uch b ei ihr em Vater immer vermisst: V on ihm ha be sie k eine U nterstützung, kein Lob und k eine Zärtlichkeit erlebt; für ihn und ihren ältesten Bruder s ei sie »immer n ur die Pu tzfrau« gewesen. Frau L. meinte jedoch auch, ihr Vater »könne nichts dafür«, er könne seine Gefühle nicht zeigen bzw. äußern. Sie sei überzeugt davon, dass er sie wirk lich lieb e; er s ei eb en auch mit der V ersorgung und Erziehung von zwei kleinen Kindern, mit denen die Mutter ihn habe »sitzen lassen«, überfordert gewesen. Sie habe »halt von ihm nur die Bestätigung« haben wollen, dass er sie liebe, danach habe sie sic h immer g esehnt. Die hef tigen S treitigkeiten mit dem Vater und ihr f rüheres häufiges Weglaufen und »A usbrechen« a us Reg elungen erk lärte F rau L. mi t einem »immer s chon v orhandenen gr oßen Freiheitsdrang« und mi t einer gr oßen N eugier, etwas auszuprobieren und dann selbst zu entscheiden, ob man einen Beruf, eine Beziehung oder auch z. B. Drogenkonsum fortführen oder beenden wolle. Frau L. b erichtete, sie ha be nie eine V ertrauensperson gehabt, mit der sie üb er alles, z. B. über Probleme o der F ragen, die sie g ehabt ha be, ha be sprechen können, weder innerhalb noch außerhalb der F amilie, w eder Äl tere no ch Gleic haltrige. I n ihrer Familie habe »mehr s o jeder f ür sich gelebt, mehr wie in einer Wohngemeinschaft«. Auch jetzt ha be sie k eine en gen F reundinnen oder F reunde; w enn sie P robleme ha be, k önne sie das mit ihrem Betreuer vom Jugendamt besprechen; das mache sie a uch manchmal. Bisher habe ihr die Therapie in der K linik und diejenig e beim Kinderschutzbund sehr geholfen: dort habe sie gelernt, ihre Probleme zu erkennen, über ihre Schwierigkeiten zu
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
sprechen, ihnen a uf den G rund zu g ehen, und, wie sie sich s elbst helfen könne. Inzwischen g laube sie, dass sie die Thera pie nicht mehr so benötige, daher wolle sie diese jetzt langsam beenden. Ihre frühere Beziehung zu Herrn T. bezeichnete sie so, dass da »eigentlich gar keine Beziehung« bestanden habe: Er s ei »halt ein F reund des V aters« gewesen, der sic h oft in ihr er Wohnung aufgehalten ha be. G espräche ha be es ka um g egeben, da dies f ür sie und ihr en B ruder »nic ht in teressant« gewesen s ei. M an s ei »mehr a neinander v orbei gelaufen«. Es s ei jedo ch mehr fach v orgekommen, dass sie o hne den Vater mit Herrn T. allein in der Wohnung g ewesen s eien; es ha be sie und ihr en Bruder da nn s ehr g estört, dass er ihnen g egenüber v ersucht ha be, »den H ausherrn ra ushängen zu lass en«. Nach dem »V orfall im W ald« habe sie noch mehr versucht, ihm auszuweichen; er habe sie auch nicht mehr a uf diesen Vorfall angesprochen. Danach habe er sie »no ch ein paa r Mal belästigt«, indem er sie in der B adewanne beobachtet habe. Frau L. ga b a n, ä ußerlich ha be sie H errn T . schon immer »hässlic h« gefunden, da er s ehr ungepflegt gewesen sei. Sie wün sche sic h heu te, dass er eine leb enslange G efängnisstrafe b ekomme, da mit er k ein Kind mehr v ergewaltigen k önne. S ie s elbst ha be auch Angst um ihr L eben, weil er sie ja »a uch aus 30 Meter Entfernung erschießen« könne. 2.2 Zur Aussageentstehung und Aussageentwicklung
Nach F rau L.s An gaben ha be sie zum aller ersten Mal ihrem Bruder von »der Sache« erzählt, an dem Tag, an dem Herr T. unter dem Tisch mit den Füßen Kontakt zu ihren Beinen gesucht habe. Ins Detail sei sie da a ber nic ht g egangen, eb enso w enig b ei dem kurz da rauf f olgenden V ersuch, sic h ihr em V ater gegenüber zu äußern. Da ihr Vater ihr nicht geglaubt habe, sondern sie statt dessen beschimpft habe, habe sie ihn ab diesem Zeitpunkt »abgrundtief gehasst«. Dazu ausführliche Einzelheiten zu erzählen, sei sie erst innerhalb der Thera pie in der K linik in W. zum ersten Mal in der Lage gewesen. Da habe auch ihr Vater davon erfahren. Danach habe sie es a uch in der Therapie beim Kinderschutzbund berichtet. Als sie 1997 H errn T. mehr fach in der U mgebung ihrer Wohnung gesehen habe, habe sie große
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Angst b ekommen und a uch Wut auf ihn; sie ha be dann von ihrem Vater erfahren, dass Herr T. wieder in der Nähe wohne. Nachdem er sie dann auch einmal im Park mit einem Messer bedroht habe, habe sie sic h en tschlossen, ihn a nzuzeigen und s ei zur Anwältin gegangen, der sie üb er das frühere Erlebnis mit Herrn T. berichtet habe (Anm.: Juli 1997). Einmal s ei er da nach a uch b ei ihr er neuen Wohnung a ufgetaucht und ha be nac h ihr g eklingelt und gerufen. Sie habe vor Angst gezittert, aber natürlich nicht die Tür geöffnet. Er s ei dann auch wieder g egangen. Wenn sie H errn T. in der S tadt sehe, g erate sie in P anik, sie v ersuche, mög lichst unerkannt zu bleiben und ihm auszuweichen. Frau L. erklärte, dies sei auch einer der G ründe, warum sie sich oft die Haare färbe. (Ausführlich zur Er staussagesituation und die Weiterentwicklung s. Wortprotokoll, S.E...) 3. Exploration »zur Sache« mit Frau L.
Die Explorationsausschnitte, die sic h auf den Vorwurf des s exuellen Missbrauchs b eziehen und die daher für die B eantwortung der F ragestellung von entscheidender B edeutung sind , sind im Anha ng des Gutachtens wörtlich wiedergegeben (Transkript des Tonbandes); die Seitenzahlen der Explorationsniederschrift sind mit E1 bis E... bezeichnet.
VI. Psychologischer Befund Im folgenden Psychologischen Befund werden die oben ausführlich b erichteten Einzelergebnisse zur Beantwortung der Psychologischen Hypothesen (s. S....ff. des Gutachtens) unter Berücksichtigung der entsprechenden psy chologisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse und F orschungsergebnisse zueina nder in B eziehung gesetzt. D araus werden die gu tachterlichen S chlussfolgerungen und die B eantwortung der gerichtlichen Fragestellung abgeleitet. 1. Zu den individuellen Voraussetzungen
für eine zuverlässigen Zeugenaussage (Kompetenzanalyse )
Hier werden zunächst diejenigen personbezogenen Merkmale v on F rau L. disk utiert, die ob en unter dem A spekt der Aussagekompetenz aufgeführt
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
wurden. D as sind die F ähigkeit zu r ealitätsangemessenen Wahrnehmungen, A spekte des a utobiografischen G edächtnisses und die sp rachliche Ausdrucksfähigkeit. Es fanden sich keine Hinweise darauf, dass die Wahrnehmungsfähigkeit von Frau L. zum Zeitpunkt des hier fraglichen Ereignisses dauerhaft oder situativ, z. B. durch Alkohol, Drogen oder Medikamente, eingeschränkt gewesen wäre: Frau L. war zum Zeitpunkt des a ngeblichen Erleb nisses er st ac ht J ahre alt. Es ist daher von einer hinreichenden Wahrnehmungsfähigkeit der Zeugin auszugehen. Im Hinblick auf ihre Erinnerungsfähigkeit bestanden zum Z eitpunkt der Exp loration v on Frau L. eb enso keine H inweise dar auf, dass ihr e G e-
dächtnisfunktionen (v . a. die des aut obiografischen Langz eitgedächtnisses) in einer Weise eingeschränkt w ären, dass sie die grundsä tzliche Zuverlässigkeit einer Z eugenaussage beeinträchtigen wür den. Die v on F rau L. a ngeführten
Erinnerungsunsicherheiten (tr otz gr oßen Er innerungsbemühens; s. dazu V olbert u . T eske 2000) im Z usammenhang mi t dem f raglichen Er eignis entsprechen den jenigen, die g edächtnispsychologisch zu erwarten sind: Sie beziehen sich vor allem auf die zei tliche Eino rdnung des a ngeblichen Er lebnisses; dera rtige Rek onstruktionen v on lä nger zurückliegenden Erleb nissen sind a uch in erlebnisbegründeten A ussagen hä ufig s chwierig und Schwankungen unterworfen (Greuel et al . 1998, S. 131f.; Christianson 1997; Undeutsch 1967). Auf Beeinträchtigungen der hier zentralen Gedächtnisinhalte d urch die W irkungen v on Dr ogenkonsum, v on t herapeutischen Einf lüssen und/ oder des r einen Z eitablaufs gib t es eb enso k eine Hinweise. Die v erbale A usdrucksfähigkeit v on F rau L. reicht bei Weitem aus, um eine dif ferenzierte Zeugenaussage zu mac hen. Die S truktur der sp rachlichen Ä ußerungen (Z usammenhang, L ogik, Sa tzbau, differenzierter Wortschatz, Verbalisierung von Emotionen, A usführlichkeit) un terscheidet sic h nicht zwis chen ihr en B erichten üb er fallneu trale Erlebnisse und der A ussage üb er das a ngebliche Missbrauchsgeschehen. Frau L. ist zumindest v erbal in der L age, zwischen klar Erinnertem und w omöglich nachträglichen Interpretationen und Ref lexionen (als Er geb-
nis ihrer Therapien) zu unterscheiden. Die von Frau L. angegebenen Erinnerungsunsicherheiten können als Hinweis darauf gesehen werden, dass die Angaben, die sie dem gegenüber als r eal darstellt, wahrscheinlich wirklich erlebnisbegründet sind. Eine weitere, z. B. testgebundene Prüfung allgemeiner bzw. formaler Intelligenzfaktoren erübrigte sich nach alle dem – im Sinne einer hypothesengeleiteten Diagnostik (s. o.) – im vorliegenden Fall.
Die im R ahmen der Begutachtung der Z eugin erhobenen und oben bericht eten I nformationen gaben also insgesamt k eine H inweise auf Einschränkungen dieser Grundv oraussetzungen für die Möglichkeit, eine zuverlässige Zeugenaussage zu machen : Weder aus den B erichten über frühere
Aussagen noch aus der psychologischen Exploration ergaben sich Anhaltspunkte für überdauernde oder situationsbedingte Einschränkungen hinsichtlich ihrer (bereichsspezifischen) Wahrnehmungsfähigkeit, ihrer grundsätzlichen Erinnerungsfähigkeit oder ihrer Verbalisationsfähigkeit für Selbsterlebtes.
2.
Motivationale Aspekte, Aussageentstehung und -entwicklung
Finden sich in einer Aussage motivationale Tendenzen, v on denen a ussageverfälschende W irkungen ausgehen können, so können solche motivationalen Zusammenhänge Z weifel a n der Gla ubhaftigkeit wecken, »die allerdings durch eine besondere Qualität der Aussage in anderen Merkmalen besänftigt werden k önnen« (G reuel et al . 1998, S. 169). B ei einer Übereinstimmung der Ergebnisse der Aussageanalyse und der Motivationsanalyse lässt sich die Glaubhaftigkeit mit größerer Sicherheit beurteilen, als w enn die Er gebnisse b eider Anal ysen sic h widersprechen (Greuel et al. 1998, S. 178). Arntzen (1993, S. 87 f f.) zähl t eine Reihe v on Informationen a uf, die H inweise f ür die B eurteilung der f ür die Z eugenbekundung wirks amen Motive enthalten: ▬ emotional-affektive Ein stellungen des Z eugen und seiner Umgebung zu den v on der Aussage betroffenen Personen ▬ sonstige zwischenmenschliche Bezüge des Zeugen ▬ Situation des erstmaligen Vorbringens der Zeugenaussage
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
▬ A ussageweise ▬ A ussageinhalt ▬ von Zeugen vorhersehbare Folgen der Aussage ▬ Verhalten des Zeugen nach bezeugten Vorgängen Nach den vorliegenden Ergebnissen lassen sich die Aussageentstehung und -en twicklung im hier v orliegenden Fall wie folgt rekonstruieren: Nach den a usführlichen An gaben v on F rau L. spielte der Beschuldigte für sie lediglich die Rolle eines Freundes des Vaters. Aufgrund seines ungepflegten Äußeren und s eines autoritären Verhaltens der Zeugin (und ihrem Bruder) gegenüber versuchte sie ihm nach eigenen Angaben, möglichst aus dem Weg zu gehen; sie ha tte keine tiefer gehende emotionale Beziehung zu ihm en twickelt (Frau L.: »Er wa r halt der V., ein Freund von meinem Papa halt«: E...). Ein (Falsch-)Beschuldigungsmotiv wie z. B. der Versuch einer L oslösung einer v ormals en gen, emo tional positiven Beziehung scheidet daher hier aus. Nimmt man an, dass hier ein mögliches Falschbeschuldigungsmotiv der R ache f ür s chlechte B ehandlung vorgelegen habe, so ist dem en tgegenzuhalten, dass es eher un wahrscheinlich ist, dass eine 9-Jährige a us dies em M otiv hera us a usgerechnet eine dera rt k omplexe G eschichte einer V ergewaltigung er finden s ollte, die sie da nn in einer ho ch emotionalisierten S ituation in der v orliegenden Weise vorbringen würde (s. u .): Die I nhalte der in der Erstaussage dem B ruder gegenüber gemachten Angaben gehören i. Allg. nic ht zum W issens- und Erfahrungsschatz einer 9-Jährigen, selbst wenn man die B eurteilung des V aters als »s exuell f rühreif« übernehmen wür de. F rau L. s elbst erk lärt, o hne vorhergehende Frage, dass sie zu dies em Zeitpunkt noch keinerlei sexuelle Erfahrungen gehabt habe. Auch a us dem fa miliären U mfeld des Z eugen ergeben sich weder aus den bisherigen Informationen aus der Ak te noch aus den An gaben von Frau L. H inweise da rauf, dass v on dies er S eite a us ein Interesse a n einer F alschbeschuldigung g egenüber Herrn T. bestanden hätte. Vielmehr erfuhr Frau L. hier wenig Unterstützung, als sie – k urze Zeit nach dem a ngeblichen Erleb nis – da rüber dem V ater berichten wollte: Nach Angaben von Frau L., ihrem Bruder und dem V ater s elbst g laubte ihr dies er zunächst nicht, sondern beschimpfte das 9-jähr ige
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Mädchen, selbst wenn ihr dies »passiert« sein sollte, sei sie selbst schuld, da sie »aufgetakelt aussehe wie eine Tussi«. Frau L. berichtete dazu, sie habe etwa im Alter von neun Jahren angefangen, sich zu schminken (s. E...). Ein mög liches Ziel, durch eine Falschbeschuldigung die s onst v ermisste Z uwendung zu erhalten, hätte sie demnach nicht erreicht und eine spätere W iederholung des g leichen B erichts ler npsychologisch demnach unwahrscheinlich gemacht (nicht-erfolgreiche Handlungen werden i.d.R. nicht in der gleichen Weise wiederholt). Wäre es ihr da rum g egangen, die A ufmerksamkeit und die Z uwendung des Vaters durch eine (Falsch-) B eschuldigung von dessen Freund zu er langen, wä re zu er warten g ewesen, dass sie a uch den Vater als »Empfänger der Erstaussage« gewählt hätte. S ie ha t sic h jedo ch als er stes ihr em B ruder gegenüber geäußert, dessen Reaktion für sie ka um absehbar gewesen sein dürfte. Nach ihren Angaben und den jenigen des B ruders wa r sie da nach no ch weiterhin eine Zeitlang nicht in der Lage bzw. nicht bereit, sich ihrem Vater gegenüber in Einzelhei ten dazu zu äußern. Nach den übereinstimmenden Berichten von Frau L. und ihr er Therapeuten hat der Vater erst in gemeinsamen Therapiegesprächen mit der Tochter detaillierter erfahren, was seine Tochter ihm mehr ere J ahre zu vor ha tte mi tteilen w ollen, was aber an seiner Ablehnung gescheitert war. Auch die S ituation, in der F rau L. die Er staussage ihrem Bruder gegenüber gemacht hat, spricht gegen eine erfundene (Falsch-) Beschuldigung: Anlass für eine allgemeine Nachfrage des Bruders, was »los« sei, war die hef tige Reaktion der Z eugin auf einen »Annäher ungsversuch« des B eschuldigten mit s einen Füßen unter dem T isch, in G egenwart mehrerer anderer Personen. Die daraufhin erfolgte Erstaussage en thält in logis ch nac hvollziehbarem Zusammenhang eine Reihe v on a nschaulichen, »originellen«, auch in die individuelle Lebenssituation der Beteiligten eingebettete Details über sexuelle H andlungen, v on denen nic ht o hne Weiteres anzunehmen ist, dass sie zum K enntnisstand einer 9-Jährigen gehören und die z. T . auch als delik ttypisch anzusehen sind: Es ist hö chst unwahrscheinlich, dass ein Bericht, der mehrere derartige Glaubhaftigkeitsmerkmale enthält, in einer emo tionalen Verfassung der Zeugin, wie sie hier beschrieben ist (heulend, wütend), von ihr er funden worden sein
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
sollte: D ass das V erhalten des B eschuldigten eine heftige Re aktion wie b eschrieben b ei ihr a uslöste, lässt sich hingegen mühelos erklären, wenn sie mit dem B eschuldigten v orher (mindest ens) ein s ehr belastendes Erlebnis hatte. Ebenso w enig lieg en I nformationen da rüber v or, dass zwis chen f raglichem Er eignis und Erstaussage dr itte Personen, die I nteresse a n einer Falschbeschuldigung hä tten ha ben k önnen, Einfluss a uf das M ädchen g enommen hä tten: F rau L. erläuterte im R ahmen der B eziehungsexploration dazu a usführlich, dass sie – a uch in ihr er K indheit – k eine vertrauten Personen gehabt habe, mit denen sie hätte reden können oder wollen, wenn sie Schwierigkeiten g ehabt ha be. Eine dera rtig s ozial deprivierte L ebenssituation, w enn jeder emo tionale Rückhalt und jede Unterstützung fehlt, erklärt völlig hinr eichend, dass eine Anzeig e des Erlebten nicht sofort erfolgte, sondern erst etliche Jahre später: Dies e er folgte da nn zu einem Z eitpunkt, zu dem das Erleb te und die da mit v erbundenen Gefühle der An gst und der H ilflosigkeit durch das neuerliche A uftauchen und B edrohungen des B eschuldigten aktualisiert wurden (s. E... f.), sie a ber jetzt a ufgrund t herapeutischer H ilfe in die L age versetzt worden war, das Erleb te zu r eflektieren, in seiner B edeutung zu er fassen und g enügend emotionalen Rückhalt gefunden hat, um a uch die F olgen einer Anzeige (mehrfache Vernehmungen und Gerichtsverhandlung(en) mit erneuter emotionaler Belastung) erkennen und durchstehen zu können. Eine Induktion der Aussageinhalte durch möglicherweise suggestive Befragungen und Therapiemethoden scheidet hier als Erk lärung für die beschriebenen Handlungen aus, da die wesentlichen Abläufe des Übergriffs von Frau L. bereits mehrere Jahre vor Beginn jeden therapeutischen Einflusses ihrem Bruder gegenüber geschildert worden waren. Aus dem g leichen G rund s cheidet die Annahme a us, dass F rau L. a ufgrund ihr es f rüheren Drogenkonsums die b eschriebenen H andlungen jetzt illusorisch (aufgrund autosuggestiver Prozesse und einer da mit v erbundenen U nfähigkeit, zwischen Re alität und V orstellung zu un terscheiden) subjektiv f ür r eal erleb t häl t, ob wohl ihnen k ein reales Er eignis zugr unde liegt: D er v on F rau L. erwähnte Drogenkonsum setzte erst mehrere Jahre nach der Erstaussage ein.
Auch der – in der Exploration geäußerte – heftige B estrafungswunsch f ür den B eschuldigten ist als eine Re aktion a uf die (psy chische) Verletzung zu betrachten, wie sie (u. a.) für das Erleben gewaltsamer sexueller Übergriffe typisch ist. Die Gla ubhaftigkeitsprüfung der A ussageinhalte im Hinblick auf aussagepsychologische Kriterien wird im Folgenden vorgenommen. 3. Kriterienorientierte Aussagenanalyse
Davon a usgehend, dass erleb nisfundierte A ussagen auch über längere Erinnerungsintervalle hinweg in bestimmten Aspekten wie der Schilderung des zentralen Kerngeschehens s owie der eig enen Rolle bzw. Aktivität sowie in der B enennung von am K erngeschehen b eteiligten P ersonen, f raglichen T atörtlichkeiten, ha ndlungsrelevanten G egenständen und g lobalen K örperpositionen im Falle k örpernaher Handlungen k onstant b leiben, kann b ei der en Er füllung v on einer »einfac hen Ausprägung des K onstanzmerkmals« gesprochen werden (Ar ntzen 1993; Sze wczyk u . L ittmann 1989). Hinsichtlich zentraler Aspekte wie es die Schilderung des Ablaufs der vorgenommenen Handlungen (einschließlich der Einleitung der Handlungen: gemeinsame F ahrradfahrt und Eis essen, A ugen verbinden wollen: Bl. 3 und E...f.), die D arstellung der eig enen Ro lle und Ak tivität da bei (zunäc hst weglaufen, hinfallen, zunäc hst sic h w ehren), die Benennung der b eteiligten Personen, die f ragliche Tatörtlichkeit (im Wald) und die g lobalen Körperpositionen b eider B eteiligter sind , b esteht v öllige Übereinstimmung zwischen der ersten berichteten Aussage, welche sie dem Bruder gegenüber machte, der zw eiten, die v on der An wältin als G rundlage der Anzeig e b erichtet wir d, und der psy chologischen Exploration; Auslassungen wesentlicher Aspekte kamen nicht vor. Ebenso wenig fanden sich hinsichtlich dies er K riterien W idersprüche zwischen diesen drei Aussagen. Als Inkonstanz ließen sich lediglich Auslassungen hinsichtlich zweier Details konstatieren: In der Vernehmung des B ruders der Z eugin (B l....) üb er die Aussage von Frau L. sind k eine Informationen über eine angebliche Bedrohung mit einem Messer enthalten.
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
Das Weglassen der Erwähnung über eine Handlung b ei einer v on mehreren B efragungen spricht jedoch nic ht g egen die mög liche Gla ubhaftigkeit der A ussagen üb er die üb rigen, k onstant b erichteten H andlungen. G edächtnispsychologische Er kenntnisse zeigen nämlich, dass a uch von tatsächlich erlebten Ereignissen nicht zu jedem Zeitpunkt jeder Abfrage alle D etails eines Er eignisses abrufbar sind; Er innerungsbilder un terliegen im L aufe der Zeit Veränderungen: Dies gilt vor allem, wenn zwischen dem Er eignis und s einer S childerung große Z eiträume lieg en und/ o der w enn a nzunehmen ist, dass dazwis chen sug gestive Einf lüsse gewirkt ha ben. W enn jedo ch b ei einer spä teren Befragung, wie hier , eine »sp ontane« Er gänzung individuell g eprägten I nhalts im B ericht üb er ein schnell a bgelaufenes, ho ch a ffektives G eschehen (Turbulenzgeschehen; Ar ntzen 1993) v orgebracht wird, ist davon auszugehen, dass dieses nur deshalb möglich ist, w eil diese Erinnerung zum Z eitpunkt der späteren Befragung wieder a uftaucht und sic h dieser Bericht somit aus dem tatsächlichen »Erlebnisstrom« ergibt (zu »Ergänzbarkeit« als Glaubhaftigkeitskriterium: s. u. a. Arntzen 1993). In den Vernehmungen des Vaters (Bl. 10) und des Bruders (Bl. 16) wird darüber hinaus berichtet über die A bsicht eines Oral verkehrs d urch den Beschuldigten mit der Z eugin, bevor er sie v ergewaltigt habe. Davon berichtet Frau L. in der Exploration direkt nichts; sie s childert hier n ur, dass sie sein Glied »v or dem G esicht« g ehabt ha be. Dies kann jedoch auch interpretiert werden als ein zusätzliches Merkmal, das für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht: Es ist da von auszugehen, dass die damals 9-jährige Zeugin die wahre Absicht des Beschuldigten bei seiner Frage, ob sie an »seinem Eis lecken wolle«, nicht verstehen konnte. Daher schilderte sie dies k urze Zeit nach dem Er eignis ihrem Bruder auf der r ein phänomenologischen Ebene
ohne Verständnis für die Bedeutung der F rage bzw. für die Absicht des Beschuldigt en: N icht-
erlebnisfundierte A ussagen en thalten s olche r ein phänomengebundene S childerungen i .d.R. nic ht; dort findet man häufiger stereotype Interpretationen einer s olchen Situation, die d urch nachträgliche Informationen stimmig gemacht wurden. Bei aller Konstanz bestehen zwischen den v erschiedenen A ussagen a uch U nterschiede in der
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Formulierung und in der A bfolge der b erichteten Ereignisse, so z. B., wann die B edrohung mit dem Messer einsetzte, ob bereits vor, während oder erst nach der hier in F rage stehenden Vergewaltigung. Eine stereotype Gleichförmigkeit der Angaben mit übergenauen Pseudopräzisierungen, die dann eher auf eine a uswendig gelernte, geglättete Geschichte ohne Erleb nisbezug hin weisen wür den, liegt hier nicht vor. Nun ka nn g efragt w erden, ob die a ngebliche Bedrohung mit dem Messer evtl. eine nachträglich erfundene Er gänzung da rstellen k önnte, um die Situation künstlich zu dramatisieren. Hierzu ist zu sagen, dass eine s olche Er gänzung f ür die B eurteilung der G esamtsituation üb erflüssig wä re und es w enig wahr scheinlich ist, dass die Z eugin ihr Gedächtnis mit einer zusätzlichen Einzelheit belastet hätte. D er hier b eschriebene Ablauf entspricht auch nicht lediglich einem Schemawissen, mit dem Erinnerungslücken auch ohne reale Erlebnisgrundlage er gänzt w erden k önnen. V ielmehr wir d die Bedrohung mit dem Messer im freien Bericht über
das Erlebte mehr fach er wähnt und dann jew eils in den G esamtablauf des bericht eten G eschehens eingebettet. Damit eng verknüpft wird eine anschauliche Darst ellung über erlebt e hef tige Affekte bis hin zu Depersonalisationserlebnissen
(»dann wa r ic h ir gendwann st eif v or An gst und hab nur noch nach oben geguckt, so in’n Himmel hin g eguckt, und b in da s o v erstarrt, v ersteinert geblieben« (S. E4). Eine solche Verflechtung von
äußeren Er eignissen, ihr er Wahrnehmung und ihrer emotionalen Verarbeitung wäre b eim F eh-
len einer r ealen Erleb nisgrundlage s ehr s chwierig zu konstruieren und daher sehr unwahrscheinlich.
Unter dem G esichtspunkt der K onstanz der Aussagen der Z eugin lassen sich also k eine Anhaltspunkte erkennen, welche der Annahme widersprechen wür den, dass die Z eugin über ein real erlebtes Geschehen berichtet: Frau L.s A us-
führungen in der p olizeilichen Vernehmung und bei der a ussagepsychologischen Exploration erfüllen dies e Anf orderung im H inblick auf ein ho hes Maß a n Üb ereinstimmung; dir ekte Widersprüche zwischen den v orliegenden Aussagen tra ten nic ht auf; ebenso gab es keine Auslassungen im Hinblick auf das Kerngeschehen und auf die damit in direktem Zusammenhang stehenden Abläufe.
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
Die An gaben der Z eugin sind da rüber hina us durch eine hohe Differenziertheit der Beschreibungen gekennzeichnet. Von einer Aussage zur anderen findet auch keine Aggravation der Vorwürfe statt. Frau L.s An gaben zu den v erschiedenen Z eitpunkten gehen über die einfache Konstanz hinaus: Auch nebensächliche Handlungen wie die En twicklung der fraglichen Situation (Spielen auf dem Spielplatz, An sprechen d urch V ., F ahrradfahren, Eisessen, das H infallen bei der v ersuchten Flucht) werden in allen b isherigen Aussagesituationen inhaltlich unverändert geschildert. Die A ussagen v on F rau L. w eisen ein hohes Maß an individueller Dur chzeichnung und Verknüpfung mit ihr en eigenen, individuellen L ebensumständen auf: Ihr e An gaben üb er den A b-
lauf des f raglichen Geschehens bestehen nicht nur aus Schemawissen über derartige Verläufe, das auch ohne eig ene Erleb ensgrundlage er worben w orden sein kann (s. o.). Frau L. hat zwar inzwischen durch eigene sexuelle Erfahrungen Kenntnisse über sexuelle Handlungen und Abläufe erworben, ihre Schilderung des fraglichen Geschehens beschränkt sich jedoch nicht auf eine einfache Ablaufbeschreibung, sondern en thält, v erwoben mi t der Entwicklung des G eschehens, za hlreiche An gaben i hrer Sinneswahrnehmungen, G edanken und G efühle a us der damaligen Perspektive. Gerade die Multimodalität der beschriebenen Sinnesw ahrnehmungen
(Hören, Riechen, Schmerzempfindungen) und die Verschränkung v erschiedener W ahrnehmungen spricht in ho hem Maß dafür, dass F rau L. hier ein reales Erlebnis schildert. Die A bläufe, die zu der hier f raglichen s exuellen H andlung hinf ührten, die H andlung s elbst und die Er eignisse da nach s childert F rau L. in der Exp loration zusammenhängend in logisch konsistenter Weise (s. o.), wobei b ereits b ei ihrer Schilderung die B eschreibung v on b eobachtbaren Ereignissen und A bläufen verschränkt ist mit der Darstellung eigener psychischer Abläufe (Gedanken und G efühle) von F rau L. (s. o .). H ierbei ist
vor allem der g eschilderte Umschlag der G efühle der Z eugin von Vertrauen dem B eschuldigten gegenüber (mi t ihm a uf dem F ahrrad in den W ald fahren, g emeinsames Eis essen; B ereitschaft dazu , die Augen zu s chließen) in An gst, Panik und E kel als ein Merkmal festzustellen, das die Annahme ei-
ner Erlebnisgrundlage hochwahrscheinlich macht: Eine dera rtige S childerung v on G efühlsentwicklungen ist geradezu typischerweise bei tatsächlich erlebten Vergewaltigungen zu f inden; nic hterlebnisbegründete Aussagen weisen hingegen eine derartige Komplexität kaum einmal auf.
Derart k omplexe Verschränkungen, wie hier vorfindbar, v on anschaulichen und k onkreten Schilderungen äußerer Ereignisse mit spontanen Präzisierungen, mit nebensächlichen Details, mit Berichten über G espräche und I nteraktionsketten sowie eigenpsychischen Vorgängen und G efühlsentwicklungen, t auchen in nic hterlebnisbe-
gründeten A ussagen in aller Reg el ga r nic ht a uf, erst r echt nic ht in k onstanter W eise üb er einen Zeitraum v on mehr eren J ahren hin weg: Es wir d davon ausgegangen, dass es eine zu hohe kognitive Anforderung b edeuten wür de, dera rtige dif ferenzierte V erknüpfungen zwis chen dies en v erschiedenen B ereichen üb er einen lä ngeren Z eitraum, gegenüber v erschiedenen P ersonen und un ter verschiedenen Fragetechniken aufrechtzuerhalten, wenn den Angaben kein selbsterlebtes Ereignis zugrunde lieg en wür de. B ei B erichten üb er t atsächlich Erlebtes ergibt sich hingegen diese Komplexität sozusagen von selbst, da sie nur aus der eigenen Erinnerung her vorgeholt und v erbalisiert, nic ht aber konstruiert werden muss (s. Arntzen 1993). Frau L.s B erichte zu fallneutralen Er eignissen und relevanten Geschehnissen unterscheiden sich nicht hinsichtlich des Detaillier theitsgrades: Sie ist
bei den fallneutralen Berichten wie bei den Angaben zum hier fraglichen Geschehen in der Lage, längere,
ausführlichere Beschreibungen von Gesamtsituationen zu geben, ihr e Rolle, Gefühle, Gedanken und Aktivitäten dabei zu beschr eiben so wie situa tive Details (z. B. Kontexte) anzugeben.
Komplikationen im H andlungsablauf wie das hier v on der Z eugin g eschilderte Weglaufen und ihre Weigerung, sich die A ugen verbinden zu lassen, finden sich i.d.R. in nichterlebnisbegründeten Aussagen nicht, da die kognitive Anstrengung, derartige, f ür die eig entliche Handlungsbeschreibung überflüssige Schwierigkeiten einzubauen, bei einer Falschaussage nicht zu erwarten ist. Frau L. schildert auch die sexuellen Handlungen selbst konkret, anschaulich und det ailreich, ebenso wie deren Ablauf und Folgen (s. E... bis E...).
21.2 · Psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage
Delikttypische D etails f inden sic h in der Ar t, wie der B eschuldigte die si tuativen B edingungen für einen mög lichen s exuellen Üb ergriff s chafft, indem er das ihm gu t b ekannte K ind, das ihm gegenüber keinen Argwohn hat, zu einem Eis und einer S pazierfahrt mi t dem F ahrrad einläd t, eine Situation, die dem K ind v ertraut wa r. Die da mals noch sehr junge Zeugin sah zunächst keine Veranlassung, dem F reund des V aters andere als die ihr gegenüber b enannten A bsichten zu un terstellen. Ihr Argwohn regte sich jedoch bei der für das Kind unverständlichen Ankündigung, ihr die Augen verbinden zu müssen, damit sie an »seinem Eis lecken« könne. Als delik ttypische D etails b erichtet Frau L. weiterhin die mit einem Schweigegebot verbundene Bedrohung und die p lötzliche Rückkehr zur »N ormalität« nach dem sexuellen Übergriff (E...). Frau L.s B eschreibungen des f raglichen Erlebnisses wies k eine logis chen B rüche a uf; ihr e zusammenhängenden S childerungen s chließen sic h ohne U nstimmigkeiten zus ammen (»H omogenitätsmerkmal« nach Arntzen 1993, S. 50 f f.).
VII. Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung Aufgrund ▬ der hier v orgenommenen a ussagepsychologischen Analyse der Aussagetüchtigkeit der Zeugin Karin L. (Kompetenzanalyse), ▬ der Prüfung der A ussageentstehung und -en twicklung s owie mo tivationaler A spekte (F ehlerquellenanalyse) und ▬ der kriterienorientierten (Inhalts-) Analyse der Aussage selbst (Glaubhaftigkeitsprüfung) wird die F ragestellung nac h der Gla ubhaftigkeit der Zeugenaussage der minderjährigen Zeugin Karin L. wie folgt beantwortet: 1. Z ur Aussagekompetenz
Es fanden sich keine Hinweise auf Einschränkungen der Aussagekompetenz der Z eugin Karin L., weder im Hinblick auf ihre Wahrnehmungsfähigkeit, noch unter gedächtnispsychologischen Aspekten. Frau L. ist a ußerdem gr undsätzlich in der L age, er innerte Erlebnisse v erbal zu r eproduzieren. Dies gil t a uch für solche aus dem angeblichen Tatzeitraum.
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Auch die zahlr eichen und gra vierenden V erhaltensauffälligkeiten, psy chischen und psy chosomatischen Störungen der Zeugin begründen keine Zweifel a n ihr er gr undsätzlichen A ussagekompetenz; dies e k önnen vielmehr als – nic ht s elten zu beobachtende – Folgen sozial-emotionaler Deprivierung und Verwahrlosung angesehen w erden und sie tr eten eben auch häufig als F olgen v on erlebtem se xuellen M issbrauch in der Kindheit auf (s. dazu W yatt u . P owell 1988; C orwin 1988;
Sachsse 1995). 2.
Zu motivationalen Aspekten, zur Aussageentstehung und -entwicklung (Fehlerquellenanalyse)
Der Anal yse der A ussageentstehung sind k eine Anhaltspunkte für die mög liche Wirksamkeit aussageinduzierender oder aussageverfälschender Bedingungen zu en tnehmen: Dir ekt- o der indir ektsuggestive Einf lüsse konnten sich auf die Er staussage nicht auswirken, da Frau L. zum Zeitpunkt der Erstaussage keine sozial-emotionalen Beziehungen hatte, die solche Einflüsse hätten ausüben können. Eine wahrnehmungs- oder erinnerungsverzerrende Wirkung von Drogenkonsum scheidet ebenso aus wie die Wirkung möglicherweise suggestiver Therapiemethoden, da die Er staussage, der en I nhalte auch in spä teren B efragungen d urch die Z eugin nicht verändert werden, mehrere Jahre vor beiden möglichen Einflussquellen gemacht wurde. Anhaltspunkte f ür hinr eichende M otive zu einer F alschbezichtigung des hier v orgebrachten Inhalts fanden sich in der früheren Beziehung zwischen der Z eugin und dem B eschuldigten nic ht. Die Er staussage er folgte in einer ho chemotionalisierten S ituation, in der sie jedo ch k einen Er folg hatte; eine W iederholung der B eschuldigung nach langer Z eit lässt sic h daher ler npsychologisch a m besten dadurch erk lären, dass der Er staussage ein reales Erleben zugrunde lag. 3.
Zur Qualität der Aussage (kriterienorientierte Inhaltsanalyse der Aussage)
Die A ussagen v on F rau L. zu den v erschiedenen Zeitpunkten weisen im H inblick auf die M indestanforderungen logis che K onsistenz, D etail-
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
lierungsgrad und (dif ferenzierte) K onstanz ho he Merkmalsausprägungen auf. Die A ussage v on F rau L. wies da rüber eine Reihe von Glaubhaftigkeitsmerkmalen auf, wie sie in dieser Ausprägung von Konstanz, dem hier vorliegenden K omplexitätsgrad und ihr er V erflochtenheit untereinander in nichterlebnisbegründeten Aussagen ka um v orkommen und wie sie o hne Erlebnisbegründung mi t ho her W ahrscheinlichkeit v on F rau L. nic ht hä tten p roduziert w erden können. Dies b edeutet, dass die An gaben der Z eugin Karin L. b zgl. der hier f raglichen s exuellen M issbrauchshandlungen durch Herrn V.T. daher un ter aussagepsychologischen G esichtspunkten mi t hoher W ahrscheinlichkeit als g laubhaft a nzusehen sind. Diese gutachterliche Beurteilung ist, unter Vorbehalt der Er gebnisse einer etwa igen H auptverhandlung, als vorläufig zu betrachten. Ich v ersichere, dass ic h das v orliegende G utachten unparteiisch und nac h bestem Wissen und Gewissen erstattet habe. (Unterschrift des v erantwortlichen Sac hverständigen, Datum) Anmerkung: Der Angeklagte wurde vom Landgericht B . n ach m ehrtägiger H auptverhandlung z u fünf Jahren Haft verurteilt. Eine Revision hatte keinen Erfolg, sodass das Urteil rechtskräftig wurde.
Anhang 1: Literatur Arntzen, F . (1993). Psychologie der Z eugenaussage (3. A ufl.). München: Beck. Bundesgerichtshof (BGH) (1999). Wissenschaftliche A nforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten). BGH, Urt. v. 30.7.1999 – 1 StR 618/98 (LG Ansbach) BGHSt 45, S. 164 ff. Christianson, S.-A. (1997). On emotional str ess and memor y: We need t o r ecognize thr eatening situations and w e need to »forget« unpleasant experiences. In L. Greuel, T. Fabian & M. Stadler (H rsg.). Psychologie der Z eugenaussage, S. 33–46. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Corwin, D.L. (1988). Early diag nosis of child sexual abuse – diminishing the lasting eff ects. I n G.E. Wyatt & G.J . Powell (eds.). Lasting effec ts of child sexual abuse , pp . 251–269. Newbury Park: Sage. Greuel, L., O ffe, S., F abian, A., Wetzels, P., F abian, T., O ffe, H. & Stadler , M. (1998). Glaubhaftigkeit der Z eugenaussage – Theorie und P raxis der for ensisch-psychologischen Begutachtung. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
Köhnken, G. (1990). Glaubwürdigkeit. München: P sychologie Verlags Union. Littmann, E. & Szewczyk, H. (1983). Zu einigen Kriterien und Ergebnissen forensisch-psychologischer Glaubwürdigkeitsbegutachtung v on sexuell mißbraucht en K indern und Jugendlichen. Forensia, 4, 55–72. Niehaus, S. (2000). Zur differentiellen Validität traditioneller und neuer inhaltlicher Glaubhaf tigkeitsmerkmale. Vortrag, gehalten beim 42. Kong ress der Deutschen Gesellschaf t für Psychologie in Jena, September 2000. Sachsse, U. (1995). Selbstverletzendes Verhalten (2. A ufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Steller, M. & Köhnken, G. (1989). Crit eria-based stat ement analysis. Cr edibility assessment of childr en’s stat ements in sexual abuse cases . I n: D.C. R askin (ed .). Psychological methods for investigation and evidence, pp. 217–245. New York: Springer. Steller, M. & Volbert, R. (1999). F orensisch-aussagepsychologische Begutachtung ( Glaubwürdigkeitsbegutachtung) (Gutachten für den BGH). Praxis der Rechtspsy chologie, 9, 46–112. Steller, M., Wellershaus, P. & Wolf, T. (1992). Realkennz eichen in Kinderaussagen. Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie, 39, 151–170. Trankell, A. (1971). Der Realitätsgehalt v on Z eugenaussagen. Methodik der Aussagepsy chologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Undeutsch, U . (1967). Beur teilung der Glaubhaf tigkeit v on Aussagen. In: U. Undeutsch (Hrsg.). Handbuch der Psychologie, Bd. 11: F orensische Psychologie, S. 26–181. Göttingen: Hogrefe. Undeutsch, U . (1993). Die aussagepsy chologische Realitätsprüfung bei Behauptung sexuellen M ißbrauchs. I n: K raheck-Brägelmann, S. (H rsg.). Die A nhörung v on K indern als Opfer sexuellen Mißbrauchs, S. 69–162. Bonn: Hanseatischer Fachverlag für Wirtschaft. Volbert R. & Teske, M. (2000). Konstanz in erlebnisbasierten und erfundenen Aussagen v on K indern bei wiederholter Befr agung. Vortrag, gehalten beim 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Jena, September 2000. Westhoff, K . & K luck, M.-L. (1998) Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen (3. Aufl.). Berlin: Springer. Wyatt, G.E. & P owell, G.J. (1988). Lasting effects of child sexual abuse. Newbury Park: Sage.
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Anhang 2: Transkript der Exploration zur Sache
Anhang 2: Anhang: Transkript der Exploration zur Sache mit Karin L. am (Datum im September 00) in A. Es bedeuten: I = Interviewerin, K.L.= Karin L. Anmerkungen s ind k ursiv ge druckt; Ge sprächsteile, d ie n icht u nmittelbar d ie A ussage ü ber das hier fragliche Erlebnis betreffen, sind ausgelassen (s. Bericht im Ergebnisteil). ... (Ge spräch ü ber d ie f amiliäre u nd sc hulische Entwicklung, früheren und derzeitigen Gesundheitszustand) I: Mm. Wann haben Sie zum ersten Mal was erzählt über das, worum es hier gehen soll mit dem Herrn T.? Wissen Sie das noch? K.L.: Zum allerersten Mal hab ich’s meinem Bruder erzählt, als der, das war ja ‘n Freund von meinem Vater oder ein Bekannter. I: Mm. K.L.: Als der bei uns war. Da saßen wir alle da am Tisch und ich war da circa neun Jahre alt (seufzend). Und saßen wir am Tisch, mein Vater saß nicht mit am Tisch. Nur ‘ne Freundin von mir, mein Bruder und der. Und dann ist der unterm Tisch mit seinem Fuß an meinen Beinen hoch- und runtergegangen. Dann bin ich heulend aus der Küche gelaufen und, oder hab den angeschrieen, bin dann in mein Zimmer und war am Heulen. Da kam mein Bruder und meint, was los ist, und em da waren wir, mein Vater und mein Bruder und ich, wir haben uns vorher gestritten, und eh dann war ich bei meinem Bruder im Zimmer und meine Freundin ist nachher gegangen, und dann eh hab ich das meinem Bruder so er zählt, und da ist mein Bruder rüber und hat den Typen total angeschrieen und (unverständlich) mit sämtlichen Kraftausdrücken und hat gemeint, ich bring dich um und so . Hat mein Vater erst mal meinen Bruder ins Zimmer geschickt und meinte, der soll sein Freund nicht blöd anmachen (seufzt). Und dann (Pause) kam mein Vater dann ins Zimmer von meinem Bruder und meinte, was denn los wäre und so, und dann meint mein Bruder : Ja, die Karin muss dir was erzählen. Hab ich gesagt nee, muss ich nicht. Ja doch, die K arin muss dir was sagen. Ich so nein, nein, nein. Und dann fing mein Bruder an zu erzählen, sagt mein Vater zu mir: Erzähl mir das selber! Ja, und dann hab ich v ersucht, das zu erzählen, und danach meint mein Vater zu mir, dass es nicht
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stimmen würde und ich würde lügen, und mit meinen neun Jahren sollt ich mich mal angucken, auf getakelt wie ‘ne Tussi, weil ich mit neun Jahren angefangen hab mich zu schminken und so. I: Mm. K.L.: Heimlich. I: Mm. K.L.: Ja. Und das war das Ende v on der Geschichte. Ab dem Tag hab ich meinen Vater abgrundtief gehasst. I: Mm. K.L.: Und in der Zeit, als ich abgehauen bin von zu Hause, hatte ich teilweise Mordgedanken, wollte anschaffen gehen, um ‘n Killer auf meinen Vater zu hetzen. I: Mm. K.L.: Also war, also echt extrem. Und ich glaub, ab da war unser Verhältnis dann ganz kaputt. I: Mm. K.L.: Dieses Verhältnis, was nie ‘n Verhältnis gewesen ist. I: Weil er Ihnen nicht geglaubt hat, oder...? K.L.: Mich stattdessen beschimpft. I: Mm. Ja, und was haben Sie v ersucht, da Ihrem Vater zu erzählen? Berichten Sie einfach mal, woran Sie sich noch erinnern, was passiert ist. K.L.: Also den Tatvorgang erzählen? I: Mm. K.L.: Soll ich Ihnen das jetzt auch sagen? I: Das ist das Zentrale. K.L.: Ja. Also, ich war da ungefähr sieben oder acht Jahre alt. Weil ich dachte, eigentlich meinte ich immer, ich wäre sieben Jahre alt gewesen. Ich weiß, es war im Sommer gewesen. Und die Frau R. hat das mit mir nachgerechnet und diese Fakten, wo ich mich erinnern kann, und meinte, das müsste sein, dass ich da acht Jahre sogar schon gewesen bin. Also deswegen sag ich jetzt sieben oder acht Jahr e. War im Sommer gewesen, und eh da war ich auf ‘nem Spielplatz bei uns in der Ecke, Finanzamtsspielplatz. Und der war
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
immer, der V. T. mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, und das war halt ‘n Bekannter von der Familie, also auch. Und da kam der irgendwann, ich war da mit Freunden oder so auf ’m Spielplatz, und der meint halt Karin, sollen wir nicht rumfahren mit dem Fahrrad? und so ja, okay. Dann bin ich mit dem halt, hint en auf’m Gepäckträger hab ich gesessen, und dann sind wir irgendwo Richtung Wald gefahren, und irgendwann dann an einem Geschäft vorbei gefahren und haben Eis geholt. Und dann hatt ich ‘n Nusseis, der Erdbeer, nee, umgekehrt: Ich Erdbeer, der Nusseis, glaub ich. Ja, und ja sind wir zum Wald gefahren, glaub ich zumindest, der B.-Wald wars. Und, bin ich mir nicht sicher, weil ich als Kind keine Ahnung davon hatte. I: Mm. K.L.: Und seitdem bin ich in gar keinen Wäldern mehr so gewesen. Em, auf jeden Fall sind wir da durch gefahren und irgendwann über so ‘n Zaun drüber geklettert, und dann war da wie so ‘ne Lichtung oder so, ziemlich hell, wo sehr wenig Bäume waren so und Waldboden halt, und dann haben wir uns da hingesetzt, ja und Eis gegessen, und das k am mir noch nicht mal spanisch vor irgendwie, dass wir im Wald. Heute würde mir das zu denken geben. Aber damals , weiß ich nicht, war halt wie, war halt der V. irgendwie. Das war halt ‘n Freund von meinem Papa oder so. I: Mm. K.L.: Und, ich weiß nicht, worüber wir geredet haben oder so, aber auf jeden Fall meint der irgendwann, möchtest du mal an meinem Eis lecken? Und da hab ich gesagt ja, und dann meint er ja, dann muss ich dir wohl die Augen vorher verbinden. Und dann hab ich gesagt nee, wieso denn ne. Ja, ist besser. Ich nee, will ich nicht. Ja, dann mach die A ugen wenigstens zu. Hab ich gesagt ja, ok ay, und dann hab ich die Augen zugemacht und dann hör ich nur seinen Reißverschluss, also von der Hose den Reißverschluss, mach ich die Augen auf, ja, da hab ich sein Glied v orm Gesicht. I: Mm. K.L.: Und dann em bin ich auf gestanden und weggerannt. Da war da so ‘ne Kuhle gewesen und da (unverständlich, weint). – Pause –
I: Wollen Sie an der Stelle weitermachen? K.L.: Mm (zustimmend). I: Also da war ‘ne Kuhle... K.L.: Ja. Und da ist so ‘n kleiner Bach durchgeflossen. Bach, also war so breit und ungefähr so tief, und da war ungefähr so viel Wasser drin (demonstriert) em, also Bach wär’ übertrieben. I: Mm. K.L.: Und da bin ich halt w eggelaufen und wollt da drüber springen und hab mich genau da natürlich hingelegt und, ich hatte noch sehr kurze Beine, ich war sehr klein. Und em da bin ich da hingefallen und dann kam er zu mir und ich lag halt so schräg auf ’m Bauch, auf der Seite, und da hat er mich umgedr eht und hat sich auf mich draufgelegt und hat mir ‘n Messer an ‘n Hals gehalten. Der hatte immer so ‘n Schweizer Taschenmesser immer, immer dabei gehabt. I: Mm. K.L.: Messer raus gemacht und hat mir ’s an ‘n Hals gehalten und da hab ich erst mal gesagt: Bitt e, bitte, lass mich in Ruhe und so, und ich will nicht. Und dann hat der, ich hatte so ‘ne Bluse angehabt zum Knöpfen und so ‘ne kurze, abgeschnittene Hose, ‘ne rote Jeanshose. Und da hat er meine Bluse auf geknöpft, also der lag schon so auf mir schon, hat er meine Bluse auf geknöpft und hat mit seinen Händen da r ein gefasst halt und an meiner Brust rumgefummelt. Em , dann hat er die ganze Zeit an meinem Hals rumgeleckt, uah ( Ausdruck des Ekels) in meine Ohren reingestöhnt, und der stank wie die Pest nach Pisse und uah (Ekel) also versifft, weil der so’n richtig ekliger Typ, wirklich eklig, also wenn ich sagen würde, den kann man mit ‘nem Straßenpenner vergleichen, dann ist das nicht über trieben. Also der sieht wirklich aus, als hätt der noch nie ‘n Stück Seife gesehen. So fettige, fiese Haare, kaum Zähne im Mund, die er im Mund hat sind v ergammelt und vergilbt und so richtig eklig. Na ja, und der stank bestialisch. K.L.: Und hat er die ganze Zeit mit seiner Hand da Be wegungen gemacht, die em ja wie soll ich die erk lären, also wie beim Sex, Bewegungen gemacht. I: Ja. K.L.: Em (seufzt) hat sich halt an mir rumgerieben und..., was weiß ich, und hat dann irgendwann meine
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Anhang 2: Transkript der Exploration zur Sache
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Hose aufgemacht, runter gezogen bis an die Knöchel ungefähr oder bis zum Schienbein runter gezogen.
K.L.: Mm (verneinend). Ich hatte auch damals noch kein Sex gehabt oder sonst was.
I: Mm.
I: Mm. Hat er Sie danach noch mal ir gendwann, ist er da noch mal..... (Rest unverständlich).
K.L.: Und mit meiner Unterhose direkt... und dann ging das ganz schnell. Da hat er seine Hand z wischen meine Beine getan und seine Finger rein gesteckt und da hab ich erst mal geschrieen und geheult und den v ersucht zu schlagen und zu treten und das war dem aber egal . Der meinte, wenn ich nicht still halte, dann steckt er mir ‘s Messer in ‘n Hals. Em, ja dann war ich ir gendwann steif vor Angst und hab nur noch nach oben geguckt, so in ‘n Himmel hin geguckt und bin da so v erstarrt, versteinert geblieben. Und da hat er ir gendwann ja seine Finger rein gesteckt vorher (holt tief Luft), und dann hat er irgendwann seinen Penis rein gesteckt. Und dann ging das ganz schnell. Ich weiß nicht. Dann hat er zwei, drei Stöße gemacht, und dann hat er aufgehört, und dann bin ich aufgestanden, hab meine Hose angezogen, und dann hat er gesagt: Komm, jetzt gehen wir. Ganz normal sind wir über den Zaun gegangen, als wär’ nichts passiert, und mir lief Blut an den Beinen irgendwie, also, ich hab auf jeden Fall die Beine voll Blut gehabt, zumindest die Oberschenkel. I: Mm. K.L.: Und dann hat er mich auf den Gepäckträger wieder drauf gesetzt, und da hat er mich nach Hause gebracht, hat noch mich kurz zu Hause abgesetzt und meinte: Ich war mit der K arin unterwegs, oder sonst was. Ich bin direkt an meinem Vater vorbei gegangen, weil wir eh nie viel miteinander geredet haben, bin ich in mein Zimmer rein gegangen und das war ’s. I: Mm. Haben Sie sich selbst wieder angez ogen, oder hat er das gemacht oder I hnen dabei geholfen? K.L.: Nee, ich hab mir die Hose wieder hoch gez ogen, die Bluse wieder zugemacht. Also da war en zwei Knöpfe offen von meiner Bluse (Rest unverständlich, flüstert).
K.L.: Belästigt, ja. Also die Vergewaltigung, das war nur einmal. Der hat mich nachher noch paar M al belästigt. I: In welcher Weise? K.L.: Em, der war noch bei uns gew esen, und mein Vater, der hat ihn halt ohne Sk rupel bei uns gelassen, so em, der wusste nichts davon. I: Mm. Wie war das denn dann für Sie , wenn der dann in der Wohnung war? K.L.: Ja, schlimm. Ja, was soll ich sagen. Ich w eiß es nicht. Ich hab mir gewünscht, t ot zu sein. I: Sind Sie ihm denn dann begeg net, oder haben Sie sich zurückgezogen? K.L.: Ja, ja, klar. Ja, ich hab den gesehen. I: Und wie kam das, dass Ihr Vater den bei Ihnen, bei Euch gelassen hat...? K.L.: Ja, em, das war halt ‘n Freund von meinem Vater, also ‘n Bekannter, und der hat meinen Vater halt ab und zu besucht, und dann saß der halt bei uns , hat sich mit meinem Vater unterhalten oder so, und ich war halt auch mal in der Wohnung und so. Ich hab meistens geguckt, dass ich dann raus geh spielen oder sonst was. I: Mm, mm. K.L.: Em, z. B. einmal lag ich in der Badewanne , und mein Vater ist einkaufen gegangen und der war bei uns in der Bude gewesen ganz allein. Ja, und der kommt jetzt halt dreist ins Badezimmer rein, weil das Badezimmer war nie zum Abschließen gewesen. I: Mm.
I: Mm. Hatten Sie denn damals schon ‘ne entwickelte Brust, oder war das noch so k indlich flach, noch nix da mit acht? Ich mein, ist ja unt erschiedlich, wann das anfängt.
K.L.: Und eh stellte sich so vor den Spiegel, dass der mich in der Badewanne sehen konnt e durch den Spiegel. Und dann so richtig bestialisch, fieses , Grinsen gehabt.
K.L.: Nee, mit neun fing das bei mir an, dass sich langsam was gebildet hat.
I: Mm.
I: Mm. Da war das aber noch nicht?
K.L.: So richtig, so schadenfroh. Fies. Und nimmt sich so meine Haarbürste, bürstet sich damit seine ek ligen,
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
fettigen drei Haare, die der noch auf ’m Kopf hat und nimmt sich meine Zahnbürste, putzt sich die Zähne damit und dann, ich weiß nicht, ich lag in der Bade wanne, ich hab mir gewünscht, ich wür de ertrinken oder so. I: Mm. K.L.: Das war so irgendwie, als ob ich keine Luft mehr kriege. Das war... I: Hat er da denn was gesagt oder Dich angespr ochen? K.L.: Nee, gar nix. Der hat einfach nur... I: Und Du hast auch nix gesagt? He , lass das, oder was soll das oder? K.L.: Nee, ich konnt’ nicht. I: Mm. K.L.: Also ich, ich so, so was, da kann ich gar nichts mehr sagen, also auch wenn ich den sehe, heut noch. Der läuft hier einfach so rum, und der stand ja nachts bei mir vor der Haustür jetzt, seitdem ich alleine wohne. Und, also total bekloppt. Und der stand ja auch einmal im Park hinter mir. Also, nachdem ich, irgendwann wusst’ es mein Vater ja, dass was passier t ist, und dann war ich in W. zu der Zeit noch, und die haben meinem Vater erst mal klar gemacht, dass das wirklich stimmt, was ich gesagt hab. Und dann kam der irgendwann wieder zu meinem Vater, war irgendwann kurz vor Weihnachten, und dann hat mein Vater ihn drauf angesprochen, und dann hat er ’s ja zugegeben bei meinem Vater. I: Mm. Wer hat Ihnen das erzählt? K.L.: Mein Vater hat mir das gesagt.
K.L.: Und der hat damals zu mir gesagt, bei dieser Sache hat er gesagt: Wenn du einem irgendwas sagst, bring ich dich um. I: Mm. K.L.: Danach wusste er ja, dass ich was gesagt haben musste. Und da war ich irgendwann mal mit zwei Hunden von ‘nem Kumpel von mir am Park spazieren gewesen. Der wohnt da auch direkt am Park, und auf einmal steht der hinter, ich stand da und hab auf die Hunde gewartet, also ich hatt’ die an der Leine, und die waren halt ihr Geschäft da am machen, und auf einmal merk ich jemand hinter mir. Ich guck nur so, und da steht der hinter mir und hält mir ‘n Messer an ‘n Hals. Das war abends, am Park. Und ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte in dem Moment. I: Mm. K.L.: Ich hab den ganz schnell nach hint en geschubst, und dann hab ich zu den Köt ern gesagt: Geht hin! Und dann sind die Köter gerannt und dann, die Hunde, und dann bin ich schnell ins Haus r ein, da von dem Kumpel, der da wohnt. Der hat mich dann abends nach Hause gebracht. Am nächst en Tag waren wir wieder bei dem Freund da, meine beste Freundin und ich und wollten zur Bushaltestelle gehen, die da ist, und auf einmal guckt der V. T. da aus’m Fenster raus in der D.-straße in dem Haus. I: Mm. K.L.: Direkt an der Bushaltestelle. Und ich so zur Silke: Oh, Gott, da ist der T. Und die weiß ganz genau, wer das ist und so, ne. I: Der hast du das er zählt?
K.L.: Nein, da war ich in W. noch. Mein Vater hat mir das gesagt.
K.L.: Mm (bejahend). Und die hat nur gesehen, w eil ich, mir geht so die Farbe aus’m Gesicht, bin wie versteinert, am Zittern, krieg keine Luft oder denk, ich krieg keine Luft mehr, und da geht gar nix mehr. Ich hab da so hin gestarr t. Und da hat die mich, ganz schnell kam ‘n Bus, und da hat die mich ganz schnell in den Bus reingezogen, mein Kopf weg, dass ich da nicht, weil ich da so hin geguckt hab . Am nächsten Tag haben wir unseren ganzen Mut zusammen genommen und haben da auf die K lingel geguckt: Stand sein Name drauf.
I: Mm.
I: Mm.
I: Mm. Was hat er genau zugegeben? Wissen Sie das noch? K.L.: Ja, dass es stimmt. M ein Vater hat gesagt: Was hast du mit meiner Tochter gemacht? Und dann fing der zu erzählen, ja so und so. Der hat das richtig erläutert, was er gemacht hat. I: Da waren Sie aber nicht bei?
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Anhang 2: Transkript der Exploration zur Sache
K.L.: Und dann bin ich abends zu meinem Vater und da hab ich gesagt: He Papa, weißt du was, der T., der wohnt in der D.-straße! Und mein Vater sagt: Ja, ich weiß. Da war ‘s erste Mal, dass ich meinen Mund ge gen meinen Vater aufgemacht hab. Da hab ich gesagt: Wie, du weißt? Ich sag: Der Typ, der will mich umbringen, der steht mit ‘nem Messer hinter mir, was weiß ich. Und der wohnt hier, und du sagst mir das nicht mal. Ja, ich wusst’ ja nicht, dass du in dieser Gegend rumhängst: Das hätt’ ich ja nie gedacht, und so . Ich sag ja, und da war dann der Tag wo wir die Anzeige gemacht haben, wo wir gesagt haben, wir machen ‘ne Anzeige. Sind wir zum Kinderschutzbund gegangen und haben dann halt gesagt, so und so . Ich hab mir überlegt, dass wir ‘ne Anzeige machen. Erstens hab ich Angst um mein Leben, zweitens weiß ich nicht wie bekloppt der ist und wie viel K inder der sonst noch vergewaltigt und ja, ich möchte einfach, dass der seine Strafe kriegt. I: Mm. K.L.: Ja, und dann haben wir die Anz eige gemacht. I: Mm. K.L.: Zur Rechtsanwältin hingegangen und so. Mein Vater und mein Bruder haben Zeugenaussagen bei der Polizei machen müssen. ‘Ne damalige Freundin von mir, die das halt mitgekriegt hat da mit der Sache, hat eh ‘ne Aussage glaub ich gemacht, aber die meint, die könnt sich da nicht mehr dran erinnern. Und eh... I: Was hatte die mitgekriegt? K.L.: Ja, die saß mit am Tisch, da wo der mit seinem Bein unterm...
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K.L.: Vor der Anzeige. I: Unmittelbar davor? K.L.: Ja, zwei oder drei Tage, vier Tage vorher. I: Haben Sie das denn angezeigt? Diese Bedrohung? K.L.: Mm, das hab ich bei der Rechtsan wältin, glaub ich, auch gesagt. I: Mm. Dass das jetzt so unmittelbar war? K.L.: Ja, das ist jetzt drei Jahre her oder dreieinhalb Jahre. I: Mm. Und dieser Bericht bei der, also von der Frau R.? Die hat ja dann eh also geschrieben, dass sie Sie v ertritt, ne und dass Sie da ‘ne Anzeige machen wollten jetzt und gemacht haben, und hat dann die P olizei gebeten, eben, dass Sie da nicht noch mal aussagen müssen. Und da hat die ja aber ‘nen ausführlichen Bericht dazu gelegt schon, zu diesem erst en Antrag dann, ne, zu diesem ersten Strafantrag und dieser Anzeige. Haben Sie das der denn in dieser A usführlichkeit da erzählt gehabt oder wem? K.L.: Ich glaub schon. I: Wem haben Sie denn zum allerersten Mal so ausführlich was erzählt? K.L.: Bis ins Detail? Der Frau R.... I: Mm. Und das war aber nach W. gewesen? K.L.: Mm (bejahend). I: Und wie war das in W.? Haben Sie da auch wem was erzählt gehabt?
I: Ach so, aber das hatte die nicht mitgekriegt?
K.L.: Ja, ich hatte ja diese Frau, Frau, Frau C., glaub ich, hieß die, die Psychologin, die ich da hatte.
K.L.: Nee, ich mein, die hat halt mit gekriegt, dass ich aufgestanden bin und geschrieen hab.
I: Ja, ich glaub ja.
I: Mm. Aber nicht weshalb? K.L.: Genau. I: Hatten Sie der davon erzählt, was Ihnen mit dem T. passiert ist, vorher? K.L.: Nn (verneinend). I: Diese Sache, wo der im Park hinter Ihnen stand mit dem Messer, wann war das denn? Vor oder nach der Anzeige?
K.L.: Und em mit der hab ich auch darüber ger edet, aber ich glaub, ich hab mit der nicht darüber ger edet bis ins Detail. I: Mm. K.L.: Und mit meiner Psychologin oder mit dem Herrn H. hab ich auch darüber geredet. Aber auch nicht bis ins Detail. Da weiß ich hundertprozentig, dass ich nicht bis ins Detail geredet hab. I: Ja.
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
K.L.: Und in W., mein ich, hätt’ ich auch nicht.
I: Mm.
I: Was haben Sie denen denn gesagt?
K.L.: Ich hatte auch gar nicht so viele Stunden mit der gehabt. Was weiß ich, dreimal, viermal.
K.L.: Wem? I: Da in W., weil Sie sagen, Sie haben es nicht bis ins Detail berichtet? K.L.: Ja, dass es ‘n Freund von meinem Vater war und dass er mich vergewaltigt hat und dass es im Wald war oder so. So ganz ehrlich, ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, ob ich da jetzt bis ins Detail gegangen bin oder nicht. Aber das war ja nicht das Hauptthema gewesen damals, deswegen. I: Nee, nee, das ist okay, das ist auch alles lange her und alles jetzt ganz viel gewesen. K.L.: Durcheinander. I: Nee, nee, das ist schon ok ay. Was noch nur wichtig wäre: Wie haben die denn da drauf r eagiert, dass Sie da so gesagt haben, ich bin v ergewaltigt worden? K.L.: In W. ? I: Mm. K.L.: Die waren eigentlich sehr nett. Die Psychologin da. I: Mm.
I: Hat sie mit Ihnen was überlegt, was man da jetzt machen sollte oder könnte? K.L.: Die meinte, ich sollte ‘ne Therapie machen, ja. I: Mm. Und Ihr Vater hat das von wo erfahren dann? K.L.: Ich glaub in W., mein ich. Ich glaub, der war irgendwann mal bei so ‘ner Stunde dabei oder so. Da gab’s ja irgendwie nur so Gespräche, wo dann, ich hatte ja da noch so’n (zögert), irgendwie hatte jedes Kind, was da war oder Jugendlicher, der da war in dieser Psychiatrie ‘n Paten, oder so hieß das halt. Und das hatt ’ ich halt auch gehabt. Und dann gab’s irgendwie, mein Vater kam dann zweimal oder so mit da hoch, und da gab ’s so ‘n Gespräch mit, ich hatte ‘n Paten oder zwei Paten hatt’ ich. ‘n Paten und ‘ne Patin waren dabei, und dann die Psychologin, und dann, was weiß ich, waren so ganz viele Leute mit dabei, und dann so Gespräche , und dann ich und mein Vater, oder dann bin ich auch, ja genau, da war ein Gespräch, da bin ich nämlich rausgerannt. Das weiß ich noch. Und ich glaub, da war das auch gewesen, wo die, wo wir darüber geredet haben. I: Mm.
K.L.: ... immer ‘n Gespräch gehabt, und das war das Einzige, was ich toll fand da.
K.L.: Ganz viel, da waren vielleicht fünf Leute so. Also meine Patin, mein Pate, die Psychologin und dann vielleicht noch ein oder z wei andere Leute. Ich bin mir aber nicht sicher. Mein Vater, ich und die saßen in diesem einen Raum direkt am Anfang von der Station. Und da wurde dieses Thema angesprochen, glaub ich, und da bin ich nämlich heulend rausgerannt. Bin ich in mein Zimmer reingerannt, und da war mir voll schlecht und so, und dann ist mein Vater, kurz bevor der gegangen ist, kam er bei mir ins Zimmer r ein und meinte: Ja, ich geh jetzt...
I: Mm.
I: Mm.
K.L.: Und die war eigentlich sehr nett.
K.L.: Und ob’s mir besser gehen würde. Genau, und da, da ging’s meinem Vater nämlich auch nicht mehr so gut danach.
K.L.: Weil, das war das Einzigste, worauf ich mich immer gefreut hab in W. I: Mm. K.L.: Ich hatt’ ja nur einmal die Woche, glaub ich, mit der Psychologin... I: Mm.
I: Was hat die denn dazu gemeint zu dieser Er öffnung von Ihnen, dass Ihnen da so was passier t ist? Was man jetzt machen sollte oder so? K.L.: Keine Ahnung. Weiß ich wirklich nicht mehr, was die gesagt hat. Ich weiß auch nicht mehr, wie die aussieht oder so was (Rest unverständlich).
I: Mm. Hat Ihr Vater dann von sich aus mit Ihnen darüber mal geredet? K.L.: Irgendwann haben wir mal auf der C ouch gesessen, im Wohnzimmer von meinem Vater. Da haben wir
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Anhang 2: Transkript der Exploration zur Sache
so..., da haben wir noch gesagt, wir müssen uns mal richtig aussprechen. I: Mm. K.L.: Und dann haben wir irgendwann, haben wir beide da gesessen, uns in den Armen gelegen und geheult. Und das war irgendwas, was total gut tat. Irgendwie musst ich noch mehr weinen, als ich meinen Vater hab weinen sehen. I: Mm. K.L.: Aber mein Vater meint auch noch, ich glaube, das musste mal sein. Und das hat echt gut getan ir gendwie. I: Und hat er ihnen denn dann geglaubt? Weil Sie sagten, als Sie es damals versucht hatten, kurz danach,... (Rest unverständlich). K.L.: Ja, der hat das, schon länger war das schon, dass der das geglaubt hat. Sonst wär’ der gar nicht mit mir..., hätte nicht die Anzeige mitgemacht und so.
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total schockiert und, und dann halt in dieser Situation. Dass es em vielleicht ‘ne Lüge war. Und eh der hat mir’s auf jeden Fall dann geglaubt, nachdem ich in W. war. (Gespräch über sexuelle Erfahrungen der Zeugin, über ihre Beziehung zu Herrn T. früher); (weiter zur Erstaussagesituation): I: Mm. Wie lange hat das gedauer t, bis Du zum ersten Mal so darüber überhaupt geredet hast? K.L.: Das war an dem Tag gewesen, als der mit seinem Bein unter’m Tisch an meinem Bein... I: Ja. Wo Dein Vater Dir nicht geglaubt hat? K.L.: Ja. I: Wie lange danach war das nach dem Er eignis im Wald?
I: Mm.
K.L.: Ja, das ist jetzt die F rage. Ich dachte immer, ich wäre sieben gewesen. Das was ich mit Frau R. ausgerechnet hab, läuft darauf hinaus, dass ich acht gewesen bin. Dann müsst es ein Jahr spät er gewesen sein.
K.L.: Da hat er mir geglaubt.
I: Mm.
I: Also, als Sie das in W. da...
K.L.: Also ich war dann bestimmt neun.
K.L.: Ich denke mal, hätte ich dem das damals in einer anderen Situation gesagt, hätte er mir das auch ge glaubt.
I: (unverständlich) Ist in der Zwischenzeit denn noch mal irgendwas vorgekommen? Dass er darauf noch mal irgendwie Dich angesprochen hat, der Herr T. oder so?
I: Mm. War da ungünstig? K.L.: Ja, weil wir vorher Krach hatten. Mein Vater dacht halt, das war, dass ich jetzt so, Kinder denken sich manchmal schon mal blöde Sachen aus, irgendwie um dann wieder Streit zu schlichten. So genauso, wenn ich Tabletten schlucke, um damit Streit zu schlichten. Das ist im Grunde genommen blöd, und ich sag mal so, meinem eigenen Kind würde ich alles glauben, was mit so was zu tun hat, w eil meinem Kind glaub ich nun mal. Und nicht irgend so ‘nem anderen Fremden, sag ich mal. Das ist seine Pflicht, mir zu glauben, eigentlich. I: Mm. K.L.: Und das ist das, warum ich so enttäuscht war. Andererseits, ich kann irgendwie, kann ich’s nachvollziehen. Ich kann irgendwie verstehen, dass es in dem Moment für ihn wahrscheinlich ‘n Schock war. Der konnte damit erstens nicht umgehen, und der war
K.L.: Mm (verneinend). I: Was da war, oder Dich dran erinner t hat, dass Du nix erzählen darfst oder so? K.L.: Ja, das hat er. Er hat gesagt: Du weißt Bescheid, ne. I: Mm. K.L.: Und das war’s. I: Mm. Ja. Und als Du das Deinem Bruder da gesagt hattest, als Du da in Dein Zimmer gelauf en warst, als diese Sache mit dem Tisch da war, was Du erzählt hast, hat Dein Bruder Dir denn da geglaubt? K.L.: Ja. I: Sofort? Ohne dass der gesagt hat, hier, Du spinnst und was soll das ?
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Kapitel 21 · Beispielgutachten aus der Rechtspsychologie
K.L.: Ja, okay, aber ich war neun, und mein Bruder war zwölf, ja und ich war mit z wölf weiter als mein Bruder damals mit zwölf war. I: Das ist bei den M ädchen immer. K.L.: Ja, okay, na ja, aber ich hatte halt mein Bruder nachher als älteres Vorbild, deswegen ging’s bei mir noch ‘n Stück schneller als sowieso schon beim Mädchen. I: Ja, klar. Mm. K.L.: Und eh mein Bruder war halt wirk lich noch ‘n Kind so mit zwölf und ich nicht mehr so. I: Mm. K.L.: Ja, wahrscheinlich schon ‘n Kind gewesen, aber wollte es nicht sein und... I: Ja. K.L.: Em, also ich denk, der wusste auch nicht, was er machen sollte. Und der ist dann ausgeflippt, und dann gesagt, lass meine Schwester und so, ist halt zu dem und wollt ihn erschlagen. I: Mm. K.L.: Dann hat mein Vater den angeschrieen, da war der auch schon wieder ruhig gewesen. (Weiteres Gespräch über Zukunftsvorstellungen, Beziehung zur Mutter und deren Familie; weiterer Ablauf des Verfahrens.)
22
Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns 22.1 Annahmen
der Theorie
– 228
22.2
Überzeugungen als handlungsleitende Kognitionen
– 229
22.3
Erwartungen als handlungsleitende Kognitionen
22.4
Zur Prüfbarkeit der Theorie
22.5
Erste Ergebnisse von empirischen Prüfungen der Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns
– 230
– 232
22.5.1 Familienrechtliche Begutachtung: Wie sie ist und wie sie sein k ann
– 232
– 232
22.5.2 Zur Entwicklung diagnostischer Strategien – 233 22.5.3 Entscheidungsorientierte Gesprächsführung in der psychologischen Diagnostik –
234
22.5.4 Ausbildung in psychologischer Begutachtung 22.5.5 Guidelines for the Assessment Process (GAP)
22.6
– 234 – 235
Entscheidungsorientierte Diagnostik – eine nützliche Technologie – 235
22.6.1 Eine Technologie – eine Notwendigkeit in der psychologischen Diagnostik 22.6.2 Nützlichkeit als oberstes Kriterium einer Technologie 22.6.3 Optimierung von diagnostischen Strategien – 236
– 235
– 235
228
Kapitel 22 · Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns
22.1 A nnahmen der Theorie
22
Merke
I
I
Annahmen der Theorie des entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns 1. Psychologische Diagnostik verlangt eine Serie von Entscheidungen. 2. Für diese Entscheidungen notwendiges Wissen kommt aus: – L ebenserfahrung, – Beruf serfahrung, – psy chologischem Fachwissen. 3. Überzeugungen und Erwartungen leiten das diagnostische Handeln.
In den v orhergehenden Kapiteln haben wir a ufgezeigt, wo Psychologen schon bei der Planung ihres diagnostischen H andelns En tscheidungen tr effen können b zw. m üssen, w enn sie v erantwortungsvoll ha ndeln w ollen. En tsprechendes gil t f ür alle Nichtpsychologen, die indi viduelles Verhalten von Menschen beschreiben, erklären oder vorhersagen, wie dies z. B. vor Gericht, in der A us- und Weiterbildung oder im Bereich auffälligen Verhaltens der Fall ist. Die erste Annahme unserer Theorie besagt also, dass v or dem diagnostis chen H andeln En tscheidungen da rüber g etroffen w erden, wie b eim Diagnostizieren vorgegangen werden soll. Für diese Entscheidungen steht Wissen aus ▬ der Lebenserfahrung, ▬ der Berufserfahrung und ▬ der wiss enschaftlichen Psychologie zur V erfügung. Sowohl N ichtpsychologen als a uch P sychologen können a uf ihr e p ersönliche wie a uch a uf die in einer Kultur oder Subkultur allgemein geteilte Lebenserfahrung zur ückgreifen, w enn sie sic h z. B. überlegen, w elche I nformationen b ei A ussagen über das Verhalten anderer wichtig sind. Berufserfahrung im Umgang mit anderen kann bei der Erk lärung und V orhersage indi viduellen Verhaltens, a uf das sic h dies e Er fahrung b ezieht, sehr nützlich sein. So wissen z. B. erfahrene Lehrer, welche Ar ten der U nterrichtsgestaltung f ür einen schwachbegabten S chüler f örderlich und w elche
eher hemmend sein können. Bei Psychologen spielt die B erufserfahrung eb enfalls eine wic htige Rolle, denn sp ezifische Er fahrungen in einem b estimmten B ereich er setzen hä ufig eine umfa ngreiche Informationssuche. Dies e B erufserfahrung er setzt allerdings nic ht den g gf. er forderlichen N achweis der relevanten Literatur. Die P sychologie b ietet heu te umfa ngreiches Wissen zur B eschreibung, Erk lärung und V orhersage indi viduellen Verhaltens und g eht da mit weit über das hina us, was d urch Lebens- oder Berufserfahrung an Wissen gesammelt werden kann. Dieses psychologische Wissen liegt hä ufig in s ehr abstrakter Form vor, s odass Psychologiestudenten erst systematisch lernen und üben müssen, Grundlagenwissen er folgreich in a nwendungsbezogenes Handeln umzusetzen. Nach unseren Er fahrungen in der A usbildung von Studierenden der Psychologie und in der Weiterbildung v on P sychologen in psy chologischer Diagnostik sind ein gu tes G rundlagenwissen und theoretische U nterweisungen in psy chologischer Diagnostik zwa r no twendige, a ber no ch k eine hinreichenden V oraussetzungen f ür er folgreiches Diagnostizieren. Es m uss hinzukommen, dass a ngehende Diagnostiker lernen, ▬ wie sie das in der P sychologie und b ei sic h selbst vorhandene Wissen auf eine vorliegende Fragestellung umsetzen können, ▬ wie sie ihre Werkzeuge wie z. B. Tests, Fragebogen, Gespräche theorie- und methodenkritisch einsetzen können und ▬ wie sie allg emeine und p ersönliche Urteilsfehler und -tendenzen minimieren. Sieht sic h ein I ndividuum v or die N otwendigkeit gestellt, zu handeln, so aktiviert es nach der Theorie der kognitiven Orientierung von Kreitler u. Kreitler (1976) Überzeugungen, die bestimmen, welche Handlung auszuführen ist. Dies e Theorie hat sich in vielen Kontexten sehr gut zur Vorhersage individuellen Verhaltens bewährt. Wir gehen daher und auch aufgrund unserer bisherigen B eobachtungen an Diagnostikern davon aus, dass Üb erzeugungen das diagnostische Handeln leiten. Eine andere Klasse von handlungsleitenden Kognitionen s ehen wir in Er wartungen. U nter einer Erwartung versteht man im All tag, wie a uch nach
22.2 · Überzeugungen als handlungsleitende Kognitionen
der D efinition von B erka u. Westhoff (1981), eine Vorstellung, die ein I ndividuum v on einem möglichen zuk ünftigen Er eignis ha t. W esthoff (1985) erweitert dies e D efinition um zw ölf Facetten o der Merkmale v on Er wartungen, die b ei der Erk lärung und V orhersage indi viduellen V erhaltens in Entscheidungen nac hweislich s ehr n ützlich s ein können. W ir nehmen a ufgrund der v on Westhoff (1985) aus der Literatur zusammengestellten Belege zur Bedeutung von Erwartungen bei Entscheidungen und aufgrund unserer Beobachtungen bei Diagnostikern an, dass dies auch für die Entscheidungen beim psychologisch-diagnostischen Handeln gilt. 22.2
Überzeugungen als handlungsleitende Kognitionen
Merke
I
I
Überzeugungen zu ▬ Zielen, ▬ dem eigenen Selbst, ▬ Normen und Regeln, ▬ den angesprochenen Objekten ▬ leiten die Planung psychologisch-diagnostischen Handelns.
Kreitler u . K reitler (1976) un terscheiden vier T ypen v on Üb erzeugungen. Dies e lass en sic h a uch beim diagnostis chen H andeln b eobachten, w enn Diagnostiker ihre Überlegungen laut äußern. Der Diagnostik er will mit s einem diagnostischen Handeln bestimmte Ziele erreichen. Aus der psychologischen Entscheidungsforschung sind Vorgehensweisen bekannt, die sich für die Beratung bei komplexen Entscheidungen als erfolgreich erwiesen haben. S olche Strategien kann sich auch der Diagnostiker zun utze mac hen, da mit er f ür alle B eteiligten zufriedenstellend diagnostisch arbeiten kann. Dazu gehört zuerst eine Ausformulierung aller Ziele, die bei einer Entscheidung zu beachten sind. Sehr hä ufig w erden nac h un seren B eobachtungen b eim diagnostis chen H andeln Üb erzeugungen geäußert, die vor allem mit der Person des Diagnostikers selbst zu tun haben, z. B. »...ist doch interessant« o der »es mac ht mic h sic herer...«. Für ein möglichst sachgerechtes diagnostisches Vorge-
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22
hen ist es jedoch wichtig, dass der Diagnostiker die sachlich gerechtfertigten Anliegen von seinen persönlichen Interessen trennen kann. Das heißt: Der Diagnostiker hat sich im gesamten diagnostischen Prozess zu f ragen, ob b estimmte Üb erzeugungen mit den a nstehenden En tscheidungen zu t un haben, o der ob z. B. n ur s eine p ersönliche N eugier befriedigt wür de, w enn er ein b estimmtes Vorgehen wählen würde. Kaminski (1970, 1976) f ührt explizit das »G ewissen« des Diagnostik ers als D eterminante diagnostischen H andelns a uf. Dies es G ewissen ka nn man erk ennen in den Üb erzeugungen üb er N ormen und Regeln, die Diagnostiker bei ihrem diagnostischen Handeln nennen. I mmer, wenn darauf hingewiesen wird, was »ma n« soll oder nicht soll, darf o der nic ht da rf, sind N ormen und Reg eln mit in die B etrachtung ein bezogen. K ompetente Diagnostiker beachten selbstverständlich die rechtlichen und et hischen R ahmenbedingungen ihr es Handelns. Die B eachtung v on N ormen und Regeln kann allerdings die no twendige differenzierte wissenschaftliche Betrachtung und Argumentation nicht ersetzen. Von jeder diagnostis chen H andlung sind v erschiedene »Ob jekte« b etroffen, z. B. Auftraggeber, Probanden und die entscheidenden Personen ihres sozialen U mfeldes s owie der Diagnostik er s elbst. Aber a uch I nstitutionen, Er eignisse, S ituationen oder G egenstände k önnen s olche Ob jekte s ein, zu denen Diagnostik er b ei ihrem diagnostis chen Handeln Überzeugungen äußern. Insgesamt zeigt sic h, dass mi t zunehmender Lebens- und Berufserfahrung als Diagnostiker und mit Grundkenntnissen, theoretischen Kenntnissen sowie speziellem Training in psychologischer Diagnostik Diagnostiker besser in der Lage sind, sich ▬ über ihr e Z iele b eim diagnostis chen H andeln klar zu werden, ▬ sachlich gerechtfertigte Anliegen von persönlichen Interessen zu trennen, ▬ die zu b eachtenden rechtlichen und et hischen Rahmenbedingungen ihr es diagnostis chen Handelns zu beachten und ▬ die von ihrem diagnostischen Handeln betroffenen »Ob jekte« zu erk ennen und die je weiligen Wirkungen dies es Handelns a uf sie a ngemessen zu berücksichtigen.
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Kapitel 22 · Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns
22.3
Erwartungen als handlungsleitende Kognitionen
Definition
I
I
▬ Erwartungen leiten psychologisch-diagnostisches Handeln.
▬ Eine Erwartung ist eine Vorstellung, die ein Individuum von einem möglichen zukünftigen Ereignis hat. ▬ Bezogen auf das mögliche zukünftige Ereignis sind fünf Facetten jeder Erwartung von Bedeutung: 1. Bew ertung, 2. subjektiv e Wahrscheinlichkeit, 3. z eitliche Nähe, 4. z eitliche Dauer, 5. W ichtigkeit. ▬ Bezogen auf die Vorstellung des möglichen zukünftigen Ereignisses sind sieben Facetten jeder Erwartung von Bedeutung: 1. Intensität der Emotion, 2. A uftretenshäufigkeit, 3. Gültigkeit, 4. Generalisier theit, 5. Diff erenziertheit, 6. Stabilität, 7. Änderbarkeit.
Wie b ereits mehr fach erlä utert, b esteht psy chologisch-diagnostisches H andeln a us einer S erie v on Entscheidungen. B ei p ersönlich wic htigen En tscheidungen zwis chen w enigen Al ternativen st ellen sich Menschen i.d.R. zukünftige Ereignisse vor, die ihnen als F olgen von zur W ahl st ehenden Alternativen mög lich er scheinen. S olche mög lichen »Ereignisse« im psy chologisch-diagnostischen Prozess können sehr global sein wie z. B. die Einbeziehung eines bestimmten Variablenbereiches in die Hypothesenbildung; sie können aber auch sehr differenziert sein wie z. B. die F ormulierung einer einzelnen F rage f ür das en tscheidungsorientierte Gespräch. Die Er wartungen, die sic h a uf s olche Ereignisse b eziehen, b ewerten Diagnostik er v on »sehr p ositiv« b is »s ehr nega tiv«. Die sub jektive Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines solchen Ereignisses wird von »sehr gering« bis »sehr hoch« eingestuft.
Nach unseren Erfahrungen verändern sich die Erwartungen der Diagnostik er mit zunehmendem Wissen in psy chologischer Diagnostik: S ie b ewerten die v orgestellten mög lichen Er eignisse immer mehr wie er fahrene Diagnostik er, und a uch ihr e subjektiven Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten dieser Ereignisse gleichen sich immer mehr denen der Erfahreneren an. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sie sich der empirischen Psychologie verpflichtet fühlen. Ein v orgestelltes mög liches Er eignis ka nn als zeitlich »s ehr nah« b is »s ehr f ern« erleb t w erden, seine D auer als »s ehr k urz« b is »s ehr la ng«. H insichtlich dies er b eiden Facetten v on Er wartungen gibt es nac h unseren Beobachtungen kaum Unterschiede zwis chen mehr o der w eniger er fahrenen Diagnostikern, wenn sie systematisch diagnostisch handeln. Dies führen wir darauf zurück, dass es zur Einschätzung dieser beiden Facetten i.d.R. nur der Lebenserfahrung eines j ungen Er wachsenen, a ber keiner speziellen Ausbildung oder Berufserfahrung bedarf. Mögliche Er eignisse w erden als un terschiedlich wichtig eingestuft, d. h. von »sehr unwichtig« bis »s ehr wic htig«. G ruppen v on Diagnostik ern mit un terschiedlicher t heoretischer G rundausbildung können sich hier selbst bei gleichem beruflichen Tätigkeitsfeld innerhalb der psychologischen Diagnostik st ark un terscheiden. Er st nac h einem systematischen T raining in en tscheidungsorientierter Diagnostik str euen die W ichtigkeitsurteile weniger. Emotionen werden oft als n ur störend angesehen für eine ob jektive Beurteilung von Menschen, und daraus wird geschlossen, dass sie deshalb nicht beachtet w erden s ollten. Tatsache ist jedo ch, dass unser g esamtes Verhalten st ändig v on Emo tionen begleitet und gesteuert wird. Wir versuchen daher, die Intensität der Emotion, die mit der Vorstellung eines b estimmten Er eignisses v erbunden ist, f ür das diagnostische Handeln zu nutzen. Eine intensivere Emotion zeigt immer an, dass die Vorstellung, mit der sie v erbunden ist, etwas b ei un s s elbst betrifft. W ir f ragen un s da nn, was wir a n einer Vorstellung z. B. angenehm, ekelhaft, sympathisch oder beängstigend finden. Auf diese Weise können Diagnostiker sic h üb er ihr e eig enen Wertvorstellungen und Ziele klar werden. Erst wenn man sich
22.3 · Erwartungen als handlungsleitende Kognitionen
über s ein eig enes U rteilssystem k larer g eworden ist, ha t ma n a uch die Cha nce, dem P robanden eher g erecht zu w erden, dass als o die Emo tionen weniger die Eindr ücke und A ussagen un bemerkt verzerren. Die I ntensität v on Emo tionen ka nn ma n v on »sehr gering« bis »sehr hoch« einstufen. Nach dem oben Gesagten variiert die Intensität der mit einer Vorstellung v erbundenen Emo tion s ehr st ark in Abhängigkeit v om p ersönlichen Wertesystem des Diagnostikers. D eshalb ist dies e F acette v on Er wartungen in der A usbildung v on Diagnostik ern systematisch zu berücksichtigen. Bei wic htigen En tscheidungen tr eten die Er wartungen nic ht alle g leich hä ufig in das B ewusstsein. Ein I ndividuum ka nn das A uftreten einer Er wartung als v on »s ehr s elten« b is »s ehr oft« erleben und b eurteilen. Je nach dem M uster des gewohnheitsmäßigen Reagierens werden Vorstellungen, die st arke Emo tionen a uslösen, eher unterdrückt o der im g egenteiligen F all wieder und wieder b edacht. Beides kann zu una ngemessenen Entscheidungen führen, da eine b estimmte Erwartung en tweder zu viel o der zu w enig b eachtet wird. B erücksichtigt man systematisch die Intensität der mi t einer Vorstellung verbundenen Emotion, so kann man damit erreichen, dass alle relevanten Er wartungen b ei einer En tscheidung angemessener b erücksichtigt w erden. Dies b edeutet, dass v erschiedene Diagnostik er sic h b estimmte Er eignisse mi t immer ähnlic herer H äufigkeit vorstellen. Erwartungen k önnen b eim diagnostis chen Handeln s owohl sub jektiv wie a uch ob jektiv als mehr o der w eniger zu treffend b eurteilt w erden. Dabei kann sich dies e Gültigkeitsbeurteilung auf das v orgestellte Er eignis wie a uch a uf die er sten fünf Facetten von Er wartungen beziehen, die ja M erkmale des v orgestellten Er eignisses sind . Durch ein syst ematisches T raining in en tscheidungsorientierter Diagnostik beziehen Diagnostiker weniger unzutreffende und mehr zu treffende Erwartungen in ihre diagnostischen Entscheidungen ein. Ein M erkmal v orurteilsbehafteter und st ereotyper Beurteilung anderer Menschen besteht darin, dass stark generalisierte Erwartungen unreflektiert und un berechtigt v erwendet w erden. Die A usbil-
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22
dung in entscheidungsorientierter Diagnostik geht auf die V orurteile und S tereotype v on Diagnostikern in der B earbeitung einer F ragestellung explizit ein. D adurch ka nn der Diagnostik er s eine eigenen V orurteile erk ennen und v ersuchen, sie auszuschalten. V orurteile und S tereotype als g eneralisierte Er wartungen können daher das U rteil des Diagnostik ers nac h einer A usbildung in en tscheidungsorientierter Diagnostik w eniger b eeinflussen. Ein w esentliches Er gebnis syst ematischer Ausbildung in psy chologischer Diagnostik b esteht darin, dass g lobale Er wartungen in dif ferenzierte Erwartungen a ufgelöst w erden. Diagnostik er b eachten als o mi t zunehmendem W issen nic ht n ur mehr Objekte, sondern sie bilden pro Objekt auch mehr Erwartungen aus. Unter S tabilität v on Er wartungen v erstehen wir das A usmaß, in dem sie sic h d urch un systematische Einf lüsse ä ndern. W enn Diagnostik er mehr gültige und mehr differenzierte Erwartungen haben, s o k önnen dies e eher üb er lä ngere Z eit hinweg stabil, d. h. gleich bleiben, weil kein Anlass besteht, sie zu mo difizieren. Werden gut ausgebildete Diagnostik er nac h lä ngerer Z eit wieder mi t der g leichen F ragestellung k onfrontiert, s o ka nn man nac h un seren Er fahrungen da von a usgehen, dass sie eher als w enig a usgebildete Diagnostik er wieder die g leichen gül tigen und dif ferenzierten Erwartungen nennen wie b eim er sten M al. W enig a usgebildete Diagnostik er k önnen zwa r a uch wieder die g leichen Er wartungen ä ußern, do ch handelt es sic h dann i.d.R. um dies elben globalen und hä ufig un gültigen Er wartungen, b ei denen unreflektiert Stereotype als Grundlage der Planung diagnostischen Handelns verwendet werden. Unter Änderbarkeit von Erwartungen verstehen wir ihre Modifizierbarkeit aufgrund systematischer Änderungsversuche, z. B. d urch neues W issen. Es ist ein Quali tätsmerkmal q ualifizierter diagnostischer Arbeit, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse umgehend übernommen und en tsprechende Erwartungen geändert werden. Wenig ausgebildete Diagnostiker sind neuen Erkenntnissen gegenüber weniger o ffen, und sie b ehalten ihr e un gültigen Erwartungen bei der Planung ihres diagnostischen Handelns a uch da nn b ei, w enn es a ngemessen wäre, sie en tsprechend neuer F orschungsergebnisse zu ändern.
232
Kapitel 22 · Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns
22.4
22
Zur Prüfbarkeit der Theorie
Merke
I
I
Prüfung der Theorie durch systematische Vergleiche der diagnostischen Leistungen unterschiedlich lebens- und berufserfahrener Gruppen von Nichtpsychologen, Psychologen und Psychologiestudierende in unterschiedlichen Ausbildungsabschnitten.
Unsere ob en da rgestellte Theo rie des en tscheidungsorientierten psy chologisch-diagnostischen Handelns und der zu ihr g ehörenden Hypothesen ist durch Übertragung gesicherten Wissens aus der Psychologie begründet und hat eine erste Absicherung d urch un sere la ngjährigen Er fahrungen in der praktischen Diagnostik und Begutachtung, der Ausbildung von Psychologiestudierenden und der Weiterbildung von Psychologen in en tscheidungsorientierter Diagnostik. Als Populationen mi t un terschiedlichem Wissensstand in psy chologischer Diagnostik k ommen in Betracht: ▬ Abiturienten oder Studierende der Psychologie im ersten Semester, ▬ Psychologiestudierende dir ekt nac h dem V ordiplom, ▬ Psychologiestudierende nac h der t heoretischen Diagnostika usbildung, die nac h dem Vordiplom bzw. im B achelor-Studiengang erfolgt, ▬ Psychologiestudierende mi t syst ematischer Ausbildung und Üb ung im Umsetzen der t heoretischen K enntnisse, d . h. a m Ende ihr er Diagnostikausbildung, b zw. P sychologen unmittelbar nach ihrem Diplom bzw. Master, ▬ Psychologen mi t Diagnostika usbildung und mindestens zw ei J ahren B erufserfahrung mi t Schwerpunkt in psychologischer Diagnostik, ▬ qualifizierte Ausbilder in psychologischer Diagnostik, ▬ Studierende anderer wiss enschaftlicher Fächer als Psychologie am Ende ihres Studiums, ▬ Führungskräfte mit einem anderen Hochschulabschluss als dem Di plom in P sychologie und mindestens zwei Jahren Berufserfahrung.
Da man niemanden einer der g enannten Gruppen nach Z ufall zuo rdnen ka nn, lässt sic h die Theorie nic ht exp erimentell, s ondern n ur q uasiexperimentell p rüfen. D afür lass en sic h aller dings die Ergebnisse sehr viel leichter auf die Praxis übertragen. Es k önnte nachgewiesen werden, an welchen Stellen Psychologen – im Unterschied zu Gruppen nach L ebens- und B erufserfahrung v ergleichbaren Nichtpsychologen – s chlechtere, vergleichbare oder b essere L eistungen zeig en, w enn sie die B eschreibung, Erklärung und Vorhersage individuellen Verhaltens planen. Das v orgeschlagene V orgehen lässt nic ht n ur die W irkung der P sychologieausbildung a uf die Leistung v on Diagnostik ern p rüfen, s ondern zugleich die v on Psychologen wie N ichtpsychologen häufig g eäußerte B ehauptung, dass fac hpsychologische Arbeit sich genauso gut allein mit dem sog. gesunden Menschenverstand bewältigen lasse. 22.5
Erste Ergebnisse von empirischen Prüfungen der Theorie entscheidungsorientierten psychologischdiagnostischen Handelns
22.5.1 F amilienrechtliche Begutachtung:
Wie sie ist und wie sie sein kann
Klüber (1998) und T erlinden-Arzt (1998) un tersuchten in einer inhal tsanalytischen S tudie eine repräsentative S tichprobe v on 245 G utachten, die 1991 bei Familiengerichten in Nordrhein-Westfalen vorgelegt worden waren. Sie analysierten mit Hilfe eines von ihnen entwickelten umfangreichen Kategoriensystems die S tärken und S chwächen dies er Gutachten. Die Darstellungsweise in den Gutachten erfassten sie in 220 K ategorien, die I nhalte in 571 Kategorien. S ie b eschrieben s o die diagnostis chen Entscheidungen, die in einem psy chologischen Gutachten in der da rgestellten Planung, im A blauf der Untersuchungen und in den Schlussfolgerungen aus den Daten deutlich werden. Ein bemerkenswerter Anteil an Gutachten, die den wissenschaftlichen Standards entsprechen, zeigt, dass es un ter den Bedingungen der P raxis durchaus möglich ist, s olche Gutachten zu erstellen. Die Fülle der Gutachten mit mehr oder weniger gravierenden Mängeln hingegen
22.5 · Erste Ergebnisse von empirischen Prüfungen
spricht dafür, dass neb en einer s oliden Ausbildung in psy chologischer Diagnostik eine W eiterbildung im B ereich der fa milienrechtlichen B egutachtung dringend erforderlich ist. Die Ergebnisse der Arbeiten von Klüber (1998) und Terlinden-Arzt (1998) ha ben Westhoff et al . (2000) in einem allg emein v erständlichen B uch weiter v erarbeitet (»Entscheidungsorientierte psychologische G utachten f ür das F amiliengericht«). Sie beschreiben darin die entscheidungsorientierte psychologische B egutachtung im A uftrag des F amiliengerichts. D azu wir d das V orgehen des psychologischen Sac hverständigen s o b eschrieben, dass auch die b eteiligten Eltern, ihre Anwälte, die Gerichte und a ndere a n einer fa milienrechtlichen Auseinandersetzung b eteiligte P ersonen, z. B. J ugendamtsmitarbeiter und Verfahrenspfleger, nachlesen können, wie eine s achgerechte Begutachtung aussieht. S chritt f ür S chritt wir d b eschrieben, wie ein psy chologischer Sac hverständiger eine B egutachtung für das F amiliengericht plant, vorbereitet, durchführt und das Gutachten schriftlich darstellt. Neben dem S treit um die K inder g eht es in familienrechtlichen Auseinandersetzungen des Öfteren um die b ehauptete Erwerbsunfähigkeit eines der getrennten Partner und seinem Begehren, vom anderen künftig Unterhalt zu beziehen. Hierzu beschrieb Westhoff (1999) eine S trategie zur »B egutachtung der Er werbsunfähigkeit im F amilienrecht durch den Psychologen«. 22.5.2 Zur Entwicklung diagnostischer
Strategien
Wenn Psychologen sich in der P raxis vor eine diagnostische Fragestellung gestellt sehen, dann können sie die Reg eln der en tscheidungsorientierten Diagnostik nutzen, um eine diagnostische Strategie zu en twickeln, die mi t mög lichst w enig Aufwand möglichst viel n ützliche Information erbringt. Die Auseinandersetzung mit der diagnostischen Fragestellung ist da bei der er ste Schritt, indem der P sychologe z. B. prüft, ob die F ragestellung eindeutig formuliert ist, er der zust ändige Exp erte ist, die Fragestellung p rinzipiell b eantwortbar ist und ob keine r echtlichen o der et hischen Einwände g egen die Arbeit an dieser Fragestellung sprechen.
233
22
Westhoff et al . (2002) un tersuchten 61 S tudierende a us zw ei pa rallelen K ursen »Diagnostis che Strategien« mit Tests, die korrekt und nicht korrekt formulierte diagnostis che F ragestellungen als zu beurteilende A ufgaben en thielten. Die S tudierenden wurden zu Beginn des Themas »Diagnostische Fragestellung« und da nach mi t zw ei v erschiedenen, a ber eina nder en tsprechenden Tests g eprüft. Dabei wa r der V ortest a us dem einen K urs der Nachtest im a nderen und um gekehrt. Z wischen Vor- und N achtest wur den eine S itzung la ng die Aufgaben aus dem je weiligen er sten Test mi t den Studierenden disk utiert und die nic ht k orrekten Fragestellungen, w enn dies mög lich wa r, in k orrekte Fragestellungen umformuliert. Die G esamtleistung der S tudierenden nahm signifikant von 61% richtigen Lösungen im Vortest zu 70% im N achtest zu . Eine deu tliche Z unahme zeigte sic h b eim Erk ennen v on k orrekt f ormulierten F ragestellungen und v on s olchen, der en Bearbeitung unet hisch o der un gesetzlich g ewesen wäre. Das V orwissen a us dem V ordiplom und den danach b esuchten P flichtvorlesungen zur psy chologischen Diagnostik s owie die L ektüre v on p räzise f ormulierten Reg eln des U mgangs mi t F ragestellungen f ührte s chon zu einem b eachtlichen Können der S tudierenden, das a ber no ch ga nz beträchtliche Lücken aufwies. Diese konnten durch zwei S tunden Arb eit a n H ausaufgaben und a nschließend zw ei U nterrichtsstunden Disk ussion dieser Aufgaben deutlich verringert werden. Nur d urch die V ermittlung v on W issen ka nn also o ffensichtlich no ch k eine a usreichende psychologisch-diagnostische Kompetenz erreicht werden. V ielmehr ist k onkretes p raktisches T raining mit individuellem Feedback erforderlich. Im Bereich der pädagogischen Diagnostik sind Konzentrationsstörungen v on S chulkindern eines der am häufigsten genannten Probleme. Hierzu haben Westhoff et al. (1990) diagnostische Hilfen für Eltern und L ehrer s owie diagnostische S trategien für L ehrpersonen (Westhoff 1992a) wie a uch f ür Schulpsychologen (W esthoff 1992b) b eschrieben (vgl. a uch z. B. W esthoff 1993, 1998a). W esthoff u. H agemeister (2005) st ellen dies e und w eitere Forschungen und Entwicklungen zur Konzentrationsdiagnostik dar.
234
Kapitel 22 · Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns
22.5.3 En tscheidungsorientierte
22
Gesprächsführung in der psychologischen Diagnostik
Die F orschungen zum psy chologisch-diagnostischen I nterview zeig en in allen B ereichen der angewandten Psychologie s ehr üb ereinstimmende Ergebnisse f ür das fac hgerecht g eplante, g eführte und a usgewertete I nterview. Westhoff (2000) ha t diese in einem Üb erblick üb er die F orschung f ür die Praxis zusammenfassend dargestellt. Eine sp ezielle Z usammenstellung nur der F orschungen zu diagnostischen Interviews in der P ersonalauswahl geben Westhoff (2002) und Schuler (2002). Die en tscheidungsorientierte G esprächsführung (EO G) zeic hnet sic h d urch eine syst ematische Sammlung von expliziten Regeln aus, die in Checklisten üb ersichtlich zus ammengestellt sind . Bei I nterviews v on Exp erten und einer sic h a nschließenden s chriftlichen B efragung v on I nterviewexperten stellten Kici u. Westhoff (2000) fest, dass die Reg elsammlung nach Ansicht dies er Experten bis auf eine w enig b edeutsame Ausnahme vollständig war. Diese sind in der W eiterentwicklung der EO G, s o wie sie u . a. in dies em B uch dargestellt ist, s elbstverständlich b erücksichtigt. Weit üb er die Ä ußerungen der Exp erten hina us gehen die k onkreten An weisungen in der EO G zur qualitativen Auswertung und D arstellung der Gesprächsergebnisse. Die Reg eln der EO G sind eine H ilfe b ei der Konstruktion v on L eitfäden f ür en tscheidungsorientierte G espräche. K ici u . W esthoff (2004) konnten zeigen, dass S tudierende diese Regeln erfolgreich zur B eurteilung v on L eitfäden b enutzen können. Grundlagen und K onstruktion des Diagnos einstruments zur Er fassung der I nterviewerkompetenz in der P ersonalauswahl (D IPA) b eschreiben Strobel u. Westhoff (2002). Strobel (2004) stellt das fertige DIPA vor, das mit 147 Einzelbeobachtungen zur individuellen Rückmeldung über das Vorgehen in einem Eign ungsinterview o der in einer S erie von Interviews bei sich selbst oder einem a nderen Interviewer g enutzt w erden ka nn. D adurch wir d kontinuierliche Rückmeldung der I nterviewerleistung und s omit Quali tätssicherung im Eign ungsinterview möglich.
Mündliche P rüfungen ka nn ma n b ei en tsprechender Dur chführung als einen An wendungsfall für EOG sehen. Westhoff et al. (2002) untersuchten die Objektivität dieser Gespräche und stellten eine sehr ho he B eurteilerübereinstimmung zwis chen Prüfer und B eisitzer und eine ho he Üb ereinstimmung zwischen der Note und studentischer Selbstbeurteilung f est. D er Vergleich zw eier S tudentenpopulationen b rachte zudem deu tliche H inweise auf die Validität von mündlichen Prüfungen nach dem Konzept der EOG. Eine r epräsentative B efragung v on mi ttelständischen deutschen Unternehmen hinsichtlich ihrer Auswahlgespräche mi t F ührungskräften und F ührungskräftenachwuchs ergab bei der überwiegenden Anzahl der Unternehmen sehr große Diskrepanzen zwischen dem »S tate o f t he Ar t« und der P raxis. Stephan u. Westhoff (2002) zeigten auf, dass bei sehr konservativer Schätzung in einem mi ttleren Unternehmen mit 1.400 Mitarbeitern jährlich mindestens 150.000 E uro g espart w erden k önnten, w enn die Unternehmen ihr e P ersonalauswahlgespräche a uf dem S tand der psy chologischen Wissenschaft f ühren wür den. Würde ma n das v orhandene psy chologische Know-how einsetzen, s o könnte man als o nicht nur viel G eld sparen, sondern bei den fäls chlich ein gestellten M itarbeitern und den s onstigen betroffenen Betriebsangehörigen eine Menge Frustration und deren schädliche Folgen vermeiden. 22.5.4
Ausbildung in psychologischer Begutachtung
Eckert u . W esthoff (2000) b eschreiben die A usbildung in psy chologischer Diagnostik a n der TU Dresden und die K onzeption der E valuation a nhand der L eistungen v on S tudierenden in den abschließenden Üb ungen zur Er stellung psy chologischer Gutachten. In einem Vergleich der L eistungen der S tudierenden in f ünf a ufeinander f olgenden J ahrgängen k onnten Ec kert u . W esthoff (2000) die Ef fekte g ebündelter M aßnahmen a uf die p raktische Kompetenz in psy chologischer B egutachtung aufweisen. Effektive und ef fiziente Instrumente dafür sind in Kombination miteinander theoretische Einf ührungen, p raktische Üb ungen, individuelles und G ruppenfeedback s owie erlä u-
235
22.6 · Entscheidungsorientierte Diagnostik – eine nützliche Technologie
terte Chec klisten zum V orgehen s owie Chec klisten zu hä ufigen F ehlern. Dur ch die v orliegende Evaluation konnte gezeigt werden, dass ein Dr ittel weniger Übungsaufwand beim endgültigen Erstellen von psychologischen Gutachten notwendig ist, wenn die S tudierenden zu vor alle hinf ührenden praktischen Übungen erfolgreich absolvieren. 22.5.5
Guidelines for the Assessment Process (GAP)
Eine »Task Force« von neun Diagnostikern der »European A ssociation o f P sychological A ssessment« (EAPA) erarbeitete »Guidelines for the Assessment Process« (GAP), die in ihr er v orläufigen Endfassung an 30 Exp erten verschickt wurden. Nach nur kleineren Änder ungen wur den dies e Ric htlinien veröffentlicht (F ernandez-Ballesteros et al . 2001). Die Regeln der entscheidungsorientierten Diagnostik sind in komprimierter Form in diese Richtlinien eingeflossen und wur den somit durch das D elphiVerfahren zur P rüfung der »Guidelines for the Assessment Process« indirekt bestätigt. Westhoff et al. (2003) haben die Guidelines als Richtlinien für den diagnostischen Prozess publiziert. Die I nhalte und Empfehlungen in diesem Buch stimmen mit diesen nationalen Richtlinien überein. 22.6
Entscheidungsorientierte Diagnostik – eine nützliche Technologie
22.6.1 Eine Technologie – eine
Notwendigkeit in der psychologischen Diagnostik
Viele H ochschullehrer er warten v on P sychologen in der P raxis, dass sie G rundlagenwissen o hne zusätzliches technologisches Know-how in wissenschaftlich f undiertes p raktisches H andeln um setzen. Vergleicht man diese Situation einmal mit den etablierten Naturwissenschaften, so stellt man fest, dass niema nd z. B. v on einem Ph ysiker er wartet, dass er Flugzeuge konstruieren kann. Man braucht dazu erkennbar mehr als Kenntnisse der zugrunde liegenden Naturgesetze. Wenn also die Umsetzung
22
von G rundlagen in die An wendung syst ematisch und professionell gelingen soll, dann brauchen wir bei der A usbildung der P sychologiestudenten und der Weiterbildung von Psychologen einen t echnologischen Z wischenschritt, eine T echnologie. Die entscheidungsorientierte Diagnostik ist in allererster L inie eine s olche Technologie. D as heißt, hier werden Reg eln era rbeitet, er probt und v ermittelt, die es erla uben, indi viduelles Verhalten in einem definierten V erhaltensbereich zu b eschreiben, zu erklären oder vorherzusagen (Westhoff 1998b). Die en tscheidungsorientierte psy chologische Diagnostik als eine T echnologie k ombiniert r egelgeleitet das je weils r elevante met hodische und inhaltliche Wissen s owie die sic h daraus ergebenden Techniken. Z iel dies er Technologie ist es, f ür Entscheider I nformationen zu era rbeiten, die ihnen helfen, Entscheidungen so zu tr effen, dass sie diese später nic ht deshalb b ereuen, w eil sie etwas Wichtiges außer Acht gelassen haben. 22.6.2
Nützlichkeit als oberstes Kriterium einer Technologie
Merke
I
I
Es ist festzustellen, dass in allen Einsatzbereichen der psychologischen Diagnostik die Nützlichkeit, das ist der Nettonutzen (= der Nutzen abzüglich der Kosten), als oberstes Kriterium anerkannt wird. Akzeptiert man einen solchen Maßstab als wünschenswert, dann folgt daraus ein weiterer Schritt: Eine neue diagnostische Strategie muss sich als nützlicher er weisen als eine bisher schon eingesetzte (= a priori) Strategie. In allen Anwendungsbereichen wird psychologisches Diagnostizieren dementsprechend an der Nützlichkeit gemessen.
Damit die N ützlichkeit einer diagnostis chen Strategie b estimmt w erden ka nn, m uss nic ht n ur das Ziel dieser Strategie explizit zwischen Auftraggeber und Psychologen vereinbart werden, sondern auch klar sein, welche Maßnahmen sich an die Diagnostik anschließen. Erst dann kann evaluiert werden, wie groß der N ettonutzen einer b estimmten diagnostischen Strategie ist.
236
22.6.3
22
Kapitel 22 · Grundzüge einer Theorie entscheidungsorientierten psychologisch-diagnostischen Handelns
Optimierung von diagnostischen Strategien
Die hier v ertretene en tscheidungsorientierte psychologische Diagnostik ist eine am diagnostischen Prozess o rientierte S ystematik v on En tscheidungen und En tscheidungshilfen, die o ffen ist f ür alle neuen Erk enntnisse. S ie ist nic ht no rmativ, s ondern sie gib t H ilfestellungen b ei der F ülle v on Entscheidungen, die ein Diagnostik er im diagnostischen Prozess zwangsläufig treffen muss. Will ein Diagnostiker mög lichst al le s eine diagnostis chen Entscheidungen so treffen, dass er hin terher nicht bereut, etwas W ichtiges a ußer A cht g elassen zu haben, dann bieten die zu Checklisten zusammengefassten Reg eln der en tscheidungsorientierten Diagnostik eine Hilfestellung zur Optimierung des Vorgehens un ter K osten-Nutzen-Gesichtspunkten (Westhoff 2002). Menschliche U rteiler sind b esonders da nn fehleranfällig, w enn sie vielfäl tige I nformationen beachten und verarbeiten sollen. Je mehr Informationen zu k ombinieren sind , um so gr ößer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das k ognitive System des Urteilers »zus ammenbricht« und der U rteiler zu einfachen Heuristiken greift, die oft zu Fehlurteilen führen. D er men schliche U rteiler b raucht in s olchen Situationen überschaubare Regelsysteme, mit denen er P robleme S chritt f ür S chritt lös en kann. Solche Regelsysteme werden in der entscheidungsorientierten Diagnostik angeboten und verwendet. Die Verarbeitung diagnostischer Informationen ist somit weniger eine »Kunst« als vielmehr eine Vorgehensweise, die sic h nac h den exp liziten Reg eln der en tscheidungsorientierten Diagnostik p raktizieren und bei häufigen gleichartigen Fragestellungen auch standardisieren lässt. Es geht in der psy chologischen Diagnostik um drei Klassen von Fragestellungen: ▬ die Einordnung der zu untersuchenden Person in eine bestimmte Kategorie, ▬ die Diagnostik einer Beziehung zwischen Menschen oder ▬ die Diagnostik der Bedingungen für bestimmte Verhaltensweisen in bestimmten Situationen. Beispiele f ür die er stgenannten F ragestellungen sind die klinisch-klassifikatorische Diagnostik psy-
chischer S törungen o der die Eign ungsdiagnostik in der P ersonalauswahl. B eziehungen zwis chen Menschen sind b eispielsweise in der P aardiagnostik und -b eratung o der a uch b ei F ragestellungen des Familiengerichts zu diagnostizier en. Um Situationsdiagnostik (= Diagnostik der B edingungen für b estimmte V erhaltensweisen in b estimmten Situationen) ha ndelt es sic h z. B. b ei o rganisationspsychologischen F ragestellungen o der F ragen nach der Gla ubhaftigkeit v on Z eugenaussagen. Auch für diese Fragestellungen wurden inzwischen methodische S tandards f ür gu tachterliches V orgehen und die Ar t der D arstellung era rbeitet (f ür Glaubhaftigkeitsgutachten: Steller u. Volbert 1999; für S chuldfähigkeitsgutachten: S cholz u . S chmidt 2003; B oetticher et al . 2007). Eine Üb erprüfung einzelner G utachten un ter met hodenkritischen Gesichtspunkten wir d daher a uch in dies em B ereich mög lich. G reuel et al . (2004) f ordern da bei zu Rec ht, dass die met hodenkritische E valuation von Gutachten ebenso den Standards wissenschaftlichen Arb eitens g enügen m uss wie dies e b ei der Erstellung derselben einzuhalten sind. Beispiele für die Diagnostik v on B edingungen für b estimmte V erhaltensweisen in b estimmten Situationen sind r echtspsychologische G utachten zur s og. K riminalprognose b ei S traftätern (D ahle 2005, 2007). Sind gleichartige diagnostische Fragestellungen wiederholt zu b earbeiten, da nn b ieten sic h zahlreiche Möglichkeiten zur En twicklung einer diagnostischen Standardstrategie und deren Evaluation an. Die E valuationsergebnisse können zur s chrittweisen Verbesserung der diagnostis chen S trategie genutzt werden. Bei s og. Einzelfallf ragestellungen, die n ur einmalig o der s elten zu b earbeiten sind , b estehen andere M öglichkeiten zur V erbesserung der diagnostischen S trategien: Eine Anal yse der S tärken und Schwächen von Gutachten zu g leichen Fragestellungen kann zu einer systematischen Kombination des praxisrelevanten Wissens und Know-hows führen, die Diagnostikern als Hilfe angeboten werden kann. Ein B eispiel für dieses Vorgehen ist b ei Westhoff et al. (2000) zu finden. Betrachtet ma n die k onkrete p raktische diagnostische T ätigkeit v on S tudierenden wie P raktikern, da nn fäll t üb erall a uf, dass v on vielen
22.6 · Entscheidungsorientierte Diagnostik – eine nützliche Technologie
Hochschullehrern v erlangt wir d, ma n m üsse das erforderliche Wissen üb er alle mög lichen em pirischen Studien zu jeder einzelnen psy chologischen Variablen, die ein hilf reicher Prädiktor s ein kann, zur Verfügung ha ben. Dies e F orderung ist v öllig unrealistisch. Es wir d sich auch unter Hochschullehrern niema nd f inden lass en, der er nsthaft v on sich b ehauptet, dass er üb er alle mög licherweise relevanten Variablen alle dazu p ublizierten Arbeiten kenne. Eine mög liche Konsequenz aus diesem Sachverhalt der zunehmenden Fl ut von relevanten Publikationen kann sein, das dort angebotene Wissen syst ematisch und mög lichst üb ersichtlich f ür den An wender zus ammenzufassen. En tsprechend werden zunehmend extr em n ützliche M etaanalysen p ubliziert, die zur K lärung ma nch la ng umstrittener Frage beitragen. Zusätzlich ka nn es v on eno rmem p raktischen Nutzen s ein, wenn das W issen darüber, wie V ariablen definiert und operationalisiert sind, in übersichtlichen und leic ht handbaren Kategoriensystemen zus ammengetragen w erden. W esthoff et al . (2007) ha ben f ür »G ewissenhaftigkeit«, »emo tionale B elastbarkeit« und » U mgang mit emotionalen B elastungen« den ak tuellen F orschungsstand in jeweils einem übersichtlichen Kategoriensystem aufbereitet. Dies e K ategoriensysteme k önnen das Diagnostizieren wesentlich erleichtern und verbessern, da umfa ngreiche Rec herchen en tfallen und man diese Variablen und ihr e Facetten im g esamten diagnostischen Prozess einfacher und korrekter verwenden kann. Solche Kategoriensysteme wären für jede psychologische Variable zu entwickeln, um Diagnostiker v on der mi ttlerweile s ehr aufwändigen Suche nach den s ehr weit verstreuten Grundlageninformationen zu entbinden.
237
22
23
Hilfen zur Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde 23.1
Gliederung eines Gutachtens
23.2
Transparenz des Gutachtens
23.3
Formulierung des Gutachtens
23.4 F
ragestellung
– 240 – 241 – 241
– 242
23.5
Formulierung Psychologischer Fragen
– 242
21.6
Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
23.7
Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Ergebnisteil des Gutachtens – 243
23.8
Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nicht-standardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens – 244
23.9
Befund eines Gutachtens
– 245
23.10 Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
– 247
– 243
240
23
Kapitel 23 · Hilfen zur Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde
Mit den n un f olgenden A usführungen w ollen wir helfen, ein psychologisches Gutachten daraufhin zu beurteilen, wie w eit es in s einer D arstellung b estimmten M indestanforderungen a n eine wiss enschaftliche B egutachtung en tspricht. D abei b leibt naturgemäß alles das a usgespart, was sic h a uf das theoretische, inhaltliche und methodische Wissen in der Psychologie bezieht. Die folgenden Beurteilungshilfen sind daher nic ht unmi ttelbar a uf b estimmte Gutachtenthemen, Fragestellungen oder Auftraggebertypen bezogen. Zu Besonderheiten der B earbeitung einzelner Fragestellungen werden jeweils kurze Angaben in den Einleitungen zu den Beispielgutachten b zw. in dies en s elbst g emacht. D arüber hina us gibt es f ür nahezu jede gu tachterliche Fragestellung Lehrbücher und s onstige wiss enschaftliche L iteratur, in denen das je weilige t heoretische, inhaltliche und methodische Wissen ausführlich dargestellt ist (z. B. f ür fa miliengerichtliche B egutachtung: Salzgeber 2001; W esthoff et al . 2000; f ür Gla ubhaftigkeitsbegutachtung v on Z eugenaussagen: G reuel et al . 1998; W estcott et al . 2002; f ür v erschiedene Fragestellungen psy chologischer B egutachtung in Strafverfahren: Kröber u. Steller 2005). Kein B etrieb, der nac h ISO 9000f f. a rbeitet, stellt deshalb s chon zwa ngsläufig gu te P rodukte her. Genauso kann ein G utachten, das dies en nun folgenden allg emeinen Standards entspricht, auch theoretische, inhaltliche oder methodische Schwächen und Fehler haben. Allerdings ist ein in jedem Punkt verständliches und nachprüfbares Gutachten ein wertvoller Hinweis darauf, wie q ualifiziert ein Gutachter gearbeitet hat. Vor allem a ber führt die Beachtung dies er S tandards zu nac hvollziehbaren und nachprüfbaren gutachterlichen Aussagen. Im Einzelfall besteht auch die Möglichkeit, über eine »methodenkritische Stellungnahme« zu einem vorliegenden Gutachten durch einen da für qualifizierten Sachverständigen prüfen zu lassen, ob dieses Gutachten den grundlegenden methodischen Standards psy chologischer G utachten allg emein und den sp ezifischen Quali tätsmerkmalen einzelner Fragestellungsbereiche en tspricht o der ob es gravierende met hodische Fehler aufweist. Für r echtspsychologische G utachten sind b eispielsweise f ür Fragestellungen der Gla ubhaftigkeit v on Z eugenaussagen derartige Standards seit 1999 sogar durch ein BGH-Urteil (BGHSt 45, 164) aufgrund der psy-
chologischen Sac hverständigengutachten v on S teller u . Volbert (1999) s owie v on Fiedler u . S chmid (1999) rechtlich verbindlich gemacht worden. Damit Fachfremde die D arstellungsweise in einem Gutachten beurteilen können, beschreiben wir nun systematisch alle an der Darstellung eines Gutachtens zu beurteilenden Aspekte. Für Psychologen sind hier mit die ob en auf die en tsprechenden Kapitel v erteilten Ausführungen zur D arstellung v on Informationen im Gutachten zusammengefasst. 23.1
Gliederung eines Gutachtens
Ein psychologisches Gutachten ist eine wissenschaftliche Arbeit, die sich folglich an den in der W issenschaft üb lichen S tandards o rientiert. Dies e S tandards werden durch nationale wissenschaftliche Gesellschaften g esetzt und w eltweit üb ereinstimmend gehandhabt. D er A ufbau einer wiss enschaftlichen Arbeit ist in der em pirischen Wissenschaft Psychologie w eltweit einhei tlich f estgelegt. En tsprechend diesem internationalen Standard umfasst die Gliederung eines Gutachtens die folgenden neun Punkte: Merke
I
I
1. Nennung des Auftraggebers und Fragestellung des Auftraggebers, 2. P sychologische Fragen, 3. Untersuchungsplan und –ablauf, 4. Er gebnisse, 5. psy chologischer Befund, 6. je nach Fragestellung des Auftraggebers: Beantwortung der Fragestellung des Auftraggebers und/ oder Empfehlungen oder Vorschläge, 7. Lit eratur, 8. Anhang (Testauswertungen; Explorationstranskripte o. ä.), 9. Unterschrift des verantwortlichen DiplomPsychologen.
Zur N achvollziehbarkeit und N achprüfbarkeit des Gutachtens wir d zuer st der A uftraggeber g enannt, also z. B. das beauftragende Gericht. In der Fragestellung sind die Z iele einer Untersuchung genannt. Da sich die gesamte Untersuchung an diesen Zielen aus-
241
23.3 · Formulierung des Gutachtens
richtet, werden diese schon in der Einleitung oder in einem eigenen Abschnitt beschrieben. Daraus folgt, dass der G utachter die F ragestellung des A uftraggebers am Anfang des Gutachtens wörtlich wiedergibt. In jeder wiss enschaftlichen Arbeit werden Hypothesen g eprüft. D a die Ar t der F ormulierung wissenschaftlicher H ypothesen den L eser v erwirren ka nn, eignet sic h die F orm der P sychologischen Fragen b esser. Im er sten Teil einer P sychologischen F rage erk lärt der G utachter mi t H ilfe eines gesetzmäßigen oder regelhaften Zusammenhangs die B eziehung zwis chen der F ragestellung des Auftraggebers und den v on ihm a usgewählten Merkmalen. I m zw eiten T eil f ragt er da nn nac h der Ausprägung der zu untersuchenden Merkmale. Im w eiteren V erlauf des B egutachtungsprozesses trägt der G utachter syst ematisch I nformationen zu diesen Psychologischen Fragen zusammen und beantwortet diese im Befund des Gutachtens unter Verwendung dieser Informationen. In jeder wiss enschaftlichen Arb eit gib t es ein Kapitel Methoden. Dies em entspricht im G utachten der U ntersuchungsplan und -a blauf, als o w er, wann, wie und womit wen untersucht hat. Unter Ergebnisse werden im G utachten wie in jeder anderen wissenschaftlichen Arbeit die Informationen b erichtet, die den einzelnen I nformationsquellen entnommen wurden. Im B efund beantwortet der G utachter die P sychologischen Fragen, indem er alle I nformationen zu jeder einzelnen P sychologischen F rage zus ammenstellt und S chritt f ür S chritt nac hvollziehbar beantwortet. D er B efund enthält damit die B eantwortung der F ragestellung des A uftraggebers. Dieses Vorgehen f indet sic h b ei em pirischen wiss enschaftlichen Arbeiten in Fachzeitschriften unter der Überschrift Diskussion. Wenn in der F ragestellung Empfehlungen o der V orschläge v erlangt w erden, leitet der Gutachter diese für jeden L eser nachvollziehbar und nac hprüfbar aus den im B efund erarbeiteten Beurteilungen und Schlussfolgerungen ab. Im Verzeichnis der v erwendeten Literatur werden die – und nur die – wissenschaftlichen Arbeiten aufgeführt, die im Gutachten wörtlich oder sinngemäß zitiert worden sind , damit die A usführungen des Gutachters ggf. nachgeprüft werden können. Der Anha ng en thält A uswertungen, z. B. v on Tests. D a eine a ngemessene A uswertung und I n-
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terpretation von Tests ein Studium der Psychologie voraussetzen, sind die A usführungen im Anha ng so g ehalten, dass P sychologen sie nac hvollziehen und prüfen können. Mit der U nterschrift des v erantwortlichen Diplom-Psychologen s chließt ein G utachten eb enso ab wie b ei einer wiss enschaftlichen Arbeit die Autoren eine Erk lärung zu der Arb eit a bgeben und unterzeichnen. 23.2
Transparenz des Gutachtens
1. Sind alle Aussagen im Gutachten nachvollziehbar? Ein wiss enschaftliches G utachten ka nn n ur dann eine Hilfe zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung des A uftraggebers und a nderer Beteiligter s ein, w enn alle A ussagen im G utachten f ür jeden nac hvollziehbar sind . Dies bedeutet z. B.: Alle S chlussfolgerungen und diagnostischen Beurteilungen müssen durch entsprechende D aten, die im Er gebnisteil b erichtet sind , b elegt s ein. Theo retische Annahmen und F orschungsergebnisse, die der G utachter seinen S chlussfolgerungen und B eurteilungen zugrunde legt, w erden d urch b ibliografische Angaben der en tsprechenden F achliteratur nachvollziehbar und nachprüfbar gemacht. 2. Sind alle Aussagen im Gutachten nachprüfbar? Wissenschaftliches Arbeiten zeichnet sich u. a. dadurch a us, dass es in allen S chritten nac hprüfbar ist, als o f ormuliert ein G utachter alle Aussagen in einem Gutachten so, dass sie nachprüfbar sind. Was Nachprüfbarkeit im Einzelnen bedeutet, wird weiter unten erläutert. 23.3
Formulierung des Gutachtens
1. Ist jede F ormulierung mög lichst s achlich b ei der Beschreibung und B eurteilung des Verhaltens? Unsachliche B eschreibungen, z. B. eines V erhaltens, k önnen st arke G efühle a uslösen und so er schweren, dass die b eschriebenen P ersonen das G utachten verstehen und akzep tieren. Notwendige B eurteilungen sind f ür die B eur-
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Kapitel 23 · Hilfen zur Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde
teilten am ehesten zu akzeptieren, wenn sie auf sachlichen B eschreibungen b eruhen und fa ir formuliert sind. 2. Ist jede F ormulierung in einfac hem, k larem und richtigem Deutsch geschrieben? Unverständliche o der missv erständliche A usführungen helf en niema ndem, der mi t einem Gutachten sinn voll a rbeiten s oll. S ie f ühren vielmehr zu Är ger und M isstrauen und v erstoßen gegen die gr undlegenden Forderungen nach Transparenz, also den F orderungen nach Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit einer möglichst s achlichen A ussage. D aher s chreibt der Gutachter jede Formulierung in einfachem, klarem und richtigem Deutsch. 3. Kommen möglichst wenige Fremdwörter vor? Die B edeutungen v on F remdwörtern m üssen nicht allen L esern eines G utachtens b ekannt sein, sodass sie zu Missverständnissen und dem damit v erbundenen Är ger und e vtl. zu M isstrauen f ühren k önnen. S ie er schweren a uf jeden Fall das Verständnis, daher v erwendet der Gutachter möglichst wenige Fremdwörter. Da, wo sie unvermeidbar sind, erläutert er sie. 4. Werden alle benutzten Fachbegriffe erklärt? Psychologische F achbegriffe m üssen, um f ür nichtpsychologische Leser verständlich zu sein, erklärt w erden, wie die b esonderen B egriffe jeder anderen Fachdisziplin auch. Die psy chologische Fachsprache verwendet viele B egriffe, die auch aus der All tagssprache b ekannt sind , jedoch unterscheidet sich der F achbegriff hinsichtlich s einer B edeutung v om g leichlautenden Alltagsbegriff. Die im Gutachten gemeinte fachliche B edeutung des je weiligen W ortes muss daher erläutert werden, z. B. was versteht der Gutachter hier unter »Intelligenz«, was bedeutet »Bindung«? 23.4
Fragestellung
1. Ist der Psychologe der zuständige Experte? Bei vielen r echtlichen F ragestellungen zum Verhalten eines psychisch gesunden Menschen ist der Psychologe aufgrund seiner Ausbildung der zust ändige Exp erte, nic ht a ber b eispielsweise der P ädagoge, Erzieher o der Arzt, s o
z. B. b ei fa milienrechtlichen F ragestellungen des Sorge- und U mgangsrechts für Kinder aus einer g eschiedenen E he o der zur B eurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage. 2. Ist der Auftraggeber genannt? Damit für jeden Leser des Gutachtens klar ist, in wessen A uftrag das G utachten er stellt w orden ist, führt der Gutachter den Auftraggeber an. 3. Ist die F ragestellung im G utachten w örtlich vollständig als Zitat wiedergegeben? Damit s ein G utachten nac hvollziehbar und nachprüfbar ist, gib t der G utachter die F ragestellung im G utachten wörtlich vollständig als Zitat wieder, denn n ur a nhand des nic ht v eränderten Wortlauts der F ragestellung des A uftraggebers lässt sic h prüfen, ob das G utachten exakt an dieser Fragestellung ausgerichtet ist. 4. Ist der Auftragnehmer genannt? Die V erantwortung f ür die Er stellung eines Gutachtens mit all s einen Stärken und S chwächen liegt bei dem beauftragten Gutachter, also nennt der Gutachter ausdrücklich seine Person als Auftragnehmer. 23.5
Formulierung Psychologischer Fragen
1. Ist die A uswahl der zu un tersuchenden Merkmale kurz und allgemeinverständlich mit einer Gesetzmäßigkeit o der Reg elhaftigkeit im V erhalten begründet? In jeder wiss enschaftlichen Arb eit wir d dem Leser erklärt, mit welchem Ziel eine Hypothese geprüft w erden s oll und wie sie b egründet ist. Entsprechend gibt der G utachter zu jeder P sychologischen Frage an, wie das darin angesprochene M erkmal mi t dem in der F ragestellung erfragten Verhalten zusammenhängt. Das heißt, er b egründet die A uswahl des M erkmals k urz und allg emeinverständlich mi t einer G esetzmäßigkeit oder Regelhaftigkeit im Verhalten. 2. Stellt die Begründung einen eindeutigen Bezug zur Fragestellung her? Eine B egründung ka nn mehr o der w eniger eindeutig s ein. D aher st ellt der G utachter b ei der Begründung für das ausgewählte Merkmal einen eindeu tigen B ezug zwis chen dem V er-
23.7 · Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen
halten her, das d urch das M erkmal bezeichnet wird, und dem Verhalten, das in der F ragestellung angesprochen ist. 3. Ist der Name des Merkmals genannt? Damit nac hprüfbar ist, w elches M erkmal zur Erklärung oder Vorhersage herangezogen wird, nennt der Gutachter den Namen des Merkmals und gib t nic ht n ur eine U mschreibung da für, weil eine solche evtl. mehrdeutig ist und damit die Nachvollziehbarkeit des Gutachtens gefährdet sein könnte. 21.6
Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
1. Ist jede verwendete Informationsquelle einzeln im U ntersuchungsplan des G utachtens da rgestellt? Damit nac hvollzogen und g gf. nac hgeprüft werden kann, woher bestimmte Informationen stammen, stellt der Gutachter jede v erwendete Informationsquelle einzeln im Untersuchungsplan des Gutachtens dar. 2. Ist der N ame der I nformationsquelle, b ei psychologischen V erfahren in K lammern a uch Autor und Er scheinungsjahr, in der B eschreibung angegeben? Damit eine Informationsquelle eindeutig identifiziert w erden ka nn, gib t der G utachter in der B eschreibung den N amen der I nformationsquelle, bei psychologischen Verfahren auch Autor und Erscheinungsjahr (der verwendeten Auflage) a n. Die v ollständigen L iteraturangaben aller im Gutachten verwendeten psychologischen Verfahren finden sich im Literaturverzeichnis eines Gutachtens. 3. Ist das Verfahren in w enigen kurzen Sätzen so beschrieben, dass die damit untersuchte Person es im Gutachten wiedererkennen kann? Damit der Untersuchte kontrollieren kann, aus welchem Verfahren, das b ei ihm a ngewendet wurde, eine I nformation k ommt, b eschreibt der Gutachter das Verfahren in wenigen kurzen Sätzen so, dass es der U ntersuchte im G utachten wiedererkennen kann. 4. Kann der A uftraggeber aus der V erfahrensbeschreibung erk ennen, w elches M erkmal o der
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welche Merkmale mi t dem je weiligen Verfahren auf welche Art erfasst werden? Damit der A uftraggeber und a uch a ndere L eser des G utachtens nac hvollziehen k önnen, mit w elchem Verfahren zu w elchem Merkmal Informationen erhob en w orden sind , gib t der Gutachter dies b ei der B eschreibung eines jeden im Gutachten benutzten Verfahrens an. 5. Sind b ei jeder I nformationsquelle alle M erkmale aufgeführt, die zur Beantwortung der Fragestellung beitragen? Da a us vielen I nformationsquellen I nformationen zu v erschiedenen Merkmalen en tnommen werden k önnen, f ührt der G utachter b ei jeder Informationsquelle alle die Merkmale auf, zu denen aus ihr Informationen gewonnen wurden. 6. Stimmen die Namen dieser Merkmale überein mit denen, die in den P sychologischen Fragen verwendet wurden? Damit die L eser des Gutachtens nicht verwirrt werden, verwendet der G utachter bei der Verfahrensbeschreibung die g leichen N amen der Merkmale, wie sie in den Psychologischen Fragen verwendet wurden. 7. Wird da rgestellt, w er w elche U ntersuchungen wann und w o durchgeführt bzw. daran mitgewirkt hat? Damit ein G utachten in s einer En tstehung nachvollzogen w erden ka nn, st ellt der G utachter im U ntersuchungsplan da r, w er w elche Untersuchungen wa nn und w o d urchgeführt hat. B estimmte U ntersuchungsaufträge ka nn der G utachter delegier en, o der er ka nn, mi t Einverständnis der U ntersuchten, M itarbeiter bei Untersuchungen hinzuziehen. B eides kann sich a uf die U ntersuchungsergebnisse a uswirken. In einem solchen Fall nennt der Gutachter auch die mitwirkenden Personen. 23.7
Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Ergebnisteil des Gutachtens
1. Ist die Auswertung an der Fragestellung ausgerichtet? 2. Dient die A uswertung der B eantwortung der eingangs formulierten Psychologischen Fragen?
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Kapitel 23 · Hilfen zur Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde
Wenn die A uswertung dazu b eiträgt, die eingangs formulierten Psychologischen Fragen zu beantworten, dann ist sie auch an der Fragestellung o rientiert, denn die F ragestellung wur de in Psychologische Fragen differenziert. Wird b ei der A uswertung der S tand der W issenschaft beachtet? Ein G utachten ist als wiss enschaftliche Arb eit auf dem ak tuellen S tand der W issenschaft zu erstatten. Dies en b eachtet der G utachter a uch bei der Auswertung von Tests und Fragebögen. Bei Verfahren, die beispielsweise vor Jahrzehnten publiziert wurden, kann das Verfahren veraltet oder die neuere Literatur hierzu nicht zur Kenntnis g enommen w orden s ein. I n einem solchen F all ist es zumindest f raglich, ob b ei der A uswertung der S tand der W issenschaft beachtet wurde. Ist b ei den Er gebnissen eines V erfahrens das Verhalten b eschrieben, das b ei s einer Dur chführung b eobachtet wur de und das f ür die Fragestellung von Bedeutung ist? Da die Er gebnisse a us einem T est o der F ragebogen etwas a nderes b edeuten, w enn der Untersuchte z. B. nic ht mi t der er forderlichen Grundhaltung a n dies e hera nging, b eschreibt der G utachter b ei der D arstellung der Er gebnisse in einem V erfahren das V erhalten des Untersuchten, das bei seiner Durchführung beobachtet wur de und das f ür die F ragestellung von Bedeutung ist. Ist die D arstellung jedes Ergebnisses relativiert auf (a) den T est, (b) den U ntersuchungszeitpunkt, (c) die Vergleichsstichprobe? Die Ergebnisse aus psychologischen Tests und Fragebogen hä ngen v om U ntersuchten s elbst ab und des Weiteren vom Test, vom Zeitpunkt der Untersuchung mit dem Test und der Stichprobe, mi t der ein T estergebnis v erglichen wird. Daher relativiert der G utachter in s einer Darstellung jedes Ergebnis auf (a) den Test, (b) den Untersuchungszeitpunkt (Imperfekt), und (c) die Vergleichsstichprobe. Sind die Er gebnisse im Er gebnisteil des G utachtens g etrennt nac h I nformationsquellen dargestellt? In jeder empirischen wissenschaftlichen Arbeit werden die Ergebnisse nach Informationsquel-
len getrennt dargestellt, damit deutlich ist, woher jede I nformation st ammt. D er G utachter stellt daher die Er gebnisse im Er gebnisteil des Gutachtens ebenfalls getrennt nach Informationsquellen dar. Außerdem wird so eine vorzeitige Gesamtbeurteilung verhindert (s. folgende Prüffrage). 7. Sind im Ergebnisteil des Gutachtens noch keine Beziehungen zwis chen v erschiedenen Er gebnissen angesprochen? Um eine em pirische wiss enschaftliche Arb eit nachvollziehbar und nac hprüfbar zu g estalten, werden im Er gebnisteil no ch k eine B eziehungen zwis chen v erschiedenen Er gebnissen diskutiert, dies erfolgt erst in dem weiteren Kapitel »Befund«. D er G utachter häl t sic h a uch in dieser H insicht a n die allg emein b eachteten Regeln wissenschaftlichen Arbeitens und st ellt im Ergebnisteil des Gutachtens noch keine Beziehungen zwis chen v erschiedenen Er gebnissen her. 23.8
Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nicht-standardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens
1. Sind die g esamten objektiv registrierten Informationen Schritt für Schritt danach ausgewertet, (a) in w elcher Beziehung sie zur F ragestellung st ehen und (b) zu w elcher P sychologischen Frage sie etwas aussagen? Da P robanden a uch in gu t v orbereiteten psychologisch-diagnostischen G esprächen I nformationen lief ern, die nic hts mi t der F ragestellung o der einer a us ihr a bgeleiteten P sychologischen F rage zu t un ha ben, w ertet der Gutachter die g esamten ob jektiv r egistrierten Informationen S chritt f ür S chritt da nach a us, (a) ob sie in Beziehung zur Fragestellung stehen und (b) zu w elcher Psychologischen F rage sie etwas aussagen. 2. Ist jede I nformation bei jeder Psychologischen Frage a ngesprochen, zu der en B eantwortung sie beiträgt? Einzelne I nformationen k önnen d urchaus b ei verschiedenen P sychologischen F ragen v on
245
23.9 · Befund eines Gutachtens
Bedeutung s ein, deshalb er wähnt der G utachter jede Information bei jeder Psychologischen Frage, zu deren Beantwortung sie beiträgt. 3. Ist b ei jeder I nformation deu tlich, w oher sie stammt? Da ein G utachten nac hvollziehbar und nac hprüfbar s ein m uss, mac ht der G utachter b ei jeder I nformation deu tlich, w oher sie st ammt (z. B. a us der eig enen Exp loration des G utachters; a us Ak ten, P rotokollen, Z eugnissen, Arztberichten o. ä.). 4. Wird in der indirekten Rede die richtige sprachliche Form benutzt? Der Gutachter stellt bis auf relativ seltene wörtliche Zitate die Gesprächsergebnisse in der indirekten Rede da r, um zu v erdeutlichen, dass sie von einem a ngegebenen P robanden in einem psychologisch-diagnostischen G espräch st ammen, das er im Gutachten mit Teilnehmern, Datum, Dauer und Or t genannt hat. Damit es b ei dieser Darstellung in der indir ekten Rede nicht zu M issverständnissen k ommt, v erwendet er in der indir ekten Rede die r ichtige sprachliche Form. Damit eine Üb erprüfung der Arb eit des Gutachters mög lich ist, zeic hnet er , nac hdem sich der U ntersuchte zu vor ein verstanden er klärt hat, seine Gespräche mit ihm auf Tonband auf. Bei bestimmten Fragestellungen kann eine wörtliche Abschrift vom Band hilfreich sein; für eine a ussagepsychologische B egutachtung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage z. B. ist sie unerlässlich (s. auch BGH St 45, 164). 5. Werden alle mög lichen L eser des G utachtens bei der Formulierung berücksichtigt? Ein Gutachten, z. B. für ein Gericht, lesen unter Umständen s ehr viele v erschiedene b eteiligte Personen. Daher formuliert der G utachter das Gutachten so, dass er alle mög lichen Leser des Gutachtens b ei der F ormulierung b erücksichtigt. 23.9
2.
3.
4.
Befund eines Gutachtens
1. Ist der B efundteil des G utachtens nac h den Psychologischen Fragen gegliedert? Die Psychologischen Fragen stellen die gr undlegende psychologische Strukturierung der Fra-
5.
23
gestellung dar, der es F achfremden erlaubt, die grundsätzliche psychologische Differenzierung zu v erstehen. Es ist daher f ür die N achvollziehbarkeit des G utachtens hilf reich, dass der Gutachter den B efundteil des Gutachtens nach den Psychologischen Fragen gliedert. Werden die a us der F ragestellung a bgeleiteten Psychologischen Fragen beantwortet? Die a us der F ragestellung des A uftraggebers abgeleiteten P sychologischen F ragen b etreffen psychologisch wic htige A spekte, die zu einer sachgerechten Bearbeitung der Fragestellung beantwortet w erden. D er G utachter b eantwortet im Befund eines Gutachtens diese aus der Fragestellung abgeleiteten Psychologischen Fragen. Sind zu jeder P sychologischen Frage alle r elevanten I nformationen a us allen v erwendeten Informationsquellen dargestellt? Damit der L eser nachvollziehen kann, wie der Gutachter zu s einer Antwort auf eine P sychologische Frage kommt, stellt der G utachter im Befund eines G utachtens zu jeder P sychologischen F rage alle r elevanten I nformationen aus allen verwendeten Informationsquellen zusammen. Dabei können die i.d.R. sehr umfangreichen Gesprächsergebnisse zusammengefasst werden. D amit aber auch dann ein G utachten in jedem Punkt voll nachvollziehbar bleibt, gibt der G utachter b ei s olchen Z usammenfassungen die S eiten im Er gebnisteil des G utachtens an, w o die a usführliche D arstellung der G esprächsergebnisse zu finden ist. Ist b ei jeder I nformation f ür jeden L eser k lar, woher sie st ammt, o hne dass er die v orhergehenden Gutachtenteile gelesen haben muss? Psychologische Gutachten sind a ufgrund ihrer Komplexität oft so lang, dass ma n von keinem Leser er warten kann, dass er alles, was er einmal g elesen ha t, a uch mi t An gabe der Quelle der I nformation b ehält. D aher g estaltet der Gutachter den B efund eines G utachtens s o, dass bei jeder Information für jeden Leser klar ist, woher sie stammt, ohne dass er die v orhergehenden Gutachtenteile gelesen haben muss. Sind W idersprüche zwis chen I nformationen erklärt oder diskutiert? Die meisten Widersprüche zwischen Informationen in G utachten lös en sic h b ei dif feren-
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7.
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Kapitel 23 · Hilfen zur Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde
zierender, fac hkundiger B etrachtung a uf und sind t atsächlich k eine ec hten W idersprüche. Allerdings gib t es F älle v on W idersprüchen zwischen den I nformationen a us v erschiedenen Quellen. Dies e W idersprüche disk utiert der G utachter in ihr er mög lichen B edeutung wissenschaftlich. A uftretende W idersprüche zwischen einzelnen Informationen werden also auf jeden F all im B efund erklärt und a ufgelöst oder zumindest diskutiert. Sind I nformationen nac h ihr er A ussagekraft für die Fragestellung gewichtet? Informationen können je nach der Qualität der Informationsquelle, nac h ihr em U mfang o der nach der Ar t ihr es Z ustandekommens f ür die Beantwortung der F ragestellung un terschiedlich a ussagekräftig s ein. D aher g ewichtet der Gutachter I nformationen nac h ihr er Aussagekraft für die Fragestellung. Ist dies e G ewichtung s o da rgestellt, dass sie jeder Leser nachvollziehen kann? Ein G utachten ist n ur da nn v oll nac hvollziehbar, w enn die G ewichtungen v on I nformationen im B efund exp lizit da rgestellt sind . Wenn k eine G ewichtung a ngegeben wir d, s o bedeutet dies, dass alle I nformationen g leich gewichtet werden. Ein s olches Vorgehen kann unter b estimmten B edingungen wiss enschaftlich das angemessenste sein (vgl. hierzu Westhoff 1985, S. 68–71). D er G utachter st ellt b ei jeder K ombination v on I nformationen der en Gewichtung so dar, dass sie jeder L eser nachvollziehen kann. Werden die A ussagen zu den M erkmalen schrittweise und f ür jeden L eser des G utachtens nac hvollziehbar zu einer B eantwortung der Fragestellung kombiniert? Der B efund eines G utachtens ist n ur da nn nachvollziehbar, w enn die I nformationen zu den einzelnen Merkmalen schrittweise und für jeden Leser des Gutachtens nachvollziehbar zu einer B eantwortung der F ragestellung k ombiniert werden. Werden notwendige Erläuterungen zum S tand der psy chologischen W issenschaft allg emein verständlich gegeben? Ein wissenschaftliches Gutachten zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass da, w o dies f ür die B e-
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antwortung der F ragestellung no twendig ist, der jeweilige Stand der Psychologie als Wissenschaft f ür jeden G utachtenleser p rägnant und allgemein verständlich dargestellt wird. Wird die Fragestellung beantwortet? Auftraggeber eines psy chologischen G utachtens mö chten da mit eine En tscheidungshilfe erhalten in einer S ituation, in der nac h ihrer Ein schätzung ihr eig ener psy chologischer »Sachverstand« nic ht a usreicht. D aher m uss die F ragestellung des A uftraggebers im G utachten b eantwortet w erden. B ei g erichtlichen Aufträgen z. B. ist dies e Fragestellung im »B eweisbeschluss« f ormuliert. Die B eantwortung der Fragestellung kann sachlogischerweise erst dann er folgen, w enn alle da für r elevanten I nformationen dargestellt, gewichtet und k ombiniert worden sind. Wird nichts ausgesagt, was über die Beantwortung der Fragestellung hinausgeht? Über die F ragestellung des A uftraggebers hinausgehende Aussagen üb er Personen o der die Beziehungen zwis chen ihnen üb erschreiten den Gutachtenauftrag und verletzen die Rechte der b etroffenen P ersonen. D aher ä ußert sic h ein G utachter in einem G utachten nic ht üb er Sachverhalte, die üb er die B eantwortung der Fragestellung hinausgehen. Werden keine unnötig verallgemeinernden Aussagen gemacht? Je mehr die F ormulierung eine gu tachterliche Aussage v erallgemeinert, um s o eher w erden sich die s o B eschriebenen dag egen w ehren. Unnötig v erallgemeinernde A ussagen f ühren so zu Akzep tanzproblemen des G utachtens, z. B. zur K onfliktverschärfung in g erichtlichen Verfahren. Aus diesem Grunde macht der Gutachter im B efund eines G utachtens k eine unnötig verallgemeinernden Aussagen. Wird die zitierte Literatur angegeben? Stellt ein G utachter den g egenwärtigen S tand der Psychologie zu einer bestimmten Frage dar, so w erden s eine A ussagen er st da nn p rüfbar, wenn er a uch die L iteratur zi tiert, a uf die er sich beruft. Stehen alle Üb erlegungen, S chlussfolgerungen und Entscheidungen im Befund (a) im Präsens, (b) im I ndikativ, und zwa r o hne mo dale F är-
23.10 · Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
bung, (c) in möglichst sachlichem Ausdruck? Um die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit im Befund eines Gutachtens zu gewährleisten, stellt der G utachter die (un ter Umständen zusammengefasste) D atengrundlage hier wie im Er gebnisteil w eiterhin im I mperfekt da r, jedoch s eine Üb erlegungen, S chlussfolgerungen und s eine diagnostis chen B eurteilungen im Befund formuliert er (a) im P räsens, (b) im Indikativ, und zwar ohne modale Färbung (z. B. »offensichtlich«, »meines Erac htens«) und (c) in möglichst sachlichem Ausdruck. 23.10
Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
1. Verlangt die F ragestellung Em pfehlungen und Vorschläge? Nicht alle gu tachterlichen F ragestellungen haben Empfehlungen o der Vorschläge zum Z iel. Häufig v erlangt eine s olche a uch ledig lich die B eantwortung einer F rage im S inn einer fachlich b egründeten F eststellung, s o z. B. b ei rechtspsychologischen G utachten zur B eurteilung der Gla ubhaftigkeit einer Z eugenaussage, zur Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Straftäters oder auch bei einer Eignungsbegutachtung für eine Berufsausbildung. 2. Verlangen Erk enntnisse a us dem P rozess der Begutachtung, dem A uftraggeber b estimmte Empfehlungen zu g eben o der V orschläge zu machen? In einem psy chologischen G utachten s chlägt der G utachter n ur da nn b estimmte M aßnahmen vor, wenn in der Fragestellung danach gefragt wird oder er sich aus rechtlichen Gründen aufgrund der Erk enntnisse a us der B egutachtung o der aus deren Verlauf g ezwungen sieht, dem A uftraggeber b estimmte Em pfehlungen zu geben oder Vorschläge zu machen. 3. Sind in den Em pfehlungen und V orschlägen (a) die sic h b ietenden V erhaltensmöglichkeiten konkret beschrieben, (b) die B edingungen für die Verwirklichung der verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten da rgestellt, (c) die mi t den v erschiedenen V erhaltensmöglichkeiten zu er reichenden Z iele a ngegeben und (d) die
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möglichen F olgen der v erschiedenen V erhaltensmöglichkeiten beschrieben? Damit die Em pfehlungen und V orschläge f ür den Auftraggeber und/ o der weitere davon betroffene Personen eine echte Entscheidungshilfe sein können und ihnen eine eigenverantwortliche En tscheidung er möglichen, (a) b eschreibt der Gutachter in den Em pfehlungen und Vorschlägen die sic h b ietenden V erhaltensmöglichkeiten k onkret, (b) st ellt er die B edingungen f ür die V erwirklichung der v erschiedenen Verhaltensmöglichkeiten dar, (c) gibt er die mit den verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten zu erreichenden Ziele an und (d) beschreibt er die möglichen F olgen der v erschiedenen V erhaltensmöglichkeiten. 4. Stehen die Em pfehlungen und V orschläge a m Ende des Gutachtens? Erst a ufgrund der im B efund k ombinierten Informationen zu jeder P sychologischen Frage und der Beantwortung des diagnostischen Teils der F ragestellung k önnen Em pfehlungen und Vorschläge geäußert werden, daher können die Empfehlungen und V orschläge n ur a m Ende des Gutachtens stehen. 5. Sind alle zum V erständnis notwendigen Informationen aufgeführt, bevor die Em pfehlungen und Vorschläge dargestellt werden? Werden Em pfehlungen und V orschläge nic ht unter einem eig enen Glieder ungspunkt im Gutachten da rgestellt, s ondern im B efund, s o führt der G utachter er st alle zum V erständnis notwendigen I nformationen a uf, b evor er die Empfehlungen und Vorschläge darstellt.
24
Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten 24.1 Check
liste Fragestellung
– 251
24.2 Check
liste Anforderungsprofil
24.3 Check
liste Wissen
– 251
– 251
24.4
Checkliste Auswahl von Variablengruppen
24.5
Checkliste Auswahl von Umgebungsvariablen
– 251
24.6
Checkliste Auswahl von Organismusvariablen
– 252
24.7
Checkliste Auswahl von kognitiven Variablen
24.8
Checkliste Auswahl von emotionalen Variablen
24.9
Checkliste Auswahl von motivationalen Variablen
24.10 Checkliste Auswahl von sozialen Variablen
– 251
– 252 – 252 – 252
– 253
24.11 Checkliste Kriterien zur Auswahl von Variablen
– 253
24.12 Checkliste Formulierung Psychologischer Fragen (= Hypothesen) 24.13 Checkliste Auswahl von Informationsquellen 24.14 Checkliste Feinplanung der Untersuchung
– 253
– 253
24.15 Checkliste Kosten und Nutzen jeder Informationsquelle 24.16 Checkliste Beurteilung eines Beobachters 24.17 Checkliste Inhalte von Beobachtungen
– 253
– 254
– 254
– 254
24.18 Checkliste Merkmale wissenschaftlicher Verhaltensbeobachtungen
– 254
24 24.19 Checkliste Kriterien zur Wahl standardisierter Verfahren
– 254
24.20 Checkliste Durchführungs-objektivität psychologisch-diagnostischer Verfahren – 254 24.21 Checkliste Kriterien für die Auswertung psychologisch-diagnostischer Verfahren – 255 24.22 Checkliste Bedingungen für möglichst objektive Interpretation standardisierter psychologisch-diagnostischer Verfahren – 255 24.23 Checkliste Reliabilität standardisierter psychologisch-diagnostischer Verfahren – 255 24.24 Checkliste Validität standardisierter psychologisch-diagnostischer Verfahren – 255 24.25 Checkliste Planung eines entscheidungsorientierten Gesprächs (EOG) 24.26 Checkliste Grobaufbau eines Leitfadens 24.27 Checkliste Feinaufbau eines Leitfadens
– 256 – 256
24.28 Checkliste Formulierung günstiger Fragen 24.29 Check liste Suggestivfragen
– 256
– 256
– 257
24.30 Checkliste Voraussetzungen für entscheidungsorientierte Gespräche 24.31 Checkliste Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
– 257
24.32 Checkliste Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Gutachten – 258 24.33 Checkliste Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nicht-standardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens – 258 24.34 Checkliste Befund eines Gutachtens
– 259
24.35 Checkliste Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten 24.36 Checkliste Formulierungen im Befund 24.37 Checkliste Gliederung eines Gutachtens
– 259 – 260
– 259
– 257
251
24.5 · Checkliste Auswahl von Umgebungsvariablen
Die nun folgenden Checklisten enthalten in üb ersichtlicher, exp liziter F orm die Reg eln der en tscheidungsorientierten Diagnostik. D er P sychologe ka nn mi t ihr er H ilfe S chritt f ür S chritt den diagnostischen Prozess planen und ausführen. Das Gutachten ist da nn ein B ericht an den A uftraggeber über diesen Prozess und seine Ergebnisse. Der Diagnostiker kann mit diesen Listen an jeder Stelle prüfen, ob eine bestimmte Regel bei der jeweiligen Fragestellung von B edeutung ist, da nic ht alle Regeln b ei jeder F ragestellung eine Ro lle sp ielen. Er kann selbst kontrollieren, ob er jede relevante Regel auch berücksichtigt hat. 24.1
Checkliste Fragestellung
1. Ist die Fragestellung eindeutig formuliert? 2. Ist der Psychologe der zuständige Experte? 3. Liegt prinzipiell genügend Wissen zur Bearbeitung vor? 4. Ist die B earbeitung der F ragestellung rechtlich erlaubt? 5. Ist die Bearbeitung der Fragestellung ethisch zu verantworten? 6. Schränkt die Fragestellung die Vorgehensweise des Diagnostikers ungerechtfertigt ein? 7. Wird s chon eine I ntervention v orgeschlagen, die ein b estimmtes Er gebnis der Diagnostik vorwegnimmt? 8. Ist die F ragestellung als er ster Glieder ungspunkt im Gutachten aufgeführt? 9. Ist die F ragestellung im G utachten w örtlich vollständig als Zitat wiedergegeben? 10. Ist der Auftraggeber genannt? 11. Ist der Auftragnehmer genannt? 24.2
Checkliste Anforderungsprofil
1. Ist die L iste der en tscheidenden Anf orderungen vollständig? 2. Ist jede einzelne Anforderung – b egründet? – zzt. feststellbar? – v erhaltensorientiert formuliert? – hinreichend objektiv zu messen? – hinreichend zuverlässig zu messen?
24
– hinreichend gültig zu messen? – st abil? – kompensierbar? W enn ja: Dur ch w elche andere(n) Anforderung(en)? 24.3
Checkliste Wissen
1. Ist das F achwissen des G utachters zur B earbeitung einer F ragestellung a uf dem neuest en Stand? 2. Hat der G utachter hinr eichend B erufserfahrung zur Bearbeitung der Fragestellung? 3. Hat der G utachter hinr eichend All tagserfahrung zur Bearbeitung der Fragestellung? 4. Ist das jeweilige Wissen hinreichend konkret? 5. Ist das jeweilige Wissen nachprüfbar? 6. Besteht das W issen a us gül tigen I nformationen? 24.4
Checkliste Auswahl von Variablengruppen
Sind für die Fragestellung von Bedeutung: 1. Umgebungsvariablen? 2. Organismusvariablen? 3. Kognitive Variablen? 4. Emotionale Variablen? 5. Motivationale Variablen? 6. Soziale Variablen? 7. Wechselwirkungen zwischen Variablen? 8. Persönlichkeitsmerkmale? 9. Situationsmerkmale? 10. Lernpsychologische Informationen? 24.5
Checkliste Auswahl von Umgebungsvariablen
1. Fina nzielle Situation? 2. W ohnsituation? 3. V erkehrsverbindungen? 4. K ommunikationsbedingungen? 5. Zur Verfügung stehende Zeit? 6. Weitere wichtige äußere Lebensbedingungen?
24
252
Kapitel 24 · Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten
24.6
Checkliste Auswahl von Organismusvariablen
1. Allgemeine körperliche Belastbarkeit? 2. Er nährungsweise? 3. Al ter(sunterschiede)? 4. B eeinträchtigungen? 5. B ehinderungen? 6. Krankheiten und Verletzungen, auch defekt abgeheilte? 7. Abhängigkeit von Drogen? 8. B esonderheiten: – a natomische? – p hysiologische? – des Hormonhaushalts? – des Nervensystems? – der Sinnesorgane? – des Kreislaufs? – des Skeletts? – der Muskulatur? – der Haut? 9. Weitere wichtige körperliche Bedingungen? 24.7
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Checkliste Auswahl von kognitiven Variablen
Allgemeine Intelligenz? Intelligenzstruktur? Konzentration? Gedächtnis? Kreativität? Künstlerische Begabungen? Arbeitsstil? Leistungen in: – S chreiben? – L esen? – G rundrechenarten? 9. Kenntnisse in: – S prachen? – ED V? – M aschineschreiben? – S tenografie? – weitere wichtige Kenntnisse? 10. Auslösende Bedingungen? 11. Kontingenzen? 12. Positive Verstärkungen? 13. Negative Verstärkungen?
14. Bestrafungen? 15. Weitere Aspekte des Wahrnehmens? 16. Weitere Aspekte des Lernens? 17. Weitere Aspekte des Denkens? 24.8
Checkliste Auswahl von emotionalen Variablen
1. Emo tionale Belastbarkeit? 2. Umgang mit Belastungen? 3. Verhalten bei Frustrationen? 4. Umgang mit Gefühlen? 5. Relativ überdauernde Gefühle: – der Liebe? – der Eifersucht? – der Schuld? – der Angst? – der Minderwertigkeit? – w eitere? 6. Emo tionale Bindungen? 7. Emo tionale Probleme? 8. Stimmungen und Stimmungsschwankungen? 24.9
Checkliste Auswahl von motivationalen Variablen
1. Ziele? 2. Wünsche? 3. Werte oder Wertvorstellungen? 4. Interessen? 5. Einstellungen? 6. Überzeugungen zu: – Z ielen? – Normen und Regeln? – S elbst? – b estimmten Situationen? 7. Erwartungen? 8. Entscheidungsverhalten? 9. Motive wie: – L eistungsmotiv? – M achtmotiv? – w eitere Motive? 10. Themen? 11. Aktivität? 12. Weitere motivationale Variablen?
253
24.14 · Checkliste Feinplanung der Untersuchung
24.10
Checkliste Auswahl von sozialen Variablen
1. S oziale Intelligenz? 2. S oziale Kompetenzen? 3. Ein stellungen? 4. Vorurteile und Stereotype? 5. N ormen? 6. P flichten, Verpflichtungen? 7. Einflüsse von bedeutsamen anderen? 8. Weitere soziale Variablen? 24.11
Checkliste Kriterien zur Auswahl von Variablen
1. Ist die Ar t des Z usammenhangs mi t dem zu erklärenden oder vorherzusagenden Verhalten reproduzierbar, d.h. in intern validen Untersuchungen immer in der g leichen Form wiedergefunden worden? 2. Ist die S tärke des Z usammenhangs zwis chen der V ariablen und dem zu erk lärenden o der vorherzusagenden Verhalten praktisch bedeutsam (Anteil der erklärten Varianz)? 3. Ist die Stärke des Zusammenhangs in intern validen Untersuchungen immer in vergleichbarer Höhe wiedergefunden worden? 24.12
Checkliste Formulierung Psychologischer Fragen (= Hypothesen)
1. Ist die A uswahl der V ariablen kurz und allg emein v erständlich mi t einer G esetzmäßigkeit oder Regelhaftigkeit im Verhalten begründet? 2. Stellt die Begründung einen eindeutigen Bezug zur Fragestellung her? 3. Falls es sic h b ei der V ariablen um ein psychologisches Konstrukt ha ndelt: Ist dies es mit Namen genannt? 4. Greift der zweite Teil der Psychologischen Frage eindeutig auf die in der B egründung genannte Variable zurück? 5. Wenn a n einer V ariablen die Quali tät wic htig ist: Wird nach der qualitativen Ausprägung der Variablen gefragt?
24
6. Wenn a n einer V ariablen die Qua ntität v on Bedeutung ist: W ird nac h der q uantitativen Ausprägung der Variablen gefragt? 7. Werden insgesamt nicht mehr als etwa 20 P sychologische Fragen formuliert? 8. Sind die P sychologischen Fragen in sinn vollen Gruppen (von Variablen) geordnet? 9. Enthält keine Gruppe mehr als etwa f ünf Psychologische Fragen? 24.13
Checkliste Auswahl von Informationsquellen
1. S tandardisierte Verfahren: – Tests? – F ragebogen? – Arb eitsproben? – Verhaltensbeobachtungen? 2. T eilstandardisierte Verfahren: – Verhaltensbeobachtungen? – En tscheidungsorientierte Gespräche? 3. N ichtstandardisierte Verfahren: – G espräche? – Z eugnisse? – Ak ten? – P roduktionen? – Arztb erichte? – S onstige? 24.14
Checkliste Feinplanung der Untersuchung
1. Liegen schriftlich ausgearbeitete Pläne vor für: – Verhaltensbeobachtungen? – entscheidungsorientierte G espräche (L eitfäden)? – den Einsatz standardisierter Verfahren? – den Untersuchungsablauf? (Wer wird wann, wo, wie lange und von wem untersucht?) 2. Sind Kosten und Nutzen in allen Plä nen angemessen beachtet?
254
Kapitel 24 · Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten
24.15
24
Checkliste Kosten und Nutzen jeder Informationsquelle
Sind f ür jede in B etracht g ezogene I nformationsquelle getrennt materielle und immaterielle Kosten und Nutzen eingeschätzt für: 1. P robanden? 2. A uftraggeber? 3. P sychologen? 4. sonstige direkt betroffene Personen? 5. direkt betroffene Institutionen? 6. direkt betroffene Organisationen? 7. indirekt betroffene Personen? 8. indirekt betroffene Institutionen? 9. indirekt betroffene Organisationen? 24.16
1. 2. 3. 4.
Checkliste Beurteilung eines Beobachters
Erfahrung des Beobachters? Ausbildung des Beobachters? Kontrolle des Beobachters? Beobachtungsbedingungen beim Beobachter: – ä ußere? – k örperliche? – k ognitive? – emo tionale? – mo tivationale? – s oziale?
24.17
Checkliste Inhalte von Beobachtungen
1. Eigenes Verhalten? 2. Verhalten eines anderen? 3. Häufigkeit des Verhaltens? 4. Dauer des Verhaltens? 5. Regelmäßigkeit des Verhaltens? 6. Variabilität des Verhaltens? 7. Vermeidbarkeit des Verhaltens? 8. Öffentlichkeit des Verhaltens: – ö ffentlich? – p rivat? – in tim? 9. Notwendige Interaktionspartner? 10. Soziale Erwünschtheit? 11. Sonstige wichtige Merkmale?
24.18
Checkliste Merkmale wissenschaftlicher Verhaltensbeobachtungen
1. Gültiger Plan für ihre: – Dur chführung? – A uswertung? – I nterpretation? 2. Durchführen der Verhaltensbeobachtungen: – nach gültigem Plan? – durch qualifizierten Beobachter? – bei mög lichst ob jektiver, zu verlässiger und gültiger Registrierung? 3. Auswertung nach gültigem Plan? 4. Interpretation nach gültigem Plan? 24.19
Checkliste Kriterien zur Wahl standardisierter Verfahren
1. Theo retische Grundlagen? 2. Em pirisch festgestellte – Objektivität von Durchführung, Auswertung und Interpretation? – Relia bilität? – Validität? – N ormen? 3. Verhältnis v on K osten und N utzen ihr er Anwendung bei dieser Fragestellung? 24.20
Checkliste Durchführungsobjektivität psychologischdiagnostischer Verfahren
1. Wird der P roband nac h s einen Vorstellungen von der psy chologischen U ntersuchung g efragt? 2. Werden dem Probanden die Ziele der Untersuchung erklärt? 3. Wird dem Probanden der Ablauf der Untersuchung erklärt? 4. Werden dem Probanden die Rollen erläutert: – des Probanden? – des Psychologen? – sonstiger evtl. an der Untersuchung beteiligter Personen? 5. Werden unzu treffende Er wartungen k orrigiert?
24.24 · Checkliste Validität standardisierter psychologisch-diagnostischer Verfahren
6. Wird der P roband auf mögliche Schwierigkeiten hingewiesen? 7. Wird dem Probanden erklärt, wie er mit diesen Schwierigkeiten umgehen kann? 8. Wird dem P robanden zu jedem V erfahren erklärt, wozu es eingesetzt wird? 9. Wird eine Vereinbarung über das g emeinsame Vorgehen getroffen? 24.21
Checkliste Kriterien für die Auswertung psychologischdiagnostischer Verfahren
1. Wird nac h dem neuest en S tand der psy chologischen Wissenschaft a usgewertet hin sichtlich: – Theo rieentwicklung? – M ethoden? – inhal tlichen Forschungsergebnissen? 2. Entsprechen die Auswertungen der Theorie? 3. Sind die A uswertungen psy chometrisch sinnvoll? 4. Sind die Auswertungen logisch gerechtfertigt? 24.22
Checkliste Bedingungen für möglichst objektive Interpretation standardisierter psychologischdiagnostischer Verfahren
1. Sind un ter dem Glieder ungspunkt »Er gebnisse« v or den Er gebnissen eines V erfahrens die Verhaltensbeobachtungen hierzu im P räteritum dargestellt? 2. Ist die D arstellung der Er gebnisse r elativiert auf: – den Z eitpunkt der U ntersuchung d urch das Präteritum? – das Verfahren? – die Vergleichsstichprobe? 3. Werden Fachausdrücke allgemein verständlich erklärt? 4. Werden st ark w ertende W örter d urch möglichst wertneutrale ersetzt?
24.23
255
24
Checkliste Reliabilität standardisierter psychologischdiagnostischer Verfahren
1. Welche Relia bilitätsart v erlangt die F ragestellung? 2. Welche Reliabilitätsart verlangt die Psychologische Frage? 3. Welche Reliabilitätsart verlangt die Theorie des standardisierten Verfahrens? 4. Stimmen die v on F ragestellung, P sychologischer F rage und Theo rie des V erfahrens v erlangten Reliabilitätsarten überein? – Verlangen sie Üb ereinstimmung zwis chen verschiedenen Teilen des Verfahrens? – Verlangen sie Üb ereinstimmung zwis chen verschiedenen Zeitpunkten? 5. Ist die Relia bilitätsart zum V erfahren in der Literatur angegeben? 6. Ist das Reliabilitätsmaß in der Literatur angegeben? 7. Ist die A usprägung des Relia bilitätsmaßes in der Literatur in Zahlen angegeben? 8. Ist die S tichprobengröße f ür die Relia bilitätsbestimmung in der Literatur in Zahlen angegeben? 9. Ist die Art der Stichprobenziehung für die Reliabilitätsbestimmung in der Literatur angegeben? 10. Ist die S chätzung des Relia bilitätsparameters »praktisch invariant«? 11. Ist die Reliabilitätsbestimmung noch gültig? 24.24
1. 2. 3. 4. 5.
Checkliste Validität standardisierter psychologischdiagnostischer Verfahren
Wie gut ist die Kriteriumsvalidität belegt? Wie gut ist die prädiktive Validität belegt? Wie gut ist die konvergente Validität belegt? Wie gut ist die diskriminante Validität belegt? Welche weiteren empirischen Belege gibt es für die Konstruktvalidität? 6. Wie hoch sind die Validitätskoeffizienten? 7. Wie hoch sind die Validitätskoeffizienten relativ zu denen, die man in diesem Bereich erwarten kann? 8. Wieviel nützt das Verfahren bei dieser Fragestellung im Vergleich zu einer A-priori-Strategie?
256
24.25
24
Kapitel 24 · Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten
Checkliste Planung eines entscheidungsorientierten Gesprächs (EOG)
1. Wird das EOG nach den Kriterien der psychologischen Wissenschaft: – g eplant? – d urchgeführt? – a usgewertet? 2. Ist der Leitfaden auf gesicherte Anforderungen gegründet? 3. Ist der L eitfaden a usgerichtet a n den P sychologischen F ragen, die v on der F ragestellung abgeleitet worden sind? 4. Ist der Leitfaden als Plan für das EOG vollständig und konkret ausformuliert? 5. Ermöglicht der Leitfaden eine möglichst – v ollständige, – ob jektive, – zu verlässige, – gültige Erhebung von Informationen, die für die Fragestellung relevant sind? 6. Erleichtert der L eitfaden dem P robanden den Bericht üb er k onkretes V erhalten und Erleben? 7. Ermöglicht es der L eitfaden dem P robanden, von sich aus eigene Beobachtungen einzubringen? 8. Kann der Proband den Leitfaden ggf. als Anleitung zum eigenen Beobachten verwenden? 9. Erleichtert der L eitfaden dem P robanden die eigenverantwortliche En tscheidung zur Z usammenarbeit mit dem Diagnostiker? 10. Ist der Leitfaden am Verhältnis von Kosten und Nutzen ausgerichtet? 11. Ist der Leitfaden praktikabel gestaltet? 24.26
Checkliste Grobaufbau eines Leitfadens
Erinnert der Leitfaden an die folgenden Punkte: 1. Begrüßen und Vorstellen? 2. Erklärung v on F ragestellung, Z ielen und V orgehensweise? 3. Einverständnis des P robanden zur A ufnahme mit Tonband oder Video?
4. Wird das Z iel des Vorgehens am Beginn jeden Abschnitts erklärt? 5. Zusammenfassung der wic htigen I nformationen am Ende jeden Abschnitts? 6. Ist der Leitfaden nach dem Einleitungsteil entsprechend den kr itischen S ituationen g egliedert? 24.27
Checkliste Feinaufbau eines Leitfadens
1. Sind alle F ragen in einem einfac hen, k laren und genauen Deutsch formuliert? 2. Kommen möglichst wenig Fremdwörter vor? 3. Werden notwendige Fachwörter erklärt? 4. Sind alle notwendigen Erklärungen: – k urz? – zu treffend? – v erständlich? 5. Sind no twendige lä ngere Erk lärungen als G espräch und nicht als Vortrag vorgesehen? 6. Sind alle F ragen und A ufforderungen un ter einem Gliederungspunkt in der sachnotwendigen Reihenfolge angeordnet? 7. Wird in jeder F rage nach konkretem individuellem Fühlen, Denken oder Handeln gefragt? 8. Werden nur »günstige« Fragen verwendet? 9. Ist jede Frage angemessen offen? 10. Ist jede Frage angemessen direkt? – Sind indirekte Fragen eher am Ende des G esprächs vorgesehen? – Ist der G rad der Dir ektheit einer F rage a n den zu äußernden Inhalten ausgerichtet? – Berücksichtigt jede F rage die Ar t der W issensrepäsentation bei dem Befragten? 24.28
Checkliste Formulierung günstiger Fragen
1. Bezieht sich jede Frage auf konkretes individuelles Verhalten? 2. Steht jede F rage in einem eindeu tigen Bezugsrahmen? 3. Wird in jeder F rage nur ein A spekt angesprochen?
24.31 · Checkliste Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
4. Ist jede Frage möglichst kurz und treffend? 5. Ist jede F rage nic ht sug gestiv, d . h. s etzt sie nichts ungerechtfertigt als gegeben voraus? 6. Ist jede Frage möglichst neutral hinsichtlich der Bewertung des erfragten Verhaltens? 7. Besteht jede Frage aus Wörtern und Rede wendungen, die mög lichst w enig emo tional g eladen sind? 8. Verwendet jede Frage, bei der dies mög lich ist, den Kontext als Gedächtnisstütze? 9. Sind auch die dem Psychologen peinlichen Fragen zutreffend formuliert? 10. Sind alle F ragen mi t »Warum...? « »W ieso...? « »Weshalb...?« »Was sind die Gründe...?« ersetzt durch die Fragen: »Wie kam es zu...?« »Was finden Sie an... gut?« »Was finden Sie an... weniger gut?« 11. Ist jede Frage nach Verhalten in hypothetischen Situationen, d.h. vermutetem Verhalten in unbekannten Situationen, ersetzt: – durch F ragen nac h F ühlen, D enken o der Handeln in erlebten Situationen? oder – durch F ragen nac h Er wartungen, Üb erzeugungen oder Plänen für zukünftige gut vorstellbare Situationen?
24.29 Check liste Suggestivfragen Fragen in Gesprächen sind suggestiv, wenn aus der Frage erkennbar ist, w elche Antwort der I nterviewer er wartet. B ei sug gestiven F ragen ist mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt : 1. Vorausgeschickte Informationen verdeutlichen die erwartete Antwort, 2. In der F rage ist b ereits eine B ewertung des er fragten Verhaltens enthalten. 3. Es wir d etwas als g egeben v oraussetzt, was nicht vorausgesetzt werden kann, weil es a uch anders (gewesen) sein kann. 4. Antwortalternativen werden unvollständig aufgezählt. 5. Bei vollständigen Antwortalternativen oder bei »Ja-Nein«-Antworten ist eine der An tworten für den Interviewten näher liegend. 6. Es sind H inweis g ebende F üllwörter wie »sicher«, »etwa« usw. enthalten.
24.30
257
24
Checkliste Voraussetzungen für entscheidungsorientierte Gespräche
1. Habe ich alle Er wartungen an den G esprächspartner bei meiner Vorbereitung zugelassen? 2. Was finde ich an dem Gesprächspartner gut? 3. Was finde ich an dem G esprächspartner weniger gut? 4. Habe ich konkrete Pläne, wie ich mit dem G esprächspartner umgehen will? 5. Wie will ich mit von mir erwarteten Schwierigkeiten umgehen? 6. Dienen meine Plä ne der Sac he, um die es geht? 7. Bin ic h g edanklich und g efühlsmäßig r ichtig auf das G espräch ein gestellt, d .h. r egt mic h daran in der Vorstellung nichts mehr auf? 8. Habe ic h einen üb ersichtlichen, v ollständig und angemessen ausformulierten Leitfaden? 9. Sind die g ewählten Untersuchungstermine f ür alle Beteiligten möglichst günstig? 10. Habe ic h a usreichend Z eit f ür das G espräch vorgesehen? 11. Habe ic h die U mgebung f ür das G espräch günstig gestaltet? – K leiner Tisch? – B equeme Sitzgelegenheiten? – Für alle G esprächsteilnehmer gu t a blesbare Uhr? – N amensschilder? – Er frischungen? – Ist dafür gesorgt, dass nicht das Telefon oder andere P ersonen das G espräch st ören k önnen? 24.31
Checkliste Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
1. Ist jede verwendete Informationsquelle einzeln im U ntersuchungsplan des G utachtens da rgestellt? 2. Ist der N ame der I nformationsquelle, b ei psychologischen Verfahren in Klammern dahinter auch A utor und Er scheinungsjahr, in der B eschreibung angegeben?
258
24
Kapitel 24 · Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten
3. Ist das Verfahren in w enigen kurzen Sätzen so beschrieben, dass es der Proband im Gutachten wiedererkennen kann? 4. Kann der A uftraggeber aus der V erfahrensbeschreibung erk ennen, w elches M erkmal o der welche Merkmale mi t dem je weiligen Verfahren auf welche Art erfasst werden? 5. Sind b ei jeder I nformationsquelle alle V ariablen aufgeführt, zu denen aus ihr Informationen gewonnen wurden? 6. Stimmen die N amen dies er Variablen üb erein mit denen, die in den P sychologischen Fragen verwendet wurden? 24.32
Checkliste Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Gutachten
1. Ist die Auswertung an der Fragestellung ausgerichtet? 2. Dient die A uswertung der B eantwortung der eingangs f ormulierten P sychologischen F ragen? 3. Wird b ei der A uswertung der S tand der W issenschaft beachtet: – in der Theorieentwicklung? – in der Methodenentwicklung? – in der zufallskr itischen A bsicherung v on Testauswertungen? 4. Ist b ei jedem T estwert der B ereich b erechnet, in dem mi t 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit der wahre Wert des Probanden liegt? 5. Ist jeder B ereich f ür den wahr en Wert r ichtig klassifiziert? 6. Werden zur K lassifizierung von B ereichen f ür die wahren Werte nur die folgenden fünf Klassifikationen verwendet: – un terdurchschnittlich – unterdurchschnittlich bis durchschnittlich – d urchschnittlich – durchschnittlich bis überdurchschnittlich – üb erdurchschnittlich? 7. Ist v or jedem V erfahren das V erhalten b eschrieben, das b ei seiner Durchführung beobachtet wurde und das für die Fragestellung von Bedeutung ist?
8. Ist die D arstellung jedes Ergebnisses relativiert auf: – den Test? – den Untersuchungszeitpunkt (Präteritum)? – die Vergleichsstichprobe? 9. Sind die Er gebnisse im Er gebnisteil des G utachtens g etrennt nac h I nformationsquellen dargestellt? 10. Sind im Ergebnisteil des Gutachtens noch keine Beziehungen zwis chen v erschiedenen Er gebnissen angesprochen? 24.33
Checkliste Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nicht-standardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens
1. Ist die g esamte ob jektiv r egistrierte I nformation Schritt für Schritt danach ausgewertet, – ob sie in Beziehung zur Fragestellung steht? – zu w elcher P sychologischen F rage sie etwas aussagt? 2. Ist jede I nformation bei jeder Psychologischen Frage da rgestellt, zu der en B eantwortung sie beiträgt? 3. Ist jede Information richtig dargestellt? 4. Ist b ei jeder I nformation deu tlich, w oher sie stammt? 5. Ist der K ontext, in dem eine I nformation ur sprünglich stand, angemessen berücksichtigt? 6. Ist das berichtete Verhalten im adverbialen Modus beschrieben? 7. Wird das Verhalten im Präteritum geschildert? 8. Sind n ur w enige k urze w örtliche Z itate p ro Seite wiedergegeben? 9. Vermittelt ein w örtliches Z itat etwas, das f ür die Beantwortung der F ragestellung besonders wichtig ist? 10. Ist ein w örtliches Z itat tr effend f ür die b eabsichtigte Aussage? 11. Sind nur gebräuchliche Wörter verwendet? 12. Wird Verbalstil verwendet? 13. Wird die Aktivform verwendet? 14. Wird jede I nformation in der indir ekten Rede dargestellt?
259
24.36 · Checkliste Formulierungen im Befund
15. Wird in der indir ekten Rede die r ichtige sprachliche F orm b enutzt? (die r ichtige K onjunktivform o der b ei jeder A ussage I ndikativ mit Relativierung auf die Datenquelle) 16. Werden alle mög lichen L eser des G utachtens bei der Formulierung berücksichtigt? 17. Wird möglichst wenig wertend formuliert? 24.34
Checkliste Befund eines Gutachtens
1. Wird die Fragestellung beantwortet? 2. Werden die a us der F ragestellung a bgeleiteten Psychologischen Fragen beantwortet? 3. Wird nichts ausgesagt, was über die Beantwortung der F ragestellung hinausgeht? (Schweigepflicht beachten!) 4. Werden k eine unnö tig v erallgemeinernden Aussagen gemacht? 5. Ist der B efundteil des G utachtens nac h den Psychologischen Fragen gegliedert? 6. Sind zu jeder P sychologischen Frage alle r elevanten I nformationen a us allen v erwendeten Informationsquellen dargestellt? 7. Ist b ei jeder I nformation f ür jeden L eser k lar, woher sie st ammt, o hne dass er die v orhergehenden Gutachtenteile gelesen haben muss? 8. Sind W idersprüche zwis chen I nformationen erklärt oder diskutiert? 9. Sind I nformationen nac h ihr er A ussagekraft für die Fragestellung gewichtet? 10. Ist dies e G ewichtung s o da rgestellt, dass sie jeder Leser nachvollziehen kann? 11. Ist bei jeder Variablen berücksichtigt: – ihr e Stabilität? – ihr e Änderbarkeit? – ihr e Kompensierbarkeit? 12. Werden die Aussagen zu den Variablen schrittweise und für jeden Leser des Gutachtens nachvollziehbar zu einer B eantwortung der F ragestellung kombiniert? 13. Werden notwendige Erläuterungen zum S tand der psy chologischen W issenschaft allg emein verständlich gegeben? 14. Sind die B ezüge zur F achliteratur nachprüfbar dargestellt (Autor, Jahr)?
24.35
24
Checkliste Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
1. Verlangt die F ragestellung Em pfehlungen und Vorschläge? 2. Verlangen Erk enntnisse a us dem P rozess der Begutachtung, dem A uftraggeber b estimmte Empfehlungen zu g eben o der V orschläge zu machen? (Schweigepflicht beachten!) 3. Sind in den Empfehlungen und Vorschlägen – die sic h b ietenden Verhaltensmöglichkeiten konkret beschrieben? – die Bedingungen für die Verwirklichung der verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten dargestellt? – die mi t den v erschiedenen Verhaltensmöglichkeiten zu erreichenden Ziele angegeben? – die mög lichen F olgen der v erschiedenen Verhaltensmöglichkeiten beschrieben? 4. Stehen die Em pfehlungen und V orschläge a m Ende des Gutachtens? 5. Sind alle zum V erständnis notwendigen Informationen aufgeführt, bevor die Em pfehlungen und Vorschläge im Befund dargestellt sind? 24.36
Checkliste Formulierungen im Befund
1. Sind alle Informationen aus Tests, Fragebögen, Gesprächen und s onstigen I nformationsquellen im Befund in der sprachlichen Form wie im Ergebnisteil dargestellt? 2. Sind b ei G esprächszusammenfassungen die Seiten des G utachtens a ngegeben, a uf denen die entsprechende ausführliche Darstellung der Gesprächsergebnisse zu finden ist? 3. Stehen alle Üb erlegungen, S chlussfolgerungen und Entscheidungen im Befund – im Präsens? – im I ndikativ, und zwa r o hne mo dale F ärbung? – in möglichst wertneutralem Ausdruck?
260
24.37
24
Kapitel 24 · Checklisten für die Erstellung psychologischer Gutachten
Checkliste Gliederung eines Gutachtens
1. Fragestellung (und Auftraggeber) 2. P sychologische Fragen 3. Untersuchungsplan und -ablauf (einschließlich der N ennung der U ntersucher, der U ntersuchungstermine, -dauer und -orte) 4. Er gebnisse 5. Befund, B eantwortung der F ragestellung des Auftraggebers 6. Empfehlungen o der Vorschläge (w enn in der Fragestellung vereinbart) 7. L iteratur 8. Anhang (optional, z.B. zusammengefasste Testergebnisse mi t zufallskr itischer T estauswertung) 9. Unterschrift (des v erantwortlichen Di plomPsychologen), D atum der G utachtenfertigstellung
25
Checklisten für die Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde 25.1
Gliederung eines Gutachtens
25.2
Transparenz des Gutachtens
25.3
Formulierung des Gutachtens
25.4 F
ragestellung
– 262 – 262 – 262
– 262
25.5
Formulierung Psychologischer Fragen
– 262
25.6
Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
25.7
Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Ergebnisteil des Gutachtens – 263
25.8
Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nichtstandardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens – 263
25.9
Befund eines Gutachtens
– 263
25.10 Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
– 263
– 262
262
Kapitel 25 · Checklisten für die Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde
Die f olgenden Ch ecklisten so llen F achfremden h elfen, ei n p sychologisches G utachten da raufhin zu beurteilen, w ieweit es be stimmten M indestanforderungen an eine wissenschaftliche Begutachtung entspricht. Die er forderlichen Erläuterungen zu d iesen Checklisten finden sich in Kapitel 23. 25.1
25
25.4
1. Ist der Psychologe der zuständige Experte? 2. Ist der Auftraggeber genannt? 3. Ist die F ragestellung im G utachten w örtlich vollständig als Zitat wiedergegeben? 4. Ist der Auftragnehmer genannt?
Gliederung eines Gutachtens 25.5
1. Nennung des Auftraggebers und F ragestellung des Auftraggebers 2. P sychologische Fragen 3. Untersuchungsplan und -ablauf 4. Er gebnisse 5. B efund 6. Je nach Fragestellung des Auftraggebers: Beantwortung der F ragestellung des A uftraggebers und/ oder Empfehlungen oder Vorschläge 7. L iteratur 8. Anhang (Testauswertungen, Exp lorationstranskripte o. ä.) 9. Unterschrift (des v erantwortlichen Di plomPsychologen) 25.2
Transparenz des Gutachtens
1. Sind alle Aussagen im Gutachten nachvollziehbar? 2. Sind alle Aussagen im Gutachten nachprüfbar? 25.3
Formulierung des Gutachtens
1. Ist jede Formulierung möglichst neutral in der Bewertung des Verhaltens? 2. Ist jede F ormulierung in einfac hem, k larem und richtigem Deutsch geschrieben? 3. Kommen möglichst wenige Fremdwörter vor? 4. Werden alle benutzten Fachwörter erklärt?
Fragestellung
Formulierung Psychologischer Fragen
1. Ist die A uswahl der M erkmale kurz und allg emein v erständlich mi t einer G esetzmäßigkeit oder Regelhaftigkeit im Verhalten begründet? 2. Stellt die Begründung einen eindeutigen Bezug zur Fragestellung her? 3. Ist der Name des Merkmals genannt? 25.6
Darstellung des Untersuchungsplans im Gutachten
1. Ist jede verwendete Informationsquelle einzeln im U ntersuchungsplan des G utachtens da rgestellt? 2. Ist der N ame der I nformationsquelle, b ei psychologischen V erfahren a uch A utor und Er scheinungsjahr, in der B eschreibung a ngegeben? 3. Ist das Verfahren in w enigen kurzen Sätzen so beschrieben, dass es der Proband im Gutachten wiedererkennen kann? 4. Kann der A uftraggeber aus der V erfahrensbeschreibung erk ennen, w elches M erkmal o der welche Merkmale mi t dem je weiligen Verfahren auf welche Art erfasst werden? 5. Sind b ei jeder I nformationsquelle alle M erkmale aufgeführt, die zur Beantwortung der Fragestellung beitragen? 6. Stimmen die Namen dieser Merkmale überein mit denen, die in den P sychologischen Fragen verwendet wurden? 7. Wird da rgestellt, w er w elche U ntersuchungen wann und w o durchgeführt bzw. daran mitgewirkt hat?
263
25.10 · Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
25.7
Auswertung und Darstellung von Tests und Fragebögen im Ergebnisteil des Gutachtens
1. Ist die Auswertung an der Fragestellung ausgerichtet? 2. Dient die A uswertung der B eantwortung der eingangs formulierten Psychologischen Fragen? 3. Wird b ei der A uswertung der S tand der W issenschaft beachtet? 4. Ist v or jedem V erfahren das V erhalten b eschrieben, das b ei seiner Durchführung beobachtet wurde und das für die Fragestellung von Bedeutung ist? 5. Ist die D arstellung jedes Ergebnisses relativiert auf: – den Test? – den Untersuchungszeitpunkt? – die Vergleichsstichprobe? 6. Sind die Er gebnisse im Er gebnisteil des G utachtens g etrennt nac h I nformationsquellen dargestellt? 7. Sind im Ergebnisteil des Gutachtens noch keine Beziehungen zwis chen v erschiedenen Er gebnissen angesprochen? 25.8
Auswertung und Darstellung von Gesprächen und nichtstandardisierten schriftlichen Informationen im Ergebnisteil des Gutachtens
1. Sind die g esamten objektiv registrierten Informationen Schritt für Schritt danach ausgewertet, a) in welcher Beziehung sie zur F ragestellung stehen und b) zu welcher Psychologischen Frage sie etwas aussagen? 2. Ist jede I nformation bei jeder Psychologischen Frage da rgestellt, zu der en B eantwortung sie beiträgt? 3. Ist b ei jeder I nformation deu tlich, w oher sie stammt? 4. Wird in der indirekten Rede die richtige sprachliche Form benutzt? 5. Werden alle mög lichen L eser des G utachtens bei der Formulierung berücksichtigt?
25.9
25
Befund eines Gutachtens
1. Ist der B efundteil des G utachtens nac h den Psychologischen Fragen gegliedert? 2. Werden die a us der F ragestellung a bgeleiteten Psychologischen Fragen beantwortet? 3. Sind zu jeder P sychologischen Frage alle r elevanten I nformationen a us allen v erwendeten Informationsquellen dargestellt? 4. Ist b ei jeder I nformation f ür jeden L eser k lar, woher sie st ammt, o hne dass er die v orhergehenden Gutachtenteile gelesen haben muss? 5. Sind W idersprüche zwis chen I nformationen erklärt oder diskutiert? 6. Sind I nformationen nac h ihr er A ussagekraft für die Fragestellung gewichtet? 7. Ist dies e G ewichtung s o da rgestellt, dass sie jeder Leser nachvollziehen kann? 8. Werden die A ussagen zu den M erkmalen schrittweise und f ür jeden L eser des G utachtens nac hvollziehbar zu einer B eantwortung der Fragestellung kombiniert? 9. Werden notwendige Erläuterungen zum S tand der psy chologischen W issenschaft allg emein verständlich gegeben? 10. Wird die Fragestellung beantwortet? 11. Wird nichts ausgesagt, was über die Beantwortung der Fragestellung hinausgeht? 12. Werden k eine unnö tig v erallgemeinernden Aussagen gemacht? 13. Wird die zitierte Literatur angegeben? 14. Stehen alle Üb erlegungen, S chlussfolgerungen und Entscheidungen im Befund a) im Präsens, b) im I ndikativ, und zwa r o hne mo dale F ärbung, c) in möglichst sachlichem Ausdruck? 25.10
Empfehlungen und Vorschläge im Gutachten
1. Verlangt die F ragestellung Em pfehlungen und Vorschläge? 2. Verlangen Erk enntnisse a us dem P rozess der Begutachtung, dem A uftraggeber b estimmte Empfehlungen zu g eben o der V orschläge zu machen?
264
25
Kapitel 25 · Checklisten für die Beurteilung psychologischer Gutachten durch Fachfremde
3. Sind in den Empfehlungen und Vorschlägen – die sic h b ietenden Verhaltensmöglichkeiten konkret beschrieben? – die Bedingungen für die Verwirklichung der verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten dargestellt? – die mi t den v erschiedenen Verhaltensmöglichkeiten zu erreichenden Ziele angegeben? – die mög lichen F olgen der v erschiedenen Verhaltensmöglichkeiten beschrieben? 4. Stehen die Em pfehlungen und V orschläge a m Ende des Gutachtens? 5. Sind alle zum V erständnis notwendigen Informationen aufgeführt, bevor die Em pfehlungen und Vorschläge dargestellt werden?
Liter
atur
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Sachverzeichnis – 273 Namensverzeichnis – 278
Sachverzeichnis A Abstraktion 12, 122 Adaptationsniveau 115 Adjektivischer Modus 123 Adverbialer Modus 123 Ähnlichkeit, wahrgenommene 116 Aktenanalyse 9, 10, 43, 58, 134, 163 Alltagssorge 157 Änderbarkeit 230, 231, 259 Anforderung 19 – kompensierbare 19, 140 f., 251, 259 Anforderungsprofil 8, 18-20, 43, 47, 157, 205 – Entscheidungskriterien 8, 13, 119, 122 Anknüpfungstatsache 160, 163, 201, 207 Anzahl der Informationen 113 A-priori-Strategie (s. auch Strategie), 57-60, 68, 78, 163, 255 Arbeitsstil 100 f., 104, 136 Arbeitsweise – des Probanden 29, 74 – des Gutachters 43, 49
Arbeitszeugnis 103, 104 Assessment Center 54, 126 Attribuierung 115 Auftraggeber 8-10, 16, 42 Aussage 119 f., 203-207 – Entst ehungsgeschichte 204, 205, 212, 213 – Kompetenz 204, 206, 207 – Qualität , 204, 205, 217 Aussagenanalyse 205, 214 – kriterienorientierte 205, 207, 214ff., 217
B Bedeutsame Andere 24, 32 Bedeutsamkeit, praktische 18, 33, 48 Beeinflussung individuellen Verhaltens 10, 20 Befund , 8, 9, 112, 114-117, 129, 139-143, 241, 245 ff., 259 – Aussage 111, 113, 115, 116, 119-123, 129-131, 140 – Beispielfall Eignungsdiagnostik 145 ff.
– Bespielfall Familienrecht 187 ff. – Beispielfall Glaubhaftigkeitsbegutachtung 211 ff. Belastbarkeit – emotionale 24, 29, 80, 120 – körperliche 24, 26, 44, 252 Beobachter 61-66, 126, 127, 254 – A usbildung 62-66 – Erfahrung des 62, 254 – Kontrolle des 62, 63, 254 Beobachtung (Verhaltens-)10, 12, 13, 19, 25, 61-66, 68 f., 103, 106-108, 138, 254 – Art 65 f., 126 – auswerten 125 ff. – indir ekte 126 – Inhalte 63 f., 254 – in der natürlichen Umgebung 126 – nichtstandar disierte 141 – teilstandardisierte 55, 126 – standar disierte 54 – wissenschaf tliche 254 – Zeitpunkt 65, 130, 143 Berufserfahrung 20, 108, 111, 120, 228-230, 232, 251 – kontr ollierte 108 Berufsordnung 17
274
Sachverzeichnis
Beurteilung psychologischer Gutachten 13, 239, 261, 262, 264 Bilanzbogen 56 Bindung 156, 158, 160, 162 – emotionale 29, 30, 252 – Fähigkeit 156, 158 – des Kindes 47-51, 156-159, 161-163, 187, 189, 198 Breitbandverfahren 56 Bundesgerichtshof (BGH) 218
D Darstellungsweise, faire 131 Delphi-Verfahren 94 Diagnostik 111, 114, 116, 155, 160, 178, 235, 236, 251 – Beziehungen, 11, 158, 167 ff., 210 f. – Eignungs- 42, 94, 236 – entscheidungsorientier te 227, 235 – hypothesengeleitete 209, 212 – Interventions- 156, 159, 160 – Situations- 236 Diagnostischer Entscheidungsprozess 8 Diagnostische Strategie 233 – Nützlichkeit 113, 124, 227, 235 – Optimierung 28, 57, 59, 60, 227, 236 Diagnostisches Urteil 105 ff. – Bildung 88, 109, 110, 112-116, 119-122, 124, 140 – Eindrucksur teil 106 – Fehler 12, 48, 107, 109-124, 127 – individuelle Unterschiede 105, 108 – Tendenz, 12, 107, 114-116, 120, 228 – Verzerrung 12, 88, 106, 107, 109-116, 119-122, 124, 140 Differenziertheit 112, 216, 230 Diskriminationsfähigkeit 112 Durchführungsobjektivität 67, 71, 254
E Eignungsdiagnostik, 42, 94, 236 Einstellungen – des Diagnostikers 63, 97, 109ff. – als soziale Variablen 19, 32, 48, 51, 212 – von Eltern 159 – zur Sexualität 208 Einwilligung des Probanden 64 Einzelfallauswertung, psychometrische 128 Einzelfalldiagnostik 76, 78, 112, 113, 127 Elterlichkeit 159 Emotion 63, 159, 168, 206, 212, 230, 231 Emotionale Variable 23, 24, 29, 48, 251 Entscheidung – explizit e 12 – Forschung 18, 56, 78, 107, 110, 111, 229 – Heuristik 111, 236 – Kriterien 13, , 55, 56, 127, Entscheidungsorientierte Diagnostik, Technologie, 235 Entscheidungsorientierte Gespräche 54, 86, 87, 89, 125, 130, 250, 253 – Auswertung , 86, 129f., 234, 244, 258, 263 Entscheidungsorientierte Gesprächsführung (EOG) 85-87, 227, 234 Entscheidungsorientiertes psychologisch-diagnostisches Handeln 7-9 Entscheidungsprozess, diagnostischer 8, 9, 47 Entscheidungsregel 12, 18, 31, 59, 106, 107 Entscheidungsverhalten 30, 31, 44, 100, 104, 135, 146, 252
EOG (s. auch entscheidungsorientierte Gesprächsführung) 86-98, 234, 250, 256 Ergebnisse, Darstellung 8-10, 36, 114, 120, 125, 130, 131, 244, 255, 258, 259, 263 Erklärung individuellen Verhaltens 10, 11, 23, 32, 111, 228, 229 Erleben 47, 48, 58, 64, 88, 89, 93-96, 98, 104, 106, 107, 111, 157 Erwartung, 31, 44, 146, 230 f. – Änderbarkeit 230, 231 – diff erenzierte 231 – Facetten 230, 231 – generalisier te 231 – globale 231 – Stabilität 230, 231 – zutr effende 231 Erziehungsfähigkeit 159 Erziehungswilligkeit 159 Etiketten 140
F Fachsprache 143, 242 Familiengericht 49, 50, 233, 236 Familienrechtliche Verfahren, Umgangsregelung 155-157 Family RelationsTest (FRT) 160, 168, 180, 182, 187, 199 Fehlentscheidung 77, 78 Fehler – Quelle 106, 204, 208 – Analyse 204, 207, 217 – R isiko 70 Fehlurteil 106, 140, 236 Filterfrage 96 Filtervorgang 104 Förderung des Kindes 47, 49 Förderungskompetenz 159, 162 Formulierung – ex treme 114 – mittler e 114 Frage – direkte 92, 96
275
Sachverzeichnis
– geschlossene 95, 96 – günstige 85, 92, 93, 250 – indirekte 91, 96, 256 – off ene 92, 95, 96, 142, 209 – psychologische (s. auch Psychologische Fragen) 8-10, 36-38, 44, 51, 110, 140, 240 – ungünstige 85, 92, 94 Fragebogen 62, 68, 243, 258 – Fälschbarkeit von Antworten 73 Fragestellung 8-10, 16-21, 36, 42, 58-60, 75, 106, 110, 127, 140, 233, 236, 242, 251 Fremdbeobachtung 64 FRT (Family Relations-Test) 160, 168, 169
G Gedächtnis 24, 27, 63, 93, 199, 204, 207 Gespräch(sführung), entscheidungsorientierte(s) 71, 86-98, 134, 86-98, 234, 250, 256 Gesprächsformen 85, 86 Gesprächsinformationen 89, 131 – Darstellung 130, 131 – Gültigkeit 13, 230 Gesprächsvorbereitung 19, 93 Gewichtung 114, 141, 246 Gewissen 218 Gewohnheiten 121 Glaubhaftigkeit 199 – Kennz eichen 206 – K riterien 200 – einer Zeugenaussage 2 Glaubwürdigkeit 199 Gültigkeit (s. auch Validität ) 13, 19, 24, 43, 60, 71 Gutachten – Empfehlung 142, 235, 239, 247 – familienr echtliches 43 – Gliederung 9, 38, 44, 46, 160, 201, 240, 261
– Nachprüfbarkeit 240,-242, 247 – Nachvollziehbarkeit, 240, 242, 243, 245, 247 – Transparenz 13, 36, 239, 241, 242, 261, 262 – V erständlichkeit 4 Gutachtertraining, systematisches fallspezifisches 117, 120
H Handeln, entscheidungsorientiertes psychologisch-diagnostisches 7, 227-230, 232 Handlungsleitende Kognition s. Kognition 227, 229 Heuristik 236 Hospitalismus-Syndrom 158 Hypothese, 8, 9, 35-37,46, 49, 50, 58, 68, 111, 162, 163, 200, 209, 232, 241, 242, 249, 253 Hypothesenbildung, entscheidungsorientierte 41, 46 Hypothesengeleitete Diagnostik 209, 212
I Indirekte Fragen s. Fragen 9, 212 Indirekte Rede 131 Informationsquelle 9, 20, 28, 37, 43, 54-56, 59, 61, 62, 113, 114, 131, 134, 140-146, 241, 243-246 Integriertheit 112 Intelligenz 20, 24, 28, 37, 38, 45, 65, 78, 82, 101, 121 – soziale 31, 253 Interaktionsfehler 116 Interessen 30, 38, 44, 116, 135, 140, 146 Interpretation von Punktwerten 72, 127
B–L
K Kausalannahme, ungerechtfertigte 111 Kindeswohl 47-50, 156, 157, 160 – Kontinuität der Betreuung 47, 158 – Kontinuität der Umgebung 158 – Kriterien 51, 157, 162 Kindschaftsrecht 47, 156, 159 – Reform 156, 159, 161 Kognition 27, 48 – handlungsleit ende, 95, 227-230 Kognitive Komplexität 110, 112 Kognitive Variable 23, 24, 27, 48, 251 Kommunizierbarkeit 13, 14, 20 Konservatismus 114 Konstrukt 13, 38, 44 – psychologisches 37, 253 – Qualität 38 – Quantität 38 – V alidität 76 Kontrastfehler 116 Konzentration 24, 38, 205 Kosten 56, 81, 113, 236, 253 Kosten- und Nutzenaspekt, ideeller 56 Kosten-Nutzen-Verhältnis 68, 113 Kreativität 20, 252 Kriterienorientierte Aussagenanalyse 205, 214ff.
L Lebenserfahrung 228 Leitfaden 55, 88, 130, 234, 256 – zum entscheidungsorientierten Gespräch 100 – F einaufbau 88 – F unktionen 88
276
Sachverzeichnis
– Grobaufbau 90, 256 – Konstruktion 234 – K urzform 90 – Langf orm 90 Leitfrage 204 Lernpsychologische Information 32, 251 Logik 122, 212 Lügenskala 73
M Mediation 156, 159 Mildefehler 114 Modale Färbung 247, 259 Modus – adjektivischer 123 – adv erbialer 123 – substantivischer 123 – v erbaler 123 Motivation 95, 104 Motivationale Variable (M) 24, 30, 48, 251
N NEO-Fünf-Faktoreninventar (NEO-FFI) 82 Norm 24, 64, 95 Nullhypothese 203 Nutzen 13, 28, 50, 78, 209
O Objektivität, 13, 43, 70, 254 – A uswertung 67 – Durchführung 70, 71 – Interpretation 59, 72, 212 Offenheit 49, 73 Opferzeugen 199 Organismusvariable (O) 37, 251
P Personbeurteilung 108 Persönlichkeitseigenschaften 123 Persönlichkeitsmerkmal 29, 108 124, 251 Persönlichkeitstheorie, implizite 97 Personwahrnehmung 97, 107 Primacy-Effekt 115 Proband(in) 42 – Arbeitsw eise 74 – Ein willigung 64 Profilauswertung 72, 236 Prognose 95, 166, 197 projektive Verfahren 70 Prophezeiung, sich selbst erfüllende 49 Pseudoerinnerungen 200 Psychologische Frage (s. auch Frage, psychologische) 38, 44, 45, 11 121, 146, 162, 253 – Ableitung 48 – Anzahl 38 – Formulierung 242, 253 Psychologisches Diagnostizieren 11, 235 – Grundannahmen 8
Rekursives Begutachtungsmodell 9, 160 Repräsentativitätsheuristik 111 Rolle 11
S Schwellenphänomen 114 Selbstbeobachtung 63 Sensitivierung 116 Sexualanamnese 208 Sicherheit, subjektive 113 Sorgerecht, 47, 50, 155 – Fragestellung 46, 49 – gemeinsames 157, 161 – Gutachten 19, 25 – Regelung 8, 65 Soziale Erwünschtheit 64, 254 Soziale Variable (S) 24, 31, 48, 253 Stabilität von Merkmalen 19, 75, 124, 140 Stereotyp 43, 215, 253 – so ziales 188 Strategie 56 – A-priori- 57, 78 Strengefehler 114 Substantivischer Modus 123 Suggestivfragen 93, 257 Supervision, kollegiale 94, 117
R Realkennzeichen 218 – Analy se 217 Recency-Effekt 115 Rechtschreibtest: RT-Rechtschreibungstest 82 f., 134 Rede, indirekte 89, 131 Reliabilität (Messgenauigkeit, Zuverlässigkeit) 13, 75, 13, 48, 74-76, 81 f., 128, 204, 207, 212, 255 – interne Konsistenz 74, 75 – P aralleltest- 74 – praktisch invariante 76 – Retest- 74, 82
T Tendenz zur guten Gestalt 115, 117 Test 9, 56, 72 – Ergebnisse 70, 77 – Konstruktion 70, 234 Testauswertung 72, 127, 258 – Punktwerte 72, 127 – wahr er Testwert, Vertrauensbereich 72, 127 – zufallsk ritische Einzelfallauswertung 128 Theorie 68 – Defi nition 10
277
Sachverzeichnis
– entscheidungsorientier ten psychologisch-diagnostischen Handelns 227, 236 Tonband 130,245
U Überhangantworten 209 Übertragungsfehler 116 Überzeugung 30, 228 Umgangsregelung 155, 162, 199 Umgebungsvariable 24, 249, 251 Undeutsch-Hypothese 205 Untersuchungsplan, 9, 37, 53-55, 62, 68, 79, 99, 239, 262 – dokumentier ter 119 – Fehler 48, 63 – Feinplanung 38, 53-55, 66, 249, 253 – Grobplanung 53, 54 Untersuchungssituation 9, 104, 148, 153 Ursachenzuschreibung 94 Urteil (s. diagnostisches Urteil) 89, 93, 105, 119, 231
V Validierung 75, 77 Validität 13, 19, 48, 60, 67, 76, 77, 218, 255 – diskriminante 76, 77, 255 – konvergente 76, 77, 255 – Kriteriums- 76, 77, 255 – prädiktive 76, 77, 255 Variablen, Auswahl 23-34, 36, 37, 75, 112, 122 Verbaler Modus 123 Verfahren 67, 79 – Auswahl 48, 54, 79, 81, 99, 103 – nichtstandar disiertes – pr ojektives – Reihenfolge 44, 55, 59, 92, 163, 256
– standardisiertes 74, 76, 79 – t eilstandardisiertes 103 – theor etische Grundlagen 254 Verfügbarkeitsheuristik 111 Vergleichsstichprobe 73, 74, 128, 244, 263 Verhalten, hypothetisches Verhaltensbeobachtung 38, 73, 74, 80, 89, 103, 128, 138, 169 – direkte 130, 140 – indirekte 89, 126, 127, 130, 140 – systematische 106, 169 Verhaltensbeschreibung 119, 123 – adverbialer Modus 123 – verbaler Modus 123 Verhaltensgleichung 32, 36, 41, 44, 46 Verhaltensmuster 30, 88 Verhaltensorientiertes Diagnostizieren 12 Verhaltensvorhersage (s. auch Vorhersage individuellen Verhaltens) 11, 15, 20, 23, 31 Verstärker – non verbaler 98 – v erbaler 98 Verteilungsfehler 114 Video 90, 256 Vorbereitung eines Gesprächs (s. Gesprächsvorbereitung) 93, 97 Vorgehen 77, 89, 107, 139 – sequentielles 56 – standar disiertes 54 Vorhersage individuellen Verhaltens 10, 20, 32 Vorinformation 43, 167, 167 Vorurteil 19, 31, 97, 231
W Wahrnehmung 106, 107, 207 – Ab wehr 116 – Bedingungen 7, 10, 11, 17, 24, 25, 41, 58, 97
L–Z
Wahrscheinlichkeit, subjektive 60, 65, 72, 112, 127, 191, 230, 250, 252 Wert(vorstellung) 30, 47, 63, 97, 116, 230, 252 Widersprüche 129, 140, 141, 163, 200, 215, 245, 246, 259, 263 Wilde-Intelligenztest 2 (WIT-2) 82 f., 134, 148 f. Wille des Kindes 47, 48, 51, 158, 162, 192, Wohl des Kindes (s. Kindeswohl) 46, 47, 48, 156, 157, 159, 161, 162
Z Zeitachse 50 Zeugenaussage, Glaubhaftigkeit 199, 217, 236, 240, 247 Zeugentüchtigkeit 209 Ziel – des Buches 2 – der Diagnostikers 3, 38, 235, 242 – der entscheidungsorientierten Diagnostik 11, 78, 235 – des entscheidungsorientierten Gesprächs 87 ff. – k indeswohlentsprechendes 47, 188 – persönliches des Probanden , 19, 24 Zitate, Verwendung von 131, 245, 258 Zuverlässigkeit (s. Reliabilität)
278
Namensverzeichnis A Ainsworth, MDS 126, 158 Allhoff, P 81 Althoff, K 82, 83 Angleitner, A 82 Anthony, J 168 Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 62 Arntzen, F 205, 212, 214, 215, 216, 217 August-Frenzel, P 48, 64, 158
B Balloff, R 47, 157, 159, 160 Bartussek, D 31 Beelmann, W 47, 168, 169 Bene, E 168 Berka, H-H 229 Berufsverband Deutscher Psychologen e.V. 17 BGB Bürgerliches Gesetzbuch 46, 156, 157, 161 BGH-Nack 204 Blehar, MC 126 ,158 Boetticher, AN 236 Borg, I 30 Borggrefe, C 62, 111, 233 Borkenau, P 29, 82 Bosinski, HAG 236 Bowlby, J 158, 162 Brähler, E 81 Bredenkamp, J 18, 33 Brickenkamp, R 81 Bruck, M 200 Bull, RHC 240 Bundesgerichtshof (BGH) 200, 218
C Cannell, CF 93 Ceci, SJ 200 Christianson, S-A 212, 218 Corwin, DL 217, 218 Cronbach, IJ 56, 68, 78
D Dahle, K-P 236 Davies, GM 240 De Bruyn, EEJ 4, 17, 235 Deter, B 28 Dettenborn, H 188, 190, 192, 193, 194, 197, 199 Deutsche Gesellschaft für Psychologie 14, 17, 218 Donat, M 28 Duhm, E 62
E Eckert, H 233, 234 Egloff, B 266 Ehlers, B 62 Ehlers, T 62 Eid, M 266 Eisenberg, U 142 Ell, E 159
F Fabian, A 205, 207, 209, 212, 218, 240 Fabian, T 205, 207, 209, 212, 218, 240
Feger, H 18 Fernandez-Ballesteros, R 4, 17, 235 Fiedler, K 240 Figdor, H 195, 199 Fisseni, H-J 126 Flämig, J 168, 199 Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen 4, 17 Fremmer-Bombik, E 187, 188, 191, 199 Freytag, R 126 Friedrich, S 156, 157, 159 Fthenakis, WE 47, 48, 157 Funke, U 28
G George, C 126 Gerhard, A-K 157 Gleser, GC 56, 68, 78 Godoy, A 4, 17, 235 Graumann, CF 123 Greuel, L 205, 207, 209, 212, 218, 236, 240 Grossmann, K 158 Grossmann, KE 158, 199 Guillot, G 127 Guthke, J 28 Guttman, L 68
H Hageböck, J 127 Hagemeister, C 28, 111, 233, 234 Halbach-Suarez, C 31, 95 Hennig, J 266 Holling, H 81 Hörmann, H 70 Hornke, LF 4, 17, 235
279
Namensverzeichnis
Hossiep, R 65, 81, 126 Huber, HP 72, 76, 127 Hülsheger, UR 28 Hunter, JE 78 Hunter, RF 78 Huss, K 92
I ISO 9000 240
J Jaeckel, S 28 Jäger, AO 82 Janis, IL 31, 56 Jessnitzer, K 46
K Kahn, RL 93 Kahneman, D 111 Kaminski, G 9, 229 Kanning, UP 81, 106, 107 Kersting, M 29, 82, 83 Kestermann, C 236 Kici, G 234 Kindler, H 157, 158, 161, 192, 199 Kiphard EJ 62 Klauer, KJ 124 Kline, P 68 Klüber, A 156, 157, 160, 232, 233, 236, 240 Kluck, M-L 47, 108, 218 Klußmann, RW 47 Köhnken, G 112, 205, 206, 218 Kreitler, H 31, 228, 229 Kreitler, S 31, 228, 229 Kröber, H-L 240 Kunze, H-R 47, 157
L Leutner, D 81 Lewis, J 157 Liberman, A 112 Lienert, GA 68, 127 Littmann, E 205, 214, 218 Lüer, G 108
M Magai, C 192, 196, 199 Maier, GW 28 Makus, H 62 Mann, L 31, 56 Mischel, W 77 Moser, K 28 Muck, PM 28 Mühlhaus, O 81
N Nedophil, N 236 Neubauer, AC 29 Niehaus, S 205, 218 Niesel, R 47, 157
O Offe, H 205, 207, 209, 212, 218, 240 Offe, S 205, 207, 209, 212, 218, 240 Ostendorf, F 82 Oswald, M 121
P Paschen, M 81 Petermann, F 81, 195, 199 Pfeifer, W-KP 199
Powell, GJ 217, 218 Praxis der Rechtspsychologie 204, 209, 218 Preiser, S 107, 114, 116 Preusser, I 126 Puls, J 47
R Raatz, U 68, 127 Reinhold, C 157 Rennen-Allhoff, B 81 Richtlinien zur Manuskriptgestaltung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 14 Rohmann, JA 159, 160 Rosenkötter, L 47 Rost, J 68 Rütten, C 62, 111, 233
S Sachsse, U 217, 218 Salzgeber, J 47, 48, 142, 157, 159, 240 Sarges, W 81 Saß, H 236 Schade, B 156, 157, 159 Scheuerer-Englisch, H 199 Schmid, J 240 Schmidt, AF 236 Schmidt-Atzert, L 28 Schmidt-Denter, U 47, 168, 169 Scholz, OB 236 Schuler, H 28, 234 Schulz-Hardt, S 112 Schwabe-Höllein, M 48, 64, 68, 158 Simitis, S 47 Solomon, J 126 Sorembe, V 18 Spangler, G 30, 47, 158, 162, 168, 199 Spitz, R 158
280
Namensverzeichnis
Stadler, M 205, 207, 209, 212, 218, 240 Stadler, MA 236 Staufenbiel, T 30 Steller, M 204-207, 209, 218, 236, 240 Stephan, U 234 Stötzel, B 47 Strobel, A 94, 234 Stumpp, T 28 Sturzbecher, D 126, 199 Suess, G 64, 199 Szewczyk, H 205, 214, 218
T Tausch, A 168, 199 Tausch, R 168, 199 Ter Laak, J 4, 17, 235 Terlinden-Arzt, P 28, 156, 157, 160, 232, 233, 236, 240 Teske, M 212, 218 Thomae, H 30 Thurstone, LL 82 Trankell, A 205, 218 Trope, Y 112 Tversky, A 111
U Ulrich, J 142 Undeutsch, U 205, 208, 212, 218,
V Vizcarro, C 4, 17, 235 Vogel, R 47 Volbert, R 200, 204, 207, 209, 212, 218, 236, 240
W Wallerstein, JS 157 Wall, S 126 ,158 Walper, S 157 Walter, E 47, 157, 188, 190, 197, 199 Warschburger, P 195, 199 Waters, E 126 ,158 Wellershaus, P 206, 218 Werbik, H 13 Westcott, HL 240 Westhoff, K 4, 17, 28, 31, 62, 81, 95, 111, 120, 156, 157, 160, 218, 229, 233–237, 240, 246 Westmeyer, H 4, 17, 235 Wetzels, P 205, 207, 209, 212, 218, 240 Willmes, K 127 Wolf, T 206, 218 Wörner, U 168, 199 Wottawa, H 81, 126 Wyatt, GE 217, 218
Z Zaccagnini, JL 4, 17, 235 Zimmermann, P 30, 47, 158, 162, 168, 188, 191, 199